Erinnerungsorte der Christlichen Demokratie in Deutschland

Michael Borchard/Judith Michel (Hg.)

www.kas.de 1. Soest, Hotel Overweg 8. Ahlen, Kloster St. Michael 16. Wesseling, Schloss Eichholz 1

Kiel Verabschiedung des Soester Verabschiedung des Ahlener Pro­ Eröffnung von Schloss Eichholz als 2 Schleswig-Holstein Programms als Grundlage für die gramms als Kompromiss zwischen Bildungsstätte der Gesellschaft für Rostock Gründung der Zentrumspartei am Kapitalismus und Sozialismus christlich-demokratische Bildungs­ 3 Lübeck 28.10.1870 am 03.02.1947 arbeit e. V. am 12.04.1957 23 Schwerin 2. Essen, Saalbau 9. Luxemburg, Rathaus 17. Burgscheidungen, 4 Hamburg Stettin Mecklenburg-Vorpommern Aufruf Adam Stegerwalds Tagung der Nouvelles Equipes Schloss Burgscheidungen 5 zur Gründung einer überkonfes­ Internationales unter erstmaliger Zentrale Schulungsstätte Oldenburg Bremen sionellen christlichen Volkspartei deutscher Beteiligung vom der CDU der DDR 6 Oder auf dem 10. Kongress der Christ­ 30.01. bis 01.02.1948 Brandenburg Polen 18. Bonn, Konrad-Adenauer-Haus 7 Niedersachsen lichen Gewerkschaften vom 20. bis 4/6 10. Düsseldorf, Ständehaus Einweihung der neuen CDU-Bundes­ Ems Deutschland 23.11.1920 Verabschiedung der Düsseldorfer geschäftsstelle am 27.01.1973 Berlin 8 Potsdam Amsterdam Hannover 3. München, Königsplatz Leitsätze als Plädoyer für die Soziale Osnabrück 19. Kreuth, Wildbad Kreuth Weser Konrad Adenauers Aufruf zur Marktwirtschaft am 15.07.1949 9 Niederlande Magdeburg Beschluss der CSU-Landesgruppe Demokratie und zu interkonfessio­ Nordrhein-Westfalen 12 Elbe Goslar 11. Bad Honnef-Rhöndorf, zur Beendigung der Fraktionsgemein­ 10 8 neller Zusammenarbeit auf dem Adenauerhaus schaft mit der CDU im Deutschen Ahlen Sachsen-Anhalt 1 62. Deutschen Katholikentag vom 11 2/ Dortmund Soest Konrad Adenauers Wohnhaus Bundestag vom 19.11.1976 21 Göttingen 27. bis 30.08.1922 Essen 10 Kassel 17 Leipzig 12. Goslar, Odeon-Theater 20. Ludwigshafen, 12 Thüringen Burgscheidungen 4. Berlin, Zellengefängnis Düsseldorf Der erste Bundesparteitag Friedrich-Ebert-Halle 5 14 22 Dresden Lehrter Straße 13 Köln Erfurt Weimar der CDU vom 20. bis 22.10.1950 Verabschiedung des ersten Grund­ 16 13 Inhaftierung von im Widerstand Brüssel Wesseling 18 Siegen Hessen 11 satzprogramms der CDU auf dem Bonn Sachsen tätigen späteren CDU-Gründern 13. Siegen, Apollo-Theater 14 Rhöndorf 26. Bundesparteitag vom 23. bis Belgien nach dem 20.07.1944 Gründung des Evangelischen 25.10.1978 15 7 Arbeitskreises der CDU vom Coburg 5. Köln, Kolpinghaus Königstein 14. bis 16.03.1952 21. Essen, Grugahalle Wiesbaden Frankfurt am Main Tschechische Prag Treffen Christlicher Demokraten 16 Mosel Mainz Verabschiedung der Leitsätze für Luxemburg Main Republik in Köln am 17.06.1945 14. Erfurt, Landgericht Rheinland-Pfalz Würzburg eine neue Partnerschaft zwischen 9 Erster Erfurter Schauprozess 17 Luxemburg 6. Berlin, Theater am Mann und Frau auf dem 33. Bundes­ 20 gegen mehrere CDU-Mitglieder Ludwigshafen Mannheim Nürnberg Schiffbauerdamm parteitag vom 20. bis 22.03.1985 18 Saarland am 19./20.12.1952 Saarbrücken Gründungsversammlung der 22. Weimar, Redaktion 19 CDU in Berlin am 22.07.1945 15. Paris, Quai d’Orsay von Glaube und Heimat 15 Unterzeichnung der Pariser Ver­ Paris 20 Rhein 7. Königstein im Taunus, Kurhaus Der Brief aus Weimar von vier Stuttgart träge durch die USA, das Vereinigte Donau Treffen von Vertretern der Jungen CDU-Mitgliedern an die Parteileitung Straßburg ­Königreich, Frankreich und die 21 Frankreich Union aus allen vier Besatzungs­ in Ost-Berlin am 10.09.1989 Bayern Bundesrepublik Deutschland am Baden-Württemberg zonen vom 17. bis 21.01.1947 3 Inn 22 München 23.10.1954 23. Hamburg, Freiburg im Breisgau Congress Centrum Hamburg Österreich 23 Salzburg Vereinigungsparteitag der CDU 19 Wildbad Kreuth am 01./02.10.1990

Schweiz Zürich Erinnerungsorte der Christlichen Demokratie in Deutschland

Michael Borchard/Judith Michel (Hg.) unter Mitarbeit von Marie-Lisa Noltenius Inhaltsverzeichnis

Vorwort 4

Einleitung 6

Soest, Hotel Overweg Königstein im Taunus, Kurhaus Siegen, Apollo-Theater Kreuth, Wildbad Kreuth Christopher Beckmann Christopher Beckmann Jan Philipp Wölbern Martin Falbisoner Vom politischen Katholizismus zur Von der jungen Partei zur „Partei der Jugend“ 60 Die Gründung des Evangelischen Die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU überkonfessionellen christlichen Volkspartei 10 Arbeits­kreises (EAK) der CDU 104 im Deutschen Bundestag und der Trennungsbeschluss Ahlen, Kloster St. Michael vom November 1976 146 Essen, Saalbau Markus Lingen Erfurt, Landgericht Egbert Biermann Auf der Suche nach einem Weg Oliver Salten Ludwigshafen, Friedrich-Ebert-Halle Adam Stegerwald und die Idee einer zwischen Kapitalismus und Sozialismus 68 Verfolgung und Inhaftierung von Kathrin Zehender überkonfessionellen christlichen Volkspartei 18 Christlichen Demokraten in der SBZ/DDR 110 Freiheit – Solidarität – Gerechtigkeit: 2 3 Luxemburg, Rathaus Die Verabschiedung des ersten Grundsatzprogramms 152 München, Königsplatz Kordula Kühlem Paris, Quai d’Orsay Rita Anna Tüpper Aufbruch nach Europa der Judith Michel Essen, Grugahalle Der junge rebelliert für deutschen Christlichen Demokraten 74 Westbindung als Grundsatz Denise Lindsay die Demokratie und gegen die Geistlichkeit 26 christlich-demokratischer Außenpolitik 116 Die Frauenpolitik der CDU 160 Düsseldorf, Ständehaus Berlin, Zellengefängnis Lehrter Straße Wolfgang Tischner Wesseling, Schloss Eichholz Weimar, Redaktion von Glaube und Heimat Judith Michel Plädoyer für die Soziale Marktwirtschaft – Angela Keller-Kühne Manfred Agethen Widerstand gegen den Nationalsozialismus Die wirtschaftspolitischen Leitsätze der Die Konrad-Adenauer-Stiftung Der Brief aus Weimar und der Brief aus Neuenhagen – als Wurzel der Christlich Demokratischen Union 36 Arbeitsgemeinschaft der CDU 82 als CDU-nahe politische Stiftung 124 zum demokratischen Erneuerungsprozess in der CDU der DDR 1988/89 168 Köln, Kolpinghaus Bad Honnef-Rhöndorf, Adenauerhaus Burgscheidungen, Schloss Burgscheidungen Kathrin Zehender Melanie Eckert Oliver Salten Hamburg, Congress Centrum Hamburg Beschluss zur Gründung einer christlichen Volkspartei Von der privaten Zuflucht zum christdemokratischen Die Gleichschaltung der CDU in der SBZ/DDR 132 David Maaß und Auftakt zu den Beratungen der Kölner Leitsätze 44 und bundespolitischen Erinnerungsort 90 Die Wiedervereinigung der CDU 176 Bonn, Konrad-Adenauer-Haus Berlin, Theater am Schiffbauerdamm Goslar, Odeon-Theater Konrad Kühne Abkürzungsverzeichnis 184 Ralf Thomas Baus Andreas Grau Die CDU-Bundesgeschäftsstelle und „Trümmerhaufen sittlicher und materieller Werte“ – Der erste Bundesparteitag der CDU 98 die Modernisierung der Parteiorganisation 138 Die Gründungsversammlung der CDU in Berlin 52 Dieses Buch stellt Erinnerungsorte der Christlichen In diesem Jahr wird die CDU 75 Jahre alt. Alle Erinne­ Demokratie vor. Es sind Orte, die uns Christdemokra­ rungsorte der Christlichen Demokratie gleichen Weg­ ten etwas bedeuten; zugleich sind es Orte, denen wir marken: Sie zeigen uns, woher wir als Union kommen­ selbst Bedeutung verliehen haben. Wer die Texte liest, und wie wir dorthin gelangt sind, wo wir heute ste­ Vorwort begibt sich auf eine Reise, auch eine durch die Zeit, hen. Und sie sind auch deutsche Wegmarken. Denn und betritt ein Hotel oder einen Platz, alte Schlösser, die Geschichte der CDU ist eng verbunden mit der kleine Häuser und große Hallen. Und er begegnet Geschichte unseres Lands. Unser Anspruch als CDU des Generalsekretärs der CDU Deutschlands, dort immer wieder Christdemokraten. darf es jedoch nicht allein sein, historische Orte zu bewahren, die uns etwas bedeuten, und die Erinne­ Paul Ziemiak MdB Für mich persönlich ist auch das Bonner Haus der rung an sie zu pflegen. Wir müssen stets danach stre­ Geschichte ein solcher Ort. Wir verdanken dieses groß­ ben, neue Orte der Erinnerung zu erschaffen. Nach artige Museum Helmut Kohl. Bereits in seiner ersten unserem Selbstverständnis sind wir die politische Regierungserklärung als Bundeskanzler am 13. Okto­ Gestaltungskraft Deutschlands. Unser Handeln ist nie ber 1982 wirbt er für „eine Sammlung zur deutschen Selbstzweck. Vielmehr nehmen wir Veränderungen Geschichte seit 1945“. Der Historiker denkt dabei vor wahr und Herausforderungen an. Das bedeutet: Wir allem an die junge Generation. „Wir mussten unsere sind programmatisch auf der Höhe der Zeit und ent­ Kinder und Enkel mit den Wurzeln der Bundesrepublik werfen eine Perspektive für unser Land. Dies war und und mit ihrer Entwicklung vertraut machen“, notiert er das ist unser Erfolgsrezept. Gerade jetzt am Anfang 5 rückblickend in seinen Memoiren. eines neuen Jahrzehnts richten wir als Volkspartei unseren Blick in die Zukunft, auf Deutschland 2030. Doch der Weg dorthin ist ein weiter, ein langer. Der Wir wollen, dass Deutschland auch am Ende dieses Spatenstich für das Haus der Geschichte erfolgt erst Jahrzehnts ein starkes und lebenswertes Land ist: 51 Tage vor dem Fall der Berliner Mauer. Als schließ­ innovativ und digital, wirtschaftsstark und klima­ lich am 17. Oktober 1989 der Grundstein gelegt wird, freundlich, sicher und sozial. Wenn uns dies gelingt, geschieht in Ost-Berlin eine Weltsensation: Staatschef werden auch neue christlich-demokratische Erinne­ Erich Honecker wird gestürzt. Bald darauf ist auch rungsorte entstehen. die zweite deutsche Diktatur Geschichte und reif fürs Museum. Nur das Museum, in das sie einziehen wird, Ich bin der Konrad-Adenauer-Stiftung dankbar für die­ steht da noch nicht. Erst 1994 wird das Haus der sen lesenswerten Sammelband. Denn er trägt dazu bei, Geschichte eröffnet. dass wir uns unserer Geschichte vergewissern und aus dem Erreichten zu neuen Zielen aufbrechen können. Die feierliche Ansprache hält der Mann, der diese Idee gegen manche Bedenken unermüdlich verfolgt hat: Helmut Kohl. Heute ist das Haus der Geschichte eines der meistbesuchten Museen im Land; ein gesamtdeutscher Ort, der lebendig Geschichte ver­ mittelt und damit schafft, was sich der große Christ­ demokrat Helmut Kohl vorgestellt hat. Paul Ziemiak MdB „Man muß das Gestern kennen, man muß auch an Noras Konzept wurde vielfach adaptiert. Es wurden das Gestern denken, wenn man das Morgen wirk- lokale, regionale, binationale, transnationale und lich gut und dauerhaft gestalten will.“ Mit diesen ideengeschichtliche Erinnerungsorte untersucht, wie Worten wies Bundeskanzler Konrad Adenauer bei beispielsweise europäische, koloniale und ökolo­ Einleitung einer Feierstunde in der Frankfurter Universität am gische Erinnerungsorte, Erinnerungsorte der Antike, 30. Juni 1952 nicht nur auf die Bedeutung histo­ der extre­men Rechten, der DDR oder der deutschen rischen Wissens für die Gestaltung der Zukunft Sozialdemokratie. Das Konzept wurde dabei stetig Michael Borchard/Judith Michel hin – er maß auch der Erinnerung an historische weiterentwickelt bzw. verändert. Ereignisse eine wichtige Rolle bei. Der vorliegende Band soll für die Christliche Demokratie beides Bedeutsam sind unter anderem die von Etienne Fran­ leisten: Ausgehend von der Darstellung zentraler çois und Hagen Schulze herausgegebenen deutschen historischer Orte und Ereignisse der Christlichen Erinnerungsorte. Anders als die französischen „lieux Demokratie in Deutschland wird deren Rolle im de mémoire“ umfassen diese auch problematische kollektiven Gedächtnis der Partei untersucht. Orte wie Auschwitz oder die Berliner Mauer, sodass bei den deutschen Erinnerungsorten weniger die nationale Selbstvergewisserung an erster Stelle steht. Nach François und Schulze sind Erinnerungsorte lang­ Das Konzept der Erinnerungsorte in lebige Kristallisationspunkte kollektiver Erinnerung 7 der Geschichts- und Kulturwissenschaft und Identität, die in gesellschaftliche, kulturelle und politische Beziehungsgefüge eingebettet sind. Erinne­ Die Beschäftigung mit der historischen Erinnerung hat rungsorte sind zudem über die Zeit wandelbar: So sind in den letzten Jahrzehnten einen Boom erfahren. Aus­ die Vergangenheitsbilder das Ergebnis langwieriger druck dieses Booms und zugleich maßgeblicher Kata­ gesellschaftlicher bzw. gruppenspezifischer Aushand­ lysator war in den 1980er Jahren die Forschung des lungsprozesse und enthalten stets gegenwartsbezo­ französischen Historikers Pierre Nora, der mit seinem gene Analysen der Vergangenheit. Erinnerungsorte Konzept der „lieux de mémoire“ (Erinnerungsorte) können je nach zeitlicher und gruppenspezifischer die „Geschichte zweiten Grads“ in den Blick nimmt. Perspektive lebendig oder verschüttet, erwartet oder Als Erinnerungsort versteht Nora dabei symbolische unerwartet sein. Diese Mischung macht das Konzept Repräsentationen, die tatsächliche Orte, aber auch so wertvoll für die Geschichtswissenschaften. Personen, Institutionen, Ideen und Texte umfassen können und für kollektive Gedächtnis- und Identitäts­ In ihren Erinnerungsorten stellen Nora, François und diskurse bestimmter Gruppen bedeutsam sind. In Schulze mit der Geschichtsschreibung zweiten Grads sieben umfangreichen Bänden versucht Nora so, die nicht mehr die Ereignisse selbst, sondern die Erinne­ Erinnerung Frankreichs zu inventarisieren und gleich­ rungskonstruktion in der Zeit in den Mittelpunkt der zeitig zu konservieren. Sein Projekt verfolgt damit eine Untersuchung. Die Herausgeber der deutsch-polni­ für Frankreich sinnstiftende Wirkung, unternimmt schen Erinnerungsorte Hans Henning Hahn, Robert aber zugleich eine kritisch-reflexive Historisierung Traba und Peter Oliver Loew heben hingegen hervor, nationaler Traditionen. die Geschichte zweiten Grads müsse auch immer an die Geschichte ersten Grads zurückgebunden Der tatsächliche Ort wird daher in der Regel in die­ Ahlen und Düsseldorf, nicht aber das ähnlich wich­ „Erinnerungslandschaft“ zur CDU in der DDR und zur werden. Ohne Erschließung des realhistorischen sem Band nur kurz dargestellt. Breiteren Raum tige Neheim-Hüsten berücksichtigt – das allerdings deutschen Teilung bzw. Einheit. Anhand der program­ Kontexts könne es keine erinnerungspolitische nimmt dann die Nachzeichnung des mit diesem Ort in den Beiträgen zu Köln und Ahlen mitbehandelt matischen Orte Köln, Theater am Schiffbauerdamm, Interpretation­ geben. verbun­denen historischen Ereignisses ein. Die Kennt­ wird. Mit Königstein und Siegen wurden Erinnerungs­ Ahlen, Düsseldorf, Ludwigshafen und Essen (1985) nis dieser­ Geschichte ersten Grads ist Voraussetzung, orte aufgenommen, die lediglich Junger Union und lassen sich die Konstanten und Weiterentwicklungen in Stefan Berger und Joana Seiffert kritisieren in ihren um dann abschließend die Geschichte zweiten Grads – Evangelischem Arbeitskreis eigen sind. Vereinigungen der CDU-Programmatik und deren Bedeutungen im kol­ theoretischen Reflexionen über Noras Konzept, dass die Rolle des Ereignisses im kollektiven Gedächtnis der wie die Frauen-Union oder die Christlich-Demokra­ lektiven Gedächtnis nachvollziehen. Wie alle Orte letzt­ dieses die Erinnerungsorte weitgehend unverbunden Partei – darzulegen. Bilder zu den tatsächlichen Orten, tische Arbeitnehmerschaft werden jedoch über andere lich im wörtlichen geografischen Sinne eine Landschaft nebeneinanderstehen lässt. Sie plädieren hingegen für aber auch von historischen Darstellungen der Ereig­ Orte wie Essen abgedeckt, wo sowohl der „Frauen­ bilden, zeigt die Karte auf der rechten Umschlagklappe. die Idee der Erinnerungsräume, indem Erinnerungs­ nisse und der damit verbundenen Personen runden parteitag“ 1985 als auch der Kongress der Christlichen orte in Beziehung zueinander gesetzt werden. Um der die Beiträge ab, wobei es besonders die älteren Erin­ Gewerkschaften 1920 stattgefunden hat. So ist diese Wir danken allen, die ihren Beitrag zum Zustande­ sich im zeitlichen Verlauf ständig ändernden Erinne­ nerungsorte betreffend mitunter schwierig war, pas­ Publikation auch nicht als vollständiger, unveränder­ kommen dieses Buchs geleistet haben. Bei der „Reise“ rung Rechnung zu tragen, schlagen sie gar vor, statt sendes Bildmaterial zu finden. licher Kanon christlich-demokratischer Erinnerung durch die Orte der Christlichen Demokratie wünschen von Erinnerungsorten von „Zeit-Räumen“ zu sprechen. zu verstehen. Dies wäre schon allein vor dem Hinter­ wir interessante Einblicke und manch neue Erkenntnis. Bei der Auswahl wurde versucht, Orte mit einer grund irreführend, dass Erinnerung über die Zeit und starken symbolischen Bedeutung für die Geschichte je nach Gruppenkonstellation wandelbar ist. und das kollektive Gedächtnis der Partei zu identifizie­ Literatur Die Konzeption dieses Bandes ren. Neben bis heute bekannten Orten wie Wildbad Die Beiträge sind chronologisch im Hinblick auf die 8 9 Kreuth als Symbol für die mitunter spannungsgeladene Anfänge des beschriebenen Ereignisses angeordnet Berger, Stefan/Joana Seiffert (Hg.):Erinnerungsorte: Chancen, Die Erinnerungsorte der Christlichen Demokratie in Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU im Deut­ und reichen zurück bis in die Zeit vor den ersten regio­ Grenzen und Perspektiven eines Erfolgskonzepts in den Kultur­ Deutschland sollen einerseits der wissenschaftlichen schen Bundestag und für den Trennungsbeschluss nalen Gründungen der Partei. Der Band ist jedoch kein wissenschaften. Essen 2014. Reflexion dienen, bieten der CDU aber anlässlich ihres vom November 1976 werden auch bereits in Verges­ Geschichtsbuch, das chronologisch nahtlos die CDU- 75. Jubiläums auch historische Orientierungspunkte. senheit geratene oder weitgehend unbekannte Orte Geschichte nacherzählen möchte. Es soll vielmehr mög­ François, Étienne/Hagen Schulze (Hg.): Deutsche Erinnerungsorte, Anders als in Noras Konzept gehen die Beiträge wie Siegen als Ort der Gründung des EAK in den Blick lich sein, jeden Erinnerungsort für sich selbst zu lesen. Gesamtausgabe, 3 Bde. München 2008. zunächst vom topografischen Ort aus, der jedoch genommen, die für Wegmarken und Wendepunkte immer – ganz im Sinne Noras – auch mit symbolischen in der Geschichte der CDU stehen. Manche Orte wie Darüber hinaus stehen viele der Orte in Beziehung Hahn, Hans Henning (Bde. 1–4), Robert Traba (Bde. 1–5), Bedeutungen verknüpft ist. Hierbei stellte sich her­ Goslar als Gründungsort der Bundespartei spielen nur zueinander und lassen sich zu „Erinnerungslandschaf­ Peter Oliver Loew (Bd. 5) (Hg.): Deutsch-Polnische Erinnerungsorte, aus, dass manche Orte schlicht aus zufälligen oder in der Erinnerung der Partei eine Rolle. Andere Orte ten“ verbinden: So können die Erinnerungsorte Soest 5 Bde. Paderborn 2012–2015. pragmatischen Gründen zum Erinnerungsort für die wie Rhöndorf als Wohnort des ersten Bundeskanzlers (Gründung der Zentrumspartei), Essen (1920), München Partei geworden waren, beispielsweise Königstein als Konrad Adenauer sind längst zum nationalen Erinne­ (Katholikentag), das Zellengefängnis Lehrter Straße Nora, Pierre (Hg.): Les lieux de émoire, 7 Bde. Paris 1984–1992. Gründungsort der Jungen Union. Andere Orte hatten rungsort avanciert. Auch problematische Erinnerungs­ in Berlin-Moabit (christlich-demokratische Wider­ hingegen bereits vor dem Ereignis eine symbolische orte wie Burgscheidungen, der für die Gleichschaltung standskämpfer in Gestapo-Haft), Köln, das Theater am Siebeck, Cornelia: Erinnerungsorte, Lieux de Mémoire, Version: 1.0, in: Bedeutung: So war der Gründungsort des Evangeli­ der CDU der DDR steht, finden Berücksichtigung. Schiffbauerdamm und andere zu einer „Erinnerungs­ Docupedia-Zeitgeschichte, 2. März 2017 (https://dx.doi.org/10.14765/ schen Arbeitskreises (EAK) Siegen bekannt als Ort des landschaft“ zur Idee der Gründung einer überkonfessio­ zzf.dok.2.784.v1 (Abruf: 29.01.2020)). politischen Protestantismus. Mit Ludwigshafen und Wie in allen Publikationen zu Erinnerungsorten sind nellen Volkspartei verknüpft werden. Die Orte Land­ Essen wählte man hingegen bewusst Arbeiterhoch­ auch in diesem Band Auslassungen unvermeidlich. Bei gericht Erfurt (Verfolgung von CDU-Mitgliedern in der Woyke, Meik: „Erinnerungsorte der deutschen Sozialdemokratie“. burgen, um mit der dort 1978 bzw. 1985 diskutier­ der Auswahl von Erinnerungsorten der Programmge­ DDR), Burgscheidungen (Schulungsort der Blockpartei Konzeption und didaktisches Profil einer Internetpräsentation für die ten christlich-demokratischen Programmatik einen schichte in der unmittelbaren Nachkriegszeit wurden CDU), Weimar (Briefe von Weimar und Neuenhagen) historisch-politische Bildung, in: Jahrbuch für Politik und Geschichte 3 Kontra­punkt zu setzen. Köln, das Theater am Schiffbauerdamm in Berlin, und Hamburg (Einigungsparteitag der CDU) bilden eine (2012), S. 149–169. Es ist sicher eines der bekanntesten unter den die 954 nach Soest gelangten Gebeine des Hl. Patro­ frühen Wahlplakaten der CDU, eingesetzt im nord- klus’ zu beherbergen. Geweiht wurde die Stiftskirche, rhein-westfälischen Kommunalwahlkampf 1946: die als Inbegriff der Romanik in Westfalen gilt, ver­ die Darstellung zweier dicht nebeneinander stehen- mutlich im Jahr 1118. der mächtiger Kirchtürme, die als Teil einer katho- lischen respektive einer evangelischen Kirche zu Soest, die „Ehrenreiche“, war im Mittelalter eine der identifizieren sind. Darunter findet sich der Schrift- bedeutendsten Hansestädte Europas, gelegen am zug „Die UNION – Die Sammlung aller Christen Westfälischen Hellweg, der alten, von Duisburg aus auf der politischen Ebene“. In der Tat stellten die nach Osten führenden Handelsstraße, die in den Unionsparteien unter anderem dadurch, dass sie Jakobsweg mündete und damit auch Teil einer der nach dem Zweiten Weltkrieg erstmals in der deut- bedeutendsten europäischen Pilgerstraßen war. Dass schen Parteiengeschichte bewusste Christen beider das Bild der beiden größten und bedeutendsten Soes­ Konfessionen politisch zu vereinigen vermochten, ter Kirchen gewählt wurde, um die künftige politische ein Novum und einen gewaltigen „Modernisierungs- Zusammenarbeit der Konfessionen zu symbolisieren, schritt“ (Heinrich Oberreuter) im deutschen Partei- passt durchaus zur Stadtgeschichte, die stark von Soest ensystem dar. Die Idee existierte schon lange, ihre den Wirren der Reformations- und Gegenreforma­ Verwirklichung war allerdings bis 1933 über Ansätze tionszeit geprägt ist. 1531 hielt in Soest, das sich in Hotel Overweg nicht hinausgekommen.

1870Ems Weser Steinerne Symbole konfessioneller Spaltung Vom politischen Nordrhein-Westfalen Ahlen Inwieweit es in Nordrhein-Westfalen bekannt war, 1 Katholizismus zur sei dahingestellt; außerhalb des jungen Lands dürfte Dortmund Soest kaum jemand gewusst haben, dass es sich bei dem Essen überkonfessionellen Bild nicht um eine künstlerische Komposition han­ delte, sondern dass die abgebildeten Kirchen tat­ Düsseldorf christlichen Volkspartei sächlich in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander stehen, nämlich im westfälischen Soest. Es handelt Köln sich einmal um die seit der Reformation evangelische Wesseling Christopher Beckmann Siegen St.-Petri-Kirche, gegründet im Zuge der Sachsenmis­ Bonn Rhöndorf sion Karls des Großen und damit eine der ältesten Kirchengründungen Westfalens; der heutige Bau Plakat zur wurde im Jahr 1150 geweiht. Der zweite Turm gehört Kommunalwahl zum katholischen St.-Patroklus-Dom, dessen Bau als in Nordrhein- Stiftung des Kölner Erzbischofs begonnen wurde, um Westfalen 1946.

Mosel Die erste Soester katholische Honoratioren über die „Behandlung der Kurz darauf, am 13. Dezember 1870, trafen sich die Konferenz fand im politischen und sozialen Tagesfragen auf positiv christ­ katholischen Mitglieder des Preußischen Abgeord­ Hotel Overweg statt. licher Grundlage“ (Karl Bachem). Den entscheidenden netenhauses. Man beschloss, eine neue Partei mit Anstoß erhielten die Bestrebungen zur Schaffung Namen „Zentrum“ zu gründen und für die bevor­ einer parlamentarischen Vertretung des katholischen stehende erste Reichstagswahl Kandidaten auf der Volksteils durch den Ausgang des preußisch-öster­ Grundlage der in Soest beschlossenen Grundsätze reichischen Kriegs von 1866, der die Katholiken zu auszuwählen. Einer dieser Grundsätze, der etwa einer unterprivilegierten konfessionellen Minderheit von Ludwig Windthorst, der überragenden Figur der im künftigen preußisch dominierten Deutschen Reich neuen Partei, immer wieder vertreten wurde, war machte und eine regelrechte „Weltuntergangsstim­ die Ablehnung einer „Staatsomnipotenz“: Der Staat mung“ auslöste (Margaret L. Anderson). besitze keine Allzuständigkeit und müsse sich auf die ihm zukommenden Aufgaben beschränken. Nach Wichtigstes Zeugnis der damit einhergehenden inten­ dem Zweiten Weltkrieg nannte Konrad Adenauer siven Programmdiskussionen war das am 28. Oktober die sich steigernde Tendenz zur „Staatsvergottung“, 1870 unter der Devise „Für Wahrheit, Recht und Frei­ wie sie sich seit der Reichseinigung 1870/71 in ganz heit“ beschlossene „Soester Programm“: Es enthielt in Deutschland verbreitet hätte, und das damit verbun­ knapper Form zentrale Elemente und Forderungen, dene „Absinken in der Bewertung der Einzelperson“ die anschließend charakteristisch für die Arbeit des einen entscheidenden Faktor für den Weg in die 12 13 der „Soester Fehde“ (1444–1449) bereits erfolgreich die katholische Kirche mit der Säkularisierung und Zentrums waren und zum Teil auch in die spätere Katastrophe des Nationalsozialismus. gegen den weltlichen Machtanspruch des Kölner Erz­ der Herausbildung der Vormachtstellung des pro­ Programmatik der CDU/CSU eingingen. Neben der bischofs durchgesetzt hatte, die Reformation Einzug. testantischen Preußens in Deutschland geraten war. damals aktuellen Verteidigung der Rechte der Kir­ Trotz Rekatholisierungsbestrebungen wurden in der Sowohl in der Paulskirchenversammlung 1848/49 che und der Forderung nach Gleichberechtigung der Folge die meisten Kirchen protestantisch, dominierte als auch im Preußischen Abgeordnetenhaus schlos­ Katholiken waren dies die Betonung des Föderalismus Katholische Honoratiorenpartei fortan im gesellschaftlichen, geistigen und religiösen sen sich Mitte des 19. Jahrhunderts die katholischen und die Ablehnung einer zu starken staatlichen Zent­ sowie im politischen Leben der Stadt die evangelisch-­ Abgeordneten zusammen. Ein parteipolitisches ralisierung, Ausgleich der wirtschaftlichen und sozia­ Obwohl Programm und Selbstverständnis der neuen lutherische Konfession. Programm wurde indes (noch) nicht entwickelt, die len Interessen, Fürsorge für die rapide wachsende Partei theoretisch ein Zusammengehen mit evange­ Zusammenschlüsse waren eher lose und nicht insti­ Industriearbeiterschaft, auch durch eine staatliche lischen Christen nicht ausschlossen, wurde und blieb tutionalisiert. Im Vordergrund standen Forderungen Sozialpolitik und die Einführung einer Arbeiterschutz­ das Zentrum eine katholische „Weltanschauungs- und nach gleichen Rechten für beide großen Konfessio­ gesetzgebung. Man beschränkte sich auf wenige pro­ Gesinnungspartei“ (Rudolf Morsey). Hierzu trug ent­ Wiege des politischen Katholizismus nen und freier Entfaltung der katholischen Kirche in grammatische Grundsätze. „Die politische Praxis war“, scheidend der Kulturkampf bei, in dem Reichskanzler Deutschland. wie der Zentrumshistoriker Karl Bachem rückblickend , im Bunde mit liberalen antikirch­ Paradoxerweise wurde Soest dennoch einer der formulierte, „in vollem Umfange freigelassen, prakti­ lichen Kräften, den als „reichsfeindlich“ beziehungs­ Kulminationspunkte der (katholischen) Konfessiona­ Ab Mitte der 1860er Jahre verstärkten sich gerade in sche politische Arbeit die von selbst sich ergebende weise rückwärtsgewandt betrachteten Katholizismus lisierung des deutschen Parteiwesens, indem es bei Westfalen Bestrebungen zur Schaffung einer dauer­ Lösung“. Dieser Ansatz setzte sich gewissermaßen in mittels zahlreicher Repressionen und Sondergesetze der Entstehung der Zentrumspartei eine bedeutende haften parlamentarischen Vertretung. Von 1864 bis der Frühgeschichte von CDU und CSU fort, als man bekämpfte. Dieser staatliche Druck schweißte die Rolle spielte. Die Bildung einer alle sozialen Schich­ 1866 diskutierten auf den „Soester Konferenzen“ – ebenfalls mehr auf die programmatische Kraft politi­ katholische Fraktion und ihre Wähler zum „Zentrums­ ten umfassenden katholischen Partei hatte ihren die erste fand am 10. Januar 1864 im Gasthof Over­ scher Entscheidungen denn auf theoretische Entwürfe turm“ zusammen und verfestigte zugleich dessen Ursprung in der existenzbedrohenden Krise, in die weg statt – Geistliche, Parlamentsabgeordnete und vertraute. konfessionellen Charakter. Das vielzitierte katholische Milieu verstetigte sich und dessen Strukturen im Ein organisatorischer Apparat war bis zum Ende des Schul-, Vereins- und Wohlfahrtswesen blieben bis in Ersten Weltkriegs indes so gut wie nicht vorhanden. die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wirksam. Aller­ Die Partei bestand aus lokalen, von Honoratioren dings bemühte sich das Zentrum sorgsam darum, den gebildeten Wahlkomitees, die nur im Vorfeld von Eindruck einer Fernsteuerung durch den Vatikan zu Wahlen Aktivitäten entfalteten. Die Organisation der vermeiden. Auch verstand man sich nicht als regie­ Zentrumswähler erfolgte in den katholischen Verbän­ rungs- oder gar reichsfeindliche Oppositionspartei. den, allen voran durch den 1890 gegründeten Volks­ Nach dem Bruch Bismarcks mit den Liberalen 1878 verein für das katholische Deutschland. Die eigentliche wuchs das Zentrum auf Reichsebene in eine parlamen­ Leitung der Partei lag bei den Fraktionsführungen im tarische Schlüsselposition hinein und gewann nach Reichstag und den anderen Parlamenten. Das Fehlen dem Ende des Kulturkampfs zunehmend an Einfluss. autonomer Parteistrukturen verhinderte nach dem Abflauen der konfessionellen Spannungen eine Ver­ breiterung der Basis über den katholischen Bevölke­ rungsteil hinaus.

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Führende Mitglieder der Zentrumspartei.

Obwohl innerhalb der Partei überzeugte Republikaner Demokratie durchaus auch als Last empfunden wurde, wie Konrad Adenauer einem nationalen Flügel gegen­ betrachtete man die Übernahme politischer Verant­ überstanden, der der Monarchie nachtrauerte, ent­ wortung als staatsbürgerliche Pflicht und widerstand wickelt sich das Zentrum zur staatstragenden Kraft der der Versuchung, sich angesichts der schwierigen Weimarer Republik, gehörte zwischen 1919 und 1930 Verhältnisse in die Opposition zurückzuziehen. Auch allen Koalitionsregierungen an und stellte achtmal wurden zu dieser Zeit – unter Berufung auf den Grün­ den Reichskanzler. Damit einher ging eine allmähliche dervater Ludwig Windthorst – Überlegungen ange­ Ludwig Windthorst, Professionalisierung der Parteiarbeit durch Ausbau stellt, die Partei über das katholische Milieu hinaus herausragender Repräsentant der Organisation. Wenngleich das Regieren angesichts zu öffnen, die indes an inner- wie außerparteilichen der Zentrumspartei. der krisenhaften Entwicklungen der ersten deutschen Widerständen scheiterten. Überkonfessionelle Volkspartei oder Zentrum hingegen könne, wie der damalige nordrhein- ren aus den Erfahrungen der NS-Zeit. Die politische Wiedergründung des Zentrums? westfälische Ministerpräsident Rudolf Amelunxen im Spaltung der Konfessionen wurde als eine Ursache für März 1947 erklärte, als „starker Mittelblock“ fungieren den Aufstieg des Nationalsozialismus und die Schwä­ Unmittelbar nach Kriegsende kam es bekanntlich zu und „die Schwankungen des Staatsschiffs ausgleichen“. che der Weimarer Republik betrachtet; zudem hatten zahlreichen dezentralen und in der Regel unkoordi­ während des „Dritten Reichs“ vielfach Protestanten nierten Gründungen christlich-demokratischer Grup­ Auch für die Befürworter des Unionsgedankens und Katholiken in oppositionellen Zirkeln zusammen­ pierungen. Der Name Christlich Demokratische Union spielten wahlstrategische Überlegungen eine wichtige gearbeitet. Eine Rolle spielte ferner die Erwartung, setzte sich um die Jahreswende 1945/46 allgemein Rolle. Man war der Überzeugung, dass ein wiederge­ durch eine parteipolitische Zusammenfassung der durch und sollte auch semantisch einen Neuansatz gründetes Zentrum ein zu geringes Wählerpotenzial Konfessionen das Wählerpotenzial der zerfallenen markieren. Initiatoren waren oftmals Funktionäre und haben würde. Demgegenüber würde sich durch eine und diskreditierten Parteien des Konservatismus und Mitglieder der 1933 aufgelösten christlichen Parteien parteipolitische Zusammenfassung der Konfessionen des Liberalismus an sich ziehen, damit mehrheitsfähig beziehungsweise christlich orientierte Vertreter kon­ die Chance ergeben, das Wählerpotenzial der zerfal­ werden und die Interessen des christlichen Bevölke­ servativer und liberaler Kräfte des Weimarer Parteien­ lenen Parteien des Konservatismus und Liberalismus rungsteils wirksam vertreten zu können. Hinzu kamen spektrums. Den zahlenmäßig größten Anteil stellten an sich zu ziehen und gegenüber den Linksparteien die Parteinahme des überwiegenden Teils des katholi­ ehemalige Zentrumsanhänger. mehrheitsfähig zu werden. Betont wurde, dass eine schen Klerus für die CDU/CSU und das Votum wichti­ überkonfessionelle Partei die Tradition des Zentrums ger Persönlichkeiten, darunter ehemalige Führungs­ Angesichts der erfolgreichen Entwicklung der CDU/CSU nicht verleugnen, sondern im Gegenteil vollenden figuren des Zentrums, für den neuen Weg. Angesichts wird häufig übersehen, dass die Schaffung einer inter­ würde. Der erste Vorsitzende der CDU Westfalen- des eskalierenden Kalten Kriegs gewann außerdem 16 17 konfessionellen christlichen Volkspartei keineswegs Lippe Lambert Lensing erklärte: „Wir bringen mit die Idee einer gemeinsamen christlichen Front gegen Literatur von Anfang an unumstritten war. Tatsächlich gab es uns die gute und ehrwürdige Tradition der Väter und den atheistischen Kommunismus an Plausibilität. Die gerade in überwiegend katholischen Gebieten inten­ lassen hinter uns alle trennenden Gedanken und Gründung der CDU/CSU ist daher treffend als Ergebnis Anderson, Margaret L.: Windthorst. Zentrumspolitiker und Gegen­ sive und erfolgreiche Bestrebungen zur Wiedergrün­ Überlieferungen aus der Geschichte der Gegensätz­ des Zusammenwirkens der „Kontinuität christlicher spieler Bismarcks (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte 14). dung der Zentrumspartei. Sie erfolgte am 14. Okto­ lichkeit der Konfessionen.“ Dennoch war auch bei den Politik und der besonderen Bedingungslage Nach­ Düsseldorf 1988. ber 1945 – wiederum in Soest. Der Ort war bewusst Unions-Befürwortern die emotionale Bindung an das kriegsdeutschlands“ bezeichnet worden (Hans-Otto gewählt: Man wollte gleichzeitig mit der Wiedergrün­ alte Zentrum – inklusive des Namens – ausgeprägt, fiel Kleinmann). Die Union erreichte, was dem Zentrum Hehl, Ulrich von: Die Zentrumspartei – Ihr Weg vom „Reichsfeind“ zur dung an den 75. Jahrestag des Soester Programms von der Abschied manchen schwer. Der Herforder Ober­ nicht gelungen war: die Verbindung konfessioneller parlamentarischen Schlüsselstellung in Kaiserreich und Republik. In: 1870 erinnern und so Kontinuität demonstrieren. Das bürgermeister , der als prominente Interessen mit sozialen, liberalen und konservativen Hermann W. von der Dunk/Horst Lademacher (Hg.): Auf dem Weg zum Neue Zentrum stellte in den frühen Nachkriegsjahren evangelische Persönlichkeit zur Mitarbeit in der neuen Anliegen. Trotz der schmerzhaften Auseinanderset­ modernen Parteienstaat. Zur Entstehung, Organisation und Struktur in Teilen Nordrhein-Westfalens und Niedersachsens Partei bereit war, formulierte indes – stellvertretend zungen mit dem „Neuen Zentrum“: Die Geschichte politischer Parteien in Deutschland und den Niederlanden. Melsungen eine ernst zu nehmende Konkurrentin der Union dar. für viele Protestanten – die Bedingung, „dass die zu der auf Grundlage des am 28. Oktober 1870 in Soest 1986, S. 97–120. Im Landkreis Soest etwa erzielte das Zentrum bei den gründende Partei nicht mehr den Namen Zentrum beschlossenen Programms entstandenen Zentrums­ Kommunalwahlen 1948 26,8 Prozent. Neben alter erhalten dürfe, da eine solche traditionell belastete partei war, ist und bleibt einer der wichtigsten Konti­ Linsenmann, Andreas/Markus Raasch (Hg.): Die Zentrumspartei Anhänglichkeit spielten wahltaktische und systemtheo­ Bezeichnung den Einbruch in die evangelischen Bevöl­ nuitäts- und Traditionsstränge der Christlich Demokra­ im Kaiserreich. Bilanz und Perspektiven. Münster 2015. retische Überlegungen eine Rolle. Man glaubte, eine kerungsschichten verhindern würde“. tischen Union. Damit ist auch Soest als Gründungsort überkonfessionelle Partei würde chancenlos bleiben, des Zentrums einer der wichtigsten Bezugsorte der Schmidt, Ute: Zentrum oder CDU. Politischer Katholizismus zwischen da die Katholiken dem Zentrum die Treue halten und Dass sich der Gedanke einer interkonfessionellen deutschen Christlichen Demokratie. Tradition und Anpassung (Schriften des Zentralinstituts für sozial­ zudem durch die protestantisch-konservativen Kräfte „Union“ schließlich durchsetzte, lag neben den verän­ wissenschaftliche Forschung der Freien Universität Berlin Bd. 51). auf einen reaktionären Kurs gedrängt würden. Das derten sozialstrukturellen Bedingungen auch an Leh­ Opladen 1987. Vom 20. bis 23. November 1920 fand der 10. Kon- der Monarchie –, ging es erst einmal darum, eine neue gress der Christlichen Gewerkschaften Deutschlands Ordnung zu etablieren und die Folgen des Kriegs zu in Essen statt. Adam Stegerwald, Vorsitzender des mildern. Hierzu gehörte auch, dass die Gewerkschaf­ Deutschen Gewerkschaftsbunds und der Christli- ten sich zuerst um die dringendsten sozialen Themen chen Gewerkschaften, skizzierte dort die Idee einer der Arbeitswelt kümmerten, bevor sie sich mit ihren überkonfessionellen christlichen Volkspartei. Er ist inneren Angelegenheiten befassen konnten. Doch in damit ein wichtiger Vordenker der Christlich Demo- den zwei Jahren von 1918 bis 1920 ereignete sich so kratischen Union, die erst 25 Jahre später gegründet viel, dass ein Kongress immer dringlicher wurde. So werden konnte. hatte sich zum Beispiel 1919 der christlich-nationale Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) neu aufgestellt. Seine drei Pfeiler bildeten der Gesamtverband der Christlichen Gewerkschaften, der Gesamtverband Der Anlass deutscher Angestelltengewerkschaften (Gedag) und der Gesamtverband deutscher Beamten-Gewerkschaf­ Als der 10. Kongress der Christlichen Gewerkschaften ten. Hier galt es, die Zusammenarbeit zu stärken, vor Essen Deutschlands im November 1920 in Essen stattfand, allem weil sich Abgeordnete dieses gewerkschaftlichen lag der letzte ordentliche Kongress bereits acht Jahre Zusammenschlusses über mehrere Reichstagsfrak­ zurück. Der Erste Weltkrieg hatte den Rhythmus außer tionen verteilten, was für die Zusammenarbeit eher Saalbau 19 Kraft gesetzt. Da das Ende des Kriegs aber auch die anstrengend als fruchtbringend war. Staatsform veränderte – die Republik trat an die Stelle 1920Ems Weser

Adam Stegerwald Nordrhein-Westfalen und die Idee einer Ahlen Dortmund 2 Soest überkonfessionellen Essen christlichen Volkspartei Düsseldorf Köln Egbert Biermann Wesseling Siegen Bonn Rhöndorf Im Saalbau der Stadt Essen fand der 10. Kongress der Christlichen Gewerkschaften Deutschlands statt.

Mosel Der wichtigere, eher informelle Hintergrund war aber Brust mit vielen Kollegen 1894 den „Gewerkverein Jahr 2004 wiedereröffneten, neu gebauten Philhar­ Der Politiker wohl die Debatte in der Zentrumspartei um deren christlicher Bergleute für den Oberbergamtsbezirk monie betrachtet werden. Am gleichen Ort steht nun Ausrichtung. Manchem konservativen Protagonisten Dortmund“ gegründet. Da die Bergmänner gut organi­ das vierte Gebäude. Als eine der Musik zugewandte Adam Stegerwald zählt zu den bedeutendsten Persön­ war sie zu weit nach links gerückt. Diese Konservati­ siert waren, spielte die Bergarbeitergewerkschaft eine Einrichtung blieb die Zwecksetzung des Saalbaus lichkeiten der Christlichen Gewerkschaften. Er wurde ven trauerten der Monarchie nach und nahmen eine bedeutende Rolle im Konzert der verschiedenen Orga­ über die mehr als 150 Jahre immer die gleiche: Im am 14. Dezember 1874 in Greußenheim bei Würzburg distanzierte Haltung zur Republik ein. Es ging deshalb nisationen. Innerhalb des Christlichen Gewerkschafts­ Zentrum stand die Darbietung von Musik. Dass dort geboren und starb am 3. Dezember 1945 in Würzburg. darum, einen Kurs der Mitte abzustecken, mit dem bunds waren die Bergleute die größte Gruppe. eine solche langfristig politische Wirkung entfaltende Angehörige der beiden christlichen Konfessionen Veranstaltung wie der 10. Kongress der Christlichen Geprägt von seiner Herkunft aus einfachen Verhält­ und aller Stände angesprochen werden konnten. Vor Essen war mehrmals Schauplatz von Kongressen Gewerkschaften Deutschlands stattgefunden hat, nissen, seiner Verwurzelung in der katholischen Kirche diesem Hintergrund fand der 10. Kongress der Christ­ Christlicher Gewerkschaften. Am gleichen Ort ging wird hingegen nicht berichtet. sowie seiner Ausbildung zum Schreiner führten ihn lichen Gewerkschaften Deutschlands vom 20. bis zum es um existenzielle Fragen der zweitgrößten gewerk­ seine Wanderjahre zur christlichen Gewerkschafts­ 23. November 1920 in Essen statt. schaftlichen Bewegung der Arbeitnehmerinnen und bewegung. Aufgrund seines Einsatzes für die Bewe­ Arbeitnehmer im damaligen Deutschland. Und häufig gung wurde er 1899 zum Vorsitzenden des Christ­ ging es um eine Zusammenarbeit abhängig Beschäf­ lichen Holzarbeiterverbands gewählt. Im Jahr 1903 tigter der beiden Konfessionen, sei es die gemeinsame wurde er Generalsekretär des Gesamtverbands der Stadt und Tagungsort Gewerkschaftsbewegung, sei es die Schaffung einer Christlichen Gewerkschaften Deutschlands. Mit seiner gemeinsamen Partei. Immerhin hatten die Christli­ Arbeit ebnete er den Weg für den schon erwähnten Essen wurde erst in der Weimarer Zeit zu der Groß­ chen Gewerkschaften lange auf die Entscheidung des Deutschen Gewerkschaftsbund von 1919, der 1933 20 21 stadt im Revier. Vor allem durch Eingemeindungen Papsts warten müssen, ob sich katholische Arbeit­ mit dem Austritt des Deutschnationalen Handlungsge­ nahm die Einwohnerzahl kräftig zu. Kohle und Stahl nehmerinnen und Arbeitnehmer zusammen mit hilfen-Verbands (DHV) organisatorisch zerbrach, was sorgten für den nötigen wirtschaftlichen Aufschwung. abhängig Beschäftigten evangelischen Glaubens in die Christlichen Gewerkschaften aber nach eigenem unabhängigen Gewerkschaften organisieren durften. Bekunden nicht beeinträchtigte. Diese wurden trotz Die Menschen im Revier lebten für die Industrie, Die „Berliner Fraktion“ in der deutschen Bischofskon­ aller Loyalitätsbezeugungen gegenüber dem neuen sie lebten von der Industrie und sie lebten mit der ferenz hatte dies lange abgelehnt und so die Arbeit Staat später dennoch gleichgeschaltet. Industrie. Viele von ihnen waren Zugereiste. Der Wirt­ behindert. schaftsboom im Kaiserreich hatte sie ins Ruhrgebiet Adam Stegerwald war ab 1920 gleichzeitig Vorsitzen­ geführt. Nun galt es, auch in schwieriger Zeit nicht zu Der Kongress des Jahrs 1920 fand im Saalbau der der des DGB sowie der Christlichen Gewerkschaften. verzagen, sondern die Wirtschaft wieder in Gang zu Stadt Essen statt. Dieses Gebäude war von 1901 bis Er wirkte bei vielen Weichenstellungen im Kaiserreich, bringen. Denn nur mit dieser Haltung war es möglich, 1904 gebaut worden, von 1864 bis 1901 hatte an im Ersten Weltkrieg und in der Weimarer Republik das soziale Elend zu überwinden, in das vor allem der gleicher Stelle ein Holzbau gestanden. Der Neubau sowie – nach der Befreiung durch die Alliierten – beim Krieg, aber auch die Friedensbedingungen die Bevöl­ wurde durch die Architekten Skjøld Neckelmann aus politischen Wiederaufbau in Westdeutschland mit. kerung gestürzt hatten. Stuttgart und Carl Nordmann aus Essen gestaltet. Genutzt wurde der Saalbau für Konzerte, Kongresse Essen war ein Zentrum der Christlichen Gewerkschafts­ und Konferenzen. Er gehörte der Stadt Essen und war bewegung. Für die Christlichen Gewerkschaften war ein kulturelles Zentrum der damaligen Zeit. Im Zwei­ diese Region von großer Bedeutung. Als Geburtsort ten Weltkrieg wurde der Saalbau zerstört und in den Adam des Gewerkvereins der Christlichen Bergarbeiter hatte 1950er Jahren wieder aufgebaut. Heute können Teile Stegerwald die Stadt eine bedeutende Rolle. Hier hatte August des alten Gebäudes als integrale Bestandteile der im 1919. Die Rede Spiritus Rector der Idee einer überkonfessionellen Kongress, kommentierte aber nur den Vortrag von Seite. Dem Ansturm des Nationalsozialismus hatten christlichen Volkspartei. An der Konzeption und For­ Theodor Brauer über „Christentum und Sozialismus“ weder die liberalen Parteien noch das Zentrum, das Am zweiten Kongresstag, dem 21. November 1920, mulierung der Rede wirkten aber wohl auch der Sozial- und ließ Stegerwald unerwähnt. doch eigentlich Schlimmeres hatte verhindern wollen, ging Adam Stegerwald ans Rednerpult. Seine Rede und Wirtschaftswissenschaftler Theodor Brauer und nichts entgegenzusetzen. war lang: Im Protokoll füllt sie rund 52 Seiten. In der der Zentrumspolitiker und Gewerkschafter Heinrich Es stellte sich im Verlauf der Zeit aber auch heraus, Erinnerung blieb die Skizze einer neuen Partei. Bis Brüning mit. dass die Beharrungskräfte im Zentrum stark waren. Adam Stegerwald zu dem Punkt kam, der seine Rede Ihr Credo wandelte sich von der Ablehnung über die historisch bedeutsam machte, streifte er die wichtigen Es gab eine Sehnsucht nach Erneuerung. Aber auch Vertagung in die Verschiebung in kleine Zirkel bis hin Die Erinnerung Themen der Zeit, was sich auch im Titel der Rede aus­ Befürchtungen spielten eine wichtige Rolle, weshalb zu der Feststellung, was Adam Stegerwald beschrieben drückte: Die christlich-nationale Arbeiterschaft und die das Konzept einer neuen Parteikonstellation entwickelt habe, sei das Zentrum an sich. Es sei bereits die von Für das, was nach dem Zweiten Weltkrieg geschah, Lebensfragen des deutschen Volkes. wurde. Deutlich wird dies am folgenden Zitat aus der ihm geforderte Volkspartei. war die Rede von Stegerwald vom November 1920 Rede: „Die deutsche Politik muß sich im nächsten Jahr­ von großer Bedeutung. Die Erfahrungen mit dem Es ging in seiner Rede um Selbstvergewisserung. Wo zehnt unter allen Umständen von Extremen freihalten. Jedoch war auch Adam Stegerwald selbst zu zurück­ Nationalsozialismus ließen an vielen Orten des befrei­ steht die Christliche Gewerkschaftsbewegung, wo die Würden die Extreme von rechts die Herrschaft an sich haltend, um seine Idee zu verwirklichen. Zudem ten Deutschlands Menschen zusammenkommen, um Deutsche Zentrumspartei? Die Revolution von 1918 reißen, so würden wir wahrscheinlich mit dem schärfs­ schmälerte seine politische Tätigkeit als preußischer im Geiste Adam Stegerwalds eine neue Partei aus der lag noch nicht lange zurück. Die Republik war erste ten Gegensatz der demokratisch orientierten Länder Ministerpräsident seine Möglichkeiten und seine Kraft, Taufe zu heben. Deshalb ging es in den ersten Jahren Schritte gegangen. Einige Monate vor der Rede war der Welt zu rechnen haben. Siegten die Extremen­ von auf die Gründung einer neuen Partei der Mitte hinzu­ um praktisches Handeln und weniger um die Erinne­ der Kapp-Putsch abgewehrt worden. Im Zentrum gab links, so würden uns die unentbehrlichsten Hilfsmittel wirken. Aber auch die anderen Parteien hatten keine rung an diese herausragende Rede. 22 23 es eine intensive Debatte um die Ausrichtung: „Repu­ für unsere Wirtschaft und Ernährung aus den übersee­ Neigung, in einer neuen Partei aufzugehen. Vielmehr blik oder Monarchie?“, lautete eine der aufgeworfenen ischen Ländern, vor allem aus den Vereinigten Staaten waren die Fliehkräfte stärker als die Anziehungskräfte. Zum 30. Jahrestag von Stegerwalds Rede gab es Fragen. Der linke und rechte Flügel kämpften um den für lange Zeit entzogen bleiben. Haben wir eine starke So entwickelten sich die Parteien der Mitte immer wei­ einen großen Kongress der Christlich-Demokratischen Einfluss auf die Gesamtpartei. Vertreterinnen und Ver­ Volkspartei mit dem beschriebenen Gedankeninhalt, ter auseinander, als sich aufeinander zuzubewegen. Arbeitnehmerschaft (CDA). Stegerwald hatte am Ende treter der im DGB zusammengeschlossenen Gewerk­ so steht in sicherer Aussicht, daß sich uns auch Ver­ seiner Rede das Parteikonzept in vier Worten zusam­ schaften gehörten mehreren Fraktionen des Reichs­ bindungen und Beziehungen sowie politische Unter­ Auf dem 11. Kongress der Christlichen Gewerkschaften mengefasst: deutsch, christlich, demokratisch, sozial. tags an. Sie verteilten sich im Wesentlichen auf die stützungen wertvollster Art aus den Ländern bieten Deutschlands vom 17. bis 20. April 1926 in Dortmund Seine Nachfolger knüpften an diese Charakterisierung nationalliberale Deutsche Volkspartei (DVP), die Deut­ werden.“ führte Adam Stegerwald vor allem äußere Umstände 1950 an, drehten die ersten beiden Worte jedoch um sche Zentrumspartei, die Bayerische Volkspartei (BVP) für das Scheitern seines Projekts an, so etwa die wach­ und fügten ein fünftes hinten an: christlich, deutsch, sowie die Deutschnationale Volkspartei (DNVP). Somit Die Rede wurde an vielen Stellen beklatscht und das sende Polarisierung der verschiedenen Parteien, die demokratisch, sozial, europäisch. Mit diesen wenigen war die Darstellung des Konzepts auf einem Gewerk­ Auditorium scheute auch vor „Bravo“-Rufen nicht Vertiefung konfessioneller Gegensätze oder Ereignisse Worten wurde verdeutlicht, was nach Meinung der schaftskongress einleuchtend, denn ein Zusammen­ zurück, wie das Protokoll verzeichnet. Aber diskussi­ wie die Ruhrbesetzung und die Abtrennung Oberschle­ CDA die Volkspartei CDU ausmacht, woher sie kommt, schluss bzw. eine Einigung auf eine gemeinsame Partei onsfreudig waren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer siens. Doch auch bei ihm selbst trat das Interesse an was sie will und wohin sie strebt. Vor dem Hintergrund hätte die Position des DGB gegenüber dem vor allem nach der Rede nicht. Einstimmig wurde ein Geschäfts­ dem Vorhaben immer mehr in den Hintergrund. der heutigen Debatten fällt auf, dass zwei Begriffe der Sozialdemokratie nahestehenden Allgemeinen ordnungsantrag angenommen, keine Debatte zu der fehlen: weder konservativ noch liberal gehörte zum Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) gestärkt. Rede zu führen. Dafür wurde der Beitrag – wie Rudolf Die politische Mitte blieb somit so zersplittert, wie sie Wortschatz, mit dem Stegerwald und seine Erben in Morsey beschreibt – in der Öffentlichkeit und in den es seit der Reichsgründung immer gewesen war, vor der CDA ihre Idee einer Volkspartei beschrieben. Aber Adam Stegerwald war nicht allein. Der langjährige Gremien des Zentrums umso intensiver diskutiert. allem gespalten in verschiedene protestantisch oder mehrfach betonten sie, in einer neuen Partei die Mitte Reichsarbeitsminister vom Zentrum Außerhalb dieser Bezugsräume wurde die Rede ver­ bürgerlich geprägte Parteien auf der einen und das der Gesellschaft zusammenführen zu wollen. Die Ver­ stand an seiner Seite. Vielleicht war Brauns sogar der schwiegen. So berichtete der ADGB zwar über den breitgefächerte katholische Zentrum auf der anderen treter der CDA nahmen also nicht die Ränder rechts und links der Mitte in den Blick. Vielmehr nahmen sie Erinnerungskultur innerhalb der CDU sein. Auch der Was noch zu sagen bleibt in Kauf, dass es diese Ränder gab. Doch nicht die Rän­ dreißig Jahre nach der Rede abgehaltene Erinnerungs­ der sollen die bestimmenden Faktoren sein, an denen kongress 1950 wurde nicht von der CDU, sondern von Geschichte wiederholt sich nicht. Doch vergleicht sich die Politik ausrichtet. Gleichzeitig skizzierte der der CDA verantwortet. man Debatten der 1920er Jahre um die Ausrichtung Kongress, wohin die christlich-demokratischen Arbeit­ des Zentrums mit aktuellen Diskussionen um die Aus­ nehmerinnen und Arbeitnehmer politisch strebten: richtung der CDU, kann man zumindest Ähnlichkeiten zur Einheit Deutschlands in einem vereinten Europa feststellen. Anscheinend hallen in heutigen Debatten mit einer mitbestimmten Wirtschaft und ausreichen­ um die Ausrichtung der CDU die damaligen Diskussio­ der sozialer Sicherheit. nen nach. Obwohl das Zentrum keine Volkspartei im heutigen Sinne war, so ging es einigen wenigen auch Die wissenschaftliche Aufbereitung der Ereignisse vor damals schon um die Frage, wie konservativ die Partei und nach Stegerwalds Rede hat in den 1960er Jahren sein müsse. Rudolf Morsey begonnen. Seiner umfassenden Arbeit folgten Aufsätze verschiedener Autoren, die das Ereig­ Bis 1933 gelang es nicht, eine große überkonfessio­ nis, seine Hintergründe und Ergebnisse thematisierten. nelle und alle Bevölkerungsgruppen ansprechende Volkspartei zu bilden, die der heutigen CDU ent­ Doch würde heute noch jemand Adam Stegerwald sprochen hätte. Deutschland musste erst die men­ oder Heinrich Brauns oder Theodor Brauer oder schenverachtende Politik des Nationalsozialismus 24 25 Heinrich Brüning mit dem Konzept der Volkspar­ erleben, bevor weitsichtige Frauen und Männer die tei verbinden? Beginnt für viele nicht erst mit der Ansätze der 1920er Jahre zum Erfolg führten. Mittler­ Befreiung durch die Alliierten die Parteigeschichte weile kann die CDU auf eine siebzig Jahre währende der CDU? In der Erinnerungskultur der CDU ver­ Geschichte zurückblicken. Stegerwalds Vermächtnis blasste die Erinnerung an Essen und die Wurzeln der hat sich erfüllt. Literatur Volkspartei gerieten immer mehr in Vergessenheit. Die Geschichte der inhaltlichen Entwicklung und Forster, Bernhard: Ein christlich-nationaler Politiker zwischen ­Auseinandersetzungen wurde auf Dokumente und Sammlung und Abgrenzung: Adam Stegerwald und die große Koalition Ereignisse nach dem Zweiten Weltkrieg fokussiert. in den Anfangsjahren der Weimarer Republik, in: Historisch-Politische Mitteilungen 10 (2003), S. 43–73 (https://www.kas.de/c/document_lib­ Die aus den Schwesterparteien CDU und CSU rary/get_file?uuid=91f5667e-f43e-e80e-d80d-79359dd6de83&grou­ bestehende Union hat keine bruchlose Geschichte. pId=252038 (Abruf: 29.01.2020)). Anders als die Sozialdemokratie geht die CDU auf verschiedene Parteien zurück, die mal miteinander Jones, Larry Eugene: Adam Stegerwald und die Krise des deutschen und mal gegeneinander um politische Mehrheiten im Parteiensystems. Ein Beitrag zur Deutung des „Essener Programms“ Kaiserreich und in der Weimarer Republik kämpften. vom November 1920, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 27/1 Diese Parteien – die DVP, DDP, DNVP, BVP und das Adam Stegerwald veröffentlichte (1979), S. 1–29. Zentrum – sind Vorläufer der heutigen Union. Auch das Essener Programm unter dem dies dürfte eine Ursache für die gering ausgeprägte Titel „Deutsche Lebensfragen“. Morsey, Rudolf: Die Deutsche Zentrumspartei 1917–1923. Düsseldorf 1966. Konrad Adenauer hielt 1922 als Präsident des Katho- Adenauer nahm das Amt des Katholikentagspräsiden­ likentags in München die Eröffnungs- und Schluss- ten an und begab sich bereits einige Tage vor Beginn ansprache. In Auseinandersetzung mit Kardinal von der Veranstaltung nach München – ein Ausweis der Faulhaber sprach er sich öffentlichkeitswirksam hohen Bedeutung, die der viel beschäftigte Politiker für die Unterstützung der demokratischen Weima- der Veranstaltung beimaß. Als Adenauer in München rer Republik durch das Zentrum aus. Der spätere auf den 1921 in den Kardinalsstand erhobenen und CDU-Parteivorsitzende und Bundeskanzler legte sieben Jahre älteren Michael von Faulhaber traf, hatte hier als aufstrebender Politiker ein für die Program- dieser soeben die Höhe seiner geistlichen Laufbahn matik der Christlichen Demokratie wegweisendes erreicht: Der Bäckerssohn aus Heidenfeld war 1892 Bekenntnis zur Einheit der Republik auf der Grund- zum Priester geweiht und anschließend in Theologie lage einer demokratischen Verfassung und zu einer promoviert und habilitiert worden; auf Vorschlag des Politik aus christlichem Geist ab – gegen den Wider- bayerischen Kultusministers wurde er Bischof von stand von Teilen der Geistlichkeit und mächtige Speyer und von Prinzregent Ludwig III. 1913 in den monarchistische Strömungen des Zeitgeists. „Zum Adelsstand erhoben – seiner Anhänglichkeit an die ersten Male hat der Präsident einer Katholikenver- Monarchie war dieser Umstand sicher nicht abträglich. München sammlung sich erlaubt, der höchsten kirchlichen Ortsautorität eine Rüge zu erteilen“, resümierte die Im Unterschied zu dem Kaleidoskop heutiger Katho­ Schlesische Zeitung am 10. September 1922 den likentage waren diese im 19. und frühen 20. Jahrhun­ Königsplatz 27 Münchener Katholikentag. dert durchaus gezielt politische Veranstaltungen vor Coburg einem religiös definierten Sinnhorizont und Momente 1922 politisch-programmatischer Richtungsentscheidungen Main für das Zentrum, das sich als Honoratiorenpartei auch Der junge Konrad Adenauer Würzburg Ausgangslage bei seiner organisatorischen Arbeit katholischer Ver­ bände bediente. Geplant war dieser Katholikentag – so Hans Rauch, Nürnberg rebelliert für die Demokratie Stadtoberbaurat und Vorsitzender des Zentralkomi­ tees in München, in seiner Anfrage an Adenauer – und gegen die Geistlichkeit „nach schwerer Kriegszeit im alten großen Rahmen“ Geplante und ungeplante und als Demonstration der Einigkeit der deutschen Symbolik des Königsplatzes Katholiken. Erst nach mehrmonatigen Beratungen des Rita Anna Tüpper Donau Zentralkomitees über die Wahl des Präsidenten war Im Anschluss an die vorhergegangenen Katholiken­ der Name des Oberbürgermeisters von Köln, Konrad tage 1913 in Metz und – nach kriegsbedingter acht­ Bayern Adenauer, als der eines Kompromisskandidaten ins jähriger Unterbrechung – 1921 in Frankfurt am Main

