© Tobias Koch Koalitionssondierungen habenbegonnen Schäuble istneuerBundestagspräsident – der Demokratie« schlägt das Herz »Im Parlament Das MonatsmagazinderCDU/CSU-Bundestagsfraktion ·November2017 Marktführer machen will Deutschlandzum CDU/CSU-Fraktion beherrschen Intelligenz Künstliche Inhalt

3 6 18 Der Monat Der Brennpunkt Die Themen »Im Parlament schlägt das Herz -Verhandlungen stocken 4 der Demokratie« 18 Die Meinung 12 Impressum über Die Themen die Koalitionssondierungen­ Künstliche Intelligenz beherrschen 19 Die Bilder 5 16 Die Zahlen Das Gespräch 20 Jürgen Hardt über außenpolitische Das Zitat Herausforderungen

6 Der neue hat sich konstituiert. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble warb in seiner Antrittsrede für ein zivilisiertes Miteinander.

12 Koch © Tobias Künstliche Intelligenz wird die Lebenswelt radikal verändern. Die Unionsfraktion will die Chancen, die sich daraus ergeben, nutzen. © Alexander Heinl/Picture Alliance Heinl/Picture © Alexander

18 Die Brexit-Verhandlungen treten auf der Stelle. Die Unionsfraktion mahnt von den

Briten konkrete Vorschläge an. © vchalup/Fotolia Der Monat 3

Liebe Leserinnen und Leser, die Bundestagswahl liegt knapp sechs Wochen hinter uns. Inzwischen hat sich der Bundestag konstituiert. Die ers- ten Personalentscheidungen sind im Parlament, aber auch bei uns in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gefallen.

CDU und CSU sind nach wie vor Chaperon © Laurence die mit Abstand stärkste Kraft im Par­ lament. Wir haben alle Chancen, dass erneut zur Bundeskanzlerin Volker Kauder gewählt wird – was sich auch die meisten Bundesbürger wünschen. Aber natür- Vorsitzender der CDU/CSU- Bundestagsfraktion lich sind wir über das Abschneiden der Union am 24. September nicht glücklich. Gleichwohl schauen die Bürger in den nächsten Wochen gerade auf uns. Aus vielen Gesprächen weiß ich: Die Menschen erwarten als allererstes von der Union, dass sie aus dem schwierigen Wahlergebnis etwas Positives für das Land macht. Darin dürfen wir sie nicht enttäuschen. Die Union ist die Kraft der politi- schen Vernunft. Die Sondierungsgespräche haben gut begonnen. Dennoch ist klar, dass die vor uns liegenden Koalitionsverhandlungen die schwierigsten der vergangenen Jahrzehnte werden. Union, FDP und Grüne haben in ihren Programmen zwar ei- nige Gemeinsamkeiten, aber auch tiefgreifende Differenzen. Es muss uns gelin- gen, dass jede Partei Punkte für sich verbuchen kann. Gleichzeitig muss jede Par- tei bereit sein, an anderer Stelle nachzugeben. Keine darf die andere überfor- dern. Allerdings muss auch die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden: Schließlich haben FDP und Grüne zusammen nur 60 Prozent der Stimmen der Union be- kommen. Mit Wolfgang Schäuble haben wir den Politiker zum Bundestagspräsiden- ten gewählt, der über die größte Erfahrung im Bundestag verfügt. Darüber bin ich sehr froh. Aufgrund seiner beeindruckenden Biografie verfügt Schäuble über die Autorität, die nötig ist, um das zahlenmäßig gewachsene Parlament durch eine voraussichtlich nicht einfache Zeit zu führen. Persönlich freue ich mich auf die Zusammenarbeit mit dem neuen CSU- Landesgruppenvorsitzenden Alexander Dobrindt. Wir kennen und schätzen uns seit vielen Jahren. Die Union wird dann stark bleiben, wenn die neue Fraktion bei aller inhaltlichen Diskussion zu einer Gemeinschaft guter Kameraden zusam- menwächst, wie sie es auch in der Vergangenheit stets war. Nach den ersten Wo- chen ist mir da aber nicht bange.

Fraktion direkt – Das Monatsmagazin – November 2017 4 Die Meinung Bürgerliches Wahlergebnis abbilden Politik an der Lebensrealität ausrichten

ie Menschen in Deutschland haben gewählt und die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen. Für Familien der Union einen Regierungsauftrag erteilt. Gleich- wollen wir mehr Unterstützung, unter anderem indem wir zeitig aber haben sie ein klares Ausrufezeichen Kindergeld wie Kinderfreibetrag deutlich erhöhen. Wir wol- gesetzt. Offenbar haben sich viele Menschen in len, dass alle Menschen nach vielen Jahren Arbeit und der Dden Debatten der vergangenen Jahre nicht mehr wieder­ Erziehung von Kindern im Alter von ihrer Rente gut leben gefunden. Das müssen wir ändern und in den kommenden können. Wir wollen gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt vier Jahren all denen, die uns dieses Mal nicht gewählt haben, und Land, in Ost und West. Und wir wollen ein Deutschland, zeigen, dass wir ihre Stimme im Deutschen Bundestag sind. das sich klar zu seiner christlich-abendländischen Prägung, Dafür müssen wir unser bürgerliches Pro- seinen Traditionen, seinen Regionen und fil schärfen und unsere Politik konse- »Wir müssen unser seiner Leitkultur bekennt. quent ausrichten an der Lebensrealität in Das ist unser Maßstab für die unserem Land – klar in der Sprache, di- bürgerliches Profil Gespräche mit FDP und Grünen. Unsere rekt in der Kommunikation und konserva- Erwartungshaltung ist klar: Eine neue tiv in unseren Überzeugungen. schärfen.« Koalition muss das bürgerliche Wahler- Mit dem Wahlergebnis verbunden gebnis abbilden. Im Moment steht dabei ist eine klare Agenda für unser Land. Ganz oben steht das noch mehr Trennendes als Einendes. Ein gemeinsames Ziel Thema Migration und eine Begrenzung der Zuwanderung. aller Verhandlungspartner kann die Bewahrung der Schöp- Dafür haben wir uns als Union das Ziel gesetzt, die Zahl von fung sein. Es ist gut, dass die Gespräche jetzt begonnen maximal 200.000 Menschen pro Jahr nicht zu übersteigen. haben, aber wir stehen noch am Anfang. Die kommenden Das erreichen wir mit einem umfassenden Konzept zur Wochen werden zeigen, ob Jamaika funktionieren kann. Bekämpfung der Fluchtursachen, dem wirksamen Schutz un- serer Grenzen, der Einstufung weiterer Länder als sichere Herkunftsstaaten, der weiteren Aussetzung des Familien- nachzugs sowie der Einrichtung von Entscheidungs- und Rückführungszentren in ganz Deutschland. Außerdem wollen wir, dass die Entscheidungen über die zentrale Frage der Begrenzung der Zuwanderung wieder dort getroffen werden, wo sie hingehören: im Deutschen Bundestag. Neben der Migration legen wir einen Schwerpunkt auf die sozialen Themen. In Deutschland leben 44 Millionen Men- schen, die jeden Tag zur Arbeit gehen und Steuern zahlen. Wir haben acht Millionen Familien und mehr als 13 Millionen Kin- der und Jugendliche, denen wir eine gute Zukunft bieten wol- len. Wir setzen deshalb auf Entlastungen, insbesondere für

