Müller, Sachsen in Reiseberichten, NASG 83
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Sachsen und der mitteldeutsche Raum in Reiseberichten der Frühen Neuzeit Bibliografie und Ortserschließung von WINFRIED MÜLLER unter Mitarbeit von Roxy Liebscher, Susanne Müller und Silvio Dittrich I. Vorbemerkung Unter dem Titel „Via regia. 800 Jahre Bewegung und Begegnung“1 visualisierte die 2011 in Görlitz durchgeführte 3. Sächsische Landesausstellung Geschichte und Bedeutung der wichtigsten Ost-West-Verbindung der Vormoderne, die, von Frankfurt am Main her kommend, über Erfurt und Naumburg den Messeort Leipzig erreichte und weiter über Görlitz durch Schlesien nach Breslau führte; von dort wiederum gab es wichtige Anschlussverbindungen nach Krakau. Gerade für den mitteldeutschen Raum, für Sachsen und die Oberlausitz, war die via regia oder Hohe Straße für den Reiseverkehr der Vormoderne von herausragender Be- deutung. Im historischen Bewusstsein hat sie dabei zuallererst in ihrer Primär- funktion als Handelsstraße überdauert,2 freilich war sie gleich anderen Fernstra- ßen nicht nur ein Handelsweg. Dass sie teilweise auch als Große Heerstraße bezeichnet wurde, verweist auf ihre militärische Relevanz. Gleichzeitig wurde sie aber auch als Poststraße genutzt, Pilger reisten auf ihr zu den Wallfahrtsorten in Nah und Fern.3 Die Suche nach Erwerbschancen führte entlang der via regia zu Arbeitsmigration, Studierende,4 Gelehrte und Künstler suchten die an ihr gelege- nen Wissenschafts- und Kunstzentren auf. 1 Vgl. ROLAND ENKE/BETTINA PROBST (Hg.), Via regia. 800 Jahre Bewegung und Begegnung. Katalog zur 3. Sächsischen Landesausstellung, Dresden 2011; WINFRIED MÜL- LER/SWEN STEINBERG (Hg.), Menschen unterwegs. Die via regia und ihre Akteure. Essay- band zur 3. Sächsischen Landesausstellung, Dresden 2011. 2 Vgl. u. a. SWEN STEINBERG, Leipziger Kaufleute. Ein gruppenbiografischer Blick auf die wirtschaftlichen Akteure der via regia, in: Müller/Steinberg, Menschen unterwegs (wie Anm. 1), S. 32-39. 3 Vgl. HARTMUT KÜHNE/WOLFGANG RADTKE/GERLINDE STROHMAIER-WIEDERAN- DERS (Hg.), Spätmittelalterliche Wallfahrt im mitteldeutschen Raum, Berlin 2002; CHRIS- TIAN SPEER, Ein Görlitzer pilgert nach Jerusalem. Die Wallfahrt des Georg Emerich im Jahr 1465, in: Müller/Steinberg, Menschen unterwegs (wie Anm. 1), S. 196-203. 4 Vgl. THOMAS LANG, „Damit so geht die Jugend hin ...“. Wandernde Scholaren auf der via regia, in: Müller/Steinberg, Menschen unterwegs (wie Anm. 1), S. 152-160; vgl. auch JÜRGEN MIETHKE, Die Studenten, in: Peter Moraw (Hg.), Unterwegssein im Spätmittel- alter, Berlin 1985, S. 49-70. 36 Winfried Müller Mit dem einleitenden Hinweis auf die via regia konnte zum einen der regionale Fokus der nachfolgenden bibliografischen Recherche vorgestellt werden, die sich vor allem auf den Herrschaftsraum der albertinischen und ernestinischen Wettiner konzentriert, dabei natürlich auch die erst 1635 Kursachsen übertragene Ober- lausitz einbezieht, darüber hinaus aber auch das 1680 brandenburgisch gewordene ehemalige Hochstift Magdeburg berücksichtigt. Ahistorisch und aus heutiger Perspektive gesprochen: der Erfassungsraum deckt sich weitgehend mit dem Sendegebiet des Mitteldeutschen Rundfunks. Zum anderen