3 Inn Gespräch gekommen. 1906 war dieser als Dreißig­ stellte Bayern mit dem Königsplatz in München vom München jähriger der katholischen Zentrumspartei beigetreten 27. bis 30. August 1922 ein repräsentatives Ambiente und seit 1917 als Oberbürgermeister tätig. 1921 war er bereit: Mit Propyläen, Glyptothek und staatlichen Präsident des Preußischen Staatsrats und einer breite­ Antikensammlungen folgt die Architektur des Plat­ Wildbad Kreuth ren Öffentlichkeit bekannt geworden. zes dem Stil der klassischen griechischen Baukunst. Obwohl das Gebäude auf monarchische Initiative eine scharfe politische Note in den eigentlich auf Glau­ und nicht zuletzt als Ausdruck der Verbundenheit des bensfragen konzentrierten Katholikentag gebracht. In bayerischen und griechischen Königreichs errichtet der Tat hatte dieser nicht nur der Revolution von 1918, wurde, hat es bereits vor Adenauers Apologie der jun­ sondern auch der neuen und ersten wirksam gewor­ gen Demokratie einen latenten – vom Erbauer wohl denen demokratischen Verfassung auf deutschem unbeabsichtigten – Bezug zur Demokratie: Die antiken Boden die Legitimität abgesprochen, die Gründung der Vorläufer dieser Staatsform sind als eine Errungen­ Republik zu einer Art von Eidbruch erklärt und einer schaft griechischer Provenienz mit den von Ludwig I. Restituierung der Monarchie das Wort geredet. Die bewunderten künstlerischen Kulturleistungen der Predigt vor der Eröffnungsmesse, die Nuntius Eugenio attischen Demokratie nolens volens konnotiert. Pacelli (der spätere Papst Pius XII.) zelebrierte, hatte Faulhaber genutzt, um Öl in das Feuer bajuwarischer Die Propyläen widmen sich zudem ausdrücklich dem Emotionen zu gießen, die sich am Verlust der Selbst­ griechischen Freiheitskampf zwischen 1821 und 1829, ständigkeit Bayerns entzündeten und in der Demo­ in dessen Folge Ludwigs Sohn Otto von den Großmäch­ kratie antichristliche Kräfte am Werk sahen. Anders als ten zum griechischen König gemacht wurde; er ist das im damals besetzten Rheinland war in Bayern für viele Thema des Giebelreliefs, Gedenktafeln im Inneren ver­ die Treue zum katholischen Glauben nicht ohne Treue zeichnen Namen griechischer Freiheitskämpfer; aber zum König vorstellbar. Von der reichsweiten Zentrums­ gerade demokratisch gesinnte Eliten hatten den Kampf partei hatte sich die Bayerische Volkspartei bereits im 28 29 um die Unabhängigkeit Griechenlands nach jahrhun­ November 1918 aus einem monarchistischen und stark dertelanger osmanischer Besatzung etwa durch Spen­ föderalistischen Impuls heraus abgespalten. den unterstützt, nicht zuletzt um ihre antimonarchisti­ sche Gesinnung kundzutun. Faulhaber vertrat also im Zeitkontext keineswegs eine besonders reaktionäre Position, sondern ent­ sprach der antirevolutionären Tradition einer Kirche, 62. Katholikentag auf dem Königsplatz in München, August 1922. die sich in einem grundsätzlichen Sinne als Bewahrerin verstand. Ein erheblicher Teil des katholischen Klerus Antidemokratische Stimmung, fühlte sich dem Bündnis von „Thron und Altar“ nach monarchistische Tradition und wie vor verbunden. Dabei hatte der deutsche Katholi­ Als der bayerische König Ludwig I. (1786–1868) ihn in Mainz) und 1862 unter Maximilian II. umgesetzt separatistische Umtriebe zismus den Umbruch von 1918/19 und den Abschied ausbauen ließ, sollte er das Vorbild der Akropolis von und im Westen mit der Errichtung der Propyläen von einem Kaiserreich, das Katholiken etwa in öffent­ Athen aufgreifen und die Anmutung eines Tempel­ vollendet, die u. a. im August 1922 als Rednertribüne So sprach Adenauer am 27. und 30. August an einem lichen Ämtern diskriminierte, im Großen und Ganzen bergs erzeugen. Nach Ludwigs städtebaulichen Maß­ genutzt wurden. von einer unfreiwilligen Symbolik der Selbstbestim­ besser verkraftet als die evangelischen Christen. Die gaben korrespondierten hier – eingebettet in Grün – mung des Demos eingefassten Ort zu den vor allem Identifikation der Bayern mit dem Deutschen Reich tempelartige Bauten der Kultur, Religion, Verwaltung Der Bau orientiert sich am Torbau der Athener Akro­ bayerischen Besuchern des 62. Katholikentags. Diese der Jahre 1871 bis 1918 war nicht zuletzt aufgrund und des Militärs miteinander und fassten eine eigen­ polis, dem Propylon. Die Propyläen unterstreichen aber waren im vierten Jahr der Weimarer Republik von der hier unbeliebten kleindeutschen Lösung ohnehin ständige, nicht von Straßenkreuzen durchzogene die architektonische Grundidee einer idealistischen einer Woge antidemokratischer Stimmung erfasst und schwach ausgeprägt, sodass das bayerische Selbstge­ Fläche ein. Die Ausführung der Gesamtanlage wurde Rezeption der griechischen Antike ohne vorrangige jubelten dem fulminanten Redner Kardinal von Faul­ fühl in den 1920er Jahren noch stark von der Verbin­ zwischen 1848 (dem Jahr des ersten Katholikentags Sachzwecke oder simple Herrschaftsinszenierung. haber zu. Faulhaber habe, so Adenauer im Nachgang, dung zur Wittelsbacher Königsfamilie genährt wurde; viele Bayern betrachteten weder das Kaiserreich noch Weltkrieg zudem in allen Ausrichtungen des politischen Kardinal Michael von die Republik als ihren Bezugsrahmen. Spektrums; potenzierende Wechselwirkungen mit ähn­ Faulhaber auf dem lichen Tendenzen in anderen Teilen des Reichs droh­ 62. Katholikentag in Die Selbstverständlichkeit der aristokratischen Tra­ ten, den Fortbestand des deutschen Nationalstaats zu München. dition und der Privilegien der Monarchie des Hauses unterminieren. Wittelsbach zeigten sich 1922 in München sehr kon­ kret in der exklusiven Bestuhlung mit roten Sesseln, Mehrfach bezog Adenauer in seinen Ansprachen die auf denen der Präsident Adenauer nichtsahnend Platz Einheit der deutschen Katholiken auf die Einheit des genommen hatte und die er nach der an ihn gerichte­ nun demokratischen Vaterlands und stellte heraus, ten Frage, ob er „Hoheit“ sei, wieder verlassen musste. wie sehr sich beide wechselseitig bedingten. Dies Während Teilen der Bevölkerung in Bayern die Ein­ hinderte ihn jedoch nicht, gemeinsam mit dem Bankier bindung in die Republik widerstrebte und Wünsche Louis Hagen eine verwaltungstechnische Trennung des nach einem „Süddeutschen Reich“ (zusammen mit Rheinlands von Preußen zu erwägen. Er befürchtete Österreich) laut wurden, litt das Rheinland unter der wohl eine „Versackung“, d. h. ein stillschweigendes Besatzung der Siegermächte und fürchtete mehr­ Sich-selbst-Überlassen des Rheinlands mit der Folge heitlich um die Einheit der Republik. Bei ihrem Zerfall einer Übernahme durch Frankreich. Die getrennte Ver­ hätte Frankreich seinen Schuldner verloren; eine end­ waltung sollte keineswegs eine Vorstufe weiterer Sepa­ gültige Einverleibung des Rheinlands wäre dann als rierungen sein, sondern im Gegenteil als Mittel zur 30 31 Reparationsersatz unabwendbar geworden. Wahrung der Einheit dienen. So mahnte er die Katho­ liken in München, sich nicht ihren Gefühlen und ihrer Vor diesem Hintergrund waren Adenauers demokrati­ Anhänglichkeit an Vergangenes hinzugeben, sondern sche Apelle auch Dokumente politisch-pragmatischer den politischen Realitäten ins Auge zu sehen, sie zu Klugheit – nicht allein im Hinblick auf eine konstruktive akzeptieren und an ihnen mitzuwirken, um nicht einer Rheinlandpolitik, sondern auch auf die von ihm nun unheilvollen Entwicklung Vorschub zu leisten. Deren rhetorisch heftig geforderte Verantwortung für den Drahtzieher erblickt er in extremistischen, kommunisti­ „Alles muß doch neu aufgebaut werden“ Vertrauten) Adolf Donders in geheimen Vorabsprachen Bestand der Republik als Ganze. schen, Bayern betreffend aber vor allem rechtsgerich­ leicht abgemilderte Antwort auf Faulhabers Äußerun­ teten Kreisen, die die Emotionalität vieler Bayern für Deutlich wird aber in Adenauers Auseinandersetzung gen und liegt lediglich in mehreren Manuskriptent­ Die Existenz der Weimarer Republik war nicht nur ihre destruktiven Zwecke zu nutzen suchten. mit den brennenden Fragen des Jahrs 1922 nicht nur würfen vor. Die Eröffnungsansprache des Katholiken­ durch Inflation und antidemokratische Kräfte, sondern die Vehemenz des realpolitischen Impulses und die tagspräsidenten aber folgte einem durchkonzipierten vor allem auch durch separatistische Bewegungen Adenauers Reden nehmen in den Passagen zu diesem ­instinktive Antizipation der innenpolitischen Gefah­ und ausformulierten Manuskript. Inhaltlich zeugte sie gefährdet. Auch im Rheinland hatte sich mit der Christ­ Thema beschwörenden Charakter an. Wie bitterernst ren der kommenden Jahrzehnte; seine ambitionierte von einer großen Empathie mit den hungernden und lichen Volkspartei (CVP) eine Gruppierung vom Zent­ ihm seine Warnungen waren, wird mit der nach Akten­ programmatische Position zielte darauf, die Politik des verzweifelten Menschen vor allem in den Großstädten rum abgespalten. Sie strebte eine Rheinische Republik lage sehr wahrscheinlichen Annahme deutlich, dass Zentrums im Sinne Heinrich Brauns (Reichsarbeitsmi­ wenige Jahre nach Kriegsende; Adenauer stellte den an, beantwortete jedoch die Frage nach den Konditio­ er im Nachgang des Katholikentags den Heiligen Stuhl nister 1920–1928) für evangelische Christen zu öffnen Begriff der Barmherzigkeit in den Mittelpunkt und trug nen eines möglichen Zusammenhalts mit dem Natio­ über seine Überlegungen und Sorgen informierte, und auf eine bedingte Zusammenarbeit mit sozial­ so der sozialpolitischen Achillesferse der jungen, unter nalstaat in sich kontrovers. Unabhängigkeitsbestrebun­ um ein weiteres Auseinanderdriften der deutschen demokratischen Kräften vorzubereiten. Die Schluss­ den Reparationszahlungen des Versailler Vertrags gen unterschiedlichster Intensität und föderaler oder Katholiken zu verhindern und Faulhaber in politischen ansprache war eine direkte, vermutlich sogar vom schwer leidenden Republik Rechnung. separatistischer Ausprägung gab es nach dem Ersten Fragen zum Schweigen zu bringen. Prälaten (und sowohl Faulhaber- als auch Adenauer- Ausführlich und deutlich äußerte er sich zu weltan­ nicht etwa die vielfach behauptete Nichtigkeit christ­ schaulichen Fragen: „Was wir erleben, ist […] die Göt­ licher Ideale – im Gegenteil sei der „Zusammenbruch terdämmerung der materialistischen Weltauffassung“, Europas ein nicht zu widerlegender Beweis für die die in den vorausgegangenen 50 Jahren zu einer Aus­ unerschütterliche Richtigkeit christlicher Grundsätze. breitung nicht christlicher Grundsätze und zu einem […] [A]lles muß doch neu aufgebaut werden“. Bei Verlust des Sinns für das Geistige geführt hätte. Diese dieser grundlegenden Aufbauarbeit könne „die Ver­ Entwicklung habe den Krieg erst hervorgebracht und tretung der katholischen Ideale gar nicht breit und ein­ heitlich genug sein.“ Adenauer empfand eine Gefahr, die „jederzeit für uns vernichtende Situationen schaf­ fen kann“, und sah einen einzigen politisch wirksamen Weg der Rettung: eine breite, zugleich demokratische und (interkonfessionelle) christliche Bewegung, wie sie sich in den Richtlinien der Zentrumspartei von 1922 manifestiert. In ihnen hatten sich u. a. die 1920 bereits in Essen vorgestellten interkonfessionellen Impulse Adam Stegerwalds niedergeschlagen, die im vorliegen­ den Band von Egbert Biermann erörtert werden. 32 33 Der 62. Katholikentag in München.

Drohende Gefahren gebieten die Einheit

In sein Ceterum censeo der Aufforderung zum einheit­ Er skizzierte ein weit gefasstes christliches Engage­ unterschätzende Gefahr für die Aktionsfähigkeit der lichen, konstruktiven Mitwirken schloss Adenauer die ment, das die religiöse Überzeugung karitativ und deutschen Katholiken, für ihre Aktionsfähigkeit, die anderen christlichen Konfessionen ausdrücklich ein politisch manifestiert. Immer wieder warnte er – sie bei der Verteidigung ihrer religiösen Grundsätze und übte Selbstkritik an einer bisher zu starken Fokus­ auch mit Blick auf die Minderheitenposition der nur jetzt mehr denn je nötig haben werden.“ sierung auf katholische Positionen. Er versuchte damit, etwa ein Drittel der Bevölkerung stellenden Katholi­ auf eine demokratieförderliche, auf Abstimmung ken – vor dem gigantischen Ausmaß der drohenden Adenauer war in München ein „Überzeugungstäter“ und Kompromiss beruhende Arbeits- und Denkweise Gefahren, die interne Abgrenzungsdebatten verbö­ in wenig wohlgesonnenem Umfeld, erntete nur spärli­ einzustimmen. Selbst mit einigen Sozialisten sei ein ten. Der 1922 historisch bereits entschiedene Anta­ chen Beifall und widerstand pressewirksam der monar­ gemeinsames pragmatisches Engagement möglich. gonismus von Monarchie und Demokratie gefährdete chistisch-antirepublikanischen Aktion, die den Katho­ Auch sollten die internationalen Beziehungen der in seinen Augen als Meinungsstreit unter Katholiken likentag als Auftakt zu Demonstrationen ihrer Stärke Katholiken stärker gepflegt und ausgebaut werden, die Konzentration auf deren wesentliche Zukunftsauf­ instrumentalisieren wollte. Seine konfliktträchtigen, um auf ein Verhältnis der Völker zueinander einwirken gabe: die Abwendung sich abzeichnender politischer, aber wegweisenden Reden zeichneten die sozialen, zu können, das christlichen Grundsätzen entspreche. ideologischer und humanitärer Katastrophen. So hieß wertkonservativen und konstitutionellen Grundsätze es pointiert in der Schlussansprache: „Ich erblicke in der christlichen Demokratiebewegung vor, wie sie erst Diese Grundsätze wie das Gebot aktiver Nächsten­ dieser Verschiedenheit [Hinwendung zur Monarchie nach dem Zweiten Weltkrieg zur Entfaltung kommen liebe müssten, so Adenauer, im Kleinen, „aber auch versus Befürwortung der Demokratie] eine nicht zu sollten. Konrad Adenauer 1924. in öffentlichen Dingen wieder maßgebend werden“. Selbst demokratisch gesonnene Zeitgenossen bau der NSDAP umgestaltet; sämtliches Grün wurde beschrieben Adenauers offene Zuspitzung seines entfernt und die Fläche mit Granitplatten aus allen Tei­ Standpunkts gegenüber Faulhaber als eine protokol­ len des Reichs gepflastert. Die historischen Bauwerke larische Grenzüberschreitung, denn er hatte (auch wurden den wuchtigen, das „Führerprinzip“ monu­ laut „B-Version“ seines Redemanuskripts) in seiner mental demonstrierenden Neubauten untergeordnet Schlussansprache an den Kardinal gewandt gesagt: und die Blickachse des Platzes um 180 Grad gedreht. „Es verrät Mangel an historischem Blick, die heutige Verfassung verantwortlich zu machen für die heuti­ Der Königsplatz in München ist – schon seinem Namen gen Zustände. Es verrät Mangel an historischem Blick, nach – ein ambivalenter Erinnerungsort der Christlichen sie verantwortlich zu machen für die Kämpfe, die uns Demokratie. Die Vergegenwärtigung der Ereignisse des Katholiken bevorstehen.“ Und wäre die Monarchie, so 62. Katholikentags lässt Empathie, Zukunftsorientie­ Adenauer weiter, nicht „morsch und lebensschwach rung und Zivilcourage als Voraussetzungen erkennen, Literatur gewesen“, so hätte sie den Sturm der Revolution ein demokratisches Staatswesen zu gestalten und zu überdauert. Bei diesen Worten habe Faulhaber, so bewahren; zugleich steht dieser Ort für seine Bedro­ Lingen, Markus: Heinrich Brauns (1868–1939) – Reichsarbeits­ Augenzeugen, die Versammlung abrupt verlassen hung durch reaktionäre Kräfte. Erst 1987/88 wurde der ministerium und Sozialpolitik in der Weimarer Republik, in: Histo­ wollen, fand aber seinen Hut nicht. Durch die Suche Platz annähernd in seinen ursprünglichen architekto­ risch-Politische Mitteilungen 19 (2012), S. 77–108 (https://www. nach der Kopfbedeckung entstand eine Verzögerung, nischen Zustand zurückversetzt. Spät, aber effektiv hat kas.de/c/document_library/get_file?uuid=d6c79190-b482-bf6d- die Adenauer clever nutzte: Er bat den Kardinal um sich damit seine demokratische Prägung durchgesetzt, 8149-68cd17f7ddc7&groupId=252038 (Abruf: 29.01.2020)). 34 35 den Schlusssegen – eine Bitte, der sich Faulhaber die symbolisch unterschwellig bereits in der Architektur nicht entziehen konnte und die einen offenen Eklat des 19. Jahrhunderts vorhanden gewesen war, aber Morsey, Rudolf/Konrad Löw/Peter Eisenmann: Konrad Adenauer. verhinderte. Dennoch nahm die damals skandalöse erst durch Adenauers Aufrufe manifest wurde. Leben und Werk (Zeitfragen 6). 2. Aufl. München 1977. Behauptung inkompetenter Urteilsbildung gegen­ über dem ranghöchsten deutschen Geistlichen des Heute ist der Königsplatz ein Ort, der an das Ringen Richtlinien der Zentrumspartei von 1922 (https://www.1000doku­ Katholikentags in der Presse der folgenden Wochen um die Demokratie, aber auch an ihre katastrophale mente.de/pdf/dok_0005_zen_de.pdf (Abruf: 29.01.2020)) breiten Raum ein. Gefährdung erinnert. Adenauer hat die Prinzipien christlicher Politik hier 1922 in demokratischen Grund Stehkämper, Hugo: Konrad Adenauer als Katholikentagspräsident „eingepflanzt“, die neue Programmatik einer „christ­ 1922 (Adenauer Studien Bd. IV). Hg. von Rudolf Morsey und Konrad lichen Volkspartei“ (Richtlinien der Zentrumspartei Repgen. Mainz 1977. Ambivalenter Erinnerungsort 1922) als Ausweg aus den Dilemmata der Weimarer Republik vorgetragen und ins öffentliche Bewusstsein Tischner, Wolfgang: Nicht nur Ja und Amen. Adenauer und die Wie die programmatischen Linien seiner Rede visio­ gehoben. Der Königsplatz symbolisiert daher nichts Kirchen, in: Die Politische Meinung, Sonderausgabe 3 (Juni 2015), när, so waren Adenauers Warnungen im Hinblick auf weniger als die Zukunftsfähigkeit der Christlichen S. 80–84. die politischen, aber auch ideologisch-ästhetischen Demokratie, wenn auch als paradoxer und neuralgi­ Ausformungen des Nationalsozialismus weitsichtig: scher Punkt innerhalb der ersten, besonders verletz­ Tischner, Wolfgang: Von der „Heerschau des katholischen Nach der Machtergreifung Hitlers wurde München zur lichen Phase ihrer Genese. Deutschland“ zur „Kirche in der Welt“ – die Katholikentage von 1848 „Hauptstadt der Bewegung“ und der Königsplatz (nun bis 2016 im Kontext der Stellung des Katholizismus in der deutschen „Königlicher Platz“) durch Ehrentempel für die Toten Gesellschaft, in: Karlis Abmeier/Petra Bahr (Hg.): Katholizismus – des Hitler-Putschs (1923), Führerbau und Verwaltungs­ Eine politische Kraft. Sankt Augustin/Berlin 2016, S. 13–27. Das gescheiterte Attentat auf vom richten zwischen den Angehörigen ermöglichte und 20. Juli 1944 stellte einen Höhepunkt des Widerstands Nahrung, Kleidung, Hostien und Wein sowie Mittel zur gegen den Nationalsozialismus dar. Die darauffol- Bestechung der Wachleute einschmuggelte. Die Ver­ gende Verhaftungswelle traf nicht nur den engsten wandten der Häftlinge kämpften mit allen Mitteln für Kreis um Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg, einen Aufschub des Prozesses beziehungsweise des sondern auch zahlreiche Mitglieder anderer Wider- Urteils in der Hoffnung, dass sich das Schicksal ange­ standsgruppen, die mit den Verschwörern in Kontakt sichts der nahenden Front der Alliierten noch wenden gestanden hatten. Viele der Inhaftierten wurden über würde. verschiedene Stationen letztlich für Haft, Prozess und Urteilsvollstreckung nach Berlin gebracht. Als am 20. April 1945 die ersten russischen Granaten in der Nähe des Gefängnisses einschlugen, wurde die „Sonderabteilung 20. Juli 1944“ aufgelöst und der Jus­ tizverwaltung übergeben. Noch am 22. und 23. April Die „Sonderabteilung 20. Juli 1944“ wurden 15 Häftlinge ermordet. Die übrigen Gefan­ genen wurden schließlich am 25. April freigelassen. Berlin Eine zentrale Bedeutung kam dabei dem Zellengefäng­ Erst 1990 wurde an der Stelle des 1958 abgerissenen nis Lehrter Straße 3 in Berlin-Moabit zu. Das Gefäng­ Gebäudes ein Gedenkstein für das Zellengefängnis nis war Mitte des 19. Jahrhunderts als sternförmige und die Opfer der Mordaktion vom 22./23. April 1945 Zellengefängnis Lehrter Straße 37 Anlage nach dem Vorbild von Pentonville bei London errichtet. Nach jahrzehntelanger Diskussion entstand entstanden, in dem die Gefangenen in vier Gebäude­ 2006 schließlich der „Geschichtspark Ehemaliges Zel­ 1944 flügeln in strenger Einzelhaft isoliert wurden. Nach lengefängnis Moabit“. dem Attentat vom 20. Juli 1944 übernahm die „Sonder­ Widerstand gegen den Oder kommission 20. Juli“ des Reichssicherheitshauptamts Brandenburg die Gefängnisflügel B und D. In der „Sonderabteilung Nationalsozialismus 20. Juli 1944“ befanden sich in den folgenden Monaten Christliche Demokraten 4 mindestens 541 Gefangene in Untersuchungs- oder im Zellengefängnis „Schutzhaft“. Die zu Haftstrafen Verurteilten warteten Berlin als Wurzel der Christlich Potsdam dort, bis sie in eine Strafanstalt überstellt wurden; die Unter den Inhaftierten in der „Sonderabteilung zum Tode Verurteilten wurden in der Regel von Moabit 20. Juli 1944“ befanden sich auch einige Christliche Demokratischen Union nach Plötzensee gebracht und dort ermordet. Demokraten, die nach dem Krieg die CDU mitbegrün­ deten. Viele waren bereits vor der Haft miteinander in Die Lebensbedingungen im Gefängnis waren mise­ Berührung gekommen, entweder durch ihr Engage­ Judith Michel rabel – die Häftlinge hatten unter anhaltender Fes­ ment in der Politik, den Gewerkschaften bzw. den Ver­ selung, Schikanen, Wanzen, Dreck, Kälte, Lärm und bänden in der Weimarer Zeit oder durch ihre Wider­ hell erleuchteten Zellen in der Nacht zu leiden. Etwas standstätigkeit gegen das NS-Regime. Die meisten erträglicher wurden die Haftbedingungen durch ein waren bald nach der Machtübernahme der National­ informelles Netzwerk von außen, das den Häftlingen sozialisten in Konflikt mit dem neuen Regime geraten Anwälte vermittelte, den Austausch geheimer Nach­ und verloren bereits 1933/34 ihre Ämter, manche verbrachten schon zu dieser Zeit einige Wochen bzw. dem es gelungen war, verschiedene zivile Wider­ Geschichtspark auf dem Gelände Monate in Haft. Hier soll exemplarisch auf drei der im standsgruppen zu bündeln. Im Oktober 1944 wurde des ehemaligen Zellengefängnisses Zellengefängnis inhaftierten Unionsgründer eingegan­ Albers verhaftet und im SS-Untersuchungsgefängnis Lehrter Straße. gen werden. des KZ Ravensbrück gefoltert. Die folgenden Monate verbrachte er im Zellengefängnis. Erst im April 1945 war in der Weimarer Republik als wurde er vom Volksgerichtshof zu drei Jahren Gefäng­ Zentrumspolitiker in Köln aktiv gewesen und hatte nis als Mitwisser verurteilt und in das Zuchthaus Plöt­ mit in den Christlichen Gewerkschaf­ zensee überstellt, wo er kurz darauf befreit wurde. ten zusammengearbeitet. 1933 wurde er von den Nationalsozialisten als Direktor des städtischen Ver­ Mit dem Kölner Widerstandskreis arbeitete auch sicherungsamts entlassen und 1934 kurz inhaftiert, ­Andreas Hermes zusammen, der in der Weimarer woraufhin er sich dem Widerstandskreis im Kölner Republik Reichslandwirtschafts- und Reichsfinanz­ Kettelerhaus anschloss. Dieses katholisch-sozial minister sowie Mitglied der Zentrumsfraktion im orientierte Netzwerk plante zunächst, nach Überwin­ Reichstag gewesen war und zu den führenden Agrar­ dung der NS-Diktatur eine Einheitsgewerkschaft und politikern gezählt hatte. 1933 wurde Hermes wegen eine Partei nach dem Modell der britischen Labour angeblicher Korruption für fünf Monate verhaftet Party zu gründen, die christliche und sozialistische und hielt sich von 1936 bis 1939 im kolumbianischen Bereits am 22. Juli 1944 wurde Hermes verhaftet Der andere Überlebende ist Theodor Steltzer, der, Arbeiter vereinen sollte. Über Kaiser kam Albers mit Exil auf. Auch Hermes lernte über Kaiser Goerdeler und über mehrere Stationen in das Zellengefängnis dem norddeutschen Bildungsbürgertum entstam­ 38 39 den Verschwörern des 20. Juli 1944 und dem National­ kennen, der ihn dafür gewinnen wollte, nach erfolg­ gebracht. Da er am 11. Januar 1945 vom Volksge­ mend, von der Idee lutherischer Selbstverantwortung konservativen Carl Friedrich Goerdeler in Kontakt, tem Umsturz Landwirtschaftsminister zu werden. richtshof zum Tode verurteilt wurde, verbrachte er geprägt war. Sein Amt als Landrat im Kreis Rendsburg die letzten Kriegsmonate im Todestrakt. Neben den verlor Steltzer nach fast 13 Jahren im Frühjahr 1933, körperlichen Qualen der Haft litt er insbesondere kurz darauf wurde er für einige Monate inhaftiert. unter der psychischen Belastung, die er in einem 1940 wurde der zum Berufsoffizier ausgebildete Brief an seine Frau Anna vom 11. März 1945 wie Steltzer Mitglied des Generalstabs des Wehrmachts­ folgt schilderte: „Zu Beginn der vergangenen Woche befehlshabers Norwegen. Er beteiligte sich nun – wie wurden zwei Todeskandidaten abgeholt […]. Es ist die ebenfalls in Moabit inhaftierten Unionsgründer jedes Mal ein harter Schmerz, wenn man erleben Paulus van Husen und Hans Lukaschek – aktiv an den muss, wie aus der mittelbaren Nähe wackere Männer programmatischen Beratungen des Kreisauer Krei­ von Verbrechern in den Tod geschickt werden. […] ses. Nach der Erfahrung des Scheiterns der Weimarer Neben der Sorge um die Meinigen ist diese grausame Republik lehnten die Kreisauer eine parlamentarische Trennung von reinen, edlen Menschen die größte Demokratie mit einer starken Stellung der Parteien seelische Qual, die ich auszustehen habe.“ Hermes ab. Stattdessen favorisierten sie einen Staatsaufbau verdankte sein Überleben dem Gnadengesuch seiner von unten nach oben. Frau und wahrscheinlich einem Beamten im Justizmi­ Im Zellengefängnis Lehrter nisterium, der Hermes’ Akte bewusst zurückgehalten Nach dem gescheiterten Attentat wurde Steltzer Straße waren 1944/45 zahlreiche hatte. Am 25. April 1945 wurde er als einer von zwei dienstlich nach Berlin beordert, verhaftet und im spätere Gründungsmitglieder überlebenden Todeskandidaten des Zellengefängnis­ Zellen­gefängnis inhaftiert. Am 15. Januar 1945 der CDU inhaftiert. ses entlassen. ­verkündete der Volksgerichtshof sein Todesurteil, ­dessen Vollstreckung durch die Intervention skandi­ nellen Volkspartei entwickelten. Zudem dachten sie Cuno Raabe betonte rückblickend die Bedeutung navischer Freunde bei dem Reichsführer SS und Chef intensiv über die Neubegründung des Staatswesens der gemeinsamen Widerstands- und Hafterfahrung der Deutschen Polizei Heinrich Himmler aufgescho­ auf sittlich-christlicher und rechtsstaatlich-demokra­ für die Unionsgründung: „Als wir am 24. April [1945] ben wurde. Steltzer wurde zusammen mit Hermes tischer Grundlage nach dem Krieg nach. Dabei galt in einer Großzelle des untersten Stockwerkes mit am 25. April 1945 aus der Haft entlassen. es, die Fehler der Weimarer Republik zu vermeiden, 17 Häftlingen zusammen waren, neun Katholiken aus die Möglichkeiten für die Errichtung einer erneuten der Hand des Jesuitenpaters [Augustin] Rösch den Diktatur von rechts wie links zu verhindern und die Leib des Herrn empfingen und der evangelische Pfar­ Voraussetzungen für den Wiederaufbau des kriegs­ rer [Eberhard] Bethge den acht Evangelischen das Politisches Engagement nach dem Krieg zerstörten Lands zu schaffen. So hatte Otto Lenz in Brot des Herrn reichte, war in uns allen die Erkennt­ seinem Tagebuch am 11. Dezember 1944 in seiner nis, niemals mehr im politischen Leben aus konfes­ Unter vielen Widerstandskämpfern wuchs im Lauf Zelle in Moabit notiert, es sei nach dem Krieg richtig, sionellen Gründen gegeneinander zu sein, sondern der Zeit der Gedanke an die Ökumene. Vor diesem „zunächst eine Bewegung auf die Beine zu stellen, politischen Zusammenschluß in einer Gemeinschaft Hintergrund ist es zu verstehen, dass bereits in der die überkonfessionell, aber auf christlicher Grundlage der Konfessionen zu finden.“ Unter den Unterzeich­ Haft einige der späteren CDU-Gründer – im Zellen­ zusammengehalten, den Versuch machen müßte, nern des Berliner Gründungsaufrufs fand sich mit gefängnis Moabit und anderswo – konzeptionelle die eintretenden Notstände zu bekämpfen“. Andreas Hermes, Josef Ersing, Paulus van Husen, Überlegungen für die Gründung einer überkonfessio­ Otto Lenz, Hans Lukaschek, Theodor Steltzer und dem ehemaligen Mitglied der Bekennenden Kirche Paul Graf Yorck von Wartenburg schließlich eine 40 41 Reihe ehemaliger Häftlinge des Zellengefängnisses. Teile des Gründungsaufrufs gingen fast wörtlich auf Theodor Steltzer am 15. Januar 1945 programmatische Überlegungen zurück, die Her­ vor dem Volksgerichtshof. mes bereits in der Haft zu Papier gebracht hatte.

In den folgenden Monaten versuchte Hermes, die Berliner CDU zum Zentrum einer deutschlandweit agierenden Partei aufzubauen. Er entsandte daher seine beiden Mithäftlinge Ersing und Raabe nach Württemberg, Baden und Bayern bzw. Hessen und Unterfranken, um dort Vorbereitungen für die Bil­ dung von Unterorganisationen der CDU zu treffen. Letztlich scheiterte Hermes bei seinen Bemühun­ gen, einen deutschlandweiten Geltungsanspruch der Berliner CDU durchzusetzen. Zum einen wurde er in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) Opfer der sowjetischen Besatzungspolitik, zum anderen Andreas Hermes am konnte er sich nicht gegen die erstarkende rheinische 11. Januar 1945 vor dem CDU durchsetzen, in der der künftige Bundeskanzler Volksgerichtshof. Konrad Adenauer zunehmend an Einfluss gewann. Kreisauer Beratungen entwickelten Ansätze gegen sozialistischen Geist auszumerzen, jedoch die Inte­ häufiger aufgenommen, so z. B. von Bundeskanzler die westlichen Besatzungsmächte nicht durchsetzen gration „geläuterter Nationalsozialisten“ zu fördern, Helmut Kohl auf dem Bundesparteitag 1985 in Essen. konnte. führte zwangsläufig dazu, dass sich – wenn auch erst Die CDU würdigte den Widerstandskreis des 20. Juli verstärkt nach der Formierungsphase – nicht allein 1944 damit früher, als dies in der Gesamtbevölkerung Johannes Albers kehrte unmittelbar nach der Haft in ehemalige Oppositionelle und Widerstandskämpfer der Fall war. In der unmittelbaren Nachkriegszeit seine Heimat zurück und wurde zum Mitbegründer in ihren Reihen wiederfanden. galten die Verschwörer in der deutschen Bevölkerung der CDU in Köln. Obgleich er als Vater der Sozialaus­ vielfach noch als Vaterlandsverräter und es vergin­ schüsse gilt und in den folgenden Jahren in der CDU Nicht nur in der Gründungsphase, sondern ins­ gen Jahre, ehe sich das Gedenken an den 20. Juli als im Rheinland aktiv blieb, konnte er letztlich das christ­ besondere in der Folgezeit wurde die gemeinsame positiver Bezugspunkt im kulturellen Gedächtnis der lich-soziale Erbe des Kölner Widerstands nicht gegen Erfahrung der Gewaltherrschaft als Leitmotiv für das Deutschen etablieren sollte. In der CDU nahm der die Idee der Sozialen Marktwirtschaft durchsetzen. überkonfessionelle Zusammengehen stilisiert. So Bezug auf den bürgerlich-militärischen Widerstand beschwor auf dem Bundesparteitag in von Anfang an eine wichtige Stellung ein und ist bis Hamburg 1957: „Vergessen wir es nie: Dieser Unions­ heute Teil einer inzwischen ritualisierten Erinnerungs­ gedanke ist in den Konzentrationslagern und in den kultur. Die Rolle des Widerstands in Kellern der Gestapo zum entschlossenen Willen Johannes Albers spielte nach der Erinnerungskultur der CDU geworden.“ Bernhard Vogels Äußerungen auf dem dem Krieg eine wichtige Rolle im Bundesparteitag in Ludwigshafen 1978 gehen in die­ christlich-sozialen Flügel der CDU. Fest im Selbstverständnis der CDU verankert ist die selbe Richtung: „Gab und gibt es in Deutschland eine Literatur 42 43 Vorstellung, die Partei sei „geboren im Widerstand“ stärkere Volksbewegung für ökumenische Zusam­ gegen den Nationalsozialismus. In der Tat fanden menarbeit als die durch das Feuer des Nationalso­ Brockhausen, Martin: „Geboren im Widerstand“. Zur Erinnerung an sich unter den führenden Unionspolitikern der zialismus geprägte Entschlossenheit unserer Väter, den Nationalsozialismus in der CDU 1950–1990, in: Andreas Holzem/ Nachkriegszeit nur wenige NS-Belastete. Obgleich als Katholiken und Protestanten gemeinsam die Christoph Holzapfel (Hg.): Zwischen Kriegs- und Diktaturerfahrung. viele von ihnen bereits in der Weimarer Zeit politisch politische Union zu schaffen?“. Neuere Forschungen Katholizismus und Protestantismus in der Nachkriegszeit (Konfession aktiv gewesen waren, war ein nahtloses Anknüpfen weisen jedoch zu Recht darauf hin, dass viele lokale und Gesellschaft Bd. 34). Stuttgart 2005, S. 203–235. Da Hermes Deutschland gerne in einer vermittelnden an die Weimarer Demokratie aufgrund deren Schei­ Unionsgründungen – von Berlin einmal abgesehen – Rolle zwischen Ost und West im Kalten Krieg gesehen terns nicht möglich. Daher stellte die Erfahrung des faktisch zunächst konfessionell getrennt stattfanden Buchstab, Günter/Brigitte Kaff/Hans-Otto Kleinmann (Hg.): hätte, zeigte er sich skeptisch gegenüber Adenauers Widerstands ein wichtiges Erbe für die Neugründung und es zudem bereits vor 1933 Absichten für eine Christliche Demokraten gegen Hitler. Aus Verfolgung und Widerstand Westintegration, verlor daher in der CDU bald an der Union nach dem Krieg dar. Durch Besatzungs­ interkonfessionelle Zusammenarbeit gegeben hatte. zur Union. Freiburg im Breisgau 2004. Rückhalt und zog sich aus der Parteipolitik zurück. herrschaft und Kalten Krieg mussten aber auch genuin neue Wege beschritten werden, die in den Jakob Kaiser nahm schon im Juni 1946 die Hingerichte­ Möller, Horst: Vom christlich-bürgerlichen und konservativen Nachdem sich Theodor Steltzer an der Gründung der programmatischen Überlegungen der Widerständler ten des 20. Juli 1944, z. B. Carl Friedrich Goerdeler, die Widerstand gegen Hitler zur Gründung von CDU und CSU nach 1945, Berliner CDU beteiligt hatte, kehrte er in seine Heimat bestenfalls angedacht worden waren. Wie beschrie­ Brüder Dietrich und Klaus Bonhoeffer, Helmuth James in: Politische Studien 56/403 (2005), S. 26–38. zurück und baute dort als Oberpräsident bzw. Minis­ ben, fanden zudem einige der ehemaligen Wider­ Graf von Moltke, Bernhard Letterhaus und Heinrich terpräsident von Schleswig-Holstein die CDU mit auf. standskämpfer und Unionsgründer ihre politische Körner, für die Traditionsbildung der CDU in Anspruch. Tuchel, Johannes: „… und ihrer aller wartete der Strick“. Das Zellen­ Aufgrund innerparteilicher Auseinandersetzungen in Heimat nicht dauerhaft in der CDU. Hinzu kommt, Er sprach davon, dass „diese Männer – wenn sie gefängnis Lehrter Straße 3 nach dem 20. Juli 1944. Berlin 2014. Schleswig-Holstein verabschiedete auch er sich schon dass insbesondere in lokalen Gründerkreisen durch­ lebten – ihre politische Heimat in der Union gefunden zwei Jahre später aus der Parteipolitik. Steltzer war aus NS-belastete Personen beteiligt waren. Die hätten“. Diese Konstruktion personeller Vorläufer der Voss, Rüdiger von (Hg.): Der deutsche Widerstand und die CDU. zudem frustriert darüber, dass er die im Rahmen der Herangehensweise der Union, zwar den national­ CDU wurde im weiteren Verlauf der Unionsgeschichte Reden, Stellungnahmen, Erklärungen (1954–1978). Bonn 1979. Am 1. Juli 1945 wurden die Kölner Leitsätze verab- rungen unter der nationalsozialistischen Tyrannei schiedet. Sie zählen zu den bedeutendsten Grün- hatten sie alle das gleiche Ziel: eine Zusammenfassung dungsdokumenten der CDU. Mit ihrem Bekenntnis christlicher, liberaler und konservativer Kräfte in einer zur Würde des Menschen, Rechtsstaatlichkeit, Frei- großen demokratischen Volkspartei, die in der christ­ heit und Föderalismus sind sie noch heute wichtiger lich-abendländischen Weltanschauung wurzelte und Bezugspunkt für das Selbstverständnis der Partei und sich auf alle Bevölkerungsschichten stützen konnte. Köln zentraler Erinnerungsort der Christlichen Demo- Auf Grundlage des christlichen Menschenbildes sollten kratie. Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem die Würde und Freiheit des Menschen gegen übertrie­ Kölner Kolpinghaus in der Breite Straße zu, wo sich bene Machtansprüche des Staates gesichert werden. am 17. Juni 1945 frühere Mitglieder der katholischen Zentrumspartei trafen. Hier beschlossen sie, eine Die Gründung der CDU war bahnbrechend und brach neue überkonfessionelle Partei zu gründen und auf mit der alten deutschen Parteienlandschaft. Durch Grundlage des christlichen Menschenbildes ein vor- die Einigung verschiedener Strömungen in einer läufiges Programm auszuarbeiten. Da Köln einst eine gemeinsamen Partei wurde eine abermalige Zer­ wichtige Hochburg der katholischen Zentrumspartei splitterung des bürgerlichen Lagers verhindert und Köln war, war gerade die Entscheidung der Kölner Grün- eine stabile Demokratie ermöglicht. Die Gründer der für eine überkonfessionelle Partei so bedeutsam. einte zudem die Überzeugung, dass nur eine solche große Volkspartei in der Lage sei, Deutschland nach Kolpinghaus 45 den Schrecken der Gewaltherrschaft aus seiner Not wieder aufzurichten und einen festen Damm gegen Ems Weser 1945 Parteigründung die von Osten her drohende kommunistische Gefahr zu bilden. Beschluss zur Gründung Im Frühjahr 1945 entstanden in ganz Deutschland Nordrhein-Westfalen Initiativen zur Gründung einer neuen Partei. Träger Neben Berlin zählte Köln zu den bedeutendsten Grün­ Ahlen dieser Initiativen waren meist Anhänger der Deut­ derkreisen. Gerade mit Blick auf die programmatische einer christlichen schen Zentrumspartei und verschiedener bürgerlich- Entwicklung nahmen die Kölner Gründer eine Vor­ Dortmund Soest protestantischer Parteien der Weimarer Republik, wie reiterrolle ein, sodass sich andere lokale Gründer an Essen Volkspartei und Auftakt der Deutschen Volkspartei (DVP), der Deutschnationa­ sie anlehnten. Gleichwohl gab es in der programma­ len Volkspartei (DNVP) und der Deutschen Demokra­ tischen Ausrichtung teilweise deutliche Unterschiede, Düsseldorf zu den Beratungen der tischen Partei (DDP). Nach dem Scheitern der ersten die die verschiedenen politischen Traditionen wider­ 5 deutschen Republik und den gemeinsamen Erfah­ spiegelten, die die CDU in sich vereinigte. Köln Kölner Leitsätze Wesseling Siegen Bonn Rhöndorf Kathrin Zehender

Mosel Kölner Gründerkreis Konrad Adenauer hatte schon 1922 auf dem Katho­ likentag in München erklärt, dass die Basis für eine In Köln wurde die Pateigründung von den früheren Zen­ christliche Partei nicht groß genug sein könne und trumspolitikern Leo Schwering, Wilhelm Warsch, Peter die Katholiken sich in der Vergangenheit zu sehr von Joseph Schaeven und Theodor Scharmitzel vorangetrie­ den Nicht-Katholiken abgegrenzt hätten. Dass sich das ben. Bereits im März 1945 waren sich Schwering und Zentrum durch die Unterschätzung der Nationalsozia­ Warsch begegnet und hatten von da an die Idee einer listen und die Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz neuen Partei diskutiert. Gemeinsam kamen sie im Laufe 1933 diskreditiert hatte, bestärkte die Gründer wei­ des Mai überein, dass das Zentrum die bevorstehenden ter, ihr Vorhaben umzusetzen. Dennoch gab es aber Herausforderungen nicht bewältigen könne und statt­ gerade in den früheren rheinischen Zentrumshoch­ dessen eine große christliche Volkspartei das katholische burgen durchaus Bestrebungen, die 1933 aufgelöste Milieu und das protestantische Bürgertum einen solle. Partei des politischen Katholizismus wiederzubeleben. Da die Zentrumspartei in gewisser Konkurrenz zu der Während der hier zu sehende In ganz Deutschland überwog die Idee zur Gründung angedachten Neugründung stand, waren die Gründer vordere Teil des Kölner Kolping- einer interkonfessionellen Partei. Bereits in der Wei­ bestrebt, mit ihrem Vorhaben schnell voranzuschreiten hauses im Krieg zerstört worden marer Republik hatte es hierfür Ansätze gegeben. Auch und Mitstreiter zu gewinnen. war, konnte im sogenannten Meisterzimmer im hinteren Am 17. Juni fand im sogenannten Meisterzimmer des Gebäudeteil über die Gründung 46 47 Kölner Kolpinghauses in der Breite Straße eine erste der neuen Partei beraten werden. Versammlung statt. Später berichtete Leo Schwering, dass es der einzige größere Raum gewesen sei, der in der Innenstadt zur Verfügung gestanden habe. Den Weg habe man sich über Trümmer bahnen müssen, Zu den 18 Teilnehmern, die nun hier im Kolping­ Kölner Leitsätze da der gesamte Vorderteil des einst mächtigen Hauses haus über die Gründung einer neuen Partei berieten, in Trümmern gelegen habe und lediglich der hintere zählten in erster Linie Mitglieder der christlichen Am 23. Juni kamen die Mitglieder der Programmkom­ Teil weniger zerstört gewesen sei. Symbolisch für die Gewerkschaftsbewegung und des Windthorstbundes, mission auf Einladung des Provinzials Laurentius Sie­ Gründung der CDU war für Schwering zudem, dass der früheren Jugendorganisation der Zentrumspartei. mer im Dominikanerkloster Walberberg, wenige Kilo­ hier im August 1944 der damalige Geschäftsführer Obwohl für die Gründer der interkonfessionelle Cha­ meter südwestlich von Köln, zusammen. Mit Pastor des Kolpinghauses, Theodor Babilon, und der Lokal­ rakter zentral war, nahmen an dieser Zusammenkunft Hans Encke und dem Kölner Rechtsanwalt Fritz Fuchs, präses der Kölner Kolpingfamilie, Heinrich Richter, in noch keine Protestanten teil. In seiner Rede erklärte der in der Weimarer Republik für die DDP Mitglied Folge des gescheiterten Attentats auf Hitler am 20. Juli Schwering, dass die Ausarbeitung eines Programms des Preußischen Landtags gewesen war, nahmen an verhaftet und schließlich im Januar 1945 ins Konzen­ Priorität habe, denn ohne eine „geistige Unterlage“ diesen Beratungen erstmals auch Protestanten teil. trationslager Buchenwald deportiert worden waren, könne keine Organisation bestehen. Die Versamm­ Als einzige Frau war die frühere Kölner Stadtverord­ wo sie nur wenige Wochen vor Kriegsende umkamen. lung bestätigte das gemeinsame Ziel, die Zentrums­ nete Sybille Hartmann anwesend. Ende Juni wurde Im Kölner Kolpinghaus hatten sie einen politischen partei nicht wieder zu gründen und Protestanten für auch der spätere Vorsitzende der Christlich-Demo­ In Köln trieb der frühere Zentrums- Gesprächskreis gebildet, dem auch Schwering ange­ die neue interkonfessionelle Partei zu gewinnen. Zur kratischen Arbeitnehmerschaft, Johannes Albers, als politiker Leo Schwering die Grün- hörte und der in Kontakt mit dem Widerstandskreis Ausarbeitung eines Programms wurde eine elfköpfige ordentliches Mitglied in die Programmkommission dung einer christlichen Partei voran. um das Kölner Ketteler-Haus stand. Kommission gewählt. aufgenommen. Da die Kölner Gründer in diesen Tagen noch immer lität, Rechtsstaatlichkeit und Frieden, Religionsfreiheit, Darüber hinaus zeichneten sich die Kölner Leitsätze bestrebt waren, der Wiedergründung des Zentrums Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie Föderalis­ durch einen starken Gottesbezug aus. Während über­ zuvorzukommen, fanden die Beratungen unter erheb­ mus und Selbstverwaltung der Gemeinden. Auch die triebener Materialismus zum Nationalismus geführt lichem Zeitdruck statt. So war auch allen klar, dass besondere Bedeutung der Familie, das Elternrecht und habe und durch den Militarismus und großkapitalisti­ am Ende der Beratungen letztlich nur ein vorläufiges die Forderung nach Bekenntnisschulen und christlichen sche Rüstungsmagnaten befördert worden sei, sollte Programm stehen konnte. Als Diskussionsgrundlage Gemeinschaftsschulen wurden aufgenommen. Anstelle nun „eine ehrliche Besinnung auf die christlichen und diente eine Ausarbeitung des Vorstehers der Kölner der Allmacht des Staates im „Dritten Reich“ wurde damit abendländischen Lebenswerte“ die Rettung aus der Steuerverwaltung und späteren Vorsitzenden des der Mensch als Einzelpersönlichkeit und Träger politi­ Not sein. Eine neue soziale Ordnung sollte auf der Deutschen Beamtenbundes, Hans Schäfer, die er scher Verantwortung in den Mittelpunkt gestellt. Auch Grundlage von Demokratie und dem christlich begrün­ bereits im März 1945 verfasst und Schaeven über­ das Elternrecht muss vor diesem Hintergrund gesehen deten Naturrecht aufgebaut werden, und die Gebote reicht hatte. Inhaltlich wurden die Beratungen zudem werden: Der Staat sollte den Eltern die Kinder nicht ent­ Gottes hatten als „die einzigen und wahren Stützen wesentlich von Siemer und dessen Protegé Pater ziehen können und die Erziehungsautorität wieder bei sozialer Ordnung und Gemeinschaft“ zu dienen. Eberhard Welty beeinflusst. Ihr Ziel war es, Christen­ den Eltern liegen. Die Staatsgewalt wurde klar begrenzt. tum und Sozialismus miteinander zu versöhnen und Auch der starke Einfluss der christlichen Gewerkschaf­ Elemente der katholischen Soziallehre mit sozialisti­ ter wurde in den Leitsätzen deutlich. In den Abschnit­ schen Ideen zu vereinen. Von Welty, der eine Schrift ten zur Wirtschafts- und Sozialordnung verbanden sie zu wirtschafts- und sozialpolitischen Themen verfasst Vorstellungen der katholischen Soziallehre mit Weltys hatte, stammten wesentliche inhaltliche Impulse des Ideen: Soziale Gerechtigkeit sollte Grundlage für eine 48 49 Programms. Zum Konflikt mit Siemer kam es aber, als neue Volksgemeinschaft sein, die die Freiheit des Ein­ er sich mit seinem Vorschlag, die neue Partei „Christ­ zelnen mit dem Gemeinwohl verbindet. Die Gründer lich Sozialistische Union“ zu nennen, nicht durchsetzen forderten einen „wahren christlichen Sozialismus“, der konnte. Die abschließenden Beratungen fanden daher aber nicht mit falschen kollektivistischen Zielsetzungen nicht mehr in Walberberg, sondern in Köln statt. zu verwechseln sei. Sie sprachen sich für ein Recht auf Eigentum aus, das aber nach sozialer Gerechtigkeit Am 1. Juli 1945 wurden die Programmberatungen und den Erfordernissen des Gemeinwohls geordnet abgeschlossen und ein 20 Punkte umfassender „Vor­ werden sollte. Post und Eisenbahn, Kohlebergbau und läufiger Entwurf zu einem Programm der Christlichen Energieerzeugung wurden als Angelegenheiten der Im Dominikanerkloster Walberberg kamen Demokraten Deutschlands“ verabschiedet. Unter dem öffentlichen Daseinsvorsorge betrachtet. Das Bank- die Gründer zusammen, um ein vorläufiges Eindruck des gerade erst überwundenen National­ und Versicherungswesen sollte staatlicher Kontrolle Programm für die neue Partei zu beraten. sozialismus rief es die Deutschen dazu auf, sich zu unterliegen, und die Vorherrschaft des Großkapitals sammeln und ein „neues und schöneres Deutschland war ebenso zu brechen wie die Macht privater Mono­ aufzubauen auf dem unerschütterlichen Fundament pole und Konzerne. Die Bedarfsdeckung des Volkes des Christentums und der abendländischen Kultur“. war das alleinige Ziel der Wirtschaft.