Alexander Dobrindt Erster Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Vorsitzender der CSU-Landesgruppe © Bundesregierung/Kugler Die Zahlen 5 246 Abgeordnete hat die CDU/CSU- Bundestagsfraktion in der 19. Wahlperiode, davon wurden 231 direkt gewählt. 46 MdB gehören der CSU-Landesgruppe an. Die Gruppe der Frauen ist auf 49 Mitglieder geschrumpft. Während in der letzten Wahlperi- ode noch 25 Prozent der Abgeordneten Frauen waren, sind es jetzt nur noch rund 20 Prozent. Die Fraktion ist durchschnittlich knapp 50 Jahre alt. Mit 25 Jahren ist jüngster Abgeordneter. Ältestes Mitglied der Frak- tion ist mit 75 Jahren Wolfgang Schäuble, neu gewählter Präsident des Deutschen Bundestages sowie ehemaliger Innen- und Finanzminister. Er ist zudem mit knapp 45 Jahren Parlaments­ zugehörigkeit dienstältester Bundestagsabge­ ordneter.

Fraktion direkt – Das Monatsmagazin – November 2017 6 Der Brennpunkt

»Im Parlament schlägt das Herz der Demokratie« Schäuble ist neuer Bundestagspräsident – Koalitionssondierungen haben begonnen

inen Monat nach der Parlamentswahl hat sich der neue Bundestag gebil- det. Auf der konstituierenden Sitzung am 24. Oktober wurde Wolfgang Schäuble mit breiter Mehrheit zum neuen Bundestagspräsidenten ge- wählt. In seiner Antrittsrede warb Schäuble für eine zivilisierte Streitkul- Etur. Unterdessen begannen CDU, CSU, FDP und Grüne mit den Sondierungen zur Bildung einer Koalition. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Volker Kauder, hofft, dass bis Weihnachten die Koalition steht. Die Beteiligten warnte er, rote Linien zu ziehen. Er selbst setze sich lieber »schwarze Ziele«, sagte er. Die Sondierungsgespräche starteten in guter Atmosphäre. Trotz der inhaltlichen Differenzen zeigten sich alle Beteiligten lösungsorientiert. CDU-­ Generalsekretär sprach von einem »konstruktiven Austausch«. Kanzleramtsminister äußerte den Eindruck, dass »alle Beteiligten den Erfolg dieses Experiments wollen«. Differenzen bestehen etwa in der Europa- und Flüchtlingspolitik, in der Steuer- und der Klimapolitik. Deshalb erinnerte Volker Kauder daran, dass es nicht ohne Kompromisse abgehen werde. Gleichzeitig werde es »ganz entschei- dend sein, dass jeder mit seiner Identität auch erkennbar bleibt«. Unbestritten ist nach dem Eindruck des Fraktionschefs, dass es keine neuen »Es kommt auf Schulden geben werde. »Es bleibt bei der ›Schwarzen Null‹.« Der CDU-Politiker Schäuble, seit 45 Jahren im Bundestag den Stil an, in dem und damit dienstältester Abgeordneter, langjähriger Bundes­ innen- und Bundesfinanzminister, bezeichnete sich als Parla- wir streiten.« mentarier aus Leidenschaft. In seiner Antrittsrede betonte er: »Im Parlament schlägt das Herz der Demokratie.« Den Auseinan- dersetzungen der kommenden Jahre sehe er »mit Gelassenheit« entgegen, sagte Schäuble unter Verweis auf schnellen Wandel, Fragmentierung der Wahrneh- mung und eine verschärfte Tonlage in gesellschaftlichen Debatten. »Erregung und Krisengefühle sind nicht wirklich neu.« Es komme aber »auf den Stil an, in dem wir streiten«. Töne der Verächtlichmachung und Erniedrigung haben kei- nen Platz in einem zivilisierten Miteinander, unterstrich Schäuble. © Tobias Koch © Tobias Einen Monat nach der Wahl kamen die Abgeordneten des neuen Bundestags zur konstituierenden Sitzung zusammen.

Fraktion direkt – Das Monatsmagazin – November 2017 8 Der Brennpunkt

Der 75-jährige Jurist aus dem Wahlkreis Offenburg in Baden-Württemberg folgt auf , der nicht mehr zur Wahl angetreten war. Neben Schäuble wählte der neue Bundestag sechs Stellvertreter, darunter den ehemaligen Bundesinnenminister und bisherigen Unionsfrak- »Alle wollen tionsvize Hans-Peter Friedrich (CSU). Dem neuen Bundestag gehören 709 Abgeordnete an und den Erfolg des damit 79 mehr als dem vorherigen. Er ist der größte Bundestag aller Zeiten. Die CDU/CSU-Fraktion umfasst 246 Mitglieder, da- Experiments.« runter 46 von der CSU. Auf ihrer ersten Sitzung nach der Wahl billigten CDU und CSU die Vereinbarung über die Fortführung ihrer Fraktions­ gemeinschaft (s. Infobox). Dies ist nur möglich, weil beide Parteien in keinem Bundesland miteinander konkurrieren. 47 Unions-Parlamentarier ziehen erst- mals in den Bundestag ein.

