BREMISCHE BÜRGERSCHAFT Plenarprotokoll Landtag 14. Sitzung 20. Wahlperiode 16.09.2020 und 17.09.2020

14. Sitzung am Mittwoch, dem 16. September 2020, und Donnerstag, dem 17. September 2020

Inhalt

Aktuelle Stunde Abgeordnete Grönert (CDU) ...... 1776 Abgeordneter Timke (BIW) ...... 1778 Luft- und Raumfahrtstandort Abgeordneter Jürgewitz (AfD) ...... 1780 stärken -– Bremerhaven muss Versorgungshafen für den Abgeordnete Bergmann (FDP) ...... 1781 Weltraumbahnhof in der Nordsee Abgeordnete Grotheer (SPD) ...... 1782 werden Abgeordneter Jürgewitz (AfD) ...... 1784 Abgeordnete Leonidakis (DIE LINKE) ...... 1785 Flüchtlingscamps auf den griechischen Inseln evakuieren – Wir haben Platz! Senator Mäurer ...... 1785

Tarifbindung im Land Bremen stärken – Tarifbindung im Land Bremen stärken – Handlungsspielräume nutzen Handlungsspielräume nutzen! Abgeordnete Aulepp (SPD) ...... 1787 Luft- und Raumfahrtstandort Bremen Abgeordnete Hornhues (CDU) ...... 1789 stärken -– Bremerhaven muss Abgeordneter Tebje (DIE LINKE) ...... 1790 Versorgungshafen für den Weltraumbahnhof in der Nordsee Abgeordnete Wischhusen (FDP) ...... 1791 werden. Abgeordnete Dr. Müller (Bündnis 90/Die Abgeordneter Prof. Dr. Hilz (FDP)...... 1764 Grünen) ...... 1793 Abgeordnete Brünjes (SPD) ...... 1765 Abgeordnete Aulepp (SPD) ...... 1794 Abgeordneter Tebje (DIE LINKE) ...... 1766 Bürgermeister Dr. Bovenschulte ...... 1795 Abgeordneter Raschen (CDU) ...... 1767 6. Bericht über die Tätigkeit des Abgeordneter Müller (Bündnis 90/Die Landesbehindertenbeauftragten für den Grünen) ...... 1769 Zeitraum vom 01.01.2015 bis zum Senatorin Dr. Schilling ...... 1770 31.12.2016 Abgeordneter Prof. Dr. Hilz (FDP)...... 1772 Bericht des Landesbehindertenbeauftragten Abgeordneter Müller (Bündnis 90/Die vom 24. Juli 2020 Grünen) ...... 1772 (Drucksache 20/561) Flüchtlingscamps auf den griechischen Herr Frankenstein ...... 1799 Inseln evakuieren ─ Wir haben Platz! Abgeordneter Welt (SPD) ...... 1800 Abgeordnete Leonidakis (DIE LINKE) ...... 1773 Abgeordnete Grönert (CDU) ...... 1802 Abgeordnete Görgü-Philipp (Bündnis Abgeordneter Dr. Buhlert (FDP) ...... 1803 90/Die Grünen) ...... 1775 1758 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Abgeordneter Pörschke (Bündnis 90/Die Gesetz über eine Landesbeauftragte oder Grünen) ...... 1804 einen Landesbeauftragten für die Opfer Abgeordneter Zimmer (DIE LINKE) ...... 1805 und deren Angehörige in Fällen von Terrorismus und sonstigen auf Straftaten Politischem Extremismus entschieden beruhenden Großschadensereignissen entgegentreten – Bremen darf keine sowie Geiselnahmen Hochburg des Linksextremismus bleiben! Bericht und Antrag des Antrag der Fraktion der FDP Rechtsausschusses vom 4. Juni 2020 vom 3. Juni 2020 (Drucksache 20/423) (Drucksache 20/414)

Wie stark nimmt die linke Gewalt in Opferschutz muss ernst genommen Bremen zu? werden – ein Opferschutzbeauftragter für Große Anfrage der Fraktion der CDU Bremen! vom 2. Juni 2020 Antrag der Fraktion der CDU (Drucksache 20/409) vom 18. Februar 2020 (Drucksache 20/275) Dazu Opferschutz muss ernst genommen Mitteilung des Senats vom 25. August werden – ein Opferschutzbeauftragter für 2020 Bremen! (Drucksache 20/571) Bericht und Antrag des Rechtsausschusses Abgeordnete Bergmann (FDP) ...... 1806 vom 3. Juni 2020 Abgeordneter Dr. vom Bruch (CDU) ...... 1807 (Drucksache 20/415) Abgeordneter Timke (BIW) ...... 1808 Abgeordnete Aulepp, Berichterstatterin ...... 1820 Abgeordneter Janßen (DIE LINKE) ...... 1809 Abgeordneter Lübke (CDU) ...... 1821 Abgeordneter Jürgewitz (AfD) ...... 1811 Abgeordnete Dogan (Bündnis 90/Die Abgeordneter Fecker (Bündnis 90/Die Grünen) ...... 1822 Grünen) ...... 1812 Abgeordnete Bergmann (FDP) ...... 1823 Abgeordneter Lenkeit (SPD) ...... 1813 Abgeordneter Schumann (DIE LINKE) ...... 1824 Abgeordnete Bergmann (FDP) ...... 1814 Abgeordnete Aulepp (SPD)...... 1826 Abgeordneter Janßen (DIE LINKE) ...... 1815 Abgeordneter Lübke (CDU) ...... 1826 Abgeordneter Lenkeit (SPD) ...... 1816 Senatorin Dr. Schilling ...... 1826 Abgeordneter Dr. vom Bruch (CDU) ...... 1817 Abstimmung ...... 1828 Senator Mäurer...... 1817 Abstimmung ...... 1819 Bremisches Gesetz zur Erleichterung von Investitionen 2020 Gesetz über eine Landesbeauftragte oder Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen einen Landesbeauftragten für die Opfer der SARS-CoV-2-Pandemie und deren Angehörige in Fällen von Mitteilung des Senats vom 18. August Terrorismus und sonstigen auf Straftaten 2020 beruhenden Großschadensereignissen (Drucksache 20/565) sowie Geiselnahmen Mitteilung des Senats vom 10. März 2020 Dazu (Drucksache 20/317) Änderungsantrag der Fraktion der CDU vom 8. September 2020 (Drucksache 20/593) Abgeordneter Wagner (SPD) ...... 1829 Abgeordneter Bücking (Bündnis 90/Die Grünen) ...... 1830 Abgeordneter Schäck (FDP) ...... 1830 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 1759

Abgeordneter Tebje (DIE LINKE) ...... 1831 Bericht des staatlichen Abgeordneter Meyer-Heder (CDU) ...... 1832 Petitionsausschusses Nr. 10 vom 11. September 2020 Senatorin Dr. Schilling ...... 1832 (Drucksache 20/610) ...... 1837 Abstimmung ...... 1833 Fragestunde Zustimmungsgesetz zum Staatsvertrag Anfrage 1: Wie verläuft die zur Modernisierung der Medienordnung Umsetzung des Masernschutzgesetzes in Deutschland in Bremen? Mitteilung des Senats vom 23. Juni 2020 Anfrage der Abgeordneten Dr. Buhlert, (Drucksache 20/476) ...... 1834 Frau Wischhusen und Fraktion der FDP Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) vom 2. Juli 2020 ...... 1837 2016/680 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung Anfrage 2: Gesellschaftliche personenbezogener Daten durch die Ungleichheit wissenschaftlich zuständigen Behörden zum Zwecke der aufarbeiten und Lösungen finden Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Verfolgung von Straftaten oder Eschen, Fecker und Fraktion Bündnis Strafvollstreckung sowie zum freien 90/Die Grünen Datenverkehr und zur Aufhebung des vom 2. Juli 2020 ...... 1839 Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Anfrage 3: Versorgung mit WLAN für Rates und der Richtlinie (EU) 2016/800 Schulkinder in über Verfahrensgarantien für Kinder, die Übergangswohnheimen sicherstellen! Verdächtige oder beschuldigte Personen Anfrage der Abgeordneten Frau in Strafverfahren sind, im Justizvollzug Pfeiffer, Güngör und Fraktion der SPD sowie zur Änderung vollzugsrechtlicher vom 7. Juli 2020 ...... 1840 Vorschriften Anfrage 4: Stand der Planungen und Antrag des Rechtsausschusses Umsetzung beim „Entwicklungsplan vom 25. Juni 2020 Inklusion“? (Drucksache 20/512) ...... 1834 Anfrage der Abgeordneten Hupe, Fecker und Fraktion Bündnis 90/Die Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Grünen die Errichtung einer Anstalt zur Bildung vom 10. Juli 2020 ...... 1842 einer Rücklage für Versorgungsvorsorge (Anfrage 5 wird nach der Anfrage 7 der Freien Hansestadt Bremen aufgerufen.) Antrag des staatlichen Haushalts- und Finanzausschusses Anfrage 6: Ausstattung von vom 6. Juli 2020 Lehrkräften im Land Bremen mit (Drucksache 20/531) ...... 1835 iPads Anfrage der Abgeordneten Prof. Dr. Erster Staatsvertrag zur Änderung Hilz, Frau Wischhusen und Fraktion medienrechtlicher Staatsverträge der FDP (Erster Medienänderungsstaatsvertrag) vom 16. Juli 2020 ...... 1844 Mitteilung des Senats vom 28. Juli 2020 Anfrage 7: Quarantäne für (Drucksache 20/562) ...... 1836 Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen Gesetz zur Änderung der Bremischen Anfrage der Abgeordneten Frau Landesbauordnung (BremLBO) Grönert, Röwekamp und Fraktion der Mitteilung des Senats vom 1. September CDU 2020 vom 21. Juli 2020 ...... 1846 (Drucksache 20/580) ...... 1836 Anfrage 5: Wer bremst K+S? Anfrage der Abgeordneten Saxe, Fecker und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 15. Juli 2020 ...... 1848 1760 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Anfrage 8: Stalkingbeauftragte sowie Forschung zeitgemäß gestalten, Sachbearbeiterinnen und Arbeitsplätze erhalten: Ein nachhaltiger Sachbearbeiter für häusliche Gewalt Neubau der Polarstern bei der Polizei Bremen Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Anfrage der Abgeordneten Frau Grünen, der SPD und DIE LINKE Görgü-Philipp, Fecker und Fraktion vom 9. September 2020 Bündnis 90/Die Grünen (Drucksache 20/606) vom 29. Juli 2020 ...... 1849 Abgeordnete Dr. Eschen (Bündnis 90/Die Anfrage 9: Ist die bremische Grünen) ...... 1871 Richterbesoldung amtsangemessen? Abgeordnete Strunge (DIE LINKE) ...... 1872 Anfrage der Abgeordneten Frau Abgeordnete Brünjes (SPD) ...... 1873 Dogan, Frau Görgü-Philipp, Fecker und Abgeordnete Grobien (CDU) ...... 1873 Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Abgeordneter Dr. Buhlert (FDP) ...... 1874 vom 29. Juli 2020 ...... 1850 Staatsrat Cordßen ...... 1875 Die schriftlich beantworteten Anfragen Abstimmung ...... 1876 der Fragestunde finden Sie im Anhang. Schwangerschaftsabbrüche: Ausbildung Gemeinsam sind wir stärker – Europa verbessern, Zugang erleichtern muss jetzt Zusammenhalt zeigen! Antrag der Fraktionen DIE LINKE, Antrag der Fraktionen der SPD, Bündnis Bündnis 90/Die Grünen und der SPD 90/Die Grünen und DIE LINKE vom 30. Juni 2020 vom 30. Juni 2020 (Drucksache 20/522) (Drucksache 20/514) Abgeordnete Tegeler (DIE LINKE) ...... 1877 Deutschland braucht Europa – Europa Abgeordnete Bredehorst (SPD) ...... 1878 braucht Deutschland Abgeordnete Dertwinkel (CDU) ...... 1879 Antrag der Fraktion der CDU Abgeordnete Wischhusen (FDP)...... 1880 vom 7. Juli 2020 Abgeordnete Dr. Müller (Bündnis 90/Die (Drucksache 20/536) Grünen) ...... 1881 Krise als Chance: Deutsche EU- Abgeordnete Tegeler (DIE LINKE) ...... 1883 Ratspräsidentschaft als Abgeordnete Bredehorst (SPD) ...... 1883 Zukunftspräsidentschaft nutzen! Senatorin Bernhard ...... 1884 Antrag (Entschließung) der Fraktion der Abstimmung ...... 1886 FDP vom 10. September 2020 Angemessene Eingangsbesoldung für (Drucksache 20/609) Feuerwehrfrauen und -männer Abgeordneter Gottschalk (SPD) ...... 1852 Antrag der Fraktion der CDU Abgeordneter Dr. vom Bruch (CDU) ...... 1854 vom 13. August 2020 Abgeordneter Prof. Dr. Hilz (FDP) ...... 1857 (Drucksache 20/564) Abgeordneter Tuncel (DIE LINKE) ...... 1858 Abgeordneter Lübke (CDU) ...... 1886 Abgeordnete Dr. Müller (Bündnis 90/Die Abgeordnete Bergmann (FDP) ...... 1887 Grünen) ...... 1859 Abgeordneter Öztürk (Bündnis 90/Die Abgeordnete Grotheer (SPD) ...... 1861 Grünen) ...... 1888 Abgeordneter Jürgewitz (AfD) ...... 1863 Abgeordneter Lenkeit (SPD) ...... 1889 Abgeordnete Grotheer (SPD) ...... 1864 Abgeordneter Janßen (DIE LINKE) ...... 1890 Abgeordnete Dr. Müller (Bündnis 90/Die Abgeordneter Lübke (CDU) ...... 1891 Grünen) ...... 1865 Abgeordneter Öztürk (Bündnis 90/Die Bürgermeisterin Dr. Schaefer ...... 1866 Grünen) ...... 1892 Abgeordneter Dr. vom Bruch (CDU) ...... 1869 Staatsrätin Krebs ...... 1892 Abstimmung ...... 1870 Abstimmung ...... 1893 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 1761

Zukunft der maritimen Wirtschaft im Mitteilung des Senats vom 23. Juni 2020 Land Bremen (Drucksache 20/479) Große Anfrage der Fraktion der CDU Abgeordneter Dr. vom Bruch (CDU)...... 1913 vom 29. Januar 2020 Abgeordnete Bergmann (FDP) ...... 1915 (Drucksache 20/259) Abgeordneter Öztürk (Bündnis 90/Die Dazu Grünen) ...... 1916 Abgeordneter Janßen (DIE LINKE) ...... 1917 Mitteilung des Senats vom 9. Juni 2020 Abgeordneter Lenkeit (SPD) ...... 1919 (Drucksache 20/431) Staatsrat Bull ...... 1920 Abgeordnete Grobien (CDU) ...... 1894 Abgeordneter Müller (Bündnis 90/Die Anhang zum Plenarprotokoll Grünen) ...... 1895 Schriftlich vom Senat beantwortete Abgeordneter Tebje (DIE LINKE) ...... 1896 Anfragen aus der Fragestunde der Abgeordneter Zager (SPD) ...... 1897 Bürgerschaft (Landtag) vom 17. September 2020 ...... 1922 Abgeordneter Prof. Dr. Hilz (FDP)...... 1898 Anfrage 10: Technische Infrastruktur Abgeordneter Bücking (Bündnis 90/Die in den Bremer Grünen) ...... 1899 Studierendenwohnheimen für die Abgeordnete Grobien (CDU) ...... 1901 Durchführung eines „hybriden“ Abgeordneter Stahmann (SPD) ...... 1902 Wintersemesters 2020/2021 Abgeordneter Prof. Dr. Hilz (FDP)...... 1902 Anfrage der Abgeordneten Frau Grobien, Röwekamp und Fraktion der Staatsrat Cordßen ...... 1903 CDU vom 7. August 2020 ...... 1922 Mittelstandsförderungsgesetz reformieren – Clearingstelle, Anfrage 11: Verzögerungen bei der Clearingverfahren und Schiffsabfertigung in Bremerhaven Mittelstandsbeirat einrichten! Anfrage der Abgeordneten Frau Antrag der Fraktion der FDP Grobien, Raschen, Röwekamp und vom 12. März 2020 Fraktion der CDU (Drucksache 20/322) vom 11. August 2020 ...... 1922 Abgeordnete Wischhusen (FDP) ...... 1904 Anfrage 12: Städtepartnerschaften im Zeichen von Unterdrückung der Abgeordneter Meyer-Heder (CDU) ...... 1906 LGBTQ-Community Abgeordneter Stahmann (SPD) ...... 1907 Anfrage der Abgeordneten Stahmann, Abgeordneter Tebje (Die LINKE) ...... 1908 Frau Grotheer, Güngör und Fraktion Abgeordneter Bücking (Bündnis 90/Die der SPD Grünen) ...... 1909 vom 18. August 2020 ...... 1923 Abgeordneter Meyer-Heder (CDU) ...... 1910 Anfrage 13: Jährliche Überprüfung der Unterbringung in der Abgeordnete Wischhusen (FDP) ...... 1910 forensischen Psychiatrie Abgeordneter Stahmann (SPD) ...... 1911 Anfrage der Abgeordneten Frau Staatsrat Ehmke ...... 1912 Dogan, Frau Dr. Müller, Fecker und Abstimmung ...... 1913 Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 19. August 2020 ...... 1924 Wie ist Bremen im Kampf gegen Cyber- Anfrage 14: Gender Pay Gap im und Internetkriminalität aufgestellt? Gesundheitsressort Land Bremen Große Anfrage der Fraktion der CDU Anfrage der Abgeordneten Frau vom 9. März 2020 Dertwinkel, Röwekamp und Fraktion (Drucksache 20/311) der CDU vom 25. August 2020 ...... 1925 Dazu 1762 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Anfrage 15: Anlassbezogene Anfrage 17: Öffnung der Mensen an Kontrollen in Pflegeheimen des den Bremer Hochschulen Landes Bremen Anfrage der Abgeordneten Dr. Buhlert, Anfrage der Abgeordneten Frau Frau Bergmann, Frau Wischhusen und Grönert, Röwekamp und Fraktion der Fraktion der FDP CDU vom 10. September 2020 ...... 1927 vom 25. August 2020 ...... 1926 Konsensliste ...... 1929 Anfrage 16: Ist professioneller Sport mit Zuschauern auch in Bremen bald wieder realistisch? Anfrage der Abgeordneten Frau Bergmann, Prof. Dr. Hilz, Frau Wischhusen und Fraktion der FDP vom 9. September 2020 ...... 1927

Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Frau Ahrens, Günthner, Rupp, Frau Schiemann (16.09.2020) Frau Ahrens, Beck, Bolayela, Günthner, Magnitz, Frau Schiemann (17.09.2020) Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1763

Präsident Imhoff eröffnet die Sitzung um 10:00 Uhr. Ich bitte um die Gegenprobe.

Präsident Imhoff: Hiermit eröffne ich die 14. Sit- Stimmenthaltungen? zung der Bürgerschaft (Landtag). (Abgeordneter Beck [AfD]) Ich hoffe, Sie haben alle die Sommerpause genos- sen und wir können jetzt wieder frisch an die Arbeit Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) ist mit gehen. den interfraktionellen Absprachen einverstanden.

Ich begrüße die hier anwesenden Damen und Her- Sie haben für diese Sitzung die Konsensliste über- ren sowie die Zuhörer und die Vertreter der Me- mittelt bekommen. Es handelt sich um die Zusam- dien. menfassung der Vorlagen, die ohne Debatte und einstimmig behandelt werden sollen. Die Sitzung beginnt heute Vormittag regulär mit der Aktuellen Stunde. Auf dieser Liste sind die Tagesordnungspunkte 20, 41, 42, 52, 54, 62 und 63. Weiter geht es dann nach der Mittagspause mit dem Tagesordnungspunkt 47 und den miteinander Um diese Punkte im vereinfachten Verfahren zu verbundenen Tagesordnungspunkten 18 und 26. behandeln, bedarf es eines einstimmigen Beschlus- Im Anschluss daran werden die miteinander ver- ses der Bürgerschaft (Landtag). bundenen Tagesordnungspunkte 12 bis 15 behan- delt. Danach wird der Tagesordnungspunkt 51 auf- Ich lasse jetzt darüber abstimmen, ob eine Behand- gerufen. lung im vereinfachten Verfahren erfolgen soll.

Die Sitzung beginnt am Donnerstag mit der Frage- Wer dafür ist, den bitte ich jetzt um das Handzei- stunde, danach werden dann die miteinander ver- chen. bundenen Tagesordnungspunkte 23, 24 und 67 aufgerufen. Weiter geht es danach mit dem Tages- Ich bitte um die Gegenprobe. ordnungspunkt 65. Stimmenthaltungen? Am Donnerstagnachmittag wird nach der Pause zuerst der Tagesordnungspunkt 29 behandelt, fort- Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) ist mit gesetzt wird die Tagesordnung dann mit dem Ta- dem vereinfachten Verfahren einverstanden. gesordnungspunkt 50. (Einstimmig) Danach wird die Tagesordnung in der regulären Reihenfolge fortgesetzt. Entsprechend § 22 der Geschäftsordnung rufe ich nun die Konsensliste zur Abstimmung auf. Wer der Die übrigen interfraktionellen Absprachen können Konsensliste seine Zustimmung geben möchte, den Sie der digital versandten Tagesordnung entneh- bitte ich jetzt um das Handzeichen. men. Dieser Tagesordnung können Sie auch den Eingang gemäß § 37 der Geschäftsordnung ent- Ich bitte um die Gegenprobe. nehmen, bei dem interfraktionell vereinbart wurde, diesen nachträglich auf die Tagesordnung zu set- Stimmenthaltungen? zen – es handelt sich insoweit um den Tagesord- nungspunkt 68. Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt der Konsensliste zu. Wird das Wort zu den interfraktionellen Abspra- chen gewünscht? – Das ist nicht der Fall. (Einstimmig)

Wer mit den interfraktionellen Absprachen einver- Wir treten in die Tagesordnung ein. standen ist, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Aktuelle Stunde (Dafür CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, FDP, Abgeordneter Timke [BIW]) Für die Aktuelle Stunde liegen drei Themen vor. 1764 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Erstens auf Antrag der Abgeordneten Prof. Dr. Hilz, diesem Fall? Es geht nicht um große Trägerraketen Frau Wischhusen und Fraktion der FDP: und auch nicht um bemannte Raumfahrt, sondern es geht um kleine Raketen, die Satelliten bis zu ei- Luft- und Raumfahrtstandort Bremen stärken -– ner Tonne in den Orbit befördern. Ohne auf Details Bremerhaven muss Versorgungshafen für den einzugehen, ist die geografische Lage in der Nord- Weltraumbahnhof in der Nordsee werden see dafür tatsächlich ideal geeignet.

Zweitens auf Antrag der Abgeordneten Frau Le- Es geht darum, hier Innovationen voranzubringen, onidakis, Janßen und Fraktion DIE LINKE: den Innovationsstandort, den Technologiestandort Bremen, Bremerhaven zu fördern, wenn man diese Flüchtlingscamps auf den griechischen Inseln Chance ergreift. Wie viele sind es? Es ist tatsächlich evakuieren – Wir haben Platz! überraschend viel. In meiner Recherche bin ich da- rauf gestoßen, dass 8 500 Satelliten in dieser Größe Drittens auf Antrag der Abgeordneten Frau Heri- in den nächsten acht Jahren in den Orbit geschos- tani, Sieling, Güngör und Fraktion der SPD: sen werden sollen. Davon wären theoretisch 4 500, die von einem Weltraumbahnhof aus der Nordsee Tarifbindung im Land Bremen stärken – Hand- abgefeuert oder abgeschossen, in den Weltraum lungsspielräume nutzen befördert werden können.

Hinsichtlich der Reihenfolge der Redner wird nach Das bedeutet über 500 Starts pro Jahr. Das ist tat- der Reihenfolge des Eingangs der Themen verfah- sächlich eine enorme Größe, und diese Zahl allein ren. zeigt auch, wie enorm wichtig das Ganze ist. Es geht dabei um Satelliten für die Navigation, die wir Ich stelle Einverständnis fest. täglich in unseren Autos benutzen. Es geht dabei um Wetterbeobachtungen, Klimaforschung. Es Die Beratung ist eröffnet und wir kommen zum ers- geht dabei um Sicherheit, maritime Sicherheit. Wir ten Thema: haben ja auch in Bremerhaven das DLR-Institut für maritime Sicherheit, die natürlich auch satelliten- Luft- und Raumfahrtstandort Bremen stärken -– gestützt forschen. Bremerhaven muss Versorgungshafen für den Weltraumbahnhof in der Nordsee werden. Das heißt, wir haben hier etwas, das wirklich Zu- kunft verspricht, Zukunft für Bremen und Bremer- Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Dr. haven. Diese Chance muss beim Schopfe ergriffen Schilling. werden.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete (Beifall FDP) Herr Prof. Dr. Hilz. Bremen hat das Know-how und die Infrastruktur Abgeordneter Prof. Dr. Hilz (FDP): Herr Präsident, durch das Luft- und Raumfahrtcluster, wie das ja meine Damen und Herren! Was für eine Ge- neudeutsch heißt. Bremerhaven hat durch die Er- schichte, was für eine Chance, die hier für die fahrungen in der Offshoretechnologie, Offshore- Standorte Bremen und Bremerhaven vor uns liegt, windenergie die idealen logistischen Vorausset- Bremen als Luft- und Raumfahrtstandort und Bre- zungen, um so einen Weltraumbahnhof auch logis- merhaven als Drehscheibe für Hafen und Logistik. tisch zu versorgen. Ein Weltraumbahnhof in Norddeutschland, ein Weltraumbahnhof in der Nordsee. Das klingt viel- Worum geht es? Vielleicht ist das nicht jedem deut- leicht im ersten Moment wie aus einem Science- lich. Es gibt drei Szenarien, die derzeit diskutiert Fiction-Film. Keiner kann sich vorstellen, dass werden. Das eine ist eine fest verankerte Plattform diese Ariane-Raketen dort starten würden, aber ähnlich einer Ölplattform, die als Abschussplatt- das ist auch überhaupt nicht geplant. form genutzt werden soll. Die zweite Variante könnte sein, dass Errichterschiffe, wie man sie am Wirtschaftsminister Altmaier hat das letzte Woche CT 1 öfter sieht, das sind diese mit den vier Riesen- offiziell als wichtiges Projekt bezeichnet. Das ha- stelzen, so nenne ich sie einmal, hinausfahren, sich ben wir zum Anlass genommen, dass wir das auf dort in den Meeresboden verfestigen und von dort jeden Fall auch einmal hier in der Bremischen Bür- aus diese Raketen abgeschossen werden. gerschaft debattieren müssen. Worum geht es in Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1765

Die dritte Variante, die derzeit als wahrschein- (Beifall FDP) lichste Variante diskutiert wird, ist eine schwim- mende Plattform, ein Schiff, das in Bremerhaven Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin hat das idealerweise Satelliten und die Rakete aufnehmen Wort die Abgeordnete Brünjes. und damit dann hinausfahren würde und dann von der schwimmenden Plattform der Start erfolgen Abgeordnete Brünjes (SPD): Sehr geehrter Herr könnte. Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir schreiben das Jahr 2040: In Bremerhaven herrscht Gerade die dritte Variante ist natürlich für den Aufbaustimmung – Bremen ist zufrieden. Ein guter Standort Bremerhaven eine Riesenchance, denn Anlass gemeinsam 20 Jahre zurückzublicken. gerade bei der Variante sind viele Prozesse, die an Land und bei der Verladung laufen, und hier müs- Bereits 2020 war das Thema Raumfahrt in aller sen wir in Vorreiterschaft kommen. Hier müssen Munde. Satelliten gestalten unsere Kommunika- wir als Bremen und Bremerhaven ganz deutlich sa- tion und Navigation. Sie liefern Daten aller Art aus gen: Das können wir! Das wollen wir! dem All, bringen unsere Dienste zum Laufen, be- einflussen die Telefonie, das Internet, die heimi- (Beifall FDP) schen Fernseher. Sie sorgen für zielgenaue Navi- gation von Zügen, Flugzeugen, Lkw und Schiffen. Es ist ein Zukunftsprojekt, es vernetzt unsere bei- Auch neue Innovationen wie das autonome Fahren den Städte in diesem Fall noch enger. Es stärkt die funktionieren satellitendatenbasiert. Es entstehen Wissenschaftslandschaft in Bremerhaven. Es stärkt intelligente Systeme durch präzise Berechnung. weiterhin den Hafen, und jetzt ist es Zeit, auch für den Senat, hier beherzt zu sagen: Das ist unser Pro- Dieser Prozess wird sich fortan rasant weiterentwi- jekt! Wir wollen dort dabei sein! Erste Signale ha- ckeln und es wäre ein Trugschluss zu glauben, dass ben wir von der Wirtschaftssenatorin positiv wahr- die Raumfahrt nur die hier direkt verbundenen genommen, die sich offen dafür geäußert hatte. Wirtschaftszweige weiterentwickeln würde. Sie Jetzt heißt es, tatsächlich die Chance auch beim wirkt in vielen Bereichen und fungiert durch die Schopfe zu packen und hier klar in die Vorreiter- enge Vernetzung der Wissenschafts- und Wirt- schaft zu kommen, bevor andere dorthin kommen. schaftsbereiche als Innovationsmotor. Damit ist sie häufig Vorreiter in der Entwicklung und Erprobung Die Kollegen unserer Landtagsfraktion in Nieder- von Technologien. sachsen haben zu diesem Thema eine Anfrage ge- stellt. Die Niedersächsische Landesregierung ist Wissenschaftliche Erkenntnisse, Wirtschaftswachs- weit davon entfernt, die hat dafür im Moment keine tum und Wettbewerb sind die Folge. Doch auch der Ambitionen. Das ist die Chance für uns, als Bun- Klimaschutz spielt bereits eine herausragende desland hier in Vorreiterschaft zu kommen. Wie Rolle. Auch hier konnte die Raumfahrt den Nach- hoch sind die Kosten dafür? Man spricht davon, haltigkeitsaspekt stärken. Erdbeobachtung, Wet- dass Initialkosten von 20 bis 30 Millionen Euro nö- tervorhersagen, die Klima- und Umweltforschung, tig sind, von denen der Bund hoffentlich einen die städtische Raumplanung, Smart Cities, effizi- Großteil der Finanzierung übernimmt, und dann ente Landwirtschaft und ein ressourcenschonender soll der Betrieb privatwirtschaftlich organisiert Umgang sind aus dem All mit zu beeinflussen. sein. Begreifen wir diese Ausmaße der genannten As- Insofern wird es auch nicht zu einer großen finan- pekte, wird deutlich, warum das All neben Land, ziellen Belastung für das Land kommen. Deswegen Luft, Meer und Cyber von der Nato zum fünften ist es umso mehr wichtig, hier ganz deutlich zu sa- Operationsgebiet erklärt wurde. Dieses fünfte Ope- gen, ein Weltraumbahnhof in der Nordsee, das rationsgebiet sehen wir als besonders schützens- wollen wir, das bringt Zukunft, das bringt Techno- wert an. Aufgrund der Bedeutung der Daten gilt es, logie in unser Bundesland, das bringt unser Bun- diese vor Angriffen zu schützen, aber auch den Zu- desland voran. gang zu ihnen zu sichern.

Deswegen erwarten wir vom Senat auch klare Aus- Wir machen uns 2020 auf den Weg, diesen Zugang sagen, dass das Zukunft ist, Zukunft für unser Bun- zum All in Form eines Weltraumbahnhofs an der desland, Zukunft für Bremen und Zukunft für Bre- Nordsee zu schaffen. 460 Kilometer von Bremer- merhaven. – Vielen Dank! haven entfernt sollen Raketen ins All starten. Bre- merhaven erkoren wir als Versorgungshafen aus, 1766 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

von dem aus die Raketen auf See gebracht werden. für einen Weltraumbahnhof flexibel nutzbar und si- Die Entscheidung fiel nicht schwer. cher.

Wir brauchten einen europäischen Zugang zum All Wir schreiben das Jahr 2040: Die globale Raum- um wettbewerbsfähig zu bleiben. Mit Ariane 5 so- fahrtindustrie ist um mehr als das Dreifache ge- wie der Vega-Rakete gab es bereits mittelgroße wachsen. Wir sind nun ein Teil des Ganzen und das und große Träger, die Ariane 6 und die erste Trä- Land Bremen, mit den Städten Bremen und Bre- gerrakete von OHB standen kurz vor dem Start. Mit merhaven, der wichtigste Standort der deutschen der laufenden Entwicklung und dem Trend hin zu Weltraumindustrie. Die Beschäftigungs- und Ein- immer kleiner werdenden Trägerraketen, konnten wohnerzahlen in Bremen und Bremerhaven wach- wir mit dem Weltraumbahnhof in der Nordsee das sen. Die Zuliefererindustrie floriert, Fachkräfte aus gesamte Trägerportfolio abrunden und uns von der ganz Europa kommen, um für Institute und Unter- internationalen Konkurrenz, unter anderem in den nehmen bei uns vor Ort zu arbeiten. – Vielen Dank! USA, Russland, China und Kourou in Südamerika, dessen Weltraumbahnhof insbesondere von euro- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) päischen Ländern genutzt wird, abheben. Präsident Imhoff: Als nächster Redner erhält das Neue Anwendungsfelder rund um den New Space Wort der Abgeordnete Tebje. sowie die gut gerüstete deutsche Industrie lieferten ebenfalls den entscheidenden Vorsprung. Gut auf- Abgeordneter Tebje (DIE LINKE): Sehr geehrter gestellte Unternehmen, Start-Ups sowie die Wis- Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! senschaft und Forschung zeigen Expertise und In- Weil uns ja auch Leute außerhalb der Bürgerschaft novationskraft „Made in “. Wie Sie sehen, zuhören, will ich es noch einmal ganz deutlich sa- gab es gute Gründe für einen Weltraumbahnhof in gen: Niemand will einen Weltraumbahnhof in der der Nordsee und es gab noch weitere gute Gründe. Nordsee bauen! Ein Weltraumbahnhof, der einen eigenständigen Versorgungshafen benötigt, ist Selbstverständlich spielten dabei auch geografi- dort nicht geplant, und die Realität sieht ja auch et- sche Faktoren eine wesentliche Rolle, denn es was anders aus, und das hat, glaube ich, Herr Prof. konnte sichergestellt werden, dass keine besiedel- Hilz ja auch gerade schon dargestellt. ten Gebiete überflogen werden mussten. Entschei- dend waren aber vor allen Dingen folgende As- Es geht wahrscheinlich darum, dass Errichter- pekte: Deutschland war weltweit einer der führen- schiffe oder ein anderweitiges Schiff, das auch als den Hersteller von Satelliten und hatte eigene Be- Plattform für Starts von Mikrolaunchern dienen darfe zur Nutzung. Vorhanden waren bereits ei- kann, entsprechend umgerüstet wird. Es ist auch nige Mikrolauncher-Firmen, die in Deutschland schon berichtet worden, dass es momentan in der ansässig waren, die maritime Expertise sowie die Diskussion nicht um große Trägerraketen geht, Infrastruktur und der Platz. sondern um Miniraketen, die Lasten von weniger als einer Tonne tragen. Das wurde ja auch schon Das Land Bremen als Weltraumstandort war bereits gesagt, momentan scheint die Diskussion auf prädestiniert, der Weltrumstandort in Deutschland Schiffe hinauszulaufen, die als Vorzugsvariante ge- zu werden. Firmen, wie OHB oder die Airbus handelt werden. Damit gibt es aber keine dauer- Group konnten wichtige Erkenntnisse liefern, hafte Plattform, die regelmäßig versorgt werden kannten den Markt und das Wirtschaftsumfeld. In- muss, sondern momentan rechnet man mit – wir dustrie und Produktion waren im Land Bremen vor- sind im Forschungsbereich – wenigen Starts, die handen, hinzu kamen die hohe Kompetenz im ma- demnächst kommen könnten, wenn das positiv vo- ritimen Bereich durch den Werften- und Energie- rangeht. standort Bremerhaven. Die Erwartung, dass aus einer solchen Abschuss- Doch auch der Wissenschaftsbereich war ein ent- vorrichtung große Impulse für die Hafenentwick- scheidender Player vor Ort – die Universität, die lung hervorgehen, ich glaube, davon sind wir – die Hochschulen und zahlreichen Institute mit ihren Kollegin hat ja eine sehr weite Vision aufgezeich- einzigartigen Forschungsausrichtungen. Ansässige net – noch wirklich sehr weit entfernt. Das heißt Institute aus der Fraunhofer-Gesellschaft oder des aber nicht, dass wir an einer solchen Entwicklung DLR waren ebenfalls bereits in Bremerhaven und nicht erhebliches wirtschaftliches Interesse haben Bremen zu Hause. Schwimmende Plattformen oder sollten. Die Entwicklung von Satelliten und zu- Spezialschiffe hatten sich etabliert. Sie waren auch Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1767

künftig auch möglichst ökologischen Raketenträ- Auch dafür wäre es ein wichtiger Impuls, wenn sich gern, um Mikrosatelliten auch mit Mikrolaunchern tatsächlich auch die Abschussmöglichkeit in unmit- ins All zu schicken, ist für unsere Gesellschaft und telbarer Nähe hier in Bremen befinden würde. Eine erst recht für uns als Luft- und Raumfahrtstandort Offshoreplattform im Sinne einer umgerüsteten von enormer Bedeutung. Auch Telekommunika- Bohrinsel oder Ähnliches wird es aber nicht wer- tion, Internet, Wetter- und Klimaforschung und vie- den. Das Wirtschaftsressort hat sich bereits positiv les mehr sind ohne neue, leistungsfähigere Satelli- auf die Initiative eines solchen Mini-Weltraum- tentechnik nicht mehr denkbar. Bislang werden bahnhöfchens, so will ich es einmal nennen, bezo- kleine Satelliten oder Vorrichtungen für Experi- gen und wird sich auf der Bundesebene weiter da- mente meistens huckepack in die Atmosphäre be- für einsetzen, dass es hierherkommt, und das ist fördert. Das heißt, sie werden bei ohnehin stattfin- auch genau richtig so. denden großen Weltraummissionen mit an Bord genommen. Das Bild aber, das Sie hier in der Aktuellen Stunde von dem vermitteln, das da kommt, geht, glaube Das ist natürlich ein sehr unflexibles System. Dabei ich, doch ein bisschen an der Wirklichkeit vorbei. – entwickelt sich seit einigen Jahren die Technolo- Ich danke für die Aufmerksamkeit! gie, sehr kleine Raketen von eigenen Abschuss- rampen zu starten, sodass der Zeitpunkt und die (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) Richtung vom Auftraggeber frei bestimmt werden können. Nur deshalb kommt ein Startpunkt wie Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat der Ab- etwa die Nordsee überhaupt infrage, weil für solch geordnete Herr Raschen das Wort. kleine Raketen die Nähe zur Produktion des Equipments wichtiger ist als eine Abschussposition Abgeordneter Raschen (CDU): Sehr geehrter Herr am Äquator. Bislang finden weltweit wenige 100 Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, solcher kleinen Satellitentransporte pro Jahr statt, liebe Gäste! Ich freue mich, dass die FDP dieses für aber man rechnet damit, dass sich dieser Markt er- Bremerhaven und das Land Bremen sehr wichtige heblich ausweitet. Thema heute Morgen in die Aktuelle Stunde ein- gebracht hat. Mit Unterstützung der Bundesregie- Wir wollen, dass Deutschland und vor allem auch rung kann und muss sichergestellt werden, dass Bremen sich an die innovative Spitze dieser Ent- Bremerhaven der Basishafen für den deutschen wicklung setzen. Die EU fördert bereits solche Vor- Startplatz für die Mikrolauncher in der Nordsee haben im Rahmen von Horizon 2020, nämlich das wird. ALTAIR-Projekt. Deshalb unterstützen und beglei- ten wir auch diese Möglichkeit, dass Mikrolaun- Im September 2019 hat der Bundesverband der cher von der Nordsee aus starten können, aus- Deutschen Industrie e. V. die Bundesregierung auf- drücklich. Dabei und damit wollen wir natürlich gefordert, in Deutschland einen privaten Welt- auch unsere Bremer Raumfahrtindustrie sowie un- raumbahnhof zu schaffen. In der Forderung an die sere Häfen unterstützen. Bremerhaven verfügt aus Bundesregierung ist die Förderung zur Schaffung meiner Sicht über die besten Voraussetzungen und einer Trägerrakete für kleine Nutzlasten enthalten. das notwendige Know-how für notwendige Vorbe- Die mobile Startplattform soll privatwirtschaftlich reitungsmontagearbeiten in direkter Hafennähe. betrieben werden, nur beim Bau des Raketenstart- platzes in der Nordsee wird öffentliche Hilfe vom Vor allem haben wir mit OHB einen Akteur hier, Bund gefordert – bei diesem Potenzial ist es aber der bereits in die Entwicklung solcher Mikrolaun- gut angelegtes Steuergeld. chersysteme investiert, sodass wir die Chance ha- ben, unsere Position als Forschungs- und Entwick- Im erdnahen Orbit werden in den nächsten Jahren lungsstandort voranzubringen. Das ist ja ein we- 12 000 Satelliten – ich habe da eine andere Zahl re- sentliches Interesse, das wir im Luft- und Raum- cherchiert – entstehen, um zum Beispiel Digitalisie- fahrtbereich haben, dass wir als Standort tatsäch- rung mit einem weltweiten Internet zu ermögli- lich eine aktive Rolle in der Technologieentwick- chen. Gerade im ländlichen Bereich, auch in lung spielen. In den letzten Jahren sind sehr viele Deutschland, ist die Versorgung mit dem heute so Start-ups entstanden, die sich mit der Nutzung von wichtigen Internet immer noch sehr unbefriedi- Satellitendaten für alle möglichen Anwendungen gend. Das Verlegen von zusätzlichen Leitungen befassen. wird noch viel Zeit brauchen, die wir aber bei der weiteren Entwicklung der Digitalisierung nicht ha- 1768 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

ben. Hier gilt es, die Chance einer erheblichen Ver- für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit in unse- besserung der Versorgung mit dem Internet über rem Land und damit auch ein Indiz für den einhei- Satelliten zu nutzen. mischen Arbeitsmarkt.

Wenn die Bundesregierung den Weltraumbahnhof In der letzten Aufsichtsratssitzung der BIS hat der mit circa 30 Millionen Euro finanziert, sind in zwei Geschäftsführer Herr Schnorrenberger dieses Pro- Jahren die ersten Starts möglich. Dies sind sehr am- jekt sehr umfangreich vorgestellt und den Mitglie- bitionierte Ziele und erfordern einen schnelle Be- dern die Chancen für Bremerhaven erläutert. Die schlussfassung. Wenn wir jetzt wieder in einen lan- Seestadt Bremerhaven, Magistrat und Stadtverord- gen quälenden Diskussionsprozess einsteigen, nete wollen, dass wir uns als zentraler Logistik- und werden sich die betroffenen Firmen andere Stand- Basishafen für einen möglichen Offshoreweltraum- orte auf der Welt suchen und die Arbeitsplätze ge- bahnhof in der Nordsee positionieren und dafür ist hen hier, am Standort Bremen und Bremerhaven, jetzt gekommen. verloren. Der BDI hat dem Bundeswirtschaftsministerium ein Deutschland ist ein führender Standort für die Ent- Konzept vorgestellt. Der Bundeswirtschaftsminister wicklung und den Bau der Mikrolaunchraketen. Es Herr Altmaier hat sich schon unlängst positiv zu liegt jetzt an der Landesregierung, in diesen Pro- diesem Projekt geäußert. Diese positiven Signale zess einzusteigen. Wir müssen gemeinsam mit dem aus dem Bundeshaushalt gilt es jetzt aufzunehmen BDI, der Bundesregierung und der Stadt Bremer- und weiterzuentwickeln und nicht in Diskussionen haven alle Möglichkeiten ausloten. Der BDI hat ge- zu ersticken. meinsam mit der Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung den Natürlich sind noch viele Details zu erarbeiten: Es Standort Bremerhaven untersucht. Aufgrund der muss sichergestellt werden, dass keine Teile der guten, vorhandenen Infrastruktur und dem Know- Verkleidung, die von der Rakete nach der Stufe how der ansässigen Firmen der Offshoreindustrie eins, nach dem Start abgeworfen werden in der wird Bremerhaven auch von der Bremerhavener Nordsee versinken. Diese Teile müssen geortet und Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadt- dann wieder geborgen werden. Auch der beste- entwicklung, BIS, als Basishafen ganz vorn gese- hende Schiffs- und Flugverkehr darf beim Start hen. selbstverständlich nicht gefährdet werden.

Die gezeitenunabhängigen Häfen und die sehr Nach meinem Kenntnisstand sollen die kleinen Ra- großen Schleusen sind eine gute Basis um die Tä- keten mit Wasserstoff angetrieben werden können. tigkeiten in den Häfen sicher durchführen zu kön- Natürlich gibt es weitere Möglichkeiten eine solche nen. Von unserem Hafen aus können die Schiffe Rakete mit anderen Ressourcen anzutreiben. Bei die Raketen an ihren Abschussplatz in die Nordsee der weiteren Planung sollte aber unser Augenmerk bringen. Selbstverständlich werden aber auch die auf dem Antrieb mit Wasserstoff liegen. Ein solcher Bremer Firmen von einem Weltraumbahnhof in der Antrieb würde sich hervorragend in den Aufbau Nordsee profitieren. Mit diesem Projekt kann die des Wasserstoffstandortes Bremerhaven integrie- Wirtschaft in Bremen und in Bremerhaven gestärkt ren. Ein Antrieb der Raketen mit grünem Wasser- werden. Bestehende Arbeitsplätze werden gesi- stoff aus den Offshorewindanlagen stellt einen chert und neue Arbeitsplätze können geschaffen CO2-neutralen Antrieb sicher. werden. Meine Damen und Herren, den Offshoreterminal Wir müssen uns positiv mit den Entwicklungschan- Bremerhaven haben Sie schon aufgegeben. Anders cen auseinandersetzen und dürfen das Projekt ist die Entnahme der Rücklagen des OTB für ihre nicht durch lange Diskussionsprozesse gefährden. aktuelle Haushaltsfinanzierung im Land Bremen Ob der Offshoreweltraumbahnhof kommt, ist keine nicht zu erklären. Gerade die letzte Fachmesse technische, sondern ausschließlich eine politische WINDFORCE in Bremerhaven vor wenigen Tagen Frage und die gilt es jetzt zeitnah zu klären. Tech- hat die Forderung nach dem OTB noch einmal sehr nisch ist die Realisierung eines Weltraumbahnhofs deutlich unterstrichen. Jetzt gefährden Sie mit ei- in der Nordsee kein Problem. Auch die benötigten ner unredlichen Diskussion über die Freigabe von Schiffe stehen schon jetzt zur Verfügung. Ein deut- Planungsmitteln für die Ertüchtigung des Contai- scher Weltraumbahnhof ist auch für den Wirt- nerterminals 1 bis 3 a die Zukunft unserer Häfen. schaftsstandort Deutschland ein wichtiger Hinweis Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1769

Für eine Zustimmung haben die Grünen der Koali- Meine Damen und Herren, die Bremerhavener Hä- tion eine letztmalige Weservertiefung abgerungen. fen sind leistungsfähig, und der Forschungsstand- Diese Entscheidung ist einfach nur falsch! ort Bremen und Bremerhaven sind bereit, auch die- ses Ziel, Bremen im Weltraum präsenter zu machen (Beifall CDU) und weitere Arbeitsplätze zu schaffen, entspre- chend voranzubringen. Uns ist aber wichtig, dass Solche Diskussionen gefährden den Standort Bre- wir auch die Rahmenbedingungen, unter denen merhaven immer wieder. Niemand kann heute sa- wir handeln, kennen. Die Bundesregierung schafft gen, was in der Zukunft benötigt wird. Wenn ich es seit Jahren nicht, ein Gesetz auf den Weg zu heute die Überschrift „Kein Wettlauf um die Rie- bringen, das für die Unternehmen, die in diesem sen“ in der „Nordsee-Zeitung“ sehe, dann bin ich Bereich tätig sind, die Rahmenbedingungen entsetzt von solchen Aussagen, dass wir den Wett- schafft. bewerb aufgegeben haben und ich hoffe, dass die Firmen und die Mitarbeiter im Hafen dieses Signal Meine Damen und Herren, wir brauchen Rahmen- erkennen und ihrerseits jetzt entsprechenden bedingungen in Europa und in Deutschland, damit Druck aufbauen. sich so ein Projekt wirklich lohnt, und wir Grünen werden immer darauf achten, dass die Klimafor- (Beifall CDU) schung, die wichtig ist, für die wir auch Satelliten brauchen, dass wir die so voranbringen, dass wir Sehr geehrter Herr Müller, reden Sie mit der Ha- möglichst wenig Emissionen bei diesem weiteren fenwirtschaft in Bremerhaven und überlassen Sie Verlauf in die Atmosphäre bringen. Das ist wichtig. dieses Thema nicht ihrem Bremer Kollegen, Herrn Wir stehen für Klimaschutz. Bücking. Sie sind Ausschussvorsitzender und ha- fenpolitischer Sprecher der Grünen. Setzen Sie sich (Beifall Bündnis 90/Die Grünen) für die Interessen Ihrer Stadt ein. Meine Damen und Herren, ich will hier auch beto- Weltweit gibt es Wachstum im Hafenumschlag, an- nen, dass wir Grünen für eine friedliche Nutzung ders sieht es in unseren Häfen aus. Seit Jahren ha- des Weltraums stehen. Wir wollen, dass entspre- ben wir deutliches Minuswachstum und diese Ent- chende Rahmenbedingungen gesetzt werden. Wir wicklung muss endlich beendet werden. Bremer- finden die Aufrüstung etwa von den USA falsch, haven braucht Arbeitsplätze im Hafen und es muss und wir sehen auch, dass neben den öffentlichen alles getan werden, dass der Hafen wieder ein und europäischen Projekten, neben den amerika- Wachstumsmotor für die Region Bremerhaven nischen Projekten immer mehr private Projekte wird. kommen. Das ist gut, aber wir brauchen entspre- chende Rahmenbedingungen. Die mediale Begleitung in den letzten Tagen und Wochen war bundesweit eher positiv gegenüber Deswegen diese Diskussion, die hier aufgemacht dem Weltraumbahnhof. Lassen Sie Bremerhaven wird, dass der Hafen in Bremerhaven nur dann nicht wieder im Regen stehen und nutzen wir ge- wettbewerbsfähig ist, wenn wir diesen Weltraum- meinsam die Chance. Ich hoffe auf ein positives bahnhof finden, das kann ich nicht unterstützen. Signal aus der Landesregierung! – Vielen Dank! Ich glaube, dass wir mit diesem Bahnhof eine Chance haben, Technologie voranzubringen, Inno- (Beifall CDU) vation voranzubringen. Ich glaube aber nicht, dass uns der Umschlag von einer Tonne Satelliten im Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort Hafen einen großen wirtschaftlichen Aufschwung der Abgeordnete Müller. bringt. Das sage ich Ihnen hier auch ganz deutlich.

Abgeordneter Müller (Bündnis 90/Die Grünen): Meine Damen und Herren, trotzdem ist es richtig, Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und diesen Weg zu beschreiten. Die Bundesregierung Herren! Ich fange einmal mit dem Kommentar von muss Rahmenbedingungen setzen, damit die Wirt- Herrn Raschen an. Ich kann Ihnen sagen, was die schaft entsprechend auch investieren kann. Es gibt Bremerhavener von uns Grünen erwarten, das ist in Europa mehrere Standorte, in Norwegen, in Ökonomie gepaart mit Klimaschutz, und dafür sor- Schweden, es soll in Schottland ein weiterer Stand- gen wir auch. ort gebaut werden. Es ist die Frage, ob Deutschland wirklich diesen Standort braucht, und Sie haben (Beifall Bündnis 90/Die Grünen) bisher die Frage auch noch nicht klar beantwortet, 1770 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

ob das Potenzial der deutschen Unternehmen, die Ich bin auch sicher, dass es sehr viel mehr Arbeits- die Raketen in den Weltraum zünden möchten, ob plätze in der Wirtschaft geben wird, wenn wir viel- dieses Potenzial wirklich ausreicht, noch einen zu- leicht von der Großen Koalition wegkommen und sätzlichen deutschen Standort zu schaffen. nach der Bundestagswahl etwas anderes erleben. Deshalb sind viele Chancen vorhanden. Die Bun- Wenn diese Fragen entsprechend beantwortet wer- desregierung kann dieses Weltraumgesetz ent- den, wenn wir auf ökologische Rahmenbedingun- sprechend erlassen, das hat sie seit Jahren ange- gen Wert legen, dann können wir mit Bremerhaven kündigt. Lassen Sie uns schauen, was passiert. Ich auch einen Versorgungshafen schaffen, dann sind bin sicher, dass Bremerhaven als Standort geeignet wir Grünen auch bereit, das entsprechend zu un- ist, die entsprechenden Aufgaben zu übernehmen. terstützen. – Danke schön.

(Glocke) (Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Präsident Imhoff: Herr Abgeordneter Müller, wür- Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin hat das den Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Buh- Wort Frau Senatorin Dr. Schilling. lert zulassen? Senatorin Dr. Schilling: Sehr geehrter Herr Präsi- Abgeordneter Müller (Bündnis 90/Die Grünen): dent, sehr geehrte Abgeordnete! Bremerhaven als Ja, immer gern. Versorgungshafen für einen Weltraumbahnhof in der Nordsee. Was tatsächlich zunächst nach ferner Abgeordneter Dr. Buhlert (FDP): Ist Ihnen be- Zukunft klingen mag, sind im Hinblick auf den kannt, wo das Zentrum der kleinen Satellitenpro- Standort in der Nordsee aber auch die Vorausset- duktion in Deutschland liegt und welche Bedeu- zungen, die unsere Seestadt Bremerhaven und das tung es für das entsprechende Bundesland hat? Land Bremen sowohl als Hafen- und Logistik- aber auch als Luftfahrt- und Raumfahrtstandort aufwei- Abgeordneter Müller (Bündnis 90/Die Grünen): sen können, für mich mehr als naheliegend. Ja, in Bremen und in Baden-Württemberg gibt es auch Start-ups. Natürlich weiß ich das, ja. Die Nordsee eignet sich geografisch sehr gut für die Verbringung von kleinen Satelliten in soge- Präsident Imhoff: Würden Sie eine weitere Frage nannte polare und sonnensynchrone Orbits, weil zu von Herrn Dr. Buhlert zulassen? keinem Zeitpunkt Landflächen oder gar Ballungs- räume überflogen werden müssen. Beide Orbits Abgeordneter Müller (Bündnis 90/Die Grünen): gewinnen außerdem für kommerzielle und wissen- Nein, ich will das gleich weiter ausführen. Die schaftliche Anwendungen zunehmend an Bedeu- deutsche Bundesregierung hat Rostock, Nordholz tung. Ein Startplatz für kleine Trägerraketen mit ei- und diesen Offshorestandort in Erwägung gezo- ner Nutzlast von bis zu einer Tonne, sogenannte gen, um dort zu investieren und eine Infrastruktur Mikrolauncher, ist zudem eine sinnvolle Ergän- voranzubringen. Gleichzeitig muss die Frage er- zung innerhalb der europäischen Raumfahrtland- laubt sein, was ökologisch vertretbar ist. Es ist na- schaft. türlich eine Frage, die gutachterlich geklärt wer- den muss, ob es besser ist, in der Nordsee Raketen Mikrolauncher stehen nicht in Konkurrenz zu an- starten zu lassen als am Festland. Diese Frage muss deren Trägerraketen wie beispielsweise der Ariane geklärt werden, und es muss auch genug politi- 6, die mit einer Kapazität von 22 Tonnen ein ganz scher Raum dafür vorhanden sein, das entspre- anderes Marktsegment bedienen. Ein Weltraum- chend auch zu tun. bahnhof in der Nordsee würde Just-in-Time-Ver- bindungen aus Europa ins All ermöglichen und da- Meine Damen und Herren, wir werden die weitere mit zur strategischen Souveränität Europas in der Diskussion zu diesem Standort beobachten. Wir Raumfahrt beitragen. Ich freue mich deswegen wollen als Grüne unseren Beitrag leisten. Es muss sehr über die Initiative des Bundesverbandes der aber auch klar sein, dass politische Diskussionen Deutschen Industrie e. V., der sich für eine deut- nicht generell dadurch verkürzt werden können, sche Startmöglichkeit in der Nordsee einsetzt. dass man nur über Arbeitsplätze insgesamt spricht. Die Arbeitsplätze werden nur dann kommen, wenn Von Stakeholdern in der maritimen Branche und die entsprechenden Rahmenbedingungen vorhan- der Luft- und Raumfahrt wird diese Initiative eben- den sind. falls begrüßt. Der Senat ist von Anfang an in die Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1771

Überlegungen eingebunden gewesen und wir ha- Wir müssen uns natürlich klarmachen, dass wir es ben über die BIS Bremerhavener Gesellschaft für in jedem Fall zunächst mit einem Entwicklungspro- Investitionsförderung und Stadtentwicklung mbH jekt zu tun haben, welches durch einen hohen For- unlängst die bereits angesprochene Machbarkeits- schungsanteil geprägt ist. Das freut mich als Sena- studie in Auftrag gegeben, die Bremerhaven – auch torin für Wissenschaft und Häfen natürlich beson- das ist hier schon klar geworden – als geeigneten ders. Auch diese Erkenntnis spricht für den Stand- Basishafen und Logistikzentrum für das Projekt ort Bremerhaven und das Land Bremen. Die Clus- Weltraumbahnhof identifiziert hat. ter der maritimen Wirtschaft und Logistik, die Luft- und Raumfahrt sowie die Offshorewindindustrie in Diese Studie ist bereits mit dem Bundesministerium unserem Bundesland bilden ein hochgradig ver- für Wirtschaft und Energie erörtert worden. Ge- netztes und innovationsfreudiges Kompetenznetz- meinsam wurden die nächsten Schritte festgelegt, werk an Unternehmen und Forschungseinrichtun- die für eine Realisierung zu bearbeiten sind. Dazu gen. gehören neben den technischen und finanziellen Aspekten auch naturschutzfachrechtliche und ge- In diesem besonderen Innovationsklima ist die Um- nehmigungsrechtliche Fragestellungen. Ich kann setzung eines solch ambitionierten Projekts nicht Ihnen versichern, nach deren Klärung werden wir nur möglich, sondern erfolgversprechend. Für den zügig und gemeinsam mit der Bundesregierung in bremischen Wissenschaftsstandort und insbeson- eine Entwicklungs- und Realisierungsebene eintre- dere für den Forschungs- und Transferschwer- ten. punkt Luft- und Raumfahrt birgt ein solcher Welt- raumbahnhof in der Nordsee vielfältige Möglich- Unsere Seestadt Bremerhaven bietet sich aus ver- keiten für anwendungsbezogene Forschung und schiedenen Gründen als zentraler Hafen- und Lo- eine Menge Synergieeffekte. gistikstandort für den Weltraumbahnhof an. Die Bremerhavener Infrastruktur verfügt über große ti- Für das Land Bremen insgesamt und insbesondere deunabhängige Hafenareale und hat damit die für Bremerhaven bietet diese Idee vielfältige Chan- besten Voraussetzungen für eine gefahrlose und cen und Entwicklungspotenziale, die es unbedingt effiziente Durchführung von Verladetätigkeiten – das sage ich an dieser Stelle ganz deutlich – wei- und Logistik. Der Zugang zu diesen Hafenarealen terzuverfolgen und zu nutzen gilt. über die Nordschleuse und die Kaiserschleuse ist zudem mehr als ausreichend dimensioniert. An (Beifall CDU, FDP) Land existieren genügend Flächen zur Vorberei- tung der Raketenmissionen in Hallen und unter Auf der Grundlage der Machbarkeitsstudie wird freiem Himmel. der Vorschlag des BDI derzeit ernsthaft geprüft. Deswegen begrüße ich die von der Fraktion der Die Hafenflächen unterliegen zudem dem Interna- FDP mit dieser Aktuellen Stunde angeregte De- tional Ship and Port Facility Security Code und sind batte. Sie gibt uns gemeinsam die Möglichkeit, den dadurch in besonderer Weise gesichert. Wir haben für so ein Vorhaben notwendigen politischen Dis- in Bremerhaven in den letzten 20 Jahren viele Er- kurs in unserem Bundesland anzuregen und unse- fahrungen in der Planung, im Bau und im Betrieb rem Interesse an dem vielversprechenden Projekt von Offshorewindparks gesammelt. Dieses Know- nachdrücklich und auch öffentlichkeitswirksam how ist relevant für die Logistik, die für den Betrieb Ausdruck zu verleihen. Ich kann Ihnen versichern, eines Offshoreweltraumbahnhofs in der Nordsee dass wir die Initiative des BDI weiterhin unterstüt- notwendig ist, und kann dementsprechend hierfür zen und uns im Gespräch mit dem BMWi und den genutzt werden. beteiligten Projektpartnern mit aller Kraft einbrin- gen werden. Für die bereits vorhandene maritime und schwer- lastgeeignete Infrastruktur bietet sich die erfreuli- Wir werden uns für den Standort Bremerhaven als che Chance auf eine erweiterte Nutzung und Wert- zentralen Basishafen und als Logistikzentrum für schöpfung. Weiterhin prägen eine Vielzahl von Lo- einen Weltraumbahnhof in der Nordsee stark ma- gistik- und Serviceunternehmen sowie mehrere chen. – Ich danke Ihnen. Großschiffs- und Reparaturwerften den Standort und sorgen für ein umfangreiches Portfolio an mög- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) lichen, auch im Kontext mit dem Weltraumbahnhof relevanten, maritimen Dienstleistungen. Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Prof. Dr. Hilz. 1772 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Abgeordneter Prof. Dr. Hilz (FDP): Sehr geehrter Zu sagen, na ja, die Effekte sind vielleicht nicht so, Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sehr ge- wie Sie sich das erträumen – –. Wir hoffen, dass hier ehrte Frau Senatorin, vielen Dank für die klaren am Standort in Technologie und Innovation inves- Worte und das eindeutige Bekenntnis zu diesem tiert wird und dabei hochqualifizierte, gut ausge- Offshoreweltraumbahnhof. Unsere Unterstützung bildete und viele Arbeitsplätze entstehen. – Vielen ist Ihnen bei Ihrem Vorhaben sicher. Dank!