steht der Verweis auf eine bedeutende Fernstraße paradigmatisch für alle Aspekte der Mobilität und des Reisens in der Vormoderne. Mit den erwähnten Personengruppen wurden in- direkt bereits auch die Motive des Unterwegsseins im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit angesprochen: religiöse Bedürfnisse, das Streben nach Gewinn, die Suche nach Karrierechancen, Neugierde – Motive, die eingebettet waren in ein Spannungsfeld von Zwang und Notwendigkeit auf der einen, Freiwilligkeit auf der anderen Seite. Die religiös determinierte Sorge um das eigene Seelenheil konnte zur freiwilligen Pilgerschaft5 ebenso führen wie zur konfessionell beding- ten Zwangsmigration der Frühen Neuzeit;6 das Streben nach materiellem Gewinn und beruflichem Erfolg veranlasste Menschen freiwillig zum Aufbruch, aber für einen Kaufmann bestand auch schlicht die Notwendigkeit für Nah- und Fern- reisen, weil persönliche Präsenz und Face-to-Face-Kommunikation in der Vor- moderne wichtiger waren7 als heute unter den Bedingungen des „rasenden Still- stands“, wo mittels moderner Telekommunikation die Beherrschung von Raum und Zeit, die globale und simultane Teilhabe an allen Märkten dieser Welt möglich ist. Von dem in der Vormoderne ausgeprägteren Zwang zum Unterwegssein lässt sich dann wieder die Brücke schlagen zu Fragen der Reiselogistik und der Reise- geschwindigkeit sowie zum Zusammenspiel von Reisenden und Verkehrsmitteln, wobei der technische Wandel im Straßenverkehr lange Zeit bekanntlich arm an Innovationen war:8 Fußmarsch, Karren, Wagen, Reit- und Zugtier sowie Fähren und Furten anstelle von Brücken bestimmten das Bild einer nahezu unbefestigten, den Unbilden der Jahreszeiten ausgelieferten Straße. Erst das 19. Jahrhundert brachte dann im Prozess der Industrialisierung mit der Eisenbahn die große ver- 5 Vgl. LUDWIG SCHMUGGE, Die Pilger, in: Moraw, Unterwegssein (wie Anm. 4), S. 17-48. 6 Vgl. ALEXANDER SCHUNKA, Gäste, die bleiben. Zuwanderer in Kursachsen und der Oberlausitz im 17. und frühen 18. Jahrhundert, Hamburg 2006; WULF WÄNTIG, Grenz- erfahrungen. Böhmische Exulanten im 17. Jahrhundert, Konstanz 2007; FRANK METASCH, Für den Glauben auf die Straße. Konfessionsmigranten in Kursachsen und in der Oberlau- sitz, in: Müller/Steinberg, Menschen unterwegs (wie Anm. 1), S. 204-211. 7 Vgl. RUDOLF SCHLÖGL, Kommunikation und Vergesellschaftung unter Anwesenden. Formen des Sozialen und ihre Transformation in der Frühen Neuzeit, in: Geschichte und Gesellschaft 34 (2008), S. 155-224. 8 Vgl. RAINER CHRISTOPH SCHWINGES (Hg.), Straßen- und Verkehrswesen im hohen und späten Mittelalter, Ostfildern 2007; KLAUS BEYRER, Die Postkutschenreise, Tübingen 1985; KLAUS GERTEIS, Das „Postkutschenzeitalter“. Bedingungen der Kommunikation im 18. Jahrhundert, in: Aufklärung 4 (1989), S. 55-77 (= Heft 1: Entwicklungsschwellen im 18. Jahrhundert, hrsg. von Karl Eibl). Sachsen in Reiseberichten der Frühen Neuzeit 37 kehrstechnische Zäsur,9 durch die der Transport auf der Straße durch jenen auf der Schiene marginalisiert und Transiträume neu geordnet wurden. Alle diese Aspekte fanden im Genre der Reiseberichte ihren Niederschlag, die schon längst zum Gegenstand einer überaus reichhaltigen literatur- und kul- turwissenschaftlichen