Die Leitsätze enthielten zentrale Gedanken, die sich in vielen späteren Gründungsdokumenten wiederfanden Am 1. Juli 1945 wurden die Kölner Leit- und grundlegend für das Selbstverständnis der CDU sätze als „Vorläufiger Entwurf zu einem wurden. Dazu zählten die menschliche Würde, Persona­ Programm der Christlichen Demokraten Deutschlands“ beschlossen. Programmatische Differenzen Am stärksten kamen die unterschiedlichen Vorstel­ heit der Person auch im Bereich der Wirtschaft gelten lungen aber in den jeweiligen Ideen zur künftigen und die freie Entfaltung jedes Einzelnen sowie Privatei­ Mit dem Abschluss der Programmberatungen gingen Wirtschaftspolitik zum Ausdruck. So forderten die gentum garantieren. Zwar war auch hier von „Bedarfs­ die Vorbereitungen zur Parteigründung weiter voran: Frankfurter Gründer wie die Kölner einen „christlichen deckung des Volkes“ die Rede, doch wurde gleichzeitig Am 19. August 1945 wurde in Köln die Christlich- Sozialismus“. Der Berliner Gründungskreis um Andreas angemerkt, dass die Frage der Vergesellschaftung Demokratische Partei gegründet und Leo Schwering Hermes und Jakob Kaiser mied zwar den Begriff „Sozia­ von Teilen der Wirtschaft „zur Zeit nicht praktisch“ sei. zum Vorsitzenden gewählt. Auch in anderen Städten lismus“, forderte aber ebenfalls Verstaatlichungen. Ein Lediglich für die ohnehin unter Zwangsverwaltung ste­ im Rheinland sowie in Westfalen wurden auf lokaler „christlicher Sozialismus“ wurde von den protestan­ henden Bergwerke wurden Vergesellschaftungen nicht Ebene Christlich-Demokratische Parteien gegründet, tisch-konservativen und liberalen Gründern, besonders ausgeschlossen. Anstelle der Bekenntnisschulen und die mit den Kölnern in Kontakt standen, so in Düssel­ in Norddeutschland, hingegen scharf abgelehnt. Hier der christlichen Gemeinschaftsschulen forderte das dorf, Wuppertal, Dortmund und Paderborn. Schon standen wirtschaftsliberale Traditionen und der Schutz Programm nur vage die „weltanschauliche Gestaltung am 2. September wurde in Köln die rheinische CDU des Privateigentums im Vordergrund. des Schulwesens nach dem Elternrecht“. gegründet, deren Vorstand auch Konrad Adenauer angehörte. Am gleichen Tag wurde in Bochum die Im Rheinland wurden die Kölner Leitsätze vor allem westfälische Landespartei gegründet. von den Gründern in Düsseldorf und Essen kritisiert. Auch in Wuppertal, wo die Gründung in erster Linie Historische Bedeutung Die lokalen Gründer nahmen vielfach Bezug auf die von Protestanten getragen wurde, regte sich Wider­ Literatur: Kölner Leitsätze. Nicht nur im Rheinland, in Westfalen stand. In Köln zählte Konrad Adenauer zu jenen, Trotz Differenzen, die in der CDU über die Kölner 50 51 und in Süddeutschland, auch in Schleswig-Holstein die insbesondere wegen des zu starken christlichen Leitsätze bestanden, blieben sie für die Entwicklung Bösch, Frank: Die Adenauer-CDU. Gründung, Aufstieg und Krise und im Hamburger Raum orientierten sich Christ­ Bezugs und der sozialistischen Ideen Bedenken der Partei ein zentraler Bezugspunkt. Auch im Pro­ einer Erfolgspartei 1945–1969. Stuttgart 2001. demokraten an den Leitsätzen. Übereinstimmung hatten. Bei den Beratungen für ein gemeinsames gramm von Neheim-Hüsten sowie in allen darauffol­ herrschte dabei insbesondere im gemeinsamen rheinisch-westfälisches Programm wurde zudem um genden Programmen galten die in Köln manifestierten Bösch, Frank: Macht und Machtverlust. Die Geschichte der CDU. Wertefundament, auf dem die neue Partei aufge­ die Bekenntnisschulen lange und heftig gerungen, die Grundsätze weiter und wurden zum einigenden Band Stuttgart. München 2002. baut werden sollte: die Rückbesinnung auf christ­ für viele Westfalen zentral und aus ihrer Sicht in den und zur unverhandelbaren Grundlage für das Selbst­ liche Werte und die christlich-abendländische Kultur, Kölner Leitsätzen nur unzureichend gesichert waren. verständnis der Partei. Auf der Basis der christlichen Heitzer, Horstwalter: Die CDU in der britischen Zone 1945–1949. Frieden, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die Würde Weltanschauung wurden auch in Neheim-Hüsten Düsseldorf 1988. und Freiheit des Menschen und die Bedeutung der Am 5. Februar 1946 legte Adenauer auf der ersten die Würde und Freiheit des Menschen, Demokratie, Familie. Andererseits spiegelten die verschiedenen Tagung des Zonenausschusses für die britische Zone Rechtsstaatlichkeit, Religions- und Meinungsfreiheit, Klausing, Christoph (Hg.): Die Kölner Leitsätze 1945 und heute. Eine Dokumente aber auch die unterschiedlichen politi­ seinen eigenen Programmentwurf vor, den er in sei­ die Bedeutung der Familie und die Begrenzung der Suche nach dem Markenkern der Christdemokratie (Politische Parteien schen Traditionen wider, die die CDU in sich vereinte. nem Rhöndorfer Wohnhaus verfasst hatte. Er diente staatlichen Macht festgeschrieben. Dieses Wertefun­ in Europa Bd. 9). Münster 2018. Umstritten waren zum einen kulturpolitische Fragen. als Grundlage für das gemeinsame Programm der dament ist heute, Jahrzehnte nach Gründung der CDU, So hatte die Bekenntnisschule für viele frühere Zent­ CDU in der britischen Zone, das am 1. März in Neheim- aktueller denn je und bleibt Maßstab für die Program­ Kleinmann, Hans-Otto: Geschichte der CDU 1945–1982. rumsanhänger zentrale Bedeutung, während andere Hüsten im Sauerland, heute ein Teil von Arnsberg, matik der Partei. Stuttgart 1993. Gründerkreise sich für die christliche Gemeinschafts­ verabschiedet wurde und die Kölner Leitsätze teil­ schule einsetzten. Auch die Frage, welche Rolle das weise revidierte. Entsprechend Adenauers Ansicht, aus Schwarz, Hans-Peter: Adenauer. Der Aufstieg: 1876–1952. „C“ spielen sollte, war umstritten. Vor allem protestan­ dem Programm kein Glaubensbekenntnis zu machen, Stuttgart 1986. tisch-konservative und liberale Gründer lehnten das war es weniger religiös gefärbt als die Kölner Leitsätze. „C“ im Namen häufig sogar ab. Anstelle eines christlichen Sozialismus sollte die Frei­ Schwering, Leo: Vorgeschichte und Entstehung der CDU. Köln 1952. Am 22. Juli 1945, einem Sonntag, trat die CDU in ter Deutschlands. Im Inneren befindet sich der in ein Berlin mit einer Kundgebung im Theater am Schiff- Parterre und zwei Ränge gegliederte Zuschauerraum, bauerdamm an die Öffentlichkeit. Die Einladung ent- der im Barockstil nach Vorlagen des Bildhauers Ernst hielt folgenden Hinweis: „Für die Unterbringung von Westphal gestaltet wurde. Am 19. November 1892 Fahrrädern wird gesorgt!“. Andreas Hermes, erster eröffnete das Haus als „Neues Theater“ am Schiffbau­ Vorsitzender der CDU in Berlin und der sowjetisch erdamm mit der Aufführung von GoethesIphigenie auf besetzten Zone, hielt ein Grundsatzreferat, in dem Tauris. Im Jahr 1893 wurden Gerhard Hauptmanns Die er mit den Irrtümern der Vergangenheit abrechnete, Weber uraufgeführt. In den Jahren 1903 bis 1906 stand neue Signale der Hoffnung für den Wiederaufbau das Haus unter der Direktion von Max Reinhardt. Er setzte und sich zum deutschen Vaterland bekannte. inszenierte Shakespeares Ein Sommernachtstraum, Hugo von Hofmannsthals Elektra und Oscar Wildes Salome. Zwischen 1906 und 1925 diente das Haus vor­ nehmlich als Unterhaltungs- und Operettentheater. Uraufführung der Dreigroschenoper Ernst Josef Aufricht gab 1928 mit der Uraufführung Berlin Der Ort der Versammlung fiel aus naheliegenden der Dreigroschenoper von Bertolt Brecht und Kurt Gründen auf das Theater am Schiffbauerdamm: Die Weill seinen Einstand als Direktor. Zum Ensemble traditionsreiche Spielstätte hatte nur leichte Kriegs­ gehörten in dieser Zeit unter anderem Lotte Lenya, Theater am Schiff bauerdamm 53 schäden erlitten, sie war bekannt, zentral gelegen und Helene Weigel, Theo Lingen und Leonhard Steckel. repräsentativ. Nur wenige Tage zuvor hatten Andreas Bis zur kriegsbedingten Schließung im Jahr 1944 war 1945 Hermes und weitere Vertreter der CDU nach einer das Theater populärer Unterhaltung und „Durch­ Besprechung beim sowjetischen Stadtkommandanten halteideologie“ verpflichtet und im Adressbuch als „Trümmerhaufen sittlicher Oder Generalmajor Alexander Barinow und dem Vertreter Schiffbauerdamm-Theater eingetragen. Seit 1954 Brandenburg des Kommissariats für Auswärtige Angelegenheiten ist das heute am Bertolt-Brecht-Platz liegende Haus und materieller Werte“ – Wladimir Semjonow die Erlaubnis zur Durchfüh­ Spielstätte des Berliner Ensembles. 6 rung von Kundgebungen der neuen Partei erhalten. Allerdings sollten diese im sowjetischen Sektor Berlins Der Name Schiffbauerdamm existiert seit 1738 und Berlin Die Gründungsversammlung Potsdam stattfinden. Auch diese Voraussetzung war mit dem bezieht sich auf die früher dort ansässigen Schiffs­ Theater am Schiffbauerdamm erfüllt. Möglich gewor­ baubetriebe am Spreeufer in Berlin Mitte. Im Februar der CDU in Berlin den war die Parteigründung, nachdem die Sowjetische 1941 war das Haus am Schiffbauerdamm 29, auf dem Militäradministration in Deutschland (SMAD) bereits heute das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus steht, für die am 10. Juni 1945 in ihrem Befehl Nr. 2 die Bildung Pläne von Albert Speer zum Bau der „Welthauptstadt Ralf Thomas Baus politischer Parteien und Gewerkschaften unter ihrer Germania“ geräumt worden. Im westlichsten Abschnitt Kontrolle erlaubt hatte. des Schiffbauerdamms befindet sich heute die 1990 von Ben Wagin auf dem ehemaligen Todesstreifen Das Theater am Schiffbauerdamm wurde 1892 durch errichtete Gedenkstätte „Parlament der Bäume“. Ihr den Berliner Architekten Heinrich Seeling erbaut. Der gegenüber liegt das neue politische Berlin mit dem neobarocke Bau gilt als eines der prächtigsten Thea­ 2003 errichteten Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, in dem das „Wissenschaftliche Dienstleistungszentrum des Andreas Hermes als Motor der Gründung Keimzelle der Gründung war die Wohnung von bekannten sich zur Demokratie und zu einer rechts­ Deutschen Bundestages“ beherbergt wird. Mit dem ­Andreas Hermes in der Platanenallee 11. Als man staatlichen Verfassung. Sie forderten die persönlichen Paul-Löbe-Haus und dem Bundeskanzleramt bildet das Schon bald nach dem Zusammenbruch des National­ sich dort am 25. Mai 1945 traf, hatte sich der Kreis Freiheitsrechte, das Elternrecht, einen von der Kirche Marie-Elisabeth-Lüders-Haus das „Band des Bundes“. sozialismus fanden auch im Lager der „bürgerlichen“ beträchtlich vergrößert: Mitte Mai war Hermes erst­ geleiteten Religionsunterricht sowie den Schutz des Demokraten erste Vorbereitungen zur Gründung malig mit Jakob Kaiser zusammengetroffen und hatte Privateigentums. Dennoch sollten die „Bodenschätze einer Partei statt. Führender Kopf der christlich orien­ ihn für die Mitarbeit gewonnen. Auch Kaiser, der sich in Staatsbesitz übergehen“ und der wirtschaftliche Auf­ tierten Kreise war der ehemalige Zentrumspolitiker, bis Ende April 1945 in einer Kellerflucht in Potsdam- bau „in straffer Planung“ durchgeführt werden. Reichsminister und Agrarfachmann Andreas Hermes. Babelsberg vor der Gestapo versteckt halten musste, Als missliebiger Repräsentant der Weimarer Repub­ hatte vor 1933 dem Zentrum angehört. In der Weima­ Als Gründerkreis im engeren Sinne können die lik und als weltanschaulicher Gegner des National­ rer Republik war er einer der führenden christlichen 35 Unterzeichner des Aufrufs vom 26. Juni 1945 ver­ sozialismus wurde Hermes im März 1933 erstmalig Gewerkschafter. Walther Schreiber und Ferdinand standen werden. Nach politischer Herkunft waren der verhaftet und zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. Friedensburg, beide ehemalige Mitglieder der Deut­ früheren Demokratischen Partei sechs Gründer zuzu­ Während des Zweiten Weltkriegs kam er in Verbin­ schen Demokratischen Partei (DDP), waren durch ordnen. Dem katholischen Lager beziehungsweise dung zu Widerstandskreisen. Für die Zeit nach einem Vermittlung Ernst Lemmers dazugestoßen. An den dem früheren Zentrum gehörten 21 Gründer an. Aus erfolgreichen Attentat auf Adolf Hitler führte ihn Carl Beratungen waren von nun an auch Eduard Spranger, dem protestantischen Lager stammten zwölf Gründer. Friedrich Goerdeler in einer seiner Ministerlisten als Ferdinand Sauerbruch und Emil Dovifat sowie Marga­ Aus dem „Kampfverband Freies Deutschland“, einem möglichen Landwirtschaftsminister. rete Ehlert, Elfriede Nebgen, Katharina Müller, Hein­ 1943 in Berlin in Anlehnung an das Nationalkomitee rich Vockel, Wilhelm Happ und Josef Ersing beteiligt. „Freies Deutschland“ von Willy Fuchs und anderen 54 55 Nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 Im Juni 1945 stieß auch Otto Nuschke hinzu. gebildeten Widerstandskreis, kamen sechs Personen. war Hermes erneut verhaftet und zunächst in das Führend unter den evangelischen Christen waren die Konzentrationslager Ravensbrück gebracht worden, Mitglieder der brandenburgischen Kirchenleitung Otto von wo er im Oktober nach Berlin in das Gefängnis in Heinrich von der Gablentz, ehemaliges Mitglied der der Lehrter Straße eingeliefert wurde. Unter Leitung Programmberatungen und Kirchenleitung der Altpreußischen Union, Reinhard von Roland Freisler verurteilte der Volksgerichtshof Zusammensetzung des Gründerkreises Moeller, Direktor des Berliner Stadtsynodalverbands, Hermes am 11. Januar 1945 zum Tode, dessen Voll­ und der Oberkonsistorialpräsident Hans von Arnim. streckung jedoch aufgeschoben wurde, bis schließlich Seit dem 16. Juni 1945 hatten Beratungen des Grün­ die Roten Armee einmarschierte. derkreises über Charakter, Programm und Namen der Neugründung stattgefunden. Schon am 22. Juni 1945 Nur wenige Tage nach seiner Befreiung wurde Her­ wurde der Aufruf „Deutsches Volk!“ mit dem „Notpro­ mes vom sowjetischen Stadtkommandanten General­ gramm für Brot, Obdach und Arbeit“ endgültig verab­ oberst Nikolai Bersarin zum Leiter des Ernährungs­ schiedet. Am Abend des 26. Juni 1945 fand schließlich wesens für Berlin ernannt. Das Amt am Fehrbelliner bei einem Zusammentreffen der Verfasser des CDU- Das Theater am Schiffbauerdamm war Platz wurde für die Gründer der Union zu einem Programms im Hause von Hermes die Unterzeichnung nicht nur Gründungsort für die CDU in wichtigen Treffpunkt. Im Ernährungsamt selbst waren des Gründungsaufrufs statt. Berlin, sondern wurde auch ein Jahr mit Theodor Steltzer, Otto Lenz, Otto Heinrich von ­später, am 16. Juni 1946, als Tagungsort der Gablentz und Johann Eudenbach vier zukünftige In dem Gründungsaufruf war die Rede von einem für den 1. Parteitag der CDU in Berlin und Mitbegründer der CDU tätig. „Trümmerhaufen sittlicher und materieller Werte“ Andreas Hermes der sowjetisch besetzten Zone genutzt. und dem „Weg der Wiedergeburt“. Die Unterzeichner um 1950. Walther Schreiber, Hildegard Staehle, Paul Graf Yorck Volkspartei“ taucht in den Dispositionen auf. Nach Versammlung fand größeren Zuspruch als erwartet, von Wartenburg, Rudolf Pechel, Eberhard Plewe und längeren Diskussionen hatte Hermes schließlich den Begeisterung konnte man allerdings angesichts der Heinrich Krone hatten in Gefängnissen, Zuchthäusern Namen „Demokratische Union Deutschlands“ vorge­ Schutt- und Trümmerberge rund um den Veranstal­ oder Konzentrationslagern gesessen. schlagen, der jedoch auf Wunsch Dovifats, Krones und tungsort nicht erwarten. Neben einer großen Rede von der Gablentz’ mit dem Zusatz „Christlich“ versehen von Hermes, in der er betonte, dass das Christentum Einigkeit bestand bei den Gründern darüber, dass wurde. für die Union keine Scheidegrenze bilde und die neue eine parteipolitische Zersplitterung zu vermeiden sei Partei auch jenen offenstehe, „die ohne Bindung an und es somit um die Sammlung der demokratischen eine kirchliche Gemeinschaft das Gesetz der natürli­ Kräfte in einer Partei gehe. Diese müsse auf christ­ chen Ethik in sich tragen“, sprachen noch neun weitere lichem Boden stehen und so die katholischen und Selbstverständnis der CDU Gründungsmitglieder, teilweise wie Hermes selbst evangelischen Christen umfassen. In ihr sollten alle „Märtyrer der Demokratie“ (). Die Vielfalt bekenntnistreuen kirchlichen Kreise Platz finden, Die CDU verstand sich als Sammlungspartei neuen der Redner untermauerte eindrucksvoll den Anspruch jedoch auch jene, die das Christentum bejahten, sich Typs und nicht als Nachfolgeorganisation einer der der Union, von Beginn an als Volkspartei aufzutreten. aber zu keiner festen kirchlichen Bindung bekannten. Weimarer Parteien. Schon der Name sollte dies zum Ausdruck bringen: „Union“ stand für eine umfassende Der Handlungsspielraum der CDU in der SBZ war von Ernstere Meinungsverschiedenheiten gab es hin­ und einende politische Kraft. „Christlich“ verwies auf Anfang an durch die deutschen Kommunisten und sichtlich der Frage der künftigen Wirtschaftsordnung, den überkonfessionellen Charakter der Partei und die sowjetische Besatzungsmacht erheblich einge­ bei der Kaiser für eine starke Sozialisierung eintrat, die Orientierung an den christlichen Grundwerten in schränkt. Dennoch stieg sie zur mitgliederstärksten 56 57 Jakob Kaiser war ein Mitunterzeichner während Hermes und die Mitglieder der ehemaligen der Politik. „Demokratisch“ drückte die antitotalitäre der vier kleinen Blockparteien auf. Der Gleichschal­ des Berliner Gründungsaufrufs der CDU. DDP den Grundsatz der möglichst großen Freiheit und einer freiheitlichen Ordnung verbundene Grund­ tungsdruck führte aber dazu, dass Mitte 1950 von den befürworteten. haltung aus. Der Zusatz „Deutschlands“ schließlich 35 Unterzeichnern des Berliner Gründungsaufrufs nur formulierte den Willen, in und für ganz Deutschland zu noch zwei in der DDR blieben. Zu den führenden Protestanten gehörte ferner Theo­ Während Hermes als national gesinnter Konservati­ wirken. Damit war auch der Führungsanspruch inner­ dor Steltzer. Mitgründer war auch der jüdische Vete­ ver mit der zu gründenden Partei ein Sammelbecken halb der Union, der später mit der Errichtung einer In der Erinnerungskultur der christdemokratischen rinärmediziner Richard Kantorowicz. Der Journalist­ aller christlichen, demokratischen und sozialen Kräfte „Reichsgeschäftsstelle“ untermauert wurde, bereits Bewegung spielte das Theater am Schiffbauerdamm Willy Fuchs hatte früher der SPD angehört. Unter den der Mitte anstrebte, favorisierte Jakob Kaiser anfäng­ vorweggenommen. keinerlei Rolle. Nachdem man dort noch im Juni 1946 35 Unterzeichnern des Aufrufs waren vier Frauen. Im lich die Idee einer deutschen Labour Party. Kaiser den ersten Parteitag der CDU in der SBZ abgehalten Berliner Gründerkreis fanden sich Persönlichkeiten gehörte zu den profiliertesten CDU-Politikern der ers­ Es waren die beherrschenden Motive der Unionsgrün­ hatte, wechselte man im Jahr darauf in die Berliner aus dem gesamten Deutschen Reich zusammen. Dies ten Stunde. Als Andreas Hermes im Dezember 1945 dung, die im Aufruf vom 26. Juni 1945 zum Ausdruck Staatsoper. Die Gründungskundgebung im Schiffbau­ führte dazu, dass Berlin zu den wenigen wirklich über­ von der SMAD als Vorsitzender der CDU in Berlin und kamen: eine am Christentum orientierte Haltung für erdammtheater abzuhalten, war eine den damaligen konfessionellen Unionsgründungen gehörte. der sowjetisch besetzten Zone abgesetzt wurde, über­ das politische Leben, das Ziel, demokratisch, christlich- Umständen geschuldete pragmatische Entscheidung. nahm Kaiser das Amt. sozial und konservativ gesinnten Kreisen eine politi­ Dennoch ist der Ort mit seiner Lage unweit des heu­ Über die Grenzen der Konfessionen hinweg ver­ sche Heimstatt zu bieten, und das Bekenntnis zum tigen politischen Berlins und in der Nähe des histo­ band den Kreis die gemeinsam erlittene Verfolgung Die meisten Differenzen bestanden hinsichtlich des politischen Neubeginn. rischen Orts nationalsozialistischen Größenwahns während des Nationalsozialismus. So waren Andreas Namens der Partei. Im Gespräch waren immer wieder mit den Plänen zur Gründung der „Welthauptstadt Hermes und Theodor Steltzer zum Tode verurteilt die Bezeichnungen „Aufbau-Partei“ mit den verschie­ Der Konstituierungsprozess der CDU fand am Germania“ von hoher Symbolkraft. worden. Josef Ersing, , Willy denen Zusätzen „Deutsche“ beziehungsweise „Christli­ 22. Juli 1945 mit der Gründungskundgebung im Fuchs, Paulus van Husen, Otto Lenz, Hans Lukaschek, che Aufbaupartei“. Auch der Begriff einer „Vereinigten Theater am Schiffbauerdamm seinen Abschluss. Die Bedeutung der Unionsgründung lichen Traditionen aufbauten. Während in Köln die Bedeutung, weil die Partei in allen Besatzungszonen und das „Wunder der CDU“, wie Leo Schwering die Walberberger Dominikanerpatres Laurentius Siemer mit unterschiedlichen Namen hervorgetreten war. Gründung beschrieb, war nicht ausschließlich auf die Berlin gehörte neben Köln und Frankfurt am Main zu und Eberhard Welty mit thomistisch-naturrechtlichen unmittelbare Nachkriegssituation zurückzuführen. einem der wichtigsten „Gründungskerne“ (Hans-Otto Überlegungen und der Katholischen Soziallehre die Aus Sicht der CDU sollte die Zäsur des Jahrs 1945 Erst vor diesem historischen Hintergrund lässt sich die Kleinmann) der Union. In den Wochen nach Kriegs­ Kölner Leitsätze vom 1. Juli 1945 stark beeinflussten, radikal sein, denn keine andere Partei wollte etwas so spätere „Blitzkarriere“ (Winfried Becker) der Christlich ende hatten sich in zahlreichen Städten Deutschlands betonte der Frankfurter Gründerkreis, zu dem auch grundlegend Neues wie die Union. Der „Katakomben­ Demokratischen Union erklären. unabhängig voneinander christlich-demokratische die beiden „Linkskatholiken“ und Publizisten Eugen geist“, der sich in den Kreisen des Widerstands und Parteigruppierungen gegründet. Die einzelnen Partei­ Kogon und Walter Dirks gehörten, in seinem Aufruf den Konzentrationslagern geformt hatte, führte dazu, gründungen waren, auch wenn sie den gleichen Ideen­ vom 15. September 1945 die ökonomische Ordnung dass am Ende des Kriegs allgemein die Erwartung einer fundus hatten, programmatisch vielfältig differenziert, eines „planvollen wirtschaftlichen Sozialismus“ (Günter politischen Union der Christen in Deutschland vorhan­ Literatur da sie auf jeweils unterschiedlichen konfessionellen, Buchstab). den war. „Eine politische Bewegung“, so drückte dies soziologischen, ökonomischen und parteigeschicht­ Eberhard Plewe aus, „wurde geboren in den Zellen der Baus, Ralf Thomas: Die Christlich-Demokratische Union Deutsch­ Für die westdeutsche, bundesrepublikanische Grün­ Gefängnisse und in den Baracken der Konzentrations­ lands in der sowjetisch besetzten Zone. Gründung, Programm, Politik dungsgeschichte der Union blieb aufgrund der deut­ lager.“ Der Nationalsozialismus und die Kirchenver­ (­Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte, 36). Düsseldorf 2001. schen Teilung die CDU in Nordrhein-Westfalen – und folgung hatten nach 1933 zu einer entscheidenden Köln ragte hier sicherlich heraus – „das Kernstück der Wandlung im Verhältnis zwischen Katholiken und Buchstab, Günter: Geschichte der CDU. 1945–1949: Gründungsphase gesamten CDU und CSU“. Hier habe die Union laut Protestanten geführt. „Die Zeit war günstig – doch die der CDU (https://www.kas.de/de/web/geschichte-der-cdu/gruendungs­ Adenauer ihre Wurzeln, „nicht nur ziffernmäßig, auch Zeitumstände waren schwierig“ (Hans Maier). Dies galt phase-der-cdu-1945-1949- (Abruf: 29.01.2020)). 59 weltanschauungsmäßig und der gesamten politischen nicht nur für Berlin, sondern für ganz Deutschland. Gesinnung nach“. Mit Blick auf die zahlreichen ande­ Funke, Christoph/Wolfgang Jansen: Theater am Schiffbauerdamm. ren „Gründungskerne“ entsprach jedoch der Berliner Die Überwindung der konfessionellen Zersplitterung Die Geschichte einer Berliner Bühne. Berlin 1992. Gründungsaufruf vom 26. Juni 1945 am umfassends­ der Parteienlandschaft, die Erfahrungen des instabi­ ten den allgemeinen Grundideen. len Parteiensystems der Weimarer Republik und der Hermes, Andreas: „Mit unerschütterlichem Gottvertrauen und Widerstand gegen den Nationalsozialismus vertieften zähem Kämpfergeist“. Erinnerungen und Dokumente aus der Haft Die Gründungsversammlung im Theater am Schiff­ die Einsicht, dass nur eine große, konfessionsüber­ und zur Gründung der CDU 1944/45. Sankt Augustin 2012. bauerdamm war der Höhepunkt des Konstituierungs­ greifende Partei einen neuen Machtfaktor darstellen prozesses dieser einzigartigen Parteineugründung. Die könne. Die aus den Überlegungen erwachsenen Hermes, Anna: Und setzet ihr nicht das Leben ein. Andreas Hermes, Entscheidung der SMAD, den Berliner Parteinamen für programmatischen Aussagen der Gründungszirkel Leben und Wirken. Stuttgart 1971. das gesamte sowjetisch besetzte Gebiet festzuschrei­ waren zugleich Ausdruck eines breiten gesellschaft­ ben, bedeutete in gewisser Weise auch eine Vorent­ lichen Konsenses, der sich als Echo auf den Untergang Marx, Stefan: Geschichte der CDU. CDU Nordrhein-Westfalen scheidung für die Namensfindung der Union in ganz der Weimarer Republik und die nationalsozialistische (https://www.kas.de/web/geschichte-der-cdu/nordrhein-westfalen Deutschland. Die Entschließung Nr. 1 auf dem Godes­ Diktatur herausgebildet hatte. [Abruf: 29. Januar 2020]). berger „Reichstreffen“ im Dezember 1945 enthielt ausdrücklich folgenden Hinweis: „Um insbesondere Im Ergebnis bedeutete der Sieg des Unionsgedankens Morsey, Rudolf: Andreas Hermes. Ein christlicher Demokrat in der Berliner die Verbundenheit mit unseren politischen Freunden die Überwindung der „splendid isolation“ einer struk­ ersten und zweiten deutschen Demokratie, in: Historisch-Politische Gründungs­ im Osten zu bekunden, wird beschlossen, den gemein­ turell minoritären Konfessionspartei, die das Zentrum Mitteilungen (2003), S. 129–150 (https://www.kas.de/c/document_lib­ aufruf vom samen Namen anzunehmen: ‚Christlich-Demokrati­ immer war. Die Entstehung der Union war eine „Nova rary/get_file?uuid=8f2200e2-bc87-af67-4b58-87a2cffd4c9d&grou­ 26. Juni 1945. sche Union Deutschlands‘.“ Dies war auch deshalb von am Parteienhimmel“, wie Hans Maier es nannte, pId=252038 (Abruf: 29.01.2020)). Es ist ein Charakteristikum der CDU, dass die durch rückblickend, ihn habe besonders der Gedanke sie vertretenen Interessen gerade in den ersten einer politischen Zusammenarbeit der Konfessionen Jahrzehnten, aber bis heute nachwirkend, vor allem fasziniert. Ausgangspunkt erster Diskussionskreise durch die Vereinigungen der Partei repräsentiert waren kirchliche Gruppen oder Freundeskreise aus wurden. Die in den Vereinigungen manifestierte gemeinsamen Studenten- oder Soldatentagen. Diese Interessenvielfalt war Ausdruck des gesellschaft- spontan entstandenen, eher losen Zusammenschlüsse lichen Pluralismus insgesamt, dem die Unions- standen, wie der erste JU-Bundesvorsitzende Bruno parteien – ihrem Selbstverständnis als Volkspartei Six sich erinnerte, zumeist „in einem freundschaftli­ entsprechend – Rechnung tragen wollten. Zugleich chen, aber unabhängigen Verhältnis“ zur CDU. Analog fungierten sie als „Brückenköpfe“ in die Gesellschaft, zum Parteiaufbau der CDU/CSU häuften sich aber im die es ermöglichten, an unterschiedliche Milieus Frühjahr und Sommer 1946 die Bemühungen, diese und Gruppierungen „anzudocken“, die zuvor noch Gruppen organisatorisch zusammenzufassen. Nach­ nie durch ein und dieselbe Partei hatten erreicht dem im März 1946 ein „Arbeitsausschuss Junge Union werden können. für die SBZ und Berlin“, im Juni im Landesverband Rheinland „Aktionsgemeinschaften junger Deutscher Königstein Dabei waren und sind die Vereinigungen der CDU in der CDU“ und Anfang August in der britischen Zone unterschiedlich organisiert und strukturiert und ent- eine Zonentagung der Jungen Union unter Beteiligung standen auch in verschiedenen Phasen der Partei- von acht Landesverbänden stattgefunden hatten, im Taunus/Kurhaus 61 geschichte. Zu den Zusammenschlüssen der ersten kam es vom 17. bis 21. Januar 1947 zu einem ersten Stunde, die zunächst auf der lokalen Ebene parallel Treffen von Vertretern aller vier Besatzungszonen im 1947 zu den „Gründungskernen“ (Hans-Otto Kleinmann) Kurhaus von Königstein im Taunus. Auch sieben Ver­ der Union entstanden, gehörte neben Frauenaus- treter aus der sowjetischen Besatzungszone nahmen Kassel Weser Von der jungen Partei zur schüssen, den Sozialausschüssen der Christlich- teil, die indes alle aus Berlin kamen, weil die sowjeti­ Demokratischen Arbeitnehmerschaft und Gruppen sche Besatzungsmacht den christlich-demokratischen der Kommunalpolitischen Vereinigung auch die Jugendvertretern aus den Ländern der SBZ die Reise „Partei der Jugend“ Junge Union. untersagt hatte. Die Junge Union auf dem Gebiet der Hessen späteren DDR sollte in den folgenden Monaten immer Christopher Beckmann stärker unter Druck geraten.

Anfänge christlich- Zum Zeitpunkt des Treffens hatte sich der Name demokratischer Jugendarbeit „Junge Union“ (JU) allgemein durchgesetzt, nachdem 7 zuvor auch Bezeichnungen wie „Junge Generation“ Königstein Der Gedanke der „Union“ als neuartige, schichten-, oder „Junge Aktion“ gebräuchlich gewesen waren. Frankfurt am Main Wiesbaden milieu- und konfessionsübergreifende Volkspartei begeisterte unmittelbar nach Kriegsende auch viele Main junge Menschen. Der 1920 geborene Ernst Majo­ nica, von 1950 bis 1955 Deutschlandsprecher, also Bundesvorsitzender der Jungen Union, konstatierte Der Kurort Königstein wechseln müssen – ein durchaus passender Ort also, darf ­Königstein/Ts., das seit 1945 zum Land Hessen erstmals zusammentrat. Auf den folgenden beiden, um die Jugendorganisation einer sich ausdrücklich gehört, die Bezeichnung „Heilklimatischer Kurort“ ebenfalls noch 1947 stattfindenden Deutschland­ Der Kurort Königstein im Taunus war als Tagungs­ als überkonfessionell verstehenden Volkspartei aus tragen. 1949 trafen sich dort die bundesdeutschen tagen wurden zunächst ein Vorstandsgremium und ort gewählt worden, weil der organisatorisch bereits der Taufe zu heben. Ein weiterer Aspekt, der zumin­ Ministerpräsidenten und vereinbarten unter ande­ dann der aus den Vertretern der Landesverbände einigermaßen gefestigte Landesverband Hessen der dest manchen der Teilnehmer bewusst gewesen sein rem das Staatsabkommen der Länder der Bundes­ bestehende Deutschlandrat der Jungen Union geschaf­ CDU angeboten hatte, die Zusammenkunft materiell dürfte, ist die Tatsache, dass Königstein der Geburts­ republik Deutschland über die Finanzierung wissen­ fen. Inzwischen hatte die Junge Union in der sowjeti­ zu ermöglichen – angesichts der schwierigen Ver­ ort des Dichters Stefan George (1868–1933) war, schaftlicher Forschungseinrichtungen (Königsteiner schen Besatzungszone angesichts der Verfolgung dort sorgungslage kurz nach dem Krieg eine beachtliche der die Jugendbewegung, der viele der Teilnehmer Staatsabkommen). Der „Königsteiner Schlüssel“ legt im Januar 1948 die Arbeit eingestellt. Im März 1947 Herausforderung. Um die Sicherstellung der Versor­ entstammten, nachhaltig beeinflusst hatte. Die Stadt, seither fest, wie die einzelnen Länder der Bundes­ waren dort ca. 20 Jugendliche und Studenten, die der gung der 59 Teilnehmer mit Heizmaterial und Lebens­ die wie viele deutsche Städte unter den Verheerungen republik Deutschland an gemeinsamen Finanzierun­ CDU angehörten oder ihr nahestanden, verhaftet und mitteln kümmerte sich der Königsteiner Bürgermeister des Dreißigjährigen Kriegs (1618–1648) und später des gen zu beteiligen sind. viele von ihnen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt persönlich. Die der Sage nach vom Merowingerkönig Österreichischen Erbfolgekriegs (1740–1748) sowie der worden. Mindestens zwei von ihnen überlebten die Chlodwig I. als Dank für den Sieg über die Alemannen Revolutionskriege (1792–1802) gelitten hatte, erlebte Haft in den sowjetischen Lagern nicht. Es war durch­ um das Jahr 500 gegründete Stadt wurde intensiv ab 1851 einen wirtschaftlichen Aufschwung durch aus symbolisch gemeint, dass am 17. November 1948 von den Wirren der Reformations- und Gegenrefor­ die Einrichtung einer Kaltwasserheilanstalt. In den Gründungsakt der der in den Westen geflohene ehemalige Sprecher mationszeit geprägt. So hatten die Bewohner, dem folgenden Jahrzehnten wurde der Kurbetrieb immer deutschlandweiten Jungen Union der Jungen Union in der SBZ Fred Sagner zum neuen Prinzip „Cuius regio, eius religio“ entsprechend, im wieder ausgebaut und erreichte seinen Höhepunkt Deutschlandsprecher gewählt wurde. Abgeschlossen 16. und 17. Jahrhundert mehrfach die Konfession kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs. Seit 1935 Obwohl besonders die aus der Jugendbewegung der wurde die Institutionalisierung der Organisation mit 62 63 Zwischenkriegszeit stammenden Teilnehmer eine der Tagung des Deutschlandrats am 2./3. Juli 1949 in Abneigung gegen allzu einheitliche Strukturen artiku­ Oberwesel, der die Satzung der Bundes-JU beschloss. lierten und den lokalen und regionalen Gruppierungen größtmöglichen Freiraum zu lassen beabsichtigten, gilt Verabschiedet worden war im Januar 1947 auch eine die Königsteiner Tagung als Gründungsakt des Gesamt­ „Königsteiner Erklärung“, in der die „Gewährleistung verbands und erster Deutschlandtag der Jungen Union. eines erträglichen Lebensstandards“, das Ende der Es gab keine im Vorfeld festgelegte Tagesordnung, Demontagen, die gesetzliche Festschreibung des Ziel war ein Meinungsaustausch untereinander. Teil­ „Mitbestimmungsrecht[s] der Arbeiterschaft in den nehmer der Tagung waren unter anderem Ferdinand Betrieben“ und die Wahrung der Einheit Deutsch­ Friedensburg, Mia (Maria) Roos, Günter-Helge Strick­ lands verlangt wurden. Angesichts der katastropha­ strack, Otto Laipold, Peter Lorenz und Achim Freiherr len Lebensbedingungen forderte man außerdem die von Beust. „soziale Tat“ und die Durchführung eines gesamt­ gesellschaftlichen Lastenausgleichs, ebenso die Dennoch wurden in Königstein auch Beschlüsse Wiederherstellung und Garantie rechtsstaatlicher betreffend die künftige Struktur der Jungen Union Verhältnisse. Die „Freiheit und Unverletzbarkeit der getroffen. So sollte ein Deutschlandrat, bestehend Person und die Würde der menschlichen Persön­ aus den Vertretern der Landesverbände, gebildet lichkeit“ müssten in Gesetzgebung, Verwaltung und Die Junge Union wurde werden. Zudem wurde die Einsetzung eines Satzungs­ Rechtspflege „tatsächlich beachtet werden“. Diese im Kurhaus in Königstein ausschusses beschlossen, der Statuten ausarbeiten Forderungen spielten auch zukünftig eine zentrale gegründet. sollte und bereits am 1. Februar 1947 in München Rolle in der frühen Programmatik der Jungen Union dürften er und die anderen anwesenden Granden der ihrer Geschichte immer wieder mit ihren Vereinigun­ jungen Partei den Auftritt von Bruno Six auf dem ersten gen auszutragen hatte. In späteren Jahren sollten Zonenparteitag der CDU in der britischen Zone, der vor allem die Frauenvereinigung oder die Sozialaus­ am 14./15. August 1947 in Recklinghausen abgehalten schüsse der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmer­ wurde, eher mit Missvergnügen verfolgt haben. Der aus schaft der Parteiführung mit ihren inhaltlichen und Regensburg stammende Journalist Six, der als Angehö­ personalpolitischen Forderungen zeitweilig gehörig riger des Jahrgangs 1906 bereits das fünfte Lebensjahr­ auf die Nerven gehen. zehnt begonnen hatte, war im Juli 1946 zum Landes­ sprecher der Jungen Union Westfalen-Lippe gewählt worden und hatte auch in Königstein zu den Hauptred­ nern gehört. In Recklinghausen erklärte er in geradezu Auf dem Weg zum größten politischen schneidender Schärfe, eine „Generation, die zweimal Jugendverband der Bundesrepublik Krieg und Frieden verloren hat“, „habe keinen Anspruch darauf, zum dritten Male ein Reich allein gestalten zu Auch die gegenüber der Parteiführung konzilianteren dürfen“. Man brauche den Rat der älteren Generation – Nachfolger von Six in der Leitung der Jungen Union „wir brauchen ihn dringend“ –, diese dürfe aber nicht legten größten Wert darauf, nicht – wozu manche Par­ Peter Lorenz und Mia Roos „der Jungen Union den Platz“ versperren. Die CDU sei teihonoratioren durchaus neigten – als „Plakatklebeko­ zählen zu den Gründungs­ eine junge Partei, so mahnte er die Honoratioren, „sor­ lonne“ der CDU betrachtet, sondern als eigenständige 65 mitgliedern der Jungen Union. gen sie dafür, dass sie die Partei der Jugend wird!“. politische Kraft behandelt zu werden. Bis weit in die 1950er Jahre hinein waren kritische Bemerkungen über Bruno Six wurde auf dem 3. Deutschlandtag vom das zu geringe politische Gewicht der Jungen Union fes­ 12. bis 15. Oktober 1947 in Hamburg zum ersten ter Bestandteil bei Sitzungen des Deutschlandrats und Deutschlandsprecher der Jungen Union gewählt. auf den Deutschlandtagen. In der Tat handelte es sich Als Ziele der Organisation nannte er dort „die Gewin­ anfangs noch um keine Massenbewegung und man nung der jungen Generation für die politische Idee, hatte auch noch keineswegs „die Fackelträgerfunktion die staatsbürgerliche Durchbildung dieser Generation bei den Vereinigungen“ (Hans-Otto Kleinmann) über­ (wie auch der CDU) und gingen zu einem großen Teil Aufmüpfigkeit gegenüber und die Weiterentwicklung des Parteiprogramms nach nommen, die die JU später zumindest zeitweise für in die „Würzburger­ Beschlüsse“ ein, die das im März den Honoratioren dem Lebensgefühl der jungen Menschen“. Letzteres sich in Anspruch nehmen konnte. Vielmehr hatte sie 1950 verabschiedete erste Grundsatzprogramm der und die Tatsache, dass man in Hamburg auch die das Ziel, eine politische Massenbewegung zu werden, JU bildeten. Zudem wurde die „christliche Jugend Der spätere Bundeskanzler und Parteivorsitzende ­Einrichtung eines bei der Arbeitsgemeinschaft der bei Weitem noch nicht erreicht und war auch organi­ der Welt“, besonders die Jugend Frankreichs, um die Konrad Adenauer begleitete die Bemühungen um CDU/CSU in Frankfurt/Main angesiedelten Deutschland- satorisch alles andere als gut aufgestellt. Dies änderte Bereitschaft zu Versöhnung und Zusammenarbeit die Schaffung einer christlich-demokratischen Jugend­ Sekretariats der Jungen Union beschloss, zeigt, dass sich im Verlauf der 1950er und 1960er Jahre, in denen gebeten. Auch dies war symptomatisch, waren es organisation zunächst wohlwollend. So eröffnete man sich trotz der Kritik an den Altvorderen eindeutig sich die Junge Union zum größten politischen Jugend­ nach Kriegsende doch gerade die Jugendverbände er die erste Zonentagung der Jungen Union in der als Jugendorganisation der neuen Partei verstand. verband der Bundesrepublik entwickelte und einen unterschiedlichster Provenienz, die früh eine Vorrei­ britischen Zone am 4. August 1946 in Recklinghau­ innerparteilichen Einfluss entfaltete, der 1967 Theodor terrolle bei der (Wieder)Anbahnung internationaler sen, forderte die Teilnehmer zu „Mut und Geduld“ Die erwähnte Aufmüpfigkeit gegenüber den Partei­ Eschenburg dazu veranlasste, sie als seinerzeit „erfolg­ Kontakte spielten. auf und ermunterte zum fruchtbaren Gedanken­ honoratioren kann durchaus als symptomatisch für die reichste personalpolitische pressure group“ in der austausch zwischen den Generationen. Allerdings Spannungen gesehen werden, die die CDU im Verlaufe Bundesrepublik zu bezeichnen. Auf der anderen Seite spielte gerade die Junge Union in den frühen 1950er Jahren bei der gesellschaftlichen Durchsetzung des von der CDU-geführten Bundes­ regierung gegenüber den Verbündeten zugesagten bundesdeutschen Verteidigungsbeitrags eine zentrale Rolle. Der seinerzeitige Deutschlandsprecher nahm rückblickend für seine Organisation in Anspruch, damals die „Hauptlast der Diskussion mit der deutschen Jugend“ getragen zu haben, weshalb die Akzeptanz der Wiederbewaffnung „nicht zuletzt ein Verdienst der Jungen Union“ gewesen sei. Die Mutterpartei revanchierte sich für die parteiloyale Auf­ gabenerfüllung, indem sie Nachwuchskräften aus der Jungen Union schon vergleichsweise früh den Weg in die Parlamente öffnete. Neben Majonica, der von 1959 bis 1969 außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bun­ destagfraktion war, sind hier unter anderem Gerhard Stoltenberg, Bert Even und Matthias Wissmann zu Literatur 66 67 nennen. Der erste Bundesvorsitzende Böhr, Christoph (Hg.): Jugend bewegt Politik. Die Junge Union der Jungen Union Bruno Six. 1956 erhielten die Junge Union, die Frauenvereini­ Deutschlands 1947–1987. 1988, darin u. a. Horstwalter Heitzer: gung, die Sozialausschüsse (CDA), die Kommunalpoli­ Gründung und Entwicklung der Jungen Union bis zu den „Würzburger tische Vereinigung und die Mittelstandsausschüsse Beschlüssen“ 1950 (S. 15–54). den satzungsmäßigen Status einer „Vereinigung“. 1962 definierte man als deren Aufgabe, „das Gedan­ Bösch, Frank: Macht und Machtverlust. Die Geschichte der CDU. kengut der CDU in ihrem Wirkungskreis zu vertreten ­Stuttgart, München 2002. und zu verbreiten“. Frank Bösch sieht in der Rolle der relativ selbstständigen Vereinigungen, denen auch Kleinmann, Hans-Otto: Geschichte der CDU 1945–1982. Nicht-Mitglieder der CDU beitreten konnten und kön­ Hg. v. Günter Buchstab. Stuttgart 1993. nen, einen mitentscheidenden Faktor für die enorme Integrationsleistung der „Adenauer-CDU“: Sie hätten Krabbe, Wolfgang R.: Parteijugend in Deutschland. Junge Union, eine „Mittlerfunktion zwischen Partei und Gesell­ ­Jungsozialisten und Jungdemokraten 1945–1980. Wiesbaden 2002. schaft“ übernommen, die Einbindung unterschiedli­ cher Interessengruppen gefördert und so die großen Mißfelder, Philipp (Hg.): 60 Jahre Junge Union Deutschlands. Wahlsiege ermöglicht. 2. Aufl. Monschau 2007.

Wagner, Jochen: Die Junge Union Deutschlands. Geschichte, Struktur und Perspektiven. Saarbrücken 1998. In der Zeit vom 1. bis 3. Februar 1947 tagten In der weltpolitischen Konstellation jener Jahre war 40 Christliche Demokraten des Zonenausschusses das Ahlener Programm vom 3. Februar 1947 ein der CDU in der britischen Besatzungszone im Pen- Dokument des sozialen Gewissens und Wollens der sionat des Klosters St. Michael in Ahlen. Sie berie- Union. Es war zudem ein eindrucksvoller Nachweis ten unter der Leitung ihres Vorsitzenden Konrad dafür, dass man seinerzeit bestrebt war, die geisti­ ­Adenauer das sogenannte Ahlener Programm, das gen Fehlhaltungen, die zum Nationalsozialismus und einen dritten Weg jenseits von Kapitalismus und zur Weltkriegskatastrophe geführt hatten, radikal zu Sozialismus beschrieb. überwinden und künftig eine Gesellschaftsordnung zu installieren, die von Freiheit in Politik und Wirt­ schaft, von Recht und Gerechtigkeit gekennzeichnet sein sollte. Zudem hatte die Auffassung, die Instabili­ Ausgangslage tät des „Systems Weimar“ sei zu erheblichen Teilen auch auf seine wirtschaftlichen sowie arbeits- und Warum ging der Zonenausschuss nach Ahlen? Es war in gesellschaftspolitischen Defizite zurückzuführen, der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht einfach, einen maßgeblichen Einfluss auf die Verfasser des Ahlener Ahlen Tagungsort zu finden, an dem bis zu 30 Personen Programms. untergebracht und verpflegt werden konnten und der gleichzeitig verkehrsgünstig und zentral gelegen war. Kloster St. Michael 69 1947Ems Weser Auf der Suche nach Nordrhein-Westfalen 8 einem Weg zwischen Ahlen Dortmund Soest Kapitalismus und Sozialismus Essen

Düsseldorf Markus Lingen Köln Wesseling Siegen Bonn Rhöndorf Im Kloster St. Michael verabschiedete der Zonenausschuss der CDU der britischen Zone das Ahlener Programm.

