Deutscher Stenographischer Bericht

158. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975

Inhalt:

Hinweis betr. Schärfen und persönliche Be- Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundes- leidigungen präsidialamt — Drucksache 7/3141 — . . 10962 B Frau Renger, Präsident 10961 A Einzelplan 02 Deutscher Bundestag — Klarstellung betr. Beschlußfassung zum Drucksache 7/3142 — Zweiten Gesetz zur Vereinheitlichung Wohlrabe (CDU/CSU) 10962 C und Neuregelung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern 10961 B Scheu (SPD) (Erklärung nach § 59 GO) . . . . 10964 B Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung . 10961 B Dr. Schweitzer (SPD) (Erklärung nach § 59 GO) . . . . 10965 A Wahl des Wehrbeauftragten des Bundes- tages Einzelplan 03 Bundesrat — Drucksache Frau Renger, Präsident 10961 D 7/3143 — . 10966 A Ergebnis 10965 A Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundes- Berkhan (SPD) (Annahme der Wahl) 10965 B kanzlers und des Bundeskanzleramtes — Drucksache 7/3144 — Mandatsniederlegung des Abg. Berkhan 10965 B Strauß (CDU/CSU) . 10966 B Eidesleistung des Wehrbeauftragten des Kirst (FDP) . . . . . . 10977 B Bundestages 10965 C Dr. Ehrenberg (SPD) ...... 10985 C Dr. Freiherr von Weizsäcker Zweite Beratung des von der Bundesregie- (CDU/CSU) . 10997 A rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes über die Feststellung des Bundes- Schmidt (Wattenscheidt) (SPD) . . . 11006 A haushaltplans für das Haushaltsjahr 1975 Schmidt, Bundeskanzler . . . . . 11009 D (Haushaltsgesetz 1975) — Drucksachen 7/2440, 7/2525, 7/2830 —, Anträge und Dr. Carstens (Fehmarn) (CDU/CSU) 11020 A Berichte des Haushaltsausschusses Dr. Bangemann (FDP) ...... 11029 C II Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975

Wehner (SPD) . . 11037 D Anlage 3 Schröder (Lüneburg) (CDU/CSU). 11043 B Erklärung des Abg. Dr. Schweitzer (SPD) Haase (Kassel) (CDU/CSU) . . . . 11048 A gem. § 59 GO 11087* B Dr. Dübber (SPD) 11052 B Anlage 4 Esters (SPD) ...... 11053 A Antwort des PStSekr Berkhan (BMVg) Namentliche Abstimmung . . . 11055 D auf die Frage A 1 — Drucksache 7/3365 vom 14. 3. 75 — des Abg. Hansen (SPD) : Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswär- tigen Amts — Drucksache 7/3145 — Befolgung der ZDV 12/1 über politi- sche Bildung in allen Einheiten der Picard (CDU/CSU) 11057 D Bundeswehr 11088* B Dr. Bußmann (SPD) ...... 11060 B Anlage 5 Einzelplan 06 Geschäftsbereich des Bundes- ministers des Innern — Drucksache Antwort des PStSekr Dr. de With (BMJ) 7/3146 — auf die Frage A 50 — Drucksache 7/3365 vom 14. 3. 75 —des Abg. Dr. Lenz (Berg- in Verbindung mit straße) (CDU/CSU) : Auseinanderfallen von Gerichtsferien Einzelplan 36 Zivile Verteidigung — Druck- und Schulferien 11088* C sache 7/3166 — Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) . 11063 B Anlage 6 Walther (SPD) 11067 A Antwort des PStSekr Dr. de With (BMJ) Dr. Dr. h. c. Maihofer, Bundesminister auf die Fragen A 60 und 61 — Drucksache (BMI) 11069 D 7/3365 vom 14. 3. 75 — des Abg. Engels- Dr. Czaja (CDU/CSU) 11072 D berger (CDU/CSU) : Hofmann (SPD) 11076 C Pressemeldungen über Aussagen von RR Toelle bei seiner Vernehmung Möller (Lübeck) (CDU/CSU) . . . 11079 A durch die Staatsschutzabteilung des Bundeskriminalamtes betreffend Erklä- Einzelplan 07 Geschäftsbereich des Bundes- rung Guillaumes vor dem Mißtrauens- ministers der Justiz — Drucksache votum im April 1972 11089* A 7/3147 —

Simon (SPD) 11080 D Anlage 7

Nächste Sitzung 11081 D Antwort des PStSekr Dr. de With (BMJ) auf die Frage A 62 — Drucksache 7/3365 vom 14. 3. 75 — des Abg. Dr. Penner (SPD) : Anlagen Laufbahnweg des Amtsanwalts . . . 11089* B Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 11083* A Anlage 8 Antwort des PStSekr Dr. de With (BMJ) Anlage 2 auf die Frage A 66 — Drucksache 7/3365 Alphabetisches Namensverzeichnis der vom 14. 3. 75 — des Abg. Reiser (SPD) : Mitglieder des Deutschen Bundestages, Vorfall vor der Berliner Gedächtnis- die an der Wahl des Wehrbeauftragten kirche; Haltung der Bundesregierung des Bundestages teilgenommen haben . . 11083* C zum Zeugnisverweigerungsrecht . . . 11089* D Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 10961

158. Sitzung

Bonn, den 19. März 1975

Beginn: 9.01 Uhr

Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung die Kleine An- Präsident Frau Renger: Die Sitzung ist er- frage der Abgeordneten Dr. Gölter, Pfeifer, Dr. Waigel, öffnet. Dr. Probst, Frau Benedix, Dr. Fuchs, Dr. Schäuble, Dr. Horn- hues, Dr. Wagner (Trier), Gerster (Mainz), Dr. Blüm, von Bok- kelberg und der Fraktion der CDU/CSU betr. Feststellung Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir bitte grundlegender Mängel an der Arbeitsweise des Bundesinstituts eine Bemerkung. Dem Protokoll der Sitzung des für Berufsbildungsforschung durch den Bundesrechnungshof — Drucksache 7/2985 — beantwortet. Sein Schreiben wird als vergangenen Donnerstag entnehme ich, daß im Zu- Drucksache 7/3383 verteilt. sammenhang mit der Rede des Abgeordneten Weh- Der Vorsitzende des Innenausschusses hat mit Schreiben vom ner Zwischenrufe erfolgt sind, die, hätte ich sie gleich 12. März 1975 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nach- folgenden, bereits verkündeten Vorlagen keine Bedenken er- gehört und den Zwischenrufer feststellen können, hoben hat: zu Ordnungsrufen hätten führen müssen. Im In- Verordnung (Euratom, EGKS, EWG) des Rates zur An- gleichung der Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten teresse eines guten Verlaufs der Debatte bitte ich der Europäischen Gemeinschaften und der sonstigen Bedien- alle Mitglieder des Hauses sehr herzlich, unerträg- steten dieser Gemeinschaften sowie der Berichtigungs- koeffizienten, die auf diese Dienst- und Versorgungsbezüge liche Schärfen und persönliche Beleidigungen zu angewandt werden vermeiden, die die Würde des Hauses verletzen — Drucksache 7/2951 — und, wie zahlreiche Briefe beweisen, auf Ablehnung Verordnung (Euratom) des Rates zur Änderung der Rege- lung der Bezüge und der sozialen Sicherheit der Atom- in der Bevölkerung stoßen. anlagenbediensteten der Gemeinsamen Forschungsstelle, die in den Niederlanden dienstlich verwendet werden (Beifall) — Drucksache 7/3098 — Verordnung (Euratom) Nr. 3096/74 des Rates vom 3. De- Meine Damen und Herren, eine weitere Mittei- zember 1974 zur Änderung der Regelung der Bezüge und lung. Bei der zweiten Beratung des Entwurfs eines der sozialen Sicherheit der Anlagenbediensteten der Ge- meinsamen Forschungsstelle, die in Italien dienstlich ver- Zweiten Gesetzes zur Vereinheitlichung und Neu- wendet werden regelung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 14. März 1975 be- schlossen, zu den nachfolgenden Gesetzen einen Antrag gemäß am 27. Februar 1975 hat der Berichterstatter meh- Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: rere Berichtigungen vorgetragen, u. a. in Art. VIII Gesetz zu dem Übereinkommen Nr. 132 der Internationalen § 8 in der 5. Zeile des Absatzes 2 a — Drucksache Arbeitsorganisation vom 24. Juni 1970 über den bezahlten Jahresurlaub (Neufassung vom Jahre 1970) 7/3213 — die Worte „als Gruppenleiter" zu strei- Gesetz zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes chen. Das Haus hat das Gesetz mit den Berichtigun- Der Bundesrat hat in der gleichen Sitzung beschlossen, hin- gen verabschiedet. Bei der Erstellung und Überprü- sichtlich des Gesetzes über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk zu verlangen, daß der fung der Gesetzesfassung für die Zuleitung an den Vermittlungsausschuß einberufen wird. Sein Schreiben wird Bundesrat ist festgestellt worden, daß die beschlos- als Drucksache 7/3374 verteilt. Der Vorsitzende des Ausschusses für Jugend, Familie und sene Streichung nicht erforderlich war, da der Aus- Gesundheit hat mit Schreiben vom 12. März 1975 mitgeteilt, schußantrag — Drucksache 7/3213 — bereits die daß der Ausschuß gegen die nachfolgende, bereits verkündete Vorlage keine Bedenken erhoben hat: fehlerfreie Fassung enthielt. Richtlinie des Rates zur zweiten Änderung der Richtlinie (73 /241 /EWG) zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Der Herr Vorsitzende des Innenausschusses hat Mitgliedstaaten für zur Ernährung bestimmte Kakao- und mir mit Schreiben vom 14. März 1975 diesen Sach- Schokoladeerzeugnisse — Drucksache 7/3041 — verhalt bestätigt. Das Haus ist, wie ich annehme, damit einverstanden, daß ich eine entsprechende Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr den Berichtigung der Gesetzesfassung veranlasse. — Punkt II der Tagesordnung auf: Kein Widerspruch; dann ist das so beschlossen. Wahl des Wehrbeauftragten des Bundestages Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Ich muß leider noch einmal die Prozedur wieder- Verlesung in den Stenographischen Bericht aufge- holen. Nach § 13 des Gesetzes über den Wehrbeauf- nommen: tragten vom 26. Juni 1957 in Verbindung mit § 116 a Für den Abgeordneten Dr. Eyrich, der auf sein Mandat als der Geschäftsordnung wählt der Bundestag den stellvertretendes Mitglied im Richterwahlausschuß verzichtet hat, rückt gemäß § 5 Abs. 3 des Richterwahlgesetzes der Wehrbeauftragten in geheimer Wahl mit der Mehr- Abgeordnete Dr. Kempfler aus der Reihe der nicht mehr Ge- heit seiner Mitglieder. Stimmberechtigt sind bei die- wählten als stellvertretendes Mitglied des Abg. Erhard (Bad Schwalbach) im Richterwahlausschuß nach. ser Wahl alle Mitglieder des Hauses. Eine Aus- Der Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und sprache findet nicht statt. Es können deshalb nur Wissenschaft hat mit Schreiben vom 17. März 1975 im Ein- vernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft und dem Wahlvorschläge gemacht werden. 10962 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Präsident Frau Renger Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei hat Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — mit Schreiben vom 14. März 1975 den Abgeordneten Das ist nicht der Fall. Karl Wilhelm Berkhan benannt. Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort be- Werden aus dem Hause noch weitere Wahlvor- gehrt? Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aus- schläge gemacht? — Das ist nicht der Fall. Damit sprache. liegt dem Hause nur ein Wahlvorschlag vor. Wer dem Einzelplan 01 in zweiter Lesung zuzu- Ich habe festgestellt, daß der Vorgeschlagene die stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 des Gesetzes über — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so den Wehrbeauftragten erfüllt. beschlossen. Nach § 54 a unserer Geschäftsordnung werden die amtlichen Stimmzettel nach Aufruf Ihres Namens Ich rufe auf: vor Betreten der Wahlzelle ausgegeben. Einzelplan 02 Zur Wahl steht nur der vorgeschlagene Kandidat. Deutscher Bundestag Auf dem Stimmzettel ist entweder der Kreis mit — Drucksache 7/3142 — „Ja" oder der Kreis mit „Nein" anzukreuzen. Wer sich der Stimme enthalten will, gebe den Stimm- Berichterstatter: Abgeordneter Wohlrabe zettel unverändert ab. I Das Wort hat als Berichterstatter der Herr Abge- ordnete Wohlrabe. Die Verwendung anderer als der hier ausgegebe- nen amtlichen Stimmzettel macht die Stimme unwei- gerlich ungültig. Das gleiche gilt, wenn ein Stimm- Wohlrabe (CDU/CSU) : Frau Präsidentin! Meine zettel den Namen eines nicht vorgeschlagenen Kan- sehr geehrten Damen und Herren! Die Aussprache didaten oder sonstige Zusätze enthält. zum Bundeshaushalt 1975 beginnt wie auch in den vergangenen Etatdebatten mit dem Haushalt des Ich darf nochmals darauf hinweisen, daß Sie den Deutschen Bundestages. Ich möchte hierzu, auch im Stimmzettel in der Wahlzelle in den Wahlumschlag Namen der Mitberichterstatter, der Herren Kolle- legen müssen, und darum bitten, die Wahlumschläge gen Dr. Bußmann und Kirst, folgende Erklärung ab- nicht zuzukleben. Wer den Stimmzettel außerhalb geben: der Wahlzelle kennzeichnet oder in den Wahlum- schlag legt, muß zurückgewiesen werden. Er ver- Der Etat des Deutschen Bundestages, also der liert allerdings nicht das Recht, seine Stimmabgabe Einzelplan 02, umfaßt diejenigen Ausgaben, die der vorschriftsmäßig zu wiederholen. deutsche Steuerzahler für sein Parlament, für die Verwaltung und für die vielfachen Funktionen des Meine Damen und Herren, ich eröffne hiermit Bundestages aufzubringen hat. In den letzten Wo- die Wahl und bitte, mit dem Namensaufruf zu be- chen haben einige Presseveröffentlichungen den ginnen. Wegen der gleich stattfindenden Kabinett- Eindruck zu erwecken versucht, daß wir uns scheu- sitzung bitte ich, zuerst die Namen derjenigen Mit- ten, in der Öffentlichkeit über die Ausgaben unse- glieder des Hauses aufzurufen, die daran teil- res eigenen Hauses, des Deutschen Bundestages, nahmen. zu sprechen. Es wurde uns unterstellt, daß wir uns Meine Damen und Herren, ich frage, ob ein Mit- unter dem Mantel der Verschwiegenheit von Aus- glied des Hauses seinen Stimmzettel noch nicht ab- schußberatungen und von Zusatzvereinbarungen gegeben hat. — Das scheint nicht der Fall zu sein. stillschweigend und einvernehmlich selbst bedien- Dann schließe ich die Wahl und bitte die Damen ten. Diese Behauptung ist falsch. Sie ist schon des- und Herren Schriftführer, mit der Auszählung zu halb unrichtig, weil — wie auch in den Jahren zu- beginnen. Wir werden in der Zwischenzeit mit der vor — durch die Präsidentin des Deutschen Bundes- Beratung der Einzelpläne des Haushaltsgesetzes tages oder durch Kollegen des Hauses auch in die- 1975 beginnen. sem Jahr zu den Ausgaben unseres Parlaments öffentlich gesprochen und beschlossen wurde.

Ich rufe Punkt V der Tagesordnung auf: Unhaltbar sind auch die Behauptungen über un- vertretbar hohe Ausgabensteigerungen. So beläuft Zweite Beratung des von der Bundesregie- sich im Etatjahr 1975 der Betrag, den wir für den rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Deutschen Bundestag auszugeben haben, nunmehr über die Feststellung des Bundeshaushalts- auf 228 Millionen DM. Eine Zahl, die isoliert be- plans für das Haushaltsjahr 1975 (Haushalts- trachtet sicherlich recht hoch ist; wenn man aber be- gesetz 1975) denkt, meine Damen und Herren, daß dahinter — Drucksachen 7/2440, 7/2525, 7/2830 — 518 Abgeordnete stehen, die die politische Arbeit Anträge und Berichte des Haushaltsausschus- für unser Land, für mehr als 60 Millionen Bürger zu ses (8. Ausschuß) leisten haben, und wenn man bedenkt, daß diese 228 Millionen DM bei über 60 Millionen Einwohnern Wir kommen zunächst zum nur knapp 4 DM pro Bürger für die Arbeit des Deut- schen Bundestages ausmachen, so glaube ich sagen Einzelplan 01 zu können, daß dies eine Summe ist, die für alle Bundespräsident und Bundespräsidialamt draußen im Land und auch für uns hier im Hause — Drucksache 7/3141 — durchaus vertretbar ist, vertretbar auch dann, wenn Berichterstatter: Abgeordneter Simon man an die vielfach gestiegenen Anforderungen an Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 10963 Wohlrabe die Leistungsfähigkeit des Bundestages sowie auch Reisekostenvergütungen bei Dienstreisen ins In- und die am Deutschen Bundestag nicht spurlos vorüber- Ausland. gegangenen Kostensteigerungen denkt. Die Steige- Der in der letzten Zeit in die öffentliche Diskus- rungsrate des Gesamthaushalts beläuft sich bekannt- sion gekommene Ansatz für Post- und Fernmelde- lich auf gut 11 %; die Steigerungsrate des Etats des gebühren ist trotz ständig steigender Gebühren- Deutschen Bundestages beträgt jedoch nur 4,81% sätze nur um 100 000 DM erhöht worden, und zwar gegenüber dem Vorjahresansatz. für Abgeordnete und Mitarbeiter. Dies zwingt uns Damit kann — und ich bitte alle Verantwortlichen alle zu großer und äußerster Sparsamkeit. und Interessierten draußen im Lande herzlich, diese Die Ansätze für die Öffentlichkeitsarbeit des Zahlen zur Kenntnis zu nehmen — von einem echten Deutschen Bundestages blieben im wesentlichen un- Sparhaushalt des Deutschen Bundestages gespro- verändert. Zum Bereich der Öffentlichkeitsarbeit chen werden. Dieses Ergebnis konnte nicht zuletzt gehören nicht nur die Publikationen des Hauses, dadurch erreicht werden, daß auch in den Ausschuß- sondern vor allem auch die Besucherbetreuung hier beratungen mit klarer Konsequenz der Rotstift ange- im Bundestag und im Reichstagsgebäude in Berlin. setzt und auf diese Weise auch noch einmal rund Bereits vor knapp vier Jahren wurde im Reichstag 1,6 Millionen DM gespart werden konnten. die historische Ausstellung „Fragen an die deutsche Geschichte" eröffnet. Die Ausstellung hat seit dieser Lassen Sie mich zur Untermauerung dieser Fest- Zeit ein großes Publikum aus dem In- und Ausland stellungen einiges über die Entwicklung der wich- angesprochen. Aus Anlaß der 25-Jahr-Feier der tigsten Ausgabepositionen kurz sagen. Bundesrepublik Deutschland wurde diese Ausstel- Bei den Leistungen für Abgeordnete bleiben die lung im vergangenen Jahr bis zur Gegenwart hin Kostenpauschale, die Tagegeldpauschale und die erweitert. Ihre Attraktivität ist dadurch weiter ge- Reisekostenpauschale unverändert. Auch die Kosten, stiegen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang die den Abgeordneten für die Beschäftigung von einige Zahlen nennen, die den Besuch des Reichs- Mitarbeitern entstehen — jährlich bis zu 27 600 tages in Berlin zeigen: 1974 mehr als 100 000 Be- DM —, wurden nicht erhöht. Um sicherzustellen, daß sucher des Reichstagsgebäudes, und mehr als 270 000 den Mitgliedern des Hauses auch in Zukunft qualifi- Besucher im gleichen Jahr für die Ausstellung. Wir zierte Mitarbeiter zur Verfügung stehen, wurde je- können heute schon mit Befriedigung zum Ausdruck doch von diesem Jahr an vorgesehen, daß der bringen: die organisatorische Erneuerung hat sich Grundbetrag und die besonderen Leistungen wie bewährt, das Interesse der Bürger steigt, der Reichs- Weihnachtsgeld, Verheiratetenzuschlag, Arbeitge- tag ist kein Mausoleum mehr. beranteil zur Renten- und Arbeitslosenversicherung Problematisch ist bis heute die Raumfrage für die sich um den gleichen Prozentsatz erhöhen, um den Abgeordneten und unsere Mitarbeiter. Durch die die Vergütungen der Angestellten im Bundesdienst Anmietung des Bürohauses „Tulpenfeld" soll eine durch Tarifverträge durchschnittlich erhöht werden. Verbesserung erzielt werden. Wir wünschen uns, daß der Ausbau dieses Gebäudes zügig vorangeht Ähnlich sparsam wurde im Personalbereich vor- und damit die immer noch unzureichend geregelte gegangen — einem Sorgenkind aller öffentlichen Raumfrage der Lösung nähergebracht wird: Jeder Verwaltungen, wie wir wissen. Der Stellenplan des Abgeordnete muß sein eigenes Arbeitszimmer ha- Einzelplans 02 für das Jahr 1975 weist 14 Stellen — ben und sollte sich nicht, wie es heute noch oft der Beamten- und Angestelltenstellen — weniger aus Fall ist, die 15 Quadratmeter mit einem oder zwei als 1974. Es handelt sich hierbei um 8 Beamten- und Mitarbeitern teilen müssen. Der Haushaltsausschuß 6 Angestelltenstellen, darunter auch aus dem höhe- hat in diesem Zusammenhang für Umbaumaßnah- ren Dienst. men im „Tulpenfeld" 1,5 Millionen DM zur Ver- Wir alle wissen, wie schwierig die Frage einer fügung gestellt. schnellen und erfolgreichen ärztlichen Betreuung im Kritiker werden mit Sicherheit auf die um 8,7 % Deutschen Bundestag zu regeln war. Uns schien es erhöhten Zuschüsse an die Fraktionen des Deut- erforderlich, nicht nur für die 518 Mitglieder des schen Bundestages eingehen. Die Zuschüsse werden Deutschen Bundestages, sondern vor allem auch für nunmehr 29,3 Millionen statt bisher 26,3 Millionen unsere Mitarbeiter eine bessere Regelung zu errei- DM betragen. Bedenkt man jedoch, daß allein die chen. Deshalb hat der Haushaltsausschuß erstmalig Steigerung der Gehälter der Fraktionsangestellten den bisher auf Honorarbasis beschäftigten Vertrags- -- der größte Ausgabeposten übrigens — in diesem arzt durch eine eigene Planstelle im Etat verankert. Jahr rund 7 % ausmachen wird und auch die übri- Wir versprechen uns davon, insbesondere in Not- gen Kostensteigerungen an den Fraktionen nicht fällen, eine wesentliche Verbesserung der ärztlichen spurlos vorbeigegangen sind, so ist diese maßvolle Betreuung. Steigerung — immerhin noch weit unter der Stei- Bei den sächlichen Verwaltungsausgaben wurden gerungsrate des Gesamthaushalts — durchaus ver- entsprechend dem Beschluß des Haushaltsausschus- tretbar. ses auch beim Deutschen Bundestag Titel für Ge- Lassen Sie mich kurz noch zwei Randprobleme schäftsbedarf, Bücher und Zeitschriften auf den Vor- ansprechen, die jedoch für uns Abgeordnete nichts- j ahresansatz festgesetzt. Dies gilt auch für die Par- destoweniger von großer Bedeutung sind. Ich meine lamentsdrucksachen, die Haltung von Dienstfahr- zum einen die Frage des immer mehr anschwellen- zeugen, die Bewirtschaftung der Grundstücke, Ge- den Stroms von Drucksachen, die sich tagtäglich bäude und Räume in Bonn und in Berlin sowie für über unseren Schreibtisch ergießen. Von den Kosten 10964 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Wohlrabe einmal abgesehen, stellen sich auf diese Weise in- Albert Schweitzer sagte: formations- und büroorganisatorische Probleme. Auf die Füße kommt unsere Welt erst wieder, Hier wird es sicherlich lohnen, einmal über die Mög- wenn sie sich beibringen läßt, daß ihr Heil lichkeiten zur Verringerung der Drucksachenzahlen nicht in Maßnahmen, sondern in neuen Gesin- nachzudenken. nungen besteht. Das andere Thema, das ich gerne noch ansprechen würde, sind die nach wie vor unbefriedigend gelö- Viele Mitglieder dieses Hauses sind Christen. Wird sten Restaurantprobleme. in der Art, wie wir miteinander umgehen, spürbar, daß wir wirklich christliche Demokraten sind? (Beifall) (Zuruf des Abg. Stücklen [CDU/CSU]) Morgen, meine Damen und Herren — und ich bitte einmal um Aufmerksamkeit —, wird der Ältestenrat, Diese Frage stelle ich mir und allen, die es angeht. nachdem dem bisherigen Pächter gekündigt worden Wie steht es in der täglichen Wirklichkeit mit prak- ist, über einen neuen Pächter zu befinden haben. Ich tiziertem, d. h. gelebtem Christentum in diesem kann nur hoffen, daß die zukünftige Regelung eine Hause? Ich meine, es steht schlecht damit. Spielen bessere Lösung als die alte bringt. wir Christen nicht dauernd das Spiel mit, wenn die (Beifall) andere Seite verteufelt oder lächerlich gemacht wird? Sind wir durch unser Mittun oder unser Zum Ende meiner Erklärung möchte ich nicht ver- Schweigen nicht Hauptschuldige, wenn sich fast mit säumen, meine Damen und Herren, auch in Ihrem jeder Sitzung, und das besonders bei Grundsatz- Namen den Mitarbeitern in der Bundestagsverwal- fragen, die häufig sogar Lebensfragen sind, Klüfte tung recht herzlich Dank zu sagen. Ich tue dies per- zwischen den Fraktionen und häufig sogar zwischen sönlich insbesondere bei den Mitarbeitern, die mir den Menschen auftun? Ich erinnere nur an den ver- bei der Aufstellung dieses Einzelplanes und bei der gangenen Donnerstag. Vorbereitung des Berichtes behilflich waren. In unser aller Namen, so glaube ich sagen zu können, (Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU] : Durch Ihre bedanke ich mich bei allen, die so tüchtig für uns Zwischenrufe!) tätig gewesen sind, für ihre Arbeit, die sie für uns — Bitte, das dürfen Sie mir gerne sagen! — Bis und mit uns zusammen geleistet haben. Ich hoffe, hinein in die Ausschußarbeit gehört es doch fast daß wir alle auch in Zukunft diese Unterstützung zum guten Ton, daß jede Seite schon deshalb zu von den Mitarbeitern des Deutschen Bundestages Vorschlägen der anderen nein sagt, erfahren werden. (Beifall) (Dr. Marx [CDU/CSU] : Weil sie von der anderen Seite kommen!) Präsident Frau Renger: Das ganze Haus dankt weil sie von ihr stammen. Wo ist in diesen Dingen dem Herrn Berichterstatter. Ich eröffne die Aus- der Widerstand von uns Christen? Ich schließe sprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht mich in diese Fragen mit ein. der Fall. Ich schließe die Aussprache. Wer dem Einzelplan 02 in der Ausschußfassung Präsident Frau Renger: Herr Abgeordneter, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Hand- ich muß Sie einmal unterbrechen. In der Erklärung zeichen. — Die Gegenprobe. — Enthaltungen? — müssen Sie Ihre Haltung zur Stimmabgabe begrün- Einstimmig beschlossen. den. Ich bitte Sie, in diesem Sinne sehr kurz zu ver- Das Wort zu einer Erklärung zur Abstimmung fahren. gemäß § 59 der Geschäftsordnung hat der Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU) nete Scheu. Scheu (SPD) : Ich werde mich sehr kurz fassen. Scheu (SPD) : Frau Präsidentin! Meine sehr ver- ehrten Damen und Herren! Ich bedaure den Be- Ich hätte in meiner Rede versucht, einige Ur- schluß des Ältestenrates, der in meiner Abwesen- sachen dafür aufzudecken. Ich hoffe, Ihnen darüber heit gefaßt wurde und nach dem zum Einzelplan 02 noch etwas in die Fächer legen lassen zu können. nicht gesprochen werden soll. Der Bundestag hat Hier nur ein paar Stichworte: Könnten nicht Chri- häufig genügend Zeit für uferlose und gewiß nicht sten im Bundestag so wie im Capitol in Washington immer der Sache dienende Debatten. einen ethischen Kodex erarbeiten, der übrigens nach (Leicht [CDU/CSU] : Es ist doch gesprochen Watergate viel ernster genommen wird? Könnten worden!) nicht wenigstens wir Christen uns deutlich vom Egoismus schrankenloser Art abkehren? Müßten wir Er nimmt sich aber nicht einmal im Jahr bei der nicht christliche Maßstäbe an unsere politischen Haushaltsdebatte die Zeit, über sich selbst nachzu- Reden, an unser Schreiben und Tun anlegen, wie denken. Ehrlichkeit und ähnliche Begriffe? Oder könnten Ich hatte die Absicht, hier und heute als Christ wir nicht beginnen, an die eigene Person die kriti- den zahlreichen Christen in diesem Hause einiges sche Sonde anzulegen, anstatt immer zu versuchen, zu sagen, habe mich aber natürlich dem Wunsch dem anderen Schuld zuzuschieben? Diese und viele des Ältestenrates und dem Beschluß der Fraktion andere Fragen hätte ich gerne sehr viel eingehen- gefügt und beschränke mich auf eine kurze münd- der mit Ihnen behandelt und vielleicht auch disku- liche Erklärung nach § 59 unserer Geschäftsordnung. tiert. Ich will mich aber jetzt auf diese Erklärung Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 10965 Scheu beschränken und nur noch eines zum Schluß fest- Mandatsverzicht ist damit rechtskräftig. Ich stelle stellen. noch einmal fest, daß Herr Berkhan sein Mandat Wir glauben alle an die Kraft und die Möglich- niedergelegt hat und zum Wehrbeauftragten ge- keiten der negativen Minderheiten. Wir schrecken wählt ist. sogar vor ihnen zurück. Warum können wir nicht Der Wehrbeauftragte hat nach § 14 Abs. 4 des anfangen, auch einmal an positive Minderheiten zu Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Bundes- glauben, die etwas umwandeln und ändern können? tages bei der Amtsübernahme den in Art. 56 des (Beifall) Grundgesetzes vorgeschriebenen Eid zu leisten. Meine Damen und Herren, es wurde interfraktio- Präsident Frau Renger: Zu einer Erklärung nell vereinbart, die Vereidigung unmittelbar im zur Abstimmung nach § 59 wünscht der Herr Ab- Anschluß an die Wahl vorzunehmen. Wir kommen geordnete Schweitzer noch das Wort. daher jetzt zur Vereidigung des Wehrbeauftragten des Bun- (SPD) : Frau Präsidentin! Meine Dr. Schweitzer destages Damen und Herren! Angesichts der uns allen be- kannten Geschäftslage bei der Haushaltsdebatte Ich bitte Sie, Herr Berkhan, den Eid zu leisten. in diesem Jahr, die besonders schwierig ist, darf ich (Die Abgeordneten erheben sich) gemäß § 59 der Geschäftsordnung eine schriftliche Erklärung zu Protokoll geben * Berkhan, Wehrbeauftragter des Bundestages: (Beifall bei der SPD — Rawe [CDU/CSU] : Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des Der hat noch nicht gemerkt, daß das nicht deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, mehr geht!) Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Präsident Frau Renger: Danke schön, Herr Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit Abgeordneter! gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe. Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zu dem Tagesordnungspunkt II zurück, da das Abstim- mungsergebnis vorliegt. Präsident Frau Renger: Meine Damen und Herren, damit ist Herr Berkhan als Wehrbeauftrag- Ich darf das Abstimmungsergebnis bekanntgeben. ter vereidigt. Die Glückwünsche des ganzen Hauses Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen 464, davon begleiten ihn in sein neues Amt. 418 Ja-Stimmen, 21 Nein-Stimmen, 21 Stimmenthal- tungen, 4 ungültige Stimmen, mithin insgesamt 464. (Beifall bei allen Fraktionen) Gewählt ist gemäß § 13 des Gesetzes über den Meine Damen und Herren, ich möchte noch einige Wehrbeauftragten des Bundestages, wer die Stim- wenige Worte zu dem scheidenden Wehrbeauftrag- men der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages ten sagen. erhält. Die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages Mit der Wahl und Vereidigung des bisherigen einschließlich der Mitglieder aus dem Lande Berlin Parlamentarischen Staatssekretärs Berkhan scheidet beträgt 260. Damit ist der Abgeordnete Berkhan Herr Schultz nach fünfjähriger Tätigkeit heute aus zum Wehrbeauftragten gewählt. dem Amt des Wehrbeauftragten des Bundestages (Anhaltender lebhafter Beifall bei allen aus. Bei seiner Wahl zum vierten Wehrbeauftragten Fraktionen) erklärte der damalige Bundesminister der Verteidi- gung dieses Amt zu einer schlechthin unverzicht- Ich frage Sie, Herr Abgeordneter: Nehmen Sie baren Institution. die Wahl an? Ich möchte hinzufügen, daß auch gerade durch die Amtsführung des bisherigen Wehrbeauftragten das Berkhan (SPD) : Frau Präsidentin, ich nehme die Amt des Wehrbeauftragten an Ansehen gewonnen Wahl an. hat und diese Institution nicht mehr wegzudenken ist. Sie hat einen hohen Stellenwert in unserem Präsident Frau Renger: Danke schön. Ich stelle Land. hiermit fest, daß Herr Abgeordneter Berkhan die Wahl angenommen hat. Die gesellschaftspolitisch bewegte Szenerie in der ersten Hälfte der siebziger Jahre spiegelt sich auch Ich darf Sie, Herr Abgeordneter, nunmehr fragen, in den Berichten über die innere Situation der Bun- ob Sie jetzt den Verzicht auf Ihr Mandat ausspre- deswehr wider, die der Wehrbeauftragte jedes Jahr chen wollen. dem Bundestag zur Stärkung seiner Kontrollfunktion im militärischen Bereich vorlegte. In diesen Berich- Berkhan (SPD) : Hiermit lege ich mein Mandat ten hat der Wehrbeauftragte deutlich gemacht, wie zum Deutschen Bundestag nieder. sehr dieses Amt sich der Tatsache bewußt ist, daß es dabei um die Aufgabe geht, Ansprechpartner der Präsident Frau Renger: Das Haus hat dies für Soldaten und Informant des Bundestages zu sein. sein Protokoll hiermit zur Kenntnis genommen. Der Der Wehrbeauftragte wacht über das Konzept der inneren Führung. Besonders deutlich geworden ist, Siehe Anlage 3 daß die Bundeswehr uneingeschränkt ein integraler 10966 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Präsident Frau Renger Bestandteil unserer Gesellschaft ist. Die Soldaten form haben. Er drückt sich aus erstens durch wirt- sind Bürger in Uniform. schaftliche Schrumpfung, Minuswachstum, zweitens durch immer noch anhaltende, gegenüber früher Das besondere Verdienst des scheidenden Wehr- ungewöhnlich hohe Inflationsraten, für die auch -beauftragten ist es, auf die spezifischen Funktions höhere Inflationsraten in vergleichbaren Ländern und Lebensbedingungen des soldatischen Alltags keinen Trost geben, drittens vor allem durch die hingewiesen und die notwendigen Folgerungen ge- höchste Arbeitslosigkeit, seit es in den fünfziger zogen zu haben. Sein Abschlußbericht wird sicherlich Jahren durch die soziale Marktwirtschaft gelungen seinem Nachfolger wichtige Hinweise geben und da- ist, Millionen Vertriebene und Flüchtlinge in Arbeit zu dienen, das Verhältnis zwischen Wehrbeauftrag- und Brot zu bringen. tem, Soldaten und Bundestag noch enger zu gestal- ten. Für die verdienstvolle und immer vom Ver- Verantwortlich dafür ist nach den Maßstäben der trauen des Parlaments getragene Arbeit als Wehr- parlamentarischen Demokratie in erster Linie die beauftragter des Deutschen Bundestages ist Herrn Politik der Bundesregierung und der sie tragenden Schultz Dank und Anerkennung des ganzen Hauses Parteien seit 1969. auszusprechen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Allgemeiner Beifall) Sie hatten versprochen, bei Ihnen werde es weder Meine Damen und Herren, wir fahren nunmehr in Rezession noch Arbeitslosigkeit geben. Es ist ein- den Beratungen fort. Ich rufe auf fach nicht wahr, daß diese Erscheinungen nur oder Einzelplan 03 hauptsächlich durch die sogenannte Ölkrise, durch die Preiserhöhung für Rohöl herbeigeführt oder Bundesrat sonstwie vom Ausland zu verantworten sind. Das — Drucksache 7/3143 — gilt in besonderer Weise für die Arbeitslosigkeit, Berichterstatter: Abgeordneter Schmitz die sich bei anderer Einstellung der Regierungen in (Baesweiler) ihrer mittel- und längerfristigen Finanz- und Wirt- schaftspolitik zu den in der Wirtschaft geltenden Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Gesetzmäßigkeiten und bei einer soliden, von jeder Das ist nicht der Fall. Hektik freien Konjunkturpolitik hätte vermeiden lassen. Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird (Beifall bei der CDU/CSU) nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache. Der Vorsitzende des Sachverständigenrates, Pro- Wer dem Einzelplan in der Ausschußfassung zu- fessor Kloten, hat im Januar — nicht im Oktober, zustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzei- wie ich fälschlicherweise das letztemal sagte — er- chen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstim- klärt: „Die heutige Arbeitslosigkeit war ebenso ver- mig angenommen. meidbar wie die niedrige Zuwachsrate des realen Bruttosozialprodukts von knapp einem halben Pro- zent im Jahr 1974, aber sogar minus 5 % beim Ver- Ich rufe nunmehr auf gleich der beiden letzten Quartale 1973 und 74." Er Einzelplan 04 sagte zweitens: „Die gegenwärtige Situation ist die Auswirkung des Beginns einer Vertrauenskrise." Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Und drittens: „Das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz Bundeskanzleramtes ist weder für die Finanzpolitik noch für die Einkom- — Drucksache 7/3144 — menspolitik als tragende Basis angewandt worden."

Berichterstatter: Wer das leugnen will, der sehe sich die Investi- Abgeordneter Esters tionen in der Wirtschaft seit 1970 an. Schon am Abgeordneter Dr. Dübber 27. Juni 1974 beklagte der Wirtschaftsminister in Abgeordneter Baier der Konzertierten Aktion: „Die realen Investitionen Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — der Wirtschaft haben seit Beginn der siebziger Jahre Das ist nicht der Fall. nahezu stagniert." Hier liegt doch der entscheidende Grund für Arbeitslosigkeit und Wachstumsverluste, Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der wobei Wachstum die Voraussetzung für die Erhal- Herr Abgeordnete Strauß. tung des gesetzlich beschlossenen sozialen Lei- stungsstandes ist. Strauß (CDU/CSU) : Frau Präsidentin! Meine Schon aus saisonalen Gründen wird die jetzt er- sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst darf reichte Rekordzahl von Arbeitslosen und Kurzarbei- ich einer Hoffnung Ausdruck geben, die sich eben tern, durch die zur Zeit noch jeder zehnte Arbeitneh- erfüllt hat: daß der Herr Bundeskanzler uns an die- mer unmittelbar betroffen ist, im Frühjahr und Som- ser Debatte persönlich die Ehre gibt. mer aller Wahrscheinlichkeit nach zurückgehen. Dafür braucht man nicht die Frühjahrsschwalben In der Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht zu zählen. am 20. Februar habe ich darauf hingewiesen, daß wir jetzt den schwersten und gefährlichsten Rück- Aber wir werden im weiteren Verlauf des Jahres schlag in unserer Wirtschaft seit der Währungsre- weit von den Verhältnissen am Arbeitsmarkt ent- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 10967 Strauß fernt bleiben, die die SPD/ FDP-Regierung im Januar durch äußere, durch die Bundesregierung nicht 1969 bei ihrem Amtsantritt vorgefunden hat. zu verantwortende Ursachen (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von (Wohlrabe [CDU/CSU] : Das ist Angst der CDU/CSU: Leider wahr!) mache!) Damals warteten im Jahresdurchschnitt auf einen oder durch offensichtliches Verschulden der Arbeitssuchenden vier offene Stellen. Damals gab Bundesregierung und der sie tragenden Koali- es nur eine statistische Arbeitslosigkeit von unter tion?, dann haben ihm meine bisherigen Aus- 1 %. Wir hatten damals Vollbeschäftigung mit er- führungen kennbarer Neigung zur Übervollbeschäftigung. Als — schuld ist allein die Bundesregierung, meint er — dann infolge ständiger Vernachlässigung und Leug- nung der Inflationsgefahr durch die Bundesregie- eine klare Antwort gegeben. rung und bei fast zehn offenen Stellen auf jeden Noch etwas später heißt es: Arbeitssuchenden schließlich tatsächlich Übervollbe- schäftigung entstand, redeten die Regierungvertre- Meine Damen und Herren, es ist ja nicht das ter von der Notwendigkeit der Sicherung der Voll- erste Mal, daß wir beschäftigung — als ob dies das hauptsächlich be- — von der SPD — drohte Ziel gewesen wäre! — und redeten damit davon gesprochen haben, daß eine solche Poli- die Inflation geradezu herbei. tik in eine Finanzkatastrophe hineinführt. Wer jetzt gegen die Kritik der Opposition wettert, (Zuruf von der CDU/CSU: Panikmache!) lese einmal nach, was in den Jahren 1965/66 bei vergleichsweise erheblich besserer Wirtschaftslage Sie müssen die Protokolle der letzten Jahre die damalige Opposition an rüdesten Tönen von sich heranziehen, aus denen hervorgeht, daß wir gegeben hat. immer wieder warnend gefordert haben, eine (Beifall bei der CDU/CSU) Politik zu betreiben, die nicht in diese Finanz- katastrophe hineinführt. Ich darf in diesem Zusammenhang den Kollegen Dr. Alex Möller, der sicherlich nicht zu den laut- (Stücklen [CDU/CSU] : Dieser Schwarz stärksten Sprechern gehört, mit einigen Sätzen von maler!) damals — mit Genehmigung der Frau Präsidentin, Die Zitate aus Reden des Kollegen Schiller will wie ich hoffe — zitieren: ich, weil er in der Zwischenzeit hier dafür nicht mehr Selbst wenn wir nicht wachsam und aufmerk- heranziehbar ist, und auch aus Gründen der Kürze sam wären, das, was in Ihrem Lager vorgeht, der Zeit heute nicht mehr verwenden. Sie sind aber veranlaßt uns, den Finger auf die Wunde zu ähnlich farbig. legen und zum Ausdruck zu bringen: Ihre gan- zen Manipulationen nützen nichts. Wir brau- Man bekommt allmählich den Eindruck, als ob chen eine neue Regierung, einen neuen Bundes- harte Kritik an der Politik der Regierung und ihrer kanzler. Wir brauchen Minister, die nicht re- Parteien — siehe auch die Äußerungen des Finanz- den, sondern handeln. ministers Apel gegenüber Herrn Stoltenberg — zu einer Art Majestätsbeleidigung, zu einer Art (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) Anschlag gegen die parlamentarische Demokratie Er sagte dann etwas später: und zu einem Verstoß gegen das Wohl des Volkes Angesichts des vorgelegten Haushaltsentwurfs, umgefälscht werden soll. der in seiner Mischung von Unfertigkeit und (Beifall bei der CDU/CSU) Unsolidität eine Zumutung für das ganze Par- lament darstellt, Das sind doch die ersten Ansätze autoritären Den- kens: (Dr. Ritz [CDU/CSU] : Unglaublich!) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) kann man doch nur noch eine Feststellung zie- hen: Die Finanz- und Haushaltspolitik hat ein „Wir haben die allein richtige Politik, und wer sie Stadium an Unvermögen erreicht, das wirklich kritisiert, ist ein Feind der richtigen Politik, ein nicht mehr zu überbieten ist und bei dem Staat Feind des Volkes, ein Feind des Staates, ein Feind und Wirtschaft ernsthaft Schaden nehmen. der parlamentarischen Demokratie." So einfach lie- gen die Dinge! (Beifall bei der CDU/CSU Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Alex Möller als Dieses Denken bedient sich ja auch häufig einer Prophet!) weitverzweigten Propagandamaschinerie. Wenn Und das wurde bei der damaligen Finanzlage ge- man die Kritiker der Regierungspolitik als Gefahr - sagt! für den Staat und als Feinde des Volkes darstellen Wenn sich der Bundesbürger will, so ist das eine Verfälschung des demokra- tischen Auftrages und der Versuch einer Demontage — so heißt es weiter — der parlamentarischen Demokratie. die Frage vorlegt: Wie ist dieses Wirtschafts- wunderland in eine solche Finanzkatastrophe (Beifall bei der CDU/CSU) hineingeraten, Ich darf in diesem Zusammenhang nun letztmalig (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) eine kleine Blütenlese geben. 10968 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Strauß Kurt Schumacher sagte in einer der berühmten Genossen: „Und wenn die unser Godesberger Pro- ersten Debatten des Deutschen Bundestages: Man gramm vorlegen — was von der CDU kommt, wird kann also als Opposition nicht die Ersatzpartei für abgelehnt" ! die Regierung sein und die Verantwortung für etwas (Lachen bei der CDU/CSU — Dr. Marx übernehmen, wofür die Verantwortung zu über- [CDU/CSU] : Das ist ein einfaches Denken!) nehmen sich manchmal Regierungsparteien gegebe- nenfalls scheuen werden. hat es einmal als die Aufgabe der Opposition bezeichnet, der Regierung auf die Finger (Dr. Dregger [CDU/CSU] : So ist es!) zu sehen, auf die Finger zu klopfen und ihre Ablö- sagte am 30. November 1965: sung zu betreiben. Es steht nirgendwo geschrieben, daß die Oppo- (Beifall bei der CDU/CSU) sition dabei helfen soll, eine Regierung aus Heute erleben wir, daß die SPD den arroganten An- einer Zwickmühle herauszuholen, in die sie sich spruch erhebt, die Erfüllung der Demokratie sei nur selbst hineinmanövriert hat. im Sozialismus möglich, und daß Sie — die einen (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Marx radikaler, die anderen schrittweise — eine Umfor- [CDU/CSU] : Ein wahres Wort!) mung der Gesellschaft nach sozialistischem Wunsch Vorbild betreibt. , der dieses Haus schon durch manche Beiträge bereichert hat, erklärte am 2. De- Hat nicht am 21. August 1974, nach zember 1965: seiner Kanzlerschaft, gemäß einer Meldung der Mit uns nicht! Wir sind mit Ihnen nicht zusam- „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" davon gespro- men, wir sind außerhalb von Ihnen! Wir gehö- chen, innerhalb der SPD gebe es eine klare Unter- ren nicht zu Ihrer Regierung, wir opponieren scheidung zwischen dem, was jetzt möglich ist, und gegen diese Regierung. dem, wovon man die Bürger erst schrittweise über- zeugen müsse? — Er fuhr fort: (Wohlrabe [CDU/CSU] : Siehe Bahr! — Hört! Es ist Ihre Sache, meine Damen und Herren von Hört! bei der CDU/CSU) dieser Bundesregierung und der sie tragenden Koalition — manchmal habe ich den Eindruck, Bei der Lektüre dieser Äußerung ist mir das Wort Sie tragen sie nicht nur, sondern Sie schaukeln von der „neuen Wahrheit" Egon Bahrs eingefallen. sie —, (Beifall bei der CDU/CSU) — ich könnte das auch durchaus auf heute anwen- Man hat seinerzeit in der Großen Koalition noch ge- den — meinsam mit uns eine Deutschlandpolitik betrieben mit den Problemen fertig zu werden. Unsere und in einstimmigen Entschließungen dieses Bundes- Sache ist es, Ihnen die Chance zu geben, sich tages verabschiedet, als man schon die gegenteilige nicht auf uns berufen zu müssen. Tun Sie bitte, Deutschlandpolitik als „neue Wahrheit" im Herzen was Sie vermögen! trug, aber nicht zu vertreten wagte, weil man dafür (Dr. Dregger [CDU/CSU] : So ist es!) noch nicht die Mehrheit in diesem Hause für sich zu haben glaubte. Am 23. November 1966: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hier ist ein großes Wort, das Wort von der „Solidarität des Parlaments" gesprochen wor- Das sind eben die Dinge, die uns das Recht geben, den. als parlamentarische Opposition auf die Finger zu sehen, auf die Finger zu klopfen und die Ablösung (Schröder [Lüneburg] [CDU/CSU] : Hört! der Regierung mit legitimen Mitteln zu betreiben. Hört!) Wir werden uns dieses Wort merken ... Nur, (Beifall bei der CDU/CSU) meine Damen und Herren, jetzt ist nicht die Hat nicht in der SPD eine vertrauliche Konferenz Zeit, an irgendwelche Solidarität zu appellie- in Würzburg am 24./25. Januar dieses Jahres statt- ren .. . gefunden, auf der eine 120seitige Denkschrift „Go- (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) desberg und die Gegenwart" behandelt wurde? Was ist denn das? Wofür halten Sie uns denn! Diese Denkschrift enthält doch eine Fülle von War- Wir sind doch anständige Leute; nungen gegenüber den in der SPD sich verbreiten- den Tendenzen, wie sie hauptsächlich — aber nicht (Heiterkeit bei der CDU/CSU) nur! — von den Jungsozialisten vertreten werden, wir waschen doch nicht anderer Leute Wäsche! - Tendenzen, die nicht der Sicherung der parlamenta- ... Sie müssen den politischen Konkurs, den rischen Demokratie, sondern ihrer Umwandlung in Sie erlitten haben, und seine Begleiterscheinun- eine Art Rätedemokratie mit imperativem Mandat gen selbst verantworten. unzweideutig dienen. (Demonstrativer Beifall bei der CDU/CSU) In den letzten Tagen läuft — und wenn man mich Schließlich von Bundesminister Matthöfer — es draußen angreift, habe ich das Recht, hier zu ant- stammt aus derselben seriösen Quelle, aus der man worten; gegen mich schöpft — die Aufforderung an seine (Dr. Häfele [CDU/CSU] : Sehr richtig!) Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 10969

Strauß man erwartet es sogar — in konzertierter Aktion sich handelt und was ich mit diesem besseren Kon- eine Verfälschungs- und auch Verleumdungskam- junkturprogramm meine; wir haben uns ja einge- pagne ungeheuren Ausmaßes gegen mich. hend darüber unterhalten. (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der Die Zahl unserer früheren Vorschläge umfaßt SPD) eine stattliche Reihe. Wir haben auch den Mut ge- habt, die Regierung zu unterstützen, und haben vor Ihre Methoden sind vielfältig, raffiniert, zum Teil gefährlichen Steuersenkungen mit dem Mut zur Un- schäbig, auf alle Fälle rücksichtslos; sie stammen aus popularität in den Jahren 1969 und 1970 gewarnt. dem Instrumentarium der psychologischen Krieg- Wir haben reihenweise Vorschläge für eine spar- führung. same Haushaltsgestaltung gemacht. (Zustimmung bei der CDU/CSU — Lachen bei der SPD) (Dr. Cartens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Sehr richtig!) Ich frage jetzt nicht, was ist richtig, was ist falsch von den aus meiner Rede wiedergegebenen Worten; Wir haben am 6. November 1974 — ich war dabei das frage ich gar nicht. Ich zitiere — und berufe mich in meiner Fraktion federführend — als Signale für dabei auf das angebliche Wortprotokoll — zwei den Ernst der Lage und als Hilfe für die Regierung daraus immer wieder herangezogene Sätze: einen befristeten Stopp aller finanzwirksamen An- träge von uns aus vorgenommen und dieses An- Wir müssen die Auseinandersetzung hier im gebot an die Regierungsparteien gestern ohne Frist Grundsätzlichen führen. Da können wir nicht in unserer Fraktion verlängert. In meinen Reden genug an allgemeiner Konfrontierung schaffen. vor dem Hohen Hause bin ich ohne Billigung mei- Ich habe mich nie für eine totale oder obstruktive ner Fraktion an kooperativer Haltung sogar noch Opposition ausgesprochen, werde aber das, was ich weit darüber hinausgegangen. unter diesen Äußerungen hier verstanden habe — (Oh-Rufe von der SPD) auch wenn sie so wiedergegeben worden sind —, ganz deutlich sagen: Ich habe in diesem Hohen Wir haben am 5. November 1974 Kürzungsvor- Hause fünf Jahre vor Fehlern und Versäumnissen schläge zum Haushalt 1975 in Höhe von 3,2 Milliar- gewarnt, den DM vorgelegt. Wir haben Alternativen zur (Sehr gut! bei der CDU/CSU) Krankenhausfinanzierung, zur Städtebauförderung, zum Betriebsverfassungsgesetz und auf anderen Vorschläge gemacht und Lösungen empfohlen, z. B. Gebieten vorgelegt. das steuerliche Inflationslastenausgleichsgesetz ab 1. Januar 1974 statt der verkorksten Steuer-Schein- Allerdings haben wir mit unseren Mahnungen, reform zum 1. Januar 1975. Warnungen und Vorschlägen große Enttäuschungen erlebt, weil die Regierungsparteien nicht das Maß (Beifall bei der CDU/CSU) an Bereitschaft zur Kooperation mit der Opposition Ich habe mich in meiner Fraktion dafür eingesetzt, bewiesen haben, das bei ihren verbalen Bekundun- daß auch dieses von uns auf dem Gesetzgebungs- gen über gemeinsame Verantwortung hätte er- weg ein wenig verbesserte Werk — es ist nur wenig wartet werden dürfen. verbessert und weist zahlreiche strukturelle Fehler (Zustimmung bei der CDU/CSU) und Schwächen auf — von der CDU/CSU-Opposition angenommen wird, damit der Bürger nicht noch ein Alle unsere Vorstöße und Vorschläge sind ohne weiteres Jahr auf eine steuerliche Entlastung — die überzeugende Argumentation — aus Besserwisserei, zum Teil eingetreten ist — zu warten hat. Rechthaberei, zum Teil aber auch in ausgesproche- ner Verhöhnung der CDU/CSU — zurückgewiesen Wir haben befürchtet, daß die katastrophale worden. Finanzlage — wir sprechen ja nur von Zerrüttung Ich darf hier auch daran erinnern, daß wir bei der Finanzen, noch nicht von der Finanzkatastrophe dem Konjunkturprogramm der Bundesregierung —, die sich im Laufe des Jahres 1975 entwickelt, keine obstruktive Opposition betrieben und von steuerliche Entlastungen im Jahre 1976 überhaupt der uns zustehenden Fristeinrede angesichts des nicht mehr möglich machen würde, der Unfug einer skandalösen Gesetzgebungsverfahrens, in dem Mil- progressiven Explosion der Lohnsteuer mit ihren liarden in wenigen Stunden verplant, verfügt und verhängnisvollen Auswirkungen auf die Arbeitneh- zur Ausgabe freigestellt werden mußten, keinen mereinkommen sich weiterhin ausbreiten würde und Gebrauch gemacht haben, weil das eine Verzöge- daß dies in Verbindung mit unvermeidbaren Lohn- rung von Monaten bei einem geordneten Gesetz- forderungen zu einer neuen Eskalation mit inflatio- gebungsverfahren, wie man es bei einem solchen nären Wirkungen führen würde. Ausgabenvolumen fordern kann, mit sich gebracht Wir haben ein besseres Konjunkturprogramm hätte. Das ist doch die Wahrheit! vorgeschlagen — ich nehme es persönlich auf meine Aber ich scheue mich nicht, zu sagen: Es gibt eine eigene Kappe — als die hektischen Methoden der grundsätzliche Auseinandersetzung, bei der die Kon- Bundesregierung mit Bestrafung der Investitionen frontation unvermeidlich ist; ihre Unterlassung wäre durch eine besondere Steuer und kurz darauf wie- ein semantischer und moralischer Betrug am Bundes- der mit einer finanziellen Belohnung derselben. Das ist von mir in der Kieler Rede, in einem Artikel des bürger. „Handelsblatts" und hier in diesem Hohen Hause (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ vorgetragen worden. Sie wissen doch, worum es CSU) 10970 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Strauß Konfrontation heißt nicht Obstruktion, Konfronta- keit zu nennen. In der „Deutschen Zeitung" sagte tion heißt nicht Sabotage, heißt nicht Destruktion; er am 7. März wörtlich, daß die gegenwärtig fehlen- Konfrontation heißt Gegenüberstellung klarer Fron- den 1,2 Millionen Arbeitsplätze allein durch die In- ten, wie ich sie im Einvernehmen mit allen Mitglie- flation verlorengegangen sind. dern meiner Fraktion gefordert habe. (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Da die Inflationsrate — wenn man das Wort in die- Wenn wir unsere Entschlossenheit, die persön- sem Zusammenhang überhaupt in den Mund neh- liche Freiheit und die individuelle Autonomie des men darf — im Herbst 1969 je nach dem statistischen Menschen gegen Zukunftsutopien einer sozialisti- Index, den man zugrunde legt, zwischen 1,8 und 2,4 schen Gesellschaftsordnung und gegen kollektivisti- lag, kann doch damit nur die Politik gemeint sein, sche Lösungen mit aller Entschiedenheit verteidigen, die nach dem Herbst 1969 zu diesen Erscheinungen dann meinen wir es ernst. geführt hat. (Beifall bei der CDU/CSU) (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU) An dieser Entwicklung — auch an der inflations- Wenn wir vor einer Umfunktionierung vielleicht bedingten hohen Arbeitslosigkeit — tragen Sie, gut gemeinter deutscher Ostpolitik in sowjetische Herr Bundeskanzler, ein gerüttelt Maß an persön- Westpolitik warnen und von der Regierung — lei- licher — und kontinuierlicher — Verantwortung. Sie der vergeblich — Auskunft über den Stand der bezeichneten im Herbst 1971, damals noch als for- Verhandlungen in Genf verlangen, dann meinen wir scher Verteidigungsminister, die Preisstabilität als es ernst. Und die Vorgänge, die sich in diesen bloßes Modewort; Sie erklärten damals: „Mich küm- Tagen in einem Lande Südwesteuropas abspielen, mert die Sorge um die Preise nicht so wie andere." sprechen eine deutliche Sprache, auf welcher Bahn Sie verkündeten seit mehr als 2 1 /2 Jahren die zur sich die gesamte europäische Staatenlandschaft be- Irreführung der Öffentlichkeit führende oder be- findet, wenn sich die Mitglieder der Europäischen stimmte These, 5 % Inflation seien leichter zu er- Gemeinschaft tragen als 5 % Arbeitslosigkeit. Sie versuchten da- (Dr. Wörner [CDU/CSU] : Sehr gut!) mit, den falschen Eindruck zu erwecken, als sei die Inflation der Preis für die Vollbeschäftigung. Sie nicht bald zu einer kraftvollen Gemeinschaft, zu sagten sogar noch im November 1974, schon als einer echten politischen, wirtschaftlichen und mili- Kanzler, man werde 1975 noch erfahren, wie richtig tärischen Großorganisation zusammenschließen. Ihre These von den 5 % lieber so als 5 % so sei. Die (Beifall bei der CDU/CSU) Arbeitnehmer haben es ja tatsächlich erfahren. Als Folge der Inflationspolitik der letzten Jahre haben Hier gibt es eben leider nicht die klare Gemein- wir jetzt nicht nur anhaltende Preissteigerungsraten samkeit. Hier gibt es nur das Einstehen für die von rund 6 %, sondern zugleich den traurigen Re- Grundwerte unserer Verfassung und die Lebens- kord von über 5 % Arbeitslosen und zusätzlich wei- rechte unserer Nation so, wie wir die Zukunft unse- teren fast 5 °/o Kurzarbeitern. Auch wenn diese Zahl, rer Gesellschaft sehen und wie wir die Stellung wie wir selbst erwarten, selbstverständlich im Zuge unseres Landes gegenüber seiner Umwelt geregelt des saisonalen Aufschwunges zurückgehen wird, die und gesichert wissen wollen. Wer diese Sprache in strukturellen Probleme der Verformungen und Ver- den letzten Tagen, wie erlebt, diffamiert, denunziert werfungen innerhalb unserer Wirtschaft bleiben und verleumdet, muß sich den Vorwurf gefallen nach wie vor erhalten und werden von Ihnen leider lassen, daß nur ein Ertappter so laut — mit Schaum nicht einmal angepackt, geschweige denn gelöst. vor dem Munde — brüllt. (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der In Ihrem „Capital"-Interview, Herr Bundeskanz- SPD) ler, vom Dezember 1974 heißt es wörtlich: Die Wahrheit ist eben schwerer zu ertragen, als die Wer den Preisanstieg innerhalb einer Volks- falsche Gemeinsamkeit zu ertragen ist. wirtschaft dämpfen will, nimmt gleichzeitig auch gewisse Dämpfungswirkungen in bezug auf die (Weitere Zurufe von der SPD) Gesamtbeschäftigung in Kauf. Hätten Sie, meine Damen und Herren von der SPD — Das ist doch eine zynische Formulierung. Zuerst das richte ich gerade an die führende Schicht —, schlagen Sie die Warnungen vor der Inflation in den innerhalb Ihrer Partei rechtzeitig die Konfrontation Wind und bezichtigen uns, als ob wir Arbeitslosig- herbeigeführt, wäre sie uns zwischen den Demo- keit zur Disziplinierung der Arbeitnehmer beabsich- kraten dieses Hauses erspart geblieben! tigten; dann verkünden Sie, das bißchen Inflation (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) müsse für die Erhaltung der Vollbeschäftigung eben in Kauf genommen werden, dann erkennen Sie end- Lassen Sie mich nach diesem angesichts der Ereig- lich, daß die Inflation zu einer Gefahr für die Arbeits- nisse unvermeidlichen Exkurs — aber bei einer De- plätze wird, dann treffen Sie zu spät und unzuläng- batte über den Kanzlerhaushalt steht das ganze lich Stabilisierungsmaßnahmen — siehe öffentliche Spektrum der politischen Probleme zur Diskussion — Haushalte —, und dann spielen Sie den Helden und zu einigen wirtschafts- und finanzpolitischen Proble- sagen, unsere Stabilisierungspolitik führt aber zu men zurückkehren. Selbst der wirtschaftspolitische einer gewissen Arbeitslosigkeit, das müßten die Sprecher der FDP-Fraktion kann nicht mehr umhin, Arbeitnehmer in Kauf nehmen. Das ist die Gedan- den wahren Grund für Rezession und Arbeitslosig- kenkette, die wir in den letzten Jahren erlebt haben. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 10971 Strauß Damit geben Sie doch zu, daß CDU und CSU mit privater Wirtschaft und privaten Unternehmern, die ihren jahrelangen Warnungen recht hatten. Bei Notwendigkeit hinreichender Erträge als Voraus- rechtzeitiger und zulänglicher Stabilitätspolitik wäre setzung für die Sicherheit der Arbeitsplätze. Erträge dieser Ablauf nicht eingetreten. und Gewinne werden auf einmal nicht mehr als ka- pitalistische Profite denunziert. Vor noch gar nicht (Beifall bei der CDU/CSU) langer Zeit waren von der Regierung und der SPD Ich möchte hier hinzufügen: Wir hätten eine niedri- die Unternehmer und die sonstig Selbständigen ver- gere Geldentwertungsrate — ich habe nie die Utopie teufelt worden. Siehe die Aktion „Gelber Punkt", einer totalen Preisstabilität als Möglichkeit einer für die auch Sie, Herr Bundeskanzler, da Sie damals CDU/CSU-Politik vertreten, weder als wir in der schon Finanzminister waren und von der Sache doch Regierung waren noch als wir in der Opposition viel verstehen mußten, mitverantwortlich sind. Da- waren —, wir hätten ein, wenn auch bescheidenes, mals haben Sie doch behauptet, die Profitsucht der aber reales Wachstum — vom nominalen Wachstum Unternehmer sei die Hauptursache für die Inflation haben wir nicht viel —, wir hätten normale Vollbe- Das sogenannte Stabilitätsprogramm der Regierung schäftigung, und wir hätten schließlich keine Zer- vom Mai 1973 legte das Schwergewicht allzu ein- rüttung der Staatsfinanzen. seitig auf die Zurückdrängung der privaten Investi- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — tionen. Wir haben doch damals davor gewarnt. Lachen und Zurufe von der SPD) Wenn wir eine „diabolische Politik der Obstruktion" trieben, dann hätten wir Sie in den Jahren ermutigt: So wurden durch falsche Versprechungen, durch „Gehen Sie nur weiter so auf diesem Wege; dann die wiederholten Versuche, die Gefahren für die erreichen Sie nämlich das Ziel, das wir durch unsere Arbeitsplätze zu verharmlosen und zu verniedlichen, Opposition verhindern wollten, die Wirtschaftslage, die Arbeitnehmer für dumm verkauft. An diesem in die wir eingetreten sind, und die Finanzlage, die bösen Spiel waren Sie, Herr Bundeskanzler, mit der unausweichlich gewisse alternative Entscheidungen Autorität Ihres Amtes bis in die jüngste Zeit hinein verlangt! maßgebend beteiligt. Einige Beispiele: Als die Wirt- schaftsforschungsinstitute im letzten Herbst eine Mil- Im Sommer 1973 hieß es in Zeitungsanzeigen der lion Arbeitslose für den jetzigen Winter als unver- Bundesregierung — hören Sie —: „Und hier liegt meidlich darstellten, sprachen Sie empört von das Übel: Unsere Wirtschaft wird stärker bean- Schwarzmalerei. Am 23. Oktober 1974 versprachen sprucht, als ihr auf Dauer guttun kann. Alle müssen Sie — mitten in den Landtagswahlkämpfen —, Sie herunter vom Gaspedal und auf die Bremse treten. würden es nicht zu einer Million Arbeitsloser kom- Die Unternehmer müssen empfindliche Steuern zah- men lassen. len, wenn sie nicht bereit sind, ihre Investitionen (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) aufzuschieben." Das ist es ja, was uns immer wieder beunruhigt, daß Noch im letzten Sommer, als der starke Konjunk- hier immer wieder rein verbale Kraftakte mit einer turabschwung sichtbar wurde, wurden durch die so- Art Coué-Effekt in Anspruch genommen werden, so genannte Steuerreform in der Hauptsache die Un- wie damals Ihr Vorgänger sagte: 4 % Preissteige- ternehmer durch die Neuregelung der einheitswert- rungen kommen nicht in Frage; dann wird es ernst, abhängigen Steuern und die Beseitigung der Ab- dann greife ich persönlich ein. Genau dasselbe Spiel zugsfähigkeit der Vermögenssteuer mit 2,5 Milliar- treiben doch Sie als Nachfolger mit ähnlichen Akten den DM pro Jahr zusätzlich auf Dauer belastet, und der Selbstermahnung und der Selbstermutigung damit wurde ihre Investitionstätigkeit ebenso ein- ohne realen Hintergrund. geschränkt wie ihr Vertrauen in die Zukunft betrof- fen. Aber jetzt wird von Ihnen die Erkenntnis ver- (Beifall bei der CDU/CSU) breitet, daß die privaten Investitionen von heute die Nach den Wahlen nahmen Sie das Versprechen Arbeitsplätze von morgen sind. Mit Zeitungsanzei- zurück und sagten: Eine Million, aber nur im Exrem- gen und Broschüren unter der Überschrift „Jetzt in- fall, d. h. also bei besonders ungünstigen Witte- vestieren, jetzt lohnt es sich" wird für die Inan- rungsbedingungen. Für diesen Winter kann man das spruchnahme der 7 1/2 %igen Investitionszulage ge- Feigenblatt besonders ungünstiger Witterungsbedin- worben. Das ist doch ein geradezu typisches Beispiel gungen wahrlich nicht in Anspruch nehmen. für die kurzatmige Hektik und fast neurotische Un- (Zuruf von der FDP: Abwarten! — Lachen ausgeglichenheit Ihrer Konjunkturpolitik. bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) — Abwarten ist gut, aber Sie haben anscheinend Wir leugnen ja gar nicht einen vielleicht sogar einen falschen Kalender erwischt, nämlich den Ka- länger anhaltenden Strohfeuereffekt dieses Kon- lender, der mit der Zeitrechnung des Jahres eins mit junkturprogramms, das wir als das mit Abstand der Wahl Willy Brandts zum Kanzler beginnt. zweitbeste sogar durch unsere Stimmen in diesem (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Hause unterstützt haben, dessen Verabschiedung wir zeitlich erleichtert haben. Aber wir fürchten, Jetzt wird auch von Ihnen auf der Regierungs- daß die hektische Politik des „stop and go" im Be- seite als das entscheidende Mittel zur Überwindung reich der privaten Investitionen — rein in die Kar- der Arbeitslosigkeit die Wiederbelebung der priva- toffeln, raus aus den Kartoffeln — das verloren- ten Investitionen verkündet. SPD und Teile der FDP gegangene Vertrauen als Voraussetzung für einen — ich meine damit die Teile, die mehr dem linken dauerhaften Aufschwung eher weiter zerstört als Lager angehören — entdecken die Bedeutung von ernsthaft neu schafft. Hier wird viel Geld ausgege- 10972 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Strauß ben, auch für Investitionen, die die großen Unter- sie die Regierungsverantwortung auf sich nehmen nehmen auf Grund ihrer seit Jahren festliegenden konnte, wenn sie es nach fünf Jahren Regierungs- Investitionspläne auch ohne diese Zulage getätigt tätigkeit noch als ihre Hauptaufgabe ansieht — an- hätten. Aber das seit Jahren zerstörte Vertrauen gesprochen von Helmut Schmidt —, sich ein grö- in die Zukunft wird durch die nur für ein halbes ßeres Realitätsbewußtsein zu eigen zu machen? Jahr geltende Zulage bestimmt nicht wieder herbei- (Beifall bei der CDU/CSU) geführt. Ich komme nochmals auf die Auseinandersetzung Hier frage ich Sie, Herr Bundeskanzler: Wann der letzten Tage aus diesem Anlaß zu sprechen. Hier wird denn endlich die Bundesregierung die Prüfung werden mir folgende Äußerungen in den Mund des sogenannten Verlustrücktrages beenden? Der gelegt: Bundesrat hat sich dafür ausgesprochen, weil die Wir würden Gefahr laufen, wenn wir vorschla- Länderregierungen die Verantwortung ernst neh- gen, es muß jetzt konkret geschehen a, b, c, d men, gleichgültig, von welchen Parteien sie getra- usw., daß die es nicht tun. Lieber eine weitere gen werden. Der Bundeswirtschaftsminister ist da- Inflationierung, weitere Steigerung der Ar- für; die Bundesregierung läßt verlauten, daß sie beitslosigkeit, weitere Zerrüttung der Staats- ernsthaft auf eine Prüfung einzugehen bereit sei. finanzen in Kauf nehmen, als das anzuwenden, Wie lange brauchen Sie denn noch zum Prüfen? was wir als Rezept für notwendig halten, mit Im November letzten Jahres haben wir den Vor- der Maßgabe, daß die sagen: „Seht, solange wir schlag in der Öffentlichkeit gemacht. Jetzt haben da sind, ist unser Leiden ja nicht gar so schlimm. wir Mitte März. Soviel wir wissen, ist Herr Fride- Wenn die anderen hinkommen, die muten Euch richs dafür, ist Herr Apel dagegen. Herr Schmidt eine Roßkur zu." So weit sind wir noch nicht. schwebt in höheren Regionen. (Zuruf von der SPD: Langsamer vorlesen!) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Es muß wesentlich tiefer sinken, bis wir Aus- Die FDP hat doch selbst die Notwendigkeit dieses sicht haben, politisch mit unseren Vorstellun- Verlustrücktrages als eines schnell wirksamen Mit- gen, Warnungen, Vorschlägen gehört zu wer- tels zur Liquiditätsverbesserung und damit zur Ver- den. besserung sowohl der Investitionsbereitschaft als auch der Investitionsfähigkeit unterstrichen. Ich zitiere das jetzt einmal wörtlich so, wie es ver- öffentlicht worden ist. Ich rede auch nicht davon, Das verspielte Vertrauen wiederzugewinnen, ist wieweit die einzelnen Sätze hier korrekt wieder- nur möglich mit einer vollen Offenlegung der tat- gegeben werden sächlichen Situation und nicht mit einem Offen- (Oh-Rufe bei der SPD) barungseid in Miniraten. Haben Sie doch endlich einmal den Mut, die wirklichen Gründe für Infla- oder infolge der Unzuverlässigkeit der Technik tion, Arbeitslosigkeit, Rezession und ramponierte (Zurufe von der SPD) Staatsfinanzen offen zuzugeben! Versteckt sagen — oh, ich laufe nicht davon; haben Sie keine Sie es ja schon in dem Kommuniqué über die ge- Angst — in holpriger Sprache, die mir nicht zu eigen meinsame Sitzung von Parteirat, Parteivorstand und ist, zitiert werden. Kontrollkommission der SPD am 11. November 1974 (Lachen bei der SPD) in Berlin. Dort heißt es: „Wer das Unmögliche will, gefährdet das heute Mögliche." Diese Feststellung, Es ist aber — lassen Sie mich das sehr deutlich die sich wie ein Satz aus einem konservativen sagen — ein Schwindel, es grenzt an Wahlbetrug, Parteiprogramm liest, kann ich nur unterstreichen. an dem sich leider auch der Herr Ministerpräsident Aber die Erkenntnis ist doch erst gekommen, nach- Kühn jetzt mit seinen Inseraten beteiligt, dem Ihnen das Wasser am Hals stand. Diese Er- (Wohlrabe [CDU/CSU] : Sehr richtig! Das kenntnis haben wir hier fünf Jahre ohne jede Auf- ist so eine Sondertype!) nahmefähigkeit auf Ihrer Seite vertreten; wir haben wenn die SPD mit ihrer Wahlkampfanzeige mir die nur Hohn und Spott und Ablehnung dafür gefunden. Absicht der Krise und den Willen zur Krise unter- Die SPD/ FDP-Koalition hat doch seit 1969 konse- stellt. quent gegen diese Erkenntnis verstoßen; sie ver- (Zurufe von der SPD: So ist es!) mochte die Grenzlinie zwischen dem Möglichen und dem Unmöglichen, dem Wirklichen und dem Un- Ich habe klipp und klar gesagt — und der bisherige wirklichen nicht zu erkennen, nicht richtig zu ziehen. Ablauf der Diskussionen in den letzten fünfeinhalb Jetzt muß der Bevölkerung endlich einmal konkret Jahren spricht für die Richtigkeit dieser meiner Auf- gesagt werden, wo Unmögliches gewollt und wo fassung —: Wenn wir Alternativen anbieten, wer- deshalb das Mögliche gefährdet oder unmöglich ge- den sie nach sattsam gemachten Erfahrungen abge- macht worden ist und wie es weitergehen soll; lehnt. Mehr noch: unsere Alternativen — siehe Vor- denn Sie sind ja nicht im Herbst 1974 an die Regie- schlag, Steuersenkungen 1969 und 1970 nicht vorzu- rung gekommen, sondern im Herbst 1969. nehmen — wurden in demagogischer Weise zur Auf- wiegelung der Arbeitnehmer draußen im Lande Sie selbst, Herr Bundeskanzler, haben doch in gegen uns benutzt. einer Sitzung Ihrer Partei erklärt, es sei die Aufgabe (Beifall bei der CDU/CSU) der SPD, sich ein größtmögliches Realitätsbewußt- sein zu erwerben. Meinen Sie nicht, da hätte Ihre Die Bundesregierung hat doch damals, bis kurz Partei noch lange in die Schule gehen müssen, bevor vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 10973 Strauß den Eindruck aufrechterhalten, als kämen die Steuer- zierung seiner Ausgaben genauso hoch wie in den senkungen am 1. Juli 1970. 20 Jahren von 1949 bis 1969. (Wohlrabe [CDU/CSU] : Alles Betrug!) (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) Die Wahlen waren vorbei, und es hieß: April, April; Ich möchte Sie, Herr Finanzminister, hier ernsthaft die Konjunkturlage erlaubt die Senkung der Steuern bitten, diesen faulen Zauber — ich kann auch sagen: nicht, wie man sie noch am 5. Juni 1970 vorgeschla- fleißigen Zauber nicht zu wiederholen, den Sie gen und am 18. Juni 1970 dann in diesem Hause ab- mir das letzte Mal entgegengehalten haben, als ob gelehnt hat. die Altschulden, nämlich Auslandsschulden, Umstel- (Stücklen [CDU/CSU] : Sehr wahr!) lungsausgleichsforderungen im Zusammenhang mit der Währungsreform, in Höhe von etwa 14 Milliar- Diese Äußerungen können nicht anders verstanden den hier herangezogen werden könnten. Die erste werden, als daß die Bundesregierung lieber weitere Bundesregierung und die auf sie folgenden Bundes- Inflationierung, weitere Steigerung der Arbeitslosig- regierungen haben an Neuschuldenaufnahme von keit, weitere Zerrüttung der Staatsfinanzen in Kauf 1949 bis 1969 31 Milliarden DM auf sich genom- nimmt als die Rezepte anzuwenden, men — in zwei Jahrzehnten, und das machen S i e (Wohlrabe [CDU/CSU] : So ist es!) in zwei Jahren! die wir von der Opposition für notwendig halten (Beifall bei der CDU/CSU Wohlrabe und oft genug vorgeschlagen haben. [CDU/CSU]: Armutszeugnis!) (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU — Auf der Grundlage der beschlossenen Programme Lachen bei der SPD) und Gesetze werden die Defizite ab 1976 noch hö- her. Auch eine Konjunkturbelebung ändert daran Es ist und bleibt nicht nur meine Meinung im Allein- nichts. Das Berliner Institut DIW sagt in seinem gang, sondern unsere gemeinsame Meinung in der Wochenbericht vom 6. März: CDU/CSU, (Beifall bei der CDU/CSU) Die öffentlichen Ausgaben und Einnahmen klaf- fen gegenwärtig so weit auseinander, daß die daß wir erst, wenn die Lage noch schlechter gewor- Lücke sich weder im Gefolge einer günstigen den ist — das gilt jetzt vor allen Dingen auf dem konjunkturellen Entwicklung noch durch spar- Gebiet der Finanzen same Haushaltsführung schließen wird. (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Das möchten Da haben wir doch das Recht, zu fragen: Was ma- Sie?!) chen Sie denn dann, um mit diesem Problem fertig — nein, dafür sorgen Sie — Aussicht haben, mit zu werden? unseren Vorstellungen, Warnungen und Vorschlä- (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Narjes gen gehört zu werden. [CDU/CSU] : Schulden!) (Beifall bei der CDU/CSU) Das wollen wir hier wissen. Wir sind doch nicht Ersatzregierung. Sie verschwei- Der Grund liegt doch nicht in der sogenannten gen doch ernsthafte Auskünfte, wie es finanziell Steuerreform mit dem behaupteten, mittlerweile nach dem Jahre 1975 weitergehen soll. Verlangen fragwürdig gewordenen Ausfall von 14 Milliarden Sie denn von uns, daß wir in der Öffentlichkeit vor- DM. Das ist doch nur eine Teilerstattung dessen, schlagen sollen, was Sie tun müßten, und daß wir was durch inflationär bedingte Entwicklung der den Mut für das aufbringen, was zu tun Sie sich Lohnsteuer vorher kassiert und gleich ausgegeben weigern? worden ist. Sie liegt im inflationären Anstieg der (Beifall bei der CDU/CSU) Staatsausgaben und ihrem Anteil am Sozialprodukt Ich habe das vorher schon einmal zitiert. seit 1969, verstärkt seit der Übernahme des Finanz- (Beifall bei der CDU/CSU) ministeriums durch Herrn Schmidt. Im Jahr 1969 nahm der Staat — Bund, Länder, Gemeinden, So- Wer das anders auslegt, ist ein Fälscher, Verleum- zialversicherung — von jeder in der Volkswirt- der und Nachrichtenschwindler. schaft verdienten Mark 37 Pfennig in Anspruch. Als (Beifall bei der CDU/CSU Lachen bei Herr Schmidt in die Rheindorfer Straße zog — nach der SPD) Schiller —, waren es 39 Pfennig. 1974 waren es 43 Pfennig, und 1975 werden es voraussichtlich Schonungslose Offenheit ist vor allem in der schon 45 Pfennig sein — Neuverschuldung von Finanzpolitik erforderlich. Die (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) Bund, Ländern und Gemeinden, Bahn und Post wird genausoviel wie im ersten Entwurf des SPD-Lang- sich in diesem Jahr um 50 bis 60 Milliarden- DM er- höhen. Allein die Verzinsung dieser Mehrverschul- zeitprogramms unter Vorsitz des heutigen Bundes- dung macht so viel aus, wie der Mehrertrag der An- kanzlers als langfristiges Ziel erst für 1985 ange- hebung der Mehrwertsteuer um einen ganzen Punkt strebt worden ist. Hier zeichnet sich doch eine Ent- bedeuten würde. wicklung ab, Herr Bundeskanzler, bei der man eine Klärung der Ansichten und eine Klärung der Fron- (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) ten, auch auf dem Wege der klaren Gegenüberstel- In nur zwei Jahren — 1974 und 1975 — verschuldet lung, verlangen muß. Wollen wir auf diesem Wege sich der Bund — ohne Bahn und Post — zur Finan fortfahren und den Privatspielraum des verfügbaren 10974 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Strauß Einkommens immer stärker einschränken und die einerseits sagt, das Geld für die Erfüllung des Fi- Staatsquote immer stärker ausdehnen? Das ist doch nanzplans sei gar nicht vorhanden, und andererseits eine Weichenstellung, über die man nicht durch kurz vorher gesagt hat, der Finanzplan streiche Zahlentricks oder verbale Schauspiele hinwegkom- schon alle Ausgaben auf das unumgänglich Notwen- men kann. dige und Lebenswichtige zusammen — wie sollen (Beifall bei der CDU/CSU) denn diese beiden Angaben für jemanden, der noch zu denken vermag und über das normale Einmaleins Die „Welt" schreibt vorgestern, unter dem Motto, verfügt, in einen sinnvollen Zusammenhang gebracht alles werde besser, schöner, größer, würden die werden können? Folgen von Versprechungen verdrängt und verharm- lost. Die „Welt" gebraucht den bekannten Vergleich: (Beifall bei der CDU/CSU) Aus dem Regierungslager, schreibt Herr Gillies, Der Regierungssprecher im Deutschlandfunk am stammt das Gleichnis vom Fensterputzer, der aus letzten Sonntag: „Harte politische Entscheidungen dem 87. Stockwerk eines Wolkenkratzers abstürzte, stehen als Folge der Finanzlage bevor." Herr Apel weil er Warnungen mißachtete und sich nicht an- hatte in der „Welt am Sonntag", vorletzte Ausgabe, schnallte. Als er an der dritten Etage vorbeiflog, zu der Frage, ob es Steuererhöhungen gibt, nicht murmelte er: Was die Meckerer da oben nur wollen, Stellung nehmen wollen. Genauso hat er sich ge- bisher ist noch alles gutgegangen! drückt, als er dem „Münchner Merkur" Auskunft (Heiterkeit bei der CDU/CSU) auf dieselbe Frage geben sollte. Wenn das Ver- trauen wiederhergestellt werden soll, muß die Re- Schon 1975 stößt der Staat mit seinen Schulden gierung die Wahrheit über die wirkliche Finanzlage an die Grenzen des kapitalmarktpolitisch und finanz- und ihre Entwicklung in schonungsloser Offenheit politisch Vertretbaren und muß laufende Ausgaben darlegen. Das ist die erste Voraussetzung zur Be- mit der Geheimwaffe der 10 Milliarden DM aus dem hebung der Vertrauenskrise und zu einer verant- Stabilitätskeller der Bundesbank finanzieren. Ge- wortlichen Zusammenarbeit aller in diesem Hause nau das Gegenteil haben Sie der Öffentlichkeit und vertretenen politischen Parteien, um dieser Krise diesem Hause versprochen. Herr zu werden. (Sehr wahr! bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Die eigentlichen Probleme kommen aber erst nach Was Politiker des zweiten Gliedes wie Herr 1975. Allein beim Bund ist ein Defizit von über Haehser, Herr Porzner, Graf Lambsdorff sagen, es 30 Milliarden DM zu erwarten. Würde dieses Defizit gebe im Jahr 1976 keine Steuererhöhungen, das voll mit Schuldenaufnahmen finanziert, so wäre interessiert uns nicht. Wir wollen von den Verant- das durch das Grundgesetz verboten. Der Bund wortlichen der ersten Etage, von Herrn Schmidt und würde in einem Jahr dann genausoviel Schulden Herrn Apel, hören, was sie auf diesem Gebiete vor- aufnehmen wie in den 20 Jahren von 1949 bis 1969. haben und wie sie sich die Lösung dieses Problemes (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) vorstellen. (Beifall bei der CDU/CSU) Dazu brauchte Herr Apel in den beiden letzten Jahren noch zwei Jahre; im Jahr 1976 schafft er Sie wissen doch genausogut wie wir — aber Sie es in einem Jahr. Glauben Sie wirklich, Sie könnten müssen es sagen, weil Sie die Mehrheit haben und die Schuldenlawine einfach so vor sich herschieben, Sie die verfassungsmäßige Verantwortung dafür Jahr für Jahr größer werden lassen, allen Dementis tragen —, daß entweder Steuererhöhungen und bzw. zum Trotz? Sie finden doch keinen wirklichen, se- oder einschneidende Abstriche an beschlossenen riösen Experten, der den von Ihnen verschuldeten Leistungen oder dann nur eine Politik der perma- Zwang zur Notwendigkeit einschneidender Bela- nenten Geldschöpfung mit trabender Inflation und stungen der Bürger ab 1976 leugnen würde. Ich unübersehbaren destruktiven Folgen für unser ge- brauche mich hier nur auf den gleichen Bericht des sellschaftliches Gefüge die möglichen Alternativen Berliner Institutes zu berufen. Aber selbst Herr sind. Das sollte doch hier einmal gesagt werden Apel hat mehrfach zugegeben, daß für den von der statt des verwirrenden Zahlenspiels mit verbalen Regierung noch im letzten Jahr beschlossenen Fi- Ausreden, wie wir sie seit Jahr und Tag nunmehr nanzplan für die Jahre bis 1978 das Geld nicht da hören. ist. So in dem Interview „Journalisten fragen — Po- (Beifall bei der CDU/CSU) litiker antworten". Und er hat Steuererhöhungen Die Finanzlage der Sozialversicherung kann hier nicht ausgeschlossen. Er hat verharmlosend gemeint, nur mit einem Wort erwähnt werden; es werden in erster Linie seien es Ausgabenkürzungen. Jetzt andere darüber sprechen. Aber unsere Forderung haben wir aus dem Bundesrat von ihm gehört: „Spa- auf Klarheit in der finanziellen Entwicklung er- ren, sparen, sparen!" Oh, welch eine konservative, streckt sich sowohl auf die fiskalischen Instanzen reaktionäre Einstellung! Früher hätte man -sie bei- in Bund, Ländern und Gemeinden wie auf die para nahe als Anfall einer faschistoiden Rückständigkeit fiskalischen der Sozialversicherungen. Die Beiträge bei den anderen Parteien bezeichnet. Im Vorwort zur Arbeitslosenversicherung wurden zuletzt am zum Finanzplan schrieb Herr Apel wörtlich — im 1. Januar dieses Jahres erhöht. Das reicht doch bei Finanzplan! —, daß die Ausgaben schon auf das weitem nicht aus. Der Bund muß mit 3 Milliarden Wesentliche und Notwendige beschränkt seien, DM zusätzlich einspringen. Es bleibt völlig offen, ohne dabei Leistungsansprüche einzuschränken, die ob die 3 Milliarden DM ausreichen — nach Mei- den Bürgern gesetzlich zugesichert sind. Wenn er nung des Bundesrechnungshofes offensichtlich nicht. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 10975 Strauß Bei der Krankenversicherung steigen die Kosten Schonungslose Offenheit in der Finanzpolitik heißt und Beiträge explosionsartig an. Hier werden auf auch, daß sich der Bundeskanzler Schmidt von den dem Wege natürlich der Selbstverwaltung die Bei- Praktiken des Finanzministers Schmidt lossagt und träge jeweils durch Beschlüsse der örtlichen Gre- seinem Nachfolger verbietet, was er selbst getan mien erhöht; dann braucht die Bundesregierung sich hat, nämlich in Nacht-und-Nebel-Aktionen am Par- nicht mit diesem Problem zu befassen. lament vorbei Milliardenbeträge an Steuergeldern (Sehr wahr! bei der CDU/CSU) auszugeben. Die Entlastung der Rentenversicherung und die (Wohlrabe [CDU/CSU] : Sehr richtig!) Mehrbelastung der gesetzlichen Krankenversiche- Nach den Feststellungen des Rechnungshofes ver- rung führt aber am Ende mit der Erhöhung der Bei- stießen fast drei Viertel der ohne parlamentarische träge zu genau demselben Ergebnis. Darüber wird Genehmigung in Höhe von etwa 3 Milliarden DM ein weiterer Redner von uns sich äußern. weder im Haushalt noch in einem Nachtragshaushalt gemachten über- und außerplanmäßigen Ausgaben Wie die Entwicklung bei der gesetzlichen Renten- der Jahre 1972 und 1973 gegen Verfassung und versicherung ist, mag einer späteren Prüfung vor- Haushaltsrecht. behalten bleiben. (Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU]: Hört! Ich will hier nicht die Debatte zur Steuerreform, Hört!) die bei der Erörterung des Jahreswirtschaftsberichts geführt worden ist, wiederholen. Wir sind keine Für dieses skandalöse Sich-Hinwegsetzen über die Trittbrettfahrer; diese Reform überlassen wir Ihnen Grundrechte des Parlaments trägt der damalige Bun- gerne. Wir legen nur Wert auf die Feststellung, desfinanzminister Helmut Schmidt allein die volle daß wir die gleichmacherische Änderung des Sy- Verantwortung. stems in der Abzugsfähigkeit der Sonderausgaben (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) verhindert haben und auch in Zukunft, wenn wir können, verhindern werden, weil das nur zu einer Er verfügte über die Steuergelder der Bürger, wie Mehrbelastung eines Großteils unserer fleißig arbei- ein absoluter Monarch in Serenissimi Zeiten über tenden Bürger und ihrer Ehefrauen führt. die Staatskasse verfügt hat. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU Wohlrabe [CDU/CSU] : Unerhört! Noch ein Renaissan Ich habe von der Mehrbelastung der Wirtschaft cefürst!) durch die sogenannte Steuerreform bereits gespro- Wir haben in dem Zusammenhang Verfassungs- chen. Diese Steuerreform ist aber ein Torso mit klage erhoben. Angesichts dieses Tatbestandes aller- neuen Ungerechtigkeiten und Komplizierungen. Der dings, Herr Bundeskanzler, können wir in dieser neue Einkommensteuertarif hat doch gerade bei den unteren und mittleren Einkommen eine steilere Pro- Debatte über Ihre Ausführungen über das Rollen- gression als der alte Tarif. Die Lohnsteuerzahler verständnis der Verfassungsrichter nicht hinweg- werden im Laufe des Jahres Milliarden D-Mark an gehen; denn diese Ihre Aussagen sind schon wieder Steuern mehr zahlen, die dann erst später zum Teil eine Art präventiver Einschüchterung, weil sie hier erstattet werden. Die Reform der Kraftfahrzeug- Grund haben, ein schlechtes Gewissen zu haben. steuer ist begraben worden, die Reform der Körper- Selbst die regierungsfreundliche Presse hat diese schaftsteuer liegt auf Eis, die Vereinheitlichung der Ihre Ausführungen herb kritisiert. Ich will damit Sparförderung fand nicht statt, und Ihre Pläne zur nicht das Recht zu sachlicher Kritik an Entscheidun- Vermögensbildung sind allmählich nur mehr Gegen- gen des Verfassungsgerichts in Frage stellen. Auch stand kabarettreifer Erörterungen in der Offentlich- für uns gab es Urteile, die uns nicht paßten; man keit geworden. Die Opposition ist nicht bereit, für wäre ein Heuchler, wollte man das leugnen. Aber im diese Bilanz die Verantwortung mit zu übernehmen, Kern geht es bei Ihren Angriffen zum Rollenver- auch nicht als Trittbrettfahrer. ständnis um die Frage, ob das Bundesverfassungs- gericht dazu da sei, politische Entscheidungen der Eine Feststellung möchte ich treffen, Herr Bun- parlamentarischen Mehrheit zu ändern. Ja, das Ver- deskanzler. Durch die früher erfolgten Anhebungen fassungsgericht ist, wenn wir eines behalten wollen, vieler Verbrauchsteuern im Werte von 8 Milliarden auch dafür da. Sonst brauchen wir nämlich keines. DM in einem Jahr, durch diese Art einer verkork- (Beifall bei der CDU/CSU) sten und verplemperten Steuerreform, ferner durch die von Ihnen ja doch in Erwägung gezogene Erhö- Das Verfassungsgericht hat auch das Recht, solche hung der Mehrwertsteuer in einer vorausschaubaren Entscheidungen aufzuheben und nicht nur etwa bei Zukunft nur zur Deckung Ihrer Defizite haben Sie Gesetzen zweitklassiger Bedeutung, wie dem Eisen- den Spielraum für eine echte Steuerreform für eine bahnwegekreuzungsgesetz, die Verfassungsmäßig- - nicht näher nennbare Zahl von Jahren verschwendet keit der Zuständigkeitsregelung zu prüfen. und verplempert. (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Wer so argumentiert, der spricht sich für die Ab- Das ist die traurige Bilanz; denn dieses Geld hätten schaffung aus. Solange das Verfassungsgericht be- wir gebraucht, um eine echte Steuerreform durchfüh- steht, wird es ja nur mit den Gesetzen und Beschlüs- ren zu können. Es bleibt Ihnen doch der Spielraum sen der jeweiligen parlamentarischen Mehrheit be- dann einfach nicht mehr dafür. faßt werden. Auch diese ist an die Artikel der Ver- 10976 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Strauß Fassung gebunden. Das muß durch ein unabhängiges änderten Rahmenrichtlinien z. B. in Nordrhein-West- Gericht kontrolliert werden. Was sollen schließlich falen 1973 als Lehrziel für alle Klassen stand: Fähig- Redensarten aus dem Munde der Propagandisten keit zum Widerstand gegen nicht akzeptierte Herr- von SPD und FDP wie „Prozeßhansel" oder „Miß- schaftsverhältnisse und gesellschaftliche Zwänge, brauch des Verfassungsgerichts"? Wenn ein zustän- Fähigkeit und Bereitschaft, eigene Gefühle, Wider- diges Verfassungsorgan oder eine nach dem Gesetz stände und Bedürfnisse, die der Anpassung an ge- dafür zuständige Institution dieses Gericht in einer sellschaftliche Zwänge entgegenstehen, als Trieb- Frage, für die dieses Gericht kompetent ist, anruft, kräfte für politische Veränderungen einzusetzen, ist das doch ein völlig zulässiges rechtsstaatliches wenn dort steht: Kenntnis und Entwicklung von Verfahren, das nicht mit solchen Ausdrücken in den Innovationsverfahren oder Widerstandstechniken — Dunstkreis gar noch des Illegalen, Sabotageartigen (Dr. Marx [CDU/CSU] : Für Zwölfjährige!) oder Obstruktiven hineingezerrt werden darf. das ist doch die Handreichung für die Radikalen, das (Beifall bei der CDU/CSU) ist ein Mißbrauch unserer Kinder, die für die Eltern und für sich da sind und nicht für die Gesellschaft Dasselbe gilt auch für Ihre damaligen Äußerungen, und für den Staat. die Anrufung des Verfassungsgerichts zur Feststel- lung der Verfassungsmäßigkeit des Grundlagenver- (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) trages sei ein Schaden für das Ansehen der Bundes- republik im Ausland gewesen. Diese Ihre Denkweise Lassen Sie mich am Ende meiner Ausführungen hat ja eine Vorgeschichte. Und in dem Zusammen- noch ganz wenige grundsätzliche Bemerkungen ma- hang haben wir hier ja auch die eigenartige Infor- chen. Bei der Debatte über die innere Sicherheit mationspolitik des Herrn Staatssekretärs Bölling haben wir ein merkwürdiges Spiel von Doppelstra- erlebt — sicherlich auftragsgemäß —; denn zu der tegie erlebt. Zuerst sprach der Staatsmann Helmut Behauptung der CDU-Abgeordneten Lenz und Vogel, Schmidt, und dann sprach der Parteivorsitzende Bundeskanzler Schmidt habe sich in die Reihe derer Willy Brandt — mit schön verteilten Rollen und mit gestellt, die offen oder versteckt das Verfassungs- Zukunftsperspektiven, die wir sorgfältig verfolgen gericht angreifen, und seine Bemerkungen über die werden. Auch das ist eine Art Doppelstrategie. Der Verfassungsgerichtsbarkeit könnten als Versuch Parteivorsitzende der SPD hat von den gesellschaft- mißverstanden werden, das Karlsruher Gericht unter lichen Problemen gesprochen, die man lösen müsse, Druck zu setzen, hat Bölling in der Fernsehsendung wenn man dieser Gesellschaft ein festes Sicherheits- „Panorama" erklärt, hier handele es sich um eine gefüge geben wolle. Die Politik der von SPD und mutwillige Verdrehung der Aussagen: FDP getragenen Bundesregierung hat dieser Gesell- schaft nicht ein Mehr an Geborgenheit, nicht ein Der Bundeskanzler hat über jeden Zweifel klar Mehr an Zukunftssicherheit, nicht ein Mehr an Ver- gemacht, daß an der Verfassung des Karlsruher trauenskraft gegeben, sondern ein Weniger. Sie hat Gerichtes nicht gebastelt werden dürfe und daß nicht zuletzt bei den jungen Menschen eine see- er sich im Vorfeld des Urteils über § 218 nicht lische und materielle Zukunftsangst geschaffen, die äußern werde. Die Bemerkung des Kanzlers, sich durch Fortsetzung der gegenwärtigen Politik zu daß die Richter das Recht auszulegen und, wenn einer unübersehbaren Belastung auswirken muß. der Gesetzgeber sie im Stich lasse, vielfach auch selber Recht zu setzen hätten, kann nur von (Beifall bei der CDU/CSU) denen als Pressionsversuch mißverstanden wer- Dieselben, die versprochen haben, bis zum Jahre den, denen aus parteipolitischen Gründen an 1975 den Numerus clausus überhaupt aufzuheben, einem solchen Mißverständnis gelegen ist. müssen doch heute sehen, daß sie mit ihrer Propa- (Lachen bei der CDU/CSU) ganda, die höchsten Abiturientenzahlen seien ein Beweis für die höchste Bildungsqualität, für die Wer den Text der Äußerungen des Kanzlers liest, höchste Qualität der Bildungspolitik eines Landes, der merkt sofort, daß Herr Bölling hier zum Gegen- mit der Propaganda, daß der eigentliche Mensch stand seiner regierungsamtlichen Polemik Äußerun- der Zukunft erst beim Abiturienten beginne, doch gen des Kanzlers macht, die von Vogel und Lenz einen Stau vor den Toren unserer Hochschulen her- überhaupt nicht kritisiert worden sind, sich aber aus- vorgerufen haben. Dieser Stau führt ja heute schon schweigt zu dem, was Gegenstand der Kritik der zu ganz gefährlichen Zuständen; denn wenn diese beiden CDU-Abgeordneten gewesen ist. Das kann Menschen jahrelang keine Aussicht haben, den ge- man in anderen Kreisen machen, Herr Bölling, in wünschten Beruf zu ergreifen, dann werden sie denen Sie früher verkehrt haben, als Sie das Ame- sehr leicht nützliches Verbrauchsmaterial für die Ent- rika-Bild in Deutschland in eigenartiger Weise dar- wicklungen, über die wir am letzten Donnerstag stellten. gesprochen haben. Noch mehr fürchte ich aber, daß (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — nach dem Stau vor den Toren der Hochschulen der Wohlrabe [CDU/CSU] : Auch so ein Hetzer Stau vor den Toren der Berufswelt kommen wird. und Fälscher!) (Dr. Marx [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Ich könnte sehr wohl zur Glaubhaftmachung des- Und haben nicht die Regierungskoalition und die sen, was Konfrontierung im grundsätzlichen bedeu- Bundesregierung entweder ihr Unvermögen oder tet, auch auf dem Sektor Bildungspolitik einiges ihren mangelnden Willen in der Debatte am letzten beitragen; ich will es wegen der Kürze der Zeit hier Freitag bekundet, das Problem der Jugendarbeits- unterlassen. Aber wenn in den nur geringfügig ge- losigkeit ernsthaft, auch in diesem Zusammenhang Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 10977 Strauß langer gesellschaftspolitischer Perspektiven, wirk- tungen des CSU-Vorsitzenden gewesen sind, bei die- lich anzugehen? ser Verhaltensweise hier heute aufbringen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und SPD) Wir werden jedenfalls nicht aufhören, die Dinge Dies ist allerdings ja fast nicht mehr nur Privat- im Lande beim richtigen Namen zu nennen. sache. Mir fällt dabei ein Sprichwort ein, das ich jetzt aber nicht zitiere, weil mir der Kollege Strauß (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) einen Ordnungsruf nicht wert ist. Wir werden nicht aufhören, Solidarität zu üben, wo (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und Solidarität nicht zur verbalen Beschwichtigung und der SPD) psychologischen Beschwörung, sondern mit dem Ernst zur wirklichen Lösung der Probleme und mit dem Mut zur Unpopularität in der Übernahme der Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordne- Regierungsverantwortung gehandhabt wird. Eine ter, ich hoffe, daß Sie grundsätzlich jedem Ord- funktionsfähige Opposition ist auch dann notwendig, nungsruf aus dem Wege gehen. wenn die Regierung nicht funktionsfähig ist. (FDP) : Verehrter Herr Präsident, dies habe (Beifall bei der CDU/CSU) Kirst ich bisher ohne große Mühe, wie ich mir zu sagen Das böse Wort von der Nichtregierbarkeit der Bun- erlaube, erreicht. Aber es gibt ja Situationen, in desrepublik durch die CDU/CSU ist doch nichts denen man sich überlegt: Soll man es vielleicht ris- anderes als ein Ablenkungsmanöver von der Regie- kieren, um gewisse Dinge deutlich zu machen? So rungsunfähigkeit der Regierungsparteien, vornehm- war diese Bemerkung gemeint. lich der SPD. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der SPD — Zurufe von der CDU/CSU: Zur Sache! — Zur Sache Künstliche Aufregung, heuchlerische Empörung, Schätzchen! — Dummheiten!) Verdrehung der Zusammenhänge, Verfälschung der — Das gehört so zur Sache wie das, was Sie immer Sinngehalte sind die Methoden derer, die mit den sagen. Sachproblemen nicht fertig werden und deshalb (Zuruf des Abg. Nordlohne [CDU/CSU]: dauernd von uns auch in der grundsätzlichen Kon- Der ist vom nordrhein-westfälischen Mini frontation gestellt werden müssen. sterpräsidenten nicht weit entfernt!) (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ — Sie sitzen leider so weit hinten, daß ich Ihre CSU) sicher sehr bedeutenden Zwischenrufe akustisch nicht verstehen kann. Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Ich wollte sagen — das ist jetzt sehr ernst ge- Abgeordnete Kirst. meint —: (Dr. Marx [CDU/CSU] : Jetzt!) Kirst (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr geehr- Mich hat diese Rede von Sonthofen überhaupt nicht ten Damen und Herren! Der Beifall, den die Frak- überrascht, tion der Opposition dem Kollegen Strauß in ge- (Zurufe von der SPD: Uns auch nicht!) wohnter Manier gespendet hat, könnte es uns er- denn ich habe mir den Herrn nicht anders vorge- möglichen, die Debatte etwas abzukürzen, weil die- stellt und Ihre Politik insgesamt eigentlich auch ser Beifall zeigt, daß es Zeitverschwendung wäre, nicht. ein Versuch am untauglichen Objekt, noch weiter (Beifall bei der FDP und der SPD) zu versuchen, zwischen dem Herrn, der eben ge- sprochen hat, und seiner Partei bzw. seiner Schwe- Das ist doch nur ein unfreiwilliges Eingeständnis — sterpartei zu differenzieren. auf Tonband und Papier — dessen, was Sie hier seit fünf Jahren bewußt oder unbewußt praktizieren. (Beifall bei der FDP und der SPD) (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Mit Phonstärke haben Sie uns bewiesen: Strauß ist Wagner [Trier] [CDU/CSU] : Ein scheuß die Union — Union ist Strauß. Wir nehmen das zur liches Niveau ist das!) Kenntnis und die Bürger im Lande sicher auch. Es hat bei Ihnen — das ist im Protokoll nachzu- (Beifall bei der FDP und der SPD — De lesen — eine gewisse Empörung ausgelöst, als ich monstrativer Beifall bei der CDU/CSU) im Dezember bei der endgültigen Verabschiedung Dabei muß es dahingestellt bleiben, wieweit das der Gesetze zum Konjunkturprogramm sinngemäß sagte: Damit verdeutlicht diese Regierung, damit bei Ihnen Überzeugung oder nur mangelnder- Mut zur Distanzierung ist. verdeutlichen wir, daß wir nicht Brüning spielen wollen. Ich habe damals hinzugefügt, wir hätten (Beifall bei der FDP und der SPD — Veranlassung, diese Feststellung mit der Warnung Lachen bei der CDU/CSU) zu verbinden, daß Sie nicht in die Rolle anderer Zeit- Ich will gar nicht von dem Ausmaß der Selbstver- genossen — ich habe das bewußt so vorsichtig aus- leugnung sprechen — um das sehr vorsichtig zu gedrückt, und ich bleibe bei dieser Formulierung — formulieren —, das wohl einige Kollegen aus der geraten mögen. Ich glaube, was wir inzwischen er- CDU/CSU, die Gegenstand der Sonthofener Betrach fahren haben, ist doch eine Bestätigung dafür, daß 10978 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Kirst diese Warnung von damals, die Sie zum Teil empört Nun ist Herr Strauß, wie er das immer zu tun hat, nur allzu berechtigt gewesen ist. pflegt, schon zehn Minuten nach Ende seiner Rede verschwunden, Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen (Seiters [CDU/CSU] und Dr. Wörner [CDU/ Sie mich nun zu dem zentralen Punkt — daran kann CSU] : Wo ist denn der Kanzler! — Weitere man sicher viele Bemerkungen auch zu allgemeinen Zurufe von der CDU/CSU) politischen Fragen aufhängen — der Auseinander- setzung über diesen Haushalt, der auch in der Rede aber wir vermissen ihn gar nicht. des ersten Sprechers der Opposition eine wesent- (Beifall bei der FDP und der SPD) liche Rolle gespielt hat, kommen, nämlich zu dem Vorwurf der Zerrüttung der Finanzen, dem Vorwurf Es fällt mir nur auf, weil ich zunächst einmal fest- des Finanzchaos. Wer die Protokolle dieses Hohen stellen möchte, daß in den ersten beiden Jahren, in Hauses verfolgt, wird feststellen, daß nicht nur Herr denen Herr Strauß Finanzminister in diesem Lande Strauß, sondern die gesamte Opposition seit fünf war — und das ist ja eine der Möglichkeiten, die Jahren als die Propheten dieses sogenannten Finanz- er sich für sein Comeback vorstellt —, chaos agieren. Seit 1970 hat man uns hier seitens (Dr. Ehrenberg [SPD] : Mehr stellt er sich der Opposition Jahr für Jahr ein solches Finanz- vor!) chaos eingeredet. — ich habe von einer der Möglichkeiten gesprochen (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Wie sind — 1967 6,6 Milliarden DM, denn die Verschuldungsraten?) (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Oho!) — Herr Kollege, ich muß Ihnen sagen, wenn Sie 1968 5,8 Milliarden DM Kredite aufgenommen wur- glauben, dieses herbeigeredete und — so muß man den — in einer Lage, von der Sie ja selbst behaup- manchmal ja fast fragen — taktisch herbeigesehnte ten, daß sie wirtschaftlich nicht schlechter war als Finanzchaos jetzt am Zipfel greifen zu können, dann die gegenwärtige — das Oho war also verfehlt —; täuschen Sie sich. Das will ich Ihnen gerne beweisen. das bleibt immerhin einmal festzustellen. In nur (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Nennen Sie zwei Jahren — 1967 und 1968 — hat Herr Strauß doch einmal die Zahlen! — Breidbach [CDU/ bei einem Haushaltsvolumen, das damals genau CSU] : Lesen Sie mal Zeitung! — Möller 50 O/o des heutigen Haushaltsvolumens betrug, 12,4 [Lübeck] [CDU/CSU] : Lesen Sie Ihren eige Milliarden DM Schulden gemacht. nen Finanzminister!) (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Und Sie ma chen in derselben Zeit 45 Milliarden DM! — Das tue ich. Das ist auch besser, als dauernd Ihren — Leicht [CDU/CSU] : Sie machen 30 Mil Zwischenrufen zuzuhören. liarden DM!) (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Sehr gut!) Dies sind mehr, als diese Regierung in den vier Sicher befindet sich die Bundesrepublik — das Jahren 1970, 1971, 1972 und 1973 insgesamt ge- leugnet gar niemand, und wir haben auch keinen macht hat. Da waren das nämlich 9,2 Milliarden DM, Grund, das zu leugnen — in einer schwierigen, ge- d. h. ungefähr so viel wie im Jahre 1974. wiß auch ungewöhnlichen, aber keineswegs chaoti- (Leicht [CDU/CSU] : Das stimmt doch nicht! schen Haushaltslage, die durch das Erfordernis do- Das waren 1974 allein 9,4 Milliarden DM!) kumentiert wird, zum Ausgleich des Bundeshaus- Was anderes habe ich auch gar nicht gesagt, halts 1975 knapp 23 Milliarden DM Nettokreditauf- — nahme zu veranschlagen. Dies ist, wie gesagt, un- Herr Leicht. gewohnt, deshalb schockiert es vielleicht, aber es (Leicht [CDU/CSU] : Sie haben von 9,2 Mil ist weder ein Zeichen für Chaos, noch ist es unver- liarden DM in vier Jahren gesprochen!) tretbar. — Darf ich Ihnen Nachhilfeunterricht geben: 1970, 1971, 1972 und 1973 sind vier Jahre, stimmt's? Diese sprunghafte Steigerung — das ist zugege- ben, daß es eine sprunghafte Steigerung ist — muß (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der man im Zusammenhang sehen. Sprunghaft kann es SPD — Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Und eben nur als Folge einer zurückhaltenden Schulden- 1974 und 1975? — Weitere Zurufe von der politik dieser Regierung in den vergangenen Jahren CDU/CSU) sein. Das mag man dann als Grundlage des Ver- — Ich habe doch soeben gesagt, Herr Leicht, diese gleichs nicht außer acht lassen. Wer uns hier sprung- 12,4 Milliarden DM waren mehr als in den ersten haftes Ansteigen vorwirft und ein solches kritisiert, vier Jahren dieser Regierung — 1970, 1971, 1972, der bestrafte ja nachträglich die Finanzpolitik der 1973: 9,2 Milliarden DM — zusammen, und dann Jahre 1970 und 1973. - kommt 1974 dazu. Das hatte ich schon gesagt, als (Beifall bei der FDP — Möller [Lübeck] Sie Ihren Zwischenruf machten. [CDU/CSU] : Das glauben Sie doch selbst (Leicht [CDU/CSU] : Da waren es allein 9,4 nicht!) Milliarden DM!) Lassen Sie uns doch einmal sehen, wie denn das — 9,4 Milliarden DM, das sei unbestritten, Herr in den vergangenen Jahren war. Kollege Leicht. (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Seit 1949!) (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Und 1975?) Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 10979

