70 Jahre CDU-Landtagsfraktion Nordrhein-Westfalen

70 Jahre CDU-Landtagsfraktion Nordrhein-Westfalen

HERAUSGEGEBEN VON DER CDU-LANDTAGSFRAKTION NORDRHEIN-WESTFALEN

DROSTE VERLAG Inhalt

6 | Vorwort

Die Fraktionsvorsitzenden

8 | Der Alte – , 1946–1949

18 | „Operation Marriage“

20 | Lippe kommt zu Nordrhein-Westfalen

22 | Neue Heimat für Heimatvertriebene

24 | Der Aufrechte – Josef Schrage, 1949–1950

32 | Der Herzog – Wilhelm Johnen, 1950–1959

40 | Gastarbeiter arbeiten mit am Wirtschaftswunder

42 | Der Vermittler – Erich Stuckel, 1959–1962

48 | Strukturwandel

50 | Der Modernisierer – Wilhelm Lenz, 1962–1970

58 | Der Pragmatiker – Heinrich Köppler, 1970–1980

68 | Volksbegehren gegen die „Koop-Schule“

70 | Beginn der Schuldenpolitik

72 | Der Intellektuelle – Kurt Biedenkopf, 1980–1983

4 80 | Der Netzwerker – Bernhard Worms, 1983–1990

88 | Der Konsequente – Helmut Linssen, 1990–1999

96 | Bonner Republik

98 | Der Loyale – Laurenz Meyer, 1999–2000

106 | Der Zielstrebige – Jürgen Rüttgers, 2000–2005

114 | Wahlabend 2005

116 | Der Verlässliche – Helmut Stahl, 2005–2010

124 | Der Arbeiter – Karl-Josef Laumann, 2010–2013

132 | Der Amtsinhaber – , seit 2013

142 | Europa der ofenen Grenzen

Die Ministerpräsidenten

144 | Der Soziale – , 1947–1956

150 | Der Identitätsstifter – , 1958–1966

158 | Der Erneuerer – Jürgen Rüttgers, 2005–2010

5 Vorwort

m 2. Oktober 1946 konstituierte sich der erste Landtag von Nordrhein-Westfalen. AUnser Bundesland war da erst wenige Wochen alt – von der britischen Militär- regierung aus der Taufe gehoben in der sogenannten „Operation Marriage“ und zu- sammengefügt aus dem nördlichen Teil der preußischen Rheinprovinz sowie aus der Provinz Westfalen. Bevor die Bundesrepublik Deutschland am 23. Mai 1949 gegründet wurde, gab es bereits die deutschen Länder, gab es unser Land Nordrhein-Westfalen. Dies ist wichtig für das Verständnis unseres föderalen Landes. Nicht der Bund glieder- te Deutschland in Länder, sondern die Länder schlossen sich zusammen zur Bundes- republik Deutschland. Konrad Adenauer war als unser erster Fraktionsvorsit zender eine der prägenden Persönlichkeiten der frühen Landesjahre und als Vorsitzender des Parlamentarischen Rates 1948/49 auch einer der Väter des Grundgesetzes. In seinem Wirken wie in dem seiner 13 Nachfolger im Amt des CDU-Fraktionsvor- sitzenden spiegelt sich die Arbeit der CDU-Landtagsfraktion und ihrer seither insge- samt 686 Mitglieder in 70 Jahren nordrhein-westfälischer Landesgeschichte wider. Die CDU-Landtagsfraktion hat das politische Geschehen in Nordrhein-Westfalen wesentlich mitgeprägt und in 34 Jahren der 70jährigen Geschichte des Landtags die stärkste Fraktion gestellt. 22 Jahre lang regierten christdemokratische Ministerprä- sidenten. In unserem Fraktionssaal, in dem wir jeden Dienstag als Fraktion tagen und der auch Sitzungsort für viele Fachausschüsse des Landtags ist, erinnern Bilder an die Fraktionsvorsitzenden der letzten 70 Jahre. Vielen sind aber die Namen oder die Zeit, in der sie mit den Kolleginnen und Kollegen der Fraktion wirkten, nicht mehr bekannt. Deshalb soll dieses Buch zeitgeschichtlich an 70 Jahre christdemokratische Politik, an 70 Jahre Arbeit für Nordrhein-Westfalen, erinnern.

6 Diesem Engagement derer, die vor uns aktiv waren, fühlen wir uns auch heute verpl ichtet. Unser großes und starkes Land Nordrhein-Westfalen gehört in die Spitzenplätze der deutschen Länder und will Motor und Ideengeber einer guten Entwicklung in ganz Deutschland sein.