Mosel Vor sozialen Spaltungen der Gesellschaft wie in der in einer konkreten Situation ihren Staat zu bestellen. Grundsätze des Ahlener Programms Weimarer Zeit sollte die Ordnung der Bundesrepu­ Der christlichen Soziallehre geht es vielmehr um die blik Deutschland bewahrt werden. Nur vor diesem Konzeption eines gesellschaftlichen Ordnungsbilds, Heute noch gültige Grundsätze des Ahlener Pro­ Hintergrund lässt sich der machtvolle politische und das sich auf Grundlage einer Reihe unveränderlicher gramms sind die Forderung nach einer Wirtschafts- programmatische Einsatz des Arbeitnehmerflügels ethischer Grundsätze ergibt. Das aber bedeutet: Es und Sozialordnung, die der Freiheit der Person gerecht der CDU in der Frühzeit erklären, der teilweise gar gibt keine christliche Wirtschafts-, Sozial- und Staats­ wird. Freiheit im politischen und Freiheit im wirtschaft­ für einen christlichen Sozialismus eintrat. ordnung, die für alle Zeiten und Situationen gleicher­ lichen Bereich hängen aber untrennbar zusammen. maßen gültig ist. Wie allgemeine, gültige Prinzipien in Dies ist die Fundamentalidee, die vor allem Adenauer Doch nicht nur der Arbeitnehmerflügel nahm Einfluss der jeweiligen Situation zu verwirklichen sind, bedarf immer wieder mit Nachdruck vertreten hat und mit auf das Programm. Vor dem Hintergrund, dass die einer sorgfältigen Analyse der Tatsachen und kann der er sich von manch überzogenen Forderungen britische Zone unter der politischen Kontrolle der bri­ deshalb nicht von vornherein festgelegt werden. So vonseiten des linken Flügels der Union abgrenzte. tischen Militärverwaltung stand, sah Konrad­ Adenauer­ ist es folgerichtig, dass Teile des Ahlener Programms Der zweite, ebenso wichtige Grundsatz ist das Postu­ in dem Ahlener Programm die große Chance, eine heute überholt sind, weil sie in eine konkrete zeithisto­ lat, dass die Wirtschaft der Bedarfsdeckung des Volks Sozialisierungswelle, die von der britischen Besat­ rische Situation hinein konzipiert worden sind. zu dienen hat und deshalb auch alle Menschen an den zungsmacht im Zusammenspiel mit den sozialistischen Erträgen der Wirtschaft, die ja ein sozialer Prozess ist, Parteien geplant war, zu verhindern. Sicherlich war es Das Ahlener Programm war das Produkt des soge­ teilhaben sollen. auch nicht unwichtig für die CDU, in der Auseinander­ nannten Walberberger Kreises um Pater Eberhard setzung mit den linken Parteien SPD und KPD sowie Welty OP von Kloster Walberberg bei Köln sowie Schließlich ist noch ein dritter Grundsatz zu erwäh­ 70 71 dem wiedererstandenen Zentrum ein fortschrittliches der beiden bedeutenden CDA-Politiker der Frühzeit nen, der immer wieder als Adenauers ureigene Idee Parteiprogramm entworfen zu haben. Johannes Albers und . Der Walberberger angesehen wurde: Es geht um das „machtverteilende Kreis hatte schon die Kölner Leitsätze, das Urpro­ Prinzip“, das in Wirklichkeit aber – wie das Persönlich­ gramm der rheinischen Union im Juni 1945, weitge­ keitsprinzip und das Gemeinwohlprinzip – ein uralter hend konzipiert. Grundsatz der christlichen Soziallehre ist. Es ist dem Ideengeschichtlicher Hintergrund Subsidiaritätsprinzip eng verwandt und fordert, dass Erst wenn man den historisch-ideengeschichtlichen einzelne Personen, Gruppen, Verbände oder staat­ Der ideengeschichtliche Hintergrund des Ahlener Hintergrund des Ahlener Programms in den Blick liche Stellen nur so viel Macht besitzen sollen, wie zur Programms speist sich aus der christlich-sozialen nimmt, hat man den eigentlichen Schlüssel zum Ver­ Erfüllung der jeweiligen Aufgabe unbedingt notwendig Bewegung bis 1933 und auch unmittelbar nach 1945. ständnis des Programms und seiner überzeitlichen ist. Dieses Prinzip ist eine Absage an den extremen Die Päpste und die Sozialenzykliken waren im Grund­ Bedeutung. Sie liegt begründet in dem geistigen Funda­ Kapitalismus und den Staatssozialismus zugleich. sätzlichen geblieben; das Ahlener Programm wurde ment der Union, dem christlich-demokratischen und hingegen ziemlich konkret – für ein Aktionsprogramm dem christlich-sozialen Gedankengut, wie es vor allem Ahlen, und das ist die gesellschaftspolitische Leistung auch angemessen, aber in den konkreten Forderun­ von der katholischen Soziallehre entwickelt und entfal­ dieses Programms, wollte die richtige Formel finden für gen eben durch seine Zeit bedingt. tet worden ist, aber auch im sozialen Protestantismus die Verteilung der politischen und gesellschaftlichen seit Johann Hinrich Wichern seine Wurzeln hat. und damit auch wirtschaftlichen Macht. Hier sollte Die katholische Soziallehre fragt nicht und gibt keine also das Pendant zur demokratisch-rechtsstaatlichen Auskunft darüber, wie Wirtschaft, Gesellschaft und Ordnung entwickelt werden. Der Weg zu einer solchen Die beiden CDA-Politiker Staat in einer konkreten Situation mit welchen Mit­ Wirtschaftsordnung schien den Delegierten von Ahlen Karl Arnold und Johannes Albers teln zu ordnen sind. Die Bürger sind verantwortlich, im Detail allerdings noch nicht gangbar. Das politische prägten das Ahlener Programm. Wollen und das soziale Gewissen hatten daher Vorrang Die Väter der Düsseldorfer Leitsätze, mit denen die den Anhängern des christlichen Sozialismus bezüg­ vor den Sach- und Detailfragen der Wirtschaftswissen­ Unionsparteien dann die Soziale Marktwirtschaft als lich der Sozialisierungsfrage erfolgt. In Wirklichkeit schaften und der Ordnungspolitik. Noch fehlte eine Ordnung der bundesrepublikanischen Wirtschaft und war genau das aber die Funktion der Sitzung vom konsistente Vision, wie sie dann ein Jahr Gesellschaft formuliert haben, hatten schon durch die 1. bis 3. Februar 1947 in Ahlen. nach der Verabschiedung des Ahlener Programms mit sich abzeichnende Staatenbildung deutlich bessere der Konzeption des sogenannten Leitsätzegesetzes zur Bewertungsgrundlagen. Ahlen ist kein Widerspruch zu Düsseldorf, sondern Liberalisierung der Wirtschaft der Bizone im Sommer die Düsseldorfer Leitsätze sind durch das Ahlener 1948 entwickeln sollte. Erhard war – auch in liberalen In dieser historischen Lage standen die Verfasser Programm erst möglich geworden und sie erfahren Kreisen – zunächst noch recht einsam mit seinen wirt­ des Ahlener Programms und der Zonenausschuss. erst durch Ahlen ihre innere Rechtfertigung. Dort schaftsliberalen Grundsätzen, die selbst Wirtschafts­ Entscheidend waren, sind und bleiben der morali­ heißt es: „Die vorwiegend eigentumsrechtlichen und fachleute in der damals schwierigen Ausgangslage für sche Anspruch, die ethisch-politischen Grundprinzi­ gesellschaftspolitischen Grundsätze des Ahlener Pro­ verfrüht hielten. pien des Ahlener Programms: das machtverteilende gramms werden anerkannt, jedoch nach der markt­ Prinzip, das Machtkonzentration verhindert und das wirtschaftlichen Seite hin ergänzt und fortentwickelt.“ Literatur Die Christlich-Sozialen waren also mit ihrer Skepsis Freiheit in Staat und Wirtschaft, vor allem durch eine gegen die Marktwirtschaft keinesfalls allein. Aber Dezentralisation der Macht, sichern soll. Die zentrale Die CDU wäre ohne das Programm von Ahlen nicht Focke, Franz: Sozialismus aus christlicher Verantwortung. bereits in Ahlen war erkannt worden, dass es auch Forderung von damals gilt heute noch genauso: dass das geworden, was sie heute ist, eine Volkspartei der Die Idee eines christlichen Sozialismus in der katholisch-sozialen künftig – wie immer die Ordnung im Einzelnen ausse­ die Wirtschaft dem Menschen zu dienen hat und Mitte, für die wirtschaftliche Kompetenz und soziale Bewegung und in der CDU. Wuppertal 1978. hen und heißen mochte – ohne Wettbewerb und ohne nicht umgekehrt. Verantwortung zwei Seiten derselben Medaille sind. 72 73 private Unternehmerinitiative nicht gehen könne. Die Union steht in der Tradition von Ahlen und Düs­ John, Antonius: Ahlener Programm und Bonner Republik. Wirtschaftsliberale Grundsätze standen so neben Im Jahrbuch 1949 der CDU der britischen Zone, seldorf – und man darf die Offenburger Erklärung Vor 50 Jahren: Ideenwettlauf und Rivalität. Bonn 1997. relativ weitgehenden sozialpolitischen Forderungen, das vom Zonensekretariat in Köln redigiert worden (1967, „Der Mensch ist wichtiger als die Sache“), das deren bedeutendste sicherlich die nach betrieblicher war, wurde das Ahlener Programm bezeichnender­ erste Grundsatzprogramm der Christlich-Demokra­ Konrad-Adenauer-Stiftung (Hg.): Konrad Adenauer und die CDU der Mitbestimmung war – die erste in einem deutschen weise gar nicht erwähnt. Nach den Vorstellungen tischen Arbeitnehmerschaft, hinzufügen. britischen Besatzungszone 1946–1949. Dokumente zur Gründungs­ Parteiprogramm nach 1945! ­Adenauers war dieses Manifest nur ein ad hoc ent­ geschichte der CDU Deutschlands. Bonn 1975. worfenes Wahlprogramm für die nordrhein-westfäli­ sche Landtagswahl am 20. April 1947. Das eigentliche Reichel, Herbert: Das „Ahlener Programm“ der CDU – ein fortwirken­ und bedeutungsvollere Programm der Partei war der Auftrag und seine Grenzen, in: Jahrbuch für Christliche Sozialwis­ Bedeutung des Ahlener Programms für den Zonenvorsitzenden das von ihm weitgehend senschaften 17 (1976), S. 243–264. selbst entworfene Programm von Neheim-Hüsten Dass das Ahlener Programm zeitbedingte Schwächen vom März 1946. Dieses hieß daher auch parteioffiziell Uertz, Rudolf: Christentum und Sozialismus in der frühen CDU. hatte, liegt auf der Hand. Diese Schwächen hatten „Das Programm der CDU für die britische Zone“. Jenes Grundlagen und Wirkungen der christlich-sozialen Ideen in der Union ihre Ursache unter anderem in der ungeklärten von Ahlen hingegen sollte eigentlich nur ein Ressort­ 1945–1949 (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Situation des unter alliierter Besatzung stehenden programm sein und heißt deshalb auch vollständig: Nr. 43). Stuttgart 1981. Deutschlands. Dazu gehörte das Auseinanderdriften „Das Ahlener Wirtschafts- und Sozialprogramm“. In der westlichen und der sowjetischen Besatzungs­ Adenauers Memoiren ist es nicht einmal erwähnt, Uertz, Rudolf: Von den Gründungsaufrufen 1945 zu den Grundsatz­ zone. Dazu gehörte die noch immer nicht abschlie­ vielmehr unterstreicht er dort den Stellenwert seines programmen 1978 und 1994. Zur Programmgeschichte der CDU, in: ßend geklärte Frage von Reparationen und dazu eigenen Programms und die grundsätzliche Bedeu­ Günter Buchstab (Hg.): Brücke in eine neue Zeit. 60 Jahre CDU. Frei­ gehörte, dass sich die wirtschaftliche Aufwärtsent­ tung der ersten Zonenausschusssitzung von Neheim- burg im Breisgau, Basel, Wien 2005, S. 94–138. wicklung noch gar nicht abzeichnete. Hüsten. Dort sei – angeblich – schon die Einigung mit „[G]erade die Aufnahme, die die deutschen Ver- Deutscher Nation, den Niederlanden und Belgien. treter damals in Luxemburg gefunden haben, [hat] Doch 1867 folgten auf die jahrhundertelange Aufrüs­ uns aufs tiefste berührt und uns in unserer Absicht tung die Schleifung der Festung und die Verkündung bestärkt […], unsere ganze Kraft dafür einzusetzen, der „immerwährenden Neutralität“ des inzwischen dass dieses verwüstete Europa im christlichen Geist selbstständigen Großherzogtums Luxemburg. Der wieder aufgebaut wird.“ (Konrad Adenauer auf der kleine Staat widmete sich nunmehr dem wirtschaft­ Tagung der NEI am 14. September 1951 in Bad Ems) lichen Aufbau als Eisenbahnknotenpunkt, als Mitglied des deutschen Zollvereins (bis 1919) und nach dem Diese erste Aufnahme deutscher Christlicher Demo- Zweiten Weltkrieg schließlich als Mitbegründer der kraten in den Kreis gleichgesinnter europäischer Zollunion BeNeLux. Politiker fand 1948 in Luxemburg statt. Knapp dreißig Jahre später, 1976, wurde ebenfalls in Luxemburg Die Erkenntnis aus zwei Weltkriegen, wie zerbrech­ unter deutscher Beteiligung die Europäische Volks- lich Neutralität sein kann, und der ausbrechende partei (EVP) gegründet. Kalte Krieg führten dazu, dass sich Luxemburg als Gründungsmitglied­ der NATO für die Westorientie­ Luxemburg rung entschied und schließlich zum Schrittmacher der europäischen Integration wurde. Zwischen Kriegsfestung und Neutralität – Rathaus 75 Der Ort Luxemburg 1948 Bereits zur Zeit des Römischen Reichs befand sich auf dem Gebiet der Stadt Luxemburg eine wichtige Zum ersten Mal dabei – Aufbruch nach Europa der Straßenkreuzung als Verbindung zwischen den heute Deutsche Christliche Demokraten zu Frankreich bzw. Deutschland gehörenden Städten beim Kongress der NEI Paris und Metz sowie Trier und Aachen. Die Siche­ deutschen Christlichen rung dieses Knotenpunkts führte in den kommenden Bereits vom 30. Januar bis 1. Februar 1948 richtete Jahrhunderten zu einer immer stärkeren Befestigung, Luxemburg eine Versammlung der Nouvelles Equipes Demokraten erst zum Bau eines Wachturms, dann einer Burg und Internationales (NEI) aus, wofür die Stadt sogar ihr schließlich einer Festung, die Ende des 18. Jahrhun­ Rathaus am zentralen Place Guillaume II zur Ver­ derts als eine der „stärksten der Welt“ (Lazare Carnot, fügung stellte. In der NEI hatten sich ein Jahr zuvor Kordula Kühlem französischer Offizier und Minister) galt. in Chaudfontaine bei Lüttich christlich-demokra­ Luxemburg tische Politiker vor allem aus Europa, aber auch aus Es erscheint fast schon selbstverständlich, dass die anderen Ländern zusammengeschlossen. Für ihren Herrschaft über diesen stark befestigten, logistisch zweiten Kongress 1948 hatten sie beschlossen, sich 9 Luxemburg bedeutsamen Ort mitten in Europa im Laufe der Jahr­ nicht nur der „deutschen Frage“ zu widmen, sondern hunderte mehrfach wechselte zwischen Österreich, auch zum ersten Mal deutsche Repräsentanten dazu Frankreich, Spanien, dem Heiligen Römischen Reich einzuladen. Die erste Versammlung der engste verknüpft ist mit dem Problem des Neuaufbaus Nouvelles Equipes Internationales Europas“. Daran anschließend formulierte er die Hoff­ (NEI) unter deutscher Beteiligung nung – in Nachahmung des Zusammenschlusses der fand im Luxemburger Rathaus statt. BeNeLux-Länder – auf eine „europäische Föderation“ auch und vor allem auf der Basis einer „freundschaft­ lichen Zusammenarbeit“ Deutschlands mit Frankreich.

Diesem Bekenntnis zu einem europäischen Zusam­ menschluss verschrieb sich nicht nur Adenauer, son­ dern die gesamte NEI. Sie bot den in ihr organisierten Politikern aus christlich-demokratischen Parteien in ganz Europa vor allem die Möglichkeit, sich auf infor­ meller, inoffizieller Basis auszutauschen und politische Entscheidungen vorzubesprechen und vorzubereiten. In den nächsten Jahren fanden zahlreiche Kongresse in verschiedenen europäischen Ländern statt, die stets von hochrangigen Politikern besucht wurden. Bei der ersten Versammlung auf deutschem Boden, im Sep­ 76 77 tember 1951 in Bad Ems, hieß Adenauer als Bundes­ kanzler des inzwischen gegründeten westdeutschen Staats die Delegierten willkommen. Dabei hob er noch einmal hervor, was es für Deutschland bedeutete, bereits 1948 in Luxemburg in diesen Kreis aufgenom­ men worden zu sein. So wenig es selbstverständlich war, Vertreter des Gelegenheit das erste Mal nach dem Krieg ins Ausland früheren Kriegsgegners einzuladen, so wenig war es reiste und mit ausländischen Politikern zusammen­ Ab Mitte der 1950er Jahre verloren die NEI zuneh­ Bundeskanzler Konrad Adenauer und der selbstverständlich, dass diese an der Konferenz teil­ traf. Adenauers Bekenntnis am Anfang seiner Rede, als mend an Bedeutung, woraufhin sie sich umorgani­ französische Außenminister Robert Schuman nehmen konnten. Deutschland stand 1948 noch immer Deutscher mit einer „gewissen Befangenheit“ angereist sierten und 1965 als Europäische Union Christlicher am 22. November 1951 in Paris. unter der Besatzung der Hauptalliierten, die Deutschen zu sein, beweist zudem, welche Bedeutung dieser dem Demokraten (EUCD) neu aufstellten. Ein Grund für unter den Direktiven der jeweiligen Besatzungsstaaten, Ereignis beimaß. den Bedeutungsverlust war allerdings, dass die NEI und die fünf Mitglieder der deutschen Abordnung auf ihr wichtigstes Ziel inzwischen erreicht hatten: Mit der Konferenz in Luxemburg brauchten für ihre Reise Im Bewusstsein der Schuld aus der Zeit des National­ der Gründung der EGKS 1952 und der EWG 1957 eine Genehmigung der Besatzungsbehörden. Deren sozialismus betonte Adenauer besonders sowohl waren die ersten Schritte auf dem Weg der euro­ Gewährung war ebenfalls keine Selbstverständlichkeit. die deutsche „Pflicht zur Wiedergutmachung“ der päischen Integration erfolgt – und deutsche Christ­ Das zeigt sich darin, dass Konrad­ Adenauer, der Dele­ Deutschen als auch die „freundliche Aufnahme“ der liche Demokraten waren seit dem Treffen der NEI in gationsleiter und damalige Vorsitzende der CDU in der Deutschen in Luxemburg. Deutlich bekannte er sich Luxemburg nicht nur dabei, sondern inzwischen an britischen Besatzungszone in Luxemburg, bei dieser dazu, „dass die Lösung des deutschen Problems aufs verantwortlichen Stellen mittendrin. Mittendrin in der Europapolitik – Parlament und EUCD koordinierte und auch erste Leo Tindemans, Premier- Gründung der EVP Vorüberlegungen zur Gründung einer europäischen minister von Belgien und christlich-demokratischen Partei anstellte. Richtig erster EVP-Vorsitzender, Die Rolle des Großherzogtums in den Anfängen der Schwung bekamen diese Gedanken durch den 1976 Heiner Geißler, CDU-General- europäischen Integration würdigten die beteiligten verabschiedeten Beschluss des Europäischen Parla­ sekretär, und Helmut Kohl, Staaten, indem der Sitz der ersten gemeinsamen Ins­ ments, möglichst bald Direktwahlen abzuhalten, und Bundesvorsitzender der CDU, titution, der EGKS, zumindest vorläufig nach Luxem­ durch die für diesen Zweck eingesetzte Arbeitsgruppe auf dem ersten Kongress der burg kam. Als Ersatz für den Wegzug dieser Behörden unter der Leitung von Lücker und dem belgischen EVP vom 6. bis 7. März 1978. 1958 residiert seitdem der Europäische Gerichtshof Politiker Wilfried Martens. in der Stadt, dazu kamen nach und nach weitere Dienststellen, sodass Luxemburg einer der drei Ver­ Bereits am 29. April 1976 konnte das Statut für die waltungssitze der heutigen Europäischen Union ist. neue Partei verabschiedet werden und mit der kons­ tituierenden Sitzung am 8. Juli 1976 in Luxemburg Dafür schuf die Stadt ein ganzes Europaviertel mit erfolgte die offizielle Gründung. Im Schuman-Gebäude vielen Neubauten auf dem Plateau Kirchberg. Ein waren dafür 50 Delegierte aus zwölf christlich-demo­ Gebäude an dessen Rand ist benannt nach Robert kratischen Parteien aus sieben Ländern zusammen­ Schuman, geboren in Luxemburg, später französi­ gekommen, darunter eine hochrangige Delegation aus scher Außenminister und einer der Väter der europäi­ der Bundesrepublik, der u. a. die Generalsekretäre der 78 79 schen Integration. Dort wurden seit seiner Fertigstel­ CDU, Kurt Biedenkopf, und der CSU, Gerold Tandler, lung 1973 Sitzungen des Europäischen Parlaments sowie der Vorsitzende der Bundestagsfraktion der und viele andere Versammlungen der europäischen Union Karl Carstens angehörten. Zum ersten Prä­ Abgeordneten abgehalten. Eine davon fand am sidenten wurde der belgische Premierminister Leo 8. Juli 1976 im sechsten Stock statt: die Gründung Tindemans gewählt, der ein Jahr zuvor mit dem nach der Europäischen Volkspartei (EVP). ihm benannten Bericht „A common vision of Europe“ der Europäischen Gemeinschaft den Weg zu einer minister und Bundestagspräsidenten stellte die ­Vertreter dieser Parteien allerdings nur als Gäste Bei dieser Veranstaltung waren die deutschen Vertre­ Union gewiesen hatte. Den Auftrag, das Sekretariat deutsche Union den deutlich prominentesten Politi­ geladen, genauso wie Repräsentanten christlich- ter nicht mehr nur geduldete Gäste, wie bei dem NEI- der neuen Partei aufzubauen, erhielten gemeinsam ker dieser Stellvertretergruppe. Dies unterstreicht, demokratischer Parteien aus Ländern, die (noch) Kongress 28 Jahre vorher. Vielmehr waren deutsche der aus Deutschland kommende Exekutivsekretär der welchen Stellenwert diese Parteigründung und die nicht der Europäischen Gemeinschaft angehörten. Politiker aktiv an den Vorüberlegungen, der Planung EUCD Josef Müller und der italienische Generalsekre­ gesamte europäische Integration in der Politik der Jedoch kamen die wenigsten der Einladung nach, und Konzeption beteiligt. Dazu gehörten vor allem der tär der Parlamentsfraktion Giampaolo Bettamio. deutschen Christlichen Demokraten damals hatten – woraufhin CSU-Generalsekretär Tandler betonte, es Präsident der aus den NEI hervorgegangenen EUCD wie auch heute noch haben. sei „kein idealistisches Ziel, sondern realpolitische Kai-Uwe von Hassel sowie der Vorsitzende der christ­ Stellvertretende Präsidenten wurden der Italiener Notwendigkeit“, die Mitgliederzahl der neuen Partei lich-demokratischen (CD-)Fraktion im Europäischen Dario Antoniozzi, der Franzose André Colin, der Nie­ Das zeigte sich bereits im Vorfeld auch an der Kom­ stetig zu vergrößern. Dieses Ziel ist mit fast 50 Mit­ Parlament, Hans August Lücker. derländer Norbert Schmelzer sowie Kraft ihres Amts promissbereitschaft der Vertreter von CDU und CSU, gliedsparteien inzwischen längst erreicht. der inzwischen als Vorsitzender der CD-Fraktion im die durchaus für eine Öffnung der gemeinsamen Lücker und von Hassel waren Mitglieder des bereits Europäischen Parlament amtierende Belgier Alfred europäischen Partei für konservative und liberale, Entgegenkommend verhielten sich CDU und CSU 1972 gegründeten Politischen Komitees, das die Bertrand und Kai-Uwe von Hassel als Vorsitzender nicht explizit christliche Vereinigungen plädierten. ebenfalls in dem harten Ringen um den Partei­ Zusammenarbeit von CD-Fraktion im Europäischen der EUCD. Mit Letzterem als ehemaligem Bundes­ Zur Sitzung vom 8. Juli 1978 in Luxemburg waren namen. Schließlich einigte man sich darauf, den Begriff „­christlich“ nur in den Untertitel aufzunehmen, Ebenfalls eine Kraftquelle für Europa ist Luxemburg, dafür aber den Volksparteigedanken zu betonen. Die obwohl es bis zum Beitritt Maltas 2004 das kleinste Bezeichnung lautete schließlich: Europäische Volks­ Land der EU war. Seinen Namen tragen wichtige Weg­ partei – Föderation der christlich-demokratischen marken der europäischen Integration: Der „Luxem­ Parteien der Europäischen Gemeinschaft. Eher unum­ burger Kompromiss“ holte die Europäischen Gemein­ stritten, für die damalige Zeit aber durchaus außer­ schaften 1966 aus der Krise des „leeren Stuhls“ – bei gewöhnlich und umso weitblickender, firmierte dieser der Frankreich durch Fernbleiben von den Ratssitzun­ christlich-demokratische europäische Zusammen­ gen die Institution faktisch beschlussunfähig gemacht schluss sofort als Partei im Gegensatz zum Bund der hatte – und ermöglichte das Inkrafttreten des Fusions­ Sozialisten und zur Föderation der Liberalen. vertrags 1967, die „Luxemburger Erklärung“ formu­ lierte 1984 eine Annäherung der EG-Staaten an die Zu Recht betonte Helmut Kohl als Vorsitzender der Staaten der damaligen Europäischen Freihandelsas­ CDU anlässlich der Gründung der EVP: „Die Europäi­ soziation (EFTA), die „Luxemburg-Gruppe“ bildeten die sche Volkspartei ist die erste große Partei auf euro­ Staaten Ost-Mitteleuropas, mit denen 1998 zuerst Bei­ päischer Ebene“, um daran den Anspruch und das trittsverhandlungen aufgenommen wurden. Mit gutem Versprechen zu knüpfen: „Sie wird zur Kraftquelle Grund wurde dem Großherzogtum 1986 als bisher der europäischen Bewegung werden.“ einzigem europäischen Staat der Karlspreis verliehen. 80 81 Für deutsche Christliche Demokraten ist Luxemburg Literatur durch den Kongress der NEI 1948 das Tor zum Eintritt Motor der europäischen Einigung in die europäische Integration. Aufgrund der dortigen Durand, Jean-Dominique: L’Europe de la Démocratie Chrétienne. Gründung der EVP 1976 symbolisiert der Ort außer­ Paris 1994. Als Kraftquelle für Europa hat sich die neue Partei dem die Institutionalisierung der christlich-demokrati­ tatsächlich etabliert. Nach dem ersten Kongress der schen Zusammenarbeit auf europäischer Ebene. Somit Fontaine, Pascal: Herzenssache Europa. Eine Zeitreise 1953–2009. EVP in Brüssel am 6./7. März 1978 und der dortigen ist Luxemburg ein Erinnerungsort der europäischen Geschichte der Fraktion der Christdemokraten und der Europäischen Verabschiedung eines Politischen Programms nannte Integration für Christliche Demokraten – aus Deutsch­ Volkspartei im Europäischen Parlament. Brüssel 2009. sich auch die Gruppe im Europäischen Parlament – land, aber auch aus ganz Europa. mal mit, mal ohne Zusatz – EVP-Fraktion. Diese ist Jansen, Thomas: Die Entstehung einer Europäischen Partei. seit der ersten Direktwahl 1979 über die Hälfte der Vorgeschichte, Gründung und Entwicklung der EVP. Bonn 1996. Zeit von deutschen Fraktionsvorsitzenden geleitet worden – ein Beweis für die Rolle, in die deutsche Jansen, Thomas/Steven Van Hecke: At Europe’s Service. The Origins Christliche Demokraten in Europa seit den Anfängen and Evolution of the European People’s Party. Heidelberg 2011. hineingewachsen sind. Außerdem ist die EVP-Fraktion seit 1999 die größte Parteiengruppierung im Europäi­ Kaiser, Wolfram: Deutschland exkulpieren und Europa aufbauen. schen Parlament. Parteienkooperation der europäischen Christdemokraten in den ­Nouvelles Equipes Internationales 1947–1965, in: Michael Gehler/ Wolfram Kaiser/Helmut Wohnout (Hg.): Christdemokratie in Europa im 20. Jahrhundert. Wien, Köln, Weimar 2001, S. 695–719. Die Düsseldorfer Leitsätze formulierten als wirt- Dass gerade das Düsseldorfer Parlamentsgebäude schaftspolitisches Programm der CDU für den Bun- für diesen Anlass ausersehen wurde, hatte mehrere destagswahlkampf 1949 einen Ausgleich zwischen Gründe. Zum einen regierte mit Karl Arnold seit den ordoliberalen und sozialpolitischen Forderungen Landtagswahlen 1947 ein CDU-Ministerpräsident und prägten den Begriff Soziale Marktwirtschaft. in Düsseldorf und die Stadt selbst hatte mit einen auch überregional bekannten ehema­ ligen Oberbürgermeister. Lehr war im Widerstand aktiv gewesen und unterstrich zudem noch in seiner Das Düsseldorfer Ständehaus Funktion als rheinischer Oberpräsident (1945–1946) und engagierter Protestant den überkonfessionellen Am 15. Juli 1949 hatte die CDU zu einer Pressekon­ Charakter der CDU. Außerdem waren in der Pro­ ferenz in das Düsseldorfer Ständehaus eingeladen. grammkommission, die das Wirtschaftsprogramm Vorgestellt werden sollte das Wirtschaftsprogramm erarbeitet hatte, im Wesentlichen Politiker der CDU der Union für die bevorstehenden Bundestagswahlen der britischen Besatzungszone aktiv gewesen. im August. Der Ort des Geschehens, das Ständehaus, Düsseldorf beherbergte den Landtag Nordrhein-Westfalens, des Vor allem aber gab es praktische Gründe für die auf britische Veranlassung 1946 neu gebildeten, größ­ Auswahl des Ständehauses: Das bei einem Bomben­ ten Lands in den westlichen Besatzungszonen. angriff 1943 zerstörte Landtagsgebäude, von 1881 Ständehaus 83 1949Ems Weser Plädoyer für die Nordrhein-Westfalen Soziale Marktwirtschaft – Ahlen Dortmund Soest Die wirtschaftspolitischen Essen 10 Leitsätze der Arbeitsgemein­ Düsseldorf Köln schaft der CDU Wesseling Siegen Bonn Rhöndorf Wolfgang Tischner Im Düsseldorfer Ständehaus wurden die Düsseldorfer Leitsätze verabschiedet.

Mosel bis zu seiner Abschaffung im Dezember 1933 Sitz des Gewerkschaftsflügels der CDU sowie andere präsen­ Zwischen Zentrum und Freiburger Schule Das Ahlener Programm Rheinischen Provinziallandtags und vom Volksmund tierten gemeinsam das neue Programm. Darauf, dass despektierlich als „sechste rheinische Provinzialirren­ die volle Breite der CDU vertreten war, hatte Adenauer In der nach Kriegsende neu gegründeten CDU kon­ Grundsätzlich sahen die päpstlichen Enzykliken wie anstalt“ bezeichnet, war gerade wieder aufgebaut und besonderen Wert gelegt, da die Düsseldorfer Leitsätze, kurrierten anfangs die wirtschaftspolitisch häufig die 1891 veröffentlichte SchriftRerum Novarum sowohl erst am 15. März 1949 als „Haus des Landtags“ feier­ wie das neue Wirtschaftsprogramm genannt wurde, divergierenden Vorstellungen ihrer Vorgängerpar­ privates Eigentum an Produktionsmitteln wie auch lich neu eröffnet worden. Technisch auf dem neuesten inhaltlich möglichst nicht als eine zu dezidierte Abkehr teien. Im Zentrum hatte es wirtschaftsnahe Ziele beim dessen Sozialbindung vor. Dieses Erbe der katholi­ Stand verfügte es neben modernen Lautsprecheran­ von den teilweise kapitalismuskritischen Positionen konservativen Parteiflügel gegeben, während der schen Soziallehre traf 1945 auf eine Gesellschaft im lagen sogar über ein eingebautes Rundfunkstudio mit des Ahlener Programms wahrgenommen werden soll­ starke Gewerkschaftsflügel mit genossenschaftlichen wirtschaftlichen Zusammenbruch, die die Erfahrung Direktübertragung zum Kölner Funkhaus des Nord­ ten. Wie hatten sich die wirtschaftspolitischen Positio­ Modellen und teilweise sozialistischen Eigentumsver­ gemacht hatte, dass die nationalsozialistische Kriegs­ westdeutschen Rundfunks und moderne Fernschrei­ nen der CDU seit 1945 entwickelt? hältnissen geliebäugelt hatte. Beides war im Rahmen wirtschaft inmitten des Chaos des Kriegsendes noch bertechnik für die Presse – die besten Rahmenbedin­ der maßgeblichen kirchlichen Lehrtexte möglich, die vergleichsweise funktionsfähig geblieben war. In den gungen für ein überzonales Medienereignis im immer für die kirchennahen Parteianhänger die Grenzen der ersten beiden Nachkriegsjahren tendierte die öffentli­ noch kriegszerstörten Deutschland. Programmatik aufzeigten. che Meinung sowohl unter der deutschen Bevölkerung als auch bei allen Besatzungsmächten dahin, dass eine Präsentiert wurde den anwesenden „Pressevertretern Unter den Liberalen verschiedener Schattierungen, Bewirtschaftung der knappen Ressourcen der ein­ des In- und Auslandes“ wie stolz der Deutschland-Union- Alfred Müller-Armack prägte den in ihrer überwiegenden Mehrzahl Protestanten, die zige erfolgversprechende Weg sei; die Ordoliberalen Dienst, der Pressedienst der Union, berichtete – aus­ Begriff der Sozialen Marktwirtschaft. ebenfalls zur Union stießen, waren die Vertreter der wurden außerhalb des akademischen Diskurses noch ländisches Medieninteresse galt im verfemten Nach­ Freiburger Schule mit Abstand die wirtschaftspoli­ nicht wahrgenommen. In der Union fand dies seinen 84 85 kriegsdeutschland als besonderes Qualitätsmerkmal –, tisch einflussreichsten. Zu dieser Gruppe gehörten Ausdruck im sogenannten Ahlener Programm vom ein Wirtschaftsprogramm unter dem zugkräftigen unter anderem Franz Böhm und Adolf Lampe. Deren 3. Februar 1947. Begriff Soziale Marktwirtschaft. Das Medienecho war wirtschaftspolitische Überzeugungen hatten sich in überzeugend: Überwiegend positive Berichte in über­ der Endphase der Weimarer Republik und in der Aus­ In ihm wurde die NS-Wirtschaft als „getarnter Staats­ regionalen Zeitungen wie der Welt erschienen und der einandersetzung mit der NS-Kommandowirtschaft sozialismus“ kritisiert, der genauso abzulehnen sei Leserschaft wurde teilweise, etwa in der Rheinischen während des Krieges gebildet. Sie sahen ein Wirt­ wie der Marxismus. In dem Programm sprach sich die Post, der Abdruck des gesamten Programms auf zwei schaftssystem vor, bei dem der Staat die Regeln des nordrhein-westfälische CDU für die Vergesellschaftung Seiten zugemutet; freilich war Karl Arnold auch einer Wirtschaftslebens vorgeben, von Einzelinterventionen der Montanindustrie aus, allerdings sollten grundsätz­ ihrer Lizenzträger. Mehr kostenlose Werbung konnte aber Abstand nehmen sollte. In diesem „Ordolibera­ lich legal erworbene Eigentumsrechte geachtet wer­ sich eine Partei im Wahlkampf kaum wünschen. lismus“ war der Staatsmacht eine Schiedsrichterrolle den. Auch die Förderung von Kleinbetrieben und Mit­ zugedacht, aus dem eigentlichen Wirtschaftsleben, telstand war explizit vorgesehen. Ausdrücklich bejaht Die CDU bot für die Vorstellung alle auf, die Rang vor allem aus der Preisgestaltung, sollte sich der wurde die Planwirtschaft, freilich nicht als Selbstzweck und Namen in der Partei hatten: Konrad Adenauer, Staat jedoch heraushalten. Unter dem Eindruck des und in Form einer wirtschaftlichen Selbstverwaltung, als Vorsitzender der CDU in der britischen Zone und Nationalsozialismus waren besonders auch die ethi­ da die Freiheit der Person ebenfalls gefordert wurde. Präsident des Parlamentarischen Rats der wichtigste schen Aspekte eines neuen Wirtschaftssystems wich­ Obwohl kein offizielles Parteidokument galt das Ahle­ westdeutsche Politiker, Ludwig Erhard, der populäre tig geworden; hieran arbeitete insbesondere Alfred­ ner Programm als Wirtschaftsprogramm der Union. Direktor der trizonalen Wirtschaftsverwaltung und von Müller-Armack. Er benutzte 1947 dafür als Erster den der Öffentlichkeit als Gesicht des Aufschwungs seit der Begriff der Sozialen Marktwirtschaft. Währungsreform vom 20. Juni 1948 wahrgenommen, Jakob Kaiser und Johannes Albers als Vertreter des Konrad Adenauer und Ludwig Erhard die US-amerikanischen Pläne eher geringfügig; vor Das Grundgesetz allem die Bargeldauszahlung und die Quote des Eine entscheidende Rolle innerhalb der CDU spielte Schuldenschnitts waren umstritten. Letztlich wurden Deutschlandpolitisch bedeutete die Währungsreform Konrad Adenauer, der sich seit 1945 in den westzo­ 93,5 Prozent der Bankguthaben gestrichen. allerdings, dass sich die Spaltung des Lands kaum nalen CDU-Landesverbänden mehr und mehr durch­ würde vermeiden lassen. In den westlichen Besat­ gesetzt hatte. Programmatisch setzte Adenauer auf Gleichzeitig bereitete die Wirtschaftsverwaltung zungszonen war nach anfänglichem Zögern der franzö­ die Abgrenzung zum Arbeitnehmerflügel der CDU des Vereinigten Wirtschaftsgebiets unter ihrem sischen Besatzungsmacht mit dem Parlamentarischen und gegenüber dessen sozialpolitischen Forderungen, Direktor Ludwig Erhard ein Gesetz über die Freigabe Rat eine aus Delegierten der demokratisch gewählten die vor allem Jakob Kaiser bis zu seiner Absetzung als von Preisen vor: das Leitsätzegesetz. Der National­ Länderparlamente zusammengesetzte verfassung­ Vorsitzender der CDU in der SBZ durch die sowjetische ökonom Erhard, der während des Kriegs in einem gebende Versammlung in Bonn zusammengetreten, Besatzungsmacht Ende 1947 vertreten hatte. Kaiser privaten Wirtschaftsinstitut gearbeitet hatte und in die bis zum Frühjahr 1949 mit dem Grundgesetz eine hatte, taktisch durchaus geschickt, mit dem Begriff des der zweiten Kriegshälfte mit der Ausarbeitung von bewusst provisorisch gehaltene Verfassung entworfen „christlichen Sozialismus“ die SED programmatisch Planungen für die Wiederingangsetzung des Wirt­ hat. Trotz einiger Einflussnahmen durch die Besat­ in Bedrängnis gebracht. Im Zuge der wachsenden schaftslebens befasst gewesen war, stammte seinen zungsmächte stand das Grundgesetz in der Tradition Ost-West-Spannungen erwies sich der Begriff aber in akademischen Werdegang betreffend nicht aus der der deutschen Verfassungsgebung, intensiv beeinflusst den Westzonen als Belastung. Nachdem Kaiser in den Freiburger Schule. Er hatte sich aber, wie sich anhand natürlich durch die Erfahrungen des Nationalsozialis­ Westteil Berlins fliehen musste, fehlte ihm auch inner­ seiner Nachkriegsveröffentlichungen gut nachzeich­ mus. Die Zusammenarbeit im Parlamentarischen Rat halb der Union die nötige Basis, um die Auseinander­ nen lässt, schnell zu einem überzeugten Ordoliberalen zwischen CDU/CSU, FDP und Zentrum sicherte im 86 87 setzung mit dem immer stärker werdenden Adenauer gewandelt und vertrat diese Position auch gegenüber Bereich der Wirtschafts- und Sozialverfassung die zen­ zu gewinnen. der US-Besatzungsmacht. Die Währungsreform vom tralen Vorstellungen der Union ab. Mit der Eigentums­ 20. Juni 1948 brachte über Nacht gehortete Waren garantie, aber auch der Sozialbindung des Eigentums Die strukturellen Rahmenbedingungen für eine wirt­ in Umlauf. Schon am 25. Juni nutzte Erhard die ihm (Art. 14 GG) war eine wesentliche Grundsteinlegung schaftliche Erholung in den Westzonen begannen sich Ludwig Erhard setzte sich als Wirtschafts- durch das neue Gesetz gegebenen Möglichkeiten und gelungen, die den Aufbau einer kapitalistischen Wirt­ nach dem Tiefpunkt im Winter 1947 schrittweise zu direktor und als Bundeswirtschaftsminister hob die Preisfestsetzung für etliche Produktgruppen schaftsordnung mit sozialem Ausgleich in dem künfti­ bessern. Die Verkehrswege waren bald wieder provi­ für die Soziale Marktwirtschaft ein. auf. Nach einigen Monaten starker Inflation und dem gen westzonalen Teilstaat implizierte. sorisch benutzbar, der Zusammenschluss zur Bizone entsprechenden innenpolitischen Druck – immerhin und später zur Trizone ließ wieder einen ernstzuneh­ kam es zu einem Generalstreik gegen die Preisstei­ menden Binnenmarkt entstehen. Mit der Rückkehr gerungen – wurde gegen Jahresbeginn 1949 deutlich, eines umfassenden Anteils der Kriegsgefangenen und dass die Politik Erhards tatsächlich ursächlich für den Der wirtschaftspolitische durch den Zustrom der Flüchtlinge und Vertriebenen beginnenden Wirtschaftsaufschwung war. Andere Schwenk der Union stand ein großes Arbeitskräftepotenzial zur Verfügung. Faktoren wie die anlaufende Marshallplanhilfe, die den Viel zu starr blieb allerdings die Devisenbewirtschaf­ Westzonen vor allem Devisen für den Rohstoffeinkauf Für die Union bedeutete die weitgehende Durchset­ tung und mit der inflationären Reichsmark fehlte eine bereitstellten, kamen hinzu. zung ihrer Vorstellungen bei den Beratungen über das leistungsfähige Währung, um die Wirtschaft wieder in Grundgesetz eine hervorragende Ausgangslage für Schwung zu bringen. Die amerikanische Besatzungs­ die für den 14. August 1949 geplanten ersten Bundes­ macht bereitete deshalb im Frühsommer 1948 die tagswahlen. Allerdings musste sichergestellt sein, dass Einführung einer neuen Währung und damit einen sie von der von ihr gestützten Politik der trizonalen Währungsschnitt vor. Deutsche Fachleute änderten­ Wirtschaftsverwaltung auch im Wahlkampf profitierte. Mit dem Ahlener Programm war dies kaum zu begrün­ Die Düsseldorfer Leitsätze Sozialordnung der Bundesrepublik, dessen wesentliche den. Gleichzeitig war Erhard als Wirtschaftsdirektor Elemente in den Regierungsjahren Adenauers auch bewusst, dass seine Amtszeit mit der Schaffung einer In der Öffentlichkeit wurden – und teilweise werden umgesetzt wurden. Dieser Erfolg führte dazu, dass der Regierung enden und nur ein Bekenntnis zur CDU sie es noch heute – die Leitsätze als deutliche Abkehr Begriff der Sozialen Marktwirtschaft heute von allen ihm den angestrebten Posten als Wirtschaftsminister vom Ahlener Programm wahrgenommen. In Wirk­ demokratischen Parteien akzeptiert wird; die Düssel­ sichern würde. Auf der Zonenausschusstagung der lichkeit hatte Adenauer großen Wert darauf gelegt, dorfer Leitsätze dagegen sind die Blaupause für dieses CDU der britischen Besatzungszone in Königswinter den linken Parteiflügel um Jakob Kaiser und Johan­ System, die – obwohl immer noch aktuell – selbst in der bei Bonn trug Erhard im Februar 1949 seine wirt­ nes Albers einzubinden. Deswegen bezogen sich die Union fast vergessen sind. schaftspolitischen Vorstellungen vor und erklärte, sich Düssel­dorfer Leitsätze auch explizit auf Ahlen und der CDU zugehörig zu fühlen. Erhard war wirtschafts­ schrieben die Weitergeltung der dort geforderten politisch ein Liberaler, sah allerdings, wie er später in sozialen Grundsätze fest; Albers hielt in seiner Rede einem Brief an erläuterte, in der CDU bei der Vorstellung der Leitsätze sogar ausdrück­ die besten Möglichkeiten zur Umsetzung seiner wirt­ lich an der Forderung nach einer Sozialisierung der schaftspolitischen Vorstellungen. Adenauer wiederum ­Grundstoffindustrie fest. erkannte den immensen Wert des populären Erhards für den Wahlkampf der Union, umso mehr als sich Der wesentliche Unterschied bestand darin, dass die Erhard, der ohne jede politische Erfahrung war, über­ Düsseldorfer Leitsätze jegliche Wirtschaftsplanung Literatur raschend als begnadeter Wahlkampfredner erwies. ablehnten und eine Preisfindung dem freien Markt 88 89 überlassen wollten. Die anderen Elemente wie Mit­ Blank, Theodor: Vom Ahlener Programm zu den Düsseldorfer Leit­ Adenauer hatte die Zonentagung geplant, um die bestimmung, Mittelstandsförderung und eine Zentral­ sätzen – Zur Dogmengeschichte der CDU, in: Alfred Müller-Armack/ überholten Forderungen des Ahlener Programms bank widersprachen dem Ahlener Programm nicht. Herbert B. Schmidtke (Hg.): Wirtschafts- und Finanzpolitik im Zeichen durch ein ordoliberales Programm zu ersetzen. Direkt Freilich lag der Schwerpunkt jetzt auf dem Markt als der Sozialen Marktwirtschaft. Festgabe für . Stuttgart 1967, nach Erhards Rede wurde ein Ausschuss gewählt, der dem entscheidenden Mechanismus der Preisbildung S. 31–69. die Kernforderungen der Rede bis zum Juli 1949 in ein in jedem Sektor. Ein rigoroser Leistungswettbewerb Franz Etzel war einer der Mitverfasser handhabbares Programm umsetzen sollte. Die Leitung sollte die Effizienz der Wirtschaft sicherstellen. Noch Christlich Demokratische Union: Düsseldorfer Leitsätze über Wirt­ der Düsseldorfer Leitsätze. des Gremiums lag bei dem Wirtschaftsanwalt Franz wichtiger als die Einzelforderungen wie Gewerbefrei­ schaftspolitik – Landwirtschaftspolitik – Sozialpolitik – Wohnungsbau Etzel, der zusammen mit Franz Böhm, Bernhard Pfister heit, Schutz des Eigentums, Förderung von Sparkapi­ vom 15. Juli 1949. Hamburg 1949. und anderen die Düsseldorfer Leitsätze entwarf, die tal, Monopolkontrolle etc. war jedoch die Verwendung dann am 15. Juli 1949 als Auftakt der heißen Phase des des Begriffs der Sozialen Marktwirtschaft, die diesem Glossner, Christian L.: Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Bundestagswahlkampfs der Öffentlichkeit vorgestellt innerparteilichen Kompromiss zwischen Ordoliberalen Die politische Vermittlung und gesellschaftliche Akzeptanz der Sozialen wurden. und Christlich-Sozialen ein eingängiges und gut zu ver­ Marktwirtschaft im Nachkriegsdeutschland. Baden-Baden 2014. marktendes Etikett gab. Hentschel, Volker: Ludwig Erhard. Ein Politikerleben. München, Etzel als der maßgebliche Autor des Programms hatte Landsberg am Lech 1996. das politische Potenzial dieses ursprünglich von Müller- Armack geprägten Begriffs erkannt. Die Soziale Markt­ Löffler, Bernhard: Soziale Marktwirtschaft und administrative wirtschaft wurde in Form der Düsseldorfer Leitsätze Praxis. Das Bundeswirtschaftsministerium unter Ludwig Erhard (VSWG, zum eigentlichen Programm für die Wirtschafts- und ­Beihefte 162). Wiesbaden 2002. „Ich habe immer gefunden, daß nichts wohltuender Die Familie im Adenauerhaus: ist als ein weiter Blick über das Land bis zum Hori- Rückzug ins Private zont.“ So fasste Adenauer in seinen Erinnerungen seine Begeisterung über das Fleckchen Erde zusam- Adenauer war gebürtiger Kölner, und ein Kölner ver­ men, auf dem er ein Heim für seine Familie geschaf- lässt die geliebte Domstadt nicht ohne Grund – schon fen hatte. Auch heute noch genießen die Besucher gar nicht als Oberbürgermeister seit 1917. Doch als des Adenauerhauses die schöne Aussicht vom die Nationalsozialisten ihn nach 16-jähriger Amts­ ehemaligen Wohnhaus des ersten Bundeskanzlers zeit am 13. März 1933 seines Amts enthoben, war der Bundesrepublik Deutschland aus. Sie erstreckt seine kommunalpolitische Karriere vorerst beendet. sich über das Rheintal und den Drachenfels bis zum ­Adenauer flüchtete, nachdem er sein Büro im Rathaus Rolandsbogen. Bereitwillig nahm er für diesen Aus- ein letztes Mal abgeschlossen und den Schlüssel als blick einen Weg von 58 Stufen auch im hohen Alter Andenken eingesteckt hatte. Nach Aufenthalten in täglich auf sich. Seine Ansicht, dass Treppensteigen Maria Laach und Berlin-Neubabelsberg sowie einer jung halte, entlockte damals wie heute Besuchern dreitägigen Inhaftierung durch die Gestapo gelangte des Hauses nur ein müdes Lächeln. er im April 1935 nach Rhöndorf, ein unscheinbares Bad Honnef-Rhöndorf Örtchen auf der „Schäl Sick“, dem rechten Rheinufer. Die Gegend war Adenauer durch Ausflüge und Freund­ schaften bekannt und die Entfernung nach Köln nicht Adenauerhaus 91 zu groß.

Ems Weser

Konrad Adenauers Haus in Rhöndorf. Von der privaten Zufl ucht Nordrhein-Westfalen zum christdemokratischen Ahlen Dortmund Soest und bundespolitischen Essen Erinnerungsort Düsseldorf Köln Melanie Eckert Wesseling Siegen Bonn 11 Rhöndorf

Mosel Konrad Adenauer mit seiner Familie Programmgestaltung in Rhöndorf Am 21. August 1949, eine gute Woche nach der ers­ auf der Terrasse seines Hauses 1938. ten Bundestagswahl – die CDU wurde knapp vor der Nach der Befreiung Kölns wurde Adenauer für wenige SPD stärkste Partei –, kam es dort zu einer Begeg­ Monate erneut Kölner Oberbürgermeister, bis der bri­ nung von Unionsmitgliedern, die sich als „Rhöndorfer tische Militärgouverneur John Ashworth Barraclough Konferenz“ ins bundesdeutsche und christlich-demo­ ihn am 6. Oktober 1945 entließ. Wieder ohne Amt kratische Parteien-Gedächtnis schrieb. und konkrete Zukunftsaussichten verlor Adenauer, inzwischen in der späteren CDU aktiv, aber nicht den Glauben daran, sich am Wiederaufbau Deutschlands beteiligen zu können.