Der neue Bundestag mit seinen 709 Abgeordneten braucht mehr Sitze. © Tobias Koch © Tobias Der Brennpunkt 9

Die Fraktions­gemeinschaft – eine Besonderheit Schwesterparteien müssen Vereinbarung zu Beginn jeder Wahlperiode erneuern

ie Fraktionsgemeinschaft aus CDU und CSU ist eine CSU-Landesgruppenchefs inne, in der Wahlperiode davor war Besonderheit im parlamentarischen System der Bun- es . In den Gremien und Delegationen der Ddesrepublik Deutschland: In ihr schließen sich die Fraktion wird die CSU-Landesgruppe stets gemäß ihrer Stärke Abgeordneten zweier voneinander unabhängiger Parteien berücksichtigt. zusammen. Ihren Ursprung hat die Fraktionsgemeinschaft in Zu Beginn einer jeden Legislaturperiode wird die Frakti- den Gründerjahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals ent- onsgemeinschaft zwischen CDU und CSU erneuert und in einer stand die Christlich Demokratische Union aus einem Zusam- schriftlichen Vereinbarung dokumentiert. In der von den Par- menschluss von konservativen, christlichen und liberalen Lan- teivorsitzenden Angela Merkel und unterzeich- desgruppen, die gemeinsame Werte und Ziele teilten. Während neten Vereinbarung für die 19. Wahlperiode werden die sich die anderen deutschen Landesgruppen zur CDU zusam- gemeinsamen politischen Ziele beider Gruppen von Abgeord- menfanden, beharrte die bayerische CSU auf ihrer politischen neten betont. Grundlage für die Arbeit ist das gemeinsame Unabhängigkeit. Der Zusammenschluss zu einer Fraktionsge- Regierungsprogramm 2017 bis 2021, welches den Titel »Für meinschaft im Bundestag war nur deshalb möglich, weil beide ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben« trägt. Parteien in keinem Bundesland in Konkurrenz zueinander standen. Das ist noch heute so: Wäh- rend sich die CSU nur in Bayern zur Wahl stellt, tritt die CDU in allen Bundesländern außer Bayern an. Die CSU-Landesgruppe genoss von Anfang an einen Sonderstatus innerhalb der gemeinsa- men Fraktion. Sie hat ihren eigenen Etat, ihren eigenen Mitarbeiterstab und ihre eigene Geschäfts- ordnung. Dem Vorsitzenden der CSU-Landes- gruppe kommt eine herausgehobene Stellung im Fraktionsvorstand zu: Er ist immer Erster Stellver- treter des Fraktionsvorsitzenden. In der jetzigen Wahlperiode hat Alexander Dobrindt das Amt des

Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer unter­ zeichnen die Vereinbarung über die

Fraktionsgemeinschaft. Koch © Tobias

Volker Kauder im Amt des Fraktionschefs bestätigt

Auf der ersten Fraktionssitzung der CDU/CSU im September, unmittelbar nach der Wahl, wurden der Vorsitzende Volker Kauder und der Erste Parlamentarische Geschäftsführer Michael Grosse-Brömer in ihren Ämtern bestätigt – traditions- gemäß zunächst für ein Jahr. Der bisherige Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt wurde zum neuen CSU-Landesgruppenchef gewählt. Der 68-jährige Kauder sagte: »Ich freue mich auf eine gute Zusammenarbeit mit meinem Freund Alexander Dobrindt.« Seit 1990 sitzt Kauder für den Wahlkreis

Fraktion direkt – Das Monatsmagazin – November 2017 10 Der Brennpunkt

»Jung, weiblich, CDU – das muss eine Alltagsstory werden.« Die jüngste weibliche Unions-Abgeordnete über ihre Rolle im Bundestag

eit 2014 sitzt die 28-jährige Ronja Kemmer aus dem rungen und Erwartungen sprach »Fraktion direkt« mit Wahlkreis im Bundestag. In der vergangenen Ronja Kemmer. SWahlperiode war sie die jüngste Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion, in der neuen Wahlperiode ist sie die Frau Kemmer, Sie sind in der vergangenen Legislatur für jüngste weibliche Unions-Abgeordnete. Über ihre Erfah- nachgerückt. Jetzt haben Sie in Ih- rem Wahlkreis 42,7 Prozent der Erststimmen geholt. Wie fühlt sich das an? Kemmer: Ich freue mich riesig über mein tolles Er- gebnis. Der Wahlkampf war zwar anstrengend, aber er war auch eine wunderbare Erfahrung. Und ich war sehr froh zu hören, dass ich in den vergangenen zweieinhalb Jahren gute Arbeit gemacht habe. Das motiviert mich doch sehr.

Wenn Sie sich zurückerinnern an Ihre erste Zeit im Bundestag: Was würden Sie den neuen Kollegen und Kolleginnen für den Einstieg raten?

Ronja Kemmer CDU/CSU-Abgeordnete

© Jan Kopetzky aus dem Wahlkreis Ulm

Rottweil und Tuttlingen in Baden-Württemberg seit 2002 ein Bundestagsmandat innehat, war im Bundestag. Von 2002 bis 2005 bekleidete er zuvor Vorsitzender der niedersächsischen Lan- das Amt des Fraktionsgeschäfts- desgruppe, dann rechtspoliti- führers. Nach einem knapp ein- »Es wird ein scher Sprecher der Fraktion und jährigen Intermezzo als CDU-­ schließlich Justiziar gewesen, Generalsekretär wurde Kauder wahnsinnig­ bevor er zum Fraktionsmanager Ende 2005 Unionsfraktionschef gewählt wurde. unter Bundeskanzlerin Angela steiniger Weg.« Der 47-jährige Dobrindt Merkel. Beide arbeiten seitdem aus Weilheim war von 2009 bis vertrauensvoll zusammen. Inzwischen ist Volker 2013 CSU-Generalsekretär, anschließend Bun- Kauder der am längsten amtierende Vorsitzende desverkehrsminister. Als Chef der CSU-Landes- der Unionsfraktion überhaupt. gruppe löst er Gerda Hasselfeldt ab, die sich nach 2012 berief Kauder den Juristen Grosse- 30 Jahren in verschiedenen einflussreichen Brömer als Ersten Parlamentarischen Geschäfts- Positionen aus dem Bundestag zurückgezogen führer an seine Seite. Der 57-jährige aus dem hat. Zu den Sondierungen sagte Dobrindt, es Wahlkreis Harburg-Land in Niedersachsen, der werde ein »wahnsinnig steiniger Weg«. Der Brennpunkt 11