(Beifall FDP) (Beifall FDP)

Gemeldet habe ich mich zu den Ausführungen von Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort Ihnen, Herr Müller. Das muss man wieder sagen, der Abgeordnete Müller. das ist eine Rede gewesen aus der Kategorie zö- gern, zaudern und zerreden. Sie wollen immer Abgeordneter Müller (Bündnis 90/Die Grünen): möglichst viel für den Klimaschutz tun. Dazu brau- Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und chen Sie Satelliten. Sie haben die Forschungsland- Herren! Ich will das noch einmal deutlich machen: schaft, angefangen mit dem Alfred-Wegener-Insti- Wenn die Bundesregierung Haftung für Weltraum- tut, die über Satelliten Beobachtungen hinsichtlich projekte an Start-ups und so weiter weitergibt, was Eis, Meeresströmungen und Algenbildung ma- es so in Schweden, in Norwegen und in anderen chen. Das alles geht über Satelliten, diese müssen europäischen Ländern nicht gibt, dann ist das ein natürlich irgendwie auch in den Orbit kommen. genereller Standortnachteil für Deutschland. Das darf ich auf jeden Fall sagen. Dazu müssen sie heutzutage über weite Strecken transportiert werden. Wir sind ein Luft- und Raum- (Beifall Bündnis 90/Die Grünen) fahrtstandort, an dem nicht nur Satelliten gebaut werden, sondern OHB hat ganz klar erklärt, dass Dass wir in Bremerhaven mit einem Weltraum- sie hier, bei uns am Standort, auch die Trägerrake- bahnhof in Bezug auf Innovationen bessergestellt ten dazu bauen würden. Das ist etwas, was Produk- werden und das auch dem Klimaschutz dient, das tions- und Transportwege verkürzt und dazu führt, ist richtig, das unterstützen wir von der Fraktion dass CO2 eingespart wird. Wir sind im Bereich der Bündnis 90/Die Grünen. Ich will Ihnen aber sagen, Digitalisierung auf dem Gebiet des Verkehrs dabei, Herr Professor Hilz: Wenn Sie bei der Debatte in satellitengestützt Wege zu optimieren, Navigation der Deputation für Inneres über Landstrom lavie- minutenaktuell zu optimieren und auch so zur Ein- ren, dass sich das vielleicht nicht lohnen könnte, sparung von CO2 zu kommen. obwohl das klimafreundlich ist und wir der festen Überzeugung sein können, dass in 20, 30 Jahren Dann kommen Sie mit einer Rede: Na ja, aber viel- Landstrom der Standard sein wird, dann würde ich leicht, also wenn die Bundesregierung sich nicht mir bei Ihnen und der Fraktion der FDP wünschen, klar zur nachhaltigen Raumfahrt oder so bekennt, dass Sie sich bei Umweltthemen genauso einsetzen dann – –. wie beim Weltraum. – Danke schön!

Wir brauchen diese Satelliten, und sie werden ins (Beifall Bündnis 90/Die Grünen) All geschossen. Die Frage ist nur, von wo, und wir sind der Meinung: Von hier, aus Bremen und Bre- Präsident Imhoff: Meine Damen und Herren, wei- merhaven! tere Wortmeldungen zu dem ersten Themenbe- reich liegen mir nicht vor. (Beifall FDP) Wir kommen zum zweiten Thema der Aktuelle Vielleicht entstehen beim Umschlag im Hafen nicht Stunde. tausende Arbeitsplätze, aber alles, was dazu ge- hört: Es ist Speziallogistik, es ist viel Know-how ge- Flüchtlingscamps auf den griechischen Inseln fragt in den Bereichen Satellitentechnik, Raketen- evakuieren ─ Wir haben Platz! technik und im Bereich der Raketenstarts, das sind enorme Chancen. Es sind hochqualifizierte Ar- Dazu als Vertreter des Senats Herr Senator Mäurer. beitsplätze, die wir am Standort haben wollen, die wir halten wollen und die beide Städte, Bremen Frau Kollegin Leonidakis, Sie haben als erste Red- und Bremerhaven, sehr gut gebrauchen können. nerin das Wort. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1773

Abgeordnete Leonidakis (DIE LINKE): Sehr ge- kein Versagen, es ist es keine Willenlosigkeit. Es ist ehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kolle- genau so gewollt. Es ist gewollt, dass Moria welt- gen! Vergangene Woche, am 9. und 10. September, weit als Warnung Europas bekannt wird: Das er- hat Moria, Europas größtes Flüchtlingslager, lich- wartet euch, wenn ihr hierherkommt. Moria ist die terloh gebrannt. In diesen zwei Nächten legten die Abschreckung, und zur Abschreckung werden Flammen das Lager in Schutt und Asche. In diesen Menschen- und Kinderrechte geopfert und Men- zwei Nächten loderten Flammen, humanitär brennt schenleben riskiert. die Lage aber schon seit Jahren. Sie brennt, seit die EU Hotspots eingerichtet hat, die immer voller und Ich weiß noch, wie groß die Empörung war, als Herr voller wurden. Erdo an im März Geflüchtete mit Bussen an die Grenze brachte und Richtung Evros schickte. Da- Sie brennt, weil die Versorgungssituation seit Lan- mals ğschimpften alle, Herr Erdo an würde Men- gem so prekär ist, dass selbst das Wasser rationiert schen zum Faustpfand machen und als Spielball werden musste. Sie brennt, weil dort Kinder aus gegen die EU einsetzen. Das stimmt,ğ aber ist die EU Verzweiflung Selbstmordversuche begehen. Sie eigentlich besser? Werden Menschen hier nicht brennt, weil dort Menschen sterben. Sie brennt, auch als Faustpfand für eine zynische Abschre- seit Faschisten aus ganz Europa und Bürgerwehren ckungspolitik benutzt? Werden sie nicht zum Spiel- gegen Moria und die Geflüchteten mobilisieren. ball gemacht, wenn sie seit Jahren in großen Frei- Sie brennt, wenn die griechische Küstenwache ille- luftgefängnissen, denn nichts anderes kann man zu gale Pushbacks durchführt. Die Situation ist seit den EU-Hotspots sagen, eingesperrt werden? Langem so menschenverachtend, dass man nur sa- gen kann, es brennt schon sehr lange. Werden sie nicht entrechtet, hin- und hergescho- ben, wenn die griechische Küstenwache, wie neu- (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) lich sogar in der „New York Times“ berichtet, Ge- flüchtete in der Ägäis aussetzt und illegal Richtung Die Flammen selbst sind Ausdruck einer Katastro- Türkei zurückschiebt? Griechenland, die EU und phe mit Ansage, eine humanitäre Katastrophe, für auch die Bundesregierung haben mit dem Hotspot- die die EU und die Bundesregierung eine direkte System ein krankes System geschaffen, das auf Verantwortung tragen. Beide haben den Ort des Entrechtung, Internierung und Auslagerung von Feuers ausgewählt und sie haben stetig weitere Geflüchteten und dem Flüchtlingsschutz setzt. Ich Äste ins Feuer gelegt und sich dann an den Rand nenne explizit auch die Bundesregierung, denn es gesetzt und zugeschaut. Niemand, wirklich nie- war Angela Merkel, die 2016 auf goldenen Thro- mand kann heute sagen, dass das überraschend nen sitzend mit Herrn Erdo an das EU-Türkei-Ab- gekommen ist. Ganz Europa wusste, dass in Lagern kommen ausgehandelt hat. mit 2 800 Plätzen teilweise 20 000 Geflüchtete ein- ğ gepfercht waren. Ganz Europa wusste, dass die Es war die Bundesregierung, die am 8. März die Zelte dort im Schlamm versinken. Ganz Europa Aufnahme von 1 500 Geflüchteten aus Griechen- wusste, dass Schutzsuchende in Moria und den an- land versprach und bis heute nicht einmal 300 auf- deren Hotspots keinen Schutz finden, sondern genommen hat. In Bremen sind ganze fünf Perso- Elend, Hunger, Gesundheitsgefährdung, Gewalt nen angekommen, und das, obwohl wir wie andere und in Einzelfällen sogar den Tod. Bundesländer und 170 Kommunen in Deutschland gesagt haben: Wir haben Platz! Die aktive Tatenlo- Die EU-Hotspots sind eine Schande für Europa. Je- sigkeit der Bundesregierung und der EU sowie die der einzelne der 12 000 Menschen aus Moria, die menschenverachtende Politik der Nea Dimokratia jetzt am Straßenrand oder auf Friedhöfen schlafen, in Griechenland, wo im März sogar ein Geflüchte- ist das Versagen aller Verantwortlichen. Die 4 000 ter am Evros erschossen wurde, sind der Brandbe- Kinder, die ohne Unterkunft, Schule, sanitäre Ein- schleuniger dieses Feuers. richtungen auf der Straße schlafen, sie begraben die letzte Glaubwürdigkeit der Friedensnobel- Die griechische Regierung hingegen hat vor jedem preisträgerin EU. Hier werden kollektiv Menschen- Gerichtsurteil in den Geflüchteten die Brandstifter rechte mit Füßen getreten. identifiziert und bezeichnet sie als Menschen, die ihr Gastland nicht respektieren, so der Regierungs- Warum ist das so? Nicht etwa, weil die EU oder sprecher Stelios Petsas. Österreichs Innenminister auch die Bundesregierung es so sehr wollte, aber zum Beispiel sagt: Wer unsere Hilfsbereitschaft mit leider nicht geschafft hat. Es ist auch nicht so, dass Füßen tritt, kann nicht mit Schutz in Europa rech- es lediglich am Willen fehlen würde. Nein, es ist nen. 1774 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

(Abgeordneter Timke [BIW]: Wer regiert denn in hinnehmen wollen. Elisabeth Motschmann hat sich Österreich?) am Freitag sehr deutlich im Bundestag geäußert, und ich fordere Herrn Seehofer auf, die aufnahme- Da kann man nur sagen, das Asylrecht ist ein willigen Bundesländer nicht länger zu blockieren! Grundrecht, ebenso wie die Menschenrechte, und sie hängen nicht vom Wohlwollen ab, ganz abge- (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) sehen davon, dass man das, was in Moria und in anderen Hotspots auf Chios, Lesbos, Kos und Sa- Wir brauchen den Einsatz all derjenigen, die sich mos abgeht, wohl ganz bestimmt nicht als Hilfsbe- nicht damit zufriedengeben, zuzuschauen, sondern reitschaft bezeichnen kann. eine hiesige Verantwortung sehen, von der Seebrü- cke bis zu den 16 kritischen CDU-Bundestagsabge- (Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen) ordneten.

Wer wie die Zitierten jetzt von Erpressung spricht Der abschließende Hinweis sei mir noch gestattet: oder davon, dass die Geflüchteten undankbar Weder die Hilfe vor Ort noch Europa werden hier seien, der leidet, mit Verlaub, an Realitätsverlust im eine Lösung bringen. Die inzwischen 700 aufge- Endstadium. Auf der Demonstration hier vergan- bauten Zelte auf Lesbos sollen vermutlich ein Inter- gene Woche zur Aufnahme aus Moria wurde ge- nierungscamp werden. Die Menschen wollen nicht sagt: „We only enter the water when the sea is safer wieder in eine Hölle wie in Moria, und die Stim- than the land.“ Man gefährdet das eigene Leben mung auf der Insel, die ist vergiftet. Hilfsorganisa- und das Leben der Liebsten nur, wenn alles andere tionen werden an ihrer Arbeit gehindert, es gibt noch unsicherer ist. Übergriffe durch Polizei und Faschisten. Auch fast eine Woche nach dem Brand ist die Versorgung im- Selbst, wenn das Feuer gelegt worden sein sollte: mer noch katastrophal. Die Menschen haben Hun- Es wäre ein Ausdruck schierer Verzweiflung, weil ger und Durst, und sie schlafen nach wie vor auf Europa zuschaute, wie ein Camp mit 13 000 Men- der Straße. Einige Teile der Insel sind von der Poli- schen auf 2 800 Plätzen unter Komplettquarantäne zei abgeriegelt, und im abgeriegelten Teil sind die gestellt wurde, mit positiven Coronafällen, aber Supermärkte geschlossen. Auf Demonstrationen ohne Abstand, Hygiene und medizinische Versor- der Schutzsuchenden wurde mit Tränengas geant- gung! Das müssen wir uns doch vor Augen führen. wortet. Die Quarantäne hätte erst aufgehoben werden können, wenn das gesamte Camp mit allen erdenk- Was macht die griechische Regierung? Sie bringt lichen Folgen durchinfiziert worden wäre. Wasserwerfer auf die Insel. Wie schon im März 2020 kommt es zu Übergriffen durch Rechtsext- Das war vielen bis vor Kurzem herzlich egal, bis es reme und auch die Inselbevölkerung mobilisiert in- brannte. Am Freitag dann wollte Horst Seehofer zwischen massiv gegen Moria. Alle wollen, dass 150 unbegleitete Minderjährige aufnehmen. Ges- Moria evakuiert wird. Das wollen die Geflüchteten tern hat er dann angekündigt, bis zu 1 500 Geflüch- zuallererst. Die Inselbewohner wollen diese Situa- tete aufzunehmen. Für Bremen wären das dann tion nicht länger hinnehmen und eine Lösung des ganze 15 Personen. Ich sage einmal so: Wenn er in Streits, auch um das gemeinsame europäische der Logik weitermacht und in vier Tagen eine wei- Asylsystem, zeichnet sich ja nicht ab. tere Null anhängt, dann hat die Bundesregierung einen ernsthaften Beitrag zur Abhilfe in dieser hu- Wenn man sich vor Augen führt, wie verantwortli- manitären Notlage, in der 27 000 Geflüchtete in che Regierungschefs und -chefinnen aus der EU re- den Hotspots oder auf der Straße ausharren, geleis- agieren, dann, glaube ich, können wir nicht auf tet. eine Lösung auf europäischer Ebene warten. Nein, wir müssen jetzt handeln. Die Bundesregierung (Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen) muss handeln. Die Länder sind bereit, 170 Kommu- nen sind bereit. Wir wollen aufnehmen, wir haben Die Bremer Regierung ist jedenfalls bereit. Gestern Platz, und ich fordere die Bundesregierung und hat der Senat die Aufnahme von 100 Geflüchteten Herrn Seehofer auf, dem nicht länger im Weg zu beschlossen und wir befinden uns damit in guter stehen. – Danke schön! Gesellschaft mit anderen Landesregierungen. Auch das möchte ich nicht verschweigen. Selbst in (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) der CDU werden ja inzwischen Stimmen laut, die ein Nichts-Tun oder Zu-wenig-Tun nicht länger Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1775

Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin hat die Ab- üblichen Standards, ohne die Möglichkeit des Ein- geordnete Frau Görgü-Philipp das Wort. flusses auf einen Mitgliedsstaat, das muss der Ver- gangenheit angehören. Abgeordnete Görgü-Philipp (Bündnis 90/Die Grü- nen): Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) Kolleg*innen. Ich bin fassungslos über die Nach- richten und die Bilder, die uns täglich aus Moria er- Zeitweise lebten um die 20 000 Menschen in Moria, reichen. Sie machen mich traurig, vor allem wü- im September um die 13 000, und zwar in einem tend. Innerhalb der Europäischen Union spielt sich Camp, das für 2 800 Menschen ausgelegt war. Da- eine menschliche Tragödie ab. Wir dürfen nicht zu- von auszugehen, dass es ewig gut gehen würde, sehen, wie Menschen in Moria unter untragbaren war ignorant und fahrlässig, meine Damen und und menschenunwürdigen Zuständen leben. Wir Herren. brauchen jetzt dringend eine humanitäre Lösung. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass niemand un- (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) ter freiem Himmel schlafen muss, ohne jeglichen Schutz vor Übergriffen, Hitze und Corona. Dass die Menschen tagelang nach dem Brand ohne Essen, Trinken, Sanitäranlagen, medizinische Ver- Bereits im März dieses Jahres haben wir als Bremi- sorgung, Decken und Zelten schutzlos auf der sche Bürgerschaft die untragbaren Zustände auf Straße alleingelassen wurden, ist unfassbar für der griechischen Insel deutlich verurteilt. Wir ha- mich. Diese Abschreckungspolitik der griechischen ben den Senat aufgefordert, sich auf Bundesebene Regierung lehnen wir ab. Sie verstößt gegen die für eine Ausweitung des Kontingents für besonders Grundrechte der Flüchtlings- und Menschen- schutzbedürftige Geflüchtete einzusetzen. Außer- rechtskonvention. dem haben wir den Senat aufgefordert, selbst ein Landesaufnahmeprogramm zu entwickeln. Das Aktuell braucht es eine akute Hilfe, um die huma- wurde gestern beschlossen. Bremen macht den nitären Probleme durch schnelle und praktische Weg frei, um 100 Geflüchtete aus Moria aufzuneh- Unterstützung in den Griff zu bekommen. Es men. Ich bin sehr froh darüber. braucht eine politische Lösung vonseiten der EU. Statt einer Spaltung und Abschottung brauchen wir (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) ein entschiedenes Vorgehen aller EU-Staaten. Meine Kollegin Luise Amtsberg im Bundestag hat Seit Planung war klar, dass wir in einem größeren es schon treffend formuliert: Wir müssen jetzt hel- Rahmen helfen müssen. Der schreckliche Brand hat fen, versorgen und unterbringen. Ich sage dazu: uns das erneut deutlich vor Augen geführt, nicht Bremen ist bereit! Wir können und wollen Geflüch- nur uns, sondern ganz Europa. Seit Jahren warnen tete aus Moria aufnehmen. wir davor, dass Moria, aber auch andere Camps an den europäischen Außengrenzen überfüllt und die Unsere Strukturen bieten den notwendigen Platz. Zustände dramatisch sind, nicht erst seit der CO- Wir wollen nicht nur zusehen, sondern helfen. Das VID-19-Pandemie, die zu einer weiteren Verschär- Feuer in Moria führt uns vor Augen, dass Humani- fung der Lage geführt hat. tät an erster Stelle stehen muss. Es führt uns aber auch vor Augen, dass die Asyl- und Flüchtlingspo- Was sich hier abgespielt hat, das war eine Katastro- litik zu einer Bewährungsprobe der EU wird. Zwi- phe mit Ansage. Es war vorhersehbar. Menschen- schen abschotten und abschrecken auf der einen rechtsorganisationen berichten schon lange von Seite und der Aufnahmebereitschaft auf der ande- der prekären humanitären Situation in Moria und ren Seite scheint ein großes Tal zu liegen, welches Europa hat bedauerlicherweise nur zugesehen. Der von der Wertegemeinschaft der EU unberührt ist. Brand hat, so schrecklich er war, die EU aufge- Das macht mir große Angst und Sorgen. schreckt und die Asyl- und Flüchtlingspolitik end- lich wieder in Bewegung gebracht. Wir erwarten Gleichzeitig bin ich froh, dass die Bundesregierung gespannt die heutige Rede der EU-Kommissions- zur Koalition der Aufnahmewilligen gehört. Nach präsidentin zu diesem Punkt. neuesten Meldungen sollen rund 1 500 Geflüchtete in Deutschland aufgenommen werden. Ob diese Dass Europa wieder handlungsfähig werden muss, Zahl angesichts der verheerenden Lage allerdings ist offensichtlich. Weiterhin Menschen jahrelang in eine Erfolgsmeldung ist, bezweifle ich stark. völlig überfüllten Camps unterzubringen, ohne die (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) 1776 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Die Hilfsbereitschaft der Bundesländer und auch Menschen überfordert. Das Land fühlt sich, gut der zahlreichen Kommunen, vorhin hatte Frau Le- nachvollziehbar, mit all den daraus resultierenden onidakis gesagt, 172 Kommunen, sagt eindeutig: Problemen von der EU alleingelassen. Es sind eben Lassen Sie uns helfen! Lassen Sie uns nicht dabei nicht nur Griechenlands Flüchtlinge, sondern es zusehen, wie unsere europäischen Werte innerhalb sind die Flüchtlinge der EU. Es ist aber auch kein Europas verraten werden! Lassen Sie uns Men- Geheimnis: Griechenland wehrt sich teilweise auf schen aufnehmen! Wir haben Platz! dem Rücken der Flüchtlinge, und es steht zu Recht die Frage im Raum, wo all das EU-Geld geblieben (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) ist, das in den letzten Jahren vor dem Brand für eine menschenwürdige Unterbringung und Ver- Ich bin davon überzeugt, dass Deutschland bei der sorgung der Geflüchteten geflossen ist. Aufnahme von Geflüchteten deutlich vorangehen muss, damit andere Staaten sich anschließen und Auch die Annahme, dass die griechische Regie- wir aus der Blockadehaltung innerhalb der EU wie- rung mit den von ihr nicht aufgelösten menschen- der herausfinden. Als Sofortmaßnahmen schlagen unwürdigen Verhältnissen in Flüchtlingslagern wir Grünen, wie der Europa-Abgeordnete Erik weitere Menschen von einer Flucht auf die griechi- Marquardt, vor, Kreuzfahrtschiffe zu mieten statt schen Inseln abzuschrecken versucht, lässt sich über einen Wiederaufbau eines menschenunwür- nicht von der Hand weisen. Insgesamt aber, weil digen Camps zu sprechen. die Abläufe und Reaktionen sich einander bedin- gen, und weil die EU zuschaut, können wir Grie- Auf den Schiffen könnten die Kinder, Frauen und chenland nicht allein an den Pranger stellen, son- Männer geschützt vor den Übergriffen, Hitze und dern wir müssen von einem Versagen der europäi- Corona gut versorgt untergebracht werden, bis sie schen Verantwortungsgemeinschaft sprechen. Die- weiterreisen können. Das stellt für mich die einzige ses Versagen wiederum darf sich die EU aber nicht Lösung dar, wie so in Kürze eine Unterbringung leisten, weil es allem widerspricht, wofür sie ei- unter Berücksichtigung der Abstands- und Hygie- gentlich steht. neregeln ermöglicht werden kann. Das von der griechischen Regierung provisorisch errichtete (Beifall CDU, Bündnis 90/Die Grünen) Zeltlager stellt für mich keine menschenwürdige Alternative dar. Bremen kann und ist bereit, sofort Wie können wir zum Beispiel Rechtsstaatlichkeit in Menschen aufzunehmen. China für die Uiguren einfordern, wenn wir selbst Camps wie Moria tolerieren? Oder wie kann die EU Der desolaten humanitären Lage in Lesbos können unter solchen Bedingungen guten Gewissens über wir nur durch Solidarität und durch die Aufnahme ein europäisches Menschenrechtssanktionsregime und Unterbringung der Betroffenen begegnen. Ich nachdenken? Moria und viele weitere Flücht- sage zum Schluss: Wir haben den Platz, die Struk- lingscamps sind einfach bis heute eine Blamage für turen und das Ziel, zu helfen. Lassen Sie uns ge- unsere EU-Wohlstandsgesellschaft. Für 2 800 Men- meinsam helfen! Wir dürfen nicht lange zuschauen, schen ausgelegt, haben dort zum Schluss beinahe meine Damen und Herren. – Vielen Dank! 13 000 gelebt oder besser gehaust, Männer, Frauen, Kinder, Alte und Junge. (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) Dass Corona Flüchtlingscamps wie Moria zusätz- Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin hat das lich zum Pulverfass machen würde, war längst ab- Wort die Abgeordnete Frau Grönert. zusehen. Alle Kenner der Verhältnisse vor Ort ha- ben davor gewarnt, keiner kann behaupten, nichts Abgeordnete Grönert (CDU): Herr Präsident, gewusst zu haben. Die Katastrophe von Moria hat meine Damen und Herren! Wir alle wissen, die Ka- ganz sicher nicht erst mit dem Brand in der letzten tastrophe von Moria hat schon weit vor dem Brand Woche begonnen. Seit Jahren ringt die EU nun begonnen. Sie hat sich über Monate und Jahre hin- schon mit ihren 27 Mitgliedsstaaten um ein europä- weg verschärft und gipfelt jetzt in der Brandstif- isches Asylsystem, auch, um solche Verhältnisse tung. Wer aber die Schuld daran lediglich den wie in Moria zu verhindern. Doch bis heute ist die Brandstiftern zuschieben will, der verkennt das Entscheidung dafür trotz aller Bemühungen vorab Problem. fast immer auch durch unsere Bundeskanzlerin An- gela Merkel ausgeblieben. Griechenland ist schon lange mit der Unterbrin- gung und Versorgung der vielen geflüchteten Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1777

In dieser Situation jetzt aber schlicht zu fordern, der EU und die Fluchtbewegungen nicht aus dem dass der Innenminister seine Blockadehaltung auf- Blick verliert. Ich finde auch, dass es absolut richtig geben und den Bundesländern und Kommunen war, dass Angela Merkel sofort nach dem Brand eine eigenständige Flüchtlingsaufnahme erlauben und angesichts all der schrecklichen Bilder Kontakt soll, ist doch viel zu kurz gegriffen. mit dem griechischen Ministerpräsidenten Mitsota- kis aufgenommen und Unterstützung angeboten (Beifall CDU) hat.

Die Flüchtlingskatastrophe von Griechenland und So leisten wir jetzt Hilfe vor Ort und werden beson- auch von anderen EU-Ländern wird sich nicht ders verletzliche Geflüchtete von Griechenland durch eigenständige Aufnahmen in einzelnen aufnehmen. Wie viele, das verändert sich gerade Kommunen Deutschlands auflösen lassen. nahezu täglich. Wir müssen aber natürlich auch weiterhin eine menschenwürdige Versorgung aller (Beifall CDU) durch den Brand betroffenen Flüchtlinge einfor- dern, entweder in Moria oder tatsächlich woanders. Auch das gestern von der Bremer Koalition be- Der griechische Ministerpräsident indes trägt die schlossene Landesaufnahmeprogramm kann man Sorge vor, dass bei der direkten Übernahme einer zwar als gut gemeinte, sage ich einmal, Drohge- größeren Anzahl von Flüchtlingen womöglich wei- bärde in Richtung Horst Seehofer und Angela Mer- tere Brände in anderen Lagern nachfolgen könn- kel verstehen, aber den jetzt in Rede stehenden ten. Flüchtlingen von Moria können Sie damit nicht hel- fen. Es ist bislang nur ein Beschluss auf dem Papier, Ja, diese womöglich weiteren Brände sind zumin- und ob er jemals den Weg in die Praxis finden dest bis letzte Nacht nur eine Sorge, eine Vermu- kann, wird noch auf Bundesebene zu klären sein. tung. Gehört es nicht zu einer umsichtigen Hilfsak- tion und zur Verantwortung von Politikern dazu, Glauben Sie denn wirklich, dass Horst Seehofer die auch solche möglichen Entwicklungen mitzuden- eigenständige Aufnahme dieser Flüchtlinge durch ken und damit dann auch entsprechend umzuge- deutsche Kommunen blockiert, weil er meint, hen? Wie zugespitzt die Lage in Griechenland in- Deutschland könne keine 13 000 Menschen zusätz- zwischen ist, erkennt man auch daran, dass etliche lich verkraften, oder dass er einfach Spaß daran Flüchtlinge die Hilfe in einem nach dem Brand be- hat, der Böse zu sein? So ist es doch ganz sicher reits neu errichteten Camp aus verschiedensten nicht. 2015 hat Deutschland fast eine Million Men- Sorgen und Ängsten gar nicht annehmen wollen. schen aufgenommen. Viele wollen einfach nur weg von Moria und über- haupt von Griechenland weiter nach Nordeuropa, Die Bundesregierung erklärte im März dieses Jah- weil sie Sorge haben, für immer in den Lagern fest- res wegen der schwierigen humanitären Lage in zuhängen. Dazu kommt auch noch die berechtigte Griechenland, gemeinsam mit weiteren EU-Län- Sorge vor einer Ausbreitung von Corona. dern 1 000 bis 1 500 Kinder, die entweder behand- lungsbedürftig oder möglichst unter 14 Jahre alt Deutschland ist in den letzten Jahren noch weit un- und unbegleitet sein sollten, aufzunehmen. Leider ter der für die Flüchtlingsaufnahme selbst definier- ist die Umsetzung hier auch wegen Corona noch ten jährlichen Höchst- oder Obergrenze von unge- nicht sehr weit fortgeschritten. fähr 200 000 Personen geblieben. 2018 gingen beim Bundesamt circa 160 000 und 2019 nur noch Doch auch in den letzten Monaten hat Deutschland ungefähr 140 000 Asylerstanträge ein. Allein schon minderjährige Flüchtlinge aus Griechenland teil- deshalb geht es bei den Aufnahmen aus Moria weise mitsamt ihren Familien aufgenommen. Wir auch nicht einfach nur darum, ob wir ein paar Tau- können natürlich schneller werden, doch zumin- send Menschen mehr verkraften könnten. Das dest als Politiker muss man doch auch sehen und könnten wir. Wie bereits gesagt, ist es der Blick auf akzeptieren, dass es viele Faktoren, Zusammen- die Gesamtsituation, den wir bei aller Hilfsbereit- hänge und Folgemechanismen gibt, die man nicht schaft nicht verlieren dürfen. Angela Merkel und einfach ausblenden darf. viele weitere Politiker auch aus den anderen EU- Staaten stehen vor Fragen, die hier in Bremen nie- Auch, wenn mich das Reden und Tun von Horst mand beantworten muss. Seehofer nicht immer gerade begeistert, muss ich ihm doch zugutehalten, dass er das große Ganze berücksichtigt, die Wirkmechanismen innerhalb 1778 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Trotzdem eint uns ja der Wunsch, dass den Ge- denken und dem schnellen Einstreichen der Moral- flüchteten aus Moria dringend Hilfe und Perspek- prämie. Ich möchte, dass zu Ende gedacht wird, tive gegeben werden muss, obwohl über das Wie und deshalb schließe ich mich auch keiner der im und Wo und über Zahlen noch heftig diskutiert Überbietungswettbewerb einfach mit frei in den wird. Bei allen Fragen, auch nach Ursachen und Raum geworfenen Zahlen belegten Forderungen Schuld, dürfen wir aber diese Not leidenden Men- an. schen, darunter viele Frauen und Kinder, nicht in Geiselhaft nehmen für Probleme, von denen sie Ich gehe aber davon aus, dass Deutschland seine höchstwahrscheinlich selbst noch nie gehört ha- zugesagte Vor-Ort-Hilfe bereits in die Wege gelei- ben. tet hat, und ich setze auf enge Begleitung und wei- tere Absprachen, zumindest zwischen den willigen Viele Länder dieser Welt sind ein Stück weit ver- EU-Ländern und auch dem griechischen Minister- antwortlich, auch für das Desaster von Griechen- präsidenten. Sollte Deutschland in der nächsten land. Es ist eine große Aufgabe, sich auch über die Zeit doch noch eine höhere Zahl Flüchtlinge, als bis Bekämpfung von Fluchtursachen zu verständigen. jetzt anvisiert, aufnehmen, vielleicht, weil weitere Leider scheitert gerade dieser Einsatz aber immer EU-Länder mitziehen, dann würden davon in Bre- wieder auch am Machtwillen Einzelner in den men nach Königsteiner Schlüssel gut ein Prozent, Fluchtländern. So werden wir wohl auch zukünftig also jeweils zehn von Eintausend ankommen. nicht immer verhindern können, dass sich men- schenunwürdige Zustände so zuspitzen, dass wir So wäre das für uns der richtige Weg. Die EU darf ihnen nur noch aus der akuten Situation heraus be- sich nicht länger unsichtbar machen, und Deutsch- gegnen können, sowie es sich heute darstellt und land ist auch bereit für ein gemeinsames Asylsys- wie es auch in 2015 der Fall war. tem, meine Damen und Herren. Das bedingt natür- lich noch viel mehr, als jetzt Nothilfe zu leisten. Aber, alles, was wir tun, hat auch Folgen. 2015 hat Zum Beispiel gehört dazu auch eine zeitnah funk- das mehr als deutlich gezeigt. Es hat Folgen, die tionierende Bearbeitung von Asylanträgen, damit gerade Politiker möglichst immer zeitnah mit in für die Menschen schneller geklärt wird, wie und den Blick nehmen sollten. Gerade auch deshalb wo ihr Leben weitergehen kann. Natürlich, das finde ich es richtig, dass die Entscheidung über kann man in diesen Tagen nicht oft genug sagen, Flüchtlingsaufnahmen wie bisher beim Bund ver- deshalb zum Abschluss noch einmal, muss den bleibt und nicht den Bundesländern oder Kommu- Menschen von Moria jetzt geholfen werden. nen anheimgestellt wird. Mögliche Folgen, wie die Entlassung von EU-Ländern aus ihrer Verantwor- Wir streiten nicht über das Ob, sondern über das tung, ablehnende Reaktionen in unserem Land, Wo und über das Wie. – Vielen Dank! womöglich weitere Brandstiftungen, gefährliche Mittelmeerüberquerungen und auch die Situation (Beifall CDU) vor Ort in Griechenland selbst mit den Einheimi- schen, müssen mitgedacht werden. Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Timke. Die EU als Verantwortungsgemeinschaft muss wei- ter in die Pflicht genommen werden. Das aufzuge- Abgeordneter Timke (BIW): Herr Präsident, meine ben, käme einer Bankrotterklärung der EU gleich. Damen und Herren! Nach den verheerenden Brän- Es wird aber auch schon gar nicht mehr auf Ein- den im Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos vor einer stimmigkeit in der EU gewartet, sondern verstärkt Woche will die Bundesregierung nun 1 553 Flücht- auf die willigen Staaten gesetzt, die in dieser hu- linge aus 408 Familien sowie 150 unbegleiteten manitären Krise helfen wollen. Deutschland darf Minderjährigen den Weg nach Deutschland öffnen. aber nicht einfach allein einspringen, und deutsche 100 Flüchtlinge aus diesem Kontingent sollen nach Kommunen sollten schon gar keine Alleingänge dem Willen des Senats nach Bremen und Bremer- starten. Wenn Helfer ihre Stärke und Kraft mög- haven kommen. lichst lange erhalten wollen, dann müssen sie dafür auch mit Weitsicht Sorge tragen. Ich halte diesen deutschen Alleingang, der selbst von der griechischen Regierung nicht erbeten Ich bin davon überzeugt, es gibt keine einfachen wurde, für falsch, denn er führt zu einer Verschlim- Antworten und ich versuche auch nicht, welche zu merung des Flüchtlingsproblems. Nach allen bis- geben. Es ist und bleibt eine Zwickmühle zwischen her vorliegenden Erkenntnissen ist ja davon auszu- – wie jemand gerade im Spiegel schrieb – zu Ende Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1779

gehen, dass die Lagerbewohner des Flücht- ungerechtfertigte Privilegierung einiger Flücht- lingscamps Moria selbst den Brand gelegt haben. linge und damit eine Klassifizierung von Flüchtlin- Dafür spricht auch, dass glücklicherweise kein La- gen erster und zweiter Klasse schafft. gerinsasse dabei getötet und nur sehr wenige Flüchtlinge bei dem Brand leicht verletzt wurden. Was glauben Sie aber, welche Wirkung die Ver- Offenbar sind die Bewohner der Unterkünfte vor- bringung von Flüchtlingen nach Deutschland auf her von den Brandstiftern informiert worden. die restlichen etwa 13 000 im Lager Moria verblei- benden Personen hat, von denen die Mehrheit (Zuruf Abgeordnete Aulepp [SPD]) ganz offensichtlich ja auch nach Deutschland will? Sie werden in dem geglückten Erpressungsversuch Darüber hinaus sind die Feuerwehrleute bei dem die Chance sehen, vielleicht in einem zweiten, viel- Versuch, die Brände zu löschen, und die Rettungs- leicht in einem dritten Kontingent nach Deutsch- kräfte angegriffen und Rettungsfahrzeuge beschä- land zu kommen. Um sich bemerkbar zu machen, digt worden. Auch das ist ein Indiz dafür, dass es um sich erneut Gehör bei der Weltöffentlichkeit zu den Bewohnern des Camps nicht um schnelle Hilfe verschaffen, werden sie wieder anfangen, ihre Un- und Schadensbegrenzung, sondern um die syste- terkünfte anzuzünden. Diese Kettenreaktionen, matische Vernichtung der Unterkünfte ging. Das meine Damen und Herren, die übrigens nicht nur Ziel der Brandstifter ist deutlich. Ein Teil der in den Flüchtlingslagern in Griechenland, sondern Flüchtlinge – zugegeben, nicht alle – wollten mit auch in Italien entstehen würden, können aber we- der Brandlegung den Weg nach Mitteleuropa frei- der im Interesse Deutschlands oder Griechenlands pressen. noch im Interesse der restlichen Staaten Europas sein. So sieht es auch die griechische Regierung, die am Montag noch einmal klarstellte, ich zitiere: „Die Ich halte es daher für äußerst gefährlich, ungebeten griechische Regierung lässt sich nicht erpressen. Es – denn die griechische Regierung hat die anderen besteht kein Zweifel, dass Moria von einigen hy- EU-Staaten in dieser Frage nicht um Hilfe ersucht peraktiven Flüchtlingen und Migranten verbrannt – hier eine Sonderrolle einzunehmen und Flücht- wurde, die die Regierung erpressen wollten, indem linge nach Deutschland zu holen. Meine Damen sie Moria niederbrannten und ihre sofortige Um- und Herren, gestern ist ein erster Hilfskonvoi des siedlung von der Insel forderten.“, Zitatende. Technischen Hilfswerks mit über 1 400 Feldbetten, Meine Damen und Herren, so tragisch die Ereig- über 40 Zelten, 400 Schlafsäcken und 400 ISO-Mat- nisse auf der griechischen Insel Lesbos auch sind, ten in Athen angekommen. Ein zweiter Hilfstrans- Europa darf sich nicht erpressen lassen und in der port wird in Kürze von Rosenheim aus starten mit Frage der Aufnahme und Verteilung von Flüchtlin- 9 500 Schlafsäcken, 2 500 Decken und 450 Fami- gen erst recht nicht. lienzelten.

Deutschland darf nicht im Alleingang Flüchtlinge Das ist die Hilfe, die dringend benötigt wird, um die aufnehmen, weil es eine Sogwirkung entfalten Lebensbedingungen der Flüchtlinge auf Lesbos würde, die unkalkulierbar wäre. Natürlich ist es für schnellstmöglich zu verbessern. Hilfe vor Ort an- Deutschland kein echtes Problem, 1 550 Flücht- statt einer Symbolpolitik, die eine neue Flücht- linge aufzunehmen. Sie würden bei den zurzeit lingswelle nach sich ziehen und das Fluchthelfer- monatlich etwa 7 000 bis 10 000 neu gestellten tum begünstigen wird und darüber hinaus erneut Asylanträgen statistisch auch nicht ins Gewicht fal- zum Brandstiften einlädt, ist das Gebot der Stunde. len. Es ist aber das fatale und falsche Signal, das von diesem deutschen Sonderweg ausgeht, denn (Glocke) es offenbart, dass man sich dem Druck der Flücht- linge auch selbst dann beugt, wenn das Druckmit- Außerdem ─ ich komme zum Schluss, Herr Präsi- tel aus strafbaren Handlungen besteht. dent. Außerdem, und darauf hatte Frau Grönert ge- rade hingewiesen, ist dringend zu prüfen, warum Die Botschaft an die Flüchtlinge kann doch nicht die von den EU-Mitgliedsstaaten gezahlten Hilfs- ernsthaft sein: Je krimineller deine Handlung, mit güter nicht auf Lesbos angekommen sind. – Vielen der du dich und andere auf dich aufmerksam Dank für Ihre Aufmerksamkeit! machst, desto größer die Chance für dich, nach Deutschland zu kommen. Einmal ganz abgesehen Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort von der Frage, wie man dann vermutlich willkür- der Abgeordnete Herr Jürgewitz. lich 1 550 Personen aussuchen will und damit eine 1780 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Abgeordneter Jürgewitz (AfD): Herr Präsident, Flüchtlingen über die lebensgefährliche Brandstif- meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir in tung gefragt und recherchiert, Zitatende. Dabei be- Deutschland, wir in Europa haben keinen Platz. stätigt ebenfalls am Donnerstag der griechische Re- Das Boot ist voll, wie schon ein SPD-Kanzler vor gierungssprecher: „Das Feuer wurde von Men- Jahrzehnten sagte. schen gelegt, die Asyl beantragt haben. Es handelt sich um Menschen, die ihr Gastland nicht respek- (Zuruf Abgeordnete Leonidakis [DIE LINKE]) tieren.“

In Europa leben zurzeit auf rund 10 000 Millionen Griechische Behörden melden weiter, dass die so- Quadratkilometern 741 Millionen Menschen. In genannten Schutzsuchenden ihr Lager selbst ange- Afrika leben zurzeit auf der dreifachen Fläche von zündet hätten und jetzt – hören Sie gut zu –, nach- 30 000 Millionen Quadratkilometern, 1,216 Millio- dem sie ihre Koffer gepackt hatten. Passend dazu: nen Menschen, also auf 200 Prozent mehr Fläche Eintreffende Feuerwehrleute wurden angegriffen als in Europa nur 64 Prozent mehr Menschen als in und am Löschen gehindert. Die Forderungen der Europa. Platz ist also genug in Afrika vorhanden, SED-Nachfolgepartei hier in dieser Fragestunde selbst wenn Afrika laut UN-Schätzung im Jahr soll ein Freifahrtschein nicht nur für diese 2050 auf 2,5 Milliarden Menschen angewachsen 13 000 Stuhlbesetzer sein, nach Deutschland zu sein wird, was wir verhindern sollten. kommen, um letztendlich in dieses vom deutschen Steuerzahler bezahlte Sozialsystem einzuwandern. Wir helfen Afrika nicht, indem wir in Deutschland Millionen Afrikaner aufnehmen. Afrika wächst pro Dabei kostet uns schon ein sogenannter Flüchtling Jahr um 2,6 Prozent, das heißt – Stand 2016 – pro jährlich 30 000 Euro, wie uns der Entwicklungshil- Jahr um 31,6 Millionen Menschen. Die passen feminister Müller von der CSU bestätigt hat. Das schon nicht von der Zahl her nach Europa und nach wären dann bei 2 Millionen Flüchtlingen 60 Milli- Deutschland, jedes Jahr 31,6 Millionen Menschen. arden Euro pro Jahr, wobei die bei uns besonders Fast alle wollen nach Deutschland, weil Merkel, beliebten unbegleiteten Jugendlichen, die ja ir- weil Sie hier vor mir diese Leute rufen und animie- gendwie wohl nie erwachsen werden wollen und ren. ihr Alter selbst schätzen können, die deutsche Soli- dargemeinschaft im Schnitt sogar 50 000 Euro pro Kommen wir zu den griechischen Inseln, eigentlich Jahr kosten. Das muss ein deutscher Arbeitnehmer Ferieninseln. Ich kenne das idyllische Lesbos mit erst einmal verdienen. seinen 5 000 Griechen selbst. Nun ist aber letztlich durch Merkels Völkerwanderungspolitik die Idylle Insgesamt liegt die Zahl aller Asylanträge von Ja- auf Lesbos – und nicht nur dort – vorbei. Moria, nuar 2014 bis Juli 2020 jetzt bei exakt 2 064 292, klingt irgendwie nach Moral. Was ist nun die Moral ohne die Ausländer mit anderen Schutztiteln wie von der Geschichte, wenn diese Wanderer aus Af- Kontingentflüchtlinge oder Familie, Nachzügler. rika und Arabien ihre von der Völkergemeinschaft Nun soll Brandstiftung also belohnt werden, und finanzierten Unterkünfte selbst anzünden, um die wir lassen uns moralisch mit Moria erpressen. Nicht EU und vor allem Deutschland zu erpressen? Die mit uns. Der Platz für diese Leute ist dort, wo sie Moral ist, dass genau das das ist, was die linke herkommen, nicht bei uns. Asyllobby hier im Verbund mit etablierten Medien und der Gutmenschenpolitik will. Helft in Afrika, zum Beispiel bei der Geburtenkon- trolle. Denn sonst hat Afrika, das Anfang der Tichys Einblick vom 11. September schreibt dazu: 1950er-Jahre 234 Millionen Einwohner hatte, nach „Die Bilder von den 13 000 Stühlen vor dem UN-Schätzung im Jahr 2100 4,5 Milliarden Ein- Reichstag und kurz danach“ ─ ich füge hinzu – die wohner. Da wird mir schwarz vor Augen. – Danke zufällig „brennenden Flüchtlingslager Moria auf schön! der früheren griechischen Urlaubsinsel Lesbos lei- ten medial eine neue Phase der Asyleinwanderung (Abgeordnete Strunge [DIE LINKE]: Sie sind so wi- ein. Ganz vorn dabei in der Medienkampagne die derlich!) ARD und ihr Flaggschiff „Tagesschau“. Von selbst gelegten und regelrecht organisierten Bränden Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin hat das durch Flüchtlinge im Lager Moria auf Lesbos war Wort die Abgeordnete Frau Bergmann. am Donnerstag um 20 Uhr keine Rede. Es wurde auch nicht nach Tätern, ihren Motiven, womöglich beteiligten deutschen NGOs und der Meinung von Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1781

Abgeordnete Bergmann (FDP): Sehr geehrter Herr die am ehesten die Hebel der Macht bedienen Präsident, meine sehr verehrten Damen und Her- könnten, die Herren Seehofer und Maas aus CDU ren! Moria ist eine humanitäre Katastrophe. Es ist und SPD, versagen in dieser Sache völlig. kein plötzlicher Tsunami. Wie man bei einer maro- den Brücke die Risse sehen kann und weiß, dass (Beifall FDP) der Einsturz irgendwann kommen muss, hat sich auch hier ein unhaltbarer Zustand angekündigt Vollmundige Ankündigungen hörten wir zu Be- und nun zur Katastrophe geführt. Wir brauchen ginn der Europäischen Ratspräsidentschaft. Man nicht darüber zu diskutieren, ob Hilfe nötig ist. wolle die Flüchtlingssituation auf europäischer Ebene endlich regeln. Ein Drittel der Zeit ist um. Meine Freunde sind nach Griechenland aufgebro- Passiert ist nichts. Erst durch den Brand kommt das chen, Geflüchteten zu helfen. Die individuellen Thema wieder auf die politische Agenda. Wir er- Schicksale, die sie mir dieser Tage schildern, wenn warten ein anderes Tempo, ein anderes Engage- etwa eine junge Frau ihr Kind in der Menschen- ment und endlich Handlung. menge auf einem Lidl-Parkplatz bekommen muss, verleihen der humanitären Katastrophe ein (Beifall FDP) menschliches Angesicht. Als Europäer haben wir eine Verantwortung dafür, was in Europa ge- Dabei erfahren wir Dinge, wie zum Beispiel, dass schieht, haben wir eine Verantwortung, mensch- sich im Lager 2 000 anerkannte Asylbewerber be- lich zu handeln. finden. Skandalös! Das bedeutet, dass die Griechen dringend Unterstützung in der Beschleunigung der Wir müssen auch nicht diskutieren, wem geholfen Verfahren benötigt hätten. Wer kein Asyl erhält, werden muss. Die Frage ist allein, wie geholfen der muss – und auch diese rechtliche Seite gehört werden kann und viel wichtiger: Warum ist nicht dazu – freiwillig oder unfreiwillig zurück ins Hei- schon viel früher etwas passiert, wenn sich die hu- matland. Meine Damen und Herren, um all dies zu manitäre Katastrophe doch so laut angekündigt sortieren, brauchen wir auf EU-Ebene einen Son- hat? Natürlich ist die erste bequeme Antwort, dass derbeauftragten, der dafür den Hut aufhat, denn Moria Symbolort für das erbärmliche Versagen eu- sonst passiert auch weiterhin nichts. ropäischer Politik ist. Ja. Die unbequeme Antwort darauf ist: Moria existiert bis heute, weil jede Pannen wie die, dass man 2016 zwar ein hochmo- Handlungsoption ihren Preis hat, der von jeman- dernes Gerät zur Erfassung der Fingerabdrücke dem bezahlt werden muss. hatte, aber nur ein Internet auf Steinzeitniveau und damit nicht auf das Europäische Zentralregister zu- Das meine ich nicht nur monetär. Das ist die trau- rückgreifen konnte, die dürfen sich einfach nicht rige Natur eines Dilemmas. Weil alle Politiker da- länger halten. Jetzt komme ich aber noch einmal vor zurückschrecken, diesen Preis, diese Belastun- zurück zu der Frage, die in den Tagen viel disku- gen den Wählern zuzumuten, wird das Problem wie tiert wurde: Wer sollte denn nun wie viel Flücht- eine heiße Kartoffel von einem zum anderen ge- linge aufnehmen? Wer hat Platz, und was ist wirk- schoben. Politik kommt hier nur in Bewegung, lich hilfreich? wenn es brennt, in diesem Fall so wörtlich wie trau- rig. Justitia allein ohne Humanitas wollen die Rechten, Humanitas ohne Justitia die LINKEN. Als FDP- Aktuell beobachten wir im Bundestag, dass die Fraktion sind wir der Meinung, wir brauchen bei- LINKEN auf Bundesebene die Bibel schwingen, des, Mitgefühl und Menschlichkeit aber auch anstatt damals ihren Einfluss auf Genosse Tsipras rechtliche Rahmenklarheit und die Umsetzung von zu nehmen, der mit einer AfD-nahen Partei in Koa- europäischem Recht. Dafür brauchen wir insge- lition ein menschenunwürdiges Lager zugelassen samt eine Mischung aus humanitären und juristi- hat. Die Grünen Europas blinken in Österreich schen Maßnahmen. rechts und in Deutschland links, und wir fragen uns, wohin sie eigentlich fahren im Kontext, wenn (Beifall FDP) es darum geht, Geflüchtete aufzunehmen. Humanitäre Hilfe ist das aktuelle Gebot der Ich fasse in dieser Sache auch gern an unsere ei- Stunde, aber sie lindert nur die aktuelle Not. Die gene FDP-Nase. Auch die FDP hat offensichtlich Mechanismen bleiben unberührt. Die Wurzeln des nicht ausreichend erfolgreich auf eine umfassende Problems, die Gründe für Flucht und Vertreibung Asyl- und Einwanderungspolitik hingewirkt. Die, 1782 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

bleiben ungelöst, und die Antwort für eine europä- 2 000 bundesweit aufzunehmenden Personen ge- ische Einwanderungspolitik bleibt offen. Wir wol- sprochen, die damals schon zugesagt waren. Wir len schnell und unbürokratisch helfen, ob durch haben damals hier beschlossen, dass wir auch be- würdige Flüchtlingsunterkünfte in Griechenland, reit wären, mehr aufzunehmen. was weiß ich, Kreuzfahrtschiffe, ob mit einer ver- nünftigen europäischen Verteilung oder einer Ver- Ein kleiner Rückgriff auf die Debatte. Herr Röwe- teilung nach dem Königsteiner Schlüssel in unse- kamp, Sie haben damals dieser Idee vehement wi- rem Land – die Bedingungen und Relationen, die dersprochen. Sie haben gesagt, ich zitiere: „Wenn werden wir weiter vertiefen müssen. Sie dann in Ziffer zwei Ihres Antrags fordern, dass Deutschland über die beschlossenen 1 000 bis Bremen, und so kenne ich unser Bremen, ist natür- 1 500 Kinder und Jugendliche und schwer Er- lich sofort bereit, Geflüchtete aufzunehmen. Bre- krankten hinaus ein weiteres Kontingent aufneh- men hat Herz, und ehrlich gesagt, ich liebe das men soll, dann frage ich Sie: Wie groß soll dieses auch an Bremen. Wir haben Platz und hören das Kontingent sein? Soll Deutschland das allein ma- dieser Tage. Es muss uns aber auch deutlich sein, chen? Heißt das, wenn es andere nicht machen, wenn wir Aufnahmeentscheidungen treffen, dann dass wir alle 40 000 Menschen aus Lesbos ausflie- müssen wir auch darauf achten, dass das, was mit gen und nach Deutschland holen? Da sage ich der Aufnahme von Geflüchteten impliziert ist, nicht Ihnen: Nein. Die Verweigerung der Europäischen in Enttäuschung und Frustration endet. Gefordert Union kann nicht zur Folge haben, dass wir als ist natürlich viel mehr als Platz, Essen und ein Dach Deutschland dieses Problem nach 2015 noch ein- über dem Kopf, das wissen wir mittlerweile alle. mal allein lösen. Das darf es nicht geben. Das ist auch keine Solidarität in Europa.“ Wer allein die Zahl direkt aufgenommener Ge- flüchteter im eigenen Land zum Maßstab für Mit- Die Situation in den griechischen Flüchtlingslagern menschlichkeit macht, ist arrogant, heuchlerisch ist aber nach wie vor unhaltbar. Das Feuer im Lager und opportun und wird der komplexen Dilemma- Moria hat uns erneut vor Augen geführt, dass wir Situation, die wir hier haben, einfach nicht gerecht. jetzt unverzüglich eine Lösung für die Betroffenen Geflüchteten brauchen. Unbegleitete Minderjäh- (Beifall FDP) rige, Familien mit Kindern und Frauen leiden be- sonders unter den menschenunwürdigen Bedin- Wir Freien Demokraten unterstützen die Hilfe für gungen auf Lesbos und den anderen Inseln. Wir Menschen in Not, sofern wir in der Lage sind, Hilfe haben alle die Berichte gesehen, dass auch die zu leisten, und im Moment sind wir es. Wenn wir Männer, die dort leben, die dort allein leben, die aber keine gemeinsame europäische Lösung fin- erwachsen sind, erheblich unter dieser Situation den, dann ist die EU als politisches Projekt Europa leiden. Ja, Herr Röwekamp, ich bleibe dabei, auch, im Grunde zu Ende. Dann mutieren wir hier ir- wenn Sie es anders gesagt haben: Ich finde es tat- gendwie zur Freihandelszone. Helfen wir in der ak- sächlich großartig, dass sich ganz viele Kommunen tuellen Situation, Not zu lindern! Wir sind dabei, zutrauen, Geflüchtete bei sich aufzunehmen. Das aber durchaus mit dem Bewusstsein, dass dies al- ist es ein gutes Zeichen für unsere gesamtgesell- lein die dahinterliegende Ursache weder lindert schaftliche Situation. noch behebt. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksam- keit! (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

(Beifall FDP) Sie haben dann aber auch weiter gesagt, die Kom- munen dürfen nicht darüber entscheiden, wie viele Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin hat das Geflüchtete aus welchen Ländern dieser Welt in Wort die Abgeordnete Frau Grotheer. Deutschland aufgenommen werden. Das stimmt. Wir haben eine andere rechtliche Regelung. Rich- Abgeordnete Grotheer (SPD): Vielen Dank, Herr tig ist aber auch: Ich wäre ebenfalls dafür gewesen, Präsident, meine Damen und Herren! Die eine gemeinsame Haltung nicht nur der Kommu- schlimmsten Befürchtungen, die wir schon im März nen, sondern auch der Länder und des Bundes zu geäußert haben, sind wahr geworden. Im März ha- finden. Ja, auch ich hätte es begrüßt, wenn es diese ben wir hier das letzte Mal darüber gesprochen, Koalition der Willigen auf einer breiteren Basis ge- wie viele Geflüchtete wir aus den Lagern von Les- ben würde. Es hat aber seit 2015 eben nicht funkti- bos oder anderswo aufnehmen könnten. Zuletzt oniert, alle Mitgliedsländer der EU dazu zu brin- haben wir im März über eine Zahl von 1 500 bis gen, diese Basis zu finden. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1783

Fünf Jahre, in denen die Bundesrepublik Deutsch- Auch das ist Wertegemeinschaft der Europäischen land mit ihrer Bundesregierung angeregt, gebeten, Union, und auch das sind die Menschenrechte, auf gerungen, ja, möglicherweise die anderen Mit- die sich alle Mitgliedsstaaten verpflichtet haben. gliedsstaaten sogar angefleht hat, sich zu beteili- Das möchte ich hier ganz deutlich sagen. Wir ha- gen, und passiert ist nichts. Die Ankündigung des ben ein Angebot gemacht, Städte, Kommunen, Bundesministers des Innern, für Bau und Heimat Bundesländer, Gemeinden, ob CDU-regiert zum von letzter Woche, 100 bis 150 unbegleitete Min- Teil, ob SPD-regiert, in allen möglichen Farben- derjährige aus dem völlig zerstörten Flüchtlingsla- konstellationen. Wir haben gesagt, wir wollen ein ger von Moria nach Deutschland zu holen, blieb Zeichen setzen, und ich bin froh und glücklich, weit hinter dem zurück, was notwendig wäre, und dass der Senat gestern ein solches Landesaufnah- ist damit für die SPD nach wie vor inakzeptabel. meprogramm beschlossen hat.

(Beifall SPD) (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Dies hat meine Partei letzte Woche mehr als deut- Wir wissen, dass das auch für unsere beiden Kom- lich gemacht. Der jetzt gefundene Kompromiss, der munen kein einfaches Handeln ist. Wir wissen, was auf Druck ganz unterschiedlicher gesellschaftlicher auf uns zukommt. Es ist nicht so, dass wir sagen, Gruppen zustande gekommen ist – Gewerkschaf- wir haben Überkapazitäten, wir wissen nicht, wo- ten, christlichen Organisationen, Menschen aus al- hin wir mit unserem Geld sollen, wir wissen gar len Bereichen unserer Bevölkerung haben sich an nicht, was wir machen sollen, sondern wir überneh- dieser Stelle klar positioniert und haben gesagt: men Verantwortung im Rahmen unserer Möglich- Wir sind bereit, Unterstützung zu leisten, wir wol- keiten, und das ist das richtige Zeichen nach au- len helfen! Ich bin froh darüber, dass dieser Schritt ßen. jetzt gemacht worden ist. Es ist aber ein erster Schritt. (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Wir brauchen eine deutliche Verbesserung in den Wir wissen, dass es unsere Stadtteile sehr unter- griechischen Lagern, sofort. Es geht um sofortige schiedlich treffen wird, dass unsere Stadtteile sehr humanitäre Hilfe vor Ort, das unmissverständliche unterschiedlich mit der Situation, wenn die neuen Signal an die griechische Regierung, dass Deutsch- Geflüchteten zu uns kommen, konfrontiert sein land eine maßgebliche Anzahl von Geflüchteten werden. Wir erkennen das an und wir wollen unse- aus den Lagern evakuieren will und darum, dass ren Stadtteilen helfen. Wir wollen in jedem Fall Deutschland als EU-Ratspräsidentschaft bis Ende deutlich machen, dass wir gemeinsam handeln dieser Woche bei den anderen EU-Mitgliedsstaa- wollen. Jetzt möchte ich noch einmal an einer ten für eine Beteiligung an einem solchen Aufnah- Stelle zurückkommen auf das, was hier gesagt wor- meprogramm wirbt. den ist, dass nämlich wir eine gemeinsame Lösung brauchen. Ich sage deutlich: Für mich heißt das eine nicht, dass man das andere lassen darf, sondern ich bin Ich habe von nur einem Redner in diesem Raum ge- der Meinung, wir brauchen eine humanitäre Ent- hört, dass er gar kein Interesse hat an einer ge- scheidung sofort, und wir brauchen eine politische meinsamen Lösung, weil er sowieso glaubt, dass Entscheidung über den grundsätzlichen Umgang wir das Heil für Alle dieser Welt sind. Das sehe ich so schnell wie möglich. ehrlich gesagt ganz anders. Ich glaube überhaupt nicht, und ich habe das auch nie so gehört, dass (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) 31,6 Millionen Menschen nach Deutschland wol- len. Das stelle ich auch massiv in Abrede. Ich finde Nur, weil vorhin die griechische Regierung von ei- es hier ganz schön, aber die Vorstellung, dass die nem Teil ganz hinten rechts so gelobt worden ist, ganze Welt zu uns kommen will, die halte ich für möchte ich einmal deutlich sagen, dass meine völlig abwegig. Zweifel an dem rechtmäßigen Handeln der griechi- schen Regierung ganz erheblich sind. Die Tatsa- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) che, dass dort niemand um Hilfe gebeten hat, kann nicht heißen, dass wir die Zustände, die es dort Ich frage mich ehrlicherweise, was für ein Men- gibt, akzeptieren. schenbild dem eigentlich zugrunde liegt, wenn man von „Wanderern aus Afrika und Arabien“ (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) 1784 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

spricht, die sich nichts anderes und Schöneres vor- Ich würde sehr gern eine gemeinsame Lösung fin- stellen können, als sich auf dem Seewege über den. Ich finde, dass wir jetzt einmal ernsthaft in die diese Lager zu uns aufzumachen, um sich hier ir- Diskussion darüber kommen müssen, was die Bun- gendwie das Paradies vor Augen zu führen. Ich desregierung vorschlägt. Ich kann auch dem Vor- meine, Sie sind doch diejenigen, die immer deut- schlag der Grünen etwas abgewinnen, zu sagen, lich beschreiben, dass auch hier das Paradies über- man kann doch wieder darüber reden, wenn Dub- haupt nicht ist. Was ist denn nun richtig? lin sowieso nicht funktioniert, ob man zu dem alten System zurückkehrt. Ich bin da noch überhaupt (Zuruf Abgeordneter Jürgewitz [AfD]) nicht entschieden.