Mit den Kölner Leitsätzen der rheinischen Christ­ demokraten nicht zufrieden verfasste er im Rhöndorfer Konrad Adenauer blickt Arbeitszimmer einen Entwurf für ein Parteiprogramm, über das Siebengebirge. den Hans-Peter Schwarz als „Rhöndorfer Programm“ bezeichnete. Adenauer zog wie viele Christdemokraten Zunächst lebte die Familie zur Miete in der Löwen­ Es war die große Zeit des „Erfinders“ Adenauers – seine Lehre aus der nationalsozialistischen Diktatur: burgstraße. Die Nationalsozialisten behielten Ade­ kein Wunder, war er doch zum politischen Nichtstun Die Wahrung der Menschenwürde, das Recht auf poli­ 92 93 nauer auch dort im Blick und nutzten die erstbeste gezwungen. Das zeigt sich auch in seinen Erfindungen, tische und religiöse Freiheit, gleiches Recht für alle, die Gelegenheit, ihn aus dem Regierungsbezirk Köln, zu die sich mit häuslichen und gärtnerischen Alltagsprob­ Bedeutung der Familie, Rechte von Frauen und Minder­ dem Rhöndorf gehörte, auszuweisen, was von August lemen beschäftigten. heiten fanden Eingang in das Programm. Doch dieses 1935 bis April 1936 kurzzeitig gelang. 1937 erwarb Mal blieb er nicht lange ohne offizielle Aufgabe. Bereits Adenauer in Rhöndorf das Grundstück auf dem Brei­ Das Adenauerhaus blieb lange von den Auswirkungen im Januar 1946 boten ihm die Gäste aus den Reihen berg. Dort ließ er mit dem Geld, das er bei einer juris­ von Krieg und Diktatur verschont. Zeitweise fanden der CDU bei seiner Geburtstagsfeier in Rhöndorf den tischen Regelung mit der Stadt Köln erhalten hatte, dort bis zu 18 Personen Zuflucht. Erst kurz vor Kriegs­ Vorsitz der CDU im Rheinland und in der britischen das Familien-Wohnhaus am Zennigsweg 8 errichten. ende ereigneten sich zwei brenzlige Situationen: 1944 Zone an. Am 1. September 1948 wurde er zudem Präsi­ Das Haus bot rund 500 Quadratmeter Wohnfläche durchsuchte die Gestapo infolge des Attentats vom dent des Parlamentarischen Rats, der das Grundgesetz auf drei Etagen mit Keller, das Grundstück wurde im 20. Juli auf Adolf Hitler das Haus. Adenauer­ und seine für die Bundesrepublik Deutschland ausarbeitete. Dass Lauf der Jahre auf 5500 Quadratmeter erweitert. Frau wurden für mehrere Wochen inhaftiert. 1945 tra­ Bonn von den Ministerpräsidenten zum Tagungsort fen US-amerikanische Granaten Wohnhaus und Gar­ des Rats gewählt wurde, kam Adenauer sehr entgegen. Es war ein Rückzug ins Private. Das „Adenauerhaus“ ten. Der Hausherr, der sich im Garten aufhielt, blieb war nicht geplant als ein politischer Ort, sondern als nur knapp verschont. Die Granatsplitter bewahrte er Heim für eine große Familie. Ein Großteil der inzwi­ Zeit seines Lebens auf. schen neun Familienmitglieder – Konrad, seine Frau Die Christdemokratie zu Gast in Rhöndorf Gussie (Auguste), die gemeinsamen Kinder Paul, Lotte (Charlotte), Libet (Elisabeth) und Georg zusammen mit Bei einem Ereignis in der christlich-demokratischen den Kindern Konrad, Max und Ria (Maria) aus erster Parteiengeschichte stand Adenauers Privathaus Ehe – zog am 13. Dezember 1937 dort ein. ganz besonders im Mittelpunkt des Geschehens. Es war ein schwül-warmer Sonntag, als führende Als ungewohnt spendabler Gastgeber bewirtete Ade­ Rasch bildeten sich durch Presse und Teilnehmerbe­ CDU/CSU-Politiker die Stufen ins Wohnhaus hinauf­ nauer seine Gäste in bewusst familiärer Atmosphäre. richte Mythen. Bis heute hält sich das sehr reduzierte stiegen. Dass die Frage der Bildung einer Regie­ Seine Töchter servierten ein köstliches kaltes Buffet Bild, Adenauer hätte seine Kanzlerschaft gutem Essen rungskoalition sowie die personelle Besetzung des auf feinem Porzellan. Franz Josef Strauß spottete spä­ und reichlich Wein zu verdanken. Beides tischte der Kanzler- und des Bundespräsidentenamts auf der ter, er habe nie wieder solche „Reichlichkeit auf Privat­ Hausherr seinen Gästen zwar auf und schaffte damit Tagesordnung des Hausherrn standen, war im Vor­ kosten“ Adenauers erlebt. Als die Gäste gestärkt und eine angenehme Atmosphäre, doch lukullische Ver­ feld den Wenigsten bewusst. Offiziell lud Adenauer bei bester Laune waren, lenkte Adenauer das Gespräch führungen allein dürften kaum ausschlaggebend für zur Aussprache nach den Wahlen ein, einer Nach­ zunächst auf die Koalitionsfrage. Ludwig Erhard erwies die Zustimmung der Teilnehmer, allesamt versierte besprechung in der familiären Atmosphäre seines sich in der Diskussion als wichtiger Unterstützer Ade­ Politiker und Christdemokraten der ersten Stunde, zu Wohnhauses. nauers. Er stellte klar: Eine Soziale Marktwirtschaft mit seiner inoffiziellen Kanzlernominierung gewesen sein. ihm als Wirtschaftsminister würde es in einer großen 26 Unions- und unionsnahe Politiker nahmen laut der Koalition nicht geben. Die Konferenzteilnehmer ließen Für die Christdemokratie war dieses Treffen prägend: im Archiv des Adenauerhauses überlieferten Teil­ sich so letztlich von einer Koalition mit FDP und DP Ein 73 Jahre alter Adenauer, der mit seiner Arbeit im nehmerliste(n) teil. Darunter waren Ludwig Erhard, überzeugen. Parlamentarischen Rat der entstehenden Bundesre­ , Hermann Pünder und Franz Josef publik ein tragfähiges Gerüst gegeben hatte, legte mit Strauß, die wie Adenauer eine bürgerliche Koalition mit Anschließend stand die Frage der Kanzlerschaft im seinem parteipolitischen Kniff im Rhöndorfer Wohn­ FDP und DP favorisierten, aber auch Sympathisanten Raum. Wer Adenauer ins Gespräch brachte oder ob haus die Grundlagen für seine 14-jährige Kanzlerschaft einer großen Koalition wie Peter Altmeier, Gebhard er selbst seinen Hut in den Ring warf, darüber gehen und die ersten goldenen Jahre der CDU in der Bonner 94 95 Müller und Günther Gereke. Verhindert waren Fried­ die Erinnerungen der Teilnehmer auseinander. Zwar Republik. Er prägte eine ganze Ära. Die Entscheidung, rich Holzapfel, Fridolin Heurich und Hans Ehard. Mit gab Adenauer später an, er sei über seine Nominie­ eine kleine Koalition mit FDP und DP zu bilden, hatte dem bayrischen Ministerpräsidenten Ehard hatte Ade­ rung „überrascht“ gewesen, allerdings hatte er das im Kern bis in die 1960er Jahre hinein Bestand, seine nauer tags zuvor in Frankfurt bereits seine Bestrebun­ wichtigste Argument gegen seine Kanzlerschaft, sein programmatischen Rhöndorfer Ideen wirken bis heute. gen abgesprochen. Die harten Kritiker einer kleinen fortgeschrittenes Alter, ausgehebelt, bevor es zur Koalition, darunter Karl Arnold, waren nicht geladen, Sprache kam: Bereits vor der Besprechung hatte er Konrad Adenauer in seinem was bereits wenige Tage später in der Presse themati­ seinen Arzt Professor Paul Martini konsultiert und Arbeitszimmer in Rhöndorf. siert wurde. sich attestieren lassen, dass der Amtsausübung für Die Bundespolitik „zu Hause“ „ein – zwei Jährchen“ aus medizinischer Sicht nichts Das Treffen im privaten Wohnhaus, laut Adenauer entgegenstehe. Nicht einmal Adenauer kann damals Dass sein Wohnhaus in der Folge nie mehr voll­ nur mit dem fadenscheinigen Argument gewählt, geahnt haben, dass es 14 Jahre werden sollten. Das ständig ein privater Ort werden konnte, ist nicht damit sie „möglichst wenig ausgehorcht würden“, bot Bundespräsidentenamt verwarf er klar: „Die wichtigste nur durch das imposante Wachhäuschen am Auf­ einen Vorteil: Mit „schöner Selbstverständlichkeit“, wie Persönlichkeit ist der Bundeskanzler. Präsident soll ein gang zum Haus sichtbar. Neben zahlreichen reli­ Pferdmenges später süffisant kommentierte, konnte anderer werden, ich will Kanzler werden.“ Adenauer giösen Devotionalien, klassischer Kunst und vielen der Hausherr, politisch bereits durch seine Ämter als schlug stattdessen Theodor Heuss vor. Erinnerungen an seine Heimatstadt Köln finden Vorsitzender der CDU im Rheinland und in der briti­ sich vielfältige Staatsgeschenke, die von Adenauers schen Zone gestärkt, den Vorsitz übernehmen. Geschickt sorgte er dafür, dass sich die Ergebnisse Reisen und politischen Anlässen aus der Kanzlerzeit der scheinbar inoffiziellen Aussprache schnell über berichten. Bilder, gemalt von Winston Churchill und die Presse verbreiteten. Mit medialem Rückenwind Dwight D. Eisenhower, hängen an den Wänden der ging Adenauer wenige Tage später in die Fraktions­ sogenannten Kajüte, eine antike Vase, geschenkt sitzung und wurde offiziell nominiert. Der Rosenliebhaber Adenauer in ren. Seinem Sohn gegenüber lästerte Adenauer auf meister und Bundeskanzler war, legte hier den Grund­ seinem Garten in Rhöndorf 1949. erfrischend menschliche Art. Gerade die Frage seiner stein für seinen privaten Rückzugsort und durch die Nachfolge beschäftigte ihn Anfang der 1960er Jahre Rhöndorfer Konferenz auch für seine bundespolitische sehr. Rhöndorf blieb ein privater Rückzugsort, an dem Karriere als Kanzler. Adenauer etwa bei der Gartenarbeit oder einer Partie Boccia auf der eigens eingerichteten Bahn neue Kraft Seit 1967 strömen Besucher aller Altersgruppen und für seine politischen Aufgaben schöpfen konnte. politischen Ausrichtungen ins ehemalige Wohnhaus, um vor allem die private Seite Konrad Adenauers Die Fotos, die während scheinbar privater Tätigkei­ am authentischen Erinnerungsort kennenzulernen. ten entstanden, wurden allerdings meist geschickt Sie erfahren darüber hinaus im angeschlossenen inszeniert. Sie zeigen den Politiker im alltäglichen Sein Museum mit einer 2017 neu gestalteten Daueraus­ seines Heimathauses, mit Strohhut im Garten. Dank stellung mehr über sein Leben als Rheinländer, Deut­ solcher Homestorys in großen Magazinen bleibt das scher und Europäer. Das Adenauerhaus ist nicht nur „private“ Adenauerhaus im kollektiven Gedächtnis. in seiner Funktion als Wohnhaus des ersten Bundes­ Es bleibt aber auch ein Erinnerungsort für die Bun­ kanzlers, sondern aufgrund der dort stattgefunden des- und die christliche Parteiengeschichte. Es ist eng Ereignisse selbst ein Erinnerungsort für die christlich- mit dem Hausherrn verknüpft. Dieser, der in seinen demokratische und bundesdeutsche Geschichte. 91 Lebensjahren Familienvater, Erfinder, Oberbürger­ 96 97

von ­Erzbischof Makarios III. von Zypern, steht im Ein Privatsekretariat war vor Ort. Bei zwei besonders Literatur Musikzimmer, so auch ein von Papst Paul VI. über­ hervorzuhebenden Gelegenheiten fiel ein weiteres reichtes Reliquienkreuz. bundesdeutsches Schlaglicht auf das große Haus Adenauer, Konrad: Erinnerungen 1945–1953. Stuttgart 1965. am Hang: Der französische Staatspräsident Charles Dabei war das Palais Schaumburg der eigentliche de Gaulle besuchte Adenauer 1961 und 1962. Diese Küsters, Hanns Jürgen (Hg.): Konrad Adenauer – Der Vater, erste Dienstsitz des Bundeskanzlers. Dort hatte Ade­ in bewusst privatem Umfeld abgehaltenen Treffen die Macht und das Erbe. Das Tagebuch des Monsignore Paul Adenauer nauer sein Arbeitszimmer, dorthin wurde er in seiner verdeutlichen das besondere Verhältnis der beiden 1961–1966. Paderborn 2017. Kanzler­zeit täglich gefahren. Es diente repräsentativen Staatsmänner und stehen auch wie ein Symbol für das Zwecken, etwa dem Empfang von Staatsgästen. Politi­ Adenauerhaus in den Spätjahren der Kanzlerschaft. Morsey, Rudolf: Die Rhöndorfer Weichenstellung vom 21. August sche Ereignisse spielten sich daher in Bonn ab. 1949, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 28/4 (1980), S. 508–542. In Rhöndorf konnte Adenauer völlig unverblümt seiner Doch auch zu Hause ließ den „Alten“ die Politik nicht Meinung über internationale Politiker, Oppositions-, Schwarz, Hans-Peter: Adenauer. Der Aufstieg 1876–1952. los. Adenauer nutzte die heimische Ruhe häufig für aber auch eigene Parteimitglieder Luft machen, wie Stuttgart 1986. die Arbeit, verfasste dort eine Vielzahl seiner Reden. die Aufzeichnungen seines Sohns Paul dokumentie­ Weymar, Paul: Konrad Adenauer. Die autorisierte Biographie. München 1955. In der alten Reichsstadt Goslar am Harz wurde vom ­Adenauer ausgeschlossen worden war, da die CDU 20. bis 22. Oktober 1950 der erste Bundesparteitag nicht in der Lage gewesen wäre, dort geschlossen der CDU abgehalten. Die Veranstaltungen des Partei- aufzutreten, einigten sich die Landesvorsitzenden tags, auf dem das Statut der CDU verabschiedet und auf Goslar als Kompromiss. Für die Stadt am Harz Konrad Adenauer zum ersten Vorsitzenden gewählt sprach in erster Linie ihre Lage an der innerdeut­ wurde, fanden im noch heute existierenden Odeon- schen Grenze – was von der CDU als Bekenntnis zur Theater statt. Einheit Deutschlands verstanden wurde – und ihre Unzerstörtheit.

Als Tagungsorte boten sich in Goslar das Odeon-­ Goslar und das Odeon-Theater Theater sowie das gegenüber gelegene Hotel Ach­ termann an, in dem das Parteitagsbüro unterge­ Die Entscheidung zugunsten Goslars fiel sehr spät. bracht wurde. Das spätere Odeon-Theater war am Erst am 11. September 1950 einigte sich die Konfe­ 27. November 1899 als „Röttgers Kaisersaal“ eröffnet renz der CDU-Landesvorsitzenden auf Vorschlag von worden und fungierte als Ball- und Theatersaal des Goslar Adolf Cillien, Vorsitzender der CDU in Niedersachsen, angrenzenden Bahnhofshotels. Ab 1947 wurde das auf Goslar. Zuvor waren Heidelberg oder Berlin als Gebäude von der Stadt Goslar umgebaut und für Austragungsorte für den ersten Bundesparteitag den Theaterbetrieb hergerichtet. Zu Beginn des Odeon­Theater 99 1950 im Gespräch gewesen. Nachdem Berlin aber von Jahrs 1949 konnte dann der Spielbetrieb starten. Der erste

Elbe Oldenburg Bundesparteitag Bremen der CDU Niedersachsen

Ems Andreas Grau Hannover

Osnabrück Weser

12 Goslar Im Odeon-Theater in Goslar fand 1950 der erste Bundesparteitag der CDU statt.

Göttingen Seit der Eröffnung des Odeon-Theaters 1949 bis in los der Herrschaft der Sowjetunion zu überlassen, trete Konrad Adenauer die 2000er Jahre wurde das Gebäude für Theater- und er für eine deutsche Beteiligung an einer europäischen auf dem ersten Filmvorführungen sowie verschiedenste Veranstaltun­ Armee ein. Er sei der festen Überzeugung, so der Bun­ Bundes­parteitag gen genutzt. Größere Umbauten und Renovierungs­ deskanzler, dass Russland keinen neuen Krieg riskiere, der CDU in Goslar. maßnahmen fanden in den Jahren 1968, 1977 und wenn ihm eine gleichwertige Macht gegenüberstehen 1994/95 statt. Im Sommer 2012 wurde das Gebäude würde. von der Stadt wegen ausstehender Brandschutz- und Sanierungsmaßnahmen geschlossen. Ein Abriss des Am zweiten Tag des Parteitags stand zunächst die Ver­ geschichtsträchtigen Odeon-Theaters ist nicht auszu­ abschiedung des Statuts der CDU auf dem Programm. schließen. Nach einer kurzen Einführung durch Adenauer wurde das Statut von den Delegierten „einmütig“ beschlos­ sen. Bei den anschließenden Vorstandswahlen wähl­ ten die Delegierten den Parteivorsitzenden und seine Der erste Bundesparteitag beiden Stellvertreter. Wie von den Landesvorsitzenden festgelegt standen nur Bundeskanzler Adenauer als Für den CDU-Bundesparteitag waren über der Bühne Parteivorsitzender und Jakob Kaiser als Vorsitzender des Odeon-Theaters das Motto des Parteitags „Einig­ der CDA und ehemaliger Vorsitzender der CDU in der keit und Recht und Freiheit“ in goldenen Lettern sowie sowjetischen Besatzungszone sowie der evangelische 100 101 ein grünes „Europa-E“ angebracht worden. Am Eingang Bundestagsabgeordnete Friedrich Holzapfel als Ver­ des Gebäudes verkündete ein Spruchband: „1. Partei­ treter der norddeutschen Landesverbände als Stellver­ tag der CDU Deutschlands“. Bei der Eröffnung am treter zur Wahl. War über die Zahl und die Namen der 20. Oktober 1950 war der Saal des Theaters mit 386 stellvertretenden Parteivorsitzenden im Vorfeld noch Delegierten und rund 600 Gästen bis auf den letzten diskutiert worden, hatte Konrad Adenauer als CDU- Platz besetzt. Vorsitzender von vorneherein festgestanden. Bereits am 11. Mai 1950 war er von den Landesvorsitzenden Parteivorsitzenden, seinen Kandidaten als geschäfts­ Abschluss des Parteitags verabschiedeten die Delegier­ Mit der Begrüßung der Delegierten und der Vertreter zum vorläufigen Parteivorsitzenden gewählt worden. führendes Vorstandsmitglied durchzusetzen, scheiterte ten noch einstimmig eine Entschließung, in der sich die anderer christlich-demokratischer Parteien aus Europa Kiesinger letztlich am Widerspruch der Vorstandsmit­ CDU zur Einheit Deutschlands, zu Europa, zum Heimat­ durch Adolf Cillien begann der erste Bundespartei­ Nach den Vorstandswahlen begann dann die „Arbeits­ glieder aus Berlin und Westfalen. Nach weiteren Refera­ recht und zur Sozialen Marktwirtschaft bekannte. Auch tag der CDU. Danach folgte die Eröffnungsrede von tagung“ mit Vorträgen über den Auftrag, das Programm ten endete der zweite Sitzungstag abends mit der Rede die Politik der Bundesregierung werde voll unterstützt. Bundeskanzler Konrad Adenauer über „Deutschlands und die Politik der CDU. Während der Mittagspause des Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Der Parteitag habe eindrücklich gezeigt, dass die CDU Stellung und Aufgabe in der Welt“. Die gesamte poli­ am 21. Oktober 1950 trat noch der Parteiausschuss Bundestag . Brentano sprach in ihren Überzeugungen geschlossen zusammenstehe tische Lage werde durch den Antagonismus zwischen zusammen, um den nach landsmannschaftlichen und dabei über den „europäischen Auftrag der CDU“. und seit ihrer Gründung zu einer Einheit zusammenge­ der UdSSR und den USA geprägt, so Adenauer. An konfessionellen Gesichtspunkten zusammengesetzten wachsen sei, so der Text der Entschließung. der Nahtstelle der beiden Blöcke gelegen müsse die Bundesvorstand zu wählen. Eine Diskussion entzün­ Der letzte Tag in Goslar – ein Sonntag – begann Bundesrepublik Deutschland einen Damm gegen das dete sich dabei nur an der Person des jungen Bundes­ zunächst mit einem katholischen und einem evange­ Mit einer öffentlichen Kundgebung unter dem Motto Einsickern sowjetischer Ideen aufrichten. Dabei sei das tagsabgeordneten und späteren Bundeskanzlers Kurt lischen Gottesdienst. Es folgten wiederum verschie­ „Deutschland und der deutsche Osten“ endete am christliche Gedankengut der CDU eine große Hilfe. Um Georg Kiesinger, dessen Mitgliedschaft in der NSDAP dene Referate, so u. a. von Bundeswirtschaftsminister Abend des 22. Oktober 1950 der erste Bundespartei­ die Bundesrepublik und ganz Westeuropa nicht taten­ kritisch vermerkt wurde. Trotz mehrerer Versuche des Ludwig Erhard über „Die CDU und die Wirtschaft“. Zum tag der CDU. Hauptredner waren der stellvertretende Parteivorsitzende Kaiser und Bundesvertriebenenmi­ Auf dem Reichstreffen der CDU im Dezember 1945 Konrad Adenauer bezeichnete den Parteitag im nister Hans Lukaschek. Zum Abschluss forderte Adolf in Bad Godesberg war zwar die Einrichtung eines Deutschland-Union-Dienst am 20. Oktober 1950 als Cillien die Delegierten noch auf, mit ihm die dritte Zonenverbindungsausschusses in Frankfurt am Main den „Abschluß einer Periode des organisatorischen Strophe des Deutschlandliedes zu singen. Dies war beschlossen worden, doch blieb dieser ohne große Wachsens“ und den „Beginn einer strafferen organi­ keineswegs selbstverständlich, da die Bundesrepu­ Bedeutung. Auch die seit Februar 1947 bestehende satorischen Arbeit“ der CDU. Der Bundeskanzler war blik Deutschland 1950 noch keine Nationalhymne Arbeitsgemeinschaft der CDU und CSU führte zu eindeutig die Hauptfigur des Bundesparteitags in hatte. Erst 1952 wurde die dritte Strophe des Liedes keinem Zusammenschluss der Unionsparteien. Dies Goslar. Seine Auftritte wurden jedes Mal mit großem der Deutschen von Hoffmann von Fallersleben zur scheiterte zum einen an der Haltung der Militärregie­ Beifall bedacht und durch seine Wahl zum Parteivor­ National­hymne erklärt. rungen, insbesondere der französischen, und zum sitzenden wurde die Position Adenauers noch zusätz­ anderen am Misstrauen der bayerischen CSU. Jedoch lich gestärkt. Insofern geht auch die Bezeichnung der gab die von Bruno Dörpinghaus geleitete Arbeitsge­ CDU als „Kanzlerpartei“ auf Goslar zurück. meinschaft das Parteiorgan „Union in Deutschland“ Die Bedeutung von Goslar heraus und war für die Organisation der ersten Bun­ destagswahl 1949 verantwortlich. Nach der Wahl und Der Goslarer Parteitag ist ein Markstein in der der folgenden Regierungsbildung zeigte sich aber Geschichte der CDU. In Goslar kam nicht nur der schon bald, dass sie nicht mehr den neuen Anforde­ Gründungsprozess der Partei zum Abschluss, son­ rungen entsprach und die Mängel in der Organisation dern hier wurde auch die Grundlage für die CDU der CDU nicht ausgleichen konnte. Die Notwendigkeit 102 103 als „Kanzlerpartei“ gelegt. einer strafferen Parteiführung trat immer deutlicher Literatur zutage. Am 11. Mai 1950 befasste sich daher die Kon­ Die lange und komplizierte Gründungsgeschichte der ferenz der Landesvorsitzenden mit der mangelhaften Adenauer, Konrad: „Es mußte alles neu gemacht werden.“ Christlich Demokratischen Union Deutschlands begann Struktur der CDU. Die Landesvorsitzenden setzten Die Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1950–1953, bearb. von unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Programm des ersten einen vorbereitenden Ausschuss zur Organisation Günter Buchstab, 2. Aufl. Stuttgart 1986. In ganz Deutschland entstanden auf lokaler Ebene Bundesparteitags in Goslar. eines Parteitags ein und wählten Bundeskanzler Gründungskreise der CDU. Nach und nach wurden ­Adenauer zum vorläufigen Parteivorsitzenden. Von Grau, Andreas: Goslar 1950. Vorbereitung, Konzeption und Ablauf daraus Kreis- und Landesverbände gebildet. Durch die nun an benutzte Konrad Adenauer in seiner Korre­ des ersten Bundesparteitages der Christlich-Demokratischen Union Aufteilung des Deutschen Reichs in Besatzungszonen spondenz auch den Titel „Bundesvorsitzender der Deutschlands, in: Historisch-Politische Mitteilungen 18 (2011), S. 49–86 verlief die Entwicklung in jeder Zone unterschiedlich. CDU“. Neben der Organisation des Parteitags beriet (https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=7f07b52e-21ad- Als übergeordnete Gremien existierten bis 1950 nur der vorbereitende Ausschuss, der von Alois Zimmer b38b-bd6d-f085cce29350&groupId=252038 (Abruf: 29.01.2020)). die „Reichsleitung“ der CDU in der sowjetischen Besat­ aus Montabaur geleitet wurde, auch über das Statut zungszone in Berlin sowie der Zonenausschuss der der CDU. Die letzte Fassung des Parteistatuts wurde Kleinmann, Hans-Otto: Geschichte der CDU 1945–1982, Stuttgart 1993. CDU in der britischen Besatzungszone in Köln. Vorsit­ erst am 6. Oktober 1950 an die Landesverbände ver­ zender des Zonenausschusses war Konrad Adenauer, schickt. Letzte Änderungen wurden sogar noch am Protokoll des 1. Bundesparteitags http://www.kas.de/upload/ACDP/ unter dem sich die CDU in der britischen Zone durch Vorabend des Goslarer Parteitags vorgenommen. CDU/Protokolle_Bundesparteitage/1950-10-20-22_Protokoll_01.Bun­ eine effektive Parteiorganisation und Disziplin aus­ Mit der Unterzeichnung des Statuts der CDU durch desparteitag_Goslar.pdf (Abruf: 29.01.2020). zeichnete. Mit dem Programm von Neheim-Hüsten und die Landesvorsitzenden wurde am 21. Oktober 1950 dem Ahlener Programm prägte sie auch die program­ in Goslar der Grundstein für die CDU Deutschlands Website des Odeon-Theaters http://www.odeon-theater.de matische Entwicklung der CDU in Westdeutschland. gelegt. (Abruf: 29.01.2020). In der Freitagsausgabe der Siegener Zeitung vom sollte das Misstrauen vieler Protestanten dadurch 14. März 1952 war über die am Wochenende bevor- zerstreuen, indem sie sich mit wohlwollender Unter­ stehende Gründungstagung des EAK folgendes Zitat stützung der Katholiken in der Union eine eigene Platt­ aus einer Pressemitteilung der CDU zu lesen: „Die form schaffen konnten. Dort sollten ihre Ansichten Anwesenheit des Bundeskanzlers an dieser Tagung und Interessen formuliert und artikuliert werden und beweist, welche Bedeutung er ihr beimißt und wie die innerparteiliche Meinungsbildung beeinflussen. sehr er sich dem evangelischen Volksteil verbunden Damit zielte die Gründung des EAK letztlich darauf ab, fühlt. Er weiß, daß die CDU ihre schwere Arbeit für evangelische Mitglieder sowie die evangelische Wäh­ Volk und Vaterland nur leisten kann, wenn evangeli- lerschaft insgesamt für die Union zu gewinnen. sche und katholische Christen gleichberechtigt und verantwortlich zusammenstehen.“

Tagungsort und Programm

Motive Es war kein Zufall, dass bei der Suche nach einem Siegen geeigneten Ort für den Gründungsakt die Wahl auf Gleichberechtigung der Protestanten mit den Katho­ Siegen fiel. Zum einen konnte so an die Tradition des liken in den Unionsparteien war ohne Frage das politischen Protestantismus angeknüpft werden, denn Apollo­Theater 105 zentrale Motiv für die Gründung des EAK. Besonders das mehrheitlich evangelische Siegerland war eines in den Gebieten der alten Bundesrepublik mit einer der Zentren des Pietismus gewesen, einer Erneue­ Ems Weser 1952 protestantischen Bevölkerungsmehrheit herrschte rungsbewegung im Protestantismus, die auf eine um die Jahrhundertmitte noch vielerorts Misstrauen innige Frömmigkeit des einzelnen Gläubigen setzte. Im Die Gründung des Nordrhein-Westfalen gegenüber dem programmatisch neuen Angebot der Kaiserreich und in der Weimarer Republik hatten die CDU, als überkonfessionelle Volkspartei für Katholi­ protestantisch-konservativ ausgerichtete Christlich- Ahlen ken wie Protestanten wählbar zu sein. Böse Zungen Soziale Partei bzw. der Christlich-Soziale Volksdienst Evangelischen Arbeits­ behaupteten gar, man müsse nur den Namen der hier hohe Stimmenanteile von teils über 30 Prozent Dortmund Soest Partei rückwärts buchstabieren, um ihren wahren erhalten. Freilich waren aktuelle politische Gründe Essen kreises (EAK) der CDU Charakter zu erkennen: „UDC – Und doch Centrum“. am Ende ausschlaggebend: Der Oberbürgermeister Die Neugründung sei bloß die alte katholische Zent­ Siegens und Bundesschatzmeister der CDU Ernst Bach Düsseldorf rumspartei in neuem Gewand und biete den Protes­ hatte sich intensiv für seine Stadt als Tagungsort ein­ Jan Philipp Wölbern tanten deshalb keine politische Heimat. gesetzt, die in Luftlinie nur etwa 100 Kilometer von der Köln 13 damaligen Bundeshauptstadt Bonn entfernt liegt. Wesseling Siegen Befürchtungen, der politische Katholizismus sei in der Bonn Rhöndorf CDU tonangebend und die evangelischen Mitglieder Das Programm sah nach der ersten Sitzung des ohne maßgeblichen Einfluss auf Programm und Perso­ Arbeitskreises im Dienstzimmer des Oberbürger­ nalfragen, waren nicht aus der Luft gegriffen. Schließ­ meisters die Bildung von Arbeitsausschüssen zu drei lich rang die Partei seit 1945 um die innere Balance politischen Themengebieten vor: erstens „Unsere zwischen den Konfessionen, nicht zuletzt in Fragen kulturpolitische Aufgabe“, zweitens „Die gesellschaft­ der Personalpolitik. Die Gründung des EAK in Siegen liche Ordnung“ sowie drittens „Unsere politische Mosel Im Apollo-Theater in Siegen fand die Union nicht zur Volkspartei mit einem Anteil von so langfristig die Wiedervereinigung erreichen wollte. die abschließende Kundgebung der mindestens vierzig Prozent der Wählerstimmen auf­ Prominente Köpfe der Gegenrichtung waren u. a. Gus­ Gründungstagung des Evangeli- steigen. In den demokratischen Wahlen der voran­ tav Heinemann, Präses der gesamtdeutschen Synode schen Arbeitskreises statt. gegangenen Jahrzehnte hatte das protestantische der EKD und von 1949 bis zu seinem Rücktritt aus Pro­ „Lager“ noch sehr uneinheitlich votiert. Nach dem test gegen Adenauers Politik im Jahr darauf Bundes­ Ausschlussprinzip hatte lediglich das Zentrum als innenminister, und Martin Niemöller, Kirchenpräsident „unwählbar“ gegolten. Ansonsten war es vor 1945 der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, der im protestantischen Raum nicht gelungen, eine eine radikal-pazifistische Position bezog. Heinemann vergleichbar starke und stabile Partei wie das Zent­ trat im Oktober 1952 schließlich aus der CDU aus und rum zu etablieren, sodass sich die protestantischen gründet wenig später die Gesamtdeutsche Volkspartei. Stimmen über mehrere Parteien verteilt hatten. Nicht zuletzt war dies einer der Gründe für die Fragmen­ Einen Höhepunkt erreichten die Auseinandersetzun­ tierung des Weimarer Parteiensystems gewesen. gen zwischen den Strömungen ausgerechnet in der Woche der Gründung des EAK in Siegen: Am Montag, Erschwerend trat hinzu, dass die CDU durch ihre his­ dem 10. März 1952 hatte der sowjetische Diktator torische Verwurzelung in der Zentrumspartei zwar die Josef Stalin in einer Note an die Westmächte die Unterstützung des katholischen Klerus genoss, der sich Wiedervereinigung Deutschlands um den Preis der ­Verantwortung in einem geteilten Deutschland“. Letz­ eine Kundgebung im Apollo-Theater an. Das Theater in Form von öffentlichen Stellungnahmen und Wahl­ Neutralisierung Gesamtdeutschlands angeboten. 106 107 terer wurde von Bundestagspräsident in fußläufiger Entfernung von der Johanneskirche war aufrufen für die CDU politisch recht eindeutig positio­ Nach dem heutigen Stand der historischen Forschung geleitet und tagte im Kupfersaal des Hotels Kaisergar­ 1935 als Lichtspielhaus erbaut und vier Jahre nach sei­ nierte. Demgegenüber verhielt sich die EKD als „Dach­ ten, einem der wenigen großen Veranstaltungsräume, ner Zerstörung im letzten Kriegsjahr als Kino wieder­ organisation“ der Evangelischen Landeskirchen weitaus die den verheerenden Bombenangriff auf Siegen im eröffnet worden. Bundeskanzler Adenauer, Bundes­ distanzierter, weil innerhalb des Protestantismus, grob Dezember 1944 überstanden hatten. Die Beratungen tagspräsident Ehlers, die Bundestagsabgeordneten vereinfacht, zwei gegensätzliche Strömungen miteinan­ nahmen den Freitagnachmittag und den Samstag in Friedrich Holzapfel und sowie der der rangen und die EKD den offenen Bruch zwischen Anspruch. Über dreißig kleinere Kundgebungen in den Abgeordnete des Nordrhein-Westfälischen Landtags ihnen vermeiden musste: auf der einen Seite die eher umliegenden Ortschaften des Siegerlands am Sams­ Hans Erich Stier sprachen dort zu den anwesenden bürgerlich-konservativen Kräfte, die der Union durch­ tagabend rundeten die konzentrierte Arbeit an den Gästen. aus zugeneigt waren, auf der anderen eine Richtung, politischen Inhalten ab. die die Politik Adenauers ablehnte. Im Streit über die großen politischen Richtungsentscheidungen der Den Höhepunkt bildeten indes die Programmpunkte jungen Bundesrepublik – Westbindung, Wiederbewaff­ am Sonntagvormittag: Der Festgottesdienst wurde Das Ringen um einen Konsens nung und Wiedervereinigung – traten die Gegensätze in der evangelischen Johanneskirche in der Stadt­ der evangelischen CDU-Mitglieder im protestantischen Lager offen zutage. mitte gefeiert, eine Holzkirche, die später abgerissen wurde. Bis auf den Straßennamen St.-Johann-Straße Inhaltlich sollte die Tagung eine gemeinsame Haltung Unionspolitiker der bürgerlich-konservativen Richtung erinnert nichts mehr an ihren damaligen Standort. der evangelischen CDU-Mitglieder in den wichtigen wie etwa Bundestagspräsident Hermann Ehlers befür­ Superintendent Hermann Kunst, der Beauftragte aktuellen politischen Fragen herbeiführen und die worteten Adenauers „Politik der Stärke“, die durch Der erste Vorsitzende des der Evangelischen Kirche in Deutschland am Sitz der CDU als Partei profilieren, die auch den evangelischen Westbindung und einen westdeutschen Verteidigungs­ Evangelischen Arbeitskreises ­Bundesregierung, hielt die Predigt. Daran schloss sich Wählern eine politische Heimat bot. Ohne sie konnte beitrag die sowjetische Bedrohung eindämmen und Hermann Ehlers, 1949. war die Offerte nicht ernst gemeint, sondern sollte Wirkung Wähler die Union, während die SPD bei 35 Prozent St. Peter und Paul in Siegen unweit des Standorts der die Bildung der Europäischen Verteidigungsgemein­ stagnierte. Nicht zuletzt führte auch das ungeschrie­ damaligen Johanneskirche gefeiert. Vielleicht kann schaft und damit die Integration der Bundesrepublik Mit dem gemeinsamen Abschlusstext und der promi­ bene, aber umso penibler beachtete Proporzsystem man dies durchaus sinnbildlich dafür verstehen, dass in das westliche Verteidigungsbündnis hintertreiben. nent besetzten Abschlusskundgebung hatte die Tagung zwischen Katholiken und Protestanten bei der Pos­ die damaligen Gegensätze zwischen Protestanten und Heinemann begrüßte die Note in einer Rede am Frei­ ihre wesentlichen Ziele erreicht: Sie hatte gezeigt, dass tenvergabe in der Partei, in politischen Ämtern und Katholiken in der politischen Arbeit heute nur noch tag, dem 14. März und kritisierte die Haltung der Bun­ sich Protestantismus und CDU nicht ausschlossen Stellenbesetzungen in weiten Teilen des öffentlichen von zweitrangiger Bedeutung sind. Das ist durchaus desregierung. Wenn sie die Wiedervereinigung wolle, und die Protestanten in der Union von den Katholiken Diensts dazu, dass das Projekt der überkonfessionel­ im Sinne der damals Verantwortlichen, die den Blick müsse sie „auf die Westeingliederung der Bundesre­ weder inhaltlich noch personell an den Rand gedrängt len Volkspartei an Glaubwürdigkeit gewann. auf das Verbindende in den Vordergrund stellten. publik verzichten, denn sie würde die Ausgliederung wurden. Ebenso wichtig war, dass die Union in der Dazu noch einmal Adenauer in seiner Ansprache im des deutschen Ostens bedeuten.“ zentralen Frage der Wiederbewaffnung und Wieder­ Siegener Apollo-Theater: „Ich darf mir die Feststel­ vereinigung mit einer Stimme sprach und damit als lung erlauben, daß wir Katholiken und Evangelischen Demgegenüber stellte die gemeinsame Resolution geschlossene Partei wahrgenommen wurde. Neben Nachwirkungen viel mehr Gemeinsames haben als das, was wir nicht der drei Arbeitskreise der EAK-Tagung unter der Lei­ dem Echo in der regionalen und überregionalen Presse gemeinsam besitzen. Das aber, was wir nicht gemein­ tung von Bundestagspräsident Hermann Ehlers fest, auf die Gründungstagung wirkte das Ereignis zunächst Aus der Rückschau betrachtet hat der Evangelische sam haben, kann uns nicht daran hindern, auf einer durch die Note werde zwar „ein Gespräch zwischen in die CDU und auch die CSU hinein. Unmittelbar im Arbeitskreis zweifelsohne dazu beigetragen, dass großen und gemeinsamen Ebene zu gemeinsamer den Mächten veranlaßt“, doch „irgendeine Form der Anschluss an die Tagung wurde ein geschäftsführender die konfessionellen Unterschiede auf der politischen Arbeit zusammenzufinden.“ Neutralisierung“ sei „nach unserer Meinung unmög­ Ausschuss des EAK eingerichtet und die Arbeit auf Bun­ Ebene keine destruktiven Kräfte mehr entwickelten, lich“. Schließlich stelle der Verteidigungsbeitrag „das desebene verstetigt. Des Weiteren wurde die Arbeit wie das noch in Weimar der Fall gewesen war. Für 108 109 wirksamste Mittel zur Sicherung des Friedens“ dar. auf die Ebene der CDU-Landesverbände und sogar den Erfolg der CDU als integrative, konfessionelle Erkennbar in Anlehnung an die Zwei-Reiche-Lehre des CSU-Verbands ausgedehnt, die die evangelischen Gräben überbrückende politische Kraft hat er zwei­ Martin Luthers und in deutlicher Kritik an den Kreisen Unionsmitglieder an der Parteibasis aktivieren sollten. fellos maßgeblich zur Stabilität des Parteiensystems Literatur um Niemöller und Heinemann, die Westbindung und Dass mit Hermann Ehlers ein Spitzenpolitiker aus der beigetragen, wenngleich im Zuge der zunehmenden Wiederbewaffnung indirekt als per se mit dem christ­ ersten Reihe der CDU den EAK führte und nach seinem Entkonfessionalisierung und Entchristlichung der Buchna, Kristian: Ein klerikales Jahrzehnt? Kirche, Konfession lichen Glauben unvereinbar ablehnten, formulierte die plötzlichen Tod 1954 mit Bundesinnenminister Ger­ westdeutschen Gesellschaft seit den 1960er Jahren und Politik in der Bundesrepublik während der 1950er Jahre. Resolution das politische Credo des EAK: „Wir wissen, hard Schröder ein weiterer prominenter und einfluss­ der Gegensatz zwischen Katholiken und Protestanten Baden-Baden 2014. daß politische Fragen nach politischen Gesichtspunk­ reicher Unionspolitiker die Leitung des EAK übernahm, ohnehin immer mehr verblasste. Dass die Union in ten entschieden werden müssen. Das entbindet uns stellte unter Beweis, dass in der Union die politischen der Tendenz „protestantischer“ geworden ist, kommt Egen, Peter: Die Entstehung des Evangelischen Arbeitskreises nicht von der Aufgabe, jede politische Entscheidung und konfessionellen Interessen des bürgerlich-natio­ darin zum Ausdruck, dass mit Angela Merkel 18 Jahre der CDU/CSU. Bochum 1971. sowie jede andere Entscheidung unseres persönlichen nalkonservativen Flügels des Protestantismus auf lang eine Protestantin an der Spitze der CDU stand. Lebens darauf zu prüfen, ob sie vor dem Worte Gottes Augenhöhe mit denjenigen der Katholiken agierten. Gegenwärtig tritt der EAK vor allem durch die alle zwei Großbölting, Thomas: Der verlorene Himmel: Glaube in Deutschland bestehen kann. Wir verwahren uns aber dagegen, Jahre stattfindenden Bundestagungen und die Berliner seit 1945. Göttingen 2013. daß politische Entscheidungen als Glaubensentschei­ Nach außen hin lag die entscheidende Wirkung Theologischen Gespräche zu aktuellen politischen und dungen hingestellt werden.“ Auf der Abschlusskund­ des EAK in seinem Beitrag zur Bindung protestanti­ gesellschaftlichen Themen an die Öffentlichkeit. Martin, Albrecht/Gottfried Mehnert/Christian Meißner: gebung im Apollo-Theater stellte sich Adenauer aus­ scher Wähler an CDU und CSU. Hatten 1949 ledig­ Der Evangelische Arbeitskreis der CDU/CSU, 1952–2012. Berlin 2012. drücklich hinter die Resolution und signalisierte damit lich 25 Prozent der protestantischen Wähler für die Ein äußeres Zeichen für die inzwischen enge Verbin­ seine Unterstützung für die Arbeit des EAK. Union, hingegen 34 Prozent für die SPD gestimmt, dung zwischen den Christen beider Konfessionen war Oppelland, Torsten: Der Evangelische Arbeitskreis der CDU/CSU, erreichte die CDU/CSU bei der Wahl 1953 einen Anteil nicht zuletzt die Wahl des Orts für den Festgottes­ 1952–1969, in: Historisch-Politische Mitteilungen 5 (1998), S. 105–143 von 34 Prozent und zog mit der SPD gleich; vier Jahre dienst anlässlich der 60-Jahrfeier der Gründung des (https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=6b9dc9f5-b5a1- später wählten sogar 41 Prozent der protestantischen EAK im Jahr 2012: Er wurde in der katholischen Kirche 1207-0b99-78a2868beaf0&groupId=252038 (Abruf: 29.01.2020)). Von 1874 bis 1879 wurde am Domplatz in Erfurt Verbrechen seien. Was genau darunter zu verstehen das Gebäude des Landgerichts errichtet. Gleichzeitig und welche Strafe dafür vorgesehen war, lag letztlich entstand in der benachbarten Andreasstraße eine im Ermessen der von der SED kontrollierten Gerichts­ Haftanstalt. Hier wurden nicht nur zur Zeit des Nati- barkeit der DDR. Die Unbestimmtheit der Vorschrift onalsozialismus zwischen 1933 und 1945, sondern war ein idealer Vorwand, um gegen jede Art opposi­ auch in der DDR politische Häftlinge inhaftiert und tioneller Regung vorzugehen, wovon in den 1950er gefoltert. Seit 2013 ist die Haftanstalt Andreasstraße Jahren reichlich Gebrauch gemacht wurde. eine Gedenkstätte. Nicht nur die rechtliche Grundlage war eine Farce, son­ dern auch der Prozess selbst, der nur zwei Tage dau­ erte. Er fand vor „erweiterter Öffentlichkeit“ statt, was Das Urteil bedeutete, dass es sich um einen Schauprozess han­ delte, ähnlich den Verhandlungen, die seit den 1930er Am 20. Dezember 1952 fiel im Landgericht ein Urteil, Jahren zunächst in der Sowjetunion, später in Ungarn das einen Höhepunkt in der Verfolgung des demokra­ oder der Tschechoslowakei stattfanden. Auch in Erfurt Erfurt tisch gesinnten Teils der CDU in der SBZ/DDR mar­ wurde nichts anderes als ein grausames Theaterstück kierte. Insgesamt sieben CDU-Mitglieder, unter ihnen inszeniert, in dem alles nach einer bis ins Detail geplan­ der Bürgermeister von Camburg Herbert Teuscher ten Regie ablief. Die durch Einzelhaft, stundenlange Landgericht 111 und verschiedene Mitglieder der CDU Weimar, wurden Verhöre und die Angst um ihre Familien zermürbten zu Haftstrafen zwischen acht und 15 Jahren verurteilt. Angeklagten gestanden alles, was man ihnen vorgelegt 1952 Der Grund: Alle hatten teils unabhängig voneinander hatte, insbesondere den Vorwurf der Spionage. Die unmittelbar oder mittelbar Kontakt zum Ostbüro der harten, vorher von der SED festgelegten Urteile, dien­ Verfolgung und Inhaftierung CDU in West-Berlin. Das Ostbüro war zentraler Anlauf­ ten als Warnung an alle, die nicht bereit waren, auf die Weser punkt und Informationsstelle für CDU-Mitglieder aus „fortschrittliche“ Linie der CDU einzuschwenken, aber Thüringen der DDR, die sich nicht mit der Unterwerfung ihrer auch an die Partei selbst, mehr „Wachsamkeit“ walten von Christlichen Partei unter die SED und die marxistische Ideologie zu lassen. Vor allem war es jedoch der erste Prozess, 14 abfinden wollten, sondern sich weiterhin dem abge­ der sich direkt gegen das CDU-Ostbüro richtete, das als Weimar Demokraten in der SBZ/DDR Erfurt setzten Vorsitzenden Jakob Kaiser, mittlerweile Bun­ Hort eines US-amerikanischen Spionagerings diffamiert desminister und Vorsitzender der Exil-CDU, verbunden werden sollte. fühlten. Einige Angeklagte hatten daher etwa Listen Oliver Salten zuverlässiger Parteifreunde für den Fall geführt, dass es zu freien Wahlen kommen sollte, andere eine Rede von Konrad Adenauer weiterverbreitet. Erste Repressionen

Basis für die Strafwürdigkeit dieser „Verbrechen“ war Diese Vorgänge reihen sich ein in eine Welle der Ver­ insbesondere Artikel 6 der DDR-Verfassung von 1949. folgung seitens der sowjetischen Besatzungsmacht Er legte fest, dass „Boykotthetze gegen demokratische und der SED, die die CDU in der SBZ/DDR seit 1948 Einrichtungen und Organisationen“ sowie „Mordhetze mit dem Ziel erfasste, unbotmäßige Mitglieder einzu­ gegen demokratische Politiker“ strafrechtlich relevante schüchtern oder zu entfernen. Hintergrund war die Neuorientierung der Deutschlandpolitik der Sowjet­ genommen, führende Mitglieder der Jungen Union Verfolgungen Exemplarisch lässt sich dieses Vorgehen etwa am union hin zur Konsolidierung der DDR, garantiert zu verhaften, unter ihnen die Mitgründer Manfred sächsischen Landesvorsitzenden Hugo Hickmann durch die Absicherung der führenden Rolle der SED. Klein und Georg Wrazidlo. Nach der Absetzung Kaisers startete eine größere belegen. Hickmann, der 1948 nach der Absetzung Dabei war schon in den Jahren zuvor die Arbeit der Verhaftungswelle missliebiger CDU-Mitglieder, woran Kaisers interimsweise die Führung der CDU in der CDU nicht ohne Behinderungen abgelaufen. Die sowjetische Besatzungsmacht hatte schon zu einem Spitzel in sowjetischen Diensten tatkräftig mitwirkten. SBZ übernommen hatte, weigerte sich standhaft, frühen Zeitpunkt erkennen lassen, dass sie nicht an Die Anklagen klangen fast immer gleich: „antisowjeti­ den Führungsanspruch der SED anzuerkennen und So wurde die CDU bereits 1945/46 gegenüber der einer demokratischen politischen Auseinandersetzung sche Hetze“, Spionage oder Sabotage. Viele erhielten einer Einheitslistenwahl zuzustimmen. Angriffe gegen KPD/SED klar benachteiligt, etwa bei der Papierzutei­ interessiert war. Im Konflikt um die Frage einer entschä­ eine Art „Standardstrafmaß“ von 25 Jahren Haft, die ihn wurden nicht nur seitens der SED, sondern auch lung für die parteieigenen Zeitungen oder der Zulas­ digungslosen Enteignung im Rahmen der Bodenreform sie in berüchtigten Strafanstalten wie Bautzen oder durch den CDU-Landrat von Aue Magnus Dedek sung von Ortsgruppen – eine grundlegende Voraus­ wurden am 19. Dezember 1945 der Vorsitzende der Torgau absitzen mussten. Viele kamen erst im Laufe ausgeführt, der von den Kommunisten protegiert setzung, um an den Wahlen zu den Landtagen und CDU in der SBZ Andreas Hermes sowie sein Stellver­ der 1950er Jahre frei. Andere Verhaftete wurden wurde. Am 23. Januar 1950 kam es zu einem „spon­ Kommunalparlamenten 1946 teilzunehmen. Bereits treter Walther Schreiber abgesetzt. Genau zwei Jahre über das sowjetische Speziallager Sachsenhausen tanen“ Sturm der CDU-Landesgeschäftsstelle durch im Umfeld dieser Wahlen, die nicht den erhofften später, am 19. Dezember 1947, traf seinen Nachfolger zur Zwangsarbeit nach Sibirien deportiert, etwa der von der SED organisierte Gruppen, die mit Sprüchen Erdrutschsieg der SED brachten, kam es zu ersten Ver­ Jakob Kaiser und dessen Stellvertreter Ernst Lemmer Schweriner CDU-Kreisvorsitzende Walter Olters. In wie: „Hängt ihn auf, die Sau“, Hickmanns Absetzung haftungen von CDU-Mitgliedern wie des Landrats von dasselbe Schicksal bezüglich der Frage einer Beteiligung diesem Zusammenhang standen auch einige Todes­ forderten. Einige Tage später verzichtete Hickmann Heiligenstadt, Aloys Schaefer, der 1947 zu zehn Jahren der CDU an der SED-dominierten „Volkskongressbewe­ fälle, die man möglicherweise sogar als Mord bezeich­ auf alle seine Ämter, Dedek hingegen wurde noch im Arbeitslager verurteilt wurde und bis 1954 inhaftiert gung“. Sie waren jedoch in der Lage, von West-Berlin nen könnte. Beispielsweise wurde der stellvertretende selben Jahr stellvertretender Landesvorsitzender. blieb. Selbst die für die SED ungünstig ausgegangenen aus weiterzuarbeiten, wo Kaiser und Lemmer, die sich Kreisvorsitzende von Delitzsch Hans-Georg Löser bei 112 113 Wahlen zum Studentenrat und den Fakultätsräten weiterhin als rechtmäßige Vorsitzende der CDU in der seiner Verhaftung durch den sowjetischen Geheim­ Während die CDU von einer Austrittswelle demo­ an der Berliner Universität 1947 wurden zum Anlass SBZ verstanden, das Ostbüro der CDU aufbauten. dienst erschossen; im Mai 1948 fiel der brandenburgi­ kratisch gesinnter Mitglieder erfasst wurde, wussten sche Landesvorsitzende Wilhelm Wolf unter mysteriö­ sich viele CDU-Funktionäre der drohenden Verhaf­ sen Umständen einem Autounfall zum Opfer. Andere tung nur durch die Flucht nach West-Berlin oder in starben an den Folgen der in Gefangenschaft erlitte­ die Bundesrepublik zu entziehen. Unter ihnen waren nen Folterungen, etwa Ende 1948 der stellvertretende hochrangige Persönlichkeiten, etwa der thüringische Bürgermeister von Falkensee Hermann Neumann. Handelsminister Georg Grosse, der mecklenburgische Wirtschaftsminister Siegfried Witte oder der sächsi­ Die Verfolgung verschärfte sich noch im Zusammen­ sche Handelsminister Georg Knabe. Anderenfalls hätte hang mit der Gründung der DDR 1949 und der Durch­ ihnen dasselbe Schicksal gedroht wie dem Arbeits- setzung der Einheitslisten für die Volkskammerwahlen und Sozialminister von Sachsen-Anhalt Leo Herwegen, 1950. Insbesondere die bereits erwähnte „Boykott­ der 1950 in einem Schauprozess in Dessau unter der hetze“ bot eine zusätzliche Begründung dafür, koope­ Leitung der berüchtigten Vizepräsidentin des Obersten rationsunwillige CDU-Mitglieder verhaften zu lassen. Gerichts der DDR und späteren Justizministerin Hilde Einfache Mitglieder, die dem Machtanspruch der SED Benjamin zu einer Haftstrafe von 15 Jahren verurteilt kritisch gegenüberstanden, wurden auf diese Weise wurde. Besonders erbarmungslos wütete der DDR- eingeschüchtert. Zugleich brachte diese Strategie Repressionsapparat Anfang 1950 in Potsdam. Fast alle Im Landgericht Erfurt fanden diejenigen, die sich dem Gleichschaltungsdruck längst Stadtverordneten und Mitglieder des CDU-Kreisvor­ Schauprozesse gegen demokratische ergeben hatten, an die innerparteilichen Schaltstellen, stands wurden festgenommen und zu langjährigen CDU-Mitglieder in der DDR statt. die durch die Verhaftungen oder erzwungenen Rück­ Haftstrafen verurteilt. Bürgermeister Erwin Köhler tritte frei geworden waren. wurde mit seiner Frau Charlotte wegen angeblicher Der stellvertretende Im Frühjahr 1953 folgten zwei weitere Verfahren in Die Lage seit 1953 Während der Friedlichen Revolution waren es vor Landesvorsitzende der Erfurt und Gera, die aber schon nicht mehr als Schau­ allem die Ortsgruppen und Kreisverbände, die, von CDU in Thüringen prozesse konzipiert waren, da man dieses Abschre­ Auch wenn es immer wieder zu Verhaftungen einzelner der Angst vor Sanktionen befreit, eine starke inner­ Hugo Dornhofer. ckungsinstrument nur sehr dosiert einsetzen wollte. Mitglieder oder Gruppen kam, war der Hochpunkt der parteiliche Aktivität entfalteten. Beginnend mit den Auch hier erhielten die Angeklagten zum Teil langjäh­ stalinistischen Verfolgungswelle überschritten. Inner­ Briefen aus Neuenhagen und Weimar kamen wichtige rige Haftstrafen. Unter ihnen befand sich der frühere halb der CDU waren die oppositionellen Regungen im Impulse zur Emanzipation und Demokratisierung der stellvertretende Landesvorsitzende Hugo Dornhofer, Wesentlichen mundtot gemacht worden. Zwar wurden CDU der DDR von der Basis – Impulse, die lange ihrer der sich standhaft weigerte, ein Schuldbekenntnis anlässlich bestimmter Ereignisse wie des Ungarn-Auf­ Erweckung harren mussten. abzulegen, und sich noch in seinem Schlusswort als stands 1956, des Baus der Berliner Mauer 1961 oder treuer Anhänger Jakob Kaisers bezeichnete. Er wurde der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 immer zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt. Er kam 1956 noch Unmutsbekundungen an der Basis festgestellt. gemeinsam mit seinem im selben Prozess angeklag­ Diese blieben jedoch begrenzt und erfuhren, auch aus ten Sohn Ignaz im Rahmen einer Amnestie frei. Sorge vor Repressionen, kaum Resonanz.

Allerdings konnten sich auch Personen, die maßgeb­ Die genaue Zahl der im Laufe der Zeit aus politischen Literatur Spionage und „antisowjetischer Hetze“ von einem lich dazu beigetragen hatten, dass sich in der CDU Gründen verhafteten CDU-Mitglieder ist nicht bekannt. sowjetischen Militärtribunal zum Tode verurteilt und eine „fortschrittliche“ Linie durchgesetzt hatte, in die­ 1998 erbrachte eine Dokumentation eine Anzahl von Buchstab, Günter: Widerspruch und widerständiges Verhalten der in der berüchtigten Moskauer Haftanstalt Butyrka ser Phase nicht mehr sicher fühlen. Diesem Umstand fast 2.300 Fällen bis 1961, doch dürfte die Dunkelziffer CDU der SBZ/DDR, in: Deutscher Bundestag (Hg.): Möglichkeiten 114 115 erschossen. Der 72-jährige Vorsitzende der CDU-Land­ fiel etwa der DDR-Außenminister und frühere CDU- aller verfolgten und verhafteten Christlichen Demokra­ und Formen abweichenden und widerständigen Verhaltens und tagsfraktion von Brandenburg Franz Schleusener starb Generalsekretär Georg Dertinger zum Opfer, der ten in der SBZ/DDR weit höher liegen. Nicht darunter oppositionellen Handelns, die friedliche Revolution im Herbst 1989, kurz nach seiner Verhaftung an den Folgen der ihm am 13. Januar 1953 zusammen mit seiner Frau und erfasst sind diejenigen, die ihrer Verhaftung durch die Wiedervereinigung Deutschlands und Fortwirken von Struktu­ zugefügten Folter. seinen minderjährigen Kindern verhaftet wurde. 1954 Flucht in den Westen zuvorkamen und so ihrer Hei­ ren und Mechanismen der Diktatur (Materialien der Enquete-Kom­ wurde Dertinger zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt mat, ihrer Familienangehörigen und Freunde beraubt mission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur 1952, dem Jahr, in dem die gleichgeschaltete CDU der und erst 1964 freigelassen. wurden. in Deutschland“ [12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages], DDR auf ihrem Parteitag endgültig die führende Rolle Bd. VII/1). Baden-Baden 1995, S. 504–539. der SED anerkannte, stand vor allem Thüringen im Die tiefgreifende Unzufriedenheit mit dem System der In den 1970er und 1980er Jahren verlagerte sich das Fokus des Ministeriums für Staatssicherheit. Am 1. Mai DDR entlud sich im Rahmen des Volksaufstandes am Resistenzpotenzial vor allem auf die Äußerung von Buchstab, Günter (Hg.): Verfolgt und entrechtet. Die Ausschaltung kam es in Groß-Bebra bei einer Betriebsversammlung 17. Juni 1953. Auch hier waren verschiedene CDU-­ Widerspruch gegen die führende Rolle der SED, die Christlicher Demokraten unter sowjetischer Besatzung und SED-­ zu handgreiflichen Auseinandersetzungen, bei denen Mitglieder zum Teil sehr aktiv an diversen Demonstra­ atheistisch geprägte Weltanschauung und wirtschaft­ Herrschaft 1945–1961. Eine biographische Dokumentation. Sankt das SED-Mitglied Alfred Sobik einen Herzinfarkt erlitt tionen und Kundgebungen gegen das Regime beteiligt. liche Missstände. Solche Aussagen konnten jedoch Augustin 1998. und starb. Rasch wurde dies zu einem „Mord“ hochsti­ Nach der Niederschlagung des Aufstands und der ebenfalls Sanktionen nach sich ziehen. Wer etwa lisiert und die beiden ebenfalls bei der Versammlung erneuten Festigung der SED-Herrschaft blieben jedoch einen Ausreiseantrag stellte, musste damit rechnen, Jander, Ingrid: Politische Verfolgung in Brandenburg 1949 bis 1953. anwesenden Bergleute und CDU-Mitglieder Johann die prokommunistischen Kräfte an der Macht und aus der Partei ausgeschlossen zu werden. Oftmals Der Kampf gegen Ost-CDU, Bauern und Kirchen im Spiegel der Akten Muras und Ernst Wilhelm angeklagt und zum Tode stärkten ihre Position durch weitere interne „Säube­ ging dies mit dem Verlust der beruflichen und gesell­ von SED und Staatssicherheit (Forschungen und Quellen zur Zeitge­ verurteilt. Am 6. September 1952 starben sie durch rungen“, was wiederum einen Anstieg der Austritte schaftlichen Stellung einher. schichte 59). Düsseldorf 2012. das Fallbeil. Dies war jedoch nur der Anlass für weiter­ unzufriedener CDU-Mitglieder nach sich zog. gehende Verfolgungen, deren erster Höhepunkt der Kaff, Brigitte (Hg.): „Gefährliche politische Gegner“. Widerstand und eingangs geschilderte Schauprozess in Erfurt war. Verfolgung in der sowjetischen Zone/DDR. Düsseldorf 1995. Die Pariser Verträge stellen einen Meilenstein der Paris als Ort der französisch- politischen und ideellen Verankerung der Bun- deutschen Aussöhnung desrepublik im Westen dar. Mit ihnen wurde die westdeutsche Wiederbewaffnung im Rahmen der Am 23. Oktober 1954 unterzeichneten Bundeskanz­ NATO geregelt. Zudem erhielt die Bundesrepublik ler Konrad Adenauer, der US-amerikanische Außen­ durch den im Vertragswerk enthaltenen Deutsch- minister John Foster Dulles, der französische Minis­ landvertrag weitgehende Souveränität und wurde terpräsident Pierre Mendès France und der britische zum anerkannten Mitglied der westlichen Staaten- Außenminister Anthony Eden im französischen Außen­ gemeinschaft. Obwohl es unterschiedliche Ansich- ministerium die Pariser Verträge. Nach der Unterzeich­ ten in der CDU darüber gab, wie die Westbindung nung erklärte Adenauer bei einer Pressekonferenz im gestaltet werden sollte, war sie die einzige Partei, Pariser Hotel Bristol: „Ich glaube, daß man den heutigen die sich von Anfang an durchgängig zur Veranke- Tag mit Fug und Recht als den Tag der Aussöhnung zwi­ rung im Westen bekannte. schen Frankreich und Deutschland bezeichnen kann.“ Paris Quai d’Orsay 1954 117 Westbindung als Grundsatz christlich-demokratischer Außenpolitik

Judith Michel 15 Paris

Im Quai d’Orsay, dem französischen Außenministerium, wurden am 23. Oktober 1954 die Pariser Verträge unterzeichnet.