19. Wahlperiode zur Wiederwahl gratuliert. Nach zwei Koalitionen mit der SPD und einer Kemmer: Ich habe in der ersten Zeit viel zugehört, aber auch mit der FDP steht sie vor neuen Herausforde- die Kollegen frei heraus gefragt und etliches ausprobiert. So- rungen. Die von den Wählern abgestrafte SPD bald ein Problem auftaucht, ist man jedoch auf sich selbst ge- lehnt aus taktischem Kalkül eine Regierungs- stellt. Alles was man entscheidet, muss man gut begründen beteiligung ab. können. Ich habe festgestellt, dass die Menschen es sehr Neu in den Bundestag eingezogen sind schätzen, wenn jemand eine klare Meinung hat – unabhängig 47 CDU- und CSU-Abgeordnete. Für sie richtete davon, ob sie die Inhalte teilen oder nicht. die Fraktion einen Empfang aus, an dem auch Angela Merkel und Volker Kauder teilnahmen. Sie sind schon lange politisch aktiv, zuerst in der Jungen Beide erinnerten sich lebhaft an ihre Anfangs- Union, dann in der CDU Calw. Für welche Themen set- zeit im Bundestag, an die Be- zen Sie sich im Bundestag ein? gegnungen mit den neuen »Sie werden Kemmer: Gerade als junge Abgeordnete finde ich einen ge- Kollegen und die Einrichtung rechten Ausgleich zwischen den Generationen sehr wichtig. des Büros. Diese Situation sei uns fehlen.« Ich habe in Schweden und Italien studiert, was ich als große etwas Besonderes gewesen, Chance gesehen habe. Deswegen werbe ich für ein vereintes sagte Merkel. Unterdessen schieden 110 Unions- Europa. Vor allem interessieren mich aber Themen rund um Abgeordnete aus dem Parlament. »Sie werden Wirtschaft und Digitalisierung. Es wird entscheidend sein, uns fehlen«, sagte Kauder. Er wies darauf hin, dass wir den Anschluss an das Gigabit-Zeitalter nicht verpas- dass sie nach ihrem Ausscheiden weiterhin sen. Der digitale Wandel ist in vielen anderen Ländern wei- »in unserer Familie der CDU/CSU-Bundestags- ter fortgeschritten, Rahmenbedingungen und Infrastruktur fraktion zu Hause« seien. hinken bei uns aber hinterher. Für Gesellschaft und Wirt- schaft gilt gleichermaßen: Deutschland darf nicht offline Soziologische Gruppen bereits formiert gehen! Während sich die Bundestagsausschüsse und Sie gehören neben der Jungen Gruppe auch der Gruppe die Fraktionsarbeitsgruppen erst bilden können, der Frauen an, die jetzt auf knapp 20 Prozent ge- wenn die Koalition steht, haben sich die soziolo- schrumpft ist. Wie können Sie den Anliegen der Frauen gischen Gruppen in der Union bereits formiert. genügend Gehör verschaffen? So wählte der Parlamentskreis Mittelstand – mit Kemmer: Ich bin im Bundesvorstand der Frauen Union, treffe 130 Mitgliedern die größte Gruppierung der Frak- oft Verbände wie die Landfrauen oder Frauen-Netzwerke. tion – erneut den Unternehmer Christian von Und zur Zeit gebe ich als jüngste weibliche Abgeordnete viele Stetten aus Hohenlohe zu seinem Vorsitzenden. Interviews zu dem Thema: unaufgeregt und in der Sache sehr Von Stetten stellte sogleich klar, dass der PKM bestimmt. Wir müssen selbstverständlich den Frauenanteil »klare Linie fahren und Farbe bekennen werde«. steigern: jung, weiblich, CDU – das muss eine Alltagsstory Man werde darauf achten, dass es keine neuen werden. Wir haben also einiges zu tun. Belastungen für Unternehmer und leistungs­ bereite Bürger geben werde. Zum Vorsitzenden der Arbeitnehmer- gruppe wählten die Abgeordneten erneut Peter Weiß aus dem Wahlkreis Emmendingen-Lahr, der das Amt bereits seit 2009 ausübt. Als Stell- vertreter wurde aus Würzburg Gründlichkeit vor Schnelligkeit bestätigt. Die Gruppe der Frauen bestellte erneut zur Vorsitzenden und Daniela Kauder betonte, dass es bei der Regierungsbil- Ludwig zur ersten Stellvertreterin. Maag bekräf- dung nicht auf Schnelligkeit ankomme, sondern tigte, dass sich die Gruppe der Frauen mit ihren auf Gründlichkeit. Es wäre allerdings schön, 49 Mitgliedern weiterhin »kraftvoll« für die An- wenn man bis zum Jahresende einen Koalitions- liegen der Frauen und Mädchen einsetzen wer- vertrag ausgehandelt hätte. »Mit großem Ernst, de. Gleichzeitig bedauerte sie, dass mit einem großer Anstrengung und mit höchster Qualität« Anteil von knapp 20 Prozent deutlich weniger müsse man an die Aufgabe herangehen. Die Son- Frauen der Fraktion angehören als in der voran- dierungen sollen bis Mitte November abge- gegangenen Wahlperiode. Dies werde man mit schlossen sein. Verlaufen sie erfolgreich, geht es starkem Engagement versuchen wettzumachen. dann in die Koalitionsverhandlungen. Als Sprecher der 50 ostdeutschen Abge- Für Angela Merkel wird es die vierte ordneten wurde bestätigt. Zum Amtsperiode sein. Mit einem Blumenstrauß Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Kommu- und viel Applaus hatten die Unions-Abgeord- nalpolitik wurde einstimmig neten ihr auf der ersten Fraktionssitzung der gewählt.

Fraktion direkt – Das Monatsmagazin – November 2017 © Frank/Fotolia Forschung undInnovationenfördern CDU/CSU-Fraktion willDeutschlandzumMarktführer machen– beherrschen Künstliche Intelligenz 12 Die Themen

Die Themen 13

er Mensch ist die Krone der Schöpfung. Gleich- der Programmierung durch die riesigen Datenmengen, die wohl fasziniert uns seit jeher die Frage, ob es inzwischen verfügbar sind, und die Geschwindigkeit der möglich sein wird, intelligente künstliche Prozessoren, die in Echtzeit daraus Schlüsse ziehen kön- Wesen zu schaffen. Populäre Science-Fiction-­ nen. Anwendung finden diese autonomen Systeme schon DFilme wie der neue »Blade Runner«, in denen »Repli­ in den Bereichen selbstfahrende Autos, Pflegeroboter, ver- kanten« von Menschen nicht zu unterscheiden sind, zeu- netzte Haushaltsgeräte oder digitale Sprachassistenten. gen von dieser Faszination. Die Realität ist zwar weniger Anhand der Spiele-Industrie lässt sich der Fort- dramatisch, stellt gleichwohl eine Herausforderung dar: schritt anschaulich verdeutlichen. Im Jahre 1997 bezwang Künstliche Intelligenz ist auf dem Vormarsch und wird die der Computer Deep Blue den Schachweltmeister Garri Welt, in der wir leben, radikal verändern. Die CDU/CSU- Kasparow. 2011 gewann der Computer Watson in den Verei- Fraktion will die Weichen so stellen, dass die Chancen nigten Staaten das beliebte Fernsehquiz Jeopardy, bei dem optimal genutzt werden. die Kandidaten die richtige Frage zu einer zuvor verlesenen Künstliche Intelligenz (KI) ist ein Oberbegriff für un- Antwort formulieren müssen. Inzwischen schlagen KI-Sys- terschiedliche Konzepte, Maschinen so zu programmieren, teme auch Profis im japanischen Brettspiel Go oder beim dass sie eigenständig lernen. Ermöglicht wurde diese Art Poker. Sie können sogar kreativ sein, indem sie Videos erstellen, Bilder malen oder Drehbücher schreiben.