Was ist denn nun richtig? Wir wollen Menschen Ich habe jetzt wahrgenommen, dass es in der Bun- helfen, die in Not sind. Das sieht unser Asylrecht so desregierung einen Kompromiss gibt. Den akzep- vor, und ich bin froh darüber, dass unser Asylrecht tiere ich in dem Versuch, mit den anderen Mit- das so vorsieht. gliedsstaaten darüber zu reden. Natürlich müssen wir aber immer darum ringen: Was ist das bestmög- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) liche System? Ich bin gespannt auf diese Diskus- sion. Ich sehe der mit Begeisterung entgegen, weil Wir wollen eine gemeinsame Lösung finden, und ich hoffe, dass sich endlich wieder etwas bewegt, diese gemeinsame Lösung ist bislang nicht daran was über die Verweigerungssituation hinausgeht. – gescheitert, dass die EU als Gemeinschaft das nicht Vielen herzlichen Dank! wollte, sondern die gemeinsame Lösung ist bislang daran gescheitert, dass sich Mitgliedsstaaten dem (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) verweigert haben. Wenn nicht endlich Mitglieds- staaten anfangen, zu sagen, dass sie bereit sind, Präsident Imhoff: Für eine Kurzintervention be- mehr zu tun, dann wird es keine gemeinsame Lö- kommt jetzt der Abgeordnete Jürgewitz das Wort. sung geben. Ich hoffe sehr, dass wir heute aus der Kommission heraus mit der Rede von Angela Mer- Abgeordneter Jürgewitz (AfD): Herr Präsident, kel hören werden, was die Europäische Kommis- meine Damen und Herren! Ich möchte eine kurze sion plant. Ausführung machen zu den Ausführungen der Da- men Grönert und Grotheer: (Glocke) Dass wir eine gesamteuropäische Lösung hinbe- Ursprünglich war für das zweite, inzwischen ist für kommen, das halte ich für völlig ausgeschlossen, das dritte Quartal angekündigt, dass wir über den will aber gern auf eine andere Person, nämlich neuen Migrations- und Asylpakt reden wollen. Ich Henryk M. Broder verweisen, der dazu am 13. Sep- bin sehr gespannt. tember gesagt hat: „Die Osteuropäer wollen keine Flüchtlinge, weil diese, so wörtlich, nicht blöd sind. (Glocke) Die wissen, welch Segen die Migration den westli- chen Ländern gebracht hat. Die Osteuropäer haben Präsident Imhoff: Frau Kollegin, würden Sie eine berechtigte Gründe, und sie haben auch das Recht Zwischenfrage des Abgeordneten Jürgewitz zulas- dazu, diese nicht hineinzulassen. Es wird einen so- sen? genannten Sogfaktor geben. Man hätte sich beizei- ten nach anderen Partnern in Sachen Migration Abgeordnete Grotheer: Ich würde gern den Satz umschauen können.“ Er verweist insbesondere auf zu Ende bringen, dann ja. die Konferenz der islamischen Staaten mit 57 Län- dern und auf die Arabische Liga mit 22 Mitglie- Präsident Imhoff: Dann machen wir es so. dern, die sich bisher in dieser Sache völlig zurück- halten, aber nach Broders Auffassung zuständig Abgeordneter Jürgewitz: Eine Kurzintervention. sind für genau die Menschen, über die wir hier re- den. – Danke schön! Präsident Imhoff: Eine Kurzintervention? Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin hat das Abgeordnete Grotheer: Das ist ja sowieso erst am Wort die Abgeordnete Leonidakis. Ende meiner Rede möglich. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1785

Abgeordnete Leonidakis (DIE LINKE): Herr Präsi- schaffen würde, würden wir uns doch alle gemein- dent, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ei- sam freuen. Leider ist das nicht der Fall. nige Redebeiträge haben mich dazu verleitet, mich noch einmal zu melden. Ich fange einmal mit dem Die 1 500 Geflüchteten sind besser als nichts. Das Negativen an: ist doch aber keine Lösung! Mit Verlaub: 15 Ge- flüchtete wären das nach dem Königsteiner Schlüs- Herr Jürgewitz, Sie sind mit einem Zitat von ges- sel für Bremen. Ich glaube, wir sind uns einig: Wir tern eingestiegen. Sie haben gezeigt, dass Sie ein können mehr, wir wollen mehr, und da muss die Kind des vorgestrigen Geistes sind, ein Kind das Bundesregierung entsprechende Regelungen tref- Geistes aus den Vierzigerjahren, und eines habe fen. Ich hoffe, und ich wäre sehr froh darüber, wenn ich zum Glück in dieser Debatte festgestellt: Es gibt der Druck und der Brand jetzt wirklich ein Warn- eine große Einigkeit darüber, dass wir in Bremen signal wären. Wenn die Bundesregierung zu dem Platz haben und dass wir keinen Platz für Ihr ras- Entschluss käme, noch mehr zu machen. Wir kön- sistisches und faschistisches Gedankengut haben. nen es, und wir in Bremen, wir wollen das auch. – Danke schön! (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen – Zuruf Abgeordneter Jürgewitz [AfD]) (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Herr Timke, wenn Sie das Zitat des griechischen Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort Ministerpräsidenten wiederholen, es handele sich Herr Senator Mäurer. um hyperaktive Menschen und die Geflüchteten als Kriminelle bezeichnen, dann kann man dazu Senator Mäurer: Herr Präsident, meine sehr ver- einfach nur sagen, das ist eine klassische Täter-Op- ehrten Damen und Herren! Ich glaube, die heutige fer-Umkehr und nichts anderes. Debatte hat uns gezeigt, wie notwendig es ist, Hilfe zu organisieren, Hilfe zu leisten. Hilfe vor Ort, um (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) die elementarsten Dinge zu verändern. Wir müssen uns auch die Frage stellen: Wie geht es weiter? Jetzt komme ich zum positiven Teil: Es ist ein reiner Zufall, dass wir uns mit dem Auf- Ich finde es bemerkenswert, mit welch großer in- nahmeprogramm im Senat zu einem Zeitpunkt be- haltlichen Einigkeit über alle Parteigrenzen der de- schäftigt haben, als es noch nicht gebrannt hatte. mokratischen Parteien hinweg festgestellt wurde, Diese Befassung ist kein Zufall, sondern steht in ei- dass die Lage in Moria, der Brand in Moria eine Ka- ner Reihe von vielen Debatten, die wir in den letz- tastrophe mit Ansage war, dass es eine gemachte ten Monaten geführt haben. Initiativen mit dem Katastrophe ist, für die es eine geteilte Verantwor- Ziel, in dieser Frage voranzukommen, dem Bund tung gibt. Hierfür möchte ich mich bedanken. den Rücken zu stärken.

Frau Grönert, wenn Sie sagen, man muss die Fol- Ich sage noch einmal: Wir machen uns keine Illusi- gen in den Blick nehmen, dann kann ich nur sagen, onen darüber, dass wir von Bremen aus die Prob- die Lage und die Situation, die wir heute gemein- leme dieser Welt lösen können. Wir können aber, sam beklagen, unter der die Menschen extrem lei- wie viele andere Länder, wie viele andere Kommu- den, die eine Verletzung der Menschen- , der nen, einfach ein politisches Zeichen setzen, dass Flüchtlings- und der Kinderrechte bedeutet, ist wir bereit sind, Menschen aufzunehmen. Wir ha- eine Folge von konkreten politischen Entscheidun- ben die Plätze dafür, von daher geht es nicht da- gen und von geteilter politischer Verantwortung. rum, Dinge rechtlich einzufordern, sondern zu zei- gen, dass die Länder und Kommunen gesagt ha- Wenn Sie sagen, die Bundesregierung kann nicht ben: Wir können das. allein helfen: 2016 konnte sie das, als sie das EU- Türkei-Abkommen abgeschlossen hat. Da ging Das war ein wichtiges Signal, weil die Bundesre- das. Wenn Sie sagen, die Bundesländer und die gierung damit keine Chance hatte, zu sagen: Wir 170 Kommunen sind hier nicht die Lösung: Ich würden gern, aber es liegt an den Ländern, die würde mich freuen, wenn die Bundesregierung ei- letztlich die Last der Flüchtlingsbewegung zu tra- nen wesentlichen Beitrag zur Lösung der Katastro- gen haben. Das ist nicht so, sondern die Weichen phe und der Notlage der Geflüchteten auf Lesbos sind bei der Bundesregierung zu stellen. leisten würde. Wenn die EU eine solche Lösung 1786 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Wenn man sich heute die Presse anschaut, findet das in der Innenministerkonferenz erlebt, daran man viele Meinungen. Der Beitrag des Abgeordne- gab es auch in seiner Gruppe deutliche Kritik. Es ten Timke kam mir sehr bekannt vor. Das war das, waren die Sozialdemokraten, die ihn gelobt und was ich heute Morgen gelesen habe, als ich die Er- gesagt haben: Das ist schon einmal ein erster klärung des Kanzlers von Österreich, Kurz, gelesen Schritt. Zu der Entscheidung von gestern ist darge- habe. legt worden, wie das zustande gekommen ist, auch da sind die Meinungen geteilt. Das sind fast seine Worte gewesen, Ich habe mit Freude den Beitrag unserer Kollegin (Abgeordneter Timke [BIW]: Das stimmt nicht!) aus Bremen im Bundestag gesehen, die sehr deut- lich gesagt hat: Ja, wir müssen uns bewegen. Wir die gesagt haben: Ja, wir müssen etwas machen. können nicht abwarten. Sie hat den Aufruf unter- Wir schicken Helfer dorthin, wir organisieren De- schrieben, dass 5 000 Menschen aufgenommen cken und Zelte. Das war es aber auch, alles andere werden. Die Entscheidung von gestern ist ein Kom- ist nicht unsere Sache. Gut, und dann gibt es die promiss, und ich wage die These, es wird nicht die Position, die auch sehr deutlich hier formuliert wor- letzte Rate sein. Ich setze darauf, dass man weiter den ist, die ihre Unterstützung in vielen Ostblock- versuchen wird, mit den gutwilligen Partnerlän- ländern, früheren Ostblockländern findet, die dern, und davon gibt es ja auch einige, zu kopieren. schlichtweg sagt: Wir machen gar nichts, die sollen Man darf nicht übersehen, dass es auch andere da bleiben, wo sie herkommen. Länder gibt, die in der Frage der Humanität durch- aus einen anderen Ansatz als Polen und Ungarn Das ist die Brutalität der Lage. Man kann die Bun- verfolgen. desregierung kritisieren, und es ist deprimierend zu sehen, dass es in diesem Thema keinerlei Fort- Mit denen gemeinsam müssen wir das versuchen. schritte gibt. Dieses Dublin-Verfahren ist so man- Ich sage aber auch, es gibt keine wirkliche Lösung gelhaft. Es trägt einseitig dazu bei, dass wirklich dieses Problems. Es ist völlig klar, wir können als nur die Staaten, die eine offene Grenze haben, die Bundesrepublik nicht einfach sagen, wir überneh- am Mittelmeer liegen, das Problem haben. Die an- men dieses Lager, und dann kommt das nächste deren tun so, als hätten sie damit nichts zu tun. und das nächste. Das sind Sachen, die sprengen Auch die Bundesrepublik Deutschland, umgeben unser Gemeinsystem. Deswegen kommt es darauf von vielen anderen Ländern, ist kein Frontstaat. an, dass wir uns beteiligen, dass wir auch einmal Deshalb ist diese Verteilung nach dem Dublin-Ver- vorangehen und sagen, ja, wir können uns das in fahren ein Problem. gewisser Weise leisten. Die Lösung dieses Prob- lems muss aber in Europa bleiben. Was bedeutet das für Griechenland? Manche glau- ben, das sei so eine Art Durchgangssystem. Das Wir können Griechenland nicht allein lassen, und heißt, man entscheidet vor Ort, und wenn eine po- wir müssen dafür kämpfen, dass andere gutwillige sitive Anerkennung erfolgt, dann wandert man Länder bereit sind, sich diesem Kurs anzuschlie- weiter nach Frankreich, nach Italien, nach ßen. Bremen spielt da eine kleine Rolle, aber ich Deutschland. Mitnichten. Das heißt, alle, die dort glaube, es ist wichtig, dass wir auch von hier aus positiv anerkannt werden, gehen auf das Kontin- ein deutliches Signal der Humanität nach draußen gent von Griechenland. Dass dieses Land damit senden. – Herzlichen Dank! überfordert ist, politisch wie auch organisatorisch, das liegt doch auf der Hand. (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Deshalb ist das Dublin-Verfahren ein Kernprob- Präsident Imhoff: Meine Damen und Herren, wei- lem, dazu brauchen wir Alternativen. Ich habe aber tere Wortmeldung zu diesem Themenkomplex lie- auch etwas Verständnis für die Bundesregierung. gen mir nicht vor. Es geht nicht darum, wer in dieser Welt gut und wer schlecht ist, und auch die Kritik an meinem Ich rufe das dritte Thema der Aktuellen Stunde auf: Kollegen Seehofer teile ich nur eingeschränkt. Er hat versucht, Dinge zu verändern. Tarifbindung im Land Bremen stärken – Hand- lungsspielräume nutzen! Die erste Ansage in diesem Jahr, dass 1 000 Kinder mit ihren Angehörigen aufgenommen werden, war Dazu als Vertreter des Senats Herr Bürgermeister ein erster, nicht unumstrittener, Schritt. Ich habe Dr. Bovenschulte. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1787

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Senat mit Andreas Bovenschulte an der Spitze für Frau Aulepp. den Erhalt der Warenhäuser einsetzt und kämpft und dort, was Karstadt Sport betrifft, auch durchaus Abgeordnete Aulepp (SPD): Sehr geehrter Herr erfolgreich war. Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolle- ginnen und Kollegen! Auch beim Thema Schaffung (Beifall SPD) und Sicherung guter Arbeitsplätze wirken die Coronapandemie und die sich aus ihr ergebende Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Tarifflucht, Krise wie ein Brennglas. Gerade in Zeiten wie die- die zu beobachten ist, ist aus mehreren Gründen sen wird es wieder deutlich, wie wichtig die im besorgniserregend, zum einen und in erster Linie Grundgesetz verankerte Sozialpartnerschaft ist natürlich aufgrund der Einkommensungleichheit. und welche Bedeutung Tarifverträge für die Siche- Beschäftigte in nicht tarifgebundenen Betrieben rung von Arbeitsplätzen oder beim Kurzarbeiter- verdienen 10,5 Prozent weniger als die nach Tarif geld haben. Leider ist die aktuelle tatsächliche Si- bezahlten und arbeiten im Übrigen auch noch eine tuation eine andere. Stunde mehr. Das führt individuell ganz offensicht- lich zu erheblichen Nachteilen beim Lohn aber Im Land Bremen waren im Jahr 2019 nur noch auch, was Arbeitszeit, Weiterbildung und Urlaub 18 Prozent der Betriebe tarifgebunden. Vor 15 Jah- betrifft, auch da ist wieder die Coronakrise das ren, 2005, waren es noch knapp 40 Prozent. Dabei Brennglas auf die Situation. Beim Kurzarbeitergeld sieht die Situation bei den einzelnen Beschäftigten ist es auch wieder augenfällig, was Tarifverträge an in Bremen und Bremerhaven etwas besser aus. In der Stelle vermögen. den tarifgebundenen Betrieben waren fast 60 Pro- zent – 57 Prozent genau – aller Arbeitnehmerinnen Das Thema hat aber angesichts der zunehmenden und Arbeitnehmer im Land Bremen beschäftigt. Ungleichheit insgesamt natürlich auch eine gesell- schaftliche Dimension, weil zunehmende Lohn- Das hängt damit zusammen, dass zum einen der öf- und Einkommensungleichheit auch eine soziale fentliche Dienst eine relativ große Rolle spielt, aber Spaltung nach sich zieht. Nicht zuletzt hat das auch damit, dass Bremen über einen großen indust- Thema auch eine geschlechtsspezifische Kompo- riellen Sektor verfügt und dort auch Großunterneh- nente. Männer arbeiten häufiger als Frauen in ta- men. Gerade im Bereich, in dem Bremen herausra- rifgebundenen Unternehmen. Eine Erhöhung der gend ist, das ist die Automobil-, die Stahl- und Tarifbindung könnte und sollte also auch das Gen- Flugzeugindustrie, ist der gewerkschaftliche Orga- der Pay Gap reduzieren. Gerade auch für Frauen nisationsgrad hoch und ebenso, das möchte ich da ist es wichtig, dass Tarifbindung erhöht wird. durchaus lobend hervorheben, auch das Bekennt- nis der Arbeitgeberseite zur Sozialpartnerschaft. (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Durchsetzung von mehr Tarifbindung, eine Stärkung der Sozial- Ebenfalls fällt auf, dass die Tarifbindung bei älte- partnerschaft, ist nicht nur ein Schutz für die Ar- ren Betrieben deutlich höher ist als bei später ge- beitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Auch die Be- gründeten Betrieben. Vor 1990 waren das 30 Pro- triebe, und insbesondere gilt das auch für unsere zent, nach 2010 nur noch 11 Prozent. Grund ist na- regionalen Betriebe, die sich an Tarifverträge hal- türlich unter anderem der ökonomische Struktur- ten, werden durch eine stärkere Tarifbindung, wandel, bei dem tarifgebundene traditionelle Un- durch eine Ausweitung der Tarifbindung vor Billig- ternehmen durch neuere Unternehmen, bei denen anbietern geschützt, die auf Dumpinglöhne setzen, auch die Beschäftigungssituation und auch die Un- die den wirtschaftlichen Wettbewerb nicht darüber ternehmensstruktur eher zersplittert sind, ersetzt bestreiten wollen, dass sie bessere Qualität bieten, werden. sondern dass sie sich in einem Unterbietungswett- bewerb, was die Löhne angeht, begeben. Die Un- Das kann man leider zum Beispiel auch im Bereich ternehmen, die verantwortlich handeln und nach des Einzelhandels sehen. Ein Grund mehr, die Ent- Tarif bezahlen, werden also durch eine Steigerung wicklung bei Galeria Kaufhof und Karstadt im Fo- der Tarifbindung auch geschützt. kus zu behalten. Da geht es nicht nur um Innen- stadtentwicklung, sondern da geht es auch um die All das sind Gründe, warum wir uns als SPD für Sicherung guter Arbeitsplätze, tarifgebundener Ar- eine Steigerung der Tarifbindung im Kampf gegen beitsplätze. Deswegen bin ich froh, dass sich der die Tarifflucht einsetzen, dass dieses Thema bei 1788 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

uns ganz oben auf der Tagesordnung steht, und Hier in Bremen haben wir auch Handlungsmög- deshalb steht es heute hier auch auf der Tagesord- lichkeiten, und zwar dort, wo wir als Kunde auftre- nung der Bremischen Bürgerschaft. Liebe Kollegin- ten, wo wir Aufträge vergeben. Wir haben im Bre- nen und Kollegen, lassen Sie mich an erster Stelle mischen Tariftreue- und Vergabegesetz die Mög- hier auch die Rolle der Sozialpartner und hier ins- lichkeiten zur Bindung von Aufträgen an Tariftreue besondere die Rolle der Gewerkschaften hervorhe- schon genutzt. Das hat mit dem Baugewerbe ange- ben, die in erster Linie den Kampf für Tarifverträge, fangen, das ist auf den ÖPNV und schienengebun- für gute Arbeitsbedingungen führen, ein Kampf, in denen Nahverkehr ausgeweitet worden, immer dem die SPD an der Seite der Kolleginnen und Kol- entsprechend der Möglichkeiten, die das EU-Wett- legen steht. bewerbsrecht uns da gibt.

(Beifall SPD) Aufgrund der Neuerung der EU-Entsenderichtlinie haben sich auch diese Möglichkeiten erweitert und Deshalb ist es gut und wichtig, aber auch notwen- das, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen und dig, dass sich wieder mehr Beschäftigte in Gewerk- müssen wir nutzen, indem wir den Anwendungs- schaften organisieren, denn die Verhandlungs- bereich des Tariftreue- und Vergabegesetzes auf macht wächst mit der Organisationskraft, und die alle Bereiche ausweiten und sagen, die Unterneh- wächst mit der Mitgliederstärke. An der Stelle will men, die verantwortlich handeln, die Tarifverträge ich gern auch den Appell an die Arbeitgeber und abschließen und danach auch die Arbeitsbedin- insbesondere auch an die Arbeitgeberverbände gungen regeln, die wollen wir als Auftragnehmer richten, dass Sozialpartnerschaft und Tarifbindung öffentlicher Aufträge haben. wieder ernst genommen werden. (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen) Zu sagen, ihr dürft bei uns Mitglied sein, aber ihr müsst euch nicht an Tarifverträge halten, das ent- Vermutlich kommt dann wieder der Einwand, das spricht nicht dem Geist des Grundgesetzes, in dem führt alles zu viel mehr Bürokratie, und das ist alles Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite Hand in Hand viel zu umständlich. Ich will vielleicht an der Stelle beschlossen haben, die Aushandlung der Arbeits- einfach noch einmal sagen, das ist eigentlich ganz bedingungen ist unsere Aufgabe. Wir übernehmen einfach. Wer als Unternehmen nach Tarifvertrag da in der neu gegründeten Bundesrepublik soziale beschäftigt, der kommt in den Genuss, wer das Verantwortung. Liebe Arbeitgeber, liebe Arbeitge- nicht tut, der dann eben nicht. Ich finde, diese Un- berverbände, an diese Verantwortung möchte ich terscheidung führt nicht zu mehr Bürokratie, son- auch an dieser Stelle appellieren. dern zu mehr Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt und hilft auch den Unternehmen, die verantwort- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) lich handeln.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen aber (Beifall SPD) auch die Möglichkeiten, die wir als Staat auf Bun- des- wie auch auf bremischer Ebene haben, nut- Nicht zuletzt sollten wir auch nach Wegen suchen, zen. Auf Bundesebene wollen wir eine Änderung auch im Bereich der Wirtschaftsförderung deutli- des Tarifvertragsgesetzes erreichen, damit Tarif- che Anreize für eine Tarifbindung zu verankern. verträge leichter für allgemeinverbindlich erklärt Ich habe eingangs schon gesagt, vor allen Dingen werden können. Es kann doch nicht sein, dass bei jüngeren und neu gegründeten Betrieben ist beide Tarifparteien, also die Arbeitgeber- und die die Tarifbindung noch deutlich unterentwickelt. Da Arbeitnehmerseite die Allgemeinverbindlichkeit muss vielleicht ein vorsichtiges Heranführen auch ihres Tarifvertrags beantragen und dann im Tarif- an Sinn und Zweck von tarifvertraglichen Regelun- ausschuss auf Bundesebene ein Unentschieden gen noch verstärkt werden. An der Stelle geht es ausreicht, um die Allgemeinverbindlichkeitserklä- natürlich nicht darum, zu sagen, du hast keine rung zu blockieren. Das wollen wir geändert ha- Wahl. Wenn du keinen Tarifvertrag hast, dann ben. Ein Nein zur Allgemeinverbindlichkeit eines darfst du dein Unternehmen nicht aufmachen oder Tarifvertrages soll es nur noch aufgrund einer dann musst du eben in Konkurs gehen. Mehrheit gegen die Allgemeinverbindlichkeitser- klärung geben. Natürlich wissen wir und sind uns der Verantwor- tung auch bewusst, dass wir hier in Bremen und in (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Bremerhaven eine prosperierende Wirtschaft brau- chen und wollen, dass wir natürlich auch Start-ups Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1789

unterstützen wollen, aber dass nach einer gewissen Bremen aufgrund seiner volkswirtschaftlichen Anlaufzeit oder ab einer gewissen Beschäftigungs- Struktur schafft, mit diesen 18 Prozent 57 Prozent größe ein Tarifvertrag eine zunehmende Rolle spie- der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen len darf und dann auch muss, das, glaube ich, kann Tariflohn anzubieten. Damit steht Bremen im bun- keiner in Abrede stellen, weil auch an dieser Stelle desweiten Vergleich insgesamt ausnahmsweise gilt: Wer in dieser Weise verantwortlich handelt, einmal im Durchschnitt. So weit die Statistik. der soll unterstützt werden. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass wir uns da- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) für einsetzen müssen, in Deutschland grundsätzlich wieder eine höhere Tarifbindung zu erreichen, da- Ich freue mich persönlich gemeinsam mit meiner mit möglichst viele Arbeitnehmerinnen und Arbeit- Fraktion und gemeinsam mit unseren Koalitions- nehmer von sozial ausgewogenen Tarifverträgen partnern, dass der Senat das Thema ebenfalls auf profitieren, denn Tarifverträge bieten Arbeitneh- die Agenda genommen hat und gemeinsam mit der merinnen und Arbeitnehmern wie Arbeitgeberin- Arbeitnehmerkammer an Lösungen arbeitet, eine nen und Arbeitgebern einen institutionellen Rah- Institution übrigens, die ich auch in diesem Zusam- men für die Verhandlung von fairen Löhnen und menhang und immer wieder gern lobend erwäh- guten Arbeitsbedingungen, mit denen dann auch nen und mich bei ihrer Arbeit herzlich bedanken hervorragende Arbeitsergebnisse erzielt werden. möchte. Gerechte Löhne entstehen bekanntlich nur durch (Beifall SPD, DIE LINKE) von Sozialpartnern ausgehandelte Tarifverträge und nicht durch Verordnungen. Der Staat soll le- Wir arbeiten an Lösungen in Bremen, über den diglich Mindeststandards setzen, aber er kann und Bundesrat auf Bundesebene, in Gesprächen mit darf nicht kleinteilig alles von oben her regeln. Wir Verbänden und Vereinen auch im Hinblick auf die leben schließlich in einer sozialen Marktwirtschaft. Verantwortlichkeit und Akzeptanz der Sozialpart- Außerdem ist erwiesen, dass die Tarifbindung von nerschaft. Wir freuen uns, wenn diese Arbeit nun Unternehmen am stärksten ist, die eine betriebli- weiter an Fahrt aufgenommen hat. – Ich bedanke che Mitbestimmung haben. Dort, wo es betriebli- mich für Ihre Aufmerksamkeit! che Mitbestimmung gibt, liegt die Tarifbindung bei 70 Prozent. Dort, wo keine betriebliche Mitbestim- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE – mung existiert, gibt es lediglich eine Tarifbindung Vizepräsidentin Dogan übernimmt den Vorsitz.) von 25 Prozent.

Vizepräsidentin Dogan: Als nächste Rednerin hat Deshalb möchte ich mich in meiner Debatte auf Ih- das Wort die Abgeordnete Hornhues. ren Lösungsversuch konzentrieren. Sie schlagen vor, wie auch bei den Mindestlohndiskussionen mit Abgeordnete Hornhues (CDU): Sehr geehrte Frau dem Bremer Tariftreue- und Vergabegesetz regu- Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Tarif- latorisch einzugreifen, und damit meinen Sie, autonomie ist ein hohes Gut der sozialen Markt- Handlungsspielräume schaffen zu können. Nach wirtschaft, und wer Tarifautonomie möchte, der jetzigen Regelung gebe ich Ihnen recht, der Ar- braucht starke Gewerkschaften und starke Arbeit- beitsaufwand wäre sehr groß oder der Verwal- geberverbände. Wir können stolz auf unsere Tarif- tungsaufwand bei den betroffenen Unternehmen autonomie in Deutschland sein. Allerdings geht die wächst, denn die Unternehmen werden bei Aus- Tarifbindung der Betriebe und damit ihre Bedeu- schreibungsverfahren nur verpflichtet, für die An- tung für die Beschäftigten in den letzten Jahren im- teile von Aufträgen der öffentlichen Hand den ta- mer weiter zurück. Deshalb debattieren wir heute riflichen Lohn zu zahlen. Ergebnis sind Mischkal- auf Antrag der Fraktion der SPD in dieser Aktuel- kulationen von Gehältern, die im schlechtesten Fall len Stunde: „Tarifbindung im Land Bremen stärken monatlich schwanken, und Arbeitnehmerinnen – Handlungsspielräume nutzen!“ und Arbeitnehmer, die innerhalb eines Unterneh- mens nach unterschiedlichen Grundlagen bezahlt Was ist der Grund dieser Debatte? Laut der aktuel- werden. len IAB-Studie sind in Bremen nur noch 18 Prozent der Betriebe tarifgebunden. Das ist die eine Wahr- Das führt zu keinem Tarifvertrag mehr in Bremen, heit. Allein betrachtet gebe ich Ihnen Recht, das ist denn mit der Regelung, wie sie hier stattfindet, ist wirklich nicht glorreich. Zur Wahrheit gehört aber der Verwaltungsaufwand der Unternehmen ein- auch – Frau Aulepp, Sie haben es gesagt –, dass es fach zu groß. Sollten Sie nun einen Gesetzentwurf 1790 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

vorschlagen, in dem nur noch Unternehmen be- Schnitt 10,5 Prozent weniger verdienen und eine rücksichtigt werden, die einen Tarifvertrag haben, Stunde länger arbeiten müssen, zeigt, wie wichtig dann stellt sich mir die Frage: Was ist mit Unter- die Tarifbindung für Arbeitnehmer*innen ist. nehmen, die tarifnah bezahlen oder vielleicht sogar übertariflich? Ich freue mich einfach auf Ihren Ge- Selbst bei den Arbeitgebern, die sich an einer Ta- setzentwurf und dann werden wir darüber erneut rifbindung orientieren – das klang ja gerade an –, debattieren. ist die Einkommenslücke immer noch bei 8 Prozent im Vergleich zu Betrieben, die tarifgebunden sind. Wir sind der Meinung, dass es für eine bessere Ta- Dies hat Auswirkungen auf die gesamte Gesell- rifbindung in Bremen keinen bremischen Weg zur schaft, es sinkt nämlich die Lohnquote infolge die- Regelung über das Tariftreue- und Vergabegesetz ser Auswirkungen. Auf der anderen Seite steigt die geben kann, zumindest nach jetzigem Stand. Des- Kapitalertragsquote und die soziale Ungleichheit wegen wollen wir eigentlich einen bundesweiten vergrößert sich. Weg vorschlagen. Wir unterstützen die Absicht, die Regelung für Allgemeinverbindlichkeitserklärun- Die neue Zusatzstichprobe des sozioökonomischen gen für Tarifverträge neu zu überdenken und vor Panels hat gezeigt, dass das reichste Prozent der allem weiter zu vereinfachen. Bevölkerung mittlerweile rund 35 statt 22 Prozent des individuellen Nettovermögens auf sich vereint. Wir setzen uns dafür ein, dass eine bundesweite Die Tarifbindung sinkt seit Jahren. Das ist ein enor- Strategie zur Stärkung der Tarifbindung gefordert mes Problem, weil eine niedrige Tarifbindung ein wird. Dazu gehört in erster Linie, wie eben er- Grundprinzip unserer Wirtschaftsordnung aus- wähnt, die Vereinfachung von Allgemeinverbind- höhlt, nämlich die Tarifautonomie. Wenn die Tarif- lichkeitserklärungen, aber auch die Erleichterung partner nicht mehr die Instanz sind, die für die Ge- bei der betrieblichen Mitbestimmung und den da- samtheit der Beschäftigten aushandeln, wie Löhne mit einfacheren Betriebsratsgründungen. Denn es und Arbeitsverhältnis gestaltet werden, dann müs- geht um gute Arbeitsbedingungen und um Flexibi- sen mehr und mehr Regelungen direkt vom Staat lität von Unternehmen. Wir brauchen die große De- gesetzt werden. Das ist keine gute Entwicklung, batte, mit welchen Anreizen die Unternehmen aber es ist die logische Konsequenz, wenn nur noch dazu gebracht werden, die Möglichkeit der Tarif- ein Bruchteil der Betriebe im Tarifrecht bleibt. verträge wieder verstärkt zu nutzen und als einen Vorteil zu erkennen. (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Lassen Sie mich eines anmerken: Die Diskussion Die Tarifbindung im Land Bremen ist besonders über die Tarifbindung geht doch über die Betriebe niedrig – und das wurde auch schon gesagt –, der und Branchen hinaus. Es geht um den sozialen Arbeitnehmerstudie entsprechend liegen wir nur Frieden und den Zusammenhalt in unserer Gesell- noch bei 18 Prozent Betrieben im Land Bremen, die schaft, und vor allem in der aktuellen Situation der noch in einer Tarifbindung sind. Man denkt oft, das Pandemie ist dies aktueller denn je. Die Mindest- hätte mit der Wirtschaftsstruktur zu tun, aber auch löhne stellen lediglich eine absolute Lohnunter- wenn man diesen Faktor herausrechnet, etwa die grenze dar. Sie sind wichtig, aber sie dürfen nicht Betriebsgröße, dann sind die Tarifbindungen in dazu führen, Diskussionen über Tarifverträge zu Bremen in etwa 20 Prozent niedriger als im west- vernachlässigen. Lassen Sie uns doch gemeinsam deutschen Schnitt. von der Bundesregierung fordern, eine Strategie zur neuen tariflichen Ordnung zu erarbeiten. – Vie- Das signalisiert Handlungsbedarf. Deshalb kann len Dank! ich die Haltung meiner SPD-Kollegin nur bekräfti- gen, dass zukünftig Tarifverträge leichter für allge- (Beifall CDU) meinverbindlich erklärt werden müssen. Bislang können die Arbeitgeber jede Allgemeinverbind- Vizepräsidentin Dogan: Als nächster Redner hat lichkeit blockieren. Hier ist der Bundesgesetzgeber der Abgeordnete Herr Tebje das Wort. am Zug. Mindestens muss ermöglicht werden, dass die öffentliche Hand bei einer Pattsituation im Ta- Abgeordneter Tebje (DIE LINKE): Sehr geehrte rifausschuss den Ausschlag geben kann. Noch bes- Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! ser wäre es, die Zustimmungspflicht der Spitzenor- Auch ich habe die Vorstellung der Ergebnisse des ganisationen ganz abzuschaffen. Wenn Arbeitge- IAB-Betriebspanels interessiert verfolgt. Die Tatsa- ber und Gewerkschaft in einer Branche die Allge- che, dass Beschäftigte ohne Tarifbindung im meinverbindlichkeit beantragen, dann verstehe ich Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1791

nicht, warum der Arbeitgeberverband das verhin- (Beifall DIE LINKE, SPD) dern können sollte. Vizepräsidentin Dogan: Als nächste Rednerin hat Auch auf Landesebene besteht Handlungsbedarf. die Abgeordnete Frau Wischhusen das Wort. Das Tariftreue- und Vergabegesetz sollte so gestal- tet werden, dass auch bei öffentlichen Aufträgen Abgeordnete Wischhusen (FDP): Frau Präsidentin, Tariftreue sichergestellt wird, auch über die Bau- meine Damen und Herren. Die Tarifbindung nimmt branche hinaus und auch für europaweite Aus- seit Jahren in Bremen, aber auch in ganz Deutsch- schreibungen. An der Umsetzung entsprechender land ab. Das ist nicht neu, insofern nehmen wir eine Maßnahmen arbeiten wir im Ressort und in der Ko- alte Debatte auf, die wir schon im Dezember 2018, alition ja bereits zusammen, und ich hoffe, dass wir ein halbes Jahr vor der Wahl, in der Bürgerschaft da auch bald etwas vorlegen können. (Abgeordnete Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen]: (Zuruf Abgeordneter Dr. Buhlert [FDP]) Richtig!)

Das schauen wir uns da auch an, das wurde ja ge- geführt haben. Die Ergebnisse und Erkenntnisse rade schon angekündigt. haben sich kaum verändert. Der langfristige Trend bezüglich der Tarifbindung zeigt in ganz Deutsch- Wir sollten auch Möglichkeiten der Wirtschaftsför- land nach unten. derung ins Auge nehmen, um gerade neuere Un- ternehmen zu motivieren, in die Tarifbindung ein- (Zuruf Abgeordnete Krümpfer [SPD]) zusteigen. Das klang hier gerade auch schon an, was die Studie gezeigt hat, dass es gerade die Un- Im Land Bremen gab es 2019 mehr tarifgebundene ternehmen der letzten Jahrzehnte sind, die sich Betriebe und Beschäftigte als vorher, der Negativ- neu gegründet haben, die den Weg in eine Ta- trend scheint zumindest vorerst gestoppt zu sein. rifbindung, in eine Tarifpartnerschaft nicht finden. Insofern hätte ich erwartet, dass Sie, liebe Kollegin- Darauf müssen wir, glaube ich, auch gemeinsam nen und Kollegen der Koalition, etwas euphori- Antworten suchen. scher in diese Aktuelle Stunde gehen. Der Trend in Bremen ist gar nicht so dramatisch, wie die Über- Warum sich Bremen denn aber selbst einen kom- schrift der Aktuellen Stunde erwarten lassen munalen Arbeitgeberverband leistet, in dem man würde. Unabhängig von dem Trend ist die Situa- auch tarifungebunden Mitglied sein kann, und wa- tion als solche gar nicht so schlimm. rum viele Beteiligungen und Tochterfirmen der Freien Hansestadt Bremen nicht tarifgebunden 18 Prozent der Betriebe sind nach wie vor tarifge- sind, da müssen sich auch meine Koalitionspartner bunden, 57 Prozent der Beschäftigten arbeiten in und wir uns selbstkritisch hinterfragen. Es ist ja tarifgebundene Unternehmen. Dazu kommen noch nicht nur so, dass laut Senatsantwort vom Juli zehn einmal 27 Prozent der Betriebe, die sich an den Ta- von 31 Beteiligungen keinen Tarifvertrag haben, rifverträgen orientieren und 19 Prozent der Be- darunter die botanika, die Glocke, die Messe und schäftigten, die in Betrieben arbeiten, die sich an das Reha-Zentrum der GeNo. Dazu kommt noch Tarifverträgen orientieren. Insgesamt reden wir eine lange Reihe von Haustarifverträgen, die in al- von 45 Prozent der Betriebe, die entweder tarifge- ler Regel schlechter sind als die Flächentarifver- bunden sind oder sich an Tarifverträgen orientie- träge. Das gilt zum Beispiel für den Flughafen, den ren. Fischereihafen und für die Servicegesellschaft der GeNo. 76 Prozent der Belegschaft arbeiten in Betrieben, die entweder tarifgebunden sind oder sich an Ta- Hier bleibt für uns als Koalition auch noch einiges rifverträgen orientieren. Das ist doch schon eine im eigenen Zuständigkeitsbereich zu tun. Dieser ganze Menge. Was dargestellt werden muss, und Senat muss das Ziel verfolgen, dass im öffentlichen das hat mir gefehlt: Wenn ein Betrieb weder tarif- Sektor ohne Wenn und Aber Tarifbindung gilt, mit gebunden ist, noch sich an den Tarifverträgen ori- Tarifbindung für alle Beteiligungen und ohne „Ta- entiert, heißt es nicht gleich, dass es sich um einen rifbindung light“ in Form von Anlehnungen und Ausbeuterbetrieb handelt, der seine Belegschaft Haustarifverträgen. Bereits das wäre ein wesentli- schlecht bezahlen würde. In den meisten Fällen cher Schritt, die unterdurchschnittliche Tarifbin- wird trotzdem ordentlich bezahlt und zu anständi- dung im Land Bremen anzuheben. – Danke! gen Bedingungen gearbeitet. Gerade der Mittel- stand und die kleinen Betriebe sind diejenigen, die 1792 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

ohne Tarifvertrag, oft sogar ohne Betriebsrat arbei- Abgeordnete Wischhusen (FDP): Sie wissen ge- ten, in denen die Mitarbeiter aber trotzdem gern nauso gut wie ich, dass es immer um die impliziten beschäftigt sind. und expliziten Lohnlücken geht. Wir sind auch da- gegen, dass wir keinen Equal Pay haben, wenn (Beifall FDP, CDU) man sich aber genau anschaut, wie die Statistiken aussehen, wenn man gleiche Arbeitsbedingungen, Aus unserer Sicht sind die neuen Zahlen zur Ta- gleiche Rahmenbedingungen, gleiche Ausbildung, rifbindung keine Zahlen, die weitere staatliche keine Lebenslauflücken hat und die Zahlen darum Handlungen zur Schwächung der Tarifautonomie bereinigt, dann sehen die Lücken ganz anders aus. erfordern. Der Staat darf die Tarifpartner nicht wei- ter überflüssig machen. Wir stehen ganz klar zur Unsere Aufgabe ist es, vor allem eines zu machen, Sozialpartnerschaft! nämlich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und vor allem die Unternehmerinnen und Unternehmer (Beifall FPD) zu motivieren, gemeinsam richtige Arbeitsbedin- gungen zu schaffen. Ich glaube, dass gerade kleine Der Staat sollte nicht Löhne festlegen oder einseitig und mittelständische Unternehmen alles tun, um die Vorstellung von Löhnen durchsetzen. Hier dür- ihrer Belegschaft ein großartiges auskömmliches fen insbesondere die Gewerkschaften nicht aus der Arbeitsleben zu gewährleisten und damit auch die Verantwortung entlassen werden, die sie tragen. Verantwortung für deren Familien mitzutragen. Sie schaffen es seit Jahren nicht, Mitglieder zu ge- winnen. Nehmen wir den DGB, der im Jahr 2000 (Beifall FDP) noch 7,9 Millionen Mitglieder hatte. Heute hat er noch 5,9 Millionen Mitglieder. Innerhalb von Vizepräsidentin Dogan: Haben Sie eine weitere 20 Jahren hat der DGB also 25 Prozent seiner Mit- Frage? Oder erlauben Sie eine weitere Frage? glieder verloren, obwohl die Anzahl der Arbeitneh- merinnen und Arbeitnehmer in dieser Zeit insge- Abgeordnete Wischhusen (FDP): Ich möchte jetzt samt um 12 Prozent, also um 5 Millionen zugenom- gern zu Ende reden. men hat. Vizepräsident Dogan: In Ordnung. Fahren Sie fort, Vizepräsidentin Dogan: Erlauben Sie eine Zwi- Frau Wischhusen. schenfrage des Abgeordneten Tebje? Oder wollen Sie fortfahren? Abgeordnete Wischhusen (FDP): Vielen Dank! Zu- rück zu dem Thema DGB und wie haben sich die Abgeordnete Wischhusen (FDP): Kann ich kurz zu Mitgliederzahlen entwickelt. Wie gesagt, der DGB Ende sprechen, bitte? hat 25 Prozent der Mitglieder verloren, obwohl in dieser Zeit die Arbeitnehmerinnen- und Arbeitneh- Vizepräsidentin Dogan: Eigentlich wäre es gut, merzahl um 12 Prozent gestiegen ist. Das ist keine wenn Sie Ja oder Nein sagen. Sie haben immer gute Bilanz, hier sind die Gewerkschaften gefragt, noch Zeit, danach die Rede weiter fortzuführen. wieder attraktiver zu werden und bessere Arbeit zu leisten. Das heißt auf der anderen Seite aber auch, Abgeordnete Wischhusen (FDP): Wenn ich noch dass die Arbeitsbedingungen durchaus gut sind, ein bisschen Zeit habe, dann gern. denn sonst wären doch viel mehr in Gewerkschaf- ten organisiert. Die Gewerkschaften repräsentieren Vizepräsidentin Dogan: Bitte, Herr Tebje. eine kleine Minderheit an Arbeitnehmern, insofern ist die Wirkung von Tarifverträgen nicht besonders Abgeordneter Tebje (DIE LINKE): Frau Wisch- niedrig, sondern relativ gesehen sogar ziemlich husen, Sie haben gerade ausgeführt, dass nicht ta- hoch. Die aufgezeigte Dramatik kann ich daher nur rifgebundene Betriebe oder Betriebe, die nur in begrenzt nachvollziehen. Anlehnung an Tarife zahlen, trotzdem gut vergü- ten. Wie erklären Sie sich dann die Lohnlücke und Als Freie Demokraten lehnen wir alle Maßnahmen dass Mitarbeiter nicht tarifgebundener Betriebe so- ab, die die Tarifautonomie noch weiter schwächen. wohl im Schnitt 10,5 Prozent weniger Gehalt be- Die Lohnfindung ist in unseren Augen Sache von kommen als auch eine Stunde länger arbeiten und Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Das finden wir selbst bei einer Anlehnung an Tarife immer noch gut und richtig, und das soll auch in Zukunft so über 8 Prozent geringere Löhne bezahlt werden? bleiben. Der Staat ist weder der bessere Unterneh- Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1793

mer, noch findet er die besseren und marktgerech- hat die Tagung der Arbeitnehmerkammer gezeigt. teren Löhne. Gerade jetzt, zu Pandemiezeiten, in Es gibt beides: Man hat zum Beispiel in Skandina- denen in den nächsten Monaten in Deutschland vien einen Zusammenhang zwischen hoher ge- übrigens 300 000 Betrieben die Insolvenz droht und werkschaftlicher Bindung und hoher Tarifbindung, damit auch Millionen Arbeitnehmerinnen und Ar- man hat aber in Belgien genau das Gegenteil: Ganz beitnehmer vor der Existenzbedrohung stehen, geringe gewerkschaftliche Bindung aber hohe Ta- brauchen wir Unterstützung statt noch mehr staat- rifbindung. Was fangen wir mit diesen Forschungs- liche Eingriffe. – Vielen Dank! ergebnissen an? Ich würde raten, wir schauen uns die Struktur in Bremen, im Land Bremen genauer (Beifall FDP) an, um zu ergründen, woran es eigentlich liegt, dass wir bei den Unternehmen in Bremen nur noch Vizepräsidentin Dogan: Als nächste Rednerin hat eine geringe Tarifbindung haben. das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Müller. Dafür müssen wir uns, darum kommen wir über- Abgeordnete Dr. Müller (Bündnis 90/Die Grünen): haupt nicht herum, auch die Entwicklungen des Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Wirtschaftsstandorts Bremen und Bremerhaven Tarifbindung im Land Bremen und bundesweit von einem sehr starken Industriestandort zu einem sinkt, allerdings bundesweit nicht so dramatisch Ausbau des Dienstleistungsbereiches, des wissen- wie im Land Bremen. Das hat uns die von der Poli- schaftlichen Nahbereiches anschauen. Wir bauen tik gut besuchte Tagung der Arbeitnehmerkammer diesen Sozialwirtschaftssektor aus. Das alles sind anhand konkreter Zahlen verdeutlicht. Dafür müs- Bereiche, in denen eher kleinere Unternehmen mit sen wir der Arbeitnehmerkammer, dem WSI und wenigen Beschäftigten tätig sind, in denen tatsäch- dem IAB sehr dankbar sein. Ich bin es, weil sie uns lich die gewerkschaftliche Bindung relativ niedrig konkrete Zahlen geliefert, diese ausgewertet und und damit womöglich auch der Anreiz für Arbeit- zusammengefasst haben. geberinnen und Arbeitgeber, tarifgebundene Löhne anzubieten, nicht so hoch ist. Ich würde All das, was wir schon vor zwei Jahren debattiert nicht so weit gehen, all diesen Arbeitgeberinnen haben, Frau Wischhusen hat darauf hingewiesen, und Arbeitgebern ausbeuterische Ambitionen vor- die letzte größere Debatte zur Tarifbindung, zu Ta- zuwerfen, es wird sicherlich auch andere Beweg- rifflucht und zu Möglichkeiten, wie wir tarifgebun- gründe geben, manchmal sogar, dass sie übertarif- dene Beschäftigung wieder fördern können, haben lich bezahlen. Auch das dürfen wir nicht aus dem wir im Dezember 2018 geführt. Damals haben wir Blick verlieren. den Senat aufgefordert, alles in seiner Macht Ste- hende zu tun, um auf Bundesebene dafür zu sor- Bleibt die Tatsache, das haben wir aufgrund der gen, die Allgemeinverbindlichkeitserklärung zu Daten sehr gut dargelegt, dass Frauen am meisten erleichtern. Was wir nach zwei Jahren konstatieren und dramatischsten die Konsequenzen zu tragen können ist: So einfach ist es nicht. Das haben wir haben, wenn sie nicht tarifgebunden arbeiten. schon damals gewusst und dem Senat viel Erfolg gewünscht. So werden auch meine Schlussworte Dann werden sie in der Regel nicht besser bezahlt heute am Ende der aktuellen Debatte und der Ak- als in tarifgebundener Beschäftigung, sondern sehr tuellen Stunde sein, denn das wird Anstrengungen viel niedriger und so, dass sie ihre eigene Existenz- und viel Geduld erfordern. sicherung nicht leisten können. Dann sind wir ganz schnell auch wieder bei der Debatte über Alleiner- Was uns nicht besonders hilft ist, dass wir keine Er- ziehende, aber die werden wir an anderer Stelle klärungsmöglichkeiten haben, warum die Tarif- führen. flucht bundesweit und besonders in Bremen zu- nimmt. Wir haben neue Daten geliefert bekommen, Ich finde, dass die zwei Forschungsinstitute und die aber keine Erklärungen dafür, warum das so ist. Arbeitnehmerkammer drei richtige Vorschläge ge- Ganz oft wird als spontane Erläuterung – auch macht haben, um Tarifflucht zu unterbinden oder heute in der Debatte – angeführt, dass die man- Erklärungsansätze dafür zu finden, woran das liegt. gelnde gewerkschaftliche Bindung von Beschäftig- ten dazu führt, dass wir eine abnehmende Tarifbin- Punkt Nummer eins, und das ist – zumindest bei dung haben. mir – Wasser auf meine Mühlen gewesen, war der Vorschlag, dass wir alles dafür tun müssen, um All- Wenn man sich die Tarifbindung im europaweiten gemeinverbindlichkeitsregeln zu erleichtern. Das Vergleich anschaut, ist das mitnichten der Fall, das 1794 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

haben alle Kolleg*innen der Koalition schon erläu- Soweit zu meiner Zurückhaltung bei Punkt drei, tert. Wie dringlich das ist, hat auch die Tagung ge- den uns die beiden Forschungsinstitute vorgeschla- zeigt, haben die Vertreter*innen der Arbeitneh- gen haben. Insgesamt glaube ich, dass wir alle ge- mer*innen, die dort waren auch noch einmal aufs meinsam etwas dazu beitragen können, von die- Eindrücklichste erläutert. sem, ich weiß gar nicht, wie man das nennen soll, diesem Lebensziel, alles so billig wie möglich ha- Von daher kann ich für diesen Punkt eins dem Bür- ben zu wollen, ein bisschen abzurücken, natürlich germeister, der es sich zu seiner eigenen Aufgabe zu allererst in den Bereichen Arbeit und Beschäfti- gemacht hat und gleich noch einmal etwas dazu sa- gung. gen wird, nur wünschen, gute Verhandlungs- partner, starke Partner in den anderen Bundeslän- Dass wir in den letzten Jahrzehnten immer öfter dern zu finden. Das wünsche ich Ihnen, damit man auch Beschäftigung zugelassen haben, die weit da- auf Bundesebene wirklich weiterkommt. von entfernt ist, Existenzen zu sichern, dass wir die Zurverfügungstellung der Arbeitskraft zu billigsten Bei den Punkten zwei und drei, also Auftrags- Löhnen akzeptiert haben, ist ein schwerer gesell- vergabe und Wirtschaftsförderung, bin ich schon schaftlicher Fehler. Je mehr wir öffentlich darüber ein wenig zurückhaltender. Mit der Auftrags- debattieren, dass das Zurverfügungstellen von Ar- vergabe des Landes Bremens, wo wir alle unsere beitskraft Geld kostet und nicht zu Minimalstlöh- Aufträge an Unternehmen vergeben, die hoffent- nen zu haben ist – –. Das ist, glaube ich, ganz be- lich tarifgebundene Beschäftigung anbieten, bin sonders wichtig. Ich finde, wir sollten das auch ich einverstanden, auch wenn ich mir in meiner noch einmal deutlich machen. grenzenlosen Fantasie auch Aufträge vorstellen könnte, bei denen das vielleicht nicht unbedingt zu Es gibt natürlich Unternehmen – das sind in der Re- ermöglichen ist. Im Grundsatz finde ich das aber gel aber größere, ich will das einmal sagen, ich rede sehr richtig. nicht von Familienunternehmen –, die in der Regel sehr gute Arbeitsbedingungen für ihre Beschäftig- Bei der Vergabe im Bereich der Wirtschaftsförde- ten anbieten. Ich rede auch nicht von kleinen, mit- rung würde ich mir wünschen, dass wir darüber telständischen Unternehmen, sondern es sind oft noch einmal intensiver diskutieren. Wenn wir uns die großen Ketten, von der Flugzeuglinie bis hin anschauen, welche Cluster oder Zielunternehmen zum Kaffeespezialisten mit all ihren Dumpinglöh- wir ausgemacht haben, die wir fördern wollen, nen, die wir tolerieren, zu denen wir gern hingehen dann sind das ganz oft Start-ups, junge Unterneh- und die wir oft in Anspruch nehmen. Da vor Augen men und Unternehmen aus der Sozialwirtschaft. zu führen, wir akzeptieren das nicht mehr, wir wol- Denen sollten wir es nicht erschweren, sich zu len, dass gute Löhne und faire Arbeit zu guten Ar- etablieren, sondern mit Übergangsregelungen ar- beitsbedingungen die Regel und der Standard sind beiten und sagen: Wir wollen, dass ihr euch ansie- – –. Wenn wir das öffentlich klarmachen, haben wir delt, nach drei oder fünf Jahren erwarten wir aber, in dem Bereich schon viel gewonnen. – Vielen dass ihr, je nachdem, wie groß euer Unternehmen, Dank! euer Betrieb geworden ist, tarifgebundene Be- schäftigung anbietet. (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Ich habe immer ein bisschen Sorge – –. Ich erwarte Vizepräsidentin Dogan: Als nächste Rednerin hat von Unternehmen, die wir wirtschaftlich fördern das Wort die Abgeordnete Aulepp. auch, dass sie Frauen gleich bezahlen wie Männer. Wir haben sehr viele Kriterien, die wir in der Wirt- Abgeordnete Aulepp (SPD): Sehr geehrte Frau schaftsförderung berücksichtigen und müssen da- Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich rauf achten, dass es sich weiterhin lohnt, sich anzu- will zu zweien meiner Vorrednerinnen noch einige siedeln. Das macht man nicht nur, indem man ein Anmerkungen machen. Sie werden wenig über- fertiges, funktionierendes Unternehmen hierher rascht sein davon, dass es sich um Frau Hornhues holt, sondern man muss den Menschen auch Mög- und Frau Wischhusen handelt. Ich freue mich im- lichkeiten einräumen, sich entwickeln zu können, mer, dass es bei der CDU die Christlich-Demokra- Fehler zu machen und nicht gleich von Anfang an tische Arbeitnehmerschaft gibt, weil wir da dann alle Kriterien erfüllen zu können. Positionen und Forderungen hören, die unseren re- lativ nah sind, also dass die Tarifautonomie ein ho- hes Gut ist und dass wir wollen, dass das verstärkt Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1795

wird. Frau Hornhues, da haben Sie mir aus der freuen, wenn Sie auch dafür werben würden, dass Seele gesprochen. Arbeitgeber in Arbeitnehmerverbände eintreten, und zwar nicht mit der Mitgliedschaft ohne Ta- Interessiert habe ich gehört, dass Sie sagen, das rifbindung, sondern mit einer Vollmitgliedschaft, wäre für die Unternehmen so kompliziert und so für eine ordentliche Sozialpartnerschaft. Diese viel bürokratischer Aufwand, dass sie bei öffentli- Werbung, dieses explizite Bekenntnis habe ich von chen Aufträgen nach Tarif bezahlen müssen und der FDP noch nirgendwo gelesen, aber nach den bei den anderen nicht. Ich hätte da einen ganz ein- klaren Worten von Frau Wischhusen freue ich mich fachen Vorschlag. Wie wäre es, wenn die Unter- darauf. nehmen einfach alle nach Tarifvertrag bezahlen würden? Dann wäre es vielleicht weniger umständ- (Beifall SPD) lich. Natürlich kann der Staat nicht sämtliche Arbeitsbe- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) dingungen regeln, sondern das ist Aufgabe der So- zialpartner und der Sozialpartnerschaft. Meine Das führt mich aber dazu, noch einmal geradezu- Wertschätzung und die der SPD für die Sozialpart- rücken, dass ich natürlich auch daran interessiert nerschaft habe ich aber, glaube ich, an dieser Stelle bin, welchen Vorschlag uns der Senat zur Ände- hinlänglich deutlich gemacht. Ein letzter Satz noch rung des Tariftreue- und Vergabegesetzes in Bre- dazu: Die Gewerkschaften unterstützen sehr die men macht. Das, was ich meinte, war, zumindest Forderung nach Allgemeinverbindlichkeitserklä- den Anwendungsbereich auszuweiten, nicht aber rung von Tarifverträgen, jedenfalls dann, wenn die Anforderung an die Unternehmen. Wie gesagt, beide Tarifpartner das auch wollen. Die Gewerk- möglicherweise findet sich ja da noch ein sehr gu- schaften begreifen diese Allgemeinverbindlich- ter Vorschlag. keitserklärung als Stärkung der Sozialpartner- schaft. Auch in dieser Frage steht die SPD an der Frau Wischhusen, dass Sie das nicht so schlimm fin- Seite der Kolleginnen und Kollegen. – Danke den, dass weniger als 20 Prozent der Betriebe in schön! Bremen tarifgebunden sind, das erstaunt mich jetzt nicht, das erschüttert mich aber schon ein bisschen. (Beifall SPD) Die Arbeitnehmerkammer hat ja eine ausführliche Studie veröffentlicht. Wenn man die genau liest, Vizepräsidentin Dogan: Als nächster Redner hat dann sieht man, dass auch bei den Betrieben, die das Wort Herr Bürgermeister Dr. Bovenschulte. sich am Tarifvertrag orientieren, eine Lohnlücke besteht. Die ist zwar weniger als 10,5 Prozent, al- Bürgermeister Dr. Bovenschulte: Frau Präsidentin, lerdings mit 8 Prozent auch nicht gerade ganz we- meine Damen und Herren! Ich denke, es wäre nig. Dass das die Insel der Glückseligen ist, das falsch, die Dramatik der Situation zu unterschät- kann man an der Stelle auch nicht behaupten. zen, wenn es um Tarifbindung geht. In den letzten 15 Jahren hat sich nicht nur in Bremen, sondern im Auch in einem anderen Fall hilft das genaue und Durchschnitt der westdeutschen Großstädte die sinnentnehmende Lesen. Die Arbeitnehmerkam- Zahl der tarifgebundenen Betriebe halbiert. Das ist merstudie hat natürlich den Lohnunterschied so eine Dramatik. Natürlich gibt es in den einzelnen bereinigt, wie Sie das gerade hier gefordert haben. Jahren dann immer ein paar Ausschläge, aber die Der einzige Unterschied zwischen den Beschäfti- Grundtendenz ist leider aussagekräftig und ein- gungsverhältnissen ist: Tarifvertrag, ja oder nein. deutig. Ansonsten ist alles gleich. Es ist also eine völlig be- reinigte Tariflücke, die immer noch bei über Dass das in der Fläche nicht ganz so ist, hat auch 10 Prozent liegt. Damit können und dürfen wir etwas mit der besonderen Struktur der Unterneh- nicht zufrieden sein, liebe Kolleginnen und Kolle- men in Großstädten zu tun, in denen sich mehr klei- gen! nere und mittlere Unternehmen in bestimmten Branchen ansiedeln. Dass das nicht in gleicher (Beifall SPD) Weise auf die Anzahl der tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Beschäftigten durchschlägt, Eine letzte Anmerkung. Dass die FDP die Tarifau- ist auch klar, aber dramatisch ist die Entwicklung. tonomie hochhält, also dass gesagt wird, das sollen Wenn man noch weiter zurückgehen würde, dann die Sozialpartner, also auch die Arbeitgeber lieber würde sich dieser Trend noch deutlicher darstellen. selbst regeln – –. Ja, dann würde ich mich sehr Dann würde man sehen, dass wir in den letzten 1796 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Jahrzehnten vor einer fundamentalen Verände- Tarifverträge sind das Instrument, durch kollektive rung gestanden haben und auch von einer solchen Handlung diese Machtungleichheit auszugleichen sprechen müssen. und zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- mern und Unternehmen zu einer Verhandlung auf Das war natürlich schon vor zehn, vor fünf und vor Augenhöhe zu kommen. Wenn dieses Instrument zwei Jahren und ist auch heute Anlass, darüber zu immer weniger Kraft entfaltet, weil es in der sozia- debattieren, sich Gedanken und Sorgen zu ma- len Wirklichkeit und der wirtschaftlichen Wirklich- chen. Denn eines haben ja die meisten Vorredne- keit immer weniger angewendet wird, dann ist das rinnen oder Vorredner herausgearbeitet: Tarifbin- ein struktureller Abbau von Selbstbestimmung in dung, tarifgebundene Unternehmen bieten im Re- der Gesellschaft. Es ist eine strukturelle Entdemo- gelfall bessere Arbeitsbedingungen und sind auch kratisierung, weil es das Machtungleichgewicht fairer, was die Behandlung von Frauen und von und die Machtasymmetrie zwischen Arbeitnehme- Menschen mit Migrationshintergrund angeht. Sie rinnen und Arbeitnehmern und Unternehmen ver- bieten nicht in jedem Einzelfall, aber im Regelfall schärft. bessere Arbeitsbedingungen, das ist klar. Es gibt auch Unternehmen, die nicht tarifgebundenen sind Das geht an die Basis des sozialen und demokrati- und trotzdem hervorragende Arbeitsbedingungen schen Zusammenhaltes in unserer Gesellschaft. haben. Es gibt auch tarifgebundene Unternehmen, Deshalb sind Tarifverträge nicht nur ein wirtschaft- die das nur dem Namen nach sind und trotzdem liches, sondern ein zutiefst demokratisches Instru- eine lausige Betriebskultur haben. Die empirische ment. Grundlage ist aber eindeutig: Im Regelfall bieten tarifgebundene Unternehmen bessere Arbeitsbe- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) dingungen. Das steht fest. Tarifverträge sind aber auch – und da schaue ich (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) auf die auch hier im Saal vorhandenen Unterneh- merinnen und Unternehmer – ein ganz wichtiges Das ist ein zentraler Grund, warum es ein Problem Instrument zur Gewährleistung eines effizienten ist, wenn wir von einem säkularen Trend des Ab- und effektiven Wettbewerbs. Sie schaffen ein faires sinkens der Tarifbindung sprechen müssen. Spielfeld, auf dem dann mit unterschiedlichen Kon- zepten und unterschiedlicher Qualität der Produkte Ich möchte aber noch einen Schritt weitergehen. Es und Dienstleistungen konkurriert werden kann. geht ja nicht nur um die Arbeitsbedingungen, die Auf diesem kann geschaut werden, wie sich die Lohnhöhe, den Urlaub und ähnliche Fragen, son- besseren Ergebnisse und die besseren Leistungen dern Tarifverträge sind ja ein wesentliches Instru- durchsetzen, ohne dass der eine Spielpartner oder ment der Selbstbestimmung von Arbeitnehmerin- Konkurrent, wenn er plötzlich dabei ist, Marktan- nen und Arbeitnehmern in unserer Gesellschaft, teile zu verlieren, auf das Mittel des Lohndumpings ein wesentlicher Bestandteil unserer demokrati- oder der Lohnabsenkung oder der Verschlechte- schen Gesellschaft. rung von Arbeitsbedingungen zurückgreifen kann.