Frankreich Diesen Tag und damit auch Paris als Wegmarke Innenpolitische Diskussionen konnte wiederum über den Vertrauensgewinn, der sich bzw. Ort der deutsch-französischen Aussöhnung zu um die Westbindung durch diesen partiellen Souveränitätsverzicht auf euro­ bezeichnen, wirft jedoch Fragen auf. Schließlich war päischer Ebene ergab, Teil der internationalen Gemein­ Paris am 30. August 1954 der Ort gewesen, an dem Aus der Rückschau erscheint Konrad Adenauers schaft werden, schrittweise Souveränität auf nationaler die französische Nationalversammlung jede weitere Politik der Westbindung vor dem Hintergrund von Ebene zurückerlangen, den wirtschaftlichen Wiederauf­ Aussprache über den Vertrag über die Europäische Besatzungsherrschaft, Demilitarisierung, Kaltem bau vorantreiben und die freiheitlich-demokratischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) abgelehnt hatte. Krieg und der Teilung Deutschlands geradezu alter­ Strukturen und Werte festigen. Die EVG hätte die westdeutsche Wiederbewaffnung nativlos gewesen zu sein. Tatsächlich war die West­ im europäischen Rahmen regeln sowie zu einer ver­ Plakat der Gesellschaft Freies Europa, bindung jedoch innenpolitisch – und auch innerhalb Adenauers Politik der Westbindung ruhte dabei auf tieften politischen Integration Westeuropas führen die im Sinne der Bundesregierung für der Union – überaus umstritten. zwei Pfeilern: der europäischen Integration, deren sollen. Die transatlantische Alternativlösung zur den Deutschlandvertrag als Schritt zu Herzstück die deutsch-französische Aussöhnung Wiederbewaffnung der Bundesrepublik im Rahmen Souveränität und zur Einheit warb. In der unmittelbaren Nachkriegszeit hegten viele Deut­ bildete, und der transatlantischen Zusammenarbeit, der NATO, die daraufhin in kürzester Zeit entwickelt sche die Hoffnung, dass die deutsche und europäische durch die der US-amerikanische Schutz vor der Sow­ wurde, hatte ihren Kern jedoch gerade nicht in einem Teilung bald wieder überwunden werden könne. So jetunion sichergestellt wurde. Eine Schaukelpolitik engen deutsch-französischen Schulterschluss bzw. gesehen schien die Westbindung das Risiko zu bergen, zwischen Ost und West, die ein Signum deutscher der westeuropäischen Einigung. den Weg zur Wiedervereinigung zu erschweren. Nicht Außenpolitik in der Vergangenheit gewesen war, nur parteipolitische Gegner Adenauers, sondern auch ­verbot sich angesichts des Misstrauens, den diese Dennoch ist Paris nicht nur ein Ort des Rück­ einige Unionsmitglieder befürworteten daher einen bei den westlichen Partnern hervorrufen musste. 118 119 schlags, sondern mehrfach auch von Vorstößen in neutralen Kurs Deutschlands zwischen den Blöcken. den deutsch-französischen Beziehungen gewesen. Für Adenauer schlossen sich Westintegration und Wie­ So war Paris am 18. April 1951 der Ort der Unter­ Adenauer hatte hingegen früher als viele andere dervereinigung keinesfalls aus. Die Integration in den zeichnung des Vertrags zur Gründung der Europäi­ Politiker die Spaltung Europas und den Expansionswil­ Westen war für ihn vielmehr die Voraussetzung für die schen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), in len der Sowjetunion erkannt. Er ging davon aus, dass Einheit: Nur ein freier, starker, geeinter Westen werde dem durch die deutsch-französische wirtschaftliche eine Neutralisierung unweigerlich zur Sowjetisierung letztlich zu einem Zusammenbruch des Ostblocks und Zusammenarbeit und Vertrauensbildung die Grund­ Deutschlands führen würde. Dem bedingungslos anti­ der Möglichkeit der deutschen Einheit führen. lage für die westeuropäische Integration gelegt kommunistischen Adenauer ging es darum, die gerade worden war. Am 22. Januar 1963 unterzeichneten wiedergewonnene Freiheit und Demokratie durch der Bundeskanzler und der französische Präsident Einbindung in die westliche Wertewelt zu sichern. So Charles de Gaulle im Elysée-Palast den Vertrag über verfolgte er mit seiner Westbindungspolitik zum einen Schritt für Schritt zu die deutsch-französische Zusammenarbeit. das Ziel, Schutz – insbesondere durch die USA – vor der Sicherheit und Souveränität UdSSR zu erhalten. Zum anderen wollte er damit dem Misstrauen entgegenwirken, das vor allem Frankreich Adenauer hatte bereits Ende 1949 seine Bereitschaft und Belgien Deutschland nach den Erfahrungen aus signalisiert, deutsche Kontingente in einer europäi­ der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur und des schen Armee bereitzustellen. Hierfür waren zum Zweiten Weltkriegs entgegenbrachten. So bot die wirt­ einen Sicherheitsgründe ausschlaggebend, schließlich schaftliche, politische und militärische Westintegration konnte Adenauer die Sicherheitsgarantie der West­ den westlichen Staaten die Möglichkeit, den ehemali­ mächte für die Bundesrepublik nicht für alle Zeiten gen Kriegsgegner zu kontrollieren. Die Bundesrepublik als selbstverständlich annehmen, weshalb er einen deutschen Verteidigungsbeitrag anbot. Zum anderen lich zu seinem grandiosen Wahlsieg 1953 bei, der als Obwohl die Pariser Verträge Ergebnis eines nur ging er davon aus, dass die Bundesrepublik ohne Plebiszit für Adenauers Westkurs gewertet werden zweimonatigen Krisenmanagements waren, stell­ eigene Armee keine vollständige Souveränität erlan­ kann. Ab diesem Zeitpunkt stießen alternative außen­ ten sie eine deutliche Verbesserung gegenüber den gen und kein gleichwertiges Mitglied der Staatenge­ politische Konzepte auf keine breite Akzeptanz mehr. ursprünglichen Plänen zur Wiederbewaffnung und zur meinschaft werden könne. Ausweitung der Selbstständigkeit der Bundesrepublik Umso herber war die Nachricht vom Scheitern des dar. So wurde im modifizierten Deutschlandvertrag, Im Oktober 1952 fasste Adenauer dies auf dem CDU- EVG-Vertrags in der französischen Nationalversamm­ der das Besatzungsstatut aufhob, beispielsweise die Bundesparteitag in Berlin zusammen: „Deutschland lung am 30. August 1954. Adenauer bezeichnete erstrebte Souveränität nun explizit erwähnt, indem ist um seiner Existenz willen absolut darauf angewie­ diesen Tag in seinen Erinnerungen als „[s]chwarze[n] der Bundesrepublik die „volle Macht eines souverä­ sen, aus seiner Isolierung und Wehrlosigkeit heraus­ Tag für Europa“, auf den weitere „qualvolle Tage“ nen Staates“ zugesprochen wurde – allerdings mit zukommen. Wir Deutsche gehören aus weltanschau­ folgten. Kurz darauf schlug der britische Außenminis­ der Einschränkung, dass unter anderem die alliierten lichen und kulturellen Gründen und aus unserer ter Anthony Eden mit US-amerikanischer Zustimmung Vorbehaltsrechte für Deutschland als Ganzes bis zur ganzen Lebensauffassung heraus zum Westen. Und die Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO vor. Vereinigung 1990 fortbestanden. Die Bundesrepub­ nur durch den Anschluß an den Westen kann unsere Zudem sollte der Brüsseler Pakt – ein Militärbündnis, lik verpflichtete sich zudem, die Wiedervereinigung Isolierung und Wehrlosigkeit ein Ende finden.“ das 1948 von Frankreich, dem Vereinigten Königreich nur gewaltfrei anzustreben. Die westlichen Alliierten und den Benelux-Staaten sowohl gegen eine deutsche erklärten ihrerseits, sich weiterhin für das Ziel der Traf Adenauers Vorstoß anfangs noch in weiten und als auch eine sowjetische Aggression gegründet deutschen Einheit einzusetzen. Kreisen auf Skepsis, wirkte der Koreakrieg ab dem worden war – um Deutschland erweitert und in die 120 121 Sommer 1950 als Katalysator für die westdeutsche Westeuropäische Union (WEU) umgewandelt werden. Das Pariser Vertragswerk enthielt zudem verschie­ Wiederbewaffnung. Diese wurde zunächst im euro­ Adenauer stimmte dem Plan sofort zu, äußerte aber dene Verträge, um den Übergang vom besetzten päischen Rahmen angedacht. Die geplante EVG auch seine Hoffnung auf die Fortsetzung der europäi­ Land zum gleichberechtigten Mitglied des kollekti­ sah eine Aufstellung westdeutscher Truppen unter schen Integration zu einem späteren Zeitpunkt. ven Sicherheitssystems der NATO zu regeln. Um die europäischer Führung vor. Auf Drängen der Bundes­ französische Furcht vor einem wiederbewaffneten republik wurde zugleich der auch Generalvertrag Vom 20. bis 23. Oktober 1954 kamen daraufhin in deutschen Nachbarn zu zerstreuen, verzichtete die genannte Deutschlandvertrag ausgearbeitet, der die Paris die damaligen NATO-Mitglieder und die Bundes­ Bundesrepublik auf die Produktion von ABC-Waffen Ablösung des Besatzungsstatuts und weitgehende republik zu einer „Monstreveranstaltung [sic] von vier Der französische Ministerpräsident Pierre Mendès auf deutschem Boden. Außerdem verpflichteten sich Souveränität für die Bundesrepublik vorsah. ineinander verschachtelten Konferenzen“ (Hans-Peter France, Bundeskanzler Konrad Adenauer, der briti- das Vereinigte Königreich und die USA, Truppen in Schwarz) zusammen. Mit den NATO-Mitgliedern wurde sche Außenminister Anthony Eden und der US- Europa zu belassen. Nach zähem Ringen und unter massivem Störfeuer über die Aufnahme der Bundesrepublik in die Atlan­ amerikanische Außenminister John Foster Dulles seitens der Sowjetunion wurden schließlich am tische Allianz verhandelt; die Mitglieder des Brüsseler (v. l. n. r.) bei einer Pressekonferenz vor der Unter- Geschickt hatte Adenauer bedeutende Parlamentarier 26./27. Mai 1952 in Paris der EVG-Vertrag und der Pakts beschlossen die Erweiterung zur WEU um die zeichnung der Pariser Verträge, 20. Oktober 1954. der Oppositionspartei – , Herbert Deutschlandvertrag unterzeichnet, die ein Jahr später Bundesrepublik und Italien; die drei westlichen Besat­ Wehner, Carlo Schmid und Karl Mommer – nach Paris im Deutschen Bundestag ratifiziert wurden. Der am zungsmächte und die Bundesrepublik verhandelten mitgenommen, die ernüchtert die Realität der ineinan­ 17. Juni 1953 blutig niedergeschlagene Volksaufstand um eine Modifizierung des Deutschlandvertrags; in der verzahnten Konferenzen wahrnehmen und insbe­ in der DDR wirkte schließlich wie eine moralische bilateralen Gesprächen mit Frankreich wurden unter sondere bei der Saarfrage die Grenzen des Möglichen Rechtfertigung für die Westbindungspolitik. Dies anderem eine Lösung für das Saarproblem sowie Fra­ erkennen mussten. Dennoch lehnte ein Großteil der sowie eine medienwirksam inszenierte USA-Reise gen der wirtschaftlichen und kulturellen Zusammen­ SPD die Pariser Verträge ab, da die SPD bis 1959/60 Adenauers trugen neben anderen Faktoren maßgeb­ arbeit erörtert. einen bündnisfreien Status für die Bundesrepublik Unterzeichnung der Pariser Ver- Auch wenn der Westkurs ab den 1960er Jahren nicht Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel erinnerte träge durch Bundeskanzler Konrad mehr grundsätzlich infrage stand, wurden die Defini­ am 25. April 2017 bei einem Festakt zu Adenauers Adenauer, den US-amerikanischen tion des „Westens“ und das Verhältnis zum Westen 50. Todestag: „Sein Herzensanliegen galt aber der Außenminister John Foster Dulles, weiterhin ausgehandelt. Innerhalb der Union zeigte Westbindung. Und damit stieß Adenauer seinerzeit den französischen Ministerpräsiden- sich dies am deutlichsten in der Auseinandersetzung auf heftigen und emotionsgeladenen Widerstand […]. ten Pierre Mendès France und den zwischen den sogenannten Atlantikern und Gaullisten. Aber wir wissen heute, welche Weitsicht Konrad Ade­ britischen Außenminister Anthony Beide Strömungen befürworteten die Westbindung. nauer damals bewiesen hat. Die Westbindung ist für Eden (v. l. n. r.) am 23. Oktober 1954. Die Gaullisten versuchten jedoch, die europäische Eini­ die Bundesrepublik Deutschland bis heute der zent­ gung voranzutreiben, als deren Kern sie die deutsch- rale Bezugspunkt unseres außenpolitischen Selbstver­ französische Aussöhnung betrachteten. Die Atlantiker ständnisses. Es ruht damals wie heute auf zwei Pfei­ sahen hingegen die sicherheits- und wirtschaftspoli­ lern: den gemeinsamen europäischen Strukturen und tische Notwendigkeit einer größeren, auch die USA dem transatlantischen Bündnis. Auch wenn beides […] und das Vereinigte Königreich umschließende west­ zeitweise durchaus auch im Konflikt zueinander stand, liche Partnerschaft. Obgleich Adenauer sich zunächst kommen darin auch heute noch unsere gemeinsamen eher „atlantisch“, später eher „gaullistisch“ verhielt, Wertevorstellungen genauso wie unsere Interessen Westbindung als Grundkonstante lässt sich der Bundeskanzler keinem Lager eindeutig zum Ausdruck.“ der Christlichen Demokratie zuordnen. Es gelang ihm vielmehr geschickt, beide bevorzugte. Innerhalb der Union bedauerten Anhän­ Strömungen innerhalb seiner Partei auszubalancieren 122 123 ger eines westeuropäischen Verteidigungsbündnisses, Die Westbindung war umstritten und Adenauers und außenpolitisch pragmatisch nationale Interessen dass dieses durch die NATO-Lösung nicht ersetzt Abkehr von der traditionellen Schaukelpolitik und sein nicht aus dem Auge zu verlieren. werden könnte. völlig neuer außenpolitischer Entwurf wurden als „revo­ lutionär“ (Klaus Hildebrand) beschrieben. Adenauer war Obwohl Form und Finalität der Westbindung innerhalb Literatur Adenauer verkündete vor dem CDU-Bundesvorstand zwar trotz aller innenpolitischen und innerparteilichen der Union umstritten waren, war die CDU die einzige am 11. Oktober 1954: „Für uns Deutsche insgesamt Auseinandersetzung mitnichten der einzige Vorkämp­ Partei, die sich von Anfang an durchgängig als Garant Granieri, Ronald J.: The Ambivalent Alliance. Konrad Adenauer, ist die neue Organisation viel besser, als es die EVG fer der Westintegration. Es ist aber maßgeblich seiner der Verankerung im Westen verstand. Mit Stolz bezo­ the CDU/CSU, and the West, 1949–1966 (Monographs in German gewesen ist.“ Die Bundesrepublik sei nun direkt NATO- Entschlossenheit zu verdanken, dass sich ein prowest­ gen und beziehen sich daher Unionspolitiker bis heute History Vol. 9). New York/Oxford 2003. Mitglied und somit an deren Entscheidungen beteiligt, licher, antikommunistischer Konsens herausbildete, auf dieses Erbe ihres Gründungskanzlers. Insbesondere außerdem schließe die NATO-Lösung den Schutz der der ein wesentliches Merkmal der Stabilität der west­ für Bundeskanzler Helmut Kohl war die europäische Kißener, Michael: Westbindung. Die politische Koordinatenverschie­ USA und des Vereinigten Königreichs mit ein. „Wir deutschen Demokratie darstellt. Ereignisse wie die Einigung, die er stets im atlantischen Kontext dachte, bung, in: Andreas Rödder/Wolfgang Elz (Hg.): Deutschland in der Welt. haben das Besatzungsregime nicht mehr. Wir sind Niederschlagung des Volksaufstands in der DDR 1953, „Herzstück“ seiner Außenpolitik. Wie Adenauer wollte Weichenstellungen in der Geschichte der Bundesrepublik. Göttingen wieder ein freies Volk. […] Wir können dann mit Fug des Ungarnaufstands 1956 und des Prager Frühlings Kohl mit der Westbindung den Frieden in Freiheit 2010, S. 13–27. und Recht behaupten, daß wir wieder eine Großmacht 1968 führten ebenfalls dazu, dass der Westkurs an sich bewahren und über die Integration in den Westen lang­ geworden sind.“ Schon jetzt kündigte Adenauer an, nicht mehr grundsätzlich umstritten war. So wurde die fristig die deutsche und europäische Spaltung überwin­ Lappenküper, Ulrich: Die deutsch-französischen Beziehungen was er bald nach Inkrafttreten der Pariser Verträge Westbindung schnell nicht nur ein außenpolitisches den. Auch nachdem sich Helmut Kohl schließlich ganz 1949–1963. Von der „Erbfeindschaft“ zur „Entente élémentaire“ I: am 5. Mai 1955 auch umsetzen sollte: Die souveräne Konzept, sondern Teil der Identität der Bundesrepublik. im Sinne Adenauers für die deutsche Einheit eingesetzt 1949–1958. München 2001. Bundesrepublik könne nun diplomatische Beziehun­ Spätestens mit dem Godesberger Programm der SPD und maßgeblich zu ihrer Vollendung beigetragen hatte, gen mit Moskau aufnehmen – ein wichtiger Schritt, um von 1959 unterstützten alle maßgeblichen politischen hielt er an der transatlantischen Partnerschaft fest und Schwarz, Hans-Peter: Adenauer. Der Staatsmann: 1952–1967. deutschlandpolitische Fragen selbst voranzutreiben. Kräfte die Westbindung. trieb die europäische Einigung weiter voran. Stuttgart 1991. Mit der Eröffnung der politischen Bildungsstätte zu Köln. Im Laufe seiner bewegten Geschichte wurde Schloss Eichholz im April 1957 begann die Arbeit es immer wieder in Kriegen zerstört. 1802 wurde das der späteren Konrad-Adenauer-Stiftung, die heute Kloster säkularisiert. Im 19. Jahrhundert kaufte die Köl­ in mehr als 120 Ländern vertreten ist. Als partei- ner Familie Joest das Gut. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahe Stiftung unterstützt die Konrad-Adenauer- beherbergte das Schloss Schwestern des Konvents Stiftung die Ziele und Werte der CDU, ohne jedoch der Cellitinnen, deren Kloster im Krieg zerstört worden rechtlich, finanziell und organisatorisch von ihr war. Als die Schwestern 1955 in ein neues Klosterge­ abhängig zu sein. bäude zogen, standen Haus und Park wegen zu hoher Unterhaltskosten zum Verkauf.

Schon bald stand ein Käufer bereit, denn das prächtige Die Notwendigkeit politischer Herrenhaus mit den umliegenden Ländereien bot sich Bildungsarbeit nach dem „Dritten Reich“ nicht zuletzt wegen seiner verkehrsgünstigen Lage zwi­ schen Köln und der Bundeshauptstadt Bonn, wo auch Schloss Eichholz liegt im Rheinland zwischen Köln und die CDU-Bundespartei ihren Sitz hatte, für die Einrich­ Wesseling Bonn am Rand der kleinen Stadt Wesseling, nicht weit tung einer Stätte für die politische Bildungsarbeit der entfernt von der ehemaligen kurfürstlichen Residenz CDU an. Deshalb erwarb die Gesellschaft für christlich-­ Schloss Brühl. Die Ursprünge des Anwesens reichen demokratische Bildungsarbeit Schloss Eichholz am Schloss Eichholz 125 bis in die römische Zeit zurück. Im Mittelalter diente 22. Dezember 1955 – bereits zwei Tage nachdem die das Landgut der Versorgung des Klosters Sankt Ursula Gesellschaft gegründet worden war. 1957Ems Weser Die Konrad­ Nordrhein-Westfalen Adenauer­Stiftung Ahlen Dortmund Soest als CDU­nahe politische Essen Stiftung Düsseldorf

16Köln Angela Keller-Kühne Wesseling Siegen Bonn Rhöndorf

1957 wurde die politische Bildungsstätte Schloss Eichholz eröffnet.

Mosel Die Diskussionen in der Union über die Notwendig­ Mandats- und Funktionsträgern der Union das nötige Konrad Adenauer keit politischer Bildungsarbeit lassen sich bis zum Rüstzeug für ihre Arbeit vermitteln, sondern allen bei der Eröffnung Beginn der 1950er Jahre zurückverfolgen. Maßgeblich Bürgern offenstehen. Ein Antrieb für die Etablierung der Bildungsstätte waren dabei die Erinnerungen an das Scheitern der politischer Bildung im Geiste der Christlichen Demo­ Schloss Eichholz Weimarer Republik und die totalitäre Erfahrung mit kratie war besonders die bereits praktizierte syste­ am 12. April 1957. dem Nationalsozialismus. Schon am 24. März 1946 matische Bildungsarbeit der SPD und der ihr naheste­ konstatierte Konrad Adenauer, damals Vorsitzender henden Friedrich-Ebert-Stiftung. Letztere erhielt dazu der Christlich Demokratischen Union für die Britische bereits Mittel aus den öffentlichen Haushalten. Zone in der Aula der Kölner Universität: „Das deut­ sche Volk muss in seinem Denken und Fühlen umer­ Mit dem Erwerb von Schloss Eichholz waren die räum­ zogen werden. Das ist auch eine wesentliche Aufgabe lichen Voraussetzungen für die christlich-demokra­ der politischen Parteien […]. Die größte Aufmerksam­ tische Bildungsarbeit geschaffen. Die erforderlichen keit werden wir der Ausmerzung des nationalsozia­ Umbauten für ein Bildungszentrum mit Hörsaal, Klub­ listischen und militaristischen Geistes in Deutschland raum und Gästezimmern wurden zügig fertiggestellt, widmen müssen […]. Es gibt nur ein Mittel gegen sodass bereits am 3. Dezember 1956 der Seminarbe­ diesen Geist, und das ist Aufklärung und Belehrung. trieb aufgenommen werden konnte. Man muss sie darüber aufklären, was der National­ sozialismus und seine Führer in Wirklichkeit waren, 126 127 ihnen zeigen, dass die heutige Situation Deutschlands […] eine Folge der nationalsozialistischen Politik und Im März 1957 erfolgte die Anerkennung der Bildungs­ Die gesamte Arbeit der Akademie stand dabei stets Führung sind.“ Von der Bildungsstätte stätte „Schloß Eichholz“ als Heimvolkshochschule im Spannungsfeld offener politischer Bildung für Schloss Eichholz zur weltweit (HVHS) durch den Kultusminister des Landes Nord­ alle Bürger und parteipolitisch orientierter Schulung Neben der historischen Aufklärung sollte die politische agierenden Stiftung rhein-Westfalen. Die Mitgliederversammlung vom für Mandats- und Funktionsträger. Zur bildungspoli­ Bildung zudem Kenntnisse über die Funktionsweise 26. April 1958 benannte die Gesellschaft in „Politische tischen Aufgabe gehörte auch die Herausgabe von der freiheitlich-parlamentarischen Demokratie ver­ Am 12. April 1957 eröffnete BundeskanzlerAdenauer ­ Akademie Eichholz e. V.“ um. Am 13. Oktober 1964 – Publikationen im eigens gegründeten Eichholz-Verlag. mitteln und zudem die Bürger dazu befähigen, sich feierlich die Bildungsstätte Schloss Eichholz. Er skiz­ also noch zu Lebzeiten Adenauers – beschloss die Mit­ mündig in die Gesellschaft einzubringen. Das überge­ zierte dabei die Aufgaben der politischen Bildung wie gliederversammlung, den Namen des Trägervereins in Über die klassische Bildungsarbeit hinaus erweiterten ordnete Ziel war also, zum Aufbau und zur Festigung folgt: „Unsere Partei kann nur bestehen auf einer ide­ „Konrad-Adenauer-Stiftung für Politische Bildung und sich im Laufe der Jahre die Aufgaben, die es organisa­ der bundesdeutschen Demokratie beizutragen. ellen Grundlage. Unsere Partei besteht im Gegensatz Studienförderung e. V.“ zu ändern. torisch und personell zu bewältigen galt. Bereits 1962 zu der sozialdemokratischen Partei, deren Kern nach wurde das Institut für Internationale Solidarität zur 1955 gewannen diese Vorüberlegungen mit der Grün­ wie vor die Gewerkschaften bilden, aus Vertretern In den Anfangsjahren fanden unter der Regie von Ausbildung und Förderung von Fach- und Führungs­ dung der Gesellschaft für christlich-demokratische aller Schichten der Bevölkerung, aus Vertretern aller Rüdiger Altmann und seinem Nachfolger Peter Molt kräften (Gewerkschafter, Unternehmer, Kommunalpo­ Bildungsarbeit Gestalt. Maßgebliche Initiatoren waren Berufe, aus Vertretern aller Gegenden unseres Vol­ die ersten Wochenendseminare, Studien- und Fach­ litiker) vor allem aus Lateinamerika und Afrika gegrün­ Bruno Heck, Bundesgeschäftsführer der CDU, Heinrich kes. Unsere Partei kann nur, weil sie so mannigfaltig tagungen statt, deren Inhalte systematisch aufein­ det. 1965 nahm das Institut für Begabtenförderung Krone, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfrak­ zusammengesetzt ist, bestehen, wenn sie eine ideelle ander abgestimmt waren. Ziel war es, den Teilneh­ seine Arbeit auf, zwei Jahre später das Sozialwissen­ tion, der spätere nordrhein-westfälische Ministerprä­ Grundlage hat und wenn sie an diesen ideellen Grund­ mern der Seminare und Tagungen die Möglichkeiten schaftliche Forschungsinstitut. 1971 folgte das Institut sident und auch Bundeskanzler Konrad lagen festhält. Dafür soll dieses Haus ganz besonders aktiver politischer Betätigung zu verdeutlichen und für Kommunalwissenschaften. 1976 wurde das Archiv Adenauer selbst. Politische Bildung sollte nicht nur sorgen.“ ihnen dafür notwendige Kenntnisse zu vermitteln. für Christlich-Demokratische Politik ins Leben gerufen und die Stiftung verlegte ihre Zentrale in einen Neu­ von Bildungswerken in den neuen Bundesländern und Gesprächsrunde bau in Sankt Augustin. 1978 begann das Institut für 1997 die Eröffnung eines zweiten Bildungszentrums auf Schloss Internationale Zusammenarbeit mit Dependancen im in Schloss Wendgräben in Sachsen-Anhalt. Damit war Eichholz. westlichen Ausland seine Tätigkeit. Damit waren die die politische Bildungsarbeit der Konrad-Adenauer- institutionellen Grundlagen der international agieren­ Stiftung zu einer gesamtdeutschen Erfolgsgeschichte den Konrad-Adenauer-Stiftung geschaffen. geworden – eine Erfolgsgeschichte, das muss man sich immer wieder vor Augen halten, – die auf Schloss Eich­ Vor dem Hintergrund der 68er-Bewegung stieg holz begann. der Bedarf an politischer Orientierung. Molts Nach­ folger Bernhard Gebauer erweiterte daher die der politischen Bildung zur Verfügung stehenden Räum­ lichkeiten in Eichholz. Zudem entstanden in den Bun­ Eichholz als Begegnungsort desländern – mit Ausnahme von Bayern und Schles­ Christlicher Demokraten wig-Holstein – seit 1971 regionale Bildungswerke der Konrad-Adenauer-Stiftung,­ durch die politische­ Bil­ Fast 60 Jahre war Eichholz die zentrale Bildungsstätte dungsarbeit nun auch in die Fläche getragen wurde. der Stiftung und über Parteigrenzen hinweg eine Marke für politischen Erfahrungs- und Meinungs­ In den 1980er Jahren ergänzten über den regulären austausch. Sie war es bis Ende 2014, als die Stiftung 128 129 Seminarbetrieb hinaus zahlreiche deutschlandpoliti­ die Schlösser Eichholz und Wendgräben verkaufen sche Seminare für mehr als 65.000 Lehrer und Schüler musste, um die Erweiterung des Berliner Standorts das Angebot und gewährten durch Studienaufenthalte finanzieren zu können. Besonders wertvoll war Eich­ in der DDR Einblicke in das Alltagsleben der Ostdeut­ holz als zentraler Begegnungsort für die Stipendiaten Die Bedeutung der gration, Zukunftsperspektiven des Industriestand­ schen. So konnte die Politische Bildung an Bewährtes der Stiftung. Hier fanden die Auswahltagungen für Stiftungsarbeit für die CDU orts Deutschland, die Entwicklungszusammenarbeit, anknüpfen, als sie sich durch den Fall der Mauer die Stipendiaten und die Treffen der Altstipendiaten Bildungspolitik, ethische Fragen, Neue Medien und am 9. November 1989 vor neue Herausforderungen statt. Für Bürgerinnen und Bürger war es über die Insofern muss man die große Bedeutung der poli­ Digitalisierung, künstliche Intelligenz sind nur einige gestellt sah: Schon im ersten Halbjahr 1990 fanden Region hinaus auch ein kultureller Mittelpunkt für tischen Bildungsstätte Schloss Eichholz und der der Bereiche, zu denen die Stiftung Experten und fast 300 Bildungsprogramme mit knapp 17.000 Teil­ Literaturabende, Ausstellungen und Konzerte. gesamten Konrad-Adenauer-Stiftung für die CDU Politiker zusammenbringt. nehmern in der DDR statt. Dreißig feste und freie Mit­ kaum hervorheben. Schloss Eichholz und die anderen arbeiter bereisten im Januar 1990 die 14 Bezirke der Generationen von Mandats- und Funktionsträgern, Sti­ Standorte der Konrad-Adenauer-Stiftung boten bzw. Die Konrad-Adenauer-Stiftung bietet ein Programm, DDR, um Kontakte zu potenziellen Partnern aus Politik, pendiaten und politisch interessierten Bürgern haben bieten nach wie vor CDU-Politikern nicht nur Schu­ das die liberale Demokratie und bürgerschaftliches Wissenschaft, Medien und Kultur zu knüpfen. Info­ die Eichholzer Seminare durchlaufen und Netzwerke lungsmöglichkeiten, sondern auch ein Forum, um mit Engagement in Deutschland und der Welt fördert und stände in zahlreichen Städten und Gemeinden runde­ gebildet. Es wurden nicht alle Seminarteilnehmer Bürgern, Journalisten, Wissenschaftlern, Industriellen, allen Interessierten offensteht. Die Stiftung betreibt ten das Angebot ab. Das Verbindungsbüro Berlin, das Ministerpräsident oder Oberbürgermeister, wie Bern­ Künstlern und auch untereinander ins Gespräch zu dabei keinesfalls Parteipolitik. Sie möchte vielmehr jetzt für ganz Berlin zuständig war, unterstützte die hard Vogel in seiner Festrede zum 50-jährigen Beste­ kommen. Mit verschiedenen Formaten befasst sich laut ihrer Satzung „die Grundlagen politischen Wir­ Gruppe logistisch. Erste Planungen liefen für die Ein­ hen betonte, viel wichtiger war und ist es, Bürgerinnen die Stiftung mit Themen, die auch für die Union von kens“ erarbeiten. Trotz der personellen und ideellen richtung von Bildungswerken in Leipzig, Rostock und und Bürger zur aktiven Gestaltung der Demokratie zu Bedeutung sind: Die Soziale Marktwirtschaft, die Verbindungen haben alle Politischen Stiftungen und Schwerin. Es folgte die flächendeckende Einrichtung befähigen. transatlantischen Beziehungen, die europäische Inte­ die jeweiligen Parteien seit einem Urteil des Bundes­ Literatur

Beaugrand, Günter: Die Konrad-Adenauer-Stiftung. Eine Chronik 130 131 in Berichten und Interviews mit Zeitzeugen. Meckenheim 2003.

Innenansicht von Schloss Eichholz. Beyer, Bianca: Politische Stiftungen in Deutschland. Die Bedeutung der Stiftungstätigkeiten für die Parteien. Saarbrücken 2008.

Blatt, Heinrich: Die Politische Bildung der Konrad-Adenauer-­ Stiftung (Handreichung zur Politischen Bildung 17). Hg. von der verfassungsgerichts von 1986 in der Praxis Distanz zu Heute hat die Konrad-Adenauer-Stiftung ihre Haupt­ Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Sankt Augustin, Berlin 2014 (https:// wahren. Die Stiftungen sind daher rechtlich, finanziell sitze in Berlin und Sankt Augustin und ist in 18 Politi­ www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=541e80b1-0aeb-e074- und organisatorisch unabhängig von den Parteien. schen Bildungsforen in 14 Bundesländern und in mehr 81f9-4c40c84a92e3&groupId=252038 (Abruf: 29.01.2020)). Weltweit sind die deutschen politischen Stiftungen als 120 Ländern der Welt vertreten. In Deutschland damit einzigartig. nehmen jährlich über 120.000 Bürger an Gesprächen, Borchard, Michael: Politische Stiftungen und politische Beratung, in: Seminaren und Workshops teil. Diese Zahlen zeigen Steffen Dagger u. a. (Hg.): Politikberatung in Deutschland. Wiesbaden Auf diese Weise profitiert die CDU von der Arbeit der nicht nur den weiterhin hohen Bedarf an politischen 2004, S. 90–97. Konrad-Adenauer-Stiftung, die diese gleichsam als Bildungsangeboten, sondern auch den ungebrochen Thinktank leistet. Über die Seminarprogramme, die hohen Stellenwert, den die politische Bildung in der Eisel, Stephan (Hg.): 50 Jahre Bildungszentrum Schloss Eichholz. Die Begabtenförderung und durch das unter den deut­ Arbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung und bei der CDU Geburtsstätte der Konrad-Adenauer-Stiftung. Sankt Augustin 2006. schen Stiftungen größte Netz an Auslandsbüros bietet innehat. Auf Schloss Eichholz wurden dafür die Grund­ die Konrad-Adenauer-Stiftung zudem ein informelles lagen gelegt. Langguth, Gerd: Politische Stiftungen und politische Bildung in Netzwerk, auf das die Union zurückgreifen kann. Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 34 (1993), S. 38–47. Auf Schloss Burgscheidungen war die Schulungsstätte der CDU der DDR.

Burgscheidungen

Schloss Burgscheidungen 133

Die Gleichschaltung der Hoch über dem Unstruttal im Süden Sachsen-Anhalts In den Lehrgängen auf Schloss Burgscheidungen liegt in der Nähe von Nebra das Schloss Burgschei- sollten geeignete Kader aus den Ortsgruppen und dungen. Bereits seit dem Frühmittelalter als Burg- Kreisverbänden der CDU der DDR im Sinne der SED CDU in der SBZ/DDR anlage belegt wurde sie unter Heinrich I. Anfang des ideologisch geschult, auf weitergehende Aufgaben in 10. Jahrhunderts zur Reichsburg erhoben und ging Staat und Partei vorbereitet und dazu befähigt wer- Oliver Salten nach einer wechselvollen Geschichte unter verschie- den, die gelernten Inhalte an die Mitglieder an der Magdeburg denen adligen Besitzern 1722 in das Eigentum der Basis weiterzuvermitteln. Burgscheidungen bildete Grafen von Schulenburg über. Sie gestalteten die auf diese Weise ein zentrales Element im Mechanis- Elbe Anlage zu einem Barockschloss um und ließen einen mus der Gleichschaltung, der die CDU der SBZ/DDR umfangreichen Park anlegen. Nach dem Zweiten seit dem Ende der 1940er Jahre zunehmend unter- Sachsen-Anhalt Weltkrieg wurde Burgscheidungen 1945 im Rahmen worfen war. der Bodenreform in der SBZ enteignet und ab 1946 zunächst dem FDGB und danach der FDJ als Erho- lungsheim bzw. Ausbildungsstätte überlassen. Anfang 17 1956 bezog die Zentrale Schulungsstätte (ZSS) „Otto Burgscheidungen Nuschke“ der CDU der DDR das Schloss. Der Weg zur Gleichschaltung Für die CDU bedeutete dies eine über einen längeren Schild an der Zentralen Zeitraum verlaufende Transformation hin zu einer Schulungsstätte der CDU der DDR. Wie konnte es dazu kommen? Die Grundlagen für die Blockpartei unter Kontrolle der SED. Am Beginn dieses Gleichschaltung der CDU wurden bereits kurz nach Wegs stand im Dezember 1947 die Absetzung von ihrer Gründung 1945 gelegt. Die Parteien in der SBZ Hermes’ Nachfolger Jakob Kaiser, der sich standhaft wurden von der Besatzungsmacht angewiesen, in den weigerte, am von der SED dominierten „Deutschen weniger „zuverlässig“ erschienen. Außerdem zeigte sogenannten Block der antifaschistisch-demokratischen Volkskongress“ teilzunehmen. In der Folgezeit wurde sich die SMAD überaus großzügig gegenüber ihnen Parteien einzutreten. Dieses Gremium, das nur ein­ deutlich, dass die SED und die SMAD mittels einer zugeneigten Personen, etwa im Hinblick auf Einladun­ stimmig Entscheidungen treffen konnte, hatte zunächst Differenzierungstaktik das Ziel hatten, die CDU einer gen zu Empfängen oder die Versorgung mit Gütern vor allem den Zweck, die Parteien auf ein gemeinschaft­ „Säuberung“ zu unterziehen und ihren Zielen zu des täglichen Bedarfs. liches Handeln festzulegen. Damit war jedoch auch unterwerfen. So wurde zwischen Befürwortern und verbunden, dass es unmöglich war, von den Beschlüs­ Gegnern einer engeren Zusammenarbeit mit den Die CDU geriet auch innerhalb des Blocks immer mehr sen abweichende politische Positionen öffentlich zu Kommunisten „differenziert“. Funktionäre der zweiten unter Druck. Mit der 1948 erfolgten Gründung zweier vertreten. Wer damit nicht einverstanden war, wie etwa Gruppe, die innerhalb der Partei die Mehrheit stellte, weiterer Parteien, die von Beginn an unter Kontrolle der erste Vorsitzende Andreas Hermes im Falle der erlitten vielfach Repressionen. Sie wurden schikaniert, der SED standen, der NDPD und der DBD, sollte den Gestaltung der Bodenreform, musste mit Konsequen­ aus der Partei ausgeschlossen, verhaftet oder verloren bürgerlichen Parteien Konkurrenz gemacht werden. zen rechnen – Hermes wurde im Dezember 1945 seines ihre Arbeitsstelle. Viele Mitglieder, die innerlich noch Außerdem wurden auch einige Massenorganisationen, Angst um den Fortbestand der CDU, aber auch der bei Amts enthoben. Außerdem konnten keine wichtigen immer Jakob Kaiser nahestanden, wurden so ein­ wie etwa die FDJ, in denen ebenfalls die SED das Sagen führenden Parteimitgliedern vorhandene Opportunis­ 134 135 Beschlüsse gegen KPD bzw. SED getroffen werden. geschüchtert und standen am Ende nur noch vor der hatte, in den Block aufgenommen. Damit waren die mus immer wieder Wirkung. Als Schlüsselmoment Wahl, sich den Umständen anzupassen oder in den Christdemokraten und die Liberalen gegenüber den muss hierbei die Zustimmung Nuschkes zur Einheitslis­ Die bürgerlichen Parteien wurden jedoch auch auf Westen zu fliehen. So veränderte sich bis Mitte der Kommunisten endgültig in der Minderheit. tenwahl gesehen werden, die am 16. Mai 1950 erfolgte. andere Weise in ihrer Arbeit behindert, etwa durch 1950er Jahre die Sozialstruktur der Partei durch den Repressionen gegenüber missliebigen Parteimitglie­ kontinuierlichen Mitgliederverlust nachhaltig. Von diesem Zeitpunkt an beschleunigte sich die von dern, die Verweigerung der Registrierung von Orts­ der SED vorangetriebene Gleichschaltung zu einer gruppen oder eine geringere Papierzuteilung für die Zur ersten Gruppe zählten der Nachfolger Kaisers Zwischen christlicher Weltanschauung kommunistisch dominierten Blockpartei. Im Januar parteieigenen Zeitungen. So konnten die Kommunis­ als Parteivorsitzender Otto Nuschke, der General­ und Marxismus-Leninismus 1951 wurde der „Demokratische Zentralismus“ als ten ihre herausgehobene Stelle mit Unterstützung sekretär und spätere DDR-Außenminister Georg Der­ Organisationsprinzip eingeführt. Dieses in Volksdemo­ der Besatzungsmacht festigen. tinger oder der mecklenburgische Landesvorsitzende Mit der Gründung der DDR 1949 und der 1950 erfolg­ kratien vorherrschende System beinhaltete einerseits Reinhold Lobedanz. Einige Personen, wie etwa Otto ten Festlegung der SED auf die Übernahme des sowje­ eine Pflicht aller übergeordneten Organe zur Rechen­ Auf internationaler Ebene drifteten die deutsch­ Nuschke, waren tatsächlich im guten Glauben, dass tischen Gesellschaftsmodells, was mit einem Führungs­ schaftslegung gegenüber ihren Wählern, andererseits landpolitischen Vorstellungen Josef Stalins und der nur im Zusammenwirken mit den Sowjets die eige­ anspruch der „Partei der Arbeiterklasse“ einherging, jedoch auch die totale Unterordnung niedrigerer Westmächte immer weiter auseinander und das Ziel, nen politischen Ziele durchgesetzt werden konnten. stand die CDU vor einem Dilemma. Einerseits war Otto Parteiinstanzen unter die höhere Ebene. In jedem Fall den Sozialismus in ganz Deutschland auf „demokrati­ Diese Überzeugung traf sich aber bei dem einen oder Nuschke durchaus bestrebt, seiner Partei eine größt­ war die Minderheit dazu verpflichtet, sich der Mehr­ schem“ Wege einzuführen, stellte sich als unerreich­ anderen mit handfesten materiellen Interessen, etwa mögliche Eigenständigkeit zu erhalten. Dies zeigte sich heit unterzuordnen, eine eiserne Parteidisziplin wurde bar heraus. So begannen die Sowjets ab 1947/48, die im Falle des jungen Gerald Götting, der 1949 Dertinger unter anderem daran, dass man weiterhin an der Ent­ gefordert. Auf diese Weise ging die eigentliche Macht Institutionalisierung der SBZ und ihre Einbindung in als Generalsekretär nachfolgte. Die Sowjets prote­ wicklung von Grundlagen eines „christlichen Sozialis­ in der CDU an die Sekretariate über, die in der Haupt­ den kommunistischen Machtbereich voranzutreiben. gierten „fortschrittliche“ CDU-Mitglieder und sorgten mus“ arbeitete, der sich von der marxistischen Variante geschäftsstelle, den Landes- und Kreisverbänden ein­ Damit war auch die Etablierung der führenden Rolle mittels Druck oder Überredung dafür, dass solche Per­ der SED grundlegend unterscheiden sollte. Anderer­ gerichtet wurden. Damit war auch die Grundlage für der SED verbunden. sonen die Posten derjenigen übernahmen, die ihnen seits zeigten der äußere Druck, die Verhaftungen, die eine weitere Säuberungswelle geschaffen. Im selben Jahr wurde in Halle die Zentrale Partei­ Die Zentrale Schulungsstätte aufgelockert und den Dozenten mehr Eigenverantwor­ schule „Otto Nuschke“ eröffnet. Hier sollten zukünf­ tung übertragen, was allerdings zunächst keine Erfolge tige Funktionäre der CDU ausgebildet werden, die Die ab 1956 in Burgscheidungen untergebrachte ZSS brachte. Immer mehr Themen, die den Kern der CDU ideologisch darin geschult wurden, dass Christentum war in diesem System von zentraler Bedeutung. Über berührten, damit aber gleichzeitig aus Sicht der SED und Marxismus keine Gegensätze seien, sondern kaderpolitische Maßnahmen ausgewählte Parteifunk­ überaus sensibel waren, etwa zur Geschichte und Ent­ eine fruchtbare Synthese eingehen könnten. Zen­ tionäre konnten je nach Vorkenntnissen und ange­ wicklung der CDU oder zum Verhältnis von Christen­ tral hierfür sollte die Entwicklung des „christlichen strebter Verwendung im Parteiapparat Kurzlehrgänge tum und Marxismus, wurden zugunsten ökonomischer Realismus“ sein, eine Sammlung von Thesen, die den von einigen Tagen oder Schulungen der Grund-, Mittel- und staatskundlicher Inhalte zurückgefahren. Erst seit „christlichen Sozialismus“ endgültig ablösen sollten. bzw. Oberstufe besuchen. Lehrgänge der Oberstufe den 1970er Jahren begannen die Reformen in Bezug Auf der Grundlage einseitig interpretierter Passagen konnten bis zu sechs Monate dauern. Grundlegend auf die Auslastung der Lehrgänge zu greifen; zugleich aus Bibel und Kirchengeschichte sollte eine angeb­ für die Einflussnahme auf die Basis waren allerdings wurden auch die CDU-spezifischen Lehrinhalte wieder liche Vereinbarkeit christlichen Gedankenguts mit besondere Schulungen für Ortsgruppenvorsitzende stärker berücksichtigt. den Ideen des atheistischen Marxismus-Leninismus und Schulungsreferenten, die in den Kreisverbänden hergestellt werden. und Ortsgruppen Teilnehmer eines „Politischen Stu­ Die Friedliche Revolution in der DDR führte auch zur diums“ über theoretische Grundlagen des Marxismus Selbstbefreiung der CDU von der jahrzehntelangen Die CDU war mittels äußeren Drucks und inneren und ihren Bezug zu aktuellen Themen unterrichteten. SED-Bevormundung. Im November 1989 wurde die Opportunismus leitender Mitglieder auf verschiede­ Anerkennung der führenden Rolle der SED aus der nen Ebenen zu einem reinen Anhängsel der Kom­ Für Führungsaufgaben ausersehene Personen, insbe­ Parteisatzung gestrichen und der Sonderparteitag im Veranstaltung in der Schulungsstätte 136 137 munisten hinabgesunken. Programmatisch wie sondere hauptamtliche Funktionäre, wurden zu län­ Dezember sprach sich ausdrücklich für Demokratie, der CDU der DDR. organisatorisch von ihr abhängig und auch in ihren gerfristigen Schulungen angehalten, in denen sie die Soziale Marktwirtschaft und die Deutsche Einheit aus. Personalentscheidungen nicht mehr frei, war es nur bislang erarbeiteten Kenntnisse erweitern und vertiefen Auch auf die ZSS hatte dies Auswirkungen. Zwar ging folgerichtig, dass der 6. Parteitag im Oktober 1952 und am Ende eine Abschlussarbeit zu einem ausgewähl­ der reguläre Lehrbetrieb noch bis zum Spätherbst auch formell die führende Rolle der SED in Staat ten Thema schreiben sollten. Hinzu kamen regelmäßige 1989 weiter, danach organisierten die Mitarbeiter und Gesellschaft anerkannte. Bis 1954 wurde auch Kurzlehrgänge für Kreissekretäre, die sich mit aktuellen in Burgscheidungen weitgehend selbstständig ein der von der SED als „bürgerliche Ideologie“ bearg­ Themen befassten. Theoretisch sollte auf diese Weise verändertes, auf die neuen Verhältnisse angepasstes wöhnte „christliche Realismus“ abgewickelt und der eine umfangreiche Kaderreserve zur Verfügung stehen. Curriculum, das u. a. Seminare zur Rhetorik, Wahl­ Marxismus-­Leninismus als alleinige Richtschnur des Praktisch waren Lehrgänge jedoch oft nicht ausgelas­ kampfführung und Kommunalpolitik umfasste. Auch politischen Handelns akzeptiert. tet, zudem wurden viele Absolventen im Nachhinein die Konrad-Adenauer-Stiftung und andere Bildungs­ für die ihnen zugedachten Aufgaben als fachlich oder träger nutzten das Schloss für Veranstaltungen. Die CDU blieb bis 1989 ein reiner „Transmissions­ politisch ungeeignet angesehen, was zu einer hohen Literatur riemen“ der SED. Sie sollte ihre eigenen Mitglieder Personalfluktuation führte. Auch die einfachen Mitglie­ Im Zuge des Verzichts der vereinigten CDU auf das sowie christlich geprägte Bevölkerungsschichten der standen den Indoktrinierungsmaßnahmen oftmals Parteivermögen der CDU der DDR wurde Schloss Burg­ Richter, Michael: Die Ost-CDU 1948–1952. Zwischen Widerstand mit Ideologie und Politik der Kommunisten vertraut skeptisch bis ablehnend gegenüber, sodass in den scheidungen 1991 an die Treuhand übergeben, die es und Gleichschaltung (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte 19). machen und gleichzeitig Berichte über die Stimmung Ortsgruppen zum Teil offener über Missstände und 1995 an einen privaten Investor verkaufte. Nachdem 2. Auflage. Düsseldorf 1991. und „Unklarheiten“ an der Basis weitergeben, damit Probleme gesprochen wurde als erwünscht war. es jahrelang leer stand, wurde 2009 mit einer grundle­ man an höheren Stellen gegebenenfalls darauf genden Sanierung begonnen. Heute ist es ein belieb­ Rißmann, Martin: Kaderschulung in der Ost-CDU 1949–1971. reagieren konnte. Um die Lehrgänge attraktiver zu gestalten, wurde der tes Ausflugsziel und bietet Raum fürVeranstaltungen ­ Zur geistigen Formierung einer Blockpartei (Forschungen und Quellen Unterricht an der ZSS ab den 1960er Jahren etwas verschiedenster Art. zur Zeitgeschichte 27). Düsseldorf 1995. Auf der Friedrich-Ebert-Allee im Bonner Regierungs- viertel befand sich auf dem Gelände der heutigen Konzernzentrale der Deutschen Telekom bis 2000 die CDU-Bundesgeschäftsstelle, das Konrad-­Adenauer- Haus. Das nach dem ersten Bundeskanzler und ersten Parteivorsitzenden benannte Bürogebäude wurde 1971 bezogen. Mit dem Bezug des Neubaus war auch eine grundlegende Reorganisation des Par- tei- und Verwaltungsapparats verbunden. Bis zur Ver- lagerung des Regierungssitzes von Bonn nach Berlin war das Konrad-Adenauer-Haus in Bonn die politi- sche Schaltzentrale der CDU. Von dort aus leiteten die Parteivorsitzenden Rainer Barzel, Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble die Geschicke der Partei. Von der Führungsetage blickte man auf das Bundeshaus, Bonn den Plenarsaal, das Kanzleramt, das Palais Schaum- burg, bei klarem Wetter war der Kölner Dom zu erkennen. Konrad­Adenauer­Haus 139 1973Ems Weser Die CDU­Bundes­ Nordrhein-Westfalen geschäftsstelle und Ahlen Dortmund Soest die Modernisierung der Essen Parteiorganisation Düsseldorf Köln Wesseling Konrad Kühne 18 Siegen Bonn Rhöndorf

Das Konrad-Adenauer- Haus in Bonn.