Lernen über »neuronale Netze«

Dass Computer inzwischen lernen können, verdanken sie einer Schlüsseltechnologie namens »neuronale Netze«. Roboter können inzwischen Diese Netze bilden Strukturen des menschlichen Hirns so programmiert werden, dass sie eigenständig lernen. nach. Anfangs können sie kaum etwas, bilden dann aber bei jedem Lernschritt neue Verknüpfungen. Füttert man sie beispielsweise mit unzähligen Katzen- und Hundebildern, lernen sie irgendwann, eine Katze von einem Hund zu un- terscheiden. CDU und CSU haben bereits in ihrem Regierungs- programm auf die Dimension der Veränderungen für Wirt- schaft und Gesellschaft hingewiesen. »Die Entwicklung von Maschinen mit sogenannter Künstlicher Intelligenz (KI) wird weltweit eine große technologische Innovation bedeuten. Sie wird große Konsequenzen für alle Wirt- schafts- und Lebensbereiche haben.« Neben den For- schungs- und Anwendungsgebieten der Künstlichen Intel- ligenz werden Hoch- und Höchstleis- »KI hat ein enormes tungsrechner, Umgang mit großen Datenmengen, Quantentechnologie wirtschaftliches und Robotik als Schwerpunkte künfti- ger Regierungsarbeit genannt. Die Potenzial.« stellvertretende Unionsfraktionsvor- sitzende Nadine Schön (CDU) be- scheinigt der KI ein »enormes wirtschaftliches und gesell- schaftliches Potenzial. Wir wollen die Chancen nutzen, müssen aber auch über die ethische Verantwortung spre- chen.« Der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Digitale Agenda, (CDU), fordert: »Vom Startup bis zum Dax-Konzern müssen wir uns so aufstellen, dass Deutsch- land globaler Spitzenstandort für das Thema Künstliche In- telligenz wird.« Das gelte für alle Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft.

Zusammenarbeit mit Frankreich angestrebt

Der Künstlichen Intelligenz den Weg zu ebnen, wird auch eine europäische Aufgabe sein. Deshalb haben sich CDU und CSU in ihrem Regierungsprogramm dafür ausgespro- chen, dass »Deutschland und Frankreich … diese Heraus- forderung gemeinsam angehen und um die internatio­

Fraktion direkt – Das Monatsmagazin – November 2017 14 Die Themen »Wir brauchen einen Masterplan« Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates und Theologie-Professor Peter Dabrock über die Herausforderungen Künstlicher Intelligenz

ünstliche Intelligenz wird die Welt, in der wir leben, heitseffekten. Aber das bedeutet sicher auch: eine radikale Ver- verändern. Welche Chancen und Risiken sehen Sie? änderung unserer Arbeitswelt, die nahezu dauernde und über- KDabrock: Zunächst: Wir sollten nicht diskutieren, ob, all verbreitete Aufzeichnung und spätere Weiterverarbeitung sondern wie künstliche Intelligenz unsere Welt verändert. Wir von zum Teil sehr intimen Daten. Letztere erfordert ein anderes sollten als Gesellschaft diesen Prozess mitgestalten und uns Verständnis von Datenschutz als heute, und wenige große Fir- nicht von ihm einfach mitreißen lassen. Sogenannte »autono- men geraten global in eine nahezu marktbeherrschende Stel- me Systeme« und maschinelles Lernen stellen eine umstürzen- lung. Das sind nur einige der Herausforderungen, mit denen de Veränderung dar, die zu Recht als »vierte Revolution« be- wir umzugehen haben. zeichnet wird. Diese birgt in der Tat enorme Chancen, aber auch Risiken. Dabei sollten wir zunächst sehen, was sich lohnt: Welche Rahmenbedingungen sollte die Politik setzen? sicherere Autos, Entlastung im Bereich schwerer oder gefährli- Dabrock: Der Umgang mit künstlicher Intelligenz erfordert ei- cher Produktion, »smarte« Assistenzsysteme in nahezu allen gentlich einen großen Masterplan. Kleine Brötchen backen Berufsfeldern, tolle Spielereien für die Freizeit mit Gesund- reicht nicht. Sonst werden wir wirtschaftlich abgehängt – von

nale Technologieführerschaft kämpfen.« Der Unternehmer und Autor Fabian J.G. Westerheide befürwortete beim Fachgespräch des Bundestagsausschusses Digitale Agenda zum Thema »Künstliche Intelligenz« im März 2017 eine euro- päische KI-Agentur. »Europa muss ein technologisches Gegengewicht zu den USA und zu China werden«, forderte er. Um auf diesem Gebiet führend zu wer- den, müsse Europa »die klügsten Köpfe der Welt willkommen heißen«. Wie ernst die Konkurrenz zu nehmen ist, lässt sich an der Entschlossen- heit Chinas ablesen, bis 2030 den Weltmarkt im Bereich Künstliche Intelligenz dominieren zu wollen. Thomas Jarzombek zeigt sich von dieser Ankündigung alarmiert. »Deutschland braucht einen Masterplan für Künstliche Intelligenz«, sagt er. Die Technologie sei so entscheidend, »dass wir sie nicht China überlas- sen dürfen, wo es ein ganz anderes Menschenbild gibt«. Auch der Datenschutz habe in China einen sehr viel geringeren Stellenwert »Neue Technologien als in Europa. Frank Kirchner vom Deutschen Forschungszen- nicht China überlassen.« trum für Künstliche Intelligenz vermisst eine nationale Strategie für KI und Robotik. Glücklicherweise gebe es inzwischen aber zaghafte Ansätze der konzentrierten Förderung von Forschung und Entwicklung, sagte er beim Bundestagsfachgespräch. Er fordert Cluster, in denen Wirtschaft und Forschung zusammenarbeiten.