Wir wissen alle, dass der Arbeitsmarkt, das Ver- Neben einem sozialpolitischen und einem demo- hältnis von der einzelnen Arbeitnehmerin und dem kratischen Instrument sind Tarifverträge auch eine einzelnen Arbeitnehmer zu Unternehmen, durch Grundlage für eine rationale marktliche Wettbe- eine strukturelle Machtasymmetrie geprägt ist. Im werbsordnung. Deshalb kann ich manchmal gar Normalfall hat ein Arbeitnehmer nicht die Möglich- nicht verstehen, warum in unseren Kreisen von Un- keit, seine Arbeitsbedingungen frei auszuhandeln, ternehmerinnen und Unternehmern so eine innere sondern wenn er einen Arbeitsplatz haben möchte, Zurückhaltung dagegen zu spüren ist, dass Tarif- dann muss er das akzeptieren, was ihm angeboten verträge als Grundlage wettbewerblichen Han- wird. Es gibt auch da Ausnahmen. Wenn man über delns angesehen werden. Herr Weiss, Sie werden besondere Fähigkeiten verfügt oder in einem Be- mir da sicherlich zustimmen und das jetzt noch ein- reich mit starkem Fachkräftemangel arbeitet, dann mal öffentlich kundtun wollen. mag das einmal sein, dass es eine echte Verhand- lung auf Augenhöhe gibt. Der Grundsatz von Tarif- Vizepräsidentin Dogan: Herr Bürgermeister Dr. verträgen ist aber von der Erfahrung gespeist: Es Bovenschulte, erlauben Sie die Zwischenfrage? gibt diese Machtgleichheit auf dem Arbeitsmarkt nicht, sondern eine fundamentale Machtungleich- Bürgermeister Dr. Bovenschulte: Ja, gern. heit. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1797

Vizepräsidentin Dogan: Bitte, Herr Weiss! übereinstimmend übrigens völlig richtig gesagt worden: Das ist natürlich Aufgabe der Tarifpar- Abgeordneter Weiss (CDU): Da kann ich natürlich teien und insbesondere der Gewerkschaften, die gar nicht widerstehen. Herr Bürgermeister, ist das größte Interesse daran haben, das auch selbst Ihnen bekannt, dass die Bremer Unternehmen zu zu erkämpfen. Ich halte nichts davon – und sage etwa zwei Dritteln exportorientiert sind und dass es das den Kolleginnen und Kollegen von der Ge- in vielen Auslandsmärkten gar keine Tarifverträge werkschaft auch immer –, zu sagen: Jetzt haben wir gibt? solche Schwierigkeiten, du Staat, mach einmal! Dann sage ich: Nein, dann muss man auch durch Bürgermeister Dr. Bovenschulte: Ja, das ist mir be- entsprechende Organisationsanstrengungen und kannt. Trotzdem ist es so, dass die Steigerung der durch erfolgreiche Arbeit die Grundlage dafür Tarifbindung ja nicht nur eine nationale, sondern schaffen, dass die Menschen sich organisieren. Das auch über Länder hinausgehende Aufgabe ist. Wir ist eine Aufgabe und eine Verantwortung, die den kennen das über die Internationale Arbeitsorgani- Gewerkschaften tatsächlich niemand abnehmen sation, wir kennen das über die Europäische Ge- kann. Ich glaube, das ist auch ganz klar, weil das meinschaft. Insofern trägt dieses Argument wie bei Prinzip gesellschaftlicher Selbstorganisation und allen Sozial- und Arbeitsbedingungen auch nicht, der Tarifautonomie sonst auch ausgehöhlt wird. weil es natürlich nicht nur eine nationale, sondern Das ist die Prämisse. auch eine europäische Strategie ist. Die zweite Prämisse ist allerdings, dass wir auch Vizepräsidentin Dogan: Haben Sie eine weitere ein Klima brauchen, in dem auf der Gegenseite die Frage? – Bitte sehr! Unternehmen in die Arbeitgeberverbände hinein- gehen und tatsächlich sagen: Ja, wir akzeptieren Abgeordneter Weiss (CDU): Würden Sie mir recht das. Wir sehen die Einschränkung unserer unter- geben, dass sich die Unternehmen trotzdem in die- nehmerischen Handlungsfähigkeit durch Tarifver- sem Spannungsfeld befinden und dann doch unter träge, aber wir sehen auch die Vorteile und vor al- Schwierigkeiten kommen könnten, wenn es diese len Dingen die mittel- und langfristigen strategi- Tarifverträge in anderen Bereichen nicht gibt? schen Vorteile. Deshalb ist es richtig, ein Klima zu schaffen, in dem tatsächlich in Unternehmerkrei- Bürgermeister Dr. Bovenschulte: Deshalb haben ja sen gesagt wird: Ja, wir treten in die Arbeitgeber- auch Gewerkschaften immer gezeigt, dass sie in verbände ein. Wir stehen als Tarifpartner zur Ver- diesen Situationen auch bereit sind ─ dann aber in fügung und entziehen uns dieser Aufgabe und die- einer diskutierten und kontrollierten Art und Weise sem strukturellen Ansatz nicht durch Tarifflucht. ─ genau diese Notwendigkeiten und diese Konkur- renzsituationen einzubeziehen. So richtig es ist, dass es die Aufgabe der Tarifpar- teien ist, selbst für Tarifverträge zu sorgen, so rich- Ich will aber noch einen anderen Punkt deutlich tig ist aber doch auch, dass wir in einem sozialen machen: Die fehlende Tarifbindung ist ja gar nicht und demokratischen Rechtsstaat leben, in dem die so sehr in den exportorientierten Sektoren der In- Vorprägung, die verfassungsrechtliche und die po- dustrie, wie wir sie haben – in der Automobilindust- litische, dem Staat die Pflicht gibt, richtige und ver- rie, in der Stahlindustrie, in der Flugzeugindustrie nünftige Rahmenbedingungen für die Tarifautono- –, sondern viel bei den kleinen und mittleren Un- mie zu schaffen. Sie alle kennen – davon bin ich ternehmen, die natürlich auch ganz häufig im überzeugt – Artikel 39 unserer Landesverfassung, Dienstleistungssektor tätig sind. Dort ist es mit der in dem ja ausdrücklich steht: Der Staat hat die internationalen Konkurrenz gar nicht das Entschei- Pflicht, jedem einen gerechten Anteil an dem Er- dende, und trotzdem sinkt dort die Tarifbindung trag aller Arbeit zu sichern und ihn vor Ausbeutung am stärksten und ist am stärksten gesunken. Ge- zu schützen. Also die Pflicht, jedem einen gerech- rade da wäre ein gerechtes Feld des Wettbewerbs ten Anteil am Ertrag aller Arbeit zu sichern, das ist eigentlich etwas Sinnvolles und auch im Interesse ja praktisch eine Aufforderung an den Gesetzge- der Unternehmerinnen und Unternehmer. ber, tätig zu werden, die Tarifautonomie zu schüt- zen und zu stärken. (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) (Beifall SPD) Gut, wenn wir sinnvollerweise sagen, dass wir eine Stärkung der Tarifbindung brauchen, dann ist eine Das wäre es übrigens als Verfassungsauftrag auch, Sache von allen Vorrednerinnen und Vorrednern wenn wir hier eine andere Regierung hätten, weil 1798 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

sich dem ja keine Regierung entziehen kann, da es auch eine Erweiterung des sachlichen Anwen- dies das bestimmende Gesetz unseres Landes ist, dungsbereichs geben. das uns diesen Auftrag erteilt. In Erfüllung dieses Auftrags hat es natürlich schon in den letzten Le- Das sind die beiden zentralen diskutierten Anwen- gislaturperioden Debatten und auf Initiative des dungspunkte, Allgemeinverbindlichkeit und Aus- Senats des Landes Bremen auch schon Bundesrats- weitung des Tariftreue- und Vergabegesetzes. initiativen gegeben. Am 7. Juni letzten Jahres ist Komplizierter sollte es dadurch in bürokratietech- dann auch eine Entschließung des Bundesrates zur nischer Hinsicht eigentlich nicht werden. Wir müs- Stärkung der Tarifautonomie und der Tarifbindung sen uns aber überlegen, ob das ausreicht oder ob verabschiedet worden. Damit sind das Grund- wir nicht noch stärker – und das ist meine letzte Be- thema und die Grundlinie schon gesetzt worden. merkung – über einen anderen Punkt nachdenken müssen: Müssen wir nicht mehr positive Anreize Nun ist es allerdings so, dass eine allgemeine Ent- schaffen, Tarifverträge tatsächlich abzuschließen schließung für sich genommen natürlich noch nicht und sich tariftreu zu verhalten, also nicht nur mit zu einer Gesetzesänderung führt. Deshalb hat sich Druck, sondern auch mit Anreizen arbeiten? die Koalition jetzt vorgenommen, noch einmal nachzulegen: Zum einen mit einer Bundesratsiniti- Neben den Diskussionen über die konkrete Wirt- ative zur konkreten Änderung des Tarifvertragsge- schaftsförderung vor Ort im kommunalen Bereich setzes – es ist schon mehrfach angesprochen wor- verfolge ich mit großem Interesse – es gibt da keine den –, mit dem die Erklärung der Allgemeinver- feste Auffassung im Senat und in der Koalition – die bindlichkeit von Tarifverträgen erleichtert werden Debatte bundesweit, ob wir uns nicht für kleine soll, insbesondere indem Pattsituationen anders und mittlere Unternehmen steuerliche Erleichte- aufgelöst werden sollen und indem keine beider- rungen vorstellen können, wenn sie sich tarifver- seitige Antragstellung mehr zwingend erforderlich traglich binden. Das ist eine Debatte, die geführt ist. wird. Ich habe dazu noch keine abschließende Mei- nung und habe jetzt noch einmal in Vorbereitung Wir versprechen uns dadurch tatsächlich, wenn es auf die heutige Debatte eine interessante Stellung- eine Mehrheit dafür gibt, noch einmal eine deutli- nahme des wissenschaftlichen Dienstes des Bun- che Stärkung des Instruments der Allgemeinver- destags dazu zur Kenntnis genommen. Das ist viel- bindlichkeit. Welche segensreiche Wirkung das leicht ein Punkt, den man sich noch einmal stärker haben kann, das hat man ja jetzt gerade wieder in überlegen muss, um neben den eher verpflichten- Bremen erlebt, wo wir am 14. September die Allge- den Elementen auch das Instrument des Anreizes meinverbindlichkeit im Friseurhandwerk auf den stärker zu betonen. Weg gebracht haben, von der ich denke, dass sie ein richtig gutes Ergebnis für die Kolleginnen und Das wird aber eine Diskussion sein, die wir noch Kollegen in diesem Bereich war. gemeinsam führen müssen. Erst einmal freue ich mich, dass die heutige Debatte dann doch eine (Beifall SPD, DIE LINKE) recht breite Einigkeit dafür gegeben hat: Wir brau- chen eine Stärkung der Tarifautonomie, wir brau- Der zweite Punkt ist: Was können wir auf Landes- chen eine Stärkung der Tarifbindung, weil das die ebene direkt machen? Das ist die Reform des Tarif- Grundlage für unseren gesellschaftlichen Zusam- treue- und Vergabegesetzes und in der Tat geht es menhalt, für ein vernünftiges Wirtschaften, für so- da im Wesentlichen darum, den Anwendungsbe- ziale Gerechtigkeit und für die Selbstbestimmung reich zu erweitern. Bisher gilt das ja nur bei ÖPNV- der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist. – In und Bauvergaben unterhalb der europarechtlichen diesem Sinne herzlichen Dank! Schwellenwerte. Nun soll vorbehaltlich endgülti- ger rechtlicher Prüfung der Anwendungsbereich (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) auch auf den Bereich oberhalb der Schwellenwerte ausgedehnt werden. Vizepräsidentin Dogan: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Außerdem sollen Dienstleistungsaufträge einbezo- gen werden ─ keine Lieferaufträge, da wäre die Die Aktuelle Stunde ist damit geschlossen. Tariftreue nicht zu überprüfen und nicht nachzu- vollziehen ─, aber jedenfalls Dienstleistungsauf- Ich unterbreche die Landtagssitzung für eine Mit- träge und Bauaufträge oberhalb der Schwellen- tagspause bis 14:30 Uhr. werte. Was die Dienstleistungsaufträge angeht, soll Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1799

(Unterbrechung der Sitzung 13:01 Uhr) nige der im vorliegenden Bericht behandelten Auf- gaben auch vier bis fünf Jahre später immer noch  aktuell sind. Andererseits, und nun komme ich zu meinem eigentlich Punkt, zeigt uns aber vor allem Vizepräsidentin Grotheer eröffnet die Sitzung wie- die Bewältigung der aktuellen Pandemie, dass be- der um 14:30 Uhr. hinderte Menschen noch immer strukturell be- nachteiligt werden und dass wir noch keine inklu- Vizepräsidentin Grotheer: Die unterbrochene Sit- sive Gesellschaft sind. zung der Bürgerschaft (Landtag) ist wieder eröff- net. Viele Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf, die in Einrichtungen leben, waren lange Zeit und 6. Bericht über die Tätigkeit des Landesbehinder- sind teilweise immer noch mit Besuchsregeln kon- tenbeauftragten für den Zeitraum vom 01.01.2015 frontiert und dadurch teilweise sozial isoliert. Men- bis zum 31.12.2016 schen, die in einer anerkannten Werkstatt für Men- Bericht des Landesbehindertenbeauftragten schen mit Behinderungen arbeiten, können noch vom 24. Juli 2020 immer nicht vollständig ihrer Arbeit nachgehen, (Drucksache 20/561) und Menschen in Tagesförderstätten können teil- weise noch immer nicht das tagesstrukturierende Dazu begrüße ich recht herzlich unseren ehemali- Angebot dort wahrnehmen. Behinderte Kinder und gen Landesbehindertenbeauftragten Herrn Dr. Jugendliche in Kita und Schule konnten zeitweise Steinbrück. keinen Kontakt zu ihren Assistentinnen und Assis- tenten haben, Menschen mit psychischen Beein- (Beifall) trächtigungen konnten Beratungsangebote nicht in Anspruch nehmen. Die Beratung ist eröffnet. Ich finde, die Schlussfolgerung liegt nahe, dass Als erster Redner erhält das Wort der jetzige Lan- über die bestehenden Herausforderungen hinaus desbehindertenbeauftrage Herr Frankenstein. zurzeit erhebliche negative Folgewirkungen ent- stehen. Ich halte es deshalb für besonders wichtig, Herr Frankenstein: Sehr geehrte Frau Präsidentin, dass der Senat und die Bürgerschaft gezielte Maß- sehr geehrte Abgeordnete der Bremischen Bürger- nahmen ergreifen, um in diesen Bereichen frühzei- schaft! Ich möchte mich zunächst für die Gelegen- tig gegenzusteuern. Die Herstellung gleichberech- heit ganz herzlich bedanken, zum sechsten Tätig- tigter Teilhabe behinderter Menschen ist eine keitsbericht des Landesbehindertenbeauftragten Querschnittsaufgabe, die in allen Lebensbereichen persönlich Stellung zu nehmen. Ich sage bewusst Bedeutung hat. Um meine Redezeit nicht überzu- nicht zu meinem Tätigkeitsbericht, weil der Be- strapazieren, möchte ich heute auf vier wesentliche richtszeitraum ausschließlich in die Amtszeit mei- Aspekte eingehen, die aus meiner Sicht für die Zu- nes Vorgängers Dr. Steinbrück fällt. Wir haben es kunft zu bearbeiten sind. gehört, er ist heute persönlich anwesend, und ich möchte die Gelegenheit nutzen, ihm als sein Nach- Erstens das Thema Stadt- und Quartiersentwick- folger und auch als in Bremen lebender behinder- lung in Bremen und Bremerhaven. Die klimapoliti- ter Mensch für die hervorragende Arbeit in den schen Herausforderungen sind aus meiner Sicht vergangenen 15 Jahren zu danken. eine große Chance, bestehende Konzepte von ge- sellschaftlichem Zusammenleben wie Mobilität o- (Beifall) der Wohnen neu zu verhandeln. Es ist aus meiner Sicht deshalb nicht nur ein Gebot der rechtlichen Allein der vorliegende Bericht zeigt sehr deutlich, Vorgaben, sondern auch der Wirtschaftlichkeit, die dass es Dr. Steinbrück und seinem Arbeitsstab ge- anstehenden Änderungen zu nutzen, um gleichzei- lungen ist, die gleichberechtigte Teilhabe behin- tig Barrieren abzubauen, unsere Gesellschaft ins- derter Menschen in Bremen und Bremerhaven ge- gesamt barrierefreier und inklusiver zu machen. meinsam mit den vielen anderen Akteuren in die- sem Tätigkeitsfeld weiterzuentwickeln. Trotzdem (Beifall) möchte ich deutlich sagen, dass wir in vielen Berei- chen noch grundlegende Verbesserungen benöti- Das betrifft die Gestaltung von Wohnraum – Sie be- gen. Das wird einerseits dadurch deutlich, dass ei- handeln die Festlegung einer Quote über die Schaffung von rollstuhlgerechtem Wohnraum noch 1800 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

am heutigen Tage –, aber auch Angebote der Da- mich als neuer Landesbehindertenbeauftragter. seinsvorsorge, Arbeitsbedingungen und Freizeit- Von meinem Vorgänger habe ich erfahren, dass die angebote. Aus meiner Sicht sollte deshalb auch ge- Zusammenarbeit mit der Bürgerschaft oft gut und prüft werden, ob und inwieweit hierfür Mittel aus lösungsorientiert war. Ich wünsche mir, dass das so dem Bremen-Fonds Verwendung finden können. bleibt. – Vielen Dank!

Zweitens halte ich es für ungemein wichtig, den (Beifall) Prozess der gleichberechtigten Teilhabe von be- hinderten Kindern und Jugendlichen am allgemei- Vizepräsidentin Grotheer: Vielen Dank, Herr nen Bildungs- und Schulsystem, kurz Inklusion, so- Frankenstein! Als nächster Redner hat das Wort der wohl in der Kita als auch in der Schule und am Abgeordnete Herr Welt. Übergang auf den ersten Arbeitsmarkt weiterzu- entwickeln und ressourcenmäßig abzusichern. Es Abgeordneter Welt (SPD): Sehr geehrte Frau Prä- gibt kein Recht auf Aussonderung, sondern es gibt sidentin, meine Damen und Herren! Jahresberichte ein Recht auf gleichberechtigte Teilhabe. von unseren Institutionen sind wichtig, weil sie Ein- blicke in die Arbeit geben und auch aufdecken, wo (Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE es Verbesserungen geben kann. Diese Berichte LINKE) werden grundsätzlich veröffentlicht und sind für je- den Interessierten in den Medien oder als Papier- Drittens sollten gezielte Anstrengungen unternom- ausdruck lesbar. Jahresberichte sind aber immer men werden, um für alle behinderten Menschen im ein Blick zurück. Land Bremen eine hochwertige Gesundheitsver- sorgung im Regelsystem zu ermöglichen. Als er- Wichtig ist, was man aus diesen Berichten lernt und gänzendes diagnostisches Angebot ist es zudem er- was man daraus macht. Sehr oft reden wir von den forderlich, das medizinische Behandlungszentrum Rechten der Menschen mit Behinderung, aber ge- für Erwachsene mit Behinderung, kurz MZEB, zu rade in jüngster Zeit haben wir erlebt, wie schnell dem sich auch die Bürgerschaft mehrfach unter- sich Situationen verändern können. Herr Franken- stützend geäußert hat, mit den erforderlichen Res- stein hat es gerade erzählt: Corona hat uns gelehrt, sourcen auszustatten. wie wichtig das Selbstbestimmungsrecht von Men- schen mit Behinderung ist. Zu Beginn von Corona Vierter und letzter Punkt ist die Umsetzung des waren viele Bewohner unserer Einrichtungen, wie Bundesteilhabegesetzes in Bremen. Die gesetzli- auch die alten Menschen in Pflegeheimen, mehrere chen Vorgaben sehen vor, dass auch Menschen mit Monate komplett von der Außenwelt abgeschnit- hohen Unterstützungsbedarfen, die in besonderen ten. Diese Menschen wurden und werden ganz si- Wohnformen leben, den ehemaligen Heimen, um- cher gut versorgt, aber eine Kontaktsperre ist schon fassend selbstbestimmt über Leistungen entschei- ein tiefer Einschnitt. Meine Tochter arbeitet haupt- den und diese individuell in Anspruch nehmen amtlich in einer Wohnstätte und ich habe meine In- können. Das ist nicht weniger als ein Systemwech- formationen aus erster Hand. sel und deshalb eine hohe Anforderung, an der zur- zeit sehr viele Menschen sehr intensiv arbeiten. Menschen mit Behinderungen durften in den Das Ziel darf dabei aber nicht aus den Augen ver- Werkstätten nicht arbeiten und auch jetzt sind die loren werden, selbst dann nicht, wenn es mehr Selbstbestimmung und die Arbeitstätigkeit durch Geld kostet als zuvor gedacht. die Umstände der Krise stark eingeschränkt. Wir Abgeordnete müssen auch dort genau hinschauen. In den Berichtszeitraum des Ihnen vorliegenden Zum Glück hat sich die Situation zurzeit etwas zum Berichts fällt unter anderem auch die Konstituie- Besseren gewandt, aber wir müssen weiter aufpas- rung des Landesteilhabebeirats im Jahr 2015. Es ist sen. Ein Beispiel sind, wie gesagt, die Werkstätten das Gremium, das die Umsetzung der UN-Behin- für Menschen mit Behinderung. Es wäre nicht zu dertenrechtskonvention und des Landesaktions- rechtfertigen, bei bestehender Krise und Finanzie- plans des Senats zur Umsetzung der UN-Behinder- rungsrisiken der Einrichtung das ohnehin geringe tenrechtskonvention in Bremen überwacht. Dieser Arbeitsentgelt der Mitarbeiter*innen mit Behinde- Landesaktionsplan soll nun unter breiter Beteili- rung zukünftig coronabedingt zu reduzieren und gung fortgeschrieben werden. An dieser Fort- keinen angemessenen Ausgleich zu gewähren, schreibung mitzuwirken, dazu lade ich Sie alle denn im Gegensatz zu den hauptamtlichen Mitar- ganz herzlich ein. Ihn in guter Zusammenarbeit mit beiter*innen in den Werkstätten, müssen die Ent- Ihnen zur Umsetzung zu bringen, darauf freue ich gelte für diese behinderten Menschen in den Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1801

Werkstätten zusätzlich erwirtschaftet werden. und Fahrräder schaffen und die Nutzung der Hub- Ohne Arbeit, ohne Aufträge aus der Wirtschaft gibt plattformen für Menschen mit Behinderung weiter es aber keinen Ertrag. Ohne Ertrag ist das ohnehin verbessern. geringe Entgelt gefährdet. Zu diesem Thema ha- ben wir als SPD-Fraktion vor ein paar Tagen einen Inklusion bedeutet, dass Verschiedenheit normal umfangreichen Antrag auf den Weg gebracht, der ist. Die Verschiedenheit aller Menschen, Behinde- uns hier noch beschäftigen wird. Meine Damen rung eingeschlossen, ist eine Bereicherung. Das und Herren, Menschen mit Behinderungen dürfen gilt für sämtliche Bereiche der Gesellschaft, den nicht die eigentlichen Verlierer der gegenwärtigen Arbeitsmarkt eingeschlossen, meine Damen und Krise werden. Herren.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Ich will gern noch ein paar andere Dinge aufzäh- Zukünftig wollen wir die Zahl der Inklusionsbe- len: Wir haben das Bundesteilhabegesetz unter- triebe und der mit einem Budget für Arbeit gefor- stützt und an vielen Verbesserungen mitgearbeitet. derten Arbeitsplätze weiter steigern sowie die Kon- Der Aktionsplan zur UN-Behindertenrechtskom- tingente im JobBudget stetig weiter verbessern mission wird im Zusammenspiel der Akteure wei- und auslasten. Im Sinne einer inklusiven Gesell- ter umgesetzt, er wird regelmäßig fortgeschrieben schaft ist jenseits des Besuchs der allgemeinbilden- und konkretisiert. Auch die Verwendung von leich- den Schulen eine ständige Weiterentwicklung und ter Sprache haben wir engagiert unterstützt und Stärkung der Berufsorientierung schwer behinder- parlamentarisch eingefordert. ter Schülerinnen und Schüler notwendig, um ihnen den Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu ebnen. Der Menschen mit Behinderung brauchen vielfach erste Arbeitsmarkt muss immer das Ziel sein. auch während eines Klinikaufenthaltes Assistenz- leistungen. Dies ist leider nicht immer garantiert. (Beifall SPD) Die SPD-Bürgerschaftsfraktion setzt sich deshalb dafür ein, dass auf Bundesebene eine rechtliche Dann bemängeln wir, dass ein Großteil der Arzt- Grundlage für einen Weiterbezug der Assistenz- praxen in Deutschland und damit auch in Bremen leistungen und damit zur Sicherung der Versor- und Bremerhaven nicht barrierefrei zu erreichen gungskontinuität im Krankenhaus für alle Assis- ist. Die bestehenden Einschränkungen für eine tenznehmer*innen geschaffen wird. Entsprechend freie Arztwahl, wie wir das ja allgemein haben, auf- haben wir den Senat aufgefordert, bundespolitisch grund baulicher und fachlicher und kommunikati- aktiv zu werden. Auch das wird uns hier in der Bür- ver Barrieren müssen abgebaut werden. Meine Da- gerschaft ganz sicher noch beschäftigen. men und Herren, ich könnte jetzt noch umfang- reich aufzählen, was wir noch alles umgesetzt ha- Damit Menschen mit Behinderung am Arbeits- ben, was wir bereits initiiert haben und was wir ak- markt teilnehmen können, betrachten wir es als tuell noch alles auf den Weg bringen wollen. eine gesamtpolitische Aufgabe, Barrieren, die die- sem Ziel entgegenstehen, zu beseitigen. Wir wol- (Glocke) len die Barrierefreiheit für alle Verkehrsteilnehmer weiter verbessern. Dazu müssen Bordsteine an Das dauert aber länger als die wenigen Minuten, Querungsstellen abgesenkt und Unebenheiten be- die mir zur Verfügung stehen. Sie sehen aber, ich seitigt werden. Die Umrüstung des ÖPNV, damit er glaube, das habe ich deutlich gemacht, dass wir als in der Regel ohne fremde Hilfe für alle Bürger*in- SPD-Fraktion nicht reden, sondern handeln und nen nutzbar ist, muss fortgeführt werden. Dazu ge- mit unseren Partnern ständig daran arbeiten, das hört es, die Bus- und Bahnhaltestellen sukzessive Miteinander der Menschen insgesamt stetig zu ver- barrierefrei zu gestalten, ebenso wie die Fahrgast- bessern. Bei dieser Gelegenheit bedanke ich mich informationen. ganz herzlich bei Herrn Dr. Steinbrück für seine hervorragende Arbeit in den letzten Jahren und ich Für die zunehmende Zahl an Familien und Älterer begrüße den neuen Landesbehindertenbeauftrag- oder mobilitätseingeschränkter Menschen müssen ten Herrn Frankenstein recht herzlich und ich freue wir in Bussen und Bahnen außerdem mehr Platz für mich auf die Zusammenarbeit in den nächsten Jah- Rollatoren, Kinderwagen, Rollstühle, Reisegepäck ren. – Herzlichen Dank!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) 1802 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin von Vollzug vermeldet werden können. Positiv zu hat das Wort die Abgeordnete Frau Grönert. vermelden ist trotzdem vieles, so zum Beispiel, dass Anfang 2015 – Herr Frankenstein hat es eben er- Abgeordnete Grönert (CDU): Frau Präsidentin, wähnt – der Landesteilhabebeirat seine Arbeit auf- meine Damen und Herren! Mit 118 Seiten ist der nahm und eine daraus gegründete Arbeitsgruppe Tätigkeitsbericht des Landesbehindertenbeauf- in den folgenden Monaten einen Entwurf zur No- tragten schon ein richtiger Wälzer und doch, finde vellierung des Bremischen Behindertengleichstel- ich, ist er so geschrieben, dass es leicht fällt, kon- lungsgesetzes erarbeitete. Alle damit zusammen- zentriert zu bleiben, und Spaß macht, ihn zu lesen. hängenden Sitzungen wurden in enger Koopera- Dafür erst einmal ganz herzlich danke! tion mit dem Landesbehindertenbeauftragten vor- und nachbereitet. (Beifall CDU, Bündnis 90/Die Grünen) Darüber hinaus können wir dem Bericht zum Bei- An einigen Stellen wurde ich dabei sogar an ei- spiel entnehmen, dass fast 200 Erschließungs- und gene, schon fast vergessene politische Initiativen Planungsvorhaben und Neuanmietungen auch be- erinnert. Das zeigt dann aber leider auch allzu züglich ihrer Barrierefreiheit vom Landesbehinder- deutlich, dass wir mit diesem Bericht sehr weit zu- tenbeauftragten begleitet wurden. Er hat viele wei- rückgehen und lediglich die Jahre 2015 und 2016 tere Sitzungen und Veranstaltungen nicht nur be- betrachten. Für viele, oftmals gerade auch jüngere sucht, sondern oftmals aktiv mitgestaltet oder sogar Menschen, auch Politikerinnen und Politiker, sind selbst ausgerichtet. Von der Psychiatriereform bis vier bis fünf Jahre doch ein extrem langer Zeit- zu Sitzungen des Beirats des Jobcenters, überall raum. Ich nehme an, dass meine Vorrednerinnen finden die Appelle und die Expertise des Landes- und Vorredner sich deswegen auch nicht so sehr behindertenbeauftragten Eingang und Gehör. auf den Bericht konzentriert haben, sondern mehr auf das, was wir heute erreichen wollen. Bezüge zu Vieles ist erreicht, doch es gibt noch viel zu tun. Es heute würden aber sicher noch deutlicher werden, scheiterte zum Beispiel auch die vom Parlament wenn der betrachtete Zeitraum nicht so weit zu- einstimmig beschlossene Übersetzung einiger aus- rückläge. gewählter politischer Initiativen der Bremischen Bürgerschaft in leichte Sprache, und zwar schei- Inzwischen ist Herr Dr. Steinbrück im wohlverdien- terte es daran, dass es dafür nicht genügend Haus- ten Ruhestand, doch dieser Bericht kann seinem haltsmittel gab. So ist jedenfalls die Erklärung. Bis Nachfolger Arne Frankenstein bestimmt hie und da heute werden also keine Initiativen von oder in die- ein gutes Sprungbrett für seine Arbeit sein. Man- sem Hause – das bezieht sich jetzt nicht auf Halle 7 ches ist geschafft, viele Impulse konnten gesetzt – in leichte oder wenigstens einfache Sprache über- werden, doch es gibt auch Stellen im Bericht, die tragen und auf der Internetseite eingestellt. The- nicht mit einem Happy End abschließen. Wie be- men hätte es sicher gegeben, aber anscheinend reits im Zeitraum des Berichtes vor diesem – kein Geld. Das finde ich schade, denn die Summe 2013/2014 – wird auch hier wieder die Schaffung von einigen 1 000 Euro, über die wir hier reden, eines barrierefreien Haupteingangs ins Rathaus für kommt mir eigentlich nicht so unerschwinglich vor. gehbehinderte Menschen und natürlich auch Roll- stuhlnutzerinnen und -nutzer aufgegriffen. Seit Nun wollen wir aber erst einmal nach vorn schauen vielen Jahren sieht es immer mal wieder so aus, als und unserem neu gewählten Landesbehinderten- wenn eine Lösung gefunden sei, doch immer wie- beauftragten Arne Frankenstein für seine Arbeit al- der wurde sie verworfen. Allen Beteuerungen der les Gute wünschen. Corona hat seinen Start zwar Verantwortlichen aus Rathaus und Politik und si- etwas abgebremst, was aber zur ersten Orientie- cher auch aus anderen Gremien zum Trotz, dass rung vielleicht gar nicht so schlecht war. Unseren ein barrierefreier Zugang wichtig sei, habe ich den Antritts- und auch Kennenlernbesuch haben wir Eindruck, dass alles nur auf ein Vertrösten hinaus- von der CDU-Fraktion gemacht, genauso wie an- läuft und sich eigentlich niemand so richtig der Sa- dere auch, und wir wollen die weitere Arbeit gern che annehmen will. aktiv unterstützen.

Leider wissen wir heute schon ganz sicher, dass es Es ist wichtig, dass wir die vielfältigen Aktivitäten im nächsten Bericht, nämlich in dem für 2017 und von Schulassistenzen bis zur Barrierefreiheit von 2018, dazu auch nichts Neues gibt, genauso wenig Straßen und – nicht zu vergessen – zum Rathaus- wie in dem dann folgenden Bericht für die Jahre eingang eng begleiten. Barrierefreiheit und gleich- 2019 und 2020. Auch da wird kein Erfolg im Sinne berechtigte Teilhabe und gute Inklusion wird Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1803

grundsätzlich ja von allen gewollt und geschätzt. dabei bearbeitet wird. Wir haben das von Ihnen, An gutem Willen hapert es nur selten, doch die Um- Herr Frankenstein, schon gehört, welche Punkte setzung lässt noch zu wünschen übrig, und sie alle angesprochen sind, die wieder aufgerufen wer- braucht das fachgerechte Begleiten durch den Lan- den müssen. desbehindertenbeauftragten. Das medizinische Zentrum für erwachsene Men- Herzlichen Dank für den vorgelegten Bericht, und schen mit Behinderung ist so ein Punkt, bei dem ich hoffe, dass wir dann irgendwann einmal doch wir sagen, da muss sich doch endlich etwas tun, da- einen Bericht bekommen können, der jahrestech- mit sich die Situation verbessert. Wir brauchen nisch ein bisschen näher an der Realität ist. – auch mehr barrierefreie Arztpraxen. Corona hat Danke! noch einmal deutlich gezeigt, wie wichtig die Werkstätten für die Menschen mit Behinderungen (Beifall CDU) sind. Auch wenn wir alle, Herr Welt hat es ange- sprochen, uns eigentlich wünschen, dass der erste Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner hat Arbeitsmarkt für Menschen mit Beeinträchtigun- der Abgeordnete Herr Dr. Buhlert das Wort. gen das Ziel ist, wissen wir doch umso mehr, wie wichtig die Arbeit der Werkstätten ist, um dort ein Abgeordneter Dr. Buhlert (FDP): Sehr geehrte ergänzendes Angebot zu finden. Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Mit großem Interesse verfolgen wir die Arbeit des Lan- Genauso wissen wir, wie wichtig die Tagesförde- desbehindertenbeauftragten. So ein Bericht ist im- rung ist. Wir wissen aber auch, wenn die Familien mer wieder die Möglichkeit zu sehen, was vom diese Angebote für die Menschen mit Beeinträchti- Landesbehindertenbeauftragten und seinen Mitar- gungen nicht nutzen können, wie sie dann gefor- beitenden geleistet wurde und wie wichtig die In- dert sind, ihre Familienmitglieder zu unterstützen stitution für das Land Bremen ist. Deswegen auch und wie aufwändig das ist. Wir wissen auch, wie von mir für die FDP-Fraktion unseren Dank an aufwändig das für die Wohneinrichtungen ist, Herrn Frankenstein für die jetzt geleistete Arbeit wenn die Menschen nicht mehr in die Werkstätten und Herrn Steinbrück und dem Team für die Ar- und die Tageseinrichtungen gehen können. Inso- beit, die bisher geleistet wurde. fern ist dort eine große Aufgabe, bei der wir weiter überlegen müssen, wie wir so etwas in solchen Kri- (Beifall FDP, SPD) sensituationen besser organisieren können. Es war gut, dass die Hinweise erfolgt sind, dass Pflege- Das Bremische Behindertengleichstellungsgesetz heime für ältere Menschen und Wohneinrichtun- verpflichtet uns alle, die Rechte behinderter Men- gen für Menschen mit Beeinträchtigungen nicht schen zu schützen und zu achten. Wir wissen aber dasselbe sind und zügig unterschiedlich behandelt auch allzu gut: Papier ist geduldig. Sie, Herr Fran- werden sollten, was dann ja auch dankenswerter- kenstein, Sie, Herr Steinbrück und die Dienststelle weise erfolgt ist. sind und waren es nicht. Das ist ein Glück für Bre- men. Wie auch in der aktuellen Situation, in der Ein weiterer Punkt, den wir hier diskutieren müs- Corona wie ein großes Brennglas wirkt, das auf sen und auch noch werden, wir haben dazu ja als Probleme aufmerksam macht, machen Sie auf FDP-Fraktion eine Große Anfrage gestellt, ist die Probleme, auf Dinge aufmerksam, die noch nicht Situation der Schulassistenzen. Wir haben in der gelöst sind. Insofern auch dafür herzlichen Dank, Corona-Zeit erlebt, wie wichtig sie sind, welche denn mit Ihrer Arbeit ergänzen Sie die Arbeit, die Ressource sie sein könnten, die aber nicht so ge- viele Verbände, Institutionen leisten, die sich für nutzt werden konnten. Auf der anderen Seite wis- die Rechte und Chancen von Menschen mit Beein- sen wir aber auch, dass es nach wie vor Menschen trächtigungen einsetzen, und das ist gut so. oder Kinder und Jugendliche gibt, die die Schule nicht so besuchen können, weil ihnen die Schulas- Ich danke für den beeindruckenden Bericht. Wir sistenz verwehrt wird oder weil es keine Genehmi- sehen daran, wie viel Sie durch Ihren Einsatz be- gung dafür gibt. Da gibt es dann rechtliche Ausei- wirken konnten und wie viel noch getan werden nandersetzungen, das kann man klären. Weil es muss. Wir sind uns einig, dass in vielen Lebensbe- aber auch an Personal mangelt und die Stellen reichen noch vieles zu tun ist, weil die Bedürfnisse nicht besetzt werden können und sich dann die von Menschen mit Beeinträchtigungen noch unzu- Frage stellt, ist eine Schulfähigkeit gegeben, ist reichend berücksichtigt sind. Wir müssen aber eine Beschulung möglich. auch sehen, was für ein umfangreiches Spektrum 1804 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Diesen Fragen werden wir uns alle weiter widmen Meine Vorredner*innen haben schon deutlich ge- müssen, denn es geht ja darum, Teilhabe und macht – ich kann mich dem nur anschließen –, dass selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, Barrieren das Amt in seiner Funktion als Mahner und Ver- abzubauen und jeden einzelnen Menschen mit sei- mittler unverzichtbar ist. Neben 199 Anfragen zur nen Bedürfnissen dabei zu sehen. Inklusive Gesell- Nutzung von Räumen gab es im Berichtszeitraum schaft funktioniert ja nur so, dass man das Indivi- noch 235 Anfragen betroffener Bürgerinnen und duum sieht und nicht, dass man Gruppen sieht, Bürger, die Rat gesucht haben, die sich beschwert clustert, sondern schaut, was jemand haben möchte haben, die Hilfe brauchten. Ich möchte Ihnen eine als inklusives Leben und das versucht zu ermögli- Zahl nennen, die häufig in Vergessenheit gerät: chen in einer inklusiven Gesellschaft. Nach Auskunft des Statistischen Landesamtes ha- ben wir in Bremen und Bremerhaven, also im Bun- Genauso wie Corona ein Brennglas ist, sind Sie im- desland Bremen, rund 58 000 Menschen mit einer mer wieder als Landesbehindertenbeauftragter Schwerbehinderung. und die Mitarbeitenden der Scheinwerfer, der auf die Probleme leuchtet und dafür herzlichen Dank, Der Kreis der Betroffenen ist eigentlich noch grö- denn das brauchen wir auch, Ihre mahnenden ßer, denn es gehören ja gewöhnlich Kolleginnen Stimmen. Deswegen danke für den Bericht, der und Kollegen mit dazu, Familienmitglieder et noch einmal an vieles erinnert hat. Danke für die cetera. Als Betroffener kann ich Ihnen sagen: Es Hinweise und ich kann nur sagen, wenn es den fällt nicht immer leicht, über das eigene Handicap Landesbehindertenbeauftragten nicht gäbe, wir zu sprechen. Da braucht es Zeit, dass man sich an- müssten ihn erfinden. Danke Herr Steinbrück, vertrauen kann. Nicht jede Behinderung ist sicht- danke Herr Frankenstein. – Vielen Dank! bar und nicht jedes Hemmnis sofort klar erkennbar.

(Beifall FDP, Bündnis 90/Die Grünen) Darum bin ich dem Landesbehindertenbeauftrag- ten und seinem Team unendlich dankbar dafür, Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner hat dass sie mit großer Sorgfalt einzelnen Beschwerden das Wort der Abgeordnete Herr Pörschke. nachgegangen sind und auch dafür gesorgt haben, dass die Behinderten in Bremen selbst zur Sprache Abgeordneter Pörschke (Bündnis 90/Die Grünen): kamen. Wichtige Institutionen, die im Berichtszeit- Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, lieber raum mit Leben gefüllt worden sind, waren bei- Dr. Joachim Steinbrück, lieber Arne Frankenstein! spielweise das Behindertenparlament, in dem sich Ich freue mich, heute zu Ihnen sprechen zu können, Betroffene selbst zu Wort melden und mit großer weil es mir nach Ihrer Wahl, Herr Frankenstein, nur Selbstverständlichkeit Forderungen an uns, an die bedingt möglich war, Ihnen angemessen zu gratu- Politik, formulieren und die strikte Abarbeitung lieren – das war ja noch unter Corona-Bedingun- verlangen. gen – und Ihnen, Herr Dr. Steinbrück, alles Gute für die Zeit im wohlverdienten Ruhestand zu gön- Herr Dr. Steinbrück hat auch an anderer Stelle ge- nen, zu wünschen, weil ich ja weiß, Sie machen holfen, dass die Belange von Betroffenen unmittel- weiter für die Rechte von Behinderten in Bremen. bar verfolgt werden. Zu den größten, wenn auch schwierigsten Erfolgen des Berichtszeitraums ge- Was mich beim Lesen des 118 Seiten starken Be- hörte die grundlegende Arbeit, an der – ich muss richtes sehr beeindruckt hat – das spricht auch für das jetzt zitieren – Richtlinie zur barrierefreien Ge- Ihre Arbeit, Herr Dr. Steinbrück –, ist die Sorgfalt staltung baulicher Anlagen des öffentlichen Ver- bei der Erstellung, die Entschiedenheit und das da- kehrsraums, öffentlicher Grünanlagen und öffentli- rin vorkommende Taktgefühl. Warum erwähne ich cher Spiel- und Sportstätten. Warum erwähne ich Taktgefühl? Der Bericht hält eine ganze Reihe von das? Weil diese Regelungen der Barrierefreiheit in Mängeln fest. Er benennt sie akribisch genau. Herr Bremen Tausende von Leuten betreffen, die si- Dr. Steinbrück weiß aber auch – das hat er im „We- chere Wege zurücklegen wollen. ser-Kurier“ in einem Interview deutlich gesagt –, vor welchen Hemmnissen man immer wieder bei Wie gesagt, ich bin Ihnen dankbar für den vorge- der Umsetzung steht. Er hat in einem Zeitungsin- legten Bericht, und ich möchte am Ende noch auf terview mit bemerkenswert undiplomatischer eine Reihe von Kleinigkeiten hinweisen, die wir Deutlichkeit von Bedenkenträgern in der Verwal- dringend gemeinsam bearbeiten müssen. Wir ha- tung gesprochen, die Beschlüsse der Bremischen ben vor wenigen Tagen erfahren, dass wir hohe fi- Bürgerschaft und der senatorischen Dienststellen nanzielle Überschüsse bei der Ausgleichsabgabe, zum Teil konterkarieren würden. das heißt Rückstellungen finanzieller Art haben, Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1805

die von Unternehmen aufgebracht worden sind, der bürgerlichen Gesellschaft alle vor dem Gesetz weil sie nicht ausreichend schwerbehinderte Perso- gleich. Der Wert eines Menschen im System der nen eingestellt haben. Wir stehen vor der gemein- Konkurrenz, der Ausbeutung, der Verwertung ist samen Aufgabe, wie man diese Finanzressourcen aber nicht gleich. Der Wert eines Menschen im Ka- zukünftig zur Schaffung moderner Arbeitsplätze pitalismus errechnet sich aus seiner Verwertbar- vernünftig nutzen kann. keit. Die Gefahr, eingeschränkt leistungsfähig, also nur bedingt profitabel im Sinne der kapitalistischen Wir haben immer noch große Schwierigkeiten bei Produktion zu sein, kann jeden und jede treffen. der Barrierefreiheit. Sie erinnern sich an die Verle- genheit der Senatorin Dr. Schaefer, als die Opposi- Die meisten Beeinträchtigungen, 86 Prozent, gehen tion einen Bericht darüber haben wollte, wie es um auf Krankheiten zurück. Vier Prozent sind angebo- den Zustand einzelner Straßen und Plätze in Bre- ren oder traten im ersten Lebensjahr auf. Zwei Pro- men steht. Die Senatorin, an deren Engagement ich zent sind auf einen Unfall oder eine Berufskrank- überhaupt keinen Zweifel habe, musste einräu- heit zurückzuführen. Diese Beeinträchtigungen ge- men, dass ihre Verwaltung noch nicht auf dem hen quer durch alle sozialen Positionierungen, sie Stand war, all die Dinge dokumentieren zu können. treffen Männer, Frauen, Junge, Alte, Arme, Reiche. Auch hier herrscht Nachholbedarf. Menschen unterschiedlicher Herkunft haben kör- perliche oder geistige Besonderheiten, die sie, so Wie gesagt, Herr Dr. Steinbrück mahnt. Er hat aber sie nicht der gängigen Norm entsprechen, an der nie denunziert, und darum bin ich froh, dass wir ihn gesellschaftlichen Teilhabe hindern. weiter als Ansprechpartner haben. Ich danke aber auch seinem Stab und ich danke allen anderen, die All das macht die Arbeit des Landesbehinderten- sich haupt- und ehrenamtlich für die Rechte von beauftragten mit seinen zahlreichen Tätigkeitsfel- Behinderten engagieren. – Herzlichen Dank! dern und Aufgaben so herausfordernd. Der Bericht des Landesbehindertenbeauftragten zeigt vor al- (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) lem eins: In vielen Bereichen ist einiges angesto- ßen, aber das Ziel einer gleichberechtigten, solida- Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner hat rischen Gesellschaft ist ein langer steiniger Weg der Abgeordnete Herr Zimmer das Wort. und viele Anstrengungen sind nur in Ansätzen er- kennbar. So ist Bremen, was die formale Umset- Abgeordneter Zimmer (DIE LINKE): Frau Präsi- zung der Inklusion im Bereich Bildung angeht, si- dentin, werte Abgeordnete! Zunächst ein Wort des cherlich im Bundesschnitt weit fortgeschritten, Dankes und der Wertschätzung für die gute, wich- aber Form und Inhalt sind bekanntlich zwei Paar tige Arbeit und den umfangreichen Bericht, den Schuhe. Da ist noch viel Anstrengung bei allen Be- uns der Landesbehindertenbeauftragte Herr Fran- teiligten von Nöten. kenstein gerade vorgestellt hat. Es wurde deutlich, wie wichtig, erforderlich und, in vielen Teilen, er- Auch beim Übergang von „inklusiver Schule“, auf folgreich seine Arbeit ist. den alles andere als inklusiven ersten Arbeitsmarkt ist vieles nicht gut. Die engagierte und zähe Arbeit Behindert ist man nicht, behindert wird man. Das des Landesbehindertenbeauftragten trägt immens ist ein wichtiger Grundsatz. Ein Zitat von Raul dazu bei, dass sich dieses positiv in die richtige Krauthausen: „Nicht laufen zu können, macht nicht Richtung entwickelt und wir zollen seiner Arbeit automatisch unglücklich, wohl aber die nicht vor- und den Erfolgen größten Respekt. handene Barrierefreiheit. Treppen, nicht funktio- nierende Aufzüge, keine Gebärdensprachdolmet- Wir müssen als Bürger*innen und gerade als Men- schung, fehlende Leitsysteme für Blinde und so schen die politische Verantwortung tragen und weiter. Damit einher geht der Ausschluss von ge- größte Anstrengungen unternehmen, um zu einer sellschaftlichem und beruflichem Leben. Dies zu inklusiven Gesellschaft zu kommen. Die Beispiele verändern liegt weder in den Möglichkeiten, noch aus dem Bericht zeigen deutlich die Problematiken in der Verantwortung des einzelnen Menschen, auf: Wenn ein Schüler darum kämpfen muss, mit sondern ist eine Aufgabe, die gesamtgesellschaft- dem Leistungsfach Sport sein Abitur abzulegen o- lich angegangen und gelöst werden muss.“ der wenn eine Professorin die Beeinträchtigung ei- ner Studentin nicht anerkennt und ihr andere For- Es gibt nicht „den“ Menschen. Menschen sind viel- men der Prüfungsleistung nicht gewährt werden, fältig, sie sind groß, klein, dick, dünn, sind zu Fuß dann sind dies nur zwei von vielen Beispielen aus oder sitzend, auf Rädern, unterwegs. Formal sind in dem umfangreichen Bericht. 1806 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Die Vielfalt, die Menschen auszeichnet, bildet sich irgendwie in Ordnung, ist Reaktion auf reale Miss- nicht in den Strukturen unseres gesellschaftlichen stände, richtet sich meist nur gegen Sachen und Lebens und noch viel zu wenig in der Infrastruktur zielt auf eine bessere Welt. Linke Gewalt ist irgend- Bremens ab. Um dem entgegenzuwirken und um wie gute Gewalt und daher zumindest moralisch zu einer inklusiven Gesellschaft zu kommen, brau- gerechtfertigt. chen wir Veränderungen in den Köpfen, Konzepte zur Inklusion in allen gesellschaftlichen Teilberei- Connewitz oder die Krawalle beim G-20-Gipfel in chen und die Bereitschaft, viel mehr Geld in die sprechen eine andere Sprache. Harmlose Hand zu nehmen. – Danke! Farbattacken, die gestern auf sämtliche Bremer Parteizentralen außer die von DIE LINKE verübt (Beifall DIE LINKE, SPD) wurden, verlieren ihren harmlosen Tenor, wenn wir heute auf Indymedia in unmissverständlicher Vizepräsidentin Grotheer: Weitere Wortmeldun- Sprache lesen, die Spießbürger sollen froh sein, gen liegen nicht vor. dass es nur Farbe ist und noch keine Molotow- Cocktails – lasst euch nicht erwischen! Die Beratung ist geschossen. Ansonsten tosendes Schweigen zu den Ereignissen Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von dem Bericht der letzten beiden Tage auf den sonst immer blin- des Landesbehindertenbeauftragten Kenntnis. kenden Social-Media-Kanälen der Koalition. Plün- derungen, Brandstiftungen, Angriffe auf Polizeibe- Politischem Extremismus entschieden entgegen- amte und Sachbeschädigungen sind „Verschöne- treten – Bremen darf keine Hochburg des Links- rungen“ oder „Kavaliersdelikte“ für eine bessere extremismus bleiben! Welt? Nein! Die Strategietagung der Bundespartei Antrag der Fraktion der FDP DIE LINKE Anfang 2020 zeigte schlaglichtartig, vom 4. Juni 2020 womit wir es zu tun haben. Es gebe in jeder Stadt (Drucksache 20/423) eine vernünftig operierende Antifa, für die der Nut- zen von Parlamentsarbeit darin liege, Staatsmittel Wir verbinden hiermit: abzugreifen, um die Antifa zu finanzieren.

Wie stark nimmt die linke Gewalt in Bremen zu? Nun ist die Antifa kein Verein, den man verbieten Große Anfrage der Fraktion der CDU könnte, sondern ein loser Zusammenschluss von vom 2. Juni 2020 sehr unterschiedlichen Gruppierungen und Ban- (Drucksache 20/409) den, die autonom nach lokalem Gutdünken han- deln. Das ist bekannt. Der Skandal in unserer Stadt Dazu liegt darin, dass linke Gewalt bis in die anständige Bürger- und Politikwelt hinein hoffähig geworden Mitteilung des Senats vom 25. August 2020 ist. (Drucksache 20/571) Politisch korrekte Beteuerungen, dass Gewalt Dazu als Vertreter des Senats Herr Senator Mäurer. selbstverständlich keine akzeptable Form politi- scher Willensbekundung sei, hören wir in diesem Die gemeinsame Beratung ist eröffnet. Parlament von den politischen Akteuren aller Par- teien immer wieder. Dies widerspricht aber der Als erste Rednerin erhält die Abgeordnete Frau freundlichen Toleranz, wenn linke Gewalt durch Bergmann das Wort. wirkmächtige Mobilisierung dem eigenen politi- schen Anliegen Likes und Anhänger verschafft. Ra- Abgeordnete Bergmann (FDP): Sehr geehrte Frau dikale und gewaltbereite Systemgegner*innen Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim trinken mit bürgerlichen Aktivisten nach der De- Linksextremismus spielt Bremen locker in der 1. monstration ihr harmloses Bier. Liga mit. Obwohl der Verfassungsschutz Bremen mittlerweile als Hochburg der linksextremistischen Vermischungen, Unterwanderungen, Nährböden Szene sieht, zuckt der Senator für Inneres ange- und Gelassenheit gegenüber linker Gewalt kom- sichts immer neuer, aggressiver Grenzüberschrei- men wir nur bei, wenn wir mutig fragen, wer wo tungen wiederholt mit der Schulter. Nächtliche wie und warum in Bremen linke Gewalt toleriert, Einzeltäter seien schwer zu fassen. Linke Gewalt ist fördert, finanziert oder ihr Raum gibt. Deswegen Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1807

fordern wir in unserem Antrag erstens eine detail- eine bestimmte Gruppe offensichtlich politische lierte Analyse des Phänomenbereichs der politisch Meinungsäußerung, wenn schon nicht legal, so motivierten linken Kriminalität, so wie wir sie mit dann doch mindestens legitim. dem „Sechsten Bericht über Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit im Lande Bremen“ für Vielleicht hofft man auf einen Gewöhnungs- und den Phänomenbereich der politisch motivierten Abstumpfungseffekt in der Gesellschaft. Vielleicht Kriminalität von rechts bereits erhalten haben. vertraut man darauf, dass das Risiko, in Bremen entdeckt und zur Verantwortung gezogen zu wer- Zweitens fordern wir einen passgenauen Maßnah- den, gering ist. Wie dem auch sei, das gemeinsame menkatalog für effektives Vorgehen gegen links- Signal der Initiativen, das von dieser Debatte aus- extremistische Straftaten. Das ist ja, wie wir immer gehen muss, ist: Wir werden uns nie daran gewöh- wieder hören, noch nicht besonders erfolgreich. nen und dahinter steckt nichts als kriminelle Ener- Drittens wollen wir die Etablierung einer gie. „Taskforce links“ beim Staatsschutz, die sich allein und gezielt um die Verhinderung und Aufklärung (Beifall CDU, FDP) von linksextremistischen Straftaten kümmert. Vier- tens fordern wir das Beenden indirekter finanziel- Diskussionen über politischen Extremismus haben ler, materieller oder auch nur ideeller staatlicher Konjunktur. Nicht selten über rechten, linken oder Unterstützung von Organisationen, die von Verfas- religiösen Extremismus, und das nach dem Motto, sungsschutzämtern als linksextremistisch einge- durcheinander ist am besten. Wer über das eine stuft werden. rede, müsse auch über das andere reden, und das möglichst gleichzeitig. Linker Gewalt in Bremen ernsthaft die Stirn zu bie- ten bedeutet Wachsamkeit gegenüber Nährböden, Ja, wir reden über alles, aber eben nicht zwingend gerade auch im Bereich der Bildung und politi- gleichzeitig, weil das eine das andere nämlich nicht schen Bildung, denn wir gewöhnen uns sonst auch relativieren darf, weil das eine das andere schon an blinde Flecken. Wir Freien Demokraten fordern gar nicht aufwiegt oder gar rechtfertigt, weil extre- unsere Regierung auf, sich entschieden mit großer mistische Bestrebungen sich nicht gegenseitig auf- Entschlossenheit, Eindeutigkeit und notfalls auch heben, sondern in ihrer destruktiven Wirkung ad- mit drastischen Mitteln gegen jede Form des Extre- dieren, weil ich unabhängig vom jeweils anderen, mismus zu stellen und auch über die jeweiligen aber abhängig von der Lage und auch von histori- Nährböden und Toleranzen nicht hinwegzusehen, schen Hintergründen das eine und das andere be- damit wir nicht irgendwann die Geister, die wir rie- werten möchte. fen, nicht mehr loswerden. Sonst sind es wie in an- deren Städten heute Farbattacken und morgen Wer meint, wie man das in Kreisen der Antifa wohl Molotow-Cocktails, und zwar mit Ansage. gelegentlich tut, man müsse das eine mit einer möglichst radikal anderen Position bekämpfen, be- In meinem zweiten Beitrag werde ich noch auf die tätigt sich im Ergebnis als Brandbeschleuniger für konkrete Situation im Alten Sportamt eingehen. – antidemokratische Entwicklungen in unserer Ge- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! sellschaft insgesamt. Wir schauen deshalb aus der demokratischen Mitte in alle Richtungen. (Beifall FDP) (Beifall CDU) Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner hat der Abgeordnete Herr Dr. vom Bruch das Wort. Daraus folgt, dass wir hier keine Diskussion mit dem Vorwurf führen wollen, Sie oder Sie oder der Abgeordneter Dr. vom Bruch (CDU): Frau Präsi- Senator seien auf irgendwelchen Augen blind, zu- dentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! mal die Zahl der Freunde des Senators in dieser Kli- Hamburg, , Leipzig und dann kommt schon entel wohl nicht wesentlich größer ist als die uns- Bremen. Auch für den ehemaligen Bildungspoliti- rige Zahl. Das sind frucht- und folgenlose Diskussi- ker ist dieses Ranking leider kein Grund zur onen und Rituale der Vergangenheit, die nicht die Freude. Platz vier heißt in diesem Falle Platz vier demokratische Mitte stärken, sondern im Gegenteil der Hotspots des Linksextremismus. Brennende die der radikalen Ränder, die nicht uns weiterbrin- Autos und Dienstkraftfahrzeuge, Anschläge auf Po- gen, sondern im Ergebnis die Falschen. Dass in alle lizeiwachen oder Einrichtungen von Wohnungsun- ternehmen sind keine Ausnahmen, sondern für 1808 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Richtungen Handlungsbedarf besteht, ist hoffent- Die Antworten auf unsere Fragen, der seit der Fra- lich auch mit Blick auf die Antworten zu unserer gestellung zu unserer Großen Anfrage zwischen- Großen Anfrage überdeutlich geworden. zeitlich vorgelegte Verfassungsschutzbericht –

Deshalb lassen Sie mich kurz zwei Dinge aus den (Glocke) unterschiedlichen Bereichen ansprechen, die mich wundern und die mich dann doch zweifeln lassen, ich bin sofort am Ende – machen aber zusätzlichen ob unser Ansatz der politischen Praxis auch durch- Handlungsbedarf deutlich. Wir stellen deshalb un- gehend der Ihre ist. Zum Alten Sportamt schreiben seren Antrag zum Alten Sportamt in die Reihe der Sie in Ihrem Verfassungsschutzbericht, der übri- notwendigen Maßnahmen. Er muss hier diskutiert, gens Ihr eigener ist, dass dort Aktivitäten stattfin- aber aus systematischen Gründen in der Stadtbür- den, die sich gegen die Sicherheitskräfte unseres gerschaft abgestimmt werden. Wir würden natür- Staates richten. Sie fördern das aber indirekt durch lich eine Unterstützung begrüßen, die wir aller- eine Überlassung der Immobilie an einen Verein, dings mit Blick auf Ihre öffentlichen Äußerungen der das zumindest nicht unterbindet. Wenn Sie hier wohl ausschließen können. Das halten wir für nicht im Sinne unseres Antrags tätig werden, set- falsch, denn angesichts eines quantitativ, aber mit zen Sie Ihre Glaubwürdigkeit und die Glaubwür- zunehmender Gewaltbereitschaft auch qualitativ digkeit der Sicherheitsorgane in dieser Stadt auf anwachsenden Linksextremismus wollen wir kei- das Spiel. nen Nachtwächterstaat, der seine eigenen Gegner auch noch unterstützt. (Beifall CDU) (Beifall CDU, FDP) Erkenntnisse müssen auch Konsequenzen haben. Wir wollen zumindest in diesem Sinne auch nicht Ein zweiter Punkt ist mir mit Blick auf die Antwor- Richtung Leipzig aufsteigen. Wir wollen eine wehr- ten auf unsere Große Anfrage wichtig. Zu Recht hafte Demokratie in alle Richtungen. – Herzlichen wird immer wieder darauf hingewiesen, dass der Dank! Staat zur Verhinderung von Radikalisierung und zur Vermeidung eines Abrutschens in extremis- (Beifall CDU) tisch motivierte Kriminalität nicht nur die repressi- ven Mittel des Staates braucht. Auch wenn Ihre Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner hat Durchschlagskraft in diesem Punkt zu wünschen der Abgeordnete Herr Timke das Wort. übrig lässt, es ist trotzdem richtig, und mit Blick auf viele Felder der Prävention gibt es in Bremen ja Abgeordneter Timke (BIW): Frau Präsidentin, auch ein ziemlich dichtes Netz von Maßnahmen meine Damen und Herren! Die Zahl der linksextre- und Strukturen. mistisch motivierten Straftaten in Deutschland ist 2019 deutlich gestiegen. Nach Angaben des Bun- Richtung links ist da allerdings eher Fehlanzeige. desamtes für Verfassungsschutz stieg die Zahl der Spezialisierte Angebote wären mir zumindest un- registrierten Delikte im Phänomenbereich links bekannt. Das ist umso unverständlicher, als die von 4 622 in 2018 auf 6 449 im vergangenen Jahr. linksextremistische Klientel eher jünger und damit Das ist ein Anstieg von knapp 40 Prozent und nicht gegebenenfalls auch eher zugänglich ist. Wir sind nur von 23,7 Prozent, wie es in der Antragsbegrün- nachdrücklich der Meinung, dass auch vor dem dung der FDP heißt. Hintergrund unseres lokalen Handlungsdrucks hier nachgebessert werden muss. Ein nur oder vor- Angesichts dieser dramatischen Zahlen und der wiegend repressiv agierender Staat, zumal nicht Radikalisierung in Teilen der gewaltorientierten besonders erfolgreich, greift zu kurz. linken Szene, deren Aktionen sich längst nicht mehr nur gegen Sachen, sondern auch gezielt ge- (Beifall CDU) gen Menschen richten, hält das Bundesamt für Ver- fassungsschutz, Zitat, „die Herausbildung terroris- Wir wollen allen und aus jeder Richtung einen Weg tischer Strukturen im Linksextremismus für mög- zurück in diese Gesellschaft aufzeigen. lich“. Es bestehe die Gefahr einer Radikalisie- rungsspirale eines abgeschotteten harten Kerns. Abschließend sei gesagt, dass wir den Antrag der Entsprechende Tendenzen beobachtet der Verfas- FDP unterstützen werden. sungsschutz in verschiedenen Bundesländern, da- runter auch in Bremen. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1809

Diese Erkenntnisse finden sich in einer internen Ausgerechnet mit diesem Koalitionspartner im Analyse der Behörde, über die in der Presse bereits Schlepptau will der Senat den wachsenden Links- im Juni berichtet wurde, zumindest Herrn Innense- extremismus im Bremen bekämpfen. Da wird aber nator Mäurer sollte dieses Papier im Original auch der Bock zum Gärtner gemacht. Besonders stark bekannt sein. Ausweislich der Antworten des Se- sind die Querverbindungen zum Linksextremismus nats auf die Anfrage der Fraktion der CDU ist auch bei den Jugendorganisationen von SPD, Bündnis im Land Bremen in den letzten Jahren ein deutli- 90/Die Grünen und DIE LINKE ausgeprägt, und cher Anstieg der Zahl linker Straftaten zu verzeich- das nicht erst seit gestern. Darüber könnte ich hier nen gewesen, und zwar um knapp 45 Prozent im jetzt noch stundenlang referieren. Meine knapp Zeitraum zwischen 2015 und 2019. bemessene Redezeit lässt das aber leider nicht zu.