Mosel Standortvielfalt bis Anfang bedarf erforderte die Anmietung von Büroflächen in Eröffnungsfeier des der 1970er Jahre der Bonner Innenstadt, sodass die Bundesgeschäfts­ Konrad-Adenauer-Hauses stelle in 17 Gebäuden über das Bonner Stadtgebiet am 27. Januar 1973. In der Gründungsphase der CDU war die Arbeits­ verteilt war. Es sollten 21 Jahre vergehen, bis Hecks gemeinschaft der Christlich-Demokratischen und Pläne für ein modernes Gebäude realisiert werden Christlich-Sozialen Union Deutschlands das organisa­ konnten. Zwar erfolgten bereits 1960 der Erwerb des torische Bindeglied zwischen den Zonen- und Landes­ Grundstücks an der Friedrich-Ebert-Allee und die verbänden der Unionsparteien. Das unverbundene Beauftragung eines Architekturbüros für ein funktio­ Nebeneinander von Landesverbänden, parteinahen nales Bürogebäude, die Realisierung wurde jedoch Organisationen, Generalsekretariat und Zonenaus­ aus ­Kostengründen immer wieder vertagt. schuss ließ die Forderung nach einer zentralen und effektiven Parteiorganisation immer stärker werden. Während die Errichtung einer modernen Parteizent­ Mit Beginn der Arbeit des Parlamentarischen Rats rale stockte, schritt die Modernisierung der Parteior­ im Herbst 1948 richtete das Generalsekretariat, das ganisation 1962 mit der Wahl von Josef Hermann Duf­ zunächst in Frankfurt am Main seine Büroräume hues zum Geschäftsführenden Vorsitzenden voran. hatte, eine erste Nebenstelle in der Bonner Alexan­ Dieser hatte sich im Landesverband Westfalen-Lippe derstraße 20 und ab Januar 1949 eine weitere in der bereits einen Namen als Organisator gemacht und Argelanderstraße 173 ein. Im Frühjahr 1950 verlegte sollte sich jetzt insbesondere um Presse-, Rundfunk- 140 141 man das Büro des Generalsekretärs, die politischen und Fernsehfragen kümmern. Ein weiterer organisa­ Referate und das Organisationsreferat nach Bonn in torischer Modernisierungsschritt erfolgte 1967 auf die Blücherstraße 14. dem Braunschweiger Bundesparteitag. Als Nachfolger Bezug der neuen Parteizentrale ler amtierte. Bundeskanzler und Fraktion verband eine des Geschäftsführenden Vorsitzenden, dann des mehr oder weniger enge Zusammenarbeit. Die Partei­ Die CDU-Bundesgeschäftsstelle, die im Zuge der Geschäftsführenden Präsidialmitglieds setzte er mit Ein neues Parteigebäude schien immer noch in wei­ gremien Präsidium, Vorstand und Parteiausschuss Gründung der CDU-Bundespartei im Oktober 1950 Bruno Heck einen hauptamtlichen Generalsekretär ter Ferne. Aber die Straffung der Bundespartei war waren politisch unterernährt.“ Mit dem Gang in die unter der Leitung Friedrich Holzapfels eingerichtet ein, dessen Kompetenzen beträchtlich erweitert wur­ dringend erforderlich, denn nach den Kompromissen Opposition verlagerte sich die Entscheidungsfindung worden war, übernahm 1951 die Büroräume in der den: Seine Vollmachten reichten von der Mitwirkung der Großen Koalition (1966–1969) musste die Partei vom Kanzleramt in die Bundestagsfraktion, ebenso Blücherstraße. Im April 1952 löste Bruno Heck den bei der Bestellung der Geschäftsführer der Landesver­ handlungsfähiger werden. Erst 1969, als die Union galt es, die Arbeit der Union im Bund, in den Ländern kommissarischen CDU-Bundesgeschäftsführer Heinz bände und Vereinigungen, der Aufstellung des Haus­ erstmals nicht mehr in der Regierungsverantwortung und Gemeinden neu aufzustellen. Um Wahlen wieder Lubbers ab und forderte bald die Errichtung eines halts, einem Informationsrecht in jede Gliederung der auf Bundesebene war und die Parteiführung zu der gewinnen zu können, waren neben der programmati­ funktionalen Gebäudes, das den Anforderungen einer Partei bis hin zum Weisungsrecht für die Führung des Erkenntnis gelangte, dass eine zeitgemäße Organisa­ schen Neuausrichtung auch die Voraussetzungen für modernen Parteiorganisation gerecht werden sollte. Bundestagswahlkampfs. tion auch entsprechender räumlicher Voraussetzun­ einen modernen und schlagkräftigen Parteiapparat Im Mai 1952 erfolgte der Kauf des Parteihauses in der gen bedurfte, wurde der Baubeginn forciert. „Unsere zu schaffen. Der Mainzer Bundesparteitag erteilte im Nassestraße 2. Zu den elf Referaten kamen in den größte Schwäche“, so der Parteivorsitzende Kurt Georg November 1969 daher die Baugenehmigung für den 1950er Jahren ein Länderreferat für die Koordinierung Kiesinger auf dem 17. Bundesparteitag in Mainz 1969, Neubau. der Parteiarbeit auf Landesebene und die Bundesfach­ „liegt ohne Zweifel in der Organisation. Wir haben ausschüsse zur fachlichen Beratung der Parteiführung zwanzig Jahre lang im Bund regiert, und unser eigentli­ Im Dezember 1971 erfolgte der Umzug der über hinzu. Das führte zur Notwendigkeit, den organisato­ ches Entscheidungszentrum lag im Bundeskanzleramt, 200 Mitarbeiter in das moderne Bürogebäude an rischen Apparat zu erweitern. Der wachsende Raum­ in dem der Parteivorsitzende jeweils als Bundeskanz­ der Friedrich-Ebert-Allee 73–75. Am 27. Januar 1973 und Verlagsgebäude mit Archiv und Tiefgarage, im Die Reorganisation der Partei dungsfindung sollten jetzt alle kompetenten Sachbe­ Süden der Saalbau mit Versammlungsräumen, UNION arbeiter beteiligt werden. Kernstück der Reformen war Restaurant und UNION Schenke. Hier, in den soge­ Der Umzug in den Neubau zog auch eine grund­ die Bündelung der Arbeit in drei Hauptabteilungen: nannten Unionssälen, tagten die Gremien der Partei, legende Reorganisation des Partei- und Verwaltungs­ der Vereinigungen und die Bundesfachausschüsse, apparats nach sich. Dem Bundesgeschäftsführer › Verwaltung, Personal und Organisation, wurden Ausstellungen gezeigt und Interviews gegeben. waren als Chef des Hauses sechs Abteilungen und › Politik, Dokumentation, Information, die Geschäftsführung der deutschlandpolitischen › Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Auf dem Dach des Bürogebäudes wurden nach einem ­Institutionen unterstellt: Werbemitteltest die markanten roten Leuchtbuchsta­ Kurt Biedenkopf führte mit neuen Führungsinstru­ ben „CDU“ angebracht, die bis zum Regierungsumzug › Innere Verwaltung mit Haushalt und Personal, menten die Geschäfte und koordinierte die Partei­ ein Blickfang im Bonner Regierungsviertel waren. Den › Organisation mit Wahlkampfteam, Veranstal­ arbeit auf allen Ebenen, wobei ihm eine weitgehende Eingang zu den Unionssälen akzentuierte ein weit vor­ tungen, Mitgliederkartei und Büroorganisation, Weisungskompetenz in politischen und organisatori­ kragendes Flugdach. Das Konrad-Adenauer-Haus mar­ › Politik mit sieben Referaten für Rechts-, schen Fragen zukam. Der Bundesgeschäftsführer war kierte das Ende eines zwanzigjährigen Provisoriums. Innen- und Gesellschaftspolitik, Außen- und verantwortlich für die Leitung der Bundesgeschäfts­ Darüber hinaus symbolisierte es auch das wiederge­ Deutschlandpolitik, Wirtschaft und Finanzen, stelle. Er organisierte und kontrollierte die Dienst­ Buffet bei der Eröffnungsfeier. wonnene Selbstbewusstsein, das die Partei mit dem Bildung und Frauen, leistungen. Beide waren dem Parteivorsitzendem Gang in die Opposition verloren hatte. › Öffentlichkeitsarbeit mit Werbung rechenschaftspflichtig. Neu eingerichtet wurde die und Mitgliederwerbung, dem Generalsekretär und Bundesgeschäftsführer 142 143 Zeichen der Modernität waren auch die Einrichtung › Information und Dokumentation, direkt unterstellte Planungsgruppe für langfristige eines Rechenzentrums und eines Fernsehstudios. › Presse, Rundfunk und Fernsehen mit Deutschland- politische Konzeptionen. Dem Generalsekretär direkt „Neues Haus, neuer Geist“, hieß es damals. Finanziert Union-Dienst (DUD), Union in Deutschland (UiD) und zugeordnet wurde der Pressesprecher, dem zugleich wurde der 25 Millionen DM teure Bau durch Kom­ dem Verlag Das Wirtschaftsbild. die Verantwortung für das Deutsche Monatsblatt und manditanteile, Anleihen und die Baustein-Aktion für den Deutschland-Union-Dienst oblag. Der Justitiar war fand die offizielle Einweihungsfeier statt. Die Familie Mitglieder und Parteigliederungen. Im Eckbüro im Der Pflege internationaler Kontakte mit Parteien, Ver­ dem Bundesgeschäftsführer zugewiesen, das Büro ­Adenauer übergab dem Parteivorsitzenden Rainer neunten Stockwerk mit Blick auf die Godesburg hatten bänden und Botschaften diente das Mitte 1972 beim des Bundesschatzmeisters dem Parteivorsitzendem Barzel eine Konrad-Adenauer-Büste, die im Foyer die Parteivorsitzenden Barzel, Kohl und Schäuble ihren Generalsekretär eingerichtete Büro für Auswärtige zugeordnet. des Hauses aufgestellt wurde. Das weithin gut sicht­ Amtssitz und darüber im Büro der Generalsekretäre Beziehungen. Das Anwachsen der Bundesgeschäfts­ bare Hochhaus mit zehn Etagen, einem Betriebs- und Konrad Kraske, Kurt Biedenkopf, Heiner Geißler, Vol­ stelle auf sieben Abteilungen in den ersten Jahren der Unter Generalsekretär Heiner Geißler wurde zu Verlagsgebäude mit zwei Stockwerken und einem ker Rühe, Peter Hintze und Angela Merkel wurden die Opposition und Überschneidungen von Zuständigkei­ Beginn der 1980er Jahre eine umfassende personelle Saalbau mit mehreren Versammlungsräumen und Wahlkampfstrategien entwickelt. Im Sitzungszimmer ten in den Ressorts führten zu erheblichen Friktionen. Reorganisation durchgeführt, die insbesondere der einem Kasino im Südflügel hatten die Architekten Max im zehnten Stock tagte montags das Präsidium. Routine und Gewohnheitsrechte prägten den Apparat. effizienteren Vorbereitung und Durchführung des Meid und Helmut Romeick entworfen. Die Anlage Bundestagswahlkampfs diente. Zu diesem Zweck auf langgezogen-rechteckigem Grundriss hatte eine Der 21. Bundesparteitag wählte im Juni 1973 in Bonn wurde die Abteilung Organisation als selbstständige Gesamtlänge von 115 Metern. Die 44 Meter hohe Helmut Kohl zum neuen Parteivorsitzenden. Mit seinem Hauptabteilung IV eingerichtet. zehnstöckige Hochhausscheibe stand rechtwinklig Generalsekretär Kurt Biedenkopf untersuchte er die zur Friedrich-Ebert-Allee. Parallel zum Straßenverlauf bisherigen Arbeitsabläufe und Entscheidungsprozesse. schlossen sich zu beiden Seiten breit gelagerte Flach­ Abstimmungsmechanismen und Koordinierungsgre­ bauten an: im Norden ein zweigeschossiges Betriebs- mien wurden 1973/74 neu justiert. An der Entschei­ Angela Merkel und Norbert Blüm bei der Was bleibt, ist die rote Leuchtschrift „CDU“, die Angela › Der Bereich Zentrale Aufgaben und Digitalisierung Übergabe des CDU-Schriftzugs an das Haus Merkel am Tag des Umzugs dem Haus der Geschichte ist die innere Dienstleistungszentrale und verant­ der Geschichte in Bonn. in Bonn übergab. Der große Eichentisch, an dem jeden wortlich für die Finanzplanung, Personalfragen, Montag das Präsidium tagte, befindet sich im Besitz den Mitgliederservice und die Parteireform sowie der Konrad-Adenauer-Stiftung. Der Grundstein der für die Digitalisierung. Bonner Parteizentrale wurde in den Berliner Neubau integriert. Wie einst die Bonner Parteizentrale ist heute auch das Berliner Gebäude in der Klingelhöferstraße mit seiner Die Arbeit der Bundesgeschäftsstelle ist heute neben markanten Architektur nicht nur in Deutschland eine dem Büro für Auswärtige Beziehungen, das als Stabs­ vertraute Ansicht. stelle der Parteivorsitzenden und dem Generalsekre­ tär zuarbeitet, in fünf programmatische bzw. organisa­ torische Abteilungen organisiert:

› Der Bereich Politische Planung erstellt Reden und Texte für die Parteivorsitzende und den General­ sekretär und beobachtet die politische Landschaft. Literatur 144 145 Umzug nach Berlin wir mitten im Leben“, sagte Angela Merkel mit Blick › Der Bereich Programm und Strategie beschäftigt Bartsch, Kristin: Das Konrad-Adenauer-Haus in Bonn. auf den damals aktuellen Parteislogan. 150 Mitarbeiter sich mit der Programmatik und der politischen In: Martin Bredenbeck/Constanze Moneke/Martin Neubacher (Hg.): Mit dem Umzug des Parlaments und von Teilen der bezogen die mit einer gläsernen Galerie umgebenen Strategie der CDU und ist zuständig für das Bauen für die Bundeshauptstadt (Edition Kritische Ausgabe im Weidle Bundesregierung nach Berlin musste auch die Bundes­ sechs Etagen des dreieckigen, einem Schiffsbug ähnli­ Antragswesen auf Parteitagen. Hier werden die Verlag 2). Bonn 2011. S. 109–114 (leicht veränderte Online-Veröffentli­ geschäftsstelle der CDU ihren Standort verlagern. Der chen Gebäudes, das von einer kompletten transparen­ Reden der Parteivorsitzenden vorbereitet, die chung mit freundlicher Genehmigung des Weidle-Verlags Bonn unter: CDU-Bundesvorstand entschied sich am 30. Juni 1997 ten Glashülle umgeben ist. Bereits im Spätsommer am Bundesfachausschüsse und Netzwerke betreut http://www.kas.de/upload/ACDP/CDU/Konrad-Adenauer-Haus_Bonn_ für das Tiergarten-Dreieck als Sitz der neuen Partei­ 23. August 1999 hatte die CDU einen Brückenkopf in und der Kontakt zur CDU/CSU-Bundestagsfrak­ Onlinefassung.pdf (Abruf: 29.01.2020)). zentrale. Ausschlaggebend war die hervorragende der Mauerstraße 85 eingerichtet. Auch tagten Partei­ tion gehalten. Lage in der neuen politischen Mitte, in der Nähe des vorstand und Präsidium nun regelmäßig in Berlin, im Flagge, Ingeborg: Architektur in Bonn nach 1945. Bonn 1984. Bundespräsidialamts, des Regierungsviertels sowie Dezember 1999 fanden in der Bonner Parteizentrale › Der Bereich Kampagne und Marketing ist für die der Botschaften, wissenschaftlicher Einrichtungen die letzten Sitzungen statt. Kommunikation zuständig und entwickelt öffent­ Konrad-Adenauer-Haus (https://www.cdu.de/artikel/konrad- und der Vertretungen der Länder beim Bund. Der lichkeitswirksame Kampagnen sowie die Werbe­ adenauer-haus (Abruf: 29.01.2020)). Entwurf stammt von dem Düsseldorfer Architektur­ Als letzte der im Bundestag vertretenen Parteien ver­ maßnahmen für Bundestags- und Europawahl­ büro Petzinka, Pink und Partner, das im Rahmen eines legte die CDU ihre Bundesgeschäftsstelle vom Rhein kämpfe. Schönbohm, Wulf: Die CDU wird moderne Volkspartei Architekturwettbewerbs den Zuschlag für den Entwurf an die Spree. Das Bonner Gebäude war bereits 1998 Selbstverständnis, Mitglieder, Organisation und Apparat 1950–1980. des Konrad-Adenauer-Hauses im Südteil des Klingel­ an die Deutsche Telekom verkauft worden und wurde › Die Mitarbeiter im Bereich Organisation und Stuttgart 1985. höfer Dreiecks erhalten hatte, das als kulturhistorisch am 14. Dezember 2003 gesprengt. Auf dem Gelände Veranstaltungen sind mit der Vorbereitung und einzigartiges Areal gilt. Am 3. Juli 2000 war das neue entstand von 2006 bis 2008 der Office Port Bonn, in Durchführung von Veranstaltungen verschie­ Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Konrad-Adenauer-Haus in Berlin-Tiergarten, Klingel­ den die Zentrale der Telekom-Festnetzsparte T-Home denster Art betraut. Weitere Kernaufgaben sind (Hg.): Bonn – Orte der Demokratie. Der historische Reiseführer, höferstraße 8, bezugsfertig. „Mit diesem Haus stehen eingezogen ist. Werbung und Umsetzung von Sponsoring. 2. Aufl. Berlin 2014. Im Januar 2017 ist der oft beschworene „Geist Partnerschaft seit 1947 von Kreuth“ auf einmal heimatlos. Aus seinem angestammten Domizil war er vertrieben worden. Unter dem verbindenden Dach des Unionsgedankens Finanzielle Erwägungen zeigten sich letztlich aus- hatten CDU und CSU dem bürgerlichen Lager der jun­ schlaggebend. Die Hanns-Seidel-Stiftung konnte gen Bundesrepublik eine feste Heimat geben können. und wollte den seit 1974 bestehenden Mietvertrag Deren Fundament wurde schon 1947 mit Begrün­ für das traditionsreiche, aber auch renovierungs­ dung der „Arbeitsgemeinschaft der Christlich-Demo­ bedürftige Kurbad, zehn Kilometer südlich des kratischen und Christlich-Sozialen Union Deutsch­ oberbayerischen Tegernsees und damit nahe der lands“ im hessischen Königstein gelegt und in den Tiroler Grenze gelegen, nicht verlängern. Zu hoch, Fraktionsgemeinschaften im Frankfurter Wirtschafts­ so war zu vernehmen, seien die Forderungen der rat sowie im Parlamentarischen Rat erprobt. Gleicher­ wittelsbachischen Hausherren letztlich gewesen. maßen funktionale Basis wie augenfälliges Symbol dieser besonderen Form engsten Zusammenwirkens Die 41. Klausurtagung der CSU-Landesgruppe im blieb von 1949 an stets die Fraktionsgemeinschaft Deutschen Bundestag fand erstmalig im Kloster im Deutschen Bundestag, die Christdemokraten Kreuth Seeon statt. Nun präsentiert sich die ehemalige und Christsoziale institutionell zusammenschweißte. Benediktinerabtei am nördlichen Chiemseeufer zwar keineswegs als weniger pittoresk. Jedoch fehlen ihr Gleichzeitig darf deren jahrzehntelanges Fortbeste­ Wildbad Kreuth 147 gänzlich die fast schon mythisch aufgeladenen Asso- hen nicht darüber hinwegtäuschen, wie spannungs­ Coburg ziationen, welche die medial erprobten Bilder aus geladen das Binnenverhältnis der beiden Schwestern 1976 „Kreuth“ vier Jahrzehnte lang erregten. Auf diesen von Anfang war und bis heute ist. In der Retrospek­ Main Bildern zeigen sich stets Trauben frierender Jour- tive kann daher dessen eruptive Zuspitzung auch Die Fraktionsgemeinschaft Würzburg nalisten, die geduldig auf energisch vorgebrachte kaum überraschen. Die politischen Erschütterungen Statements von Sitzungsteilnehmern warten. Jene waren gleichwohl beispiellos, als der legendäre wiederum, so das bewährte Ritual, verstehen es, die „Kreuther Trennungsbeschluss“ vom 19. November Nürnberg von CDU und CSU im bundespolitischen Positionen der CSU – und implizit 1976 publik wurde: Mit 30 zu 18 Stimmen, bei einer damit auch Bayerns im Ganzen – für die kommen- Enthaltung, hatte die CSU-Landesgruppe beschlos­ Deutschen Bundestag und den Monate pointiert abzustecken und in erster sen, im frischgewählten 8. Deutschen Bundestag der Linie telegen nach außen abzugrenzen. Außen – CDU den Rücken zu kehren, um eine eigenständige der Trennungsbeschluss vom das war und ist hierbei so häufig nicht nur der über- Fraktion zu formieren. Bis zur erneuten Kehrtwende Donau greifende bundespolitische Konsens, sondern zum am 12. Dezember schien es folglich, als stünde die November 1976 irritierten Erstaunen so mancher Beobachter auch Union ihrer bislang schärfsten Zäsur gegenüber. Bayern gerade immer die eigene Schwesterpartei CDU.

Inn Martin Falbisoner München

19 Wildbad Kreuth In Wildbad Kreuth fanden 1972 jedoch nicht nur hatte verteidigen, sondern das gesamte Bundesgebiet, die absolute Mehrheit für zahlreiche Klausurtagungen sogar ausbauen können – für die SPD war es mithin das bürgerliche Lager zurückzugewinnen, etwa durch der CSU-Landesgruppe statt. der größte Erfolg ihrer Geschichte – lagen die Nerven stärkere Mobilisierung rechtskonservativer Kreise. aufseiten der Unionsparteien zunehmend blank. In Eine solche Konstellation hätte für die CSU bedeutet, München hielt man der Bonner Schwester vor, sich wahltaktisch zunächst gegen, vom Wahlabend an dann nicht mit der gebotenen Schärfe von der verfehlten allerdings doch wieder eng übereinstimmend mit der Politik der rotgelben Koalition abgegrenzt zu haben. CDU zu agieren. Eine radikalere Form der schon tradi­ tionellen „konkurrierenden Kooperation“ der beiden Die Fraktionsgemeinschaft nicht mehr zu verlängern, Schwesterparteien erscheint kaum vorstellbar. rückte für Teile der CSU-Landesgruppe, darunter als treibende Kraft Strauß, nun ganz offen in den Bereich Zunehmend überlagert wurden die sachlichen und des Denkbaren. Auch deren Vorsitzender Richard strategischen Differenzen indes durch den anschwel­ Stücklen betrachtete eine CDU/CSU-Fraktion keines­ lenden, durchaus auch persönlichen Konflikt zwischen falls mehr als zwingendes Erfordernis, sondern stellte den Parteivorsitzenden. Sowohl Strauß als auch der sie unter die ganz ergebnisoffen zu diskutierende rheinland-pfälzische Ministerpräsident Helmut Kohl, „Frage der politischen Zweckmäßigkeit“, die letztlich seit 1973 Bundesvorsitzender der CDU, beanspruchten auch „andere Organisationsformen“ offerierte. Gleich­ die Oppositionsführung jeweils für sich. Der Parteiaus­ wohl schreckte man seitens der CSU vor einem Bruch schuss der CSU stellte im Juni 1975 ostentativ fest, „dass 148 149 Gedankenspiele auf der Oppositionsbank War das Verhältnis zwischen den Schwesterparteien zu diesem Zeitpunkt doch noch zurück, einigte sich ein der Parteivorsitzende Strauß die am besten geeignete schon in den Jahren der gemeinsamen Regierungs­ weiteres Mal mit der Bonner Schwester und erneuerte Persönlichkeit zur […] Bestimmung und Gestaltung Unter rein formalen Gesichtspunkten betrachtet verantwortung nur selten frei von Spannungen, die schließlich die Fraktionsgemeinschaft. Dabei setzte sie der Bundespolitik“ sei. Dessen ungeachtet setzte sich handelte es sich beim Kreuther Beschluss, so beeilte sich insbesondere im letzten Jahr der ersten Großen durch, dass die grundsätzliche Gleichrangigkeit der unionsintern sein Pfälzer Rivale als Spitzenkandidat für sich auch der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß Koalition 1968 zuspitzten, so wurde es ab 1969 noch Partner auch schriftlich fixiert wurde. die Bundestagswahl am 3. Oktober 1976 durch. festzustellen, „nicht um eine Aufkündigung oder um entschieden konfliktträchtiger. Denn nach verlorener eine Trennung, sondern um die Nichterneuerung einer Wahl und der Bildung einer sozialliberalen Koalition Konnten sich die Schwesterparteien zunächst nicht Vereinbarung“, allerdings einer, die eben von 1949 fand sich die Union in einer ihr durch und durch einmal auf ein gemeinsames Motto einigen – die an bestanden hatte und somit auch 1976 bereits zu ungewohnten Rolle auf der Oppositionsbank wieder. Die Bundestagswahl 1976 als Zäsur CSU legte sich auf „Freiheit oder Sozialismus“ fest, den Fundamenten des deutschen Parlamentarismus Wie diese überhaupt auszufüllen sei, welche Strategie die CDU auf „Freiheit statt Sozialismus“ –, so entfal­ zählte. Die CSU hatte dabei rasch eine nur ihr eigen­ nun einzuschlagen wäre, konnte kaum im Konsens Einmal vorgebracht fanden die praktischen Argumente tete die Union einen überaus erfolgreichen Wahl­ tümliche Sonderstellung gefunden. So identifizierte sie beantwortet werden. Bald wurden seitens der CSU für eine Trennung dann aber auch in der Folgezeit kampf. Sie erzielte mit 48,6 Prozent der abgegebe­ sich zwar von den frühen 1950ern an gewissermaßen Erwägungen laut, die zunehmend als eingefahren Widerhall. Denn neben erheblich größeren inhaltlichen nen Stimmen ihr bis dahin zweitbestes Ergebnis bei als bayerische Staatspartei und trat doch mit erheb­ empfundene deutsche Parteienlandschaft durch den Freiheiten für eine effektive Oppositionsarbeit ver­ Bundestagswahlen und verfehlte nur ganz knapp lichem bundespolitischem Anspruch auf. Ihre fortge­ bewussten Aufbau einer „Vierten Partei“ im konser­ sprachen sich Befürworter einer unabhängigen CSU- die absolute Mehrheit. Da die FDP allerdings, trotz setzte Bereitschaft, mit der im Ganzen dann doch noch vativ-bürgerlichen Sinne zu öffnen. Als Katalysator Fraktion vor allem deutlich verbesserten Zugang zu aller Bemühungen Kohls, am Bündnis mit der SPD deutlich größeren CDU einen festen institutionellen dieser aufkeimenden Debatte sollte insbesondere die parlamentarischen Ressourcen wie Ausschusssitzen, festhielt, konnte die sozialliberale Regierung ihre Partner zu akzeptieren, trug entscheidend dazu bei, die Auseinandersetzung mit der Deutschland- und Ost­ Redezeit oder Fraktionszuschüssen. Und mittels dieser nunmehr marginale Mehrheit in den sich neu kons­ dominierende Stellung der Union in den ersten beiden politik unter der Regierung fungieren. erhoffte man, insbesondere im Zuge einer anschlie­ tituierenden Deutschen Bundestag hinüberretten. Jahrzehnten der Bundesrepublik zu verstetigen. Nachdem jene ihre Mehrheit in der Bundestagswahl ßend erfolgenden Ausweitung der Christsozialen auf Gleichermaßen enttäuscht wie erschüttert leckte man in den Parteizentralen der Union die Wunden – bald Erfolg. Schon in den ersten Dezembertagen Mag es in tagespolitischen Fragen bis zum heutigen und schob sich alsbald gegenseitig die Schuld für den nahmen die beiden Parteiführungen den Dialog wieder Tag auch weiterhin zu heftigen, mitunter gar heftigs­ verfehlten Regierungswechsel zu. Während die CDU auf. Am 9. Dezember konzedierte Strauß nach einer ten Auseinandersetzungen kommen, so bleibt die in erster Linie die Münchner Alleingänge anpran­ gemeinsamen Sitzung von Landesgruppe und Lan­ gelegentliche Beschwörung des „Geists von Kreuth“ gerte, verwies die CSU triumphierend auf ihren rau­ desvorstand der CSU, „neue Vorschläge“ könnten zu doch am Ende nur folkloristisches Ritual. In diesem schenden Erfolg in Bayern, wo sie mit 60 Prozent der einem Umdenken führen. Am 12. Dezember schließ­ Sinne wurden seitens der CSU etwa unmittelbar nach abgegebenen Stimmen weit über dem Gesamtergeb­ lich folgte der Durchbruch: Der Trennungsbeschluss der zwar siegreichen, obgleich auch enttäuschenden nis lag, und bemängelte ihrerseits die zum Teil nicht wurde aufgehoben, die Fraktionsgemeinschaft fortge­ Bundestagswahl 2017 für einen kurzen Moment und immer optimalen Resultate der Christdemokraten. setzt. Dies bedeutete freilich nicht eine Rückkehr zum ostentativ entsprechende Überlegungen ventiliert. Status quo ante, denn künftig sollten verschriftlichte Über den tatsächlichen Vollzug einer Trennung der Regelungen das komplexe Binnenverhältnis der beiden Unionsfamilie denkt, zumindest in vollem Ernst, frei­ Schwestern strukturieren. In deren Rahmen wurde der lich niemand mehr nach. Eskalation auf der Klausurtagung CSU nicht nur politische Parität konzediert und ihrer der CSU-Landesgruppe Landesgruppe im Deutschen Bundestag ein gewisses Helmut Kohl (l.) und Franz Josef Strauß Maß an Autonomie eingeräumt, auch das sogenannte Vor diesem Hintergrund versammelte sich die CSU-­ lehnten nach einem Spitzengespräch am Gebietskartell wurde fixiert: Niemals würden CSU und Landesgruppe zu ihrer Klausurtagung am 18./19. 1. Dezember 1976 in Bonn Prognosen über CDU konkurrierend in den Ländern antreten. Literatur November. Die nach langen Stunden der Diskussion den Ausgang des Unionsproblems ab. 150 151 beschlossene Loslösung von der Fraktionsgemein­ Buchstab, Günter: Ein parlamentarisches Unikum: Die CDU/CSU- schaft war dabei auch in den eigenen Reihen heftig Fraktionsgemeinschaft, in: Hans-Peter Schwarz (Hg.): Die Fraktion umstritten. Nicht zufällig positionierte sich etwa der Auf neuer Grundlage als Machtfaktor. CDU/CSU im Deutschen Bundestag 1949 bis heute. spätere Bundesminister und CSU-Vorsitzende Theo zu gemeinsamen Erfolgen München 2009, S. 255–274. Waigel deutlich gegen die von Strauß forcierte Linie. verband in Bayern organisieren würden, sollte die CSU Denn es waren gerade die schwäbischen und fränki­ nicht bis zur Konstituierung des Deutschen Bundes­ Beide Seiten konnten auf Basis dieser Übereinkunft Hopp, Gerhard/Martin Sebaldt/Benjamin Zeitler (Hg.): Die CSU. schen Abgeordneten, die den altbayerischen Optimis­ tags am 14. Dezember in den Schoß der Fraktionsge­ ihr Gesicht wahren. Das Fundament für ein stabiles Strukturwandel, Modernisierung und Herausforderungen einer mus von Anfang an nicht teilen wollten. meinschaft zurückgekehrt sein. Dies waren keinesfalls Zusammenwirken, eine erfolgreiche Oppositions­ ­Volkspartei. Wiesbaden 2010. nur leere Drohungen, tatsächlich streckte die CDU arbeit und dann anschließend ab 1982 eine erneut Die Tonlage verschärfte sich zunächst einmal weiter erfolgreich die Fühler zu zahlreichen unzufriedenen langjährige Regierungstätigkeit war gelegt. Sieht man Marx, Stefan: In der ersten Großen Koalition, 1966–1969, in: rapide. In seiner zwar intern gehaltenen, aber sofort CSU-Mitgliedern aus und initiierte rasch die planeri­ von gewissen Unsicherheiten während der Phase der ­Hans-Peter Schwarz (Hg.): Die Fraktion als Machtfaktor. CDU/CSU im „geleakten“ und dadurch berühmt gewordenen schen Vorbereitungen für die Gründung eines baye­ parteipolitischen Umwälzungen 1989/1990 ab – die Deutschen Bundestag 1949 bis heute. München 2009, S. 87–112. „Wienerwaldrede“ vom 24. November sprach Strauß rischen Landesverbands. In deren Zuge wurde nicht angestrebte Gleichrangigkeit der beiden Schwestern seinem Pfälzer Rivalen in geradezu zersetzender Weise nur ein Gründungsparteitag in Aussicht gestellt, sogar schien zum einen bedroht durch die erhebliche Ver­ Möller, Horst: Franz Josef Strauß. Herrscher und Rebell. jegliche politische Eignung ab. Letzterer wurde am schon erste Entwürfe für Wahlplakate dieses neuen breiterung der Machtbasis der CDU in den neuen München 2015. 1. Dezember allerdings demonstrativ an die künftige Landesverbands fanden sich auf den Reißbrettern. Ländern, zum anderen belebte die CSU durch ihre CDU-Fraktionsspitze gewählt. Schon zwei Tage zuvor zwischenzeitliche Förderung der ostdeutschen DSU Zellhuber, Andreas/Tim B. Peters (Bearb.): Die CSU-Landesgruppe war seitens des CDU-Vorstands die scharfe Warnung Gleichwohl blieb es das erklärte Ziel der CDU-Führung,­ noch einmal Gedankenspiele um eine „Vierte Partei“ –, im Deutschen Bundestag. Sitzungsprotokolle 1949–1972 (Quellen zur nach München ergangen, dass sich die Christdemo­ die Einheit von Union und Fraktion in ihrer bisherigen so hat sich das Verhältnis zwischen Christdemokraten Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Vierte kraten ihrerseits sofort mit einem eigenen Landes­ Form zu bewahren. Und tatsächlich zeigte ihr Druck und Christsozialen gleichwohl dauerhaft stabilisiert. Reihe, Bd. 15/I). Düsseldorf 2011. Freiheit – Solidarität – Gerechtigkeit. Unter diesem Die nach Reichspräsident benannte Titel wurde im Oktober 1978 auf dem 26. Bundes- Halle, die seit 1965 das Stadtbild mitprägte und nun parteitag der CDU das erste Grundsatzprogramm in den CDU-Parteitag beheimaten sollte, war dabei der Geschichte der Partei verabschiedet. Als Ort für nur wenig geeignet für das Großereignis. So waren dieses historische Ereignis hatte man Ludwigshafen­ aufwändige Umbauarbeiten notwendig und, um gewählt, Chemiestadt und sozialdemokratische dem Tagungsort den Charme einer Fabrikhalle zu Hochburg. Die Heimatstadt des Parteivorsitzenden nehmen, erinnerten an den Seitenwänden über- Helmut Kohl, wo er selbst 1946 als Schüler die Junge dimensionale Fotos an prägende Persönlichkeiten Union mitgegründet hatte und ein Jahr später der der CDU: Konrad Adenauer mit Winston Churchill, CDU beigetreten war, sollte fester Bestandteil der Ludwig Erhard mit qualmender Zigarre und auf CDU-Geschichte werden. Die Wahl der roten Bastion einem anderen Bild strahlte Rainer Barzel gemein- war nicht zuletzt eine Kampfansage an die in Bonn sam mit und Helmut Kohl um regierende SPD. Seit nunmehr neun Jahren verharrte die Wette. Es sollte ein Parteitag der Superlative die Union in der Opposition und hatte zuletzt bei der werden – und der CDU Zuversicht und Selbstver- Bundestagswahl 1976 die absolute Mehrheit um nur trauen zurückgeben. Generalsekretär Heiner Geiß- Ludwigshafen sechs Mandate verpasst. ler verband mit der Verabschiedung eines Grund- satzprogramms die Hoffnung geistiger Erneuerung Friedrich­Ebert­Halle und damit eine Standortbestimmung der CDU. 1978 153 Freiheit – Solidarität – Gerechtigkeit: Die Verab­ Mosel Mainz schiedung des ersten Rheinland-Pfalz Grundsatzprogramms 20 Ludwigshafen Kathrin Zehender

Rhein Friedrich-Ebert-Halle in Ludwigshafen. Wie viel Programm braucht die CDU? Grundsätzen der Partei zu befassen und deren Ver­ gen hätten sich mit eigenen Veranstaltungen an der kere Berücksichtigung fanden. Auf dieser Grundlage wirklichung durch die praktische Politik zu erörtern. Grundsatzdebatte beteiligt. Das ernsthafte Bedürfnis verabschiedete der Bundesvorstand am 11. Mai 1978 Die Frage, ob und wie viel Programm die CDU denn Einen Zwischenbericht erstattete der Ausschuss, der nach Orientierung zeige jedoch, dass es allein mit einstimmig den Entwurf für das Grundsatzprogramm brauche, war lange umstritten. So lebte die CDU wäh­ sich unter der Leitung von Richard von Weizsäcker Kommissionsberichten, Veranstaltungen und Bro­ „Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit“. Auf dem für Okto­ rend der Ära Adenauer von den politischen Ideen und als Grundsatzkommission konstituiert hatte, auf dem schüren nicht getan sei. Stattdessen plädierte er für ber geplanten Parteitag in Ludwigshafen sollte der Grundsätzen Soziale Marktwirtschaft, Westbindung Bundesparteitag in Wiesbaden im Oktober 1972. An die Ausarbeitung eines Grundsatzprogramms: „Denn Entwurf die Zustimmung der Parteibasis finden. und europäische Integration sowie deren Umsetzung die Ausarbeitung eines Grundsatzprogramms dachte wir stehen ja immer vor neuen Herausforderungen in die praktische Politik. Programmatische Festlegun­ zu dieser Zeit aber noch niemand. der Technik und der Wissenschaft, der wirtschaft­ gen über die christliche Weltanschauung hinaus schie­ lichen Dynamik und der sozialen Entwicklung. Unter nen lange Zeit vernachlässigbar. Erst die erneute Niederlage bei der Bundestagswahl ihrem Einfluss wandeln sich unsere Lebensbedin­ Verabschiedung in Ludwigshafen 1972 brachte den Vorsitzenden Barzel zu dem Ein­ gungen ständig. Auf diesen Wandel dürfen wir nicht Erst in den 1960er Jahren setzte mit dem in der Par­ geständnis, dass die CDU irgendwann in den 1960er nur reagieren, wir müssen ihn politisch gestalten, Zum Auftakt des Parteitags am 23. Oktober 1978 tei beginnenden Generationenwechsel verstärkt ein Jahren die geistige Führung verloren und auf gesell­ und dazu bedürfen wir des Antriebs und der Leitli­ beschwor Kohl die Delegierten: „Hier in Ludwigshafen Umdenken ein und als die Union nach der Bundestags­ schaftliche Veränderungen nicht rechtzeitig reagiert nien verbindlicher Grundsätze.“ Mit breiter Mehrheit werden wir unseren gemeinsamen Standort bestim­ wahl 1969 erstmals auf die harten Bänke der Opposi­ habe. So gelte die CDU trotz aller gesellschaftspoliti­ stimmte der Parteitag für die Ausarbeitung eines men. Am Ende dieser Tage müssen unser Profil klarer, tion verwiesen wurde, schenkte man der Programm­ scher Initiativen, die sie angeregt habe, als rückstän­ Grundsatzprogramms. unsere Botschaft überzeugender, unser Wille entschie­ arbeit noch mehr Aufmerksamkeit. Doch weder das dige, bisweilen sogar als reaktionäre Partei. Einigkeit dener sein.“ Es sei ein Parteitag der Bilanz, des neuen „Berliner Programm“, das auf dem Parteitag im Novem­ herrschte, dass sich die Partei nicht mehr allein auf Von März 1974 an arbeitete die Grundsatzkommission Aufbruchs, der geistigen Mobilisierung. Begeisterungs­ 154 155 ber 1968 verabschiedet worden war, noch die in Düs­ ihre in den 1950er und 1960er Jahren erbrachten Leis­ zwei Jahre an einem Programmentwurf. So wie es Kohl stürme löste die Rede Geißlers aus, in der er das seldorf 1971 verabschiedete überarbeitete 2. Fassung tungen berufen könne, sondern die gesellschaftlichen selbst auf dem Hamburger Parteitag gefordert hatte, christ­liche Menschenbild als obersten Grundwert der des Berliner Programms konnten das Bedürfnis nach Veränderungen aufnehmen, politisch verarbeiten und wurden zu den Programmdebatten immer wieder Union bezeichnete und die CDU mahnte, den Mut auf­ programmatischer Vergewisserung und Erneuerung insbesondere für bislang vernachlässigte Gruppen – auch Wissenschaftler zu den verschiedenen Themen­ zubringen, Gott wieder in ihrem Parteiprogramm zu stillen. So waren die beiden Programme auch gar nicht Intellektuelle, junge Menschen, Arbeiter und Frauen – bereichen hinzugezogen. Im April 1976 konnte eine nennen. So hieß es auch in der Präambel des Grund­ als „Grundsatzprogramme“ angelegt, sondern stellten attraktiver werden müsse. Die Programmarbeit erste Vorlage veröffentlicht werden, die in modifizier­ satzprogramms: „Die Politik der CDU beruht auf dem vielmehr „Aktionsprogramme“ mit einem konkreten gewann damit an Fahrt. ter Form im September in Berlin von rund 600 Wissen­ christlichen Verständnis vom Menschen und seiner politischen Maßnahmenpaket dar. schaftlern, Vertretern gesellschaftlicher Gruppierun­ Verantwortung vor Gott.“ gen und Parteimitgliedern diskutiert wurde. In sechs Kapiteln legte die CDU ihr Verständnis vom Ein Grundsatzprogramm für die CDU Das Grundsatzforum wurde von Kohl im Nachgang Menschen (Kapitel 1) dar und beschrieb die dem Programmarbeit in der Opposition als „rundum gelungenes Experiment“ bezeichnet, es Programm namensgebenden Grundwerte Frei­ Auf dem Bundesparteitag im November 1973 in Ham­ offenbarte aber auch den Dissens, der innerhalb der heit, Solidarität und Gerechtigkeit (Kapitel 2). Diese Im Herbst 1971 schlug der CDU-Vorsitzende Rainer burg, der unter der Leitung des neu gewählten Vorsit­ CDU über den Programmentwurf herrschte. Kritik müssten immer gleichberechtigt nebeneinander­ Barzel die Einsetzung eines fünfköpfigen Grund­ zenden Helmut Kohl stattfand, erstattete von Weiz­ kam insbesondere von dem früheren Generalsekre­ stehen. Aufgabe der Politik sei es, das Verhältnis satzausschusses vor, der in engem Kontakt mit der säcker für die Grundsatzkommission zum zweiten tär Kurt Biedenkopf, der die wirtschaftspolitischen dieser Grundwerte zueinander stets so zu gestalten, Wissenschaft die für die Politik relevanten neu auf­ Mal Bericht. So sei die Programmarbeit in der Partei Artikel des Entwurfs beanstandete. Seine Äußerungen dass sie zusammen ihre humane Wirkung entfalte­ tretenden Fragen erfassen und dem Vorstand Hand­ und ihren Gliederungen sehr positiv aufgenommen führten dazu, dass die entsprechenden Kapitel in den ten. Freiheit sei für die CDU dabei aber immer eine lungsvorschläge erarbeiten sollte. Darüber hinaus und mit vielen Beiträgen bereichert worden. Zahlrei­ kommenden Monaten einer umfassenden Revision selbst verantwortete Freiheit. Solidarität bedeute, erhielt der Ausschuss den Auftrag, sich mit den che Kreis- und Landesverbände sowie die Vereinigun­ unterzogen wurden und ordoliberale Positionen stär­ füreinander einzustehen. Mit Gerechtigkeit sei keine Der Bundesparteivorsitzende und Vollbeschäftigung zu stehen haben. Auch das in Standortbestimmung und Integration Helmut Kohl und der General­ Kapitel drei geforderte „Recht auf Arbeit“ führte zu Dis­ sekretär der CDU Heiner Geißler kussionen und wurde schließlich in abgeschwächter Mit den gesetzten Schwerpunkten und Themen musste auf dem Bundesparteitag in Form als „Freiheitsrecht auf Arbeit“ festgeschrieben. das Programm verschiedene Funktionen erfüllen. So Ludwigshafen. ging es zum einen darum, den geistigen Standort der Kaum Debatten löste dagegen das Kapitel fünf aus, Partei zu finden und zu überprüfen, ob die für die in dem die CDU ihre Auffassung vom Wesen des Gründung der Union konstitutiven Ideen noch Gültig­ „Staats“ und dessen Aufgaben umschrieb. Die Rolle keit besaßen oder an die Erfordernisse der 1970er von „Deutschland in der Welt“ thematisierte das Jahre angepasst werden mussten. Das Programm defi­ abschließende Kapitel sechs. Die CDU bekannte sich nierte erstmals die Grundwerte Freiheit, Solidarität und hier zu den Ostverträgen und zum Grundlagenver­ Gerechtigkeit und stellte ihre Anwendung auf die ver­ trag mit der DDR. Klar bekannte sich die Partei zur schiedenen Bereiche der Politik dar. Damit einher ging europäischen Integration und zum Ziel der Politi­ das Ziel, sich neuen Gruppen zu öffnen: Gerade junge schen Union. Menschen und Frauen, die seit Mitte der 1960er Jahre im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Veränderungen standen, sollten angesprochen werden. Schließlich wurde dem Programm eine integrierende Funktion beigemessen. Auch wenn Kohls Feststellung, dass 156 157 es in der CDU keine Flügelkämpfe gebe, vielleicht zu ­Gleichbehandlung aller Menschen gemeint, ungeach­ materiellen Wohlstand hinausgingen. Die Soziale tet ihrer unterschiedlichen Anlagen und Bedürfnisse. Marktwirtschaft sollte vor diesem Hintergrund auch Vielmehr, so Geißler, ginge es darum, allen Menschen auf andere Bereiche wie das Gesundheits- oder das die Chance zu eröffnen, sich frei zu entfalten. Bildungswesen angewandt und mit ökologischen Erfordernissen in Einklang gebracht werden. Dem Das dritte Kapitel widmete sich denn auch ausführlich Umweltschutz wurde generell große Bedeutung bei­ der Entfaltung der Person, wobei der Familie als Fun­ gemessen und er wurde als wichtige konservative dament der Gesellschaft eine entscheidende Rolle bei­ Zukunftsaufgabe ausgewiesen. Auch die „Neue Soziale gemessen wurde. Es wurden ein Erziehungsgeld und Frage“, die seit Mitte der 1970er Jahre von Heiner die Berücksichtigung von Erziehungsjahren bei der Geißler propagiert wurde und die Bedürfnisse und Rente gefordert. Unter dem Punkt „Arbeit und Freizeit“ Interessen nicht-organisierter Bevölkerungsgruppen in wurde ein „Freiheitsrecht auf Arbeit“ festgeschrieben. den Mittelpunkt stellte – Arbeitslose, Frauen und alte Menschen –, wurde hier thematisiert. Das vierte Kapi­ Am umfangreichsten wurde in Kapitel vier die Soziale tel blieb nicht unumstritten. Zum Konflikt zwischen Marktwirtschaft behandelt, die sich – so das Pro­ Biedenkopf und den Sozialausschüssen kam es um die gramm – an neue wirtschaftliche und soziale Bedin­ Forderung nach Arbeitszeitverkürzung als Mittel zur gungen anpassen müsse. Dabei müssten die Bedürf­ Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Im Programm setzte nisse des Menschen in den Mittelpunkt gestellt und sich schließlich der Kompromiss durch, dass Ver­ Abstimmung während des auch Erwartungen einbezogen werden, die über den kürzungen der Arbeitszeit im Einklang mit Wachstum Parteitags in Ludwigshafen. ­optimistisch war, so gab es in Ludwigshafen doch keine Politik anzuwenden und neue Prioritäten zu setzen. bei der Bundestagswahl 1980 seine eigene Agenda vom 26. Oktober 1978: „In Ludwigshafen hat sich die offenen Grabenkämpfe zwischen den Parteiflügeln, wie Tatsächlich stand das Grundsatzprogramm schon verfolgte, die mit dem Geist von Ludwigshafen nur CDU als eine in sich gefestigte Mitgliederpartei dar­ es sie noch um die Frage der Mitbestimmung auf den am Tag nach seiner Verabschiedung in der Kritik. Das wenig zu tun hatte. Erst mit Strauß’ Scheitern konnte geboten, die ihre Programmatik breit zu diskutieren Parteitagen 1971 in Düsseldorf und 1973 in Hamburg Grundsatzprogramm der CDU – Ergebnis siebenjäh­ Kohl seinen am Konsens orientierten Reformkurs und dann durch Mehrheitsentscheidungen zu normie­ gegeben hatte. riger Arbeit – verschwand vorerst in der Schublade. fortführen und auch programmatisch an Ludwigsha­ ren versteht. Wer jetzt noch von einem Wählerverein Dass „Ludwigshafen“ zunächst schnell vergessen war, fen anknüpfen. spricht, meint allenfalls die CDU von vorgestern.“ Es Zum Abschluss des Parteitags erklärte Kohl, dass es lag nicht zuletzt auch daran, dass der Kanzlerkandi­ bleibt das Verdienst Helmut Kohls, diesen Prozess nun, nach der einstimmigen Verabschiedung des Pro­ dat Franz Josef Strauß von der Programmarbeit der vorangetrieben zu haben. gramms, darauf ankäme, es auch in der praktischen Schwesterpartei ohnehin wenig gehalten hatte und Die Bedeutung von Ludwigshafen

Wandzeitung zum Ludwigshafener Grundsatzprogramm. Heute gehört das Grundsatzprogramm von 1978 zu den zentralen Wegmarken der Unionsgeschichte. So liegt die Bedeutung des Programms zum einen in seiner Entstehungsgeschichte. Bis heute sind die breite Partizipation auf allen Ebenen der Partei und in ihren Vereinigungen sowie die Einbeziehung der Literatur Wissenschaft und gesellschaftlicher Gruppen ein ein­ 158 159 zigartiger Prozess. Zum anderen werden in Ludwigs­ Borchard, Michael: Die CDU, Helmut Kohl und das Ludwigshafener hafen erstmals die Grundwerte der Partei – Freiheit, Programm, in: Historisch-Politische Mitteilungen 25 (2018), S. 123–134. Solidarität, Gerechtigkeit – kodifiziert. Sie sind bis heute Kern des Selbstverständnisses der CDU. So Bösch, Frank: Die Krise als Chance. Die Neuformierung der steht es im Grundsatzprogramm von 1994 wie auch Christdemokraten in den siebziger Jahren, in: Konrad H. Jarausch (Hg.): im bis heute gültigen aus dem Jahr 2007: Ausge­ Das Ende der Zuversicht? Die siebziger Jahre als Geschichte. Göttingen hend vom christlichen Menschenbild leiten sich die 2008, S. 296–309. Grundwerte Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit ab. Sie erfordern, begrenzen und ergänzen einander Bösch, Frank: Macht und Machtverlust. Die Geschichte der CDU. und sind gleichrangig. Ihre Gewichtung untereinan­ München 2002. der sinnvoll zu gestalten, sei die Aufgabe der CDU und Kern der politischen Auseinandersetzung. Die Buchstab, Günter: Politik an Werten orientieren. Zur Geschichte der Grundwerte als unteilbare Menschenrechte gelten CDU-Grundsatzprogramme, in: Die Politische Meinung 437 (April 2006), universell und über die nationalen Grenzen hinaus. S. 14–18.

In dem Entwicklungsprozess der CDU von der Hono­ Kleinmann, Hans-Otto: Geschichte der CDU. Stuttgart 1993. ratioren- und Wählerpartei der 1950er und 1960er zu einer modernen Volkspartei der Mitte ist der Ludwigs­ Schönbohm, Wulf: Die CDU wird moderne Volkspartei. Selbstverständ­ hafener Bundesparteitag von 1978 ein entscheiden­ nis, Mitglieder, Organisation und Apparat 1950–1980 (Forschungen und der Schritt. So urteilte auch die Welt in ihrer Ausgabe Quellen zur Zeitgeschichte, Reihe B: 7). Stuttgart 1985. In der Ruhrgebietsmetropole Essen fanden mehr- Tagungsort fach Bundesparteitage der CDU statt. Die CDU wollte – angesichts der in diesen Jahren jeweils Die Grugahalle, wegen ihrer Dachkonstruktion auch ebenfalls stattfindenden Landtagswahlen in Nord- liebevoll „Schmetterling aus Beton“ genannt, wurde rhein-Westfalen – im Revier, das lange Zeit als 1956 an Stelle der im Zweiten Weltkrieg zerstörten „Herzkammer“ der Sozialdemokratie galt, Präsenz Ausstellungshalle V der Messe im Essener Stadtteil beweisen. Jeder der Parteitage hatte seine Aus- Rüttenscheid errichtet. Der Architektengemeinschaft wirkung auf die Entwicklung der CDU. Der bedeu- Brockmann/Lichtenhahn gelang es, für den Bau noch tendste für die programmatische Weiterentwick- vorhandene Fundamente der ursprünglichen Halle zu lung der Partei zumindest aus frauenpolitischer verwenden. Die Bauzeit betrug 23 Monate, am 1. Sep­ Sicht war sicherlich der 33. Bundesparteitag 1985, tember 1958 wurde die Grugahalle offiziell übergeben, der sogenannte Frauenparteitag. die Baukosten beliefen sich auf rund 23 Mio. DM. Die erste Großveranstaltung, die dort stattfand, war das Hallensportfest „Für Olympia“ am 25. Oktober 1958. Von diesem Zeitpunkt an und bis heute wird die Halle Essen für eine Reihe unterschiedlichster Ereignisse – wie Konzerte, Sportveranstaltungen, Unterhaltungsshows oder Kongresse – genutzt. Grugahalle 161 1985Ems Weser Die Frauenpolitik Nordrhein-Westfalen der CDU Ahlen Dortmund 21 Soest Denise Lindsay Essen 1 Düsseldorf

Köln Wesseling Siegen Bonn Rhöndorf

Der 33. Bundesparteitag der CDU fand in der Gruga­ halle­ statt.