Weniger Regulierungen für Startups in der Experimentierphase

Der CSU-Abgeordnete Hansjörg Durz sagt voraus, dass KI und Robotik »die in- dustrielle Produktion revolutionieren« werden. Daher gelte es, alles daran zu setzen, Innovation und Fortschritt in diesem Bereich zu fördern. »Vor allem jun- ge und innovative Startup-Unternehmen müssen in die Entwicklung einbezo- gen werden«, meint Durz. Die CDU-Abgeordnete Schön nannte Startups Seismo- grafen des digitalen Wandels. Ihr Potenzial gelte es auszuschöpfen. »Deswegen Die Themen 15

Peter Dabrock Vorsitzender des Deutschen Ethikrates

Wer trägt die Verantwortung für auto- matische Systeme? Wer haftet? Dabrock: Da werden die Juristen noch kräftig arbeiten dürfen. Grundregeln sind sicher: Prinzipiell haftet – wie bisher – der Nutzer oder Halter, bei nachweisbar grob fahrlässi- gem Konstruktionsversagen sicherlich der Hersteller.

Wie werden Menschen leben, wenn die Maschinen ihre Arbeit übernehmen? Dabrock: Maschinen werden die Arbeit der Menschen nicht vollständig übernehmen.

© photothek (Inga Kjer) Aber die Arbeit wird sich weiter radikal ver- ändern. Immer weniger unmittelbare Pro- den USA, von China –, riskieren die informationelle Freiheits- duktionsjobs, dafür mehr hochqualifizierte Jobs in der Pro- gestaltung des Einzelnen und gefährden Arbeit und Sozialsys- grammierung, Steuerung und Überwachung. Traditionelle Be- teme, die einen wichtigen Beitrag leisten, das erkennbar in der rufe wie beispielsweise LKW-Fahrer werden auf Dauer nicht Krise befindliche Gesellschaftsgefüge zusammenzuhalten. Zu wegfallen, aber ihre Zahl dürfte deutlich geringer werden. all den genannten Punkten muss sich die Politik innovativ und Aber klar: Es gibt auch massive Bedrohungen. Der Druck auf mutig verhalten, national, in Europa, aber auch effektiv auf glo- die Arbeit wächst – und damit auf die Gesellschaft, dass sie baler Ebene. eine Spaltung verhindert.

kann es sinnvoll sein, über Experimentier- oder Erprobungsklauseln nachzu- denken, um neue und innovative Entwicklungen zu ermöglichen.« Beispiels- weise könnten Startups zu Beginn weniger Regulierung unterliegen. Angesichts der rasanten Entwicklung in der Digitalisierung steigen auch die Anforderungen an das Wissen und Können von Beschäftigten. Der Ausbil- dungsstand der künftigen Arbeitnehmer wird entscheidend sein für die Wett­ bewerbsfähigkeit der deutschen KI-Industrie. »Es ist wichtig zu verstehen, dass wir nie aufhören zu lernen … Daher braucht es ein ganzheit- liches und lebenslanges Bildungssystem für Menschen«, »Wir dürfen nie sagt Westerheide. Auch der Arbeitsmarkt wird sich infolge der Ausbrei- aufhören zu lernen.« tung künstlicher Intelligenz stark verändern. Nach Einschät- zung von Westerheide werden vor allem Tätigkeiten wegfallen, die jetzt schon ins Ausland verlagert wurden und dann von Maschinen übernommen werden können, etwa E-Mails beantworten, Telefonate führen oder Müll sortieren. Statt- dessen seien Arbeitsplätze mit hoher menschlicher Interaktion und Komplexität gefragt. »Maschinen arbeiten. Menschen beraten und entscheiden.« »Die Arbeitswelt Neue Arbeitsplätze entstünden in vorwiegend jungen Industrien. Auch Durz sieht die Arbeitswelt im Umbruch. »Sie wird flexi- wird flexibler.« bler – feste Arbeitszeiten und Arbeitsorte sind nicht mehr die Regel.« Dies berge in Bezug auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie »große Vorteile«, bringe aber auch Unsicherheiten mit sich. »Die elementare Fra- ge wird sein, wie wir Arbeiten 4.0 sozialverträglich gestalten können.« Der Mensch müsse im Mittelpunkt bleiben, meint Durz. Kirchner vermutet, dass die Automatisierung und Digitalisierung vor al- lem in den Bereichen Versicherung, Banken und Handel einsetzen wird. Beson- dere Chancen sieht er in der Medizin. Mithilfe von robotischen orthopädischen Stützen könnte beispielsweise Patienten mit Schlaganfällen und Rückenmarks- verletzungen ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht werden.

Fraktion direkt – Das Monatsmagazin – November 2017 16 Das Gespräch © Steven Rösler © Steven

Jürgen Hardt Außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU- Bundestagsfraktion Für Dialog und Diplomatie Jürgen Hardt über außenpolitische Herausforderungen – Von der Türkei über Nordkorea bis Iran

onflikte und Krisen bestimmen dass eine größere Nähe zu Europa in der türki- derzeit die weltpolitische Lage. schen Öffentlichkeit zunehmend Fragen nach der Über die drängendsten außenpoli- Geltung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und tischen Fragen sprach »Fraktion Pressefreiheit aufwerfen würde. Davor hat Erdo- Kdirekt« mit dem außenpolitischen Sprecher gan Angst. Er schadet seinem Land damit jedoch der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen wirtschaftlich und politisch. Auch der jüngste Kon- Hardt. flikt mit den USA zeigt, dass er seine eigene Wirk- macht dramatisch überschätzt. Die Beziehungen zur Türkei waren in den Es bleibt zu hoffen, dass die Freilassung vergangenen Monaten auf einem Tiefpunkt, Peter Steudtners ein Indiz dafür ist, dass Erdogan auch weil zahlreiche Deutsche dort wegen allmählich erkennt, in welche Sackgasse er sich hanebüchener Vorwürfe inhaftiert sind. Was manövriert hat. Ich erwarte, dass er auch die ande- bedeutet die Freilassung von Peter Steudtner? ren unrechtmäßig inhaftierten Menschen – darun- Hardt: Der türkische Präsident Erdogan will mit der ter weitere deutsche Staatsbürger – umgehend Abgrenzung zum Westen seine innenpolitische freilässt und zu einem Kurs der Vernunft zurück- Stellung festigen. Nicht zu Unrecht fürchtet er, kehrt. Das Gespräch 17