Kirst

— Zu 1975 komme ich gleich. — Aber dabei darf den war. Aber wir wissen alle, daß sich diese Kon- nicht vergessen werden, daß allein der Bund im zeption im Laufe der Jahre geändert hat, und heute gleichen Zeitraum — 1970 bis 1974 — 7 bis 8 Mil- müssen wir mit einem Ausfall von 13 bis 15 Mil- liarden DM an Reserven bei der Bundesbank bilden liarden DM — in dieser unumstrittenen Größen- konnte, die uns heute sehr zupaß kommen, inzwi- ordnung — rechnen. schen allerdings, wie Sie wissen, zu einem erheb- (Schröder [Lüneburg] [CDU/CSU] : Und die lichen Teil in Anspruch genommen worden sind. Ursache?) Meine Damen und Herren, ich sage das ja nicht Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren von der aus Spaß, sondern um klarzustellen, daß eine sol- Opposition: Wer in diesem Hause nachweisen kann, che Finanzierungssituation absolut nichts Ungewöhn- daß er gegen den genannten Steuerausfall gestimmt liches ist. oder auch nur gesprochen hätte, der möge hierher- (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Aber in die kommen und das sagen. Das bringt eben keiner von sem Ausmaß!) Ihnen fertig, und darin liegt Ihre Mitverantwortung. Wir werden im Jahre 1975 mit einer Nettokredit- (Beifall bei der FDP und der SPD) aufnahme von 14,3 % arbeiten müssen. Aber die Zahlen von 1967 und 1968, die ich vorher nannte, Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter, und zwar 8,9 und 7,6 %, waren auch schon ganz gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Ab- schön. geordneten Schröder (Lüneburg) ? (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Und wie ist es in absoluten Zahlen?) Kirst (FDP) : Meinem alten Landsmann Schröder selbstverständlich besonders gern! Meine Damen und Herren, wir bekennen uns ganz ausdrücklich — — Schröder (Lüneburg) (CDU/CSU): Herr Kollege (Schröder [Lüneburg] [CDU/CSU] : Zum Kirst, würden Sie diesem Hause und der deutschen Staatsbankrott!) Öffentlichkeit gegenüber zugeben, daß der weitaus — Herr Schröder, ich hätte Ihnen mehr zugetraut! — größere Anteil der geschätzten Steuerminderein- Wir bekennen uns ganz ausdrücklich zu der eige- nahme auf die wirtschaftliche Entwicklung der letz- nen politischen Verantwortung, aber wir entlassen ten Monate zurückzuführen ist und nicht eine Aus- die Opposition in diesem Hause nicht aus ihrer ganz wirkung der sogenannten Steuerreform ist? glasklaren Mitverantwortung für diese Notwendig- (Oh-Rufe von der SPD — Möller [Lübeck] keit; das werde ich Ihnen jetzt vorführen. [CDU/CSU] : Ein Eingeständnis des Ver (Zuruf von der CDU/CSU: Das wird ja sehr sagens!) interessant!) Kirst (FDP) : Verehrter Kollege Schröder, wenn Es gibt nur zwei Gründe — nur zwei! — für die Sie unsere gemeinsame hanseatische Zurückhaltung Zunahme der Staatsverschuldung im Jahre 1975; kultivieren würden, wären Sie etwas geduldiger ge- der eine ist die Steuerreform, der zweite ist die wesen. Darauf komme ich nämlich noch. Aber auch wirtschaftliche Entwicklung. dabei werden Sie in Ihrer Fraktion nicht gut aus- (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Und für bei sehen. des kann die Regierung nichts!) (Lachen bei der CDU/CSU) Insoweit sind wir uns sicher sogar einig. Bleiben wir also dabei: Es gibt niemanden in die- Meine Damen und Herren, ich habe nicht die sem Hause — weder von uns noch von Ihnen —, der Absicht, hier im einzelnen eine Steuerreform-De- auch nur mit einer Spur von Gerechtigkeit den An- batte zu führen; das kann bei der Behandlung des spruch darauf erheben kann, an diesem Steueraus- Einzelplans 08 — wenn dafür noch ein unstillbares fall unschuldig zu sein, im Gegenteil; insofern ist Bedürfnis bestehen sollte — gewiß geschehen. Dann Herr Strauß hier ja heute Kronzeuge gewesen, — wird zugleich nachzuweisen sein, daß auch das, was um einen modernen Ausdruck zu gebrauchen. Der der Kollege Strauß dazu gesagt hat, natürlich nicht Unterschied zwischen der Regierungskoalition und stichhaltig war. der Opposition besteht nur darin — (Widerspruch bei der CDU/CSU) (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Ein ganz er heblicher!) Fest steht, daß das Ausmaß des Steuerausfalls allein für den Bund bei 7 bis 8 Milliarden DM liegen wird. — in diesem Punkt nur, Herr Möller —, (Schröder [Lüneburg] [CDU/CSU] : Aber (Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller: Lübeck!) nicht in diesem Jahr!) - daß Sie diesen Steuerausfall ein Jahr früher haben — Auch in diesem Jahr, Herr Kollege Schröder. wollten und daß wir dann eben schon 1974 so hohe So entspricht dies wiederum den Steuerschätzun- Kreditaufnahmen — höher als 9,5 Milliarden DM! — gen, die in den Haushalt eingegangen sind. nötig gehabt hätten. Dabei darf ich daran erinnern, daß am Anfang (Beifall bei der FDP und der SPD) der Wahlperiode, vor vier Jahren, eine Konzeption Sie haben doch mit Ihrem sogenannten Inflations einer aufkommensneutralen Steuerreform vorhan- entlastungsgesetz, das in Wirklichkeit ein Steuer- 10980 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Kirst reformverhinderungs- und Inflationsförderungs- ralismus. Deswegen sollten wir uns bei allem sonsti- gesetz gewesen ist, den finanzpolitischen Preis für gen parteipolitischen Streit hier intern dafür einset- die Steuerreform — wenn ich es einmal so sagen zen. darf — verdorben; das ist doch der Zusammenhang (Beifall bei der FDP) gewesen. Nun komme ich, Herr Kollege Schröder (Lüne- (Leicht [CDU/CSU] : Sie haben vorher das burg), zu dem Punkt, den Sie vorhin schon angespro- Geld ausgegeben! — Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. chen haben. Ich bestreite gar nicht — und das wis- Möller: Für das Protokoll: Das ist Möller sen Sie ja aus dem Haushaltsausschuß so gut wie [Lübeck] [CDU/CSU] !) ich —, daß ein zweiter Faktor die wirtschaftliche — Entschuldigen Sie, verehrter Herr Kollege Möl- Entwicklung ist. Das schlägt sich nieder einmal in ler, daran habe ich im Moment nicht gedacht. Ich einer Reduktion des Steueraufkommens in drei Etap- konnte mir gar nicht vorstellen, daß Sie mir wider- pen von Juli über November bis März um etwa sprechen wollten. Selbstverständlich galt mein Ein- 8 Milliarden DM — ich nenne hier einmal runde wurf dem Kollegen Möller aus Lübeck. Aber ich Zahlen —, und das schlägt sich zum anderen nieder wollte das mit der Hansestadt nicht schon wieder in der Notwendigkeit, der Bundesanstalt für Arbeit bringen; deshalb habe ich ihn nicht weiter klassifi- teils als Darlehen, teils in Form von Zuschüssen ziert. 3,1 Milliarden DM zur Verfügung zu stellen; dies alles ist ja auch Gegenstand von Änderungsanträgen Meine Damen und Herren, diese Antiinflations- der Koalitionsparteien in der zweiten Lesung. gesetze der CDU/CSU hätten, wie gesagt, nur die Steuerreform verhindert. Und darüber hinaus haben Nun gibt es sicher sehr komplexe binnen- und Sie ja mit Ihrer CDU-Mehrheit im Bundesrat als außenwirtschaftliche Zusammenhänge, Erklärungen Preis für die Zustimmung zur Steuerreform den und Gründe für die wirtschaftlichen Verhältnisse, Steuerausfall noch einmal ungefähr um weitere für die wirtschaftliche Lage. Aber ich sage Ihnen 2 Milliarden DM heraufgetrieben. Dies also, um es ganz offen — noch einmal zu sagen, wird Ihnen als Mitverant- (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Das wäre das wortung nicht erlassen werden können; da gibt es erste Mal!) kein Herausmogeln. Das werden Sie vielleicht eine — ich glaube, das tue ich immer —: Wir müssen Zeitlang — ich hätte beinahe gesagt: in einem Dunstkreis — verschwinden lassen können, aber hier doch auch ganz entschieden den Preis für den es wird nicht lange dauern, dann wird auch die allerdings ja unbestreitbaren Erfolg im Kampf um Bevölkerung merken, daß es so und nicht anders die Tendenzwende an der Preisfront sehen. Wir war. haben die damit verbundenen Risiken nie verschwie- gen. Aber — und hier komme ich wieder zur gemein- Lassen Sie mich, bevor ich das Thema „Steuer- samen Verantwortung — wo bleibt eigentlich zu- reform" verlasse, in diesem Zusammenhang noch nächst einmal ein Wort der Anerkennung für die einen anderen Punkt ansprechen. Ich habe ja eben Leistung im Kampf um mehr Preisstabilität, die in von den Ausfallzahlen gesprochen, sowohl von den den letzten anderthalb Jahren erreicht worden ist? Ausfallzahlen insgesamt als auch von den Ausfall- Das ist auch heute wieder von Herrn Strauß abge- zahlen, wie wir sie bei der Aufstellung des Bundes- wertet worden, und er behauptet, bei ihm wäre es haushaltes berücksichtigt haben. In diesem Unter- noch weniger gewesen. schied kommt der ungeschmälerte Anspruch des Bundes auf Erfüllung der Revisionsklausel auf Mark (Beifall bei der FDP und der SPD) und Pfennig durch die Länder zum Ausdruck, und die FDP unterstützt die Bundesregierung voll und Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter ganz bei der beharrlichen Durchsetzung dieses An- Kirst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge- spruchs. ordneten Dr. Althammer? (Beifall bei der FDP und der SPD — Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Das ist aber schön Kirst (FDP) : Bitte, Herr Althammer! zu wissen!) — Und es wäre gut, Herr Möller (Lübeck), wenn wir Dr. Althammer (CDU/CSU) : Herr Kollege Kirst, dabei auch Ihre Unterstützung hier im Bundestag möchten Sie wirklich, nachdem Sie zunächst einmal hätten; das wäre ein Stück praktischer Solidarität die Preissteigerungsrate auf 8 % getrieben haben, der Demokraten hier in diesem Hause. noch einen Dank dafür, daß Sie wieder auf 6 % her- (Breidbach [CDU/CSU] : Damit Sie uns an untergekommen sind? schließend wieder verantwortlich machen können! Darum geht es!) Kirst (FDP) : Herr Althammer, erstens waren es Ich komme auf diesen Begriff am Schluß noch- ein- nicht 8 %, und zweitens — darauf komme ich gleich mal zurück. noch haben nicht wir die Preise hinaufgetrieben. Wenn die Länder — und ich sage das ganz unter- (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. schiedslos, auch wenn ich auf der Bundesratsbank Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Sondern? den Finanzsenator des Landes Hamburg sehe — Der Wind war das!) hier nicht vertragstreu sind, ist dies eine gefährliche Wir machen ja die Preise nicht. Aber Sie paten Erschütterung des Prinzips des kooperativen Föde- tierter Marktwirtschaftler werden ja nie begreifen, Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 10981 Kirst daß in einer Marktwirtschaft nicht der Staat die — Ich bin ja gerade dabei. Preise macht. Dazu gehört auch — ich muß das noch einmal (Erneuter Beifall bei der FDP und der SPD bringen, weil der Herr Strauß dies heute wieder ge- — Kiechle [CDU/CSU] : Und Post und Bahn? nüßlich ausgewalzt hat — dieses Wort von der — — Weiterer Zuruf des Abg. Möller [Lü ich formuliere es jetzt einmal so — Inflationsschuld beck]) lüge. Etwas anderes ist das hier nicht. Das ersetzt für Sie das, was für andere in Weimar die Dolch Dabei ist doch wohl — das darf man in aller stoßlegende gewesen ist. Unbescheidenheit sagen; ich will Sie hier nicht mit (Beifall bei der FDP und der SPD) Statistiken langweilen — diese Preisentwicklung in den letzten anderthalb Jahren im internatio- Das hat Herr Strauß hier heute wieder kultiviert. nalen Vergleich zu sehen. Wir leben nun einmal (Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Nur, nicht auf einer Insel der Seligen, isoliert von allen die eine stimmt und die andere stimmt weltwirtschaftlichen Zusammenhängen. Wir kön- nicht!) nen unser Land auch nicht in den Weltraum schie- ßen. Wir leben in dieser Verbindung, in dieser — Ich will nicht rätseln, wie Sie das eine und das internationalen Verflechtung. So gesehen ist dieser andere meinen, Herr Carstens. Erfolg ein neues kleines deutsches Wunder. Das Diese Regierung hat Inflation weder gewollt noch sollten wir einmal anerkennen! bewirkt noch fatalistisch in Kauf genommen. (Beifall bei der FDP und der SPD — Lachen (Beifall bei der FDP und der SPD) bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber als es galt, Herr Althammer, die ersten Schritte Wo sind denn die Propheten gewesen, die uns 10 % zur Abwehr zu tun, da haben Sie und da hat Ihr und mehr an Preissteigerungen für 1974 und 1975 Vorturner gepaßt. Ich erinnere nur an den Streit um prophezeit und, die Aufwertung 1969. (Wehner [SPD] : Sehr wahr!) (Beifall bei der FDP und der SPD — Wehner wenn ich an Herrn Strauß denke, [SPD] : Sehr wahr!) (Wehner [SPD] : Gewünscht haben!) Diese von Ihnen monatelang zum Nachteil der deut- schen wirtschaftlichen Entwicklung verschleppte gewünscht haben? Maßnahme mußte die erste sozialliberale Regierung (Beifall bei der FDP und der SPD — Möl- als erste nachholen. ler [Lübeck] [CDU/CSU] : Sachlich bleiben!) (Zuruf des Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] Wie würde denn von diesem Platz aus, den manche [CDU/CSU]) ja auch noch mit einem Laufsteg für Kandidatenkür Wo waren Sie 1970 bei unseren Konjunkturdämp- verwechseln, agiert, getobt und gerast werden, fungsmaßnahmen? Ich erinnere nur an ein Wort, bei wenn wir wirklich diese 10 oder 11 % Preissteige- dem Sie mir damals in unseren Auseinandersetzun- rungsrate heute hätten? gen nicht widersprechen konnten, (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Zu Recht!) (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Wer hat damals die Verdoppelung der Arbeitnehmerfreibe Das muß man sich doch einmal vorstellen. Das Be- kenntnis zur Preisstabilität darf eben nicht nur ein träge gefordert?!) Lippenbekenntnis gewesen sein. Wer hat denn mehr nämlich das Wort vom stabilitätspolitischen Suppen- von Inflation gefaselt als Sie? Und wer hat etwas kasper, den Sie hier bei unseren Maßnahmen gegen dagegen getan? Wir! die Preisentwicklung nach 1969 dauernd gespielt haben. (Beifall bei der FDP und der SPD) (Beifall bei der FDP und der SPD) Sonthofen beweist doch letzten Endes: Ihnen ist die wirtschaftliche Entwicklung im Prinzip egal. Sie Es ist doch nicht so, daß wir das nicht gesehen brauchen nur einen Punkt, an dem Sie Ihre Panik- haben, Herr Carstens. Wir haben genau gewußt, daß mache, Hysterie und Angstmacherei aufhängen kön- die wirtschaftliche Entwicklung nach dem Herbst nen. 1969 in diesem Lande schwieriger werden würde, als (Beifall bei der FDP und der SPD — Möller sie vorher war — aus vielfachen Gründen. Das war [Lübeck] [CDU/CSU] : Bleiben Sie sachlich, uns ganz klar. Aber wir haben auf die Frage, die Herr Kollege!) sich danach für uns stellte — sollen wir nun, weil wir wissen, es wird schwieriger, resignieren und Sie -- Das ist die reine sachliche Wahrheit, Herr Kol- - weiter regieren lassen und auf wichtige andere poli- lege Möller. — Bitte schön! tische Vorhaben verzichten? —, eine klare politische (Zuruf von der CDU/CSU: Halten Sie das, Antwort gegeben. was wir über die Entwicklung der Arbeits (Beifall bei der FDP und der SPD) losigkeit gesagt haben und was nun Wirk lichkeit geworden ist, für Panikmache und Schon in der vorigen Legislaturperiode hat mich Angstmache, und sind Sie bereit, das in dieser Zitatenkrieg gestört. Er wurde ja seinerzeit Verbindung mit den Preissteigerungsraten noch viel mehr kultiviert. Ich habe damals gesagt: zu sehen?) Falsche Zitate von damals werden dadurch nicht 10982 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Kirst richtiger, daß sie heute andere wiederholen. Damit den Tatbestand, daß die Bundesregierung die Aus- will ich es hinsichtlich dieses Punktes bewenden las- wirkungen dessen, was Sie als Steuerreform be- sen. Der ganz entscheidende Punkt, den Sie leugnen, zeichnen, bereits voll im Entwurf des Haushalts- besteht ja darin: Erfolg konnte eine Politik der planes, der uns im September vergangenen Jahres Geldentwertungs- und Inflationsbekämpfung — die vorgelegt wurde, berücksichtigt hatte und daß dem- Inflation war bis zum Frühjahr/ Sommer 1973 primär gemäß die zweimal veränderten Steuerschätzungen importiert — erst haben, nachdem es damals poli- — mit den damit verbundenen Mindereinnahmen in tisch möglich war — und Sie wissen genauso wie Höhe von 13 Milliarden DM, die allein auf den Bun- wir, daß es früher politisch nicht möglich war —, deshaushalt entfallen — ausschließlich auf die kon- eine fast lückenlose außenwirtschaftliche Absiche- junkturelle Entwicklung zurückzuführen sind und rung aufzubauen. Bis dahin haben wir — wenn Sie gar nichts mit der sogenannten Steuerreform zu tun so wollen — nachts die Dämme gegen die Geldent- haben? wertung gebaut, und tagsüber haben uns die Fluten (Beifall bei der CDU/CSU) der hereinströmenden Auslandsgelder diese Dämme wieder unterspült und eingerissen. Das ist die ganze Kirst (FDP) : Herr Kollege Schröder, ich verstehe Wahrheit der Jahre 1970, 1971, 1972, 1973 über die nicht ganz, warum Sie so langsam nachkommen. wirtschaftliche Entwicklung — und nicht Ihre Infla- tionsschuldlüge. Das muß hier einmal ganz deutlich (Schröder [Lüneburg] [CDU/CSU] : Ich mußte ausgesprochen werden. erst die Zahlen suchen!) (Beifall bei der FDP und der SPD) — Ich habe sie im Kopf; da ist alles viel leichter. Herr Kollege Schröder, ich habe gar nichts anderes Auch das wird die Bevölkerung mit der Zeit begrei- gesagt, sondern nur dargestellt, wie es ist: Gesamt- fen. Deshalb wiederholen wir es ständig. ausfall durch die Steuerreform zwischen 13 und (Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Es 15 Milliarden DM; das werden wir am Ende genau wird dadurch nicht richtiger!) wissen. Davon, auch bei voller Anwendung der Revisionsklausel, zu Lasten des Bundes so 7 bis — Es bleibt richtig, während Ihre unwahren Be- 8 Milliarden DM. Das war in den Steuerschätzungen, schuldigungen durch Wiederholen nicht wahrer die der Regierungsvorlage zugrunde lagen, enthal- werden, Herr Professor Carstens. ten. Das habe ich gar nicht bestritten. Deshalb waren (Beifall bei der FDP und der SPD) wir in der Nettokreditaufnahme im Regierungsent- Lassen Sie mich nur noch ein Beispiel bringen. wurf ja aber auch schon bei 15,6 Milliarden DM. Ich will hier ja weder die Jahreswirtschaftsdebatte Was jetzt dazugekommen ist, habe ich vor zehn wiederholen noch der morgen möglicherweise statt- Minuten — wenn Sie nicht Zahlen gesucht hätten, findenden Wirtschaftsdebatte vorgreifen. Ein tolles hätten Sie es hören können — ganz deutlich ge- Beispiel für die krause Argumentation von Herrn sagt: daß aus wirtschaftlichen Gründen die Steuer- Strauß haben wir doch wieder erlebt. Er hat davon schätzungen noch einmal um etwa 8 Milliarden DM gesprochen, daß diese Regierung —und das war der zurückgenommen werden mußten. Ich habe zusätz- Zeitpunkt, von dem ich eben sprach — erst die In- lich noch die 3 Milliarden DM Haushaltsanforde- vestitionen bestraft habe, um sie jetzt zu belohnen. rung für- die BfA erwähnt. Sie können das sicherlich Das kann man doch nur sagen, wenn man nicht be- nachher im Protokoll nachlesen. In dieser nüchter- greift oder nicht begreifen will, daß unterschied- nen Analyse der Zahlen sind wir uns völlig einig. liche Situationen eben unterschiedliche Reaktionen Was mir nur wichtig war festzuhalten — das verlangen. wollte ich jetzt ohnehin gerade sagen —: die ge- (Beifall bei der FDP und der SPD) meinsame politische Verantwortung für die Ursa- Um es einmal einfach zu sagen — vielleicht begrei- chen, sowohl für die Steuerreform als auch für fen Sie es dann —: Für den Regen brauche ich einen den Weg der wirtschaftlichen Stabilisierung. Das Regenschirm und für die Sonne einen Sonnenschirm. muß man immer wieder betonen, und alles andere Das ist doch ein Unterschied. von Ihnen ist nichts anderes als eine feige Flucht (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist billig!) aus der Mitverantwortung. (Beifall bei der FDP und der SPD — Wider Aber das wollen Sie eben nicht begreifen. spruch bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie doch mal etwas zur Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter Sache!) Kirst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Aber selbstverständlich würde das nicht genügen, Abgeordneten Schröder (Lüneburg)? wenn nicht diese Nettokreditaufnahme unter jedem - denkbaren Aspekt für das Jahr 1975 — und über Kirst (FDP) : Bitte! das Jahr 1975 reden wir heute — auch vertretbar wäre. Sie ist vertretbar, z. B. kapitalmarktpolitisch Schröder (Lüneburg) (CDU/CSU) : Herr Kollege Ich glaube, das werden nicht einmal Sie bestreiten Kirst, da Sie gerade von Wahrheiten und Unwahr- Das anerkennt die Bundesbank, das anerkennt diE heiten sprechen und der Opposition leider kein Ap- Fachpresse. Wir haben es hier doch unter anderem parat zur Verfügung steht, so daß man gelegentlich damit zu tun, daß jede Sache ihre zwei Seiten, ihre Behauptungen etwas länger nachprüfen muß, möchte gute und ihre schlechte Seite hat. Der Wirtschafts- ich Sie hier noch einmal fragen: Bestätigen Sie mir minister hätte es derzeit konjunkturpolitisch sicher Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 10983 Kirst lich lieber, wenn auch die Verbraucher etwas mehr daß der Bürger dafür Gelder auf dem Wege über kauften. Wir wissen, daß das etwas anders ist. Das Anleihen zur Verfügung stellt, die auch seiner bewirkt eine größere Sparquote. Nebenbei: Ein eigenen Vermögensbildung dienen, und nicht über gutes politisches Zeichen, daß Ihre Verunsicherungs- Steuern in einem Maße, das nicht erforderlich ist, kampagne auch nur eine begrenzte Wirkung hat; weil Steuern endgültig weg sind. denn Sparen heißt auch vertrauen. (Beifall bei der FDP und bei der SPD) (Beifall bei der FDP und der SPD) Diese hohe Sparkapitalbildung — und da sind sich, Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter wie gesagt, alle Fachleute einig, und zwar nicht nur Kirst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn in bezug auf den Bund; damit Sie nicht kommen, ich Abgeordneten Schröder (Lüneburg) ? sähe nur einen Teil; wir wissen, daß Bahn und Post dazukommen, wir wissen, daß die Länder und die Gemeinden dazukommen - ermöglicht es, das zu Kirst (FDP) : Bitte sehr! machen. (Zuruf des Abg. Möller [Lübeck] [CDU/ Schröder (Lüneburg) (CDU/CSU) : Herr Kollege CSU]) Kirst, würden Sie dann den Bürgern einmal sagen, wie hoch die Steigerungsrate bei den Investitionen Nach allen Beurteilungen wird das, was dann übrig- in den letzten zwei bis drei Haushaltsjahren war? bleibt, Herr Kollege Möller, ausreichen, um den privaten Bedarf, z. B. für Investitionen am Kapital- markt, zu decken. Das ist Punkt a. Kirst (FDP) : Diese Steigerungsrate ist sicher nicht besonders hoch, aber sie entspricht im Prinzip der Punkt b: Diese Kreditaufnahme ist auch finanz- allgemeinen Steigerungsrate des Haushalts. politisch absolut vertretbar. Sie erreicht mit 14,3 % einen durchaus vertretbaren Rahmen, und sie führt (Zuruf von der CDU/CSU: Auch real? — weder im Jahre 1975 noch in den folgenden Jahren Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Typische Ver zu einer unvertretbaren Zunahme des Schuldendien- schleierungstaktik dieser Regierung! — stes. Weitere Zurufe von der CDU/CSU) (Na! Na! bei der CDU/CSU) Im Zusammenhang mit den Steuern fiel mir noch Da werden uns Länder und Gemeinden allerdings ein Punkt zur Konjunkturpolitik ein — da Sie mich beneiden: Wir werden im Jahre 1975 einen Schul- gerade fragten, Herr Schröder —, den ich vorhin dendienst von weniger als 5 % haben. Das darf man vergessen habe: Ihr einziger Beitrag zur Konjunk- vielleicht gar nicht so laut sagen, damit die Länder turpolitik in den Jahren um 1970 war doch der, daß und Gemeinden das nicht hören. Aber das ist eben Sie draußen im Lande herumgelaufen sind und die auch ein Erfolg der zurückhaltenden Finanzierungs- Bevölkerung z. B. damit verunsichert haben, daß Sie politik der vergangenen Jahre. sagten: Diesen Konjunkturzuschlag — den wir da- mals erhoben haben, rückzahlbar —, den kriegt ihr (Schröder [Lüneburg] [CDU/CSU] : Sagen nicht wieder! Sie das einmal in absoluten Zahlen!) (Wehner [SPD] : Den verfrühstücken die, ha Die Kreditaufnahme ist auch verfassungsrechtlich ben die gesagt!) absolut zulässig. Wir haben den Spielraum, den uns Jeder weiß, daß das eine unwahre Unterstellung war die Verfassung läßt, noch nicht ausgenutzt. Da und daß die Bürger den Konjunkturzuschlag wie- ginge noch etwas rein. Wir brauchen das nicht. dergekriegt haben. Das als Qualitätsbeweis Ihrer Argumentation draußen im Lande! Schließlich möchte ich, gerade und besonders für uns Liberale, für uns Freie Demokraten, sagen — es (Beifall bei der FDP und der SPD — Möller ist keine Erkenntnis von heute, indem ich aus der [Lübeck] [CDU/CSU] : Wir haben euch ge Not eine Tugend mache; das habe ich schon vor zwungen, den wieder auszuzahlen!) vier Jahren gesagt —: Auch gesellschaftspolitisch Ich sage aber auch ganz offen — und da gibt es scheint es uns richtiger und besser zu sein, daß in sicher gar keine Meinungsverschiedenheiten —: dem verfassungsrechtlich, kapitalmarktpolitisch, Dies kann natürlich kein Rezept sein für viele Jahre finanzpolitisch vertretbaren Rahmen der Bürger dem hindurch. Staat Gelder für Investitionen — und nur darum handelt es sich, und wer hier behauptet, wir wür- (Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Aha!) den laufende Ausgaben damit finanzieren, der sagt Darüber gibt es gar keine Diskussion. schlicht und einfach die Unwahrheit , (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Habt ihr ein - (Wehner [SPD] : Sehr wahr!) anderes Rezept?) Gelder für Investitionen, die ja nicht nur für den Aber sicher notfalls auch für mehr als ein oder Tag sind, sondern die auch für kommende Genera- zwei Jahre, aufgebaut auf dem finanzpolitischen tionen bestimmt sind, Status, auf dem wir aufbauen können. (Schröder [Lüneburg] [CDU/CSU] : Nennen Und nun kommt die Opposition und verlangt mit Sie doch einmal die Steigerungsrate bei den Anträgen und in Argumentationen: Wir wollen die Investitionen!) Wahrheit, wir wollen Klarheit, wir wollen wissen. 10984 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Kirst wie es 1976 weitergeht! — Das werden Sie zu der Ich sagte, daß dies von der wirtschaftlichen Ent- Zeit erfahren, zu der es angebracht und möglich ist, wicklung abhängt, und das wissen auch Sie, Herr (Lachen bei der CDU/CSU) Althammer. Wir haben gemeinsam, glaube ich, die Fragen im Haushaltsauschuß gestellt. Es ist zur nämlich wenn diese Regierung den Haushalt 1976 Zeit eine ziemlich einfache Rechnung: 1 % Brutto- und die Fortschreibung der mittelfristigen Finanz- sozialprodukt nominell mehr bedeutet rund 2,5 Mil- planung vorlegt. liarden DM mehr Steuereinnahmen, verteilt knapp (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Wenn wir eure 50 °/o Bund, das übrige Länder und Gemeinden. Das Bücher nachprüfen! — Weitere lebhafte ist ein Anhaltspunkt. Da kann man natürlich Alter- Zurufe von der CDU/CSU) nativen und Modelle rechnen, aber das ändert nichts an der Tatsache, daß alles von der wirtschaftlichen Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter Entwicklung abhängt. Kirst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer? Wir haben die Diskussion in den vergangenen Jahren unter falschen Aspekten geführt. Ich habe Kirst (FDP) : Bitte sehr! mich immer dagegen gewehrt, daß hier gesagt wurde, mit der Haushalts- und Finanzpolitik beein- Dr. Althammer (CDU/CSU) : Herr Kollege Kirst, flusse man entscheidend die Konjunkturpolitik; wir nachdem Sie eben gesagt haben, Sie halten eine so kennen diese Auseinandersetzungen noch. Aber jetzt hohe Neuverschuldungsrate wenigstens in den haben wir doch wohl alle gemeinsam gelernt: um- nächsten Jahren für möglich und vertretbar, darf ich gekehrt wird ein Schuh daraus. Die wirtschaftliche Sie fragen: Gehen Sie dann davon aus, daß wir Entwicklung beeinflußt eben ganz enorm die Mög- keinen Konjunkturaufschwung erleben, oder neh- lichkeiten der Haushalts- und Finanzpolitik. Das ist men Sie an, daß das auch in Zeiten eines Konjunk- doch wohl ganz richtig. Das hat doch wohl inzwi- turaufschwungs vertretbar ist? schen auch der, der es vorher nicht wußte, festge- stellt. (Sehr gut! und Beifall bei der CDU/CSU) Ich würde — ich sage das jetzt als persönliche Kirst (FDP) : Herr Kollege Althammer, ich habe Meinung — der Regierung möglicherweise die Emp- ja nicht gesagt, daß es so kommt. Ich habe nur eine fehlung geben, die Vorlage des Haushalts 1976 Abgrenzung gemacht. Ich habe gesagt — so können nicht unbedingt schon im September 1975 vorzu- Sie es im Protokoll nachlesen —, das ist kein Re- nehmen, wenn man vielleicht meint, bei einer etwas zept für viele Jahre, es ist aber notfalls auch für späteren Vorlage verbindlichere Grundlagen für mehr als ein oder zwei Jahre, für einen begrenzten die zukünftige Beurteilung zu haben. Zeitraum, vertretbar. Aber ich sage auch das, was jetzt kommt, ganz Nur, Herr Althammer — und das berührt auch klar und ganz offen. Wie immer die wirtschaftliche diese Frage; ich hätte es ohnehin so gesagt —: Lage sich entwickelt, eines steht fest, und darüber Wenn wir einmal ganz ruhig und nüchtern über- gibt es ja auch keinen Zweifel, Herr Althammer, legen, wie die Dinge sind, dann werden Sie doch und das haben wir gemeinsam im Haushaltsausschuß wohl zugeben, daß der Schlüssel zur Beantwortung praktiziert: äußerste Sparsamkeit für die öffentlichen dieser Frage — die Sie da stellen und die wir auch Finanzen bleibt in den kommenden Jahren Trumpf. gern selbst beantwortet hätten, das gebe ich Ihnen Davon beißt die Maus keinen Faden ab, was immer zu — eben einfach in einer im Moment nicht mit die wirtschaftliche Entwicklung bringt. Wir haben Sicherheit abschätzbaren wirtschaftlichen Entwick- die zweifellos sprudelnden Steuereinnahmen der lung liegt. Das heißt also, die Regierung muß, bevor Jahre der Vergangenheit, als ja die Steuerschätzun- sie den Haushalt 1976 aufstellt und die mittelfristige gen umgekehrt immer nach oben korrigiert werden Finanzplanung fortschreibt, ein größeres Maß an konnten, gut angelegt. Ich kann das hier jetzt im Gewißheit über die zukünftige wirtschaftliche Ent- einzelnen nicht ausführen. Das wird sicherlich gleich wicklung haben. Ich glaube, das wäre doch eine Kollege Ehrenberg im einzelnen noch tun. Wir ha- Einsicht, der selbst Sie zustimmen könnten, wobei ben sie gut angelegt zum Ausbau und zur Sicherung wir sicherlich gemeinsam der Hoffnung sind, daß des sozialen und demokratischen Rechtsstaates, in der wirtschaftliche Aufschwung in Stabilität, wie er dem wir leben. Wir haben damit die Atempause von uns programmiert worden ist, langsam aber auch für eine finanzpolitische Konsolidierungsphase sicher — wir wollten ja auch keine Überstürzung, gewonnen. weil wir den Stabilisierungserfolg an der Preis- (Beifall bei der FDP und der SPD) front nicht wieder gefährden wollten — funktioniert, zumindest dann funktioniert, wenn nicht Wünsche Wenn man über unser Land redet, über die Zu- der Opposition, daß die Wirtschaft hier boykottieren- stände in diesem Land, dann sollte man sich bewußt möge, sich erfüllen. Aber ich halte die Wirtschaft im sein, in welchem Land, in was für einem Land man eigenen Interesse für vernünftiger, als manche lebt. Diese Bundesrepublik ist weder ein Entwick- Leute dies zumindest in ihren Reden im stillen lungsland noch ein Notstandsgebiet noch ein Elends- Kämmerlein von Sonthofen zum Ausdruck bringen. gebiet. (Beifall bei der FDP — Möller [Lübeck] (Wehner [SPD] : Sehr wahr! — Jäger [Wan [CDU/CSU] : Mit dieser Hoffnung geht ihr gen] [CDU/CSU] : Noch fünf Jahre, dann schon lange schwanger!) sind wir soweit!) Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 10985

Kirst Andererseits müssen wir uns darauf einstellen, Sturz von Barzel aber ist davon leider nichts mehr wünschenswerte weitere Verbesserungen eben über übriggeblieben. einen längeren Zeitraum zu verteilen. Wir begrü- Meine sehr geehrten Damen und Herren, unser ßen sicherlich den gestrigen Beschluß der CDU/CSU- Land braucht keinen selbsternannten politischen Bundestagsfraktion, auf weitere ausgabenwirksame Messias. Anträge zu verzichten. (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) (Zuruf des Abg. Dr. Jenninger [CDU/CSU]) Es braucht in dieser Zeit, die, das wissen wir, auch Wir hoffen, Herr Jenninger, dieses Angebot ist ehr- wenn wir die Augen nach außen richten, unter licher gemeint als jenes mit doppeltem Boden vom welchen Aspekten auch immer, nicht frei von Ge- November 1969. fahren ist, eine klare, entschlossene, realistische und (Beifall bei der FDP — Wehner [SPD] : War- von den Prinzipien des freiheitlichen parlamentari- um hoffen Sie das? — Zuruf des Abg. Dr. schen und sozialen Rechtsstaates erfüllte Führung. Jenninger [CDU/CSU] ) Die FDP sieht diese Voraussetzungen in Kanzler und Vizekanzler, in dem Gespann Schmidt /Genscher, — Ich sage ja: wir hoffen; wir werden sehen. Wir erfüllt sehen die Risiken. — Ich sehe die rote Lampe; ich (Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Es will mich bemühen, sehr schnell zu Ende zu kommen. sind beide nicht da!) Regierung und Koalition werden unter den Aspek und stimmt daher dem Etat des Bundeskanzleramtes ten, die ich eben genannt habe, rechtzeitig handeln, uneingeschränkt zu. um die weitere Entwicklung der Finanzen für 1976 (Beifall bei der FDP und der SPD) so solide zu gestalten, wie der Haushalt 1975 ist, trotz der erschreckend wirkenden, aber im Grunde Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der grundsoliden hohen Nettokreditaufnahme. Abgeordnete Dr. Ehrenberg. Für ihn sind 60 Minuten (Zuruf von der CDU/CSU: Armes Deutsch angemeldet. land!) (Zurufe von der CDU/CSU) Dieser Haushalt ist ein Spiegelbild eines gesunden Landes als Folge einer gesunden Politik. Wir wer- Dr. Ehrenberg (SPD) : Herr Präsident! Meine Da- den uns in den nächsten Tagen noch darüber ausein- men und Herren! Der Kollege Kirst hat hier ein- andersetzen, wenn Sie Vorschläge dazu machen soll- leitend, ich glaube, zu Recht die Sonthofener Rede ten — sie fehlen ja immer —, wo man sparen könnte. des Abgeordneten Strauß ein „Dokument der oppo- Sie beschränken sich auf Augenwischerei, indem Sie sitionellen Praxis" genannt. Dieses Dokument gilt meinen, man könnte dadurch sparen, daß man die tatsächlich nicht nur für Herrn Strauß; es gilt für Ansätze für gesetzlich und vertraglich festgelegte die gesamte CDU/CSU-Fraktion, wie die Einleitung Positionen ändert. Damit sparen Sie keinen Pfen- der Haushaltsdebatte durch Herrn Strauß bewiesen nig, wenn Sie nicht den Mut haben, Gesetze und hat. Verträge zu ändern. (Wehner [SPD] : Sehr wahr!) (Schröder [Lüneburg] [CDU/CSU] : Wo wa Herr Strauß hat seine Einleitung mit einer Skiz- ren Sie denn im Haushaltsausschuß?) zierung der Wirtschaftslage begonnen. Eine Analyse wird man das, was hier vorgebracht wurde, wohl Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist nicht nennen können. Es war eine Schilderung der hier in den letzten Wochen und Monaten — lassen wirtschaftlichen Situation, wie sie sich aus dem Sie mich damit zum Schluß kommen — von der Dunstkreis von Sonthofen ergibt, aber nicht wie „Solidarität der Demokraten" gesprochen worden. sie sich objektiv von den Fakten her darbietet. Meine Partei, die FDP, ist nicht nur zur Solidarität Herr Strauß sagte einleitend zur Wirtschaftssitua- der Demokraten bereit, sondern sie praktiziert sie tion, daß der schwere Rückschlag, wie er die Kon- auch. Aber diese Solidarität darf sich nicht als Lip- junkturschwäche, in der sich die Bundesrepublik penbekenntnis erweisen, und man muß sich draußen befindet, bezeichnet, allein der Bundesregierung zur im Lande genauso benehmen, wie hier in diesem Last zu legen sei. Sie allein sei dafür verantwort- Hause. lich, daß sich in dieser schwierigen weltwirtschaft- (Schröder [Lüneburg] [CDU/CSU] : Sehr lichen Situation Preissteigerungsraten und Arbeits- richtig!) marktziffern nach oben bewegen. Herr Strauß sagte zusätzlich, die Ölkrise sei nur ein Vorwand, sie Im übrigen haben Sie seit 1969 zunächst einmal die habe gar nicht die Bedeutung, die man ihr zu- totale Konfrontation gesucht, weil Sie aus Ihrem schreibe, sondern es komme nach seiner Meinung damaligen und wohl auch noch heutigen Verständ- vor allen Dingen auf die Einstellung der Bundes- nis als Quasi-Staatspartei heraus nicht begreifen- regierung zur wirtschaftlichen Situation, der Wirt- können, daß man auch ohne Sie regieren kann. Das schaft gegenüber an; darauf seien die wirtschaft- ist und bleibt der tiefenpsychologische Schlüssel für lichen Schwierigkeiten zurückzuführen. Man muß die verkrampfte politische Situation in diesem Lande. Herrn Strauß doch sehr bitten, sich einmal über (Beifall bei der FDP und der SPD — Zurufe die wirtschaftliche Situation in der Welt zu infor- von der CDU/CSU) mieren, nicht in der Zeitung „Die Welt", sondern Scheinbar war das nach dem klaren Ergebnis der in der Welt rund um uns herum. Bundestagswahl von 1972 etwas gelöst. Nach dem (Beifall bei der SPD und der FDP) 10986 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Dr. Ehrenberg Denn auch wenn Sie, meine Damen und Herren Dr. Ehrenberg (SPD) : Verehrter Herr Höcherl, von der Opposition, es nicht gern hören, auch wenn ich habe davon gesprochen, daß diese Bundesrepu- Sie immer versuchen, den Blick möglichst nur auf blik Deutschland mehr als ein Fünftel ihres Sozial- den eigenen Nabel zu lenken und allein die Tatbe- produkts über den Weltmarkt austauscht und daß stände der Bundesrepublik anzusprechen, kann uns diese Exportorientierung besonders anfällig, unter ernst zu nehmenden Leuten doch wohl kein besonders empfindlich für Veränderungen des Welt- Zweifel daran bestehen, daß eine Volkswirtschaft, markts macht. Das wird doch nun niemand, der die mehr als ein Fünftel ihres Sozialprodukts über ökonomische Verhältnisse übersieht, abstreiten den Weltmarkt austauscht — das ist ein Export- können. anteil, den außer den Niederlanden keine Indu- (Beifall bei der SPD) strienation mehr aufzuweisen hat —, viel empfind- Das ist keineswegs, Herr Höcherl, eine Gegenaus- licher und viel sensibler auf alle Veränderungen sage dazu, daß im Jahre 1974 die Exportindustrie des Weltmarktes reagiert als andere, weniger ex- eine starke Stütze dieser Konjunktur war. Aber Sie portorientierte Volkswirtschaften und daß man in wissen, hoffe ich, auch — ich nehme an, daß Sie es einer solchen exportorientierten Volkswirtschaft wissen —, daß sich die Auftragsziffern der Export- nicht so tun kann, als hätte es sich bei den explo- industrie gerade jetzt sehr abzuschwächen begin- sionsartigen Veränderungen des Weltmarktes um nen, daß glücklicherweise gerade zu diesem Zeit- irgend etwas außerhalb unserer Sphäre gehandelt. punkt die von der Bundesregierung in Gang ge- Das sollte sich auch bis Passau und Sonthofen her- setzte Konjunkturbelebung zu wirken beginnt, daß umsprechen können. steigende Aufträge aus dem Inland ein Gegenge- Herr Strauß hat sich auf den Vorsitzenden des wicht gegen sich abschwächende Exportziffern bil- Sachverständigenrates, Herrn Kloten, berufen, der den. Insofern steht das nicht in einem Widerspruch angeblich auch der Bundesregierung die Schuld ge- zueinander. geben habe. Ich muß Herrn Strauß empfehlen, das Jahresgutachten des Sachverständigenrates noch- Vizepräsident Dr. Jaeger: Gestatten Sie noch mals zu lesen. eine Zusatzfrage des Abgeordneten Höcherl? (Zuruf von der SPD: Erstmals!) (Seiters [CDU/CSU] : Laßt ihn doch reden; das lohnt sich doch nicht!) Ich will hier die Debatte zum Jahreswirtschaftsbe- richt nicht wiederholen, aber eine Stelle, meine Damen und Herren von der Opposition, ist wirklich Höcherl (CDU/CSU) : Herr Dr. Ehrenberg, Sie der Lektüre wert. Ich darf mit Genehmigung des sehen schon Schwalben, wo andere noch keine Spat- Herrn Präsidenten zitieren. Der Sachverständigen- zen gesehen haben. rat sagt in Ziffer 32 seines Gutachtens:

Durch die gegenwärtigen Schwierigkeiten hin- Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordne- durch kann man sehen, daß die Wirtschaft un- ter Höcherl, das war eigentlich keine Frage. seres Landes in einem guten Zustand ist. All dies sollte ausreichen, die Belastungsprobe auch Dr. Ehrenberg (SPD) : Aber ich will trotzdem in ihrem Höhepunkt, der im kommenden Winter antworten, weil ich glaube, daß die vereinzelten zu erwarten ist, mit Erfolg zu bestehen. Frühjahrsschwalben, die beispielsweise auch auf der Handwerksmesse in München deutlich sichtbar wa- Das, Herr Strauß, ist die entscheidende Aussage ren — auf der Handwerksmesse in München ist die des Jahresgutachtens 1974/75, und diese Aussage Stimmung nicht schlecht — sich bis zum Frühsom- sollten Sie sich gelegentlich auch ansehen und mer zu einem ganzen Schwarm verdichtet haben nicht hier einige Nebenbemerkungen — außerhalb werden. des Gutachtens — von Mitgliedern des Sachver- ständigenrates gegen die Bundesregierung verwen- (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Das paßt den. denen aber nicht!) — Herr Kollege Schäfer, dem von mir so sehr ge- schätzten Abgeordneten Höcherl würde ich nicht Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordne unterstellen, daß er auf die Krisentheorie von Franz ter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge- Josef Strauß eingeht. Das würde ich wirklich nicht ordneten Höcherl? tun. Da muß ich ihn nun in Schutz nehmen. (Beifall bei der SPD — Zuruf von der Dr. Ehrenberg (SPD) : Des Abgeordneten CDU/CSU: Das ist aber sehr nett von Höcherl gerne. - Ihnen!) Aber ich muß noch etwas zu den Ausführungen Höcherl (CDU/CSU): Herr Dr. Ehrenberg, wie des Herrn Strauß sagen — ich weiß nicht, woher er können Sie denn ausgerechnet den Export hier die Legitimation dazu nahm; aber er hat es in diesem für Ihre Argumentation zitieren, wo uns doch Hause versucht —, weil er sich zu der Behauptung gerade der Export im letzten Jahr über alle Fehler verstiegen hat, wenn die CDU/CSU — gemeint hat und alle Mängel der binnenwirtschaftlichen Situa- er natürlich sich selber -- regierte, dann wäre es tion hinweggeholfen hat? natürlich möglich gewesen, weniger Arbeitslosig- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 10987

Dr. Ehrenberg keit, geringere Preissteigerungsraten und noch alles Wir haben eine Nation, die eng in den Weltmarkt mögliche andere besser zu haben. verflochten ist und auch Sie, Herr Carstens, können sich nicht aus diesem Weltmarkt absetzen. Das kann (Zustimung bei der CDU/CSU — Stücklen niemand. Das kann auch niemand wollen, [CDU/CSU] Das haben wir doch bewie sen!) (Lachen bei der CDU/CSU) — Das haben Sie bewiesen, verehrter Herr Stück- weil die Wirkungen dann für uns viel stärker wer- len, zu Zeiten einer Weltmarktidylle, wie sie weit, den. weit in grauer Vorzeit hinter uns liegt. Das haben (Maucher [CDU/CSU]: Sie sind ein kluger Sie nicht bewiesen und das können Sie nicht be- Mann! — Stücklen [CDU/CSU] : Lauter Aus weisen unter den Bedingungen des seit 1973 völlig reden!) veränderten Weltmarkts. — Herr Stücklen, auch wenn Sie „Ausreden!" (Beifall bei der SPD) schreien, verwischt das nicht die Fakten, die so Es würde Ihrer Redlichkeit gut zu Gesichte stehen, sind, und die Sie jederzeit in der internationalen diese veränderten Weltmarktbedingungen endlich Statistik, in der Weltpresse, überall in der Welt zur Kenntnis zu nehmen und nicht immer wieder so nachlesen können. Nur glauben Sie nicht diese Fak- zu tun, als wäre das nicht so. Herr Kollege Kirst ten. Sie halten es für Ausreden. hat auch das schon gesagt: Wir haben keine Insel Hier gab es einen Zwischenruf, der sagte: ,,Stabi- der Seligen, die wir uns kaufen können. Wir stehen litätspolitik auf Kosten der Arbeitslosigkeit!" Auch einem völlig anderen weltwirtschaftlichen Zusam- Herr Strauß hat das, wenn auch etwas versteckter, menhang gegenüber, als er beispielsweise Anfang so dargestellt. der sechziger Jahre vorhanden war. Sie können (Breidbach [CDU/CSU] : Das sind Fakten!) doch nicht ableugnen — ich hatte es gar nicht vor, aber auf Grund dieses Zwischenrufs muß ich noch — Das sind keine Fakten, Herr Breidbach. Das ent- einmal darauf hinweisen —: Seit Jahren — ich wie- spricht nicht der Wahrheit, auch wenn es sich Ihnen derhole: seit Jahren — befindet sich die Bundes- so darstellt. Vielleicht denken Sie einmal darüber republik Deutschland in jenem traurigen internatio- nach, wie es um den Arbeitsmarkt in dieser Repu- nalen Geleitzug der Preissteigerungen unverrückbar blik aussähe, wenn es die erfolgreiche Stabilitäts- und fest auf dem ehrenvollen letzten Platz. Da be- politik der Bundesregierung nicht gegeben hätte. fand sie sich nicht in Zeiten der Weltmarktidylle Der verehrte Kollege Höcherl hat in seiner Zwi- Anfang der sechziger Jahre; dort lagen wir im guten schenfrage eben mit Recht darauf hingewiesen, wie Mittelfeld, vielleicht sogar ein Stück oben. stark die Konjunktur des Jahres 1974 durch den (Stücklen [CDU/CSU] : Aber wir hatten da Export gestützt worden ist. Wie hätte es aber im für weniger Arbeitslose!) Jahre 1974 auf den Weltmärkten um unsere Wett- — Auch das hatten Sie, vorübergehend, verehrter bewerbsfähigkeit ohne diese erfolgreiche Stabilitäts- Herr Stücklen. politik ausgesehen? Mit dieser Stabilitätspolitik sind ja nicht nur die Preissteigerungsraten beim (Abg. Breidbach [CDU/CSU] meldet sich zu Lebenshaltungskostenindex, sondern auch — das einer Zwischenfrage) sollten Sie eigentlich auch wissen — die Kosten- — Nein, von Herrn Abgeordneten Breidbach möchte steigerungen der Industrie gebremst worden. Dieser ich keine Zwischenfrage. gebremste Kostenanstieg hat zusammen mit der Herr Stücklen, ich kann Ihnen nicht ersparen, Präzisionsarbeit der deutschen Arbeitnehmer und einige Ziffern zu nennen. Wie gesagt, ich hatte es der Einsatzbereitschaft, die deutsche Arbeitnehmer nicht vor. Aber wenn Sie darauf hinweisen, dann auch unter schwierigen Verhältnissen immer wieder muß man dazu etwas sagen, das vielleicht auch die gezeigt haben, die hohe internationale Wettbe- Ohren des Herrn Strauß erreicht. Sie sagen, Sie hät- werbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft erhalten. ten niedrigere Preissteigerungsraten. Um wieviel Ohne diese Stütze der Exportkonjunktur, die wie- mehr wollen Sie sich denn noch von den Preissteige- derum von der erfolgreichen Stabilitätspolitik nicht rungsraten des Weltmarkts entfernen? Bei durch- unabhängig ist, hätte es auf den Arbeitsmärkten der schnittlich 6 °/o hat die Stabilitätspolitik dieser Bun- Republik noch viel problematischer als ohnehin aus- desregierung es erreicht, die Preissteigerungsraten gesehen. Das sollten Sie bei Ihren Aussagen über zu stabilisieren. Zusammenhänge von Stabilitäts- und Arbeitsmarkt- (Pfeifer [CDU/CSU] : Das ist doch eine politik immer deutlich vor Augen haben. Ich bin zu schwache Argumentation! — Zurufe von einigem Nachhilfeunterricht, falls Sie sich nicht sel- der CDU/CSU: Auf Kosten der Arbeits ber sachkundig machen wollen, gerne bereit. losen!) (Dr. Ritz [CDU/CSU] : Den schlechten Schü - 12 % in Washington, 18 % in Paris, 28 % in Japan ler möchte ich sehen, der bei Ihnen Nach hilfeunterricht nimmt! — Schröder [Lüne — alles nicht sozialdemokratisch regierte Länder; alles Regierungen, die Ihnen von Ihrer Grundlage burg] [CDU/CSU]: Wer hat denn jahrelang von den zu hohen Exporten geredet?) her sehr viel näher stehen als den Sozialdemokra- ten. — Sie brauchen mir nicht nachzusagen, von hohen (Maucher [CDU/CSU] : Wo sind wir denn? Exportzuwachsraten geredet zu haben. Daß sich die — Zurufe von der CDU/CSU: Wir sind in Exportzuwachsraten verlangsamen müssen, hat z. B. Deutschland! — 23 Jahre!) Herr Strauß, als er auf die strukturellen Schwierig- 10988 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Dr. Ehrenberg keiten hinwies, die uns nach Überwindung dieser Dr. Ehrenberg (SPD) : Den Nachhilfeunterricht, 1 Konjunkturschwäche ins Haus stehen, in aller Deut- den die Opposition braucht, kann sie gern erhalten. lichkeit gesagt. Was er gesagt hat, stimmt diesmal Nachhilfeunterricht auf dem Weg über Zwischen- auch. Er hat nur versäumt, hinzuzufügen, daß diese fragen kann aber wohl kaum gegeben werden. strukturellen Schwierigkeiten in erster Linie Ergeb- (Pfeifer [CDU/CSU]: Warum hat die Bun nisse seiner eigenen Finanzpolitik, seiner Verhinde- desregierung denn — wenn es so wäre, wie rung einer rechtzeitigen Aufwertung der Deutschen Sie es hier dargestellt haben — noch 1971 Mark sind. erklärt, es werde im Jahre 1975 — abge Strukturen verändern sich nicht in Monaten. sehen vom Fach Medizin einen Numerus Strukturen wachsen über Jahre hinweg, und Struk- clausus nicht mehr geben?) turen sind auch nur über Jahre hinweg zu ändern. — Genau deshalb ist es so, verehrter Herr Kollege, Hinter diesem Schutz falscher Wechselkurse haben sich Strukturen herausgebildet, die uns im näch- (Lachen und Zurufe bei der CDU/CSU) sten Konjunkturaufschwung allerdings erhebliche weil in diesem Bereich vor 1970 zu wenig investiert Schwierigkeiten bereiten werden. Die Bundesregie- worden ist. Tun Sie doch nicht so, als ob Investitio- rung und die sie tragenden Parteien sind darauf ein- nen in Monaten durchführbar seien! gestellt, diesen strukturellen Schwierigkeiten mit (Zurufe von der CDU/CSU) einer konsequenten und zielgerichteten Struktur- politik, die ja in der zweiten Hälfte der 60er Jahre Öffentliche Investitionen brauchen Jahre, um ihre unter unserer Regierungsbeteiligung überhaupt erst Erfolge zu zeigen. erfunden worden ist, gezielt und nachdrücklich zu (Beifall bei der SPD — Zurufe von der begegnen. CDU/CSU) Woher rühren die strukturellen Schwierigkeiten? Wenn man früher damit angefangen hätte, hätte Sie liegen genau dort begründet, wo auch die Ur- man auch früher ein ausgeglicheneres Bild an den sache für das liegt, was Herr Strauß der Bundes- Hochschulen. Den Nachhilfeunterricht können Sie regierung jetzt zum Vorwurf macht, wenn er von gern gratis und franko haben. dem nicht bewältigten Stau an den deutschen Hoch- schulen spricht. Wo kommt dieser Stau denn her? (Nordlohne [CDU/CSU] : Das moderne Er kommt aus der Zeit der Finanzpolitik des Herrn Deutschland! — Weitere Zurufe von der Strauß, als die damalige Bundesregierung es ver- CDU/CSU) säumt hat, rechtzeitig das zu tun, was notwendig Jetzt würde ich, meine Damen und Herren, gern war, rechtzeitig Hochschulen, Krankenhäuser und zum Thema zurückkehren, auch wenn Sie hier noch anderes zu bauen. so viel unqualifiziert dazwischenrufen; das stört (Zustimmung bei der SPD und der FDP — mich überhaupt nicht. Maucher [CDU/CSU]: Wie lange reden wir (Beifall bei einzelnen Abgeordneten der denn noch von der Vergangenheit?) SPD — Seiters [CDU/CSU] : Jetzt weiß ich, Diese Versäumnisse einer Finanzpolitik, die auf warum Sie den Guillaume empfohlen ha- ihren ausgeglichenen Haushalt stolz war, aber die ben!) nötigen Zukunftsinvestitionen unterlassen hat, kann — Das fehlt gerade noch; der Zwischenruf hat Sie man uns hier nicht als Beispiel hinstellen. eindeutig „qualifiziert" ; den brauchen Sie nicht mehr. (Zustimmung bei der SPD — Dr. Carstens (Maucher [CDU/CSU] : Guillaume als Mit [Fehmarn] [CDU/CSU] : Das ist doch voll arbeiter! — Wohlrabe [CDU/CSU] : Das ist kommen falsch, Herr Ehrenberg! — Seiters doch Ihr Niveau! — Weitere Zurufe von [CDU/CSU] : Keine Ahnung!) der CDU/CSU) Darauf habe ich gewartet. Wenn Sie zur Sache nichts Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter, mehr wissen, fangen Sie damit an, selbstverständ- gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- lich. ordneten Pfeifer? (Erneute Zurufe von der CDU/CSU) Dr. Ehrenberg (SPD) : Nein, das tue ich nicht. Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und (Lachen bei der CDU/CSU — Seiters [CDU/ Herren, ich bitte doch um etwas mehr Ruhe. CSU]: Typisch! — Zurufe von der CDU/ CSU: Wir brauchen von Ihnen keinen Nach Dr. Ehrenberg (SPD) : Kehren wir zu der Schil- hilfeunterricht! — Weitere Zurufe von der derung der wirtschaftlichen Situation zurück, wie CDU/CSU!) - Herr Strauß sie uns hier darzustellen versucht hat, und stellen wir dem den internationalen Hinter- Meine Damen und Vizepräsident Dr. Jaeger: grund dieser Situation entgegen. Dann kann wohl Herren, es ist und bleibt das Recht eines Redners, ohne jede Überheblichkeit gesagt werden, daß sich Zwischenfragen anzunehmen oder abzulehnen. die Bundesrepublik in einer Position der politischen, (Wohlrabe [CDU/CSU] : Herr Ehrenberg, sozialen und wirtschaftlichen Stabilität — im Ver- kommen Sie mal in den Haushaltsausschuß, gleich mit unseren Handelspartnern gleicher Entwick- um ein bißchen Nachhilfeunterricht zu neh lungsstufe — befindet, einer Position, der in der men!) ganzen Welt Respekt bekundet wird. Ich erwarte Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 10989 Dr. Ehrenberg von der Opposition nicht Respekt, aber doch wenig- Der Bundeshaushalt 1975 mit seiner relativ hohen stens ein Stückchen Anerkennung dieser Fakten, und von Ihnen so beanstandeten Kreditfinanzierung (Breidbach [CDU/CSU]: Anbetung!) wird wesentlich zur Konjunkturstützung und damit ein bißchen Anerkennung der Fakten. zur positiven wirtschaftlichen Entwicklung beitra- gen. Natürlich — das hat auch Herr Kollege Kirst Im Anschluß an das Konjunkturprogramm der schon gesagt -- befreit diese konjunkturelle Situa- Bundesregierung und im Anschluß an die nahtlos tion des Haushalts 1975 den Bundesfinanzminister auf eine zureichende Geldversorgung abgestimmte nicht davon, an den Haushalt 1976 besonders strenge Bundesbankpolitik können die Startpositionen für Maßstäbe der Sparsamkeit anzulegen. Doch wir ha- die wirtschaftliche Entwicklung 1975 durchaus als ben keinen Grund, nicht den geringsten Grund, gute Startpositionen bezeichnet werden. Wir haben daran zu zweifeln, daß dies geschehen wird. die Preissteigerungsrate bei 6 % stabilisiert. Wir ha- ben monatlich mehr als 1 Milliarde DM zusätzlicher Meine Damen und Herren von der Opposition, Kaufkraft aus der Steuerreform als wirksame Nach- wir müssen hier auch etwas zu den Schein- oder zu frageimpulse auf den Märkten dieses Landes. den Nicht-Alternativen sagen; echte Alternativen vermissen wir bei Ihnen, haben wir von Ihnen nicht Wir haben mit den beiden Sonderprogrammen bekommen. des Jahres 1974 einen kräftigen, konjunkturbele- benden Anstieg der öffentlichen Investionen — ver- (Stücklen [CDU/CSU] : Von denen Sie keine stärkt durch die Mittel aus dem Konjunkturpro- Kenntnis genommen haben!) gramm -- herbeigeführt. Es ist auch etwas zu sagen über die Oppositions- Diese Politik — zusammen mit der sorgfältig ab- rolle, wie Herr Strauß sie hier an Meinungen aus gestimmten Bundesbankpolitik — hat zu einer soli- der SPD-Fraktion zu der Zeit, als sie noch Opposi- den Verfassung der Aktien- und Rentenmärkte ge- tion war, zitiert hat. Herr Strauß scheint immer nur führt, die ebenfalls eine entscheidende und sehr gute sehr vereinzelt zu lesen und sich lediglich Fakten Ausgangsbasis für die kommende Wirtschaftsent- der Vergangenheit aus dem Zusammenhang her- wicklung ist. ausgreifen, wie sie ihm gefallen. Denn wenn er ge- Es müßte Sie vielleicht doch ein wenig stutzig rade Alex Möller in diesem Zusammenhang ange- machen, daß selbst die „Bild"-Zeitung — sonst doch sprochen hat, sollten Herr Strauß und die anderen in Panikmache ebenso geübt wie Herr Strauß — langjährigen Parlamentarier der CDU/CSU doch gestern unter Bezugnahme auf ein Interview mit wohl noch sehr deutlich zweierlei in Erinnerung ha- Herrn Kloten, auf den sich Herr Strauß in anderer ben: erstens, daß es Alex Möller war, der das Instru- Weise berufen hat, auf der ersten Seite eine Über- ment der mittelfristigen Finanzplanung aus seiner schrift mit dem Titel „Aufschwung in der zweiten Rolle als finanzpolitischer Sp re cher der damaligen Jahreshälfte" gebracht hat. In diesem Interview sagt Opposition heraus entwickelt hat. Herr Kloten sehr deutlich, wie die Startpositionen (Sehr richtig! und Zustimmung bei der SPD der Wirtschaft sind. Wenn die gleiche „Bild"-Zeitung und der FDP) auf der zweiten Seite die Überschrift bringt „Plötz- lich purzeln die Preise", so sagt auch das vielleicht, Dies war ein konstruktives Oppositionsverhalten, da dort der Bundesregierung gewiß nicht leichtfertig das- dann sehr konkret Eingang in das Stabilitäts Lob gespendet wird und Wachstumsgesetz der Großen Koalition gefun- (Maucher [CDU/CSU] : Das hat mit der Bun- den hat. desregierung nichts zu tun!) Meine Damen und Herren, Sie üben sich ja seit — das wäre bei diesem Blatt zum ersten Mal -, fünfeinhalb Jahren in Opposition. Können Sie ir- etwas darüber aus, daß die besseren Aussichten für gendein Feld nennen, auf dem auch nur vergleichs- die wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepu- weise eine ähnlich konstruktive Arbeit von Ihnen blik selbst von der „Bild"-Zeitung nicht mehr ver- vorzuweisen ist? schwiegen werden können. (Sehr gut! bei der SPD — Zurufe von der (Schröder [Lüneburg] [CDU/CSU] : Sie hat CDU/CSU) ten das doch schon zum 4. Mai prognosti ziert!) Zweitens war es wiederum Alex Möller — -- Um so besser, dann wird das auch eintreten; ver- (Stücklen [CDU/CSU] : Warum ist er denn lassen Sie sich darauf. zurückgetreten? — Weitere Zurufe von der (Lachen bei der CDU/CSU) CDU/CSU) Es wird in den nächsten Monaten für die wirt- — Ich habe dieses Beispiel hier nur herausgegriffen, schaftliche Entwicklung entscheidend darauf ankom- weil Herr Strauß ausgerechnet Herrn Möller in die- men, die sichtbaren Belebungszeichen der Konjunk-- ser Form angesprochen hat. — Es ist in den Zeiten tur nicht erlahmen zu lassen, alle Investitionsmög- der Minderheitsregierung Ihrer Fraktion von Okto- lichkeiten im öffentlichen und gewerblichen Sektor ber 1966 bis Ende November 1966 gewesen — da- voll wahrzunehmen und die positive Ertragsent- mals stellten Sie eine Minderheitsregierung, weil wicklung voll zu nutzen. Sie an Haushaltsschwierigkeiten die Koalition hat- ten zerbrechen lassen —, (Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Sorgen Sie mal für die Formulare für die Investitions (Stücklen [CDU/CSU] : Weil die [zur FDP] zulage, die immer noch nicht da sind!) die Hosen voll hatten!) 10990 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Dr. Ehrenberg als wiederum Alex Möller aus der Oppositionsrolle Staatsfinanzen, überhaupt den Untergang und prak- her die Vorschläge für den dann in der Großen tisch den Staatsbankrott voraussagen. Koalition praktizierten Stabilitätshaushalt ent- (Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat denn wickelt hat. davon gesprochen?) (Zustimmung bei der SPD und der FDP — Beispielsweise hat Herr Strauß 1971 gesagt: Eine Lachen bei der CDU/CSU) Folge der gescheiterten Innenpolitik der Regierung Dies ist eine Oppositionsrolle, die Sie sich vielleicht ist eine Finanzkrise ohne Beispiel in der deutschen einmal zum Beispiel für eine konstruktive Arbeit Nachkriegsgeschichte. nehmen könnten, anstatt auf die Krisentheorien von (Zuruf von der CDU/CSU: Da hat er recht Herrn Strauß in voller Linie einzuschwenken. behalten!) (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ So Herr Strauß schon 1971. CSU: Warum ist Möller denn 1970 zurück (Maucher [CDU/CSU] : Das hat er gut vor getreten?) ausgesehen!) Es ist von der mittelfristigen Finanzplanung — — Nun, hören Sie doch noch ein bißchen mehr den nichts „zurückgedreht" worden! Kommen Sie doch Worten Ihres eigentlichen Fraktionsvorsitzenden zu, nicht mit solchen Märchen, wie sie auch Herr Strauß die ich Ihnen jetzt vorlesen will. 1972 hat Herr ständig zur Steuerreform gebracht hat. Es sei eine Strauß gesagt: Zunehmende Zerrüttung der Staats- „miserable Steuerreform", hat Herr Strauß gesagt. finanzen steht fest. Und er orakelte, die Finanzkrise Diese Steuerreform ist nicht — würde zum Staatschaos ausufern. Und auch Herr (Zurufe von der CDU/CSU: Das hat Herr Filbinger hat sich hier eingeschlossen. Herr Filbinger Fredersdorf gesagt!) sprach 1972 davon, die Staatsfinanzen seien in einen Zustand chaotischer Unordnung geraten. — Vielleicht hat es Herr Fredersdorf auch gesagt; (Stücklen [CDU/CSU] : Leider wahr!) (Lachen bei der CDU/CSU) — 1972 schon, Herr Stücklen, hier hat es jedenfalls vorhin Herr Strauß gesagt. Und wenn er es von Herrn Fredersdorf übernom- (Zurufe von der CDU/CSU: Jawohl! — men hat, Genau!) (Zuruf von der CDU/CSU: Gehen Sie doch Und die Reihe geht weiter. Auch Herr Stoltenberg mal hinaus durchs Land und hören, was hat sich da eingeschaltet und von einer bedrohlichen man da sagt!) Verschärfung der Finanzkrise 1972 gesprochen. (Breidbach [CDU/CSU] : Das stimmt doch!) so war Herr Fredersdorf vielleicht der Meinung, wir hätten eine Steuerreform für die Steuerbeamten zu So geht das hin, so geht das her, so zieht sich das machen. Nein, wir haben eine Reform für die Steuer- hin von Jahr zu Jahr, Jahr für Jahr. zahler gemacht, und zwar für die Steuerzahler der (Lachen bei der CDU/CSU) kleinen und mittleren Einkommensgruppen, nicht für die Steuerbeamten! — Jahr für Jahr sagen Sie das Finanzchaos, sagen Sie den Staatsbankrott voraus, und er tritt nicht ein. (Zustimmung bei der SPD — Nordlohne [CDU/CSU] : Wie viele Steuerjahresaus (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe gleichsanträge werden wir 1976 haben! von der CDU/CSU) 20 Millionen statt 40 Millionen? — Weitere Und die Regierungsparteien sind sich ganz sicher, Zurufe von der CDU/CSU) daß auch diesmal, auch 1975/76 und in den folgenden — Warten Sie ab! Nachdem Sie in der ersten Un- Jahren, das von Ihnen vorausgesagte Finanzchaos mutswelle, dieser künstlich hochgeputschten Un- nicht eintreten wird. mutsquelle über die Steuerreform, (Breidbach [CDU/CSU] : Dafür wird aber der (Oh-Rufe von der CDU/CSU) Bürger ausgepowert!) Es wird auch in den Folgejahren nicht eintreten, von ihr abgerückt waren, sind Sie schon wieder da- solange diese sozialliberale Koalition die Verant- bei, sich dranzuhängen, um ein wenig von den Er- wortung in diesem Staate hat; solange Sie, meine folgen dieser Reform vielleicht mit Unterstützung Damen und Herren, nicht in diese Verantwortung Ihrer publizistischen Hilfstruppen doch noch abbe- zurückkehren, wird es kein Finanzchaos geben. kommen zu können. (Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen (Beifall bei der SPD und der FDP) - bei der CDU/CSU — Maucher [CDU/CSU] : Anders ist Ihre Haltung ja gar nicht zu erklären. Genau umgekehrt! — Kunz [Berlin] [CDU/ CSU] : Wer soll Sie eigentlich ernst nehmen? (Rawe [CDU/CSU] : Ein Phantast!) — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Die Alternativen der Opposition? Es hat der Kol- Lachen Sie da nicht selber?) lege Kirst schon darauf hingewiesen, daß sich Jahr Niemand, der lesen und hören kann, wird ernst- für Jahr stereotyp in schöner Regelmäßigkeit wie- haft bezweifeln, wie es um die Staatsfinanzen derholt, daß Sie das Finanzchaos, die Zerrüttung der stünde, wenn man Ihrer Vielzahl von finanzwirk- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 10991 Dr. Ehrenberg sauren Anträgen stattgegeben hätte. Ich will ange- sagen und sich nicht darauf beschränken, die Bun sichts des gegenwärtigen „Autofrühlings" — da desregierung wegen der hohen Kreditfinanzierung wurden vorhin die Schwalben zitiert — gar nicht zu kritisieren. wiederholen, was alles an Vorschlägen Sie gemacht (Wehner [SPD] : Sehr wahr!) haben, was ganz schnell und ad hoc von der Regie- rung gemacht werden sollte: Erhöhung der Kilo- Wenn sie sagten, daß Sie diese Art Politik wollen, meterpauschale, Senkung der Mehrwertsteuer für wüßte der Bürger draußen im Lande, woran er ist, Mineralöl, Wiederherstellung der Abzugsfähigkeit dann wüßte er, daß Sie voll — aber Sie sind es ja von Schuldzinsen bei Kraftfahrzeugkrediten, Sen- auch, Sie geben es nur noch nicht ganz zu, in den kung der Mineralölsteuer und Wegfall der Mehr- meisten Äußerungen aber doch —auf die neue Kri- wertsteuer bei Gebrauchtwagen — eine ganze lange sen- und Verelendungstheorie von Sonthofen ein- Liste finanzwirksamer Vorschläge der Opposition. geschwenkt sind. Wie sähe der Haushalt des Bundes heute aus, wenn Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen das wir diesen oppositionellen Vorschlägen gefolgt nicht ersparen. Ich kann Ihnen das um so weniger er- wären? sparen, als Herr Strauß eine Vielzahl von Interpre- (Wehner [SPD] : Sehr wahr! — Zurufe von tationskünsten anwendet, um von diesem Sonthofe- der CDU/CSU: Lauter alte Hüte! — Wie war ner Papier herunterzukommen. Sie hätten vor einer das mit der Kilometerpauschale? — Weitere Woche hier die große Chance gehabt, von diesem Zurufe) Weg abzurücken. Diese Chance ist vertan. Die Kan- — Ach, das haben Sie alles nicht ernst genommen, didatenreden der vergangenen Woche haben ledig- was Sie damals vorgeschlagen haben? Gut, streichen lich die Machtverhältnisse in den sogenannten wir es ab, erledigt; dann wissen wir, wie wir mit Schwesterparteien deutlich gemacht, sonst nichts. Ihren künftigen Vorschlägen umzugehen haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Zu (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ rufe von der CDU/CSU) CSU: Das ist schon fast kindisch zu nennen!) Sie haben deutlich gemacht, und Herr Strauß hat das vielfach bestätigt, daß er jedenfalls der Meinung Ich will gar nicht auf die Vorschläge Ihrer ver- ist, er könne das Schicksal dieses Volkes in neue ehrten Kollegin Wex z. B. mit der Partnerschafts- Bahnen lenken, neue Bahnen, vor denen uns Gott rente und den sich daraus ergebenden Milliarden- und der Wähler bewahren mögen, kann ich nur beträgen eingehen, nachdem Herr Strauß hier auch sagen. die Finanzierung der Rentenversicherung mit ange- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sprochen hat. Reden Sie darüber doch erst einmal in der eigenen Fraktion, bevor hier solche Vor- Sie, meine Damen und Herren, werden den Schirm schläge gemacht werden! mit tragen müssen, den der CDU-Vorsitzende für den Abgeordneten Strauß hier aufgespannt hat. Ich (Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Reiner Unfug!) frage mich: Werden Sie einen Schirm finden, der Daß der Bundesaushalt 1975 nicht zu einer Finanz- groß genug ist, um all das, was an Sonthofener zerrüttung führt, wissen Sie ohnehin. Wenn Sie das Reden noch vom Himmel kommen wird, wirklich Gegenteil behaupten, ist das nur ein Teil der Kon- auffangen zu können? fliktstrategie, wie sie Herr Strauß ausgegeben hat, (Stücklen [CDU/CSU] : Sie brauchen ein ein Teil der Verelendungstheorie, ganzes Zeltdach für Ihre Partei!) (Zuruf von der CDU/CSU: Die ist von Marx!) Dieses Manuskript von Sonthofen, nicht autorisiert die allein ja nach Ihrer Ansicht erst dazu führen vom Redner, aber in seinem Inhalt auch in keiner kann, daß Sie wieder an die Regierung kommen. überzeugenden Weise dementiert, sagt in aller Klar- Denn — auch darauf hat Herr Kollege Kirst schon heit, was Herr Strauß und — nach dem, was Sie alle hingewiesen, aber, ich glaube, es ist notwendig, es inzwischen dazu gesagt haben — was auch diese hier zu wiederholen — auch Sie wissen oder sollten CDU/CSU-Fraktion wollen. Damit die Bürger im jedenfalls wissen, daß sich die Gesamtverschuldung Lande das auch wirklich wissen, will ich jene Stelle, der Bundesrepublik im internationalen Vergleich auch die Herr Strauß hier so ganz schnell vorgelesen, als 1975 auf einem ausgesprochen niedrigen Niveau be- scheinbares Dementi vorgetragen hat, ganz langsam wegen wird. Sie wissen auch, daß die Neuverschul- und verständlich vorlesen, dung, wie sie im Haushalt vorgesehen ist, notwen- (Dr. Wagner [Trier] [CDU/CSU] : Tun Sie dig ist, um den angestrebten stabilitätsgerechten das!) Aufschwung in Gang zu bringen, daß hier ein be- damit Sie auch alle hören, wirklich hören, falls Sie währtes konjunkturpolitisches Konzept befolgt wird, es nicht nachgelesen haben, auf was Sie sich dabei um auf einen neuen stabilitätsgerechten Aufschwung- eingelassen haben. Es heißt dort — ich darf mit zu kommen. Nur mit dieser Kreditfinanzierung kann Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —: die sich aufzeigende deflatorische Lücke im Haus- halt geschlossen und der Arbeitsmarkt wieder ins (Zuruf des Abg. Stücklen [CDU/CSU] sowie Gleichgewicht gebracht werden. weitere Zurufe von der CDU/CSU) Lieber eine weitere Inflationierung, Wenn Sie das freilich nicht wollen, wenn Sie statt dessen eine Deflationspolitik Brüningscher Auflage (Stücklen [CDU/CSU] : Das will die Regie wollen, dann sollten Sie das hier klar und deutlich rung!) 10992 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Dr. Ehrenberg weitere Steigerung der Arbeitslosigkeit, Jetzt versuchen Sie das mit einer Frage zu inter pretieren. Bitte sehr! (Stücklen [CDU/CSU] : Das will auch die Regierung!) (Stücklen [CDU/CSU] : Weiterlesen! — Wei tere Zurufe von der CDU/CSU) weitere Zerrüttung der Staatsfinanzen — Er hat sich doch dazu gemeldet. (Stücklen [CDU/CSU] : Auch das will die (Zuruf von der CDU/CSU: Was ist das für Regierung!) ein Verständnis von Demokratie!) in Kauf nehmen, als das anzuwenden, was wir als Rezept für notwendig halten. Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) : Herr Kollege (Leicht [CDU/CSU] : Das macht die Regie Ehrenberg, wann wollen Sie endlich zur Kenntnis rung! — Weitere Zurufe von der CDU/ nehmen, was sich aus dem Text klar ergibt und von CSU) Herrn Strauß auch mehrfach klargestellt worden ist, nämlich daß dieser Satz — lieber weitere Inflationie- So steht das dort als der Wille des Herrn Strauß rung, weitere Arbeitslosigkeit usw. in Kauf nehmen, und als niemandes anderen Wille. als unsere Rezepte zu akzeptieren — nur eine Cha- rakterisierung der Politik der Bundesregierung der (Beifall bei der SPD und der FDP — Zu SPD und der FDP ist und nach dem Zusammenhang rufe von der CDU/CSU) auch nur sein kann? (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter der SPD — Wehner [SPD] : Ein unverfrore Dr. Ehrenberg, gestatten Sie eine Frage des Herrn ner Witz!) Abgeordneten Dr. Wagner (Trier)? Dr. Ehrenberg (SPD) : Herr Kollege Wagner, so wie Sie das eben gesagt haben, Dr. Ehrenberg (SPD) : Diese Frage gestatte ich, aber hören Sie bitte erst noch den nächsten Absatz (Stücklen [CDU/CSU]: Sehr richtig!) an, und fragen Sie dann zu beiden. Vielleicht erläu- so interpretiert Herr Strauß hinterher diesen Text. tert der nächste Absatz schon Ihre Frage. (Seiters [CDU/CSU] : Ja und?) (Dr. Wagner [Trier] [CDU/CSU] : Ich kenne den nächsten Absatz auch! — Weitere Zu Sie können damit nicht abstreiten, daß dieser Text rufe von der CDU/CSU) anders lautet. Es ergibt sich aus keinem Zusam- menhang, daß Herr Strauß die Regierung gemeint Sonst stellen Sie die Frage zu beiden Absätzen. hat. (Zuruf von der CDU/CSU: Können Sie denn Es heißt nämlich dann weiter in dieser Rede: nicht lesen?) (Stücklen [CDU/CSU] : Keine Verfälschung!) Er hat sich und diese Fraktion gemeint, die hier vor mir sitzt, und niemand anders. Es muß wesentlich tiefer sinken — — (Beifall bei der SPD und der FDP — Zu Ich darf wiederholen — Herr Breidbach, hören Sie rufe von der CDU/CSU) zu —: Mit noch so vielen Interpretationskünsten Es muß wesentlich tiefer sinken — (Seiters [CDU/CSU] : Sie täuschen sich wie (Breidbach [CDU/CSU]: Sie labern ja nur!) bei Guillaume!) und unqualifizierten persönlichen Verunglimpfun- — Ich lese die Worte Ihres Vorsitzenden vor, falls gen werden Sie davon nicht ablenken können. Sie das nicht gemerkt haben sollten. (Beifall bei der SPD — Seiters [CDU/CSU] : Es muß wesentlich tiefer sinken, bis wir Aus- Wie bei Guillaume! Den haben Sie ja sicht haben, politisch mit unseren Vorstellun- empfohlen!) gen, Warnungen, Vorschlägen gehört zu wer- den. — Wenn Ihnen nichts Besseres einfällt, kommen Sie darauf zurück. Das werden Sie noch lange tun. Bitte (Stücklen [CDU/CSU] : Stimmt das oder sehr! stimmt das nicht?) (Seiter [CDU/CSU] : Den haben Sie doch Es muß also eine Art Offenbarungseid und ein empfohlen, Herr Ehrenberg, oder nicht?) Schock im öffentlichen Bewußtsein erfolgen.- Persönliche Ver- (Seiters [CDU/CSU] : Vom Offenbarungs Vizepräsident Dr. Jaeger: unglimpfungen wurden hier oben nicht gehört. Ich eid hat doch Herr Möller gesprochen!) werde das Protokoll nachprüfen. Hören Sie bitte auch den nächsten Satz wörtlich. Herr Abgeordneter Schröder (Lüneburg) möchte Gesagt hat das Herr Strauß: gern eine Zwischenfrage stellen. Wir können uns gar nicht wünschen, daß dies jetzt aufgefangen wird. Dr. Ehrenberg (SPD) : Bitte sehr! Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 10993

Schröder (Lüneburg) (CDU/CSU) : Herr Kollege — Verehrter Herr von Bismarck, das ist das Niveau Ehrenberg, können Sie dem Hause mitteilen, wer des Herrn Strauß, nicht meines. diesen in einer Gazette erschienenen Text autorisiert (Beifall bei der SPD und der FDP) hat? (Lachen bei der SPD) Das ist nicht mein Niveau, sondern Herrn Strauß' Wollen Sie mir gegenüber damit zum Ausdruck brin- Niveau, und das müssen Sie ertragen, nicht ich. gen, daß Veröffentlichungen in dieser Gazette stets (Dr. von Bismarck [CDU/CSU] : Das ist ein und ständig den Wahrheitsgehalt und den Sinnge- deutig unter Ihrem Niveau! — Weitere an halt dessen wiedergegeben haben, was der Betref- haltende Zurufe von der CDU/CSU) fende geäußert hat? 'Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich bitte doch um Dr. Ehrenberg (SPD) : Ich werde mich hier nicht etwas Ruhe. zu dem Wahrheitsgehalt deutscher Gazetten äußern. (Zurufe von der CDU/CSU: Aha! — Nord Dr. Ehrenberg (SPD) : Ich will Sie Ihrem Schick- lohne [CDU/CSU] : Dann sollten Sie lieber sal mit Herrn Strauß überlassen. Ich kann Ihnen nur geschwiegen haben! — Weitere Zurufe von empfehlen, der CDU/CSU) (Zuruf von der CDU/CSU: Guillaume!) — Nein, darum geht es überhaupt nicht, Es geht darum, daß der Abgeordnete Strauß selber — und diese Rede fern der Interpretationskünste durch ich habe das vor diesem Zitat ausdrücklich vorgetra- Herrn Strauß wirklich sorgfältig und im vollen Text gen diesen Text zwar nicht autorisiert, aber auch nachzulesen. Tun Sie das. Vielleicht sollten wir dieses in keiner Weise dementiert hat. Darum geht es. Thema dann noch einmal besprechen. (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Wenn Sie uns von der CDU/CSU) noch ein paar Exemplare schicken!)