Noch dramatischer stellt sich die Entwicklung bei Auch im Land Bremen werden immer wieder Be- den Gewalttaten dar, deren Zahl sich verdreifacht züge der etablierten linken Parteien zum Linksext- hat. Das zeigt die wachsende Militanz der linken remismus sichtbar. Ich erinnere da an den Fall des Szene. Bremen droht zu einem neuen Hotspot des SPD-Kandidaten Husam Remo, der 2018 aus der Linksextremismus in Deutschland zu werden, ne- Partei austrat, nachdem die damalige Bürger- ben Hamburg, Leipzig und Berlin. Das kommt nicht schaftsabgeordnete und Unterbezirksvorsitzende von ungefähr. Jahrelang ist das Problem Linksext- von Bremen-Nord Heike Sprehe SPD-Mitgliedern remismus von Innensenator Ulrich Mäurer ignoriert die Teilnahme an einer Antifa-Demo empfohlen beziehungsweise schöngeredet worden. Auf der hatte, auf der es im Vorfeld zu Gewalttaten militan- Internetseite des Landesamtes für Verfassungs- ter Linksextremisten gekommen war. schutz fand sich nicht einmal eine eigene Rubrik zum Phänomenbereich links. Die wurde erst ge- Im Jahr 2019 wollte ich in einer Bürgerschaftsan- schaffen, nachdem ich in diesem Haus mehrfach frage an den Senat wissen, wie viele Mitglieder von auf das Defizit aufmerksam gemacht und auf Ab- SPD, Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE in hilfe gedrungen habe. Bremen dem linksextremistischen Verein Rote Hilfe angehören. Diese Information wurde vom Dass der Linksextremismus in Bremen künftig en- Parlament unter Hinweis auf die Vertraulichkeit gagiert bekämpft und die Gefahr endlich ernst ge- verweigert. Das kann man sicher als Hinweis dafür nommen wird, ist unter diesem Senat nun wirklich werten, dass es solche Doppelmitgliedschaften tat- nicht zu erwarten. Dagegen spricht bereits die Be- sächlich gibt, und zwar in großer Zahl. Keine Ant- teiligung von DIE LINKE an der Landesregierung, wort ist manchmal auch eine Antwort. einer Partei also, die in diversen Bundesländern wegen offen linksextremistischer Strukturen in (Abgeordnete Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen]: Teilen selbst durch den Verfassungsschutz beo- Reine Spekulation!) bachtet wird, denn DIE LINKE, hinter der sich ja die mehrfach umbenannte SED verbirgt, macht aus Langer Rede, kurzer Sinn, der Antrag der FDP, der ihrer politischen Kumpanei mit der autonomen An- von mir unterstützt wird, ist grundsätzlich löblich, tifa und anderen Linksextremisten keinen Hehl. aber leider sinnlos, denn mit diesem Senat, dessen Koalitionsparteien eine klare Abgrenzung nach Doch nicht nur das, immer wieder wird von Politi- links außen vermissen lassen, wird es keine glaub- kern dieser Partei die Gewalt von links relativiert würdige Bekämpfung des Linksextremismus in und verharmlost. Hinter verschlossenen Türen Bremen geben, allen blumigen Erklärungen zum schwelgt man da gern auch einmal in eigenen Ge- Trotz. Im Gegenteil dürften sich die militanten Lin- waltphantasien und träumt davon, die Reichen ken an der Weser unter dieser Landesregierung nach der Revolution zu erschießen. Im Bundestags- pudelwohl fühlen. Das Problem Linksextremismus wahlprogramm der Partei von 2017 werden unter wird uns deshalb speziell in Bremen noch länger anderem eine revolutionäre Veränderung der Ge- begleiten und sich eher noch verschärfen. – Ich sellschaft und ein wirklicher Bruch mit dem Kapi- danke für Ihre Aufmerksamkeit! talismus gefordert. Zahlreiche Politiker von DIE LINKE sind Mitglied der linksextremistischen Ro- Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner hat ten Hilfe, einige werben sogar offen für diese auch der Abgeordnete Herr Janßen das Wort. im Bremer Verfassungsschutzbericht genannte Or- ganisation. Abgeordneter Janßen (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute einen Antrag der 1810 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

FDP, gleichzeitig auch eine Große Anfrage der Zuordnung aller Delikte an vielen Stellen diskutie- CDU, und ich möchte auch auf die Kleine Anfrage ren. Als vor einiger Zeit das Graffiti im Viertel auf- von Bündnis 90/Die Grünen hinweisen, die uns getaucht ist, anlässlich der Ermordung von George auch noch einmal einige Daten zu der Frage poli- Floyd, nahm der Staatsschutz die Ermittlungen auf. tisch motivierter Kriminalität liefert. Interfraktionell Ich bin mir relativ sicher, dass sich dieser Vorgang war ja auch vereinbart, noch einmal auf die Frage in der Polizeilichen Kriminalstatistik 2020 wieder- des Alten Sportamtes einzugehen. Viel Papier, finden lässt. Ich stelle aber massiv in Abrede, dass viele Unterlagen, ich versuche, es unterzubringen. mit einem Graffiti angesichts eines ermordeten Af- roamerikaners in Amerika hier die freie demokrati- Ich hatte trotzdem, obwohl wir so viele „neue“ An- sche Grundordnung in Gefahr gebracht wurde, träge oder Vorgänge hatten, überlegt, ob ich die und glaube, dass man über diese Zuordnung zu Rede vom letzten Mal vorlese, im Kern hätte sich Recht streiten kann und auch zu Recht streiten nichts groß geändert. muss.

(Beifall DIE LINKE – Abgeordneter Dr. vom Bruch (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) [CDU]: Das ist auch eine Botschaft, dass sich nichts geändert hat!) Aber ja, ein brennendes Auto, eine eingeschlagene Scheibe bei einem Wohlfahrtsverband oder be- Im Kern beschreibt die FDP ja seit Jahren mit mar- schmierte Parteibüros sind eine andere Dimension, tialischer Sprache, Zitat, „die Ohnmacht der Bre- die ich nicht verharmlosen werde. Diese Formen mer Staatsmacht“ oder spricht, auch Zitat, „von ei- von Gewalt lehne ich ab, sie gehören durch die zu- ner Gefahr für den Frieden in Bremen“, und die ständigen Behörden auch aufgeklärt. Spannend ist CDU schlägt rhetorisch in die gleiche Kerbe. Daher aber, was CDU, FDP und auch die Parteien ganz hilft es, wenn man sich dann noch einmal die Daten am rechten Rand dieses Parlaments mit dieser Dis- ansieht, und ich verweise damit unter anderem auf kussion verknüpfen und bezwecken. die beiden vorliegenden Anfragen. Nachdem wir jetzt immer wieder mit zahlreichen Daraus wird ersichtlich, dass im Jahr 2019 127 Anfragen, Pressemitteilungen, Anträgen konfron- Straftaten im Phänomenbereich links in der Kate- tiert sind, wird das Ganze übertragen und kon- gorie politisch motivierte Kriminalität gelistet sind. zentriert auf die Frage, welche Strukturen uns im Darunter fallen dann, wenn man sich die Mühe Land Bremen eigentlich schon immer ein Dorn im macht, genauer hinzuschauen, 68 Sachbeschädi- Auge gewesen sind. Dann sehen wir, dass in der gungen. Nicht gemeint sind dabei Brand- oder Anfrage zwar zu Recht beschrieben wird, dass die Sprengstoffanschläge, die sind noch einmal extra Organisatoren des Alten Sportamtes, der Verein aufgeführt. Mit über der Hälfte der Straftaten sind Klapstul, alle vertraglichen Bedingungen einhal- daher die im ersten Satz angeschnittenen brennen- ten, und gleichzeitig aber in Frage gestellt wird, ob den Autos nicht gemeint, sondern vermehrt Dinge man hier nicht auf der Ebene des Vertrags ein- wie Graffitis. Acht weitere Straftaten sind Verstöße schreiten muss. Die Kriminalisierung dieser linken gegen das Versammlungs- und Vereinsgesetz. Struktur ist reiner Populismus, komplett substanz- los und entbehrt aus unserer Perspektive jeder Ich will damit nicht sagen, dass diese Straftaten un- Grundlage. wesentlich sind und nicht verfolgt werden sollten. Gleichzeitig möchte ich sie aber dem Bild der bren- (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) nenden Straßen und Autos entgegenstellen. Man muss auch noch sagen, dass in der Anfrage und der Ja, es trifft zu, im Alten Sportamt soll ein sogenann- Antwort des Senats darauf hingewiesen wird, dass tes Aktionstraining stattgefunden haben. Wenn al- die Straftaten sich in qualitativer Hinsicht nicht ver- lein dies aber schon eine Grundlage ist, um einen ändert haben. Das hier gezeichnete Bild ist einfach Vertrag aufzukündigen, weiß ich gar nicht, was Sie unzutreffend. mit Polizeieinheiten machen, die teilweise sogar in Kooperation mit Organisationen wie Greenpeace Zudem muss man wissen, dass es sich bei der Poli- gemeinsame Aktionstrainings durchführen. Was zeilichen Kriminalstatistik um eine sogenannte für Verträge wollen Sie da eigentlich auflösen? Ihre Eingangsstatistik handelt. In wie vielen Fällen es Argumente sind nur Augenwischerei, und Sie zie- zu einer Erhärtung des Verdachts oder auch zu ei- len damit auf selbst verwaltete linke Kulturräume ner Verurteilung kommt, lässt sich daraus noch ab, nichts anderes ist das Ziel Ihrer Diskussion. nicht nachvollziehen. Zudem lässt sich die korrekte Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1811

Die FDP beantragt, neben dem bereits bestehen- zum Regierungspartner, aber es passiert in Bremen den Bericht zum Rechtsextremismus einen ähnli- nichts in Sachen Linksextremismus. Im Gegenteil! chen Bericht zum Bereich Linksextremismus vorzu- legen. Nicht negieren werde ich jetzt die vorliegen- Herr Innensenator, gibt es schon Ergebnisse zu den Zahlen, die die Grundlage für diese Begrün- dem – ich bleibe bei meinem Vorwurf – Mordan- dung darstellen. Was ich allerdings negieren schlag auf den AfD-Abgeordneten Frank Magnitz, möchte, ist eine gleichwertige Betrachtungsnot- zu den Tätern des Lkw-Brandanschlags, bei dem wendigkeit von rechtsextremistischen Anschlägen ein polnischer Fahrer fast verbrannt wäre, zu den und dem, was hier in der Polizeistatistik unter der abgefackelten Polizeiautos? Ich habe nichts ver- Kategorie „links“ aufgeführt wird. nommen. Wurde in Bremen überhaupt schon eine nennenswerte linksextreme Straftat aufgeklärt o- Wir wissen, dass Morde, körperliche Gewalt, Dro- der ist das gar nicht gewollt? Man hat zumindest hungen, Brandanschläge auf Wohnunterkünfte in hier in Bremen den Eindruck. den letzten Jahren deutlich zugenommen haben. 208 Todesopfer durch rechtsradikale Gewalt sind Wird es nicht Zeit, dass dieser Senat, dieser Innen- zu beklagen, die keinen Todesopfern seit den 90- senator hier endlich aktiv wird, wenn bundesweit er Jahren – also, die Daten fangen in den 90-er Jah- linksextreme Straftaten um 23,7 Prozent, also fast ren an – von links gegenübergestellt werden kön- ein Viertel, steigen, wenn Bremen hier auch von nen. der FDP als Hochburg des Linksextremismus be- zeichnet wird, wenn der Verfassungsschutzbericht (Glocke) von massiven Ausschreitungen, Auseinanderset- zungen der Polizei spricht, bei denen die Polizei mit Dass wir dem hier mit einer Gleichsetzung der Ge- Flaschen, Pyrotechnik und Feuer angegriffen fahrenlage auch nicht auf der Ebene gleicher Be- wurde, wenn der Verfassungsschutz erkennt, dass richtswesen entgegentreten können, halte ich für linksextreme Gewalt hier als legitime Gewalt gilt, selbstverständlich. Es gibt noch einige Anmerkun- und wenn selbst die ach so liberale FDP, die sonst gen, für die ich aber dann in der zweiten Runde Strafverschärfung gern verhindert, nun von der noch einmal wiederkomme. – Vielen Dank für Ihre Ohnmacht des Staates spricht? Aufmerksamkeit! Ich fürchte, es wird zumindest hier in Bremen ein (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) Wunschtraum bleiben, dass Bremen überhaupt ge- gen den Linksextremismus vorgehen wird. Von Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner hat zielgerichteter oder konsequenter Handlungsweise der Abgeordnete Herr Jürgewitz das Wort. will ich gar nicht reden, solange diese Verflechtun- gen zwischen diesen linksextremen Gruppen und Abgeordneter Jürgewitz (AfD): Frau Präsidentin, einigen Regierungsparteien hier fließend sind. Dies meine sehr verehrten Damen und Herren! So weit hat ja zumindest in Bremen auch seit Jürgen Trittin ist es gekommen, der Staat hat Angst vor den Tradition und wurde zuletzt durch eine Person von Linksextremen und lässt sie in rechtsfreien Räumen Bündnis 90/Die Grünen hier im Hause dadurch gewähren. Das zeigen die bundesweiten Hotspots deutlich bestätigt, dass sie zumindest Gewalt ge- des Linksextremismus, des Linksterrorismus wie in gen Sachen für legitim hält, also auch gegen Lkw Berlin, Rigaer Straße, in Hamburg mit der Roten und Polizeiautos. Wenn dann ein Mensch darin ist, Flora, in Leipzig-Connewitz – das Ganze seit Jahr- ist das wohl sicherlich seine eigene Schuld. zehnten – oder der Hambacher Forst, in dem Poli- zisten mit Fäkalien besudelt werden. Da kann ich Doch Sie, Herr Innensenator, kämpfen lieber, weil Ihnen gern Bilder zeigen. es sich natürlich medial gut macht, gegen das Phantom – hier in Bremen zumindest – des Rechts- Nun werden tatsächlich auch FDP und CDU in Bre- extremismus. Dazu gibt nämlich Ihr Verfassungs- men langsam aufmerksam, da diese Parteien das, schutzbericht für Bremen kaum etwas her, außer womit die AfD seit Jahren leben muss, nun selbst ein paar Versprengten aus der NPD und wenigen erfahren, linksextreme Gewalt. Immerhin! Die SPD Reichsbürgern, die diesen Staat in Gänze ableh- aber mit ihrem Senator für Inneres interessierte das nen. Reichsbürger, Herr Innensenator, gibt es aber bis heute offensichtlich nicht. Da werden zwar die übrigens auch im linken Spektrum. Dort heißen sie linksextremen Gruppen im Verfassungsschutzbe- nur anders. Ihr Verfassungsschutzbericht nennt sie richt schön aufgeschlüsselt, auch die mit Bezug Autonome. In diesem Sinne stimme ich dem FDP- Antrag zu. – Danke schön! 1812 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner hat gegen linke Gewalt nicht vorgehen, sie würden der Abgeordnete Herr Fecker das Wort. keine Ermittlungsergebnisse erzielen – –. Der Hin- weis sei gestattet, gelegentlich habe ich den Ein- Abgeordneter Fecker (Bündnis 90/Die Grünen): druck, dass Leute aus dem linken politischen La- Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehr- ger, die mit mir sprechen, sagen, dass sie sehr wohl ten Damen und Herren! Nach diesem Redebeitrag von der Polizei wahrgenommen und auch beachtet werde ich versuchen, wieder etwas zur Versachli- werden. chung der Debatte beizutragen. Es ist aus Sicht der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unstrittig, dass es Unabhängig davon: Der dahinterstehende Vor- Extremismus auch im linken politischen Lager gibt, wurf, es würde zu keinen Ermittlungsergebnissen und es ist ebenso unstrittig, dass Straftaten in die- kommen, und das mit einer politischen Grundhal- sem Land verfolgt werden müssen. Allen Versu- tung zusammenzubinden, das ist genauso abwegig chen, die freiheitlich-demokratische Grundord- wie der Vorwurf, dass Innensenator Mäurer auf nung zu verändern, muss entsprechend begegnet dem linken Auge, also im linksextremistischen Be- werden und sie müssen ebenfalls entsprechend reich, keine Handlungsnotwendigkeit sehe. Das verfolgt werden. Ich kann nur allen politischen und entspricht nicht der Politik der letzten Jahre hier in gesellschaftlichen Akteuren raten, hier auch eine diesem Bundesland, der wird es auch weiterhin klare Grenze zu ziehen. nicht entsprechen. Straftaten werden in einem Rechtsstaat verfolgt, Ende der Debatte. (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, FDP) (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD) Es darf eben nicht das Recht des Stärkeren gelten, sondern unsere Rechtsordnung. Es entsteht auch Ich sage das auch so deutlich: Was Politik aber aus- nicht mehr Wohnraum, es wird kein Flüchtling halten muss, ist Kritik, und zwar Kritik an gesell- mehr aufgenommen und auch die sozialen Prob- schaftlichen Verhältnissen, Kritik am Rassismus in leme werden nicht durch die Anwendung von Ge- der Gesellschaft, Kritik an Sexismus in der Gesell- walt gelöst, übrigens auch nicht durch Farban- schaft, an sozialen Ungleichheiten, das muss un- schläge auf Parteibüros. sere Gesellschaft, das müssen auch wir im Politi- schen, auch wenn wir Regierungsverantwortung (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, FDP) haben, das müssen wir aushalten. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass, wer diese Kritik äußert Dass wir dazu gekommen sind, dass nun deutlich und wer gegen diese gesellschaftlichen Verhält- mehr Flüchtlinge aus Moria aufgenommen werden, nisse aufbegehrt, am Ende der- oder diejenigen ist, ist vor allem das Verdienst eines starken politi- die vom Staat dafür auch noch verfolgt wird. Auch schen Engagements, aber auch eines starken au- da gibt es einen schmalen Grat und da sollten wir ßerparlamentarischen Engagements vieler zivilge- sehr genau aufpassen, dass wir hier nicht die fal- sellschaftlicher Organisationen, und das ist das schen Signale an diejenigen senden, die sich enga- Wesen der Demokratie, dass wir uns einmischen gieren. und friedlich den Druck aufbauen, damit es zu Ver- änderungen kommt. Da sind wir auch noch nicht (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) am Ende, gerade bei diesem Punkt, glaube ich, gilt es, weiter Druck aufzubauen, aber ohne jede Form Ich will auf diesen Eindruck, der sich bei mir ver- von Gewalt. Lassen Sie mich das auch sehr deutlich festigt hat, insbesondere auch beim Alten Sport- sagen, wir lassen uns auch bei diesen Dingen nicht amt, noch einmal kurz eingehen. Ich glaube, wenn erpressen, und wir lassen uns auch nicht bedrohen, man sich den Bericht anschaut, der zum Alten und ob Hammer und Sichel nun wirklich die Zei- Sportamt gegeben wurde, dann stellt man erst ein- chen der Freiheit sind, daran setze ich einmal für mal fest, dass ein selbst organisiertes Jugendzent- mich ein klares Fragezeichen. rum ohne jede Beanstandung, ohne jede Be- schwerde vom Umfeld oder bei den Prüfungen von (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, FDP) Immobilien Bremen arbeitet. Wenn ich daran denke, wie damals die Diskussion im Haushalts- Ich will auch sehr deutlich sagen, dass uns Panik- und Finanzausschuss war – ich erinnere mich noch mache nicht hilft, sehr deutlich, weil ich glaube, sehr genau daran, wie aus interessierten Kreisen dass das, was an Vorwürfen direkt oder indirekt ge- versucht wurde, da schon die Bedenken zu formu- gen die Polizei und die Sicherheitsbehörden in die- lieren, und dem Senat vorgeworfen wurde, dass er sen Debatten immer wieder auftaucht, sie würden Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1813

ein bürgerliches Mietverhältnis, so etwas Mega- der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands ei- spießiges wie ein Mietverhältnis, mit einem Verein nen Gegner, und das seit mehr als 150 Jahren. vorgenommen hat –, das hat sich alles nicht be- wahrheitet. (Beifall SPD – Zuruf Abgeordneter Jürgewitz [AfD])

Nun zu den Vorfällen, die im Bericht des Landes- Auch das sage ich voller Überzeugung. Ich weiß amts für Verfassungsschutz auftauchen. Dazu habe bei dem Kampf für unsere freiheitlich-demokrati- ich eine relativ klare Haltung. Wenn es sich dabei sche Grundordnung alle hier im Saal vertretenen um Straftaten handelt, dann ist meine Erwartungs- Fraktionen an unserer Seite. Da könnten Sie sich haltung, dass die Sicherheitsbehörden diesen Straf- jetzt selbst applaudieren, das wäre besser gewe- taten nachgehen und dass das durch die Justiz in sen. diesem Land aufgearbeitet wird. Das, meine Da- men und Herren, ist der richtige Weg. So funktio- (Heiterkeit SPD) niert Rechtsstaat bei uns. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit! Weil wir als SPD seit so langer Zeit unsere Demo- kratie gegen ihre Feinde verteidigen, deswegen (Beifall Bündnis 90/Die Grünen) vermisse ich auch die Ernsthaftigkeit bei dem FDP- Antrag und bei Ihren Redebeiträgen sowieso, Frau Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner hat Bergmann. der Abgeordnete Herr Lenkeit das Wort. (Zuruf Abgeordneter Prof. Dr. Hilz [FDP]) Abgeordneter Lenkeit (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Wir disku- Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich spreche tieren heute den Antrag der Fraktion der FDP „Po- Ihnen nicht die Sorge um den sich ausweitenden litischem Extremismus entschieden entgegentreten Extremismus ab, aber wenn ich mir Ihre Facebook- – Bremen darf keine Hochburg des Linksextremis- Seite anschaue, ein wenig herunterscrolle, mir da mus bleiben!“ in Verbindung mit der Großen An- Ihren Eintrag zu dem Alten Sportamt und zu dem frage der Fraktion der CDU „Wie stark nimmt die Linksextremismus anschaue, dann frage ich mich linke Gewalt in Bremen zu?“ Hierzu liegt uns auch wirklich, was das soll. Ein Foto schmückt den Text die Antwort des Senats vor und ich möchte mich der Kollegin Bergmann, lichterloh brennende Ein- ganz herzlich für die umfangreiche Antwort bedan- richtungsgegenstände vor einer Bank, darauf im ken. Corporate Design der Liberalen Magentaschrift auf gelbem Grund: Altes Sportamt nicht den Linksext- Lassen Sie mich zu Beginn meines Redebeitrags remen überlassen. eine Anmerkung machen. Ich bin ja noch nicht lange Mitglied dieses Hohen Hauses, habe aber Ich weiß nicht, ob ich mich mit meinen Mitte 30 das Gefühl, dass das Thema Linksextremismus Jahren als Digital Native bezeichnen darf, aber mich schon vielfach in der Bürgerschaft und in De- eine Minute Bildersuche später ist es klar, dass das putationsbeiträgen beschäftigt hat. Dabei schwingt Foto nicht aus Bremen, sondern aus Santiago de ja oftmals der leise, wenn auch nie so formulierte Chile stammt und keinesfalls das lodernde Ergeb- Verdacht mit, dass die rot-grün-rote Koalition auf- nis eines linksradikalen Mobs im Bremer Viertel grund ihrer politischen Verortung im linken politi- zeigt, sondern ein Foto der landesweiten Unruhen schen Spektrum hier gern einmal ein Auge zu- von 2019 ist, die sich gegen Ungleichheit im Land drückt. richteten und von Kostenerhöhungen im öffentli- chen Dienst ausgelöst wurden. Stockfotografie, (Beifall FDP – Abgeordneter Dr. vom Bruch [CDU]: Fluch und Segen zugleich. Ja!) (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Da mögen Sie applaudieren, ich glaube, das verrät mehr über Sie als über irgendetwas anderes. Des- Ganz deutlich: Wenn Ihnen das sicherlich vorhan- wegen lassen Sie mich für die SPD-Fraktion ganz dene Foto einer verkohlten Eingangstür eines Bre- deutlich sagen, wir verschließen unsere Augen mer Polizeireviers nicht reicht, um Ihrem politi- nicht, wir wissen aus historischer Erfahrung, die schen Ansinnen Nachdruck zu verleihen, und Sie Feinde unserer freiheitlich-demokratischen Grund- sich stattdessen Bildbanken bedienen, um einen ordnung stehen links wie rechts, und sie haben in nicht existenten Zustand in unserem Land herbei- zusehnen, dann ist dies nur eins: armselig. 1814 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) meine gefühlte Wahrnehmung. Hier heißt es, das Sportamt wurde mehrfach zur Vorbereitung links- Da meine Zeit hier herunterläuft, verschiebe ich extremer Aktionen genutzt. Die Innenbehörde ist den Rest meines Redebeitrags auf den zweiten Teil. besorgt um den unheilvollen Zusammenhang zwi- – Danke! schen zunehmenden Gewalttaten aus dem links- extremen Milieu und der Nähe der Nutzer des Al- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) ten Sportsamts zu diesem Spektrum. Diese Notiz alarmiert mich als Freie Demokratin. Ja, gewaltbe- Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin reiter Extremismus ist keine Lösung, er hat keinen hat die Abgeordnete Frau Bergmann das Wort. Platz in unserer Stadt verdient.

Abgeordnete Bergmann (FDP): Sehr geehrte Frau (Beifall FDP) Präsidentin, liebe Zuschauer*innen! Ich beginne heute einmal mit einem Zitat, das habe ich übri- Den von Ihnen in Ihrer Presseerklärung so liebevoll gens auch in den Social Medias gefunden: „Der beschriebenen Verein, der ja durchaus auch schon Verein Klapstul e. V. kümmert sich vorbildlich um Trainings zur Durchbrechung von Polizeiblocka- das Gelände und hat ausnahmslos alle Pflichten im den geduldet haben soll, stärker daran zu erinnern, Leihvertrag erfüllt. Dennoch fordern FDP und AfD extremistischen Strömungen keinen Raum zu bie- die Auflösung des Vertrags. Hier werden politisch ten und den Leihvertrag entsprechend anzupassen, missliebige Menschen aus Parteikalkül kriminali- ist deswegen meiner Meinung nach eine legitime siert.“ Forderung. Viele Jugendliche halten sich auch hier auf, finden ihren Raum für politische und gesell- (Beifall DIE LINKE) schaftliche Auseinandersetzung. Das ist gut, das ist richtig, dagegen stellen wir uns nicht, auch wenn Mit dieser Botschaft hat die Bremer Partei DIE unsere politische Haltung vielleicht different ist, LINKE in der letzten Woche die sozialen Medien aber all das gibt unser Toleranzverständnis her. Es beglückt, gleichlautend auch die Presseerklärung gibt hier aber auch eine Kontaktbörse, um extre- der zugehörigen Fraktion. Das Zusammendampfen mistische Bekanntschaften zu pflegen. Das wider- der politischen Haltung meiner Partei und meiner strebt mir zutiefst. Fraktion auf eine banale Nebeneinanderstellung mit der AfD, um einmal mehr eine haltlose Rechts- (Präsident Imhoff übernimmt wieder den Vorsitz.) lastigkeit zu unterstellen, ist ein billiger rhetori- scher Trick und einer demokratischen Auseinan- Lässt sich der Verein auf diese zentraldemokrati- dersetzung auf Augenhöhe unwürdig. sche Forderung nicht ein, müssen wir über eine Kündigung des Leihvertrags reden. Ein simples Be- (Beifall FDP – Abgeordneter Fecker [Bündnis kenntnis zur Demokratie und gegen antidemokra- 90/Die Grünen]: Dann kommen wir jetzt einmal zu tische Agitation kann das aber verhindern. Darüber dem Foto!) reden wir und dafür stehen wir. Das Gelände wird dem Verein von der Stadt über einen Leihvertrag Lieber Herr Janßen, liebe Frau Strunge, wir zwei- kostenlos überlassen. Das ist ein deutliches Entge- feln gar nicht an, und lieber Herr Fecker genauso, genkommen der Stadtgemeinschaft für die hier ge- wir zweifeln gar nicht an, dass sich der Verein um lebte politische Kultur. Liebe Frau Strunge, lieber das Gebäude kümmert. Wir fordern auch nicht, Herr Janßen, lieber Herr Fecker und wer auch im- wenn Sie genau hingeschaut haben, die Auflösung mer diese Meinung vertritt, lassen Sie mich noch des Vertrags, Ihre Verkürzungen sind schlicht einmal auf Ihre Presseerklärung eingehen. falsch. Unbeholfen der Versuch, uns einmal mehr in das politische Rechtsaußen zu stellen, um die ei- (Abgeordneter Fecker [Bündnis 90/Die Grünen]: gene inhaltliche Nähe zu extremistischen Gruppen Entschuldigung, Entschuldigung!) des linken Flügels zu relativieren. Es geht nicht darum, ob der Verein alle Pflichten (Beifall FDP) erfüllt hat. Es gilt, darauf zu achten, was er jenseits dessen in den Räumen zulässt. Wir kriminalisieren Lassen Sie mich Ihnen deswegen noch einmal un- keine Menschen, wir möchten lediglich verhin- sere Haltung vor Augen führen. Grundlage der dern, dass hier kriminelle Handlungen vorbereitet heutigen politischen Debatte ist der aktuelle Ver- werden. fassungsschutzbericht für unsere Stadt und nicht Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1815

(Beifall FDP) gesellschaftlichen Mehrheitsverhältnissen ausdrü- cken kann. Deshalb begrüße ich es außeror- Den Vertrag um eine Anti-Extremismusklausel zu dentlich, wenn auch die Universität und die Hoch- erweitern ist deswegen eine legitime Forderung. schulen ein Ort von gesellschaftlicher Auseinan- Bekennt sich der Verein zur Demokratie und gegen dersetzung und gesellschaftlichem Protest sind. gewalttätigen Extremismus, dann ist alles gut. Die Hier direkt zu sagen, das ist irgendwie alles Extre- Rechnung ist ganz einfach. Klapstul e. V. ja, Links- mismus, den man so nicht sehen möchte, finde ich extremismus nein. – Vielen Dank! wirklich ein Problem in Bezug auf die Vorstellung von demokratisch organisierten Universitäten, in (Beifall FDP) denen Protest auch gelebt werden muss.

Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat der Ab- (Beifall DIE LINKE) geordnete Herr Janßen das Wort. Ich möchte noch einmal zu einem Punkt Stellung Abgeordneter Janßen (DIE LINKE): Sehr geehrter nehmen, der in der Anfrage auch angeschnitten Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und wird und eben auch schon einmal diskutiert wurde Herren! Ich muss die Pressemitteilung jetzt nicht und sich auch im Verfassungsschutzbericht so wie- noch einmal vorlesen, das hat ja meine Vorrednerin derfindet, und das ist die Rote Hilfe. Die Rote Hilfe schon gemacht. ist eine Organisation, die in Rechtsfragen berät und gegebenenfalls auch Kosten in Verfahren über- (Heiterkeit) nimmt. Sie wird von den Verfassungsschutzbehör- den in Bremen, aber auch überregional dem ge- Zum Klapstul e. V. und zur Frage Altes Sportamt waltbereiten Spektrum zugeordnet. Diese Zuord- hatte ich mich ja in der ersten Runde schon gemel- nung halte ich für groben Unsinn. det, deshalb wollte ich jetzt noch einmal ein paar Punkte ansprechen, die in der Großen Anfrage zur Einer Kanzlei, die auf Strafrecht spezialisiert ist, Sprache gekommen sind. werfe ich schließlich auch nicht vor, gegen das Strafgesetzbuch zu verstoßen, sondern das gute Es gibt in der Großen Anfrage der CDU einen Pas- Recht zu haben, Mandate mit einem bestimmten sus, in dem sich die CDU besorgt zeigt und die Fokus anzunehmen oder sie abzulehnen. Ich finde, Frage stellt, ob es eigentlich auch linksextremisti- die Rote Hilfe ist ein Verein, der einer Beschäfti- sche Umtriebe an der Universität oder an den gung mit einem Fokus nachgeht, der Berechtigung Hochschulen gibt, abzielend auf Proteste in den hat. Man muss ihn nicht mögen, man muss nicht Hochschulen und der Universität gegen Dozenten, Teil davon sein, die Kriminalisierung in dieser die in der Studierendenschaft auf Widerspruch ge- Form finde ich aber ein Problem. stoßen sind. Auf Widerspruch und heftigen Protest, so kann man das ja auch ausdrücken. (Beifall DIE LINKE)

(Zuruf Abgeordneter Dr. vom Bruch [CDU]) In Frage 13 zielt die CDU auf die Einführung wei- terer technischer Überwachungsmöglichkeiten ab. Ich möchte nur noch einmal daran erinnern, was an Da geht es um die Frage, wie wir eigentlich aufge- den Universitäten zu Recht an Protestkultur gelebt stellt sind, um auch die Möglichkeit zu haben, tech- wird. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Alli- nisch im Bereich politisch motivierter Kriminalität ierten die verfasste Studierendenschaft in West- Informationen zu gewinnen. Ich möchte die Gele- deutschland eben deshalb eingeführt, um die Stu- genheit deshalb nutzen, um deutlich zu machen, dierenden zu politisieren und um zu sagen, wir ma- dass die Formen von Telekommunikationsüberwa- chen so eine Nummer wie vorher nicht wieder, als chung, jedenfalls in Form einer Quellen-TKÜ, we- die Studierendenschaft nicht in der Lage war, auch der im jetzigen Entwurf des Polizeigesetzes enthal- eine demokratische Kultur zu entwickeln und eine ten sind noch in der Zukunft so von uns mitgetra- Form von Kritik an bestehenden Verhältnissen zu gen werden können. üben. Der sogenannte Staatstrojaner ist dabei mit Sicher- Das war eine bewusste Zielsetzung, die man da- heit eine Möglichkeit, mehr Informationen gewin- mals verfolgt hat, und das führt nun einmal auch nen zu können, er steht allerdings im heftigen Wi- dazu, dass es eine Protestkultur an Universitäten derspruch zu Datenschutz und Bürgerrecht und gibt, die sich auch im Widerspruch zu bestehenden 1816 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

wird deshalb von uns abgelehnt. – Ich bedanke nicht, entscheiden nicht politische Gremien, son- mich für Ihre Aufmerksamkeit! dern Gerichte. Bei dem Alten Sportamt sind wir – und das glaube ich wirklich – nicht weit auseinan- (Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen) der, aber es gab dort keine kriminellen Handlun- gen. Sonst würden die Sicherheitsbehörden ja er- Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat der Ab- mitteln. Man kann und man muss nicht mit allem geordnete Herr Lenkeit das Wort. einverstanden sein, was dort propagiert oder geübt wird. Der Kollege Janßen hat hierzu schon vieles Abgeordneter Lenkeit (SPD): Sehr geehrter Herr gesagt, das wiederhole ich jetzt nicht. Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Ich habe ja eben schon deutlich gemacht, warum man gerade Zu der Großen Anfrage der Fraktion der CDU der SPD keine Sehschwäche auf dem linken Auge möchte ich nur kurz anmerken, dass Sie, Herr Dr. vorwerfen kann und warum mir die Ernsthaftigkeit vom Bruch, eben von einem quantitativen Auf- nicht nur bei der Verwendung von Stockfotos, son- wuchs bei dem Linksradikalismus in unserem Land dern bei dem Antrag der FDP in Gänze fehlt. Jetzt sprachen. Diesen gibt es – so ist es auch in der Ant- einmal zur Sache: Wer tritt Ihrer Meinung nach im wort auf Ihre Große Anfrage nachzulesen – nicht. Kampf gegen Linksextremismus denn eigentlich Es wird allerdings – und das haben Sie richtig ge- auf die Bremse? Dass es ihn gibt, bestreitet ja nie- sagt – ein qualitativer Aufwuchs attestiert. Ich mand. Man könnte meinen, Sie zielen hier auf die möchte hier gar nichts relativieren, aber wenn das rot-grün-rote Koalition oder den sozialdemokrati- Ressort sich schon so viel Mühe gibt, die Fragen zu schen Senator des Inneren ab. beantworten, dann sollte man sie auch richtig wie- dergeben. In Ihrem Antrag verweisen Sie dann aber auf feh- lende durchschlagende Ermittlungserfolge, was ja (Glocke) nichts anderes als eine Kritik an der Arbeit der Po- lizei ist. Dem möchte ich widersprechen, die Kolle- Präsident Imhoff: Herr Lenkeit, würden Sie eine ginnen und Kollegen der Sicherheitsbehörden in Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Dr. Buh- Bremen und Bremerhaven machen einen hervorra- lert zulassen? genden Job, und natürlich ist es ermittlungstech- nisch schwierig, die Verantwortlichen von Fassa- Abgeordneter Lenkeit (SPD): Ich freue mich. denschmierereien zu ermitteln, aber daraus macht die Fraktion der SPD keinen Vorwurf an die Sicher- Abgeordneter Dr. Buhlert (FDP): Herr Lenkeit, Sie heitsbehörden, anders als die FDP. haben sicherlich wie ich wahrgenommen, dass es ein gewisses Aktionstraining in den Räumen des (Beifall Bündnis 90/Die Grünen) Alten Sportamts gab. Sind Sie mit mir der Auffas- sung, dass aus Aktionstrainings auch kriminelle In Ihrem Antrag schreiben Sie, Herr Präsident, ich Handlungen hervorgegangen sein könnten? zitiere: „Umso wichtiger ist es für die Sicherheit und den Frieden Bremens, linkspolitisch motivier- Abgeordneter Lenkeit (SPD): Herr Dr. Buhlert, das ter Kriminalität präventiv entgegenzutreten.“ kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich kann das Hierzu findet sich im Beschlussteil dann kein einzi- nicht ausschließen, aber ich kann es ja auch nicht ges Wort mehr. Aber, Spoileralarm, in der Großen bestätigen. Anfrage der CDU geht das Ressort intensiv darauf ein, was präventiv getan wird, um extremistischen Präsident Imhoff: Herr Lenkeit, würden Sie noch Tendenzen entgegenzuwirken, und das auch ress- eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau ortübergreifend. Ich gehe daher davon aus, dass Aulepp zulassen? das Ausbleiben von Forderungen zur Prävention als Lob seitens der Fraktion der FDP zu verstehen Abgeordneter Lenkeit (SPD): Nicht, dass das jetzt ist. Danke dafür! zu kritisch wird. Ja!

Ein letzter Hinweis zu einem der letzten Sätze in Abgeordnete Aulepp (SPD): Herr Lenkeit, würden Ihrem Antrag: Es darf in keiner Form staatliche Un- Sie mir zustimmen, dass Menschen, die in Sport- terstützung für Verfassungsfeinde oder linksextre- vereinen schnell laufen oder auch boxen trainieren, mistische gewaltorientierte Kriminelle geben. Se- dass daraus möglicherweise auch Straftaten resul- hen Sie, wer in diesem Land kriminell ist und wer tieren könnten? Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1817

(Unruhe) Wenn Sie aber auf Vorkommnisse an der Universi- tät zu sprechen kommen, dann ist es für mich nicht Das ist eine ähnlich spekulative Frage. irgendeine demokratische Meinungsäußerung, je- mandem dort das Rederecht zu verweigern, zum Abgeordneter Lenkeit (SPD): Es wäre möglich, Teil dadurch, dass man fast Gewalt anwendet, son- Frau Aulepp, ja. – Vielen Dank für Ihre Aufmerk- dern es ist für mich ein zutiefst undemokratisches samkeit! Verhalten. An Universitäten müssen wie überall alle, die etwas zu sagen haben, auch zur Sprache (Beifall SPD) kommen und das sagen können, was sie sagen wol- len. Da gibt es keine Relativierung, und da unter- Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat der Ab- scheiden wir uns, Herr Janßen. geordnete Herr Dr. vom Bruch das Wort. (Beifall CDU, FDP) Abgeordneter Dr. vom Bruch (CDU): Herr Präsi- dent, meine sehr geehrten Damen und Herren! Noch ein Satz zum Alten Sportamt. Es ist gar nicht Wenn ich mir die Debatte so anschaue, im Span- unbedingt die Rede davon, dass wir hier jemanden nungsfeld zwischen dem, was von Herrn Jürgewitz kriminalisieren wollen, schon gar nicht pauschal. verbreitet worden ist, und dem, was aus der linken Das ist nicht unsere Absicht, aber dieser Staat muss Ecke gekommen ist, was der Kollege Janßen hier schon hinschauen, wenn gegen ihn irgendwo et- zum Besten gegeben hat, dann sage ich Ihnen ganz was beabsichtigt, geplant, geübt wird oder wie ehrlich: Ich habe mich in meiner Position hier selten auch immer. Da sagen wir, dass Taten auch Folgen so wohl gefühlt. haben müssen. Deshalb sind wir dafür, mit diesen Menschen zu sprechen, aber wenn das nicht hilft, (Beifall CDU) dann muss dort nun einmal gehandelt werden, und dabei bleiben wir. – Herzlichen Dank! Ich glaube, dass das, was ich zum Ausdruck brin- gen wollte, hier geradezu bestätigt worden ist. (Beifall CDU) Meine Botschaft war, dass ich gerade glaube, dass wir diese rituellen Debatten, die es hier auch schon Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat Herr Se- zuhauf – und dazu hat der Kollege Fecker ja das nator Mäurer das Wort. Notwendige gesagt – in diesem Hause gegeben hat, – –. Die rituellen Debatten, die einen betonen Senator Mäurer: Herr Präsident, meine sehr ver- rechts, die anderen betonen links, und alles geht ehrten Damen und Herren! Nach dem ersten Bei- durcheinander, und der eine meint, das eine sei trag von Frau Bergmann hatte ich das Gefühl, dass nicht so schlimm, weil ja auch das andere zur Spra- ich mich fast aufgeregt hätte. Der Beitrag von che gekommen ist. Genau das ist falsch. Herrn Dr. vom Bruch war deutlich anders. Es ist schon ein kleiner Erfolg, wenn man nach 13 Jahren (Beifall CDU) sagen kann, dass man auf dem linken Auge nicht mehr blind ist. Das ist zwar immer behauptet wor- Wir brauchen ein objektives und ein unverstelltes den, die Wahrheit war immer eine andere. Das ist Hinsehen in alle Bereiche des Extremismus, die De- jetzt es auch in dieser Bürgerschaft einmal gesagt mokratie muss in alle Richtungen wehrhaft sein, worden, von der CDU. die Demokratie braucht alle Demokraten, und sie braucht eben nicht die Ränder, und sie braucht Wir haben in der Tat ein Problem in dieser Stadt. eben nicht diejenigen, die diese Ränder auch noch Das Jahr 2019 weist einen Höhepunkt der soge- verharmlosen. nannten militanten Aktionen aus. Wir hatten eine Vielzahl von Brandanschlägen gegen Bereiche der (Beifall CDU) Immobilienwirtschaft, zwei Wachen haben ge- brannt, 2019 in Schwachhausen und Anfang 2020 Herr Janßen, ich kann mich des Eindrucks nicht im Steintor, und unsere Kritiker fragen: Wo sind die ganz erwehren, dass Sie der Versuchung erlegen Täter? Ich sage, ich würde sie Ihnen gern präsen- sind, das Ganze hier verharmlosen, relativieren zu tieren, sie anklagen, und ich hoffe, dass sie dann wollen. In dem, was Sie hier gesagt haben – das verurteilt werden. Wir haben es hier aber mit einem muss ich schon sagen –, da ist eine Relativierung zu Problem zu tun, das sich nicht auf Bremen begren- erkennen, und ich lasse das, was Sie zur Roten zen lässt. Hilfe gesagt haben, hier einmal außen vor. 1818 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Wenn man sich mit dem Thema Brandanschläge überführen und anklagen werden. Das zum Thema befasst, dann kann man einfach nicht leugnen, dass Gewalt in Bremen. Ermittler große Probleme damit haben. Es gibt ei- nen Bericht des Bundeskriminalamts, hoffentlich Sie können nicht glauben, dass man diesen Bereich völlig unverdächtig, darin sind über 100 Brandan- mit Präventionsprogrammen erreicht. Das sind schläge bundesweit gelistet, und die Aufklärungs- keine Menschen, die im Elend leben, für die man quote liegt bei unter zwei Prozent. Das heißt also, Arbeit organisieren muss, damit sie auf andere Ge- diese geringe Quote ist keine Bremensie, sondern danken kommen, oder denen man vielleicht eine dem Umstand geschuldet, dass wir es mit einer be- Ausbildung vermitteln muss. Möglicherweise ha- sonderen Form von Kriminalität zu tun haben. ben sie eine Ausbildung und gehen tagsüber als Mitarbeiter zu einer Bank und sind völlig unauffäl- Es gibt offensichtlich in unserer Stadt eine sehr lig. Das ist kein Thema für Prävention. Daher set- kleine Gruppe, wir schätzen sie auf vielleicht fünf zen wir darauf, dass wir, wenn wir zäh und hartnä- Personen, keine unerfahrenen Jugendlichen, son- ckig bleiben, auch in der Lage sein werden, den ei- dern vermutlich reife Männer, die hoch professio- nen oder anderen zu überführen. nell vorgehen. Ich bin mir auch sicher, sie sind nie dabei, wenn irgendwelche Farbbeutel geworfen Ansonsten haben wir in Bremen seit Jahren eine werden, sie demonstrieren auch nicht im Sportamt. Szene, die gewaltaffin ist. Wir haben aber keinen Dass sie so lange unentdeckt arbeiten können, gewaltigen Zuwachs, das muss man fairerweise sa- hängt damit zusammen, dass sie in der Tat völlig gen. Wir schätzen, dass es möglich ist, in Bremen isoliert, konspirativ und hoch professionell organi- circa 230 Personen zu mobilisieren. Man sollte viel- siert sind. leicht eine Meinungsumfrage in diesem Spektrum machen und fragen: Was haltet ihr vom Innensena- Die Häufung dieser Anschläge bereitet uns große tor? Ich glaube, die Antwort ist sehr deutlich. Wenn Probleme. Insofern teilen wir auch die Einschät- Sie sich einmal ein wenig im Internet umschauen, zung des Bundesamts für Verfassungsschutz, dass Frau Bergmann, müssten Sie eigentlich Ihre Aus- wir eine deutliche Zunahme in diesem militanten sage, dass ich der Liebling der Linken sei – –. Also, Bereich haben. Die Warnung steht im Raum, dass das kann man nicht ernsthaft behaupten. sich diese Aktionen nicht nur gegen Sachen rich- ten, sondern auch die Gefahr besteht, dass aus die- (Heiterkeit – Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen) sen Anschlägen am Ende Attacken auf Menschen werden können. Das ist die große Sorge. Ihre Kritik Das erinnert mich ein wenig an Trump, wenn Kali- ist – als würde ich die Verfahren selbst führen! – fornien brennt und er da steht und sagt, mit Klima- völlig abwegig. wandel habe das nichts zu tun. Ich glaube, so etwas nennt man auch eine gewisse Ignoranz. Sie können mich fragen, ob ich dafür gesorgt habe, dass beim Verfassungsschutz genug Personal ist, Präsident Imhoff: Herr Senator, würden Sie eine dass in der Staatsschutzabteilung der Kriminalpoli- Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Bergmann zei ausreichend Kräfte sind. Dann kann ich sagen, zulassen? – Frau Bergmann, Sie haben das Wort! ja, ich habe die Verantwortung dafür wahrgenom- men. Sie sollten sich einmal anschauen, wie viele Abgeordnete Bergmann (FDP): Kurzintervention? Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch vor zehn Jahren eingesetzt waren und wie viele es heute Präsident Imhoff: Die können Sie nach der Rede sind. Sie werden diese Abteilung kaum wiederer- gern halten. kennen. Das hängt nicht allein mit dem Thema Linksradikalismus zusammen, sondern natürlich Senator Mäurer: Aber eine Frage, bitte. Sie haben auch mit dem IS und anderen Problemen, die wir es ja losgetreten. hatten. Abgeordnete Bergmann (FDP): Eigentlich habe ich Wir haben nicht das Problem, dass wir kein Perso- eine Replik auf das, was Sie gerade sagen. Es ist nal zur Verfügung stellen, um diese Taten zu ermit- mitnichten so, dass ich die Annahme habe, dass Sie teln, sondern es hängt damit zusammen, dass wir als Person auf dem linken Auge blind seien. Sie trotz eines sehr großen personellen Aufwands nur sind aber Kopf einer Behörde und mein Gesamtein- sehr mühsam vorankommen. Wir sind aber noch druck ist nun einmal, um es noch einmal anders zu nicht am Ende des Tages. Ich bin überzeugt davon, sagen, dass in dieser Stadt dem, woraus sich die dass wir den einen oder anderen irgendwann auch linke Gewalt entwickelt, nicht ausreichend mit der Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1819

nötigen Energie entgegengestanden wird. Dass nen Anfangsverdacht oder etwas, von dem wir sa- sich das dann manchmal in einer Aussage kristalli- gen konnten, wir können einschreiten, weil wir siert, die sich in Ihrer Person personifiziert, liegt strafrechtlich relevantes Verhalten sehen. Daher einfach daran, dass Sie der Kopf dieser Behörde machen wir es wie bisher: Wir schauen uns das an sind. Sie als Person sehe ich überhaupt nicht in die- und werden einschreiten, wenn sich die Dinge ne- sem Kontext, das ist eine öffentliche Replik dazu. gativ verändern.

(Abgeordneter Dr. vom Bruch [CDU]: Das war so Präsident Imhoff: Herr Senator, gestatten Sie eine etwas wie eine Interventionsfrage! – Heiterkeit) Zwischenfrage des Abgeordneten Röwekamp?

Senator Mäurer: Danke sehr, das nehme ich wohl- Senator Mäurer: Ja, bitte! wollend zur Kenntnis, aber das gilt auch für alle meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Präsident Imhoff: Bitte sehr, Herr Röwekamp!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen) Abgeordneter Röwekamp (CDU): Herr Senator, nur eine kurze Zwischenfrage: Teilen Sie die Ein- Es gibt, wie gesagt, ja auch eine Kontinuität. Dieje- schätzung des Kollegen Janßen, wonach die Rote nigen, die heute in leitenden Positionen sind, wa- Hilfe kein Beobachtungsobjekt des Verfassungs- ren das auch vor zehn Jahren. Das heißt, wir haben schutzes sein sollte? im Verfassungsschutz und im Staatsschutz eine ganz klare Linie und jeden Freitagmorgen gibt es Senator Mäurer: Ich teile diese Auffassung nicht traditionell eine Sicherheitslage, bei der ich dabei und verweise insofern auf unseren Verfassungs- bin, mit Verfassungsschutz, mit Staatsschutz, und schutzbericht. Unsere Auffassung wird auch von al- die Tagesordnung steht auch für den kommenden len Bundesländern geteilt. Freitag schon fest. Es ist die Tagesordnung, die auch sehr wahrscheinlich zu Zeiten von Herrn Rö- Damit bin ich fast am Ende. Ich glaube, man sollte wekamp und Herrn Dr. vom Bruch die Grundlage sich auch immer die Mühe machen. Wir legen jedes für das war, was wir uns heute anschauen. Jahr einen umfassenden Bericht vor, allein das Ka- pitel Linksextremismus umfasst zwanzig Seiten. Im (Abgeordneter Röwekamp [CDU]: Ich muss Sie Vorwort, ich habe es noch einmal nachgelesen, enttäuschen, das ist schon länger als zehn Jahre habe ich alle wesentlichen Dinge ausgeführt. Wir her! – Zuruf Abgeordneter Dr. vom Bruch [CDU]) können noch einen dritten und vierten Bericht vor- legen, das würde uns nicht weiterhelfen. Wir müs- Ich finde, dass wir wirklich mit Maß darangehen sen versuchen, dass wir im Bereich der Ermitt- sollten. Unsere Sicherheitskräfte tun, was sie kön- lungsverfahren erfolgreicher sind. Das ist die Bot- nen. Ich habe beschrieben, warum das so schwierig schaft und daran arbeiten wir. – Danke sehr! ist, und wir müssen hoffen, dass wir irgendwann einmal Glück haben, Zufall, und dann werden wir (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen) den einen oder anderen Täter ermitteln. Präsident Imhoff: Weitere Wortmeldungen liegen Jetzt noch einmal das Thema Sportamt. Der Senat nicht vor. hat sich mit diesem Thema sehr ausführlich be- schäftigt. Ich weiß nicht, ob Ihnen das Senatsproto- Die Beratung ist geschlossen. koll zugänglich ist, aber wir haben eine sehr klare Position gefunden. Wir ziehen eine klare Grenze zu Wir kommen zur Abstimmung. allen, die Straftaten begehen, und zu allen, die ge- waltbereit operieren. Das heißt, solange da nor- Wer dem Antrag der Fraktion der FDP seine Zu- male Veranstaltungen stattfinden – auch wenn Sie stimmung geben möchte, den bitte ich um das den Senat kritisieren –, müssen wir damit leben Handzeichen. und dann würden wir auch nicht eingreifen. Der Auftrag des Senats lautet aber eindeutig, Inneres (Dafür CDU, FDP, M.R.F., Abgeordneter Beck wird sich das anschauen. Wir werden schauen, was [AfD], Abgeordneter Jürgewitz [AfD], Abgeordne- da weiter passiert und wir werden den Senat dar- ter Timke [BIW]) über informieren, wenn die Dinge aus dem Ruder laufen. Nur hatten wir bisher nichts Greifbares, kei- Ich bitte um die Gegenprobe. 1820 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

(Dagegen SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE Als Berichterstatterin erhält das Wort die Abgeord- LINKE) nete Frau Aulepp.

Stimmenthaltungen? Abgeordnete Aulepp, Berichterstatterin: Sehr ge- ehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Ich freue mich, dass ich nach der eben doch etwas Antrag ab. hitzigen und kontroversen Debatte jetzt als Rechts- ausschussvorsitzende eine Debatte einleiten darf, Im Übrigen nimmt die Bürgerschaft (Landtag) von von der ich annehme, dass wir da alle beieinander der Antwort des Senats, Drucksache 20/571, auf die sein werden. Große Anfrage der Fraktion der CDU Kenntnis. In der Bürgerschaftssitzung im März hat die Bür- Gesetz über eine Landesbeauftragte oder einen gerschaft einen Gesetzentwurf des Senats in den Landesbeauftragten für die Opfer und deren An- Rechtsausschuss eingebracht. Der Präsident hat gehörige in Fällen von Terrorismus und sonsti- gerade den Titel vorgelesen, der ist lang und sper- gen auf Straftaten beruhenden Großschadenser- rig, deswegen lese ich den jetzt nicht noch einmal eignissen sowie Geiselnahmen vor. Ebenso wie diesen Gesetzentwurf hat die Bür- Mitteilung des Senats vom 10. März 2020 gerschaft den Antrag der Fraktion der CDU nach (Drucksache 20/317) der ersten Lesung an den Rechtsausschuss über- wiesen, in dem es auch um einen Opferschutzbe- Wir verbinden hiermit: auftragten geht. Wir haben den Gesetzentwurf des Senats hier in der Bürgerschaft in erster Lesung be- Gesetz über eine Landesbeauftragte oder einen schlossen, weil es ein gutes Gesetz war, zumindest Landesbeauftragten für die Opfer und deren An- nach Auffassung der Koalition. gehörige in Fällen von Terrorismus und sonsti- gen auf Straftaten beruhenden Großschadenser- Wir haben im Rechtsausschuss darüber beraten eignissen sowie Geiselnahmen und haben einmütig und auch einstimmig festge- Bericht und Antrag des Rechtsausschusses stellt, dass man ein gutes Gesetz im parlamentari- vom 3. Juni 2020 schen Beratungsverfahren noch besser machen (Drucksache 20/414) kann. Daran hatten wir natürlich keinen Zweifel, dass wir als Abgeordnete Gesetze noch besser ma- und chen können als der Senat. Deswegen haben wir nach der Diskussion sowohl des CDU-Antrags als Opferschutz muss ernst genommen werden – ein auch des in erster Lesung beschlossenen Gesetzes Opferschutzbeauftragter für Bremen! im Rechtsausschuss einen Änderungsantrag der Antrag der Fraktion der CDU Koalitionsfraktionen einstimmig angenommen und vom 18. Februar 2020 haben der Bürgerschaft als Rechtsausschuss ein- (Drucksache 20/275) stimmig empfohlen, das Gesetz in zweiter Lesung so zu beschließen. sowie Vielleicht ganz kurz zusammengefasst: Im Entwurf Opferschutz muss ernst genommen werden – ein des Senats ging es darum, dass der Landesbeauf- Opferschutzbeauftragter für Bremen! tragte für die Opfer und deren Angehörige in Fäl- Bericht und Antrag des Rechtsausschusses len von Terrorismus und sonstigen auf Straftaten vom 3. Juni 2020 beruhenden Großschadensereignissen sowie Gei- (Drucksache 20/415) selnahmen zuständig sein sollte. Wir waren im Rechtsausschuss der Auffassung, dass es richtig ist, Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Dr. dass ein Opferschutzbeauftragter eine Ansprech- Schilling. person für alle Fälle von körperlichen und psychi- schen Gewalttaten sein soll. Nachdem das Gesetz an den Rechtsausschuss überwiesen und dort beraten wurde, kommen wir Natürlich bedeutet das nicht, dass diese einzelne nun zur zweiten Lesung. Person das alles insgesamt bearbeiten soll. Auch darin waren wir uns im Rechtsausschuss einig, dass Die gemeinsame Beratung ist eröffnet. sie im Prinzip ein Ansprechpartner ist und ein biss- Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1821

chen auch eine, wenn ich diesen Ausdruck benut- ein Leben lang unter den Folgen der erlebten Ge- zen darf, Relaisstation, um zu klären, wer sich jetzt walt leiden. Viele Opfer von Straftaten fühlen sich eigentlich worum kümmert, wer Ansprechpartner gedemütigt, hilflos und allein gelassen. Neben psy- ist, und da vielleicht auch nachhakt. Dementspre- chischen und physischen Verletzungen trifft sie die chend hat der Rechtsausschuss einstimmig emp- Ungewissheit, wie es nun weitergehen soll. fohlen, das Gesetz in zweiter Lesung mit dieser Än- derung zu beschließen. Erforderlich sind dabei Ansprechpartner, die ein- fühlsam und fachkundig auf die spezifischen Situ- Dann hatten wir natürlich auch noch den Antrag ationen der Opfer eingehen und entsprechende der Fraktion der CDU, in dem im Prinzip gefordert Hilfestellung anbieten. Wir als CDU-Fraktion sind wird, dass der Senat etwas tun soll, was dieses Ge- der Auffassung, dass die Hilfe für Betroffene, für setz jetzt schon vorschreibt. Die Fraktionen im Opfer von Straftaten zwingend weiter in den ge- Rechtsausschuss mit Ausnahme der Fraktion der sellschaftlichen Fokus gerückt werden muss. CDU waren der Auffassung, dass sich dieser An- trag dadurch, dass der Rechtsausschuss jetzt ein- (Beifall CDU) stimmig dieses Gesetz empfiehlt, erledigt hat. Da der Antrag aber in der Welt war und sich erledigt Das war auch die Motivation, weswegen wir, das hatte – das ist diese technische Geschichte –, hat liegt ja schon ein wenig zurück, im Frühjahr diesen der Rechtsausschuss mehrheitlich gegen die Stim- Antrag gestellt haben. Um was geht es aber konk- men der CDU beschlossen, der Bürgerschaft zu ret? Was soll ein Opferschutzbeauftragter bewir- empfehlen, den Antrag abzulehnen. ken? Die Verfahren in der Strafprozessordnung, viele kennen das, bei der Opferentschädigung sind Da die Fraktion der CDU den Antrag nicht zurück- oft zäh und dauern Jahre, wenn nicht sogar Jahr- gezogen hat, sondern wir den hier auch mit debat- zehnte. Der Opferschutzbeauftragte sollte und tieren, ist das die Empfehlung, die der Rechtsaus- könnte erstens darauf hinwirken, dass es zu einer schuss mehrheitlich gibt. Also, das Gesetz anzu- Beschleunigung kommt, um die Opfer, das ist auch nehmen, ist einstimmig, was mich sehr freut. Mich oft ein Problem, nicht zu lange zusätzlich zu belas- würde auch sehr freuen, wenn wir hier auch ein ten. einstimmiges Ergebnis dazu erzielen würden und angesichts dessen, dass das Gesetz das schon um- Liebe Kolleginnen und Kollegen, letztendlich hal- setzt, was die CDU zunächst nur fordert, dann den ten wir als CDU-Fraktion es auch für zwingend not- CDU-Antrag ablehnen. – Ich danke Ihnen! wendig, dass sich Kriminalitätsopfer auch mit nie- derschwelligen Angeboten umfassend über die (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen) möglichen Unterstützungsangebote informieren können, sowie über ihre Rechte aufgeklärt werden. Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat der Ab- Das wäre ebenfalls eine Thematik, die der Opfer- geordnete Herr Lübke das Wort. schutzbeauftragte als erste Anlaufstelle bewerk- stelligen könnte. Abgeordneter Lübke (CDU): Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Worum geht es? Die Kollegin Frau Aulepp hat es ja gerade schon Bei Straftaten jeglicher Art steht unserer Auffas- skizziert, seit unserer Einbringung des Antrags ist sung nach immer viel zu häufig der Täter im Vor- einiges passiert. Der Antrag ist in den Rechtsaus- dergrund. Das gilt sowohl medial als auch in allen schuss überwiesen und dort beraten worden. Zwi- Bereichen der staatlichen Strafverfolgung. schenzeitlich hat der Senat einen Gesetzesentwurf zur Einrichtung eines Landesbeauftragten für die Wir als Politik und auch als Gesellschaft wenden Opfer und deren Angehörige in Fällen von Terro- jedes Jahr Ressourcen in fast unbegreiflicher Höhe rismus und sonstigen auf Straftaten beruhenden auf, für die Polizei, für die Staatsanwaltschaft, für Großschadensereignissen sowie Geiselnahmen die Gerichte, für die Justizvollzugsanstalt und so eingebracht. weiter, die allein nur dem Täter zugewandt sind. Die Opfer von Straftaten gehen in aller Regel leer Der Rechtsausschuss hat daraufhin empfohlen, un- aus. Es werden nicht ansatzweise so viele Ressour- seren Antrag abzulehnen, da er sich durch diese cen investiert wie in den Umgang mit dem Täter. Gesetzesinitiative des Senats erledigt habe. Aus Dabei sollten vielmehr die Opfer und deren Bedürf- unserer Sicht hat sich unser Antrag zwar nicht er- nisse in den Blick genommen werden, die teilweise ledigt, weil er im Ergebnis weitreichender und um- fassender ist als der Gesetzesentwurf des Senats. 1822 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Wir wollen nämlich, dass sich der Opferschutzbe- unter diesen Folgen der erlebten Gewalt leiden. auftragte um sämtliche Opfer von Straftaten küm- Wir brauchen hier eine deutlich andere Haltung. mert und nicht nur um Opfer von Terrorismus oder Opfer von Straftaten, und seien die Taten auch Großschadensereignissen. noch so geringfügig, dürfen mit dem Erlebten und den oft seelischen und körperlichen Verletzungen Trotzdem finde ich es aber wichtig, dass wir hier in nicht allein gelassen werden. diesem Haus ein deutliches Signal aussenden hin zu mehr Opferschutz. Das Opfer muss letztendlich Die bestehende Vielzahl nicht staatlicher Einrich- im Strafverfahren ein gleichberechtigter Akteur tungen der Opferhilfe, die sich professionell oder sein wie der Täter auch. Wenn wir hier gemeinsam ehrenamtlich der Betreuung und Beratung von einen Opferschutzbeauftragten beschließen, wäre Menschen widmen, die Opfer einer Straftat gewor- das meiner Meinung nach ein deutliches Zeichen, den sind, sind unserer Ansicht nach überragend den Opferschutz in Bremen zu stärken und effek- bedeutsame Akteure des Opferschutzes. Wie zum tive Unterstützung anzubieten. Beispiel, das ist Ihnen sicherlich allen bekannt, der Weiße Ring e.V.. Dieser ist von großer Bedeutung Da wir als CDU-Fraktion, das kann ich, glaube ich, und leistet eine hervorragende und wichtige Arbeit ganz offensiv hier sagen, dieses Vorhaben auch an- in der ehrenamtlichen Betreuung und Beratung geschoben haben, werden wir dem Gesetzestext von Menschen, die Opfer von einer Straftat gewor- des Senats zustimmen, auch wenn er uns nicht in den sind, und begleitet diese in schwierigen Zeiten Gänze überzeugt, weil unser Vorhaben doch am und Situationen. Ende weitreichender ist. Ich finde es nur wichtig, dass wir hier ein Signal aussenden, ein Signal für Ähnliches gilt auch für den Täter-Opfer-Ausgleich, mehr Opferschutz in der Gesellschaft. Deswegen für Schattenriss e.V., für den Notruf für vergewal- möchte ich hiermit unseren Antrag der CDU-Frak- tigte Frauen und Mädchen e.V., für die Beratungs- tion im Sinne eines deutlichen Signals hin zu mehr stelle Neue Wege e.V., für die GISBU mbH in Bre- Opferschutz zurückziehen. – Herzlichen Dank! merhaven, für die Frauenhäuser im Land, für die Beratungsstelle für Betroffene von Menschenhan- (Beifall CDU, SPD) del und Zwangsprostitution, für das Bremer Jun- genBüro e.V., für das Mädchenhaus Bremen e.V., Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin hat das für das Kinderschutz-Zentrum, für das Bremer- Wort die Abgeordnete Frau Dogan. havener Mädchen- und Jungentelefon, für Opfer von sexuellem Missbrauch, für die psychosozialen Abgeordnete Dogan (Bündnis 90/Die Grünen): Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleiter, für Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen, das Stalking-Kriseninterventionsteam, für die sehr geehrte Herren! Im Strafrecht stehen der Täter Trauma-Ambulanzen hier in Bremen und Bremer- oder die Täterin und der soziale Rechtsfrieden im haven und nicht zuletzt für die Bremer und Bremer- Mittelpunkt. Straftaten werden verfolgt, um eine havener Beratungsstelle für mobile Beschäftigte Wiederholung zu vermeiden und auch dem Sicher- und Opfer von Arbeitsausbeutung. All diese Ein- heitsbedürfnis der Allgemeinheit Rechnung zu tra- richtungen, meine Damen und Herren, deswegen gen. Die Opfer von Straftaten spielen dabei notge- war es mir wichtig, diese zu nennen, leisten eine drungen eher eine Nebenrolle, was sich in Polizei- unverzichtbare Arbeit! und Justizstrukturen und im Strafverfahrensrecht widerspiegelt. Darum ist es wichtig, dass Opfer- (Beifall Bündnis 90/Die Grünen) schutz nicht nur im Strafverfahren stattfindet. Ihnen allen möchte ich hier heute meinen Dank Meine Damen und Herren, Opfer einer Straftat zu aussprechen für das, was Sie tagtäglich leisten, um werden, gehört zu den schlimmsten Erfahrungen, die Opfer zu begleiten und ihnen in solchen Situa- die ein Mensch machen kann. Niemand ist darauf tionen zu helfen! Das kann ich, glaube ich, im Na- vorbereitet, Opfer einer Straftat zu werden. Neben men aller Bürgerschaftsabgeordneten dieses Land- Trauer und Wut bestimmen Angst und Hilflosigkeit tages so deutlich sagen. Jetzt können Sie applau- den Alltag der Opfer. dieren!