Die Auseinandersetzung zwischen Washing- zum vierten Mal das höchste Staatsamt an. ton und Pjöngjang um die atomare Bewaff- Müssen wir bis 2024 warten, bis wir auf nung Nordkoreas hat bedrohliche Ausmaße bessere Beziehungen zu Russland hoffen angenommen. Wie kann der Konflikt ent- können? schärft werden? Hardt: Ich kann keine Bereitschaft bei Wladimir Hardt: Es ist nicht förderlich, dass sich US-Präsident Putin erkennen, seinen Konfrontationskurs mit dem Donald Trump auf das rhetorische Niveau des nord- Westen zu beenden und auf uns zuzugehen. Da er koreanischen Diktators Kim Jong-un begeben hat. in den vergangenen 17 Jahren seiner Macht innen- Das war nur Wasser auf die Mühlen des Regimes in politisch wenig erreicht hat – weder hat er die Wirt- Pjöngjang. Es gibt in der US-Administration jedoch schaft diversifiziert, noch hat er ein modernes vernünftige und pragmatische Außen- und Sicher- Bildungssystem aufgebaut, noch den Staatshaus- heitspolitiker, die sehr genau die Folgen eines mili- halt stabilisiert – ist zu befürchten, dass er weiter- tärischen Eingreifens abschätzen können. hin die außenpolitische Konfrontation suchen wird, Für mich kann es nur eine diplomatische um von diesen Versäumnissen abzulenken. Den- Lösung des Konflikts mit Nordkorea geben. Die noch hoffe ich, dass wir deutlich vor 2024 zu einer dem Land am nächsten stehenden Vetomächte konstruktiveren Zusammenarbeit mit Russland China und Russland haben im UN-Sicherheitsrat zurückfinden können. An Gesprächsangeboten ihre Bereitschaft zur spürbaren Ausweitung der unsererseits mangelt es nicht. Sanktionen gegen Nordkorea deutlich gemacht. Diesen Weg müssen wir entschlossen gehen. Deutschland bewirbt sich für 2019/2020 Zugleich müssen die Gesprächsangebote an Nord- wieder um einen nichtständigen Sitz im korea konkretisiert werden. Ich UN-Sicherheitsrat. Wel- sehe die EU und vielleicht sogar che Schwerpunkte will Deutschland in einer möglichen »Wir Europäer Deutschland setzen? Vermittlungsrolle. halten an dem Iran- Hardt: Die Vereinten Natio- nen sind DIE zentrale multi- US-Präsident Donald Trump Abkommen fest.« laterale Institution, die die hat Zweifel, ob der Iran sei- höchste Legitimität besitzt. ne Verpflichtungen aus dem internationalen Aus heutiger Sicht würde Deutschland zwei Themen Atomabkommen erfüllt. Der Ball liegt jetzt in den Mittelpunkt rücken: zum einen die Bekämp- im US-Kongress, der das Abkommen aufkün- fung der Ursachen von Flucht und Migration als glo- digen könnte. Wie gehen wir damit um? bale Herausforderung, zum anderen eine Reform Hardt: Wir Europäer halten an dem Abkommen fest. der UN, damit sie schneller und effizienter auf die Zweifellos bleibt der Iran ein problematischer vielfältigen Krisen in der Welt reagieren kann. Akteur. Doch dies ist das beste Ergebnis, das die fünf UN-Vetomächte und Deutschland mit dem Iran Angesichts der zahlreichen Krisen weltweit aushandeln konnten. Es erhöht die Sicherheit in der will auch die EU ihre gemeinsame Sicher- Region signifikant, vor allem auch für Israel. heits- und Verteidigungspolitik ausbauen. Und wir müssen eines sehen: Bei dem Welche Rolle soll die EU in Zukunft ein­ Abkommen geht es ausschließlich darum, dass der nehmen? Iran nicht die Fähigkeit erlangt, Atomwaffen zu Hardt: Der Beschluss der EU-Staats- und Regie- bauen. Die Außenpolitik Teherans und sein negati- rungschefs vom Juni zur Einrichtung einer Ständi- ver Einfluss in der Region des Nahen und Mittleren gen Strukturierten Zusammenarbeit im Bereich der Ostens werden davon nicht erfasst. Dass Trump Außen- und Sicherheits- diese beiden Aspekte nun direkt verknüpft, ist nicht politik war ein Meilen- hilfreich. stein auf dem Weg, die EU »Die EU muss Ein verheerendes Zeichen – weit über das zu einem handlungsfähi- handlungsfähiger Abkommen hinaus – ist auch, dass Trump diesen geren Akteur auf der Schritt ohne Abstimmung mit den Vereinten Natio- Weltbühne zu machen. Akteur auf nen gegangen ist. Dies schwächt die multilaterale Jetzt gilt es, den Beschluss Verhandlungsdiplomatie. Immerhin konnten seine mit Leben zu füllen. der Weltbühne Berater Trump offenbar davon abhalten, unverzüg- Deutschland und Frank- lich aus dem Abkommen auszutreten. Es liegt jetzt reich übernehmen die werden.« an uns Europäern, die US-Administration und den Vorreiterrolle in einem Kongress von der Bedeutung dieses Abkommens zu zunächst begrenzten Kreis von EU-Staaten, die mit- überzeugen. machen wollen. Für mich stehen der Aufbau einer europäischen zivil-militärischen Führungsfähigkeit Der russische Präsident Wladimir Putin sowie die Einrichtung eines Europäischen Verteidi- strebt bei der Wahl im März nächsten Jahres gungsfonds im Vordergrund.

Fraktion direkt – Das Monatsmagazin – November 2017 18 Die Themen Brexit-Verhandlungen stocken Union drängt Großbritannien zu konkreten Vorschlägen

Euro. »Auf Grundlage der bisherigen Ergebnisse können wir noch nicht mit den Verhandlungen über die Neuordnung der Beziehung beginnen«, betont Stübgen (CDU). Fünf Verhandlungsrunden zwi- schen Brexit-Minister David Davis und dem EU-Chefunterhändler Michel Barnier hat es seit der formellen Unterbreitung des Austrittsgesuchs im März gegeben. Zwi- schenzeitlich hatte London bereits eine Übergangsphase angeregt für den Fall, dass bis zum Ablauf der zweijährigen Ver- handlungsfrist keine geordnete Scheidung gelingt. Aber eine solche Übergangsfrist schon jetzt auszuhandeln wäre verfrüht.