Glückauf! Ihr

Armin Laschet Lutz Lienenkämper Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion Parlamentarischer Geschäftsführer

Düsseldorf, im Oktober 2016

7 Der Alte Konrad Adenauer (*1876, †1967) Fraktionsvorsitzender 1946–1949

8 9 Der Alte – Konrad Adenauer

Wenige Wochen nachdem die britische Militärregierung in der „Operation Marriage“ das neue Bundesland Nordrhein-Westfalen aus der Taufe gehoben hatte, nahm der erste nordrhein-westfälische Landtag seine Arbeit auf, aufgrund fehlender Räumlichkeiten zunächst im Düsseldorfer Opernhaus, später im Saal der Henkel- Werke. Konrad Adenauer war erster Fraktionsvorsitzender der überkonfessionellen, christlichen CDU, an deren Gründung er ein Jahr zuvor maßgeblich beteiligt und für die er erster Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland war.

onrad Adenauer, geboren am 5. Januar 1876, stammte aus einer katholischen Köl- Kner Beamtenfamilie. Nach dem Abitur am humanistischen Apostelgymnasium begann er zunächst eine Banklehre, die er abbrach, als sich die Möglichkeit der Auf- nahme eines Jurastudiums eröfnete. Nach der Assessorenzeit trat er 1902 in das Anwaltsbüro des Kölner Justizrats Hermann Kausen ein. Wenige Jahre später begann die politische Laufbahn Adenauers, für den es eine Selbstverständlichkeit war, sich im Zentrum, der Partei des Katholizismus, zu enga- gieren. Im Jahr 1906 zum hauptamtlichen Beigeordneten und nur drei Jahre später zum Ersten Beigeordneten gewählt, arbeitete Adenauer sich mit Geschick und Ein- fallsreichtum in der Kölner Kommunalpolitik hoch. Als 1917 das Amt des Kölner Oberbürgermeisters frei wurde, iel die einstimmige Wahl der Stadtverordneten auf Adenauer als Nachfolger. Er war damit das jüngste Stadtoberhaupt in Preußen. In diesem Amt trieb er den Ausbau Kölns zur „Metropole

10 Die Fraktionsvorsitzenden | Konrad Adenauer |   |

|  |   | vorherige Seite | Konrad Adenauer war vom 2. Oktober 1946 bis 2. September 1949 der erste Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion Nordrhein-Westfalen.

 | 2. Oktober 1946: Ankunft der Abgeordneten und Gäste zur konstituierenden Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Da es keine anderen Räumlichkeiten gab, tagte der Landtag zunächst im Düsseldorfer Opernhaus.

 | Bei der Feierstunde im Opernhaus saßen die Abgeordneten im Zuschau- erraum. Weitere Parkettplätze, die Logen und die Ränge füllten britische Militärs und zahlreiche deutsche Ehrengäste sowie Journalisten.

 | Zwischen dem 12. November 1946 und dem 11. Februar 1949 tagte der Landtag Nordrhein-Westfalen insgesamt 90 Mal im Gesolei-Saal der Henkel-Werke in Düsseldorf-Holthausen.

 | Anwesenheitsliste der Sitzung des Landtags von Nordrhein-Westfalen am 12./13.11.1946 im Gesolei-Saal der Henkel-Werke in Düsseldorf.

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 | Gespräch unter vier Augen in den Henkel- Werken im Jahr 1946: CDU-Fraktionsvorsit- zender Konrad Adenauer (l.) und Minister- präsident Rudolf Amelunxen. Für Konrad Adenauer und die politischen Mitstreiter der noch jungen Demokratie stand in den An- fangsjahren vor allem der Wiederaufbau des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gemeinwesens im Mittelpunkt der politi- schen Arbeit.

 | Konrad Adenauer während seiner Rede im Plenum des Landtags Nordrhein-West- falen am 5. März 1947 in den Düsseldorfer Henkel-Werken.

 | Gute Stimmung bei den Abgeordneten der CDU-Landtagsfraktion Nordrhein-Westfalen und ihrem Vorsitzenden Konrad Adenauer während der Sitzung des Landtags in den Henkel-Werken am 7. April 1948.

12 Der Beschluss der Briten von , das Land Nordrhein-West- falen zu schaffen, war eine politisch kluge, sehr weittragende Entscheidung.