Von diesem nicht dementierten Text können wir ja — Ach, Sie haben sie sicher selber. Herr Strauß wird wohl mit Fug und Recht als seiner Meinungsäuße- ja auch nicht damit zurückhalten. rung ausgehen. (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD Stücklen [CDU/CSU]: Dürfen wir, nachdem deutlich gemacht worden ist, Eine unwahre Ausrede!) wohin die Reise ginge, wenn Sie die Regierungsver- Es geht hier nicht mehr um Interpretationskünste, antwortung in dieser Zeit hätten, sondern es geht um einen vorliegenden Text, der (Breidbach [CDU/CSU] : Auf Fortschritt! Zur nicht dementiert worden ist. Von diesem Text aus- Sache!) gehend, muß man in aller Deutlichkeit feststel- dann zurückkehren zum Einzelplan 04? len — — (Dr. Zeitel [CDU/CSU] : Persilschein für (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Wie Guillaume!) lange wollen Sie davon leben?) — Herr Zeitel, Herr Strauß hat diese Interpreta — Sehr lange, so lange, bis Sie selber merken, wie tionskünste selber vorgenommen. Ich hätte sie sonst untragbar der Vorsitzende der CSU für diese Ge- nicht gebracht. Aber sie mußten ja irgendwann ein- samtfraktion in diesem Hause ist — so lange! mal klargestellt werden. (Dr. Wagner [Trier] [CDU/CSU] : Das wird bald eine sehr kärgliche Nahrung für Sie (Beifall bei der SPD — Zurufe von der sein, Herr Ehrenberg!) CDU/CSU) Meine Damen und Herren von der Opposition, — Nein, das wird nicht so sein; denn über eines, meine Damen und Herren von der Opposition — der auch wenn Sie es nicht gerne hören, auch wenn es Herr Breidbach wird das in seinem Wahlkreis sehr Ihnen sehr schwer fällt, dabei zuzuhören: Ich kann bald sehr deutlich merken —, Ihnen nicht ersparen, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Debatte um den Einzelplan 04, um den Etat des (Oho-Rufe von der CDU/CSU — Dr. Wag Bundeskanzlers, ein legitimer Ort ist, ner [Trier] [CDU/CSU] : Drohen?!) (Schröder [Lüneburg] [CDU/CSU] : Davon werden Sie sich keinerlei Täuschungen hingeben verstehen Sie etwas, vor allem von der dürfen: daß jemand, der so spricht, wie Herr- Strauß Personalpolitik!) es hier getan hat, die Legitimation verloren hat, um Wahrer des sozialen Rechtsstaates zu sein. Wer (Zuruf von der CDU/CSU: Über Guillaume diese Krisen- und Verelendungstheorien in die Welt zu sprechen!) setzt, der wird sich sehr schwer tun — — (Dr. von Bismarck [CDU/CSU] : Das ist unter aus der Sicht der Regierungsparteien etwas Grund Ihrem Niveau! — Weitere Zurufe von der sätzliches zur Arbeit der Bundesregierung zu sagen. CDU/ CSU) (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU) 10994 Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Dr. Ehrenberg — Auch Herr Strauß; Sie haben auch schon einge- Ich bitte Sie also im Interesse der Beschleunigung stimmt in den Chor dieser Leute. Das hätte ich der Arbeit um etwas Zurückhaltung bei Ihren Ihnen nicht zugetraut. Zwischenrufen. (Seiters [CDU/CSU] : Sie sind doch auch der Guillaume-Empfehler! Sie haben ihn doch Dr. Ehrenberg (SPD) : Zu diesem honorigen An- empfohlen!) gebot des Präsidenten kann ich nur sagen: Das hat die CDU/CSU-Fraktion davon, wenn sie so un- ruhig ist! Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und Herren, ich bitte doch um etwas mehr Ruhe. (Wohlrabe [CDU/CSU] : Nun sagen Sie mal, wo die 50 000 Mark sind! — Weitere Zu Dr. Ehrenberg (SPD) : Meine Damen und Her- rufe von der CDU/CSU) ren, vielleicht können Sie sich überwinden, ein- — Sie scheinen noch mehr Verlängerung zu wol- mal zehn Minuten lang etwas über die Arbeit die- len. ser Bundesregierung zu hören. (Anhaltende lebhafte Zurufe von der CDU/ (Widerspruch und Zurufe von der CDU/ CSU) CSU) Meine Damen und Herren, der Leistungskatalog der sozialliberalen Bundesregierung Es muß Ihnen furchtbar unangenehm sein, etwas über die Arbeit der Bundesregierung zu hören. Das (Zuruf von der CDU/CSU: Ist verheerend!) muß ich wirklich sagen. ist lang, umfassend und vorzeigbar. (Zuruf von der CDU/CSU: Aber, aber, Herr (Lachen bei der CDU/CSU) Ehrenberg!) An der Spitze dieser Arbeit stand das Bemühen um mehr Sicherheit, Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und Herren, ich bitte nun wirklich um Aufmerksamkeit (Zuruf von der CDU/CSU: Arbeitslosigkeit!) für den Redner. mehr Gerechtigkeit und mehr Solidarität. (Wohlrabe [CDU/CSU]: Durch Gui llaume!) Dr. Ehrenberg (SPD) : Auch wenn Sie noch so unruhig sind: Ich erspare Ihnen diesen Leistungs- — Nur aus der Sonthofener Ecke kann so ein Vor- katalog der Bundesregierung nicht. wurf kommen, diese Regierung habe sich um mehr Arbeitslosigkeit bemüht. (Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen bei der CDU/CSU) (Zurufe von der Mitte) Sie werden ihn anhören müssen. Ein bißchen mehr Respekt vor diesem Problem soll- ten Sie selbst auf der Oppositionsbank empfinden (Wohlrabe [CDU/CSU] : Aber das ist doch können. Ehrenbergs Märchenstunde! — Breidbach [CDU/CSU] : Haben Sie überhaupt einen (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ vorzuweisen? — Weitere Zurufe von der CSU) CDU/CSU — Abg. Vogel [Ennepetal] [CDU/ Ein bißchen mehr Respekt, Herr Nordlohne aus Süd- CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage) oldenburg; dort ist die Arbeitslosenquote hoch genug, daß Sie in dieser Frage anhören sollten, was — Nach diesen Unruhen sind Zwischenfragen über- geschehen ist. flüssig. Ich lasse keine mehr zu. — Sie werden die- sen Leistungskatalog anhören müssen, ob es Ihnen (Nordlohne [CDU/CSU] : Das wissen wir recht ist oder nicht. alles! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU) (Wohlrabe [CDU/CSU] : Nun tragen Sie mal die Märchen vor! — van Delden [CDU/ - Sie wissen es leider nicht, sonst würden Sie CSU] : Wo sind denn die 50 000 DM her nicht so infam hier diese Unterstellungen ausspre- gekommen?) chen. (Wohlrabe [CDU/CSU] : Jetzt ein Hinweis zu — Es muß Ihnen sehr weh tun, in diesem Hause den 50 000 Mark!) über konkrete Arbeit zu reden; sonst wäre diese Unruhe ja wohl nicht erklärbar. Sie müssen schon anhören, daß in der Außen- und in der Innenpolitik, in der äußeren und in der inne- (Anhaltende Zurufe von der Mitte) ren Sicherheit diese Bundesregierung eine vorbild- liche Arbeit geleistet hat. Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und - (Lachen bei der CDU/CSU) Herren, ich bitte Sie nochmals um Ruhe. Der Herr Redner hat 60 Minuten angemeldet. Da er ständig Wenn Herr Strauß hier von der Doppelstrategie unterbrochen wird, werde ich ihm zum Ausgleich in der Sicherheitsdebatte gesprochen hat, dann muß eine noch längere Redezeit zugestehen müssen. ich doch Sie alle, meine Damen und Herren von der Opposition, einmal bitten, (Widerspruch und Unruhe bei der CDU/ CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Ehrenbergs eine böse Drohung!) Märchenstunde!) Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 10995 Dr. Ehrenberg in den Protokollen der vergangenen Woche nach- Wir haben diese Leistungen dynamisiert, was dazu zulesen, welche konkreten Sicherheitsvorschläge geführt hat, daß sie von 1970 bis jetzt um 111 % er- denn beispielsweise Herr Dregger und Herr Kohl höht worden sind. Wir müssen weiter daran er- gemacht haben. Herr Dregger kann sich zwar auf innern: die Oppositionsrolle zurückziehen, Herr Minister- präsident Kohl aber nicht; er ist nicht in der Oppo- Noch 1969 war die soziale Krankenversicherung ein closed shop für viele Gruppen von Arbeitneh- sition, er regiert verantwortlich ein Bundesland. mern. Von ihm wären konkrete Vorschläge zu erwarten gewesen; sie sind nicht gekommen. So muß Ihnen (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt ist sie also hier noch einmal gesagt werden, daß diese so- pleite!) zialliberale Bundesregierung schon im Oktober 1970 Erst wir haben sie für alle Angestellten geöffnet. ein Sofortprogramm zur Modernisierung und Inten- Noch 1969 wurde man von der Krankenkasse aus- sivierung der Verbrechensbekämpfung verabschie- gesteuert, wenn man länger als 18 Monate krank det hat und daß die Ausgaben für das Bundeskri- war. Heute zahlt die Krankenkasse zeitlich unbe- minalamt von 1969 bis 1974 von knapp 30 auf grenzt den Aufenthalt im Krankenhaus. 150 Millionen DM, also um mehr als das Fünffache, erhöht worden sind. (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Und die Beitragssteigerungen?) (Zuruf von der CDU/CSU: Und die Kosten?) — Ach, wollen Sie das deshalb unterlassen, ver- — Ach, sollten wir diese Kosten sparen, sollte das ehrter Herr Kollege? Sagen Sie das bitte den Ar- Ihr Zwischenruf besagen? Eine merkwürdige Art beitnehmern in diesem Lande, daß Sie die Abschaf- der Einsparung von Kosten, glaube ich! Sie sollten fung der Aussteuerung nicht gewollt haben! zur Kenntnis nehmen, daß der Bundesfinanzminister und die Bundesregierung gerade den so wichtigen (Beifall bei der SPD) Etat innere Sicherheit ausdrücklich von allen Spar- Noch vor sechs Jahren verlor man beim Arbeits- maßnahmen ausgenommen und ihn statt dessen, wie platzwechsel den Anspruch auf die betriebliche Al- die Situation es erfordert, kräftig aufgestockt haben. tersversorgung. Jetzt sind die Betriebsrenten ge- Das nehmen Sie bitte zur Kenntnis. sichert, auch wenn man den Arbeitgeber wechselt (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Und wir das oder der Betrieb Konkurs anmeldet. unterstützt haben!) Noch 1969 wurden Arbeitnehmer doppelt bestraft, Sie sollten auch zur Kenntnis nehmen, was alles wenn der sie beschäftigende Betrieb Konkurs an- auf dem Gebiet der inneren Sicherheit nach dem im melden mußte, weil sie ihren Arbeitsplatz und oft März 1972 verabschiedeten Schwerpunktprogramm auch die Lohnansprüche verloren. Wir haben mit an Maßnahmen getan worden ist. Ich will die lange der Einführung des Konkursausfallgeldes dieses Reihe hier gar nicht aufzählen. Aber es muß doch Problem gelöst. hingewiesen werden auf die Richtlinien über die Zu- sammenarbeit der Nachrichtendienste, der Polizei- Noch 1969 hatten die Mieter in unserem Lande und der Justizorgane, auf die erhöhten Haushalts- keinen Schutz vor ungerechtfertigten Mieterhöhun- mittel für eine Personalverstärkung und die Ein- gen und Kündigungen. Jetzt ist Mieterschutz Dauer- richtung von EDV-Anlagen im Bereich des Bundes- recht geworden. amts für Verfassungsschutz, auf das neue Bundes- Noch 1969 konnten Selbständige nicht Mitglieder grenzschutzgesetz mit den Erweiterungen der Funk- der gesetzlichen Rentenversicherung werden, konn- tion des Bundesgrenzschutzes. Ich will die Liste ten Landwirte der gesetzlichen Krankenversicherung nicht weiter fortsetzen. Dieses Bemühen macht deut- nicht angehören. Heute steht die Rentenversiche- lich, daß die Bundesregierung die politische, die rung auch für Selbständige offen, und Landwirte soziale und die wirtschaftliche Sicherheit bei allen genießen den vollen Schutz der gesetzlichen Kran- ihren Bemühungen beachtet hat und weiterhin be- kenversicherung. achten wird. Noch 1969 wirkte die starre Altersgrenze der ge- Aber, meine Damen und Herren, die innere Ver- setzlichen Rentenversicherung wie ein Fallbeil zwi- fassung eines Staates ist vor allem dadurch geprägt, schen Arbeitsleben und Rentenleben. Mit der Ein- daß sich der arbeitende Mensch mit dem identifizie- führung der flexiblen Altersgrenze haben wir den ren kann, was der Staat ihm an Sicherheit gegen die Spielraum für die Arbeitnehmer individuell erheb- Wechselfälle des Lebens geben kann. Darum ist lich erweitert. bei dieser Debatte auch auf den Komplex der so- zialen Sicherheit einzugehen, gerade. auch weil Herr Noch 1969 wirkten die unzulänglichen Regelun- Strauß eingangs darauf hingewiesen hat, daß diese gen des Kindergeldes und der steuerlichen Berück- Bundesregierung nicht seit 1974, sondern seit 1969 sichtigung in Form von Freibeträgen zugunsten der eine Bundesregierung der sozialliberalen Koalition begüterten Schichten in diesem Lande. Wir haben ist und Verantwortung trägt. Darum ist es notwen- mit einer zweckgerichteten Kindergeldregelung dig, einige der Schwerpunkte dieser Arbeit seit gleiche Beträge für jedes Kind in jeder Einkom- 1969 hier herauszustellen. mensgruppe in diesem Lande geschaffen. Ich muß Sie daran erinnern: Bis 1969 — 24 Jahre (Vereinzelter Beifall bei der SPD — Zuruf nach Kriegsende — mußten die Kriegsopfer immer von der CDU/CSU: Das war ein bißchen wieder um eine Anpassung ihrer Renten kämpfen. schwach!) 10996 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Dr. Ehrenberg Das war nur ein kleiner Ausschnitt aus dem lan- sie es ja zeigen — noch sonst jemand, ein alter- gen Leistungskatalog der Bundesregierung, ein Aus- natives Konzept auch nur in Umrissen bisher er- schnitt, den Sie nicht gerne hören. Sie würden noch kennbar werden lassen. viel weniger gerne hören, wenn man den gesamten Zweitens. Das politische, soziale und wirtschaft- Katalog hier vorlegte. Es wird bei der Beratung liche Klima in unserem Lande ist stabil. Die extre- der Einzeletats Gelegenheit genug sein, Stück für men Parteien an den äußeren Flügeln der hier im Stück darauf zurückzukommen, um damit Stück für Hause vertretenen Parteien haben bei jeder der Stück den Bürgern in diesem Lande deutlich zu ma- letzten Wahlen eine eindeutige Absage erhalten, chen, daß hier sehr gezielt und sehr konkret, abge- so eindeutig, daß sie politisch nicht existent sind. stellt auf die individuelle Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, eine positive und zukunfts- (Zurufe von der CDU/CSU) orientierte Arbeit von der Bundesregierung gelei- Ein deutscher Kommentar zu dieser Tatsache, ge- stet worden ist. schrieben in der „Zeit" am 14. März 1975 — ich (Beifall bei der SPD — Möller [Lübeck] darf zum letztenmal mit Genehmigung des Präsi- [CDU/CSU] : Stück für Stück ein Schritt zu denten zitieren; rück!) (Stücklen [CDU/CSU] : Aber Wort halten!) Stellt man diesen Leistungskatalog der Bundes- — hören Sie bitte, was „Die Zeit", eine angesehene regierung Zeitung in diesem Lande, schreibt! —, lautet: (Zuruf von der CDU/CSU: Negativkatalog!) Die Bundesrepublik hat in diesen Krisenmona- und den Nichtleistungskatalog der Opposition ein- ten ihre Reifeprüfung bestanden. ander gegenüber, (Lachen bei der CDU/CSU — Möller [Lü (Lachen bei der CDU/CSU) beck] [CDU/CSU] : Ich dachte, wir reden im mer von der Krise!) nimmt man die präzisen Aussagen der Bundesregie- rung und der Bundesbank zur Wirtschafts- und Vorübergehende Wirtschaftskrisen können die- Finanzsituation sen Staat nicht mehr erschüttern. Seine Bürger haben inzwischen sehr wohl begriffen, daß er (Lachen bei der CDU/CSU — Zuruf: Merken ihnen noch mehr zu bieten hat als nur ständig Sie nicht, wie komisch Sie damit wirken?) wachsenden Wohlstand. und stellt dagegen den dichten Qualm, den Sie bei Es wäre Ihnen sehr zu empfehlen, meine Damen und diesem Thema verbreiten, wertet man Lautstärke Herren von der Opposition, über diesen „Zeit"- gegen Argumente, Artikel ein wenig nachzudenken. Das Klima in die- (Zurufe von der CDU/CSU: Ja! — Dr. Stark sem Lande könnte vielleicht etwas besser werden, [Nürtingen] [CDU/CSU] : Außer Lautstärke wenn dieses Nachdenken Früchte trüge. nichts!) (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Ich dachte dann kann man zusammenfassen, wie es um die immer, w i r nehmen das Wort „Krise" in Position der Regierung und um die Position der den Mund!) Opposition in diesem Lande wirklich steht, und Drittens und letztens. Die CDU/CSU hat bis heute folgendes feststellen: einen weiten Weg zurückgelegt, Erstens. Zu der Wirtschafts- und Finanzpolitik der (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Einen sehr Bundesregierung gibt es keine Alternative. erfolgreichen!) (Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen einen Weg der letzten Monate, der letzten Jahre, und Zurufe von der CDU/CSU — Dr. Stark den mein Kollege Olaf Sund berechtigterweise unter [Nürtingen] [CDU/CSU] : Also weiter Ar die Überschrift gestellt hat: „Vom Ahlener zum beitslose und Inflation!) Sonthofener Programm." — Sie hätten ja bei der Debatte über den Jahres- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und bei wirtschaftsbericht und auch heute Gelegenheit ge- Abgeordneter der FDP) habt, eine solche Alternative vorzustellen. Meine Damen und Herren, es ist die große Hoffnung (Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Haben Sie aller Demokraten in diesem Lande, daß die CDU den nicht zugehört?) Weg zurück zu den Grundsätzen des Ahlener Pro- Wo ist sie denn? gramms wiederfinden und dieser Weg zurück nicht (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Arbeits so lange dauern wird wie die jüngste Entwicklung. losigkeit ist wohl unser Schicksal?) (V o r s i t z: Vizepräsident von Hassel) Meine Damen und Herren, in den Hauptstädten- der Welt wird mit Respekt und Anerkennung von Hoffnung gibt mir eine Stimme aus Ihren eigenen den politischen Leistungen der Bundesregierung ge- Reihen. Am 17. März hat, diesmal in der „Süddeut- sprochen. Unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik schen Zeitung" veröffentlicht, der Vorsitzende der wird in den führenden Zeitungen der Welt den eige- Jungen Union, Mattias Wissmann, gefordert — ich nen Regierungen als nachahmenswertes Beispiel zitiere wörtlich —, daß die CDU „endlich ihren empfohlen, und auch in der Bundesrepublik selbst Führungsanspruch durch eine von festen Grundsät- hat niemand, weder die Opposition — dann müßte zen getragene Alternativkonzeption untermauern" Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 10997 Dr. Ehrenberg müsse. Meine Damen und Herren, deutlicher den Das ist eine Politik des Scheinfortschritts. Der Beweis dafür anzutreten, daß es bis jetzt dieses Zweck ist der nächste Wahlsieg, das Mittel sind Alternativkonzept nicht gibt, war mir nicht möglich, Versprechungen. und ich kann nur hoffen, daß diese Mahnung des (Zustimmung bei der CDU/CSU) Vorsitzenden der Jungen Union an Ihre Adresse nicht ungehört bleibt. Eine Abhilfe aber ist nur zu erwarten, wenn sich alle miteinander im Denken und Handeln umstellen: (Beifall bei der SPD und der FDP — Möller Staat, gesellschaftliche Gruppen und die Bürger. [Lübeck] [CDU/CSU] : Irren ist menschlich! Nur, die Signale müssen von der Regierung kom- — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Das men, Herr Bundeskanzler. war der Starredner der SPD! — Weitere Zu rufe von der CDU/CSU) (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Und die schweigt!) Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und Der Bürger muß vorbereitet werden auf das, was Herren, wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort kommt. Darauf hat er Anspruch. Darauf ist aber hat der Abgeordnete Dr. Freiherr von Weizsäcker. auch die politische Führung angewiesen. Denn ohne Verständnis und Hilfe des Bürgers wird sie ihre Auf- Dr. von Weizsäcker (CDU/CSU) : Herr Präsi- gabe gar nicht erfüllen können. dent! Meine Damen und Herren! Ich habe Ihnen, (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Ehrenberg, jetzt 60 Minuten sorgfältig zuge- hört: Zu dem eigentlichen Thema, zu dem wir heute Nun wollen alle demokratischen Kräfte in diesem zusammen sind, nämlich nach den Konzepten und Lande mithelfen, die Probleme zu lösen, und zwar Zielen dieser Regierung zu fragen, um von daher ohne Rücksicht darauf, wer sie verursacht hat. Aber ein Urteil darüber zu gewinnen, ob die Mittel hier Ihrem Haushalt können wir nicht zustimmen; denn richtig angelegt sind, habe ich in dieser Stunde Ihre Regierung verweigert der Öffentlichkeit die nichts gehört. Wahrheit und Klarheit, die sie ihr schuldet. (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich habe nur noch eine Bemerkung zu machen, Sie haben es unterlassen, vor der Offentlichkeit dar- Herr Ehrenberg: Ich bedauere es, daß Sie sich Ihrem zulegen, daß, warum und wo Rechte mit Pflichten, Parteifreund Kühn in seiner demagogischen Ver- Ansprüche mit Leistungen und also Freiheit mit fälschung von Zitaten angeschlossen haben, Verantwortung zusammenhängen. (Seiters [CDU/CSU] : Sehr wahr!) Die jüngste Drucksache Ihrer Regierung, genannt „Arbeitsbericht '75" und geschmückt mit Ihrem Vor- von der weder Sie noch Herr Kühn glauben sollten, wort und Ihrem Bild, spricht nun wieder vor allem daß die Bürger Sie Ihnen auch nur noch kurze Zeit davon, daß alles besser, schöner und größer werde. abnehmen werden. Mehr Rechte, günstigere Bedingungen, größere (Beifall bei der CDU/CSU) Sicherheit, stärkere Vorsorge, neue Hilfen und im- Ich möchte mich dem Haushalt zuwenden. mer wieder und immer mehr Rechte, das ist der wesentliche Inhalt dieser Schrift. Mir scheint, daß (Zurufe von der SPD) ist auch der Grundton Ihrer Politik. Oder, wie neu- Dieser Haushalt bezeugt die Finanzkrise unseres lich in der von Herrn Ehrenberg mit Recht soeben Staates. Die Finanzkrise aber ist die Folge lang- zitierten Zeitung „Die Zeit", die Ihnen ja durchaus fristiger Strukturprobleme. wohlgesonnen ist, zu lesen war — ich zitiere — „Wir schaffen das moderne Deutschland, koste es, (Beifall bei der CDU/CSU) was es wolle." Diese Strukturprobleme sind es, denen wir uns zu- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) zuwenden haben und die uns zu einer Umstellung zwingen. Die Zeit eines regelmäßigen und auskömm- Dem Bürger wird alles geliefert und gemacht. Er lichen Wachstums ist bis auf weiteres vorbei. Wir selbst braucht nichts mehr zu tun. Probleme gibt es können heute schon zufrieden sein, wenn es gelingt, nach dieser Weltschau nicht. Wer Probleme beim das Erreichte zu erhalten. Die Ansprüche, die an den Namen nennt, ist ein Panikmacher. Allenfalls gibt Staat gestellt werden, und das Leistungsvermögen es vorübergehende Engpässe. Oder es sind Einflüsse der öffentlichen Hand geraten in ein immer gefähr- des Auslands, an denen die Regierung unschuldig licheres Ungleichgewicht zueinander. Mit anderen ist. Im übrigen geht alles weiter bergauf. Wir sind Worten: Wir leben über unsere Verhältnisse. die Spitzenreiter der Welt, obwohl das, was wir alle Die Verantwortung dafür aber trägt nicht der wissen, gerade in den zentralen Gebieten, der Voll- Bürger, sondern die politische Führung. - beschäftigung und dem Wachstum, nicht stimmt. (Sehr wahr! bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Denn sie ist es, die immer wieder Erwartungen er- Die Regierung verspricht Angenehmes, ver- zeugt, immer neue Leistungen in Aussicht stellt, schweigt Unangenehmes. Das Presse- und Informa- ohne daß sie eine Rechnung über die Kosten und die tionsamt ist eine Werbeagentur für Volksbeglük- Folgen aufmacht. kung. (Beifall bei der CDU/CSU) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) 10998 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Dr. von Weizsäcker Die Regierung selbst aber betreibt ein Krisenmana- lernen, unsere eigenen Interessen besser zu verste- gement ohne Konzept und Ziel. Die langfristigen hen. Nur beginnt das nicht in der weiten Welt, son- Probleme lassen Sie treiben. Deshalb gilt Ihrem dern in der eigenen Gesellschaft. Haushalt unser Nein. (Beifall bei der CDU/CSU) Nun wissen wir, Herr Bundeskanzler, natürlich Eine Regierung, die heute den Schwerpunkt ihres sehr wohl, daß Regieren schwer ist. Wir wissen, daß Befähigungsnachweises in der Außenpolitik sucht, niemand Patentrezepte besitzt. Als Opposition ste- drückt sich um den schwereren Teil der Bewährungs- hen wir zur Mitverantwortung für das öffentliche probe, nämlich den zu Hause, herum. Wohl. Auch wollen wir später in einem Land Re- gierungsverantwortung übernehmen, das bis dahin Nun schätzen Sie es nicht, Herr Bundeskanzler, ein nicht vollends unregierbar gemacht worden sein „Macher" genannt zu werden, der ohne Konzept und darf. Ziel und ohne Sinn für Analyse sei; das kann ich (Zustimmung bei der CDU/CSU) gut verstehen. Sie selbst haben ja, wie jeder hier weiß, wesentlich analytische Beiträge etwa zur welt- Deshalb versagen wir Ihnen, Herr Bundeskanzler, politischen und strategischen Lage unseres Vater- auch nicht die Unterstützung dort, wo Ihre Politik landes vorgelegt. Sie haben sich mehrfach für eine es uns erlaubt. Ich denke dabei an wesentliche Teile fundierte wissenschaftliche Vorausschau als Füh- Ihrer Ausführungen zur inneren Sicherheit am ver- rungsnotwendigkeit und gegen pragmatisches Durch- gangenen Donnerstagvormittag; freilich nicht an wursteln ausgesprochen. Sie gehen ja auch, wie man Ihren Beitrag am Donnerstagnachmittag, mit dem hört, gern der Analyse meisterlicher Schachpartien Sie Ihrem eigenen Appell zur Sachlichkeit nachträg- nach. Aber seit Sie Regierungschef sind, fallen Sie lich den Boden entzogen haben. Ihren früheren Erkenntnissen immer wieder mit (Beifall bei der CDU/CSU) Wort und Tat in den Rücken. Sie haben sich voll engagiert. Sie haben manche (Beifall bei der CDU/CSU) Fehler vermieden, und — was mehr ist Sie haben Man braucht nur Ihr jüngstes Interview im amerika- manche Fehler auch offen eingestanden. Das gilt es, nischen Fernsehen nachzulesen. Dort sprachen Sie sich positiv zu registrieren. über den bewußten Wechsel aus, den Sie gegenüber Die Unterstützung gilt auch wichtigen Teilen der der Regierung Brandt herbeiführen wollten, und Sie Außenpolitik, etwa im Bereich der Außenwirtschafts- sagten dazu, an Stelle derer, die eine Situation gut politik, und, um ein jüngstes Beispiel dafür zu nen- analysierten, hätten Sie die Leute gewollt, die „ge- nen, Ihren Verhandlungen in Dublin für die Euro- wohnt sind. das Ding zu machen". päische Gemeinschaft. (Hört! Hört! und Heiterkeit bei der CDU/ (Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Ja, CSU) das ist richtig!) Dabei hatten Sie doch selbst noch auf dem SPD- Gerade weil die außenpolitische Szenerie mehr Parteitag 1971 in Bonn gesagt: als bisher durch außenwirtschaftliche Aufgaben ge- Regierungspolitik kann schon lange nicht mehr kennzeichnet ist, kommt dem deutschen Beitrag in von der Hand in den Mund leben. Sie kann der Welt eine wachsende Bedeutung zu. Nur wenn nicht ad hoc reagieren. Sie muß analysieren wir unsere internationale Mitverantwortung wahr- und sich der fundierten Vorausschau bedienen. nehmen, werden wir auch in der Lage sein, die Was nennen Sie eigentlich „das Ding machen"? „To deutschen Interessen zu schützen. do the thing", glaube ich, hieß es auf englisch. Das Sie haben sich in den ersten zehn Monaten Ihrer wird man an Hand Ihrer Regierungserklärung und Regierung, Herr Bundeskanzler, oft an die deutsche des Arbeitsberichtes Ihrer Regierung konkret über- Öffentlichkeit mit Erklärungen über die Ursachen prüfen müssen. und Folgen der gigantischen internationalen Um- Der erste Schwerpunkt Ihrer Regierungserklärung verteilung gewandt, die mit der Preis- und Produk- war bekanntlich die Steuerreform. Über dieses tionspolitik der ölfördernden Länder zusammen- Jahrhundertwerk ist heute schon genug gesagt wor- hängt. Kein verantwortlicher Politiker wird auch nur den. Jedenfalls hat Ihr Finanzminister Apel hier für einen Augenblick die bedeutenden Auswirkun- bewiesen, was er kann, nämlich nicht das Ding zu gen dieser und anderer weltweiter Probleme auf un- machen, sondern das Ding kaputtzumachen. sere eigene Gesellschaft unterschätzen. Freilich scheint mir die Attitüde nicht angängig, mit der Sie (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) über allzu viele Probleme zu Hause hinweggehen, Freilich sollte niemand verkennen, daß es Ihr Erbe und die sich etwa so ausdrücken läßt: „Was geht war, das er zu übernehmen hatte. mich das provinzielle Gerede zu Hause an? Ich (Beifall bei der CDU/CSU) mache Weltpolitik!" Der zweite Schwerpunkt Ihrer Regierungserklä- (Zustimmung bei der CDU/CSU) rung war die Mitbestimmung. Für Anfang dieses Denn aktive Beiträge zur internationalen Politik Jahres war das Inkrafttreten des neuen Gesetzes sind ja mit Zumutungen an die Adresse der eigenen ausdrücklich angekündigt. Aber das einzige, was Bürger verbunden. Nur allzuoft beruht die außenpo- passierte, war, daß die „Macher" Ihrer Regierung litische Schwäche einer Regierung gerade auf ihrer einen Entwurf vorlegten, der das in der Geschichte Manövrierunfähigkeit zu Hause. Also müssen wir dieses Parlaments wohl einmalige Schicksal erlebte, Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 10999

Dr. von Weizsäcker daß er auf die einhellige Ablehnung aller beteiligten Ein besonderes Kapitel in Ihrem Arbeitsbericht Kreise der Gesellschaft stieß. nehmen die sozialen Leistungen des Staates ein. Dies ist nun in der Tat ein Thema von schlechthin (Beifall bei der CDU/CSU — Abg. Dr. Jen zentraler Bedeutung. Wir bekennen uns mit Ge- ninger [CDU/CSU] : Einschließlich der Par nugtuung dazu, daß es in der Nachkriegszeit gelun- teien des Deutschen Bundestages!) gen ist, durch gemeinsame Anstrengungen ein vor- Heute weiß niemand, wie es weitergehen soll. bildliches System sozialer Sicherheit zu schaffen. Das ist äußerst bedenklich. Denn die Mitbestim- Dieses System bietet die entscheidende Vorausset- mung ist nun einmal eine Grundbedingung für zung für die Freiheit des Bürgers. Partnerschaft an Stelle von einseitiger Herrschaft (Beifall bei der CDU/CSU) oder von Klassenkampf. Mitbestimmung verlangt Arbeitsbedingungen und ein Unternehmensrecht, in Darüber hinaus ermöglicht das System eine dyna- denen der freie Bürger mitverantwortlich beteiligt mische Wirtschaft. Unser Arbeits- und Sozialrecht ist, in denen er also selbst Rechte und Pflichten der erklärt die vergleichsweise hohe Fähigkeit zu not- Mitbestimmung erlebt und wahrnimmt. wendigen Strukturänderungen; es erklärt die Be- reitschaft des deutschen Arbeitnehmers zur Zusam- Die Vermögensbildung, ein weiterer Punkt des menarbeit beim technischen Fortschritt. Deshalb ist Arbeitsberichts Ihrer Regierung, ist von der Bild- jede Anstrengung erforderlich, um dieses System fläche ganz verschwunden. Es ist gar nicht lange zu erhalten. her, daß Sie auf einem Parteitag der SPD einmal sagten, entweder käme qua Gesetzgebung zum The- Um so ernster können die langfristigen Folgen ma Steuerreform überhaupt nichts zustande oder es sein, wenn Sie, Herr Bundeskanzler, die Probleme käme etwas einschließlich Vermögensbildung zu- gerade in diesem Bereich treiben lassen. Denn die stande. Sie bekannten sich dazu, ein ganz leiden- Leistungsfähigkeit unserer sozialen Einrichtungen schaftlich überzeugter Anhänger einer über die ist schweren Belastungen ausgesetzt. Stagnierendes reine Sparförderung hinausgehenden Vermögensbil- Wachstum, Arbeitslosigkeit und neue Leistungsver- dung zu sein. Zu sehen ist davon weit und breit pflichtungen führen zu einer Anspannung ohneglei- nichts. Teils fiel die Vermögensbildung der Infla- chen. Die Grenze der Belastbarkeit der Beitragszah- tion zum Opfer, teils der Uneinigkeit in Ihrer Partei ler ist erreicht. und Koalition. Das erste, was jeder Bürger in diesem Land ver- (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Nur Nebel, langen kann, ist eine ungeschminkte Darstellung der Nebel, Nebel!) Lage. Die jüngste Leistung Ihrer Regierung war die Inve- (Beifall bei der CDU/CSU) stitionszulage vom Dezember 1974, die, wie wir Aber Ihre Regierung gibt sie nicht. Statt dessen wissen, einseitig zur Vermögensbildung bei Groß- erklärte Ihr Kabinettskollege Arendt z. B. im Januar unternehmen beiträgt. bei der Debatte über das Sozialbudget hier im (Beifall bei der CDU/CSU) Hause, der gegenwärtige Beitragssatz in der Renten- versicherung von 18 % sei selbst bei vorsichtiger Ein weiterer Schwerpunkt Ihres Regierungspro- Schätzung ausreichend, damit sie bis Ende 1988 lei- gramms war die berufliche Bildung. Sie haben da- stungsfähig bleibt. Das ist — um es noch vorsich- mals gute Ziele genannt, gezeigt aber hat Ihre tiger auszudrücken — eine Irreführung der Offent- Regierung am Beispiel der beruflichen Bildung nur, lichkeit. daß sie nicht einig ist und nicht handeln kann. Dank des endlosen Tauziehens in der Koalition liegt (Beifall bei der CDU/CSU — Möller [Lü dem Bundestag bis heute noch kein Entwurf vor. beck] [CDU/CSU] : Bewußte Täuschung!) (Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : So Denn schon heute kann die Beitragsgrenze doch nur ist es!) gehalten werden, wenn die Kosten, die im Ren- tenbereich anfallen, von der Rentenversicherung Wie wenig es Ihrer Regierung gelungen ist, wirk- teilweise auf andere Kassen verlagert werden, z. B. lich einen Kompromiß in der Sache zu finden, zeigt auf die Krankenkassen. allein die Tatsache, daß anläßlich der Vorlage des Gesetzentwurfes die beiden streitenden Minister (Zustimmung bei der CDU/CSU) Ihres Kabinetts — sie sind jetzt beide nicht da Als Bundesregierung erklären Sie einfach: Wir (Stücklen [CDU/CSU] : Sie streiten gerade!) sind es nicht, die den Bürger höher belasten; das unabhängig voneinander — und zwar mit einstün- überlassen wir den Selbstverwaltungsorganen der digem Abstand — Pressekonferenzen abhielten und Krankenkassen. — Dieses Verfahren ist aber un- sich dabei in zentralen Punkten widersprachen.- seriös und gefährlich. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Die Bundesländer werden, wenn ich richtig unter- Der Bürger wird es auf die Dauer weder Ihnen richtet bin, heute überhaupt das erste Mal zum Ent- noch Herrn Arendt abnehmen. Denn er, der Bürger, wurf gehört. Dabei ist die Jugendarbeitslosigkeit, zahlt ja nun einmal alles aus einer, nämlich aus die mit den Versäumnissen der Koalitionsregierung seiner Kasse. Für ihn sind Steuerbelastungen und im beruflichen Bildungswesen unmittelbar zusam- Steigerungen der Sozialabgaben Abzüge aus ein und menhängt, das dringlichste aktuelle Problem. derselben Lohntüte. Und er weiß auch, daß dies 11000 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Dr. von Weizsäcker auf Grund einer durchaus einheitlichen Verant- verändern, dann bedürfen eben auch manche Besitz- wortung dieser Ihrer Bundesregierung geschieht. stände der Überprüfung. (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) (Zuruf von der SPD: Aha!) Auch im Gesundheitswesen lassen Sie die Dinge Denn wir müssen uns laufend vergewissern, ob das treiben. Dort steigen — es war hier schon die Gemeinwesen sie wirtschaftlich tragen kann, ob sie Rede davon — die Krankenversicherungskosten zur den heutigen Erfordernissen sozialer Gerechtigkeit Zeit doppelt so schnell wie das Bruttosozialprodukt entsprechen und welche Auswirkungen sie auf den und die Einkommen. Niemand in Ihrer Regierung Menschen haben. Das ist häufig unbequem, ja auf wagt sich wirklich an alle Beteiligten, Interessen- Anhieb sogar zunächst unpopulär, aber es ist ein ten und Gruppen heran, um rechtzeitig einem Chaos Gebot der sozialen Gerechtigkeit, zu steuern. Das aber wird ganz unvermeidlich (Beifall bei der CDU/CSU) sein, wenn wir nicht bald Leistungsvermögen und Leistungsfähigkeit besser miteinander in Ein- was ich dem Sprecher gerne sagen möchte, der hier klang bringen. Ihre Regierung operiert auch hier mit „Aha!" reagiert hat. ohne Konzept und Ziel, ja sie versagt sich einer Wir haben — dies sei nur als ein Beispiel ge- nüchternen Bestandsaufnahme, die doch der not- nannt — um der notwendigen Chancengerechtigkeit wendige Ausgangspunkt zu gemeinsamem Handeln willen das kostenfreie Studium eingerichtet. Aber wäre. wäre es nicht gerade aus Gründen der sozialen Ge- (Beifall bei der CDU/CSU) rechtigkeit gegenüber der großen Zahl der Steuer- Ich möchte aber diesen Bereich noch etwas allge- zahler geboten, diejenigen, die dieses Nulltarif-Stu- meiner darstellen. Wer Ihrer Regierung gegenüber dium in den Stand setzt, lebenslang ein überdurch- auf den Anstieg der Sozialabgaben und auf die Not- schnittliches Einkommen zu erzielen, später auch zur wendigkeit einer Bestandsaufnahme hinweist, dem Rückzahlung von Studienkosten an die Gemein- schallt es alsbald entgegen, er betriebe soziale schaftskasse der Steuerzahler heranzuziehen? Demontage. So Ihre Sprecher im Januar im Bun- (Beifall bei der CDU/CSU) destag hier, (Seiters [CDU/CSU] : Der Ehrenberg! — Dr. Meine Damen und Herren, je größer die Probleme Wagner [Trier] [CDU/CSU] : Der Ehrenberg sind, desto notwendiger ist es, zu wissen, worauf die auch wieder!) Regierung langfristig hinaus will. Das eben ist es jedoch, was wir bei Ihnen, Herr Bundeskanzler, nicht so Herr Apel am vergangenen Freitag im Bundesrat. wissen. Sie können ja nicht im Ernst glauben, daß Eine solche Reaktion ist nicht nur abwegig, sondern die Finanz- und Beschäftigungskrisen und die Ge- sie ist vor allem verantwortungslos. fährdung unseres sozialen Leistungssystems nur so (Beifall bei der CDU/CSU) eine kleine Magenverstimmung darstellen, gegen die man kurzfristig Gesundheitstee verordnet, um dann Denn die Frage ist ja doch in Wirklichkeit die, ob zu den alten Konsumgewohnheiten wieder zurück- auf die Dauer soziale Demontage nicht gerade darin zukehren. besteht, daß man Gefahren verschweigt, die offen- bar auf unser soziales Leistungsvermögen zu- Wir sind uns vermutlich auch darin einig, daß kommen. Die Frage ist, ob man nicht gerade dadurch Kassandra kein Erfolgsmodell für einen demokrati- neue soziale Ungerechtigkeiten entstehen läßt, daß schen Politiker ist. Auch mit der bloßen Predigt des man einfach alle einmal eingeführten Besitzstände Konsumverzichts ist es in einem freiheitlichen Ge- tabuisiert, anstatt sie einer laufenden Kontrolle zu meinwesen nicht getan. Der Aufruf zur Askese zeigt unterwerfen. ja noch kein verständliches Ziel, er entwickelt noch (Beifall bei der CDU/CSU) keine motivierende Kraft für das freie Bürgerdasein. Aber um diese Motivierung geht es doch wohl auch Wenn wir danach verlangen, dann deshalb, weil Ihnen — oder nicht? Bescheidung der materiellen wir keinen Augenblick vergessen, daß unser System Ansprüche ist nötig, aber doch im Zusammenhang der sozialen Sicherheit von uns eingeführt wurde, mit und als Folge von Werten, von Wünschen und um ein menschenwürdiges Leben gemeinschaftlich Zielen des Bürgers, die wir eben anders zu beschrei- zu sichern. In der modernen Massengesellschaft ben haben als durch bloße Enthaltsamkeit. kann dem einzelnen nicht zugemutet werden, die großen Risiken des Lebens selbst zu tragen. Das (Zustimmung bei der CDU/CSU) ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Die Sicherung mög- Was sind diese Werte und Ziele des Bürgers? Wel- lichst gleicher Chancen erfordert es. Kein Mensch ches Gewicht mißt Ihre Regierung dieser Frage denkt daran, dies rückgängig zu machen, am aller- überhaupt zu? Wollen Sie einen Beitrag dazu lei- wenigsten die Unionsparteien, unter deren Führung sten, und wenn ja, welchen? die wesentlichen sozialpolitischen Entscheidungen- in der Nachkriegszeit getroffen worden sind. Sie haben sich, Herr Bundeskanzler, seit Ihrem Regierungsantritt mehrfach gegen den Vorwurf des (Beifall bei der CDU/CSU) Pragmatismus gewehrt. Wir müssen uns darüber Aber wir leben nun einmal in einer Welt des verständigen, glaube ich, was wir mit diesem Be- ständigen Wandels. Wenn sich Bevölkerung und griff meinen. Pragmatismus hat nach meiner Über- Beschäftigung, Ausbildungsstand und Leistungs- zeugung sein volles Recht als Absage an eine inner vermögen, Technik und Wirtschaft unaufhörlich weltliche menschengeschaffene Heilslehre. Pragma- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 1100l Dr. von Weizsäcker tismus darf freilich nicht zum Deckmantel für Techno- Denken wir nur an die Entwicklung im öffentlichen kratie oder Opportunismus werden. Dienst seit 1969! Nun haben Sie mehrfach Ihren Pragmatismus auf Andererseits weiß der Bürger aus seinem privaten Kant zurückgeführt. Danach — so sagten Sie — sei Haushalt doch recht gut, daß er nur das ausgeben Politik pragmatisches Handeln zu sittlichen Zwek- kann, was er einnimmt. Er braucht nicht Volkswirt- ken. Ihnen gehe es darum, feststehende sittliche schaft studiert zu haben, um zu wissen, daß dieser Grundsätze auf wechselnde Situationen anzuwen- Staat unter Ihrer Regierung über seine Verhältnisse den. Ich habe auch jüngst im „Vorwärts" Ihren dort zu leben sich angewöhnt hat abgedruckten Beitrag zu diesem Thema mit Vergnü- (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) gen gelesen — was ich nicht von allen Artikeln des „Vorwärts" sagen möchte. und daß über kurz oder lang schwerwiegende Ein- griffe bevorstehen. (Heiterkeit) (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Wie immer Aber die eigentlichen Antworten sind Sie uns bei den Sozis!) doch noch schuldig und erst recht die Anwendung solcher Antworten auf Ihre Politik. Denn Kant, Herr Nun wartet er darauf, wann Sie ihn darüber zu in- Bundeskanzler, ist ja nun einmal der klassische formieren gedenken, wie Sie die Finanzprobleme Vertreter einer Gesinnungsethik. Er ist der ideale lösen werden: Kronzeuge für einen Pragmatismus, der in bezug (Beifall bei der CDU/CSU) auf die konkreten Inhalte der Werte noch gar nichts durch Ausgabenkürzungen, durch Steuererhöhungen aussagt. Sittlichkeit setzt nach Kant Freiheit voraus, oder durch immer neue und größere Schuldenhaus- Freiheit als moralische Selbstgesetzgebung des Men- halte, die nur um den Preis der großen Inflation und schen. Es genügt nicht, sich in dieser Freiheit einfach damit der fundamentalsten sozialen Ungerechtigkeit auf Kant zu berufen, sondern nun müssen die Wert- zu haben waren. entscheidungen getroffen, nun müssen die Konse- (Beifall bei der CDU/CSU) quenzen für die Politik sichtbar gemacht werden — von Ihnen! Der Burger ahnt diese Gefahren. Manches davon hat er in der Vergangenheit schon erfahren. Deshalb Sie stellen sich in diesem selben „Vorwärts"-Auf- ist er daran interessiert, daß in der Politik recht- satz die Frage, ob Ihre Ideen für eine gerechte Ge- zeitig Maßstäbe der Vernunft und der Wirtschaftlich- staltung der Gesellschaft zu verwirklichen seien keit angewandt werden. oder ob nicht die Hindernisse dagegen, die Inter- essen des Status quo oder die Denkgewohnheiten (Zuruf von der SPD: Tun Sie es doch ein der Wähler zu mächtig und gar nicht überwindbar mal!) seien. Er will ungeschminkte Vorhersagen und langfristige Ich möchte bezweifeln, daß eine politische Führung Zielsetzungen hören, und zwar von der amtierenden berechtigt ist, die politischen Schwierigkeiten, vor Regierung. denen sie steht, auf die Denkgewohnheiten der Wäh- (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der ler abzuwälzen. SPD: Aber nicht nur von ihr!) (Beifall bei der CDU/CSU) Er will sie auch dann hören, wenn sie eingefahrenen Damit weicht die Führung ja doch der eigenen Ver- Gewohnheiten widersprechen. Er hat gar nicht die antwortung für diese Gewohnheiten aus. Auch unter- Sucht nach immer neuen Versprechungen. Ein Be- schätzt sie, wie ich meine, die Vernunft des Wählers. weis dafür ist auch, daß immer mehr Menschen zur Was sind denn seine Denkgewohnheiten und seine Umorientierung auf Selbsthilfe, auf Rücksichtnahme Wünsche? und Wirtschaftlichkeit fähig und bereit sind; denn sie spüren ja ganz gut, daß damit langfristig die Der Bürger unseres Landes ist zunächst inter- eigenen Interessen besser zu sichern sind als nur essiert an Gesundheit, an Sicherheit, an Gerechtig- durch den entfesselten Kampf ständig wachsender keit in der Verteilung der Chancen und Güter des Ansprüche bei kleinerem oder stagnierendem Lebens und an Wohlstand — an einem Wohlstand, Wachstum. der nicht selbst das Glück ist, aber doch die Voraus- setzung für ein freies Leben bietet. Es spielen also (Zuruf des Abg. Dr. von Bülow [SPD]) materielle Wünsche eine große Rolle. -- Nur, die Initiative dazu kann ja nicht von ihm, sondern muß von Ihnen ausgehen, Herr von Bülow, Wie verhält sich dieser Bürger zum Gemein- bzw. von Ihrem Bundeskanzler. wesen? Zunächst nimmt er, was er bekommt. Warum soll er auch nicht in Anspruch nehmen, was „kosten- (Zustimmung bei der CDU /CSU — Möller los" zu haben ist, wenn die Regierung ihm -das An- [Lübeck] [CDU/CSU] : Kann man kaum er spruchsdenken zum Nulltarif förmlich anerzieht? warten!) (Beifall bei der CDU/CSU) Etwas anderes und noch Wichtigeres kommt noch hinzu. Von materiellen Ansprüchen allein kann der Soll er für den Staat sparsam und sorgsam sein, wo Mensch auf die Dauer nicht leben; er braucht eine andere es nicht sind und wo insbesondere der weitergehende Orientierung. Er sucht verständliche Staat gar nicht mit gutem Beispiel vorangeht? Antworten auf Fragen nach dem Sinn und Ziel sei- (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU) nes freien Bürgerdaseins. Der gemeinsame Wieder- 11002 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Dr. von Weizsäcker aufbau nach dem Krieg lieferte eine solche Orientie- Die Zahl der Kranken, der Isolierten, der Einsamen rung; wir schlossen ihn mit großem materiellen Er- und Hilfsbedürftigen wächst immer mehr. Erfreu- folg ab. Aber damit, weiterführende Aufgaben und licherweise steigen aber auch die Angebote jünge- Ziele vor allem für die junge Generation zu ent- rer und älterer Bürger für solche sozialen Dienst- wickeln, sind wir Älteren alle miteinander nicht so leistungen. Mehr Menschen bieten sich zur Zeit dafür gut fertig geworden. an, als kurzfristig ausgebildet und eingesetzt wer- Nun haben Sie, Herr Bundeskanzler, in der Sicher- den können. Welches Leitbild und welche politi- schen und organisatori heitsdebatte eine Art von Alleinvertretungsanspruch schen Maßnahmen treffen Sie mit Ihrer Regierung dafür? der Koalitionsparteien für die geistige Auseinan- dersetzung und für die Aufgabe der Integration der Ein nächstes Beispiel. Wir basteln immer neue Bil- jungen Generation angemeldet. Das ist einfach ab- dungsstrukturen, aber was für ein Mensch dabei wegig. herauskommt, wissen wir immer weniger. Welchen (Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Sehr konzeptionellen Beitrag zur Vereinfachung des Bil- dungssystems, zur Orientierung der Bildung an der gut!) späteren Beschäftigung, vor allem aber zur Mensch- Wir tragen gemeinsam die Verantwortung für die lichkeit und Kinderfreundlichkeit dieses Bildungs- Entstehung der Probleme zwischen den Generatio- wesens leistet Ihre politische Führung? nen, und gemeinsam — wenn auch im demokrati- schen Wettbewerb untereinander — bemühen wir (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der uns, Aufgaben und Ziele für jung und alt über den SPD) Tag hinaus verständlich zu machen. Wenn Sie Mo- Chancengerechtigkeit wollen wir alle. nopolansprüche anmelden, setzen Sie Ihren Anteil (Erneuter Zuruf von der SPD) der Jugend mit der ganzen Jugend in Deutschland gleich. Aber die laufenden Wahlen sollten Ihnen Be- — Warten Sie es nur ab, ich komme noch darauf weis genug dafür sein, daß sich die junge Genera- zurück, und dann werden Sie vielleicht nicht mehr tion im ganzen dafür nicht hergibt. so laut dazwischenrufen. (Beifall bei der CDU/CSU — Möller [Lü (Beifall bei der CDU/CSU) beck] [CDU/CSU] : Und sie läßt sich nicht Nirgends, wo der junge Mensch chancengerecht mehr verführen!) heranwachsen soll, geht es ideal zu, weder in den Im übrigen: Wer setzt sich denn dort, wo nicht nur Schulen und Hochschulen noch in den Betrieben, Argumente, sondern auch Farbbeutel und Steine noch in den Familien. Also müssen diese Lebens- durch den Hörsaal fliegen, z. B. im Auditorium bereiche — und das heißt, in allererster Linie die Maximum der Freien Universität Berlin, mit diesem Familie — über ihre Mitwirkungsaufgabe bei der Teil der Jugend auseinander? Als ich neulich dort Bildung und Erziehung gründlicher informiert, sie war, wußte mir keiner zu erzählen, daß Sie dort in müssen besser dafür instand gesetzt werden. den letzten Jahren gesichtet worden wären. Wohl Wir haben, wie Sie wissen, ein Erziehungsgeld aber nutzten Sie, wenn es stimmt, was das „Sonn- vorgeschlagen. Es soll in der ersten Lebensphase tagsblatt" berichtet hat, die nur allzu verständliche der Kinder denjenigen Müttern zugute kommen, de- Erregung der Berliner Bevölkerung nach der Er- nen sonst aus sozialen Gründen die Unterbrechung mordung des Kammergerichtspräsidenten von des Berufs nicht zuzumuten wäre. Drenkmann bei einer Rede am Funkturm dazu aus, (Dr. von Bülow [SPD] : Ein neuer Anspruchs einfach über die Studenten als solche pauschal und tatbestand!) undifferenziert herzufallen, um damit besonderen Beifall zu erringen. Erwarten Sie, daß damit Glaub- - Augenblick mal, warten Sie es nur ab. Sie rufen würdigkeit der Jugend gegenüber erzielt wird? immer zu früh dazwischen. Wenn die Zeitungsmeldung falsch war, dann bitte Ein typischer Fall von staatlich geförderter Selbst- ich Sie, sie hier richtigzustellen. hilfe ist das. Für uns Menschen ist es nämlich viel Nein, die Fragen nach den Werten und Zielen für gesünder und trägt zur Selbstverwirklichung viel jung und alt, Werten, die jenseits der nur materiel- mehr bei, wenn wir solche Tätigkeiten in der Fa- len Ansprüche liegen, bewegen und betreffen uns milie selbst übernehmen, anstatt sie gemacht zu be- seit Jahren, und zwar alle miteinander. Die tech- kommen. nokratisch organisierte und materiell orientierte (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der Gesellschaft beantwortet sie nicht. Ich möchte dafür SPD) drei Beispiele nennen: Für den Staat aber, Herr von Bülow, wird es auf Wir investieren immer mehr Geld und Technik in die Dauer billiger, das Erziehungsgeld zu zahlen, als die Krankheitsbekämpfung, aber die Aufgabe einer die Kleinstkinder berufstätiger Eltern in teuren Hei- Pflege im menschlichen Sinn lösen wir -immer men betreuen zu müssen schlechter. Finanzieller und technischer Fortschritt (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) in der Versorgung genügt eben nicht, vielmehr geht es darüber hinaus um die Pflege und Betreuung oder gar die Kinder versorgen zu müssen, welche von Mensch zu Mensch. Wir brauchen also perso- lebenslange Schäden hinnehmen müssen, weil sie nale und soziale Dienste, die die materiellen Lei- nämlich in der ersten Lebensphase die Mutter ent- stungen ergänzen. behren mußten. (Beifall bei der CDU/CSU) (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11003 Dr. von Weizsäcker Vor allem aber ist das Recht auf gleiche Chancen Die Leidtragenden sind wiederum in erster Linie für das Kind zunächst sein Recht auf seine Mutter die Kinder. Sind Sie bereit, sich dafür einzusetzen, und seine Familie. daß im Gesetzestext selbst steht: Die Ehe ist grund- (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der sätzlich auf Lebenszeit angelegt? Oder wollen Sie SPD) auch hier ohne Leitbild auskommen? Wer es ernst meint mit der Chancengerechtigkeit, (Beifall bei der CDU/CSU) muß die Familie besser ausbilden und sichern, nicht Ein drittes Beispiel betrifft die Verteilungskämpfe aber sie problematisieren. in unserer Gesellschaft, in denen sich die Gruppen (Beifall bei der CDU/CSU) immer verbissener um höhere Anteile eines kleiner werdenden Kuchens streiten. Nun haben Sie, Herr Bundeskanzler, in einer in- ternen Parteibewertung oder Parteischelte oder wie (Zuruf von der SPD) man das nennen soll — Dadurch wird die Atmosphäre gefährdet, und beim (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Der schläft!) Menschen wächst die Zukunftsangst, vor allem bei den Schwachen in der Gesellschaft, deren Schutz sie war in der „Frankfurter Rundschau" nachzu- doch die wichtigste Aufgabe des Staates sein soll. lesen — erklärt, im hessischen Wahlkampf hätten Sie sich um die Beantwortung von Fragen nach den Ohne Reform kann die freie Gesellschaft nicht Rahmenrichtlinien herumgedrückt und sie den ört- überleben; denn die Bedingungen der Freiheit, die lichen Kandidaten — vielleicht waren Sie das — Aufgaben und die Kräfte in der Gesellschaft unter- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/ liegen einem ständigen Wandel. Deshalb setzen CSU) Reformen zunächst die Fähigkeit voraus, diese Wandlungen beim Namen zu nennen. Das aber ist überlassen, weil Ihnen das Ganze nicht geheuer ge- es, was wir bei Ihnen vermissen, und zwar schon wesen sei. Wenn Sie sich nur ausschweigen, dann seit Ihrer Regierungserklärung. Wer sind denn die lassen Sie die Dinge treiben. Starken? Wer sind die Schwachen? Ich meine, nicht (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr richtig! Sehr zur Zeit der Gründung der SPD oder am Ende des wahr!) Krieges, sondern heute. Verhindern Sie, daß in sozialdemokratisch geführ- ten Ländern immer von neuem Kinder auf den Sie selbst, Herr Bundeskanzler, haben bei Ihrem Schulen gegen ihre Eltern aufgewiegelt werden! Amtsantritt erklärt, Ihre große Aufgabe sei es, die Arbeitnehmer in den Staat zu integrieren. Zahl- (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) reiche Äußerungen von Ihnen und Ihren Kollegen Erklären Sie hier, Herr Bundeskanzler, ob die gro- in der SPD-Führung verweisen immer wieder auf teske Behauptung in der einleitenden Begründung den traditionellen Anspruch einer Arbeiterpartei, zum Gesetzentwurf Ihrer Regierung über die Neu- nämlich die vielen Arbeitnehmer gegen die kleine regelung des elterlichen Sorgerechts Ihrer Vorstel- Klasse der Kapitalisten zu schützen. Herr Brandt lung entspricht, daß das Kleinkind ebenso wie der hat noch letzte Woche von dieser Stelle aus einen Heranwachsende Objekt elterlicher Fremdbestim- Monopolanspruch seiner Partei für die Interessen- mung sei! vertretung der breiten arbeitenden Schichten unse- (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) res Volkes angemeldet. Sind eigentlich unsere gro- ßen Städte, von denen sich nun eine nach der ande- Setzen Sie durch, daß der einstmals gemeinsame ren mehrheitlich zur CDU bekennt, von arbeitenden Ministerpräsidentenerlaß bald effektiv und einheit- Menschen oder von kapitalistischen Faulenzern be- lich zur Anwendung kommt! Es gilt doch zu verhin- wohnt? dern, daß in irgendeinem Bundesland unsere Kin- (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) der durch radikale Lehrer zur Intoleranz erzogen werden können. Ihr Bild von der Gesellschaft wird noch immer zu (Beifall bei der CDU/CSU) sehr von einer traditionellen Parteirhetorik gekenn- zeichnet. Sie wissen doch ganz gut, daß wir längst Weiter möchte ich fragen: Was haben Sie bisher eine Arbeitnehmergesellschaft sind. Die Arbeitneh- getan, um der unmittelbar bevorstehenden Ehe- mer sind die bei weitem größte und wichtigste scheidungsreform eine Gestalt zu geben, die das Gruppe in der Bevölkerung. Natürlich bedürfen sie Wohl der minderjährigen Kinder auch wirklich be- des Schutzes, vor allem vor der Arbeitslosigkeit rücksichtigt? und vor den Risiken des Lebens. Aber diese Arbeit- (Zuruf von der CDU/CSU: Nichts hat er nehmer sind doch nicht die Außenstehenden in getan!) einem von anderen beherrschten System; sie sind selber seine Träger. Es ist einfach Vulgärmarxismus, Wenn Sie sich für die junge Generation so lebhaft, das Monopolkapital als beherrschende Kraft unserer wie Sie sagen, einsetzen, was tun Sie dann, um eine heutigen Gesellschaft zu kennzeichnen — das kön- Fristenautomatik im Scheidungsrecht zu verhindern, nen Sie übrigens auch in der „Neuen Gesellschaft" so daß z. B. eine Ehefrau demnächst gegen eine nachlesen —, und es ist eine Illusion, Unruhen in Kündigung ihrer Wohnung besser geschützt sein Gegenwart und Zukunft dort zu erwarten, wo sie wird als gegen eine Kündigung ihrer Ehe? der orthodoxe Marxist bis heute theoretisch fordert, (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) nämlich im Spannungsfeld von Kapital und Arbeit. 11004 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Dr. von Weizsäcker Die Starken in der heutigen Gesellschaft sind schlechten Zeiten die Lasten auf die Schultern zu Kapital und Arbeit zusammen oder genauer: die packen. großen Arbeitgeber und die großen Gewerkschaften (Unruhe und Zurufe von der SPD) miteinander. Gemeinsam führen sie die materiell Alles andere wäre Opportunismus, der nicht nur orientierte, die gut ausgebildete und die wohl orga- unmoralisch ist, sondern auch unseren langfristigen nisierte Männergesellschaft der gewerblichen Wirt- eigenen Interessen widerspricht. schaft und des öffentlichen Dienstes an. (Beifall bei der CDU/CSU) Natürlich gibt es heftigen Streit unter den Tarif- Schließlich gehören auch viele Kinder zu den parteien um Prozente und Rahmenbedingungen. Schwachen. Der Numerus clausus und der Kampf Am Ende aber siegen doch nicht die Kapitalisten um die Notendurchschnitte schon im frühen Alter gegen die Arbeitnehmer oder umgekehrt. Gewinner vermitteln ihnen das Bild einer vernagelten Welt. sind vielmehr die Tarifpartner zusammen, und zwar Sie sind bewegt von der Frage: Wozu bin ich da? in starken Branchen und in günstigen Regionen zu Werde ich überhaupt gebraucht, und wofür? Natür- Lasten der schwachen Branchen und Regionen. lich trifft Sie, Herr Bundeskanzler, dafür die Ver- (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) antwortung nicht allein. Wir tragen sie alle mitein- ander. Die Mächtigen diktieren praktisch gemeinsam dem (Wehner [SPD] : Hört! Hört! — Weiterer Rest der Gesellschaft die sozialen und wirtschaft- Zuruf von der SPD: Das ist aber anständig!) lichen Lebensbedingungen. Aber wo ist bei Ihnen als dem Regierungschef dieses (Beifall bei der CDU/CSU) Landes in Ihrer Regierungserklärung, in Ihren Reden hier im Haus oder in der Begründung für die Ver- Und heute siegen letztlich nicht selten die Beschäf- wendung der Mittel, über die wir heute beschließen, tigten gegen die Unbeschäftigten. von diesen Fragen überhaupt die Rede? Welche Zei- Dieser Rest, die Schwachen in der Gesellschaft, ist chen setzen Sie? Wo sind hier Ihr langfristiges Kon- eine gewaltige Zahl, vielleicht die Mehrheit. Aber zept und Ziel? sie lassen sich nicht organisieren wie große Tarif- (Zuruf von der SPD: Weizsäcker, der Hohe parteien. In ihrem Alter, in ihrem Geschlecht, in priester!) ihren Aufgaben, in ihren Interessen und Beschwer- den sind sie nicht auf einen Nenner zu bringen. Was Meine Damen und Herren, vor einem knappen sie eint, ist, daß sie zusammen die Klasse der Ab Jahr machte die SPD Sie, Herr Bundeskanzler, zum hängigen bilden: Rentner; ältere Arbeitnehmer; An- Regierungschef, um dem Verfall des öffentlichen An- gelernte und Ungelernte vor allem in der jungen sehens der Koalitionsregierung entgegenzuwirken. Generation, die den psychosozialen Gefahren der (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Oder den Fol Arbeitslosigkeit mehr als alle anderen ausgesetzt gen von Guillaume!) sind; die auf Teilzeitarbeit angewiesenen Frauen, Wir wissen ja, wie das zustande kam. Ihre Aufgabe die sich besonders schwer tun in einer Beschäfti- lautete, als Kanzler die Wiederwahl der SPD zu er- gungskrise; die Hausfrauen, jene letzten Idealisten möglichen. Das war ein politisch völlig verständ- der Nation, von denen wir kostenlose Dienste und licher Auftrag und dazu natürlich auch demokratisch Betreuung erwarten; völlig legitim. (Beifall bei der CDU/CSU) (Zuruf des Abg. Dr. von Bülow [SPD]) große Teile der Selbständigen im Handwerk, im Nicht irgend jemand anderes, sondern die SPD hat Handel und in der Industrie, die von der Wirt- Sie zum Kanzler vorgeschlagen, und dort sind Sie schaftspolitik dieser Regierung besonders schwer ge- nun auch stellvertretender Parteivorsitzender. troffen sind; (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU) Nun hat es da allerhand Ärger mit dieser Ihrer schließlich die Bewohner zurückgebliebener Regio- Partei gegeben. In Anbetracht von Guilleaume, Wienand und anderen versuchten Sie es zunächst nen. mit der Devise: Was geht mich meine Partei an? Ich Aber auch die Gastarbeiter gehören dazu, über regiere. Das ließ sich natürlich auf die Dauer nicht die Herr Apel neulich jene enthüllende Bemerkung durchhalten. Sie haben dann in der schon erwähnten in der „Bild-Zeitung" machte, als er sagte, die Deut- internen Rede Ihrer Partei die Skandale, die Ver- schen seien eben nicht bereit, bestimmte Arbeiten filzungen und die Brutstätten von Ämterpatronage, zu machen; deshalb bedürfe es zwar der Gastarbei- vor allem im Ruhrgebiet, beim Namen genannt, und ter, aber man werde sie um eine Million reduzieren. das ehrt Sie. - (Seiters [CDU/CSU]: Sehr human!) (Zuruf von der CDU/CSU: Filzokratie! — Zurufe von der SPD) Ist das Ihr pragmatisches Handeln auf sittlicher — Lesen Sie es doch in der „Frankfurter Rundschau" Grundlage? nach! (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Nein, man kann eben nicht in guten Zeiten Gast Dann haben Sie Ihrer Partei gesagt, der Bundeskanz arbeiter für sich arbeiten lassen, um ihnen dann in ler verfüge über ein sehr viel höheres Ansehen bei Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11005

Dr. von Weizsäcker den Wählern als die eigene Partei, und deshalb Der Wähler weiß natürlich auch, wer Schmidt wählt, solle sich die SPD danach richten. der wählt auch Brandt und Wehner, der wählt auch Jochen Steffen und Girgensohn und auch die Jusos. Nur funktioniert das natürlich auch nicht. Denn (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) Sie haben nun einmal die Verantwortung für Ihre Partei, deren Exponent Sie sind. Die Schwierigkeiten Der wählt die Jusos mit allen ihren Flügeln, auch in der Entscheidungsfähigkeit Ihrer Regierung und mit dem Stamokap-Flügel. der Rückgang des SPD-Ansehens beim Wähler — Die Probleme, vor denen wir stehen — ich komme siehe sämtliche Landtagswahlen — sind nun einmal damit zum Schluß —, sind für solche Taktiken und vor allem Ihr Problem als Kanzler. Doppelstrategie, Tricks zu ernst. Der Bürger in unserem Lande weiß von der heute hier schon mehrfach die Rede war, das ganz gut. Deshalb will er auch gar nicht wissen, vordemonstriert in der Sicherheitsdebatte letzte wer am besten polemisieren, wer die meisten un- Woche, Doppelstrategie macht auf die Dauer das demokratischen Monopolansprüche stellen und wer Ganze nur unglaubwürdiger. die besten Pappkameraden aufbauen kann. Was er (Sehr gut! bei der CDU/CSU) wissen will, ist, wer die Aufgaben beim Namen nennt und Lösungsvorschläge macht. Wenn Ministerpräsident Kühn unser Land für unre- gierbar erklärt, wenn die SPD nicht mehr regiert, (Lebhafte Zurufe von der SPD) oder wenn Herr Wehner die Opposition als demo- Er weiß, daß Lösungen nur dann erfolgreich sein kratische Alternative immer wieder in die Nähe von werden, wenn er — der Bürger — tätig mithilft. Er Neonazis rückt, dann fällt das in den Augen der Be- weiß, daß unsere Gesellschaft, die durch Freiheit völkerung nicht auf uns, sondern auf Sie zurück. und Wohlstand gekennzeichnet ist, nicht mit An- (Beifall bei der CDU/CSU) sprüchen und Rechten allein die Zukunft meistern wird, sondern nur durch seine eigene stärkere so- Dasselbe gilt für die erstaunliche Kette von Äuße- ziale Orientierung, durch seine Mitbeteiligung und rungen Ihres Parteivorsitzenden Brandt. Dies alles seine Mitverantwortung. — Mit Ihren Zwischen- waren ja seine Worte: Er wollte die Betriebe mobi- rufen werden Sie diesem Bürger den Weg dazu lisieren — gegen uns, also gegen Verfassungsor- nicht weisen. gane. Das anständige Deutschland stehe hinter ihm. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Demokratie fange mit seiner Regierung erst Ich wiederhole: Immer mehr Menschen sind zu richtig an. dieser Hilfe und Selbsthilfe bereit. Es ist die Auf- (Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Un gabe der politischen Führung, diese Bereitschaft zu glaublich!) nutzen, zu steuern und bei der öffentlichen Hand Vollendet sei die Demokratie im Sozialismus. Die mit gutem Beispiel voranzugehen. SPD sei der Hauptfeind der Extremisten, weil sie (Zuruf von der SPD: Schönen Dank!) so besonders gerecht und friedlich sei. Die Unions- Davon hängt es ab, ob wir mit Beschäftigungskrise parteien könnten die freiheitliche Substanz in die- und Stagnation der Realeinkommen, mit Vertei- sem Lande gar nicht vertreten. Und dann rief er uns lungskämpfen und Besitzständen, mit den Mißver- hier am letzten Donnerstag noch zu, wir sollten an- hältnissen von Ansprüchen und Leistungen, mit der ständig zuhören, wenn der Vorsitzende spricht. Krise der politischen Prioritäten und auch mit der (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Suche der Menschen nach Orientierung und nach Werten und Zielen fertig werden. Darauf hat Ihre Nein, dieser Mann ist nicht der Vorsitzende hier im Regierung, Herr Bundeskanzler, bisher keine Ant- Parlament. Aber er war einmal Regierungschef und wort gegeben. als solcher in der Welt geachtet. (Zuruf von der SPD: Ist ja toll!) (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : War!) Wir fordern Sie auf, sie zu liefern. Nach heutiger Um so mehr ist es bestürzend, wie dieser Mann das Sicht fehlt sie. Deshalb gilt Ihrer Politik und gilt Augenmaß verliert. Ihrem Haushalt unser Nein. (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) (Lebhafter anhaltender Beifall bei der CDU/ Schlimmer aber ist, daß die SPD gerade den Namen CSU) dieses Mannes dazu benützen möchte, um ihr Be- dürfnis nach Polarisierung und nach Verwandlung Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und des politischen Gegners in einen Feind zu befriedi- Herren, der Ältestenrat hat festgelegt, daß wir eine gen. Das ist Ihr Problem, Herr Bundeskanzler; denn einstündige Mittagspause einschieben. Sie singen ja die Oberstimme in diesem doppelstrate- - (Wehner [SPD] : Hört! Hört!) gischen Duett. Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Doppelstrategie funktioniert auf die Dauer nie. Nicht (Unterbrechung von 13.56 bis 15.01) nur hat Brandt neulich schon so schön gesagt, wer sich mit Ihnen, Herr Bundeskanzler, anlege, bekom- Präsident Frau Renger: Meine Damen und me es mit ihm zu tun. Herren, wir fahren in den Beratungen fort. Das (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Wort hat der Abgeordnete Schmidt (Wattenscheid). 11006 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode -- 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975