Wir sind der Ansicht, dass die Opfer stärker in den (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) Blick genommen werden müssen, als es bisher ge- schieht, da sie ein Leben lang, und das haben Sie richtigerweise auch gesagt, Herr Kollege Lübke, Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1823

Diese Vielfalt des Opferhilfesystems in Bremen und lieber Herr Lübke. Ich war froh, dass wir das im Bremerhaven zeigt aber auch, es braucht eine zent- Rechtsausschuss einstimmig beschlossen haben. rale Stelle, die vernetzt, informiert, koordiniert und dafür sorgt, dass jedes Opfer zu der Einrichtung ge- Ich finde auch gut, dass Sie angekündigt haben, langt, in der ihm am besten geholfen wird. Das hat dass Sie hier einen einstimmigen Beschluss errei- natürlich auch die Koalition erkannt. Der Senat hat chen wollen. Das ist auch unsere Intention, weil ich der Bürgerschaft den Entwurf des Gesetzes zur Be- glaube, dann würde ein deutliches Signal in die schlussfassung vorgelegt, das haben wir hier in der Städte Bremerhaven und Bremen hinausgehen, Sitzung der Bürgerschaft im März beschlossen und denn diese Anlaufstelle kann einen wichtigen Bei- dann zur Beratung und Berichterstattung, was auch trag für die Hilfe von Opfern von Straftaten leisten. Frau Aulepp deutlich gemacht hat, in den Rechts- ausschuss überwiesen und dann dort beraten. Deswegen bitte ich Sie alle: Setzen wir heute ein gutes Signal, denn das sind wirklich gute Änderun- Die Initiative des Senats, Herr Lübke, ging nicht gen, die wir aufgrund der Beratung gemeinsam aufgrund Ihres Antrags hervor, sondern beruht, vorgenommen haben. – Vielen Dank! dann lernen Sie jetzt einmal etwas, auf einer Ver- einbarung der Regierungschefinnen und -chefs der (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) Länder mit der Bundeskanzlerin vom Juni 2018. Damals wurde im Nachgang des Attentats vom Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin hat das Breitscheidplatz festgestellt, dass insbesondere bei Wort die Abgeordnete Frau Bergmann. Terroranschlägen zentrale Strukturen zur schnel- len und unbürokratischen Betreuung der Opfer so- Abgeordnete Bergmann (FDP): Sehr geehrter Herr wohl im Bund als auch in den Ländern erforderlich Präsident, meine sehr verehrten Damen und Her- sind. Dementsprechend beschränkt sich der Geset- ren, liebe Frau Dogan! Ich war gerade ganz irritiert zesentwurf des Senats auf die Schaffung einer durch den Debattenbeitrag von dem Kollegen Stelle einer oder eines Opferschutzbeauftragten für Herrn Lübke, insofern bin ich froh, dass ich jetzt Terroranschläge und ähnliche Großlagen. auch wieder auf der Spur bin.

Wir waren uns aber im Rechtsausschuss einig, dass Ja, Opfer von Anschlägen, Katastrophen, von die Stelle der oder des Opferschutzbeauftragten ei- schweren Straf- und Gewalttaten sind auf Unter- nen umfassenden Auftrag erhalten und, das stützung angewiesen. Genauso sind es die, die in möchte ich noch einmal betonen, das haben Sie unserem Alltag Opfer werden, zum Beispiel durch vorhin falsch gesagt, Herr Lübke, für alle Opfer von Raub. Es ist ärgerlich, dass bei Strafverfahren das körperlichen und psychischen Gewalttaten an- Interesse oft stärker auf dem Täter als auf dem Op- sprechbar sein sollte. fer liegt. Opfer von körperlicher oder seelischer Ge- walt brauchen einen unmittelbaren Ansprechpart- Herr Präsident, wenn das in Ordnung ist, werde ich ner, der für sie selbst oder für die Hinterbliebenen eine Minute überziehen, dafür aber keine zweite da ist, jemand, der sich kümmert. Sie brauchen Em- Redezeit beanspruchen. pathie und Mitmenschlichkeit und natürlich jede Menge fachlich kompetente Unterstützung und vor Präsident Imhoff: Da nehme ich Sie beim Wort. allem einen Überblick darüber, welche Hilfen es überhaupt gibt, wie sie die bekommen und was (Abgeordneter Dr. Buhlert [CDU]: Solche Verein- ihnen zusteht. barungen treffe ich beim nächsten Mal auch.) Bislang ist da ein wichtiger Ansprechpartner der Abgeordnete Dogan (Bündnis 90/Die Grünen): Weiße Ring e.V. oder der Opferschutzbeauftragte Das, was ich deutlich machen will, dauert wirklich bei der Polizei Bremen. Mit dem heutigen Tag ent- nur noch einen Moment. scheidet sich Bremen wohl, wie viele Bundesländer zuvor, eine staatliche Stelle für einen Opferbeauf- Wir als Koalitionsfraktion haben deswegen diesen tragten zu schaffen, der oder die sowohl für die Be- Änderungsantrag, auf den Frau Aulepp eingegan- troffenen Ansprechpartner sein soll, als auch Koor- gen ist, eingebracht, und wir empfehlen Ihnen al- dinator*in zwischen Justiz, Verfassung, Soziales, len, diesen Gesetzesentwurf heute in zweiter Le- Integration, Jugend, Inneres und so weiter sein sung mit den Änderungen, die wir eingebracht ha- wird. Betroffene sollen nämlich niederschwellig ben, zu beschließen, die nämlich all das weitrei- chend umfassen, was auch in Ihrem Antrag steht, 1824 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

und schnell Informationen über mögliche Unter- hoch professionelle Arbeit verdient auch eine an- stützungsangebote und Aufklärung über die eige- ständige Bezahlung, und so müssen zentrale zivil- nen Rechte erhalten. gesellschaftliche Opferschutzstellen in Bremen auch finanziell so ausgestattet werden, dass sie Mit der durch den CDU-Antrag geforderten Aus- nicht ständig um das Überleben bangen müssen. weitung des Geltungsbereichs der Gesetzesnovelle ist meiner Meinung nach der koalitionäre Antrag Außerdem müssen wir unbedingt darauf achten, aufgerundet worden. Die Zweiklassengesellschaft dass wir Doppelstrukturen vermeiden und das ge- bei der Opferbetreuung mit Terrorismus hier und samte Hilfsnetzwerk für die Bevölkerung transpa- Gewalt dort, das hätten wir schwierig gefunden, rent darstellen. Nicht zuletzt muss die Einführung denn für die Betroffenen macht es eigentlich kei- eines Opferschutzbeauftragten in partnerschaftli- nen Unterschied, ob sie durch einen Räuber oder cher Kooperation und im Respekt vor den zivilge- Terroristen oder durch den eigenen Mann trauma- sellschaftlich gut organisierten Dienstleistern, die tisiert worden sind. bis zum heutigen Tag beeindruckende Arbeit leis- ten, geschehen. ─ Ich würde es jetzt gern genauso Um bei der Beschleunigung der oft zähen jahrelang machen wie Frau Dogan. Wäre das in Ordnung? Ich andauernden und hoch belastenden Verfahrensab- komme dann auch nicht wieder, versprochen. läufe erfolgreich sein zu können und bei der Bean- tragung von Entschädigungszahlungen nach dem Präsident Imhoff: Wenn es auch nur eine Minute Opferentschädigungsgesetz, ist neben Zähigkeit ist. auch großer Unterstützungswillen von allen Seiten dringend nötig. Uns ist natürlich auch wichtig, dass Abgeordnete Bergmann (FDP): Ja. Dabei möchte die Aufgabe des oder der Opferschutzbeauftragten ich in diesem Kontext den bestehenden nicht staat- nicht zu einem nett gemeinten Beschäftigungspro- lichen Einrichtungen der Opferhilfe, die sich seit gramm ohne Effekt verkommt, und deswegen hal- Jahren hoch professionell, teilweise ehrenamtlich, ten wir sowohl den jährlichen Bericht für notwen- der Betreuung und Beratung von Betroffenen wid- dig als auch den Erkenntnisaustausch mit den Kol- men, danken. Ich werde sie jetzt nicht im Einzelnen leginnen und Kollegen aus anderen Bundeslän- aufzählen, aber sie sind alle von ganzem Herzen dern. Das ist die Voraussetzung dafür, den Opfer- gemeint: Unser Dank und hoher Respekt gehen an schutz mit passgenauen Maßnahmen weiterzuent- Sie alle für Ihr unermüdliches Engagement für die, wickeln. die dringend Ihre Hilfe brauchen! Für Ihre wichtige und engagierte Arbeit, die selten, das liegt in der Wir Freien Demokraten sind überzeugt, dass wir Natur der Sache, in der großen Öffentlichkeit sicht- für einen umfassenden und wirksamen Opfer- bar wird. schutz in Bremen neben dem Beauftragten, neben der Lotsenfunktion dieses Opferschutzbeauftrag- Wir tragen als FDP-Fraktion diesen Gesetzentwurf ten, auch noch ein umfassendes Opferschutzkon- der Koalition sehr gern mit und stimmen dem An- zept benötigen. Opferschutz hat so viele Facetten, trag sehr gern zu. – Vielen Dank für Ihre Aufmerk- und konkreter Opferschutz ist beispielsweise auch samkeit! die Bereitstellung von ausreichend Frauenhaus- plätzen oder bedeutet zum Beispiel auch, sich da- (Beifall FDP) rum zu kümmern, wie wir Kinder besser davor schützen können, immer wieder Opfer von Gewalt Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort zu werden. Für uns ist klar, nur mit einem ganzheit- der Abgeordnete Herr Schumann. lichen Konzept können wir Opfer-Täter-Dynami- ken in unserer Gesellschaft nachhaltig verringern. Abgeordneter Schumann (DIE LINKE): Herr Präsi- Deswegen sind wir als FDP-Fraktion auch davon dent, meine Damen und Herren! Auch der längste überzeugt, und wir werden das Thema fortführen. Weg beginnt mit dem ersten Schritt. Ich habe es ja bis zum Rednerpult noch ganz gut geschafft. Diese Lotsenstelle einzuführen, das erfordert ja schon eine Menge Fingerspitzengefühl, weil es Meine Damen und Herren, in Deutschland passie- schon eine Vielzahl zivilgesellschaftlicher Hilfssys- ren jährlich mehrere Millionen Straftaten, davon teme gibt. Wir haben gerade ganz viele aufgezählt unzählige Gewaltdelikte. Allein in Bremen gab es bekommen, und deswegen muss die Kompetenz im Berichtszeitraum 2019 12 772 Opfer von Gewalt. und breite Erfahrung dieser bisherigen Opfer- Davon waren 1 649 Kinder und Jugendliche unter schutzstellen in unserem Land genutzt werden. Die Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1825

18 Jahren. Die Dunkelziffer liegt aber wahrschein- der Empfehlungen ausstellen sollte, um für Fälle lich wesentlich höher. zukünftiger Terroranschläge die Betreuung und die Unterstützung von Opfern zu verbessern. Wie Eine Gewalttat ist im kalten Bürokrat*innen- wichtig eine zentrale Anlaufstelle für die Opfer von deutsch, ich zitiere, „ein vorsätzlicher rechtswidri- Gewalttaten ist, können wir leider auch an den Ter- ger tätlicher Angriff gegen eine Person“. So steht rorakten des letzten Jahres sehen. Ob Halle oder es auf der Seite des Bundesministeriums für Arbeit Hanau, die Opfer und ihre Angehörigen berichten und Soziales zum Opferentschädigungsgesetz. immer wieder davon, dass sie sich allein gelassen Hinter dieser Definition verbergen sich Straftaten fühlen oder sie keine Informationen bekommen ha- wie Totschlag, Vergewaltigung und andere For- ben und auch weiterhin nicht bekommen. men sexualisierter Gewalt, Erpressung und Körper- verletzung. Aber auch nicht strafbare Handlungen Der Senat hat deshalb im März dieses Jahres ein wie Machtmissbrauch oder Stalking. Hinter dieser Gesetz über eine Landesbeauftragte oder einen Definition bleiben die Opfer dieser Gewalttaten Landesbeauftragten für die Opfer und deren Ange- und ihre Angehörigen unsichtbar, ja, sie werden hörige im Falle von Terrorismus und sonstigen auf unsichtbar gemacht. Die Tat selbst bleibt oft in Me- Straftaten beruhenden Großschadensereignissen, dienberichten über das Tatgeschehen unsichtbar übrigens auch ein scheußliches Wortkonstrukt, so- und im späteren Gerichtsprozess sehen die Polizei wie Geiselnahmen beschlossen und in die Bürger- und die Staatsanwaltschaft die Opfer und ihre An- schaft eingebracht. gehörigen höchstens als Zeugen. Doch nicht nur Opfer von Großschadensereignis- Opfer und ihre Angehörigen werden allzu oft allein sen bedürfen schneller und unbürokratischer Hilfe, gelassen. Der Staat versagt bei der Prävention und sondern alle Opfer und ihre Angehörigen haben er versagt bei der Nachbetreuung. Das darf nicht Anspruch auf Beratung, Hilfe und Information. sein! 1988 erschütterte die Geiselnahme von Glad- beck ganz Deutschland und insbesondere Bremen. Ich mache jetzt einen Exkurs zum Präsidenten: Drei Menschen starben und die übrigen Opfer die- Meine Redezeit läuft aus und ich würde gern das, ser Geiselnahme, ihre Angehörigen und die Hinter- was meine Vorrednerinnen gemacht haben, auch bliebenen berichteten hinterher davon, dass sie tun, wenn Sie mir das erlauben. nicht oder nur unzureichend betreut wurden und bis heute unter der Tat, aber auch unter den, im Präsident Imhoff: Auch für Sie gilt: Eine Minute! Anschluss an das Geiseldrama passierten, gravie- renden Fehlern leiden. Abgeordneter Schumann (DIE LINKE): Sehr nett.

Dreißig Jahre später, im Mai 2018, haben die Frak- Die vom Rechtsausschuss beschlossenen Änderun- tionen von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und gen berücksichtigen diesen Anspruch, und der DIE LINKE den Senat gemeinsam aufgefordert, Rechtsausschuss empfiehlt daher auch einstimmig, zentrale Strukturen im Bereich des Opferschutzes den Gesetzentwurf mit den beschlossenen Ände- zu schaffen. Die Dringlichkeit solcher zentraler rungen zu beschließen. Das werden wir auch tun. Strukturen ergab sich aber nicht nur aus dem über dreißig Jahre zurückliegenden Geiseldrama, son- Der von der CDU eingebrachte Antrag wird durch dern auch aus den Umständen des im Jahr 2016 er- die Änderung, unserer Meinung nach, überflüssig, folgen Terroranschlags auf den Weihnachtsmarkt da sich die Inhalte nahezu wiederholen. Wir lehnen an der Berliner Gedächtniskirche. Auch hier wur- ihn daher ab. den die Opfer und ihre Angehörigen wieder einmal allein gelassen. Die Behörden und die Polizei wa- Ich bin mit einer zusätzlichen halben Minute aus- ren überfordert, die Informations- und Kommuni- gekommen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerk- kationslage war desaströs und absolut chaotisch. samkeit! Beratung und Therapieangebote mussten selbst or- ganisiert werden und wieder leiden die Opfer und (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) ihre Angehörigen nicht nur unter dem Terrorakt selbst, sondern auch unter den danach erfolgten Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin hat das Fehlern. Wort die Abgeordnete Frau Aulepp.

Ein Bundesbeauftragter für die Opfer und Hinter- bliebenen des Terroranschlags wurde eingesetzt, 1826 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Abgeordnete Aulepp (SPD): Sehr geehrter Herr sehr, dass wir das im Rechtsausschuss geschafft ha- Präsident, mich sehen Sie jetzt hier vorn zum zwei- ben, und hier wohl auch einstimmig beschließen ten Mal, allerdings in einer anderen Rolle. Ich weiß werden, den Aufgabenbereich auszuweiten. nicht, ob ich mit einer Minute auskomme, aber ich will es versuchen. Zuletzt möchte ich angesichts dessen, was jetzt al- les im Justizressort zu tun ist, nicht unerwähnt las- Meine Damen und Herren, wir haben es ja schon sen, dass selbiges Justizressort sehr darauf ge- gehört, ich freue mich sehr, dass Herr Lübke gesagt drängt hat, dass wir die zweite Lesung nun endlich hat, wir wollen hier nicht Uneinigkeit demonstrie- vornehmen, damit sie mit der Arbeit anfangen kön- ren, sondern Einigkeit, und der Antrag der CDU, nen. Vielen Dank dafür! Ich wünsche den Kollegin- dem wir mit dem Gesamtgesetz, wie es jetzt vom nen und Kollegen, die im Justizressort damit be- Rechtsausschuss vorgelegt wird, quasi Rechnung fasst sein werden, und natürlich auch der Spitze tragen, wird zurückgezogen. Deswegen müssen des Ressorts, unserer Senatorin für Justiz und Ver- wir den hier nicht ablehnen. Das freut mich auch fassung, Frau Dr. Schilling, viel Erfolg. – Vielen als rechtspolitische Sprecherin der Fraktion der Dank! SPD sehr. (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Ich würde gern zu zwei Punkten noch etwas Ergän- zendes sagen. Wir haben jetzt schon viel gehört, Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat der Ab- was der oder die Opferschutzbeauftragte tun soll: geordnete Herr Lübke das Wort. erster Ansprechpartner, erste Ansprechpartnerin sein, Koordination, Weiterleitung und Lotsenfunk- Abgeordneter Lübke (CDU): Herr Präsident, meine tion. Das ist zwar nicht die gesamte Arbeit, aber sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe noch doch schon eine ganze Menge. fünf Minuten, aber keine Angst, die brauche ich nicht. Ich möchte aber trotzdem noch einmal auf den Punkt eingehen, ob tatsächlich exorbitant weniger Also, wer letztendlich den Stein ins Rollen gebracht Ressourcen für Opfer oder Geschädigte von Straf- hat, ist, glaube ich, irrelevant. Wenn es die Bundes- taten aufgewandt werden als für Täterinnen und kanzlerin war, dann ist das auch in Ordnung. Täter. Für die Strafjustiz gilt das, da ist das mit Si- cherheit richtig. Da finde ich das als Strafrichterin (Abgeordnete Dogan [Bündnis 90/Die Grünen]: Mit aber ehrlich gesagt nicht so ärgerlich wie die Frak- den Regierungschefs der Länder!) tion der FDP, sondern das ist der Fokus des Straf- verfahrens. Er liegt auf der Auseinandersetzung Der zweite Punkt ist, ich wollte noch einmal auf des Staates, der da sein schärfstes Schwert zückt Herrn Schumann eingehen. Ich habe es vielleicht und allein auf die Täterin oder den Täter einwirken nicht ganz deutlich gesagt, aber wenn der Antrag darf, weil das nun einmal nicht nur eine Sache zwi- zurückgezogen wird, dann müssen wir auch nicht schen Geschädigten und Täter oder Täterin ist, mehr darüber abstimmen und ihn auch nicht mehr sondern die Bestrafung ist eine Sache des Staates. thematisieren. Das wollte ich nur noch einmal deut- lich machen, aber das hat meine Vorrednerin, Darüber hinaus gibt es natürlich auch eine vielfäl- glaube ich, gerade auch schon gesagt. Insofern tige Beschäftigung mit Geschädigten im Strafver- freue ich mich jetzt auf die Abstimmung. – Vielen fahren. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen Dank! hat Frau Dogan hier aufgezählt, sie sind auch völlig zu Recht lobend hervorgehoben worden. Ich Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin hat Frau möchte das noch ergänzen: Es gibt natürlich auch Senatorin Dr. Schilling das Wort. im öffentlichen Bereich und in der Verwaltung – Herr Fries sitzt hier für das Sozialressort, und mit Senatorin Dr. Schilling: Sehr geehrter Herr Präsi- Sicherheit gilt das auch im Kulturbereich – Men- dent, sehr geehrte Damen und Herren! Tun wir schen, die sich damit auseinandersetzen, wenn nicht längst einiges in Sachen Opferschutz? Haben Menschen Opfer von Gewalttaten, von Straftaten Opfer durch die im SGB XIV vorgesehenen Rege- geworden sind. Da gibt es vielfältige Berührungs- lungen nicht längst klar umrissene Ansprüche und punkte und da wird natürlich auch eine ganze Rechte? Sind wir in Bremen mit unserem gut funk- Menge gemacht. Deswegen ist es ja überhaupt nur tionierenden und hier auch schon mehrfach ange- möglich, zu sagen, wir haben so etwas wie eine Re- sprochenen Netz von Opferhilfeeinrichtungen lais- oder Lotsenfunktion. Von daher begrüße ich nicht gut aufgestellt, angefangen mit dem Weißen Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1827

Ring e.V., dem Bremer Opfer-Notruf der Polizei auf Rechtsstaatlichkeit und ein faires Verfahren ha- über den Täter-Opfer-Ausgleich Bremen e.V., ben, auf der einen und der klare parteiische Einsatz Schattenriss e.V. bis hin zu den Frauenhäusern, der für die Opfer von Gewalttaten auf der anderen Beratungsstelle für Opfer von Menschenhandel Seite sind kein Gegensatz. und Zwangsprostitution, dem Bremer JungenBüro e.V., dem Mädchennotruf und weiteren Einrichtun- (Beifall SPD) gen? Die Erfahrung, zum Opfer einer Gewalttat zu wer- Ist die psychosoziale Begleitung, die mein Ressort den, ist für die allermeisten Menschen ein echter Opfern vor und während des Strafverfahrens und Einschnitt, gerade weil viele in dieser Situation das vor Gericht anbietet, nicht eine gute Sache? Ist Gefühl haben, schwach und ausgeliefert zu sein. nicht auch der klar auf Resozialisierung ausgerich- Ihnen deutlich zu machen, dass nicht sie, sondern tete Justizvollzug ein wichtiges Mittel, um präven- die Täterinnen und Täter schwach sind – und in tiv für Opferschutz zu sorgen, damit ehemalige Ge- diesen Zusammenhang passt tatsächlich einmal fangene letztlich nicht wieder zu Täterinnen und der Begriff sozial schwach –, auch das ist und muss Tätern werden? Teil des modernen Opferschutzes sein. Mit Ihrem heutigen Beschluss, in Bremen die Stelle eines oder All das ist sicher richtig, aber gerade deshalb, ge- einer Opferschutzbeauftragten einzurichten, wür- rade aufgrund der Vielfalt der Angebote für Opfer den wir auf diesem Weg einen guten Schritt wei- und deren Angehörige ist das Gesetz, das Sie heute tergehen. Sie setzen damit hier und heute ein kla- hier, wie ich vernommen habe, hoffentlich mit gro- res Zeichen. Darüber freue ich mich sehr. ßer Mehrheit beschließen werden, umso wichtiger. Alle Menschen in unseren beiden Städten erhalten Lassen Sie mich dabei kurz zurückblicken: Begon- damit eine feste Anlaufstelle, jemanden, die oder nen hat die Diskussion um die Ernennung von Op- der ihnen, wenn sie selbst von einer Gewalttat be- ferschutzbeauftragten in den Bundesländern mit troffen sind, zur Seite steht, sie berät, unterstützt dem grausamen Terrorakt auf dem Breit- und nicht mit den Folgen einer Gewalttat allein scheidplatz. Auch die heutige Debatte hier ist nicht lässt. zuletzt eine Folge dieser feigen, unmenschlichen und sinnlosen Tat, nach der endlich über die Un- Jede und jeder von uns kann zum Opfer werden, terstützung und die Begleitung von Terroropfern das ist Fakt. Ich will diese leider so richtige wie tri- auch nach der Tat gesprochen wurde. Auch wenn viale Feststellung aber gar nicht bemühen, um ich mir gewünscht hätte, dass wir in Bremen mit der deutlich zu machen, wie wichtig der Opferschutz Einrichtung einer entsprechenden Anlaufstelle ist. Stattdessen möchte ich ein Beispiel aus dem lei- deutlich schneller gewesen wären, bin ich heute, der bei manchen und insbesondere jungen Leuten gerade nach der Diskussion im Rechtsausschuss angesagten, aber absolut empathielosen Sprachge- und dem einstimmig angenommenen Änderungs- brauch bemühen: „Du Opfer!“ Das hört man heute antrag, froh, dass die Zuständigkeit der oder des nicht nur auf Schulhöfen, sondern auch von man- Opferschutzbeauftragten über die mittlerweile in chen Erwachsenen, wenn sie das jeweilige Gegen- vielen Bundesländern getroffenen Regelungen über, und sei es auch nur im Scherz, abwerten wol- hinausgeht. len. Auch und gerade das zeigt, dass tatsächliche Opfer jede Lobby und jede Unterstützung brau- Konkret: Die neue Bremer Anlaufstelle wird nicht chen. nur Terroropfern offenstehen, in Bremen werden künftig – anders als in manchen anderen Bundes- (Beifall SPD) ländern – alle Opfer von körperlichen und psychi- schen Gewalttaten und ihnen nahestehende Men- Opfer zu sein ist kein Ausdruck von Schwäche, im schen eine klar benannte Anlaufstelle haben. Da Gegenteil. Unsere Aufgabe muss es sein, die Be- diese Anlaufstelle unter dem Dach des Justizres- troffenen zu stärken, ihnen Hilfe anzubieten und sorts entstehen soll, will ich Ihnen heute eines ver- immer wieder deutlich zu machen, wir lassen euch sprechen: Wir werden uns beeilen, dieses neue Ge- in dieser Situation nicht allein. Wir unterstützen setz mit Leben zu füllen und greifbar zu machen, euch, und ja, wir sind dabei durchaus parteiisch, durch die möglichst baldige Benennung und Ar- weil wir uns auf eure Seite stellen und an eurer beitsaufnahme des oder der Opferschutzbeauftrag- Seite stehen wollen. Für mich selbst steht dabei ten. fest: Die Verfolgung von Täterinnen und Tätern, die selbstverständlich das Recht und den Anspruch 1828 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Sie oder er soll die bereits vorhandenen Angebote Ich bitte um die Gegenprobe. ergänzen und zu einer weiteren Vernetzung beitra- gen, einerseits als Lotse, also in einer Vermittlungs- (Dagegen M.R.F.) funktion hin zu den bewährten und professionellen Einrichtungen der Opferhilfe, andererseits durch Stimmenthaltungen? umfassende Information und Unterstützung. Nur wenn Opfer ihre Rechte und die für sie eingerich- Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt teten Hilfsangebote kennen, werden sie sie nutzen dem Änderungsantrag zu. können. Nun lasse ich über den Gesetzesantrag selbst ab- Darüber hinaus hat der oder die Opferbeauftragte stimmen. aber auch noch eine weitere wichtige Funktion als Fürsprecher und Partner der Betroffenen und Mo- Wer das Gesetz – mit den soeben vorgenommenen tor für die Weiterentwicklung des Opferschutzes in Änderungen – in zweiter Lesung beschließen Bremen, denn dass diese Weiterentwicklung auch möchte, den bitte ich um das Handzeichen. künftig notwendig sein wird – und nebenbei muss sie auch entsprechend finanziert werden –, das (Dafür CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE müssen wir auch einmal deutlich sagen, das muss LINKE, FDP, Abgeordneter Beck [AfD], Abgeord- allen klar sein. neter Timke [BIW])

Wir müssen uns alle gemeinsam dafür einsetzen, Ich bitte um die Gegenprobe. dass Opfer von Gewalttaten mit den Folgen nicht allein stehen. Sie haben das Recht und den An- (Dagegen M.R.F.) spruch auf Information, Schutz, Hilfe und Unter- stützung, und zwar nicht nur direkt nach der Tat, Stimmenthaltungen? nicht nur während des Ermittlungs- und Strafver- fahrens, sondern auch darüber hinaus. Genau dazu Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) be- soll und wird die oder der neue Opferschutzbeauf- schließt das Gesetz in zweiter Lesung. tragte einen Beitrag leisten und hoffentlich auch dazu, dass „Du Opfer!“ in Zukunft nicht mehr als Da die Fraktion der CDU ihren Antrag mit der Beleidigung und Herabwürdigung missbraucht Drucksachen-Nummer 20/275 inzwischen zurück- werden kann. – Vielen Dank! gezogen hat, erübrigt sich eine Abstimmung.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Im Übrigen nimmt die Bürgerschaft (Landtag) von den Berichten des Rechtsausschusses mit den Präsident Imhoff: Weitere Wortmeldungen liegen Drucksachen-Nummern 20/414 und 20/415 Kennt- nicht vor. nis.

Die Beratung ist geschlossen. Bremisches Gesetz zur Erleichterung von Investi- tionen 2020 Wir kommen zur Abstimmung. Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der SARS-CoV-2-Pandemie Ich lasse zuerst über den Gesetzesantrag, Drucksa- Mitteilung des Senats vom 18. August 2020 che 20/317, abstimmen. (Drucksache 20/565)

Gemäß § 62 Absatz 7 unserer Geschäftsordnung Dazu lasse ich hier zunächst über den Änderungsantrag, Drucksache 20/414, des Rechtsausschusses abstim- Änderungsantrag der Fraktion der CDU men. vom 8. September 2020 (Drucksache 20/593) Wer diesem Änderungsantrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Dr. Schilling. (Dafür CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, FDP, Abgeordneter Beck [AfD], Abgeord- Wir kommen zur ersten Lesung. neter Timke [BIW]) Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1829

Die Beratung ist eröffnet. fentliche Aufträge schneller vergibt und Spiel- räume nutzt, sie gezielter an die regionale Wirt- Als erster Redner erhält das Wort der Abgeordnete schaft zu vergeben und dafür die Wertgrenzen im Herr Wagner. Vergaberecht befristet und für einen angemesse- nen Zeitraum anhebt. Abgeordneter Wagner (SPD): Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wage einmal die Das hat die Bürgerschaft im Mai auf Initiative der Prognose, wir werden in der Debatte jetzt gleich er- Koalition beschlossen, dazu hat uns der Senat jetzt leben, wie ein beliebtes Sprichwort aus den Wirt- einen Gesetzentwurf mit einem konkreten Vor- schaftsrubriken unserer Zeitungen Bestätigung fin- schlag vorgelegt, den wir für ausgewogen halten det. In der Krise sind alle Keynesianer. und den wir heute beschließen wollen. Mit den konkreten Vorschlägen, die der Senat macht, sor- (Beifall SPD) gen wir dafür, dass bis zum Ende kommenden Jah- res die Wertgrenzen bei Bau-, Liefer- und Dienst- Ich finde das ist zunächst einmal einen Grund zur leistungen in der öffentlichen Vergabe an vielen Freude, dass es in der gegenwärtigen Krise prak- Stellen verdoppelt werden, an einer sogar verdrei- tisch niemanden mehr gibt, der nicht zu dem facht und damit dafür sorgen, dass die Aufträge Schluss kommt, dass es hier einen handlungsfähi- schneller an die regionale Wirtschaft gehen kön- gen und aktiven Staat zur Stützung von Wirtschaft nen. und Gesellschaft braucht. Das, finde ich, unter- streicht, dass wir in Deutschland in der politischen (Beifall SPD) Debattenkultur in dieser Krise eine sehr vernunft- geleitete Debatte führen, und da hilft sicherlich Wir halten diese gewählte Höhe, die im Vergleich auch der vergleichende Blick in die USA, wo man von Bund und Ländern einen Mittelweg darstellt, sehen kann, wie das verblendete Beharren der Re- deshalb auch für eine ausgewogene Lösung, weil publikaner auf staatliches Nichthandeln sowohl es natürlich zwischen der Schnelligkeit und der den Gesundheitsschutz als auch die wirtschaftliche Korruptionsfestigkeit und der Wirtschaftlichkeit Stabilität gefährdet. der Angebote abzuwägen gilt, die eingehen. Des- halb halten wir die Variante, für die sich der Senat Ja, man kann natürlich auch mit Blick auf die deut- nach reichlicher Abwägung entschieden hat, näm- sche Debattenkultur fragen, ob Keynesianer nur in lich die Orientierung an den Werten des Bundes, der Krise zu sein, mit Blick auf alle politischen La- an einer mittleren Erhöhung, für die richtige. Die ger gleichermaßen, konsequent ist. Zum Keynesia- exorbitant höhere Variante, für die sich Nieder- nismus gehört ja auch nicht nur, in der Krise für den sachsen entschieden hat, halten wir aus guten handlungsfähigen Staat zu sein, sondern für den Gründen in der Abwägung für nicht weiter verfol- Aufschwung dann auch die staatlichen Kassen mit gungswürdig und werden deshalb auch den ent- einer starken Einnahmebasis wieder auffüllen zu sprechenden Änderungsantrag der CDU ablehnen. wollen und nicht das Geld für Steuersenkungen für die oberen zehn Prozent zu verschwenden. Den (Beifall SPD) Teil will ich in der Tat auch nicht verschweigen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können uns (Beifall SPD, DIE LINKE) über die genaue Höhe der Vergabegrenzen, wo man die Linie ziehen will, sicherlich trefflich strei- Für den heutigen Zweck können wir aber, glaube ten. Wir können uns auch sicherlich darüber strei- ich, eines zusammen festhalten, weil der Bund und ten, ob Keynesianer nur in der Krise zu sein, tat- Bremen Beschäftigte und Unternehmen in dieser sächlich eine besonders konsequente Haltung ist o- Krise in großem Maße unterstützen, weil der Bund der ob wir in unserer politischen Debattenkultur und Bremen die Kommunen, das Herz unseres öf- auch noch eine Stufe weiterkommen möchten, als fentlichen Lebens, in ihrer Investitionsfähigkeit wir schon sind. Das können wir alles machen, aber noch stärken. Weil wir in der Krise alle Keynesianer für heute würde ich sagen, dass wir in der Krise alle sind, deshalb kommt die Bundesrepublik, kommen Keynesianer sind, das ist gut so, das nützt uns allen. Bremen und Bremerhaven vergleichsweise stabil durch diese Krise. Ein sicherlich kleinerer, aber Mit dem Beschluss des Gesetzes zur Erleichterung dann nicht völlig zu vernachlässigender Beitrag da- von Investitionen 2020, großartiger Titel, tun wir für kann auch sein, dass die öffentliche Hand öf- vor allen Dingen eins: Wir senden ein Signal an die regionale Wirtschaft. Das Land Bremen handelt. 1830 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Wir leisten unseren Beitrag mit dem Land und sei- und Einkommen und Auskommen gelingen. In die- nen beiden Stadtgemeinden die Auftragsbücher sem Sinne, glaube ich, stehen wir ganz gut da. der regionalen Wirtschaft wieder zu füllen, gefüllt zu halten und den Beschäftigten dort Sicherheit zu Einen Wettbewerb zu initiieren, der noch keynesi- geben. – Vielen Dank! anischer ist und bei dem die CDU mit einem Ver- hältnis von eins zu drei vorn liegt, ist, glaube ich, Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort Unsinn. Wir sollten an dieser Stelle Erfahrungen der Abgeordnete Bücking. ganz genau auswerten und einen Mittelweg wäh- len. Es gibt unter allen Bundesländern eine über- Abgeordneter Bücking (Bündnis 90/Die Grünen): wältigende Mehrzahl, die sich in diesen Größen- Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es geht ordnungen aufhalten, die Bremen jetzt betreibt. – also um die Differenz, wenn man es in Zahlen aus- Vielen Dank! drücken will. Soll man beschränkte Vergabebau- aufträge bis zu einer Million Euro ermöglichen oder (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD) sollen es drei Millionen Euro sein? Die Kollegen von der CDU schlagen drei Millionen Euro vor. Wir Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort sind der Meinung, dass eine Million Euro eine ver- der Abgeordnete Herr Schäck. nünftige Größenordnung ist. Das ist auch die Grö- ßenordnung, die der Bund gewählt hat. Nun ist der Abgeordneter Schäck (FDP): Herr Präsident, sehr Wirtschaftsminister bekanntlich ein CDU-Mann, geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das bremische den nehmen wir jetzt einmal als Kronzeugen gegen Vergabesystem ist so, wie in anderen Bundeslän- den CDU-Wirtschaftsminister in Niedersachsen. dern übrigens auch, manchmal kompliziert und hat viele Hürden. Das macht es gelegentlich langsam Was aber eigentlich das Interessante ist: Wir hatten und das ist manchmal nicht nur für die Verwaltung, die Wirtschaftsbehörde gefragt, wie denn die Er- sondern auch für uns Abgeordnete und damit auch fahrungen mit der Vergabe sind und was da eigent- für die Bürgerinnen und Bürger, lästig, weil sich lich gerade los ist. Wenn man die Bauindustrie Projekte länger hinziehen als man das vielleicht fragt, ob sie eine Straße asphaltieren, einen Kanal aus dem privaten oder aus anderen Bereichen bauen oder ein Gebäude errichten kann, dann stel- kennt. Das muss so sein, und das ist auch wichtig, len wir fest, dass viele von den freihändigen Verga- weil wir hier über die relativ umfassende Verwen- ben und den beschränkten Vergaben nicht gut dung und Vergabe von Steuergeldern sprechen, funktionieren. Das hat uns übrigens wirklich über- die natürlich auch kontrolliert und beaufsichtigt rascht! werden muss und im Zweifelsfall natürlich dem Fehlverhalten, dem möglichen Fehlverhalten oder Da gibt es Anteile in der Größenordnung von 20 bis dem Nichteinhalten von Prozessen durch Einzelne 30 von rund 250 Vergaben, die regelrecht scheitern auch vorgebeugt werden muss. und ein zweites Mal vorgenommen werden, weil sich nicht genug Anbieter gefunden haben. Man Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Corona nicht hat drei aufgefordert, es haben nur zwei geboten nur Menschen hart getroffen hat, sondern auch Un- und das geht nicht. Man hat bis zu zehn aufgefor- ternehmen und Institutionen. Viele befinden sich dert und immer noch nur zwei Angebote bekom- mittlerweile in existenzbedrohenden Situationen. men und man hat völlig überteuerte Angebote be- Gleichzeitig haben wir insbesondere im Bundes- kommen. Das ist ein Hinweis darauf, dass in der land Bremen einen nicht unerheblichen Investiti- Bauindustrie die Auftragsbücher noch immer ver- onsstau. Dieser Investitionsstau macht es in man- gleichsweise voll sind. Anders lässt sich das nicht chen Bereichen, insbesondere den sowieso schon erklären, sodass wir mit diesem Gesetz gewisser- getroffenen Gruppen, noch schwieriger, egal ob maßen eine Vorbereitung auf das Jahr 2021 vor- wir über den Einzelhandel in den Innenstädten nehmen, da wir davon ausgehen, dass auch in der sprechen oder über Schulen. Diese Institutionen Bauindustrie die Coronapandemie ihre Spuren hin- brauchen jetzt schnelle und unbürokratische Maß- terlässt und dieses staatliche Auftragsvolumen hel- nahmen, die sich gerade in dieser kritischen Phase fen kann, die Lage zu stabilisieren. nicht wieder über Jahre hinziehen dürfen.

Das Gute an der Bauindustrie ist: Sie ist ein inlän- (Beifall FDP) discher Wirtschaftszweig, sie ist ein lokaler Wirt- schaftszweig. Man kann also unmittelbar dazu bei- Deswegen ist es richtig, jetzt für einen begrenzten tragen, dass unser Arbeitsmarkt stabilisiert wird Zeitraum, bis Ende nächsten Jahres, die Prozesse Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1831

und Kriterien anzupassen und zu lockern, um Abgeordneter Tebje (DIE LINKE): Sehr geehrte schnell agieren zu können und um schnell auch re- Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! agieren zu können. Auch wir als FDP-Fraktion hat- Es besteht große Einigkeit, dass eine Beschleuni- ten bereits gefordert, die Vergabegrenzen zeitlich gung und Vereinfachung von Vergabeverfahren begrenzt anzuheben, und wir haben dazu auch vor ein wichtiger Beitrag dazu sind, die Konjunktur an- der Sommerpause einen Gesetzesentwurf einge- gesichts der Coronakrise anzukurbeln, da es eine bracht. Unser Vorschlag ging mehr in die Richtung klassische Aufgabe der öffentlichen Hand ist, sich des Änderungsantrags, den die CDU mittlerweile in Krisen antizyklisch zu verhalten und die Wirt- auch eingereicht hat, den wir daher auch ausdrück- schaft damit zu stützen. Einige Bundesländer ha- lich unterstützen. Auch wenn wir uns gewünscht ben bereits im April die Wertgrenzen in der öffent- hätten, dass die Koalition bei ihrem eigenen Antrag lichen Vergabe heraufgesetzt. Bremen zieht jetzt etwas mutiger gewesen wäre, werden wir auch ih- nach. ren Antrag unterstützen, denn wir denken, besser eine mäßige Anhebung der Grenzen als gar keine Das Konjunkturpaket der Bundesregierung, das im Anhebung, gerade in dieser kritischen Phase. Juni beschlossen wurde, ist keine Voraussetzung dafür gewesen. Unterhalb der EU-Schwellenwerte Wir sollten uns trotzdem im nächsten Jahr noch können die Bundesländer grundsätzlich die Wert- einmal zusammensetzen und über eine dauerhafte grenzen selbst setzen. Sie hätten also auch ohne Lösung bei den Vergabegrenzen sprechen. Die den Bund handeln können und haben das teilweise Vergabegrenzen sind in Bremen traditionell sehr auch getan. Natürlich ist es aber für Bremen, das in niedrig, und das sorgt an vielen Stellen für mehr Sachen öffentlicher Finanzen immer unter beson- und auch für unnötige Bürokratie. Es gibt aber derer Beobachtung steht, sehr hilfreich, bei solchen auch anderes zu beachten. Maßnahmen sagen zu können, der Bund macht das übrigens auch so. (Glocke – Vizepräsidentin Grotheer übernimmt den Vorsitz.) Nun kann man natürlich über die Höhe der Wert- grenzen streiten, das ist ja hier auch schon ange- Die Vergabe von Aufträgen, auch gerade mit grö- sprochen worden. Es ist richtig, dass Niedersach- ßerem finanziellen Umfang, stärker nach der per- sen eine höhere Wertgrenze in der Coronakrise sönlichen Entscheidung Einzelner oder Weniger verwendet. Auch Thüringen macht das so. Trotz- bietet natürlich auch weniger Kontrolle, darüber dem muss man an dieser Stelle auch abwägen. Es habe ich gerade schon gesprochen, und birgt auch geht ja immerhin bei der Vergabe um eine spar- das Risiko von unsauberen und vielleicht auch un- same und effektive Verwendung der öffentlichen wirtschaftlichen Entscheidungen. Darauf müssen Gelder. Herr Bücking hat gerade auch schon ein wir gemeinsam achten, wenn wir uns noch einmal wenig dazu ausgeführt, wie das an manchen Stel- grundsätzlich an diese Vergabegrenzen heranwa- len eingeschätzt wird. Mit den vom Senat vorge- gen. – Vielen Dank! schlagenen Wertgrenzen orientiert sich Bremen an den höheren Wertgrenzen des Bundes. Das ist ein (Beifall FDP) solider und vernünftiger Vorschlag. Ich glaube nicht, dass wir mit noch höheren Wertgrenzen eine Vizepräsidentin Grotheer: Herr Bücking, jetzt hät- so deutliche Beschleunigung erreichen würden, die ten Sie noch die Chance zur Kurzintervention, weil es rechtfertigt, hier von der normalen Vergabean- ich glaube, dass Herr Schäck fertig ist. Dann haben forderung abzusehen. Sie jetzt eine Minute und dreißig Sekunden. Bremen geht übrigens auch über Niedersachsen Abgeordneter Bücking (Bündnis 90/Die Grünen): hinaus. Niedersachsen hat im April eine Anhebung Ich möchte kurz unser Abstimmungsverhalten er- der Wertgrenzen beschlossen, die zunächst bis zum läutern. Die CDU hat zwei Vorschläge eingereicht. 30. September 2020 befristet war, jetzt hat Nieder- Der eine bezieht sich auf den Artikel 2 des Tarif- sachsen diese Regelung bis zum 31. März 2021ver- treue- und Vergabegesetzes. Da hat sie vollständig längert. Der Senat schlägt für Bremen und Bremer- Recht. Dem werden wir zustimmen. Wir beantra- haven eine Regelung vor, die von vornherein bis gen also getrennte Abstimmung. Ende 2021 gelten soll. Das ist ein gutes Signal, da es um einen nachhaltigen Impuls geht, der über ei- Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner hat nen längeren Zeitraum wirkt. das Wort der Abgeordnete Herr Tebje. 1832 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Auch bei der Geltungsdauer orientiert sich Bremen Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin damit an dem, was der Bund macht. Wie sich die hat das Wort Frau Senatorin Dr. Schilling. Konjunktur im nächsten Jahr entwickeln wird, wis- sen wir alle nicht. Mit Sicherheit werden die Folgen Senatorin Dr. Schilling: Sehr geehrte Frau Präsi- der Coronakrise bis Ende nächsten Jahres nicht dentin, sehr geehrte Damen und Herren! Die ausgestanden sein. Es ist durchaus möglich, dass es Coronapandemie ist immer noch eine erhebliche ein weiteres Konjunkturpaket geben wird und dass Herausforderung für die Welt, für Deutschland und auch eine nochmalige Verlängerung der Verga- unser Bundesland Bremen. Die mit der Bekämp- beerleichterung ansteht. fung der Pandemie verbundenen Einschränkungen des gesellschaftlichen Lebens üben nach wie vor Vor allem aber brauchen wir dann auch Berichte, negative Effekte auch auf die Unternehmen im und da schließe ich mich Herrn Bücking in man- Land Bremen aus. chen Punkten an, ob und in welchem Umfang die- ses Instrument überhaupt greift, damit öffentliche Dabei möchte ich hier in aller Deutlichkeit sagen, Investitionen und Aufträge beschleunigt werden dass es für unseren Senat fortwährend ein Draht- konnten. Höhere Wertgrenzen sind sicherlich kein seilakt war und ist, mit unseren Entscheidungen ei- Tabu, aber wir sollten die Diskussion dann auf Fak- nerseits die Sicherheit und Gesundheit der Bevöl- ten und erste Auswertungen stützen. – Vielen Dank kerung zu gewährleisten und andererseits wirt- für die Aufmerksamkeit! schaftliche Tätigkeit, soweit es eben unter den ge- gebenen Umständen der Pandemie geht, zu er- (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) möglichen. Die Hilferufe aus allen Bereichen der Wirtschaft, insbesondere in der Zeit des Lock- Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner hat downs, waren enorm und meistens begründet. das Wort der Abgeordnete Herr Meyer-Heder. Der gesamte regionale Mittelstand stand und steht Abgeordneter Meyer-Heder (CDU): Frau Präsi- vor erheblichen Herausforderungen. Die Bundes- dentin, sehr geehrte Damen und Herren! Es ist jetzt regierung hat in Zusammenarbeit mit den Bundes- schon viel gesagt worden. Ich habe etwas über ländern, aus meiner Sicht, sehr schnell und prag- Keynes gelernt aber ich glaube auch, wir haben matisch Hilfsprogramme und Rettungsschirme auf- uns da nicht geändert. Wir fordern ja nicht mehr gelegt, und zwar mit Volumen, die es so noch nie Staat, sondern wir fordern einen etwas schnelleren gegeben hat. Auch in Bremen hat der Senat ge- Staat und vielleicht einen, der ein wenig regionaler meinsam schnell gehandelt und verschiedene Un- denkt, als er es bisher getan hat. terstützungsmöglichkeiten für unsere Unterneh- men geschaffen. Im Bereich der Hafenwirtschaft Grundsätzlich finden wir den Gesetzesentwurf in beispielsweise haben wir die Stundung der Miet- Ordnung, aber wir haben einen Änderungsantrag pacht- und Erbbauzinszahlungen sowie der Hafen- eingebracht, weil wir fest davon überzeugt sind, gebühren ermöglicht. Zudem haben wir die turnus- dass es richtig ist, wenn wir uns mit Bremerhaven mäßige Erhöhung der Mieten und Erbbauzinsen und Bremen, wir sind halt eine Insel innerhalb Nie- ausgesetzt. dersachsens, auch im Artikel 1 § 1, glaube ich, mit drei Millionen Euro an Niedersachsen angleichen. (Präsident Imhoff übernimmt wieder den Vorsitz.) Es geht natürlich darum, die lokale Wirtschaft zu stärken. Herr Bücking, das Argument, man be- Mit dem hier vorliegenden Entwurf des bremischen komme ohnehin nicht genug Angebote, hat ja Gesetzes zur Erleichterung von Investitionen 2020, nichts mit einer Wertgrenze zu tun. Das ist ein ganz Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der CO- anderes Problem, über das wir vielleicht separat VID-19-Pandemie, wollen wir nun mit einer weite- diskutieren müssen. ren Maßnahme die negativen wirtschaftlichen Fol- gen der Coronapandemie bekämpfen. Durch eine Wir finden, drei Millionen Euro ist die bessere bis Ende des Jahres 2021 geltende Erhöhung der Grenze, weil wir dann mit Niedersachsen im Wertgrenzen für erleichterte Vergabeverfahren Gleichklang laufen. Deswegen haben wir den Än- wollen wir die öffentliche Auftragsvergabe sowohl derungsantrag gestellt und würden uns wünschen, für den Bau als auch für Liefer- und Dienstleistun- dass Sie sich einen Ruck geben und dem zustim- gen im Land Bremen vereinfachen, verstetigen und men. – Vielen Dank! beschleunigen. Diese Maßnahme trägt zu einer kontinuierlichen Auftragslage der Unternehmen (Beifall CDU) Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1833

bei und setzt damit Impulse für öffentliche Investi- Wer dem Artikel 1 seine Zustimmung geben tionen. möchte, den bitte ich um das Handzeichen.

Mit der vorgeschlagenen Wertgrenze und Laufzeit (Dafür CDU, FDP, Abgeordneter Beck [AfD]) dieser Vereinfachung gleichen wir die Möglichkeit einer vereinfachten Vergabe an die Regelungen Ich bitte um die Gegenprobe. des Bundes an, und, sehr geehrte Damen und Her- ren von der Fraktion der CDU, wir orientieren uns (Dagegen SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE eben nicht an den sehr viel höheren Wertgrenzen LINKE) unseres Nachbarlandes Niedersachsen. Mit der Angleichung an die Wertgrenzen des Bundes er- Stimmenthaltungen? möglichen wir eine einheitliche konjunkturför- dernde Auftragsvergabe mit Blick auf die Bundes- (M.R.F.) verwaltung. Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Außerdem wissen Sie, dass das Vergaberecht zu- Artikel 1 des Änderungsantrags ab. gleich der Korruptionsprävention dient und dass erhöhte Wertgrenzen diesem Ziel zuwiderlaufen. Ich lasse jetzt über Artikel 2 des Änderungsantrags Die von uns jedoch geplante moderate Anhebung abstimmen. der Wertgrenzen nach dem Vorbild des Bundes trägt beiden Aspekten hinreichend Rechnung. Wir Wer dem Artikel 2 seine Zustimmung geben gewährleisten einerseits die Korruptionsprävention möchte, den bitte ich um das Handzeichen. und erleichtern andererseits das Verfahren und sorgen damit für einen konjunkturellen Impuls. Ich (Dafür CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE begrüße deswegen die Zustimmung zum vorlie- LINKE, FDP, Abgeordneter Beck [AfD]) genden Gesetzesentwurf durch die Regierungs- fraktionen. Ich bitte um die Gegenprobe.

Sehr geehrte Abgeordnete, die Effekte dieser Maß- Stimmenthaltungen? nahme werden dem regionalen Mittelstand zu- gutekommen. Der Senat zeigt mit diesem Gesetz- (Dagegen M.R.F.) entwurf mit aller Deutlichkeit, dass er auch in schweren Zeiten ein verlässlicher Partner für die Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt Wirtschaft ist. Lassen Sie uns gemeinsam die Her- dem Artikel 2 des Änderungsantrags zu. ausforderungen dieser Pandemie bewältigen. – Ich danke Ihnen! Ich lasse nun über den Gesetzesantrag abstimmen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen) Wer das Gesetz in erster Lesung – mit den soeben vorgenommenen Änderungen – beschließen Präsident Imhoff: Weitere Wortmeldungen liegen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. nicht vor. (Dafür SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, Die Beratung ist geschlossen. FDP)

Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte um die Gegenprobe.

Gemäß § 62 Absatz 7 unserer Geschäftsordnung (Dagegen M.R.F.) lasse ich zunächst über den Änderungsantrag, Drucksache 20/593, der Fraktion der CDU abstim- Stimmenthaltungen? men. (CDU, Abgeordneter Beck [AfD]) Hier ist getrennte Abstimmung beantragt worden. Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) be- Ich lasse zunächst über Artikel 1 des Änderungsan- schließt das Gesetz in erster Lesung. trags abstimmen. 1834 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Meine Damen und Herren, interfraktionell wurde Die Beratung ist eröffnet. vereinbart, Behandlung und Beschlussfassung in erster und zweiter Lesung vorzunehmen. Ich lasse Wortmeldungen liegen nicht vor. deshalb darüber abstimmen, ob wir jetzt die zweite Lesung durchführen wollen. Die Beratung ist geschlossen.

Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. Wir kommen zur Abstimmung.

Ich bitte um die Gegenprobe. Wer das Gesetz in zweiter Lesung beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Stimmenthaltungen? (Dafür CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) be- LINKE, FDP) schließt entsprechend. Ich bitte um die Gegenprobe. (Einstimmig) (Dagegen M.R.F.) Wir kommen zur zweiten Lesung. Stimmenthaltungen? Die Beratung ist eröffnet. (Abgeordneter Beck [AfD]) Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) be- Die Beratung ist geschlossen. schließt das Gesetz in zweiter Lesung.

Wir kommen zur Abstimmung. Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 zum Schutz natürlicher Personen bei Wer das Gesetz – in der in erster Lesung beschlos- der Verarbeitung personenbezogener Daten sen Fassung – in zweiter Lesung beschließen durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfol- gung von Straftaten oder Strafvollstreckung so- (Dafür SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, wie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung FDP) des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates und der Richtlinie (EU) 2016/800 über Verfah- Ich bitte um die Gegenprobe. rensgarantien für Kinder, die Verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren sind, im Justizvollzug sowie zur Änderung vollzugsrecht- (Dagegen M.R.F.) licher Vorschriften Antrag des Rechtsausschusses Stimmenthaltungen? vom 25. Juni 2020 (Drucksache 20/512) (CDU, Abgeordneter Beck [AfD]) In der 13. Sitzung am 9. Juli 2020 wurde das Gesetz Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) be- in erster und zweiter Lesung abgestimmt, aller- schließt entsprechend. dings ohne den Änderungsantrag des Rechtsaus- Zustimmungsgesetz zum Staatsvertrag zur Mo- schusses. Deshalb lasse ich jetzt über den Geset- dernisierung der Medienordnung in Deutschland zesantrag mit den Änderungen des Rechtsaus- Mitteilung des Senats vom 23. Juni 2020 schusses in erster und zweiter Lesung abstimmen. (Drucksache 20/476) Der Antrag bezieht sich auf das am 23. Juli 2020 Die Bürgerschaft (Landtag) hat den Gesetzentwurf verkündete Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie in ihrer 13. Sitzung am 9. Juli 2020 in erster Lesung (EU) 2016/680 etc. vom 14. Juli 2020 (Brem.GBl. beschlossen. 2020, S. 721 ff).

Wir kommen zur zweiten Lesung. Wir kommen zur ersten Lesung. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1835

Die Beratung ist eröffnet. Stimmenthaltungen?

Wortmeldungen liegen nicht vor. (CDU, FDP, M.R.F., Abgeordneter Beck [AfD])

Die Beratung ist geschlossen. Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) be- schließt entsprechend. Wir kommen zur Abstimmung. Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Er- Wer das Gesetz in erster Lesung beschließen richtung einer Anstalt zur Bildung einer Rück- möchte, den bitte ich um das Handzeichen. lage für Versorgungsvorsorge der Freien Hanse- stadt Bremen (Dafür SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Antrag des staatlichen Haushalts- und Finanzaus- schusses Ich bitte um die Gegenprobe. vom 6. Juli 2020 (Drucksache 20/531) Stimmenthaltungen? In der 13. Sitzung am 8. Juli 2020 wurde das Gesetz (CDU, FDP, M.R.F., Abgeordneter Beck [AfD]) in zweiter Lesung abgestimmt, allerdings ohne den Änderungsantrag des staatlichen Haushalts- und Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) be- Finanzausschusses. Deshalb lasse ich jetzt über schließt das Gesetz in erster Lesung. den Gesetzesantrag mit den Änderungen des staat- lichen Haushalts- und Finanzausschusses in erster Meine Damen und Herren, interfraktionell wurde und zweiter Lesung abstimmen. vereinbart, Behandlung und Beschlussfassung in erster und zweiter Lesung vorzunehmen. Ich lasse Der Antrag bezieht sich auf das am 27. Juli 2020 deshalb darüber abstimmen, ob wir jetzt die zweite verkündete Gesetz zur Änderung des Gesetzes Lesung durchführen wollen. über die Errichtung einer Anstalt zur Bildung einer Rücklage für Versorgungs-vorsorge der Freien Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. Hansestadt Bremen vom 14. Juli 2020 (Brem.GBl. 2020, S. 792 ff). Ich bitte um die Gegenprobe. Wir kommen zur ersten Lesung. Stimmenthaltungen? Die Beratung ist eröffnet. Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) be- schließt entsprechend. Wortmeldungen liegen nicht vor.

(Einstimmig) Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur zweiten Lesung. Wir kommen zur Abstimmung.

Die Beratung ist eröffnet. Wer das Gesetz in erster Lesung beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Wortmeldungen liegen nicht vor. (Dafür SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Die Beratung ist geschlossen. Ich bitte um die Gegenprobe. Wir kommen zur Abstimmung. (Dagegen FDP) Wer das Gesetz in zweiter Lesung beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Stimmenthaltungen?

(Dafür SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) (CDU, M.R.F., Abgeordneter Beck [AfD])

Ich bitte um die Gegenprobe. Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) be- schließt das Gesetz in erster Lesung. 1836 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Meine Damen und Herren, interfraktionell wurde Wir kommen zur Abstimmung. vereinbart, Behandlung und Beschlussfassung in erster und zweiter Lesung vorzunehmen. Ich lasse Wer das Gesetz in erster Lesung beschließen deshalb darüber abstimmen, ob wir jetzt die zweite möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Lesung durchführen wollen. (Dafür CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. LINKE, Abgeordneter Beck [AfD])

Ich bitte um die Gegenprobe. Ich bitte um die Gegenprobe.

Stimmenthaltungen? (Dagegen FDP, M.R.F.)

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) be- Stimmenthaltungen? schließt entsprechend. Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) be- (Einstimmig) schließt das Gesetz in erster Lesung.

Wir kommen zur zweiten Lesung. Gesetz zur Änderung der Bremischen Landesbau- ordnung (BremLBO) Die Beratung ist eröffnet. Mitteilung des Senats vom 1. September 2020 (Drucksache 20/580) Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur ersten Lesung. Die Beratung ist geschlossen. Die Beratung ist eröffnet. Wir kommen zur Abstimmung. Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer das Gesetz in zweiter Lesung beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Die Beratung ist geschlossen.

(Dafür SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Wir kommen zur Abstimmung.