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des Westens“ voran. In seiner Zeit wurden beispielsweise die Universität und die Kölner Messe wieder gegründet, der Grüngürtel angelegt und Industriebetriebe, wie die Ford-Werke, angesiedelt. Adenauer führte Köln zu einer neuen Blüte, gleichzeitig festigte er seine überregionale Position. Von 1921 bis 1933 war der überzeugte Katho- lik Präsident des Preußischen Staatsrats. Nach Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurde er seines Amtes als Kölner Oberbürgermeister enthoben. Die Zeit der Tyrannei überlebte Adenauer zu- rückgezogen in seinem Haus in Rhöndorf. Gefährlich wurde es für den erklärten Gegner der Nationalsozialisten, als er nach dem gescheiterten Hitlerattentat 1944 mehrere Monate in Gestapo-Haft war. Nach Kriegsende machten die Amerikaner den damals bereits 69-Jährigen erneut zum Oberbürgermeister von Köln. Er wurde aufgrund kritischer Worte wenige Monate später von den dann zuständigen Briten wieder abgesetzt. Dadurch konnte er sich voll und ganz auf seine Arbeit in der CDU konzentrieren, zu deren Gründervätern er gehört. Mit den politischen Ideen und Konzepten, die in der Katholischen Soziallehre

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Demokratie ist mehr als eine parlamentarische Regierungsform, sie ist eine Weltanschauung, die wurzelt in der Auffassung von der Würde, dem Wert und den unveräußerlichen Rechten eines jeden einzelnen Menschen. 14  | Der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion Nordrhein-Westfalen Konrad Adenauer im Gespräch mit dem Verkehrsminister Heinz Renner (KPD) am Rande der Plenarsitzung am 5. August 1948.

 | Ankunft der Gäste zur Feierstunde anlässlich der |  Einweihung des neuen Land- tags im Düsseldorfer Stände- haus am 15. März 1949.

|   | Festakt anlässlich der ersten Sitzung des Landtags im wiederaufgebauten ehe- maligen Ständehaus am 15. März 1949.

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wurzelten, stieg Adenauer in der jungen CDU schnell auf. So wurde er bereits im Februar 1946 zum Vorsitzenden der rheinischen CDU und einen Monat später zum Vorsitzenden der CDU in der britischen Zone gewählt. Im Herbst 1946 wurde er von der britischen Militärregierung zum Mitglied des neu geschafenen nordrhein-westfälischen Landtags ernannt, wo er den Vorsitz der CDU-Fraktion übernahm. Diese Aufgabe behielt er auch nach den ersten freien Landtagswahlen im Frühjahr 1947. Seine Handlungsmöglichkeiten blieben zunächst jedoch gering, da die britische Militärregierung dem Landesparlament nur begrenz- te Kompetenzen zugestand. So scheiterten gleich zwei größere Gesetzesvorhaben der Unionsfraktion zur Sozialisierung der Kohleindustrie und zur Bodenreform am Widerstand der Briten. Dennoch gelang es, die CDU trotz zeitweiliger Diferenzen zwischen dem Ministerpräsidenten und dem Fraktionsvorsitzenden zur dominieren- den politischen Kraft in Nordrhein-Westfalen aufzubauen, die sie bis in die späten 1960er Jahre auch bleiben sollte. Seine Wahl in den Parlamentarischen Rat, dessen Vorsitzender er ebenfalls wurde, ebnete Adenauer den Weg in die Bundespolitik. Nach der ersten Bundestagswahl 1949 wurde er am 15. September 1949 zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik

16 Die Fraktionsvorsitzenden | Konrad Adenauer  | Konrad Adenauer und die Abgeordneten der CDU-Landtags- fraktion stimmen am 5. Mai 1950 in der 2. Lesung der Landesverfas- sung von Nord- rhein-Westfalen zu.

 | Im Foyer der CDU-Landtags- fraktion Nord- rhein-Westfalen erinnert eine Büste an den ers- |  ten Fraktionsvor- sitzenden Konrad Adenauer.

Deutschland gewählt. Dieses Amt hielt er die folgenden 14 Jahre inne. Erst kurz vor seiner Wahl zum Bundeskanzler gab er das Amt des CDU-Fraktionsvorsitzenden im nordrhein-westfälischen Landtag ab. Sein Landtagsmandat behielt Adenauer trotz seiner Kanzlerschaft noch bis zum Ende der Legislaturperiode am 17. Juni 1950. Eine Büste der Bildhauerin Yrsa von Leistner im Foyer der CDU-Landtagsfraktion erinnert noch heute an den ersten Fraktionsvorsitzenden Konrad Adenauer.

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