Schmidt (Wattenscheid) (SPD) : Verehrte Frau Wenn es dann um einige Einzelheiten geht, über die Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her- jedenfalls ich, Herr von Weizsäcker, mit Ihnen nach- ren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Eine Haus- zudenken bereit bin, treffe ich Sie an einer Station, haltsdebatte ist ein hervorragendes Angebot für die die Koalition bereits abhaken kann. In diesem das Parlament wie für die Bürger im Lande, für Hause — ich hoffe, auch in unserem Lande — wird unseren Souverän und an ihn, sich jeweils neu zu es doch niemanden geben, der nicht für mehr orientieren über die Position, die die Parteien und menschliches Miteinander, für mehr brüderliches die Fraktionen im Parlament zur gegenwärtigen und schwesterliches Miteinander, unabhängig von Situation einnehmen. Der Souverän, der Mensch im der Nationalität, sein wird. Mein Freund und Kol- Lande, der Bürger, in dessen Diensten wir alle — lege hat in seiner Erklärung heute morgen eben die- alle Parteien und alle Mitglieder dieses Hauses — sen Appell an uns alle aus seiner Überzeugung rich- stehen, hat auch ein Recht darauf, zu hören, ge- ten wollen. Nur, die Politik im Lande besteht ja sagt zu bekommen: Welche Position nimmt welche nicht darin, sie ist auch gar nicht so zu machen, sie Partei zu welchem Problem ein. Er, der Souverän, darf auch nicht so begreifbar sein, daß wir dies alles der Bürger des Landes, hat das Regierungsprogramm philosophisch als Hoffnung und Ziel nebeneinander vorliegen. Er kennt es. Er weiß, was die Regierung ordnen, untereinanderschreiben und dann verkün- will. Er weiß, was jene Fraktionen wollen, die diese den. Die Politik ist das mühsame Geschäft — aber Regierung tragen. Er, der Souverän, der Bürger, un- ich bin sicher, das sage ich im Augenblick einem, der ser Herr, erwartet, daß die Opposition ihren Stand- es längst anders erlebt hat —, Steinehen für Stein- punkt danebenstellt. chen zusammenzutragen, um dieses Ergebnis zu- wege zu bringen. Wenn ich die Debatte bisher als einer jener vielen im Lande, von denen Herr von Weizsäcker Da reden Sie unter anderem — begrüßenswerter- sprach, jener vielen Millionen, die nicht Volks- weise — von der Lage der ausländischen Arbeit- wirtschaft und auch nichts anderes studiert haben, nehmer in unserem Lande. Wer, verehrter Herr von recht verstanden habe, kann der Bürger bisher zwar Weizsäcker, wer, meine Damen und Herren, hat die Position der Koalition, zwar die Position der Re- denn eigentlich die ersten notwendigen und richti- gierung genau, deutlich und akkurat erkennen, gen Schritte auf diesem Wege getan? Ausländer, (Zuruf von der CDU/CSU: Meinen Sie?) Menschen, die uns helfen, unser Sozialprodukt zu erhalten oder zu vergrößern, gibt es doch in unserer er kann dies aber nicht von der Opposition. Bundesrepublik Deutschland nicht erst seit 1966. Ausländische Arbeitnehmerkollegen gibt es in der (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe Wirtschaft schon sehr viel länger. Aber die auslän- von der CDU/CSU) dischen Mitarbeiter mußten warten, bis diese Regie- Er weiß bis jetzt — jedenfalls geht es mir wie vielen rung die Regierungsgeschäfte übernahm, um bei- anderen so, und ich bin sicher, daß es vielen von spielsweise sichergestellt zu bekommen, daß ein Ihnen auch so geht nichts über die Stellung der Wohnraum gesetzlich vorgeschrieben wird, der in Opposition. Denn die an sich bedenkenswerte Rede jedem Falle menschenwürdig ist. des Herrn von Weizsäcker, über die nachzudenken (Beifall bei der SPD und bei der FDP) in vielen Passagen sich lohnen wird, war ja, wenn Wenn es also um die Detailverwirklichung geht, ich alles bisher Erlebte hier recht einordne und recht dann wird man auf solche Punkte treffen. Wenn es verstehe, keine Rede von der CDU/CSU, sondern an die Verwirklichung von Details dieser philoso- eine Rede des Herrn von Weizsäcker. phischen Rede geht, dann wird man auf die Punkte (Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen treffen, bei denen man der sozialliberalen Koalition bei der CDU/CSU — Gerster [Mainz] [CDU/ bescheinigen muß — auch wenn man sie nicht CSU] : Sie wissen nicht, was Sie sagen!) wählt —, daß sie genau in dem Sinne, den Sie be- schworen haben, längst vor dieser Beschwörung Herr von Weizsäcker, ich will Ihnen gerne froh nachhaltig und im Rahmen ihrer Möglichkeiten aktiv bekennen, daß ich Ihnen mein Kompliment mache geworden ist. für diesen Gedanken. Viele sind nachdenkenswert. In vielen Bereichen würden. Sie jedenfalls mich, (Beifall bei der SPD und bei der FDP) diesen Menschen, der nur auf sich hat schießen las- Ich wäre auch sehr dankbar, wenn wir nachdenken sen dürfen und nur schwer hat arbeiten müssen, könnten über Formeln und Zusammenhänge wie sehr bereit finden zum Debattieren, und Sie würden etwa die: Soziale Besitzstände sollten besser lau- ihn in mancher Passage auch jetzt schon bereit fin- fend kontrolliert und nicht tabuiert werden. — Das den zur Zusammenarbeit, zum Reden über dies. klingt natürlich recht phantastisch, und das wird uns Aber der Sinn einer Haushaltsdebatte ist doch nicht möglicherweise in der Zukunft auch nicht erspart allein, große, hervorragende Ideen zu entwickeln, - bleiben, weil Politik nicht allein mit dem Hunger sondern konkret danebenzustellen: Souverän, Bür- nach Popularität — auch nicht eine solche Debatte, ger des Landes, dies halten wir dann und wann mit auch nicht eine einzelne Rede, sei sie noch so glei- diesen oder jenen Mitteln für machbar, und das ßend schön und habe sie noch so hervorragende wollen wir dann machen. Formulierungen — gemacht werden kann. Wir müs- (Beifall bei der SPD und bei der FDP — sen aber dann, meine Damen und Herren, wenn wir Gerster [Mainz] [CDU/CSU] : Wo nichts ist, so oder so ähnlich reden, denen, die etwas nicht kann man nichts danebenstellen!) mehr bekommen, worauf sie bisher Anspruch hat- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11007 Schmitt (Wattenscheid) ten — und was ja nach Lage der Dinge wohl auch Der Regierung Vorwürfe zu machen, ist zwar nicht richtig ist --, sagen, warum das so ist und zu wes- die Pflicht, aber das gute Recht der Opposition. Die sen Lasten dies geht. Wenn man das nicht dazusagt, Vorwürfe richteten sich, wenn ich das alles richtig Herr von Weizsäcker, bleibt die Weisheit Halbweis- verstanden habe, dagegen, daß die Mitbestimmung heit, weil nicht andeutungsweise verwirklichbar. zwar versprochen, aber noch nicht verwirklicht sei. (Beifall bei der SPD und der FDP) Ich bin froh und bin Ihnen sehr dankbar für das, was Sie sagen, Herr von Weizsäcker: Die Mitbe- Ich erinnere mich an eines meiner ersten Erleb- stimmung ist ein bedeutendes gesellschaftliches nisse in diesem Hause. In der 6. Legislaturperiode Problem; wir müssen die Antwort darauf finden. war vor Auflösung des Parlaments — wenn ich das Ich bin gespannt, wie die Abstimmung ausgehen von draußen richtig beobachtet habe — das Gesetz wird, wenn das kommt, was ja irgendwann gewiß über die Einführung der flexiblen Altersgrenze ein- vorgelegt wird. stimmig verabschiedet worden. Das Parlament wurde (Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf aufgelöst, und der 7. Deutsche Bundestag — das von der CDU/CSU: Wann? Irgendwann!) jetzige Parlament — wurde gewählt. Ich weiß nicht, Ich fürchte, daß diese Art Vorwurf, der an sich, aus welchen Gründen, aber, meine Damen und Her- wenn ich das richtig sehe, in die Philosophie und ren von der Opposition, verehrter Herr von Weiz- das Konzept der Gesamtüberlegung nur auf dem säcker, bei der Verabschiedung in der 6. Legislatur- Weg des Zwanges einzubringen war — sonst paßte periode war in dieses Gesetz keine Begrenzung der er gar nicht hinein , ein wenig mehr aus der Einkommen eingebaut. Jedermann hätte verdienen Sorge entstanden ist, die Verwirklichung der Mit- können, was immer er wollte; seine Rente hätte er bestimmung könnte sich um ein paar Wochen oder daneben bekommen. Es wäre hier, Herr von Weiz- Monate verzögern, als aus der Sorge darüber, daß säcker, vor wenigen Monaten — oder, wenn Sie so diese Koalition, die Sozialdemokraten und die wollen, vor kurzer Zeit ein neuer Besitzstand Freien Demokraten, die modernen Freien Demokra- geschaffen worden. ten, (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Wir haben (Lachen bei der CDU/CSU) doch zugestimmt!) die es in dieser Frage natürlicherweise schwerha- — Sie haben beim Zustandekommen des Gesetzes ben, etwas zu Wege bringt, was die Unionsparteien zugestimmt. Denken Sie nun bitte nicht über meine allein und ohne koaliert zu sein nicht zu Wege Formel nach, sondern über die Ihres Parteifreundes; bringen können, die werden Sie sicher ohnehin für wichtiger halten. (Beifall bei der SPD und der FDP) — Die Koalition hat eben vor dem Hintergrund des Gemäldes der Besitzstände und ihrer dauerhaften jedenfalls bisher nicht zu Wege gebracht haben. Sicherung und wachsenden Faszination nachgedacht und in der 7. Legislaturperiode gegen Ihre Stimmen Präsident Frau Renger: Herr Abgeordneter, dann eine Einkommensregelung eingebaut, die ge- gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten nau dem Rechnung trägt, was Sie hier fordern, wo- Franke (Osnabrück)? — Bitte! gegen Sie damals jedoch waren. (Zustimmung bei der SPD und der FDP) Franke (Osnabrück) (CDU/CSU) : Herr Kollege Schmidt, wenn es so ist, wie Sie gerade sagten, kön- Ich erinnere mich an eine nachfolgende Debatte nen Sie mir dann die Frage beantworten, warum im Augenblick kann ich nicht genau sagen, welche die Freien Demokraten sachverständige Verfas- es war —, in der Sie, Herr von Weizsäcker, dem sungsrechtler bestellt haben, die diesen Mitbestim- damaligen Bundeskanzler Willy Brandt genau an mungsentwurf in der Luft zerrissen haben? dieser Ecke heftige Vorwürfe machten und ihn ins Gebet nahmen, weil dies nicht jene Lebensqualität sei, von der wir zwar redeten, die Sie aber verwirk- Schmidt (Wattenscheid) (SPD): Ich denke, jeder lichen wollten. Nun aber kommt derselbe Herr von Parlamentarier wird sich über die Verfassungsrecht- Weizsäcker und sagt in einem großangelegten Re- lichkeit dessen vergewissern und orientieren, was ferat, mit sehr viel Beifall aufgenommen, dies müsse er politisch anstrebt. doch zum Prinzip werden. Wo bleibt da die Logik, (Beifall bei der SPD und der FDP — Aha! die wir alle unserem Souverän schuldig sind? bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der FDP) Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das auch zumin- dest so bedächten. Sie reden an einer anderen Stelle von einem Vor- wurf gegenüber der Regierung und der Koalition (Erneuter Beifall bei der SPD und der FDP — der Koalition wird ja nur vorgeworfen — — — Seiters [CDU/CSU] : Das haben Sie beim § 218 aber nicht bedacht!) (Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Das stimmt doch gar nicht! Sie haben nicht gut zugehört!) Präsident Frau Renger: Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage von Herrn Franke? Bitte! — Vielleicht hören Sie mir desto besser zu, dann gleicht sich das ein wenig aus! Franke (Osnabrück) (CDU/CSU) : Herr Kollege (Na, na! von der CDU/CSU) Schmidt, wenn dem so ist, können Sie mir dann die 11008 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Franke (Osnabrück) Frage beantworten, weshalb auch die von der Re- nachdenken muß, ob man Stipendien, die Studie- gierung bestellten Verfassungsrechtler diesen Mit- rende heute für eine manchmal recht lange Zeit er- bestimmungsentwurf nicht für verfassungsgemäß halten, nicht in irgendeiner Form im Verlauf ihres halten? Lebens zurückerwarten darf oder kann. Ich persön- lich würde so etwas denken können. Schmidt (Wattenscheid) (SPD) : Warum eigentlich Ich bin, was Ihre Sorgen über die Verteilungs- darf eine Regierung nicht das Recht haben, heute kämpfe anbetrifft, die nach Ihrer Meinung härter klüger zu sein als gestern? werden, aus meinem Erlebnis konträr anderer Mei- (Beifall bei der SPD und der FDP Sehr nung. Ich halte es auch für einen großartigen Ge- gut! und demonstrativer Beifall bei der winn dieser Regierung, den nur sie und nicht ihre CDU/CSU) Vorgängerinnen, jedenfalls nicht jene Vorgängerin- nen, die unter der Führung Ihrer politischen Freunde Präsident Frau Renger: Herr Abgeordneter, standen, zu Wege zu bringen in der Lage war, näm- gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Grafen lich jene wichtige atmosphärische Voraussetzung Lambsdorff? — Bitte! zwischen den Verantwortungsträgern und den Teil- verantwortungsträgern zu schaffen, jeweils auf das Dr. Graf Lambsdorff (FDP) : Herr Kollege große Ganze Rücksicht zu nehmen. Ein Ergebnis Schmidt, könnten Sie vielleicht einmal den Kol- dieser Bemühungen der Mitglieder dieser Bundes- legen Franke fragen, ob er sich die Bestellung von regierung — diese Bemühungen sind nicht katalo- Gutachtern immer so vorstellt, daß man nur jeman- gisierbar und nicht festschreibbar —, mit den Ver- den aussucht, der die eigene bereits vorhandene bänden der Wirtschaft, den Gewerkschaften und Meinung bloß bestätigt? allen anderen Teilverantwortungsträgern in Kon- takt zu bleiben, ist eben ein anderes Ringen im (Beifall bei der FDP und der SPD) Verteilungskampf. (Pohlmann [CDU/CSU] : Siehe Herr Kluncker!) Schmidt (Wattenscheid) (SPD) : Ich würde Ihnen, verehrter Graf Lambsdorff, auf diese Frage gern Ich weiß aus anderer Erfahrung — und ich denke, mit meinem ganz allgemeinen Gebet zu Gutachtern Sie werden es beobachten —, daß noch nie zuvor in antworten; aber diese Stätte ist mir zu würdig dazu. einer so kurzen Zeit wie der Zeit der Regierungen Das Geheimnis der Gutachter und des Gutachtens Willy Brandts, Helmut Schmidts und ihrer freien liegt tatsächlich in dieser Sphäre, damit aber auch demokratischen Partner Regierungschefs oder Mini- ihr Risiko. ster beispielsweise den Bundesvorstand des Deut- (Heiterkeit bei der SPD) schen Gewerkschaftsbundes so oft besucht haben. (Beifall bei der SPD und der FDP) Präsident Frau Renger: Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? Noch nie zuvor ist auch auf diesem und auf anderem Wege jene atmosphärische Voraussetzung, die für Schmidt (Wattenscheid) (SPD) : Ja, immer weiter ein gedeihliches und vernünftiges Miteinander un- erläßlich ist, so gepflegt und so nachhaltig verfolgt so! (Erneute Heiterkeit bei der SPD) worden. Ich wäre noch froher, Herr von Weizsäcker, hätte Franke (Osnabrück) (CDU/CSU) : Herr Kollege am Ende Ihrer Gedanken — an die Adresse des Schmidt, haben Sie nicht auch den Eindruck, daß Souveräns gerichtet — die Konsequenz, das Han- die Gutachter der Freien Demokraten, Professor deln der Opposition gestanden. Dann wüßte er von Zacher und Professor Mestmäcker, deshalb von heute an, was Sie eigentlich wollen. Wenn die De- Graf Lambsdorff bestellt worden sind? batte so weiterläuft wie bisher, wird der Souverän, (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) der Bürger im Lande aber auch weiterhin immer nur die erste Strophe Ihrer Hymne kennen: Sie sind gut, Sie sind überlegen, Sie sind ganz famos und Schmidt (Wattenscheid) (SPD) : Ich habe nicht wissen alles besser und schneller. Wenn Sie ständig den Eindruck singen, daß sie ausgezeichnet sind, müßten Sie dem (Dr. Wagner [Trier] [CDU/CSU] : Daß Graf Bürger aber auch die zweite Strophe vorsingen und Lambsdorff sich etwas dabei gedacht hat! sagen, was Sie denn auszeichnet, welche Idee, wel- Er war überrascht!) ches Werkzeug, welches Programm, welcher Plan. Vor allem müßten Sie auch sagen, welche Persön- — wenn Sie mir zuhören wollen, haben wir viel- lichkeit aus der Vielzahl Ihrer Führungsanwärter leicht alle noch ein bißchen Freude , daß man bei dem Bürger gegenübergestellt werden soll. Dann Gutachtern darauf achten muß, daß sie gutachten, hätte die Debatte in der Tat einen großen Sinn ge- damit jemand gut abschneidet. habt. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. der FDP) Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Das haben Ich würde Ihnen, Herr von Weizsäcker, in einer wir auch schon mehrfach gehört!) anderen Sphäre folgen können, die Sie vortragen — Wenn Sie an das Mikrophon gehen, haben wir oder anstreben oder anleuchten, daß man darüber alle etwas von Ihren Äußerungen. Sonst haben wir Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11009 Schmidt (Wattenscheid) allein die Freude — und die steht uns doch gar nicht überzeugt bin, daß selbst das, was im neuen Teil der zu. Bibel steht und schon bald 2 000 Jahre alt ist, Ihnen (Heiterkeit bei der SPD und der FDP) nicht einmal allen bekannt ist, obwohl Sie sich Ich hatte mir ein paar Bemerkungen über den eine christliche Fraktion nennen; schon deshalb muß eigentlichen roten Faden aufgeschrieben, der bis da- es Ihnen noch oft gesagt werden —, hin durch die Debatte lief, Bemerkungen über die (Zurufe von der CDU/CSU: Vorhin war er Probleme unserer Wirtschaft und unserer Wirt- gut, jetzt plätschert er! Jetzt läuft es aus!) schaftspolitik. Ganz ohne Zweifel ist in dem Lande, daß das, was auf diese Volkswirtschaft wirkt, nur in dem wir leben, die Voraussetzung für vieles an- zum Teil von uns beherrschbar ist. dere — wie Herr Kirst uns heute morgen beschrie- ben hat —, daß sich unserer Wirtschaft in einem kon- (Zuruf von der CDU/CSU) tinuierlichen, sicheren Wachstum befindet. Da reden — Haben Sie einen Augenblick Geduld, er kommt wir nun hier in diesem Parlament, und wir werfen gleich wieder. uns vor und wir klagen uns an — nein, das ist nicht richtig: Sie werfen uns vor und Sie klagen uns an, (Zuruf des Abg. Franke [Osnabrück] [CDU/ daß das mit der Wirtschaft und der Wirtschaftspoli- CSU] ) tik alles ganz schlimm sei; das, was gemacht werde, Das, was jetzt ist, meine Damen und Herren, ist sei natürlich ganz falsch, und wenn überhaupt etwas weitgehend aus der Entwicklung der Volkswirtschaf Richtiges daran sei, komme es viel zu spät. ten um uns herum in uns hineinwirkend, und Sie (Seiters [CDU/CSU] : Exakt!) — ausgerechnet Sie! — klagen uns an dieser Stelle an, Sie, die Sie 1966 ohne Wirkungen von draußen Sie wissen, daß ich im Lande der schweren Arbeit und ohne die weltwirtschaftlichen Zusammenhänge, lebe. Ich lege großen Wert darauf, mit meinen Ar- (Gerster [Mainz] [CDU/CSU] : Das ist doch beitgebern häufig in Kontakt zu sein. Diese können Unsinn!) Sie selbst dann, wenn sie Sie wählen, in diesen Punkten nicht mehr verstehen. Da ist der Mensch der allein aus der Binnensitutation, eine dreiviertel Mil- Arbeit froh, glücklich und stolz darauf, daß wir lion Arbeitslose produziert haben. Sieger im Kampf gegen die Inflation geworden sind, (Beifall bei der SPD und bei der FDP — und Sie tun hier so, als sei das gar nichts. Pohlmann [CDU/CSU] : Sie rechnen sich (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. nicht zu den Sachverständigen! — Seiters Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Und die [CDU/CSU] : 670 000, und das nur in einem Arbeitslosigkeit? — Seiters [CDU/CSU] : Monat! — Weitere Zurufe von der CDU/ Wissen Sie noch, was der DGB 1966 gesagt CSU) hat?) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer — Ich komme gleich auf 1966, seien Sie doch gedul- diese Erfahrung hat, wer die Erfahrung der Regie- dig. Ich bin ja auch in der Geschichte groß geworden rung und wer die Erfahrung der Opposition hat, wer und habe sie erlebt. Ich hoffe, Sie haben sie so in die Erfahrung hat, wie sie jede Partei und jede Erinnerung wie ich: so logisch, so klar und so nüch- Fraktion in diesem Hause hier haben, der sollte die tern. Schwierigkeiten, die ohne Zweifel bestehen, nicht (Beifall bei der SPD und bei der FDP — so darstellen, als seien sie mit linker und leichter Pohlmann [CDU/CSU] : Die Flugblätter des Hand und mit einem nur gewollten oder gewünsch- DGB! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: ten Rezept von heute auf morgen behebbar. Wir Jetzt wird es peinlich!) sind es unseren Bürgern schuldig, Da ist der Mensch, wie gesagt, nun stolz darauf, (Pohlmann [CDU/CSU] : Die Wahrheit zu und dann sagen Sie ihm: Dies alles ist nichts. Und sagen!) wenn wir uns mit Vergleichbarem um uns herum zu sagen, wie die Lage ist, und wir sagen es. Wir vergleichen, um einen Leistungswettbewerb zu ver- sind es unseren Bürgern schuldig, zu sagen, was wir anstalten, dann sagen Sie, die Sie doch wohl sehr zu ihrem Wohle zu tun gedenken, zu tun gedacht hohen Wert auf Leistung und Leistungswettbewerb haben und verwirklichen werden. Sie würden den legen, das sei im Grunde gar nicht zulässig; gleichen Bürgern, in deren Dienst Sie stehen, einen denn selbst holländischen Käse kauften wir in guten Dienst erweisen, wenn Sie nicht nur anklagten, Deutschland, und die Anzüge müßten wir auch hier sondern auch sagten, welche Mittel, welche Ideen kaufen. Meine Damen und Herren, zumindest die und welches Instrument sie anwenden würden. Sachverständigen unter Ihnen wissen mit absoluter Sicherheit um die Wirklichkeit unserer gegenwärti- (Beifall bei der SPD und bei der FDP) gen wirtschaftlichen Sorgen, die wir haben. - (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Ja, haben Sie Präsident Frau Renger: Das Wort hat der welche?!) Herr Bundeskanzler. Es wäre ja ganz schlimm und ganz töricht, daran vorbeizudenken. Sie wissen um die Tatsache, daß Schmidt, Bundeskanzler: Frau Präsidentin! dies, was wir erleben — es ist Ihnen schon oft ge- Meine Damen und Herren! Ich habe keine vorbe- sagt worden, aber ich meine, es muß Ihnen auch reitete Rede zur Verfügung, sondern möchte spontan noch oft gesagt werden, schon deswegen, weil ich auf einige Diskussionsbeiträge antworten, die wir 11010 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode - 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Bundeskanzler Schmidt heute gehört haben. Die Ausführungen, die mein Ich räume ein, daß Sie in einigen Punkten dann Freund , der an der Spitze der durch auch einmal mehr gefordert hatten, als zu verwirk- eine Reihe von Jahren, nicht erst eine Reihe von lichen war. Monaten leidgeprüften Bergarbeiter steht, soeben (Lachen bei der CDU/CSU — Kunz [Berlin] gemacht hat, geben mir Veranlassung, als erstes auf [CDU/CSU] : Entweder so oder so! — Dr. einen Punkt zurückzukommen, den Ihr zweiter Red- Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das ist ner aufgebracht hat. Da war, wenn ich es richtig unfair! — Weitere Zurufe) verstanden habe, die Rede davon, daß angeblich die Mächtigen auf der Arbeitnehmerseite und die Das muß nicht heißen, daß es dann nicht eines spä- Mächtigen auf der Seite des Kapitals sich auf Ko- teren Tages verwirklicht werden kann. sten aller Schwachen in der Gesellschaft einigten. Ich möchte ein paar Bemerkungen zu dem wirt- Es tut mir leid, dem kann ich auch nicht zu einem schaftspolitischen Gemälde machen, das hier entrollt kleinen Teil zustimmen, wenngleich es theoretisch wurde und zu dem dann auch der zweite Redner der nicht auszuschließen ist, daß solche Gefahren eintre- Oppositionsfraktion einiges beigetragen hat. Sie ten könnten, und wenngleich es Länder gibt, in de- haben gesehen, daß die gemeinsame Konjunktur- nen solche Gefahren vielleicht eher greifbar sind als politik, die die Bundestagsmehrheit, d. h. Gesetz- hier. Ich wäre dankbar, wenn sich derjenige, der gebungsmehrheit, die Regierung, die Deutsche Bun- dies ausgesprochen hat, darüber Klarheit ver- desbank treiben, u. a. im Laufe der letzten zehn schaffte, daß die Macht der organisierten Arbeit- oder zwölf Wochen sowohl die langfristigen Zinsen nehmerschaft nichts anderes als Gegenmacht — drin- als auch die kurzfristigen wesentlich hat sinken las- gend notwendige Gegenmacht — ist, um Macht in sen. Ich stimme übrigens an dieser Stelle ausdrück- unserer Gesellschaft auszubalancieren. lich der Deutschen Bundesbank bei, die von den (Beifall bei der SPD und der FDP) privaten Banken in Deutschland verlangt, dies nun auch gegenüber ihren Kunden durchschlagen zu las- Aber es mag gut sein, auf solche theoretische Ge- sen. fahr hingewiesen zu haben. Nun darf man sich da- (Beifall bei der SPD und der FDP) bei nicht so weit steigern, daß man behauptet, sie Wir haben in den ersten Wochen und Monaten die- einigten sich auf Kosten der Mehrheit, und die wirt- ses Jahres die Verhandlungen bei den Lohnbewe- schaftlich Schwachen seien die Mehrheit in unserem gungen des Jahres 1975 zwischen den angeblich zu Volk, und die Mächtigen einigten sich gar „auf Ko- mächtigen Gewerkschaften und ihren Tarifpartnern sten der Rentner". Herr von Weizsäcker, Jahr für erlebt. Ich spreche von der Industriegewerkschaft Jahr für Jahr sind die Renten in Deutschland um Bau, Steine, Erden und ihrem Partner, ich spreche über 11 % — in der realen Kaufkraft stärker als die von der Industriegewerkschaft Metall und ihrem Realnettoeinkommen der Arbeitnehmer — erhöht Partner Gesamtmetall, ich spreche von den Gewerk- worden. Reden Sie nicht solche Dinge, die Sie selber schaften des öffentlichen Dienstes und ihren Part- nicht durchgearbeitet haben! nern, den öffentlichen Dienstgebern. Ich darf darauf (Beifall bei der SPD und der FDP) hinweisen, daß hier drei große Gewerkschaften — die mit einigen Ausnahmen und Abschwächungen, Derselbe Redner hat sich — wie ich denke, mit aber im Grunde doch seit 1949 überaus verantwor- Recht — gegen das überhandnehmende Anspruchs- tungsbewußt gehandelt haben — in einer der gegen- denken gewehrt. Ich selber habe das viele Male wärtigen wirtschaftlichen Lage angemessenen Weise auch getan, auch hier vor diesem Hause; in dem zu Lohnabschlüssen gekommen sind, die allerdings Punkt gibt es keine Meinungsverschiedenheit. Aber gemeinsam mit der Zinssenkung, gemeinsam mit der auch hier bitte ich dann, im eigenen Denken mit sich Investitionszulage, die jemand heute morgen hat selbst stimmig zu bleiben und dann auch die Konse- verniedlichen und belächeln wollen, insgesamt an quenz für sich selbst zu ziehen. Sie haben innerhalb vielen Stellen dieser Volkswirtschaft die Erwartun- derselben Rede für eine Reihe von Gruppen zu- gen in bezug auf den wirtschaftlichen Ablauf dieses sätzliche Leistungen verlangt; sie haben unter an- Jahres zum Positiven hin verändert haben. Ich spre- derem ein Erziehungsgeld verlangt, das bisher im che nicht nur von den Meinungsumfragen etwa im Katalog unserer staatlichen Leistungsgesetze nicht Ruhrgebiet oder in Nordrhein-Westfalen oder in der vorhanden ist. Man muß mit sich selbst stimmig ganzen Bundesrepublik. Das können Sie ja von vier denken, Herr Kollege! Wochen zu vier Wochen verfolgen, wie sich die Er- wartungen zum Positiven hin verschieben. Ich spre- Und der dritte Punkt zu demselben Thema: Ich will che auch von Unternehmensleitungen — von Lei- es nicht mit Stolz sagen — obwohl ich es so sagen tungen ganz großer Unternehmen —, mit denen ich könnte und meine Freunde in meiner Partei es viel- leicht so gern hören würden —, aber mit tiefer in- selber in Kontakt gestanden habe. nerer Befriedigung über das, was wir getan haben, Es tun mir leid, daß Sie anders als unter der Apo- kann ich sagen, daß die Sozialdemokratische Partei strophierung „die Mächtigen" über die tragende Deutschlands über viele Jahrzehnte und gemeinsam Rolle der Organisationen der Arbeitnehmer in unse- mit den Freien Demokraten in den letzten fünf Jah- rem Lande, über die Gewerkschaften, nicht haben ren für die sozial Schwachen in unserer Gesellschaft reden mögen; Sie beide nicht. Wenn es wahr ist an vielen einzelnen Punkten sehr viel mehr getan — das zwar wird der Herr Abgeordnete Strauß nicht hat, als Ihre Partei gefordert hatte. bestätigen, wohl aber andere hier im Deutschen Bun- (Beifall bei der SPD und der FDP) destag, insbesondere solche, die selbst unternehme- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 lion Bundeskanzler Schmidt risch tätig sind —, daß die wirtschaftliche Entwick- sondern in den letzten 25 Jahren eine bedeutende lung in diesem Lande während einer Weltrezession, Wurzel in der Tatsache hat, daß Hans Böckler und die gekoppelt ist mit einer Weltinflation, mit einer andere damals 1949 eine entscheidende Konsequenz Revolution der 01- und Rohstoffpreise, wenn es aus der leidvollen politischen Erfahrung der Ge- wahr ist, daß in einer solchen weltweiten gefähr- werkschaftsbewegung der ersten deutschen Demo- lichen Situation in puncto Preisentwicklung oder kratie gezogen und eine einheitliche Gewerkschafts- Inflationsrate, in puncto Beschäftigung, in puncto bewegung aufgebaut haben. Nettorealeinkommen, in puncto Devisenbilanz, in puncto Währungsreserven, in puncto Konjunktur- (Beifall bei der SPD und der FDP) ausgleichsrücklage, wenn es wahr ist, daß in allen Diese Gewerkschaftsbewegung hat sich in der Tat, diesen Punkten die deutsche Volkswirtschaft relativ wenn Sie alles in allem nehmen, in gleicher Weise gut abgeschnitten hat, wenn es wahr ist, daß wir am Gesamtwohl wie auch am Wohl der in der Ge- inzwischen von allen Staaten der Welt in die Spit- werkschaftsbewegung organisierten Arbeitnehmer zengruppe des realen Nettolohns der Arbeitnehmer orientiert und insgesamt eben sehr viel mehr sozia- eingetreten sind — wenn die gegenwärtigen Wech- len Frieden — — selkurse so bestehenblieben, sogar ganz an der Spitze stünden; ich nehme allerdings nicht an, daß (Dr. Mertes [Gerolstein] : Das hat selbst der Dollar auf die Dauer so niedrig bleibt —, dann Adenauer bestätigt!) habe ich mir immer wieder die Frage vorgelegt: Woran liegt das eigentlich? Es kann doch nicht dar- — Es muß ja wohl kein Fehler sein, Herr Mertes — an liegen, daß die deutschen Ingenieure tüchtiger ich nehme Ihren Zwischenruf auf und unterstelle, daß sind als die englischen. Es kann doch nicht daran er historisch zutrifft —, wenn ein Sozialdemokrat an liegen, daß die deutschen Arbeiter fleißiger wären irgendeiner Stelle mit überein- als die in Frankreich oder in Belgien. Es kann doch stimmt. Konrad Adenauer war ein großer Mann. Der nicht daran liegen, daß die deutschen Unternehmer war damals für die paritätische Mitbestimmung, die oder die deutsche Regierung oder der Deutsche Bun- Sie seither aber mehr als 20 Jahre lang verweigern, destag oder wer immer grundsätzlich tüchtiger wä- meine Damen und Herren von der Christlich Demo- ren als andere. Ich jedenfalls wäre nicht so vermes- kratischen Union. sen. (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/ (Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Die CSU) deutschen Arbeiter sind gar nicht so schlecht!) Ich weiß nicht, ob der Kollege Gerhard Schröder im Augenblick im Saal ist. Gerhard Schröder war Ich ware auch nicht so vermessen wie einer Ihrer damals Fraktionsgeschäftsführer, so ungefähr das, Redner, der heute morgen in abgeschwächter Form was Herr Reddemann heute ist. — an einem anderen Ort in sehr viel deutlicherer (Heiterkeit bei der SPD) Form -- die Bundesrepublik Deutschland wirtschaft- lich und militärisch zur Führungsmacht in Europa Aber Gerhard Schröder hat in jenen Jahren ein an- machen wollte. Ich halte das alles nicht für richtig. deres Format bewiesen. Lesen Sie einmal die Reden Aber ich frage mich: Wie kommt es, daß etwa in nach, die der damalige Geschäftsführer der CDU/ dem einen unserer industriellen Nachbarländer im CSU-Fraktion über die Notwendigkeit gehalten hat, letzten Jahr pro Arbeitnehmer 350 % von den die paritätische Mitbestimmung auf die Großunter- Streiktagen stattgefunden haben, die bei uns waren, nehmen der gesamten Industrie auszudehnen und in dem nächsten industriellen Nachbarland 400 % nicht nur auf Kohle und Stahl. Sie jedoch haben des Ausmaßes an Streiks wie bei uns, in dem näch- sich über 20 Jahre lang dagegen gewehrt; jetzt sten europäischen industriellen Nachbarland über macht sich einer Ihrer prominent christlichen Expo- 1 000 % der Streiktage bei uns, im nächsten indu- nenten sogar darüber lustig, daß wir mit dem Ge- striellen Nachbarland in Europa über 2 000 %, wie setzgebungsvorhaben noch nicht ganz fertig sind. kommt es, daß wir gleichwohl in unserem Land, wo die Waffe des Streiks relativ selten angewandt wird, (Lachen bei der CDU/CSU) nur dann, wenn die Verantwortlichen den Eindruck gewannen, es sei nun wirklich nötig, das letzte Mit- Dies ist das zweite Gesetzgebungsvorhaben zur Mit- tel anzuwenden — und sie haben dem ja nicht ab- bestimmung. Die Sozialdemokratische Partei hat geschworen, es steht ihnen zur Verfügung, es ist erstmalig 1968 einen vollständigen Gesetzentwurf zu auch durchaus verfassungsgemäß, daß es ihnen zur diesem Zweck hier eingebracht, der auf das Nein Verfügung steht und von ihnen benutzt wird , wie der damaligen christlich-demokratischen Fraktion kommt es, daß wir und unsere Arbeitnehmer trotz gestoßen ist. dieses ungewöhnlichen maßvollen Einsatzes dieses (Sehr wahr! und Beifall bei Abgeordneten letzten Mittels im gewerkschaftlichen Lohnkampf in der SPD) den Netto reallöhnen — weil Sie auch von den Sozialversicherungsbeiträgen gesprochen haben: die In der Großen Koalition war es eben nicht möglich, sind dann schon abgezogen, Herr Kollege — so sehr Mitbestimmung zu machen. Es ist in der soziallibe- viel besser abschneiden als jene anderen Länder, ralen Koalition zugegebenerweise — ich stimme in denen so viel gestreikt wird? Ich finde, Sie sollten meinem Freunde Adolf Schmidt zu — schwierig, anerkennen, daß dieser enorme Aufstieg im Le- aber es ist möglich und es wird gemacht werden. bensstandard, nicht nur in den letzten fünf Jahren, Und Sie, Herr von Weizsäcker, Sie persönlich kom- 11012 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Bundeskanzler Schmidt men dann in dieselbe Lage, in der Sie schon einmal müssen, genauso wie Gesetze gelten müssen, die waren, als es um die Ostverträge ging, ordnungsgemäß zustande gekommen sind. Genauso (Beifall bei der SPD und der FDP) wie Gesetze, die ordnungsgemäß zustande gekom- men sind, gescholten und kritisiert werden, genauso wo Ihnen eigentlich Ihr Gewissen ein anderes Ab- steht es jedem Staatsbürger frei, auch Urteile des stimmungsverhalten nahegelegt hat, als Sie hinter- Verfassungsgerichtes zu kritisieren oder — wie man her einzunehmen gewagt haben. unter Juristen etwas feiner sagt — zu schelten. (Beifall bei der SPD und der FDP) (Beifall bei der SPD) Nun ist zweifellos gleichwertige und gleichge- Urteilsschelte ist genauso legitim wie Gesetzeskritik wichtige Mitbestimmung der Arbeitnehmer- und der durch diejenigen, die eine andere Sicht der Lage Kapitalanteilseignerseite ein verwickeltes Problem, haben. und es war gut, daß der Ausschuß des Bundestages, der ja diesen Gesetzentwurf schon vorliegen hat, Nur, der Abgeordnete Strauß, der bei dieser Pas- aus allen möglichen Himmelsrichtungen insbeson- sage seiner Rede auf mich persönlich abhob, hat dere Verfassungsrechtsexperten zu sich gebeten und übersehen, daß ich gegenwärtig und seit langer, sie angehört hat langer Zeit keinen Anlaß genommen habe — er (Zuruf von der CDU/CSU: Aber nur auf wäre vielleicht gegeben gewesen — zu irgendwel- unseren Druck hin, Herr Bundeskanzler!) cher Urteilsschelte; sondern ich hatte mir erlaubt, darauf hinzuweisen, daß das Verfassungsgericht, — Sie müssen auch einmal ein Verdienst haben dür- wenn ich mir die letzten Urteile ansehe, vielleicht fen; ich würde das anerkennen - gut beraten wäre, sich Gedanken zu machen über (Gerster [Mainz] [CDU/CSU] : Wie groß die Zweckmäßigkeit von etwas mehr Zurückhaltung zügig!) bei der Schaffung von Richterrecht. Eine abstrakte, nicht auf irgendein konkretes Urteil gemünzte Be- um herauszufinden, ob nicht vielleicht in dem einen merkung. oder anderen Punkte ein verfassungsrechtliches Be- (Widerspruch bei der CDU/CSU) denken bestehen könnte. Wir sind jetzt dabei, die Konsequenzen aus diesen Hearings zu bedenken — Das letzte Urteil war damals noch gar nicht ein- und gedanklich zu verarbeiten. mal ergangen. (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Hoffentlich (Zuruf von der CDU/CSU: Eigenartiges Ver die richtigen!) fahren!) Das gibt mir Gelegenheit, eine in dem polemi- Es war gefällt, aber noch nicht verkündet. schen Wasserfall des Herrn Abgeordneten Strauß (Zurufe von der CDU/CSU) repetierte Bemerkung aufzugreifen. Bei Herrn Strauß war ja auch von dem Verfassungsgericht und von — Sie mögen das glauben oder nicht. Ich stehe hier der inneren Einstellung dieser Gesetzgebungskoali- und behaupte: Es ist mein Recht wie das Recht von tion und dieser Bundesregierung gegenüber dem 60 Millionen Bürgern, solche Kritik zu üben. Verfassungsgericht die Rede. Sie haben die oft (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Car repetierte Behauptung erneut wiederholt, der vorige stens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Das ist ein Finanzminister habe gegen das Grundgesetz versto- Irrtum!) ßen. Ich habe Ihnen seinerzeit monatelang von die- sem Platz aus als Finanzminister empfohlen: Wenn Es war der Spitzenredner Ihrer Fraktion, der heute Sie jener Meinung sein sollten, so sollten Sie doch morgen behauptet hat, daß Kritik vielleicht sogar endlich die Klage in Karlsruhe einbringen. Sie schon als — na, wie war das Wort? — Majestäts- konnten sich dem schließlich nicht entziehen. Ihre beleidigung angesehen werde. Auch ein Gericht Klage liegt dort seit einem dreiviertel Jahr. Ihre muß in einer demokratischen Gesellschaft Kritik Begründung aber, Herr Abgeordneter, für die Klage, aushalten können. Ich darf Ihnen dazu zitieren, was die eingereicht ist, fehlt ebenfalls seit diesem drei- der Führer der Opposition in ein paar Jahren der viertel .Jahr. Sie waren bisher nicht in der Lage, Muße, als er nicht mehr Staatssekretär, aber noch sie zu substantiieren. Aber ich kann diesen Pro- nicht Abgeordneter des Deutschen Bundestages war, zeß in Ruhe und Gelassenheit abwarten; denn ich in einem sorgfältig geplanten und sorgfältig redi- weiß, daß die Regierungen, denen ich angehört habe gierten Buch geschrieben hat. Das Buch heißt „Poli- — auch die vorige Bundesregierung unter der Füh- tische Führung", 1971 erschienen. Da schreibt der rung unseres Kollegen Brandt, in der ich Finanz- Professor des Rechtes Carstens das Folgende: minister war —, die ständige Staatspraxis der vor- Wenn eine Maßnahme zweckmäßig und nützlich angegangenen Jahre, einschließlich der vorangegan- ist und wenn sie nach Auffassung der Regierung genen Praxis des Finanzministers Strauß, befolgt - mit den fundamentalen Geboten unseres Grund- haben. gesetzes in Einklang steht, dann sollte man sich Nun eine allgemeine Bemerkung zum Verfas- nicht davon abhalten lassen, sie zu ergreifen, sungsgericht. Das Verfassungsgericht hat eine tra- weil das Verfassungsgericht sie möglicherweise gende Funktion in unserem Staatsleben. Es gibt nie- für ungültig erklären könnte oder weil es eine manden unter uns, der sich von der Meinung, von ähnliche Maßnahme vor Jahren schon für un- der Rechtsüberzeugung ausnehmen dürfte oder gültig erklärt hat. Man sollte auch dem Ver- wollte, daß Urteile des Verfassungsgerichtes gelten fassungsgericht die Chance geben, hinzuzuler- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11013 Bundeskanzler Schmidt nen und etwaige Fehler, die es früher gemacht besser ist als in dem Lande, das er apostrophiert hat, zu korrigieren. hat. (Beifall bei der SPD — Zurufe von der (Gerster [Mainz] [CDU/CSU] : Das war 1969 CDU/CSU) auch so!) — Nein, das war nicht 1969, sondern das ist vor Ich selbst verfüge nicht über das zweifellos große wenigen Wochen im Wahlkampf in Rheinland-Pfalz Maß an Rechtswissen und an Bildung auf dem rechts gewesen. Er hätte ja auch andere Länder nennen philosophischen oder verfassungsrechtlichen Gebiet, können. Vielleicht wäre es ihm sogar leichter ge- (Gerster [Mainz] [CDU/CSU] : Das ist sicher wesen und mir jetzt schwerer gefallen, darauf ein- lich wahr!) zugehen, wenn er das von einer sozialdemokrati- schen Regierung geführte England oder das von über das der Führer der Opposition verfügt. Ich will einer sozialdemokratischen Regierung geleitete Dä- nur ausdrücklich feststellen: Das, was der Professor nemark genannt hätte. Carstens damals sagte — und es ist jedermanns Recht, seine Meinung zu ändern, auch an Hand von (Dr. Althammer [CDU/CSU] : Aber wir woll konkreten Fällen zu ändern , war das Recht des ten doch nicht über andere losziehen!) Staatsbürgers Carstens. Dasselbe Recht haben wir Worauf es mir hier ankommt, ist, daß Sie da, wo anderen auch, meine Damen und Herren. Sie glauben, daß es gut paßt, selbstverständlich die (Beifall bei der SPD und der FDP) Beispiele aus den uns vergleichbaren Industrie- gesellschaften des Auslandes heranziehen. Das muß Ich muß auf ein paar Bemerkungen zurückkom- man allerdings auch. Adolf Schmidt hat einen sehr men, die zur wirtschaftlichen Entwicklung gemacht richtigen Hinweis eben ausgesprochen, indem er ge- worden sind. Ich habe gelesen, wie sich der Minister- sagt hat: Sie können doch nicht im Ernst die Welt- präsident von Rheinland-Pfalz, Kohl, jüngst zur wirt- wirtschaftsrezession des Jahres 1974/75 mit der rein schaftlichen Lage öffentlich eingelassen hat. Er ist deutschen Wirtschaftsrezession des Jahres 1966/67 heute nicht unter uns. Dafür werden wir sicherlich vergleichen; die letztere war eine von Ihnen haus- morgen Herrn Stoltenberg bekommen. Denn es kann gemachte Sache. Die erstere ist allerdings eine ja nicht sein, daß nach zwei Strauß-Reden und einer Sache, die den ganzen Erdball umspannt. Kohl-Rede nicht mindestens eine Stoltenberg-Rede folgt, nicht wahr? (Beifall bei der SPD — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU) (Heiterkeit bei der SPD — Seiters (CDU/ Nun werde ich allerdings auf diesem Punkt noch CSU) : Hauptsache, Herr Kühn kommt nicht!) einmal herumbohren. Herr Ministerpräsident Kohl (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Die (Franke [Osnabrück] [CDU/CSU] : Die sind Rede ist wirklich schlecht vorbereitet! — alle größer als Sie!) Weitere Zurufe von der CDU/CSU) — Den Zwischenruf — nicht der Ihre, Herr Mertes, hat jüngst in einer wirtschaftspolitischen Passage aber der andere, den ich dort gehört habe, den die einer öffentlichen Rede gesagt: Wir hier in Deutsch- Präsidentin offenbar nicht gehört hat — werde ich land wollen keine italienischen Verhältnisse. mir merken. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!) (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Ich habe gar nichts gesagt!) Das bezog sich auf Inflation und Arbeitslosigkeit. An dieser Bemerkung — wir hier in Deutschland wollen -- Nein, der Ihre nicht, aber der da. keine italienischen Verhältnisse — will ich keine (Lachen bei der CDU/CSU) Geschmackskritik dahin gehend üben, daß man die eigenen Kollegen in der EG nicht auf solche direkte Die Sache ist so, daß auf der ganzen Welt seit Weise zum Negativvorbild stempeln sollte. 1970 als Folge des Krieges in Südostasien eine große Aufblähung der Geldmenge entstanden ist, (Beifall bei der SPD — Zurufe von der nicht durch deutsche Schuld, sondern weil wir unter CDU/CSU: Wer sagt das?! — Weitere Zu einem Wechselkurssystem, das Sie noch vertraglich rufe) kontrahiert hatten, gezwungen waren, die Zahlungs- bilanzdefizite anderer Staaten durch Schaffung von Nur darf ich die Zwischenrufer auf den Oppositions- D-Mark zu finanzieren. bänken daran erinnern, daß in Italien allerdings ihre engsten parteilichen und politischen Kollegen seit (Beifall bei der SPD) 1945 regieren und niemand anders. - Wir waren diejenigen, die dieses System fester (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe Wechselkurse mit einseitiger Interventionsverpflich- von der CDU/CSU: Ihre Freunde aber auch!) tung — aller anderen, nur nicht der Vereinigten Staaten von Amerika — mit viel Glück, aber auch Ich zitiere den Ministerpräsidenten Kohl allerdings mit etwas Geschick durch ein anderes haben ersetzen nicht, um diese eben gemachte Bemerkung daran an- können. Da war aber das größte Unglück, was die zuknüpfen, sondern aus einem anderen Grunde. Er Liquiditätsaufblähung auf der Welt angeht und da- hat offenbar verstanden, daß die wirtschaftliche Lage mit was die Preisauftriebe angeht, schon geschehen. in unserem Lande, einstweilen jedenfalls, sehr viel Dann kamen die Ölpreisexplosion und die Rohstoff- 11014 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Bundeskanzler Schmidt preisexplosion. Dies alles hat in allen Industriestaa- die Eisenbahn fuhr immer noch nicht; dies hat es ja ten der Welt und sogar in den erdölexportierenden seit Kriegsende in Deutschland nie geben können — Überschußländern, in den neuen Sterntaler-Ländern, ist der andere Faktor, daß Sie genauso wie die zu Inflationsraten geführt, die sie früher nicht kann- Freien Demokraten und natürlich wie wir Sozial- ten, in der Bundesrepublik Deutschland aber nur zu demokraten diese große gesellschaftsbildende, ge- der geringsten innerhalb sämtlicher Industriestaa- sellschaftstragende, staatstragende Kraft der deut- ten der Welt. schen Einheitsgewerkschaftsbewegung richtig einge- (Hört! Hört! bei der SPD) schätzt haben, daß wir sie als Gesetzgeber honoriert haben, auf vielen Feldern — vom Betriebsverfas- Ich verstehe wohl, daß ein wirtschaftspolitischer Po- sungsgesetz und von der Mitbestimmung bei Kohle lemiker vergißt, diese Tatsache wenigstens beiläufig und Stahl angefangen, jedes Jahr ein Stück weiter. zu konstatieren, nämlich als eine entscheidende Tatsache. Bei dem Versuch einer abwägenden und (V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Jaeger) allen Grundpositionen dem Anschein nach gerecht sozialpolitischem Ausgleich, werden sollenden Rede, wie wir sie zuletzt vor der Dieser Vorsprung an Mittagspause gehört haben, muß ich dies nicht nur dieser Vorsprung an sozialer Sicherheit, dieses im- mer enger Knüpfen des Netzes der sozialen Sicher- vermissen, sondern die Abwesenheit solcher, die Sache erhellenden Feststellungen als ein Stück, Herr heit ist der andere entscheidende Grund dafür, war- Kollege von Weizsäcker, intellektuelle Unredlich- um diese Volkswirtschaft leistungsfähiger ist als keit empfinden. andere. (Beifall bei der SPD und der FDP) (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU) Und natürlich — wir wollen uns nicht ganz ver- leugnen hat die Konjunktur-, Wirtschafts- und Ich komme zurück auf die Bemerkung über die Finanzpolitik der Mehrheit dieses Hauses und der Rolle der Gewerkschaften. Ich habe oft genug vor Bundesregierung in den letzten Jahren daran auch diesem Hause über die Rolle der Unternehmer ge- ihren Anteil gehabt. sprochen, die in meinen Augen eine unverzichtbare (Zuruf von der CDU/CSU: An der Talfahrt!) Rolle spielen. Ich mache nicht den Fehler, das, was Ich lese Jürgen Eick, von jedermann sicherlich gleich im Hause Flick und vor jenen beiden Söhnen aus hoch als Autorität eingeschätzt, der vor wenigen dort geschieht, damit ein Erbe ausgezahlt werden Wochen, nachdem er sich mit anderen Ländern be- kann, etwa als symptomatisch oder typisch für das schäftigt hat, schrieb: deutsche Unternehmertum anzusehen. Diesen Feh- ler mache ich nicht. Ich muß deshalb heute nicht wie- Der Bundesrepublik ist es statt dessen gelun- derholen, was ich zu dem Thema gesagt habe. Aber gen, mit den viel gelästerten Mitteln klassischer zu den Gewerkschaften und zum Gesamtverhalten Notenbankpolitik ... eine Wende in der Infla- der Tarifpartner darf ich Ihnen eine ausländische tionsdynamik herbeizuführen und den Satz der Stimme zitieren. Die „Le Monde" schreibt vor we- Preissteigerungen und damit der Geldentwer- nigen Tagen in einem großen Aufsatz über die er- tung auf 6 % herabzudrücken. ... Einsame staunliche wirtschaftliche Entwicklung in diesem Spitze unter allen Industrienationen ... Lande: „Ein besseres Fingerspitzengefühl in der Eicks langer Aufsatz schließt mit dem Wort: „Und Konjunkturpolitik" — was sie uns attestierten in der nächste Aufschwung kommt bestimmt. Die Bun- dem langen Aufsatz — „ist allein natürlich noch desrepublik Deutschland ist dafür bestens präpa- keine hinreichende Erklärung dafür, warum die riert." — Das ist ja nun nicht der „Vorwärts", Herr Deutschen besser als die anderen die Krise über- Kollege von Weizsäcker, sondern es ist die „Frank- stehen. Der soziale Konsens, jenes Verhalten, wie furter Allgemeine Zeitung", eigentlich mehr dem sich ein ganzes Volk als Einheit sieht und sich für Lager zugerechnet, dem Sie selber auch angehören. eine große Sache oder zu einer großen Antwort auf eine Herausforderung mobilisiert fühlt, ist ohne Ich komme auf Ihre Unterscheidung zwischen Ge- jeden Zweifel ein entscheidender Faktor der deut- wissensethik und Verantwortungsethik noch einmal schen wirtschaftlichen Gesundheit." ausdrücklich zurück. Aber Sie sollten sich prüfen, ob Sie als Person es eigentlich verantworten wollen, (Zuruf von der CDU/CSU: Zitieren Sie doch daß die Tatsachen, von denen Sie verlangt haben, mal deutsche Quellen!) sie sollten klar dargelegt werden, derart entstellt Damit bin ich bei dem zweiten Faktor, den ich werden, wenn sie doch in Wirklichkeit anders sind, nennen wollte: warum eigentlich ist es möglich ge- (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP) wesen, daß wir unter all diesen wirtschaftspoliti- ganz abgesehen davon, daß die nachdenklichen Kol- schen Kriterien, unter all den Kriterien, unter denen legen in diesem Hause — zu denen ich Sie zähle — man die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft auch darüber nachdenken müssen, wie wahr eigent- heutzutage mißt, so relativ günstig abschneiden? lich eine Sache ist, die man fünf Jahre lang behaup- Der zweite Punkt ist der: Neben der Einheitsgewerk- tet, obwohl die Lage sich geändert hat. Ich zitiere schaft und ihrem, weil Einheitsgewerkschaft, möglich aus dem Jahre 1973. — Nein, noch viel früher; ich gewordenen verantwortungsbewußten Handeln — kann für die letzten fünf Jahre zitieren und belegen, da hat nicht einer dem anderen das Wasser abge- daß der Abgeordnete Strauß jedes Jahr von Finanz- graben, und wenn die Lokomotivführer aufhörten krise geredet hat. zu streiken, kamen nicht die Schlafwagenschaffner, und wenn die aufhörten, die Fahrkartenknipser, und (Zuruf von der SPD: Jedes Jahr gleich!) Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11015 Bundeskanzler Schmidt Er hat für 1973 gesagt: „Die Finanzierung wird im- dem, was Sie hier vortragen, dann liegen Sie gerade mer unsolider bis hin zum Bankrott." noch richtig! (Lebhafte Zustimmung bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der FDP — Schrö 1974 hat er gesagt: „beispiellose Schuldenlawine". der [Lüneburg] [CDU/CSU]: Und was haben wir heute?) (Erneute demonstrative Zustimmung bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Sind Das Ganze ist allerdings nur verständlich, wenn 30 Milliarden für Sie kein Bankrott?) man es auf dem Hintergrund des Sonthofener Pro- 1975 sagt er dasselbe — auch Herr von Weiz- gramms zu verstehen versucht. säcker —, (Beifall bei der SPD und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist nur verständlich, wenn man sich den Satz was er alle Jahre vorher gesagt hat. Wer soll Ihnen selber ins Bewußtsein hebt, der da lautete: „Wir eigentlich glauben, daß bei dieser völlig veränder- können uns gar nicht wünschen, daß dies jetzt auf- ten Lage die alten Diagnosen von 1970 heute noch gefangen wird." genauso stimmen? (Dr. Ehrenberg [SPD] : Das ist die Meinung (Gerster [Mainz] [CDU/CSU] : Stimmt doch!) der CDU!) Die Wahrheit ist, daß Sie unabhängig von der je- Ich werfe den Nachdenklichen unter Ihnen vor, weiligen Lage immer „Chaos" und „Krise" gerufen daß sie genausowenig wie der Ministerpräsident haben. Das ist Ihre eigene innere propagandistische Kohl sich von solchen Motivationen eindeutig haben — „Strategie" will ich nicht sagen — Masche; so absetzen können. würde ich sagen. (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei der und der FDP) FDP) Ich werfe den Nachdenklichen unter Ihnen vor, Der hohe moralische Anspruch, mit dem der (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Er verdreht zweite Redner der Opposition heute gesprochen hat, schon wieder die Zitate!) den ich ihm zubillige und von dem ich nichts ab- streichen will, verpflichtet ihn — Herr Kollege von daß Sie sich nicht haben absetzen können von dem Weizsäcker —, keine Behauptung, die aus jener Satz aus Sonthofen: „Wir müssen sie so weit trei- Quelle kommt, ungeprüft selbst zu zitieren. ben, daß sie ein Haushaltssicherungsgesetz vorlegen oder den Staatsbankrott erklären müssen." (Beifall bei der SPD und der FDP) (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Richtig!) Einige von den Kollegen der CDU/CSU-Fraktion waren etwas großzügiger als der eben durch fünf — Herr von Weizsäcker, das nennen Sie reinen oder sechs Jahre zitierte Abgeordnete Strauß, einige Wein einschenken?! von ihnen haben ihre Prognosen über die „Krise" (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP) oder das „Chaos" auch mit Zahlen ausgestattet. Ich zitiere: Im Jahre 1971 haben Sie behauptet, die Eine letzte Bemerkung zu Ihrem ersten Diskus- Nettokreditaufnahme des Jahres 1971 werde 6,5 Mil- sionsredner, dem Abgeordneten Strauß. Man kann liarden DM betragen. Damit haben sie erst einmal diesem Katarakt gegenüber nicht alle Punkte auf- versucht, Beängstigung und Unruhe, mindestens aber greifen. Aber abschließend will ich mich zur Hälfte doch wohl Unbequemlichkeit zu schaffen. Tatsäch- identifizieren mit einem klugen deutschen Kommen- lich hatten sie sich um ungefähr 400 % vertan. Das tator. Fritz Ulrich Fack schrieb gestern auf der Ist waren nicht 6,5 Milliarden DM, sondern 1,4 Mil- Seite 1 der FAZ in einem abwägenden, langen Kom- liarden DM am Ende des Jahres. Im nächsten Jahr mentar über die Fähigkeiten des Abgeordneten haben Sie prognostiziert einmal 10 Milliarden DM Strauß — sehr wohlwollend, wie mir schien — es Nettokreditaufnahme und dann ein anderer von sei merkwürdig genug, daß in der Offentlichkeit Ihnen, ein paar Tage später, 12 bis 13 Milliarden die Loyalitätsmängel bei dem eben genannten Bun- DM. Sie haben sich wiederum um viele hundert Pro- destagskollegen, z. B. in der Sonthofener Rede zu- zent vertan bei ihren Negativprognosen. Statt 13 tage tretend, mit Achselzucken übergangen würden. Milliarden DM waren es 3,9 Milliarden DM. — Mir scheint, nicht nur in der Offentlichkeit, son- dern auch in seiner eigenen Fraktion. (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Inflationsbe dingte Steuereinnahmen!) Der letzte Satz, auf den es mir hierbei ankommt, lautet: Im Jahre 1973 hat sich dann kein Prophet gefunden, dafür aber im Jahre 1974. Da haben Sie prognosti-- Strauß hat Qualitäten, die diesen Anspruch ziert: 17 bis 18 Milliarden DM Kreditaufnahme, und — nämlich seinen Führungsanspruch — tatsächlich waren es dann hinterher 9,4 Milliarden DM, das heißt die Hälfte. stützen, ohne diesen Anspruch voll zu tragen; er hat Defekte, die ihn in einer zweiten Position (Zuruf von der CDU/CSU: Für alle öffent als besser plaziert erscheinen lassen. lichen Haushalte!) Ich mache mir dies zur Hälfte zu eigen, sagte ich. Ich würde Ihnen empfehlen, Herr Abgeordneter Er hat Qualitäten, er hat Defekte; was ich bezweifle, von Weizsäcker: Machen Sie es mit der Hälfte von ist die Sache mit der zweiten Position. In Wirklich- 11016 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Bundeskanzler Schmidt keit: Welche zweite Position immer Sie ihm im Bundesminister Apel und Friderichs morgen tun Staate geben würden, tatsächlich hätte er eben doch würden. Wir haben Sorgen mit den öffentlichen die erste Position — siehe die Rednerordnung und Finanzen, auch denen der Länder und der Gemein- siehe die Einlassung des Herrn Abgeordneten von den. Wir haben große Sorgen gehabt, was die Preise Weizsäcker heute morgen. angeht; die Inflationsraten sind Gott sei Dank jetzt wesentlich gedämpft. Wir haben große Sorgen hin- (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP sichtlich der Beschäftigung. Wir haben gegenwärtig — Oh-Rufe von der CDU/CSU — Seiters eine [CDU/CSU] : Ehrenberg hat auch vor Ihnen (Zuruf von der CDU/CSU: „Leichte Unterbe geredet! Dr. Ritz [CDU/CSU] : Das ist schäftigung"!) unfair! — Weitere Zurufe — Unruhe — Glocke des Präsidenten) saisonunbereinigte Arbeitslosenquote von 5,2 % und saisonbereinigt eine solche von 3,7 %. — Das klingt — ich gebe es zu — weniger nach Sonthofen, es klingt mehr nach Vilshofen, was Sie (Lachen bei der CDU/CSU — Stücklen im Augenblick bieten. [CDU/CSU] : Jetzt kommen die Kunststücke! (Zuruf von der CDU/CSU: Was haben Sie — Seiters [CDU/CSU] : So kann man sich be- denn gegen Conny Ahlers? — Weitere Zu täuben! Weitere Zurufe von der CDU/ rufe von der CDU/CSU) CSU: Unglaublich! — Betäubung ist die Voraussetzung zur Handlungsunfähigkeit!) Mir bleibt übrig, auf einige der Nachdenken aus- lösenden Bemerkungen Ihres zweiten Redners ein- Diese beiden Quoten — ich nenne sie beide, weil zugehen. Herr von Weizsäcker hat beklagt, daß es vorhin der Kollege Strauß ausdrücklich auf den bisher in Sachen Vermögensbildung noch nicht Winter und seine Auswirkungen zu sprechen kam —, zur Vorlage eines Gesetzentwurfs für eine große diese beiden Zahlen nebeneinander lassen Sie er- Lösung gekommen sei. Ich darf Sie daran erinnern, kennen, wie, wenn sonst wirtschaftspolitisch nichts daß ich — von demselben Pult aus sprechend — wirksam würde, der Saisonwechsel allein die Be- vor zehn Monaten in einer Regierungserklärung an- schäftigungslage sich im Laufe der nächsten Monate gekündigt habe, daß dies in einer solchen Frist nicht entwickeln lassen würde. Das zu erkennen setzt gar möglich ist; ich sagte, ich hätte mich davon über- keine große prognostische Kraft voraus. zeugt. Das bedeutet, wir haben das vor zehn Mona- ten gesehen. Es ist Ihr gutes Recht, es heute wieder Ich will nicht verschweigen, daß eine saisonbe- anzumahnen, aber das dürfen Sie dann nicht mit reinigte Arbeitslosigkeit von 3,7 % oder eine nicht dem Satz verbinden, wir würden Ihnen keinen kla- bereinigte von 5,2 % mir und meinen Freunden und ren Wein einschenken; das haben wir doch — ich ebenso dem Wirtschaftsminister und seinen Freun- sagte es — schon vor zehn Monaten getan und den in seiner Partei seit langer Zeit — das war ja gesagt: vorhersehbar — Sorgen macht. (Zuruf von der CDU/CSU: Dann sollten Sie Aber der Abgeordnete Strauß sollte doch nun das auch machen! — Weitere Zurufe von nicht so tun, als ob er von der von mir für den der CDU/CSU) öffentlichen Gebrauch ein wenig unkomplizierter Es ist gegenwärtig nicht möglich. als im Seminar dargestellten Phillips-Kurve, nämlich des in jedem Land gegebenen Zusammenhangs zwi- Ebensowenig ist es gegenwärtig möglich — etwa schen Inflationsraten und Arbeitslosigkeit oder Be- für das nächste Jahr die Idee mit dem Carry back schäftigungsraten, als ob er darüber nie etwas ge- in das Steuergesetz hineinzuschreiben. Ich will nicht hört hätte oder daß sie für Deutschland nicht gelte. vor dem Hause ausführlich wiederholen, was ich Die Phillips-Kurve gilt für jedes Land. Natürlich hier schon einmal gesagt habe, nämlich daß die haben auch die sehr starken Preisdämpfungen, die Bundesregierung im Prinzip, in begrenztem Umfang wir vorgenommen haben, zusätzlich zu der ab- — wenn es sich um kleinere Unternehmen han- flauenden Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt beige- delt — dafür ist, daß das jedoch nach allen Rich- tragen. Ich wäre unehrlich, wenn ich das leugnete. tungen geprüft werden muß, auch wegen des Aus- Aber es ist ja wohl heute ganz deutlich geworden, falls an öffentlichen Finanzen der sofort einträte, daß man diese 6 % Preisanstieg pro Jahr in der Tat wenn wir so etwas einführten, meine Damen und leichter ertragen kann als 3,7 oder 5,2 % Arbeits- Herren. Sie können doch nicht auf der einen Seite losigkeit. behaupten, wir hätten eine Finanzkrise, hätten eine (Beifall bei der SPD) Haushaltskrise, und auf der anderen Seite An- träge stellen, die dieses Defizit noch vergrößern; Ich will hier nur einige Bereiche in der Bundes- das paßt doch nicht zusammen! republik Deutschland nennen — wir haben uns viele (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr.- Jen Jahre lang Mühe gegeben, bis wir die Gemein- ninger [CDU/CSU]: Fragen Sie mal Graf schaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftsförderung" Lambsdorff!) gegen Ihren Widerstand haben durchsetzen kön- nen —: Rheinland-Pfalz, Saarland mit 6 % Arbeits- Diese Bundesregierung hat wie die vorige zu kei- losen, Schleswig-Holstein mit einer über dem Durch- nem Zeitpunkt verschwiegen, daß sie auf ökonomi- schnitt liegenden Zahl, Nordbayern mit über 7 %. schein Felde Sorgen habe. Das will ich auch heute nicht verschweigen, genausowenig wie dies Adolf (Gerster (Mainz] [CDU/CSU]: Nennen Sie Schmidt heute getan hat und wie es die Herren doch mal Niedersachsen!) Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11017

Bundeskanzler Schmidt — Mag sein, Niedersachsen, Südbayern! Es gibt — Es ist so, daß gut 80 % aller deutschen Arbeit- eine Reihe von Gebieten. nehmer netto mehr in ihre Tasche. kriegten als vor- (Möller [Lübeck] [CDU/CSU]: Nennen Sie her. Infolgedessen war es gut, sehr gut. auch einmal die Gründe!) (Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Die neuen Fünfer!) — Die Gründe liegen darin, daß Sie sich aus einer übertriebenen föderativen Grundauffassung 20 Jahre Der zweite Redner der Opposition hat mir vorge- lang dagegen gewehrt haben, das, was notwendig worfen, ich tummelte mich, was er durchaus aner- ist, als Gemeinschaftsaufgabe durchzuführen. kenne, zwar erfolgreich auf dem Felde der Europa- (Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen oder der Weltpolitik, vernachlässigte aber darüber bei der CDU/CSU — Gerster [Mainz] [CDU/ etwas die inneren Probleme. CSU] : Das glauben Sie doch selber nicht! — (Franke [Osnabrück] [CDU/CSU] : Der dritte Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Weil Sie ver Redner der SPD, Herr Schmidt!) sagt haben, deshalb! — Gerster [Mainz] — Ja, das stimmt. [CDU/CSU] : So dumm können Sie doch gar nicht sein! — Weitere Zurufe von der (Franke [Osnabrück] [CDU/CSU] : Sie sind CDU/CSU) der dritte!) — Sie haben ausnahmsweise etwas Richtiges gesagt. Es tut mir leid, daß ich auch auf eine unter dem Ich bin der dritte Redner der SPD. durchschnittlich gehaltenen Niveau der Rede des zweiten Oppositionssprechers liegende Bemerkung Herr von Weizsäcker, ich weiß nicht, ob es Ihnen zurückkommen muß. Herr von Weizsäcker hat ge- hätte auffallen müssen, aber den Wirtschaftspoliti- sagt, Minister Apel habe die Steuerreform kaputt- kern Ihrer Fraktion mußte es klar sein, daß die Be- gemacht; es sei in Wirklichkeit sein Vorgänger ge- herrschung der Weltrezession, zu der wir vieles bei- wesen. tragen — nicht nur auf nationalem Feld —, natürlich dringlich nach einem abgestimmten ökonomischen (Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Er ist Verhalten der großen Partner der Weltwirtschaft vom Pferd getreten worden!) insbesondere auf dem Felde der Rohölpreise und der Beides kam vor. Ich nehme an, daß er Apel für die übrigen Rohstoffpreise verlangt. Ein solches Verhal- Steuerreform nicht größere Verantwortung zuschie- ten einzuleiten, hat — das gebe ich Ihnen zu — diese ben will als sich selbst und allen übrigen Kollegen Bundesregierung und schon ihre Vorgängerin unter im Deutschen Bundestag, die diese Gesetze gemein- Brandt /Scheel allerdings viel Mühe gekostet; denn sam so beschlossen haben, zunächst einmal war weder auf der Seite der OPEC- Staaten noch auf der Seite einiger unserer engsten (Ah-Rufe bei der CDU/CSU — Pohlmann europäischen Freunde und Partner noch auf der Seite [CDU/CSU] : So geht es nicht!) der Vereinigten Staaten von Amerika die Bereit- und zwar nachdem der famose Ministerpräsident schaft vorhanden, zum Zwecke des Kompromisses Stoltenberg, statt Ihrer im Vermittlungsausschuß aufeinander zuzugehen. Dies hat also viel Arbeit das große Wort führend, für eine maßgebliche Ver- gekostet. Man hätte sie auch in etwas anderes stek- teuerung der ganzen Steuerreform gesorgt hatte. ken können. Nur die binnnenwirtschaftlichen Bemü- hungen um Konjunkturaufschwung allein hätten ja (Beifall bei der SPD und der FDP) nicht ausgereicht, weil die Weltrezession als Ganzes Im übrigen will ich dem Abgeordneten Strauß in konzertiert bekämpft werden muß, und zwar unter aller Gelassenheit sagen, daß Sie mit hämischen, mit Einschluß, wie ich hoffe, kooperativen Verhaltens Ihren herabsetzenden Bemerkungen über die Steuer- auch der erdölproduzierenden neuen Überschußlän- und Kindergeldreform der. (Franke [Osnabrück] [CDU/CSU] : Sie haben Sie haben dann in einem weiteren Punkt er- es nötig, von „hämisch" zu reden!) wähnt, es müßte doch nun endlich ein Teil der studentischen Förderung auf rückzahlbare Kredite — die letztere vergessen Sie am liebsten, so wie umgestellt werden. Adolf Schmidt hat Ihnen zuge- auch der Kollege von Weizsäcker das Kindergeld stimmt; ich habe mit dem Kopf genickt. Das ist aber tunlichst weggelassen hat — in den Betrieben, bei doch seit langer Zeit unsere gemeinsame Meinung. den Belegschaften inzwischen keinen Boden und Und es ist nicht nur unsere Meinung, sondern wir keine Resonanz mehr finden. haben dies, nachdem wir es in der Regierungserklä- (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe rung im Mai vorigen Jahres gesagt hatten, auch so- von der CDU/CSU) gar schon in ein Gesetz hineingeschrieben und sind dabei, diese Regelung noch auszudehnen. Das ist Wir müssen einräumen: wir haben das am- Anfang doch nichts Neues. Darüber hat ja sogar der Bun- nicht richtig erklärt, so daß es jeder hätte verstehen destag schon in dritter Lesung beschlossen. Sie soll- können. Das ist unsere Schuld, das ist unser Fehler; ten nicht Sachen, die abgehakt sind, hier als offene das müssen wir eingestehen. Aber inzwischen haben Probleme darstellen. Vielleicht haben Sie es über- die Menschen selber rechnen können, weil sie das sehen; dann will ich es Ihnen nicht nachtragen. Geld ja in die Hand bekommen haben. (Niegel [CDU/CSU] : Schulmeister! — Dr. (Gerster [Mainz] [CDU/CSU] : War es gut, Freiherr von Weizsäcker [CDU/CSU] : Das oder war es nicht gut?) ist noch nicht abgehakt!) 11018 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Bundeskanzler Schmidt Sie wie dies abgehakt worden ist und so wie die bei sind, darüber nachzudenken —, aber ich denke Steuer- und Kindergeldreform abgehakt und durch- auch, Herr von Weizsäcker, daß Sie, der Sie — lie- geführt worden ist, so sind inzwischen auch — seit benswürdigerweise — hier ausführen, Sie hätten jener Regierungserklärung sind mittlerweile zehn meine Bücher, meine Aufsätze und — vielleicht — Monate vergangen — die Vorarbeiten im Schoße der auch die Rede, die ich in der Jakobi-Kirche Ende Bundesregierung für die Reform der beruflichen Bil- des vorigen Jahres in Hamburg hielt, gelesen, daß dung so weit gediehen, daß Sie sicher sein können, sie keinen Zweifel daran haben, daß ich nicht zu daß Sie sich, bevor Sie in die Sommerpause gehen denjenigen gehöre, die ihr persönliches Menschen- und nachdem der Bundesrat den Gesetzentwurf be- bild, ihre persönliche Moralphilosophie oder Moral- raten haben wird, mit dem Gesetzentwurf hier aus- theologie oder ihre persönlichen sozialethischen einanderzusetzen haben werden. Nach meinem per- Uberzeugungen zur Maxime für alle machen wollen sönlichen Urteil haben wir es hier mit einem guten — ich nicht! Ich weiß, daß wir in einer — wie nennt Gesetz zu tun, das nicht sieben Schritte auf einmal man das heute — pluralistischen, in einer vielfälti- zu machen versucht, das aber einen ganz wesent- gen, offenen Gesellschaft leben, einer Gesellschaft, lichen Schritt tut, der für die Zukunft von Bedeu- die evangelische und katholische Christen, Juden tung ist. und Freidenker vielerlei Spielarten umfaßt, die alle (Pohlmann [CDU/CSU] : Das ist aber nur miteinander leben und handeln und in Frieden mit- Ihre Meinung!) einander leben wollen. Ich weiß — und Sie wissen es auch —, wie in unserer gemeinsamen Kirche seit Wir haben in der Zwischenzeit die betriebliche Jahr und Tag um ein neues sozialethisches Konzept Altersversorgung ausgebaut. Wir haben in der Zwi- gerungen wird, ohne daß es dort hat gefunden wer- schenzeit das landwirtschaftliche Altersgeld dyna- den können — und das verlangen Sie dann jetzo misiert. Alles das geschah in zehn Monaten. Wir vom Bundeskanzler?! haben das soziale Mietrecht zum Dauerrecht ge- macht. Wir haben mehr Wohngeld ermöglicht. Seit (Beifall bei der SPD und bei der FDP — dem 1. Januar ist das neue Lebensmittelrecht, ein Zuruf von der CDU/CSU: Weiß die SPD Kernstück der modernen Gesundheitspolitik, in Kraft. das auch?) Wir haben vorige Woche über eine große Zahl von durchgeführten, verwirklichten Anstrengungen auf Ich kann Ihnen nur meine persönliche Meinung dem Felde der Verstärkung der Organe der inneren sagen, die Sie ja kennen, weil Sie sich liebenswer- Sicherheit gesprochen. Wir haben eine Energiepoli- terweise mit meinen Darlegungen zu dem Thema, tik betrieben, um die uns viele Staaten der Welt die ich nicht im Bundestag gemacht habe — ich beneiden. glaube nicht, daß der Bundestag der Ort ist, wo persönliche Bekenntnisse abgegeben werden soll- (Beifall bei der SPD und der FDP — Möller ten, jedenfalls in der Regel nicht —, beschäftigt ha- [Lübeck] [CDU/CSU] : Die höchste Zahl der ben. Ich bin Ihnen dafür dankbar. Sie werden dar- Konkurse!) aus erkennen, daß es bei mir vielleicht ein bißchen Wir haben eine Sache noch nicht zustande gebracht anders akzentuiert ist als bei Ihnen. Bei mir gehört — ich beziehe mich hier auf den Umweltschutz —, eben als ganz wesentlicher Faktor das dazu, was im weil Sie sich bisher nicht entschließen können, der Godesberger Grundsatzprogramm meiner eigenen Verfassungsänderung zuzustimmen. Wir brauchen Partei steht. aber Ihre Stimmen; allein können wir dies nicht (Franke [Osnabrück] [CDU/CSU] : Marxis beschließen. mus!) (Beifall bei der SPD und der FDP) Aber Sie werden andererseits mir recht geben müs- Das Hochschulrahmengesetz, von dem Sie, Herr sen, daß es in einer Partei, die sich den seit Jahr- Kollege, auch sprachen, ist bisher an einer großen hunderten auseinanderstrebenden Erkenntnissen, Zahl von Einsprüchen der sogenannten B-Länder im wie sie einerseits im Bereich des katholischen Na- Bundesrat hängengeblieben. Wir stehen mitten in turrechts oder im Bereich der päpstlichen Sozial- Verhandlungen im Vermittlungsausschuß. Ich kann enzykliken anzutreffen sind, gegenübersieht und nur hoffen, daß es dort vernünftige Einigungen gibt. die andererseits in allerletzter Zeit noch ein paar Wenn allerdings bei dieser Gelegenheit das Thema Schwierigkeiten hat, sich von den Obrigkeitstradi- Studienreform ganz unter den Tisch geschoben wer- tionen der Preußisch-Unierten Kirche zu lösen, na- den sollte, dann werde ich persönlich es außer- turgemäß mindestens so schwer sein muß wie im ordentlich schwer finden, einem solchen Gesetzent- Deutschen Bundestag, ein gemeinsames, gar noch wurf zuzustimmen. für alle verbindliches Menschenbild aufzurichten. Ich (Beifall bei der SPD und bei der FDP) denke, daß es für den Politiker darauf nicht so sehr ankommt wie darauf, daß man ihn in seinem prak- Das sind ein paar wenige Punkte zur Antwort- auf tischen Handeln, in seinem mitmenschlichen Han- die immer wiederholte Frage: Was tun Sie denn deln als Menschen oder, wenn Sie so wollen, als eigentlich? Zum Teil war die Frage auch so formu- Christen erkennen kann. liert, daß nach dem Menschenbild oder nach der (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei der Grundkonzeption gefragt wurde. Ich denke, daß FDP) wohl jeder von uns ein persönliches Menschenbild hat — die Älteren, die darüber nachgedacht haben, Wenn Sie die persönliche Fußnote — auch nur für sicherlich mehr als die Jüngeren, die erst noch da- mich gesprochen — nach dem — entschuldigen Sie! Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11019 Bundeskanzler Schmidt — geschmacklosen Vergleich einer Ehe mit einem Wenn ich Sie richtig verstehe, war das nicht durch- Mietverhältnis noch hören wollen: gängig Ihre Absicht. Aber prüfen Sie sich, wenn (Beifall bei der SPD und der FDP) Sie gegen Schluß Ihrer Rede sagen, es komme beim Abwägen der Parteien darauf an, wer — so wörtlich Ich allerdings teile Ihre persönliche Meinung, daß Ihre Rede -- die besseren Lösungsvorschläge mache. die Ehe im Prinzip auf Dauer oder Dauerhaftigkeit Sie selbst haben doch heute keine gemacht. angelegt ist. (Erneuter Beifall bei der SPD und der (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Dann ziehen FDP) Sie die Konsequenzen daraus! — Pohlmann [CDU/CSU] : Es kommt, wie eben gesagt, Und vor Ihnen und vorige Woche hat einer gespro- auf die Taten an, Herr Bundeskanzler! — chen, der ausdrücklich sagt: wir wollen auch keine Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Vorschläge machen. Das ist ja eine denkbare an- dere Strategie; — Ich spreche in diesem Punkt für meine Person. (Dr. Wagner [Trier] [CDU/CSU] : Haben Sie (Beifall bei der SPD und bei der FDP) doch in der Opposition auch nie gemacht!) und insofern hat Adolf Schmidt recht: Es war keine Der Abgeordnete von Weizsäcker hat sich sodann vollständige Deckung zwischen dem Abgeordneten mit Kant und Marx und kritischem Realismus be- Strauß und dem Abgeordneten von Weizsäcker. schäftigt und hat — dem gegenwärtigen Redner ge- Aber der Abgeordnete von Weizsäcker muß wissen, genüber vielleicht abschwächend — darauf hinge- daß sein Verzicht auf konkrete Vorschläge aller- sei doch nun der Gesin- wiesen, Immanuel Kant dings der Maxime des Sonthofener Programms ent- nungsethiker par exellence gewesen. Das kann man spricht. sehr wohl so sagen; dem stimme ich zu. Aber das muß ja nicht heißen und kann auch für Herrn von (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Weizsäcker nicht heißen, alle philosophischen und Jenninger [CDU/CSU] : Sie machen es sich sittlichen Erkenntnisse Kants beiseite zu schieben. sehr einfach, Herr Schmidt!) Für meine persönliche Position — da Sie hier nach Am Schluß habe ich mich persönlich von Ihnen persönlichen Bekenntnissen fragen; es wird, wie ich berührt gefühlt; ich weiß nicht, ob Sie das wollten, annehme, im Deutschen Bundestag nicht so häufig Herr Kollege. An einer Stelle habe ich mich persön- wieder vorkommen, daß persönliche philosophische lich berührt gefühlt, und zwar nicht im angenehmen Positionen erfragt und dann auch genannt werden Sinne. Sie haben mir eine Einstellung unterlegt, die müssen —, für mich als Politiker, als politischen Sie so formuliert haben: Na ja, Sie, der Bundeskanz- Menschen kommt nur das in Betracht, was Max ler, denken wohl: was geht mich meine eigene Par- Weber „Verantwortungsethik" genannt hat: tei an, ich regiere ja. (Beifall bei der SPD und der FDP) (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr richtig! Sehr wahr!) daß der politisch entscheidende Mensch, der poli- Ich habe dazu zu sagen: Ich bin seit 25 Jahren ge- tisch handelnde Mensch nach Abwägung — oder, wohnt, politische Aufträge von Sozialdemokraten wie Weber ja sagt, nach Abwägung „mit Augen- und von der Sozialdemokratischen Partei zu emp- maß" trotz „Leidenschaft" — fangen, Ich habe diesen Auftrag bekommen, weil (Windelen [CDU/CSU] : Aber auch Geduld!) ich Sozialdemokrat bin. Wir Sozialdemokraten und die Freien Demokraten werden gemeinsam diesen verantworten muß, was an Folgen aus seinem Han- Auftrag auch erfüllen. deln entsteht, nicht nur die von ihm erstrebten (Lebhafter Beifall bei der SPD und der Ziele, sondern auch das, was an anderen Folgen, an FDP) Nebenfolgen, an Gegenwirkungen, also das, was ins- Gemeinsam mit Hans-Dietrich Genscher, gemeinsam gesamt an Folgen aus seinem Handeln entsteht. Das mit Wolfgang Mischnick, gemeinsam mit Willy muß er verantworten, und er muß sich prüfen, ob er Brandt und gemeinsam mit Herbert Wehner: Wir einen solchen Komplex von Folgen, die er sich ja in werden den Auftrag erfüllen. nüchterner, in kritischer Analyse zunächst einmal vorstellen muß, ehe er sie sittlich bewertet, auf sich (Erneuter lebhafter Beifall bei der SPD und nehmen kann. Wenn er sich die Gesamtfolgen, die der FDP — Lachen und Zurufe von der er auslöst, vorgestellt hat, die guten wie die schlech- CDU/CSU) ten, und zum Ergebnis kommt, daß er von seiner Die deutsche Sozialdemokratie kämpft gemeinsam eigenen sittlichen Überzeugung her legitimiert ist, mit der Freien Demokratischen Partei auf legitime sie zu verantworten, dann soll er sie verantworten. Weise um die Aufrechterhaltung der Gesetzge- bungs- und der Regierungsmacht in ihrer Hand. Sie, Herr Kollege, müssen z. B. die Folgen dessen verantworten, daß Sie — zugegebenerweise in einer (Beifall bei der SPD und der FDP) sehr viel größeren geistigen und sprachlichen Zucht Ebenso deutlich will ich hinzufügen: Diese Bundes- als andere — dazu beigetragen haben, die Konzep- regierung, ihre Minister und ihr Kanzler, sorgen tionen des Vorsitzenden der CSU öffentlich zu legiti- und arbeiten für das ganze Volk, für die ganze Ge- mieren. sellschaft und ebenso für den Staat als Ganzes. (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP) und der FDP) 11020 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975

Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Dies sagten Sie am 2. August 1974 in der „Hambur- Abgeordnete Dr. Carstens. ger Morgenpost". Ich würde zu jedwedem Zeitpunkt glauben, Dr. Carstens (Fehmarn) (CDU/CSU) : Herr Präsi- daß wir in Deutschland eine Arbeitslosigkeit dent! Meine verehrten Damen und Herren! Der von 5 % nicht hinnehmen dürfen. Herr Bundeskanzler hat versucht, in der Rede, die Dies sagten Sie im „Spiegel" am 19. August 1974. er hier soeben gehalten hat, sich mit den Ausfüh- rungen meines Kollegen von Weizsäcker heute vor- (Zuruf des Abg. Konrad [SPD]) mittag auseinanderzusetzen. Aber ich muß sagen, es ist bei einem Versuch geblieben. Ich möchte die- Dann sagten Sie schließlich: sen Versuch — ohne unfair sein zu wollen — als Die Bundesregierung der sozialliberalen Koa- einen untauglichen Versuch qualifizieren. lition ist ein Garant dafür, daß es keine Mas- (Beifall bei der CDU/CSU) senarbeitslosigkeit geben wird. Herr Bundeskanzler, Sie haben den entscheiden- Dies sagten Sie am 27. Mai 1974 im SPD-Presse- den Punkt der Rede des Herrn von Weizsäcker in dienst. Ihrer Antwort verfehlt. Herr von Weizsäcker ver- Herr Bundeskanzler, ich empfehle Ihnen in Ihrem langt von Ihnen keine Bekenntnisse über Ihren per- eigenen Interesse etwas mehr Zurückhaltung bei sönlichen Glauben, über Ihre persönliche Haltung Prognosen und bei Prophezeiungen dieser Art, vor zum Menschen und über Ihre Vorstellungen vom allen Dingen, wenn diese Prognosen und diese Bild des Menschen, sondern er verlangt von Ihnen Prophezeiungen mit einem so großen Aufwand an und wie ich glaube, mit vollem Recht — als dem Selbstbewußtsein und Kraftentfaltung verbunden Chef der Bundesregierung, daß Sie diesem Parla- sind. ment und der deutschen Offentlichkeit sagen, welche (Beifall bei der CDU/CSU) Ziele und Wertvorstellungen diese Bundesregierung mit ihrer Politik verfolgt. Auf diese Aufforderung Herr Bundeskanzler, Sie haben dann auf Ihr eige- des Kollegen von Weizsäcker sind Sie in Ihrer Ant- nes verfassungswidriges Verhalten in der Zeit, in wort nicht eingegangen. Deswegen muß ich Ihnen der Sie Finanzminister waren, abgehoben und haben leider sagen, daß der Vorwurf intellektueller Un- gesagt, daß der Prozeß, den die CDU/CSU-Fraktion redlichkeit, den Sie gegen Herrn von Weizsäcker gegen Sie angestrengt habe, sich so in die Länge erhoben haben, insoweit eindeutig auf Sie zurück- ziehe. Das tut er in der Tat; das bedaure ich selbst fällt. auch ganz außerordentlich. Herr Bundeskanzler, ist (Beifall bei der CDU/CSU) es Ihnen aber eigentlich entgangen, daß sich inzwi- schen eine andere Instanz zu Wort gemeldet hat, Herr Bundeskanzler, Sie haben sich dann wieder die genau dieselben Vorwürfe gegen Sie erhebt, die aufs Prophezeien verlegt und haben uns prophezeit, die CDU/CSU-Fraktion in diesem Zusammenhang daß wir hier in Kürze über das Gesetz zur Mit- gegen Sie erhebt, nämlich der Bundesrechnungshof? bestimmung in den Großbetrieben abstimmen wür- den. Ich muß Ihnen sagen, ich bin von der Art, wie (Dr. Marx [CDU/CSU] : Da werden die Beam Sie zu prophezeien pflegen, anfänglich immer stark ten anschließend versetzt!) beeindruckt gewesen, Ich meine, der Bundesrechnungshof und das, was er (Heiterkeit bei der CDU/CSU) sagt, sollte Ihnen vielleicht zu denken geben. Ich weil hier doch ein Mann steht, der das, was er sagt, würde an Ihrer Stelle dem Ausgang des Verfahrens mit großem Engagement vorträgt, und unwillkürlich vor dem Bundesverfassungsgericht mit einiger Be- ist man als ein unvoreingenommener Zuhörer ge- klemmung entgegensehen. neigt, das zu glauben, was ein Mann mit einem der- (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der artigen persönlichen Engagement sagt. Nur, Herr SPD) Bundeskanzler, nachdem ich mir nun mehrere Jahre lang in der Zeit, in der ich dem Hohen Hause ange- Dann komme ich aber zu einem anderen Punkte, höre, habe anhören müssen, was Sie alles prophe- der, wie ich glaube, noch wichtiger ist, nämlich zu zeit haben, da ist mir doch zweifelhaft geworden, ob der Frage der Urteilsschelte gegenüber Urteilen unse- man auf Ihre Prophezeiungen tatsächlich bauen kann. res höchsten deutschen Gerichts. Sie haben die Lie- benswürdigkeit gehabt, Herr Bundeskanzler, mich (Beifall bei der CDU/CSU) mit einem Buch zu zitieren, das ich 1971 geschrieben Um Sie selbst an einige Ihrer Prophezeiungen aus habe. Sie haben mich durchaus richtig zitiert. Ich der Zeit, seitdem Sie Bundeskanzler sind, zu er- habe mich damals in meiner Eigenschaft als Uni- innern, darf ich Ihnen ein paar Ihrer Zitate entgegen- versitätslehrer der Rechte kritisch mit Urteilen des halten: - Bundesverfassungsgerichts auseinandergesetzt. Unsere Arbeitsplätze sind sicher. (Metzger [SPD] : Hört! Hört!) Dies sagten Sie in der Regierungserklärung vom 17. Mai 1974. Ich meine, Herr Bundeskanzler, Sie dürfen hier den Unterschied nicht verkennen. Es ist ein entscheiden- 4,5 % Arbeitslosigkeit würde ich für unerträg- der Unterschied, ob ein Bürger unseres Landes, ein lich halten. Hochschullehrer, ein Journalist oder wer immer sich (Dr. Marx [CDU/CSU] : Unerträglich!) kritisch mit den Urteilen des Bundesverfassungs- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11021

Dr. Carstens (Fehmarn) Berichts auseinandersetzt oder ob Sie, der Bundes- Aber ich muß auch an Ihre Adresse, Herr Bun- kanzler oder die Bundesregierung, das tun; deskanzler, sagen, (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Marx (Zuruf von der SPD: Reden Sie mal von [CDU/ CSU] : Und zwar in eigener Sache!) Ihrem Niveau!) denn das Bundesverfassungsgericht ist in der Lage, daß eine Auseinandersetzung mit dem Text, den der sich nicht wehren zu können, wenn es gescholten „Spiegel" abgedruckt hat, kein Ersatz für einen Bei- wird. Wenn Sie, der Bundeskanzler oder die Bun- trag der Regierung zur Debatte über ihren eigenen desregierung es schelten, könnte leicht der Ein- Haushalt ist. druck entstehen, als wollten Sie das Bundesverfas- (Beifall bei der CDU/CSU) sungsgericht unter Druck setzen. Diesen Eindruck Es kommt hinzu, daß Sie und Ihre Freunde, die die- sollten Sie unter allen Umständen vermeiden. ses Thema jetzt so außerordentlich auszuschlachten (Beifall bei der CDU/CSU) versuchen, wie Sie selber ganz genau wisssen, aus einer unzuverlässigen Quelle schöpfen. Wenn Sie sich schon für meine Schriften interes- sieren, Herr Bundeskanzler, bin ich gerne bereit, (Widerspruch und Lachen bei der SPD) Ihnen ein Buch zu schicken, was ich in den 50er Jah- Herr Kollege Strauß hat erklärt, daß die Wieder- ren über das amerikanische Verfassungsrecht ge- gabe seiner Rede im „Spiegel" unvollständig und schrieben habe. teilweise unrichtig sei. (Zuruf des Abg. Konrad [SPD]) (Metzger [SPD] : Genau das Gegenteil ist Darin können Sie lesen, daß der amerikanische Prä- der Fall! — Dr. Ehrenberg [SPD] : Wo bleibt sident Roosevelt auch einmal den Versuch gemacht das Dementi von Herrn Strauß? — Weitere hat, das amerikanische Verfassungsgericht unter Zurufe von der SPD) Druck zu setzen. Das ist ihm sehr schlecht bekom- — Herr Kollege Strauß hat hier erklärt, men. (Dr. Ehrenberg [SPD] : Was er wirklich ge Ich möchte also sehr dringend darum bitten, Herr meint, aber nicht gesagt hat!) Bundeskanzler, (Zurufe von der SPD) was er zu diesen Themen wirklich gesagt hat. daß Sie mit wie auch immer gearteten Formulierun- (Fortgesetzte Zurufe von der SPD) gen davon Abstand nehmen, die Urteile des Bun- Ich meine, Sie sollten sich mit dem auseinander- desverfassungsgerichts zu schelten. Sie könnten sich setzen, sonst dem Vorwurf aussetzen, Sie wollten das Ge- (Dr. Ehrenberg [SPD] : Was er gesagt hat!) richt unter Druck setzen. (Zuruf von der SPD) was der Kollege Strauß hier erklärt hat, und nicht mit irgend etwas, was ihm zugeschrieben wird und Ich möchte schließlich noch auf die Bemerkungen wovon Sie nicht wissen, daß er es gesagt hat. des Bundeskanzlers zu den Ausführungen meines Kollegen Strauß in Sonthofen eingehen. Der Herr (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Zu Kollege Ehrenberg und der Herr Bundeskanzler ha- rufe von der SPD — Dr. Ehrenberg [SPD] : ben sich eingehend damit beschäftigt. Übrigens, Herr Das kann ja wohl nicht wahr sein!) Kollege Ehrenberg, Sie in einer so geschmacklosen Ich finde, daß das, was Sie betreiben, Weise, wie ich das selten erlebt habe. (Dr. Ehrenberg [SPD] : Das, was Herr (Beifall bei der CDU/CSU) Strauß betreibt!) Als ich mir diese Rede nach vielen anderen Reden, in der Tat den Vorwurf der intellektuellen Unred- die ich schon von Ihnen gehört habe, nun auch noch lichkeit verdient. habe anhören müssen, habe ich mich gefragt, ob es (Zuruf des Abg. Gallus [FDP]) nicht irgend so etwas wie eine „Ehrenbergzulage" für diejenigen Kollegen unseres Parlaments geben — Herr Kollege Gallus, Sie waren nicht gut zu ver- sollte, die sich Ihre Reden anhören müssen, Herr stehen. Kollege Ehrenberg. (Metzger [SPD] : Lesen Sie mal das Original (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Dr. vor! — Dr. Ehrenberg [SPD] : Wo ist das Ehrenberg [SPD] : Etwas mehr Mut in der Original von Sonthofen? Vorzeigen! — Wei eigenen Fraktion!) terer Zuruf von der SPD: Wo ist denn das Es gibt eine Lärmzulage für Arbeitnehmer, die un Original?) ter besonders lauten Bedingungen arbeiten müssen. Meine Damen und Herren, ich möchte noch ein paar grundsätzliche Bemerkungen zum (Seiters [CDU/CSU] : Hier ist eine Schmutz- Haushalt zulage erforderlich!) des Bundeskanzlers und zu der Auseinandersetzung machen, in der wir jetzt stehen. Aber das ist ja lange nicht so schlimm, als sich das anhören zu müssen, was Sie an niedrigem Niveau, (Zuruf von der SPD: Jetzt wird er schneller!) Geschmacklosigkeit und Demagogie in einer ein- Es ist die Pflicht der parlamentarischen Opposition, stündigen Rede von sich gegeben haben. im Rahmen der Behandlung des Haushalts des Bun- (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Ehrenberg deskanzlers die Anmerkungen zu machen, die sie [SPD]: Das Niveau von Herrn Strauß!) für wichtig und richtig hält. Niemand, insbesondere 11022 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Dr. Carstens (Fehmarn) nicht die Regierung und die Regierungskoalition, hat Wehrstruktur einigen konnten, so daß einseitige ihr darüber Vorschriften zu machen. deutsche Vorleistungen auf dem Gebiet der Truppen- (Beifall bei der CDU/CSU) reduzierung im Bereich der Wiener Konferenz ver- hindert wurden. Der Bundesverteidigungsminister In den Bereichen, in denen Fortschritte zu verzeich- hat sich dadurch dem Druck aus den Reihen der nen sind, werden wir sie nicht verschweigen. Aber Fraktionen von SPD und FDP entziehen können. dort, wo die Bundesregierung Versäumnisse und Fehler zu verantworten hat, muß sie sich, gerade Aber, meine Damen und Herren, in vier wichtigen auch in den Stunden der Beratung ihres Haushalts, Bereichen der Politik müssen sich die Regierung ihrer Verantwortung stellen. und die Regierungskoalition schwere Versäumnisse entgegenhalten lassen. Ich meine die Bereiche der Hier ist soviel die Rede gewesen von den sozial- inneren Sicherheit, der Wirtschafts- und Finanz- politischen Gesetzen, die in diesem Bundestag ver- politik, der Ostpolitik und dessen, was die Regie- abschiedet worden sind. Die Fraktion der CDU/CSU rung ihre Reformpolitik nennt. hat diese sozialpolitischen Gesetze mitgetragen, und ein wichtiger Teil der Initiativen zu diesen Gesetzen Über die wirtschaftliche Lage ist viel gesprochen geht auf die CDU/CSU-Fraktion zurück. worden. Aber in den Debattenbeiträgen des Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU) kanzlers und der Mitglieder der Koalition wird doch immer wieder der Versuch gemacht, die entschei- Gemeinsam haben wir das Siebzehnte Rentenanpas- denden Tatbestände zu verwischen. sungsgesetz verabschiedet. Das Fundament dieser Entscheidung aber ist das von der CDU/CSU 1957 (Dr. Ehrenberg [SPD] : Welche?) durchgesetzte Prinzip der dynamischen Rente. Ich möchte Sie an den Unterschied erinnern dürfen, (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Ehrenberg meine Damen und Herren, der zwischen dem Zeit- [SPD] : Das, was Herr Schellenberg zuerst punkt, in dem Sie die Regierung im Jahre 1969 über- gemacht hat!) nommen haben, und dem heutigen Zeitpunkt besteht. Damals, 1969, als die CDU/CSU die Regierungsge- Die Vorziehung der Anpassung um ein halbes Jahr schäfte in Ihre Hände legte, wies der Bundeshaus- ist das Verdienst der CDU/CSU. halt einen Überschuß von 1,7 Milliarden DM aus. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der Sie hat diese Regelung 1972 gegen einen ursprüng- SPD) lich starken Widerstand der Koalition durchgesetzt. Die Erhöhung der Renten aus der Kriegsopferversor- Die Arbeitslosigkeit lag unter 1 %. gung erfolgte mit den Stimmen der CDU/CSU. Das (Stücklen [CDU/CSU]: Hört! Hört!) zukünftige halbjährliche Vorziehen der Anpassung ist auf den beharrlichen parlamentarischen Druck der Die Preissteigerungen betrugen weniger als 2 %. CDU/CSU zurückzuführen. (Stücklen [CDU/CSU] : Bitte schön!) (Zustimmung bei der CDU/CSU) Das Bruttosozialprodukt war im Jahre 1969 real um Der Reform der betrieblichen Altersversorgung ha- 8 % gewachsen. Heute weist der Bundeshaushalt ein ben wir ebenso zugestimmt wie der Verbesserung Defizit von 22 Milliarden DM aus. der Altershilfe für Landwirte, um nur einige Bei- (Zuruf von der SPD) spiele zu nennen. — Das hören Sie nicht gern. Aber das sind Tat- Hier und in anderen Bereichen haben alle Frak- sachen, die ich Ihnen in die Erinnerung zurück- tionen dieses Hauses durch gemeinsames Handeln rufen möchte. die soziale Sicherung der Betroffenen verbessert. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie, Herr Bundeskanzler, haben sich wiederholt dar- auf berufen, daß Sie auf den Grundlagen aufbauen, Die Arbeitslosigkeit übersteigt 5 %; die die CDU/CSU in der Zeit ihrer Regierungsver- (Dr. Marx [CDU/CSU]: Tolles Ergebnis!) antwortung, teilweise allerdings unter den schweren Bedingungen der Nachkriegszeit und häufig gegen hinzuzurechnen sind noch 4 % Kurzarbeiter. 1969 Ihren erbitterten Widerstand, gelegt hat. gab es in der ganzen Bundesrepublik Deutschland 1 500 Kurzarbeiter. Auch in der Außenpolitik — mein Kollege von Weizsäcker hat es gesagt — verkennen wir (Stücklen [CDU/CSU] : Hört! Hört!) nicht die Bemühungen der Regierung um die Festi- Die Preissteigerungsrate lag im vergangenen Jahr gung des nordatlantischen Bündnisses und um die bei 7 %, und der Zuwachs des realen Sozialpro- Fortsetzung der europäischen Einigung. Allerdings dukts war in der zweiten Hälfte des letzten Jahres muß doch wohl hinzugefügt werden, daß in den vor- negativ. So, meine Damen und Herren, sieht das angehenden Jahren dieser aus SPD und FDP gebil- moderne Deutschland aus, das Sie 1969 zu schaffen deten Koalitionsregierung die Ostpolitik ein einseiti- versprochen haben. ges Übergewicht hatte, wobei die Westpolitik und die Politik der europäischen Integration in schwer- (Beifall bei der CDU/CSU) wiegender Weise vernachlässigt wurde. Nun wird immer wieder in einer gebetsmühlen- Ebenso haben wir es begrüßt, daß wir uns mit dem artigen Technik von seiten der Regierung, der Re- Bundesverteidigungsminister über die Änderung der gierungskoalition das Argument wiederholt: Wir Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11023 Dr. Carstens (Fehmarn) sind daran völlig unschuldig; das Ausland ist samtdeutschen Staatsangehörigkeit wurde ausge- schuld. klammert. Die Forderung nach mehr menschlichen (Zuruf des Abg. Dr. Ehrenberg [SPD]) Erleichterungen im Verkehr zwischen Ost und West — Meine Damen und Herren und Herr Kollege Eh- wurde nicht durchgesetzt. renberg, diese Behauptung ist unrichtig. Zu den Jetzt, nachdem der Osten seinerseits seine Forde- Zuständen, die sich in unserem Lande entwickelt rungen durchgesetzt hat, kämpft die Bundesregie- haben, haben interne Ursachen, sogenannte haus- rung einen mühevollen und weitgehend leider ver- gemachte Ursachen geblichen Kampf, das, was sie vor drei oder vier (Dr. Ehrenberg [SPD] : Welche denn?) Jahren versäumte, möglichst nachträglich noch durchzusetzen. Sie kämpft jetzt den Kampf um die zu einem wesentlichen Teil mit beigetragen. Die Errichtung neuer Dienststellen in Berlin und um die Bundesbank, auf deren Urteil Sie sich ja immer so Einbeziehung Berlins in die Ostverträge, — alles gern beziehen, hat dies ausdrücklich mehrfach be- Dinge, die sie in den Jahren hätte durchsetzen müs- stätigt. sen, als sie die entscheidenden Forderungen der je- (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Ehrenberg weiligen Gegenseite erfüllte. [SPD] : Wer macht die Preissteigerungen in Italien? Auch wir?) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich will Ihnen die wichtigsten von Ihnen zu ver- Entgegen den von den Herren Brandt und Bahr tretenden Ursachen nennen. und anderen genährten Hoffnungen und Erwartun- gen setzt die DDR ihre offensive Politik gegenüber (Dr. Ehrenberg [SPD] : Nennen Sie sie mal!) der Bundesrepublik Deutschland fort. Die legitimen Sie haben eine Inflationsmentalität in diesem Lande Versuche der Bundesregierung, weitere Dienststellen geschaffen, nach Berlin zu verlegen, werden im „Neuen Deutsch- (Beifall bei der CDU/CSU) land" als Gewaltdiplomatie angeprangert. indem Sie von der Garantie der Vollbeschäftigung in Alles in allem muß man sagen, daß die Entspan- einem Zeitpunkt sprachen, wo wir uns bereits im nungspolitik der Koalition auf Illusionen aufgebaut Stadium der Überbeschäftigung befanden und wo es war. Diese Illusionen bezogen sich besonders auf die angebracht gewesen wäre, der Inflation entgegenzu- Ziele der östlichen Entspannungspolitik. Die Sowjet- treten. union und ihre Verbündeten verfolgten und verfol- (Dr. Ehrenberg [SPD] : Deshalb stehen wir gen mit ihrer Entspannungspolitik immer zugleich auf dem letzten Platz in der Welt?!) auch offensive, auf Ausdehnung ihres politischen Sie haben die Bundeshaushalte in einer weit über Einflusses gerichtete Ziele. Diese Tatsache verkannt, das stabilitätsgerechte Maß hinausgehenden Weise bagatellisiert oder geleugnet zu haben, ist der aufgebläht und ausgedehnt: um 10, 11, 12 bis zu schwerste Fehler, den man der von SPD und FDP ge- 14 % von einem Jahr zum anderen. führten Politik anlasten muß. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Sie haben im Bereich des öffentlichen Dienstes Lohn- Dieser Fehldeutung hat sich die Union von Anfang und Gehaltssteigerungen akzeptiert, an mit Entschiedenheit entgegengestellt. Sie hat auch in jüngster Zeit darauf hingewiesen, daß die (Zuruf des Abg. Dr. Ehrenberg [SPD]) KSZE zu einer weiteren Verschiebung des Kräfteverhält- die stabilitätswidrig waren, die nach Ihrer eigenen nisses zum Nachteil des Westens führen wird, wenn Erklärung stabilitätswidrig waren. der Westen sich nicht mit seinen wesentlichen For- (Zustimmung bei der CDU/CSU — Gallus derungen durchsetzt. Die Union — ich habe es oft [FDP] : Was hat Herr Filbinger gemacht?) gesagt, ich wiederhole es — ist nicht gegen eine Politik der Entspannung im Ost-West-Verhältnis, Das sind die Vorwürfe, die Sie sich anrechnen las- aber sie ist für eine ausgewogene und realistische sen müssen. Da können Sie landauf, landab noch so Politik, an der es die Regierung weitgehend hat feh- viel von den Ölscheichs sprechen, wie Sie wollen. len lassen. Die deutsche Bevölkerung erinnert diese Tatsachen, von denen ich spreche, sehr genau und macht Sie, Über den Komplex der inneren Sicherheit hat hier meine Herren von der Regierungskoalition, und Sie, vor diesem Hohen Hause in der vergangenen Woche meine Herren von der Bundesregierung, dafür ver- eine Debatte stattgefunden. antwortlich. (Dr. Marx [CDU/CSU] : Mit einem schlechten (Beifall bei der CDU/CSU) Ende!)