Ich bitte um die Gegenprobe. Wer das Gesetz in erster Lesung beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. (Dagegen FDP) (Dafür CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE Stimmenthaltungen? LINKE, Abgeordneter Beck [AfD])

(CDU, M.R.F., Abgeordneter Beck [AfD]) Ich bitte um die Gegenprobe.

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) be- (Dagegen M.R.F.) schließt entsprechend. Stimmenthaltungen? Erster Staatsvertrag zur Änderung medienrechtli- cher Staatsverträge (FDP) (Erster Medienänderungsstaatsvertrag) Mitteilung des Senats vom 28. Juli 2020 Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) be- (Drucksache 20/562) schließt das Gesetz in erster Lesung.

Wir kommen zur ersten Lesung. Meine Damen und Herren, interfraktionell wurde vereinbart, Behandlung und Beschlussfassung in Die Beratung ist eröffnet. erster und zweiter Lesung vorzunehmen. Ich lasse deshalb darüber abstimmen, ob wir jetzt die zweite Wortmeldungen liegen nicht vor. Lesung durchführen wollen.

Die Beratung ist geschlossen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1837

Ich bitte um die Gegenprobe. (M.R.F.)

Stimmenthaltungen? Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) be- schließt entsprechend. Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) be- schließt entsprechend. Meine Damen und Herren, wir sind am Ende unse- rer Tagesordnung. Ich bedanke mich für Ihre Auf- (Einstimmig) merksamkeit und wünsche Ihnen einen schönen Abend. Ich unterbreche die Sitzung bis morgen Wir kommen zur zweiten Lesung. Früh.

Die Beratung ist eröffnet. (Unterbrechung der Sitzung 17:36 Uhr)

Wortmeldungen liegen nicht vor. 

Die Beratung ist geschlossen. Präsident Imhoff eröffnet die Sitzung der Bürger- schaft (Landtag) wieder um 10:02 Uhr. Wir kommen zur Abstimmung. Präsident Imhoff: Die unterbrochene Sitzung der Wer das Gesetz in zweiter Lesung beschließen Bürgerschaft (Landtag) ist wieder eröffnet. möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Auf der Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich (Dafür CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE eine Gruppe der Gesamtschule Mitte. ─ Herzlich LINKE, Abgeordneter Beck [AfD]) Willkommen hier bei uns im Parlament.

Ich bitte um die Gegenprobe. (Beifall)

(Dagegen M.R.F.) Wir setzen die Tagesordnung fort.

Stimmenthaltungen? Fragestunde

(FDP) Für die Fragestunde der Bürgerschaft (Landtag) lie- gen 17 frist- und formgerecht eingebrachte Anfra- Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) be- gen vor. schließt entsprechend. Anfrage 1: Wie verläuft die Umsetzung des Ma- Bericht des staatlichen Petitionsausschusses Nr. sernschutzgesetzes in Bremen? 10 Anfrage der Abgeordneten Dr. Buhlert, Frau vom 11. September 2020 Wischhusen und Fraktion der FDP (Drucksache 20/610) vom 2. Juli 2020

Eine Aussprache ist nicht beantragt worden. Herr Dr. Buhlert, Sie haben das Wort.

Wir kommen daher zur Abstimmung. Abgeordneter Dr. Buhlert (FDP): Wir fragen den Senat: Wer der Behandlung der Petitionen in der empfoh- lenen Art zustimmen möchte, den bitte ich um das 1. Wie verläuft die Umsetzung des seit März 2020 Handzeichen. geltenden Masernschutzgesetzes in Bremen unter Coronabedingungen und wie wird aktuell der (Dafür CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE Impfstatus bei Personen, bei denen aus den im Ge- LINKE, FDP, Abgeordneter Beck [AfD]) setz beschriebenen Gründen die Freiwilligkeit der Impfentscheidung aufgehoben wurde, dokumen- Ich bitte um die Gegenprobe. tiert und kontrolliert?

Stimmenthaltungen? 1838 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

2. Inwiefern wurde zusätzliches Personal einge- Schulträgern Personal zur Verfügung gestellt wer- stellt, um die Anforderungen, die das Masern- den. Für die Stadtgemeinde Bremen konnte dies schutzgesetz verlangt, entsprechend umzusetzen? bereits umgesetzt werden, indem drei befristete Stellen geschaffen wurden. Bei der Senatorin für 3. Wie hat sich die Impfquote, insbesondere bei den Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz wurde Personen, bei denen die Freiwilligkeit der Impfent- für die Umsetzung des Masernschutzgesetzes kein scheidung aufgehoben wurde, seit Inkrafttreten weiteres Personal eingesetzt. Es wird zunächst er- des Masernschutzgesetzes entwickelt? mittelt, wie sich der Mehraufwand für den öffentli- chen Gesundheitsdienst im Detail darstellt. Präsident Imhoff: Diese Anfrage wird beantwortet von Frau Senatorin Bernhard. Zu Frage 3: Die Entwicklung der Impfquote bei Kindern nach Umsetzung des Masernschutzgeset- Senatorin Bernhard: Sehr geehrter Herr Präsident, zes ist zurzeit nicht darstellbar. Es bleibt zu ermit- sehr geehrte Damen und Herren! Für den Senat be- teln, wie viele Kinder tatsächlich noch nicht bereits antworte ich die Anfrage wie folgt: zweimal geimpft sind und wie viele dieser Kinder dann im Verlauf noch geimpft werden. Belastbare Zu Frage 1: Die Umsetzung des seit März 2020 gel- Daten werden voraussichtlich nicht vor Ende des tenden Masernschutzgesetzes ist angelaufen. Jahres 2021 zur Verfügung stehen. In den bremi- Während für neu in die Kindertagesstätten, Kinder- schen Krankenhäusern wird der aktuelle Impfstand tagespflege und Schulen kommende Kinder und ebenfalls noch ermittelt. Für die Hälfte der Häuser Beschäftigte der Impfstatus bei Eintritt erhoben wurde eine Masernimmunität von circa 90 Prozent wird, sieht das Gesetz für die Erfassung der Kinder gemeldet. – So weit die Antwort des Senats! und Beschäftigten, die bereits in den Einrichtungen waren, eine Frist bis zum 31. Juli 2021 vor. Die Be- Präsident Imhoff: Herr Dr. Buhlert, haben Sie eine nachrichtigung des Gesundheitsamtes in den Fäl- Zusatzfrage? – Bitte sehr! len, in denen kein Impfschutz vorliegt, beschränkt sich daher zunächst auf neu hinzukommende Kin- Abgeordneter Dr. Buhlert (FDP): Wie sieht es in der. Beschäftigte werden nur eingestellt, wenn der den Krankenhäusern aus? Was hat das dort an zu- Impfschutz nachgewiesen wird. Die Dokumentati- sätzlichem Personal gefordert? Oder wird die Ar- onsprozesse befinden sich noch in Detailabstim- beit in den Krankenhäusern vollständig vom be- mungen mit der Bildungsbehörde. triebsärztlichen Dienst abgedeckt?

In den bremischen Krankenhäusern wird bei Neu- Senatorin Bernhard: In den Krankenhäusern wird einstellungen sowie teilweise auch bei Prakti- das durch den betriebsärztlichen Dienst vollständig kant*innen und Mitarbeiter*innen von Tochterfir- abgedeckt. Wir haben nach wie vor auch den Zu- men seit dem 1. März 2020 meist durch den be- sammenhang, dass der Impfschutz innerhalb der triebsärztlichen Dienst der Masernstatus kontrol- Erwachsenengruppe nicht in der Weise transparent liert. Dies erfolgt entweder durch die Kopie eines ist, aber das ist etwas, das komplett in deren Auf- Impfausweises, ein ärztliches Attest über einen be- gabenfeld fällt, und es wird nach und nach über- stehenden Masernschutz, ein ärztliches Zeugnis, prüft. welches in der Personalakte und teilweise darüber hinaus in zentralen Übersichten hinterlegt wird, o- Präsident Imhoff: Haben Sie eine weitere Zusatz- der durch eine Immunitätsprüfung. frage, Herr Kollege? – Bitte sehr!

In manchen Fällen wurde durch den betriebsärztli- Abgeordneter Dr. Buhlert (FDP): Auch wenn es chen Dienst nachgeimpft. Fehlende Impfungen im nicht Ihr Bereich ist, aber ist Ihnen bekannt, welche Bestandspersonal werden nun nach und nach vom Mehrbelastung das für die Schulleitungen und das betriebsärztlichen Dienst gesichtet und nachver- Verwaltungspersonal in den Schulen darstellt und folgt. In vielen Häusern liegen auch der Personal- wie dort die Regelungen sind? abteilung Informationen über den Impfstatus vor, teilweise war dieser Verwaltungsaufwand Senatorin Bernhard: Die Mehrbelastung ist jetzt in coronabedingt noch nicht zu bewältigen. der Umsetzung im ersten Aufschlag durchaus nicht zu unterschätzen, weil wir natürlich die Daten auf- Zu Frage 2: Um die Schulen bei der Erfassung, nehmen müssen. Das heißt, die Nacharbeit der Da- Überprüfung und gegebenenfalls Weiterleitung ten wird im Grunde genommen die Mehrbelastung von Daten zum Impfschutz zu entlasten, soll den ausmachen. Wenn das geschafft ist, sind wir wieder Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1839

im normalen Verfahren. Deswegen gibt es auch die Perspektiven zusammenführen und wissenschaftli- befristeten Stellen. che Expertise bündeln. Die Themen reichen dabei von neuen sozialen Konflikten über das Auseinan- Präsident Imhoff: Haben Sie eine weitere Zusatz- derdriften von Stadt und Land bis hin zu Populis- frage? mus und zunehmendem Antisemitismus. Die För- derung des Bundesministeriums für Bildung und Abgeordneter Dr. Buhlert (FDP): Nein, am Ende Forschung, BMBF, in der vierjährigen Hauptphase des Jahres 2021 werden wir dann weitere Fragen bis 31. Mai 2024 beläuft sich auf insgesamt 40 Mil- stellen. lionen Euro. Den Startschuss des FGZ nach einer anderthalbjährigen Vorbereitungsphase, in der ein Präsident Imhoff: Frau Senatorin, weitere Zusatz- gemeinsames Gründungskonzept für das FGZ ent- fragen liegen nicht vor und ich bedanke mich für wickelt worden war, markierte eine Online-Presse- die Beantwortung! konferenz mit Bundesministerin Frau Karliczek.

Anfrage 2: Gesellschaftliche Ungleichheit wissen- Bremen ist sowohl als eines von elf Teilinstituten schaftlich aufarbeiten und Lösungen finden mit Forschungs- und Transferprojekten als auch, Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Eschen, Fe- gemeinsam mit Frankfurt und Leipzig, an der Ge- cker und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen samtkoordination des FGZ beteiligt, wobei in Bre- vom 2. Juli 2020 men insbesondere das FGZ-weite Datenzentrum angesiedelt ist, das ein Herzstück des FGZ bildet. Präsident Imhoff: Frau Kollegin, Sie haben das Dies hat zur Folge, dass der Bremer Standort mit Wort! über acht Millionen Euro den höchsten Anteil an der BMBF-Finanzierung von 40 Millionen Euro er- Abgeordnete Dr. Eschen (Bündnis 90/Die Grü- hält. nen): Wir fragen den Senat: Neben dem SOCIUM Forschungszentrum Un- 1. Wie ist der Entwicklungsstand beim durch das gleichheit und Sozialpolitik sind in Bremen auch Bundesministerium für Bildung und Forschung ge- das Zentrum für Arbeit und Politik, zap, das Institut förderten und dezentral organisierten Forschungs- Arbeit und Wirtschaft, iaw, das Institut für Ethnolo- institut gesellschaftlicher Zusammenhalt, FGZ, an gie und Kulturwissenschaft sowie das Zentrum für dem Bremen beteiligt ist? Medien-, Kommunikations- und Informationsfor- schung, ZeMKI, beteiligt. Aktuell laufen die Ein- 2. In welcher Art und Weise werden das Bremer stellungen der neuen Mitarbeiterinnen und Mitar- SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und beiter des FGZ in Bremen, die sich coronabedingt Sozialpolitik und das FGZ vom Senat darin unter- etwas verzögert haben. Eine Kick-off-Veranstal- stützt, die Erforschung von gesellschaftlicher Un- tung des Teilinstituts Bremen ist am 10. Septem- gleichheit, die sich durch die Covid-19-Pandemie ber 2020 geplant. Die FGZ-weite Eröffnungsveran- noch verstärkt hat, durchzuführen? staltung wurde – coronabedingt – auf den 11. und 12. November 2020 in Leipzig verschoben. 3. In welcher Art und Weise werden die For- schungsergebnisse des SOCIUM und des FGZ in Angesichts der Coronapandemie und ihrer erhebli- der Arbeit des Senats berücksichtigt und können chen Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Zu- dadurch zum nachhaltigen Abbau von Ungleich- sammenhalt hat das BMBF das FGZ aufgefordert, heit beitragen? ein zusätzliches Coronaprojekt zu entwickeln, für das eine Förderung in Höhe von 800 000 Euro in Präsident Imhoff: Diese Anfrage wird beantwortet Aussicht gestellt wurde. Dieser Projektantrag wird durch Herrn Staatsrat Cordßen. aktuell entwickelt. Bremen möchte sich hier mit Forschungen zu Anti-Corona-Demonstrationen so- Staatsrat Cordßen: Sehr geehrter Herr Präsident, wie zu Effekten auf bestehende digitale Ungleich- meine sehr geehrten Damen und Herren! Für den heiten beteiligen. Senat beantworte ich die Anfrage wie folgt: Zu Frage 2: Das FGZ wurde bereits in der Vorbe- Zu Frage 1: Das Forschungsinstitut gesellschaftli- reitungsphase und wird in der nun laufenden cher Zusammenhalt ist am 1. Juni 2020 offiziell und Hauptphase aktiv vom Land Bremen unterstützt. an allen elf Standorten gestartet. Das Institut wird Die Unterstützung des Landes Bremen gilt insbe- mit bundesweit elf Standorten unterschiedliche 1840 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

sondere dem zentralen Datenzentrum sowie als Er- von Forscherinnen und Forschern des SOCIUM gänzungsfinanzierung den Forschungsprojekten in und der Sozialbehörde statt. Form von Personal- und Sachmitteln und beläuft sich insgesamt auf etwa 1,3 Millionen Euro. Der An diesen aktuellen Beispielen ist erkennbar, dass Sprecher des Bremer Standorts des FGZ ist zu- das SOCIUM und das FGZ grundsätzlich und re- gleich Leiter einer Arbeitsgruppe in der Abteilung gelmäßig zu allen von ihm bearbeiteten Fragen der Ungleichheitsdynamiken in Wohlfahrtsgesellschaf- Sozialpolitik und Ungleichheit Transferangebote ten im SOCIUM und Dean der Bremen Internatio- für Politik und Gesellschaft entwickelt. Es bestehen nal Graduate School of Social Sciences, BIGSSS, regelmäßige Kontakte zu den einschlägigen Se- mit ihrem Forschungsthema der sozialen und poli- natsressorts in Bremen, um einen raschen Transfer tischen Integration. Die BIGSSS wurde im Rahmen relevanter Forschungsergebnisse in Verbindung der Exzellenzinitiative in zwei Förderphasen von mit Empfehlungen für die Politik zu gewährleisten. Bund und Land finanziert und ist inzwischen in den Somit ist gewährleistet, dass die wissenschaftlichen Regelbetrieb überführt worden. Erkenntnisse in die politische Praxis in Bremen ein- fließen. – So weit die Antwort des Senats! Für seine Vorbereitung in Verbindung mit weiteren definierten Zielstellungen erhält der Schwerpunkt Präsident Imhoff: Frau Dr. Eschen, haben Sie eine Globale Sozialpolitik und gesellschaftlicher Zu- Zusatzfrage? – Bitte sehr! sammenhalt aus Landesmitteln für den Zeitraum 2020 bis 2024 jährliche Fördermittel in Höhe von Abgeordnete Eschen (Bündnis 90/Die Grünen): Zu 280 000 Euro. der Antwort auf Frage 1 habe ich eine Nachfrage zu den Forschungen hinsichtlich digitaler Un- Zu Frage 3: Die Senatorin für Wissenschaft und Hä- gleichheiten. Könnten Sie bitte kurz erläutern, was fen steht seit den Vorbereitungen zum Aufbau des damit gemeint ist? FGZ in engem Kontakt mit den Antragstellenden und hat die Landesinteressen gegenüber dem Staatsrat Cordßen: Ich kenne den Inhalt dieses Pro- Bund vertreten. Das FGZ ist aufgrund der For- jektantrags nicht, insofern kann ich jetzt meine ei- schungsthemen, die gerade in Bremen mit einem gene Interpretation geben, was mit der Ungleich- besonderen Bezug zu Fragen sozialer Ungleichheit heit auf der digitalen Ebene gemeint sein könnte. und ihren Auswirkungen auf gesellschaftlichen Ich würde an der Stelle aber empfehlen, dass wir Zusammenhalt verfolgt werden, von hohem politi- das gegebenenfalls im Ausschuss für Wissenschaft, schem Interesse für den Senat. Medien, Datenschutz und Informationsfreiheit im Rahmen der Vorstellung des FGZ erneut themati- Die fünf Forschungsprojekte in Bremen beschäfti- sieren. gen sich mit Fragen der sozialen Ungleichheit, wo- bei hier neben sozioökonomischen und Chancen- Präsident Imhoff: Herr Staatsrat, weitere Zusatzfra- ungleichheiten insbesondere auch Ungleichheiten gen liegen nicht vor. Ich bedanke mich für die Be- der Lebensführung und der kulturellen und politi- antwortung! schen Einstellungen und Orientierungen eine zent- rale Rolle spielen. Darüber hinaus werden in zwei Anfrage 3: Versorgung mit WLAN für Schulkin- Transferprojekten auch der Dialog mit der Bremer der in Übergangswohnheimen sicherstellen! Stadtgesellschaft und Politik zu Fragen des gesell- Anfrage der Abgeordneten Frau Pfeiffer, Güngör schaftlichen Zusammenhalts gesucht. Ein Schwer- und Fraktion der SPD punkt liegt dabei auf dem Stadtteil Gröpelingen. vom 7. Juli 2020

Im FGZ spielen insbesondere vor dem Hintergrund Frau Kollegin, Sie haben das Wort! der Coronapandemie Forschungen zu politischem Extremismus und zum Rechtspopulismus eine Abgeordnete Pfeiffer (SPD): Wir fragen den Senat: große Rolle. Die Forschungen des SOCIUM sind auch über das FGZ hinaus von großem Interesse für 1. Ist die Versorgung mit WLAN für die Schulkin- den Bremer Senat. So besteht eine Kooperations- der in den beiden Erstaufnahmestellen des Landes vereinbarung des SOCIUM mit der Bremer Senato- Bremen sichergestellt? rin für Soziales, Jugend, Integration und Sport zur wechselseitigen Unterstützung und Zusammenar- 2. Hat der Senat Kenntnis darüber, in welchen beit. Dazu finden regelmäßige jährliche Treffen Übergangswohnheimen in Bremen und Bremer- Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1841

haven die Versorgung mit WLAN für die dort le- kein WLAN verfügen. Derzeit werden entspre- benden schulpflichtigen Kinder noch nicht sicher- chende Angebote für den Ausbau des WLAN in al- gestellt ist und welche Wohnheime das sind? len Gemeinschaftsunterkünften eingeholt. Die Stadt Bremerhaven verfügt über keine Übergangs- 3. Wann wird die Versorgung mit WLAN in den wohnheime, in denen schulpflichtige Kinder unter- Übergangswohnheimen und den Landesaufnah- gebracht sind. mestellen für Schulkinder vollumfänglich umge- setzt sein? Zu Frage 3: Die verschiedenen baulichen Gege- benheiten und die unterschiedlichen technischen Präsident Imhoff: Diese Anfrage wird beantwortet Möglichkeiten in den jeweiligen Einrichtungen durch Herrn Staatsrat Fries. führen dazu, dass individuelle Ausleuchtungsmes- sungen in den Gemeinschaftsunterkünften durch- Staatsrat Fries: Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geführt werden müssen. Außerdem müssen verga- geehrte Damen und Herren! Für den Senat beant- berechtliche Verfahren eingehalten werden. Die worte ich die Anfrage wie folgt: Träger der Gemeinschaftsunterkünfte wurden nach der vorherigen Abfrage im Juni 2020 aufge- Zu Frage 1: In den beiden Landeserstaufnahme- fordert, entsprechende individuelle Angebote ein- stellen in der Lindenstraße sowie in der Alfred- zuholen. Wann mit einer Inbetriebnahme gerech- Faust-Straße ist ein WLAN vorhanden. Das WLAN net werden kann, kann noch nicht in Aussicht ge- erstreckt sich allerdings nicht über alle Räumlich- stellt werden. – So weit die Antwort des Senats! keiten. Es ist beabsichtigt, das WLAN in beiden Unterkünften so auszubauen, dass das WLAN in al- Präsident Imhoff: Frau Kollegin, haben Sie eine len Zimmern frei zugänglich ist. Für die Landes- Zusatzfrage? – Bitte sehr! erstaufnahmestelle in der Lindenstraße liegt ein Angebot der Brekom vor. Eine beauftragte Firma Abgeordnete Pfeiffer (SPD): Herr Staatsrat, Sie ha- muss für den erforderlichen Ausbau circa 40 Access ben in Bezug auf die Erstaufnahmeeinrichtung in Points im Gebäude montieren und diese verkabeln. der Lindenstraße gesagt, dass im laufenden Sep- Die Arbeiten sind umfangreich und nehmen daher tember mit einer Inbetriebnahme zu rechnen ist. einige Zeit in Anspruch. Mit einer Inbetriebnahme Jetzt haben wir bereits September, daher frage ich, des WLAN wird im Laufe des September 2020 ge- ob Sie hierzu einen tagesaktuellen Sachstand ge- rechnet. ben können?

In der Landeserstaufnahmestelle in der Alfred- Staatsrat Fries: Den genauen Zeitpunkt kann ich Faust-Straße wurden Anfragen bei entsprechenden nicht sagen, aber wir sind weiterhin zuversichtlich, Dienstleistern gestellt. Die Auftragserteilung setzt dass wir das in diesem Monat hinbekommen wer- allerdings voraus, dass einige Kriterien erfüllt wer- den. den müssen, um die Wirtschaftlichkeit und Spar- samkeit zu belegen. Das Einholen von drei Ange- Präsident Imhoff: Frau Kollegin, haben Sie eine boten ist vergaberechtlich erforderlich. Ziel ist es, weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr! dass auch in der Alfred-Faust-Straße in diesem Jahr das bestehende WLAN zu einem flächende- Abgeordnete Pfeiffer (SPD): Wie ist es mit der Alf- ckenden WLAN erweitert wird. red-Faust-Straße? Da haben Sie berichtet, dass An- gebote eingeholt werden müssen. Die erste Frage Zu Frage 2: Es ist beabsichtigt, alle Gemeinschafts- ist daher: Liegen die Angebote jetzt vor? Die zweite unterkünfte in Bremen mit flächendeckendem Frage lautet: Wie lange wird es dann noch dauern, WLAN auszustatten und die bereits bestehenden bis es in die Umsetzung geht? Netze entsprechend zu erweitern. Um einen Über- blick über den derzeitigen Stand des WLAN-Zu- Staatsrat Fries: Auch hier ist seit der Verabschie- ganges zu erhalten, wurden die Träger der Ge- dung der Antwort durch den Senat noch kein neuer meinschaftsunterkünfte bereits im Mai 2020 aufge- Sachstand vorhanden. Die Kollegen versichern fordert, detaillierte Angaben zum derzeitigen aber, dass wir sehr zeitnah vorankommen werden. WLAN-Ausbau zu machen. Die Rückmeldungen haben ergeben, dass die Übergangswohnheime Präsident Imhoff: Haben Sie eine weitere Zusatz- Ludwig-Quidde-Straße, Wardamm, Obervielander frage? – Bitte sehr! Straße, Gröpelinger Heerstraße, Löningstraße, Otto-Lilienthal-Straße und Steingutstraße über 1842 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Abgeordnete Pfeiffer (SPD): Wie sieht es denn in Kinder in den Erstaufnahmeeinrichtungen beschult den Übergangswohnheimen aus? Wir haben ja, werden, besonders auch in der Lindenstraße? glaube ich, im Mai als SPD-Fraktion darum gebe- ten, dass man da zügig voranschreitet. Wie ist da Staatsrat Fries: In der Lindenstraße erfolgt durch der tagesaktuelle Sachstand? Ich frage das auch die Senatorin für Kinder und Bildung noch eine Be- vor dem Hintergrund – wir haben ja alle die Warte- schulung in einer Art Hausbeschulung innerhalb schlangen vor der Teststation gesehen –, dass im- der Einrichtung. mer wieder Kohorten von Schülerinnen und Schü- lern zu Hause bleiben müssen und daher auf einen Präsident Imhoff: Frau Grönert, haben Sie noch WLAN-Zugang angewiesen sind. eine Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Staatsrat Fries: Da ist die Einschätzung, dass wir in Abgeordnete Grönert (CDU): Wie ist das in der den nächsten Monaten eine flächendeckende Ab- Lindenstraße oder auch in der Alfred-Faust-Straße, deckung erreichen werden. werden die Kinder, die dort in der Hausbeschulung sind, auch mit iPads ausgestattet? Präsident Imhoff: Ich erahne, dass Sie noch eine Zusatzfrage haben, Frau Kollegin. – Bitte sehr! Staatsrat Fries: Das kann ich nicht beantworten. – Oder doch, die Bildungssenatorin ruft mir gerade Abgeordnete Pfeiffer (SPD): Ja, eine Bitte, die ich zu: Ja! in eine Frage kleide: Können Sie sich vorstellen, Herr Staatsrat, in der Novembersitzung der Depu- Präsident Imhoff: Herr Staatsrat, weitere Zusatzfra- tation den Sachstand erneut darzustellen, in der gen liegen nicht vor. Vielen Dank für die Beantwor- Hoffnung, dass es bis dahin gute Fortschritte gege- tung! ben hat? Anfrage 4: Stand der Planungen und Umsetzung Staatsrat Fries: Ich berichte gern über positive Ent- beim „Entwicklungsplan Inklusion“? wicklungen im November. Anfrage der Abgeordneten Hupe, Fecker und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Abgeordnete Pfeiffer (SPD): Wunderbar, ich würde vom 10. Juli 2020 mich sehr darüber freuen! Herr Hupe, Sie haben das Wort! Präsident Imhoff: Herr Staatsrat, eine weitere Zu- satzfrage durch die Abgeordnete Frau Grönert. – Abgeordneter Hupe (Bündnis 90/Die Grünen): Wir Bitte sehr! fragen den Senat:

Abgeordnete Grönert (CDU): Herr Staatsrat, teilen 1. Welchen Stand haben die Planungen und die sie meine Einschätzung, dass WLAN in den Flücht- Umsetzung bei der Erstellung des Entwicklungs- lingseinrichtungen immer WLAN für alle dort le- plans Inklusion und wann kann voraussichtlich mit benden Menschen ist und dass das nicht nur Schul- der Befassung der Deputation für Kinder und Bil- kinder betrifft und jetzt nicht nur wichtig wird, weil dung gerechnet werden? Schulkinder jetzt anders ausgestattet werden? 2. Welches Expertinnen- und Expertenteam wird Staatsrat Fries: Selbstverständlich wird der freie den Entwicklungsplan Inklusion erstellen und mit WLAN-Zugang allen Bewohnerinnen und Bewoh- welcher Begründung hat sich der Senat entschie- nern der Einrichtung zur Verfügung stehen. Die den, dieses zu wählen? Frage der Wirtschaftlichkeit und Notwendigkeit hat sich natürlich noch einmal viel drängender ge- 3. Welchen konkreten Auftrag hat das Expertin- stellt, da es existenziell ist, um an dem Schulbetrieb nen- und Expertenteam vom Senat für die Erstel- teilzunehmen. lung des Entwicklungsplans Inklusion erhalten?

Präsident Imhoff: Frau Kollegin, haben Sie eine Präsident Imhoff: Diese Anfrage wird beantwortet weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr! durch Frau Senatorin Dr. Bogedan.

Abgeordnete Grönert (CDU): Herr Staatsrat, kön- Senatorin Dr. Bogedan: Sehr geehrter Herr Präsi- nen Sie mir bitte noch einmal darstellen, wie die dent, meine sehr geehrten Damen und Herren! Für den Senat beantworte ich die Anfrage wie folgt: Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1843

Zu Frage 1: Aufgrund einer Stellenvakanz wurde weitere Akteur*innen, darunter Eltern, Schüler*in- die Bearbeitung des Entwicklungsplans Inklusion nen, den Landesbehindertenbeauftragten, das verzögert. Die senatorische Behörde beabsichtigt Landesinstitut für Schule Bremen, LIS, und das ein Expert*innenteam zu beauftragen, eine wis- Landesfortbildungsinstitut Bremerhaven, LFI, hin- senschaftliche Expertise zur Evaluation der schuli- zuzuziehen. schen Inklusion mit Richtungsempfehlungen zu er- stellen. Diese wird in einem nächsten Entwick- Die Handlungsempfehlungen und Entscheidungen lungsschritt für den Entwicklungsplan Inklusion zur Weiterentwicklung der Inklusion des Entwick- 2.0 konkretisiert und in Verwaltungshandeln um- lungsplans 2.0 sollen mindestens bis zum Ende des gesetzt. Eine Befassung der Deputation mit den Bremer Schulkonsenses 2028 Gültigkeit haben. – Evaluationsergebnissen und ersten Richtungsemp- So weit die Antwort des Senats! fehlungen ist für November 2021 vorgesehen, eine Befassung mit dem Entwicklungsplan Inklusion für Präsident Imhoff: Frau Senatorin, eine Zusatzfrage Januar 2022. durch die Abgeordnete Frau Grönert. – Bitte sehr!

Zu Frage 2: Es sollen Herr Prof. Dr. Idel, Universität Abgeordnete Grönert (CDU): Frau Senatorin, kön- Oldenburg, und Frau Prof. Dr. Korff, Universität nen Sie mir sagen, welche Ressorts an der Erarbei- Bremen, beauftragt werden. Da Herr Prof. Dr. Idel tung beteiligt sein werden, da ja im Moment auch bereits an der Evaluation der Bremer Schulreform die Ressorts Gesundheit und Soziales für Inklusion mitgearbeitet hat, verfügt er über gute Kenntnisse zuständig sind? des Bremer Schulsystems und bringt zugleich als Professor einer niedersächsischen Universität ei- Senatorin Dr. Bogedan: Das ist nur halb richtig. In- nen externen Blick mit, der für die Weiterentwick- klusion in Schule meint ja einen ganzheitlichen lung der Inklusion im Bremer Schulsystem hilfreich Prozess. Unser Verständnis von Inklusion ist nicht sein kann. nur die Teilhabe beeinträchtigter Kinder und Ju- gendlicher an Bildung, sondern unser Inklusions- Frau Prof. Dr. Korff ist als Professorin im Studien- verständnis zielt auf ein Bildungssystem der Viel- gang Inklusionspädagogik sowohl an der Universi- falt, in dem alle Schülerinnen und Schüler entspre- tät Bremen als auch bundesweit in ihren For- chend ihren Talenten und Begabungen gefördert schungsschwerpunkten Inklusive Pädagogik, In- werden. Das heißt, der Ansatz ist deutlich darüber klusive Didaktik, Mathematikdidaktik vernetzt hinausgehend. und verfügt ebenfalls über Kenntnisse des Bremer Schulsystems. Der Teilbereich, den Sie meinen, betrifft die per- sönlichen Assistenzen. Das ist natürlich ein wichti- Zu Frage 3: Aufbauend auf den Erkenntnissen der ger Baustein, um die Teilhabe insbesondere beein- Evaluation der Bremer Schulreform und weiterer trächtigter Kinder und Jugendlicher zu ermöglich. vorhandener Unterlagen soll eine wissenschaftli- Wir müssen uns diese Handlungsfelder anschauen, che Expertise zur Evaluation der Inklusion unter wie genau an diesen Schnittstellen Verbesserun- Einbeziehung aller Schulformen beauftragt wer- gen erreicht werden können, denn das Thema liegt den, in der grundlegende Richtungsempfehlungen ja auf dem Tisch. Was im Rahmen der Evaluation zu den Handlungsfeldern und Lösungsansätze des Schulkonsenses festgestellt wurde, ist, dass es identifiziert werden sollen. Grundlage der Exper- ein Thema in der Inklusion gibt, das an den Ober- tise ist eine Evaluation des Entwicklungsstands schulen erkannt worden ist, die angeschaut wur- und der bisherigen Veränderungen sowie der bis- den. An diesen Schulen gibt es ein unterschiedli- herigen politischen Maßnahmen und Ansätze zur ches Verständnis von Inklusion. Dieses ganze schulischen Inklusion. Thema liegt federführend in meinem Ressort und deshalb ist die Federführung für die Fortschrei- Die Expertise Inklusion 2.0 soll an die bereits vor- bung des Entwicklungsplans Inklusion, der sich auf liegenden Evaluationsdaten zum schulischen In- das Schulsystem bezieht, in meinem Haus veran- klusionsprozess an Bremer Oberschulen anknüp- kert. fen und auf Grundschule, Gymnasium und die be- rufsbildenden Schulen ausgeweitet werden sowie Präsident Imhoff: Frau Grönert, haben Sie eine einen stärkeren Fokus auf die Zentren für unter- weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr! stützende Pädagogik, ZuP, die Regionalen Bera- tungs- und Unterstützungszentren, ReBUZ, und die beiden Stadtgemeinden legen. Es ist beabsichtigt, 1844 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Abgeordnete Grönert (CDU): Ich verstehe es also Senatorin Dr. Bogedan: Das gilt grundsätzlich, richtig, dass das Sozialressort dann auch nicht be- dass der Dezernent Herr Frost auf jeden Fall einbe- teiligt wird? zogen ist, aber auch die Leiterin des Schulamts Bre- merhaven ist in die Besprechungen im Vorfeld im- Senatorin Dr. Bogedan: Ich habe ja eben gesagt, mer involviert gewesen. wer alles beteiligt wird. Damit sind natürlich die In- teressen der Akteure, wenn es zum Beispiel um den Präsident Imhoff: Frau Senatorin, weitere Zusatz- Teilbereich der Assistenzen geht, an der Stelle fragen liegen nicht vor. Vielen Dank für die Beant- auch berührt, nämlich an der Schnittstelle zu Sozi- wortung! ales und Gesundheit. Es ergibt aber keinen Sinn, die Kolleginnen und Kollegen aus diesen Fachres- (Anfrage 5 wird nach der Anfrage 7 aufgerufen.) sorts vollumfänglich in den gesamten Prozess ein- zubeziehen, weil die Studie und die Erhebung und Anfrage 6: Ausstattung von Lehrkräften im Land die Empfehlungen auch auf ein inklusives Schul- Bremen mit iPads system in Gänze zielen und nicht nur auf den Teil- Anfrage der Abgeordneten Prof. Dr. Hilz, Frau aspekt der Assistenzen. Den Teilaspekt der Assis- Wischhusen und Fraktion der FDP tenzen müssen wir ohnehin in einem anderen The- vom 16. Juli 2020 menfeld bearbeiten und für uns als Senat eine Neusortierung vornehmen. Abgeordneter Prof. Dr. Hilz (FDP): Wir fragen den Senat: Präsident Imhoff: Frau Senatorin, eine weitere Zu- satzfrage durch die Abgeordnete Frau Dogan. – 1. Warum wurde sich in der Ausstattungsstrategie Bitte sehr! der Senatorin für Kinder und Bildung auf iPads festgelegt, welche Alternativen (Android-Geräte, Abgeordnete Dogan (Bündnis 90/Die Grünen): Laptops) wurden geprüft und warum wurden die Frau Senatorin, ich habe im Hinblick auf Bremer- Alternativen verworfen? haven eine Frage. Wie wird sichergestellt, dass bei der Entwicklung des Inklusionsplans Bremerhaven 2. Inwiefern wurde eine Wirtschaftlichkeitsunter- beteiligt wird, da ja die Stadtgemeinden Bremen suchung durchgeführt und mit welchem Ergebnis und Bremerhaven in den letzten zehn Jahren un- wurde diese abgeschlossen? terschiedliche Wege im Hinblick auf Inklusion ge- gangen sind? 3. Inwiefern wird bei der geplanten Ausstattung der Lehrkräfte mit iPads deren bereits vorhandene Senatorin Dr. Bogedan: Das ist ein ganz wichtiger technische Ausstattung, insbesondere im Hinblick Punkt, deshalb habe ich es in der Antwort schon auf unterschiedliche Betriebssysteme, berücksich- genannt. Die Einbeziehung von beiden Stadtge- tigt? meinden ist ganz elementar und der Blick soll auf beide Stadtgemeinden gerichtet werden. Das LFI Präsident Imhoff: Diese Anfrage wird beantwortet ist einbezogen und wenn ich von Eltern und Schü- durch Frau Senatorin Dr. Bogedan. ler*innen spreche, dann sind immer Vertreter*in- nen über deren zentrale Organisationen, also ZEB Senatorin Dr. Bogedan: Sehr geehrter Herr Präsi- Bremerhaven und ZEB Bremen, Gesamtschüler*in- dent, meine sehr geehrten Damen und Herren! Für nenvertretung Bremen und Stadtschülerring Bre- den Senat beantworte ich die Anfrage wie folgt: merhaven, gemeint, die dann in die Prozesse ein- bezogen werden und mit denen wir immer über be- Zu Frage 1: Die Umsetzung des Vorhabens stellt stimmte Teilaspekte in unterschiedlichen Diskussi- die Überführung eines zweijährigen Pilotprojektes onsforen diskutieren werden. in den Regelbetrieb dar. Im Vorfeld der iPad-Pilo- tierung wurden auch auf Windows und Android ba- Präsident Imhoff: Haben Sie noch eine Zusatz- sierende Endgeräte erprobt, die die geforderten frage, Frau Kollegin? – Bitte sehr! Gütekriterien jedoch nicht im selben Umfang erfül- len konnten wie iPads. Abgeordnete Dogen (Bündnis 90/Die Grünen): Sind bestimmte Dezernate aus Bremerhaven ein- Diese sind eine hohe Benutzungsfreundlichkeit der bezogen? Geräte, ein positives Feedback der Schulen zum bisherigen Pilotbetrieb, ein hohes Maß an pädago- gischer Steuerungsmöglichkeit in Kombination mit Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1845

der Apple-Classroom-App sowie integrierte Hilfs- schon im Rahmen der Aufstellung unseres Medien- funktionen zur Unterstützung von Seh- und Hör- entwicklungsplans Ende letzten Jahres im Rahmen vermögen, Motorik, Lernen, Lesen und Schreiben, des Digitalpakts vorgelegen hat – –. Die Stadtge- um die Partizipation aller Nutzerinnen und Nutzer meinde Bremerhaven als auch die Stadtgemeinde zu ermöglichen. Bremen haben im Auftrag des Landes jeweils ei- gene Medienentwicklungspläne in ihren jeweili- Wichtig sind auch hervorragende Möglichkeiten gen Gremien vorgelegt, in Bremerhaven im Schul- zur zentralen Administration und die Kompatibili- ausschuss, in der Gemeinde Bremen in der Depu- tät mit den bereits vorhandenen IT-Betriebsstruk- tation für Kinder und Bildung und hatten dort schon turen der Schulen. Zudem bedarf es eines gesicher- den Pfad festgelegt. ten Hersteller-Support über fünf Jahre sowie der Möglichkeit zur kurzfristigen Beschaffung. Die Entscheidung, dass iPads die Geräte der Wahl sind, die auch zukünftig in diesem Warenkorb des Zu Frage 2: Es wurde eine Kosten-Nutzen-Analyse Digitalpakts zu finden sind, ist damals schon im mit folgendem Ergebnis durchgeführt: Derzeit kön- Rahmen der Schulausschuss- und Deputationsbe- nen einige Schülerinnen und Schüler nicht am di- fassung gefällt worden, weil dort deutlich gemacht gitalen Unterricht zu Hause teilnehmen, da hierfür worden ist, dass wir auf Einheitlichkeit setzen und die nötigen Endgeräte fehlen. In Verbindung mit nicht wollen, dass jede Schule eine separate Aus- der flächendeckenden und zentralen Versorgung stattung hat. Die Gründe dafür habe ich gerade mit dienstlichen Endgeräten für Lehrkräfte und vorgelesen, insbesondere geht es da natürlich auch Lehramtsanwärterinnen und -anwärter kann die um den besseren Support, der dann auch gewähr- Unterrichtsversorgung auch während der Corona- leistet werden kann. pandemie gewährleistet und optimiert werden. Die Ausstattung wird deshalb dringend empfohlen. Präsident Imhoff: Herr Professor Hilz, haben Sie noch weitere Zusatzfragen? ─ Bitte sehr! Zu Frage 3: Die bereits vorhandene technische Ausstattung und Infrastruktur für die Lehrkräfte ist Abgeordneter Prof. Dr. Hilz (FDP): Frau Senatorin, kompatibel mit den neuen Endgeräten. – So weit ist es nicht so, dass unter dem Dach dieser schulin- die Antwort des Senats! dividuellen Medienpläne Schulen individuelle Pläne aufstellen und die in Einzelfällen tatsächlich Präsident Imhoff: Herr Abgeordneter, haben Sie nicht auf iOS-Betriebssystemen basieren? eine Zusatzfrage? ─ Bitte sehr! Senatorin Dr. Bogedan: Das ist eigentlich nicht Abgeordneter Prof. Dr. Hilz (FDP): Frau Senatorin, möglich im Rahmen der Förderrichtlinien. Für die wenn ich Sie richtig verstanden habe, wurde eine Förderrichtlinien ist für die öffentlichen Schulen Kosten-Nutzen-Analyse durchgeführt, eine Wirt- der Rahmen über die beiden Medienentwicklungs- schaftlichkeitsuntersuchung nicht. Habe ich das pläne gesetzt, die die beiden öffentlichen Schulträ- richtig verstanden? ger Stadtgemeinde Bremerhaven und Stadtge- meinde Bremen aufgesetzt haben. In diesem Rah- Senatorin Dr. Bogedan: Das haben Sie richtig ver- men bewegen sich die öffentlichen Schulen. Ich standen. weiß, dass es Schulen gibt, die schon etwas weiter in der Digitalisierung waren, die das zunächst mit Präsident Imhoff: Haben Sie weitere Fragen, Herr anderen Betriebssystemen gemacht haben. Im Professor Hilz? ─ Bitte sehr! Rahmen der Beantragung von Mitteln aus dem Di- gitalpakt ist der Pfad in diese Richtung angelegt Abgeordneter Prof. Dr. Hilz (FDP): Frau Senatorin, gewesen. Das ist jetzt nicht kurzfristig, mit der Ent- viele Schulen sollen ja im Rahmen des Digitalpakts scheidung aufgrund der Coronapandemie eine eigene Medienkonzepte vorstellen. Gibt es Schu- Vollausstattung vorzunehmen, gefällt worden. len, die die Konzepte auf Basis anderer Betriebssys- teme erstellt haben, bevor die Entscheidung für i- Präsident Imhoff: Frau Senatorin, weitere Zusatz- Pads gefallen ist? fragen liegen nicht vor. – Ich bedanke mich für die Beantwortung. Senatorin Dr. Bogedan: Das ist jetzt ein bisschen schwierig mit der Entscheidung, die jetzt getroffen worden ist. Damit wird ja eine Entscheidung, die 1846 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Anfrage 7: Quarantäne für Bewohnerinnen und Zu Frage 3: Freiheitsentziehungen sind alle Maß- Bewohner von Pflegeeinrichtungen nahmen, die unmittelbar die körperliche Bewe- Anfrage der Abgeordneten Frau Grönert, Röwe- gungsfreiheit einer Person für eine gewisse Min- kamp und Fraktion der CDU destdauer durch besondere Sicherungen allseitig vom 21. Juli 2020 oder auf einen engen Raum beschränken. Im Falle einer angeordneten Quarantäne handelt es sich so- Frau Kollegin Grönert, Sie haben das Wort! mit immer um eine freiheitsentziehende Maß- nahme. Eine Quarantänemaßnahme muss verhält- Abgeordnete Grönert (CDU): Wir fragen den Se- nismäßig sein. Zwischen den Freiheitsinteressen nat: des Einzelnen und dem Schutz aller Bewohnerin- nen und Bewohner darf kein Missverhältnis beste- 1. Von wem und aus welchem Anlass werden Be- hen. Diese Voraussetzungen liegen bei den gegen- wohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen wärtigen Quarantäneregelungen vor. Derzeit ist ohne Symptome auf Corona getestet und welche kein milderes Mittel denkbar, um die Gefahr einer Auswirkungen soll ein negatives Testergebnis auf möglichen Ansteckung von weiteren Bewohnerin- eine durch die Einrichtung bereits veranlasste oder nen und Bewohnern in der Einrichtung einzudäm- noch zu veranlassende Quarantäne und deren men. Dauer haben? Die Anordnung einer Quarantäne erfolgt nach in- 2. Dürfen Verantwortliche in Pflegeeinrichtungen dividueller Einschätzung der Vor-Ort- Situation für symptomfreie Bewohnerinnen und Bewohner – durch das Gesundheitsamt Bremen. Rechtsgrund- mit oder ohne negativem Testergebnis – eine Qua- lage ist das Infektionsschutzgesetz. Damit verfolgt rantäne anordnen? Wenn ja, aus welchen Gründen die Maßnahme einer Quarantäne einen legitimen und über welche Zeiträume? Zweck. Die Maßnahme ist von der Rechtsordnung geschützt, steht der Verfassung nicht entgegen und 3. Wann wird die Anordnung von Quarantäne dient dem Allgemeinwohl. durch das Pflegeheim zu einer freiheitsentziehen- den Maßnahme, wie häufig ist das in Bremer Pfle- Erhalten die staatlichen Aufsichts- und Beratungs- geeinrichtungen bereits vorgekommen und wie organe wie die Bremische Wohn- und Betreuungs- wird darauf durch wen reagiert? aufsicht und das Gesundheitsamt Kenntnis von rechtlich nicht legitimierten freiheitsentziehenden Präsident Imhoff: Diese Fragen werden von Frau Maßnahmen, wird dem Träger dieses Vorgehen Senatorin Bernhard beantwortet. untersagt. Es kann keine Aussage dazu getroffen werden, wie häufig dies erfolgt. Während die Bre- Senatorin Bernhard: Sehr geehrter Herr Präsident, mische Wohn- und Betreuungsaufsicht beratend meine sehr geehrten Damen und Herren! Für den agiert, werden ordnungsrechtliche Maßnahmen Senat beantworte ich die Anfrage wie folgt: mit Bezug auf das Infektionsschutzgesetz über das Gesundheitsamt durch das Ordnungsamt Bremen Zu Frage 1: Wenn in einer Pflegeeinrichtung ein la- veranlasst. Die Anzahl der freiheitsentziehenden borbestätigter COVID-19-Fall unter den Bewoh- Maßnahmen ist nicht bekannt. – So weit die Ant- ner*innen oder Mitarbeiter*innen auftritt, werden wort des Senats! alle Personen in einem betroffenen Wohnbereich und gegebenenfalls alle Personen in einer Pflege- Präsident Imhoff: Frau Kollegin Grönert, haben Sie einrichtung, auch ohne COVID-19-Symptomatik, eine Zusatzfrage? – Bitte sehr! vom Gesundheitsamt auf Sars-CoV-2 getestet. Falls Kontaktpersonen der Kategorie I festgestellt Abgeordnete Grönert (CDU): Sie haben gerade in werden, beträgt die Dauer der Quarantäne 14 Tage der Antwort auf Frage 1 gesagt, wenn das Tester- nach dem letzten Kontakt mit dem Indexfall, unab- gebnis negativ sei, gelte trotzdem eine 14-tägige hängig davon, ob das Ergebnis negativ oder positiv Quarantäne. Wie ist das in anderen Lebensberei- ist. Die Quarantäne wird vom Gesundheitsamt ver- chen in unserer Stadt, wenn eine Kontaktperson anlasst und auch wieder vom Gesundheitsamt auf- negativ getestet wird? gehoben. Senatorin Bernhard: Wir müssen von einer Inkuba- Zu Frage 2: Eine Quarantäne wird grundsätzlich tionszeit ausgehen, da sind die Einschätzungen vom Gesundheitsamt angeordnet. nicht immer übereinstimmend, aber wir müssen von mindestens fünf Tagen ausgehen. Es kann Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1847

dann eine zweite Testung erfolgen und es ist auch Präsident Imhoff: Frau Kollegin, haben Sie eine so, dass das dann eine quarantäneverkürzende weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr! Wirkung hat. Wir hatten ähnliche Fälle bei den Rei- serückkehrerinnen und -rückkehrern. Abgeordnete Grönert (CDU): Haben Sie die Frage so verstanden, dass es mir darum geht, dass frei- Präsident Imhoff: Frau Kollegin, haben Sie eine heitsentziehende Maßnahmen nicht angeordnet, weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr! sondern von Pflegeheimen vorgenommen wurden und am Schluss festgestellt wurde, dass das nicht Abgeordnete Grönert (CDU): Erfolgt diese zweite rechtmäßig war? Testung im Pflegeheim? Senatorin Bernhard: Nein. Senatorin Bernhard: Ja, auch diese zweite Testung erfolgt im Pflegeheim und wir sind sehr verantwor- Präsident Imhoff: Frau Senatorin, eine weitere Zu- tungsvoll damit umgegangen, dass wir hier frei- satzfrage durch den Abgeordneten Herrn Dr. Buh- heitsentziehende Maßnahmen nicht über Gebühr lert. – Bitte sehr! aufrechterhalten müssen. Abgeordneter Dr. Buhlert (FDP): Frau Senatorin, Präsident Imhoff: Frau Kollegin, haben Sie eine es gibt ja inzwischen eine Diskussion zur regelmä- weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr! ßigen Verkürzung der Quarantänefristen. Wie steht das Gesundheitsressort dazu? Abgeordnete Grönert (CDU): Wenn der zweite Test wiederum negativ ist, wird die 14-tägige Qua- Senatorin Bernhard: Ja, diese Diskussion gibt es. rantäne dann abgebrochen, und wenn nicht, wa- Wir haben auf Bundesebene eigentlich schon jetzt rum wird der zweite Test dann überhaupt ge- eher die Tendenz, die Quarantäneregelung wieder macht? zu verlängern und nicht zu verkürzen, weil es auf- grund von Auswertungen unter anderem auch vom Senatorin Bernhard: Dann kann die Quarantäne RKI als risikobelastend empfunden wird, wenn nur abgebrochen werden. Wir hatten das in nicht so die fünf Tage genommen werden. Das heißt, wir vielen Fällen mit der ausführlichen Quarantäne in werden in Kürze auch bundesweit die Regelung Pflegeheimen, aber dann wäre das durchaus mög- bekommen, dass mindestens die zehn Tage einge- lich, je nachdem – und das kann ich hier im Einzel- halten werden müssen. fall nicht beurteilen, das liegt in der Verantwortung des Gesundheitsamtes – wie die Lage vor Ort ein- Präsident Imhoff: Eine weitere Zusatzfrage durch geschätzt wird. den Abgeordneten Herrn Dr. Buhlert. – Bitte sehr!

Präsident Imhoff: Frau Kollegin, haben Sie eine Abgeordneter Dr. Buhlert (FDP): Habe ich Sie rich- weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr! tig verstanden, dass es zwischen den fünf Tagen, die mir als Minimalzahl aus der Diskussion bekannt Abgeordnete Grönert (CDU): Ist Ihnen und der sind, und der jetzigen 14-Tage-Regelung eine Re- Wohn- und Betreuungsaufsicht tatsächlich nicht gelung mit anderer Tageszahl geben kann? bekannt, ob es in Pflegeheimen in Bremen irgend- welche konkreten Fälle von freiheitsentziehenden Senatorin Bernhard: Ja, in Diskussionen geht es Maßnahmen gegeben hat, die irgendwie ange- immer um diese fünf, die 14 und wie gesagt, es wird prangert wurden? darauf hinauslaufen, dass es dann die zehn Tage als Minimalzahl sind. Senatorin Bernhard: Die Frage kann ich Ihnen so jetzt nicht beantworten, schon gar nicht bezogen Präsident Imhoff: Eine weitere Zusatzfrage durch auf die Anzahl. Fakt ist, dass lediglich das Gesund- den Abgeordneten Herrn Dr. Buhlert. – Bitte sehr! heitsamt und das Ordnungsamt überhaupt die Ver- antwortung haben, das durchzusetzen. Das heißt, Abgeordneter Dr. Buhlert (FDP): Heißt das, dass ein Pflegeheim selbst kann das nicht tun. Mir sind an diese Minimalzahl dann Voraussetzungen ge- jetzt keine Fälle bekannt, in denen das mehr oder knüpft sind, dass dann regelmäßig zwei Testungen weniger durchgesetzt wurde. Wenn, dann kann es erfolgen, und wenn die negativ waren, dann tritt sein, dass sie auf Empfehlung gehandelt haben, eine Verkürzung ein? Oder bleiben diese fünf Tage aber das würde ich noch einmal überprüfen wollen. nach Testung Verkürzungszeit, die wir jetzt haben? 1848 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Senatorin Bernhard: Es wird darauf hinauslaufen, Zu Frage 1: Das Land Bremen lehnt den Antrag des um einigermaßen sicherzugehen, aber angesichts Unternehmens ab und hat dies bereits in seiner der Infektionszahlen, die rundherum steigen, wer- Stellungnahme am 15. Juni 2020 an den Regie- den wir längere Quarantänezeiten haben, ja. Wir rungspräsidenten von Kassel im Rahmen der Stel- werden darüber nachdenken müssen, was das für lungnahme gemäß § 17 des Gesetzes über die Um- infrastrukturell sehr wichtiges Einsatzpersonal be- weltverträglichkeitsprüfung in Verbindung mit den deutet. Das ist eine Herausforderung, diese Ba- §§ 73 Absatz 2, 3a Verwaltungsverfahrensgesetz lance, dass wir unsere Infektionszahlen hier ganz getan. Am 20. August 2020 fand vor dem Hinter- gerne dort behalten wollen, wo sie sind, bezie- grund der Fortschreibung des Bewirtschaftungs- hungsweise sie wieder herunterbekommen wollen. plans Salz der Flussgebietsgemeinschaft Weser Das ist natürlich eine nicht ganz einfache Entschei- eine Weserministerkonferenz in Kassel statt, auf dung. der die ablehnende Haltung und Stellungnahme des Senats seitens der Senatorin, also von mir, Präsident Imhoff: Eine weitere Zusatzfrage durch ebenfalls vorgetragen und erläutert wurde. den Abgeordneten Herrn Dr. Buhlert. – Bitte sehr! Der Antrag von K+S basiert im Wesentlichen auf Abgeordneter Dr. Buhlert (FDP): Sie haben jetzt der bereits im Jahr 2018 vorgestellten Wasserstra- auf die Infektionszahlen abgestellt. Ziehen Sie tegie 2020 des Unternehmens. Die beantragten nach wie vor die Verhältnismäßigkeit der Ein- Zielwerte sind wenig ambitioniert und deutlich hö- schränkungen durch die Quarantäne in Betracht her, als die im aktuell geltenden Bewirtschaftungs- und wägen das ab? plan Salz 2015 bis 2021 festgelegten Zielwerte für den Zeitraum Ende 2021 bis Ende 2027. Die Inhalte Senatorin Bernhard: Es bleibt uns ja nichts anderes des Bewirtschaftungsplans und Maßnahmenpro- übrig, genau. gramm sind jedoch behördenverbindlich, sodass diese auch im Rahmen der wasserrechtlichen Ge- Präsident Imhoff: Frau Senatorin, weitere Zusatz- nehmigung seitens des Regierungspräsidiums Kas- fragen liegen nicht vor. Vielen Dank für die Beant- sel zu Grunde zu legen sind. wortung! Bereits im Dezember 2018 und August 2019 hat die Anfrage 5: Wer bremst K+S? Weserministerkonferenz übereinstimmend festge- Anfrage der Abgeordneten Saxe, Fecker und stellt, dass das vom Unternehmen K+S angebotene Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Maßnahmenkonzept der Wasserstrategie nicht vom 15. Juli 2020 ausreicht und daher darüber hinaus alle weiteren technisch möglichen Maßnahmen zu ergreifen Herr Bruck, Sie haben das Wort! sind, um die Versenkung spätestens Ende 2021 zu beenden und den bestmöglichen Zustand in der Abgeordneter Bruck (Bündnis 90/Die Grünen): Werra und das gute ökologische Potenzial in der Wir fragen den Senat: Weser bezüglich der Salzbelastung schnellstmög- lich zu erreichen. Hierzu gehört unter anderem 1. Wie positioniert sich das Land Bremen zum An- auch die frühzeitige Realisierung von bereits heute trag des Unternehmens K+S, das eine höhere Salz- technisch möglichen und verhältnismäßigen Maß- einleitung in Werra und Weser beabsichtigt? nahmen deutlich vor Ende 2027, zum Beispiel die zweite Eindampfanlage, das Einstapeln außerhalb 2. Wer entscheidet in letzter Instanz über den An- des Werks Werra. trag des Unternehmens? Zu Frage 2: Genehmigungsbehörde und somit Ent- 3. Welche Gefahren gehen von einer erhöhten scheidungsinstanz außerhalb gerichtlicher Über- Salzeinleitung für die Umwelt aus? prüfungen ist das Regierungspräsidium Kassel.

Präsident Imhoff: Diese Anfrage wird beantwortet Zu Frage 3: Die Salzparameter Chlorid, Kalium und durch Frau Bürgermeisterin Dr. Schaefer. Magnesium sind nicht explizit in der Oberflächen- gewässerverordnung mit einem Grenzwert oder ei- Bürgermeisterin Dr. Schaefer: Sehr geehrter Herr ner Umweltqualitätsnorm belegt, dennoch ist eine Präsident, meine sehr geehrten Damen und Her- hohe Salzbelastung ein wesentliches Hemmnis zur ren! Für den Senat beantworte ich die Anfrage wie Erreichung des guten ökologischen Zustands be- folgt: Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1849

ziehungsweise Potentials eines Gewässers. Insbe- Staatsrat Bull: Sehr geehrter Herr Präsident, sehr sondere die Fischfauna aber auch die benthische geehrte Damen und Herren! Für den Senat beant- wirbellose Fauna reagieren äußerst empfindlich worte ich die Anfrage wie folgt: auf zu hohe Salzgehalte. Zur Frage 1: In der Kriminalpolizei sind in den re- Daher hat die Flußgebietsgemeinschaft Weser für gionalen Kommissariaten 23 Ermittlerinnen und den guten ökologischen Zustand beziehungsweise Ermittler mit Gewaltkriminalität, das heißt häusli- das gute ökologische Potenzial maximale Konzent- che Gewalt, Stalking sowie Eigentums- und All- rationen für die Salzionen Chlorid, Kalium und tagskriminalität befasst. Hiervon fungieren zehn Magnesium im Bewirtschaftungsplan Salz festge- Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter als soge- legt, die eine Zielerreichung für die Weser fördern nannte Stalkingbeauftragte; sie sind nahezu aus- und die seitens K+S im Gewässer eingehalten be- schließlich in diesem Bereich tätig. ziehungsweise erreicht werden müssen. – So weit die Antwort des Senats! Zur Frage 2: Die Zuständigkeit richtet sich nach der Stadtregion, in der die Geschädigten wohnen. Präsident Imhoff: Frau Senatorin, Zusatzfragen lie- gen nicht vor. ─ Vielen Dank für die Beantwortung! Zu Frage 3: Für akute Hilfe steht der Notruf zur Verfügung. Bei jedem Anruf eines oder einer Be- Anfrage 8: Stalkingbeauftragte sowie Sachbear- troffenen – sei es über den Notruf oder den Zentral- beiterinnen und Sachbearbeiter für häusliche Ge- ruf – erfolgt eine Bewertung hinsichtlich der Dring- walt bei der Polizei Bremen lichkeit. Wenn sofortige Hilfe erforderlich ist, wird Anfrage der Abgeordneten Frau Görgü-Philipp, ein Einsatzwagen entsandt. Sollte kein sofortiges Fecker und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen polizeiliches Handeln geboten sein, werden die Be- vom 29. Juli 2020 troffenen gebeten, zunächst auf einem Polizeikom- missariat Anzeige zu erstatten. Frau Kollegin, Sie haben das Wort! Betroffene, die sich beim Zentralruf melden und Abgeordnete Görgü-Philipp (Bündnis 90/Die Grü- eine Stalkingbeauftragte oder einen Stalkingbe- nen): Wir fragen den Senat: auftragten sprechen möchten, werden zur Ge- schäftszeit zur zuständigen Sachbearbeiterin be- 1. Wie viele Beschäftigte der Polizei Bremen sind ziehungsweise zu dem zuständigen Sachbearbeiter als Stalkingbeauftragte beziehungsweise als Sach- durchgestellt. Die Geschäftszeiten sind von Mon- bearbeiter*innen für häusliche Gewalt tätig, wie tag bis Donnerstag von 9:00 bis 15:00 Uhr sowie am viele Stellenanteile sind für diese Tätigkeiten vor- Freitag bis 13:30 Uhr. Vor der telefonischen Weiter- gesehen und in welchem Umfang werden diese Tä- leitung wird den Betroffenen auf Wunsch der Name tigkeiten derzeit tatsächlich ausgeübt? des beziehungsweise der zuständigen Stalkingbe- auftragten, die Durchwahl sowie die Erreichbarkeit 2. Nach welchen Kriterien ist die Zuständigkeit der per E-Mail mitgeteilt. – So weit die Antwort des Se- Stalkingbeauftragten beziehungsweise der Sach- nats! bearbeiter*innen für häusliche Gewalt untereinan- der aufgeteilt? Präsident Imhoff: Herr Staatsrat, eine Zusatzfrage durch die Abgeordnete Frau Bredehorst. – Bitte 3. Werden Betroffene über den Zentralruf der Poli- sehr! zei Bremen direkt zu den zuständigen Stalkingbe- auftragten beziehungsweise zu den Sachbearbei- Abgeordnete Bredehorst (SPD): Herr Staatsrat, lie- ter*innen für häusliche Gewalt durchgestellt und, gen Ihnen statistische Zahlen über Stalkingopfer wenn nicht, inwieweit ist die Erreichbarkeit durch vor? Falls ja, gibt es eine statistische Auswertung, Anrufbeantworter oder eine E-Mail-Adresse si- wie die Entwicklung ist? chergestellt, damit Betroffene nicht immer wieder vergeblich anrufen müssen? Staatsrat Bull: Frau Abgeordnete, mir liegen die Zahlen aus den vergangenen zehn Jahren vor. Im Präsident Imhoff: Diese Anfrage wird beantwortet Jahr 2019 gab es in Bremen 242 Fälle von Stalking. durch Herrn Staatsrat Bull. Die Spitze war in Bremen im Jahr 2011 mit 325 Fäl- len. Sie sehen, die Fälle nehmen in Bremen ab. In Bremerhaven waren es im Jahr 2019 28 Fälle und die Höchstzahl war im Jahr 2011 mit 54 Fällen. 1850 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Ich kann Ihnen mitteilen, dass der Anteil der weib- womöglich lebensältere Kollegen in diesen Berei- lichen Tatverdächtigen zwischen 14 und 20 Pro- chen einsetzen könnte. Die Zahl ist wirklich zent schwankt. Noch wichtiger und sehr erfreulich schlecht! ist die Aufklärungsquote in diesem Deliktfeld, die aber auch einfach zu erklären ist. Sie liegt zwischen Präsident Imhoff: Herr Staatsrat, eine weitere Zu- 85 und 95 Prozent. Für Sie ist vielleicht auch von satzfrage durch die Abgeordnete Frau Tegeler. – Interesse, dass der Anteil der nicht deutschen Tat- Bitte sehr! verdächtigen zwischen 19 und 35 Prozent liegt. Der Altersdurchschnitt der Tatverdächtigen liegt zwi- Abgeordnete Frau Tegeler (DIE LINKE): Herr schen 36 und 40 Jahren und der Altersdurchschnitt Staatsrat, Sie hatten ja vorhin erwähnt, dass die Zu- der Opfer liegt zwischen 33 und 37 Jahren. ständigkeiten je nach Wohnort der betroffenen Op- fer geregelt sind. Können wir daher davon ausge- Präsident Imhoff: Herr Staatsrat, eine weitere Zu- hen, dass über die ganze Stadtgemeinde verteilt satzfrage durch die Abgeordnete Frau Dogan. – Stalkingbeauftragte eingesetzt sind, so dass jeder- Bitte sehr! zeit gewährleistet ist, dass an den Wachen auch vernünftig reagiert wird, wenn sich dort ein Opfer Abgeordnete Dogan (Bündnis 90/Die Grünen): meldet? Herr Staatsrat, mich würde natürlich interessieren, ob Sie auch Kenntnis davon haben, wie viele Stal- Staatsrat Bull: Davon dürfen Sie ausgehen. kingbeauftragte für Fälle unter anderem häuslicher Gewalt in Bremerhaven vorhanden sind. Dazu Präsident Imhoff: Herr Staatsrat, weitere Zusatzfra- habe ich aus Ihren Antworten nichts entnehmen gen liegen nicht vor. Ich bedanke mich für die Be- können. antwortung!