Mosel 1975 hat die Frauenvereinigung das erste „Grund­ es wichtig, für Frauen eine tatsächliche Wahlfreiheit Auf dem Bundesparteitag in Essen waren neben Das „Ende der Bescheidenheit der satz- und Aktionsprogramm der Frauenvereinigung zwischen Erwerbs- und Familientätigkeit zu gewähr­ den 500 Teilnehmerinnen etwa 800 Delegierte sowie Frauen in der CDU“ – Der 33. Bundes­ der CDU“, das sogenannte Dortmunder Programm, leisten, eine Balance zwischen der Hausfrauentätig­ ca. 1.200 Journalisten und 500 Gäste anwesend. Für parteitag (20. bis 22. März 1985) veröffentlicht. In ihm forderte sie dezidiert die Ver­ keit und der Erwerbsarbeit von Frauen zu finden und Unruhe sorgte zu Beginn der Veranstaltung die Forde­ wirklichung der Partnerschaft in Bildung, Erziehung, insbesondere die Gleichwertigkeit beider Formen zu rung der Sozialausschüsse der CDU und ihres Haupt­ Auf seiner Sitzung am 10. Dezember 1984 hatte der Familie und Beruf und stellte einen konkreten Maß­ betonen. geschäftsführers Heribert Scharrenbroich, den Kampf Bundesvorstand der CDU beschlossen, den Vorschlag nahmenkatalog zur Durchsetzung ihrer Forderungen gegen die Arbeitslosigkeit ins Zentrum der Diskus­ des Vorsitzenden Helmut Kohl und seines Generalse­ auf. Auf dem vom 23. bis 25. Juni 1975 in Mannheim Nach der Festlegung des Parteitags wurde von Hei­ sionen zu stellen. Scharrenbroich vertrat die Ansicht, kretärs Heiner Geißler aufzugreifen, „die Frauenpoli­ stattfindenden Bundesparteitag wurde der Antrag ner Geißler in der CDU-Bundesgeschäftsstelle eine die Leitsätze erweckten den Eindruck, dass „Eman­ tik in den Mittelpunkt der politischen Beratungen des zum Thema „Frau und Gesellschaft“, der auf dem Arbeitskommission bestehend aus 24 Frauen und fünf zipation nur im Erwerbsleben möglich sei“. Auch die Bundesparteitages zu stellen und am 21. März einen Dortmunder Programm der Frauenvereinigung Männern eingesetzt, die eine Diskussions- und Arbeits­ Mittelstandsvereinigung und die Junge Union standen „Frauentag“ zu veranstalten, zu dem Frauen aus allen beruhte, einstimmig angenommen. grundlage für den auf dem Parteitag zu verabschie­ dem Vorhaben, Frauen in den Mittelpunkt zu stellen, Bereichen der Gesellschaft als sachverständige Diskus­ denden Leitantrag erstellen sollte. Ende Januar 1985 zunächst distanziert gegenüber. Die MIT sprach sich sionsteilnehmerinnen eingeladen werden sollen“. Ziel Ein Umdenken war zudem dringend geboten, da sich hatte die Kommission ihren Vorschlag für den Bundes­ gegen die im Leitantrag enthaltene Forderung nach auf diesem „Dialog-Parteitag“ war die Verabschiedung das Wahlverhalten der Frauen im Laufe der Jahre ver­ vorstand verabschiedet, im Bundesvorstand selbst einer Arbeitsplatzgarantie für Mütter im ersten Jahr von Leitsätzen zur Frauenpolitik. ändert hatte. Frauen stellten seit den 1970er Jahren wurden die Essener Leitsätze am 4. Februar 1985 als nach der Geburt aus. Die JU kritisierte die Leitsätze als kein stabiles, zuverlässiges Wählerpotenzial – wie in Leitantrag beschlossen und den Kreisverbänden sowie bloßes „Aktionsprogramm“, das dem Bewusstseins­ Die CDU versuchte schon länger, eine Antwort auf den vorangegangenen Jahrzehnten – für die CDU mehr den Delegierten und den eingeladenen Gästen des wandel, der in vielen jungen Familien schon eingesetzt 162 163 das sich wandelnde Frauenbild zu finden. Seit Mitte dar. Immer deutlicher wurde außerdem, dass sich Bundesparteitags zur Kenntnisnahme geschickt. habe, kaum Rechnung trage. der 1960er Jahre standen berufstätige Frauen im die Lebenssituation der Frauen änderte. Es ging nicht Zentrum der Überlegungen – vor allem der CDU-­ mehr um die Entscheidung „Familie oder Beruf“, es Die Teilnahme eines breiten Spektrums von Frauen Zur Begründung des Leitantrags betonte Generalsekre­ Frauenvereinigung. 1964 führte die CDU in Bochum ging für Frauen verstärkt darum, Familie und Berufs­ aus allen gesellschaftlichen Gruppierungen und tär Geißler: „Eine große Volkspartei wie die CDU kann einen ersten „Kongress der berufstätigen Frauen“ tätigkeit vereinbaren zu können. Auch die Frage der ohne Berücksichtigung der Parteizugehörigkeit sollte es sich nicht leisten, die Bedürfnisse, die Lebenspers­ unter dem Thema „Frau und Arbeitswelt – mor­ besseren Ausbildung von Frauen zur Weiterentwick­ eine möglichst umfassende Diskussionsgrundlage pektiven von Frauen zu ignorieren. Das hat nichts mit gen“ durch, der in der Presse auf durchaus positive lung ihrer Chancen auf dem Arbeitsmarkt stand immer gewährleisten. Hierzu wurden 500 Frauen nach Essen Opportunismus zu tun. Es darf einer großen Volkspar­ Resonanz stieß. So schrieb die Bonner Rundschau am mehr im Vordergrund. eingeladen: 150 von ihnen kamen aus Verbänden, tei nicht gleichgültig sein, wie Frauen über sie denken. Sonntag (13. Dezember 1964): „Man muß der CDU weitere 100 aus Vereinigungen der CDU und ihr nahe­ Als große Volkspartei müssen wir uns mit der überwie­ als Pluspunkt zugestehen, daß sie bereit ist, sich den Dies war auch Generalsekretär Heiner Geißler mehr stehender Organisationen. Die andere Hälfte wurde genden Mehrheit der Frauen wegen der nach wie vor Tatsachen zu stellen.“ Am 11./12. April 1969 fand als bewusst, als er 1985 konstatierte: „Eine moderne von der CDU-Basis rekrutiert, um Frauen aus allen vorhandenen massiven Benachteiligungen betroffen ein zweiter Frauenkongress in Ludwigshafen unter und humane Industrienation wie die Bundesrepublik gesellschaftlichen Bereichen zu gewinnen. So waren fühlen.“ Ziel der Politik sollte es sein, „die Vorausset­ dem Titel „Die Frau im Spannungsfeld unserer Zeit“ Deutschland kann im übrigen ohne den Sachverstand im Endeffekt etwa 35 Prozent der Teilnehmerinnen zungen zu schaffen, daß Männer und Frauen ihr Leben statt, auf dem es um eine „Standortbestimmung der und die Kreativität der Frauen die Herausforderung keine CDU-Mitglieder, 29 Prozent waren Hausfrauen, so vielseitig wie möglich gestalten können.“ Frau im Spannungsfeld zwischen familiärer Bindung nicht bestehen, die an sie gestellt werden.“ Die Frauen­ 38 Prozent Arbeitnehmerinnen, 17 Prozent Selbststän­ und gesellschaftlichen Aufgaben“ gehen sollte und vereinigung der CDU war neben dem Generalsekretär dige, elf Prozent Schülerinnen und Studentinnen sowie Nach Begründung und Erläuterung der Leitsätze auf dem die Forderung nach „mehr Teilzeitarbeit für Motor für die sich anbahnenden Veränderungen. drei Prozent Rentnerinnen. Die angestrebte Vielfalt durch den Generalsekretär wurden in drei Foren Frauen“ (Frankfurter Neue Presse, 14. April 1969) als Helga Wex, die Bundesvorsitzende der Frauenvereini­ zeigte sich auch im Alter der Teilnehmerinnen: 35 Pro­ die wichtigsten Themen erörtert. Forum 1 hatte Fazit am Ende stand. gung, formulierte treffsicher: „Es geht nicht darum,für zent waren unter 39 Jahre, 35 Prozent in der Alters­ „Frauen in Beruf und Familie“ zum Thema; Forum 2 Frauen Politik zu machen, sondern mit Frauen.“ Ihr war gruppe 40 bis 50 Jahre, 30 Prozent über 50 Jahre alt. „Frauen im Berufsleben“ und Forum 3 befasste sich mit „Frauen in Politik und Gesellschaft“. Durch eine bezeugt zumindest ein Problembewußtsein, das die Die Themen Frauen in Beruf, Beschränkung der Redezeit auf drei Minuten kamen CDU nicht immer ausgezeichnet hat.“ Sogar die taz Familie und Politik wurden in viele Teilnehmerinnen zu Wort, zudem wurde noch (23. März 1985) kommentierte positiv: „Den fortschritt­ drei Foren diskutiert. eine Forumsdiskussion im Plenum mit den eingelade­ lichen Frauen in der Christen-Union ist nachhaltig der nen 500 Teilnehmerinnen geführt. Eine Vielzahl der Rücken gestärkt worden. Sie sind selbstbewußter und dabei geäußerten Änderungswünsche und Anregun­ aufmüpfiger als zuvor.“ gen fand in den „Leitsätzen der CDU für eine neue Partnerschaft zwischen Mann und Frau“ Berücksich­ Für Helmut Kohl gehörten die mit großer Mehrheit tigung, die der Parteitag mit nur einer Gegenstimme verabschiedeten Leitsätze „zu den wichtigsten pro­ und ohne Enthaltungen verabschiedete. grammatischen Errungenschaften in der Geschichte der Partei“. Viele der Teilnehmerinnen, unter ihnen Der Parteitag fand positiven Nachhall in der Presse. auch die spätere Bundestagspräsidentin Rita Süss­ So attestierte Die Zeit (22. März 1985) der CDU, muth, empfanden nach dem Parteitag „Aufbruch­ einen Lernprozess durchlaufen zu haben: „Die Ent­ stimmung in der Frauenpolitik“. Für Dorothee Wilms, schlossenheit, die Partei zur Beschäftigung mit der die noch zehn Jahre nach dem Parteitag „die überall Rolle der Frau in unserer Gesellschaft zu drängen, in Essen zu spürende ‚lächelnde Nachsichtigkeit‘ vieler

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männlicher Parteifreunde“ kritisierte und monierte, Mehr als schöne Worte – dass die CDU noch immer „hinter den offenkundigen Die Umsetzung der Essener Forderungen faktischen Veränderungen in unserer Welt“ zurück­ blieb, war es wichtig – wie vielen Frauen in der CDU –, Zentrale Forderungen der Essener Leitsätze fanden in keine Fronten aufzubauen, sondern dem Begriff „Part­ den folgenden Jahren Eingang in das Bundesgesetz­ nerschaft“ Inhalt zu geben: „Emanzipation bedeutete blatt. Bereits 1986 konnten das Erziehungsgeld und für sie [die Frauen] nicht die totale Loslösung von der Erziehungsurlaub eingeführt werden. Erziehungs­ dem einen oder anderen Leitbild der Frau, sondern zeiten wurden jetzt bei der Rente angerechnet, das den Versuch, die Frau in ihrer freien Entscheidung zu Kindergeld angehoben, die Hilfen für Alleinerziehende sehen, sich dem einen oder anderen Lebensbereich ausgebaut und Teilzeitarbeit rechtlich abgesichert. Im Roswitha Verhülsdonk, oder beiden zusammen zuwenden zu können – und gleichen Jahr wurde zudem das Bundesministerium Birgit Breuel, Helga dies nicht gegen die Männer gerichtet, sondern in für Jugend, Familie und Gesundheit um den Bereich Wex, Renate Hellwig, Partnerschaft mit ihnen.“ Helga Wex war sich aller­ „Frauen“ erweitert. Im Rahmen der Revision des Hanna-Renate Laurien dings bewusst, dass die Anstrengungen weitergeführt Grundgesetzes nach der Wiedervereinigung wurde und Christa Thoben werden mussten. Auf der 14. Bundesdelegierten­ 1994 das Gleichberechtigungsgebot in Art. 3 Abs. 2 (v. l. n. r.) auf dem tagung der Frauenvereinigung im September 1985 GG ergänzt um den Zusatz: „Der Staat fördert die tat­ 33. Bundesparteitag forderte sie kämpferisch „das Ende der Bescheiden­ sächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von der CDU. heit der Frauen in der CDU“. Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Auf dem Bundesparteitag Maria Böhmer, zu diesem Zeitpunkt Vorsitzende Charme eine ungeheure Durchsetzungsfähigkeit und in Mainz (1986) wurde im sogenannten C-3-Beschluss der Frauenunion, betonte 2010 in einem Interview trägt ein dezentes Make-up. In der CDU haben die außerdem ein Maßnahmenkatalog festgelegt, mit des­ (Die Welt, 11. November 2010) noch einmal den Unter­ Frauen den Marsch durch die Institutionen geschafft.“ sen Hilfe das Ziel der Gleichstellung von Frauen in den schied der CDU-Familienpolitik im Vergleich zu den 15 Jahre nach dem Frauenparteitag bestätigte die FAZ Parteigremien erreicht werden sollte. Zudem wurde anderen Parteien. Die CDU setze „auf Vielfalt und (12. April 2000), dass ein „Generationenwechsel“ statt­ beschlossen, dass der Generalsekretär von nun an Partnerschaft. Wir schreiben den Menschen nicht vor, gefunden habe und die „Frauen auf dem Vormarsch“ auf den Bundesparteitagen über die Entwicklung der wie sie zu leben haben, sondern akzeptieren unter­ seien. innerparteilichen Gleichstellung berichten solle. schiedliche Lebensmodelle. Wir wollen Männer und Frauen nicht gleichmachen.“ Auch habe die Partei eine Die Frauen-Union unter Vorsitz von Annette Widmann-­ Zehn Jahre danach nannte der damalige Generalsekre­ andere Haltung zum Punkt Frau und Karriere: „Frauen Mauz versuchte auf dem 32. CDU-Bundesparteitag, tär Peter Hintze auf einer Jubiläumsveranstaltung den wollen heute im Beruf erfolgreich sein. Deshalb wollen der am 22./23. November 2019 in Leipzig stattfand, Essener Parteitag einen „Meilenstein in der 50-jähri­ wir nicht nur die Vereinbarkeit von Beruf und Familie das vor fast 25 Jahren vereinbarte eher unverbindliche gen Parteigeschichte der Union“, da er die „dringend erleichtern – das ist heute schon selbstverständlich –, Frauenquorum von 33 Prozent in eine feste Quote notwendige Initialzündung für einen dynamischen sondern auch von Karriere und Familie. Die Frauen umzuwandeln. Die Abstimmung über den Antrag Diskussionsprozeß“ gegeben habe, der allerdings noch sollen auch in der Politik und in der Wirtschaft an der wurde wegen der Fülle der zur Debatte stehenden immer andauere. So blieb beispielsweise der Anteil Spitze präsent sein. Auch das muss mit Familie verein­ Themen allerdings auf den nächsten regulären Partei­ der weiblichen Abgeordneten in der Unionsfraktion bar sein.“ Die in Essen festgelegten Prinzipien hatten tag im Winter 2020 verschoben. In der Zwischenzeit bis 1990 kontinuierlich unter zehn Prozent, stieg im noch immer Geltung. soll eine Struktur- und Satzungskommission unter 166 167 12. Deutschen Bundestag auf 13,8 Prozent an und Vorsitz des CDU-Generalsekretärs Paul Ziemiak ein­ erreichte seinen Höhepunkt 2013 (18. Deutscher Bun­ Dass sich bei der CDU seit 1985 einiges verändert gesetzt werden, die für alle annehmbare Vorschläge destag) mit 24,8 Prozent, um 2017 auf 19,9 Prozent hatte, demonstrierte auch der 15 Jahre später erneut erarbeiten soll. abzusinken. in Essen stattfindenden Parteitag (10. bis 11. April 2000). Auch hier kam es wieder zu Ereignissen, die die Literatur Die von Peter Hintze vorbereitete Einführung eines Partei einschneidend verändern sollten. 1998 hatte Frauenquorums, die eine Änderung von § 15 des mit Angela Merkel erstmals eine Frau das Amt des CDU-Frauenvereinigung (Hg.): Der Beitrag der Frauen in der CDU Parteistatuts notwendig machte und bewirken sollte, Generalsekretärs übernommen. Zwei Jahre später zur Politik für eine neue Partnerschaft zwischen Mann und Frau. Eine dass ein Drittel der Ämter und Mandate mit Frauen nahm Merkel erneut eine Vorreiterrolle ein. Auf dem Auswahl in Dokumenten von 1973 bis 1985. O. O. [Bonn] O. J. [1985]. besetzt sein sollte, scheiterte zunächst knapp auf Bundesparteitag wählten sie die Delegierten mit 897 dem Parteitag in Karlsruhe (1995), wurden dann von 935 gültigen Stimmen – was einem Zuspruch von Frauen-Union der CDU (Hg.): 10 Jahre nach dem Essener Parteitag – auf dem Parteitag in Hannover (1996) – mit Unter­ 95,94 Prozent entsprach – und ohne Gegenkandidaten Es geht weiter. Zeitzeuginnen 1985 berichten. Bonn 1995. stützung durch Helmut Kohl – für fünf Jahre befris­ zur ersten Frau im Bundesvorsitz der CDU und auch tet beschlossen und fand dort auch schon bei den erstmals stand damit eine Frau an der Spitze einer Köster, Michael: 50 Jahre Grugahalle. Essen 2008. anstehenden Wahlen Anwendung. Auf dem Parteitag der großen Volksparteien. Ihre Wahl wurde als Beginn in Dresden (2001) wurde das Quorum unbefristet einer neuen Ära in der Partei interpretiert. Die Welt Lindsay, Denise: Helga Wex (1924–1986), in: Historisch-Politische verlängert. Angela Merkel stellte es dort als eine gute (12. April 2000) stellte fest, dass die Partei nun „weib­ Mitteilungen 18 (2011), S. 229–248. Möglichkeit dar, „mehr Frauen dafür zu begeistern, licher“ werde: „Mit diesem Parteitag hat das Macht­ innerhalb der CDU und auch außerhalb der CDU mit­ zentrum der CDU ein neues Gesicht erhalten. Es zeigt Hofe, Ina vom: Die Frauenpolitik der CDU. Traditionen – zuarbeiten“. ein selbstbewusstes Lächeln, verbirgt hinter seinem Entwicklungen – Einflüsse 1945 bis 2013. Sankt Augustin, Berlin 2017. Die Briefe aus Weimar und Neuenhagen stehen für kennen und am Rande dieses Parks findet man auch den von der Parteibasis her eingeleiteten Erneue- die frühere Wohnung des bedeutenden Komponisten rungsprozess der CDU der DDR. Sie stießen eine Franz Liszt. Aber Herzog Carl August war keineswegs Diskussion über die innerparteiliche Demokratie nur ein Schöngeist, sondern auch ein politischer Kopf. und die Zukunft der DDR an. Die einstige Blockpar- Er war der erste Regent in Deutschland, der seinem tei wurde in der Folge Teil der Friedlichen Revolu- Land eine eigene Verfassung gab und die Forderungen tion von 1989/90 und setzte sich für die Einigung der Studenten und Burschenschaftler nach einem ein­ Deutschlands ein. heitlichen deutschen Staat unterstützte, etwa indem er das Wartburgfest gegen den Widerstand Preußens genehmigte und förderte.

Weimar als Ort der Kultur Nach der Novemberrevolution 1918 dankte der und der Vernichtung ­Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach ab: Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs geriet das Deutsche Das frühere „Wigmara“ (erste Erwähnung in einer Reich in eine tiefe Krise. Kriegsschulden und Repara­ Weimar Urkunde des Kaisers Arnulf von Kärnten 899) hat tionen drückten das Volk nieder, die politischen Lager sich Mitte des 18. Jahrhunderts in ein weltbekanntes bekämpften sich, es gab Unruhen auf den Straßen. In Kulturstädtchen verwandelt. Als 1748 Herzog Ernst dem ruhigen und geschichtsträchtigen Weimar, nicht Redaktion von Glaube und Heimat 169 August II. die Thronfolge für den absolutistischen in dem von Unruhen geschüttelten Berlin, wurde die Regenten Ernst August I. von Sachsen-Weimar-Eise­ neue Republik gegründet und Friedrich Ebert zum 1989 nach antrat und mit der 16-jährigen Nichte Friedrichs Reichspräsidenten ernannt. Die Weimarer National­ des Großen Anna Amalia von Braunschweig-Wolfen­ versammlung war das erste frei gewählte deutsche Der Brief aus Weimar und der büttel vermählt wurde, war der Weg in die Zukunft Parlament. Im Deutschen Nationaltheater in Weimar Weser des kleinen Herzogtums vorgezeichnet. Die gebildete verabschiedete die Nationalversammlung die erste Thüringen Welfenprinzessin Anna Amalia holte Christian Martin freiheitliche und in Geltung tretende Verfassung. Brief aus Neuenhagen – Wieland als Erzieher für ihren damals einjährigen Sohn 22 an den Hof und eröffnete damit die kulturelle Blüte Aber Weimar war und ist nicht nur höfische Kunst, Weimar zum demokratischen Erfurt 1 Weimars in der Mitte des 18. Jahrhunderts, die danach Kultur und bürgerliche Bildung – es war eben auch unter ihrem Sohn Carl August weiteren Aufschwung Buchenwald. Karl Kraus hat einmal gesagt, Deutsch­ Erneuerungsprozess in der nahm. Dieser holte 1775 den jungen Johann Wolfgang land ist nicht nur das Volk der „Dichter und Denker“, Goethe nach Weimar und übertrug ihm Regierungs­ sondern auch der „Richter und Henker“. Genau diese CDU der DDR 1988/89 ämter. Später kamen auch Friedrich Schiller, Johann Ambivalenz lässt sich eben auch an Weimar und an Gottfried Herder, Franz Liszt und Richard Wagner nach dem knapp zehn Kilometer entfernten Buchenwald Weimar. Die kleine Stadt wurde zum Treffpunkt der beobachten. In dem von den Nationalsozialisten 1937 Manfred Agethen Dichter und Denker jener Zeit und zum Inbegriff der errichteten Konzentrationslager auf dem Ettersberg deutschen Klassik. Hier befinden sich die früheren wurden Häftlinge aus mehr als 30 Ländern gefangen Wohnhäuser Goethes und Schillers, im Park an der gehalten, von 1941 bis 1943 auch systematisch ermor­ Ilm lernte Goethe seine spätere Ehefrau Christiane det. Viele Häftlinge wurden dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau überstellt. Als Buchenwald am Der Brief aus Weimar Der Brief diente als Sprachrohr der Parteibasis und 11. April 1945 von der US-Armee befreit wurde, waren es wurden alle wesentlichen Kritikpunkte angespro­ dort noch 21.000 Häftlinge, darunter 900 Kinder. Ins­ Für die Geschichte der CDU der DDR spielte Weimar chen, die sich in der Partei gegenüber ihrer Leitung, gesamt wurden im KZ Buchenwald von 1937 bis 1945 im Zuge des demokratischen Umbruchs in der DDR, aber auch gegenüber Staat und Gesellschaft in der circa 40.000 Menschen ermordet. für den sich längst der Begriff „Friedliche Revolution“ DDR ­insgesamt aufgestaut hatten. Latente Kritikbe­ etabliert hat, eine besondere Rolle. Der sogenannte reitschaft innerhalb der Basis war immer wieder an Von 1945 bis 1950 wurde auf dem KZ-Areal das sowje­ Brief aus Weimar wurde in der Redaktion der Thürin­ neuralgischen Punkten der DDR-Geschichte in unter­ tische Speziallager Nr. 2 von der sowjetischen Besat­ ger Evangelischen Kirchenzeitung Glaube und Heimat schiedlicher Intensität sichtbar geworden: beim Juni­ zungsmacht unterhalten, um dort geringfügiger belas­ verfasst und am 10. September 1989 von den Verfas­ aufstand 1953, beim Mauerbau 1961, beim Einmarsch tete NS-Täter und Mitläufer zu internieren, aber auch sern persönlich beim Parteivorstand eingereicht und der Warschauer-Pakt-Truppen in die Tschechoslowa­ Gegner der von den Sowjets installierten kommunisti­ zugleich an alle Kreisverbände verschickt – interes­ kei 1968 oder bei der Verhängung des Kriegsrechts in schen Ordnung, wie z. B. Christliche Demokraten und santerweise am Tag der Gründung der bedeutenden Polen 1981/82. Sozialdemokraten. Auch in dem Speziallager kamen Oppositionsgruppe „Neues Forum“, der zugleich der circa 7.000 Gefangene um. Es war ein sogenanntes Tag der Grenzöffnung Ungarns nach Österreich war. Insbesondere die Stimmungsberichte aus den Kreis- Schweigelager, von der Außenwelt völlig isoliert, die Bei einer Pressekonferenz während der Synode des und Bezirksverbänden der CDU der DDR nach dem Inhaftierten waren zur Untätigkeit verurteilt. Existenz Bunds der Evangelischen Kirchen in der DDR hat­ Volksaufstand im Juni 1953 zeigten das tiefe Miss­ und Wirklichkeit des sowjetischen Speziallagers waren ten die Verfasser den Brief am 6. September bereits trauen vieler Mitglieder gegenüber der eigenen in der DDR-Zeit tabuisiert. bekannt gemacht und so das Interesse westlicher Parteileitung und deren Angepasstheit an die Poli­ 170 171 Medien geweckt. tik der SED, die in den Anfangsjahren allerdings von den sowjetischen Siegern und der SED erzwungen worden war. In der Regel praktizierten CDU-Mitglieder die geforderte Loyalität zur SED, aber sie suchten sich auch Nischen, in denen sie sich dem SED-Druck entzie­ hen und eigene Haltungen einnehmen und verfolgen konnten, etwa zu den Themen Kirchenarbeit, Jugend­ weihe oder Abtreibung.

Die vier Verfasser des Briefs aus Weimar waren alle­ samt Kirchenleute und Mitglieder der CDU der DDR: Martina Huhn, Rechtsanwältin und Mitglied der Syn­ ode des Bunds der Evangelischen Kirchen in der DDR, Martin Kirchner, Oberkirchenrat aus Eisenach, Chris­ tine Lieberknecht, Pastorin aus Ramsla bei Weimar Gottfried Müller und In der Redaktion und spätere Ministerpräsidentin von Thüringen, sowie Christine Lieberknecht von Glaube und Gottfried Müller, Kirchenrat aus Jena, Chefredakteur zählen zu den Verfassern Heimat wurde der der Kirchenzeitung Glaube und Heimat und späterer des Briefs von Weimar. Brief von Weimar Präsident des Thüringer Landtags. verfasst. Der Brief aus Weimar war ein Fanal des Aufbegehrens medien DDR-weit bekannt wurde, bekam eine enorme Vorherrschaft der SED im Blocksystem gegen den anzunehmen, dass es ihm gelungen sein könnte, im großer Teile der CDU-Basis gegenüber ihrer Partei­ machtpolitische Bedeutung, weil er das Schweigen gemeinsamen Gegner, die sich formierende Opposi­ Auftrag seiner Leitungsoffiziere Strategien zu entwi­ leitung. Er sprach wesentliche Unzulänglichkeiten und und die Angstschwelle überwand und den Unmut tion in der DDR, durch das Angebot bzw. die Forde­ ckeln, die Revolution aufzuhalten oder im Sinne der konkrete politische Probleme an: Reisebeschränkun­ artikulierte. Aus der Sicht der Parteileitung erfüllte er rung nach innenpolitischen Lockerungen zu retten. alten politischen Muster umzulenken – etwa nach dem gen, Flüchtlingswelle, Behinderung der Pressefreiheit, strafrechtlich den Tatbestand der „staatsfeindlichen Seiner Ansicht nach war der Brief aus Weimar also Prinzip: Mithelfen, ein „Reförmchen“ oder eine kleine Schönfärberei der Medien, notwendige Erneuerung Hetze“, die Weitergabe konnte mindestens zu Geld­ einen Pseudo-Reformversuch, getragen vor allem von Revolution anzustoßen, um eine große zu verhindern. des Wahlgesetzes – mit latenten Hinweisen auf Unre­ bußen führen. einem vielfach mit „pro-sozialistischen Positionierun­ Das wäre allerdings ein riskantes Unternehmen gewe­ gelmäßigkeiten bei der Kommunalwahl vom 7. Mai gen“ hervorgetretenen Müller und einer „Marxismus- sen, da man die Folgen gar nicht absehen konnte und 1989 –, obrigkeitliche Bevormundung der Bürger, feh­ Die im Anschluss an den Brief in der Parteizentrale affinen Pastorin“ (Lieberknecht). es ja auch „grandios“ misslungen wäre. lender Einblick in die tatsächliche wirtschaftliche Lage eingehenden Reaktionen ließen klar erkennen, dass des Lands und nicht zuletzt die Basisferne der Partei­ die Reformvorstellungen der „Weimarer“ einem brei­ Dass auch die CDU der DDR, wie alle DDR-Parteien, mit leitung und der dadurch bedingte Vertrauensverlust. ten Konsens an der Basis entsprachen. Als der Brief Informellen Mitarbeitern des Ministeriums für Staats­ vier Wochen nach seinem Bekanntwerden noch immer sicherheit durchsetzt war, ist gar keine Frage. Dass Der Brief aus Neuenhagen Bei aller parteiinternen und gesamtgesellschaftlichen nicht von der Parteileitung veröffentlicht worden war, aber der Brief aus Weimar geradezu ein Produkt der Kritik verblieben die Verfasser aber doch – ganz wie mahnte Gottfried Müller den Parteichef Gerald Götting Stasi gewesen sein könnte – wie Martin Debes in einer Der Brief aus Weimar hatte bereits einen Vorläufer die übrige Protest- und Reformbewegung des Herbsts am 10. Oktober 1989, sein Stillschweigen endlich zu Lieberknecht-Biografie von 2014 nahelegt – ist weit gut ein Jahr zuvor, der jenen sogar an Entschieden­ 1989 – auf dem Boden einer sozialistischen Staatsidee. brechen: „Sagen Sie, dass die Ausreisetragödie ihren hergeholt und durch Quellen nicht belegbar. Zwar gab heit des Reformverlangens und letztlich auch an Aber der Brief, der von Weimar aus (hier lebten die eigentlichen Ursprung in unserem Land selbst hat, es auch in der Weimarer Gruppe einen IM in Gestalt persönlichem Mut noch übertraf: den sogenannten 172 173 Hauptverfasser Müller und Lieberknecht) über West­ in der Bevormundung der Bürger, im mangelhaften des Oberkirchenrats Martin Kirchner, der auch rasch Brief aus Neuenhagen vom 27. Juni 1988. In der CDU- Dialog zwischen Volk und Führung, in Vorenthaltun­ Generalsekretär der CDU wurde. Er wurde aber schon Ortsgruppe Neuenhagen am östlichen Stadtrand von gen der Reisefreiheit, in Mängeln der Wirtschaft, im im August 1990 enttarnt und verlor sein Amt. Und da Berlin wurden unter der Leitung der Ortsgruppenvor­ unerträglichen Zwiespalt zwischen der Wirklichkeit er in der Weimarer Vierergruppe kaum Einfluss auf sitzenden Else Ackermann, einer Medizinerin, schon und ihrer Darstellung in den Medien.“ Sprache und Inhalte des Briefs gehabt hatte, ist nicht im Sommer 1988 provokante Vortragsveranstaltun­ gen unter dem Leitthema „Brauchen wir mehr Demo­ Am 1. November 1989 suchten einige reformwillige kratie?“ durchgeführt. Kräfte der CDU der DDR, darunter auch die Verfasser des Briefs, Götting in Berlin auf und legten ihm den In ihrem Brief wandten sich die Neuenhagener unmit­ Rücktritt nahe, den er auch tatsächlich tags darauf telbar an Parteichef Götting und spielten dabei schon vollzog. Die Anwesenheit der „Weimarer“ bei jenem auf einen zu vollziehenden Rücktritt an, weil von „natür­ Abschiedsgespräch mit Götting zeigt den unmittelba­ lichen Abnutzungserscheinungen“ bei langjährigem Par­ ren Einfluss des Briefs aus Weimar auf die Abschaffung teivorsitz die Rede war. Götting war von 1949 bis 1966 der alten Parteileitung der CDU der DDR. Generalssekretär und von 1966 bis 1989 Vorsitzender der CDU gewesen und hatte diese nahezu autokratisch An dieser Stelle sollen zwei extrem kritische Stimmen Else Ackermann geführt. zum Brief aus Weimar nicht unterschlagen werden. war eine der Der Historiker Christoph Wunnicke sieht im Brief aus Autorinnen Deutlicher als der Brief aus Weimar hob der Neuen­ Der Brief von Weimar vom Weimar keineswegs ein Aufbruchsignal der Block­ des Briefs von hagener Brief auf notwendige Veränderungen in 10. September 1989. partei CDU. Er sei eher ein Versuch gewesen, die Neuenhagen. der DDR überhaupt ab, ist aber ansonsten nahezu identisch mit den Monita des Briefs aus Weimar: die Die CDU der DDR als Teil Unter dem Motto „Erneuerung und Zukunft“ präsen­ Basisferne und SED-Angepasstheit von Staats- und der Friedlichen Revolution tierte sich hier eine personell, organisatorisch und Parteifunktionären, die Gleichschaltung der Medien, programmatisch völlig veränderte CDU der DDR. der Mangel an geistigem Pluralismus, die Entmündi­ Nachdem die Briefe aus Neuenhagen und aus Wei­ Der alte Hauptvorstand gestand ein, dass die Partei­ gung der Bürger und natürlich die Ausreiseproblema­ mar parteiinterne Schleusen geöffnet hatten, war spitze die demokratische Umgestaltung der Partei von tik. Götting ließ alle greifbaren Exemplare des Briefs es kein Wunder, dass nun vor dem Hintergrund der unten her nicht unterstützt und an einem „zu leeren einsammeln und verbrennen. gesamtgesellschaftlichen Oppositionsbewegung die Formeln gewordenen Parteienbündnis“ festgehalten kritischen Stimmen schärfer wurden und zum Teil habe. De Maizière betonte in seinem Grundsatzre­ Der Neuenhagener ist also dem Weimarer Brief durch­ den DDR-Sozialismus selbst substanziell angriffen. ferat die Mitschuld seiner Partei an den „Deforma­ Literatur aus gleichwertig an die Seite zu stellen – nur war die So wurde zum Beispiel gesagt: „Immer öfter tauchen tionen“ in der DDR: „Sie hat sich der Diktatur unter­ Zeit noch nicht reif gewesen für Wirkungen und Fol­ Zweifel auf, ob unsere Planwirtschaft in ihrer gegen­ worfen und hat sie mitgetragen.“ Er bekannte sich zu Agethen, Manfred: Unruhepotentiale und Reformbestrebungen an gen, wie sie dann der Brief aus Weimar hervorbrachte. wärtigen Form noch vertretbar ist, weil nach Aus­ innerparteilicher und parlamentarischer Demokratie, der Basis der Ost-CDU im Vorfeld der Wende: Der „Brief aus Weimar“ Beide Briefe waren Kristallisationspunkte eines breiten sagen bewährter Wirtschaftskader planmäßig nichts zu ökologisch-sozialer Marktwirtschaft und zur natio­ und der „Brief aus Neuenhagen“, in: Historisch-Politische Mitteilun­ Reformverlangens an der Basis der CDU der DDR. Sie mehr laufe.“ nalen Einheit. gen 1 (1994), S. 89–114 (https://www.kas.de/c/document_library/get_ spielten beim Selbstbefreiungsprozess der CDU aus file?uuid=b8e057e4-5298-9ee2-1fa8-697320f95979&groupId=252038 der Umklammerung der SED eine zentrale Rolle. Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass Mit diesen Maximen gelang der Partei der große (Abruf: 29.01.2020)). der in Gang gesetzte Reformprozess nun zügig verlief. Erfolg bei der Volkskammerwahl im März 1990: Sie Göttings Rücktritt als Parteichef am 2. November 1989 wurde mit „Flankendeckung“ durch die Bundespar­ Neubert, Ehrhart: Der Brief aus Weimar: Zur Selbstbefreiung der CDU 174 175 wurde bereits erwähnt. Am 9. November 1989 tagte tei in Westdeutschland und im Verbund der „Allianz im Herbst 1989. Sankt Augustin 2014. in der Friedrichstadtkirche in Berlin eine Gruppe von für Deutschland“ stärkste Partei mit 46,5 Prozent CDU-Mitgliedern auf Initiative von Gottfried Müller. der Stimmen. Lothar de Maizière, der eine rasche Richter, Michael: Aufbruch an der Basis: Zur Situation in der Ost-CDU Hier wurde gefordert: Rücktritt der führenden Gre­ Wiedervereinigung anstrebte, wurde mit der Regie­ vom Beginn der Gorbatschowschen Reformpolitik bis zum Sonderpartei­ ­ mien, Einberufung eines Sonderparteitags, Wieder­ rungsbildung beauftragt, und so war die CDU der tag im Dezember 1989. Eine Dokumentation, in: Historisch-Politische herstellung der alten Länder und Herausstellen der DDR am Prozess der Deutschen Einheit maßgeblich Mitteilungen 8 (2001), S. 189–240 (https://www.kas.de/c/document_lib­ nationalen Identität der Partei. Solcher Erneuerungs­ beteiligt. Gottfried Müller, der Hauptverfasser des rary/get_file?uuid=c1f905e8-c652-28a1-764a-3afdf2b1ada8&grou­ wille wurde natürlich durch den am selben Tag voll­ Weimarer Briefs, wurde bei jenem Sonderparteitag pId=252038 (Abruf: 29.01.2020)). zogenen Fall der Berliner Mauer beschleunigt. zu einem der drei Stellvertreter de Maizières in den Parteivorsitz gewählt und später zum Medien- und Salten, Oliver: Die CDU in der DDR im Lichte der Forschung (1990– Zu Göttings Nachfolger wurde am 10. November Informationsminister ernannt. 2015), in: Historisch-Politische Mitteilungen 22 (2015), S. 343–408. 1989 Lothar de Maizière gewählt. Dieses Votum wurde durch die kurz zuvor demokratisch gewählten Orts- Schmidt, Ute: Von der Blockpartei zur Volkspartei? Die Ost-CDU im und Kreisverbandsdelegierten des Sonderparteitags Umbruch 1989–1994 (Schriften des Zentralinstituts für sozialwissen­ vom 15./16. Dezember 1989 in Berlin bestätigt, der schaftliche Forschung der Freien Universität Berlin 81). Opladen 1997. sowohl von den Weimarern als auch von den Neuen­ hagenern gefordert worden war. Wunnicke, Christoph: Die Blockparteien der DDR: Kontinuität und Transformation 1945–1990 (Schriftenreihe des Berliner Landes­ Die Asche des Briefs beauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der von Neuenhagen. ehemaligen DDR, Bd. 34) Berlin 2014. Wiederholt führte die CDU ihre Bundesparteitage in zierter Vorgang bestimmt von gegenseitigem Miss- Hamburg durch. Oft entwickelten sie sich zu wichti- trauen, zögerlichen Entscheidungen, dem langsamen gen Wegmarken in der Parteigeschichte. So wurde Schaffen von Vertrauen und dem Schließen von Kom- 1953 im Deutschen Schauspielhaus das Hamburger promissen auf beiden Seiten“ (Hanns Jürgen Küsters). Programm zur Wahl des 2. Deutschen Bundestags verabschiedet. 1957 beschloss ein Bundesparteitag in der Staatsoper das Hamburger Manifest, in dem die Einheit Deutschlands, Wohlstand für alle und Sprachlosigkeit zwischen West und Ost weltweiter Frieden gefordert wurden. Auf dem Ham- burger Bundesparteitag 1973 rangen die Delegierten Nach der erzwungenen Gleichschaltung der CDU in um die Position in der Mitbestimmungsfrage und der DDR durch die sowjetische Besatzungsmacht und beschlossen Leitlinien zum sozialen Baubodenrecht, die SED brach die CDU im Westen den Kontakt zu ihrer zur Vermögenspolitik und zur beruflichen Bildung. Schwesterpartei im Osten ab. Sie warf der Führung der 1994 stand die Verabschiedung des ersten gesamt- CDU (Ost) vor, sich den Interessen der Sowjetunion deutschen Grundsatzprogramms der CDU auf der und der SED vollkommen unterworfen zu haben und Hamburg Tagesordnung. lediglich die Funktion einer Blockpartei im politischen System der DDR zu erfüllen. Daher bestand kein weite­ Seit 1973 nutzte die CDU das auf dem Messegelände res Interesse mehr an Kontakten zur Parteispitze oder Congress Centrum Hamburg 177 neu errichtete Congress Centrum Hamburg (CCH – führenden Funktionären. Anders bewertete die CDU in seit 2004 Congress Center Hamburg) als Tagungs- der Bundesrepublik die Mitglieder der CDU (Ost). Hier 1990 stätte. Es galt zum Zeitpunkt seiner Eröffnung als ging man davon aus, dass viele Mitglieder noch den das modernste Kongresszentrum Europas, mit einer ursprünglichen demokratischen Idealen und Zielen Die Wiedervereinigung Grundfläche von 21.500 Quadratmetern, auf denen der CDU treu geblieben waren, auch wenn sie diese in den verschiedenen Sälen bis zu 10.000 Menschen in ihrer Heimat nicht mehr offen artikulieren durften. der CDU Platz finden. Genutzt wird das Kongresszentrum bis Diesen Mitgliedern stand im Westen die 1950 als Lan­ Kiel heute für Kongresse, Messen, Konzerte oder Aus- desverband der Bundes-CDU gegründete Exil-CDU als stellungen. Ansprechpartner zur Verfügung, die sich als die „recht­ David Maaß Schleswig-Holstein mäßigen Repräsentanten“ der Christlichen Demokraten Am 1./2. Oktober 1990 war das CCH Schauplatz eines in der DDR verstand. Anlässlich eines Kontaktversuchs Bundesparteitags von historischer Bedeutung. Der vonseiten der CDU (Ost) 1966 unterstrich das Präsi­ Lübeck 38. und letzte Bundesparteitag der CDU (West) war dium der CDU (West) seine Haltung, direkte Gespräche zugleich der erste Parteitag der gesamtdeutschen mit der Führung der CDU in der DDR abzulehnen. Nach 23 CDU. Hier wurde die Vereinigung der CDU-Verbände dem Abschluss des Grundlagenvertrags zwischen der in West und Ost vollzogen und damit der Schluss- Bundesrepublik und der DDR 1972 kam es jedoch ver­ Hamburg punkt gesetzt hinter einen Prozess der Wiederannä- mehrt zu Begegnungen mit Funktionären und Mitglie­ herung der beiden christlich-demokratischen Parteien dern der CDU (Ost) auf den verschiedensten Ebenen, nach der Wende in der DDR. Diese Entwicklung war etwa im Rahmen von kommunalen Begegnungen. Es keine Selbstverständlichkeit und kein Automatismus, handelte sich hierbei allerdings nicht um Kontakte auf „sondern in Wirklichkeit ein komplexer und kompli- Parteiebene. Im Congress Centrum Hamburg fand Durch den Mauerfall vom 9. November und die Ablö­ Bis Ende Januar 1990 blieb die Spitze der Bundespartei der letzte Bundesparteitag der CDU sung des langjährigen und reformunwilligen Partei­ dennoch bei ihrem Kurs, die Kontakte zur CDU (Ost) (West) und zugleich der erste Parteitag vorsitzenden der CDU (Ost) Gerald Götting durch insbesondere auf regionaler und kommunaler Ebenen der gesamt­deutschen CDU statt. Lothar de Maizière stieg trotz weiterhin vorhandener fortzusetzen, aber gleichzeitig den anderen Reform­ Skepsis die Bereitschaft auf westdeutscher Seite, das parteien und Gruppierungen in der DDR – wie dem Verhältnis zur CDU (Ost) zu überprüfen und auszu­ Demokratischen Aufbruch – ebenfalls Bereitschaft zur loten, inwiefern die CDU (Ost) für eine partnerschaft­ Kooperation zu signalisieren. Bei einer Diskussion auf liche Zusammenarbeit infrage kam. So führte Rühe in einer Sitzung des CDU-Bundesvorstands am 23. Januar Kohls Auftrag am 24. November ein erstes informel­ 1990 zeigte sich jedoch bereits, dass mehrere Bundes­ les Gespräch mit de Maizière mit dem Ziel zu prüfen, vorstandsmitglieder die CDU (Ost) mittlerweile als ob die CDU (Ost) sich aus der Umklammerung der „natürlichen Partner“ (Wolfgang Schäuble) und deren SED und vom Sozialismus zu lösen und auf das Ziel Mitglieder als Christliche Demokraten „wie wir“ (Sieg­ einer parlamentarischen Demokratie mit einer markt­ fried Dübel) betrachteten. Kohl zögerte allerdings eine wirtschaftlichen Wirtschaftsordnung umzuschwenken Festlegung auf die CDU (Ost) als Hauptpartner hinaus, bereit war. Zu diesem Zeitpunkt war in der CDU (Ost) da er befürchtete, dass diese als ehemalige Blockpar­ noch die Idee von einem „demokratischen Sozialis­ tei in der Bevölkerung zu diskreditiert wäre, um bei mus“ weit verbreitet. freien Wahlen erfolgreich sein zu können. 178 179 Wiederannäherung nach Volker Rühe vertrat. Auch Bundeskanzler Helmut Kohl Am 11. Dezember 1989 betonte Rühe auf der Sitzung Ein Streitpunkt zwischen West und Ost war in die­ der politischen Wende sprach sich dafür aus, die 1966 bekräftigte Linie beizu­ des Bundesausschusses, an der auch Vertreter der sem Zusammenhang der Verbleib der CDU-Minister behalten und auf die Aufnahme und Pflege offizieller CDU (Ost) und des Demokratischen Aufbruchs teil­ in der Regierung des SED-Ministerpräsidenten Hans Im Zuge der politischen Wende in der DDR 1989, die Kontakte zu verzichten. Allerdings riet er auch dazu, nahmen, die Bereitschaft der westdeutschen CDU, Modrow. De Maizière selbst fungierte dabei als stell­ auch die CDU erfasste und innerhalb der Partei den gegenüber Reformkräften keine Berührungsängste zu mit allen Parteien in der DDR zusammenzuarbeiten, vertretender Ministerpräsident. Während die CDU Wunsch nach Reformen spürbar werden ließ, kam es zeigen. Zu diesem Zeitpunkt bevorzugte er jedoch die die sich für die deutsche Einheit, die Soziale Markt­ (West) von ihrer „Schwesterpartei“ den Ausstieg aus zu ersten Annäherungsversuchen zwischen West und Kontaktpflege zu Oppositionsgruppen außerhalb der wirtschaft und die Schaffung eines demokratischen der Regierung verlangte, um dadurch die Distanz zur Ost. Eine erste Initiative ergriff hierbei der Landesver­ CDU (Ost) wie dem Demokratischen Aufbruch. Rechtsstaats einsetzten. Auf ihrem Sonderparteitag SED und zum alten System zu vergrößern, lehnte de band Hessen, dessen Generalsekretär Franz Josef Jung am 15./16. Dezember 1989 trug dem die CDU (Ost) Maizière diese Forderung zunächst ab. Er befürchtete, am 20. September 1989 die Reformkräfte aus der CDU Andere führende Vertreter der Partei setzten sich Rechnung und bekannte sich ausdrücklich zur Rechts­ dass der Austritt der CDU aus der Regierung das Land (Ost) zu einem Deutschlandkongress seines Landes­ dagegen für intensive informelle Kontakte ein mit staatlichkeit, den Menschenrechten und der Gewal­ ins Chaos stürzen könnte. Die CDU sollte daher als für verbands einlud und ihnen politische Unterstützung dem Ziel, die Reformkräfte innerhalb der CDU (Ost) tenteilung. Auch zur Wiederherstellung der deut­ das „Unheil“ der Vergangenheit mitverantwortliche für ihre weiteren Reformbestrebungen zusagte. dabei zu unterstützen, die Partei aus der Abhängig­ schen Einheit gab der Sonderparteitag ein Bekenntnis Gruppierung weiterhin Verantwortung übernehmen. keit gegenüber der SED zu lösen. Zu den Fürspre­ ab. Dem Sozialismus – auch in erneuerter Form – Im Präsidium der CDU (West) dominierte jedoch die chern dieser Position zählten insbesondere der erteilten die Delegierten dagegen eine Absage. Die Der anhaltende Druck aus dem Westen veranlasste Skepsis gegenüber einer Annäherung an die gleichna­ ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin Anerkennung der führenden Rolle der SED hatte sie die Führung der CDU (Ost) schließlich zum Umdenken. mige Partei in der DDR, deren Führung man weiterhin Eberhard Diepgen, der hessische Ministerpräsident bereits im November aus ihrer Satzung gestrichen. Am 25. Januar 1990 erklärte das Präsidium der CDU als einen abhängigen Bündnispartner der SED und von Walter Wallmann, der langjährige Vorsitzende der (Ost) den Rückzug ihrer Minister aus der Regierung. Mitarbeitern der Staatssicherheit durchsetzt betrach­ Jungen Union Christoph Böhr und der Vorsitzende Verknüpft wurde der angekündigte Rückzug mit der tete – eine Position, die insbesondere Generalsekretär der Exil-CDU Siegfried Dübel. Forderung nach einer Regierungsbeteiligung der sich in der Wendezeit gebildeten neuen Parteien und triumphalen Wahlsieg der Allianz bei der Volkskam­ Ost. Mit Blick auf die gleichfalls bevorstehende erste Gruppierungen, die bereits zusammen mit den Macht­ merwahl. Mit rund 48 Prozent, darunter 40 Prozent gesamtdeutsche Bundestagswahl und einen drohen­ habern des alten Regimes am sogenannten Runden für die CDU, erhielt das Bündnis beinahe die absolute den Machtverlust wurde dieser von Helmut Kohl vor­ Tisch mitwirkten. Dazu gehörten insbesondere die Mehrheit der Stimmen. Lothar de Maizière konnte angetrieben. So drängte er ab der zweiten Maihälfte wiedergegründete SPD, aber auch Bürgerrechtsini­ unter Führung der CDU und der Allianz eine Regierung auf eine schnelle Vereinigung der beiden Parteien. tiativen wie das Neue Forum und der Demokratische bilden. Das Ergebnis war ein Plebiszit für die Wieder­ Aufbruch. Letztendlich einigten sich die Vertreter der vereinigung und eine Bestätigung des deutschland­ Bereits im Zeitraum von Januar bis März 1990 hatte SED und der anderen Regierungsparteien mit den politischen Kurses von Helmut Kohl. die CDU in der DDR mit der Gründung von Landesver­ Vertretern der Oppositionsgruppen auf deren Eintritt bänden Anpassungen an die Strukturen ihrer Schwes­ in die Regierung Modrow, woraufhin auch die CDU terpartei im Westen vorgenommen. Zugleich knüpfte der Regierung weiter angehörte. sie damit an ihre bis 1952 bestehende Organisations­ Die CDU auf dem Weg zur struktur an. Im August und September 1990 traten gesamtdeutschen Partei der Demokratische Aufbruch und die Demokratische Bauernpartei den Landesverbänden der CDU bei. Die Gründung der Allianz Mit ihrem überragenden Wahlergebnis hatte sich die für Deutschland CDU als der eigentliche Anker innerhalb der Allianz Da das Statut der CDU (West) einen Zusammenschluss etabliert. Dies blieb nicht ohne Folgen für den weiteren mit einer anderen Partei nicht vorsah, planten die Spit­ Die Vorverlegung des Termins für die ersten freien Annäherungsprozess zwischen den christlich-demo­ zen der beiden Schwesterparteien den Beitritt der CDU 180 181 Wahlen der Volkskammer vom 6. Mai auf den 18. März kratischen Parteien in Ost und West, da diese nunmehr (Ost) zur CDU (West). Formal sollte dies durch den Bei­ beschleunigte den Annäherungsprozess zwischen als der zentrale Partner der CDU im Westen anerkannt tritt der Landesverbände der CDU in der DDR vollzogen West und Ost. In der CDU (West) wuchs der Wunsch, wurde. Bereits am Tag nach der Volkskammerwahl ver­ werden. Die alternative Möglichkeit, die CDU (Ost) als sich auf einen Ansprechpartner in der DDR festzu­ kündete Helmut Kohl im Bundesvorstand als Ziel die Ganzes der bundesdeutschen CDU beitreten zu lassen, legen. Schließlich entschied sich die Parteiführung zu Herstellung einer gesamtdeutschen Partei. wurde dagegen verworfen. Die Rolle des Vorreiters einer Doppelstrategie. So sollten die starken logisti­ übernahm der Landesverband Berlin, dessen west­ schen Ressourcen der CDU (Ost) für den Wahlkampf Wenige Tage nach der Volkskammerwahl kamen liche wie östliche Kreisverbände sich am 8. September Die Vorsitzenden der CDU in West und Ost: genutzt werden können. Gleichzeitig sollte die ehema­ die Spitzen der die Allianz für Deutschland tragen­ zusammenschlossen. Alle weiteren Landesverbände Helmut Kohl (l.) und Lothar de Maizière. lige Blockpartei in ein Bündnis mit unbelasteten und den Parteien im Gespräch mit Helmut Kohl und beschlossen ihren Beitritt zur CDU (West) auf Partei­ unverbrauchten oppositionellen Gruppen eingebettet dem CSU-Vorsitzenden Theo Waigel darin überein, tagen im August und September. werden, um somit trotz der Vergangenheit für breite die erfolgreiche Zusammenarbeit im Wahlkampf Wählerschichten wählbar zu werden. auch in Parlament und Regierung fortzusetzen. So wurde beschlossen, in der Volkskammer eine Am 5. Februar wurde die Allianz für Deutschland aus Arbeitsgemein­schaft der Abgeordneten der Allianz Der Hamburger Einigungsparteitag beschlossen innerhalb einer Stunde die für den Beitritt der Taufe erhoben, ein Bündnis bestehend aus der für Deutschland zu gründen. Die Unionsparteien der CDU (Ost) und die Durchführung des Einigungspar­ CDU (Ost), der von der CSU maßgeblich unterstützten sicherten den Parteien der Allianz die Unterstützung Zwei Tage vor der deutschen Wiedervereinigung fand teitags satzungsrechtlichen Voraussetzungen. Deutschen Sozialen Union (DSU) und dem Demokra­ im bevorstehenden Kommunalwahlkampf zu. am Vormittag des 1. Oktober der 38. Bundesparteitag tischen Aufbruch. Der Rückgriff auf die intakte Orga­ der CDU (West) in Hamburg statt. Die 250 Delegierten Um 13.21 Uhr eröffnete Helmut Kohl den Vereini­ nisationsstruktur der CDU in der DDR und die breite Parallel zu den Verhandlungen zur Wiederherstellung aus den Landesverbänden der CDU in der DDR durften gungsparteitag als ersten Parteitag der gesamtdeut­ Unterstützung der Bundespartei wie der Landesver­ der deutschen Einheit auf staatlicher Ebene verlief dem Parteitag beiwohnen, sich aber noch nicht an schen CDU. Er gab in seiner Begrüßungsansprache bände der bundesdeutschen CDU ermöglichten den der Prozess der Vereinigung der CDU in West und den Abstimmungen beteiligen. Die 750 Delegierten seiner Freude über die bevorstehende Wiedervereini­ gung Deutschlands sowie der Wiedervereinigung der ter der Landesverbände Brandenburg, Mecklenburg- einzigen stellvertreten Parteivorsitzenden gewählt. CDU Ausdruck. Kohl gedachte der Gründungsväter der Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Auch auf den weiteren Positionen des neugewählten Union in West und Ost und der Opfer, die sie in der die Erklärung zum Beitritt ab. Die Vertreterin des Lan­ Präsidiums und Bundesvorstands der Partei fanden nationalsozialistischen und kommunistischen Diktatur desverbands Berlin (Ost) erklärte, dass dieser bereits mehrere Persönlichkeiten aus den neuen Landesver­ zu erbringen hatten. Er erinnerte ferner an das auf durch die Verschmelzung mit dem Landesverband bänden Berücksichtigung. dem ersten Bundesparteitag der CDU (West) 1950 in Berlin (West) Teil der gesamtdeutschen CDU geworden Goslar verabschiedete Bekenntnis zu „Gesamtdeutsch­ sei. Mit der Abgabe dieser Erklärungen stellte Rühe Am 2. Oktober verabschiedete der Parteitag ein­ land als Aufgabe und staatlicher Gestalt“ und daran, den Vollzug der Einheit der Christlich Demokratischen stimmig ein „Manifest zur Vereinigung der Christ­ Literatur dass die CDU immer an der „Einheit der Nation“ fest­ Union Deutschlands fest. lich Demokratischen Union Deutschlands“. Unter gehalten hatte. Mit der Wiederherstellung der staat­ der Überschrift „Ja zu Deutschland – Ja zur Zukunft“ Küsters, Hanns Jürgen: Die Vereinigung von CDU (Ost) und CDU lichen Einheit erfüllte sich laut Kohl auch die Vision Nach dem Absingen der Nationalhymne begann das bekannten sich darin die Delegierten zu den gemein­ (West) 1990, in: Historisch-Politische Mitteilungen 18 (2011), S. 167–192 der Gründungsväter der Union. Für die Zukunft rief er normale Parteitagsgeschäft mit Berichten und Reden, samen Wurzeln und Grundwerten, zur ökologischen (https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=845e291d-54c4- seine Parteifreunde dazu auf, „die Einheit [zu] gestal­ darunter einer Einstimmung Helmut Kohls zu Wahlen wie Sozialen Marktwirtschaft und zur europäischen 1947-ca50-3b66dc5b4a95&groupId=252038 (Abruf: 29.01.2020)). ten und mit ganzer Kraft unseren Beitrag dazu [zu] zum Vorstand sowie der Beratung und Beschluss­ Einigung. Mit dem Ende des Parteitags war die orga­ leisten, aus dem wiedervereinigten Deutschland ein fassung von Anträgen. Bei den Wahlen zum Vorstand nisatorische „Wiedervereinigung“ der CDU in Ost und Richter, Michael: Aufbruch an der Basis. Zur Situation in der Ost-CDU freies, ein blühendes Land zu machen“. Anschließend wurde Kohl mit dem Rekordergebnis von 98,5 Pro­ West abgeschlossen. Am darauffolgenden Tag, dem vom Beginn der Gorbatschowschen Reformpolitik bis zum Sonderpar­ nahm der geschäftsführende stellvertretende Vorsit­ zent der Stimmen wieder zum Vorsitzenden gewählt. 3. Oktober 1990, folgte die Vollendung der staatlichen teitag im Dezember 1989. Eine Dokumentation, in: Historisch-Politische zende der CDU in der DDR Horst Korbella zusammen Der ehemalige Vorsitzende der CDU (Ost) und noch Wiedervereinigung. Um die Wiederherstellung der Mitteilungen 8 (2001), S. 189–240 (https://www.kas.de/c/document_­ 182 183 mit Volker Rühe die Aufnahme der Landesverbände in amtierende Ministerpräsident der DDR, Lothar de inneren Einheit musste in Staat wie Partei noch gerun­ library/get_file?uuid=c1f905e8-c652-28a1-764a-3afdf2b1ada8&grou­ die gesamtdeutsche CDU vor. Hierzu gaben die Vertre­ Maizière, wurde mit 97,4 Prozent der Stimmen zum gen werden. Zu unterschiedlich waren die Biografien pId=252038 (Abruf: 29.01.2020)). und Erfahrungen der Vergangenheit in zwei völlig unterschiedlichen politischen Systemen, als dass das Richter, Michael: Die Bildung der Allianz für Deutschland, in: Histo­ Zusammenwachsen gänzlich ohne Reibungen erfol­ risch-Politische Mitteilungen 15 (2008), S. 335–346 (https://www.kas. gen konnte. de/c/document_library/get_file?uuid=2d4da336-94a3-3a3f-841c-5ca­ 7ebf1ecf0&groupId=252038 (Abruf: 29.01.2020)). Für die CDU steht der Hamburger Parteitag zum einen für die Wiedergewinnung der inneren Einheit Richter, Michael: Die Blockpartei CDU und die friedliche Revolution der Partei. Zum anderen steht der Parteitag aber 1989/90, in: Tilman Mayer (Hg.): Deutscher Herbst 1989. Berlin 2010, auch symbolisch für die Vollendung der staatlichen S. 119–127. Einheit, um die die CDU seit ihrer Gründung stets und letztendlich unter der Führung von Helmut Kohl Richter, Michael: Zur Entwicklung der Ost-CDU vom Januar 1990 bis erfolgreich gerungen hat. zum Vereinigungsparteitag am 1. Oktober 1990, in: Michael Richter/ Martin Rißmann (Hg.): Die Ost-CDU. Weimar 1995.

Wirth, Günter: Zu Transformationsprozessen in der DDR-CDU 1989/90, Übersicht des ersten in: Historisch-Politische Mitteilungen 8 (2001), S. 241–265 (https://www. gesamtdeutschen kas.de/c/document_library/get_file?uuid=5f488230-bbef-03a0-f410- Parteitags der CDU. 5fa2b9a242d1&groupId=252038 (Abruf: 29.01.2020)). Abkürzungsverzeichnis

ADGB Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund FDGB Freier Deutscher Gewerkschaftsbund BeNeLux Benelux-Wirtschaftsunion, Beneluxländer bestehend aus Belgien, Niederlande und Luxemburg FDJ Freie Deutsche Jugend BVP Bayerische Volkspartei FDP Freie Demokratische Partei CCH Congress Centrum Hamburg, Congress Center Hamburg Gedag Gesamtverband deutscher Angestelltengewerkschaften CD-Fraktion Christlich-demokratische Fraktion Gestapo Geheime Staatspolizei CDA Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft, CDU-Sozialauschüsse HVHS Heimvolkshochschule CDU Christlich Demokratische Union JU Junge Union CSU Christlich-Soziale Union KPD Kommunistische Partei Deutschlands CVP Christliche Volkspartei KZ Konzentrationslager DBD Demokratische Bauernpartei Deutschlands MIT Mittelstands- und Wirtschaftsunion, Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU DDP Deutsche Demokratische Partei NATO North Atlantic Treaty Organization, Nordatlantikpakt-Organisation 184 DDR Deutsche Demokratische Republik NDPD National-Demokratische Partei Deutschlands 185 DGB Deutscher Gewerkschaftsbund NEI Nouvelles Equipes Internationales DHV Deutschnationaler Handlungsgehilfen-Verband NS Nationalsozialismus DNVP Deutschnationale Volkspartei NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei DP Deutsche Partei OP Ordo Praedicatorum (Ordenskürzel des katholischen Dominikanerordens) DSU Deutsche Soziale Union SBZ Sowjetische Besatzungszone DUD Deutschland-Union-Dienst SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands DVP Deutsche Volkspartei SMAD Sowjetische Militäradministration in Deutschland EAK Evangelischer Arbeitskreis SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands EFTA European Free Trade Association, Europäische Freihandelsassoziation SS Schutzstaffel EGKS Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken EKD Evangelische Kirche in Deutschland UiD Union in Deutschland EUCD Europäische Union Christlicher Demokraten USA United States of America, Vereinigte Staaten von Amerika EVG Europäische Verteidigungsgemeinschaft WEU Westeuropäische Union EVP Europäische Volkspartei ZSS Zentrale Schulungsstätte EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Bildnachweise

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