Der zweite Bereich, in dem man der Regierung Ich will das damals Gesagte nicht wiederholen. Ich schwere Versäumnisse vorwerfen muß, ist der Be- will nur noch einmal ganz deutlich machen, was die reich der Ostpolitik. Die Regierung hat in den Jah- CDU/CSU der Regierung und der Regierungskoali- ren 1970, 1971 und 1972, als sie auf die Politik der tion auf diesem Gebiete vorwirft. Sowjetunion und ihrer Verbündeten einschwenkte, Herr Kollege Ehrenberg hat von der Verstärkung die eigenen deutschen Forderungen nicht nachdrück- der EDV-Anlage beim Bundeskriminalamt und von lich genug vertreten. So kam es dazu, daß in den anderen technischen Dingen gesprochen, die als sol- Verträgen von 1970 und 1972 die Position Berlins che nützlich sind, die aber den Kern unserer Kritik ungenügend abgesichert wurde. Die Frage der ge- überhaupt nicht berühren. Wir halten SPD und FDP 11024 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode -- 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Dr. Carstens (Fehmarn) — ich nehme hier die FDP in vollem Umfang mit in Und im übrigen irrt Herr Jochen Steffen, wenn er die Verantwortung hinein — ihre Schul- und Bil- glaubt, daß die Terroristen in unserem Lande Kinder dungspolitik in den von ihnen regierten Ländern unerträglicher Verhältnisse seien. Man kann im Ge- vor, in denen eine ständige Propaganda gegen unse- genteil eher feststellen, daß viele von ihnen aus ren freiheitlichen Rechtsstaat und gegen unsere frei- ausgesprochen wohlhabenden Familien stammen. heitliche soziale Wirtschaftsordnung geduldet, ja (Konrad [SPD] : Das hat der Bundeskanzler veranlaßt wurde. auch gesagt!) (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Das stimmt ja alles nicht!) Möglicherweise ist es ihnen zu gut gegangen, aber gewiß nicht unerträglich schlecht. — Natürlich stimmt das. Lesen Sie doch die hessi- schen und nordrhein-westfälischen Rahmenrichtli- (Beifall bei der CDU/CSU) nien einmal durch! Die zweite Äußerung von Herrn Jochen Steffen (Lebhafte Zurufe von der SPD) datiert vom Januar 1975. Da Herr Kollege Brandt Lesen Sie das Gutachten Ihres Parteifreundes Nip- mich beschuldigt, falsch zu zitieren, wiederhole ich perdey zu diesen Rahmenrichtlinien! Sie werden das auch sie noch einmal im vollen Wortlaut. Jochen Notwendige daraus entnehmen. Steffen spricht von den zeitgenössischen Anarchisten und sagt dann: (Beifall bei der CDU/CSU) Bei den Anarchisten ist nur eines völlig klar. Zweitens. SPD und FDP haben in den von ihnen Das ist ihre sehr sympathische Zielvorstellung. regierten Ländern geduldet, daß an einigen Univer- Sie wollen eine auf Recht und Freiheit gegrün- sitäten eine Terrorherrschaft linksradikaler politi- dete Gesellschaft ohne Gewalt. scher Gruppen errichtet wurde, die noch heute fort- (Gansel [SPD] : Sie Lügner und Fälscher! — besteht. Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Und der näch (Zurufe von der SPD) ste Satz?) Drittens. Politiker aus Kreisen der SPD, aber auch aus Kreisen der Jungdemokraten, verharmlosen die Hier irrt Herr Steffen ebenfalls in fundamentaler Schreckenstaten der Terroristen, indem sie mehr Weise. Welche Ziele zeitgenössische Anarchisten oder minder deutlich sagen, daß diejenigen Politiker, verfolgen, ist völlig unklar. Klar ist nur, daß sie sich die dem Terror mit größerer Schärfe, aber selbstver- zur Erreichung dieser Ziele verbrecherischer Mittel ständlich mit rechtsstaatlichen Mitteln entgegentre- bedienen. ten wollen, noch gefährlicher für die Demokratie (Beifall bei der CDU/CSU) seien. Zu ihnen gehört leider auch der Vorsitzende Ich kann daher nicht umhin, zu wiederholen, was der SPD, Herr Willy Brandt. ich schon mehrfach früher gesagt habe: (Beifall bei der CDU/CSU — Pfui-Rufe bei (Konrad [SPD] : Das ist der Fehmarnsche der SPD) Horizont! — Gegenruf Dr. Marx [CDU/ — Natürlich! Das tut er ja pausenlos. Das hat er CSU] : Radaubrüder!) hier in der letzten Sitzung auch getan. Sagen Sie nicht „Pfui", sondern widerlegen Sie doch den Inhalt Herr Steffen, der Vorsitzende der SPD in Schleswig dessen, was ich hier sage. Holstein, gibt durch diesen zitierten Satz (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU Wei (Gansel [SPD] : Sie sind ein Lügner und Fäl tere Pfui-Rufe bei der SPD) scher, nichts anderes! — Seiters [CDU/CSU] : Was ist das denn?) Einige Politiker aus den Reihen der SPD gehen in ihrer beschönigenden Stellungnahme gegenüber dem seine. Sympathie für die Ziele der in der Bundes- Terror noch einen Schritt weiter. Damit kein Zweifel republik Deutschland aktiven Terrorbanden zu er- entstehen kann, zitiere ich noch einmal im vollen kennen. Das können Sie drehen und wenden, wie Wortlaut den Vorsitzenden der SPD in Schleswig- Sie wollen, darum kommen Sie nicht herum. Holstein, Jochen Steffen. (Beifall bei der CDU/CSU — Konrad [SPD] : (Zuruf von der SPD: Alter Hut!) Das ist der geistige Horizont von Fehmarn!) Er sagte am 7. Oktober 1972 auf dem Landespartei- — Sorgen Sie doch dafür, daß Herr Steffen bessere tag der SPD in Schleswig-Holstein — ich zitiere —: Artikel schreibt, aber greifen Sie nicht mich an, wenn Aber eines dürfen denkende Menschen doch ich ihn zitiere, meine Damen und Herren! nicht übersehen, daß nämlich aller Terror nicht (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU) aus sich selbst geboren wurde, sondern -das Kind unerträglicher Verhältnisse, amoralischer Macht- Schließlich — das ist der fünfte Vorwurf, und ich ausübung und Terror von „Oben" ist. wiederhole ihn in aller Form — hat diese Bundes- regierung, diese Koalition, bis heute nichts Wirk- (Dr. Marx [CDU/CSU] : Hört! Hört!) sames gegen den illegalen Verkehr der Anwälte mit Ich meine, daß hier ganz klar der Versuch gemacht ihren Klienten, den einsitzenden Häftlingen der wird, den Terror zu rechtfertigen. Baader-Meinhof-Bande, unternommen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Zurufe von der SPD) Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11025 Dr. Carstens (Fehmarn) Das ist ein schwerer Vorwurf, den Sie sich alle vor- hält an, und bei denjenigen, die entlastet worden halten müssen. Ändern Sie Ihren Standpunkt, er- sind, wird durch eine Erhöhung der Sozialabgaben greifen Sie hier endlich die Initiative! und der Sozialversicherungsbeiträge das, was sie an (Beifall bei der CDU/CSU) Steuern sparen, an anderer Stelle wieder einkas- siert. Besonders deutlich aber schließlich, meine Damen und Herren, ist das Versagen der Regierung von (Beifall bei der CDU/CSU — Fortgesetzte SPD und FDP in dem Bereich, den man — und den Zurufe von der SPD — Gegenrufe von der insbesondere die Regierung selbst — als Reform- CDU/CSU — Unruhe) politik bezeichnet. Mit großen Versprechungen trat sie im Wahlkampf 1969 und 1972 auf. Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und (Dr. Marx [CDU/CSU] : Die haben sogar ver Herren, ich bitte doch um etwas mehr Ruhe. sprochen, daß der Brandt Kanzler bleibt! — (Zuruf von der SPD: Warum denn? — Wei Zurufe von der SPD) tere Zurufe von der SPD — Gegenrufe von Der Himmel an der Ruhr sollte blau werden, die der CDU/CSU) Hälfte aller Schüler sollte das Abitur machen, ein Meine Damen und Herren, ich bitte grundsätzlich um Viertel sollte die Universität besuchen, Vermögen Ruhe. Ich habe es heute vormittag zugunsten des und Einkommen sollten gleichmäßiger verteilt wer- Kollegen Dr. Ehrenberg getan, ich tue es jetzt zu- den, die Lebensqualität sollte verbessert werden, gunsten des Kollegen Dr. Carstens. die öffentliche Armut beseitigt werden, und was dergleichen schöne Versprechungen mehr gewesen sind. Dr. Carstens (Fehmarn) (CDU/CSU) : Meine Da- (Stücklen [CDU/CSU] : Seifenblasen!) men und Herren, ich möchte Sie außerdem bitten: Erschöpfen Sie sich noch nicht zu schnell, Sie werden Jetzt muß man feststellen, daß die Reformpolitik noch mehr Gelegenheit finden, gegen das zu pro- der Regierung überall da gescheitert ist, wo sie den testieren, was ich jetzt sagen werde. Versuch machte, etwas Neues zu schaffen. Erfolg- reich war diese Politik im wesentlichen nur da, wo Einen Grund dafür, daß die Reformen der Regie- sie Ansätze fortführte und auf Grundlagen aufbaute, rung in so kläglicher Weise verlaufen, muß man die ihre Vorgängerinnen, die CDU/CSU-Regierun- sicher in der Uneinigkeit innerhalb der Regierung, gen, gelegt hatten. zwischen den beiden Regierungsparteien, aber auch (Beifall bei der CDU/CSU) innerhalb der Regierungsparteien selbst sehen. Bei Dazu rechne ich den großen sozialpolitischen Bereich, der beruflichen Bildung z. B. berührt es doch allmäh- von dem ich gerade gesprochen habe. Aber da, wo lich peinlich, daß der Regierungssprecher jede Woche Bundesregierung und Koalition versuchten, neue von neuem ankündigt, über den Gesetzentwurf sei Wege zu gehen, sind sie mit ihren Plänen durchweg praktisch eine Einigung erzielt, und kurz danach hört gescheitert. Teils mußten sie die beabsichtigten Re- der erstaunte Bürger von Herrn Genscher oder auch formen überhaupt zurückziehen, in anderen Fällen Herrn Friderichs, daß von einer Einigung überhaupt legten sie Reformprojekte vor, die sich bei näherer keine Rede sein könne. Ich meine, Herr Bundes- Betrachtung als undurchführbar oder den Interessen kanzler, hier versagen Sie auch in der Führungs- der Betroffenen abträglich, teilweise sogar als ver- funktion, die Ihnen obliegt. fassungswidrig erwiesen; ich denke an die erwei- (Beifall bei der CDU/CSU) terte Mitbestimmung, an das Bodenrecht und die berufliche Bildung. Da, wo es der Regierung gelang, Eine weitere Erklärung für die Fehlschläge der ihre Reformgesetze durch den Bundestag zu brin- sozialistischen Reformpolitik dieser Regierung sehe gen, stellten sich schwere Mängel und schwerwie- ich allerdings darin, daß die Regierungskoalition ihre gende Bedenken ein. Das Hochschulrechtsrahmen- Projekte meist mit einer unangemessenen Eile durch gesetz, welches der Bundestag verabschiedet hat, das Parlament zu peitschen versucht. Das gilt beson- würde, wenn es in der vorliegenden Form in Kraft ders für die Steuerreform. Die CDU/CSU hatte eine träte, sicherstellen, daß die deutschen Hochschulen Senkung der inflationsbedingten Steuererhöhung bei auf Dauer funktionsunfähig wären, den kleinen und mittleren Einkommen verlangt. (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) (Conradi [SPD] : Bei den großen!) und davor sollten wir unsere Hochschulen bewah- Das war ein in sich geschlossenes Projekt, welches ren. man in zwei bis drei Monaten im Parlament hätte (Beifall bei der CDU/CSU) verabschieden können. Der entscheidende Fehler der Ebenso negativ sind die Wirkungen der Steuer- Koalition lag darin, daß sie dieses Vorhaben mit - reform zu bewerten. Herr Bundeskanzler, Sie irren dem großen Steuerreformprojekt verbunden hat, das sich, wenn Sie glauben, daß die meisten Bürger sie selbst als ein Jahrhundertwerk plakatierte und unseres Landes inzwischen die Segnungen dieser dessen sachgerechte Behandlung eher zwei bis drei Steuerreform erkannt hätten. Das ist keineswegs der Jahre als zwei bis drei Monate erfordert hätte. So Fall. Die Empörung darüber, daß gerade diejenigen müssen Sie sich wegen der unverantwortlichen Hek- Gruppen, die entlastet werden sollten, belastet wor- tik, mit der Sie dieses Projekt durch den Bundestag den sind, — ich kann nur sagen: gejagt haben, (Anhaltende lebhafte Zurufe von der SPD) (Widerspruch bei der SPD) 11026 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Dr. Carstens (Fehmarn) anrechnen lassen, was an Fehlern und schweren, eine Rezession und leider eine Arbeitslosenzahl von ungerechtfertigten Belastungen für Millionen von über einer Million eingetreten wäre. Steuerzahlern in dieses Gesetz eingegangen ist. (Zustimmung bei der CDU/CSU — Wider (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der spruch bei der SPD und der FDP) CDU/CSU: Flickwerk! — Gegenrufe von der Zweitens lassen sich die deutschen Sozialisten SPD) von der falschen Zielvorstellung leiten, möglichst weitgehend und möglichst schnell die Lebensver- Ich meine, meine Damen und Herren, neben diesen hältnisse der Staatsbürger aneinander anzuglei- auf der Hand liegenden Gründen für die Unfähigkeit chen. Damit verstoßen die deutschen Sozialisten der Regierung und der Regierungskoalition zu Re- gegen ein elementares Gebot sozialer Gerechtigkeit, formen gibt es Gründe, die in einer noch tieferen Schicht zu liegen scheinen. Ich möchte die Frage (Lachen bei der SPD) stellen, ob deutsche Sozialisten nach ihrem eigenen daß nämlich Unterschiede in der Leistung auch ihren Selbstverständnis überhaupt in der Lage sind, Re- Ausdruck in einem unterschiedlichen Entgelt für die formen zu verwirklichen, Leistung finden sollten. (Dr. Marx [CDU/CSU] : Reformruinen!) (Gansel [SPD]: Da müßten Sie ja umsonst arbeiten! — Weitere Zurufe von der SPD) die dem Menschen zugute kommen. Weiter bedienen sich die deutschen Sozialisten (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der falscher Methoden zur Realisierung ihrer Zielvor- SPD — Dr. Ehrenberg [SPD] : Das ist ja schon stellungen. mehr als peinlich! — Weitere Zurufe von der SPD) (Wehner [SPD] : Alles noch drauf! — Dr. Ehrenberg [SPD] : Herr Professor, wovon — Ja, das ist Ihnen peinlich; das kann ich durchaus reden Sie?) verstehen. — Wenn ich von deutschen Sozialisten — Ich rede von den deutschen Sozialisten. spreche, so meine ich SPD und Teile der FDP, die auf dem Boden des Sozialismus stehen. (Zuruf von der SPD: Wer ist das?) (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der — Ich werde Ihnen gleich sagen, wer das ist. — Sie SPD — Wehner [SPD] : Das auch noch! — glauben das Heil darin zu sehen, daß der Einfluß Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der des Staates, des Kollektivs, erweitert wird. FDP) (Anhaltende Zurufe von der SPD)

Herr Kollege Schmidt (Wattenscheid) nannte sie Sie können doch jedes Reformprojekt nehmen, was soeben die „moderne FDP" ; das ist ein Ausdruck, uns in den letzten Jahren auf den Tisch gelegt wor- der den Tatbestand beschönigend umschreibt, den den ist; immer fing es damit an, daß zunächst ein- ich hier gerade festgestellt habe. mal ein riesiger staatlicher Apparat geschaffen wer- den mußte! (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU — Zu rufe von der SPD) (Zuruf des Abg. Dr. Ehrenberg [SPD]) — Vielleicht erinnern Sie sich, Herr Kollege Ehren- Meine Damen und Herren, die Unfähigkeit der berg, noch an Herrn von Dohnanyi, der im Zusam- deutschen Sozialisten zu Reformen menhang mit seinem Projekt zur beruflichen Bildung (Dr. Ehrenberg [SPD) : Haben Sie schon ein allein 3 000 neue Planstellen schaffen wollte. mal einem Sozialdemokraten wirklich zu (Seiters [CDU/CSU]: Hört! Hört! — Zuruf gehört?) des Abg. Dr. Ehrenberg [SPD] Weitere Zurufe von der SPD und der FDP) ergibt sich nach meiner Auffassung aus einer Reihe von ganz klar zutage tretenden Gründen. Die deut- Viertens zerstören die Sozialisten bei ihren Re- schen Sozialisten gehen von einer falschen Analyse formversuchen natürlich gewachsene Bindungen, der Wirklichkeit aus, auf denen das Zusammenleben der Menschen in un- serem Lande beruht. (Zustimmung bei der CDU/CSU) nämlich von der Vorstellung, daß unsere Gesell- Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter, schaft durch Klassenkämpfe und Ausbeutung gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- charakterisiert sei. ordneten Reuschenbach? (Dr. Ehrenberg [SPD] : Ich schicke Ihnen mal ein Buch! — Weitere Zurufe von der Dr. Carstens (Fehmarn) (CDU/CSU) : Ich möchte SPD — Gegenrufe von der CDU/CSU)- keine Zwischenfragen annehmen.

Die Stellung der angeblich Ausgebeuteten hat sich (Lachen und Zurufe von der SPD — Dr. dagegen in den letzten Jahrzehnten, und zwar be- Marx [CDU/CSU] : Der hat doch früher sonders in der Zeit, als die CDU/CSU regierte, kon- Brandt die Papiere geschrieben!) tinuierlich verbessert, und sie würde sich noch heute Meine Damen und Herren, auch für das, was ich kontinuierlich verbessern, wenn nicht durch die von eben sagte, gibt es ungezählte Beispiele. Herr Kol- SPD und FDP zu verantwortende Wirtschaftspolitik lege von Weizsäcker hat heute morgen auf die Be- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11027 Dr. Carstens (Fehmarn) gründung zum Gesetzentwurf über die Neuregelung Oertzen, Herr Osswald und andere sozialdemokra- des elterlichen Sorgerechts hingewiesen, worin es tische Sprecher als Sozialisten. heißt, daß schon das Kleinkind Objekt elterlicher (Dr. Marx [CDU/CSU] : Das ist die richtige sei. Hier wird also das, was in Fremdbestimmung Versammlung!) natürlichem Bewußtsein der meisten Menschen Mut- terliebe heißt, auf die Formel „elterliche Fremdbe- Ich meine mich auch nicht zu täuschen, wenn ich stimmung" reduziert. noch vor ein paar Monaten Herrn Apel hätte sagen hören, er sei stolz darauf, ein freiheitlicher Sozialist Herr Bundeskanzler, wenn Sie das, was mein zu sein. Kollege von Weizsäcker über die Erleichterung der Scheidung gesagt hat, als geschmacklos empfinden, (Beifall bei der SPD — Dr. Ehrenberg dann möchte ich Ihnen sagen, daß Sie dieses Urteil [SPD] : Ja und? Haben Sie etwas dagegen?) über diejenigen fällen sollten, die derartige Gesetz- Aber in den letzten Monaten konnte man plötzlich entwürfe hier vorlegen und vertreten. andere Töne hören. Der jetzige Bundeskanzler ver- (Beifall bei der CDU/CSU — Konrad [SPD] : wahrte sich in einem Interview mit einer amerikani- Ohne die geringste Ahnung! — Weitere Zu schen Rundfunktstation auf das entschiedenste da- rufe von der SPD) gegen, als Sozialist bezeichnet zu werden. Wir wissen, daß in Nordrhein-Westfalen und in (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Hessen die Sozialisten in ihrer Schulpolitik noch Er sei Sozialdemokrat, meinte er. Und unser so einen Schritt weitergehen, daß sie dort zum aktiven sehr geschätzter Kollege Ehrenberg Widerstand gegen Herrschaftsverhältnisse ohne Rücksicht auf die in unserem Staat geltenden Rechts- (Dr. Marx [CDU/CSU] : So sehr geschätzt normen auffordern und sich dadurch in Widerspruch ist er auch wieder nicht!) zu unserer rechtsstaatlichen Ordnung setzen. An erklärte in einem ZDF-Gespräch am 2. Januar die- einigen Rundfunkanstalten sieht es nicht besser ses Jahres — ich möchte sagen, im Ton einer gewis- aus. sen Entrüstung —, daß man mit Sozialismus und (Konrad [SPD] : „Rotfunk" ! Windelen!) Marxismus die Freiheit auf die Dauer nicht würde Ich zitiere aus dem „Flensburger Tageblatt" vom erhalten können. 12. März dieses Jahres: (Erneute Heiterkeit und Beifall bei der Kritik an der inneren Situation der öffentlich- CDU/CSU — Zurufe von der SPD — Dr. rechtlichen Rundfunkanstalten in der Bundes- Marx [CDU/CSU] : Schaumschläger!) republik Deutschland hat der neue Programm- Aber am gleichen Tage, am 2. Januar 1975, sagte direktor Fernsehen des NDR, Friedrich Wilhelm der Bundeskanzler wieder, Räuker, geübt. Vor der Hermann-Ehlers-Akade- mie in Kiel meinte Räuker, der neo-marxisti- (Dr. Ehrenberg [SPD] : Aber richtig zitie sche Einfluß in den Anstalten habe zugenom- ren!) men. Systemgegner unter den Redakteuren er möchte den Rat einer durchgearbeiteten marxisti- äußerten sich in den Kultur- und 3. Fernseh- schen Konzeption zur Anwendung auf gegenwärtige programmen, aber nicht nur dort. Probleme nicht entbehren. (Gansel [SPD]: Räuker ist CDU-Mitglied! (Dr. Ehrenberg [SPD] : Ja und?) Das müssen Sie dazu sagen! Den haben Sie Meine Damen und Herren, hier zeigt sich eine tief- doch dahin gebracht!) greifende Verlegenheit der Deutschen Sozialdemo- Zwar seien die offenen Angriffe gegen die Ver- kraten, deren inneres Gewissen sie offenbar von fassung selten, doch würden einzelne konsti- Zeit zu Zeit dazu treibt, sich als Sozialisten zu be- tuierende Normen dieses Staates pausenlos an- kennen, die es dann aber aus Gründen der Oppor- gegriffen. tunität für besser halten, dieses Bekenntnis nicht (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Marx allzuoft auszusprechen. [CDU/CSU] : Hört! Hört!) (Beifall bei der CDU/CSU — Seiters [CDU/ Nun besteht allerdings unter deutschen Sozial- CSU] : Genauso ist es! — Zurufe von der demokraten SPD) (Zuruf von der SPD: Sozialisten!) Sechstens. Eine weitere Erklärung für das Schei- eine merkwürdige Unsicherheit darüber, ob sie tern vieler Reformprojekte ist darin zu sehen, daß Sozialisten sind oder nicht. die Sozialisten eine falsche und gefährliche Grund- vorstellung von dem Verhältnis zwischen Staat und (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU — haben. Sie sehen die Gesellschaft als - Gesellschaft Lachen und Zurufe von der SPD — Huon den wichtigeren Verband an; ihr soll sich der Staat ker [SPD] : Dann lesen Sie doch mal das unterordnen, während es in Wahrheit darauf an- Godesberger Programm!) kommt, daß sich der Staat gegenüber der Gesell- Ich erinnere mich lebhaft an eine Debatte, die wir schaft und ihren Gruppen durchsetzt. Nicht vom vor ungefähr einem Jahr hier geführt haben, als es Staat droht heute dem einzelnen Menschen Gefahr um die Frage der Behandlung von Verfassungsgeg- für seine Freiheit. Wer uns das einzureden versucht, nern ging. Damals bekannten sich Herr Kollege stellt die Wirklichkeit auf den Kopf. Gefahr droht Brandt, seinerzeit noch Bundeskanzler, Herr von dem einzelnen vielmehr durch das Überhandneh- 11028 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Dr. Carstens (Fehmarn) men der Macht einzelner Gruppen. Es ist die Auf und erst in der letzten Phase der Beratungen ent- gabe des Staates, den Menschen davor zu schützen. deckt haben will, daß es sich hier um ein unlibe- rales Verfahren handelt. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen ist das Wort von der „Demokratisierung Ein Wort an Sie persönlich, Herr Bundeskanzler. der Gesellschaft" ebenso verfehlt wie die These des Die Schwierigkeiten, in denen wir uns auf vielen Godesberger Programms, daß Demokratie erst durch Gebieten der Politik befinden, sind nicht zuletzt den Sozialismus vollendet werde. darauf zurückzuführen, daß Sie innerhalb Ihrer Koa- lition, aber vor allem auch innerhalb Ihrer eigenen (Demonstrativer Beifall bei der SPD — Dr. Partei nicht über genügend Durchsetzungskraft ver- Ehrenberg [SPD] : Haben Sie verstanden, fügen. Wir haben alle noch in Erinnerung, daß Sie was da steht? — Dr. Marx [CDU/CSU] : es wochenlang zugelassen haben, wie sich die bei- Ganz arroganter Satz!) den Minister Rohde und Friderichs öffentlich über Ich sage: Im Gegenteil, der demokratische Rechts- das Konzept zur beruflichen Bildung stritten. staat muß die oberste Autorität auch gegenüber Über die ständigen Auseinandersetzungen inner- sozialistischen Forderungen und natürlich erst recht halb der Koalition über den Entwurf zur Mitbestim- gegenüber sozialistischen Irrlehren bleiben. mung brauche ich nicht zu sprechen. In fundamen- (Beifall bei der CDU/CSU) talen ordnungspolitischen Bereichen ist die Koa- lition zerstritten. Dies ist der zweite Punkt, in dem sich die Vorstel- lungen der Regierung und der CDU/CSU fundamen- Schlimmer stehen die Dinge allerdings noch bei tal voneinander unterscheiden. Den Versuchen, ein Ihrem Verhältnis zu Ihrer eigenen Partei. Es reicht sozialistisches System in der Bundesrepublik nicht aus, Herr Bundeskanzler, wenn Sie hier kraft- Deutschland einzuführen, werden wir den entschie- volle Bekenntnisse zu Ihrer Partei abgeben, die densten Widerstand entgegensetzen. dann von Ihren Fraktionsfreunden mit lautem Bei- (Beifall bei der CDU/CSU) fall quittiert werden. Sie müssen sich darüber im klaren sein, daß große Teile Ihrer Partei eine völlig Siebentens. Der letzte Grund, den ich erwähnen andere politische Linie verfolgen als Sie. Die Vor- möchte, ist die Verflechtung der SPD mit bestimm- gänge auf dem letzten Juso-Kongreß sprechen dafür ten Gruppeninteressen. eine beredte Sprache.

(Zuruf von der SPD: Sie haben das falsche Ein weiteres Beispiel für Ihre mangelnde Autori- Manuskript erwischt!) tät sehe ich in der Sicherheitsdebatte der vergan- genen Woche. Während Sie zutreffend sagten, daß Ich spreche hier nicht gegen die Gewerkschaften, seit den Tagen der außerparlamentarischen Oppo- denen eine wichtige Funktion in unserer Wirt- sition des Jahres 1968 in unserem Lande zu vieles schaftsordnung zukommt. Ich unterstreiche das, was verharmlost und bagatellisiert worden sei, vertrat über die verantwortungsvolle Haltung einzelner Ge- der Vorsitzende Ihrer Partei, Herr Brandt, genau den werkschaften bei den Tarifverhandlungen der letz- entgegengesetzten Standpunkt. ten Zeit gesagt worden ist. (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr. Marx [CDU/CSU] : Das war ja der Ver harmloser!) Die Behandlung des Wahlverfahrens in der Regie- rungsvorlage zur Mitbestimmung ist aber der klas- Das Auseinanderfallen der Aussage des Bundes- sische Beweis für eine ungute Verquickung von kanzlers und der Aussage seines Parteivorsitzenden Parteiinteressen der SPD mit den Interessen einzel- in einer so wichtigen Frage ist eine Erscheinung, ein ner Gruppen. Tatbestand, der nicht zur Autorität dieser Regierung beiträgt und der nicht geeignet ist, dazu beizutragen, (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Ehrenberg daß die schweren Probleme, vor denen wir stehen, [SPD] : Das erzählen Sie mal im Ruhrgebiet!) gelöst werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Es gibt für das indirekte Wahlverfahren, das Wahl- verfahren durch Zwischenschaltung von Wahlmän- Meine Damen und Herren, demgegenüber hat die nern, keinen anderen Grund als den, daß man durch CDU/CSU, als sie im Bund regierte, den Nachweis dieses Wahlverfahren bestimmte gewerkschaftliche geführt, daß sie fähig ist, die entscheidenden Fra- Funktionäre bevorzugen und ihre Chancen, gewählt gen der Wirtschaftspolitik, der Arbeitsplatzsiche- zu werden, verbessern wollte, und zwar gegen den rung, der Preisstabilität und der inneren Sicherheit erklärten Willen der weit überwiegenden Mehrheit auf der Grundlage und mit den Mitteln unserer frei- der Arbeitnehmer. - heitlichen, sozialen Rechts- und Wirtschaftsordnung (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der zu lösen. SPD) (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD) Es bleibt ein bemerkenswertes Faktum, daß die FDP bis vor wenigen Wochen dieses Wahlverfah- Die Bürger sehen in der Sicherung des Bewährten ren vollinhaltlich mit getragen hat die unabdingbare Voraussetzung für notwendige Re (Widerspruch bei der FDP) formen. Für die Bereiche Familie, Beruf, Freizeit und

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Dr. Carstens (Fehmarn) die anderen gesellschaftspolitischen Bereiche erwar- geht, werden sie uns, der CDU/CSU, helfen, die Re- tet die Mehrzahl unserer Bürger sinnvolle Verbesse- gierungskoalition rungen, aber keine sozialistischen Utopien. (Wehner [SPD] : „Linkskoalition" steht hier!) (Beifall bei der CDU/CSU — Wehner [SPD] : in Düsseldorf und in Bonn abzulösen. Sie haben „gesellschaftspolitisch" verges sen!) (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU — Lachen und Zurufe von der SPD: Die Bürger unseres Landes können sich darauf ver- Zugabe!) lassen, daß die CDU/CSU alles in ihren Kräften Ste- hende tun wird, Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und (Gansel [SPD] : In ihren Kräften steht nicht Herren, ich würde Ihnen doch ganz allgemein raten, viel!) die Debatte in Zukunft mit etwas mehr Ruhe anzu- hören; es geht dann um vieles schneller. In der um die Bundesrepublik Deutschland vor dem Ver- Demokratie muß man auch andere Meinungen er- such zu bewahren, ihre innere Ordnung nach einem tragen können. sozialistischem Modell zu gestalten. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bangemann. (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD) Dr. Bangemann (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt einen Das gilt für alle Bereiche unseres gesellschaftlichen Unterschied zwischen politischer Praxis und politi- Lebens: die Wirtschaftspolitik, die Steuerpolitik, die scher Theorie, zwischen politischem Handeln und Sozialpolitik, die Bildungspolitik, die Familienpolitik der politischen Rechtfertigung. Die Union hat den und die Gesundheitspolitik. In jedem dieser Bereiche großen Vorteil, diesen Unterschied hier heute per- würden die Verwirklichung der sozialistischen Leit- sonell demonstriert zu haben: von Weizsäcker — bilder das war politische Theorie —, Strauß und Carstens — (Zuruf von der SPD: Aufhören!) das war die politische Praxis der Union. den einzelnen Bürger seiner Entfaltungsmöglichkei- (Beifall bei der FDP — Zuruf von der ten berauben und Grundlagen in Frage stellen, auf SPD: Miese Praxis!) denen unser Gemeinwesen beruht. Das ist in der Tat Meine Damen und Herren, wenn Doppelstrategie das entscheidende Thema der 70er Jahre unseres das Ganze unglaubwürdig macht, wie Herr von Jahrhunderts: Wollen wir den Weg in den Sozialis- Weizsäcker vielleicht mit Recht gesagt hat, dann mus gehen, oder wollen wir unsere freiheitliche fragt sich doch derjenige, der an Demokratie inter- Grundordnung, in deren Mittelpunkt das Wohl des essiert ist, was es bedeuten kann, wenn nicht ein- einzelnen Menschen steht, erhalten?! mal Herr Strauß von seinen Äußerungen abrückt, (Beifall bei der CDU/CSU) sondern sie in philologischer Manier interpretiert, Stilfragen, Stilunterschiede heranzieht, um zu be- Die SPD will den Sozialismus, in ihm will sie die haupten, das könne er nicht gesagt haben, anstatt zu Demokratie vollenden. Wir sehen in dieser Zielset- sagen: Ich habe es nicht gesagt. Warum sagen Sie zung eine große, unserem Land von innen drohende das nicht? Gefahr, und wir sind angetreten, dieses Ziel zu ver- eiteln. (Zustimmung bei der FDP und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Und wenn dann Herr von Weizsäcker in einer sicher bedenkenswerten Rede dazu keine Stellung nimmt, Darin liegt der geschichtliche Kern unserer Ausein- bleibt diese politische Rechtfertigung eines politi- andersetzung mit der SPD und — da sich die FDP an schen Handelns, Herr von Weizsäcker, weit hinter die Seite der SPD stellt — auch unsere Auseinander- Ihren eigenen moralischen Maßstäben zurück. setzung mit der FDP. (Beifall bei der FDP und der SPD) (Hoffie [FDP] : Was ist denn christlicher Ich habe Ihrer Rede sehr aufmerksam zugehört. Sozialismus!) Ich gehöre zu denjenigen, die Ihnen auch zubilligen, Die Bürger in unserem Lande haben das verstanden. daß das, was Sie sagen, Ihrer eigenen Überzeugung Alle Vernebelungsversuche der Herren Brandt und entspricht. Ich halte Ihre Rede auch in Teilen für Kühn und die Ablenkungsmanöver der führenden bedenkenswert, wenngleich sie sicher nicht aus- FDP-Politiker vermögen daran nichts zu ändern. reicht, Sie nun auch noch mit in den Kreis der Kanzlerkandidaten aufnehmen zu lassen. (Nordlohne [CDU/CSU] : Sehr richtig!) - (Oh-Rufe bei der CDU/CSU) Die Mehrheit der Bürger in unserem Lande miß- — Ja, nun, meine Damen und Herren, das ist die traut dem Sozialismus Schwierigkeit, vor der wir im Augenblick stehen. Wenn jemand von Ihnen eine Rede hält, hat man (Stücklen [CDU/CSU] : Sehr gut!) immer die Frage im Hinterkopf: Ist das auch noch und seinen ideologischen und letztlich menschen einer? feindlichen Thesen — und ich glaube, zu Recht. In (Beifall bei der FDP — Zuruf von der CDU/ dem Maß, wie sie verstehen, daß es um diese Frage CSU: Sie sind keiner, Herr Bangemann!) 11030 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975

Dr. Bangemann Es mag sicher auch richtig sein, Herr von Weiz- mögliche Alternative von Politik zugestehen muß, säcker, daß der, der die SPD wählt, die ganze SPD soweit und solange sich diese Politik im Rahmen wählt. Das ist richtig. Aber trifft das nicht für Sie der Verfassung hält. Diesen Nachweis, Herr Car- auch zu? Ist es nicht auch richtig, daß, wer von stens, müssen Sie führen, wenn Sie Positionen der Weizsäcker und Leisler Kiep wählt, damit auch Regierung als prinzipiell unmöglich, als unmensch- Herrn Strauß und Herrn Dregger wählt? lich, angreifen wollen, den Nachweis, daß sich das nicht im Rahmen der Verfassung hält. Und das ha- (Beifall bei der FDP und der SPD — Wei ben Sie nicht getan. tere Zurufe von der CDU/CSU: Sehr richtig! Das wollen wir auch! — Niveau, (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Car Niveau!) stens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Das sind zwei verschiedene Schuhe!) Meine Damen und Herren, diese Auseinander- setzung um politische Theorie und Rechtfertigung Meine Damen und Herren, das ist doch das Pro- politischen Handelns ist sicher nicht akademisch. Im blem, vor dem Sie stehen, das Problem, daß Sie Vergleich dessen, was man zur Rechtfertigung sei- selbst in allem, was Sie sagen und tun — auch Sie, nes politischen Handelns sagt, mit dem, was man Herr Carstens —, diesem Anspruch, den Herr von tatsächlich tut, wird natürlich auch deutlich, wie Weizsäcker hier dargestellt hat, gerecht werden müs- glaubwürdig man ist, und wird auch deutlich, wie sen. So leid es mir für Herrn von Weizsäcker tut, weit man das, was man politisch tut, so rechtfertigen der mit großer Ehrlichkeit das hier vorgetragen hat, kann, daß es in der Öffentlichkeit abgenommen ich habe den Verdacht, wir alle haben den Verdacht, wird. Und auch in der Art und Weise, wie man den daß der Sandkuchen von Sonthofen hier mit Zucker- politischen Gegner — den politischen Feind, muß guß überzogen worden ist, damit er genießbar wird. man manchmal sagen — charakterisiert und zu ana- (Beifall bei der SPD und FDP) lysieren versucht, wird deutlich, wie die eigene Po- Das ist eben das, was Ihnen die Öffentlichkeit nicht sition ist. abnehmen wird; denn die Distanz, Herr von Weiz- Ich habe hier für die liberale Fraktion zu sprechen. säcker, zwischen Sonthofen und Loccum ist zu groß, In dieser Fraktion gibt es keinen sozialistischen Teil, als daß Sie sie überbrücken könnten. Herr Carstens; deswegen brauche ich zum Problem (Beifall bei der SPD und FDP) des Sozialismus von unserer Fraktion aus nicht Stel- lung zu nehmen. Aber ich sage Ihnen: Wenn Sie be- Wenn diese gegenseitige Toleranz Wesensele- haupten, daß der Sozialismus nur eine lebensfeind- ment von Demokratie ist, dann muß man eben den liche, menschenfeindliche Politik betreiben kann, Mut haben, seine eigene Meinung auch einmal zu verlassen Sie das Maß an politischer Toleranz, das relativieren; dann darf man nicht mit dem Abso- in diesem Hause gegenüber allen Fraktionen not- lutheitsanspruch auftreten, mit dem Sie hier heute, wendig ist. Herr Professor Carstens, aufgetreten sind, übrigens auch in dem, was Sie an Kritik zur Rede des Kolle- (Beifall bei der FDP und der SPD — Möl- gen Ehrenberg gesagt haben. Ich fand, über Fragen ler [Lübeck] [CDU/CSU] : Was machen Ihre des Stils sollten sich nicht diejenigen unterhalten, Jungdemokraten? — Rawe [CDU/CSU] : Es die miteinander streiten. Das sollte man anderen gibt aber sicher Edelsozialisten bei Ihnen!) überlassen, wenn man nicht den naheliegenden Vor- Es ist sicher auch richtig, daß Pragmatismus nicht wurf rechtfertigen will, man wolle sich nicht inhalt- ausreicht, um Politik zu rechtfertigen. Aber genauso lich mit dem auseinandersetzen, sondern allein an schwierig ist es, als Pragmatiker zu erkennen, daß der Art der Auseinandersetzung seine eigene Kritik man auch dann vor einem Werthintergrund agiert, aufbauen. wenn man glaubt, nur pragmatisch zu handeln, und (Zuruf von der CDU/CSU: Aber Sie tun es das ist eine viel größere Gefahr. Die eigentliche doch gerade Herr Bangemann!) Gefahr besteht nicht dann, wenn man sich über seinen Werthintergrund klar ist, sondern die eigent- — Nein, das tue ich nicht. Ich mache hier nicht eine liche Gefahr für politisches Handeln besteht dann, derartige Kritik, wie sie Herr Professor Carstens wenn man glaubt, pragmatisch zu handeln, und da- gemacht hat, sondern ich versuche, mich inhaltlich bei in Wahrheit einer Ideologie erliegt, die man mit dem auseinanderzusetzen, was er gesagt hat. nicht erkennt. Der Verdacht ist eben da, wenn er sagt, Sozialisten seien unfähig, menschliche Reformen zustande zu brin- Und, Herr von Weizsäcker, es ist auch notwendig, gen, daß er diesen Standpunkt gegenseitiger Tole- daß politische Handlungen und politische Haltungen renz verlassen hat, daß er einen Anspruch verlassen alternativ sein können, alternativ sein müssen; sie hat, den man in der Demokratie nicht aufgeben brauchen auch einen unterschiedlichen Werthinter- sollte: daß man sich auch irren kann. Herr Profes- grund. Ich bestreite nicht, daß das, was Sie gesagt - sor Carstens gibt diesen Anspruch auf, und damit haben, eine denkbare Weise, Politik zu machen, sein bewertet und beurteilt er selbst seine eigene Posi- kann. Aber auf der anderen Seite müssen Sie dann tion, nicht ich, der ich das jetzt ausführe. vor dem Hintergrund, den Sie selber skizziert haben, vor dem Hintergrund auch des christlichen Engage- Verteidigung der Toleranz — das ist auch ein ments, mit dem Sie hier sicher gesprochen haben, Thema in der Auseinandersetzung mit Terroristen Ihrem eigenen Fraktionsvorsitzenden sagen, daß ist eine Aufgabe politischer Praxis und nicht nur man dann anderen Parteien, anderen Fraktionen politischer Theorie. Hier kann sich niemand hinstel- einen anderen Werthintergrund als denkbare und len und eine andere Fraktion und eine andere große Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11031

Dr. Bangemann Partei in dieser Weise angreifen, wie Sie das getan dann betreibt man zerstörerische und nicht nur haben, Herr Professor Carstens, ohne sich den Vor- oppositionelle Kritik. wurf zuzuziehen, von politischer Toleranz wohl zu (Beifall bei der FDP und der SPD — Strauß reden, aber in der politischen Praxis diese Toleranz [CDU/CSU] : Nachrichtenschwindler!) nicht zu beachten. Das ist das, was man Ihnen ent- gegenhalten muß. Toleranz heißt nämlich auch, Herr Strauß, eine Ver- pflichtung zum gemeinsamen Handeln für gemein- (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. same Zwecke. Und diese Verpflichtung sind Sie nicht Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Sagen Sie mehr bereit zu übernehmen. doch dem Jochen Steffen, daß er etwas an deres schreiben soll!) (Beifall bei der FDP — Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Ihre Fehler mit vertuschen sol Wir, die Liberalen, haben den Kampf gegen Ter- len wir! — Zuruf des Abg. Haase [Kassel] roristen und gegen diejenigen, die die Demokratie [CDU/CSU] sowie weitere Zurufe von der bedrohen, immer als Kampf an zwei Fronten auf- CDU/CSU) gefaßt: In solchem gemeinsamen Handeln, meine Damen und (Zuruf von der CDU/CSU: Besonders die Herren, und nur in solchem gemeinsamen Handeln Jungdemokraten!) entstehen die Grundlagen für gesellschaftliches und Einmal an der Front gegenüber denjenigen, die menschliches Zusammenleben, von dem Herr von glauben, mit Gewalt politische Reformen, politische Weizsäcker gesprochen hat. Vorstellungen durchsetzen zu können; das ist aber (Nordlohne [CDU/CSU] : Das müssen Sie nur die eine Seite der Medaille. Verteidigung des Wehner erzählen!) Rechtsstaates gegen seine Feinde heißt eben auch, daß diese Verteidigung mit rechtsstaatlichen Mitteln Das allein kann auch die Rechtfertigung staatlichen durchgeführt werden muß, wenn sich der Rechtsstaat Handelns sein. Staat ist kein Selbstzweck. Nach dem in seiner Verteidigung nicht selbst aufheben will; Staat zu rufen um des Staates willen, das ist die Ver- das ist die andere Seite der Medaille. Der Satz: „Der fehlung menschlichen Zusammenlebens; das ist nicht Zweck heiligt die Mittel" kann und darf nicht die die Erkennntnis dessen, was menschliches Zusam- Maxime demokratischen Handelns sein, weder für menleben konstitutiert. die Regierung noch für die Opposition. Der Staat ist auch nicht, Herr Professor Carstens, (Beifall bei der FDP) ein über den einzelnen oder die Gesellschaft sich heraushebendes für sich existierendes Wesen mit Deswegen steht hier nicht zur Debatte, was Herr eigenen Rechtfertigungskriterien, mit einer eigenen Strauß heute morgen glaubte behaupten zu müssen, Moral. Das ist in der Tat ein prinzipieller Unter- daß Kritik nicht mehr zugelassen sei. Sie haben aus- schied zwischen Staatsauffassungen, die wir, die Li- führlich Gelegenheit gehabt, auch in einer solchen beralen, geprägt und mitgestaltet haben, und Ihren Debatte und in dem, was Sie im übrigen tun kön- eigenen, die Sie hier offenbar demonstriert haben. nen, zu kritisieren. Darum geht es nicht. Hegel begründet in seiner Rechtsphilosophie den konservativen Dualismus zwischen Gesellschaft als (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber eihem System der Bedürfnisse und dem Staat als freundlich, daß Sie uns das zubilligen!) Wirklichkeit der sittlichen Idee. Ganz offenbar ste- Das ist eine Selbstverständlichkeit. Aber Herr hen Sie vor dem Hintergrund dieser Staatsidee, Strauß scheint diese Selbstverständlichkeit offenbar wenn Sie Ihre Ausführungen zum Staat machen. Der gar nicht mehr zu bemerken. Liberalismus und auch der Sozialismus haben dies (Strauß [CDU/CSU] : Die letzten fünf Jahre schon früher als Rationalisierung eines Machtanspru- bin ich mißtrauisch geworden!) ches entlarvt. (Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Das — Sie haben auch die letzten fünf Jahre reden kön- galt für den monarchischen Staat! Das nen, wenn Sie da waren. stimmt alles nicht mehr!) Es geht also nicht um den Versuch, Kritik abzu- Das ist nichts anderes gewesen, meine Damen und töten, sondern es geht um den Versuch, statt kriti- Herren, als das, was vor einer konstitutionellen De- scher Opposition zerstörerische Opposition zu be- mokratie jeder Potentat betrieben hat, seine per- treiben. Das ist das, was man abwehren muß; denn sönliche Autorität und Macht zu rechtfertigen, indem das richtet sich nicht allein gegen eine Regierung. er auf einen ihm allein zugänglichen Kodex von Das Schicksal einer Regierung mag eine temporäre Normen zurückgegriffen hat. politische Frage sein. Das Schicksal einer Regierung ist auch eine Frage, die nicht unmittelbar zu den (Möller [Lübeck] [CDU/CSU]: Wie Brandt Wesenselementen unserer Demokratie gehört.- Wenn und Kühn!) man aber glaubt, in seiner Kritik an einer Regie- Wenn Sie so Staat verstehen, dann verstehen Sie rung auch die Elemente dieser Demokratie mit an- ihn eben nicht in einem demokratischen Sinne, dann greifen zu müssen, wenn man glaubt, um die Macht verstehen Sie ihn jedenfalls nicht, so will ich mich zu erreichen, Not und Chaos in Kauf nehmen zu jetzt einschränken, wie Liberale und wie auch Sozia- müssen, wie Sie gesagt haben, listen Staat verstehen. (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Wir wollen (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten nicht die Macht, sondern nur die Mehrheit!) der SPD) 11032 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Dr. Bangemann Zum liberalen Kampf, meine Damen und Herren, Diese Mitbestimmung, meine Damen und Herren muß man auch einen Blick in die Geschichte werfen, von der Opposition, wird Sie in diesem Bundestag und da verstehe ich manchen Ton von Überheblich- noch beschäftigen, und dann kommt die Stunde der keit und Selbstbewußtsein nicht, den Ihre Sprecher Wahrheit. Dann können Sie Ihre ganze soziale immer in diese Debatte hineintragen. Wo haben sich Emphase in die Abstimmung legen, und dann wollen denn in der Vergangenheit Konservative daran be- wir einmal sehen, wer für die Schwachen eintritt, teiligt, diesen demokratischen Staat zu erreichen, in Herr von Weizsäcker. dem wir heute leben? (Beifall bei der FDP und der SPD) (Na, na! bei der CDU/CSU) Das möchte ich doch einmal erleben — Sie sagen ja Das waren doch in erster Linie Liberale, die dafür selbst, daß diese mächtigen Gruppen eine Position gesorgt haben, daß wir in diesem Staate mit einem in unserem Staat errungen haben, die zu Bedenken Grundgesetz leben können, das, wie Sie selbst sicher Anlaß gibt —: Wo liegen Sie denn in dem erbitter- auch zugeben werden, diesen Ansprüchen der Demo- ten Kampf mit Arbeitgeberverbänden? Wo ist denn kratie Genüge leistet. das festzustellen? Bezahlen nicht diese Leute Ihre (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Das Heute ist Anzeigen? Wo ist denn Ihr Kampf mit diesen Ver- entscheidend!) bänden? Im Kampf, meine Damen und Herren von der CDU/ (Bravo-Rufe und Beifall bei der FDP und CSU-Fraktion, wenn es darum geht, Menschlichkeit der SPD) und Demokratie durchzusetzen, waren, jedenfalls in Das ist die Heuchelei, von der Sie sich lossagen der Vergangenheit, Ihre Vorväter nie auf dem müssen, wenn Sie in diesem Hause ernst genommen Schlachtfeld zu erblicken. Nur bei den Siegesfeiern werden wollen. haben sie sich eingestellt. (Beifall bei der FDP und der SPD — Haase (Beifall bei der FDP und der SPD — Zuruf [Kassel] [CDU/CSU] : Heuchelei? — Jetzt des Abg. Möller [Lübeck] [CDU/CSU]) geht das schon wieder los!) So ist es auch heute. Man kann sich doch wirklich Sie können nicht mit dem Pfund der Stimmen der nur mit einer gewissen Ironie anhören, was Herr Schwachen, die Sie hofieren, immer wieder das Geld von Weizsäcker zur Reformpolitik gesagt hat, auch der Mächtigen bekommen wollen. Das ist eine Heu- zur Reformpolitik dieser Regierung. Meine Damen chelei. und Herren, wenn man sich einmal anschaut, mit (Beifall bei der FDP und der SPD — Mau wieviel Anstrengungen und Mühen, damals unter cher [CDU/CSU] : Heuchelei ist ein böses Demontage eines jetzt wieder aufgepäppelten Kanz- Wort! — Zuruf des Abg. Strauß [CDU/CSU]) lerkandidaten, des Herrn Kohl, Sie zur paritätischen Mitbestimmung in Ihrem Programm gekommen — Herr Strauß, ich zähle Sie in dem Zusammenhang sind, — — nicht zu den Schwachen. (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Keine Lüm (Heiterkeit bei der FDP und der SPD — meleien!) Weiterer Zuruf des Abg. Strauß [CDU/CSU]) — Was heißt denn da „Lümmelei"? Natürlich gehört zu einem demokratischen Staat (Weiterer Zuruf des Abg. Möller [Lübeck] auch die Verpflichtung zur Achtung vor den demo- [CDU/CSU]) kratischen Institutionen. Ich bitte Sie! Wenn ich Sie an Ihre Leiden erinnere, (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!) Herr Kollege, dann tue ich das in christlicher Demut. Das betrifft auch das Bundesverfassungsgericht. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der SPD) Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter Bangemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Was berechtigt Sie denn eigentlich dazu, dieser Abgeordneten Breidbach? Regierung vorzuwerfen, sie sei nicht entschieden genug dabei, Reformen durchzusetzen? Was von Ihren eigenen Vorstellungen über Reformen berech- Dr. Bangemann (FDP) : Bitte sehr. tigt Sie dazu? Wo ist denn Ihr Gesetzentwurf zur Mitbestimmung, wo Sie das alles im Wahlverfahren Breidbach (CDU/CSU) : Herr Kollege Bange- so schön regeln, was eben so ungeheuer kompliziert mann, nachdem Sie von der Anzeigenunterstützung ist? Wo ist er denn? der Industrie für die Christlich-Demokratische Union (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Wir messen gesprochen haben, möchte ich Sie fragen, ob es stimmt, daß 50 % Ihrer Gesamteinnahmen aus Spen- Sie an Ihren Worten! — Weitere Zurufe- den der Industrie bestehen. von der CDU/CSU) (Dr. Evers [CDU/CSU]: Eine Heuchelei!) Wo ist er denn, meine Damen und Herren? (Erneute Zurufe von der CDU/CSU) Dr. Bangemann (FDP) : Nein, das stimmt nicht. — Geben Sie sich da keinen Illusionen hin: (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Nein, es sind (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Wo habt Ihr 60 %! — Weitere Zurufe von der CDU/ denn den Reformkanzler gelassen?) CSU) Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11033 Dr. Bangemann Herr Breidbach, das stimmt nicht. Ich habe Ihre Aber Herr Lenz, wenn Sie sich so leicht ab- Frage beantwortet. Darf ich in meinem Gedanken- schrecken lassen, wie wollen Sie dann je die gang zum Bundesverfassungsgericht jetzt vielleicht Regierung übernehmen? fortfahren? (Beifall bei der FDP und der SPD — Zuruf (Lachen bei der CDU/CSU — Zurufe von von der SPD: Das kann der ja auch nicht! — der CDU/CSU: 60 % — Maucher [CDU/ Abg. Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] tritt CSU] : Sind es dann 70 %? 80 % oder mehr?) wieder an das Mikrophon — Lachen bei — Ich habe die Antwort gegeben: Es stimmt nicht, der FDP und der SPD — Dr. Lenz [Berg was Herr Breidbach gesagt hat. straße] [CDU/CSU] : Nach dem Abgeord neten Breidbach! Aber diese Abqualifizie (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU) rung meines Kollegen lasse ich nicht zu! — Sie können das ja alles nachlesen. Sie brauchen — Beifall bei der CDU/CSU) ja nur im Bundesanzeiger die Rechnungslegung Diese Diskussion über das Urteil des Bundesver- nachzulesen, zu der Parteien verpflichtet sind, und fassungsgerichts kann ein sehr gutes Ergebnis ha- dann außerdem noch nachzuschauen, wie oft bei Ih- ben, das Ergebnis nämlich, daß sich das Selbstver- nen der Name „Anonym" auftaucht. Das brauchen ständnis dieses Gerichtes etwa dem des amerikani- Sie nur nachzuschauen. schen Gerichtes, von dem Herr Professor Carstens (Beifall bei der FDP und der SPD — Möl gesprochen hat, annähert. Das wäre sehr gut. Das ler [Lübeck] CDU/CSU] : War Gerling nicht würde uns auch eine völlig unnütze Diskussion über FDP-Mitglied?) das Wahlverfahren ersparen. Ich halte es für außerordentlich bedenklich, wenn anläßlich dieses Das Bundesverfassungsgericht ist eine Institution Urteils hier und da eine Diskussion über das Ver- unseres demokratischen Rechtsstaats. fahren der Wahl zum Bundesverfassungsgericht ent- (Strauß [CDU/CSU] : War Herr Herstatt steht. Darüber darf kein Zweifel herrschen: Dieses auch dabei?) Wahlverfahren ist so angelegt, daß jeder Richter Dieses Bundesverfassungsgericht kann also in sei- die Chance hat, zu einem Selbstverständnis zu kom- ner Position niemals durch jemanden, der diese men, das ihm ein unparteiisches Urteil gestattet. Wir demokratische Institution ernst nehmen will, ange- führen die Diskussion so, daß dieses Selbstverständ- griffen werden. Das heißt aber nicht, daß man sich nis in diesem Gericht wachsen kann. in einer politischen Diskussion über ein Urteil dieses Wir müssen uns aber auch bei der Debatte, die Bundesverfassungsgerichts nicht kritisch unterhal- Sie noch einmal aufgegriffen haben, Herr Professor ten und auseinandersetzen kann. Carstens, über staatliches Handeln im Sinne von (Dr. Evers [CDU/CSU] : Aber nicht, bevor innerer Sicherheit daran erinnern, daß staatliches es ergangen ist!) Handeln durch die Werte beschränkt wird, die un- sere demokratische Gesellschaft konstituieren. Ich Das ist auch notwendig, insbesondere bei dem Urteil meine, Sie haben dem Kollegen Brandt, der in einer zu § 218; denn das haben ja nicht wir, die Parlamen- sehr, sehr guten Rede dazu etwas gesagt hat, un- tarier gesagt, sondern das steht in dem Minderhei- recht getan. Sie haben ihm unrecht getan, weil er tenvotum des Ersten Senats drin. dieser Diskussion über die Frage, ob man einer Er- (Zurufe von der SPD: Sehr richtig!) pressung durch Terroristen nachgeben soll oder Diese Bedenken verfassungsrechtlicher Art — nicht nicht, eine Dimension gegeben hat, die sie eigentlich einmal sachlicher Art; darüber könnte man ja auch auf den Kern dessen, was zu entscheiden war, zu- noch diskutieren — gegen die Kompetenz und Posi- rückgeführt hat, nämlich daß sich ein demokrati- tion des Bundesverfassungsgerichts stammen doch scher Rechtsstaat, der diesen Grundwert des nicht von uns, sondern sie stammen von der Minder- menschlichen Lebens nicht in allen Situationen heit des Ersten Senats des Bundesverfassungsge- schützt, auch in einer Situation der Ohnmacht — richts selbst. wie Willy Brandt das genannt hat , aufgibt. Die- (Beifall bei der FDP und der SPD) ser Erkenntnis, meine Damen und Herren, sollten Sie sich anschließen, weil das staatliches Handeln so begründen kann, daß es auch demokratischen Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter Ansprüchen genügt. Dr. Bangemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage (Beifall bei der FDP und der SPD) des Abgeordneten Breidbach und des Abgeordneten Dr. Lenz? Dieser Werthintergrund, von dem Herr von Weiz- säcker gesprochen hat, ist im Grunde ein Wert- - Dr. Bangemann (FDP) : Da ich vermute, daß hintergrund von Individualpositionen. Das ist eine Bestätigung auch der Liberalen und der Auffassung mich der Abgeordnete Dr. Lenz zum Bundesverfas- sungsgerichts fragen wird, Herr Breidbach aber von Werthintergrund politischen Handelns heute. nicht, gestatte ich nur die Zwischenfrage von Herrn Ich glaube auch, daß es da einen fundamentalen Un- Lenz. terschied zwischen Konservativismus, Sozialismus (Heiterkeit und Zustimmung bei der FDP und Liberalismus gibt. und der SPD — Abg. Dr. Lenz [Bergstraße] (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Libe [CDU/CSU] verläßt das Mikrophon) ral sind wir alle!) 11034 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Dr. Bangemann — Herr Mertes, ich würde Ihnen zugestehen: In schaftlichen Zwang aufgefordert werde und wenn einem weiteren Sinne sind auch Sie liberal, d. h. in Bereitschaft zu Innovation gefordert werde. dem weiteren Sinne: liberal gleich sympathisch. (Strauß [CDU/CSU]: Und Widerstandstech (Heiterkeit — Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/ nik! Genau zitieren!) CSU] : Das war billig!) Das sei — haben Sie gesagt — Handreichung für Terroristen. Aber das heißt nicht, Herr Mertes, daß Sie in einem politischen Sinne zu den Liberalen zu zählen sind. (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Vollständig Ich werde Ihnen gleich nachweisen, warum das bei zitieren! — Zuruf des Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]) Ihnen nicht möglich ist. Dabei unterscheide ich mich von dem Kollegen Professor Carstens in dem Wenn man sich das einmal vor Augen hält — las- Punkt, daß ich, Herr Professor Carstens, mit mei- sen Sie mich, Herr Mertes, jetzt erst einmal den nem Urteil, nämlich daß Herr Mertes nicht ein Gedanken zu Ende führen — , daß hier Widerstand Liberaler ist, eben keine despektierliche Meinung gegen gesellschaftlichen Zwang und Bereitschaft zur von Herrn Mertes, verbinde. Das ist ein großer Un- Innovation als undemokratisch charakterisiert wer- terschied zu dem, was Sie beispielsweise über den den, ja gar als terroristische Anweisung, dann, muß Sozialismus gesagt haben. man sagen, besteht in der Tat ein himmelweiter Unterschied zwischen einem Konservativen und (Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Ich einem Liberalen. habe von Ihnen auch keine despektierliche Meinung, Herr Bangemann!) (Beifall bei der FDP und der SPD — Strauß [CDU/CSU] : Zitieren Sie doch genau! Sie haben das Zitat verfälscht!) — Ah, ich bedanke mich sehr dafür. Dann würden Sie mich wohl zum liberalen Teil der Liberalen Denn, Herr Strauß — und das gilt auch für Sozia- zählen. Vielen Dank. listen —, Widerstand gegen gesellschaftlichen Zwang und Bereitschaft zur Innovation machen nicht Dieser fundamentale Unterschied zwischen den den Terroristen, sondern machen den kritischen Positionen der Konservativen, der Liberalen und der Demokraten aus. Sozialisten besteht nicht hinsichtlich der Anerken- nung des Grundsatzes, daß menschliche, moralische (Beifall bei der FDP und der SPD — Möller und politische Momente, Situationen des Indivi- [Lübeck] [CDU/CSU] : Bangemann fälscht duums in der Politik die ausschlaggebende Rolle schon wieder! — Strauß [CDU/CSU] : Sie spielen müssen, sondern der Unterschied liegt darin, haben schon wieder das Zitat gefälscht!) daß der Sozialismus sagt: Der einzelne kommt zu Sie wollen das auch eigentlich gar nicht in diesem sich selbst, verwirklicht sich selbst nur in der Ge- Sinne heranziehen, sondern was Sie wollen, Herr sellschaft. Sozietät ist also für einen Sozialisten Strauß, ist etwas, was viel, viel gefährlicher ist als das principium fundamentalis der Individualität. Das ein Meinungsunterschied zwischen uns und Ihnen: ist ein ganz gewichtiger Unterschied zum Liberalis- Sie wollen Grenzen verwischen. Sie wollen die mus, auch zu dem, wie ich glaube, was man zu kon- Grenze verwischen, die zwischen einem kritischen servativen Grundanschauungen zählen kann. Der Demokraten und einem Terroristen besteht, und das Konservativismus geht davon nämlich nicht aus; machen Sie bewußt. aber er bezieht in seine Vorstellung von Individuali- (Beifall bei der FPD und der SPD — Strauß tät immer wieder das sein, was vorgegeben ist, was [CDU/CSU] : Kommunisten sind ja auch kri in der Gesellschaft oder in staatlichen Organisa- tische Demokraten!) tionsstrukturen an Moral vorhanden ist. Er versucht, den einzelnen in diese Moralvorstellungen zu brin- Diese Verwischung von Grenzen ist zunächst ein- gen, ihn zu adaptieren. mal Aufgabe von Rationalität. Rationalität besteht eben in der Fähigkeit, unterscheiden zu können Das ist sehr schön deutlich geworden bei einer zwischen terroristischer Gewalttat und kritischer An- Bemerkung von Herrn Strauß, der auch ab und zu teilnahme des Bürgers am politischen Geschehen. von sich behauptet, er sei ein Liberaler. Aber das Diese Verwischung der Grenzen ist aber auch Ver- nehme ich eigentlich mehr als eine Erinnerung an letzung von Toleranz. Herr von Weizsäcker, von etwas, was er vielleicht einmal hätte werden kön- Toleranz kann man nicht nur reden, sondern Tole- nen, aber nicht geworden ist. ranz muß man üben. (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr gut! — (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Keine Lüm Tun Sie das mal fleißig!) meleien! Vorsichtig! — Strauß [CDU/CSU] : Das waren noch echte Liberale! Heute sind Wer den Grundwert „menschliches Leben" in jeder es die nachgemachten!) - Situation verteidigen will, der muß sich auch gegen alle Versuche zur Wehr setzen, Meinungen totzu- — Herr Strauß, ich denke dabei an eine Bemerkung, schlagen. Denn menschliches Leben besteht auch die Sie zu etwas gemacht haben, was in den Rah- darin, daß jemand seine Meinung äußern kann. menrichtlinien von Nordrhein-Westfalen steht. Sie Manchmal, Herr Dregger, hat man das Gefühl, daß haben das kritisch zitiert und gesagt, es sei wohl bei aller Berechtigung einer Debatte um innere das Ende einer demokratischen Gesellschaft und Sicherheit, um polizeiliche Maßnahmen, die unsere Haltung, wenn dort zum Widerstand gegen gesell Innenminister wirklich mit großer Effizienz durchge- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11035 Dr. Bangemann führt haben, bei dieser Debatte auch eine Grenze was in einer Zeitung geschrieben wird. Das ist z. B. verwischt wird und daß mit dieser Gewährleistung eine Widerstandstechnik. von innerer Sicherheit etwas aufgegeben werden (Beifall bei der FDP und der SPD — Strauß soll, was zum Inhalt von Meinungsfreiheit gehört. [CDU/CSU]: Darum haben Sie dauernd den Das ist ein Weg, den die Liberalen nicht mitgehen „Spiegel" zitiert!) werden. Denn wer sich gegen Gewalt verteidigen Das ist das Problem, und daran entscheidet sich auch will, wer innere Sicherheit herstellen will, der will die Frage, wie sehr Sie eine moderne Gesellschaft das, weil er Demokratie will, und Meinungsfreiheit wollen, ob Sie Modernität als einen Grundsatz Ihrer gehört zur Demokratie. Die Hatz auf Andersden- Politik anerkennen. Denn diese Zwänge sind nicht kende, Herr Dregger, gehört nicht zur Demokratie. allein ein Merkmal des kapitalistischen Systems. (Beifall bei der FDP und der SPD — Zurufe Diese Zwänge entstehen durch eine Entwicklung der von der CDU/CSU) Technik, durch Arbeitsteilung, durch eine weite Ent- Wer leugnet denn, Herr Strauß, daß es in der fernung des Menschen von seinen natürlichen Res- Industriegesellschaft auch Zwänge gibt, denen der sourcen. Das ist eine Situation, die man überall in einzelne entkommen muß, wenn er zu menschlichem der Welt, jedenfalls in einem entwickelten Indu- Leben kommen will? Wer leugnet das? strieland, vorfindet, ob es nun sozialistisch, kapita- listisch, kommunistisch oder wie auch immer sich ge- sellschaftlich organisiert. Herr Abgeordneter Vizepräsident Dr. Jaeger: Der Widerstand gegen diesen Zwang beseitigt Bangemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des den Krebsschaden, den der einzelne in einer solchen Herrn Abgeordneten Strauß? modernen Industriegesellschaft erleiden kann, den nämlich, zur Konformität gezwungen zu werden. Das Dr. Bangemann (FDP): Das würde jetzt eine ist die eigentliche Gefahr, in der wir heute in unse- Benachteiligung des Abgeordneten Lenz sein, aber rer Gesellschaft leben, daß technische Entwicklun- ich will es trotzdem gestatten. Bitte sehr! gen, gesellschaftliche Strukturierungen, z. B. das Problem der Gruppen, zur Konformität zwingen, daß Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter der einzelne nicht mehr als einzelner gewertet wird, Strauß zu einer Zwischenfrage! sondern nur noch als Mitglied einer Organisation, als Mitglied einer Gruppe. Da muß ich zu dem, was der Bundeskanzler zu Strauß (CDU/CSU) : Sind Sie sich bewußt, Herr den Gewerkschaften gesagt hat, eine Anerkennung Kollege Bangemann, daß Sie vorher das mir von machen. Denn die Position der Gegenmacht, die hier Ihnen in den Mund gelegte Zitat durch Weglassen Gewerkschaften zugeschrieben worden ist, ist eine entstellt und damit den Sinn verfälscht haben? Position in einer unbefriedigenden Situation und (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Wie immer deswegen nur eine Notlösung. bei dieser Regierung!) (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Wi Denn ich habe heute gesagt — als Auszug aus den derstandstechnik!) Richtlinien für den politischen Unterricht in Nord- Jede Organisation, jeder große Verband lebt in rhein-Westfalen 1973; die ursprüngliche Fassung, einer für ihn charakteristischen Gefahr, der Gefahr jetzt kaum geändert —: „Kenntnis und Entwicklung nämlich, das Handeln für den einzelnen, für den, von Innovationsverfahren" das steht nicht zur für den er eintreten will, so zu prolongieren, daß Widerstandstechniken". Ich Diskussion — „oder der einzelne zur Mündigkeit unfähig gemacht wird habe im Anschluß daran gesagt: das ist die Hand- durch die Betreuung der Organisation. reichung für Radikale. (Wehner [SPD]: Na! Na! Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Hört! Hört!) Dr. Bangemann (FDP) : Aber, Herr Strauß, sind Sie sich denn nicht bewußt, daß Sie jetzt in Perfek- — War das ein Aufruf an Ihre Fraktion? Ich kann tion demonstriert haben, was wir Ihnen vorwerfen, dem nur zustimmen. Ich kann auch die Mitglieder Ihrer Fraktion, soweit sie hier versammelt sind, nur (Beifall bei der SPD und der FDP) bitten, mir da genau zuzuhören. nämlich die Verwischung von Grenzen? Hier wird (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber nicht von Innovationsverfahren gesprochen, die schon viel verlangt!) darin bestehen können, Bomben zu basteln, und hier — Wie Ihr Zwischenruf beweist, tun Sie es aber. wird auch nicht von Widerstandstechniken gespro- chen, die darin bestehen könnten, Terrorakte aus- Diese Macht von Organisationen, von gesell- zuüben, sondern hier wird versucht, Herr Strauß, schaftlichen Verbänden, ist in der Tat die Heraus- - Verfahren und Techniken vorzuschlagen und zu ent- forderung an jede Partei, an jeden, der heute für wickeln, die den Bürger dieser modernen Industrie- Individualität eintreten will. Das kann man nicht gesellschaft in die Lage versetzen sollen, sich gegen dadurch bewerkstelligen, daß man das von der die vielfältigen Zwänge dieser Gesellschaft zur Wehr Charakteristik und der Auseinandersetzung mit zu setzen, z. B. auch dagegen, worunter Sie angeblich Machtproblemen abhängig macht. Denn Macht --- leiden, nämlich z. B. einer falschen Berichterstattung. und das ist vielleicht ein Charakteristikum für Libe- Eine Widerstandstechnik, die man lernen muß, Herr rale ist einem Liberalen immer unheimlich — Strauß, besteht auch darin, nicht allem aufzusitzen, auch Macht, die zu einem menschlichen Zweck aus- 11036 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn. Mittwoch. de n 19 März 1975 Dr. Bangemann geübt werden soll, die dazu beitragen soll, den Men- Politik ausmacht, steht in einem polaren Verhältnis schen zu emanzipieren. Denn die wahre mensch- zu dem Wert gesellschaftlicher Normen, zu dem, liche Freiheit, jedenfalls im Verständnis eines Libe- was in einer Gesellschaft vom einzelnen verlangt ralen, besteht darin, daß ein Mensch in seinen eige- wird. Aber bei der Entscheidung in diesem polaren nen, für ihn eigentümlichen Grundwerten geachtet Gegensatz werden sich jedenfalls Liberale für den und nicht nach Mitgliedschaftsrechten berechnet und Vorrang des einzelnen, für den Vorrang von Indivi- gewertet wird und nicht nur dann etwas gilt in sei- dualität entscheiden. Ich will damit nicht behaup- nem Selbstverständnis, wenn er Mitglied einer ge- ten, daß der einzelne als ein autonomes Wesen ohne sellschaftlichen Gruppe ist. Sozialbindung existieren könne, daß er auch los- (Beifall bei der FDP — Dr. Mertes [Gerol gelöst von sozialen Zwängen und Vorurteilen sein stein] [CDU/CSU] : Dann sind wir alle Libe eigenes Leben leben könne. Aber täuschen Sie rale!) sich nicht: In einer solchen polaren Situation zwi- schen zwei Werten gibt es keinen faulen Kompro- Deswegen haben wir hier unsere Bedenken, wenn miß. Hier gibt es nur die Entscheidung für den Vor- man von Gegenmachtpositionen spricht, ohne ein- rang der Gruppe, der Gesellschaft oder für den Vor- zubeziehen, daß eine solche Position auch geräumt rang des einzelnen, des Individuums. Wir entschei- werden muß, wenn es an der Zeit ist, wenn die den uns für den Vorrang des einzelnen, für den Vor- Mündigkeit des einzelnen das erfordert. rang des Individuums. Das macht unsere Liberalität (Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Das aus. Wahlverfahren, nicht?) Die radikale Hinwendung zu diesem Grundwert — Das ist ein Problem, Herr Professor Carstens, heißt auch, meine Damen und Herren, Anerkennung das Sie mit einigen Worten angesprochen haben, von offener Gesellschaft, heißt Anerkennung von bei denen man anfangen kann, darüber nachzuden- Pluralismus, heißt auch Anerkennung von Innova- ken, ob Sie nicht möglicherweise recht haben. tion; denn Reformen — Erneuerung — sind not- wendig, um eine solche Gesellschaft offenzuhalten. (Lachen bei der CDU/CSU) Und das heißt auch, daß das, was hier von Herrn Übrigens habe ich das nicht erst vor einigen Wo- von Weizsäcker zu unseren Reformen gesagt wor- chen gesagt, sondern schon vor einigen Monaten; den ist, nur dann richtig gewertet werden kann, insofern können Sie jedenfalls keine Prioritäts- wenn Sie diese Offenheit auch im Sinne haben. rechte für sich in Anspruch nehmen. Das ist auch Dazu gehört eine nüchterne Bestandsaufnahme ein Problem, das wir befriedigend lösen werden. dessen, was ist, Herr von Weizsäcker. (Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Sie (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Darauf war sagen das seit Jahr und Tag! — Maucher ten wir lange!) [CDU/CSU]: Gilt das heute noch?) Ich will Ihnen jetzt sagen, an welchem Punkt — Selbstverständlich gilt das heute noch. Sie wer- — es ist nur ein Beispiel — ich das Gefühl nicht den das bei der Diskussion über den Enwurf, den losgeworden bin, daß Herr von Weizsäcker in der wir gemeinsam mit den Sozialdemokraten vorlegen moralischen Postulierung an Wirklichkeiten vorbei- werden, sehen. Und alles das, was Sie hier veran- gegangen ist, nämlich bei der Beurteilung dessen, stalten, ist ja nicht eigentlich die Bemühung um was wir unternommen haben, um Kindern, kleinen eine vernünftige Mitbestimmungsregelung, sondern Kindern, unmündigen Kindern, die Möglichkeit zu die Bemühung darum, a) einen Zwiespalt, einen geben, sich zu entwickeln. Es gibt in diesem Saal Kampf in die Koalition hineinzutragen und b) auf sicher niemanden, der nicht den Wert einer persona- diese Weise die Mitbestimmung überhaupt zu ver- len Beziehung zwischen Eltern, einer Mutter, einem hindern. Vater, und deren Kind anerkennt. Ich würde das (Beifall bei der FDP und der SPD — Seiters nicht bestreiten, Herr von Weizsäcker. Ich würde [CDU/CSU] : Den Kampf habt ihr doch das nicht in Zweifel ziehen. Aber es gibt eben sehr schon!) viele in diesem Raum, die sehen, daß Eltern, daß Mütter nicht bereit, nicht in der Lage sind, diese — Wenn Sie das nicht wollen, dann legen Sie doch personale Beziehung herzustellen. Und um deren endlich einmal Ihren Gesetzentwurf hierhin, damit Kinder geht es uns bei dem, was wir gemacht haben. wir gemeinsam darüber abstimmen können! Es geht darum, die Wirklichkeit, die anders ist als (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Wer regiert ein moralisches Postulat, zu erkennen und politisch denn?!) zu gestalten, und nicht darum, nur ein moralisches Postulat aufzustellen und an der Wirklichkeit vor- — Das ist nicht eine Frage der Regierung, sondern beizugehen. eine Frage der Glaubwürdigkeit, eine Frage der Überbrückung von Theorie und Praxis politischen- (Beifall bei der FDP und der SPD) Handelns. Was Herr von Weizsäcker hier gesagt Offene Gesellschaft hat, berechtigt Sie nicht nur, sondern verpflichtet heißt auch Freiheit, Freiheit Sie geradezu, einen Mitbestimmungsentwurf vorzu- auch in einem durchaus formalen Sinn. Es ist jetzt legen. vielleicht ein wenig aus der Mode, davon zu spre- chen, daß Freiheit nicht nur inhaltlich verstanden (Beifall bei der FDP und der SPD) werden muß und kann, sondern schlicht und einfach Meine Damen und Herren, dieser Grundwert auch die Entscheidungsmöglichkeit ist. Das heißt, daß Individualität, der den Werthintergrund liberaler der einzelne die Möglichkeit haben muß, tradierte Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11037

Dr. Bangemann

Moral- und Verfahrensvorstellungen durch seine dies ist ein Ensemble von menschlicher Kreatürlich individuelle Entscheidung zu durchbrechen. keit und menschlicher Kreativität. Diejenigen Kul- turpessimisten, die nur auf die menschliche Kreatür- Bei diesem Kampf, tradierte Moralvorstellungen zu lichkeit schauen, die glauben, der Mensch sei nur durchbrechen, findet man sehr selten Unterstützung, grausam, sei aus den ihm gesetzten Fesseln nicht zu Freundschaft und Hilfe durch das, was man eben befreien, haben auch etwas gegen Demokratisierung; Konservativismus nennen muß. Das ist gar nichts denn sie glauben nicht, daß der Mensch dazu in der Abwertendes. Es muß eine konservative Partei ge- ben; denn es gibt konservative Menschen in unse- Lage ist; sie sind pessimistisch. Diejenigen aber, die nicht nur an die Kreatürlichkeit des Menschen glau- rem Staat, in unserer Gesellschaft. Sie müssen die ben oder darum wissen, sondern die auch an die Möglichkeit haben, eine konservative Partei zu Kreativität des Menschen glauben, meine Damen wählen, und die bieten die CDU und die CSU diesen und Herren, die verstehen das Wort „Demokratisie- Menschen. Es muß auch eine sozialistische Partei ge- rung" nicht als Schimpfwort, sondern als eine Auf- ben. Zwischen demokratischem Sozialismus und So- forderung, eine bessere, gerechtere, demokratischere zialismus besteht sicher ein Unterschied. Dazu wird und humanere Zukunft zu gestalten. sicher noch einer der Kollegen aus der sozialistischen

Fraktion etwas sagen. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!)

Deshalb warne ich alle diejenigen, die meinen, das

Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, ge- Wort „Demokratisierung" in den Schmutz ziehen zu statten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeord- müssen; denn damit verschütten sie eine Möglich-

neten Mertes? keit menschlicher Existenz, die wir heute noch nicht

voll ausschöpfen können, die wir uns aber erhalten

Dr. Mertes (Gerolstein) (CDU/CSU) : Herr Kol- müssen. lege Bangemann, sind Sie sich darüber im klaren, (Beifall bei der FDP und der SPD) daß ihre Charakterisierung der Individualität, von Das gilt auch, mein Damen und Herren, bezüglich der SPD aus gesehen, nicht nur konservativ, sondern dieser Frage des „blauen Himmels", die hier ironisch sogar rechtskonservativ ist? angeschnitten worden ist. Zur menschlichen Kreati-

vität gehört auch das Denken an morgen, zur Bangemann (FDP) : Herr Mertes, im Gegensatz menschlichen Kreativität gehört der Mut, auch ein-

vielleicht zu Ihnen, der sich darum bemüht, sich von mal eine Forderung aufzustellen, die sich vielleicht

anderen Vorstellungen abzuheben, geht es mir gar erst morgen oder übermorgen erfüllen kann; denn sie

nicht so sehr darum, die liberale Position im Blick müssen ja diejenigen, die diese Forderung tragen

auf das zu sehen, was andere machen und wollen. Es wollen, motivieren, das durchzusetzen. geht mir vielmehr darum, eine eigenständige, aus (Zuruf des Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] unserem liberalen Verständnis heraus geprägte [CDU/CSU]) Wertvorstellung von Politik hier darzustellen, damit

deutlich wird, was Liberalismus ist, und damit vielen Nun machen Sie doch nicht den Fehler, den Men-

Ihrer Fraktionskollegen der Mut genommen wird, schen von seinen Möglichkeiten dadurch abzuschnei-

sich in der Öffentlichkeit als Liberale zu bezeichnen den, daß Sie ihm nicht zutrauen, menschlicher zu le-

und z. B. bei der falschen Gelegenheit zum falschen ben, gerechtere Verhältnisse schaffen zu können! Augenblick mit dem falschen Akzent nach der Todes- Diesen Fehler machen Sie, wenn Sie sich gegen De-

strafe zu rufen. mokratisierung wenden.

(Oh-Rufe von der CDU/CSU — Beifall bei (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Herr

der FDP) Kollege, das ist zu allgemein!)