Forschung zum Reisewesen und zur Reiseliteratur der Vormoderne avanciert sind. Diese hat sowohl die bibliografische Erfassung der Überlieferung als Basis für jede inhaltliche Erschließung der Reiseberichte voran- getrieben10 als auch resümierende Überblickswerke11 hervorgebracht. Eng damit verbunden sind Ansätze einer entwicklungsgeschichtlichen Chronologie der spät- mittelalterlich-frühneuzeitlichen Reiseliteratur.12 Ausgangspunkt ist hierbei die Quellengruppe der spätmittelalterlichen Pilgerberichte, also ein Quellencorpus, das auf religiös motivierte Mobilität zurückzuführen ist und darüber Rechenschaft ablegte und den Nachfahren(den) Informationen über fremde Welten und Orte – Jerusalem und Rom vor allem – vermittelte.13 Eine zweite, auf der Zunahme der Verkehrs- und Nachrichtenverbindungen aufruhende Phase im 16. und 17. Jahr- hundert wäre dann als Profanierung des Reisens und der Reiseliteratur zu um- schreiben; zugleich kam es allerdings mit der europäischen Expansion und den damit zusammenhängenden Entdeckungs- und Forschungsreisen14 auch zu einer Exotisierung des Reisens.15 In einem dritten Schritt brachte dann das 18. Jahrhun- dert mit der Reiseliteratur der Aufklärung16 einen – auch durch die Veränderungen des literarischen Marktes und des Leseverhaltens ausgelösten – quantitativen 9 Vgl. WILHELM TREUE, Neue Verkehrsmittel im 19. und 20. Jahrhundert. Dampf- Schiff und -Eisenbahn, Fahrrad, Automobil, Luftfahrzeuge, in: Hans Pohl (Hg.), Die Be- deutung der Kommunikation für Wirtschaft und Gesellschaft, Stuttgart 1989, S. 321-357. 10 Vgl. WERNER PARAVICINI (Hg.)/CHRISTIAN HALM (Bearb.), Europäische Reisebe- richte des späten Mittelalters. Eine analytische Bibliographie, 2 Teile, Frankfurt a. M. 1994 und 1999. 11 Vgl. vor allem PETER J. BRENNER, Der Reisebericht in der deutschen Literatur. Ein Forschungsüberblick als Vorstudie zu einer Gattungsgeschichte, Tübingen 1990; XENIA VON ERTZDORFF/DIETER NEUKIRCH (Hg.), Reise und Reiseliteratur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, Amsterdam/Atlanta 1992. 12 Vgl. hierzu u. a. die Hinweise bei BRENNER, Der Reisebericht (wie Anm. 11), S. 31 ff. 13 Vgl. KLAUS HERBERS, Unterwegs zu heiligen Stätten, in: Hermann Bausinger/Klaus Beyrer/Gottfried Korff (Hg.), Reisekultur. Von der Pilgerfahrt zum modernen Tourismus, München 21999, S. 23-31; ROBERT PLÖTZ, Wallfahrten, in: ebd., S. 31-38; PARAVICINI, Euro- päische Reiseberichte (wie Anm. 10). 14 Vgl. MICHAEL HARBSMEIER, Wilde Völkerkunde – Deutsche Entdeckungsreisende der frühen Neuzeit, in: Bausinger/Beyrer/Korff, Reisekultur (wie Anm. 13), S. 91-100. 15 Vgl. HOLGER T. GRÄF/RALF PRÖVE, Wege ins Ungewisse. Reisen in der Frühen Neu- zeit 1500–1800, Frankfurt a. M. 1997. 16 Vgl. WOLFGANG GRIEP, Reiseliteratur im späten 18. Jahrhundert, in: Rolf Grimmin- ger, Deutsche Aufklärung bis zur Französischen Revolution 1680–1789, München 1980, S. 739-764; WOLFGANG GRIEP/HANS-WOLF JÄGER (Hg.), Reise und soziale Realität am Ende des 18. Jahrhunderts, Heidelberg 1983; ANDREAS BÜRGI, Weltvermesser. Die Wand- lungen des Reiseberichts in der Spätaufklärung, Bonn 1989; HANS-WOLF JÄGER (Hg.), Europäisches Reisen im Zeitalter der Aufklärung, Heidelberg 1992; MICHAEL MAURER (Hg.), Neue Impulse