© Gareth Fuller/empics/Picture Alliance Fuller/empics/Picture © Gareth »Wir müssen die vereinbarte Reihenfolge einhalten«, unterstreicht Stübgen. »Über Wandgemälde des Graffiti-Künstlers Übergangsregelungen zu reden, macht erst dann Sinn, Banksy in Dover zum Thema Brexit wenn der Rahmen für die neuen Beziehungen halbwegs steht und in etwa absehbar ist, wie weit die Verhandlungen ie Verhandlungen über einen Austritt Groß­ über März 2019 zeitlich hinausgehen.« Beim Gipfel am britanniens aus der Europäischen Union treten 19./20. Oktober vereinbarten die EU-Chefs, lediglich intern 15 Monate nach dem Brexit-Referendum noch Überlegungen anzustellen, wie sich das Verhältnis zu Groß- immer auf der Stelle. Ursprünglich wollten die britannien nach dem Brexit gestalten könnte. DEU-Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel am 19./20. Zufrieden zeigt sich Friedrich, dass es Großbritanni- Oktober die zweite Phase der Brexit-Verhandlungen einlei- en nicht gelungen ist, die Austrittsverhandlungen auf die ten. Doch so lange keine Scheidungsvereinbarungen Ebene der Staats- und Regierungschefs zu heben, wo sich ge­troffen sind, kann über die Neuregelung der Beziehun- die restlichen 27 leicht hätten auseinanderdividieren lassen gen zwischen London und der EU für die Zeit nach dem können. Friedrich betont: »Es ist richtig, dass ausschließ- 29. März 2019 nicht gesprochen werden. Nun soll bis zum lich Michel Barnier für die Europäer mit den Briten verhan- EU-Gipfel im Dezember Klarheit geschaffen werden. delt. Das schafft Transparenz und ist der einzige praktikable Bundestagsvizepräsident Hans-Peter Friedrich (CSU), Weg. Alles andere würde bislang stellvertretender Unionsfraktionsvorsitzender mit die Verhandlungen ver- Impressum Zuständigkeit für Europa, zeigt sich enttäuscht über die komplizieren und die Posi- Trippelschritte der Briten. »Die britische Regierung ist noch tion der Europäer zweifel- Herausgeber Michael Grosse-Brömer MdB immer konkrete Vorschläge zu vielen Themen schuldig. Sie los schwächen.« Stefan Müller MdB muss die Verhandlungen dringend intensivieren, sonst ist Während die EU CDU/CSU-Bundestagsfraktion ein erfolgreicher Abschluss ernsthaft bedroht.« weiterhin davon ausgeht, Platz der Republik 1 11011 Berlin dass ein geordneter Brexit möglich ist, bereitet Groß- V.i.S.d.P.: Ulrich Scharlack Abschlussrechnung noch völlig offen Redaktion: Claudia Kemmer britannien offensichtlich (verantw.) einen Plan B vor. Für den Zentrale Fragen der Scheidungsverhandlungen sind unter T 030. 227-5 30 15 anderem die künftigen Rechte von EU-Bürgern in Großbri- Fall, dass bis zum Ablauf F 030. 227-5 66 60 tannien, der Status Nordirlands und finanzielle Verpflich- der Frist im März 2019 kei- [email protected] tungen Londons aus der Zeit seiner EU-Mitgliedschaft. Der ne Vereinbarung erzielt europapolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfrak- wird, sollten sich die Han- Diese Veröffentlichung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion tion, Michael Stübgen, bemängelt insbesondere, dass bei delsbeziehungen nach den dient ausschließlich der Infor­ den finanziellen Verpflichtungen praktisch Stillstand in Regeln der Welthandelsor- mation. Sie darf während eines den Verhandlungen herrscht. In welcher Höhe London ganisation (WTO) richten, Wahlkampfes nicht zum Zweck der Wahlwerbung verwendet Zahlungsverpflichtungen akzeptiere, sei noch völlig offen. heißt es in einem Positi- werden. Im Raum steht eine Summe von mindestens 60 Milliarden onspapier. Die Bilder 19

Heiner Geißler war eine herausragende Persönlichkeit

Die Unionsbundestagsfraktion trauert um Heiner Geißler. Weggefährten, Freunde und ehemalige Parlamentskollegen haben während eines Trauergottesdienstes in der Ber- liner Hedwigskathedrale Abschied vom früheren Bundesminister, Stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden und CDU-Generalsekretär genommen. Er war am 12. Septem- ber im Alter von 87 Jah- ren gestorben. Der Frak- tionsvorsitzende Volker Kauder würdigte Heiner Geißler als wichtigen Wegweiser, der immer wieder gemahnt hatte, dem »C« als Wertekom- pass die gebührende Beachtung zu schenken. © Eventpress Stauffenberg/Picture Alliance Stauffenberg/Picture © Eventpress

Glocke erklingt zur Fraktionssitzung

»Damit hat schon der Adenauer geklingelt«, erzählen sich die Fraktionsmitarbeiter, die die 1,1 Kilogramm schwere Glocke aus Bronze jeden Dienstag zur Fraktionssitzung auf den Platz des Vorsitzenden stellen. Ob diese Glocke tatsächlich schon zu Adenauers Zeiten geläutet wurde, lässt sich historisch nicht mehr belegen. Sicher aber ist: Wie schon zu Bonner Zeiten wird der Fraktionsvorsitzende auch in der 19. Wahlperiode damit den Beginn einer jeden Fraktionssitzung einläuten. Sobald sie erklingt, müssen die Journalisten, die zum Auf- takt der Sitzung noch mit den 246 Politikern von CDU und CSU sprechen können, den Saal verlassen. © Tobias Koch © Tobias

Union trifft sich mit FDP und Grünen

Schwarze, gelbe und grüne Luftballons stei- gen in den Himmel und symbolisieren den Beginn der ersten Sondierungsgespräche

zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen in Ber- Koch © Tobias lin. Bevor eine Jamaika-Koalition zustande- kommen kann, müssen die Beteiligten zunächst noch hart um Kompromisse ringen. Laut CDU/CSU-Fraktionsspitze sollte es das Ziel sein, die Bürger und das Land in schwieriger Zeit weiter voranzubringen.

Fraktion direkt – Das Monatsmagazin – November 2017 Das Zitat

»Demokratischer Streit ist notwendig, aber es ist ein Streit nach Regeln.«

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble in seiner Antrittsrede auf der konstituierenden Sitzung des Deutschen Bundestages © Tobias Koch © Tobias

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