Meine Damen und Herren, Liberalismus, das ist Meine Damen und Herren, wenn Humanität nicht keine Schönwetter-Philosophie. Der Liberale be- ein leeres Ideal bleiben soll, dann bedarf es der Hin-

währt sich in einer solchen Situation der Emotiona- wendung zum einzelnen Menschen. Das heißt nun

lität und setzt sich zur Wehr gegen ein Vorurteil einmal auch für die Opposition: praktische Politik.

und beugt sich nicht einer öffentlichen Emotionalität Wir verlangen ja nicht von Ihnen, daß Sie uns Alter-

gegen besseres Sachwissen, sondern er steht das nativen frei Haus liefern, die wir dann übernehmen.

durch. Auch das macht ein wenig den Liberalen aus. Aber was wir von Ihnen verlangen, ist, daß Sie sich

Gestatten Sie uns doch den Stolz auf diese Position. den Schwierigkeiten der praktischen Politik genauso

zuwenden, wie das die Regierung tut. Denn, meine (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Hatten Sie Damen und Herren, eine Opposition ohne Alterna- eben „sozialistische Fraktion" gesagt? — Dr. tiven ist keine Alternative zur Regierung. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Was hat das

eigentlich mit dem Kanzleretat zu tun?) (Beifall bei der FDP und der SPD) - Das Letzte ist, meine Damen und Herren: Ich spre-

che hier von einem Werthintergrund unserer Politik, Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der

die auch in dem deutlich wird, was diese Regierung Abgeordnete Wehner.

tut. (Zuruf von der CDU/CSU: Zur Stärkung des Wehner (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen Kampfes!) und Herren! Ich möchte mich zunächst mit einigen der

Liberale Politik muß auch geprägt sein von dem Ausführungen des Herrn Kollegen Carstens befas- Ideal, dem Grundsatz der Humanität. Das bedeutet: sen, der ja wohl so will ich es einschätzen — wie 11038 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975

Wehner jeder Redner der CDU/CSU auch hier unter Beweis Voraussetzungen für eine einigermaßen ordentliche zu stellen hatte, daß er und wie er die Krisenher- Altersrente zu erfüllen. Frauen, die in jüngeren beiführungs- und -heraufbeschwörungs-Strategie des Jahren und häufig bis über die Mitte ihres Lebens Herrn Strauß durch Bemäntelung verteidigt. Das war hinweg in anderen sozialen Verhältnissen gelebt ja alles, was heute hier geleistet worden ist. haben, die aber durch Krieg, durch Vertreibung und (Beifall bei der SPD und der FDP Zurufe durch anderes zu Erwerbsarbeit ohne Berufsausbil- von der CDU/CSU) dung gezwungen worden sind, haben Sie kaltblütig den Grundbetrag gestrichen. Der Grundbetrag mußte So haben Sie sich streng, gestreng gegen meinen heraus, und er kam auch heraus. Das werden wir Kollegen Ehrenberg mit einem Wortaufwand ge- Ihnen nie vergessen. wandt, den dessen Darstellungen nicht nur nicht verdienen, sondern wo wir Sie auch scharf zurück- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten weisen müssen. Sie können nicht jeden von uns hier der FDP) einfach in einer Weise beuteln, als sei das Ihr Vor- Auch wenn Sie mit Zirkus herumgehen, und Ihre an- recht. sprechenden Damen — Sie haben ansprechende Da- (Beifall bei der SPD Möller [Lübeck] men, das gebe ich zu — sagen: Aber jetzt kommen [CDU/CSU] : Das müssen Sie gerade sagen!) wir mit der Partnerschaftsrente, werden wir sehr — Jawohl! Ich stelle mich vor andere. Das tun nicht mißtrauisch gegenüber Ihrer Potenz auf diesem Ge- alle, wenn es einen anderen angeht. Aber das ge- biet sein. hört bei mir zur Solidarität, und da können Sie blö- (Heiterkeit bei der SPD) ken, wie Sie wollen. Nun hat der Herr Carstens auch einiges über die (Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen Sorgen in bezug auf die Weiterentwicklung der und Zurufe von der CDU/CSU — Seiters europäischen Einigung gesagt. Ich muß offen sagen, [CDU/CSU] : Das war der erste Ausrutscher!) ohne mich hierüber zu verbreiten: Wo befänden sich Der Herr Carstens hat sich darin versucht, zu er- denn die Vorschläge, auf die er sich z. B. beruft und läutern, daß und welche Gesetze — er ist dabei im die auch wir nicht nur fördern, sondern die ohne uns Ansatz steckengeblieben — die Zustimmung der überhaupt nicht auf die Tagesordnung gekommen CDU/CSU gefunden hätten. Das ist doch gar kein wären, etwa der Vorschlag, in nicht zu ferner Zeit Streitpunkt. Das verwehrt Ihnen ja niemand, daß die Direktwahl des Europäischen Parlaments, das Sie schließlich Gesetzen zustimmen, auch wenn Sie jetzt eine Art Ersatzdasein führt, zu ermöglichen? sie, wie es bei manchen der Fall gewesen ist, jahre- Hier müssen Sie sich anderswo umsehen. Wir sind lang nicht nur nicht gewollt, sondern verzögert ha- nicht für Symbole; wir sind für wirkliche Fähigkei- ben. Es ist Ihr gutes Recht, am Schluß mitzustimmen, ten, die einem solchen Parlament zugeschrieben wer- weil Sie sich davon einen Vorteil versprechen. Aber, den müssen. Darum ist es gegangen. bitte, dann bleiben Sie auch bei dem, was Sie tat- (Beifall bei der SPD und der FDP) sächlich getan haben! Jedenfalls wäre das ohne die konstruktiven Bemü- Hier wollen Sie sich plötzlich die Rentenreform hungen der sozialliberalen Regierungskoalition alles nicht nur an den Hut stecken — an den alten Hut des nicht möglich. Herrn Strauß paßte das vielleicht —; nein, Sie wol- len die Rentenreform sozusagen initiiert haben. Ha- Dann haben Sie dazu einen netten, frommen ben Sie die Sache mit dem „Baby-Jahr" ganz ver- Wunsch; Sie wollen zeigen: irgendwo sind Sie ganz gessen? Wir haben sie nicht vergessen, und es sollte unentbehrlich für diese unsere Regierung und un- mir leid tun, wenn Frauen im sogenannten Jahr der sere Parlamentskoalition. Das findet sich dort, wo Frau vergessen hätten, daß die CDU/CSU im Jahre der Herr Carstens ein wenig stockend über die Ver- 1972 das, was damals salopp das „Baby-Jahr" ge- teidigungsfragen und die Stellung zum Verteidi- nannt worden ist, aus der Rentenreform herausge- gungsminister geredet hat. Das ist ein Wunschden- stimmt hat. ken. Für uns ist die Verteidigungspolitik Bestandteil der Bündnispolitik, (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU) (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist nicht neu!) So ist es gewesen. Heute reden Sie von Familie und von Kindern und von Partnerschaftsrente. Damals und innerhalb dieser bemühen wir uns, das poli- haben Sie diesen konkreten Punkt niedergestimmt. tische Gewicht der Bundesrepublik Deutschland für das Zustandebringen von Truppenverminderung (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Wer hatte und Rüstungsbegrenzung und für Schritte hin zur denn damals die Mehrheit?) Abrüstung einzusetzen. Das wissen wir, das wissen Genauso haben Sie damals den Grundbetrag aus Sie, und das haben wir nie geleugnet. Wir brauchen dem Text der Ausschußfassung herausgebracht. keine Belehrungen darüber, wie wichtig die Bünd- nispolitik ist. Das haben wir Ihnen auch längst (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Wer klargemacht. hatte denn die Mehrheit? — Stücklen [CDU/ CSU] : Wer hatte denn die Mehrheit?) (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Das ist ja völlig unstrittig!) Der Grundbetrag wäre die Chance gewesen, einigen Millionen Frauen, die älter geworden sind und Dann ist Herr Carstens auf das Lieblingsthema zu denen es nicht mehr möglich ist, die entsprechenden sprechen gekommen: auf die wirtschaftliche Lage Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11039 Wehner und das, was man daraus machen kann, wenn man der muß über diesen Mißbrauch der Gefühle von sich nach der Gebrauchsanweisung des Herrn Menschen nicht nur entsetzt, sondern auch empört Strauß richtet. Sie malten wieder Ihr Schreckge- sein. mälde von einem Deutschland, das in Ihren (Beifall bei der SPD und der FDP) Wunschvorstellungen bestehen mag, von einem Deutschland, von dem Sie meinen, jetzt liege es so- Und dann war da noch jenes andere Kapitel, in zusagen krisengeschüttelt und reif zur Übernahme dem Herr Carstens das angesprochen hat, was er durch die Damen und Herren der Unionsparteien Ostpolitik nennt. Schade, darüber müßte man bei auf der Fläche. einer anderen Gelegenheit einmal ernsthafter reden, als es im Rahmen von Aktuellen Stunden oder so (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der möglich zu sein scheint. Selbst wenn von Ihrer FDP — Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Sie Seite und auch von Ihrem Fraktionsvorsitzenden waren schon einmal besser!) noch so oft beteuert wird — wie es heute auch ge- schehen ist —, Sie seien nicht gegen eine Politik Sie schildern die Situation so, als ob es sich nur um der Entspannung im Ost-West-Bereich und -Ver- eine Rezession im nationalen Ausmaß und aus hältnis: In Wirklichkeit weiden Sie sich an jeder nationalen Gründen handle. Haben Sie sich jemals Schwierigkeit, und manche von diesen Schwierig- mit der diesjährigen Botschaft an die Nation des keiten erzeugen Sie sogar selbst mit! Das ist eben amerikanischen Präsidenten befaßt, in der er zwei- das Schwierige. mal eindringlich gesagt hat, es dürfe und werde nicht wieder so kommen wie in den 30er Jahren? (Beifall bei der SPD und der FDP — Möller Die Krise von damals haben wir in Deutschland mit [Lübeck] [CDU/CSU] : Das ist eine Unver Massenarbeitslosigkeit und mit zwölf Jahren NS- schämtheit!) Diktatur einschließlich Krieg bezahlt. Der amerika- nische Präsident hat Ihnen aber eine Lehre gegeben Das ist das, was dieses Verhältnis so schwierig — und dies als Präsident eines sehr großen west- macht. lichen Staates und unseres wichtigsten Verbündeten. (Dr. Althammer [CDU/CSU] : Wir haben Er sagte: doch nicht die Wehnersche Krankheit!) In keiner Zeit unserer Geschichte in Friedens- Und da komme ich dann zu dem Lieblingskapitel zeiten ist die Lage der Nation stärker von der — immer noch — innere Sicherheit, sowohl in den Lage der Welt abhängig gewesen. Die wirt- Ausführungen des Herrn Carstens als auch von schaftliche Notlage ist weltweit. Wir werden Ihnen selbst. Da hat nun der Herr Kollege Car- sie im eigenen Lande nicht beheben können, stens eine Liste mit Behauptungen über Personen wenn wir nicht helfen, die tiefgreifenden wirt- vorgetragen, die ihm in diesem Hause nicht wider- schaftlichen Störungen in anderen Ländern zu sprechen können. Deswegen verwahren wir uns beseitigen. schärfstens gegen diese Art von Denunziation von Das ist eine andere Sprache als die, mit der Sie hier Personen, deren Ausführungen gefälscht werden, wirkungsvoll mit so einer Art von Florettchen — damit Sie sie hier sozusagen geistig abrichten kön- oder was Sie dafür halten — Ihre Thesen verfechten nen. zu können glauben. (Beifall bei der SPD und bei der FDP — Seiters [CDU/CSU] : Wollen Sie den Don (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) nerstagabend fortsetzen? — Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Er fängt wieder an! — Weitere Uns möchte der Aschermittwochsredner aus der Zurufe von der CDU/CSU) Nibelungenhalle — die Rede in der Nibelungenhalle ist ja noch die mildere Form; nachdem man die Sont- Hier wird doch versucht, meine Damen und Her- hofener Form kennt, weiß man ja, welche verschie- ren, im Geiste mitzumarschieren. — Marschiert im denen Auflagen dieses Herrn es gibt — glauben ma- Geiste mit Herrn Franz Josef Strauß mit! chen, man könnte das alles sozusagen national ver- (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Ich möchte antwortbar machen. Weil Ihnen das, was ist, nicht wissen, in welchem Geiste Sie marschie reicht, geht die CDU herum und verbreitet z. B. ren!) solche „100 000-DM-Scheine". Ein solcher Propa- gandaschein trägt zwar offiziell das Impressum: — Er hat ja nicht nur Sonthofen. Ich hoffe, er wird Herausgeber: Gesamtverband der Christlichen Ge- nicht auch noch die Chuzpe finden und sagen, werkschaften Deutschlands in Hessen; aber dies ist (Zuruf von der CDU/CSU: In welchem die Frucht Ihrer Krisenhetze. Weil die Krise in der Geiste wollen Sie denn marschieren?!) Tat nicht groß genug ist, machen Sie solche schauer- liche Propaganda. daß das nicht autorisiert sei, was in der Ausgabe - der berühmten Illustrierten „Quick" vom 13. März (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe gestanden hat — wörtlich, wörtlich Herr Strauß: von der CDU/CSU) In der SPD sympathisieren weite Teile mit den Wer die wirkliche Inflation, die große Inflation er- Thesen und Methoden der Anarchisten. lebt hat, wer damals erlebt hat, daß ein 4-Pfund-Brot Punkt. 2 Billionen Mark gekostet hat, (Sehr richtig! bei der CDU/CSU — Pfui! (Seiters [CDU/CSU]: Ein Doppel-Ehmke!) bei der SPD) 11040 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Wehner — Ja, ja, lesen Sie einmal. Sie werden das noch haupten, es sei alles so, daß gar nichts passieren bereuen, diese Hetze. - kann. (Stücklen [CDU/CSU] : Das haben wir auch (Beifall bei der SPD und bei der FDP) nicht behauptet! — Weitere Zurufe von der Es heißt da weiter: CDU/CSU) Die Stunde der Abrechnung mit der Regierung — Na, gut, das sage ich Ihnen ja. — Also ist es ein ist jetzt da. Grund, darüber zu sprechen, notfalls auch zu strei- Punkt. ten. Unsere Auffassung, (Lachen bei der CDU/CSU) (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Die kennen wir leider!) — Ja, ja, er hat sich verrechnet, auch Strauß kann sich verrechnen. — Jetzt kommt der dritte Satz: die darin zum Ausdruck kommt, ist, daß zur Abwehr Sie hat Angst, wegen des Falles Lorenz mit des Terrorismus neben der vollen Anwendung der Baader-Meinhof in Zusammenhang gebracht zu staatlichen Machtmittel des Bundes und der Länder auch die geistige Auseinandersetzung mit allen For- werden. men des Extremismus und der Gewalt gehört — das (Zuruf von der CDU/CSU: Gedankenstrich! ist unser Standpunkt —, genauso wie weder die An- — Pfui-Rufe von der SPD) wendung von Gewalt noch die Rechtfertigung von Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele Das ist der schurkige dritte Satz des Herrn Franz hingenommen werden darf. Josef Strauß in „Quick" vom 13. dieses Monats, meine Damen und Herren. Das war an dem Tage, an (Norlohne [CDU/CSU] : Jetzt muß noch ein dem wir hier debattierten. Und dann kommt der Satz zu Gansel kommen!) nächste Satz: Aber Sie haben eine Mehrpolarität in Ihrer sehr Dabei ist das letztere für die Entführung von multilateralen Fraktion und Partei; unter diesem Lorenz ursächlich. Zwang stehen Sie. (Zuruf von der CDU/CSU: Punkt! — Wei (Heiterkeit bei der SPD) tere Zurufe von der CDU/CSU) Da hat am 26. Februar — es ist gar nicht so lange - Ja, ja. — Wer die Fähigkeit hat, diese unglaub her — einer, der früher hier saß, der lange Jahre lichen Verdächtigungen, die schlimmer sind als im Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU gewesen ist, Streit ausgestoßene, wirklich zu verstehen, muß aber nicht mehr seit 1973 — was sein Recht und auch sich vor so viel bewußter Krisenprovokationsmen- Ihr gutes Recht ist, das geändert zu haben —, in talität schütteln. Mülheim an der Ruhr gesagt: (Beifall bei der SPD und bei der FDP — Zu Auch in der Rezession dürfen wir nicht verges- ruf des Abg. Möller [Lübeck] [CDU/CSU]) sen: Die Bundesrepublik Deutschland steht in manchen sozialen und wirtschaftlichen Fragen Und da reicht es natürlich nicht. Das ist eine ver- besser da als andere, weil es uns gelungen ist, ächtliche Bemühung, die wir schärfstens zurück- hierzulande eine herausragende Sozialqualität weisen. des Staates und der Gesellschaft zu schaffen. Unsere bessere Lage wird nur bleiben, wenn wir (Dr. Evers [CDU/CSU] : Ihr Ton ist sehr weiter gesellschaftspolitisch initiativ sind. demokratisch, Herr Wehner!) — Nun gut, das ist unsere Meinung, und da entsteht — Natürlich! Ich verteidige die demokratischen die Frage, wer wirklich gesellschaftspolitisch initiativ Rechte einer großen alten Partei gegen diese un- und auch durchsetzungsfähig ist. Wenn Sie da mit glaubliche, verleumderische Verhetzung. uns konkurrieren wollen, bitte sehr, das wäre eine (Beifall bei der SPD und bei der FDP — gute Sache. Nur paßt dies nicht mit dem zusammen, Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Sie müssen was hier heute von anderen schon wiederholt aus das sagen, gerade Sie! — Weitere Zurufe dem Munde des Herrn Strauß zitiert worden ist. von der CDU/CSU) Das will ich nicht noch einmal bringen; das ist ja schon genügend. Was die Sicherheitspolitik angeht, so bringe ich Ihnen, meine Damen und Herren, in Erinnerung, daß (Stücklen [CDU/CSU] : Na, was denn?) wir hier vor einer Woche eine Drucksache — die Wollen Sie es gerne hören? Drucksache 7/3357 — eingebracht haben, der Sie kaum Beachtung geschenkt haben. Ich hoffe,- es geht (Zurufe von der CDU/CSU: Ja! — Beifall diesem Entschließungsantrag der beiden Fraktionen bei der SPD) der Koalition in den Ausschüssen nicht ähnlich wie — Wunderbar, dann bringe ich es auch noch einmal; manchem anderen Entschließungsantrag. Da steckt ich wüßte nicht, was ich lieber täte, als Ihnen einen eine Menge drin, und. da sollten wir auch mitein- solchen Wunsch vom Munde abzulesen. ander um das ringen, was zweckmäßigerweise zur Erhöhung der inneren Sicherheit getan werden kann. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der Denn niemand — weder Sie noch wir — kann be FDP) Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11041 Wehner Erstens einmal: „In der politischen Großwetter- Ich muß Ihnen nur folgendes sagen: Wenn wir dem lage, in der wirtschaftlichen Großwetterlage dürfen Drängen der vielstimmigen CDU/CSU nicht wider- wir jetzt nicht aus der Deckung herausgehen." standen hätten, (Zurufe von der CDU/CSU) (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Und der vie — Das wissen Sie doch, Herr Strauß. Die Fortsetzung len Arbeitnehmer!) — das, was Sie dann dazu noch gesagt haben — dann wäre das Gegenteil von Stabilität, das Gegen- kennen Sie. — Jetzt also nicht aus der Deckung her- teil der trotz mancher Unzulänglichkeiten vorhande- aus — bloß nicht! —, nen Ansätze zu sozial gerechteren Steuersätzen ein- (Heiterkeit bei der SPD) getreten. Das ist es, was wir jedenfalls an Terrain und dann: gehalten haben. Ich will überhaupt nicht im kleinen sagen, was (Beifall bei der SPD und der FDP) wir uns vorstellen mit der Krankenhausfinanzie- Und dann kommt ein Versuch, an den werde ich rung, mit der Berufsausbildung, mit der Sanie- noch, falls ich es erlebe, in zehn Jahren denken, rung der öffentlich-rechtlichen Krankenkassen weil der so köstlich war. Es ging also darum, was usw. Wir müssen bei unserer Auseinanderset- die deutschen Sozialisten nach dem Urteil des Herrn zung, aber auch in der Analyse der Lage die — und hier muß ich sagen: Professor — Carstens an psychologischen Faktoren vor die materiellen Unfähigkeit zur Verwirklichung von Reformen ha- Faktoren setzen. ben, die den Menschen nützen. (Zurufe von der CDU/CSU. Jawohl! — (Zuruf von der SPD: Im Stil des kleinen Sehr richtig!) Moritz!) — Ja, sehen Sie, wunderbar, wie Sie das alles verifi- Das war neckisch, muß ich sagen. Das ist profunde zieren! Unkenntnis sowohl der Grundgedanken der Sozial- Denn die Krise muß so groß werden, daß das, demokraten, als auch der gesellschaftspolitischen was wir für die Sanierung für notwendig halten, Notwendigkeiten, was Sie hier zusammengereimt dann auf einem psychologisch besseren Boden haben und was man im Protokoll nachlesen kann; beginnen kann als noch heute. Wir müssen ich brauche es nicht zu wiederholen. Herr Carstens schlechthin von dem — der jetzt nicht hier sein kann, er hat eine andere Verpflichtung und hat mich das vorher wissen las- — und dann kommt dieses köstliche Wort — sen; das wird mich nicht hindern können, und er Axiom ausgehen: die können Wirtschaft, Gesell hat das sicher auch gewußt, einiges zur Sache zu schaft und Staat nicht mehr in Ordnung bringen. sagen —, Sie sind noch oder vielleicht Sie sind wie- der das wäre ein Phänomen, um mit Herrn Kie Das könnte ich hier noch eine Viertelstunde fort- singer zu sprechen; warum denn nicht auch das? — setzen, aber das ginge auf Kosten meiner Redezeit, so, wie Kurt Schumacher Sie 1952, bevor er die meine sehr verehrten Herren Kollegen von der Augen für immer schloß, gezeichnet hat, und das CDU/CSU. lese ich Ihnen jetzt vor. (Zuruf von der CDU/CSU: Was sagen Sie (Stücklen [CDU/CSU]: Mit Genehmigung der zur Arbeitslosigkeit? — Seiters [CDU/CSU] : Frau Präsidentin!) Zitieren Sie mal den Wehner vom Donners- tag! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU — — Ich hoffe, daß mir jedenfalls diese Frau Präsiden- Dr. Ehrenberg [SPD]: Stamokap-Strauß!) tin die Genehmigung gibt. — O nein, warum mit solchen Abkürzungen reden? (Beifall bei der SPD) Das ist eben der Strauß. Das braucht man gar nicht. Da heißt es: (Beifall bei der SPD und der FDP) Die schwerste Versündigung am deutschen Volk ist nicht von der alliierten Seite selbst, sondern Die Bemerkungen, die Herr Kollege Carstens im von den Parteien der heutigen Regierung Namen der CDU/CSU-Fraktion über unangemessene Hektik und ähnliches bei der Gesetzgebung gemacht — der damaligen also — hat, enthalten manches, was nicht nur bedenkens- erfolgt, als sie die Formel aufstellten „Christen- wert wäre. Dazu nur eines, weil dort z. B. die tum oder Marxismus", nach der das eine das Steuerreform nun als „sogenannte" bezeichnet wird. andere ausschließen soll. Das ist die Zerreißung Das ist wie früher mit der DDR: in Anführungs- auch des Volkes der Bundesrepublik in zwei strichen. Vorher hatten Sie noch Flugblätter, Teile. Es ist unmöglich, daß der eine Teil be- (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Das stimmt, wer Christ und was unter Marxismus haben Sie doch auch gesagt!) - zu verstehen ist. da stand — um mit Herrn Stoltenberg zu reden — in Ich habe damals erlebt, wie Schumacher das als so- den ersten Erklärungen, das sei doch eine ganz er- zusagen Letztes aufschrieb. Das war ein schreck- hebliche Verbesserung. Jetzt nennen Sie sie nur liches Erlebnis, und das hat dem Mann das Herz ge- noch „sogenannte". Und da wird dann gesagt, was brochen. Sie zitieren ihn heute gelegentlich; das die CDU alles schon im Sommer 1973 vorweg hätte zitieren Sie nie. haben wollen usw. (Zuruf von der SPD: Das haben die nie (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Stimmt doch!) gelesen!) 11042 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975

Wehner Aber ich setze noch ein wenig fort: müssen überlegen, ob Sie dann nicht bei solcher Die Grundlage des Antimarxismus ist völlige feierlichen Stunde gleich lauthals brüllen; Unwissenheit und Unkenntnis der Materie. Die (Beifall bei der SPD und FDP — Rufe bei sogenannten Antimarxisten von heute überneh- der CDU/CSU) men die Propagandaformeln, mit denen die Hitlerdiktatur zur Macht gekommen ist. Sie ha- denn das darf doch nicht sein, daß ein Bundespräsi- ben ihnen geistig nichts Neues hinzugefügt. Sie dent so etwas sagt, was Sie dann ein Jahr darauf in appellieren dementsprechend auch an die alten der Weise, wie Sie es nun tun, disqualifizieren. Instinkte der zwölf Jahre und erhoffen sich (Zuruf von der CDU/CSU: Sie brüllen doch hieraus, eine Antipathie gegen die Sozialdemo- hier, Herr Wehner, am lautesten jedenfalls!) kratie neu zu erwecken. — Das ist auch gut, dann kommt man wenigstens durch. Und dann sagt er seine eigene Auffassung: Was dem Staate vorgegeben ist, das finden Sie Der Marxismus ist eine Methode der soziologi- in unserem Godesberger Programm. Wir sind näm- schen, politischen Erkenntnis und kein Gebäude lich nicht der Meinung, daß der Staat über alles zu von dogmatischen Lehrsätzen. herrschen und über alles zu befinden hat. Wir, die (Zuruf von der CDU/CSU: Mit Sicherheit ist wir für die Demokratie streiten, tun das, weil sie das falsch!) die allgemeine Staats- und Lebensordnung werden muß, weil sie allein Ausdruck der Achtung vor der — Seine persönliche Wertung, die ich nicht völlig Würde des Menschen und seiner Eigenverantwor- teile. Ich rede ja hier über das, was Sie mit Marxis- tung ist. Wir haben gesagt, daß das Leben des Men- mus anprangern wollen. Da fährt er nämlich fort: schen, seine Würde und sein Gewissen dem Staate Jetzt herseht die Methode, alles als kommu- vorgegeben sind, und haben dann erklärt, wozu nistisch hinstellen zu wollen, was die Sozial- der Staat Vorbedingungen schaffen muß. Für uns demokratie an selbständiger und entschiedener steht der Mensch im Mittelpunkt. Das können Sie Vertretung der Interessen des arbeitenden Vol- nicht leugnen. Wenn Sie der Meinung sind, es wäre kes zeigt. Das ist dieselbe Methode, mit der anders — Hitler und Goebbels jeden Versuch, sich gegen (Stücklen [CDU/CSU] : Das haben Sie bei ihre Diktatur aufzubäumen, als Kommunismus uns abgeschrieben!) abzutun versuchten. — Es kann sein, daß wir das irgendwo „abgeschrie- Und nun erbitte ich einen Ordnungsruf à conto die- ben" haben, nur waren das dann sehr ehrwürdige ses Zitats von Schumacher. Pandekten, aus denen wir das abgeschrieben ha- ben. (Anhaltender Beifall bei der SPD — Lachen (Beifall bei der SPD) und Zurufe von der CDU/CSU — Gerster [Mainz] [CDU/CSU] : Was verstehen Sie Es waren ja nicht gerade die Zehn Gebote, aber es unter Marxismus?) streitet nicht gegen die Zehn Gebote und gegen ähn- liche ehrwürdige Schriften. Sie sinnieren immer noch über das Verhältnis, das in unserem Denken und in unserem politischen (Zuruf von der CDU/CSU: Sind Sie da Handeln Staat und Gesellschaft haben. Ich habe das gegen?) vor einer Woche hier versucht; da waren Sie schon -- Wenn jemand solche Zwischenrufe macht, denke ausgezogen. Ich will Sie jetzt nicht damit peinigen. ich daran, daß heute in der Abstimmungsurne einer (Heiterkeit und Zurufe) der ungültigen Zettel die Bezeichnung trug: „UdSSR- Agent Wehner". Es gibt also mindestens einen in Im Rahmen unseres Grundgesetzes, meine Damen diesem Bundestag, der glaubte, sich diese Scham- und Herren, mit Hilfe der gleichen staatsbürger- losigkeit zumindest in der Wahlkabine leisten zu lichen Rechte, die alle bei uns haben, gleiche soziale können. Chancen zu schaffen und zu gewährleisten, das ist (Unerhört! und lebhafte Pfui-Rufe von der unsere Auffassung von der Transformation der glei- SPD Gegenrufe von der CDU/CSU: Wer chen staatsbürgerlichen Rechte in gleiche soziale war es denn? — Möller [Lübeck] [CDU Chancen für die, die mit uns dafür kämpfen. Das CSU]: Das war einer aus Ihrer Fraktion! ist eine im Rahmen unseres Grundgesetzes erlaubte Anhaltende Zurufe) Position. Dies ist die sozialdemokratische Position, oder, wenn Sie wollen, die der demokratischen So- - Setzen Sie einen Untersuchungsausschuß ein. zialisten in Deutschland. - Das rate ich Ihnen, dann haben Sie wieder einmal einen Untersuchungsausschuß. Und weil Sie sich hier so gegen Demokratisie- rung verwahren: In diesem Raum, meine Damen (Zuruf von der CDU/CSU: Das kann auch und Herren, hat an dem Tage, an dem 25 Jahre Buchstaller gewesen sein! Weitere Zu Grundgesetz begangen wurden, der Bundespräsident rufe von der CDU/CSU und der SPD — Möl den denkwürdigen Satz gesagt: „Das Grundgesetz ler [Lübeck] [CDU/CSU] : Vielleicht war das hat uns auf den Weg der Demokratisierung ge- Herr Buchstaller, der Sie besonders gern bracht." Das ist auch mein Verständnis dafür. Sie mag!) Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11043

Wehner Meine Damen und Herren, der Herr Strauß hat daß ich einiges Weniges von dem, was vorweg ge- mich heute morgen unvollständig — um es sehr höf- äußert worden ist, nicht unwidersprochen lassen lich zu sagen — zitiert, und zwar in bezug auf die darf; denn der Herr Kollege Wehner hat in der ihm Opposition in ihrer Rolle als Alternative. Ich habe eigenen Art wieder einmal nicht nur unterschwellig, im Plenum des Bundestages am 2. Dezember 1965, sondern in einer sehr offenen Art und Weise Unter- nachzulesen im Protokoll der 10. Sitzung des dama- stellungen, um nicht zu sagen: Verleumdungen aus- ligen Bundestages, gesagt: gespritzt, die ich als jüngeres Mitglied dieses Nun, meine Damen und Herren, zu Ihrem Ruf Hauses jedenfalls nicht bereit bin unwidersprochen nach der Alternative zur Regierungspolitik. Die hinzunehmen. Aufgabe der Opposition ist es, hier die Forde- (Beifall bei der CDU/CSU) rungen und Vorschläge zu vertreten, von denen Herr Wehner, als Ihre Vokabel, diese böse Sie, die Opposition, überzeugt ist, daß sie dem Vokabel von der Krisenhetze und dem Krisenher- Wohle des Volkes dienen oder Schaden von ihm beireden, fiel, da fühlte ich mich erinnert an eine abwenden können ... Rede, die Sie vor einigen Jahren im Sächsischen Das ist unsere Aufgabe. Die Regierung ebenso Landtag einmal gehalten haben und aus der ich mit wie die parlamentarische Opposition stehen hier Genehmigung der Frau Präsidentin nur einen ein- in der Verantwortung gegenüber dem Ganzen. zigen Satz zitieren darf.

Und dann: (Unruhe bei der SPD) Je deutlicher wir — ich meine jetzt die parla- Sie haben damals erklärt: mentarische Opposition — es machen, daß un- Und das Geschrei der Bürgerlichen in Deutsch- sere Forderungen und Vorschläge den Notwen- land, unterstützt durch die sozialdemokratische digkeiten entsprechen, wie wir sie sehen — Presse, beweist die schlotternde Todesangst die- die sind der Kritik unterworfen, unsere Ansich- ser bankrotten bürgerlichen Gesellschaft. ten und Einsichten wie auch die Ihren —, um so mehr werden wir damit — das ist wohl klar (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) — die Regierung bedrängen. Es fällt mir schwer, Sie haben noch ein zweites böses Wort benutzt, aber ich sage es heute noch einmal. Das ist unser auch wenn Sie Kurt Schumacher dabei zitiert haben, gemeinsamer Staat, und niemand drängt uns den ich sehr verehre und schätze: wieder an den Rand dieses Staates oder gar (Lachen bei der SPD) aus diesem Staat hinaus .. von den angeblichen Instinkten, die wir in Anleh- Niemand kann aber auch sozusagen für uns nung an den Nationalsozialismus mobilisieren woll- reden. Das tun wir selbst; denn wir sind die ten. Herr Wehner, nehmen Sie zur Kenntnis, daß in — ich habe die damalige Zahl genannt — dieser Opposition eine große Anzahl von jüngeren von 13 Millionen Deutschen gewählten Volks- Kollegen sitzt, die noch nicht einmal vom physi- vertreter und sind verantwortlich — wie Sie schen Alter her das Dritte Reich miterlebt haben, auch — dem ganzen Volk gegenüber, dem und wir verbitten uns mit allen uns zur Verfügung Grundgesetz gegenüber. stehenden politischen und geistigen Kräften, daß Sie uns auch nur im entferntesten in eine Assozia- Das wäre also das vollständige Zitat gewesen, sehr tion zum Dritten Reich und zum Nationalsozialismus verehrter Herr Kollege Strauß, und das ist sicher stellen. eine andere Auffassung vom demokratischen Mit- (Beifall bei der CDU/CSU) einander und Gegeneinander, als es die ist, die in Ihren Sonthofener Thesen und auch sonst, z. B. in Die Christlich-Demokratische und die Christ- „Quick" vom 13., zu finden ist. lich-Soziale Union haben nicht das Problem — wie Herr Bangemann es so schön formuliert hat — der Ich danke Ihnen sehr herzlich, allen zusammen, Verwischung der Grenzen nach Rechts, der Verwi- für Ihre Geduld. schung der Grenzen zum Nationalsozialismus. (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD (Wehner [SPD] : Aber ihr kommt von Gott und der FDP) im Himmel!) Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der Aber Sie sind es, die das Problem der Verwischung Herr Abgeordnete Schröder (Lüneburg). zum Linksextremismus und zum Linksradikalismus haben, der nicht mehr auf dem Boden dieser verfas- Schröder (Lüneburg) (CDU/CSU) : Frau Präsiden- sungsmäßigen Ordnung steht. tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An (Beifall bei der CDU/CSU) sich sollte dieses die Stunde sein, in der die all- gemeine politische Aussprache langsam in eine Debatte über den Einzelplan 04 überführt wird, der Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, ge- offiziell seit heute morgen auf der Tagesordnung statten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeord- steht. neten Oetting? (Möller [Lübeck] [CDU/CSU]: So ist es!) Aber Sie werden Verständnis dafür haben, Schröder (Lüneburg) (CDU/CSU) : Nein, Frau (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Volles!) Präsidentin. 11044 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975

Schröder (Lüneburg) Wenn hier verschiedentlich davon gesprochen lichen und finanziellen Gegebenheiten, von denen worden ist, wir, der Kollege Strauß und andere, wür- ich hier gesprochen habe, die Verantwortung haben; den die Grenzen von kritischen Demokraten einer- er hat auch heute morgen den Versuch gemacht, seits und Terroristen und Extremisten andererseits uns in die Mitverantwortung zu ziehen. Ich darf absichtlich verwischen, dann frage ich mich: Was noch einmal auf die konkreten Punkte — und sie bedeutet denn eigentlich beispielsweise jener Be- führen uns dann ja zu dem eigentlichen Gegenstand, schluß des Hamburgischen FDP-Parteitages — lie- nämlich den Haushalt — zurückkommen. Sie ha- ber Herr Kollege Kirst, ich weiß, daß Sie persönlich ben davon gesprochen, daß die schlechte Entwick- dagegen gekämpft haben —, in dem die Kommuni- lung der Steuereinnahmen und die damit verbun- sten als kritische Demokraten tituliert worden sind? dene hohe Nettokreditaufnahme vor allem die Folge der Steuerreform sei. Sie haben gesagt, hier stünden (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) wir in der vollen Mitverantwortung. Was bedeutet denn jener Beschluß auf dem Juso Kongreß in Wiesbaden, in dem es wörtlich heißt: Meine Damen und Herren, niemand von uns will sich aus der Mitverantwortung für die sogenannte Wenn zur Durchsetzung der Reform eben keine Steuerreform herausmogeln. Aber, Herr Kollege Mehrheiten in den Parlamenten vorhanden sind, Kirst, ich habe heute morgen schon einmal in einer dann müssen auch andere außerparlamentari- Zwischenfrage darauf aufmerksam gemacht, daß sche Wege beschritten werden, um diese Refor- das, was an Auswirkungen aus der sogenannten men durchzusetzen. Steuerreform im Haushaltsplan seinen Niederschlag Und was bedeutet denn jene Stellungnahme, von gefunden hat, bereits im Entwurf der Regierung, der der sich zwar einige Herren distanziert haben, der uns im September vergangenen Jahres vorgelegt Judos zu dem Vorgehen der Polizei in Berlin? Und wurde, berücksichtigt war. Dennoch, trotz dieser was bedeutet denn jene Stellungnahme von Herrn Auswirkungen der sogenannten Steuerreform, sah Brandt mit der angeblich kalkulierten Hysterie der damalige Regierungsentwurf einen Anstieg der einerseits und jener kleinen Gruppe von irregelei- Steuereinnahmen des Bundes von 119 auf 135 Mil- teten Nihilisten auf der anderen Seite? Das ist doch liarden DM vor. Wenn in der Zwischenzeit, seit der konkret Verwischung der Grenzen zwischen kriti- Vorlage des Regierungsentwurfs bis zum heutigen schen Demokraten einerseits und Extremismus an- Tage, diese Steuerschätzungen allein für den Bund dererseits. um 13 Milliarden DM reduziert werden mußten, (Beifall bei der CDU/CSU) dann ist das ausschließlich die Folge der verfehlten wirtschafts- und konjunkturpolitischen Maßnahmen Noch ein Zweites zu der angeblichen Krisenhetze. dieser Regierung — und von nichts anderem. Meine Damen und Herren, wer hat denn eigentlich die jetzige wirtschaftliche Situation herbeigeführt? (Beifall bei der CDU/CSU) Wollen Sie sich denn im Ernst hinstellen und 6,5 % Ein Zweites in diesem Zusammenhang. Sie haben Inflation, 5,4 % Arbeitslosigkeit, 4,8 °/o Kurzarbeiter gemeint, die hohe Nettoverschuldung könne man — d. h. daß 10 % in unserem Lande gegenwärtig ja auch damit rechtfertigen, daß sie zur Abdeckung keiner vollen Beschäftigung nachgehen können —, staatlicher Aufgaben, investiver Leistungen, ge- wollen Sie sich hinstellen, ein Wachstum von nur braucht würde. Sie haben verschwiegen, lieber Herr 0,1 %, wollen Sie sich hinstellen, 4 000 Insolvenzen Kollege Kirst, daß trotz dieses massiven Anstiegs und Betriebsstillegungen, wollen Sie sich hinstellen, der Nettokreditaufnahme eine Nettokreditaufnahme aller öffentlichen Hände (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) von 50 bis 60 Milliarden DM etwa als wirtschaftlich und finanziell normal zu bezeichnen? die Investitionsquote am Bundeshaushalt in den letzten Jahren sogenannter sozialliberaler Regie- (Beifall bei der CDU/CSU) rung von Jahr zu Jahr zurückgegangen ist, so daß Meine Damen und Herren, das ist doch mindestens diese Kredit-Mittel für konsumtive Aufgaben ver- eine tiefe Rezession, wenn nicht eine ernsthafte wandt werden müssen. wirtschaftliche Krise, in der wir uns befinden. Lassen Sie mich, bevor ich auf den Einzelplan 04 Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang, um zu sprechen komme, noch ein allerletztes Wort an einige der weiteren Umdrehungen zurechtzurücken, den Kollegen Schmidt aus Wattenscheid richten. noch einen kurzen Rückgriff auf das, was der von Herr Kollege Schmidt, Sie haben, wenn ich das heute mir sehr geschätzte Kollege Kirst heute morgen aus- nachmittag richtig notiert habe, hier geäußert: Wir geführt hat. Meine Damen und Herren, ich begreife — und damit waren ja wohl die Regierung und die so langsam, warum Sie einen gewissen Komplex Koalition gemeint — haben die Inflation besiegt. haben und ständig davon reden, daß wir sagen Meine Damen und Herren, ich habe ja ein gewisses müßten, was wir eigentlich wollen. Das ist offen- Verständnis dafür, wenn sich die regierungsoffizielle - sichtlich der Komplex, das ist das Trauma, das Sie Propaganda hinstellt und landauf, landab verkündet, haben, zu befürchten, ab nächstes Jahr nicht mehr mit der Inflation sei das gar nicht so schlimm. Aber die Regierungsverantwortung in diesem Hause zu wenn ein verantwortlicher Gewerkschaftsrepräsen- tragen. Nur das ist doch der Hintergrund. tant und Gewerkschaftsführer vor dem Forum dieses Der Kollege Kirst hat den Versuch gemacht Hauses erklärt: wir haben die Inflation besiegt!, und — und andere auch —, den Spieß umzudrehen, so- damit die Gefahren und die Probleme der Inflation zusagen uns die Verantwortung zuzuschieben, als in diesem Ausmaß bagatellisiert und verharmlost, ob wir diejenigen wären, die für diese wirtschaft- dann habe ich dafür nicht das geringste Verständnis. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11045 Schröder (Lüneburg) Die Auswirkungen der Inflation bestehen ja nicht Konzept, das der bereits von mir zitierte Personal nur in der Vernichtung von Geld, Sach- und Vermö- ratsvorsitzende in dem erwähnten „Welt der genswerten. Die Bundesbank hat hier einmal Zahlen Arbeit"-Artikel als — ich zitiere wörtlich — „Vor- vorgelegt, an die Sie sicher nicht mehr so gern er- stellung eines 14jährigen Bürolehrlings" — damit innert werden möchten. Allein im Jahre 1973 — das war Herr Ehmke gemeint — mir ist die letzte erinnerliche Zahl — betrug die (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Substanzvernichtung auf den Spar- und Wertpapier- konten der Bürger unseres Landes 40 Milliarden DM. „von einem vermeintlich effizienten Kanzleramt" Das ist jedoch nur die eine Seite. titulierte, mußte scheitern, weil sich die natürliche Die andere Seite ist, daß die Inflation immer und traditionelle Stellung des Bundeskanzleramtes dann, wenn man sie nicht bekämpft — und das hat im Gesamtgefüge der Exekutivspitze in dieser Weise diese Regierung jahrelang nicht getan —, zwangs- gar nicht umfunktionieren läßt. Nach wie vor müssen läufig auch zur Arbeitslosigkeit führen muß. Das ist nämlich alle Sachaufgaben — ob von großer oder genau die Situation, in der wir uns befinden. Des- geringer politischer Bedeutung — in den jeweiligen halb kann man es gar nicht oft genug sagen: es hat Ressorts vorbereitet werden. Nach wie vor wird der in den ganzen zurückliegenden Jahren in den wirt- Geschäftsgang des Bundeskanzleramtes im wesent- schaftspolitischen Auseinandersetzungen in diesem lichen von den federführenden Ressorts bestimmt. Hause und draußen im Lande kein törichteres Argu- Auch die umfangreichen personellen Verstärkungen ment gegeben, ich hätte beinahe gesagt: kein düm- des Bundeskanzleramtes konnten und können daran meres Argument gegeben als jenes berühmt-berüch- nichts ändern. Im Gegenteil, durch Doppelarbeit tigte von den 5 °/o Inflation, die ihm lieber seien als wird die Entscheidungsschnelligkeit und Übersichts- 5 °/o Arbeitslosigkeit. Heute haben wir beides, und fähigkeit des Kabinetts sogar beeinträchtigt. Hier sogar noch auf einem höheren Niveau. ist der „Deutschen Zeitung — Christ und Welt" aus der letzten Woche zuzustimmen, als sie schrieb: (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der „Was mit dem atemberaubenden Anstieg der Be- CDU/CSU: Das ist die Logik der SPD!) amten anwuchs, war nicht die Gescheitheit der amt- Nun zum Einzelplan 04! Ich beginne mit der Fest- lichen Offenbarung, sondern die Summe der Fehl- stellung, daß ich auf das äußerste darüber verwun- leistungen." dert bin, daß dieser so reichlich bewunderte „Macher (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) und Manager", der jetzt an der Spitze des Bundes- kanzleramtes steht, diese Reformruine bzw. diesen Von diesem Tatbestand leite ich meine Feststellung Augiasstall — jetzt habe ich nicht etwa Franz Josef ab, die der Personalrat des Bundeskanzleramtes im Strauß zitiert, sondern den der ÖTV angehörenden übrigen voll teilt, daß dieses Amt eine ca. 40 °/oige Personalratsvorsitzenden des Bundeskanzleramtes Personalüberkapazität hat. Dieser Tatbestand der in einem Artikel des DGB-Organs „Welt der Arbeit" unnützen Personalaufblähung ist auch — wir haben — bisher ohne irgendeine Veränderung des desola- das ausführlich dargelegt, wie Sie alle wissen — ten Zustandes weiterführt, in dem die Herren Brandt die eigentliche Ursache beispielsweise für den Fall und Ehmke das Kanzleramt hinterlassen haben. Guillaume. Ohne Rücksicht auf fachliche Qualifika- Manchmal frage ich mich in dem Zusammenhang tion wurden neben anderen linientreue Parteifunk- ohnehin, wieso dieser Bundeskanzler eigentlich die tionäre in das Kanzleramt eingeschleust in der irri- in der freien Wirtschaft angesehene Vokabel eines gen Meinung, man könne damit die ganze übrige „Machers und Managers" verdient. Ich kann an Bundesverwaltung in Bonn schon unter die richtige Machertum bisher nur feststellen, daß er in der Tat Kontrolle bringen und erfolgreiche Politik betreiben. der hauptverantwortliche Macher für die Inflation, (Zuruf des Abg. Geiger [SPD]) für die Arbeitslosigkeit und für die beinahe totale Staatsverschuldung ist. Die Folge war statt dessen, Herr Kollege Geiger, wie die schon zitierte „Deutsche Zeitung" an glei- (Beifall bei der CDU/CSU) cher Stelle weiter schrieb, daß wegen der parteilichen Die Grundlage der Struktur und der Arbeitsweise Korsettstangen — ich zitiere — des Bundeskanzleramtes ist immer noch Ehmkes eine parteipolitisch gelenkte Personalpolitik da- Konzept vom 8. März 1970 über „Organisation, Per- zu geführt hat, daß in den oberen Etagen der sonalstruktur und Unterbringung des Bundeskanz- Ministerien — und damit auch des Bundeskanz- leramtes", das nicht nur jene hinlänglich bekannte leramtes — die korrigierende Distanz zu den Personalaufblähung zur Folge hatte — ich darf Sie auf Effekt bedachten Politikern seitens der Ver- daran erinnern: im Jahre 1966 hatte das Bundes- waltung verlorengegangen ist. Parteilichkeit kanzleramt noch 219 Mitarbeiter, 1970 nach dem überwuchert die Sachkunde. „Machtwechsel" erfolgte fast eine Verdoppelung auf - 395 und heute sind es 431 Stellen —, sondern vor Meine Damen und Herren, wie stark die partei- allem die Funktion des Bundeskanzleramtes von politischen Gesichtspunkte in der Personalpolitik des einem Generalsekretariat Globkescher Prägung, d. h , Bundeskanzleramtes eine Rolle spielen, zeigt bei- einer echten Führungs- und Koordinierungsstelle für spielhaft die Besetzung der Abteilungsleiterstelle den Kanzler und die Bundesregierung, zu einer der Abteilung 3, die nämlich gemäß interner Koali- Mini-Bundesverwaltung mit allumfassender Pla- tionsabsprache der FDP zusteht. Da die FDP aber nungs- und Kontrollkompetenz gegenüber allen an- offensichtlich keinen qualifizierten Mann aufbieten deren Bundesministerien machen wollte. Dieses kann, ist diese für die Koordinierung der Wirt- 11046 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Schröder (Lüneburg) schafts- und Finanzpolitik zuständige Abteilungs- bis hin zu einer einseitigen Auswahl von Instituten, leiterstelle seit Monaten unbesetzt. Gutachtern und Honorarberatern mit teilweise hor- renden Vergütungen und bis hin zu einer Zweck- (Hört! Hört! bei der CDU/CSU — Möller entfremdung von Haushaltsmitteln wie etwa Reise- [Lübeck] [CDU/CSU] : Wie peinlich für die kostenabrechnungen für die Teilnahme an Juso-Kon- FDP!) gressen. Das allein macht diese Planungsabteilung Meine Damen und Herren, ich kann es aus diesem für uns schon anrüchig genug. — Mit vielen dieser Grunde auch nur als Zumutung empfinden, wenn wir Feststellungen habe ich mich seinerzeit auch in völli- vor einigen Tagen in der Presse lesen mußten, daß ger Übereinstimmung mit meinem Mitberichterstat- der Haushaltsausschuß im Zusammenhang mit der ter in der Mehrheitsfraktion befunden. Aber das Beauftragung von Staatssekretär Schüler als Koordi- eigentliche Problem liegt hier wesentlich tiefer. nator der Sicherheitsdienste neun weitere Planstel- (Zuruf von der SPD: Ganz tief!) len genehmigen soll — und eine Stellenanhebung von B 6 nach B 9 am Rande auch noch. Die für die Diese Planungsabteilung ist eine Fehlkonstruktion.

Sicherheitsfragen zuständige Gruppe 07 im Kanzler- Sie ist ein Fremdkörper im Bundeskanzleramt, amt umfaßt jetzt schon 17 Mitarbeiter. Diese Gruppe (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Sie verstehen soll in Zukunft ja keine Parallelarbeit zum Bundes- davon gar nichts!) innenministerium oder zum Bundesverteidigungsmi- nisterium bzw. zum BfV oder MAD leisten, auch ja in der gesamten Bundesregierung, da sie nicht in keine Kontrolle über diese ausüben, geschweige die Programm-, Aufgaben- und Finanzplanung der denn Einzelanweisungen geben, sondern es sollen Ressorts eingegliedert ist. die in den Ressorts und in den Diensten geleistete (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Sie haben ja Arbeit an der Spitze abgestimmt und koordiniert und keine Ahnung von der Problematik!) diese Koordinierungsbeschlüsse dann in den jewei- Politische Planung hat aber nur dann einen Sinn, ligen Einrichtungen ausgeführt werden. Wenn dazu nun in der Tat noch einige wenige Arbeitskräfte er- wenn der Regierung und dem Bundeskanzler ein integriertes Ziel-, Maßnahmen- und Finanzierungs- forderlich sein sollten, dann bitte durch Einsparung verfahren angeboten werden können. Die Ehmke- an anderer Stelle dieses völlig übersetzten Amtes! sche Fehlleistung, meine Damen und Herren, die Zusätzliche Planstellen können wir jedenfalls unter Schmidt und Schüler bisher nicht korrigiert haben, gar keinen Umständen genehmigen. lag also in der Errichtung einer neben den operativen Und wieso man uns bei gleicher Tätigkeit eine Abteilungen stehenden besonderen Planungsabtei- Stellenanhebung von B 6 nach B 9 unterjubeln will, lung. Hier liegt die eigentliche Ursache für die von ist mir schlicht unerklärlich, es sei denn, man will mir apostrophierte Reformruine Bundeskanzleramt. damit diesem Mann, Denn politische Planung, auch langfristige Planung, (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Versorgungs ist natürlich für jede Regierung und jeden Kanzler denken!) erforderlich; nur, der Ehmkesche Denk- und Orga- der laut Guillaume-Bericht — ich zitiere jetzt wört- nisationsansatz, meine Damen und Herren, war von lich — „für die übereilte und ungerechtfertigte Ein- vorneherein zum Scheitern verurteilt und ist ge- stellung des Herrn Guillaume mitverantwortlich ist", scheitert. nachträglich eine Anerkennung für seine „hervorra- genden" Tätigkeiten in puncto Sicherheitsüberprü- An den politischen Folgen tragen Sie, meine Da-

fung aussprechen. men und Herren, jetzt. Denn hier liegt eine der Ursachen Ihrer geschichtlichen Fehlleistung, soge- (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Schäfer nannte Reformen ohne Rücksicht auf ihre Finanzier- [Tübingen] [SPD] : Eine Unverschämtheit! barkeit in die Wege zu leiten und nun als Ruinen Eine Diffamierung!) zu hinterlassen. In diesem Zusammenhang auch noch ein Wort zu dem politischen Charakter dieser Stellen in der Ich darf hier noch einmal den Personalratsvor-

Sicherheitsgruppe 07. Wir gehen davon aus, daß es sitzenden im Bundeskanzleramt, der gleichzeitig auch sich ebenso wie bei den Stellen in den Sicherheits- ÖTV-Mitglied ist, zitieren: diensten hier bis zu den A 16-Stellen um politische Zu substantieller Planung mit materiellem In- Beamte handelt. Im übrigen möchte ich bei dieser halt ist diese Planungsabteilung weder nach dem Gelegenheit allen Tendenzen, im Zusammenhang mit Konzept noch nach der Organisation in der Lage. der Personalausweitung in der Sicherheitsgruppe Die Organisationseinheiten stehen mehr oder etwa eine eigene Abteilung zusätzlich zu errichten, weniger zusammenhanglos nebeneinander und eine ganz klare Absage erteilen. Diesen Parkinson sind schon von ihrer Aufgabenstellung her zu lassen wir uns bei der Gelegenheit nicht unterjubeln. einer politischen Planung im echten Sinne außer-

Ein konkretes Feld für Personaleinsparung- ist stande. auch die sogenannte Planungsabteilung mit ihren 31 Meine Damen und Herren, wahrlich eine vernich- Stellen. Diese Planungsabteilung ist für die Oppo- tende Kritik eines Intimkenners der Verhältnisse sition nicht nur deshalb ein ausgesprochenes Ärger- im Bundeskanzleramt! Daß das ein Macher und Ma- nis, weil sie quasi als Außenstelle der „Baracke" vor nager nicht erkennt und ändert, ist mir rätselhaft. allem eine ideologische Spielwiese für junge Polito- Im Grunde genommen wissen Sie doch unter dem logen und Soziologen auf Staatskosten ist — Aspekt der Regierungsführung mit dieser Abteilung (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) überhaupt nichts mehr anzufangen. Sie setzen ledig- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11047 Schröder (Lüneburg) lieh das Management einer Fehlentscheidung fort. erleben, die Ergebnisse anderer Neubauten von Das ist uns, der Opposition, angesichts der gegen- Bundesministerien in Bonn noch weit in den Schat- wärtigen Finanzlage einfach zu kostspielig, meine ten stellen wird. So steigen die gesamten Bewirt- Damen und Herren. schaftungskosten, die jetzt zirka 600 000 DM jähr- (Beifall bei der CDU/CSU) lich betragen, in Zukunft auf 2,5 Millionen DM pro Jahr. Deshalb unsere Anträge, die entsprechenden Stel- (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) len und die Sachmittel zu streichen. Wir könnten allein dadurch 2,6 Millionen DM einsparen. Die jährlichen Instandsetzungskosten werden sich ebenfalls fast verdoppeln. Für den Betrieb dieser Aber nicht nur die Sicherheitsgruppe und die so- komplizierten technischen Anlagen hat die Bundes- genannte Planungsabteilung sind personell über- baudirektion 18 Mann zusätzlichen technischen Per- belegt bzw. überflüssig, auch die Ständige Vertre- sonals berechnet. Als unbedingt erforderlich werden tung in Ost-Berlin ist ein Beispiel personeller Über- auch ca. 3 bis 4 Monteure erachtet, da sonst die An- besetzung. Keineswegs war es erforderlich, die Stel- lage nicht in Ordnung gehalten werden kann. Auch lenzahl von 64 im vergangenen Jahr schlagartig auf dies, meine Damen und Herren, ist wieder ein — 85 in diesem Jahr zu erhöhen, was einer Auswei- wenn auch vielleicht vergleichsweise nur kleines — tung von 33 % entspricht. Hier hat man den alten Beispiel dafür, wie man unter sogenannter sozial- Trick angewandt, die zweifelsohne notwendige Ver- liberaler Ägide ohne Rücksicht auf finanzielle Aus- besserung einer bestimmten Aufgabe, nämlich der wirkungen geplant und darauflos gewirtschaftet hat. Rechtshilfe, dazu zu benutzen, gleich alle übrigen Ein letztes Beispiel für die „Sparsamkeit" im Kanz- Aufgabenbereiche der Vertretung personell mit auf- leramt, meine Damen und Herren! Gilt für die zustocken. Schreibkräfte in den Bonner Ministerien der Schlüs- Aber auch hier, meine Damen und Herren, liegt sel 1 : 8, im Ausnahmefall 1 : 6, was die Verteilung das Kernproblem wesentlich tiefer, nämlich in der Schreibkraft zu Diktierendem anbelangt, und geht Frage: Was ist eigentlich die Funktion dieser Stän- man im Kanzleramt von 180 Diktierenden aus, so digen Vertretung in Ost-Berlin? Herr Gaus möchte ergibt sich bei dem günstigen Schlüssel ein Bedarf sie zur zentralen Initiativ-, Schalt- und Koordinie- von 30 Schreibkräften; tatsächlich sind es aber 50. rungsstelle der innerdeutschen Politik der Bundes- Auch hier könnte man doch einmal ein konkretes regierung machen. Das ist aus seiner Sicht verständ- Zeichen von Sparsamkeit setzen. lich. Nur kann und darf dies doch nicht die Aufgabe Ich komme zum Schluß. der Vertretung sein — bei allem guten Willen! (Zurufe von der SPD: Sehr gut!) Auch unsere EWG-Politik in Brüssel wird doch nicht In der reformeuphorischen Regierungserklärung durch unsere dortige Ständige Vertretung gemacht, vom 28. Oktober 1969 hieß es noch — ich zitiere —: sondern hier in Bonn. Meine Damen und Herren, die innerdeutsche Politik muß hier in Bonn bestimmt Das Bundeskanzleramt und die Ministerien wer- werden. den in ihren Strukturen und damit auch in ihrer (Beifall bei der CDU/CSU) Arbeit modernisiert. Die Ständige Vertretung ist nur eines von mehre- Was ist aus dieser hochtrabenden Ankündigung ge- ren Ausführungsorganen. Nur, wer macht denn die worden? Nun, was das Bundeskanzleramt anbelangt, innerdeutsche Politik hier in Bonn eigentlich? meine Damen und Herren, so ist es zwar kräftig personell aufgebläht worden, hat entsprechend viele (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das rote Blutkörperchen erhalten, doch hat dies die ist die Frage!) Durchblutung leider nicht gefördert. Der Macher an Der farb- und einflußlose innerdeutsche Minister? der Spitze hat das Management der Fehlentschei- Der Außenminister? Die jeweiligen Fachminister dung und der Fehlkonstruktion bisher nicht behoben. wie für Inneres oder Verkehr? Also nicht nur in der Politik, auch in der Administra- (Zuruf von der CDU/CSU: Wehner!) tion eine Reformruine als Ergebnis sechsjähriger so- genannter sozialliberaler Politik! Alle sind sie ganz sicher mit Teilbereichen befaßt (Zurufe von der SPD) und ressortzuständig. Doch von einer echten Koordi- nierung des Kanzleramts, die hier wirklich geboten Nicht nur die Politik des Kanzlers, auch Organisa- wäre, ist wahrlich nicht viel zu merken. In diese tionsstruktur, Personalaufblähung und Ausgaben Lücke stößt die Ständige Vertretung und legitimiert explosion des Bundeskanzleramts veranlassen uns, sich mit einer entsprechenden Stellenausweitung. bei der Schlußabstimmung diesem Etat, meine Da- men und Herren, ein überzeugendes, ein klares und Aus diesem Grunde, meine Damen und Herren, ein eindeutiges Nein entgegenzusetzen! beantragen wir, hier sechs Stellen wieder zu strei- chen. - (Beifall bei der CDU/CSU — Wehner [SPD] : Noch ein allerletztes Wort zum Neubau des Bun- „Überzeugend" haben Sie gesagt? — Lachen bei Abgeordneten der SPD) deskanzleramts, das uns auch kostenmäßig zu über- rollen droht. Zwar verdoppelt sich die Nutzfläche des Kanzleramts im Neubau und steigen die Büro- Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat flächen um ungefähr ein Drittel gegenüber den bis- Herr Abgeordneter Haase (Kassel). herigen Räumlichkeiten; aber auf der anderen Seite (Zurufe von der SPD: Jetzt kommt der werden wir mit dem Neubau eine Kostenexplosion nächste! — Weitere Zurufe von der SPD) 11048 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975

Haase (Kassel) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! noch richtig im Ohr —, einen Augiasstall, der ja Meine sehr verehrten Damen und Herren! beträchtliche Ausmaße angenommen hat. Es wäre zu wünschen, daß recht bald ein Herkules kommt, um (Zuruf von der SPD: Noch einer! — Unruhe ihn auszumisten. — Glocke der Präsidentin) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) — Sie rufen: Noch einer. Kommen Sie doch vor, verehrte Freunde von der sozialdemokratischen Aber nicht weit von diesem „Ställchen" ist ja Fraktion, und erwidern Sie auf die Ausführungen noch eine andere Institution, für die unser verehrter des Kollegen Schröder! Sie kommen ja nicht! Sie Bundeskanzler die Verantwortung trägt, und das ist zwingen uns ja, hintereinander hier aufzutreten. das Presseamt. Wir sind gezwungen, auch dazu (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der einige Bemerkungen zu machen. Wer gehofft hatte, SPD) daß unter der Verantwortung unseres großen „Machers" — er ist nicht da — die Informations- Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr politik der Bundesregierung eine Wende zum Bes- Kollege Schröder hat dankenswerterweise — — seren erfahren würde, der ist bitter enttäuscht wor- (Zuruf des Abg. Wehner [SPD]) den. Unter Brandt — fragen Sie einmal die Journa- listen; die können es Ihnen alle bestätigen — waren Sie kommen gleich dran, Herr Kollege Wehner! die Regierungssprecher (Heiterkeit — Zurufe) (Wehner [SPD] : Sie brauchen eine andere Herr Kollege Schröder hat dankenswerterweise im Brille, Herr!) wesentlichen das zurückgewiesen, verehrter Herr Kollege W e h n er , was in Ihrer vorausgegange- ja, ja -- meist unzulänglich informiert. nen Rede geeignet war, die Opposition erneut zu (Wehner [SPD] : Das ist viel eindrucks beleidigen. voller!) (Lachen bei der SPD) — Herr Wehner, was drückt Sie denn schon wieder? Dabei ist aber ein Punkt vergessen worden. Herr (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU — Kollege Wehner, Sie haben sich mit großer Vehe- Wehner [SPD] : Sie brauchen eine andere menz und mit Blickrichtung auf die Opposition da- Brille! Tut mir leid!) gegen verwahrt — meines Erachtens mit Recht —, daß bei der heutigen Wahl des Wehrbeauftragten — Nicht doch, Herr Wehner! Es ist meine Aufgabe ein Abgeordneter Sie als „Sowjetagent" klassifiziert als Berichterstatter, zu dieser Sache zu reden. hat. Das ist eine große Geschmacklosigkeit. Nur, (Wehner [SPD]: Das sollen Sie ja auch!) 1 Herr Kollege Wehner, warum immer gleich mit Blickrichtung auf die Opposition? — Dann muß man doch als Opposition — das haben (Lebhafte Zurufe von der SPD) Sie uns auch vorexerziert — die Finger auf die Wunden legen. Das tue ich; das ist meine Pflicht. Kehren Sie doch einmal in Ihrem eigenen Haus! (Erneute Heiterkeit und Beifall bei der (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen und CDU/CSU — Wehner [SPD] : Das machen Zurufe von der SPD) Sie mit der Brille! -- Dr. von Bülow [SPD]: Lieber Herr Wehner, Sie haben doch Veranlassung Einen Finger in SNECMA einbringen! — dazu. Die Abstimmung um den Wehrbeauftragten Heiterkeit und weitere Zurufe von der SPD) hat doch deutlich gezeigt, daß die Zahl der Wider- --- Reden Sie von den Wahlergebnissen? sacher in Ihren eigenen Reihen erheblich ist. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) (Zuruf von der SPD: Pharisäer! — Dr. Schä fer [Tübingen] [SPD] : So ein dummer Meine Damen und Herren, ich wiederhole: unter Hetzer!) Herrn Brandt hatte man den Eindruck, daß die Re- Schauen Sie doch mal in Ihrer eigenen Fraktion gierungssprecher gelegentlich nicht informiert wa- nach, wenn Sie Kollegen zu finden versuchen, die ren. Aber unter dem gegenwärtigen Kanzler müs- Ihnen nicht wohl gesonnen sind, und erst dann sen wir feststellen, daß sie kaum noch informiert wenden Sie sich an die Opposition! Das ist mal sind. Die Unterrichtung der Presse und damit der wieder so ein Stück von Ihnen: flugs etwas aufzu- Bevölkerung wird immer unzureichender. Unser greifen und auf die Leute einzudreschen, ganz verehrter Kollege Ahlers, Herr Kollege Wehner gleich, wer es auch gewesen sein mag! — Sie sehen, daß ich hier keine Haaseschen Buh- männer aufbaue; Ahlers ist ja besonders sachkun- (Beifall bei der CDU/CSU -- Dr. Evers dig, auch nach Ihrer Ansicht; denn er war ja doch, [CDU/CSU] : Sehr richtig!) - soweit ich mich erinnern kann, einmal Pressespre- cher einer sozialliberalen Regierung —, hat jüngst Meine Damen und Herren, Herr Kollege Schröder in einem Artikel im „Stern" scharfe Kritik an der hat uns deutlich gemacht, was unser verehrter Informationspolitik der Bundesregierung geübt. Das Macher im Kanzleramt alles zu verantworten hat, sollten wir uns einmal anhören. also nicht nur Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Infla- tion und Zerrüttung der Staatsfinanzen, sondern (Dr. von Bülow [SPD] : Herr Haase, ergibt auch einen Augiasstall im Kanzleramt — um mit das einen Antrag auf Erhöhung der Mittel? der „Welt der Arbeit" zu sprechen; ich habe es wohl — Heiterkeit bei der SPD) Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11049

Haase (Kassel) — Herr von Bülow, Sie sind sonst ein so gescheiter Alois Rummel nennt in der „Deutschen Zeitung " (C Mann. Ich dachte, Sie wollten hier etwas Sachge- vom 14. März 1975 die Regierungssprecher zu Recht rechtes einbringen. „Verkäufer ohne Ware". Sie erinnern sich, im ver- gangenen Jahre sagte Herr Kettenbach: „Man (Zurufe von der SPD) schickt sie nackt auf eine Modenschau und erwar- — Gut! — Der Herr Kollege Ahlers ließ uns wis- tet dann, daß sie etwas Großes aufs Parkett legen". sen, daß es für denjenigen — das ist doch sehr auf- — Es hat sich nichts, aber auch gar nichts daran ge- schlußreich —, der sich um die Entwicklung der ge- ändert. samtdeutschen Politik kümmert, inzwischen inter- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) essanter geworden sei, das „Neue Deutschland" zu lesen, Alois Rummel sagt weiter: (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Hört! Unser Kanzler läßt das Presse- und Informa- Hört!) tionsamt zu einer Propagandamaschine verkom- men. Er überläßt wichtige Funktionen inner- als die Verlautbarungen der Bundesregierung. halb des Presseamtes Parteigängern oder pro- (Heiterkeit bei der CDU/CSU Dr. Ritz grammierten Hilfsschaffnern, die Parteipolitik [CDU/CSU] : Das kann doch nicht wahr mit Regierungspolitik identifizieren. Das Presse- sein!) amt verliert an Einfluß und Autorität, weil der Kanzler nicht mit ihm umzugehen weiß. Von Kollege Ahlers beklagte weiter, daß die Pressepoli- unabhängigen Journalisten sollte er sich ein- tik den Regierungssprechern nicht leichtgemacht mal ein Privatissimum geben lasen, was er als würde, da der Rahmen dessen, was diese zu wis- oberster Dienstherr des Informationsamtes bis- sen bekämen, wesentlich enger sei als bei all ihren her alles falsch gemacht hat. Er würde sehr Vorgängern seit der Zeit Konrad Adenauers. Wört- schnell merken, daß offensives Informieren um lich schreibt Ahlers: vieles besser ist, als ständig neue Schlachtpläne Der Bundeskanzler und seine Mitarbeiter hal- für Propagandakampagnen zu entwerfen. ten nicht viel von einem engen Kontakt mit der Dieser Feststellung eines sachkundigen Journalisten Presse. Helmut Schmidt freut sich sogar, wenn ist wohl nichts hinzuzufügen. Bonner Journalisten darüber klagen, daß sie nicht genügend informiert werden. Und je Meine Damen und Herren, es würde den zeitlichen schlechter die Wahlen ausfallen, desto spärli- Rahmen dieser kurzen Betrachtung über das Presse- cher werden die Informationen. amt sprengen, wollte ich die parteipolitisch ausge- richteten Kampagnen aus diesem Amt, die Herr Mül- Meine Damen und Herren, an dieser Stelle scheint ler im BPA konzipiert, hier im Detail vortragen. es angebracht zu sein, in Erinnerung zu bringen, Müller ist wohl dafür verantwortlich, daß die In- daß diese Koalition seinerzeit mit dem guten Vor- landswerbung betrieben wird. Zumindest einige satz angetreten ist, Öffentlichkeitsarbeit als Beitrag Schmuckstücke aus Müllers Politmühle möchte ich zur Demokratie durch Information leisten zu wollen. Ihnen hier aber doch vorstellen. Es sind die beiden In der Regierungserklärung vom 17. Mai 1974, nach- Broschüren „Unser Staat" dem Willy Brandt davongeschickt worden war, be- (Dr. Wörner [CDU/CSU] : In der Bundes kundete Kanzler Schmidt: wehr offiziell verteilt!) Unser demokratischer Staat lebt vom Engage- und „Dingsbums" ment des Bürgers, der verantwortlich mitdenkt, der mitbestimmt und mitentscheidet. (Zuruf von der SPD: Wie?) „Dingsbums"! — Diese Aussage impliziert die Feststellung, daß der Bürger auch erfährt, welche Entscheidungen aus (Heiterkeit Dr. von Bülow [SPD] : Bumms welchen Gründen und mit welcher Zielrichtung sei- mal wieder!) tens der Bundesregierung getroffen werden. sowie die Boulevardzeitung für Lohnabhängige Aber statt Einzelheiten zum Zwecke seiner Mei- „Wir". In der Broschüre „Unser Staat" aus Müllers nungsbildung zu erfahren, hat der Bürger höchstens Politmühle — ein Vierfarbendruck, der 48 Seiten die Chance, Propaganda serviert zu bekommen. umfaßt — sollen die Probleme unseres Landes vor- Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler gestellt werden. Man versucht zu sagen, wie wir scheint nicht fähig zu sein, die guten Möglichkeiten, diese Probleme mit Hilfe unserer, ach so tüchtigen die das Presseamt ihm vermittelt, sachgerecht zu Regierung lösen werden. Aber in Wirklichkeit singt nutzen. Er treibt das Amt zusehends in die Rolle die von einer SPD-Agentur fabrizierte und natürlich einer Werbeagentur zur Herstellung von Propagan-- aus Steuergeldern finanzierte Broschüre das hohe damaterial, Lied unserer Linkskoalition in Bonn, stellt unseren (Beifall bei der CDU/CSU) Macherkanzler und seine Kabinettsmitglieder in geschönten Lebensläufen und bunten Bildern vor das in erster Linie in die allfälligen Landtagswahl- und durcheilt lobhudelnd die Bonner Ressorts. kämpfe gepumpt werden soll und das die Steuer- Meine Damen und Herren, all das würde ich ja gar zahler sechsstellige Summen kostet. nicht einmal so sehr beklagen. Aber diese Schrift — (Dr. Evers [CDU/CSU] : Der Bundesmacher!) und hier hört der Scherz auf — heißt „Unser Staat". 11050 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Haase (Kassel) In diesem Machwerk kommt die Opposition über- met, aber bei Licht betrachtet war diese Informa- haupt nicht vor, mit keinem Wort! tionsschrift ebenfalls nichts anderes als ein Wahl- (Hört! Hört! bei der SPD) kampforgan zur Unterstützung der Bonner Links- koalition in sechs Landtagswahlkämpfen. — Ja, „hört, hört" ! Auch in dem Zusammenhang mit „Wir" taucht (Wohlrabe [CDU/CSU] : Das ist elitäre Arro wieder ein Problem auf: Die Sache ist recht lieder- ganz!) lich aufgezogen worden, denn es stellte sich jüngst Ich meine, Sie können ja über Ihre Regierung so viel heraus — wie die Presse berichtet , daß auf Ein- schreiben, wie Sie wollen. spruch der NPD einer Weiterverbreitung dieses Druckstücks nicht mehr gestattet wurde. (Wohlrabe [CDU/CSU]: Das sind die Genos sen!) (Zuruf des Abg. Wohlrabe [CDU/CSU]) Eines muß ich in diesem Zusammenhang aber sagen Ich will mich jeden Kommentars dazu enthalten. Herr Kollege Wehner, Sie reden ja manchmal mit Angeblich gibt die NPD eine Zeitung gleichen Na- Bezug auf uns davon, wer die anmaßende Staats- mens heraus, partei sei —: Wenn Sie schon von unserem Staat (Heiterkeit bei der CDU/CSU) sprechen, dann von allen politischen Kräften, die aber das weiß man im Hause Bölling anscheinend in dieser Republik mitwirken. nicht. Auf alle Fälle: Mehrere hunderttausend Mark (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von Steuergelder wurden auch in diesem Fall zum Fen- der SPD) ster hinausgeworfen. Sie haben zwar Zeilen gefunden, Alte-Kämpfer- (.Jäger [Wangen] [CDU/CSU] : Hört! Hört!) Nostalgie zu betreiben, mit Bildchen vom Parteitag Meine Damen und Herren, diese Art, partei- 1892, und eine Fahne zeigen Sie uns da: Einigkeit politische Werbung zu betreiben und mit Millionen- macht stark. Das ist ja alles schön und gut, nur, das aufwand in Landtagswahlkämpfe einzugreifen, allein ist nicht unser Staat, und das sollten Sie sich scheint selbst unserem Kollegen Ahlers unerträg- hinter die Ohren schreiben. lich und veranlaßte ihn, am 20. Februar 1975 zu (Beifall bei der CDU/CSU) folgender Bemerkung, wiederum in der von uns ge- Nun, nicht ganz so plump, aber in der Sache doch schätzten Zeitschrift „Stern". Conrad Ahlers sagte eindeutig, ist „Dingsbums", wörtlich: Wohlrabe [CDU/CSU]: Bums! Bums! kann Die Bundesregierung hat in diesem Millionen- man da nur sagen!) spiel mit einem lange Zeit eingehaltenen Prin- zip gebrochen, die heile Welt der Linksjunioren. Von di esen 500 000 gedruckten „Dingsbums" das ist wichtig zu wissen — (Heiterkeit) nämlich Informationsarbeit in angemessener Frist vor einem Wahltermin einzustellen, um aus dem Presseamt wurden zur Erleuchtung des dem Vorwurf eines parteipolitischen Miß- Wählers im Zusammenhang mit den Landtagswahlen brauchs von Steuergeldern zu entgehen. in Hessen und Bayern je 150 000 Stück in diesen Bundesländern unter die Leute gebracht. (Dr. Jahn [Braunschweig] [CDU/CSU] : Dar auf nehmen die nie Rücksicht!) (Zuruf von der FDP: Vorzeigen!) Nun, meine Damen und Herren, ich weiß nicht, Meine Damen und Herren, dann wäre noch etwas welcher Kollege hierauf erwidern wird. Ich kann zu einer Geschmacksfrage zu sagen. „Dingsbums" ist mir vorstellen, Sie werden 'sagen: Wenn wir das ja, meine Damen und Herren, ein regierungsamt- beherzigen wollten, dann könnten wir überhaupt liches Dokument, jede Werbung einstellen. Meine Damen und Herren, (Zurufe von der SPD) was früheren Bundespressechefs möglich war, näm- die Bundesrepublik Deutschland steht dahinter. Es lich sich zumindest einer gewissen parteipolitischen ist eben daher eine Stilfrage, ob man hier im Ton Zurückhaltung zu befleißigen, sollte sich auch jetzt der „St. Pauli-Nachrichten" junge Damen bemüht, ermöglichen lassen. Ahlers fährt fort: ihre intimsten Erfahrungen in den Dienst der sozial- Diese Skrupel und Bedenken der verantwort- liberalen Koalition zu stellen. wortlichen Leute im Presseamt wurden aber (Lachen und Zurufe von der SPD) von den Ereignissen überrollt, insbesondere von dem Arger über die Steuerreform. Gebieterisch -- Meine Herren, das ist eine Stil- und Geschmacks- verlangten Abgeordnete und Funktionäre der frage, aber über Geschmack läßt sich bekanntlich Regierungsparteien wirksame Public-Relations- nicht streiten. - Maßnahmen. (Erneute Zurufe von der SPD) Soweit Conrad Ahlers, der ja seine Pappenheimer Kommen wir zu Punkt drei Ihrer Elaborate, zu kennt. der in vier Millionen Exemplaren gedruckten sozial- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) liberalen Boulevard-Zeitung für Lohnabhängige mit Meine Damen und Herren, angesichts dieser Ent- dem Titel „Wir". Sie war in erster Linie der Image- wicklung sieht sich die Opposition gezwungen, ihre pflege der Regierung beim „kleinen Mann" gewid- Kürzungsanträge bei der Inlandswerbung des Presse- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11051

Haase (Kassel) amtes aus den vergangenen Jahren erneut zu stel rungswelle wurden fast 6 Millionen DM zum Fen len, und beantragt daher, bei Kap. 04 03 im Tit. ster hinausgeworfen. 531 01 2 Millionen DM, bei Tit. 531 03 Öffentlich (Zustimmung bei der CDU/CSU — Abg. keitsarbeit Inland 3 Millionen DM zu streichen Biermann [SPD] meldet sich zu einer Zwi und die so durch Kürzung erzielten 5 Millionen DM schenfrage) bei Tit. 531 04 — Ausland — zuzulegen. Als dann für den Arger und die Verwirrung der Be- Meine Damen und Herren, ich muß bei dieser völkerung in erster Linie eine lückenhafte und ver- Gelegenheit aber doch noch ein besonderes typi- spätete Informationspolitik verantwortlich gemacht sches Beispiel für die Unzulänglichkeiten regie- werden mußte, — rungsamtlicher Werbung ansprechen. Es handelt (Zurufe von der SPD) sich um die informationspolitische Behandlung der jüngst in Kraft getretenen Steuerreform, des Jahr- hundertwerks der Sozialliberalen. Mit dem Ge- Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, ge- schichtchen über die Nacht, da das Pferd ihn trat, statten Sie eine Zwischenfrage?

(Heiterkeit bei der CDU/CSU) Haase (Kassel) (CDU/CSU) : — wurde eiligst zur Entlastung der ins Wanken geratenen Regierungs- mag der Bundesfinanzminister seine heimische Un- front und als letzte Zuflucht der vom Pferd Getrete- terbezirkskonferenz in Barmbek beeindrucken. nen eine zweite Aufklärungswelle inszeniert, die (Erneute Heiterkeit bei der CDU/CSU) sich jedoch gleichfalls als Fiasko auswies. Nur, Tatsache ist doch, daß Herr Apel über die Aus- wirkungen der geplanten Steueränderungen bei- Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, ge- zeiten unterrichtet worden ist. Mehrfach sind ihm statten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeord- von sachkundigen Beamten seines Hauses Hinweise neten Biermann? auf die kritischen Punkte der sogenannten Reform vorgetragen worden, und auch die Ubersicht negati- Haase (Kassel) (CDU/CSU): Bitte sehr, Herr ver Aspekte zur Reform, die sein Parteifreund Fre- Biermann! dersdorf vom Steuerbeamtenbund im September 1974 vorlegte, machte allen Sachkennern deutlich, Biermann (SPD) : Herr Kollege Haase, können daß bei diesem Vorhaben von einer wirklichen Re- Sie sich dann, wenn Sie diese Steuerreform in dieser form, die sowohl mehr Gerechtigkeit schafft als Weise verdammen, noch vorstellen, daß ausgerech- auch das Steuersystem einfacher gestaltet, keine net Ihre Partei in meinem Wahlkreis damit Reklame Rede mehr sein konnte. macht, sie habe dieses große Werk vollbracht? Alle Warnungen wurden jedoch zurückgewiesen, (Zurufe von der CDU/CSU) und dem Personal der Steuerverwaltung drohte Herr Minister an, im Falle der Fortsetzung der Kritik Haase (Kassel) (CDU/CSU) : Lieber Kollege Bier- an dem geplanten Jahrhundertwerk die Beamten in mann, wenn Sie genau hingehört haben: Ich habe ja der Öffentlichkeit anzuschwärzen. Opposition, Sach- hier gar nicht die Aufgabe, zum Inhalt der Steuer- verständige und Teile der Presse hatten das Fiasko reform zu sprechen, sondern lediglich die Aufgabe der Reform rechtzeitig diagnostiziert; aber gefragt waren bei Tische des Herrn Ministers nur die ent- (Lachen bei der SPD und der FDP) lastenden und wahlwirksamen politischen Aspekte - nein, hören Sie einmal hin — etwas zur Behand- des Vorhabens. lung der Informationspolitik im Zusammenhang mit der Steuerreform auszuführen. Statt die Steuerbürger auf die Tücken der Reform (Beifall bei der CDU/CSU) vorzubereiten und allzu große Entlastungshoffnun- gen durch eine sinnvolle Information zu zerstreuen, Und, Herr Biermann, diese Informationspolitik ist so ließ man die Monate zwischen der überhasteten schlecht, daß sogar der Kanzler aus der Haut gefah- Verabschiedung im Parlament und jener furchtbaren ren ist und die Art und Weise gerügt hat, wie man Steuerdämmerung am 1. Januar 1975 ungenutzt ver- die Bevölkerung auf diese Sache vorbereitet hat. streichen. Mehr noch, die Damen und Herren der Darum geht es mir! Bundesregierung überboten sich in den Monaten vor (Beifall bei der CDU/CSU) dem Jahreswechsel gegenseitig im Anheizen der Begehrlichkeit und im Hochjubeln der Erwartungen der Steuerbürger. Frau Focke inserierte für über Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, ge- 3 Millionen DM, um ihren Anteil am Jahrhundert- statten Sie eine weitere Frage des Herrn Abgeord- werk der staunenden Öffentlichkeit gebührend- zu neten Biermann? verdeutlichen und ja nicht unter den Scheffel zu kommen. Der Herr Bundesminister der Finanzen Haase (Kassel) (CDU/CSU) : Nein, Die rote Lampe ließ mehrere hunderttausend Broschüren unter die leuchtet schon. Leute bringen, die weniger der Sachinformation (Lachen bei der SPD und der FDP) der Steuerzahler dienten denn dein höheren Lob der Wohltaten des und seiner Partei gewid- Selbst der Bundeskanzler, Herr Biermann, kam met waren. Im Rahmen dieser ersten Volksaufklä- nicht umhin, den Dilettantismus, der hier zutage 11052 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975

Haase (Kassel) trat, heftig zu rügen, und Ihr Kollege Hubert We- stellen, Herr Kollege Schröder, daß Sie das, was Sie ber bescheinigte der Regierung, in den Monaten seit hier an Zweifeln über die Rolle unserer Vertretung der Verabschiedung der neuen Steuergesetzgebung in Ost-Berlin geäußert haben, selber ernst nehmen. nichts getan zu haben, um die Bürger auf die Reform Sie wissen so gut wie ich und wie wir alle — das ausreichend vorzubereiten. können Sie jeden Tag in den Zeitungen lesen —, Ich komme zum Schluß. daß, wenn zwischen Ost-Berlin und Bonn verhandelt wird, die fachlichen Kontakte über die Fachministe- (Beifall bei der SPD und FDP) rien laufen. Diese Ministerien in Bonn und in Ost- Ja, ja, ich weiß! Das wird Sie noch besonders Berlin unterhalten unmittelbare Kontakte, natürlich freuen; das liegt auch uns am Herzen. unter Beteiligung der Ständigen Vertretung. Die Ständige Vertretung hat weder den Ehrgeiz noch die Besonderen Anteil am Versagen hat sich hier der Kompetenz noch auch die personellen Möglichkei- stellvertretende Sprecher der Bundesregierung, Ar- ten, sich an die Stelle zum Beispiel des Verkehrs- min Grünwald, wieder einmal eingehandelt. Als der oder des Postministeriums zu setzen. Überdies haben für Wirtschaftsfragen zuständige Werbeberater der wir auch noch ein Bundesministerium für innerdeut- Regierung ist er in erster Linie dafür verantwort- sche Beziehungen. lich, daß die Bundesregierung es verabsäumte, dem Steuerzahler von vornherein reinen Wein einzu- (Zuruf von der CDU/CSU: Auch noch!) schenken. Herr Grünwald ist es zuzuschreiben, wenn Unsere Vertretung in Ost-Berlin ist dort noch kein sich heute viele Steuerzahler geprellt fühlen und das Jahr tätig. Sie arbeitet seit neun Monaten und hat Trauerspiel um die Reform zu einem politischen seitdem 5 000 Rechtsschutzfälle bearbeitet; jeden Lehrstück dafür wurde, wie man sogenannte Refor- Monat kommen 600 weitere hinzu. Das sind im men informationspolitisch um keinen Preis behan- einzelnen vor allem Angelegenheiten der Familien- deln sollte. Wenn zudem Herr Grünwald jüngst vor zusammenführung, auch der Eheschließung, Angele- Journalisten offenbarte — auch das ist sehr interes- genheiten des Reise- und Besucherverkehrs, der sant —, zwischen ihm und Amtschef Bölling gebe Hilfestellung bei der Beschaffung von Urkunden, es nicht einmal schlechte Kommunikation, sondern auch in Renten- und Grundstücksangelegenheiten, überhaupt keine, der Mithilfe bei der Regelung von Erbschaftsfragen, (Lachen bei der CDU/CSU) und schließlich — das ist doch wohl anerkannt wich- so ist man geneigt zu fragen, wer denn an einer tig — der Betreuung von etwa 300 in Straf- und Un- weiteren Mitarbeit des stellvertretenden Regie- tersuchungshaftanstalten der DDR befindlichen Be- rungssprechers gegenwärtig überhaupt noch inter- wohnern der Bundesrepublik einschließlich West- essiert ist. Ich glaube. allen Beteiligten wäre sicher Berlins. gedient, wenn Armin Grünwald in den Ruhestand Für diese Arbeit kommt die Ständige Vertretung einträte und seine Stelle eingespart würde. im Augenblick mit einem Ist-Stand von 71 Mitarbei- tern aus. Das Stellensoll beträgt 98. (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der CDU/CSU: Weil er so arrogant ist!) (Zuruf des Abg. Wohlrabe [CDU/CSU]) Die Regierung soll den Bürger informieren über Wenn sie weitere 13 Stellen besetzen will, nämlich Ziele und Wege ihrer Politik. Sie soll ihn informie- von 85 auf 98, braucht die Bundesregierung dazu ren, mit welchen Mitteln sie glaubt, den Problemen die Zustimmung des Haushaltsausschusses des Bun- am besten gerecht werden zu können. Dazu bedarf destages. Auf diese Weise ist sichergestellt, daß der es keiner Volksaufklärung und Propaganda, sondern Personalzuwachs unter der Kontrolle des Parla- sachgerechter Information. Diesem Informationsauf- ments bleibt. trag ist auch die Regierung Schmidt bisher nicht im Dies übrigens ist am 12. Dezember im Haushalts- entferntesten gerecht geworden. ausschuß auch mit Zustimmung der Opposition be- schlossen worden. Aus diesem Grunde erscheint mir (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Bei der Antrag der CDU/CSU in der Sache unerklärlich. fall und Bravorufe bei der SPD und FDP Wir können nur vermuten, daß es andere Gründe Zurufe von der SPD: Zugabe! — Wei als die der Sparsamkeit sind, die zu einer Redu- tere Zurufe) zierung der Tätigkeit der Ständigen Vertretung in Ost-Berlin führen sollen. Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dübber. Meine Damen und Herren, wenn die Opposition auf diesem Gebiet Sparsamkeit für notwendig hält und sie forcieren will, dann kann ich Ihre Aufmerk- Dr. Dübber (SPD) : Frau Präsidentin, meine Da- samkeit nur auf ganze Subkulturen von Zuwen- men und Herren! Es wird mir schwerfallen, dasselbe dungsempfängern lenken, die seit 20 Jahren die Niveau an Heiterkeit zu halten wie mein Vorredner.- DDR erforschen, aber ebenso lange nicht drüben (Beifall bei der SPD) gewesen sind. Ich muß leider zu ernsteren Dingen zurückkehren. (Wohlrabe [CDU/CSU] : Das ist ein ganz Ich bitte, dem CDU-Antrag, der Ihnen auf Druck- dummes Zeug, was der da erzählt!) sache 7%3387 vorliegt, auf Streichung von 6 Plan- Bei der Ständigen Vertretung der Bundesrepu- stellen bei unserer Vertretung in Ost-Berlin nicht blik Deutschland in Ost-Berlin wird die Arbeit nicht zuzustimmen. Ich kann mir eigentlich schwer vor- nicht bloß auf Papier und nicht am Schreibtisch, Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11053

Dr. Dübber sondern da wird die Arbeit vor Ort geleistet. Arbeit, troffene Bürger weiterhin davon ausgeht, Sozial die den Menschen hilft, wollen wir intensiviert se- hilfe sei ein Almosen, daß er vom Staat erbetteln hen und nicht eingeschränkt. müßte? Was nützt die Verbesserung des Wohngeld- Ich bitte, den Antrag der CDU/CSU zu diesem gesetzes, wenn dem Bürger die Information darüber Punkt abzulehnen. fehlt, ob und auf welche Weise er selbst Wohngeld beziehen kann? Nicht ganz ohne Bedeutung dürfte (Beifall bei der SPD und der FDP) sein, wenn die Zahl der Wohngeldempfänger auf 1,6 Millionen angestiegen ist, daß das Presse- und Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der Informationsamt der Bundesregierung seit einigen Abgeordnete Esters. Jahren eine auflagenstarke Informationsschrift ver- öffentlicht hat. Esters (SPD) : Frau Präsident! Meine Damen und (Baier [CDU/CSU] : Herr Esters, Sie müssen Herren! Herr Kollege Haase, ich kann eines nicht zum Dingsbums sprechen und nicht zum verstehen, nämlich daß Sie sich wundern, wenn bei Wohngeld! Das würde uns interessieren!) Ihnen etwas deutlich zurückgeschlagen wird. In der Servicefunktionen für den Bürger hat die Bundesre- 155. Sitzung weist das Protokoll z. B. aus: „Zurufe gierung in diesem Falle zu leisten. von der CDU/CSU: Wie im Sächsischen Landtag! — Zurufe von der CDU/CSU: Sie Kommunist! — Sie Kennzeichnend für die Bemühungen des Presse- alter Bolschewist!" usw. Sie können sich doch vor- amtes ist, die Information über die Arbeit der Bun- stellen, desregierung mit direktem Nutzen für den Bürger zu verbinden. Diese Entwicklung wird auch daran (Zurufe von der CDU/CSU: Wer ist denn deutlich, daß der Titel 531 01, der für die Form der damit gemeint? — Doch Wehner!) bürgernahen Öffentlichkeitsarbeit nicht nutzbar ist, wenn dies in dieser deutlichen Form von Ihnen hier seit 1973 zugunsten des Titels 531 03 völlig stagniert. gerufen wird, daß derjenige, dem es zugerufen wird, Den Schwerpunkt der Inlandsöffentlichkeitsarbeit auch das Recht haben muß, entsprechend zurückzu- bilden seither auf die Bedürfnisse des Bürgers zuge- schlagen. schnittene Servicepublikationen, die nicht nur über (Beifall bei der SPD — Zurufe von der die Entscheidungen und Gesetze informieren, son- CDU/CSU: Wer war das denn?) dern dem einzelnen auch praktische Hinweise geben, diese Gesetze für sich zu nutzen. Ich weiß genau, daß dann, wenn der Kollege Haase in diesem Hause gesprochen hat, eine gewisse At- In diese bürgernahen Servicebereich gehören mosphäre geschaffen ist, die es nicht immer zu- auch die Anzeigen des Presse- und Informationsamts, läßt, zu den sachlichen Dingen so zurückzukehren, wie die in diesen Tagen erschienenen Informations- wie man es eigentlich vorgehabt hat. anzeigen zur Steuerklassenwahl und zum Kinder- geld, deren Veröffentlichung ja auch der Forderung (Zurufe von der CDU/CSU) der Opposition entspricht, die Bürger so umfassend Daß in jedem Jahr die Informationspolitik der wie möglich über die Auswirkungen der Steuerre- Bundesregierung einer harten Prüfung durch die form zu informieren. Opposition unterzogen wird, wissen wir. Dies ist (van Delden [CDU/CSU] : Nachdem das Kind auch in der Vergangenheit so gewesen. Es ist aller- in den Brunnen gefallen ist!) dings nicht zu bestreiten, daß es heute, bedingt — In meinem Wahlkreis war es so, Herr Kollege, durch eine komplizierte und für den einzelnen daß die CDU/CSU sich ungefähr bis Mitte Januar schwerer zu verstehende internationale Wirtschafts- lage und daraus resultierender Abhängigkeiten un- (van Delden [CDU/CSU] : Keiner wußte, serer wirtschaftlichen und politischen Entwicklung was los war!) schwieriger geworden ist, der Informationspflicht damit aufblähte: Wir haben die Steuererleichterun- einer Regierung den Bürger gegenüber zu genügen, gen für Sie geschaffen. wenn der Auftrag des Haushaltsgesetzes, nämlich (Dr. Evers [CDU/CSU] : Aber die Erleichte „die deutsche Bevölkerung über die politischen rungen haben wir ja auch erreicht!) Ziele und die Arbeit der Bundesregierung zu unter- richten", wirksam erfüllt werden soll; denn Infor- Seit Mitte Februar, als Sie irgendwie meinten, den mation über die Arbeit der Bundesregierung bedeu- Rückwärtsgang einschalten zu müssen, kamen dann tet zuerst einmal, durch breit gestreute und wir- die Plakate heraus, damit hätten Sie nichts zu tun. kungsvolle Aufklärung dem Bürger die Entschei- Jetzt tut es Ihnen wahrscheinlich wieder außeror- dungsgrundlagen politischen Handelns als Aus- dentlich leid, daß Sie hier umgeschaltet haben. gangsposition seiner eigenen Entscheidungen, die er (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. in der Demokratie zu treffen hat, zu verdeutlichen.- Jahn [Braunschweig] [CDU/CSU] : Die gu Der Herr Kollege Haase hat dankenswerterweise ten Seiten sind von uns!) auf das Zitat aus der Regierungserklärung des Bun- deskanzlers vom 17. Mai 1974 hingewiesen. Herr Kollege Haase hat dann noch angesprochen, daß die Öffentlichkeitsarbeit Inland in den Landtags- Die Bundesregierung hat darüber hinaus die wahlkämpfen eine nicht unwesentliche Rolle spiele. Pflicht, den Bürger über die Rechte und Chancen, die ihm die Politik bietet, zu informieren. Was nützt (van Delden [CDU/CSU] : Hat Herr Ahlers beispielsweise das Sozialhilfegesetz, wenn der be- gesagt!) 11054 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975

Esters Es ist natürlich primär atmophärisch bedingt, daß desregierung einmal so weit gehen wird wie die das Presse- und Informationsamt in diesen Zeiten Regierung eines sehr nördlichen Bundeslandes, die wesentlich häufiger dem Vorwurf der Opposition unter der ein wenig parteiischen Überschrift „Rote begegnet, Federn — rote Märchen" eine Anzeigenserie ver- (van Delden [CDU/CSU] : Nein, Herr Ahlers öffentlicht, die einer politischen Partei doch wohl war das! Ahlers ist doch nicht die Oppo eher ansteht als einer Regierung, von deren Öffent- sition!) lichkeitsarbeit die Haushaltsgesetze ebenso wie das Bundesverfassungsgericht eine gewisse Zurückhal- es betreibe Wahlpropaganda zugunsten der Koaliti- tung verlangen. Stellen Sie sich einmal vor, meine onsparteien. Damen und Herren, das Presse- und Informationsamt (Dr. Jahn [Braunschweig] [CDU/CSU] : Das der Bundesregierung hätte eine Anzeigenserie unter hat doch der „Stern" geschrieben!) dem Titel „Schwarze Seelen, schwarze Legenden" gestreut. Was wäre dann hier heute los gewesen! — Ja, auch. — Auch in Wahlzeiten wird das Presse- amt nicht darauf verzichten können, über die Ent- (Zustimmung bei der SPD) scheidungen der Bundesregierung so wirkungsvoll Ich bin der Meinung, daß die Öffentlichkeitsarbeit wie möglich zu informieren. Inland des Presse- und Informationsamtes der Bun- (Dr. Evers [CDU/CSU] : Er hat es schwer!) desregierung heute stärker als vor 1969, als es bei- spielsweise noch die Mobilwerbung und die Arbeits- gemeinschaft Demokratischer Kreise finanzierte Vizepräsident Frau Funcke: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Baier? (Zuruf von der CDU/CSU: Das war noch etwas Vernünftiges!) Esters (SPD) : Herr Kollege Baier. — das kann ich mir denken, ja, das kann ich mir denken! —, ihrer Informationspflicht dem Bürger ge- genüber nachkommt. Baier (CDU/CSU) : Herr Kollege Esters, aber wie erklären Sie sich, daß diese Broschüren nur in den Die Opposition führt die Landtagswahlen — dies Ländern verteilt werden, in denen Landtagswahl- auch in diesem Zusammenhang — bewußt bundes- kämpfe und anschließend Landtagswahlen statt- politisch. Angesichts dieser Tatsache ist es selbst- finden? verständlich, daß das Bundespresseamt die bundes- (Stücklen [CDU/CSU] : Reiner Zufall!) politischen Planungen und Aktionen nicht auf Bonn beschränken kann und hier unter Verschluß hält. Esters (SPD) : Herr Kollege Baier, die Broschü- Die Bundesregierung hat das Recht und die Pflicht, ren kommen grundsätzlich in allen Ländern zur Ver- ihre Politik dort zu verteidigen, wo sie angegriffen teilung. wird, (Zuruf von der CDU/CSU: Darstellen!) (Baier [CDU/CSU] : Nein, das stimmt nicht!) und Unterstützung da zu suchen, wo sie sie findet. — Wenn Sie sich, Herr Kollege Baier, den Ver- teiler- und Empfängerschlüssel des Presseamtes an- (Anhaltende Unruhe) sehen, dann werden Sie feststellen, daß die Bedie- nung entsprechend der Nachfrage Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, (Lachen bei der CDU/CSU) einen Augenblick bitte. Sie geben sich große Mühe. Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe. Neh- — und danach geht es; ja, natürlich — erfolgt. men Sie bitte die Plätze ein. Es ist sehr schwer für (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Und den Redner, sich verständlich zu machen. Ich bitte wer löst die Nachfrage aus?) Sie, Ihre Plätze einzunehmen und Ruhe zu halten. Geben Sie dem Redner die Chance, gehört zu wer- Die derzeitige Situation erfordert darüber hinaus den. eine besonders intensive Information der Bevölke- rung, wenn verhindert werden soll, daß vielfache Versuche, Angst und Hysterie zu erzeugen, den so- Esters (SPD) : Der Herr Kollege Schröder hat es zialen Frieden und den sicherlich von uns allen an- nicht unterlassen können, nachdem Herr Seemann gestrebten wirtschaftlichen Aufschwung nicht gefähr- schon im ZDF-Magazin erschienen war, ihn auch den sollen. Im Interesse derer, die um Arbeitsplätze hier zu Wort kommen zu lassen. Er hat wieder ein- Sorge haben, halte ich es für legitim, Panikmache mal von der Personalaufblähung im Bundeskanzler- zurückzuweisen. amt gesprochen. Ebenso legitim ist es aber auch, gelegentlich ein- (Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt doch!) mal auf unzureichende Informationen einzelner- Lan- Ich möchte sagen: erwartungsgemäß. desregierungen nüchtern und sachlich zu antworten, Bei den Zahlenangaben allerdings läßt er unbe- so wenn beispielsweise die Bayerische Staatsregie- rücksichtigt, daß es in der Zeit der Großen Koalition rung ein Bundesratsministerium gab. Die bis 1969 dort ge- (Stücklen [CDU/CSU] : Vorsicht!) führten Stellen sind dann zuständigkeitshalber zum Leistungen des Bundes mit schöner und regelmäßiger Kanzleramt übertragen worden. Ein erheblicher Auf- Selbstverständlichkeit auf ihre Fahnen schreibt. gaben- und Stellenzuwachs ist damit wohl nicht be- Allerdings ist nicht damit zu rechnen, daß die Bun streitbar. Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11055 Esters Die von Ihnen, Herr Kollege Schröder, genannte Grenzen der Großen Koalition" für 217 441 DM. Dort Gruppe 07 hat heute 17 Stellen. Dabei handelt es wurde in Auftrag gegeben: „Gesellschaftspolitische sich aber nicht um neue Stellen, sondern um Um- Grundlagen der längerfristigen Sicherung des wirt setzungen aus dem Kapitel 04. Auch hier sollten wir schaftlichen Wachstums" für 185 000 DM. Herr Kol- dann etwas ehrlicher sein. lege Schröder, damals waren 1,2 Millionen verfüg- Die Bewirtschaftung des Bundeskanzleramtes wird bar, heute sind es nur 1,4 Millionen DM. Sie können zweifellos einen erheblichen finanziellen Aufwand nicht davon sprechen, daß es hier zu hohe Steige- erfordern. Das gilt übrigens für jedes moderne Ver- rungsraten gegeben hat. waltungsgebäude, das in den letzten Jahren fertig- Wenn Sie dann die externen Gutachter besonders gestellt worden ist. Das neue Kanzleramt macht hier ansprechen ich nenne aus Fairneßgründen hier sicherlich keine Ausnahme. Es fällt aber auch nicht weder Institute noch Namen —, möchte ich aller- aus dem Rahmen, den wir insgesamt antreffen. Der dings einen nennen. Nämlich: der Herr Zeitel, mitt- Repräsentationsaufwand ist maßvoll. Die Zweck- lerweile Kollege, hat den Kanzler Kiesinger seiner- mäßigkeit und Funktionalität sind die maßgebenden zeit beraten, und zwar vom 1. September 1967 bis Gestaltungsprinzipien. Wir werden, Herr Kollege zum 30. September 1969, zu einem monatlichen Schröder, dafür Sorge zu tragen haben, daß das Amt Honorar von 2400 DM. Heute, Herr Kollege Schrö- alle Möglichkeiten zur Kosteneinsparung nutzt. der, zahlt die Planungsabteilung an die von Ihnen dem „Bayernkurier" namentlich genannten Personen Ihre Auslassungen, Herr Kollege Schröder, über 1200 DM pro Monat für die gleiche jährliche Sit- die Planungsabteilung haben mich allerdings inso- zungszahl, also die Hälfte weniger. Hier ist Spar- fern etwas enttäuscht, als Sie als Mitberichterstatter samkeit am Platze, und es gibt nicht, wie Sie sagen, nicht gemerkt haben, daß die Planungsabteilung horrende Ausgaben. Organisationseinheiten verändert hat, und zwar seit ungefähr einem Jahr. Sie haben Organisationsein- (Zuruf von der CDU/CSU: Es ist 20 Uhr, heiten aufgezählt, die es gar nicht mehr gibt. Dies Herr Kollege!) erklärt sich vielleicht daraus, daß Sie sich auf Herrn Die Planungsabteilung verdient es insgesamt, aus Seemann berufen, der, was Sie wohl nicht bemerkt diesem Bereich der öffentlichen Diskussion heraus- haben, über eine zurückliegende Zeit und nicht über gehalten zu werden. Ich bin mir natürlich klar dar- die augenblicklichen Verhältnisse geschrieben hat. über, Herr Kollege Schröder, daß Sie ein politisches Auf eine Anfrage des Kollegen Schmidt (Kempten) Interesse daran haben, daß diese Planungsabteilung nach der Planungsabteilung hat im November 1967 verschwindet. Genau dies wollen die Koalitionsfrak- der damalige Parlamentarische Staatssekretär von tionen nicht. und zu Guttenberg geantwortet: (Beifall bei der SPD und der FDP) Die Planungsabteilung hat unter anderem die Wir lehnen die Anträge der Opposition zum Ein- Aufgabe, Problembereiche, die für die Gestal- zelplan 04 ab. Namens der Fraktionen von SPD und tung unserer politischen, wirtschaftlichen, ge- FDP beantrage ich namentliche Abstimmung. sellschaftlichen und technologischen Zukunft (Beifall bei der SPD und der FDP) von Bedeutung sind, zu analysieren, Empfehlun- gen für eine künftige Gestaltung auszuarbeiten und auf diese Weise die politischen Entschei- Vizepräsident Frau Funcke: Meine Damen dungen des Regierungschefs vorzubereiten. und Herren, ich bitte Platz zu nehmen. Darf ich an- nehmen, daß der Antrag auf namentliche Abstim- (Zuruf von der CDU/CSU) mung über Einzelplan 04 in der zweiten Lesung sich Guttenberg weiter: nicht auf die Änderungsanträge bezieht. Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich die (Zurufe) Arbeit des Planungsstabes thematisch nicht im Also nur zum Einzelplan 04. Dann kommen wir einzelnen ausbreiten kann. Politische Planung zunächst zu den Änderungsanträgen. Es liegen uns ist Stabsarbeit, die sich ihrem Wesen nach nicht die Anträge der Fraktion der CDU/CSU auf den vor der Öffentlichkeit vollzieht. Drucksachen 7/3387 und 7/3388 vor. Darf ich davon Herr Schröder, Sie sehen, die Informationen, die ausgehen, daß über jeden Antrag insgesamt abge- die Opposition heute hat, sind von dieser Regierung stimmt werden kann, also keine Einzelabstimmung in ganz starkem Maße erweitert worden. nötig ist? — Das ist der Fall. Andererseits haben Sie aber einem Redakteur Dann bitte ich nunmehr zur Abstimmung über des „Bayernkurier" in der letzten Zeit einige Infor- den Antrag auf Drucksache 7/3387. Wer zuzustim- mationen zugesteckt und dabei auch die entspre- men wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. -- chenden Namen genannt; dabei ging es darum, daß Gegenprobe! — Das letzte war die Mehrheit. Ent- mit horrenden Kosten externe Gutachter beschäftigt haltungen? — Keine. Der Antrag ist abgelehnt. würden. Einer Ihrer Haupteinwände richtet sich ja Ich rufe den Antrag auf Drucksache 7/3388 auf. gerade gegen die Beschäftigung externer Gutachter. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Ich möchte Ihnen einmal an einigen Beispielen Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag ist sagen, was seinerzeit, nämlich 1967/1968, dort in abgelehnt. Auftrag gegeben wurde. Dort wurde in Auftrag ge- Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den geben, Herr Kollege Schröder: „Möglichkeiten und Einzelplan 04 in zweiter Lesung. Es ist namentliche 11056 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975

Vizepräsident Frau Funcke Abstimmung verlangt. Meine Damen und Herren, Lange Stahl (Kempen) wir haben zwei Urnen. Ich bitte jeden, mit seiner Lattmann Frau Steinhauer Dr. Lauritzen Suck Karte an die nächstliegende Urne zu gehen. Lautenschlager Sund Lemp Tietjen (V o r sitz: Vizepräsident von Hassel) Lenders Frau Dr. Timm Frau Dr. Lepsius Tönjes Liedtke Urbaniak Vizepräsident von Hassel: Ich gebe das Er- Löbbert Vahlberg gebnis der namentlichen Abstimmung zum Einzel- Dr. Lohmar Vit plan 04 bekannt. Es wurden 424 uneingeschränkt Lutz Dr. Vogel (München) stimmberechtigte Stimmen abgegeben. Davon haben Mahne Vogelsang Marquardt Walkhoff mit Ja für den Einzelplan 04 — 254 gestimmt, mit Marschall Waltemathe Nein 170; es gab keine Enthaltungen und keine Matthöfer Walther ungültigen Stimmen. Von den Berliner Abgeord- Frau Meermann Dr. Weber (Köln) neten wurden 20 Stimmen abgegeben, von ihnen Dr. Meinecke (Hamburg) Wehner Meinicke (Oberhausen) Wende haben 13 mit Ja und 7 mit Nein gestimmt. Metzger Wendt Möhring Dr. Wernitz Endgültiges Ergebnis Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möll r Westphal Müller (Bayreuth) Wiefel Abgegebene Stimmen 424 und 20 Berliner Abgeordnete; Müller (Mülheim) Wilhelm Müller (Nordenham) Wimmer davon Müller (Schweinfurt) Wischnewski ja: 254 und 13 Berliner Abgeordnete, Dr. Müller-Emmert Dr. de With Nagel Wittmann (Straubing) nein: 170 und 7 Berliner Abgeordnete. Neumann Wolf Dr.-Ing. Oetting Wolfram Wrede Ja Ewen Offergeld Dr. Farthmann Frau Dr. Orth Würtz Wüster Fellermaier Freiherr Ostman von der SPD Wuttke Fiebig Leye Wuwer Adams Dr. Fischer Pawelczyk Zander Ahlers Flämig Peiter Zebisch Dr. Ahrens Frau Dr. Focke Dr. Penner Amling Franke (Hannover) Pensky Zeitler Anbuhl Frehsee Peter Berliner Dr. Apel Friedrich Polkehn Abgeordnete Arendt (Wattenscheid) Gansel Porzner Bühling Dr. Arndt (Hamburg) Geiger Rapp (Göppingen) Dr. Dübber Augstein Gerlach (Emsland) Rappe (Hildesheim) Egert Baack Gerstl (Passau) Ravens Frau Grützmann Bäuerle Gertzen Frau Dr. Rehlen Heyen Barche Dr. Geßner Reiser Löffler Bahr Glombig Frau Renger Mattick Dr. Bardens Dr. Glotz Reuschenbach Dr. Schellenberg Batz Gnädinger Richter Frau Schlei Becker (Nienberge) Grobecker Rohde Schwedler Dr. Beermann Grunenberg Rosenthal Sieglerschmidt Behrendt Dr. Haack Sander Wurche Biermann Haase (Fürth) Saxowski Blank Haase (Kellinghusen) Dr. Schachtschabel Dr. Böhme (Freiburg) Haehser Schäfer (Appenweier) FDP Börner Dr. Haenschke Dr. Schäfer (Tübingen) Dr. Achenbach Frau von Bothmer Halfmeier Scheffler Dr. Böger Brandt Hansen Scheu Christ Brandt (Grolsheim) Hauck Frau Schimschok Engelhard Bredl Dr. Hauff Schinzel Ertl Brück Henke Schlaga Frau Funcke Buchstaller Herold Schluckebier Gallus Büchler (Hof) Hofmann Dr. Schmidt (Gellersen) Geldner Büchner (Speyer) Dr. Holtz Schmidt (Hamburg) Genscher Dr. von Bülow Horn Schmidt (München) Graaff Buschfort Frau Huber Schmidt (Niederselters) Grüner Dr. Bußmann Huonker Schmidt (Wattenscheid) Dr. Hirsch Collet Immer Schmidt (Würgendorf) Hoffie Conradi Jahn (Marburg) Dr. Schmude Jung Coppik Jaschke Dr. Schöfberger Kirst Dr. Corterier Jaunich Schonhofen Kleinert Frau Däubler-Gmelin Dr. Jens Schreiber Krall Dr. von Dohnanyi Junghans Schulte (Unna) Dr.-Ing. Laermann Dürr Junker Schwabe Dr. Graf Lambsdorff Eckerland Kaffka Dr. Schweitzer Logemann Dr. Ehmke Kern Dr. Schwencke (Nienburg) Frau Lüdemann Dr. Ehrenberg Koblitz Dr. Schwenk (Stade) Dr. Dr. h. c. Maihofer Frau Eilers (Bielefeld) Konrad Seefeld Mertes (Stuttgart) Dr. Emmerlich Kratz Seibert Mischnick Dr. Enders Dr. Kreutzmann Simon Moersch Engholm Krockert Simpfendörfer Ollesch Dr. Eppler Kulawig Dr. Sperling Opitz Esters Lambinus Spillecke Ronneburger Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11057 Vizepräsident von Hassel von Schoeler Dr. Kempfler Tillmann Frau Dr. Wolf Spitzmüller Kiechle Frau Tübler Dr. Wulff Dr. Vohrer Kiep Vehar Dr. Zeitel Dr. Wolfgramm (Göttingen) Dr. Klein (Göttingen) Frau Verhülsdonk Zeyer Wurbs Dr. Kliesing Vogel (Ennepetal) Ziegler Zywietz Dr. Köhler (Wolfsburg) Volmer Zink Krampe Dr. Waffenschmidt Berliner Abgeordnete Dr. Kraske Dr. Wagner (Trier) Dr. Kunz (Weiden) Berliner Abgeordnete Hoppe Dr. Wallmann Lagershausen Wawrzik Frau Berger (Berlin) Lampersbach Weber (Heidelberg) Dr. Gradl Nein Leicht Dr. Freiherr von Weizsäcker Kunz (Berlin) Lemmrich Werner Müller (Berlin) CDU/CSU Dr. Lenz (Bergstraße) Wissebach Frau Pieser Dr. Abelein Link Dr. Wittmann (München) Sträßmeir Dr. Aigner Löher Dr. Wörner Wohlrabe Dr. Althammer Dr. Luda Dr. Arnold Lücker Dr. Marx Damit ist der Einzelplan 04 in zweiter Lesung Dr. Artzinger angenommen. Baier Maucher Dr. Mende Dr. Becher (Pullach) (Beifall bei der SPD und der FDP) Dr. Becker (Mönchen- Dr. Mertes (Gerolstein) Mick gladbach) Ich rufe auf: Frau Benedix Dr. Mikat Dr. Miltner Benz hier: Einzelplan 05 Bewerunge Möller (Lübeck) Biechele Müller (Remscheid) Geschäftsbereich des Auswärtigen Mursch (Soltau-Harburg) Biehle Amts Dr. von Bismarck Dr. Narjes von Bockelberg Frau Dr. Neumeister — Drucksache 7/3145 — Böhm (Melsungen) Niegel Braun Nordlohne Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Bußmann Bremer Dr.-Ing. Oldenstädt Bremm Orgaß Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seinen Burger Frau Pack Bericht. — Wünscht der Herr Berichterstatter das Carstens (Emstek) Pfeffermann Dr. Czaja Pfeifer Wort zur Ergänzung? — Das ist nicht der Fall.. Damm Picard van Delden Pohlmann Wir treten in die Aussprache zum Einzelplan 05 Dr. Dollinger Dr. Prassler — Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts — ein. Dr. Dregger Rainer Das Wort hat der Abgeordnete Picard. Eigen Reddemann Eilers (Wilhelmshaven) Frau Dr. Riede (Oeffingen) Engelsberger Dr. Riedl (München) Ernesti Dr. Ritgen Picard (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Da- Dr. Evers Dr. Ritz men und Herren! Erlauben Sie mir einige wenige Ey . Röhner Bemerkungen zum Einzelplan 05, die aus der Sicht Freiher von Fircks Rollmann eines Mitglieds des Haushaltsausschusses gemacht Franke (Osnabrück) Rommerskirchen Dr. Franz Russe werden sollen und die nicht den Anspruch erheben, Dr. Früh Sauer (Salzgitter) eine besondere außenpolitische Bedeutung zu ha- Dr. Fuchs Sauter (Epfendorf) ben. Die Bemerkungen haben sich aus den Haus- Geisenhofer Dr. Schäuble haltsberatungen ergeben. Gerlach (Obernau) Frau Schleicher Gerster (Mainz) Schmidhuber Das Auswärtige Amt ist seit einigen Jahren be- Gierenstein Schmidt (Wuppertal) müht, eine Personalreserve aufzubauen. Wir be- Dr. Götz Schmitt (Lockweiler) Dr. Gruhl Schmitz (Baesweiler) dauern, daß die gegenwärtige Finanzlage einen Haase (Kassel) Schmöle zügigen Ausbau dieser Personalreserve nicht er- Dr. Häfele Dr. Schneider laubt. Wir sehen die außerordentlichen Schwierig- Härzschel Frau Schroeder (Detmold) Dr. Hammans Dr. Schröder (Düsseldorf) keiten, die darin bestehen, daß das Personal im aus- Handlos Schröder (Luneburg) wärtigen Dienst durch die Personalenge zu unbe- von Hassel Schröder (Wilhelminenhof) weglich ist, als daß man allen Anforderungen gerecht Hauser (BN-Bad Godesberg) Schulte (Schwäbisch Gmünd) werden könnte. Wir hoffen, daß sich die Bundes- Dr. Hauser (Sasbach) Dr. Schulze-Vorberg Dr. Heck Dr. Schwörer regierung in diesem Fall weiter und vielleicht etwas Höcherl Seiters verstärkter, als es bisher geschehen konnte, darum Hösl Sick bemüht, die Personalreserve aufzubauen. Dr. Hornhues Solke Horstmeier Dr. Freiherr Spies von Zweite Bemerkung. Wir stellen seit Jahren bei Frau Hürland Büllesheim Bauten im Ausland in aller Regel eine allzu lang- Dr. Hupka Spilker same Durchführung fest, die zu erheblichen Ver- Hussing Springorum Dr. Jaeger Dr. Sprung teuerungen führt. Wir sind der Auffassung, daß Jäger (Wangen) Stahlberg intensiver, als es bisher geschehen ist, darüber nach- Dr. Jahn (Braunschweig) Dr. Stavenhagen gedacht werden muß, wie man eine Beschleunigung Dr. Jahn (Münster) Strauß der Bauten im Ausland erreichen kann. Es geht nach Dr. Jenninger Stücklen Dr. Jobst Susset unserem Verständnis nicht an, daß durch diesen sehr Josten de Terra langsamen Ablauf hinterher teilweise Verteuerun- Katzer Thürk gen von 50, 80 oder gar 100 % festzustellen sind und 11058 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Picard wir im Haushalt einfach nachzuvollziehen haben, vorhanden sei, dann möge man bitte erst einmal im was unserer Meinung nach mindestens zum Teil ver- Bereich der Regierung endlich mit dieser Koordinie- meidbar ist. Vielleicht läßt sich das bisherige Ver- rung oder Konzentration anfangen. Von der be fahren dadurch verändern, daß man mehr als in der rühmten Kulturmilliarde ist ja im Auswärtigen Amt Vergangenheit üblich Architekten und Baufirmen weniger als die Hälfte verankert. Das bedeutet, daß des jeweiligen Gastlandes einsetzt und nicht alles die Hälfte dessen, was es an kulturpolitischen Akti- zentral von hier aus zu machen bemüht ist. Eine vitäten im Ausland gibt, sich über andere Häuser dritte Bemerkung. Wir haben erhebliche Schwierig- vollzieht und daß im Auswärtigen Amt keine hin- keiten bei den Wohnungen für die Mitglieder des reichende Entscheidungsbefugnis ruht. auswärtigen Dienstes insbesondere beim Wechsel (Beifall bei der CDU/CSU) von einem Dienstort zum anderen. Wir meinen, daß stärker, als bis jetzt geübt, Dienstwohnungen nicht Wir meinen deshalb, man sollte endlich darange- angemietet, sondern gekauft werden sollten. Nach hen — dies ist ja ein Vorschlag, den schon der Zwi- meinen Erfahrungen, auch jüngsten Erfahrungen, in schenbericht der Enquete-Kommission enthält —, die einer Reihe von Botschaften im Ausland trifft das Position des Auswärtigen Amtes in diesem Bereich Bedenken, das immer geäußert wird, nicht zu, daß gegenüber anderen Häusern eindeutig abzugren- die Angehörigen des auswärtigen Dienstes nicht be- zen und zu verstärken. Die Koordinierung innerhalb reit seien, eine vorhandene Dienstwohnung zu be- der Bundesregierung erscheint mir dringend nötig. ziehen. Im Gegenteil, sie wären in vielen Fällen Das würde bedeuten: Die Zusammenfassung aller dankbar dafür, wenn sie nicht Monate in einem kulturpolitischen Aktivitäten im Ausland in e i n e m Hotel zubringen müßten, um dann eine teure Dienst- Hause, nämlich im Auswärtigen Amt. Man sollte in wohnung zu finden. diesem Zusammenhang vielleicht anmerken, daß die kulturpolitischen Aktivitäten im Inland auch in Eine vierte Bemerkung zum Bereich der auswärti- einem Hause konzentriert werden sollten. Hier böte gen Kulturpolitik. Wir sagen entschieden ja zu der sich das Innenministerium an. Auf diesem Gebiet Vielfalt der Mittlerorganisationen im Bereich der gibt es ja eine in ähnlicher Weise beklagenswerte auswärtigen Kulturpolitik. unterschiedliche Kompetenz. (Pfeifer [CDU/CSU]: Sehr gut!) Wir meinen weiter, daß im Bereich der auswärti- Wir sind nicht der Auffassung, daß eine Zusammen- gen Kulturpolitik der Personalaustausch zwischen fassung in einer großen Organisation, ganz gleich, den Mittlerorganisationen einerseit und zwischen welcher, zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber insbe- der einen oder anderen Mittlerorganisation und dem sondere nicht beim Goethe-Institut, eine Verbesse- auswärtigen Dienst andererseits möglich sein muß rung der gegenwärtigen Situation mit sich brächte. und auch praktiziert werden sollte. (Beifall bei der CDU/CSU) Eine weitere Anmerkung erlaube ich mir zu den Kultur- und Presseattachés. Ich glaube nicht, daß es Wir meinen, daß die Vielfalt der Mittlerorganisa- eine höchst wirksame Übung ist, wenn Kulturatta- tionen im auswärtigen Kulturbereich dem födera- chés und Presseattachés ausschließlich aus dem listischen und freiheitlichen Aufbau unseres Staates Kreis der Karrierebeamten kommen. Wir haben entspricht und bisher in einer hervorragenden Weise einige sehr bekannte und angesehene Kultur- und und sehr wirkungsvoll vom kulturellen und sozialen Presseattachés, die Ausnahmefälle darstellen. In die- Leben in der Bundesrepublik im Ausland Kenntnis sen Fällen sind Angehörige des auswärtigen Dien- gegeben hat. stes als Outsider in diese zwei Bereiche gekommen. (Sehr gut! bei der CDU/CSU) Wir sollten dies auch in Zukunft weiter pflegen und Wir möchten deshalb sehr, sehr dringend davor nicht meinen, daß der Kulturattaché oder der Presse- warnen, übereilt oder aus irgendwelchen vielleicht attaché ein Mann sein müsse, der aus dem auswär- nicht sachbezogenen Gründen eine Konzentration tigen Dienst selber stammt. in einer oder in wenigen Organisationen vorzuneh- men und das, was sich bewährt hat, einfach will- Vizepräsident von Hassel: Herr Abgeordne- kürlich zu verändern. ter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Ab- (Beifall bei der CDU/CSU) geordneten Dr. Althammer? Man wird sicher im Laufe des Jahres an Hand des Picard (CDU/CSU) : Aber gern! Berichts der Enquete-Kommission Auswärtige Kul- turpolitik dieses Hohen Hauses über das, was ich jetzt sehr dezidiert gesagt habe, diskutieren können. Dr. Althammer (CDU/CSU) : Herr Kollege, Sie Wir meinen aber, daß, auch wenn dieser Bericht haben vorhin die Kulturinstitute angesprochen. Sind noch nicht vorliegt, eine stärkere Koordinierung Sie nicht der Meinung, daß hier personell einiges zu innerhalb der Mittlerorganisationen möglich- ist. Wir verbessern wäre, wenn man z. B. feststellt, daß der bedauern eigentlich, daß die Versuche der Mittler- letzte Leiter des Goetheinstituts in Rom einen Abend organisationen, diese Koordinierung voranzutrei- über die Bundesrepublik Deutschland unter dem ben, vom Auswärtigen Amt nicht gefördert, sondern Thema „Kennst du das Land, wo die Kanonen geradezu inhibiert worden sind. blühn?" veranstaltet hat? Wir sind des weiteren der Auffassung, wenn in (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Hört! der auswärtigen Kulturpolitik beklagt wird, daß Hört! — Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Ein eine mangelnde Koordinierung oder Konzentration geistiger Terrorist!) Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11059

Picard (CDU/CSU) : Herr Kollege Dr. Althammer, Nun verkennt niemand den Wert, den kulturpoli- ich wollte in meinen Bemerkungen noch auf so tischen Wert der deutschen Schulen; aber er ist be- manche kulturpolitischen Aktivitäten draußen im schränkt, nämlich auf die Schüler und -- mittel- Ausland eingehen. Das kommt noch. bar — auf die Eltern. Eine weitere Ausstrahlungs- kraft haben die deutschen Schulen selten, insbeson- (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Wie heißt die dere dann nicht, wenn es sogenannte Expertenschu- ser Dummkopf?) len sind, die ja im wesentlichen oder ausschließlich Ich bin nicht der Auffassung, daß wir hier das Inter- Kinder von deutschen Staatsbürgern unterrichten. esse des eigenen Landes und sein Ansehen völlig Diese Diskussion möchten wir nicht nur anregen, unberücksichtigt lassen können. Freiheit der Kunst sondern auch fortgeführt sehen: deutsche Experten- zwingt noch nicht zu einer staatlichen Förderung. kinder genössen, wenn sie nicht im Ausland, son- Kunst und Kultur im Bereich der auswärtigen Kul- dern im Inland wären, natürlich hier durch irgend- turpolitik müssen natürlich, sofern Anspruch auf ein Bundesland eine schulische Versorgung. Wir sind Förderung besteht oder erhoben werden kann, die der Auffassung, daß man intensiv darüber nachden- Interessen und das Ansehen des eigenen Landes im ken muß. Wir regen an, einen Gedanken, der mei- Ausland berücksichtigen. Es gibt zwei Beispiele aus nes Wissens in der Enquete-Kommission ebenfalls der jüngsten Zeit — diese hatte ich nicht im Auge —, erörtert wird, weiter zu verfolgen, nämlich den, die bei denen das nicht geschehen ist. Wir sind eigent- Bundesländer insoweit an der Finanzierung der deut- lich sehr dankbar für die Haltung des Auswärtigen schen Schulen im Ausland zu beteiligen. Es ist nicht Amtes, in dem einen Fall im nachhinein und in dem Aufgabe des Bundes, deutsche Staatsbürger und de- anderen Fall im vorhinein. ren Kinder schulisch zu versorgen; das ist Aufgabe der Länder. Das ist zwar eine sehr schwierige Frage; Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine aber ich glaube, daß man bei einer hinreichenden Zwischenfrage des Abgeordneten Friedrich? Begründung hier gemeinsam mit den Bundesländern zu einer Lösung kommen kann. Picard (CDU/CSU): Bitte sehr, Herr Kollege Von den deutschen Schulen im Ausland komme Friedrich! ich zu einer Bemerkung zu den deutschen Lehrern. Die deutschen Lehrer klagen darüber — meiner Ansicht nach mit Recht; immerhin läuft das jetzt Friedrich (SPD) : Meinen Sie also, daß man, wie seit 20 Jahren —, daß sie für die Aufgabe draußen ich gerade hier gehört habe, einen Schriftsteller wie nicht hinreichend vorbereitet sind, daß sie zu lange Erich Kästner in der internationalen Arbeit von Zeit brauchen, um den an sie gestellten Aufgaben in der Förderung ausschließen sollte? einem Gastland, das sie in der Regel vorher nicht gekannt haben, gerecht zu werden. Und kaum haben sie sich richtig eingewöhnt, sind sie gezwungen, Picard (CDU/CSU) : Herr Kollege Friedrich, ich darüber nachzudenken, was sie tun, wenn sie wie- bin nicht der Meinung, daß man eine Zensur üben sollte. Ich habe deutlich gesagt, daß das Ansehen und der zurückkommen. Wir sind der Meinung, daß das Interesse des eigenen Landes in der Repräsen- eine hinreichende, gute, gründliche Vorbereitung der deutschen Lehrer zwar ein bißchen Geld kostet, tation unseres Landes im Ausland die Richtschnur aber im Grunde effektiver ist als das seitherige Ver- für unser Verhalten sein müssen. Ich glaube, darin fahren. Wir meinen auch, daß darüber nachzuden- sind wir uns einig. Man kann dann in dem einen ken ist, ob es denn bei den bisherigen Entsendungs- oder in dem anderen Fall so oder anders entschei- den. Eine Grundlage muß aber gegeben sein. Ich bin zeiten bleiben muß oder ob man nicht eine größere Zahl von Ausnahmen, als das bis jetzt üblich ist, durchaus der Meinung, Herr Kollege Friedrich, daß machen muß. man die Freiheit der Kultur in diesem Lande drau- ßen repräsentieren muß. Sonst könnten wir uns Eine Anmerkung dazu: Kein deutscher Lehrer im draußen nicht als freie Gesellschaft repräsentieren. Ausland versteht, daß er dort von seinem Heimat- Ob man Deutschland aber ausgerechnet unter dem land Zeugnis geben soll, daß er dort Deutsch, Schlagwort „Kennst du das Land, wo die Kanonen Deutschkunde, über das soziale und kulturelle Le- blühn?" darstellen muß, ist sehr fraglich. Dieses ben unterrichtet, aber kein Wahlrecht hat. Es ist Schlagwort hat für uns beide eine ganz andere Be- für mich unverständlich, daß es diesem Hohen deutung als für jemanden im Ausland, der unser Hause noch immer nicht gelungen ist, das Wahl- Land noch nicht kennt und dem wir es erst nahe- recht für die deutschen Lehrer im Ausland zu er- bringen wollen. reichen. (Beifall bei der CDU/CSU) Lassen Sie mich eine Bemerkung zu den deutschen Schulen im Ausland machen. Fast ein Drittel der Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, zum Mittel, die im Haushalt für auswärtige Kulturpolitik- Abschluß zwar keine Anregung geben, aber doch verankert sind, wird durch die deutschen Schulen eine Feststellung treffen. Wir haben aus dem Ge- im Ausland verbraucht. Der Etat der deutschen samtetat des Jahres 1975 einen Beitrag von 886 Mil- Schulen im Ausland wächst relativ stark, stärker als lionen DM an die Vereinten Nationen zu leisten. der übrige Etat. Wir geraten in die Gefahr, daß der Das sind nicht nur Leistungen des Auswärtigen Etat auswärtige Kulturpolitik bewegungsunfähig Amts, sondern das sind auch Entwicklungshilfelei- wird — allein durch die deutschen Schulen im Aus- stungen, Zahlungen an die Sonderorganisationen land. wie UNESCO usw. Vor zwei Jahren, als wir noch 11060 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975

Picard nicht Mitglied waren, betrug unsere Beitragslei- und nicht doppelt und dreifach ausgeben wird, daß stung nur 500 Millionen DM, wobei aber zu sagen eine Rationalisierung im Sinne besserer Vertretung ist, daß der Mitgliedsbeitrag nur den wesentlich unserer auswärtigen Kulturpolitik verfolgt wird, kleineren Teil der Steigerungsrate ausmacht. Wenn solange die Wünsche des Auswärtigen Amtes dahin man die Entwicklung der Vereinten Nationen, die gehen, sollte man auch akzeptieren, daß unter Um- Vertretung unserer Interessen und ihre Berücksich- ständen organisatorische Veränderungen im Bereich tigung dort verfolgt, muß man — so scheint mir — der Mittlerorganisationen eintreten. ernsthaft darüber nachdenken, ob ein solcher Bei- Wir haben gestern und vorgestern aus den Zei- trag unter Berücksichtigung der eigenen Interessen tungen etwa ersehen können, daß es mit unserem und unter Berücksichtigung der Charta der Verein- Beitrag bei der derzeitigen Moskauer Ausstellung ten Nationen, die ja Ziele enthält, die wir für unser gar nicht zum Besten steht. Das ist ja keine reine eigenes Land und für andere Völker mit allem Nach- Industrie- und Verkaufsausstellung, sondern sie druck verfolgen, vertretbar ist. soll auch das deutsche Leben repräsentieren, so wie (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Dazu der Bürger lebt und wie die Lebensverhältnisse muß der Kollege Wischnewski sich äußern!) in der Bundesrepublik Deutschland sind. Das Institut für Auslandsbeziehungen in Stuttgart hat den deut- Ich persönlich wage das mindestens mit einem schen Bürger mit seinen Fahrzeugen jedenfalls aus- Fragezeichen zu versehen. reichend repräsentiert gesehen, wenn dort ein Mer- (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) cedes 4,5 Liter vorgeführt wurde. Das stellt sicher- Ich habe gesagt, ich spreche nicht zur Außen- lich nicht das dar, was über unser Land, über seine politik. Ich habe vielmehr nur Bemerkungen zum Menschen und deren Lebensverhältnisse gesagt Haushaltsplan gemacht. Ungeachtet der bei vielen werden sollte. Das heißt, hier sollte man sich ein- Gelegenheiten deutlich gewordenen unterschied- mal besonders ansehen, ob es richtig ist, daß sich lichen Auffassungen in der auswärtigen Politik ge- ein einzelnes Institut ausschließlich mit Ausstel- hen wir nicht immer auf Konfrontation aus. Selbst- lungen beschäftigt, ob hier nicht eine Zusammen- verständlich, Herr Minister, sind wir mit einer fassung mit anderen Dingen, mit anderen Organi- Reihe von Maßnahmen, die Sie treffen, und mit einer sationen notwendig wäre, damit das ganze Spektrum Reihe von Verhaltensweisen einverstanden. Aber dessen, was auswärtige Kulturpolitik ist — Verbrei- Sie sind als Vizekanzler und als Außenminister in tung des Bildes von Deutschland, von seinen Men- einem so hohen Ausmaß an der allgemeinen Politik schen im Ausland —, erfaßt wird. beteiligt, daß wir es für selbstverständlich halten, Noch eine Bemerkung zum Problem der Personal- bei der Übung zu bleiben: Opposition ist Opposition. reserve: Es ist richtig, der Bundestag hat seinerzeit ) Wir wollen das in Zukunft, wenn wir die Regierung gesagt, das Auswärtige Amt braucht, damit seine zu übernehmen haben, besser machen. Heute: ein Diplomaten draußen die ausreichende Vorlaufzeit Nein zu Ihrem Etat. und Ausbildung für den diplomatischen Dienst ha- (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der ben, eine Personalreserve für die im diplomatischen CDU/CSU: Es ist leicht für uns, das besser Dienst ausgewiesenen Stellen von etwa 8 %; dann zu machen!) gibt es einen Vorlauf in der Zeit der Ausbildung, dann können sich die Leute hier für ihre spätere Tätigkeit ausbilden. Hier kommen nun die allge- Vizepräsident von Hassel: Das Wort hat der meinen wirtschaftlichen und haushaltsmäßigen Herr Abgeordnete Dr. Bußmann. Schwierigkeiten. Wir alle haben ja Gott sei Dank in diesem Jahr zum erstenmal damit angefangen, den Dr. Bußmann (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr Trend zurückzudrehen; zum erstenmal gehen die verehrten Damen und Herren! Es hätte ja im An- Personalausgaben im Bund insgesamt zwar gering- schluß an die Ausführungen des Herrn Kollegen fügig, aber doch um etwa 0,5 % zurück, wenn wir Picard eigentlich nahegelegen, sich zumindest zu die 500 Stellenstreichungen dieses Jahres sehen enthalten; aber darüber wollen wir keinen Streit und wenn wir die kw-, also die künftig wegfallenden anfangen. Stellen sehen, die insgesamt im Bundeshaushalt im Laufe des Haushaltsjahres 1975 anfallen. Dem Nur ganz kurz einige Bemerkungen zu dem, was konnte sich auch das Auswärtige Amt nicht entzie- gesagt worden ist, zunächst einmal zu einem Pro- hen. Es ist eine Stagnation des Personals, ja; wenn blem, das uns alle angeht, weil das Parlament sei- keine dringenden neuen Forderungen hinzukom- Enquete-Kommssion eingesetzt hat, um nerzeit eine men, werden wir am Ende des Jahres auf Grund der Probleme der auswärtigen Kulturpolitik zu klä- die Einsparauflage drei Stellen weniger haben als zu ren. Diese Enquete-Komission wird wohl im Laufe Anfang des Jahres. dieses Sommers ihren Bericht vorlegen, und wir Sozialdemokraten möchten sie hier nicht durch- eine (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Weh einseitige Erklärung binden. ner würde sagen: drei Korinthenkacker we niger!) Wir halten es auch für richtig, daß das Amt in seinem eigenen Interesse an die Mittlerorganisatio- Es könnten natürlich neue Aufgaben hinzukommen, nen auf dem Gebiet der Kulturpolitik bestimmte die zwingend eine Nachforderung mit sich bringen. Forderungen heranträgt. Soweit und solange diese Nichtsdestoweniger müssen wir hier auch im aus- Forderungen darauf gerichtet sind, daß Doppel- wärtigen Dienst auf äußerste Sparsamkeit achten arbeiten vermieden werden, daß Geld nur einfach und darauf dringen, daß der Apparat sich nicht aus- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11061 Dr. Bußmann weitet. Das Auswärtige Amt hat jetzt auch einige — Sie müssen es ja ganz genau wissen. — Natürlich hervorragende Möglichkeiten, selbst zu rationalisie- war er der Beauftragte für die deutsch-französi- ren. Wir haben die Reform der Auslandsbesoldung schen Kulturbeziehungen. Nur war es einmalig in vor kurzem im Parlament verabschiedet, und die der Geschichte der deutsch-französischen Kultur- große Legationskasse des auswärtigen Dienstes, wo beziehungen, daß ein Beauftragter, der gleichzeitig so viele Stellen sind, kann vielleicht jetzt von eini- Ministerpräsident ist, für sein Schulsystem und für gen entlastet werden, damit diese Leute anderswo seine Schulen in seinem Lande Beträge aus dem eingesetzt werden können. Haushalt „Auswärtige Kulturpolitik" abzweigte. Was unsere Schulen im Ausland anbetrifft, so (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Baden liegt das voll in der Kompetenz des Bundes, und die Württemberg ist deutsches Grenzland zu Mittel dafür — das ist richtig, Herr Kollege Picard Frankreich!) — können nicht beliebig vermehrt werden. Aller- Das hat Herr Schütz allerdings nicht getan, obgleich dings müssen wir uns an eines erinnern: sie soll- es dort ein französisches Gymnasium von großer ten dann auch nicht irgendwo ausgegeben werden, Tradition als Neugründung eventuell hätte geben wo nicht Ausland ist. Wir haben einen Minister- können; das wissen Sie ja. Herr Schütz, Herr Kühn präsidenten in diesem Lande, im Schwarzwald, nein, oder irgendein anderer Ministerpräsident hat es in Baden-Württemberg, der Herr Filbinger, der bisher auch nicht für sinnvoll gehalten, als Reisen- glaubt, im eigenen Land und in eigener Souveränität der in Kulturpolitik Versprechungen zu machen, die auswärtige Politik machen zu können. Er gründet darauf hinauslaufen, große Bildungsprojekte anders- nicht nur auf Kosten des Bundes deutsch-französische wo und nicht in seinem Lande zu installieren. Gymnasien. Er versucht sogar, auswärtige Kulturpo- litik zu betreiben, indem er auswärtige Universitäts- Jetzt will ich Ihnen mal etwas sagen. Wir haben gründungen anregt, wobei er gewissermaßen Ge- im Haushaltsausschuß auch ein anderes Problem in schäftsführung ohne Auftrag vornimmt der Hand gehabt. Dieses Problem war der Ausbau (Widerspruch bei der CDU/CSU) der Universitäten in diesem Lande und insbeson- dere der Ausbau der medizinischen Fakultäten. Da- und zweifellos in die Kompetenzen des Bundes ein- bei, haben wir z. B. festgestellt, daß die medizini- greift. schen Fakultäten über lange Zeiten hinweg eine (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Sie zurückgehende Studentenzahl hatten. Inzwischen hat kennen doch seine Funktion! — Rawe das wieder angezogen. Aber im Lande dieses Herrn [CDU/CSU] : Er macht das besser als Herr Filbinger ist es nach wie vor so, Kühn!) (Zuruf von der CDU/CSU: Des Herrn Mi- Die Aufgabe kann durchaus sinnvoll sein. Aber nisterpräsidenten Filbinger!) wenn sich der Herr etwas mehr um die Angelegen- heiten des Landes, dessen Ministerpräsident er ist, daß die Zahl der medizinischen Studienplätze an bekümmerte und weniger die Lust in die Weite den Universitäten zurückgeht. Wenn der Herr Fil- hätte, um dort auswärtige Kulturpolitik und im binger sich ein bißchen darum kümmerte und etwas eigentlichen Sinne — — weniger um die auswärtige Kulturpolitik, wäre das vielleicht eine großartige Sache. (Zuruf von der CDU/CSU: Herr Kühn reist sogar nach Madagaskar!) (Pfeifer [CDU/CSU] : Sie sollten sich infor mieren, bevor Sie solche Reden halten!) — Gewiß! Herr Kühn ist Vorsitzender der Friedrich- Ebert-Stiftung. Aber dem ist es noch nicht einge- fallen, auf Madagaskar deutsche Universitäten zu Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine gründen. Das war bisher Herrn Filbinger vorbe- Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Czaja? halten. (Beifall bei der SPD) Dr. Bußmann (SPD): Oh ja! Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mertes (Ge- Dr. Czaja (CDU/CSU) : Herr Kollege, haben Sie rolstein)? auch nur irgendeinen Schimmer eines Beweises da- für, daß Ministerpräsident Filbinger finanzielle Dr. Bußmann (SPD): Ja, bitte! Mittel für die Universität in Persien angeboten hat, oder müssen Sie nicht vielmehr zugeben, daß er Dr. Mertes (Gerolstein) (CDU/CSU) : Herr Kol- jungen deutschen Wissenschaftlern auf Wunsch des lege Bußmann, ist Ihnen bekannt, daß Minister- Kaiserreiches Persien die Möglichkeit geben wollte, präsident Filbinger als Vorgänger des Herrn- Re- dort, so wie es die dortige Regierung wünschte, in gierenden Bürgermeisters Schütz der Beauftragte deutsch-persischer Kooperation wissenschaftlich der Bundesrepublik Deutschland für die deutsch- tätig zu werden, und warum beanstanden Sie das? französischen Kulturbeziehungen ist? (Beifall' bei der CDU/CSU)

Dr. Bußmann (SPD) : Natürlich. Dr. Bußmann (SPD) : Herr Filbinger hat Ge- (Zuruf von der CDU/CSU: Das weiß er doch schäftsführung ohne Auftrag betrieben in dem Sinne, nicht!) daß er Bestellungen in Auftrag gab und die Bezah- 11062 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975

Dr. Bußmann lung der Rechnungen anderen zuwies. Das ist gar haltsausschuß, haben z. B. beschlossen, was der Herr keine Frage. Filbinger längst hätte tun können. Wenn das so weitergeht und im nächsten Jahr die ausreichende (Dr. Czaja [CDU/CSU]: Das ist ein Roman, Kontrolle des Landesrechnungshofes nicht vorliegt den Sie hier erzählen!) und die sinnvolle Verwendung von Mitteln im Sinne von Vermehrung der Studienplätze nicht er- Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine folgt, können wir die Mittel für den Hochschulbau Zwischenfrage des Abgeordneten Sauer? nicht mehr im bisherigen Maße bewilligen. Das wäre eine Möglichkeit für Herrn Filbinger gewesen. Dr. Bußmann (SPD) : Bitte schön! Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie eine Sauer (Salzgitter) (CDU/CSU) : Herr Kollege, Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Czaja? würden Sie mir nicht recht geben, daß im Vergleich zu Frankfurt und Berlin die Universitäten Heidel- Dr. Czaja (CDU/CSU) : Herr Kollege, können Sie berg und Freiburg heute in einem hervorragenden widerlegen, daß das Land Baden-Württemberg pro Zustand sind, gerade unter dem Ministerpräsidenten Kopf der Bevölkerung die meisten Hochschul- und Filbinger? Universitätsplätze aller Länder der Bundesrepublik (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der Deutschland hat, und würden Sie sich, wenn Sie das der CDU/CSU) nicht widerlegen können, bei Ihren SPD-Kollegen aus Baden-Württemberg, die auch im Landtag Aus- Dr. Bußmann (SPD) : Das gehört nicht zum führungen dazu gemacht haben, informieren? Thema, das gebe ich zu; aber ich bin angesprochen. (Zuruf des Abg. Schäfer [Tübingen] [SPD] — Dann soll sich Herr Ministerpräsident Filbinger — Moersch [FDP] : Berlin hat mehr!) doch einmal darum bekümmern, daß ein wirklicher Notstand an den medizinischen Fakultäten dieses Dr. :Bußmann (SPD): Herr Czaja, das sagt ja Landes besteht. Herr von Weizsäcker war es, der nichts gegen die rückläufige Bewegung an den heute beklagte, in welcher Weise unsere jungen Universitäten im Fach Medizin, die ich angeführt Leute unter Leistungsdruck gesetzt werden, weil der habe. Numerus clausus an den Schulen sie zwingt, gro- teske Notendurchschnitte zu erzielen, um etwa in diesen ganz engen Fächern zugelassen zu werden. Vizepräsident von Hassel: Noch eine Zusatz- Und was hat der Herr Filbinger getan? Er hat jeden- frage, Herr Abgeordneter Dr. Althammer. Ich glaube, falls nicht genügend Obacht darauf gegeben, daß an dann fahren wir fort in der Diskussion. den Universitäten seines Landes die Studienzahl nicht in dem Maße zurückging, Dr. Althammer (CDU/CSU) : Herr Kollege, weil (Zustimmung bei der SPD) Sie mich schon angesprochen haben, möchte ich Sie fragen, ob Ihnen nicht bekannt ist, daß das Problem wie es gegen Sinn und Vernunft war. Lassen Sie der fehlenden Studienplätze im Bereich der Medizin sich doch ,von Ihren Kollegen im Haushaltsausschuß keineswegs mit dem Lande Baden-Württemberg zu aufklären! Die Dinge liegen auch schriftlich vor. Sie tun hat, sondern daß das von uns generell behan- können es im einzelnen für die Universitäten die- delt wurde. ses Landes verfolgen, und vielleicht, wenn Sie aus dem Lande sind, können Sie auch die Ursachen da- Dr. Bußmann (SPD) : Natürlich, es ist generell für finden, wieso eigentlich die Entwicklung in behandelt worden. diesem Lande so extrem verlaufen ist. Das wäre doch ganz interessant. (Zuruf von der CDU/CSU) Aber, Herr Althammer, ich wollte ja auch keine Vizepräsident von Hassel: Gestatten Sie noch ausgedehnte Diskussion darüber. Ich bin eingegan- eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Sauer? gen auf die besonderen kulturpolitischen Aktivi- täten des Ministerpräsidenten Filbinger in Teheran Sauer (Salzgitter) (CDU/CSU) : Herr Kollege, ha- und als Beauftragter für die deutsch-französischen ben Sie nicht bemerkt oder wollten Sie nicht bemer- Kulturbeziehungen. Dann habe ich angeführt: Wenn ken, daß ich auf den inneren Zustand der Univer- sich der Herr Filbinger etwas intensiver um Miß- sitäten Heidelberg und Freiburg im Vergleich zu stände in seinem eigenen Lande gekümmert hätte, Berlin und Frankfurt angespielt habe? stünden wir im Fach Medizin besser da. Daß sich das so ausgedehnt —, na, ja, fragen wir Herrn Czaja, (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat er nicht der weiß auch, warum. Ich möchte dieses Thema verstanden!) aber jetzt nicht weiter verfolgen; meine Zeit ist auch fast abgelaufen. Dr. Bußmann (SPD) : Ich habe nicht auf den (Pfeifer [CDU/CSU]: Sind Sie gegen diese inneren Zustand angespielt, ich habe darauf ange- Universität in Teheran?) spielt, wie sehr das Land über seine Aufsichtsinstan- zen einwirken kann. Ich will Ihnen ein Beispiel da- — Ich bin auf Herrn Filbinger eingegangen. Ich bin für geben. Hier die Kollegen, der Kollege Altham- nicht gegen Universitäten, die mit unserer Hilfe im mer und ich und all die Kollegen aus dem Haus- Ausland gefördert werden. Aber hier sitzt die ver- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11063

Dr. Bußmann antwortliche Stelle; sie ist nicht in der Staatskanzlei Der Anteil der Personalkosten beträgt rund in Stuttgart. Das müssen Sie doch einsehen. 51,4 %, der der Investitionen nur 21,2 % und der des konsumtiven Bereichs 27,4 %. Diese wenigen Zahlen (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD]: Gott sei beweisen, daß dieser Einzelplan 06 in seiner Struk- Dank!) tur vorrangig ein Verwaltungshaushalt ist, bei dem Ich will nicht weiter auf diese Dinge eingehen. der disponible Bereich sehr eng angelegt ist. Ich habe die Personalreserve angesprochen und Die Ausgabenschwerpunkte liegen im Bereich des unsere Haltung zum Problem des Abschlußberichtes Umweltschutzes, in der Sportförderung, in der kul- der Enquete-Kommission für auswärtige Politik. Ich turellen Förderung, bei der politischen Bildung, im kann nur sagen: Die sozialdemokratische und die Bereich der Vertriebenen und Flüchtlinge, zu dem freie demokratische Fraktion — für diese spricht mein Kollege Dr. Czaja noch sprechen wird, und im niemand mehr — werden diesem Haushalt zustim- Bereich innere Sicherheit. Wir waren uns im Haus- men, nicht nur wegen der Korrektheit des Zahlen- haltsausschuß der Bedeutung der einzelnen Aufga- materials, sondern auch wegen der Vernünftigkeit benbereiche beim Einzelplan 06 bewußt, und wir der Außenpolitik, die dahintersteht. haben den Minister seitens der CDU/CSU in dieser (Beifall bei der SPD und der FDP) Hinsicht weitgehend unterstützen können; denn es handelt sich um Aufgaben, die für das Staatsganze Vizepräsident von Hassel: Meine Damen und von wesentlicher Bedeutung sind. Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dennoch kann man sich verständlicherweise nicht Ich schließe die Aussprache zum Einzelplan 05. kritiklos mit allem einverstanden erklären, was letzt- lich seinen Niederschlag im geschriebenen Text des Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- zur Debatte stehenden Einzelplanes gfunden hat. plan 05, Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Lassen Sie mich deshalb aus der Sicht meiner Frak- Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das tion einige Anmerkungen machen. Handzeichen. Ich bitte um die Gegenprobe. — Umweltpolitik bereitgestell- Enthaltungen? — Das ist eine eindeutige Mehrheit Erstens. Die für die für die Annahme. ten rund 353 Millionen DM zuzüglich der 295 Millio- nen DM aus ERP-Mitteln und insbesondere der hohe Ich rufe den Einzelplan 06 auf und verbinde damit Anteil an Forschungsmitteln daran verlangen, daß wie üblich den Aufruf des Einzelplans 36: 1975 deutliche Fortschritte bei der Verbesserung der Umweltbedingungen auch nach draußen sichtbar Einzelplan 06 werden. Die bisherigen Bemühungen der Bundesre- Geschäftsbereich des Bundesministers des gierung werden von uns zwar durchaus anerkannt; Innern mit der Verabschiedung von Gesetzesvorhaben al- — Drucksache 7/3146 — lein — ich nenne jetzt beispielsweise das Abfallbe- seitigungsgesetz oder das Immissionsschutzgesetz — Berichterstatter: ist es nicht getan. Die Ausführungsvorschriften müs- sen nach unserer Auffassung, Herr Minister, zü- Abgeordneter Dr. Riedl (München) giger folgen, um die Umweltbedingungen verbind- Abgeordneter Möller (Lübeck) lich und spürbar zu verbessern. Wir haben den Ein- Abgeordneter Dr. von Bülow druck, daß Ankündigungen und Tatsachen kongru- Einzelplan 36 enter werden müssen. Zivile Verteidigung Darüber hinaus sollte der Bund nicht zögern, sich im Rahmen seiner verfassungsmäßigen Kompetenz — Drucksache 7/3166 — mehr den investiven Bereichen des Umweltschutzes zuzuwenden. Als ermunterndes Beispiel darf ich auf Berichterstatter: das im Haushalt bereits enthaltene Rhein-Bodensee- Abgeordneter Möller (Lübeck) Sanierungsprogramm hinweisen, mit dem der Bund den Anliegerländern mit einem Betrag von 150 Mil- Ich danke den Berichterstattern. Wünschen die lionen DM in fünf Jahren eine Anstoßfinanzierung Berichterstatter als Berichterstatter das Wort? — Das zur Reinhaltung des Rheins und des Bodensees ge- ist nicht der Fall. währt hat. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Modellvorhaben im stark rückständigen Abfallbe- Abgeordnete Dr. Riedl (München). seitigungsbereich müssen ebenfalls baldmöglichst folgen. Daß dabei der Schwerpunkt bei der Wieder- Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) : Herr Präsident! verwendung des Mülls im Rohstoffkreislauf gesetzt Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haus- werden muß, verstehen wir von selbst. Diese Auf- halt des Bundesministers des Innern 1975, den wir forderung, Herr Minister, darf aber bitte nicht so jetzt in dieser etwas späten Stunde zu beraten ha- verstanden werden, daß jetzt von Ihnen Mehran- ben, schließt in der Gesamtsumme mit 2,219 Milliar- forderungen an den Haushalt kommen, sondern wir den DM ab. Die Steigerungsrate gegenüber 1974 be- erwarten, daß die vorhandenen beträchtlichen For- trägt bescheidenerweise nur rund 3,2 %. Sie liegt schungsmittel umgeschichtet werden. deutlich unter der Steigerungsrate des Gesamthaus- Wir sind der Meinung — da bin ich auch mit mei- halts. nem Kollegen Walther von der SPD und dem Kol- 1 1064 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975

Dr. Riedl (München) legen von der FDP in Übereinstimmung —, daß wir danken darüber, daß ausgerechnet in den Sport- im Umweltsbereich seitens Ihres Hauses viel zuviel arten, wo wir hochmoderne Leistungszentren haben forschen und noch viel zuwenig praktische Arbeit und wo die Technik praktisch nicht mehr zu über- leisten. Wir hoffen, daß das im Jahre 1975 besser bieten ist, die Leistungen nachlassen und die Zahl wird. der Medaillen geringer wird. Hier ist etwas faul, aber nicht auf unserer Seite, sondern auf seiten des Das Parlament erwartet aber auch in zunehmen- Sports. Hier muß der Sport, insbesondere auch im Umweltbundes- dem Maße sichtbare Anstöße vom Hinblick auf eine bessere Motivation, die entspre- amt, das in diesem Jahre mit 93 neuen Stellen rech- chenden Konsequenzen ziehen. nen kann. Und damit auch hier Klarheit besteht: Eine weitere Verwaltungsbehörde wollen wir nicht. (Zuruf des Abg. Haase [Kassel] [CDU/CSU]) Wir wollen eine wissenschaftliche Einrichtung, die Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein der Regierung die wissenschaftlichen Erkenntnisse Blick in den Haushalt zeigt auch — und ich komme zuarbeitet, die sie sich zur Zeit mit sehr viel Geld auf dieses Thema nochmals zu sprechen; wir haben draußen auf dem Markte beschaffen muß. es schon im Vorjahr abgehandelt , daß jetzt zum Auf dem Gebiet der Reaktorsicherheit und erstenmal im Haushalt keine Mittel mehr für den auch dieser Bereich schlägt sich im Einzelplan 06 Goldenen Plan ausgewiesen sind. Ich verhehle nieder — wird von uns zügiges Handeln bei der meine Kritik an den Ländern erneut nicht, die im Genehmigung von neuen Kernkraftwerken unter Grunde genommen daran schuld sind, daß diese absoluter Priorität der Sicherheit der Bürger er- außerordentlich segensreiche Finanzierungsquelle wartet. Wir haben den Eindruck, daß es beim jetzi- für unsere Vereine nicht mehr fließen kann. Ich gen Tempo und vor allem bei der jetzigen Organisa- halte es für ganz unglücklich, daß wir seitens des tion der Genehmigungspraxis kaum erreichbar sein Bundes örtliche Sportanlagen für den Breitensport wird, den Ankündigungen in der Fortschreibung der seit diesem Haushaltsjahr, seit dem 1. Januar 1975, Bundesregierung zum Energieprogramm zu entspre- nur noch im Zonenrandgebiet fördern können. Wenn chen, wonach nämlich im Jahre 1985 45 % der ge- es uns nicht gelingt, die fehlende Mitfinanzierung samten Stromerzeugung in der Bundesrepublik von Sportstätten seitens des Bundes durch erhöhte Deutschland — das sind etwa 45 000 bis 50 000 Anstrengungen der nunmehr allein zuständigen Län- Megawatt über Kernkraftwerke abgedeckt wer- der auszugleichen, so müssen Wege gefunden wer- den sollen. Zur Zeit sind es lediglich 4 % ; das sind den, hier zu differenzierteren Formen der Bundes- etwa 2 300 Megawatt. mitfinanzierung zu kommen. Das Parlament und insbesondere meine Fraktion (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!) erwarten, daß die Bundesregierung schnellstens ihre Drittens. Im Haushalt 1975 findet sich, wie bereits Forschungskapazitäten neu organisiert. Das Geld im Haushalt 1974, wiederum nur ein Leertitel für die dafür ist vorhanden. schon in der Regierungserklärung des Bundeskanz- Umweltschutz ist auch in der jetzigen schwieri- lers 1972 angekündigte Deutsche Nationalstiftung. gen finanziellen und energiepolitischen Situation Ich meine Herr Minister, daß genug Ankündigungen eine Herausforderung an uns alle. Ich hoffe, Herr erfolgt sind und daß nun endlich Taten folgen müs- Minister, daß Sie diesen Hinweis entsprechend in sen. Ich hoffe zuversichtlich, daß es der Bundesregie- Ihrem Hause in die Tat umsetzen. Wir wollen auch rung und den Ländern bei allen gebotenen Rück- den Sachverständigenrat für Umweltfragen ermuti- sichtnahmen gelingt, noch in diesem Jahr die Vor- gen, nachhaltig mit Vorschlägen in das Räderwerk aussetzungen für die Errichtung der Nationalstif- der Verwaltung einzugreifen. tung — und zwar in Berlin; das ist die erklärte Mei- nung meiner Fraktion — zu schaffen, damit sie 1976 Zweitens. Im Bereich des Sports, meine sehr ver- ehrten Damen und Herren wir haben ja vor kur- ihre Arbeit tatsächlich aufnehmen kann. zem hier eine Sportdebatte gehabt; ich kann mich (Beifall bei der CDU/CSU) deshalb verhältnismäßig kurz fassen --, ist aller- Wir stellen mit Bedauern fest, meine Damen und dings die Aussage angebracht, daß der Staat seinen Herren, daß im Haushaltsausschuß ein entsprechen- Beitrag für einen Erfolg voll erbracht hat. Mit Staat der Antrag der CDU/CSU von der Koalition abge- meine ich hier Bund, Länder und Gemeinden. Die lehnt worden ist. finanzielle Ausstattung für den Sport ist auch im Haushalt 1975 so, daß — aus unserer Sicht ge- (Zurufe von der CDU/CSU: Leider wahr! sehen der Bund seinen finanziellen Verpflichtun- Das ist sehr bedauerlich!) gen voll nachkommen kann. Dies wird auch in Viertens. Lassen Sie mich auch ein Wort zur Kreisen des Sports bestätigt. Aber es ist unbestritte- Situation beim Bundesamt für die Anerkennung aus- nermaßen die Aufgabe des Sports, diesen Aufwand ländischer Flüchtlinge sagen. Sie alle erinnern sich entsprechend zu rechtfertigen. der Schwierigkeiten in Zirndorf, die dadurch besei- Der Sport ist angesprochen, wenn es beispiels- tigt werden konnten, daß 1974 durch Beschluß des weise um die Vorbereitung von Weltmeisterschaf- Haushaltsausschusses 17 neue Planstellen für die ten oder Olympischen Spielen — wie 1976 in Mon- Spruchinstanzen geschaffen wurden. Flankierend ha- treal -- geht. Wir müssen vom Sport erwarten, daß ben sich nunmehr auch die Innenminister der Länder er alle Kraft auf die Verbesserung der sportlichen über ein neues Verfahren zur Verteilung der Asyl- Leistungen konzentriert. Wir alle machen uns auch suchenden geeinigt. Eigentlich war es längst Zeit, im Haushaltsausschuß und im Sportausschuß Ge- daß dies erfolgen konnte. Hierdurch ist sowohl im Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11065 Dr. Riedl (München) Asylverfahren als auch im Lager Zirndorf eine spür- nig später erkor der Professor Maihofer die Libera- bare Entlastung eingetreten. Es darf aber nicht über- lisierung des Strafrechts zu seinem Anliegen, das er sehen werden, daß die Zahl der Asylsuchenden seit an führender Stelle im Kreis der sogenannten Alter- 1974 wieder ständig steigt. Wir bitten die Bundes- nativprofessoren betrieb. Sie, Herr Minister, gehö- regierung, alles zu tun, damit sich die gebesserten ren unbestrittenermaßen zu denen, die durch ihre Verhältnisse nicht wieder allmählich verschlechtern. Radikalkritik an Institutionen und Regelungen unse- (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : So res Staates das Klima für die Studentenrevolte und ist es!) ihre extremistischen Auswirkungen in unserer Zeit mit geschaffen haben. Der Professor Maihofer ist Fünftens. Soweit es sich um diese relativ über- dafür in einschlägigen Studentenkreisen noch heute sichtlichen und politisch unbestrittenen Bereiche ein echtes Gütezeichen, und Ihre Einstellung zu die- handelt, könnte die CDU/CSU ihre Zustimmung zu sen Fragen, Herr Minister, hat sich in den letzten diesem Haushalt sicher mit guten Gründen nicht Jahren — es ehrt Sie, daß Sie das gar nicht bestrei- verweigern. Anders ist dies allerdings im Bereich ten — nicht wesentlich geändert. der inneren Sicherheit. Hierzu lassen Sie mich (Beifall bei der CDU/CSU) einige Ausführungen machen. Für Sie reduziert sich, wie in der Rede vor dem Bun- Diese Opposition hat ihre gerade im Bereich des deskriminalamt am 15. Juli 1974 geäußert, moderne Bundesministeriums des Innern in den vergange- Kriminalpolitik auf Resozialisierung. Damit aber, nen Jahren immer wieder konstruktiven Beiträge Herr Minister, geraten Sie in schwere Bedrängnis, geleistet. wenn es sich, wie beispielsweise bei den anarchisti- (Sehr wahr! bei der CDU/CSU) schen Gewalttätern der Baader-Meinhof-Bande oder Sie war und ist bereit, durch ein zustimmendes Vo- der Bande „Bewegung des 2. Juni" herausstellt, daß tum eine gute Politik mit zu tragen. Außer 1974 — jeglicher Ansatz für eine Resozialisierung zum Schei- der Herr Minister Genscher, der leider nicht hier tern verurteilt ist, weil diese Täter fanatisch ihr Ziel, ist, wird das sicherlich noch in Erinnerung haben — nämlich die Revolution, im Auge haben und nicht hat die CDU/CSU dem Einzelplan 06 immer zuge- die Resozialisierung. stimmt. Auch die großen Gesetzgebungsvorhaben im (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von Bereich der inneren Sicherheit sind von uns mitge- der SPD) tragen und zu einem Anliegen aller Parteien gemacht worden: Verfassungsschutzänderungsgesetz, Bundes- Ja, Herr Kollege, das kann er nicht bestreiten; grenzschutzgesetz, Bundeskriminalamtsgesetz und denn diese Rede hat er vor dem Bundeskriminalamt Waffengesetz. Bei diesem Haushalt und bei diesem gehalten. Wenn Sie mir Ihre Heimatadresse geben, Minister ist uns dies zu unserem Bedauern aber lei- schicke ich Ihnen diese Rede gerne zu. Dann können der nicht möglich. Sie das am Wochenende einmal nachlesen. (Zuruf von der CDU/CSU: Haben Sie die Ich betone, unsere Kritik richtet sich nicht gegen Hoffnung, daß er das versteht?) die Ansätze im Haushalt, sondern sie richtet sich gegen den politischen Inhalt und den Geist, mit dem -- Ich gebe die Hoffnung nie auf, wenn es darum diese Regierung und dieser Minister Sicherheits- geht die Auffassung ehrenwerter Kollegen zu ver- politik betreiben. bessern. (Beifall bei der CDU/CSU) So, Herr Minister, wie Sie nicht bereit sind, auf Gerade beim Kernstück des Einzelplans 06, der in- Grund dieser Erfahrungen Ihr Konzept einer libe- neren Sicherheit, befällt uns tiefes Unbehagen, ob- ralistischen Kriminalpolitik zu revidieren, sind Sie wohl der Bundesinnenminister in der Sicherheits- auch nicht geneigt, die Gefahren, die Von seiten des debatte am 13. März 1975 Erfolgsbilanzen über die politischen Extremismus in der Bundesrepublik dro- Steigerung von Mitteln und Stellen im Sicherheits- hen, realistisch zu sehen und als für die innere bereich genannt hat. Diese werden von uns, ich Sicherheit zuständiger Minister alles zu unterneh- sagte es schon, nicht bestritten. Aber auch dies ist men, urn dieser Gefahr wirkungsvoll zu begegnen. das Ergebnis gemeinsamer Arbeit von Regierung, Sie führen nach wie vor den Chor der Verharmloser Opposition und nicht zuletzt der Länder. an. Sie, Herr Minister Maihofer, haben von politi- Im Zusammenhang mit der Vorlage des Verfas- scher Herkunft und langjähriger eigener Aussage sungsschutzberichts 1973 erklärten Sie wörtlich: daran kaum ein originäres Verdienst. Sie haben Weder der Rechtsextremismus noch der Links- jahrelang als Professor ein politisches Programm extremismus stellt gegenwärtig eine Gefahr für der sogenannten Demokratisierung und Humanisie- die freiheitlich-demokratische Grundordnung der rung der Gesellschaft vertreten, das schon frühzei- Bundesrepublik Deutschland dar. tig Ihre Einstellung zur streitbaren Demokratie, ins- Sie erklärten im WDR II am 11. 7. 1974 wörtlich — besondere zu den Fragen der inneren Sicherheit, be- lastete. In den Jahren 1962 und 1963 erschienen Herr Präsident, mit Ihrer Genehmigung darf ich zitieren —: Ihre Beiträge über politische Justiz in den kommuni- stisch beeinflußten „Blättern für deutsche und inter- Wir haben einen erheblichen Rückgang an ter- nationale Politik". Anfang der sechziger Jahre roristischen Aktivitäten, sowohl der schweren tauchte der heutige Bundesinnenminister unter den als auch der leichteren Gewalttätigkeiten von Gegenern der Notstandsgesetzgebung auf, und we- terroristischen Organisationen. 11066 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Dr. Riedl (München) Als Begründung gaben Sie weiter an, das hänge nicht Dies ist auch in Ihrem Beitrag zur Sicherheitsdebatte nur mit erheblichen Sicherheitsvorkehrungen zusam- wieder einmal ganz deutlich vor Augen geführt men, sondern auch damit — wörtlich -, worden. (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Schäfer daß die Zellen solcher terroristischer Aktivitäten [Tübingen] [SPD] : Wären Sie doch bei der doch ganz erheblich geschrumpft sind. Post geblieben!) Das alles, Herr Minister, steht in direktem Wider- — Das würde ihnen so passen, Herr Schäfer. spruch zu dem gleichzeitig vorgelegten Verfassungs- Die Steigerungsraten beim Bundeskriminalamt, schutzbericht, den ich im einzelnen hier gar nicht zu Bundesamt für Verfassungsschutz und Bundesgrenz- zitieren brauche und nicht zitieren kann. Erstens ken- schutz vermögen über die wahre Haltung dieser nen Sie ihn, und zweitens reicht leider die Zeit dazu Regierung und dieses Ministers zum Problem der nicht aus. Abwehr von Verfassungsfeinden nicht hinwegzutäu- Das in vielen Beispielen deutlich gewordene schen. Solange Herr Nollau, Ihr Protektionskind, distanzierte Verhältnis des Bundesinnenministers zu Herr Wehner, den elementaren Belangen der inneren Sicherheit (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Ein übler dieses Staates macht die Problematik seiner politi- Bursche!) schen Verantwortlichkeit für diesen Bereich offen- an der Spitze des Bundesamtes für Verfassungs- kundig. Wenn der Minister, statt die Frage eines schutz steht, muß die Seriosität des Verfassungs- möglichen Verbots radikaler Gruppen auch nur zu schutzes und damit das Vertrauen in diese so wich- prüfen, dies kategorisch ablehnt, weil er die Radi- tige Institution angezweifelt werden. Und, Herr kalen angeblich in der politischen Auseinander- Minister Maihofer, ich frage Sie: Was muß eigent- setzung bekämpfen will, so weckt er Zweifel an sei- lich noch geschehen, bis dieser Mann endlich gegan- ner Redlichkeit, wenn er diese Auseinandersetzung gen wird? nicht nur verabsäumt, sondern häufig genug um Ver- ständnis für die gesellschaftskritische Motivation der (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Davongejagt Radikalen wirbt. Ein Innenminister, der wie Herr wird!) Maihofer in diesem Zusammenhang von „schänd- Ein weiteres negatives Kernstück Ihrer Amtsfüh- lichen Versäumnissen in der politischen Bildung" rung ist die Behandlung des Komplexes der Beschäf- spricht — das haben Sie geäußert in der Frank- tigung Radikaler im öffentlichen Dienst. Was ist furter Rundschau vom 5. 8. 1974 —, wird unglaub- denn aus dem guten Ansatzpunkt des sogenannten würdig im Hinblick auf die Belange der inneren Ministerpräsidentenbeschlusses vom Januar 1972, Sicherheit, wenn unter der Verantwortung seines der in Zusammenfassung das geltende Recht beinhal- Ministeriums die Bundeszentrale für politische Bil- tet und der von allen Ministerpräsidenten ein- dung entgegen ihrem Auftrag — der wörtlich heißt, schließlich des gescheiterten Bundeskanzlers Brandt „demokratisches Bewußtsein zu festigen" — System- getragen worden ist, eigentlich geworden? Geben veränderern, die den hohen Stellenwert der poli- Sie doch auch hier heute abend dazu eine klare tischen Bildung erkannt haben, den „Marsch durch Antwort! die Institutionen", wie es so schön heißt, ermöglicht. Die Wahrheit ist, daß der Widerstand in Ihren Herr Minister, Ihr Konzept eines sozialen Liberalis- eigenen Reihen Sie gezungen hat, Stück für Stück mus bzw. eines liberalen Sozialismus in einer von der gemeinsamen Basis abzurücken. Sie präsen- menschlicheren Gesellschaft bedingt offenbar eine tieren uns jetzt einen Gesetzentwurf, der, gelinde derartige Toleranzgrenze gegenüber Gegnern und gesagt, die Dinge auf den Kopf stellt. Kritikern dieses Staates, daß Sie Ihrer Aufgabe als (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Ach wo!) Verfassungsminister nicht gerecht werden können, Es ist doch geradezu abenteuerlich, Herr Schäfer, wenn Sie gleichzeitig freiheits- und demokratiefeind- feststellen zu müssen, daß ein überzeugendes Indiz liche Theorien zu integrieren versuchen, so wie es in für die verfassungsfeindliche Gesinnung eines Be- Ihrem Buch „Demokratie im Sozialismus" nachzu- werbers lesen ist. (Zurufe von der SPD) Den Belangen der inneren Sicherheit können Sie — hören Sie es sich nur an, damit Sie sich draußen als verantwortlicher Minister nach unserer Auffas- auch richtig informiert äußern können —, nämlich sung nicht entsprechen, und deshalb können wir seine Zugehörigkeit zu extremistischen Organisatio- Ihnen die Zustimmung zu diesem Haushalt nicht nen, für die Ablehnung letztlich nicht ausreichen geben. soll, sondern dem Staat die Beweislast dafür aufer- legt wird, daß ein Angehöriger einer offensichtlich Während der Amtsführung des jetzigen Ministers gegen die demokratische Grundordnung gerichteten kann der Bürger draußen im Lande das ungute Ge- Organisation damit auch verfassungsfeindlich han- fühl nicht loswerden, daß den Feinden unseres Staa- delt. Solange Sie, Herr Minister, und diese Regie- tes und der demokratischen Grundordnung nicht ent- rung sich nicht eindeutig und unmißverständlich von schlossen genug entgegengetreten wird. solchen Gedanken distanzieren und dies auch nicht in den kommenden Gesetzesvorhaben zum Aus- (Zustimmung bei der CDU/CSU Zuruf druck bringen — wir erwarten auch einige Antwor- von der SPD: Das ist in Bayern so!) ten heute abend auf die an Sie gestellten Fragen --, Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11067 Dr. Riedl (München) können wir von der CDU/CSU dem Haushalt des ja, diese möglicherweise für die Durchsetzung ihrer Bundesministers des Innern nicht zustimmen. Absichten sogar dringend benötigen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Zustimmung bei der SPD) Meine Damen und Herren, heute darf ich darauf Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat hinweisen, daß wir mit den Mitteln des Jahres 1975 Herr Abgeordneter Walther. einen weiteren Schritt zur Verbesserung des polizei- technischen Teils der inneren Sicherheit machen. Er- (Zuruf von der SPD: Rudi, sag's ihm!) neut verstärken wir das Bundeskriminalamt um wei- tere 35 Stellen. Damit entfernen wir uns auch weiter Walther (SPD) : Frau Präsidentin! Meine Damen von dem desolaten Zustand, mit dem diese Regie- und Herren! Herr Kollege Dr. Riedl hat in der Tat rung das Amt 1969 von der CDU üernommen hatte. mein Bedauern über das, was er für seine Fraktion sagen mußte. Verehrter Herr Kollege Dr. Riedl, Sie (Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen mußten hier eine Ablehnung begründen, von der bei der CDU/CSU) Sie doch selber nicht überzeugt sind. Damals waren es genau 933 Stellen, und es standen (Beifall bei der SPD und der FDP — Wider 22 Millionen DM zur Verfügung. spruch bei der CDU/CSU) (Zurufe von der CDU/CSU) Sie sind hier doch nach der Sonthofener Handlungs- Von modernen Mitteln und Methoden der Verbre- anweisung verfahren: Nur anklagen und warnen, chensbekämpfung war überhaupt keine Spur. 2 242 aber keine konkreten Rezepte nennen! Stellen und über 135 Millionen DM werden es mit (Wiederholter Beifall bei der SPD und bei den Mitteln des Jahres 1975 sein. Die modernsten der FDP) elektronischen und andere Hilfsmittel stehen zur Verfügung, und manche Erfolge zeichnen sich ab. Sie haben sich damit Ihrem großen Vorsitzenden Beispielsweise wäre auch der Schlag gegen die gebeugt. Reste der Baader-Meinhof-Terroristen erfolgreicher (Oh-Zurufe von der CDU/CSU) gewesen — möglicherweise , Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Op- (Aha! bei der CDU/CSU) position — wir haben das im vergangenen Jahr wenn nicht einer der CDU-Länderinnenminister in schon erlebt —, auf dem Minister Maihofer herum- einem Anfall von Profilneurose streng vertrauliche hacken, dann habe ich den Eindruck: Er ist in der Tat Informationen zu früh öffentlich ausposaunt hätte. Ihr Lieblingsfeind aus den Reihen der Liberalen, weil er zu jenen gehört, die das Bündnis der Libera- (Beifall bei der SPD Zurufe von der len mit den Sozialdemokraten für historisch halten. CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der FDP — Lachen Meine Damen und Herren, das hat doch nichts bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/ mit Wahlen zu tun. Wenn Sie hier von Wahlen CSU: Das ist sein großer Fehler!) reden; ich rede heute abend zu der Sache, die hier ansteht. Meine Damen und Herren, ich erkläre hier für Da wollte der kleine Mann aus Rheinland-Pfalz meine Fraktion: Dieser Minister hat unser volles mal einmal der Größte sein, und schon war er der Vertrauen Dümmste. Der krampfhafte Versuch der Opposition, (Beifall bei der SPD und der FDP) diese Fehlleistung zu vertuschen, ist ein Beweis für und hat in seiner Amtszeit gezeigt, was er kann. das schlechte Gewissen der Parteifreunde des Herrn Schwarz. (Zurufe von der CDU/CSU) (Zurufe von der CDU/CSU) Er hat beispielsweise in den so schwierigen Stunden Meine Damen und Herren von der Opposition, ich der so schlimmen Berliner Ereignisse gezeigt, daß er frage Sie: Wie lange wollen Sie eigentlich noch gerade auf dem Gebiet der inneren Sicherheit auf einen Mann schützen, dessen Redseligkeit ein der Höhe ist. Sicherheitsrisiko darstellt? Was lehnen Sie denn hier ab, meine Damen und (Beifall bei der SPD) Herren von der Opposition? Sie lehnen in der Tat Dieser Vorfall ist ein Beweis für meine These: Die all das ab, was sich zahlenmäßig im Kapitel innere Opposition redet in einer Art und Weise von inne- Sicherheit niederschlägt. Wir haben in der letzten rer Sicherheit, die tatsächlich Unsicherheit erzeugt. Woche ausführlich über den Zusammenhang zwi- Die Fakten dafür, daß unsere Bürger wirklich ruhi- schen innerer Sicherheit, Reformfähigkeit und Re- ger schlafen können, schafft die Koalition. formwilligkeit einer Gesellschaft gesprochen- und auch darauf hingewiesen, daß Leute, die Sonthofe- (Oh-Rufe von der CDU/CSU — Sauer [Salz ner Doktrinen verkünden, die Angst-, Panik- und gitter] [CDU/CSU] : Und darum wählen Sie Verleumdungstheorie zur Maxime ihrer marktstra- SPD!) tegischen Überlegungen machen, kein Rezept zur Meine Damen und Herren, den Bundesgrenz- Überwindung terroristischer und anarchistischer Ak- schutz bauen wir weiter als Bundespolizei aus. tivitäten haben, (Erneuter Zuruf des Abg. Sauer [Salzgit (Beifall bei der SPD und der FDP) ter] [CDU/CSU] ) 11068 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Walther In diesem Haushalt schaffen wir die Voraussetzung — Die läßt sich natürlich nicht nur in Prozentzahlen dafür, daß das Konzept der realen Ausrichtung des ausrechnen. Aber Sie werden mir zugeben: Ohne Bundesgrenzschutzes als Bundespolizei voll zum die nötigen Mittel können Sie sachlich das nicht Tragen kommen kann. tun, was für die innere Sicherheit notwendig ist. Seien wir doch ehrlich: Zu den Zeiten der CDU- (Beifall bei der SPD und der FDP Möller Innenminister war der Bundesgrenzschutz doch mehr [Lübeck] [CDU/CSU] : Die innere Einstel oder weniger eine paramilitärische Einrichtung, lung ist wichtig!) nicht Fell und nicht Fleisch, keine Polizei und keine Bundeswehr. Da wurde dauernd ausgebildet und Was lehnen Sie weiter mit diesem Haushalt ab, ausgebildet, und keiner wußte genau wofür. Das meine Damen und Herren von der Opposition? Sie war frustrierend und prägte den Geist der Truppe. lehnen den Umweltschutz ab. Der Umweltschutz, das hat der Kollege Riedl hier ausgeführt, bleibt trotz (Zuruf von der CDU/CSU: Ihre Rede ist allen Fleißes des Parlaments eine Daueraufgabe. auch frustrierend!) (Dr. Ritz [CDU/CSU] : Was ist das für ein Seit der Amtszeit von Minister Genscher hat sich Satz: Sie lehnen den Umweltschutz ab! — das stetig geändert. Der Geist der Truppe hat sich Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Der gewandelt. Die Beamten fühlen sich bald wirklich weiß doch selbst, daß das nicht stimmt!) als Polizisten. Die Zeiten, da Länder-Polizisten mit- leidig auf ihre Kollegen beim Bundesgrenzschutz — Aber Entschuldigung, Sie haben hier gesagt, daß herabschauten, gehören bald der Vergangenheit an. Sie diesen Einzelplan des Bundesinnenministers ab- lehnen. Schauen Sie: Das ist doch dieselbe Geschichte Dieser Wandel drückt sich auch in steigenden wie mit der Schwangerschaft; eine halbe gibt es nicht. Personalzahlen aus. Hatten wir vor ein oder zwei Sie können nicht halb ablehnen und halb annehmen. Jahren noch rund 19 000 Vollzugsbeamte beim BGS, so sind es jetzt 20 600. In diesem Jahr wer- (Beifall bei der SPD) den noch 1 000 dazukommen. Sie sehen also, auch Sie lehnen den Einzelplan 06 ab, und damit lehnen dieser Teil der inneren Sicherheit ist bei der Koali- Sie auch die Ansätze für den Umweltschutz ab, ob tion in guten Händen. Ihnen das paßt oder ob Ihnen das nicht paßt. Meine Damen und Herren, unbestritten — das hat (Erneuter Beifall bei der SPD — Dr. Staven der Eschenburg-Bericht gezeigt - gibt es noch den hagen [CDU/CSU] : Das ist doch Unsinn! einen oder anderen Mangel beim Verfassungsschutz. Sie wissen genau, daß das nicht richtig ist! Aber wenn hier — und der Kollege Riedl hat das So kann man doch nicht argumentieren! -- getan — die Opposition den Zeigefinger hebt, Weitere Zurufe von der CDU/CSU) (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : Habe ich Meine Damen und Herren, der Umweltschutz nicht gemacht!) bleibt also trotz allen Fleißes des Parlaments eine sollte sie nicht vergessen, daß wir es auch hier zu- Daueraufgabe. Vieles ist gesetzlich geregelt. Wenn mindest personell zu einem großen Teil mit ihrem die Reformverhinderungsmaschine des Bundesrates Erbe und ihrer Hinterlassenschaft zu tun haben. endlich ein vernünftiges Räderwerk bekommt, wer- (Beifall bei der SPD und der FDP) den wir möglicherweise auf dem Gebiet des Wasser- rechts demnächst noch die fehlenden Gesetzesrege- Wenn Sie sich einmal die Führungscrew des Bun- lungen hinzubekommen. desamts für Verfassungsschutz ansehen, dann wer- den Sie feststellen: Da gibt es 30 mehr oder weniger (Dr. Wittmann [München] [CDU/CSU] : Aber der CDU/CSU zugerichtete Parteilose, da gibt es Sie schieben die Sache einfach auf die Ko 17 CDU/CSU-Angehörige, da gibt es 5 SPD-Mitglie- petenz! — Dr. Hupka [CDU/CSU] : Von Fö der und 2 der FDP. Sie müssen aber den Trennungs- deralismus wenig gehört!) strich der Führungscrew schon ziemlich tief unten — Aber, entschuldigen Sie, Herr Kollege Hupka! ansetzen, wenn Sie überhaupt einen Sozialdemokra- Wir haben auf EG-Ebene, auf Europaratsebene schon ten finden wollen. einheitliche Normen für die Wassergüte gesetzt be- (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Woher wissen kommen, und Sie wollen hier in diesem Lande von Sie das, lieber Herr Walther?) Föderalismus reden! Aber lieber Herr Haase, Sie wissen das doch (Beifall bei der SPD und der FDP) auch. Sie sind doch nicht so unschuldig, wie Sie jetzt Auch wenn Sie es nicht gern hören: es wird lang- auf einmal tun. Wenn Sie also nach den Gründen sam Zeit, daß sich die Opposition auf diesem Gebiet suchen, finden Sie sie auch dort, wo wir es mit über- endlich einmal an ihre Verantwortung erinnert und kommenen, überstandenen, übernommenen Perso- ihre Blockadespezialisten in den Bundesländern zur nalstrukturen zu tun haben. - Aufgabem- ihrer destruktiven Haltung bewegt. Nun noch eine letzte Bemerkung zu diesem Kom- (Beifall bei der SPD — Zurufe von der plex: Um fast 14 % steigen wiederum die Ausga- CDU/CSU) ben für die innere Sicherheit auf nunmehr 1,025 Mil- liarden DM. — Ich sage Ihnen: Erfüllen Sie endlich ihr Wahlver- sprechen von 1972! (Dr. Ritz [CDU/CSU] : Leider läßt sich die innere Sicherheit nicht in Prozentzahlen Nun hat der Kollege Riedl hier dankenswerte ausrechnen!) Überlegungen darüber angestellt, wie sich der Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11069 Walther Bund im investiven Bereich besser beteiligen Standorts der Deutschen Nationalstiftung gespro könnte. Nur dies gilt genauso für das, was im chen. Hinblick auf den Breitensport gesagt worden ist —, (Dr. Riedl [CDU/CSU]: Das ist unerhört!) dem stehen nun einmal, ob wir es gerne hören oder — Entschuldigen Sie, das war ein Propagandaantrag nicht, verfassungsrechtliche Grenzen entgegen. Der a la Wohlrabe! Bund ist für das, was Sie hier ansprachen, im we- sentlichen nicht zuständig. Rhein und Bodensee sind (Dr. Stavenhagen [CDU/CSU] : Das ist doch Ausnahmen, weil wir es hierbei mit länderüber- unter Ihrem Niveau!) schreitenden Regelung zu tun haben. Denn Sie wissen doch genausogut wie ich, daß der Haushaltsausschuß keine Entscheidung über eine Das Umweltbundesamt hat seine Arbeit aufge- solche Standortfrage treffen kann. nommen. Hinzu kommen 93 neue Stellen, so daß zusammen 376 Beschäftigte in Berlin tätig sein wer- (Beifall bei der SPD) den. Jetzt gilt es, diesem Amt noch mehr als bisher Sie haben also diesen Antrag wider besseres Wis- konkrete Aufgaben zuzuweisen und Doppelarbeit sen gestellt, und deshalb war er ein reiner Propa- mit dem Ministerium zu vermeiden. Jetzt müßten gandaantrag. aber auch — ich meine, Herr Minister, dies sagen zu dürfen und sagen zu sollen — die Umwelt- (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe schutzabteilungen des Hauses neu organisiert und, von der CDU/CSU) wenn es im Interesse einer größeren Effizienz liegen Ich sage noch einmal: Die Standortfrage hat sich sollte, auch schmerzliche personalpolitische Entschei- nach dem Konzept, nicht aber das Konzept nach der dungen getroffen werden. Doppelarbeit in Bonn und Standortfrage zu richten. Daß die Erarbeitung eines in Berlin können und sollten wir uns nicht leisten. Konzepts schwierig ist, weiß jeder, dem bekannt ist, wie schwierig die Beziehungen zwischen Bund 659 Millionen DM stehen im Bundeshaushalt und und Ländern gerade auf dem Gebiet der Kultur im ERP-Wirtschaftsplan für Zwecke des Umwelt- und der Kunst sind. schutzes, soweit der Bund zuständig ist, zur Ver- fügung. Das sind 38 Millionen DM mehr als 1974. Aus dem, was ich hier kurz darlegen durfte, er- Damit läßt sich wiederum eine Menge in die Wege sehen Sie, daß dieser Haushalt eine Reihe von posi leiten. Bei allem, was bei uns noch verbesserungs- tiven Aspekten aufweist. Ich hätte mir gewünscht, fähig und verbesserungswürdig ist: wir wollen in die Opposition hätte hier nicht nach fadenscheinigen aller Bescheidenheit nicht vergessen, daß unser Land Aufhängern gesucht, um diesen Einzelplan abzu- auf vielen Feldern des Umweltschutzes führend in lehnen. Ich hätte mir gewünscht, daß auch die Oppo- der Welt ist, und das soll auch so bleiben. sition das Positive in diesem Haushalt durch ihre Zustimmung anerkannt hätte. Nun, wir werden auch (Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU] : Hört! Hört!) ohne diese Zustimmung leben können. Wir können jedenfalls mit dem, was wir in diesem Einzelplan Nun hat Herr Kollege Dr. Riedl hier das Wort verabschieden, vor unseren Wählern gut bestehen. „Sportförderung" aufgenommen. Ich will nicht wie- (Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf der einen Streit darüber anfangen, ob sie diese auch von der CDU/CSU: Warten Sie mal die ablehnen und wie es in diesem Punkt mit der hal- Zeit ab!) ben Ablehnung und der halben Nichtablehnung steht, darf aber so viel sagen: Kontinuierlich steigen hier jährlich die Ansätze. Das Netz der Bundeslei- Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat stungszentren wird immer dichter und wird 1975 Herr Bundesminister Professor Maihofer. mit 22 einen neuen Höchststand erreicht haben. Da- mit ist das Programm solcher Leistungszentren Dr. Maihofer, Bundesminister des Innern: Frau nahezu erfüllt. Jetzt unterstützen wir die Länder bei Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte der Errichtung von Landesleistungszentren, um so zunächst auf einige der freundlichen Anregungen im Laufe der Zeit ein immer dichteres Netz von von Herrn Riedl eingehen, die er zu Beginn seines Sportstätten für Leistungszentren zu knüpfen. 41 Beitrages hier vorgetragen hat und die auch Herr werden es 1975 sein. Auch bei der Anstellung von Walther soeben noch einmal unterstrichen hat. Bundestrainern zeigt sich der Bund nicht knauserig. Zunächst einmal bin ich wirklich der Meinung, Bis auf den DFB bezahlt der Bund — das wissen die daß die Sanierung, wie wir sie im Bodenseegebiet meisten nicht — sämtliche Bundestrainer, nämlich durch Ländervertragsvereinbarungen auf den Weg 88 im Jahre 1975. gebracht haben, ein Modellbeispiel für das ist, was (Dr. Riedl [CDU/CSU]: Außer Helmut geschehen maßte. Dort sind 150 Millionen DM in- Schön!) vestiert worden; nur durch sie konnte dieses Ge- - biet eigentlich überhaupt saniert werden. Ich bin — Außer Helmut Schön; das habe ich gesagt, Herr sicher, daß wir auch in anderen Gewässerproblem Kollege. Am Bund also liegt es nicht, wenn der gebieten ebenso verfahren müßten, allerdings nicht Spitzensport in der Bundesrepublik international auf dem Wege über das föderative Instrument der nicht immer eine sehr bedeutende Rolle spielt. staatsvertraglichen Vereinbarung, sondern auf dem Wege über die Verabschiedung der Gesetze — das Nun haben Sie, Herr Kollege Riedl, über Ihren haben vor allem Sie als Opposition in der Hand —, Propagandaantrag im Haushaltsausschuß wegen des die wir Ihnen vorgelegt haben. Das Wasserhaus- 11070 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975

Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofer haltsgesetz und die entsprechenden Folgegesetze richtung einer solchen Nationalstiftung, über die geben uns, wie Sie ja wissen, die erforderlichen Konzeption, über die Organisation geführt hat, bis Instrumente hoffentlich bald in die Hand. heute keine offizielle Reaktion aus den Ländern haben. Dies, obwohl wir seit einem Jahre immer wie- Zweitens. Was das Thema der Reaktorsicherheit angeht, so kann ich Ihnen nur zustimmen, wenn Sie der darauf gedrängt haben, daß die Länder zu dem sagen, daß es dort allerdings — darauf möchte ich Gesetzentwurf einer Nationalstiftung Stellung neh- hier abheben — nicht nur ein technologisches Pro- men, einem Gesetzentwurf, den wir ihnen auch zu- blem — schon das ist sehr groß , sondern auch geschickt haben. Ich hoffe da können Sie wirklich ein politisches Problem gibt. Das zeigt uns jedes etwas Gutes tun; denn es sind auch die Länder Ihrer Genehmigungsverfahren — wie zuletzt etwa das in politischen Couleur —, daß es doch den vereinten Wyhl. Wir werden uns auf der einen Seite überlegen Anstrengungen — wenn es Ihnen, ebenso wie uns, müssen, ob wir uns hier nicht neuer Verfahrens- mit dieser Nationalstiftung ernst ist — gelingen weisen — Stichwort: Verbandsklage — zu bedienen müßte, den im Jahre 1976 vorgesehenen Haushalts- haben werden, um die Überfülle der Verwaltungs- ansatz von 25 Millionen DM in eine solche künftige verfahren, die in jedem Einzelfall auf uns zukommen, Nationalstiftung einzubringen. Jedenfalls geht mein rechtsstaatlich überhaupt noch bewältigen zu kön- hartnäckiger Wille dahin, das auf jeden Fall noch in nen. Andererseits müssen wir aber vor allem eines diesem Jahr — allerdings nicht ohne Ihren Beistand; tun, nämlich versuchen, den geradezu zum Volks- denn nur mit dem der Opposition und vor allem dem aufstand geratenen Widerstand der Bevölkerung der von der Opposition regierten Länder kann das abzubauen, und zwar durch eine schonungslose Auf- gelingen durchzusetzen. Ich hoffe, daß sich hier klärung der Bevölkerung über die Chancen der Ent- am Ende die Vernunft durchsetzt, um dieses große wicklung im Bereich der Atomenergie auf der einen Werk auf den Weg zu bringen. Seite und über die Risiken auf der anderen Seite, Nun aber zu den unfreundlicheren Bemerkungen. die im Bereich der Reaktorsicherheit auftreten. Wir Herr Riedl, hier bin ich nun wirklich erschreckt über haben entsprechende Vorbereitungen ja schon ein- das, was Sie hier hier gesagt haben. Wenn es für geleitet. Es ist aber noch viel zu tun. Wenn wir hier mich nach dem bedrückenden Ausgang der Sicher- nicht entsprechende Vorarbeit im Sinne der Aufklä- heitsdebatte noch eines Beweises bedurft hätte, was rung leisten, wird die Nutzung der Atomenergie, eigentlich von der Solidarität der Demokraten zu wie ich meine, nicht etwa an technologischen, son- halten ist und was Sie in der CSU eigentlich mit der dern an politischen Problemen scheitern. Konfrontation in der Politik meinen, dann ist mir dies (Beifall bei der FDP und der SPD) heute endgültig aufgegangen. Drittens. Im Bereich des Sports — ich will hier (Beifall bei der FDP und bei der SPD — gar keine große Leistungsbilanz ziehen — ist sicher Wehner [SPD] : War sehr heilsam!) das Zentralproblem, wie wir — über das Programm Was soll das heißen: Es fehle dieser Regierung und der Bundesleistungszentren und das Programm der gar dem Minister an dem Geist, der hier für die Ver- Landesleistungszentren hinausgehend — mit einem teidigung der inneren Sicherheit vorausgesetzt wird. zusätzlichen Stützpunktsystem vor allem bei den Ich will nun überhaupt nicht mehr aufzählen, was da Vereinen, die die Leistungsspitze in der Bundes- an Sicherheitsprogrammen — mit all den materiellen republik verkörpern — manchmal finden sich diese und personellen Leistungen, die einfach nicht wegzu- Vereine bei einem Bundesleistungs- oder Landes- diskutieren sind — verwirklicht worden ist. Ich leistungszentrum, manchmal aber auch irgendwo im möchte in aller Unbescheidenheit darauf hinweisen, freien Feld —, Talente ausfindig machen können, daß alles, was hier seit Jahr und Tag geschieht d. h. wie wir die Talentförderung an die Orte auch in den zehn Monaten, in denen ich dieses Amt tragen, an denen wir das höchste sportliche Poten- innehabe —, bei jedem Erkennen der Sicherheits- tial an Talenten mobilisieren können. Das alles lage und bei jedem Handeln, das diese fordert, in unter der Voraussetzung, die ich hier noch ein- voller Übereinstimmung mit den Ländern Schritt für mal bekräftigen möchte, daß wir in unserem poli- Schritt geschehen ist und daß es geradezu eine un- tischen System mit den unserem System eigenen glaubliche Sache ist, hier den Bund — wo er eher Möglichkeiten unseren Sportlern in der internatio- ein Übermaß als ein Untermaß getan hat auf die nalen Konkurrenz die gleichen fairen Chancen Anklagebank schieben zu wollen. schaffen müssen, wie andere — seien es nun Staats- sportländer, seien es nun Universitätssportländer (Beifall bei der FDP und bei der SPD) — es in der übrigen Welt tun. Von da her glaube Ich will, obwohl es mich jucken würde, mich dem ich auch, daß das bedauerliche Wegfallen des Gol- Drang versagen, Ihnen hier einmal in allen Einzel- denen Plans — über diese ehrliche Bemerkung, Herr heiten zu sagen, wo wir gedrängt und nochmals ge- Riedl, habe ich mich gefreut — über den Ausbau drängt haben, um das, was nun alles glücklich auf dieses Stützpunktsystems vielleich wieder aufge- dem Wege ist, auf den Weg zu bringen. Glücklicher- fangen werden kann. weise ist es am Ende immer so gewesen, daß es in Vierte und letzte Bemerkung zu diesem ersten voller Abstimmung zwischen Bund und Ländern in Teil. Daß die Nationalstiftung noch nicht weiter ist, den letzten Monaten gelungen ist— weit über das liegt hauptsächlich daran — ich sage es hier ganz hinaus, was die Öffentlichkeit heute weiß , hier offen —, daß wir, obgleich der Bund in der Zwischen- alles nur Denkbare zu tun, um gegen die terroristi- zeit zahllose Gespräche, auch mit den Vertretern der schen Gewaltverbrechen mit polizeilichen Maßnah- verschiedensten Kulturorganisationen, über die Er- men vorzugehen. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11071

Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofer Eine zweite Bemerkung auch hier. Ich weiß nicht, Ich bin auch verbittert darüber, daß Sie ausge- ob Sie eigentlich wissen, wovon Sie reden, wenn Sie rechnet mich hier in den Chor der Verharmloser mich nun hier in dieser Debatte anklagen, dem Mini- reihen wollen und sich dabei nun wiederum einer ster fehle der richtige Geist, bewährten Taktik bedienen, indem Sie zwar aus dem Verfassungsschutzbericht zitieren, aber un- (Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU] : Der Hei lige Geist!) terschlagen, daß ich ausdrücklich — und zwar von meiner eigenen Hand eingesetzt — von einzel- daß ich auch einer jener Alternativ-Professoren ge- nen hochgefährlichen terroristischen Aktivitäten wesen sei. Das ist nun wirklich eine wunderliche Be- gesprochen habe, und das mit Bedacht, denn diese merkung, und meine 16 anderen Kollegen werden hatten wir damals, 1974, obwohl wir und das sich über diese Bemerkung freuen. Sie haben offen- können Sie wieder nicht bestreiten — in der allge- bar nicht bemerkt, daß zwei Drittel des Allgemeinen meinen Kriminalität, ja selbst in der politischen Teils dieses Strafgesetzbuches, das Sie in diesem Gewaltkriminalität in jenem Jahr zahlenmäßig einen Bundestag beschlossen haben, Wort für Wort aus Rückgang hatten. Trotzdem habe ich es für not- der Arbeit der Alternativprofessoren stammen wendig gehalten, auf diese damals wie heute für (Beifall bei der FDP und der SPD) mich hochgefährlichen terroristischen Aktivitäten hinzuweisen. und daß die Alternativprofessoren ja nun nicht etwa einer liberalistischen Kriminalpolitik — wie gibt es Ein Weiteres zur politischen Bildung: Wenn Sie denn so was? —, sagen, es gebe da schändliche Versäumnisse — „schändliche" haben Sie nicht gesagt, aber „schreck- (Zustimmung bei der FDP und der SPD) liche" oder so etwas ähnliches — bei der politischen sondern der modernen Schule der Verbrechensbe- Bildung, dann kann ich nur sagen, davon bin ich in kämpfung anhängen, für die der Satz gilt: Die der Tat überzeugt. Kriminalpolitik ist die Ultima ratio der Sozialpolitik (Zustimmung bei der SPD) und nichts anderes. Was ist daran eigentlich? Es gibt heute in unserem Lande keinen ernst zu nehmenden Nur, entweder wissen Sie nicht, was Sie hier sagen, Wissenschaftler, der nicht auf dem Boden dieser oder Sie sagen etwas wider besseres Wissen. Erkun- modernen Schule der Verbrechensbekämpfung digen Sie sich bei Ihren Kollegen im Kuratorium der stünde. Bundeszentrale für politische Bildung. Denn was tun (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. wir seit mehreren Sitzungen? Wir machen in Wittmann [München] [CDU/CSU] : Das ist einem ehrlichen, pluralistischen Wettstreit der po- Professoren-Eitelkeit!) litischen Meinungen den Versuch, hier eine Kon- zeption politischer Bildung zu erarbeiten, in deren Daß Sie bei einem, der politisch motivierte Ge- Mittelpunkt Verfassungsschutz durch Verfassungs- waltverbrechen begeht, nicht in einem engeren aufklärung — also geistige Auseinandersetzung mit Sinne zu einer Resozialisierung kommen können, dem politischen Extremismus — steht. das ist eine Binsenweisheit für alle, die sich seit Jahren mit der Reform des politischen Strafrechts (Freiherr von Fircks [CDU/CSU] : Fünf Jahre beschäftigen. Das ist beim Hochverrat so, das ist zu spät! — Dr. Schweitzer [SPD] : Er weiß beim Landesverrat so; da können Sie nirgendwo es nicht besser!) von Resozialisierung reden. — Entschuldigen Sie, ich bin zehn Monate in diesem (Dr. Wittmann [München] [CDU/CSU]: Dann Amt, und Sie können mich anklagen, für was Sie dürfte es dafür eigentlich nur noch Siche wollen, aber doch nicht dafür, daß ich nun ausge- rungsverwahrung geben!) rechnet auf dem Felde der politischen Bildung zu wenig getan hätte, auf dem ich ohnehin vorher schon Aber das ist für jeden Fachmann eine bare Selbst- leidenschaftlich tätig war. Ich versuche, die Sache verständlichkeit. Daß Sie mit politischen Terrori- durch eine großangelegte empirische Enquete über sten keine politische Auseinandersetzung führen den Linksextremismus voranzubringen, eine En- können, sondern nur mit juristischen Maßnahmen quete, die es bisher nie gegeben hat, auch nicht in vorgehen müssen, bei denen vor allem der Sicher- den Jahren, in denen die CDU regierte; da hat sie heitsaspekt vor dem Wiedereingliederungsaspekt eine über den Rechtsextremismus gemacht, aber nie stehen muß, eine über den Linksextremismus. Das habe ich schon (Zustimmung bei der CDU/CSU) in den ersten Monaten meiner Amtsführung auf den das ist doch nicht Ihre Erfindung, das können Sie in Weg gebracht. Genauso habe ich versucht, der poli- jeder Debatte zur Reform des politischen Straf- tischen Bildungsarbeit einen hohen Stellenwert in rechts nachlesen, an der ich selber als einer der meiner Arbeit insgesamt zu geben. Dafür haben Sie engagiertesten Exponenten der Wissenschaft seit die Geschmacklosigkeit, mir die als ein besonderes Armutszeugnis anzulasten. 1952 teilgenommen habe. - (Dr. Wittmann [München] [CDU/CSU] : Dar (Picard [CDU/CSU] : „Geschmacklosigkeit" um gibt es auch so viele Spione!) geht zu weit!) Aber ich will mich gar nicht ereifern. Ich bin nur Anderes möchte ich mir versagen. etwas verbittert darüber, daß es, unter Demokraten solche Debatten wie diese hier heute abend über- (Dr. Schweitzer [SPD] : Es lohnt sich auch gar nicht!) haupt gibt. (Beifall bei der FDP und der SPD) — Das lohnt sich sehr wohl. 11072 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofer Eine vierte und letzte Bemerkung lasse ich mir Wenn Sie es ehrlich mit der Solidarität der De- nicht entgehen. Sie sagen, der Gesetzentwurf für mokraten meinen, wie Sie sagen, dann müßten Sie die, wie Sie sagen, Radikalen im öffentlichen Dienst schon morgen auf die Grundlage unseres Entwurfs stelle die Dinge auf den Kopf. Dabei verschweigen übergehen, so wie er von uns interpretiert worden Sie, daß ich diesen Gesetzentwurf im Amt vorge- ist; denn er entspricht voll allen rechtsstaatlichen funden habe. Das ist ein Gesetzentwurf, den ich zu- Erfordernissen und zugleich allen sicherheitspoliti- sammen mit Herrn Kollegen Genscher auf den Weg schen Notwendigkeiten. Aber ich sehe es auch an gebracht habe. Aber was Sie hier behaupten, ist Ihrem Beitrag: Sie wollen ihn zum Vehikel der wirklich ein starkes Stück; denn was bringt dieser Polemik. Sie werden hier einen Evergreen für wei- Gesetzentwurf? Der einzige wirkliche Unterschied tere Studentengenerationen schaffen zu Ihren Vorschlägen liegt nicht etwa darin, daß wir die Treuepflicht vor das Parteienprivileg stellen; (Gerster [Mainz] [CDU/CSU] : Unterstel das tun wir nämlich beide. Wir sagen auch beide, lung!) Verfassungsfeinde haben keinen Platz im öffent- und damit genau denen in die Hände spielen, die lichen Dienst. Der Unterschied liegt ausschließlich wir gemeinsam in der geistigen Auseinandersetzung darin, daß wir für die Beweisverfahren auf dem bekämpfen wollen. Boden unserer rechtsstaatlichen Verwaltungsver- fahren bleiben und Sie ihn verlassen. (Beifall bei der SPD und FDP — Zuruf von (Beifall bei der SPD und FDP) der CDU/CSU: Damit haben Sie doch be gonnen, Herr Maihofer!) Auch für uns bedeutet die Mitgliedschaft oder gar Funktionärseigenschaft in einer Partei, die nach den Herr Riedl — und damit möchte ich schließen —: ich Erkenntnissen etwa der Innenminister verfassungs- finde es wirklich beklemmend, ja, erschreckend, daß feindliche Ziele verfolgt, ein in der Person des Be- Sie auch heute noch nicht dazu durchgedrungen sind, werbers liegender Umstand, der Zweifel an seiner daß in der Sicherheitspolitik die Parteipolitik über- Verfassungstreue begründet. Das können Sie nach- haupt nichts zu schaffen hat. lesen sowohl in der Begründung, die Herr Genscher (Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU] : Sagen Sie im Bundesrat gegeben hat, wie in der meinen hier das Herrn Wehner!) in diesem Hause seinerzeit in der stundenlangen Debatte über diesen Entwurf. Daß Sie das nicht begriffen haben, disqualifiziert Sie als Partei oder Fraktion mehr als alles andere. Der einzige Unterschied — und da werden wir in der Tat von der Linie des Rechtsstaates nicht ab- (Beifall bei der FDP und der SPD — Zurufe weichen — ist der, daß Sie sagen: Wenn jemand von der CDU/CSU) Parteimitglied oder Funktionär einer extremisti- schen Organisation ist, dann bedeutet das, daß nun- mehr an den Bewerber — auch Sie sagen: Einzelfall- Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat prüfung — die gesamte Beweislast übergeht, daß er Herr Abgeordneter Czaja. sich von diesen Zweifeln zu reinigen hat, (Zurufe von der SPD) (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Das ist dummes Zeug!) Dr. Czaja (CDU/CSU) : Frau Präsidentin! Meine während wir sagen: Die Behörde wie der Bewerber Damen und Herren! Am Anfang der liberalsozialen haben alles zu tun, Zweifel an dieser Verfassungs- Koalition am 30. Oktober 1969 hat Ihr Vorgänger, treue aufzuklären. Wenn die Zweifel bestehen blei- Herr Dr. Maihofer, Herr Genscher, hier von dieser ben, muß der Bewerber abgelehnt werden. Im letz- Stelle erklärt, daß schon wegen seiner eigenen teren sind wir uns wieder einig. Schicksalsverbundenheit mit den Betroffenen, wie er ausdrücklich sagte, die liberalsoziale Koalition und Ihre Lösung bedeutet, eine Behörde, die in ihren ihre Regierungen „sich in der Wahrnehmung der Dossiers klare Aussagen des Bewerbers über seine Belange der Vertriebenen von niemandem überbie- Reden, über sein Tun hat, ten" lassen. Die kulturellen und Eingliederungsför- (Gerster [Mainz] [CDU/CSU] : In der verfas derungen haben Sie und Herr Genscher, vor allem sungsfeindlichen Partei!) aber die liberalsoziale Koalition, fortbestehen las- die ihn entlasten würden und die gerichtsverwert- sen. Sie, Herr Maihofer, stehen für die liberalsoziale bar sind, könnte nach Ihrer Meinung sagen: Was Koalition. Sie können natürlich sagen, Sie hätten kümmert uns das? Der Bewerber hat sich von dem nur zehn Monate gewirkt. Sie stehen hier nicht in Verdacht zu befreien. Die Behörde hat damit nichts erster Linie als Maihofer, Sie stehen hier als der zu schaffen. Und das ist rechtsstaatlich unannehm- Vertreter einer politischen Linie eines Ministeriums bar. - und der Kontinuität dieser Politik in den letzten (Beifall bei der SPD und FDP) fünfeinhalb Jahren. Dies ist der einzige wirkliche Unterschied zwischen (Beifall bei der CDU/CSU — Demonstrati dem Entwurf der Oppositionsländer und dem unse- ver Beifall bei der FDP) ren. Das ist ein künstlicher Unterschied, den Sie hier aufbauschen, um politisches Kapital daraus zu Beim Haushalt müssen Sie sich als politischer Re schlagen. präsentant dieser Kontinuität kritisieren lassen. Wir (Beifall bei der SPD und FDP) können nichts dafür, daß die liberalsozialen Regie- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11073

Dr. Czaja rungen so häufig wechseln, daß Sie erst zehn Mo- Der weltweit angesehene Völkerrechtler Verdross nate im Amt sind. — bei aller Vorbereitung werden Sie mir das nicht (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der widerlegen können — bezeichnet in seinem Lehr- SPD) buch, das in alle Weltsprachen übersetzt ist und im Einklang mit der Staatenpraxis steht, Verträge, die Wenn Sie sich auch schon diskret auf das vorbe- die Schutzpflicht für die eigenen Staatsangehörigen reitet haben, was ich sagen werde, so werden Sie preisgeben, als unsittlich und unwirksam. die Tatsachen der Unterlassung doch sehr schwer widerlegen können. Die unübertroffenen Fürspre- (Möller [Lübeck] [CDU/CSU] : Hört! Hört!) cher: Zuerst suchte man diesen Menschen, für die Als für Staatsangehörigkeitsfragen zuständiger Sie Fürsprecher sein wollen, die angestammte Hei- Minister und Fürsprecher der Vertriebenen haben mat abzuschreiben und über Ostdeutschland zu ver- Sie vom Auswärtigen Amt nicht die Anwendung fügen. Beim Bundesverfassungsgericht bestreitet aller legalen Mittel zur Durchsetzung der Schutz- man das, was Ihnen der neben Ihnen sitzende Justiz- pflicht verlangt. Zwar sagen Sie, man täte ja alles. minister ausdrücklich bestätigen wird. Aber was Aber die Ergebnisse dieser Schutzpflicht werden man dort vorträgt, Herr Verfassungsminister, das immer schlechter. Sie wehren sich nicht gegen hohe sagt man leider nicht. Es wäre aber Ihre Aufgabe finanzielle Leistungen an Staaten, die täglich die in der Verteidigung der Verfassung. -- Dies müßte Menschenrechte Hunderttausender Deutscher bre- ununterbrochen in der breiten deutschen Öffentlich- chen. Sie fordern nicht, daß die dem Parlament zu- keit gesagt werden, und man sagt dies auch nicht gesagten Folgerungen aus dem Bruch der Vertrags- genügend in Warschau, Prag und Moskau. Eine grundlagen gezogen werden. Reihe namhafter Professoren hat mir gesagt, das Vor wenigen Jahren noch haben die führenden sei eine doppelzüngige Art, die Rechtslage Deutsch- Vertreter der Regierungsparteien, insbesondere der lands und der Deutschen zu vertreten. Wir haben SPD, die Ostdeutschen emotional aufgeputscht. das zu kritisieren. Zitate dafür liegen in großer Zahl bereit: Wer (Beifall bei der CDU/CSU) Deutschland nicht in den Grenzen von 1937 fordere Der Verfassungsminister sorgt auch in keiner — so Herr Brandt oder Herr Wehner —, begehe ein Weise dafür, daß die verbindliche Festlegung der Verbrechen an Deutschland, an der Menschlichkeit, Rechtslage Deutschlands und der Deutschen im er sei meineidig, ehrlos und ein Strolch. So deren Karlsruher Urteil allen Mächten notifiziert wird. Der Worte. Und: Um jeden Quadratmeter Deutschlands Verfassungsminister, der ja nach dem Urteil beson- werde man mit allen politischen Mitteln ringen. ders darauf zu achten hätte, daß keine Rechtsposi- Bei den Verhandlungen hat man aber weder um tion Deutschlands, und zwar ganz Deutschlands, ge- Quadratmeter noch um Menschen gerungen. mindert wird, wehrt sich nicht gegen die Diskrepanz, (Beifall bei der CDU/CSU) daß die Bundesregierung auf der einen Seite das Verbot des gewaltsamen Gebietswandels im Ein- Herr Brandt hat die Unglaubwürdigkeiten der alten klang mit dem Völkerrecht zwar gegen die in Not Zusagen ganz klargelegt, indem er verkündete, daß handelnden Israelis anwendet, sich aber zur Anwen- alles schon längst verloren gewesen sei, als noch dung der gleichen Norm auf Deutschland völlig aus- die Vertreter der SPD zum Kampf um Quadrat- schweigt. meter aufriefen. Vor allem aber haben Sie die personalen Rechte (Beifall bei der CDU/CSU — Freiherr von der Deutschen nicht gewahrt und wahren sie nicht. Fircks [CDU/CSU] : Doppelzüngig!) Die Rechtsposition einer Million deutscher Staats- Sie sagen, Herr Minister, die Aufgaben Ihrer Ab- angehöriger in den Oder-Neiße-Gebieten wird — teilung für Vertriebene gingen zurück. Aber auf den und das geht den Verfassungsminister und damit Schreibtischen der Abgeordneten und der in der den über die Staatsangehörigkeitsfragen wachenden Förderung beschnittenen Verbände türmen sich die Minister vorrangig an — leichtfertig und fahrlässig Leidensbriefe der Aussiedlungsbewerber und ihrer ununterbrochen verletzt. Angehörigen. (Beifall bei der CDU/CSU — Sauer [Salz (Zurufe von der CDU/CSU: So ist es!) gitter] [CDU/CSU] : So ist es!) Einem Petenten schrieb Ihr Haus — das können Sie Die Verfassungsminister, Sie und Ihr Vorgänger, trotz aller Vorbereitungen nicht widerlegen —: „In haben die Behandlung von über einer Million deut- den Ausreiseangelegenheiten Ihrer Angehörigen scher Staatsangehöriger als ausschließlich polnische kann ich Ihnen" — so der Verfassungsminister — Staatsangehörige durch die Verwaltungsmacht Polen „leider nicht behilflich sein." nicht angefochten. Sogar im Kontext des Vertrages, (Freiherr von Fircks [CDU/CSU] : Hört! in der mit der Bundesregierung abgesprochenen- Hört!) „Information", haben die Verfassungsminister — das Hier hätte eine ganze Gruppe Ihrer Beamten Auf- muß ich mit tiefem Bedauern sagen — hingenom- gaben zur Vorbereitung für Tausende von Verbal- men, daß die deutschen Staatsangehörigen nicht noten des Auswärtigen Amtes in Einzelfällen treffen einmal als deutsche Staatsangehörige bezeichnet sollen. werden. Herr Minister, die schrecklichen Folgen der Massenausbürgerung in der nationalsozialistischen Frühere Regierungen haben in Moskau in Tau- Gewaltherrschaft hätten doch unseren Verfassungs- senden von Fällen wirksam interveniert. ministern die Augen für die Folgen öffnen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU) 11074 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975

Dr. Czaja Sie aber überlassen die Arbeit karitativen Organi- Sie haben in 51/2 Jahren eine einzige große No- sationen, die keine Hoheitsrechte haben und die mit velle zum Lastenausgleich zustande gebracht, frühere Hilfskräften für diese Aufgaben sorgen müssen, für Regierungen zwei bis drei in einer Legislaturperiode. die Sie amtliche Kräfte einsetzen müßten. Die Vertriebenen wollen sicher nicht die Inflation (Beifall bei der CDU/CSU) anheizen. Sie halten jetzt still. Aber sie werden es nicht zulassen, daß in einer stabileren Zukunft der Ihr Haus verzögert dauernd die Antworten auf ganze Lastenausgleich — und das versuchen Sie — Anfragen über die Lage der Aussiedler bei uns um dort abgeblockt wird, wo frühere Regierungen auch viele Monate. Die letzte Anfrage ist überhaupt noch für die Vertriebenen an den Schluß eine beachtliche nicht beantwortet. Sie haben eben keine ausrei- Tat setzen wollten. chenden Unterlagen mehr über den zu betreuenden Eine Hauptentschädigung in Höhe von 8 % des Kreis. Schadens im Durchschnitt kann auf Dauer nicht blei- ben, um so weniger — und auch das ist eine echte Der Bundeskanzler will, wie er jetzt in dem Be- Aufgabe des Verfassungsministers hinsichtlich der richt zur Lage der Nation erklärte, die Heimat Schutzpflichten für die Grundrechte —, als man Kants, Lasalles und Hauptmanns in Ostpreußen und nichts gegen die völkerrechtswidrige Fortdauer der Schlesien in ihrer Zugehörigkeit zu Deutschland Konfiskation zivilen deutschen Vermögens tut — stetig genannt wissen. Aber der Kanzler selbst und nach der Normalisierung. der Verfassungsminister lassen es zu, daß auch die für den Amtsverkehr notwendigen verfassungskon- Die Darlehensaufnahme des Lastenausgleichsfonds formen Karten- und Bezeichnungsrichtlinien aufge- wird in einer Zeit höchster Zinssätze von der Regie- hoben worden sind. Weder der Bundeskanzler noch rung verdoppelt. Sie belasten den Fonds mit Zins- der Innenminister wehren sich dagegen, daß der in- lasten, statt vermehrte Leistungen für die Betroffe- nerdeutsche Minister gegenüber Ortsbezeichnungen nen zu schaffen. Ihr Haus plant keine volkswirt- selbst im amtlichen Verkehr völlig gleichgültig ist. schaftlich sinnvolle Abwicklung des Lastenausgleichs Der Wirrwarr in den Personenstandsurkunden be- in der letzten Phase, insbesondere für junge Erben. züglich der Geburtsorte in Deutschland müßte Ihnen Dagegen finanziert die Regierung eigentlich als zuständigem Minister längst aufge- Schulbuch- empfehlungen, fallen sein. Wenn Sie aber die Bezeichnungsricht- die deutsche Leistungen in den öst- linien aufheben, Herr Verfassungsminister, was er- lichen Teilen Deutschlands und Europas wahrheits- warten Sie dann in dieser Frage vom Ausland? Die widrig minimalisieren und die Massenvertreibung sowjetische Nachrichtenagentur TASS hat die Auf- nicht als Unrecht, sondern wertfrei als notwendige hebung der Bezeichnungsrichtlinien offiziell und Folge des verlorenen Krieges bezeichnen. dankbar begrüßt. Der Verfassungsminister der Bun- (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) desrepublik Deutschland aber rührt sich nicht. So hätte man auch die Taten der Janitscharen einmal (Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU] : Nachträg bezeichnen können. licher Dank für die Wahlkampfhilfe!) (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Schändlich!) In den Dienstzimmern mancher NATO-Stäbe hän- Sie bemühen sich in den Verhandlungen mit dem gen Karten mit den Grenzen des Deutschen Reiches Ostblock nicht um ein Gleichgewicht zwischen vielen vom 31. Dezember 1937, denen das Bundesverfas- Milliarden DM Finanzhilfen und Dutzenden Milliar- sungsgericht rechtliche Qualität bestätigt hat. Herr den DM Bürgschaften für Warenkredite einerseits Bundesminister, Sie können aber hier erklären, ob und den Leistungen für die vertriebenen Deutschen in Ihrem Dienstzimmer und im Dienstzimmer des sowie Forderungen hinsichtlich ihres völkerrechts- innerdeutschen Ministers eine Karte hängt, die — widrig konfiszierten Eigentums im Werte von 300 getreu dem Bundesverfassungsgerichtsurteil — das Milliarden DM andererseits. einheitliche Staatsgebiet des ganzen Deutschland, Im übrigen gelangten die Entschädigungen für die dem nach diesem Urteil die Bundesrepublik als nicht fremden Opfer, beispielsweise für die polnischen abtrennbarer Teil zugehört, zeigt, und ob das ein- Opfer deutscher Gewalt — wie hier auf unsere Frage heitliche Staatsgebiet visuell im öffentlichen Be- bestätigt wurde —, bisher nicht an die ausländischen wußtsein gehalten und nach außen beharrlich ver- Betroffenen im Ostblock. Aber wieder verhandelt treten wird. Diese Frage können Sie ja beantworten. man nicht über individuelle Teilleistungen an Be- (Beifall bei der CDU/CSU) troffene, insbesondere auch deutsche Rentner, wie frühere Regierungen bei der Kriegsopferteilversor- Sie haben der Abteilung für Vertriebene im Mini- gung, sondern über Pauschalsummen für die kom- sterium ihre Selbständigkeit genommen. Sie sorgen munistische Planwirtschaft. Und dies wird den ärm- unzureichend für die Fortsetzung der Eingliederung. sten deutschen Rentnern in den Oder-Neiße-Gebie- Die Angleichung der Unterhaltshilfe an die Lebens-- ten entzogen. Wo bleibt da Ihre Fürsprache als un- haltungskosten erfolgte mit großen Verzögerungen übertroffener Fürsprecher der Vertriebenen? gegenüber den Renten. Sie können auch nicht (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) Höchstzahlen eines kleinen Teils selbständiger Kriegsschadensrentner nennen und darüber hinweg- Sie wehren nicht den Versuchen, Gott sei Dank zutäuschen versuchen, daß reine Unterhaltshilfe- nicht der Spitze, aber einzelner. Da muß ich in den empfänger in den meisten Fällen weniger als die zehn Monaten allerdings einen Wandel feststellen: Sozialhilfe erhalten. Ihre Spitze und die Spitze unter Ihnen hat das etwas Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11075

Dr. Czaja abgestellt. Aber vorher haben einzelne verbands- tige Deutsche vom Ostblock entgegengenommen feindliche Beamte Ihres Hauses versucht, die Ver- wird, aber andererseits in doppelter Moral und unter triebenenverbände auch aus der Kulturarbeit zu krasser Verletzung der Gleichheit und Reziprozität verdrängen. Ich hoffe, daß das Abstellen dieser Ten- der Justizminister die Überreichung von Material an denz durch Sie jetzt auch wirklich anhält, wenn es das gleiche Ausland wegen Mordes an Deutschen auf Entscheidungen ankommt. Sie werden sehen: als „wenig sinnvoll" — so wörtlich — bezeichnet. ich werde diese Ihre Aufgaben, auch das, was ge- (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) leistet worden ist, objektiv beurteilen. Wir werden es aber nicht gestatten, daß die überregionale Pflege Herr Verfassungsminister, hier wäre eine gute Auf- des Kulturguts der Mitarbeit der einen großen Un- gabe, auch Fürsprache einzulegen für eine Gleich- terbau besitzenden Vertriebenenorganisationen völ- heitsbehandlung gleicher Tatbestände. Denn Mord lig entzogen und nur Einrichtungen zugeführt wird, an Deutschen ist ebenso ein Verbrechen wie Mord die keinen Unterbau haben. Deutscher an anderen. Seit Beginn der liberalsozialen Koalition haben Aber der Bericht zur Lage der Nation behandelt Sie eine historische Chance verpaßt. Sie haben die mit eisigem Schweigen das, was sogar noch Herr Chance verpaßt, die Erfahrung, die Sachkunde und Brandt in seinen Berichten zur Lage der Nation als die notwendige Mitverantwortung, vor allem aber großartige Leistungen für das Geistesleben der Ver- das Vertrauen der Ostdeutschen für einen echten triebenen versprochen hat. Wo bleibt Ihre Fürsprache Ausgleich mit den Nachbarn zu nutzen. Herr Gan- beim innerdeutschen Ministerium, wenn es in kras- sel, Sie können sich auch von Ihren Kollegen in ser Ungleichheit für hauptamtliche Mitarbeiter des Hessen belehren lassen, daß jetzt in einem Rund- Bundes der Vertriebenen die niedrigen Anstellungs- schreiben diese Kollegen aufgefordert werden, nach streicht und für ostdeutsche Wochen kein gruppen dem schweren Eklat der hessischen Wahlen die Ver- Geld hat, wohl aber für die uferlosen Gehälter beim triebenenversammlung wieder zu besuchen und sich Kuratorium Unteilbares Deutschland genügend Mit- dort offiziell begrüßen zu lassen. Machen Sie das tel zur Verfügung hat? auch in Schleswig-Holstein, dann wird es Ihnen in (Beifall bei der CDU/CSU — Sauer [Salz fünf Jahren vielleicht besser gehen. gitter] [CDU/CSU]: Das sind ja auch Genos sen!) In einem Wirtschaftunternehmen könnte man nicht ein Fünftel der Belegschaft, die Leben und Denken Die angeblich gesteigerten Projektmittel werden der Geschäftspartner kennen, aus den Beziehungen -- und wo bleibt da der Fürsprecher? — sogar für ausschalten. Im Staat, wo die Regierung aber eine Gedenktage der Vertreibung und der Rettung von besondere Treuepflicht gegenüber den Bürgern hat, Millionen Menschen, ich muß schon sagen, in schä- tut man das. Die Ergebnisse waren wie vorausge- biger Weise versagt. Andere Organisationen ver- sagt. Aber vor allem wurde das Vertrauen der Ver- weist man nicht auf die Zahl der Mitglieder, die doch triebenen in Ihre Parteien zerstört. Das ist ihre auf Orts-, Kreis- und Landesebene betreut werden eigene schwere, Sie auch wählermäßig belastende, müssen. aber auch große politische Schuld. — Gerade Sie, (Zuruf des Abg. Gansel [SPD]) Herr Gansel, merken gar nicht -- oder vielleicht Damit werden Sie uns nicht mundtot machen. Aber merken Sie es doch —, wie Sie die ständigen Ein- Sie verbittern — gerade Sie in Schleswig-Holstein, mischungen des Ostblocks in die Solidarität unserer und das möchte ich jetzt ganz deutlich sagen, Herr Nation und die Freiheit unserer staatlichen Rechts- Gansel — die Menschen, von denen Herr Brandt gemeinschaft dabei stärken. noch 1971 gesagt hat, daß sie unser besonderes Ver- Doch die Staatstreue und die Treue der Vertrie- ständnis verdienen und am meisten durch Krieg und benen zu Deutschland kann dies nicht erschüttern. Vertreibung betroffen sind. Sie beweisen, wie glaub- Die Vertriebenen bekennen sich dazu, daß die eine würdig oder unglaubwürdig diese Worte sein sollen. deutsche Staatsangehörigkeit auch unwandelbare (Beifall bei der CDU/CSU — Haase [Kassel] Pflichten für das ganze, fortbestehende rechtsfähige [CDU/CSU] : Das gilt für die ganze Gansel Deutschland und für die Grundrechte der Deutschen Partei!) auferlegt. Im Einklang mit dem vollen Wortlaut des geltenden Deutschlandvertrages und den Normen Die Dokumentation der Vertreibungsverbrechen — hier möchte ich einen kleinen Fortschritt feststel- des Völkerrechts stehen die deutschen Heimatver- len, Herr Bundesinnenminister — wollte man vor- triebenen zum Offenhalten der ganzen deutschen Frage bis zu einem Friedensvertrag. zeitig beenden, und einen Zwischenbericht hat man mit einem unzulässigen Gemeinstempel — ohne je- (Beifall bei der CDU/CSU) den Rechtsgrund, das werden sie zugeben — verse- Keine fremden und falschen Auslegungen eines ge- hen. Denn Verbrechen gegen die Menschlichkeit dür- - meinsamen Vertragswillens können uns an der fen doch nicht geheimgehalten werden. Ich glaube, Treue zur Verfassung und an der Treue zu den Nor- daß hier ein kleiner Wandel in Ihrem Hause zu ver- men des Völkerrechts hindern. zeichnen ist und daß man versuchen will, andere Wege einzuschlagen. Aber der „unübertroffene Für- Sie und Ihre Regierung behaupten ja, daß Sie sprecher" der Vertriebenen sieht leider jetzt noch rechtzeitig und offensichtlich nach Treu und Glau- nicht die Diskrepanz, daß einerseits — ich freue ben während der Verhandlungen gekennzeichnet mich, daß der Justizminister neben Ihnen sitzt — haben, was im Widerspruch zu fundamentalen Nor- deutscherseits Material gegen des Mordes verdäch- men des innerstaatlichen Rechts und der Vertrags- 11076 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Dr. Czaja abschlußkompetenzen steht. Bei heutigen auslän- Hofmann (SPD): Frau Präsidentin! Meine Da- dischen Entstellungen des deutschen Vertragswil- men und Herren! Ich habe die Ehre, auf das, was lens schweigt man sich aber leider aus. Ich möchte Herr Dr. Czaja hier ausgeführt hat, im Namen mei- hoffen, daß das der Verfassungsminister in Zukunft ner Fraktion und auch im Namen der Fraktion der nicht tut. FDP zu antworten. Unser Rechtsstandpunkt hat aber auch eine Für die Vertriebenen und Flüchtlinge sind die Grundlage in einer tiefen politischen Überzeugung: Haushalte 06 und 27 maßgebend. Herr Czaja hat dies im geschichtlichen und nationalen Zusammengehö- alles hier vermengt. Mir sei gestattet, darauf zu er- rigkeitsbewußtsein der Deutschen. Dieser Stand- widern. punkt ist offen nach einer politischen und föderal Meine Damen und Herren, es ist die alte Platte strukturierten Einigung Europas, die auch zur Be- gewesen; es kam nichts Neues. friedung in umstrittenen Gebieten führen kann. Es ist unsere Pflicht, dafür den langen Atem zu be- (Beifall bei der SPD und der FDP) halten. Herr Dr. Czaja, Sie greifen den Minister an, Sie greifen die Regierung an, sagen aber nicht, was Sie Meine Damen und Herren, das Versagen dieser anders gemacht haben wollten. Regierungen in der ganzen deutschen Frage wird vor der Geschichte seine Verurteilung erfahren. (Beifall bei der SPD und der FDP — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist nicht wahr! (Lachen bei der SPD) Da haben Sie nicht zugehört!) Der abschnittsweise Offenbarungseid der verfehlten Und die Niedrigkeit, mit der Sie das tun, bringt Deutschland- und Ostpolitik wird Ihnen nicht er- Ihnen auch kein Ansehen bei den Exilregierungen, spart bleiben. mit denen Sie verhandeln. (Beifall bei der CDU/CSU — Gansel [SPD] : (Beifall bei der SPD und der FDP) Das haben die Vertriebenen nicht verdient, daß Sie als ihr Sprecher auftreten!) Ich darf auf die einzelnen Vorwürfe eingehen. Man kann mit Propaganda dem, der versagt, für Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, ge- kurze Zeit den Mantel des Friedensheiligen umhän- statten Sie eine Zwischenfrage? ge, aber vor der Geschichte kann man ihn nicht zum Staatsmann machen. Hofmann (SPD) : Frau Präsidentin, keiner meiner (Beifall bei der CDU/CSU — Sauer [Salz Kollegen hat Herrn Dr. Czaja unterbrochen. Ich gitter] [CDU/CSU] : Bei dem reicht es nicht bitte, daß dieses Verfahren auch bei mir angewandt einmal zum Säulenheiligen!) wird. Bereiten Sie sich wenigstens einen erträglichen Ab- (Beifall bei der SPD — Gerster [Mainz] gang dadurch vor, daß Sie schon jetzt die Trümmer [CDU/CSU]: Sie haben es ja gar nicht ver der Konkursmasse vor weiterem Abbröckeln sichern sucht!) und wenigstens diese Trümmer ungeschmälert ihren Zuerst sucht man — so heißt es in den Ausfüh- Nachfolgern überlassen! Die Pflicht, die Konkurs- rungen des Herrn Dr. Czaja — diesen Menschen masse zu schützen, obliegt Ihnen ebenso wie ande- die angestammte Heimat abzuschreiben. Meine ren Parteien. Beginnen Sie endlich die stetige Ver- Damen und Herren, wo bleibt denn der Beweis für bitterung der Vertriebenen aufzuarbeiten, die un- diese unglaubliche Behauptung? Wie wollten Sie unterbrochenen Diskriminierungen, Ihre Abstinenz denn diese Unverfrorenheit überhaupt beweisen? in der Verteidigung ihres guten Rufes. Wie würden Sie es denn anders machen? Und heißt (Anhaltende Zurufe von der SPD) das, wenn Sie da sagen, wir hätten die Heimat Der Osten greift sie an, Herr Gansel, weil die Leiden dieser Leute abgeschrieben, daß Sie deren Heimat der Vertriebenen das einseitige Bild von ausschließ- wieder zurückhaben wollen? Dann müßten Sie sa- lich deutschem Unrecht erschüttern. Ihre Parteien gen, wie und wodurch. Dann haben Sie doch den werden diese Menschen für sich für einen neuen Mut, das auszuführen! Anfang brauchen. (Beifall bei der SPD und der FDP) (Gansel [SPD] : Wie viele Seiten haben Sie Mit diesen pauschalen Unterstellungen können Sie denn da noch?) weder das, was durch und nach dem zweiten Welt- Vor allem aber braucht unser Staat ihre zähe Mit- krieg geschehen ist, aus der Welt schaffen noch arbeit und ihre Sachkunde. den Menschen helfen. (Zurufe von der CDU/CSU) Die Fraktion der Christlich Demokratischen und Christlich Sozialen Union jedenfalls bekennt- sich Dann zu dem anderen Vorwurf. Ich kann gar zu dieser Solidarität mit den Opfern der Vertrei- nicht auf alles eingehen, meine Damen und Herren, bung. das wäre unmöglich; (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr. Hupka [CDU/CSU] : Sie haben auch gar nichts begriffen!) Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der denn all das, was hier schon x-mal gesagt wurde, Abgeordnete Hofmann. ist von uns x-mal beantwortet worden. Aber der Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11077

Hofmann Vorwurf an den Minister, er habe der Abteilung für Steigerung der Eigenleistung, z. B .Erhöhung von Vertriebene im Ministerium die Selbständigkeit ge- Mitgliedsbeiträgen oder Spenden, den Wirt- nommen, veranlaßt mich zu der Frage: Herr Dr. schaftsplan auszugleichen. Auf der Grundlage Czaja, wollen Sie denn nun endlich die Integration dieser Überlegungen ist dem Bund der Vertrie- der Vertriebenen oder nicht? Wollen Sie die Ver- benen somit bereits Mitte 1973 mitgeteilt wor- triebenen als ewig eigenständige Gruppe mit einem den, daß diese institutionelle Förderung mit dem immer kleiner werdenden Einfluß belassen? Oder 31. 12. 1974 auslaufe und auf projektgebundene wollen Sie die für sie noch anstehenden Aufgaben Förderung umgestellt wurde. nicht von allen in der Bundesrepublik wahrgenom- (Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU] : Wollen Sie men sehen? das ohne Personal durchziehen?) (Gerster [Mainz] [CDU/CSU] : Das ist doch dummes Zeug! Informieren Sie sich doch Es ist also keine Kürzung, sondern eine Umstellung mal!) auf die Projektförderung. Herr Dr. Czaja, Sie beklagen die Angleichung der (Beifall bei der SPD und der FDP) Unterhaltshilfe und übersehen, daß diese Unterhalts- Daraus ergibt sich im Gegensatz zu den Behauptun- hilfe von uns dynamisiert wurde. Die Anhebungen sprechen für sich. Sie sind nicht niedriger als die gen aus Kreisen der Vertriebenen, daß die Einstel- Anhebungen bei allen anderen Renten — auch das lung dieser Förderung auf haushaltsrechtlichen Er- wollen Sie nicht wahrhaben —, und rund 80 % der wägungen beruht. Betroffenen erhalten den Höchstsatz. Auch das muß (Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU] : Quatsch!) immer wiederholt werden. Das ist Ihnen mehrfach gesagt worden. Der mitgliederstarke Bund der Vertriebenen er vertritt nach eigenen Angaben rund 11 Millionen Sie beklagen, daß in dieser Zeit nur eine Novelle Vertriebene — sollte sehr wohl in der Lage sein, verabschiedet wurde. Ich hätte das an Ihrer Stelle, aus eigener Kraft seine Bundesgeschäftsstelle zu Herr Dr. Czaja, nicht getan; denn diese 28. Novelle finanzieren, um auf dieser Grundlage mit Hilfe der zum Lastenausgleich hat eine traurige Geschichte, projektgebundenen Zuwendungen kulturelle und was die Rolle Ihrer Partei angeht. Erst seit Sie in heimatpolitische Maßnahmen durchzuführen. der Opposition sind, war es möglich, diese 28. No- velle zu verwirklichen. Vorher war es nicht mög- Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen auch lich, Vertriebene mit Flüchtlingen gleichzusetzen. dies noch: Mich wundert es immer und immer wie- (Beifall bei der SPD und der FDP) der, wie sich Herren der Spitze des BdV hier her- stellen und nach dieser Förderung rufen, obwohl Sie waren jahrelang dagegen. Wir haben es ge- sie ganz genau wissen, daß dabei jährlich etwa schafft, und nun stellen Sie sich her und machen 70 000 DM in ihre eigene Tasche geflossen sind. uns Vorwürfe. (Hört! Hört! und Beifall bei der SPD und Sie wissen, Herr Dr. Czaja, daß für Sie und Ihre der FDP Dr. Wittmann [München] [CDU/ Partei bereits in der Regierung Kiesinger das ge- CSU] : Sie meinen den Genossen Wilhelm samte Lastenausgleichsgesetzwesen als abgeschlos- Wolfgang Schutz?! — Weitere Zurufe von sen gegolten hatte. der CDU/CSU) (Lebhafter Widerspruch bei der CDU/CSU) Wenn sie sich dann hier herstellen und beweinen, Demnach wäre es bei Ihnen überhaupt nicht zu der daß ihnen die Kröten entgangen sind, dann ist das 28. Novelle gekommen. Ich habe das in Zitaten für uns nicht mehr glaubwürdig. mehrfach nachgewiesen. (Zurufe von der CDU/CSU) (Zurufe von der CDU/CSU) Lesen Sie es nach; da steht es genau drin. Es sei mir hier ein Wort des Dankes an die Ein- heimischen erlaubt, meine Damen und Herren. Vielleich nehmen Sie zur Kenntnis, daß inzwi- schen Gott sei Dank 97 % der Lastenausgleichs- (Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU] : Von denen anträge für Vertriebene erledigt sind. kriegen Sie schon den Dank bei den Wah len!) (Dr. Czaja [CDU/CSU]: Nicht 8 %!) Das ist eine saubere Arbeit in dieser Zeit, für die Der Lastenausgleich war anfänglich auf etwa 60 Mil- wir nur danken können. liarden DM angesetzt. Die Leistungen werden am Ende etwa 130 Milliarden DM betragen. Die Grenzen Sie sprechen die institutionelle Förderung an und der Belastbarkeit lassen sich auch hier nicht beliebig übersehen, was Ihnen dazu bereits vor zwei- Jahren ausweiten. Völlig unverständlich wäre es für die mitgeteilt wurde. Ich darf Sie, Frau Präsidentin Einheimischen, wenn sie nun auch noch die Organi- bitten, zitieren zu dürfen: sationskosten der Vertriebenenverbände subventio- nieren sollten, wozu die Vertriebenen selbst nicht Die Umstellung von institutioneller Förderung bereit sind. auf die Finanzierung von Projekten ist nament- lich bei solchen Zuwendungsempfängern vorge- (Beifall bei der SPD — Dr. Hupka [CDU/ nommen oder in die Wege geleitet worden, bei CSU] : Die Steuergelder sind nach dem denen die Möglichkeit gegeben ist, durch eine Osten geflossen!) 11078 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Hofmann Wenn die Vertriebenen selbst nicht bereit sind, ihre Aber, meine Damen und Herren, vor der Wahl ist Organisationen durch entsprechende Mitgliedsbei- das alles ein bißchen anders, zugegeben. träge funktionsfähig zu erhalten, dann sollte man (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU) nicht Steuergelder von denen verlangen, die als Ver- triebene diesen Verbänden nicht beitreten. Da gibt es lautstarke Sympathiekundgebungen, z. B. am Sudetendeutschentag in Nürnberg: Ankündigung (Zurufe von der CDU/CSU) eines neuen Großprojektes, Errichtung eines Sude- Auch den Einheimischen sollte man das nicht zumu- tendeutschenzentrums in München — ten, die gewiß keine Kleinigkeiten für die Vertrie- (Stücklen [CDU/CSU] : Das kommt! — Dr. benen und Flüchtlinge aufgebracht und noch auf- Hupka [CDU/CSU] : Sind Sie dagegen?) zubringen haben. — Langsam, Sie selber haben sich beschwert. Ich (Sauer [Salzgitter] [CDU/CSU] : Die Vertrei kann Sie noch zitieren. ber kriegen Gelder! — Zuruf des Abg. (Zuruf des Abg. Dr. Wittmann [München] Dr. Czaja [CDU/CSU]) [CDU/CSU])

Herr Dr. Czaja, Sie haben den Gedenktag der Und ist die Wahl vorbei, Herr Dr. Wittmann, dann Vertreibung angesprochen, das, was Sie für die kommt Ihre Beschwerde, nämlich diese: Von den 132 nächsten Tage in Schleswig-Holstein vorhaben, einen CSU-Landtagsabgeordneten sind nur 7 Heimatver- Dank für die Rettung an die Matrosen. triebene. Das sind rund 5 °/o dieser Fraktion. Das Drei- bis Vierfache müßte es sein, wenn Sie in etwa (Dr. Czaja [CDU/CSU]: Das war schon! Sie dem Anteil der Vertriebenen in ihrer gesellschaft- haben keine Ahnung! — Sauer [Salzgitter] lichen Aufsplitterung Rechnung getragen hätten. [CDU/CSU] : Der liest noch seinen Tauf Dann kommt Ihr Vorwurf, Herr Dr. Wittmann, an schein vor! Der letzte Renoméeflüchtling die Regierung in Bayern, daß kein Angehöriger des der SPD! Weitere Zurufe von der CDU/ vierten Stammes in die Regierung berufen wurde. CSU) Den Vorwurf haben Sie der Regierung gemacht. — Genau auf diesen Zwischenruf habe ich gewartet. (Beifall bei der SPD — Zurufe von der Damit haben Sie doch bewiesen, daß Sie ihn selbst CDU/CSU) finanzieren konnten. Wieso wollten Sie dann noch Geld dazu von der Bundesregierung haben? Dann kommt das nächste, Herr Dr. Wittmann — das haben Sie auch mit veröffentlicht —: Die CSU- (Beifall bei der SPD) Regierung hat aus den Mitteln für das geplante Sudetenzentrum 3 Millionen DM gestrichen. Nach Sie haben sich bei dieser Veranstaltung, meine der Wahl schaut das alles immer wieder ein bißchen Herren des BdV, nicht einmal die Mühe gegeben, anders aus. eine gewisse Überparteilichkeit zu wahren. Drei CDU-Redner bei einer Parteiveranstaltung, das kön- (Gerster [Mainz] [CDU/CSU] : Werden Sie nen wir Ihnen nicht als Projekt abnehmen. Das ist doch mal ruhiger! — Franke [Osnabrück] die Wahl in Schleswig-Holstein, meine Damen und [CDU/CSU] : Ganz ruhig durchatmen!) Herren! Das ist nicht, wie Sie sagten, „in schäbiger Weise versagt" worden. Nun zu dem, was Herr Dr. Czaja hier gesagt hat: Vorwürfe, Diffamierungen, Anprangerungen! Aber (Allgemeine Unruhe) sagen Sie einmal, Herr Dr. Czaja, warum haben Sie. wenn Sie das anders haben möchten, heute keinen Mit dieser Veranstaltung, meine Damen und Her- Antrag zu dem Haushaltsplan 06 eingebracht? ren, wollten Sie doch nur vergessen machen, daß aus dem Land Schleswig-Holstein ein Antrag vor- (Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf liegt, der den Lastenausgleichsfonds um 700 Millio- von der SPD: Sehr richtig!) soll. Das wollten Sie doch in nen DM schmälern Wo ist denn der Antrag für das, was Sie hier for- diesem Wahlkampf untergehen lassen. dern und anklagend bringen? Hier klaffen doch (Beifall bei der SPD und der FDP — Wider Wort und Wirklichkeit weit auseinander, oder an- spruch bei der CDU/CSU) ders ausgedrückt: Der Präsident des BdV darf für die CDU/CSU reden, reden und reden, aber in der Das müssen Sie Ihren Vertriebenen in Schleswig- Fraktion handeln darf er nicht. Holstein erzählen, daß der Ministerpräsident Stol- (Beifall bei der SPD und der FDP — Wider tenberg im Bundesrat diesen Antrag eingebracht hat, spruch bei der CDU/CSU) — der leider hier heute noch nicht behandelt wurde, damit die Leute draußen das erfahren. Er ist Erfüllungsgehilfe der These von Strauß: Nur - Anklagen und Warnen, Emotionen wecken bei den (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP) Wählern, in dem Fall bei den Vertriebenen! Das ist die Verbitterung der Vertriebenen, die Sie (Widerspruch bei der CDU/CSU) hier übertünchen und überdecken wollen! Wenn die Stimmen dann in der Scheune sind, mer- (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Nehmen Sie ken die Vertriebenen, daß das alles Wahlköder mal Librium! Denken Sie an Ihren Kreis- waren — und nicht mehr als das --, ausgehängt vom lauf! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU) eigenen Präsidenten der Vertriebenen. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11079 Hofmann Herr Dr. Czaja, ich bedaure als Heimatvertriebe- ob es in diesem Hause Berichte über die Aktions- ner die Rede, die Sie gehalten haben, außerordent- gemeinschaft gegen die „Isolationsfolter" und deren lich. Zusammenarbeit mit SPD-Parteimitgliedern gibt. (Lebhafter Beifall bei der SPD und der FDP Hierzu haben Sie diesem Hohen Hause bis heute — Gerster [Mainz] [CDU/CSU] : Ich bedaure keine ausreichende Auskunft gegeben. Ihre Rede auch! — Dr. Wagner [Trier] (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Kohl und [CDU/CSU] : Der neue Bundeskanzler! -- Filbinger! — Weitere Zurufe von der SPD) Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Der ganz große neue Star war das! — Weitere Zurufe von Meine Damen und Herren, der von der Bundes- der CDU/CSU) regierung vorgelegte Haushalt für den Bereich der zivilen Verteidigung, für den Sie, Herr Bundes- minister Maihofer, die Verantwortung tragen, weist Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort zum seit längerem eine negative Entwicklung auf. No- Einzelplan 36 hat Herr Abgeordneter Möller (Lü- minal wird der Einzelplan 36 von 1974 mit 580 Mil- beck). lionen DM um mehr als 20 Millionen DM 1975 ge- (Zurufe von der SPD) senkt, (Dr. Ehrenberg [SPD] : Haben Sie einen An Möller (Lübeck) (CDU/CSU) : Frau Präsidentin! trag auf Erhöhung gestellt?) Meine Damen und Herren! Bevor ich zum Einzel- wobei der reale Leistungsabbau noch nicht einmal plan 36 komme, darf ich vielleicht ganz kurz auf berücksichtigt worden ist. Wenn man dabei bedenkt, einige Äußerungen des Herrn Ministers Maiho- daß der Bereich der zivilen Verteidigung die ge- f e r eingehen, die er zu den Ausführungen meines samte zivile Vorsorge des Staates für den Kata- Kollegen Riedl hier vor dem Plenum gemacht hat. strophenschutz sowie für den Selbsthilfebereich der Herr Professor Maihofer, Sie haben wieder einmal Bürger gegen Gefahren im Verteidigungsfall um- die Solidarität der Demokraten beschworen. Wir faßt, so ist das Ergebnis dieses Einzelplans in un- stimmen Ihnen alle zu, wenn Sie damit das gemein- seren Augen völlig unzureichend. same Bemühen aller demokratischen Parteien mei- nen, zu jeweils der besten Lösung, beispielsweise (V o r s i t z : Präsident Frau Renger) im Bereich der inneren Sicherheit, zu kommen. Wir stimmen Ihnen garantiert nicht zu, wenn Sie damit Im übrigen, Herr Bundesminister, steht dieses Er- gleichzeitig einen Maulkorb meinen, der uns vor- gebnis auch in totalem Gegensatz zu dem Weißbuch gebunden werden soll, wenn wir meinen, daß seitens der zivilen Verteidigung, vorgelegt im Mai 1972, der Regierung Fehler gemacht werden, und wir un- sowie zu der Antwort der Bundesregierung auf seren Finger auf diese Wunden legen wollen. unsere Kleine Anfrage vom März 1974. (Gerster [Mainz] [CDU/CSU] : Sehr wahr! — Die Beschlüsse des Deutschen Bundestages, Herr Wehner [SPD] : Was hat denn Maulkorb mit Minister, auf längere Sicht die Mittel für den Bereich Finger zu tun?) der zivilen Verteidigung auf das Verhältnis von 1 : 20 zu bringen, werden in der Etatvorlage auch Im übrigen glaube ich auch, Herr Minister Mai- nicht im entferntesten beachtet. Die jetzige Mittel- hofer, daß Sie auf viele der Vorwürfe meines Kol- relation beläuft sich auf 1 : 53. legen Riedl nicht konkret eingegangen sind. Wir haben in Ihren Ausführungen beispielsweise An- Der Stellenwert der zivilen Verteidigung für un- gaben darüber vermißt, warum Sie bis heute nicht sere Gesellschaft, Herr Bundesminister, gewinnt um in eine Verbotsprüfung der radikalen Parteien ein- so mehr an Bedeutung, wenn man sich einmal vor getreten sind. Wir haben ferner vermißt, welche Augen führt, welch hohes staatsbürgerliches Engage- konkreten Maßnahmen Sie nun tatsächlich durch- ment sich gerade bei den vielen freiwilligen Orga- führen wollen, um den weiteren Marsch der Radika- nisationen, wie Technisches Hilfswerk, Bundesver- len durch die Institutionen — gerade am Beispiel band für Selbstschutz, Warn- und Alarmdienst, Deut- der Bundeszentrale für Politische Bildung aufge- sches Rotes Kreuz, Malteser-Hilfsdienst und alle zeigt — aufzuhalten. Wir haben schließlich eine anderen Dienste, findet. Diese vielen tausend frei- Stellungnahme dazu vermißt, wie Sie den desolaten willigen Helfer, Herr Bundesminister, werden von Führungszustand im Bundesamt für Verfassungs- Jahr zu Jahr durch das Vorgehen dieser Bundes- schutz beenden wollen. Sehr wahrscheinlich haben regierung immer stärker enttäuscht. Sie keine Vorstellung, weil Sie es nicht wagen, (Zustimmung bei der CDU/CSU) Herrn Kollegen Wehner hier ins Gehege zu kommen. Die einzige Ausnahme ist der von der Bundesregie- (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Im rung und auch von der CDU/CSU-Fraktion unter- mer dieser Wehner!) stützte Ausbau des Hubschrauber-Rettungsdienstes. - Vor allen Dingen, Herr Professor Maihofer, ver- Wir hoffen, daß wenigstens dieses Programm sei- missen wir seit einigen Tagen eine ganz klare Aus- tens der Bundesregierung auch weiterhin unterstützt sage von Ihnen zu der Frage unseres Kollegen wird. Strauß, Herr Bundesminister, die Konzeptionslosigkeit (Lachen bei der SPD — Dr. Schäfer [Tübin der Bundesregierung auf dem Gebiet der zivilen gen] [SPD] : Aus Sonthofen! — Dr. Ehren Verteidigung und insbesondere des Katastrophen- berg [SPD] : Er hat doch heute Antworten schutzes wird um so deutlicher, als die Bundesregie- genug bekommen!) rung einerseits in der Phase der Umstrukturierung 11080 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 Möller (Lübeck) des BGS die dort vorhandenen Katastrophenschutz- Präsident Frau Renger: Wird noch weiter das einrichtungen — sprich: Großgeräte der Technischen Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann Abteilung — auflöst, andererseits aber diese ver- schließe ich die Aussprache. lorenen Kapazitäten nicht in dem Bereich der zivilen Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- Verteidigung, also in Einzelplan 36, wieder unter- plan 06. Wer dem Einzelplan 06 in der Ausschußfas- bringt. sung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? Herr Abgeordneter, Präsident Frau Renger: (Zurufe von der CDU/CSU: Abgelehnt!) gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Simon? — Mit klarer Mehrheit angenommen. Es besteht kein Zweifel an der Mehrheit. Möller (Lübeck) (CDU/CSU) : Natürlich! Meine Damen und Herren, wir stimmen nunmehr über den Einzelplan 36 in der Ausschußfassung ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Bitte, Herr Kollege Präsident Frau Renger: Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Simon! Der Einzelplan 36 ist mit Mehrheit angenommen. Meine Damen und Herren, ich habe gehört, Sie (SPD) : Herr Kollege Möller, würden Sie Simon wünschen die Beratungen heute abend nicht fortzu- dem Haus bitte sagen, wann Sie als Berichterstatter setzen. über den Einzelplan 36 in den letzten Jahren irgend- einen Antrag auf Erhöhung dieses Einzelplans oder (Zuruf von der CDU/CSU: Noch den Einzel eines Titels gestellt haben. plan 07!) (Zuruf von der CDU/CSU: Was hat denn — Soll der Einzelplan 07 noch aufgerufen werden? das damit zu tun?) Ist das die Meinung des Hauses? (Zustimmung — Röhner [CDU/CSU] : Ohne Debatte!) (Lübeck) (CDU/CSU) : Werter Kollege, Möller — Ohne Debatte. dieses Spiel ist doch in den Haushaltsdebatten stän- dig dasselbe. Sie tragen hier die Regierungsverant- Ich rufe dann auf: wortung. Sie haben Vorschläge zu machen. Einzelplan 07 (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der Geschäftsbereich des Bundesministers der SPD) Justiz Herr Bundesminister, scharf kritisiert werden muß — Drucksache 7/3147 — ferner, daß im vorliegenden Haushaltsentwurf die Berichterstatter: Abgeordneter Simon Lebensmittelbevorratung für den Verteidigungsfall Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — nahezu völlig abgebaut ist. Der Verweis auf die EG- Als Berichterstatter hat der Herr Abgeordnete Simon Marktreserven, den Sie gegeben haben, entspricht das Wort. nicht den sachlichen Erfordernissen der Bevorratung für den theoretischen Verteidigungsfall. Wir müssen feststellen, daß die Bundesregierung ihren Pflichten Simon (SPD) : Frau Präsidentin! Meine sehr ver- hier nicht nachgekommen ist. ehrten Damen und Herren! Sie werden bald mer- ken, daß ich mich hier sehr kurzfasse. Ich glaube (Picard [CDU/CSU] : So ist es!) aber, es ist doch notwendig, daß von mir als Bericht- Herr Bundesminister, diese Haltung und innere erstatter noch einige Bemerkungen zu dem uns Einstellung der Bundesregierung muß — ich habe schriftlich vorliegenden Ausschußantrag gemacht es vorhin schon einmal erwähnt vielen Tausenden werden. von freiwilligen Helfern in der Bundesrepublik als Brüskierung erscheinen, die oftmals — neben der Das Gesamtvolumen des Justizhaushaltes beträgt Aufopferung ihrer Freizeit — mit eigenen Mitteln 263,1 Millionen DM. die Tätigkeit dieser Hilfsorganisationen überhaupt (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Das wissen erst ermöglichen. Diesen vielen Helfern und auch wir ja!) den zuständigen Beamten gebührt unser Dank und Respekt dafür, daß sie sich ihrer Aufgabe, um die sie Das bedeutet eine Steigerung von 12,8 % gegen- über den Gesamtausgaben von 1974. wirklich nicht zu beneiden sind, trotz des Mangels an Rückhalt seitens der Regierung im Bereich der In den Beratungen des Ausschusses sind Abstriche zivilen Verteidigung aufopfernd unterziehen. in Höhe von 4,2 Millionen DM beschlossen worden. - (Beifall bei der CDU/CSU) Damit ist auch nach meiner Auffassung ein Niveau erreicht, bei dem wohl kaum noch nennenswerte Der deutschen Offentlichkeit gegenüber können Dispositionsmöglichkeiten bleiben; denn der Justiz- wir als CDU/CSU eine Zustimmung zu diesem Torso haushalt — das wissen Sie alle — ist seiner ge- von Etat — vielleicht zu diesem letzten Reformwerk samten Struktur nach fast ein reiner Personalhaus- — auf jeden Fall nicht geben. Wir werden diesen halt. Mehr als 90 0/0 aller Ausgaben entfallen auf Einzelplan ablehnen. Personalausgaben für rund 5 000 Bedienstete dieses (Beifall bei der CDU/CSU) Einzelplans. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11081

Simon Bei der Stellenvermehrung für diesen Haushalt ist reneinnahmen zu erwarten sind — es sind in die das Ressort selber schon sparsam gewesen. Der sem Haushalt 2,1 Millionen DM für Gebührenein- Ausschuß hat nur ganz wenige neue Stellen vorge- nahmen eingeplant —, waren Folgebewilligungen sehen, insbesondere auch im Bereich des Staats- bei Personal und Sachmitteln unausweichlich, die Sie schutzes, beim Generalbundesanwalt und dann noch ebenfalls im Voranschlag finden werden. besonders für das Projekt Juristisches Informations- Der größte Einzelbericht im Justizhaushalt ist der system. Etat des Deutschen Patentamtes. Hier beobachten Zu den Schwerpunkten des Bundesjustizhaushal- wir, daß die Ausgaben für dieses Amt seit einigen tes möchte ich folgendes anmerken: Jahren die Einnahmen übertreffen. Der Haushalts- Im Haushalt des Ministeriums sind seit einigen auschuß hat in einem eigenen Beschluß das Justiz- Jahren Mittel veranschlagt, die speziell der Förde- ministerium aufgefordert, baldigst den Entwurf einer rung der aktuellen Reformaufgaben und Gesetz- neuen Gebührenordnung vorzulegen. Wir hoffen, gebungsvorhaben des Hauses dienen. Wie 1974 sind daß er noch vor Beginn der Sommerferien im Parla- auch für 1975 für diesen Zweck 1,6 Millionen DM ment eingebracht wird und bis zum Jahresende be- eingeplant. Diese Mittel sind vor allem vorgesehen handelt werden kann. für: Verbesserung des Verbraucherschutzes, vor Erlauben Sie mir zum Schluß noch eine Bemerkung allem des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedin- zum Europäischen Patentamt. Die Arbeiten zur Er- gungen — eine, auch für uns Sozialdemokraten sehr, richtung dieses großen europäischen Amtes in Mün- sehr wichtige Aufgabe —; Maßnahmen zur Verbes- chen, das in der Endstufe im Ausbau etwa 1 500 Be- serung des Wirtschaftsstrafrechts mit dem Ziel der dienstete haben wird, sind inzwischen voll angelau- wirksameren Bekämpfung der Wirtschaftskriminali- fen. Ein Interimsausschuß und von ihm für die ver- tät; Fortführung der Arbeiten zur Strafrechtsreform schiedener Sachbereiche gebildete Arbeitsgruppen und Intensivierung der Anstrengungen zur Verbes- treten in die konkreten Vorbereitungen ein; für de- serung des Strafvollzugsrechts; Arbeiten zur Harmo- ren Koordinierung ist eine eigens in München ange- nisierung und Fortentwicklung des Gesellschafts- siedelte Planungsgruppe eingerichtet worden. Mittel rechts und zur gesetzlichen Regelung des Urheber- für den Büropersonal- und Sachbedarf finden Sie in vertragsrechts. einer besonderen Titelgruppe veranschlagt. Sie wer- Die Arbeiten zur Errichtung eines automatisierten den von der Bundesregierung vorgestreckt und nach juristischen Informationssystems — Sie kennen es den entsprechenden Übereinkommen demnächst an- unter dem Namen JURIS — werden mit dem Aufbau teilig erstattet. Das Ziel ist, das Amt möglichst im eines Entwicklungssystems fortgesetzt. Einbezogen Jahre 1977 eröffnen zu können. in dieses Datenverarbeitungsvorhaben sind neuer- Insgesamt zeigt Ihnen ein Blick auf den Bundes- dings vor allem die Bereiche Steuerrecht und auch haushalt wie in jedem Jahr, daß sich die Ausstattung Sozialrecht. Erwogen ist noch, das System demnächst mit Personal- und Sachmitteln auch 1975 im gewohn- auch auf Teile des Zivilrechts zu erstrecken. Die Ent- ten Rahmen, in den gewohnten bescheidenen Gren- wicklung vollzieht sich in engster Zusammenarbeit zen hält und der Gesamtsituation des Haushalts mit dem Bundesfinanzhof, dem Bundessozialgericht, Rechnung trägt. den betroffenen Fachressorts BMF, BMA — und auch den Justizverwaltungen der Länder. Sie erfor- (Dr. Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU]: Ist das dert ein Mindestmaß an Personal- und Sachmittel- wirklich so?) bewilligungen, die in den Voranschlag aufgenommen Deshalb schlage ich vor, den Einzelplan 07 zu geneh- worden sind. migen. Vielleicht interessiert Sie noch, daß sich die Bun- (Beifall bei der SPD und der FDP) desregierung in einem Verwaltungsabkommen mit dem Land Baden-Württemberg bereit erklärt hat, Ich danke dem Herrn einen Teil der erheblichen besonderen Kosten zu Präsident Frau Renger: Berichterstatter. Das Wort in der Aussprache wird erstatten, die dem Land in Zusammenhang mit dem nicht gewünscht. Dann kommen wir zur Abstimmung. Strafverfahren gegen Baader-Meinhof in Stuttgart entstehen. Der Anteil des Bundes — er hat sich frei- Wer dem Einzelplan 07 in der Ausschußfassung willig dazu bereit erklärt — beträgt 9 Millionen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzei- DM; 1975 finden Sie im Haushaltsplan dafür 4 Mil- chen. — lionen DM eingeplant. (Zurufe von der SPD zur CDU/CSU: Nicht Beim Generalbundesanwalt — Kap. 07 04 — wird einmal bei der Justiz!) der Aufbau des Bundeszentralregisters mit elektro- Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Mit nischer Datenverarbeitung in Berlin fortgesetzt. Die- großer Mehrheit angenommen. ses Bundeszentralregister wird durch ein Gewerbe-- Damit stehen wir am Ende der heutigen Tages- zentralregister ergänzt, das kraft gesetzlicher Be- ordnung. Ich berufe den Deutschen Bundestag für stimmung vom 1. Januar 1976 an Auskunft geben Donnerstag, den 20. März 1975, 9 Uhr ein. soll. Die Bauarbeiten für das Gebäude, daß die EDV-Anlagen nebst Peripherie aufnehmen soll, sind Die Sitzung ist geschlossen. im Gange. Auch für die Entwicklung dieses Projekts, von dem übrigens schon ab 1975 steigende Gebüh- (Schluß der Sitzung: 22.32 Uhr)

Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode - 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11083*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Anlage 2

Liste der entschuldigten Abgeordneten Alphabetisches Namensverzeichnis Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl des Wehrbeauftragten teilgenommen Dr. Ahrens ** 21. 3. haben Alber ** 21.3. Dr. Abelein von Alten-Nordheim 21. 3. Dr. Achenbach Dr. Barzel 21.3. Adams Behrendt * 21. 3. Ahlers Blumenfeld 21. 3. Dr. Ahrens Dr. Aigner Dr. Bayerl 19. 3. Alber Dr. Burgbacher 22. 3. Dr. Althammer Dreyer 21.3. Amling Erhard (Bad Schwalbach) 21. 3. Anbuhl Dr. Eyrich 20. 3. Dr. Apel Arendt (Wattenscheid) Fellermaier * 23. 3. Dr. Arndt (Hamburg) Gewandt 19. 3. Dr. Artzinger Dr. Gölter *** 22. 3. Augstein Haase (Fürth) *** 23. 3. Kater 31.5. Baack Bäuerle Dr. h. c. Kiesinger 21. 3. Bahr Dr. Klepsch 20. 3. Baier Dr. Lauritzen 2. 4. Dr. Bangemann Lemmrich ** 21.3. Barche Lenzer *** 22. 3. Dr. Bardens Batz Dr. Müller (München) *'* 22. 3. Dr. Becher (Pullach) Frau Dr. Orth * 19. 3. Dr. Becker (Mönchengladbach) Pieroth 21.3. Becker (Nienberge) Richter *** 22. 3. Dr. Beermann Frau Dr. Riedel-Martiny 21. 3. Behrendt Frau Benedix Roser 21.3. Benz Prinz zu Sayn-Wittgenstein 21. 3. Frau Berger (Berlin) Schirmer 21. 3. Berger Schmidt (Kempten) *** 23. 3. Bewerunge Schmidt (München) * 21. 3. Biechele Biehle Schmidt (Wattenscheid) 21. 3. Biermann Dr. Schwencke *** 22. 3. Dr. von Bismarck Seibert 21. 3. Blank Spranger 20. 3. Dr. Blüm Frau Stommel 6. 4. von Bockelberg Dr. Böger Todenhöfer 22. 3. Böhm (Melsungen) Dr. h. c. Wagner (Günzburg) 22. 3. Dr. Böhme (Freiburg) Dr. Waigel 21.3. Börner Walkhoff * 21. 3. Frau von Bothmer Frau Dr. Walz * 20. 3. Brandt Brandt (Grolsheim) Dr. Wendig 21. 3. Braun Frau Dr. Wex 19. 3. Bredl Baron von Wrangel 19. 3. Breidbach Bremm * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments Brück ** Für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentari- Buchstaller schen Versammlung des Europarates Büchler (Hof) *** Für die Teilnahme an Sitzungen der Versammlung Büchner (Speyer) der Westeuropäischen Union Bühling 11084* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975

Dr. von Billow Gerlach (Obernau) Burger Gerster (Mainz) Buschfort Gerstl (Passau) Dr. Bußmann Gertzen Dr. Geßner Carstens (Emstek) Gierenstein Dr. Carstens (Fehmarn) Glombig Christ Dr. Glotz Collet Gnädinger Conradi Dr. Götz Coppik Graaff Dr. Corterier Dr. Gradl Dr. Czaja Grobecker Grüner Frau Däubler-Gmelin Frau Grützmann Damm Dr. Gruhl van Delden Grunenberg Dr. von Dohnanyi Dr. Dollinger Dr. Haack Dr. Dregger Haar Dr. Dübber Haase (Fürth) Dürr Haase (Kassel) Haase (Kellinghusen) Eckerland Dr. Häfele Egert Haehser Dr. Ehmke Dr. Haenschke Dr. Ehrenberg Härzschel Eigen Halfmeier Frau Eilers (Bielefeld) Dr. Hammans Eilers (Wilhelmshaven) Handlos Dr. Emmerlich Hansen Dr. Enders von Hassel Engelhard Hauck Engelsberger Dr. Hauff Engholm Hauser (Bonn-Bad Godesberg) Dr. Eppler Dr. Hauser (Sasbach) Ernesti Henke Ertl Herold Esters Heyen Dr. Evers Dr. Hirsch Ewen Höcherl Ey Hölscher Hösl Dr. Farthmann Hoffie Fellermaier Hofmann Fiebig Dr. Holtz Freiherr von Fircks Hoppe Dr. Fischer Horn Flämig Dr. Hornhues Frau Dr. Focke Horstmeier Franke (Hannover) Frau Huber Franke (Osnabrück) Frau Hürland Dr. Franz Huonker Frehsee Dr. Hupka Friedrich Hussing Dr. Früh Dr. Fuchs Immer Frau Funcke Dr. Jaeger Gallus Jäger (Wangen) Gansel Dr. Jahn (Braunschweig) Geiger Jahn (Marburg) Geisenhofer Dr. Jahn (Münster) Geldner Jaschke Genscher Jaunich Gerlach (Emsland) Dr. Jenninger Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11085*

Dr. Jens Maucher Dr. Jobst Frau Meermann Josten Dr. Meinecke (Hamburg) Jung Meinike (Oberhausen) Junghans Memmel Junker Dr. Mende Dr. Mertes (Gerolstein) Kaffka Mertes (Stuttgart) Katzer Metzger Dr. Kempfler Mick Kern Dr. Mikat Kiechle Dr. Miltner Kiep Milz Kirst Mischnick Dr. Klein (Göttingen) Möhring Dr. Klein (Stolberg) Möllemann Dr. Kliesing Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Koblitz Möller (Lübeck) Dr. Köhler (Wolfsburg) Moersch Köster Müller (Bayreuth) Konrad Müller (Berlin) Krall Müller (Mülheim) Krampe Müller (Nordenham) Dr. Kraske Müller (Remscheid) Kratz Müller (Schweinfurt) Dr. Kreile Dr. Müller-Emmert Dr. Kreutzmann Mursch (Soltau-Harburg) Krockert Kroll-Schlüter Nagel Freiherr von Kühlmann-Stumm Dr. Narjes Kulawig Neumann Kunz (Berlin) Frau Dr. Neumeister Dr. Kunz (Weiden) Niegel Nordlohne Dr.-Ing. Laermann Lagershausen Dr.-Ing. Oetting Lambinus Offergeld Dr. Graf Lambsdorff Dr.Ing. Oldenstädt Lampersbach Ollesch Lange Opitz Lattmann Orgaß Dr. Lauritzen Frau Dr. Orth Lautenschlager Freiherr Ostman von der Leye Leber Leicht Pawelczyk Lemp Peiter Lenders Dr. Penner Frau Dr. Lepsius Pensky Link Peter Löbbert Pfeffermann Löffler Pfeifer Löher Picard Logemann Frau Pieser Dr. Lohmar Pohlmann Dr. Luda Polkehn Lücker Porzner Frau Lüdemann Dr. Prassler Lutz Dr. Probst

Mahne Rainer Dr. Dr. h. c. Maihofer Rapp (Göppingen) Marquardt Rappe (Hildesheim) Marschall Ravens Dr. Marx Rawe Matthöfer Reddemann Mattick Frau Dr. Rehlen 11086* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975

Reiser Seibert Frau Renger Seiters Reuschenbach Sick Richter Sieglerschmidt Frau Dr. Riede (Oeffingen) Simon Dr. Riedl (München) Simpfendörfer Dr. Ritgen Solke Dr. Ritz Dr. Sperling Röhner Spilker Rohde Spillecke Rollmann Spitzmüller Rommerskirchen Springorum Ronneburger Dr. Sprung Rosenthal Stahl (Kempen) Russe Stahlberg Dr. Stark (Nürtingen) Sander Graf Stauffenberg Sauer (Salzgitter) Dr. Stavenhagen Sauter (Epfendorf) Frau Steinhauer Saxowski Dr. Stienen Dr. Schachtschabel Straßmeir Schäfer (Appenweier) Strauß Dr. Schäfer (Tübingen) Stücklen Dr. Schäuble Suck Scheffler Sund Dr. Schellenberg Susset Scheu Frau Schimschok de Terra Schinzel Thürk Schirmer Tietjen Schlaga Tillmann Frau Schlei Frau Dr. Timm Frau Schleicher Tönjes Schluckebier Frau Tübler Schmidhuber Dr. Schmidt (Gellersen) Urbaniak Schmidt (Hamburg) Schmidt (Niederselters) Vahlberg Schmidt (Wattenscheid) Vehar Schmidt (Würgendorf) Frau Verhülsdonk Schmidt (Wuppertal) Vit Schmitt (Lockweiler) Vogel (Ennepetal) Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. Vogel (München) Schmitz (Baesweiler) Vogelsang Schmöle Vogt Dr. Schmude Dr. Vohrer Dr. Schneider Volmer Dr. Schöfberger von Schoeler Dr. Waffenschmidt Schonhofen Dr. Wagner (Trier) Schreiber Walkhoff Frau Schroeder (Detmold) Waltemathe Dr. Schröder (Düsseldorf) Walther Schröder (Luneburg) Frau Dr. Walz Schröder (Wilhelminenhof) Dr. Warnke Frau Schuchardt Wawrzik Schulte (Schwäbisch Gmünd) Weber (Heidelberg) Schulte (Unna) Dr. Weber (Köln) Dr. Schulze-Vorberg Wehner Schwabe Dr. Freiherr von Weizsäcker Schwedler Wende Dr. Schweitzer Wendt Dr. Schwencke (Nienburg) Werner Dr. Schwenk (Stade) Dr. Wernitz Dr. Schwörer Westphal Seefeld Wiefel Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11087*

Wilhelm gend geboten sind. Ich sage „erneute Anläufe", weil Frau Will-Feld ich mir von meiner bald 25jährigen Beobachtung Wimmer „vor Ort", aber auch nach der Lektüre der einschlä- Windelen gigen sehr ergiebigen früheren Bundestagsproto- Wischnewski kolle bewußt bin, daß von diesem Rednerpult aus Wissebach immer wieder vieles moniert und dann auch man- Dr. de With ches verbessert worden ist. Ich erwarte dennoch Dr. Wittmann (München) vom Ältestenrat, den ich in dieser Sache schon an- Wittmann (Straubing) geschrieben hatte, daß er zusammen mit anderen zu- Dr. Wörner ständigen Gremien neue Vorschläge zur Abhilfe Wohlrabe einiger immer wieder zutage tretender Mängel un- Frau Dr. Wolf terbreitet, auf die insbesondere auch die Bundes- Wolf tagspräsidentin selber mit der ihrem zweithöchsten! Wolfgramm (Göttingen) Staatsamt gebotenen Zurückhaltung hingewiesen Wolfram (Recklinghausen) hat. Wrede Würtz Aus aktuellstem Anlaß rege ich 1. an zu prüfen, Wüster ob nicht — notfalls auf dem Wege einer Änderung Dr. Wulff sowohl des Grundgesetzes als auch unserer Ge- Wurbs schäftsordnung — das jederzeitige und zeitlich un- Wurche begrenzte Rederecht des Bundesrates einer Revision Wuttke unterzogen werden muß. Gerade die letzte große Plenardebatte hat gezeigt, daß durch eine über- Zander mäßige Beteiligung der Bundesratsvertreter, von Zebisch denen zumindest einer als Vorsitzender einer Par- Dr. Zeitel tei stark parteipolitisch motiviert gewesen zu sein Zeitler schien, die Mitglieder des Deutschen Bundestages Zeyer in ihren eigenen verfassungsmäßigen Rechten, in Ziegler diesem Falle in ihren eigenen Redemöglichkeiten, Dr. Zimmermann beeinträchtigt werden können. Zink Zoglmann 2. Auch auf diese Weise kann meines Erachtens Zywietz die häufig beklagte Präsenz an wichtigen Plenar- tagen künftig noch weiter beeinträchtigt werden. Wir müssen wieder dahin kommen, daß bei der Be- handlung großer Grundsatzthemen (z. B. zur Lage der Nation) oder auch aus anderem ernsten Anlaß Anlage 3 (z. B. einer besonders herausgehobenen Trauer- ansprache der Bundestagspräsidentin) ein Maximum Erklärung des Abgeordneten Dr. Schweizer (SPD) an Präsenz gewährleistet ist. Nicht nur e i n Frak- gemäß § 59 der Geschäftsordnung tionsvorsitzender sollte im übrigen in diesem Zu- sammenhang mit bestem persönlichen Beispiel vor- Nur unter Hintenanstellung erheblicher Bedenken angehen. Eine oft zumindest nach außen hin un- sehe ich mich imstande, dem Einzelplan 02 in die- glückliche Präsenz kann m. E. in den Augen der sem Jahr meine Zustimmung zu geben, weil ich Öffentlichkeit auch nicht durch den ebenfalls be- meine, daß es dem Prestige des Deutschen Bundes- rechtigten Hinweis wettgemacht werden, daß die tages und damit unserer parlamentarischen Demo- Abgeordneten dieses Hauses mehr als überlastet kratie überhaupt dienlicher gewesen wäre, bei die- sind und ihren entscheidenden Beitrag zur Parla- ser einzigen sich in einem Haushaltsjahr bietenden mentsarbeit in den Ausschüssen leisten. Es würde Möglichkeit einmal mehr die eigene Arbeitsweise einer noch stärkeren Verlebendigung solcher Gene- vor der Öffentlichkeit auch selbstkritisch zu analy- raldebatten, einer noch größeren Vielfalt dort be- sieren. Lediglich mit Rücksicht auf unser aller in kundeter Meinungen und damit eben einem gestei- diesem Jahr unvermeidliches Umdisponieren im gerten Interesse an Präsenz dienlich sein, wenn u. a. Hinblick auf die gesamte Haushaltsdebatte und nicht mit Ausnahme einer ersten Runde die Standard- in Honorierung diesbezüglicher Wünsche des Älte- redezeit von 15 Minuten tatsächlich nicht überschrit- stenrates, herangetragen an mich durch parlamen- ten wird. Vom Rundenprinzip könnte danach bei tarische Geschäftsführer, verzichte ich auf einen solchen Anlässen zugunsten einer noch flexibleren Debattenbeitrag zum Fragenkomplex. - Handhabung der Geschäftsordnung durch das Prä- Ich weiß mich vor allem mit der Frau Präsidentin, sidium abgegangen werden. Bei der Verabschiedung aber auch mit anderen Mitgliedern des Präsidiums von normalen Gesetzen sollte es in einer strikten und des Ältestenrates sowie mit vielen Kolleginnen Zusammenlegung von 2. und 3. Lesung in der Regel und Kollegen und nicht zuletzt auch mit kritischen nach Erklärungen der Berichterstatter nur noch eine Beobachtern aus der Publizistik und der allgemei- Runde geben. Beschränkt wieder eingeführt werden nen Öffentlichkeit darin einig, daß erneute Anläufe könnten auch Reden zu Protokoll — zumindest in zur Verbesserung unserer parlamentarischen Ar- Kurzfassungen, unabhängig von den jetzt schon vor- beitsweise und unseres parlamentarischen Stils drin handenen Möglichkeiten der Geschäftsordnung. 11088* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975

3. Bei der Aufstellung des Einzelplans 02 im dungsweisungen bzw. Ausbildungspläne um. Eine nächsten Haushalt sollte auf eine noch bessere Auf- Kontrolle der Durchführung erfolgt im Rahmen der schlüsselung einzelner Etatposten und damit auf Dienstaufsicht, speziell bei Besichtigungen der noch mehr Transparenz geachtet werden. Zu emp- Grund- und Vollausbildung. fehlen ist in diesem Zusammenhang angesichts der Die Qualität der Ausbildung auf diesem Gebiet angespannten Haushaltslage in diesem Jahr eine hängt wie jede andere Ausbildung von den Fähig- möglichst sparsame Inanspruchnahme der verschie- keiten der Ausbilder ab. Um diese zu verbessern, denen Titel für Dienstreisen ins Ausland, die als sind an der Schule der Bundeswehr für Innere Füh- solche natürlich auch künftig geboten sind, damit rung Lehrgänge „Politische Bildung" für Offiziere Abgeordnete ihrem verfassungsmäßigen Auftrag in und Unteroffiziere eingerichtet worden, die die nor- vielen Fällen noch besser nachkommen können. male Ausbildung ergänzen. 4. Das häufige Parlieren von Mitgliedern des Bundestages in Gruppen — besonders wenn es im Eine zusätzliche Kontrolle gerade auf diesem Ge- vordersten Drittel des Plenarsaales stattfindet — biet erfolgt durch die Truppenbesuche des Beauftrag- verletzt m. E. ebenso die Würde des Hauses wie ten für Erziehung und Bildung (BEB) beim General- das Lesen von großformatigen Zeitungen selbst in inspekteur. Der Beirat für Fragen der Inneren Füh- den vordersten Reihen. Für Zehntausende von Be- rung beim BMVg führt zur Zeit in Zusammenarbeit suchern und Fernsehzuschauern fällt der Deutsche mit dem Verteidigungsministerium eine Wirkungs- Bundestag in dieser Beziehung gegenüber dem Bun- analyse über die politische Bildung in den Streit- desrat ganz erheblich ab. Das Präsidium sollte daher kräften durch, um wissenschaftlich fundierte Aus- gebeten werden, künftig ohne Ansehen der Person, sagen über deren Effektivität und Anregungen für insbesondere Teilnehmer an Gruppengesprächen eine weitere Verbesserung zu geben. namentlich — und damit für das Protokoll — anzu- sprechen bzw. diese auffordern, solche und andere, oft gewiß unvermeidliche Unterhaltungen, die über eine „Flüstertonstärke" hinausgehen, in die Lobby Anlage 5 zu verlegen. Ich schließe in der Hoffnung, daß meine Kollegin- Antwort nen und Kollegen im Deutschen Bundestag diese Hinweise so aufnehmen werden, wie sie gemeint des Parl. Staatssekretärs Dr. de With auf die Münd- waren, d. h. aus unser aller gemeinsamen Sorge um liche Frage des Abgeordneten Dr. Lenz (Bergstraße) unser aller gemeinsame Aufgabe. (CDU/CSU) (Drucksache 7/3365 Frage A 50) : Ist die Bundesregierung bereit, eine Änderung des § 199 des Gerichtsverfassungsgesetzes vorzubereiten, die verhindert, daß die Gerichtsferien -- wie dies im Jahr 1975 mit Ausnahme von Bayern und Nordrhein-Westfalen in allen Bundesländern in erheblichem Maß der Fall sein wird — außerhalb der Schul- ferien liegen, um die Schwierigkeiten für den gemeinsamen Anlage 4 Jahresurlaub der Familien der in der Justiz tätigen Personen — Richtern, Rechtsanwälten, Justizbeamten — zu vermeiden? Antwort Nach § 199 GVG dauern die Gerichtsferien vom des Parl. Staatssekretärs Berkhan auf die Mündliche 15. Juli bis zum 15. September. Durch die seit eini- Frage des Abgeordneten Hansen (SPD) (Drucksache gen Jahren eingeführte Neuregelung der Sommer- 7/3365 Frage A 1) : schulferien liegen die Schulferien in einigen Län- Auf welche Weise wird die Bundesregierung sicherstellen, dern teilweise außerhalb der Gerichtsferien. Aller- daß die ZDv 12/1 über politische Bildung in der Bundeswehr in allen Einheiten in ausreichendem Maß befolgt wird? dings gilt dies immer nur für einzelne Jahre, da sich Beginn und Ende der Schulferien im Rahmen Die Zentrale Dienstvorschrift 12/1 „Politische Bil- der langfristigen Sommerferienregelung von Jahr zu dung in der Bundeswehr" wurde am 29. Januar 1973 Jahr verschieben. erlassen und bis Mitte 1973 mit insgesamt 22 000 Die mit der neuen Sommerferienregelung bisher Exemplaren (gleiche Auflagenhöhe wie die ZDv 10/1 gesammelten Erfahrungen zeigen, daß durch die „Hilfen für die Innere Führung") in der Truppe ver- teilweise Überschneidung von Sommerschulferien teilt. Sie ist damit in allen Verbänden und Einheiten und Gerichtsferien Schwierigkeiten größeren Aus- mehrfach vorhanden. maßes bisher nicht entstanden sind. Durch sorg- Wie jede andere Vorschrift ist auch die ZDv 12/1 fältige Urlaubsplanungen und verständnisvolle Ab- ein Befehl, der für jeden Soldaten, als Ausbildungs- stimmung der Termine mit der Anwaltschaft konn- vorschrift speziell für die Einheitsführer, zu beach- ten Komplikationen weitgehend vermieden oder ten ist. Zusätzlich ist die ZDv 12/1 in die Ausbil- überwunden werden. Gleichwohl kann nicht über- dungsprogramme der Teilstreitkräfte übernommen sehen werden, daß Personen, die in der Rechtspflege worden. So entspricht z. B. der Ausbildungshinweis tätig sind, durch die teilweise Überschneidung von 47/4 des Heeres „Politische Bildung" sowohl in den Sommerschulferien und Gerichtsferien in einzelnen inhaltlichen als auch in den zeitlichen Forderungen Jahren in ihrer Dispositionsfreiheit für ihren Urlaub genau der ZDv 12/1. beschränkt sein können. Die Großverbände, Verbände und Einheiten set- Die Bundesregierung ist daher bemüht, auf eine zen diese Ausbildungsforderungen in ihre Ausbil- baldige Änderung der bestehenden Vorschriften hin- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 19. März 1975 11089* zuwirken, die auch eine befriedigende Regelung ten. Der Katalog der Strafsachen, die den Amts- für die Familien der in der Rechtspflege tätigen Per- anwälten zur Bearbeitung übertragen werden kön- sonen ermöglicht. Es werden allerdings in den Krei- nen, ist in der von den Landesjustizverwaltungen im sen der Betroffenen noch unterschiedliche Auffas- wesentlichen bundeseinheitlich erlassenen Anord- sungen vertreten, wie diese Regelung im einzel- nung über Organisation und Dienstbetrieb der nen ausgestaltet werden sollte. Staatsanwaltschaft geregelt. Das Zweite Gesetz zur Gegenwärtig beschäftigt sich die Kommission für Reform des Strafrechts, das Einführungsgesetz zum das Zivilprozeßrecht mit dieser Problematik. Das Strafgesetzbuch und das Erste Gesetz zur Reform Ergebnis der Beratungen soll zunächst abgewartet des Strafverfahrensrechts erfordern lediglich eine werden. Die Bundesregierung wird dann weiter prü- Anpassung des Katalogs an die veränderte Rechts- fen, welche Maßnahmen zur Änderung der Vor- lage. Diese Anpassung wird gegenwärtig von den schriften über die Gerichtsferien notwendig sind. Landesjustizverwaltungen unter Mitwirkung des Bundesministeriums der Justiz vorbereitet. Zu einer Schmälerung des bisher von den Amtsanwälten wahrgenommenen Funktionsbereichs wird sie nicht Anlage 6 führen. Antwort Eine Neuordnung des Rechts der Amtsanwälte muß im Zusammenhang mit den noch nicht abge- des Parl. Staatssekretärs Dr. de With auf die Münd schlossenen Reformen im Justiz- und Hochschul- lichen Fragen des Abgeordneten Engelsberger bereich gesehen werden. (CDU/CSU) (Drucksache 7/3365 Fragen A 60 und 61) : Die künftige Stellung des Amtsanwalts in der Treffen Pressemeldungen zu, daß der derzeitige Regierungs- rat im Bundesamt für zivilen Bevölkerungsschutz, Hans-Chri- Strafrechtspflege kann daher zum gegenwärtigen stoph Toelle, bei seiner Vernehmung durch die Staatsschutz- Zeitpunkt noch nicht endgültig festgelegt werden. abteilung des Bundeskriminalamts im September 1974 zu Proto- koll gegeben hat, der persönliche Referent des damaligen Die Bundesregierung prüft jedoch im engen Kontakt Bundeskanzlers Brandt, Günter Guillaume, habe vor dem kon- struktiven Mißtrauensvotum im April 1972 ihm „mit Bestimmt- mit den Ländern, in welchem Umfang Neuregelun- heit" erklärt, der Bundeskanzler verfüge über Mittel, die trotz gen im Bereich des Amtsrechts der Amtsanwälte des Übertritts von Abgeordneten zur CDU/CSU das Überleben der Koalitionsregierung ermöglichten, da bei der Union Abge- schon jetzt möglich oder angezeigt sind. Diese Prü- ordnete bestechlich seien und „der Ehmke das schon machen" werde, und muß bei der Echtheit dieser Aussage nicht der fung ist noch nicht abgeschlossen. Schluß gezogen werden, daß die Regierung Brandt damals nur durch Korruption im Amt geblieben ist? Muß, falls die Presseinformation sich als richtig erweist, aus der Erklärung von Regierungsrat Toelle gegenüber einem Pressevertreter, Guillaume habe mit der Bemerkung, der Bun- deskanzler verfüge über die entsprechenden Mittel, zweifelsfrei Anlage 8 finanzielle Mittel gemeint, nicht der Schluß gezogen werden, daß entgegen der Aussage des damaligen Kanzleramtsministers Ehmke vor dem Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundes- Antwort tages die dem Reptilienfonds entnommenen 50 000 DM für andere Zwecke als zur Abdeckung von Forderungen verwendet worden sind, zumal nach der angeblichen Aussage Guillaumes des Parl. Staatssekretärs Dr. de With auf die Münd- die Bundesregierung mit einer Abwahl des Bundeskanzlers gar nicht gerechnet hat? liche Frage des Abgeordneten Reiser (SPD) (Druck- sache 7/3365 Frage A 66) : Ihre Fragen beziehen sich auf ein vom General- Ist die Bundesregierung nach einem Vorfall vor der Berliner Gedächtniskirche mit der Film- und Fernsehjournalistin Helke bundesanwalt beim Bundesgerichtshof geführtes Er- Sander der Meinung, daß das verabschiedete Zeugnisverweige- mittlungsverfahren, dessen Erkenntnisse den Ge- rungsrecht eine Lücke enthält, und (gegebenenfalls) wie gedenkt sie diese Lücke zu schließen? heimhaltungsgrad „VS-geheim" tragen. Sie werden verstehen, daß an dieser Stelle eine Antwort auf Aus dem Vorfall vor der Berliner Gedächtnis- Ihre Fragen nicht gegeben werden kann. kirche, bei dem Filmmaterial einer Film- und Fern- sehjournalistin beschagnahmt wurde, kann nicht gefolgert werden, daß das vom Deutschen Bundes- Anlage 7 tag am 21. Februar 1975 verabschiedete Gesetz über Antwort das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk eine Lücke enthält. Dieses des Parl. Staatssekretärs Dr. de With auf die Münd- Gesetz räumt ein Zeugnisverweigerungsrecht und liche Frage des Abgeordneten Dr. Penner (SPD) ein korrespondierendes Beschlagnahmeverbot nur (Drucksache 7/3365 Frage A 62) : für Personen ein, die bei der Vorbereitung, Herstel- Hält es die Bundesregierung, insbesondere unter Berücksich- lung oder Verbreitung von periodischen Druckwer- tigung der seit dem 1. Januar 1975 bestehenden Rechtslage im Bereich der sogenannten Bagatellkriminalität, für zweckmäßig, ken oder Rundfunksendungen berufsmäßig mitwir- den Laufbahnweg des Amtsanwalts beizubehalten? ken oder mitgewirkt haben. Das Beschlagnahmever- - bot wird sich ferner nicht auf Fotos und Filme er- Die Bundesregierung hat stets die Auffassung strecken, die von Presse und Rundfunk selbst her- vertreten, daß dem Amt des Amtsanwalts innerhalb gestellt worden sind. Die Problematik, die in die- der Strafrechtspflege ein erheblicher Stellenwert zu- sen Einschränkungen liegen kann, ist bei den Be- kommt. Die Reformen auf dem Gebiet des materiel- ratungen des Gesetzes gesehen worden. Die Be- len Strafrechts haben hieran nichts geändert; sie freiung von der allgemeinen Aussageverpflichtung geben insbesondere keine Veranlassung, in Über- und von der Beschlagnahme zu Beweiszwecken legungen darüber einzutreten, ob es zweckmäßig schützt das besondere Vertrauensverhältnis zwi- sei, den Laufbahnweg des Amtsanwalts beizubehal- schen Presse und Informanten.