Staatsrat Bull: Da das nicht Gegenstand der Frage Anfrage 9: Ist die bremische Richterbesoldung war, habe ich die Antwort nicht vorliegen und ich amtsangemessen? habe sie auch nicht auf Verdacht mitgebracht. Ich Anfrage der Abgeordneten Frau Dogan, Frau werde sie aber gern nachliefern. Görgü-Philipp, Fecker und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Präsident Imhoff: Frau Abgeordnete, haben Sie vom 29. Juli 2020 eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr! Frau Kollegin, Sie haben das Wort! Abgeordnete Dogan (Bündnis 90/Die Grünen): Nein, aber wir sind ja im Landtag und es wäre nett, Abgeordnete Dogan (Bündnis 90/Die Grünen): Wir wenn man Bremerhaven mitdenken würde. Vielen fragen den Senat: Dank! 1. Welchen Handlungsbedarf für das Land Bremen Präsident Imhoff: Herr Staatsrat, eine weitere Zu- sieht der Senat aufgrund der Rechtsprechung des satzfrage durch den Abgeordneten Herrn Dr. vom Bundesverfassungsgerichts zur Richterbesoldung Bruch. – Bitte sehr! in anderen Bundesländern?

Abgeordneter Dr. vom Bruch (CDU): Herr Staats- 2. Welche Parameter der ersten Prüfungsstufe des rat, Sie haben ja auf die Bedeutung und auf die Bundesverfassungsgerichts werden durch die bre- Wichtigkeit der Erreichbarkeit, gerade in diesem mische Richterbesoldung jeweils erfüllt bezie- Deliktfeld verwiesen. Wie schätzen Sie in diesem hungsweise unterschritten? Zusammenhang ein, dass unter der Nummer 362-0 nur circa 54 Prozent aller Anrufe überhaupt erfolg- 3. Inwieweit wirkt sich die besondere Haushalts- reich sind? lage im Land Bremen auf der dritten Prüfungsstufe aus? Staatsrat Bull: Ich bewerte diesen Umstand als schlecht, das haben wir in der Deputation für Inne- Präsident Imhoff: Diese Anfrage wird beantwortet res in der letzten Woche auch so dargestellt und be- von Herrn Senator Strehl. schönigen das nicht. Wir müssen in diese Bereiche Personal nachsteuern und hatten auch in der Depu- Senator Strehl: Sehr geehrter Herr Präsident, sehr tation dazu gewisse Ansätze geschildert, wie man geehrte Damen und Herren! Für den Senat beant- worte ich die Anfrage wie folgt: Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1851

Zu Frage1: Das Bundesverfassungsgericht hat in der bremischen Besoldung von der allgemeinen seinem Beschluss vom 4. Mai 2020, veröffentlicht wirtschaftlichen Entwicklung im Land Bremen, am 28. Juli 2020, festgestellt, dass die Besoldung nachzuweisen durch die Tarifentwicklung im öf- der Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältin- fentlichen Dienst sowie durch die Entwicklung des nen und Staatsanwälte im Land Berlin in den Be- Nominallohn- und Verbraucherpreisindex im Land soldungsgruppen R 1 bis R 3 in den Jahren 2009 bis Bremen, Teil eines schlüssigen und umfassenden 2015 nicht amtsangemessen war und daher mit Ar- Konzepts der Haushaltskonsolidierung ist. Das tikel 33 Absatz 5 des Grundgesetzes unvereinbar Haushaltskonsolidierungskonzept muss sicherstel- ist. Der Berliner Besoldungsgesetzgeber hat eine len, dass die Einsparungen von allen Bevölke- Neuregelung mit Wirkung spätestens vom 1. Juli rungsgruppen gleichermaßen erwirtschaftet wer- 2021 zu treffen. den sollen. Den Beamtinnen und Beamten darf da- bei kein Sonderopfer abverlangt werden. – So weit Mit der Entscheidung hat das Bundesverfassungs- die Antwort des Senats! gericht seine bisherige Rechtsprechung zur Be- rechnung der amtsangemessenen Alimentation aus Präsident Imhoff: Frau Kollegin, haben Sie eine dem Jahr 2015 hinsichtlich der Parameterprüfung Zusatzfrage? ─ Bitte sehr! und der Prüfungsschritte untereinander konkreti- siert. Ein unmittelbarer Handlungsauftrag an den Abgeordnete Dogan (Bündnis 90/Die Grünen): Ist bremischen Besoldungsgesetzgeber besteht der- es zutreffend, dass ich aufgrund Ihrer Tortendia- zeit nicht. Gleichwohl wird der Senat bei zukünfti- gramme herausgefunden habe, dass der Senat gen Besoldungsanpassungsgesetzen die aktuelle übereinstimmend die Einschätzung teilt, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bei Richterbesoldung in Bremen verfassungsgemäß der Einbringung eines Gesetzentwurfs im Rahmen ist? der Begründung umsetzen. Senator Strehl: Ich muss bei der Frage sehr genau Zu Frage 2: Aus der Gesetzesbegründung zum bre- auf die Urteile aus Karlsruhe schauen. Ich habe ge- mischen Besoldungs- und Beamtenversorgungsan- rade darauf hingewiesen, dass die Entscheidung passungsgesetz 2019/2020/2021, die anhand der aus 2015, an die wir uns gehalten haben, auch un- Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus sei- sere Grundlage ist. Die neue Rechtsprechung ist, ner Entscheidung aus dem Jahr 2015 erstellt wir haben es konkretisiert benannt, noch einmal wurde, ergibt sich, dass auf der ersten Prüfungs- verschärft. Wir werden jetzt mit den anderen Län- stufe die Besoldung hinter der Entwicklung im Ta- dern, vor allem im Norden, darüber sprechen, an rifbereich des öffentlichen Dienstes sowie hinter welchen Stellen wir etwas ändern müssen. Vor Ge- der Entwicklung des Nominallohnindex im Land richt oder auf hoher See – –. Das ist ja so, darum bin Bremen im untersuchten Zeitraum zurückbleibt. ich sehr vorsichtig in der Beurteilung dieser Grund- lage. Wir haben jetzt keinen unmittelbaren Zwang, Aus den übrigen Parameterberechnungen ergibt zu reagieren, aber wir werden darauf reagieren. sich keine Vermutung einer Unteralimentation. Wir sind darüber in Gesprächen mit anderen Län- Dies gilt für den Abstand der Besoldung zur Ent- dern. wicklung des Verbraucherpreisindex im Land Bre- men, für die Besoldungsentwicklung der bremi- Präsident Imhoff: Frau Kollegin, haben Sie eine schen Besoldungsgruppen zueinander sowie für weitere Zusatzfrage? ─ Bitte sehr! die Entwicklung im Bund-Länder-Vergleich. Die Berechnung des verfassungsgemäßen Mindestab- Abgeordnete Dogan (Bündnis 90/Die Grünen): standes der untersten Besoldungsgruppe zum sozi- Gab es dazu innerhalb des Senats eine Prüfung, alhilferechtlichen Existenzminimum in Höhe von weil das Verwaltungsgericht 2016 hier in Bremen 115 Prozent erfolgte nach der auch in den übrigen schon festgestellt hat, dass die Richterbesoldung Ländern vorgenommenen Berechnungsweise. nicht verfassungsgemäß ist? Das liegt dem Bundes- Auch hier wurde eine verfassungswidrige Unterali- verfassungsgericht vor. Es gab aber keine Ent- mentation im untersuchten Zeitraum nicht festge- scheidung. Hat sich der Senat mit dieser Thematik stellt. beschäftigt aufgrund des neuen Urteils, dass sich auf Berlin bezogen hat? Zu Frage 3: Die Haushaltsnotlage im Land Bremen ist auf der dritten Prüfungsstufe im Rahmen von Senator Strehl: Das neue Urteil aus Berlin ist ja erst kollidierenden Verfassungsrechten dahingehend im Juli veröffentlicht worden. Der Senat hat sich zu berücksichtigen, dass eine etwaige Abkopplung mit dem inhaltlichen Thema, außer dieser Anfrage, 1852 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

noch nicht beschäftigt. Das Thema ist auch so kom- Gemeinsam sind wir stärker – Europa muss jetzt plex, gerade in Tariffragen, dass wir da noch ein Zusammenhalt zeigen! bisschen Zeit brauchen. Antrag der Fraktionen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE Präsident Imhoff: Eine weitere Zusatzfrage, Frau vom 30. Juni 2020 Kollegin? ─ Bitte sehr! (Drucksache 20/514)

Abgeordnete Dogan (Bündnis 90/Die Grünen): Wir verbinden hiermit: Wie beurteilt der Senat, wenn sich die Richterbe- soldung, das ist ja Ländersache, so unterschiedlich Deutschland braucht Europa – Europa braucht verteilt, dass wir Spitzenjuristen für das Land Bre- Deutschland men im Wettbewerb auch weiterhin finden, da wir Antrag der Fraktion der CDU an dieser Stelle jetzt schon teilweise Schwierigkei- vom 7. Juli 2020 ten haben? (Drucksache 20/536)

Senator Strehl: Nach meiner Erkenntnis ist die und Lage nicht so, wie sie vom Bremischen Richterbund beschrieben wird. Wir haben bisher noch die Krise als Chance: Deutsche EU-Ratspräsident- Chance, gute Leute zu bekommen. Auch das wird schaft als Zukunftspräsidentschaft nutzen! mit den anderen Nordländern diskutiert werden, Antrag (Entschließung) der Fraktion der FDP wo es dort Probleme gibt, und diese werden dann vom 10. September 2020 auch gelöst. (Drucksache 20/609)

Präsident Imhoff: Haben Sie eine weitere Zusatz- Dazu als Vertreterin des Senats Frau Bürgermeis- frage, Frau Kollegin? ─ Bitte sehr! terin Dr. Schaefer.

Abgeordnete Dogan (Bündnis 90/Die Grünen): Die gemeinsame Beratung ist eröffnet. Haben Sie da einen ungefähren Zeitrahmen, wann diese Diskussionen abgeschlossen sein werden? Als erster Redner erhält das Wort der Abgeordnete Herr Gottschalk. Senator Strehl: Die Gespräche auf Arbeitsebene sind im November, die sind terminiert. Dann kön- Abgeordneter Gottschalk (SPD): Herr Präsident, nen wir weiter darüber sprechen. liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben Ihnen den Antrag vorgelegt: Gemeinsam sind wir stärker Präsident Imhoff: Herr Senator, weitere Zusatzfra- – Europa muss jetzt Zusammenhalt zeigen! Es ist gen liegen nicht vor. Ich bedanke mich für die Be- vor allem ein wirtschafts- und finanzpolitischer An- antwortung. trag, denn wir sind überzeugt, dass die tiefsten Probleme, die größten Gefahren derzeit und auf ab- Mit Beantwortung dieser Anfrage sind wir am Ende sehbare Zeit auf ökonomischem Gebiet liegen. Wir der Fragestunde angekommen. Die vom Senat sind überzeugt, dass diese Herausforderungen vor schriftlich beantworteten Anfragen der Frage- allem durch eine Vertiefung der wirtschafts- und fi- stunde finden Sie im Anhang zum Plenarprotokoll nanzpolitischen Zusammenarbeit und durch mehr ab Seite 1922. Solidarität gemeistert werden müssen.

Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt auf- Bei dieser ganzen Diskussion, denke ich, muss man rufe, möchte ich auf der Besuchertribüne recht diese tiefgreifenden Probleme vor Augen haben. herzlich eine neue Gruppe der Gesamtschule Mitte Ich möchte zum Einstieg in unsere Diskussion ver- begrüßen. ─ Herzlich willkommen hier im Parla- suchen, sie in drei Problemkreisen zu beschreiben. ment. (Vizepräsidentin Dogan übernimmt den Vorsitz.) (Beifall) Der erste Punkt: Europa befindet sich in der tiefsten wirtschaftlichen Krise seit der Weltwirtschaftskrise vor 90 Jahren. Es wird damit gerechnet, dass die wirtschaftlichen Produktionsleistungen in Europa in diesem Jahr um bis zu acht Prozent einbrechen Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1853

werden. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist tiefste Grund für diese unkonventionelle Politik der aber nur der Durchschnitt. Europäischen Zentralbank nicht nur die Probleme an den Finanzmärkten sind, sondern der tiefste Die südlichen Länder werden weitaus stärker be- Grund ist die europäische, die ökonomische Un- troffen sein. In Spanien ist im zweiten Quartal die gleichheit im europäischen Währungsraum. Produktion um fast 20 Prozent zusammengebro- chen. Wir sehen in diesen Ländern die Arbeitslo- Lassen Sie mich den dritten Punkt anschneiden: senzahlen hochschnellen in den zweistelligen Be- Auch die Europäische Zentralbank wäre nicht in reich, und das, was besondere Aufmerksamkeit der Lage dazu, zu einer nachhaltigen Erholung bei- verdient, was die Gefahren zeigt, ist, dass die Ju- zutragen. Es ist deshalb ungemein wichtig, dass es gendarbeitslosigkeit in diesen Ländern schon wie- gelungen ist, das gemeinsame europäische Wie- der bei 30 Prozent liegt. Wir wissen nicht, wie tief deraufbauprogramm, das European Recovery Pro- diese Krise ist und wie lange sie dauern wird. Eines gram, zu einen, auf die Bahn zu bringen und damit aber können wir deshalb jetzt schon sagen: Auch ein gewaltiges, 750 Milliarden Euro schweres Pro- in dieser Hinsicht wird die Coronakrise wie ein Ka- gramm zur Erholung auf den Weg zu bringen. talysator wirken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele haben das Sie wird dazu führen, dass die Probleme, die Spal- zur Kenntnis genommen. Dabei ist es eine Eini- tung zwischen dem europäischen Süden und dem gung, die gar nicht hoch genug zu bewerten ist. europäischen Norden noch tiefer wird. Das wird Man stelle sich vor, Deutschland hätte sich auf die tendenziell bedeuten, dass eine gemeinsame euro- Seite der sogenannten frugalen und geizigen päische Politik noch schwieriger wird, noch mehr Kräfte gestellt. Man stelle sich vor, der deutsche Fi- Spannungen haben wird, wenn es nicht gelingt, nanzminister 2020 hätte die gleiche Agenda und diese Spaltung einzuebnen. Programmatik gehabt wie der deutsche Finanzmi- nister 2010 bis 2012. Es wäre in den südlichen Län- Der zweite Punkt: Die europäische Zentralbank hat dern als die brutale finale Absage an jegliche Soli- im letzten halben Jahr eine Summe von 1,35 Billio- darität in Europa gewertet worden, und wir wären nen Euro in die Finanzmärkte gepumpt. Das sind jetzt in dem tiefsten politischen Schlamassel über- 1 100 Bremen-Fonds. haupt.

Sie hat mit dieser gewaltigen Summe Staatsanlei- Das ist glücklicherweise nicht geschehen, und wir hen aufgekauft, um zu verhindern, dass die Kurse haben jetzt die Chance, mit einem guten Pro- der Staatsanleihen der schwächeren Länder in den gramm, was auch inhaltlich mit seiner Ausrichtung Keller fallen, die Renditen durch die Decke knallen auf den Klimawandel große Chancen für Europa und diese Länder mit zweistelligen Renditenerwar- bietet, diese Krise zu bekämpfen, dafür zu kämp- tungen nicht mehr ihre neuen Kredite aufnehmen fen, dass wir nachhaltig da wieder herauskommen. können. Die gute Nachricht ist: Es ist der europäi- schen Zentralbank damit zum zweiten Mal nach (Beifall SPD) 2012 gelungen, den Euro vor einem Crash zu be- wahren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird eine Zeit bleiben, in der die Herausforderungen noch nicht Die schlechte Nachricht ist: Auch nach dieser überwunden sind. Wir werden weiterhin sehen, akuten Rettungsaktion ist absehbar, dass der Euro dass nationale Egoismen versuchen, diesen Prozess weiterhin am Tropf der europäischen Geldpolitik zu torpedieren. Wir haben die Gefahr, dass zu früh hängen wird, dass er weiter davon abhängig bleibt, wieder eingeschwenkt wird auf einen Sparkurs, dass die Europäische Zentralbank eine höchst un- und wir haben das übergreifende Problem, dass es konventionelle Geld- und Ankaufspolitik betreibt. immer noch an Bereitschaft fehlt, den südlichen Sie wird all dieses tun unter einer massiven Kritik Ländern, den schwächeren Ländern in dem Maße von Gegnern dieses europäischen Währungssys- zu helfen, in dem es notwendig ist, damit sie aufho- tems, die weiterhin vor allen Dingen in dem Deck- len, damit sie sich erholen können. mantel unterwegs sind, dass diese Aktionen, die den Euro gerettet haben, mit dem Grundgesetz der Genau das wird aber die grundlegende Herausfor- Bundesrepublik Deutschland nicht vereinbar sind. derung bleiben. Europa wird nur dann eine Zu- kunft haben, wenn es gelingt, diese Spannungen Dieser Punkt wird eine der großen Herausforderun- zwischen den Ländern, diese Vertiefungen im öko- gen bleiben, und jeder sollte wissen, dass der nomischen Bereich, zu überwinden. Das alles wird 1854 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

nur gehen mit mehr Solidarität, mit mehr Zusam- nicht nur zu beschwören, sondern auch tätig zu su- menarbeit im finanzpolitischen und wirtschaftspo- chen. Europa voranzubringen wird ein Bündeln der litischen Bereich. Liebe Kolleginnen und Kollegen, politischen Kräfte erfordern. Europa kann sich ge- bei dieser Sache wird es vor allem auf ein Land an- rade derzeit nicht leisten, dass sich seine Freunde kommen, das stärkste, nämlich Deutschland. – auseinanderdividieren lassen. Dankeschön. Wenn wir den nationalen Konsens nicht erhalten, (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) werden wir die auseinanderdriftenden Kräfte im europäischen Rahmen schon gar nicht zusammen- Vizepräsidentin Dogan: Als nächster Redner hat halten können. Wir hätten uns zu diesem Anlass das Wort der Abgeordnete Herr Dr. vom Bruch. auch einen gemeinsamen Antrag vorstellen kön- nen. Dass es aber zu einer Zustimmung zu unserem Abgeordneter Dr. vom Bruch (CDU): Frau Präsi- Antrag kommen wird – zumindest im Grundsatz – dentin, meine sehr geehrte Damen und Herren! Ich ist ein gutes Signal und unseres Erachtens ange- bin sehr froh, dass wir vor dem Hintergrund der sichts der Vielfalt der Herausforderungen auf ganz deutschen EU-Ratspräsidentschaft und dreier dazu unterschiedlichen Feldern auch eine richtige stra- vorliegender Anträge heute Gelegenheit haben, tegische Entscheidung, meine Damen und Herren. eine europapolitische Debatte zu führen. (Beifall CDU, Bündnis 90/Die Grünen) Die Ansätze und Inhalte der Anträge, insbesondere unserer und der koalitionären Initiativen, sind Die schwierige Verfasstheit und derzeitige Rolle durchaus unterschiedlich. Sie widersprechen sich Europas kann nicht schöngeredet werden, deshalb nach meiner Auffassung aber nicht, wohl auch braucht es seine Freunde mehr denn je. Freunde nicht entscheidend. Denn viel wichtiger als inhalt- dürfen und müssen auch Kritiker sein können. lich verschiedene Schwerpunkte zu betonen, ist ein gemeinsames Ziel und die gemeinschaftliche Europa hat, zumindest zu Beginn, im Rahmen der Grundüberzeugung zum Ausdruck zu bringen, das Pandemie keine rühmliche Rolle gespielt. Weder Bekenntnis zu Europa und der Wille, die Gemein- die gegenseitige Unterstützung noch das gemein- schaft der europäischen Staaten im Rahmen der same Grenzregime haben funktioniert. Bei der Europäischen Union stärken zu wollen. Rückführung von Menschen aus dem Ausland ha- ben sich die Menschen an ihre nationalen Regie- Es ist ein konsequentes und wichtiges Zeichen, die- rungen gewandt. Zusammenarbeit gab es eher bi- ses durch eine grundsätzliche und breite Zustim- lateral zwischen den Staaten und zumindest zu Be- mung, auch zu unserem Antrag, zu unterstreichen. ginn weniger europäisch koordiniert. Das Signal, das unseres Erachtens von dieser De- batte und von den Anträgen ausgehen soll, ist: Wir Das alles, obwohl so ein weltumspannendes Pan- brauchen ein Europa der Veränderung, des Auf- demiegeschehen nach einer internationalen Reak- bruchs und der Gemeinsamkeit. Dafür soll und tion ruft. Aber das ist nicht das einzige aktuelle Bei- muss die deutsche EU-Ratspräsidentschaft der Auf- spiel. Die die ganze Mittelmeerregion betreffende trag sein. Flüchtlingskatastrophe ruft nicht, sie schreit nach einer substanziellen europäischen Reaktion und (Beifall CDU) das bereits seit Jahren. Wer meint, darin läge in erster Linie ein Vorwurf an die EU, der liegt genau Unsere Botschaft: Wir haben Erwartungen an die falsch. Die nationalen Mitglieder der EU sind es, Bundesregierung, aber ihr Programm findet auch die gleichzeitig an Kompetenzen und Zuständig- unsere ausdrückliche Unterstützung und Solidari- keiten festhalten und dann nicht selten zulassen, tät, meine Damen und Herren! dass nach Brüssel gezeigt wird, wenn es um Ver- antwortung geht. (Beifall CDU, Bündnis 90/Die Grünen) Richtig ist übrigens auch: Corona, nur beispiels- Denn es geht nicht um ein Weiter-so. Es kann nicht weise noch einmal benannt, ist nicht nur ein Prob- darum gehen, Probleme und unterschiedliche Be- lem an sich, sondern hat vielfach vorhandene und wertungen zu verdecken. Wer Europa in der Sub- ich füge hinzu, auch längst bekannte strukturelle stanz weiterbringen will, ist gut beraten, die Ge- Probleme erst richtig sichtbar gemacht. Deshalb meinsamkeit der relevanten politischen Kräfte Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1855

müssen wir unsere Ratspräsidentschaft nutzen, Eu- seit Jahren ungelöst, Verstößen gegen die Mit- ropa in der Substanz, und das heißt strukturell, zu menschlichkeit und die Solidarität zugesehen. stärken, meine Damen und Herren. Aber das ist nicht das einzige Beispiel. An der Peri- (Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) pherie Europas, in Belarus zum Beispiel, werden Menschen politisch unterdrückt und verschwinden Es geht dabei nicht darum, eine universell zustän- gar. In Putins Russland wird der politische Auf- dige europäische Monsterbürokratie oder Europa tragsmord wieder hoffähig, offenkundig unter Nut- als Universalstaat zu fordern. Aber es geht darum, zung längst verbotener C-Kampfstoffe. Das bedeu- Europa auch nicht als ausschließliche Geldverteil- tet für mich insbesondere, dass Europa überall hin- maschine misszuverstehen, das sich als Gemein- sehen muss. Es bedeutet auch, dass es nicht nur so- schaft ansonsten in nationale Egoismen nicht ein- lidarischer, sondern auch robuster und in seinen zumischen hätte. Wenn es in Europa nach dem Reaktionen entschiedener und schneller werden Motto Ost gegen West, Ostsee- und Nordseeanrai- muss, meine Damen und Herren. ner gegen mediterrane Mitgliedsländer, sparsam gegen vermeintlich ausgabefreudig weitergeht, (Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP) wenn wir also Grüppchenbildung und Gegensätze betonen, werden wir nicht weiterkommen. Allerdings ist derjenige, der sich mit Blick auf Stan- dards zu europäischen Werten mit anderen be- Wenn wir weiter Gemeinschaft auf ein Paket schäftigt, gut beraten, den Blick ins eigene Haus schreiben, in dem eigentlich Nationalismus ist, nicht zu vergessen. Da gibt es ebenfalls einiges zu dann werden wir es kaum schaffen und schon gar tun. Der Ausschuss für Bundes- und Europaangele- keine Glaubwürdigkeit bei den Menschen zurück- genheiten, internationale Kontakte und Entwick- gewinnen. Deshalb muss die Ratspräsidentschaft lungszusammenarbeit dieses Hauses war jüngst in Deutschlands verbunden werden mit einem Auf- Polen. Ohne im Einzelnen dazu berichten zu wol- takt zu kompetenzbezogenen, konkreten und für len: Schon bei diesem sehr lokalen Besuch waren den Bürger sichtbaren Veränderungen. Dazu muss Töne mit einem deutlichen Anteil von Nationalis- als Erstes die deutsch-französische Freundschaft mus nicht zu überhören. als Kern europäischer Zusammenarbeit gestärkt werden. Die Bemühungen der Zentralregierung in Polen um mehr Macht und Einfluss sind deutlich mit den Wenn am Ende nicht immer alle bei allem mitma- Händen zu greifen und nicht mit unserem Ver- chen, kann das auch nicht dauerhaft die Rechtfer- ständnis von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie tigung für Stillstand bleiben. Bei Maastricht und zu vereinbaren. Deshalb nimmt unser Antrag beim Euro war es ja auch nicht anders. Die Trumps, hierzu die Bundesregierung in die Pflicht, ihren die Putins oder Erdo ans dieser Welt werden uns Einfluss geltend zu machen. Uns ist es in unserem nicht helfen, sondern sie werden Schwäche und Antrag aber genauso wichtig, dass, wenn es um Uneinigkeit dankendğ für sich nutzen. Überlassen Europa geht, nicht nur auf andere gezeigt wird. Ge- wir ihnen nicht die politische Bühne, sondern brin- rade hier ist Politik im Kleineren gefragt. Hier ist gen wir die Werte Europas zur Geltung, für die es auch der Senat gefragt, hier sind wir gefragt. sich nach wie vor einzutreten lohnt, und das selbst- bewusster als bisher, meine Damen und Herren. Unsere Städtepartnerschaft mit Danzig darf keine Schönwetterveranstaltung sein, sondern kann ein (Beifall CDU, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, Baustein für Solidarität und Veränderung sein, FDP) meine Damen und Herren.

Das sollten wir überall tun, denn diese Werte sind (Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP) vielfach und vielerorts unter Druck geraten. Das er- fordert Engagement, zeigt aber auch, dass die Unser Antrag betont, dass die Bundesregierung Selbstverständlichkeit, mit der wir europäische sich mit Blick auf diese wohl unbestrittenen Her- Standards zu Menschenrechten, Rechtsstaatlich- ausforderungen ein ambitioniertes Programm vor- keit und Demokratie hinnehmen, sehr trügerisch genommen hat. Da sind Einigungen zum mehrjäh- ist. Ich erwähnte es zwar bereits, aber gerade mit rigen Finanzrahmen nur auf den ersten Blick das Blick auf den Wertebegriff kann man es noch ein- wichtigste Anliegen. Europa braucht eine vor- mal wiederholen: In der Mittelmeerregion wird, wärtsgewandte Entwicklung, eine Entwicklung, die die Bürger mitnimmt und die am Ende einen 1856 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

sichtbaren Mehrwert zu lokalen und nationalen In- akzeptiert. Wir treten deshalb für mehr Mehrheits- sellösungen darstellt. entscheidungsmöglichkeiten ein, auch in der Au- ßen- und Sicherheitspolitik. Wir treten dafür ein, Wir brauchen eine Ratspräsidentschaft, die sich auf Europa mit mehr, auch eigenen, steuerbezogenen den Weg macht, aber nicht den Eindruck erweckt, Einnahmen auszustatten und damit unabhängiger all dieses in einem halben Jahr bewältigen zu kön- von der bisherigen Gnade der Mitgliedstaaten zu nen. Die auch für uns lokal auf wichtigen Feldern machen. möglichst unumkehrbare Grundlage schafft, die wir angesichts gewaltiger Konkurrenz aus der gan- Fortschritte in Europa heißen auch, Halbherzigkeit zen Welt nur in der Zusammenarbeit bewältigen und egoistisches Bemühen aufzugeben, meine Da- werden. men und Herren.

Fragen der Umwelt, der Sicherheit und Kriminali- (Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE tätsbekämpfung, des Handels, des sozialen Aus- LINKE, FDP) gleichs, der Forschung, der Energieversorgung, der Gesundheit oder vieler anderer Felder, die sich fin- Abschließend zu den Anträgen: Wir sind trotz den ließen, haben heute gleichzeitig eine internati- punktuell unterschiedlicher Meinung immer der onale und nationale aber auch eine sehr lokale Be- Auffassung gewesen, dass Europa zwischen den deutung. Dieses ist in einem Forschungs- und Wirt- demokratischen Fraktionen ein Thema ist, das mit schaftsstandort Bremen längst selbstverständliche dem Ziel des Konsenses diskutiert werden sollte, Realität und deshalb auch fast lebenswichtig für zumal es dazu in einem Land wie Bremen mit ei- uns. nem stark exportorientierten Interesse auch aus re- gionaler Sicht gute und ganz praktische Gründe Weder europäisch noch regional lassen sich die gibt. Probleme und Fragen allein lösen. Deshalb betont unser Auftrag: Wir brauchen Europa, und Europa Die Koalition hat einen Antrag vorgelegt, der die braucht uns, meine Damen und Herren. überregionalen Notwendigkeiten zum Ausdruck bringt. In der Rede des Kollegen ist es angeklun- (Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE gen. Unser Antrag stellt die beschriebenen LINKE) Schwerpunkte heraus, wobei es uns wichtig ist, Eu- ropabezüge in der Region herauszustellen. Dazu Aber das kommt nicht allein, und das kommt schon gehört auch unser Interesse, Großbritannien nach gar nicht vom Himmel. Europa ist nicht irgendwer dem Brexit so nah wie möglich an der Union zu hal- Anonymes, sondern das sind wir. Wenn wir Forde- ten. Dazu wollen wir ein möglichst engmaschiges rungen an Europa haben, wenn wir sagen, Europa Vertragsverhältnis. müsse sich verändern, heißt das auch, dass wir in Deutschland die Bereitschaft haben müssen, uns zu Ganz allgemein wollen wir im Kern deutlich ma- verändern. Geben und Nehmen, Vorteile und Mit- chen, dass Europa in unserem ureigensten Inte- verantwortung müssen in Europa wieder ins resse ist. Wir wollen es erhalten und genau deshalb Gleichgewicht. weiterentwickeln. Den Antrag der Fraktion der FDP hätte es aus unserer Sicht nicht unbedingt ge- Kritisch sind Alleingänge wie jüngst zum Beispiel braucht. Eine konsistente Botschaft neben nicht zu beim Explosionsunglück in Beirut zu sehen, wo er- beanstandenden Details ist mir verborgen geblie- kennbar nationales und egoistisches Vorgehen vor ben. Wir werden uns dazu enthalten. Es bleibt, gemeinsamer Reaktion rangierte, obwohl ein koor- diese Ratspräsidentschaft als Auftakt und als Aus- diniertes Ganzes durchaus mehr sein kann als ir- gangspunkt für Veränderungsprozesse zu begrei- gendeine eher zufällige Summe seiner Teile. Ande- fen und aus Bremen konstruktiv zu begleiten. rerseits, es wird eben verständlicherweise auch keinen Fortschritt geben, wenn wir Fortschritt als Wir haben dazu das politische Interesse, wir haben 100 Prozent Deutschlands Meinung und nichts an- als Bundesland aber auch die Möglichkeiten und deres verstehen. die Mitverantwortung. – Herzlichen Dank.

Ein modernes „Am deutschen Wesen soll die Welt (Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) genesen“ darf es nicht geben und wird auch in den anderen Mitgliedsländern erkennbar nicht mehr Vizepräsidentin Dogan: Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Herr Professor Dr. Hilz. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1857

Abgeordneter Prof. Dr. Hilz (FDP): Sehr geehrte Wir brauchen die Errichtung eines europäischen Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Eu- Sicherheitsrates (ESR) unter dem Vorsitz dieses ho- ropa steht ohne Zweifel derzeit in, ich würde sagen, hen Vertreters als Plattform für sicherheitspoliti- der größten Krise seit Bestehen der Europäischen sche Debatten, die wir gemeinsam mit unseren Union. Der Brexit, die fehlende gemeinsame Partnern in der Europäischen Union führen müs- Flüchtlings- und Asylpolitik, dazu eine Rechtsstaat- sen. Wir dürfen sie nicht weiter ohne eine entspre- lichkeit, die in einigen osteuropäischen Staaten chende Institution führen. Wertegemeinschaft ist doch große Bedenken hervorruft. das Stichwort für Europa. Die Wertegemeinschaft, so, wie wir sie als Europäische Union verstehen, Insofern ist es Zeit – und es ist gut, dass wir an die- aber auch als eine Rechtsstaatsgemeinschaft. ser Stelle darüber sprechen –, dass wir die jetzt an- stehende deutsche Ratspräsidentschaft nutzen, Wir müssen dazu kommen, dass wir echte Rechts- weiterzukommen und Europa wieder auf einen staatsverfahren erarbeiten, damit Entscheidungen klaren Kurs, einen Kurs der Gemeinsamkeit und und Sanktionsmechanismen nach den europäi- Stärke zu bringen. Europa darf nicht die Wohlfühl- schen Verträgen auf einem unabhängigen, rechts- union sein, an die man sich wendet, wenn es einem staatlichen Verfahren beruhen und so ausgestaltet gut geht und wenn man monetäre Interessen hat, sind, dass sie nicht durch einzelne Mitgliedstaaten sondern muss eine Gemeinschaft der europäischen blockiert werden können, insbesondere, wenn Staaten sein, die schlagkräftig, die handlungsfähig diese Mitgliedstaaten gerade Ziel und Problem die- ist und der Welt zeigt, dass das, was Europa ist, das ser Verfahren sind. Die Europäische Grund- Beste ist, was uns passieren konnte. rechtsagentur sollte hier eine entscheidende Rolle spielen. (Beifall FDP) (Beifall FDP) Wir haben in unserem Antrag einige ganz wichtige Punkte aufgeführt, die aus unserer Sicht dazu bei- Unter den Institutionen der Europäischen Union ist tragen müssen und sollen, Europa besser, schneller das Europäische Parlament das unmittelbar durch und handlungsfähiger zu machen. Das wurde von die europäische Bevölkerung gewählte Organ. Wir meinen beiden Vorrednern bereits angesprochen. haben uns immer dafür eingesetzt, dass das Euro- päische Parlament gestärkt wird. Wir sind mit dem Wir haben kürzlich darüber diskutiert, die Konfe- Vertrag von Lissabon in der Stärkung ein ganzes renz für die Zukunft Europas ist erforderlicher denn Stück weitergekommen, aber es ist Zeit, dass das je, und wir müssen sie unbedingt an den Start brin- Europäische Parlament endlich auch ein Initiativ- gen, wenn es nicht anders geht auch digital. recht bei der Gesetzgebung erhält und das nicht al- lein der Kommission überlassen wird. Wir haben uns in den letzten Monaten an die Digi- talisierung gewöhnt und müssen starten. Wir dür- Ich möchte nicht auf alle Punkte eingehen. Ent- fen nicht länger zögern, sondern müssen dringend scheidend für die Zukunft und das Miteinander in gemeinsam mit uns, mit den Bürgerinnen und Bür- der Europäischen Union ist, wir haben auch ges- gern, die Zukunft der Europäischen Union disku- tern lange darüber diskutiert, die einheitliche euro- tieren. päische Asyl-, Flüchtlings- und Einwanderungspo- litik. Hier haben wir große Erwartungen an die Ich bin bei Herrn vom Bruch, dass wir in der Au- deutsche Ratspräsidentschaft, denn hier muss end- ßen- und Sicherheitspolitik unverzüglich die Ein- lich ein Prozess gestartet werden. Die ersten führung der qualifizierten Mehrheitsentscheidun- Schritte sind von der Kommission durch das GEAS gen und auch die Umgestaltung des Amtes des ho- gemacht worden. hen EU-Außenbeauftragten in einen regelrechten europäischen Außenminister brauchen. Das ist das, Wir müssen auf einen Weg kommen, der Verände- was wir brauchen, um in der Welt Gehör zu finden, rungen bringt. Dass wir gemeinsam, mit einzelnen um unsere Position für Menschenrechte, für die Partnern der Europäischen Union, auf einen Weg Idee, den Wertekonsens, den wir hier in Europa ha- kommen. Nationale Alleingänge oder – noch viel ben und leben, in die Welt zu tragen. Dabei dürfen schlimmer, wie wir es gestern gehört haben – nati- wir nicht von Einzelstaaten blockiert werden. onales Alleingelassen-werden müssen unterbun- den werden. Stattdessen müssen wir gemeinsam etwas erreichen. Das wird ein Kern des künftigen Erfolgs der Europäischen Union sein. 1858 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Wir begrüßen besonders die Einigung zur mehrjäh- Dafür sind zwischen den Mitgliedstaaten mehr fi- rigen Finanzplanung des Europäischen Rats aus nanzielle Solidarität und eine weniger harte Fi- dem Juli, insbesondere, dass wir nicht zu einer so- nanzpolitik notwendig. genannten Schuldenunion übergehen. Das heißt, dass wir hier ganz klare Maßgaben an die Finanz- (Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen) politik haben und nicht weiterhin die Vergemein- schaftung von Schulden in den Mittelpunkt der Das ist die Linie des Antrags der Koalition, und es Diskussion stellen. Das sollten wir mit den Be- freut mich sehr, dass auch die Fraktion der CDU schlüssen des Europäischen Rates hinter uns las- diesen Antrag gut findet. sen. Die andere Antwort sagt: Die EU muss so weiter- Wir brauchen dazu im Bereich des Euros und der machen wie bisher. Die Finanzpolitik muss wieder Stabilitätskriterien nach Maastricht eine Aktuali- härter werden mit automatischen Sanktionen und sierung. Auch hier braucht es automatische Verfah- harten Verschuldungsregelungen. Mehrheitsent- ren und Sanktionen gegen Mitgliedstaaten, die ge- scheidungen soll es geben, aber nur in den Berei- gen die Maastricht-Kriterien verstoßen, die nicht chen der Außen- und Sicherheitspolitik. Die EU soll einfach politisch – sich um technische Innovation kümmern, nicht aber um Sozialpolitik. Das ist die Linie des Antrags (Abgeordneter Gottschalk [SPD]: Es ist doch un- der Fraktion der FDP. Diese Linie lehnen wir ent- möglich, was Sie hier darstellen!) schieden ab, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sie können sich gleich zu Wort melden, Herr Gott- (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) schalk – ausgehebelt werden können. Wir brau- chen einen Neustart in der Europäischen Union, Sie gefährdet die EU, und sie führt nicht zu einem ein gemeinsames Fortschreiten. Deswegen haben Europa, das seiner sozialen und ökologischen Ver- wir Ihnen diesen Antrag heute vorgelegt. – Vielen antwortung gerecht wird. Daher stimmen wir hier Dank! ganz klar mit Nein. Wir hatten im Vorfeld Diskus- sionen mit den Kolleginnen und Kollegen der Frak- (Beifall FDP) tion der CDU über die Frage: Warum stimmt ihr ei- gentlich unserem Antrag, dem Antrag der Fraktion Vizepräsidentin Dogan: Als nächster Redner hat der CDU nicht zu? Ich sage, doch, das machen wir, das Wort der Abgeordnete Tuncel. nur nicht in allen einzelnen Punkten. Das will ich kurz begründen: Abgeordneter Tuncel (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die In Punkt eins geht es um das Programm für die EU befindet sich in einer kritischen Phase. Mit deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Das Programm Großbritannien verlässt zum ersten Mal ein Mit- greift durchaus wichtige Themen auf: Mindest- gliedsstaat die EU, in zentralen Fragen, etwa einer löhne, Lieferkettengesetz, Finanztransaktions- humanitären Migrationspolitik, ist die EU zutiefst steuer, soziale Sicherheit, Klimaneutralität, Verant- gespalten und oft handlungsunfähig. wortung für Afrika, um nur einige zu nennen. Das ist kein Programm für eine neoliberale EU, und es Es gelingt bislang nicht, soziale Missstände in Eu- wird darin auch klar benannt: Die politische Gefahr ropa, von der Jugendarbeitslosigkeit bis zur Armut, in Europa kommt von rechts. Damit ist dieses Pro- zu beheben. Auch die Verhandlung über die mit- gramm viel weiter als einige Anträge, über die wir telfristigen Finanzrahmen, bei denen unter ande- gestern hier diskutiert haben. rem Österreich und die Niederlande auf entschlos- senen Neoliberalismus gesetzt haben und dafür am Trotzdem finden wir es in drei Bereichen nicht aus- Ende sogar belohnt worden sind, sind Ausdruck ei- reichend. Es enthält im Bereich Migration keine ner EU, wie wir sie uns nicht vorstellen. wirkliche Perspektive, es enthält kein Bekenntnis zur EU als einer Einwanderungsregion. Es enthält Im Raum stehen zwei unterschiedliche Antworten nicht das Ziel, Lager in Griechenland endlich abzu- auf diese Situation. Die eine sagt, der europäische schaffen. Das kann so nicht genügen. Zusammenhalt muss gerade jetzt vertieft werden. Die europäische Integration muss vorangetrieben (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) werden, auch und besonders auf den Gebieten der Sozialpolitik und der nachhaltigen Entwicklung. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1859

Die finanzpolitischen Forderungen im Antrag der Abgeordnete Dr. Müller (Bündnis 90/Die Grünen): Koalition finden sich in diesem Programm nicht, Vielen Dank, Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen weder die Abkehr von der strengen Verschul- und Kollegen! Sie erlauben mir, dass ich die erste dungsregel, noch eine wirklich gemeinsame Kre- Runde etwas genereller beginne und mich nicht ditpolitik der Mitgliedstaaten. Auch da müsste das sehr eng an den Anträgen entlanghangle; das ma- Programm weitergehen. Es fehlt gerade vor dem che ich in der zweiten Runde, weil es mir besonders Hintergrund des Brexits ein Minimum an Selbstkri- wichtig ist, die, wie ich finde, bemerkenswerte tik der EU. Bei allem Wahnsinn, der in der Brexit- Rede zur Lage der Europäischen Union von der Kampagne verbreitet worden ist: Sie wäre nicht er- Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen von folgreich gewesen, wenn es nicht viel berechtigte gestern zu würdigen. Unzufriedenheit mit der EU gäbe. Es ist es toll, dass wir heute eine Art Generalde- Gerade in den Bereichen, die besonders internatio- batte, Aussprache zur Lage der Europäischen nalisiert sind, ist diese Unzufriedenheit erheblich. Union auch hier in der Bremischen Bürgerschaft In den Häfen, im Transportbereich, in der Logistik haben. Es ist eindrucksvoll, wie viele verschiedene haben Menschen die EU als einen Faktor erlebt, Anträge wir dazu vorliegen haben. Auch, wenn wir der ihre Löhne gesenkt und ihre Arbeitsbedingun- nicht allem zustimmen, ist es wieder einmal ein gu- gen verschlechtert hat. Das muss man endlich ein- tes Zeichen aus der Bremischen Bürgerschaft her- räumen. Wenn es stattdessen im Programm heißt, aus, dass wir uns tatsächlich mit der Lage der Eu- es gibt immer noch ein paar Hindernisse für den ropäischen Union, mit unserer eigenen Rolle in der freien Binnenmarkt, die fallen müssen, dann hat Union und vor allem – das ist ja aus allen Redebei- man seine fünf Sinne nicht beieinander, liebe Kol- trägen heute auch klar geworden – mit der Zukunft leginnen und Kollegen. und mit der Verfasstheit der Werteorientierung der Europäischen Union hier in einem Landtagsparla- (Beifall DIE LINKE) ment ausführlich beschäftigen.

Deshalb sage ich: Ja, das ist insgesamt ein weitge- (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, CDU, FDP) hend vernünftiges Programm, und ein Begriff wie Grenzregime, der uns in Punkt fünf des Antrags der Ich will das Wort Krise nicht benutzen, ich habe mir CDU ärgert, kommt im deutschen EU-Programm das vor einem guten Jahr abgewöhnt, weil wir aus gar nicht vor. Trotzdem können wir uns nicht voll- dem Krisenmodus im Grunde nicht mehr heraus- ständig hinter dieses Programm stellen. kommen. Wir beschreiben jedes Jahr eine neue Krise. Deshalb, glaube ich, müssen wir von diesem Ich will noch auf einen Punkt hinweisen, das ist der Krisenbegriff wegkommen und Abstand nehmen. letzte Punkt im Antrag der Koalition. Die Ich glaube, wir sind in einer Phase, in der die Euro- Coronakrise hat bereits zu einem Schuldenmorato- päischen Union, in der wir alle, die wir uns als Teil rium für die ärmsten Entwicklungsländer geführt. der EU begreifen, uns Gedanken machen müssen Diese Länder werden aber in zwei Jahren nicht ein- über den Sinn und Zweck der Union an sich und fach ihren Schuldendienst wieder aufnehmen kön- über unsere Verfasstheit innerhalb der Union und nen. Das ginge nur auf Kosten dringend notwendi- unseren Auftrag. ger Maßnahmen für die eigene Bevölkerung. Wenn wir uns erinnern, warum viele kluge Männer Hier muss eine Schuldenstreichung erfolgen. Dafür und Frauen vor vielen Jahrzehnten das in Angriff müssen sich Deutschland und die EU einsetzen. Ich genommen haben, die europäische Integration vo- freue mich, dass wir das in dem Antrag so klar for- ranzutreiben, dann war es vor allem die Sicherung dern. Wenn wir diesen Punkt sogar gemeinsam mit von Freiheit und Frieden, und es waren die Hoff- der Fraktion der CDU beschließen können, dann nung und der Gedanke, dass wir gemeinsam Kri- kann ich nur sagen: Großartig! – Vielen Dank für sen und Herausforderungen besser bewältigen die Aufmerksamkeit! können als jeder allein.

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) Ich glaube, dass diese Zielbestimmung uns alle in der EU noch eint, davon bin ich fest überzeugt, von Vizepräsidentin Dogan: Als nächste Rednerin hat Zypern bis Rumänien. Es ist aber auch so, dass na- das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Müller. tionale Interessen in den letzten Jahrzehnten in- zwischen – es ist ja kein neues Phänomen – so mas- siv zugenommen haben, dass das innerhalb des 1860 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Gefüges der EU aufeinanderprallt – zwei Wertvor- um Zustände, die wir eigentlich nur aus Drittstaa- stellungen – nämlich das Bedürfnis von einigen ten kennen, jetzt aber innerhalb der Europäischen Staaten, wieder zu mehr nationaler Souveränität zu Union haben, nämlich in Moria, zu ändern. gelangen und das Bedürfnis andererseits, auf dem Kontinent eine freiheitlich-demokratische Ver- Wir brauchen sie vor allem bei der Asyl- und fasstheit zu sichern. Flüchtlingspolitik – ich sage sehr bewusst nicht ge- meinsame Asyl- und Flüchtlingspolitik –, denn es Ich will anhand von ein paar Beispielen versuchen ist nicht erst seit 2015 so und auch nicht erst seit deutlich zu machen, dass wir, wenn wir jetzt nicht den Bränden in Moria so: Seit mindestens 2004 – aufhören, von Krisen zu reden, sondern von grund- wir erinnern uns an Italien, die Überforderung von legender Verfasstheit, wahrscheinlich den Punkt Italien, die Überforderung von Malta, von Spanien, verpassen, an dem man in der Europäischen Union jetzt von Griechenland – finden wir keine Antwort tatsächlich die Sicherung von freiheitlichen Grund- auf die Frage: Wer ist auf diesem Kontinent eigent- rechten noch hinbekommt. lich bereit, humanitäre Hilfe und darüber hinaus ein ordentliches Einwanderungssystem zu konsti- (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD) tuieren?

Wir schauen zum Beispiel seit vielen Jahren der Wir kommen nicht voran; und ich formuliere es als Diskriminierung von Minderheiten zu. Wir schauen Frage, weil ich die Antwort selbst auch noch nicht zu, wie in Ungarn Roma massiv und strukturell und habe. Vielleicht sind wir an dem Punkt angekom- von der Regierung vorgegeben diskriminiert wer- men, an dem wir Abschied nehmen müssen von der den. Wir haben keine wirklichen Sanktionsmecha- Idee einer gemeinsamen Asyl- und Flüchtlingspo- nismen entwickelt in den letzten Jahren. litik. Vielleicht sind wir – zumindest, was Moria an- geht – an einem Punkt, an dem jedes Land inner- Wir mahnen an. Auch Ursula von der Leyen, auch halb der EU sich selbst klarmachen muss: Es ist Jean-Claude Juncker – wir haben immer alle ange- deine eigene Verantwortung, wie du jetzt mit die- mahnt. Wir haben aber keine Sanktionsmechanis- sem humanitären Leid auf diesem Kontinent um- men, und die sind auch schwierig zu finden, weil gehst. wir natürlich nicht einfach so in nationale Souverä- nität und in innere Angelegenheiten eingreifen (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD) können. Das gibt die Verfasstheit der Europäischen Union nicht her. Trotzdem müssen wir Antworten Ich finde, dass seit heute ja 173 Gemeinden und finden: Wie gehen wir mit Partnern um, die Min- Kommunen in Deutschland die richtige Antwort derheitenrechte mit Füßen treten, liebe Kollegin- gegeben haben. Dann stellen wir es uns einfach nen und Kollegen? einmal vor, Moria wäre nicht auf Lesbos, sondern in Diepholz, was hier zu Recht los wäre. Für uns (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, CDU, SPD, FDP) kann nur die Ansage sein: Natürlich muss es in die- ser Frage einen deutschen Alleingang geben. Viel- Wir schauen inzwischen seit vielen Jahren zu, wie leicht müssen wir jetzt tatsächlich vorankommen in Polen, in der Tschechischen Republik, in der Slo- und sagen: Wir brauchen hier andere Antworten. wakei die Rechte von LGBTIQ-Menschen immer weiter beschnitten werden. Inzwischen sehen wir Ich bin eine vehemente und glühende Vertreterin zu – und es gibt relativ wenig öffentliche Verurtei- davon, dass wir mehr europäische Integration brau- lungen –, wie Polen LGBT-freie Zonen eröffnet und chen. Natürlich. Wir müssen uns aber auch klarma- auf Ortsschildern steht: Hier habt ihr nichts zu su- chen: Mit welchen Partnern tun wir das hier eigent- chen. Welche Antwort haben wir darauf, auf einen lich, und wollen wir mit bestimmten Partnern Part- Partner, mit dem wir regelmäßig an einem Tisch sit- ner sein? Oder müssen wir uns tatsächlich auch zen? einmal darüber unterhalten und auseinanderset- zen, wie wir eigentlich innerhalb der Europäischen Wir haben bisher noch keine eindeutige, noch Union sicherstellen, was wir allen Beitrittskandida- keine schlüssige, noch keine gute Antwort darauf, ten abverlangen? aber wir brauchen sie, liebe Kolleginnen und Kol- legen. Das brauchen wir eben auch, und das ist Die Europäische Union hat zu Recht einen langen gestern, wie ich finde, hier im Haus sehr angemes- Kriterienkatalog für Beitrittskandidaten. Doch in- sen debattiert worden, in der Asyl- und Flüchtlings- nerhalb der Europäischen Union, sobald man es politik. Wir brauchen sie auch hier an dieser Stelle, einmal in die EU geschafft hat, scheint dieser ganze Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1861

Kriterienkatalog nicht mehr so viel wert zu sein. Bei vielen Punkten, die sie angesprochen hat, kön- Wir müssen dahin zurückkommen, dass die Werte nen wir leider heute schon sagen: Das wird nichts, innerhalb der EU auch tatsächlich verteidigt wer- weil mit diesen Mitgliedstaaten wird sie das nicht den, und wir müssen Mechanismen entwickeln – umsetzen können, und leider – oder auch Gott sei das wird schwer, natürlich wird das schwer, vor al- Dank – komme ich bei demselben Ergebnis heraus, lem, wenn man anstrebt, es auf Augenhöhe zu tun bei dem die Kolleginnen und Kollegen gerade auch –, den Partnern in der EU klarzumachen: Bis hier- waren. Die Antwort kann eben nicht sein, Erklä- her und nicht weiter. rungsmodelle zu finden, die es irgendwie richtig finden können, dass Großbritannien sich für den (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, CDU, SPD) Brexit entschieden hat, sondern die Antwort muss natürlich sein: Wir müssen die europäische Ebene Die letzte Phase ist natürlich, das hat uns auch alle stärken. umgetrieben, die Coronaphase und vor allem der Umgang damit gewesen, bei dem die Europäische (Beifall Bündnis 90/Die Grünen) Union, glaube ich – –. Wir alle waren selbst erschro- cken, wie wenig handlungsfähig diese sehr gut Das heißt nicht Integration auf Biegen und Brechen vernetzte, mit einer sehr guten Infrastruktur verse- und mit wem auch immer. Doch es heißt, wir müs- hene Union eigentlich reagiert auf eine tatsächlich sen die europäische Ebene, die immer auch ein Ga- gesundheitliche Bedrohung. rant vor den nationalen eigenen Interessen der Na- tionalstaaten war, dringend stärken. Das heißt Es gab Lieferengpässe von einfachen Sachen wie auch, dass wir über qualifizierte Mehrheitsent- Masken; das eine Land klaut dem anderen Land scheidungen nachdenken müssen, vielleicht nicht die Masken aus dem Flieger. Wir machen die Gren- als Erstes in der Außen- und Sicherheitspolitik. zen dicht, weil angeblich das Virus an einer Grenze Doch wir müssen über Änderungen von Entschei- halt macht. Wir haben in den Erstmaßnahmen – dungsprinzipien nachdenken auf jeden Fall. verständlicherweise hat es nicht immer funktioniert – gesehen, dass es mit der Solidarität in einer Not- (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, FDP) situation nicht so weit her war, zumindest für zwei, drei Wochen. Dann haben wir uns besonnen und Wir müssen natürlich dafür sorgen, dass Mitglied- haben wieder mehr miteinander kooperiert. staaten, nationale Regierungen sich wieder in ei- nem Wertekanon befinden, der keinerlei Diskus- Trotzdem war das erschütternd, finde ich, zu sehen, sion zulässt. Die Europäische Union hat zwar keine wie schnell die Grenzzäune im Grunde wieder Verfassung, das ist uns nicht gelungen, aber wir hochgegangen sind und jedes Land, das ist ja keine haben eine sehr aussagekräftige Grund- Böswilligkeit, sondern jedes Land im nationalen rechtecharta, und jedes einzelne Land, jede Kom- Bezugsrahmen Notsituationen bewältigen kann, mune, jedes Bundesland, jeder Staat ist dringend aber eben wir nicht gemeinsam als Union. Daraus gehalten, sich an die Grundrechte, die dort verfasst müssen wir Konsequenzen ziehen, und dazu hat sind für die ganze Union, auch zu halten. – Vielen Frau von der Leyen, finde ich, gestern sehr viel Dank für die erste Runde, auf die Anträge gehe ich Richtiges in sehr deutlichen mahnenden und for- in der zweiten Runde ein. dernden Worten gesagt. (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, CDU, SPD) Sie hat verschiedene Meilensteine angesprochen, das reicht von der Gesundheitsversorgung über Di- Vizepräsidentin Dogan: Als nächste Rednerin hat gitalisierung, den der Bekämpfung des Klimawan- das Wort die Abgeordnete Frau Grotheer. dels und auch neuer Technologie. Sie hat sehr gute Punkte genannt, wie das oft bei der Europäischen Abgeordnete Grotheer (SPD): Frau Präsidentin, Kommission ja so ist: Die Europäische Kommission meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Be- legt immer wieder sehr fortschrittliche, weitrei- ginn erneut sagen, weil das offenbar nicht mehr chende Maßnahmenpakete und Ideen vor. Doch selbstverständlich ist, dass ich froh bin, in diesen der Kommentar im „Weser-Kurier“ heute war total Zeiten in der Europäischen Union zu leben. richtig von Herrn Drewes: Es wird sich zeigen in den nächsten Wochen: Welche Unterstützung wird (Beifall SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, DIE denn die Kommissionspräsidentin bekommen und LINKE, FDP) aus welchem Land? 1862 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Auch wenn zu Beginn der Pandemie viele den Ein- Trotzdem müssen wir auch schauen, wie wir das druck hatten, dass es kein ausreichend abgestimm- europäisch hinbekommen. Wir müssen schauen, tes Vorgehen zwischen den Mitgliedstaaten gibt – wie wir als Europäische Union gemeinsam reagie- dieser Eindruck ist nicht ganz falsch –, so müssen ren. wir doch festhalten, dass die EU-Kommission früh- zeitig Maßnahmen und Leitlinien für ein gemein- Ich komme jetzt zu den Anträgen der Kolleginnen sames Vorgehen ausgearbeitet hat. Es hat, das ist und Kollegen der Opposition, zuerst zu dem der schon angesprochen worden, dann Situationen ge- CDU. Ja, es ist so, dass der Brexit und der Streit um geben, dass die Mitgliedstaaten plötzlich für sich Verteilungsfragen zunehmend Distanz hervorgeru- allein gehandelt haben. Diese Entscheidung ist zu fen haben. Doch wir müssen auch sagen, dass der keinem Zeitpunkt von der Europäischen Union Brexit vielen Leuten innerhalb der EU den Wert der ausgegangen, sondern immer von den Mitglied- Europäischen Union wieder vor Augen geführt hat. staaten selbst. Ich finde, das muss man deutlich ma- Das Eurobarometer berichtet dies mit schöner Re- chen. gelmäßigkeit.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen) Was die gemeinsamen Krisenbewältigungsmecha- nismen der EU anbelangt, so müssen wir doch sa- Ich habe mir diese Rede von gestern, die wir wäh- gen, dass unsere gemeinsamen EU-Institutionen – rend unserer Bürgerschaftssitzung ja nicht verfol- außer dem Rat, ich spreche über Kommission, Eu- gen konnten, auch einmal angehört. Ich hätte mir ropäisches Parlament und Europäische Zentral- von der Kommissionspräsidentin einen größeren bank – wirklich alles getan haben, zu einem sehr Wurf gewünscht. Es ist nicht falsch, was sie gesagt frühen Zeitpunkt. Es war eher der, ich nenne ihn hat. Sie hat viele wichtige Einzelpunkte benannt, jetzt einmal vorsichtig, Souveränitätsfimmel der an denen wir als Europa jetzt aktiv werden müssen, Mitgliedstaaten, der tatsächlich bestimmte ge- an denen wir handeln müssen. Die will ich nicht in meinsame Maßnahmen verhindert hat. Abrede stellen. Ja, ich finde auch, dass der deutsch-französischen Ich hätte mir aber gewünscht, nach einer Antritts- Freundschaft eine besondere Bedeutung zukommt. rede aus dem letzten Jahr, in der es darum ging, Allerdings bin ich anders als die CDU der Auffas- Mehrheiten zu erzeugen, Menschen zu überzeu- sung, dass all unsere Anstrengungen in der Ver- gen, Staaten zu überzeugen, dass sie dieses Jahr gangenheit immer dann besonders erfolgreich wa- den für mich im Moment wichtigsten Schritt deut- ren, wenn es nicht nur gelungen ist, die Franzosen licher gemacht hätte, nämlich die Frage, wie wir und Französinnen davon zu überzeugen, sondern eine größere Einigkeit wiederherstellen können. wenn wir die kleinen Mitgliedstaaten eingebunden Sie hat das als Problem benannt. Ich finde, es ist haben, wenn wir uns die Zeit genommen haben, ihre wesentliche Aufgabe, für diese Einigkeit der auch diesen zu zeigen, warum es wichtig ist, mit Europäischen Union tätig zu werden. ihnen in Gespräche zu treten.

(Beifall SPD) Deswegen kann man über die deutsch-französi- sche Freundschaft reden, das sollte man auch im- Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt gemeinsam dis- mer wieder, aber eine ausdrückliche, eine aus- kutieren, was das eigentlich für uns bedeutet, was schließliche Konzentration darauf, dass wir es nur das für die Mitgliedstaaten bedeutet. Weil wir so als Deutschland und Frankreich gemeinsam ma- föderal organisiert sind, sind wir vielleicht besser chen, halte ich in der Bewertung für nicht richtig. als andere Länder in der Lage, unsere Stärken zu Dort, wo die CDU über Notwendigkeiten struktu- bündeln, unsere Kräfte zu bündeln, um einen ge- reller und technologischer Veränderungen spricht, meinsamen solidarischen Weg zu finden. Einen im vierten Absatz ihrer Begründung – auch wenn Weg, der innerhalb Deutschlands nicht auf Gleich- wir die nicht beschließen, aber das ist ja der Grund, macherei setzt, sondern Möglichkeiten aufzeigt, warum bestimmte Forderungen erhoben werden –, auf individuelle Probleme individuell zu reagieren. wo sie diese Aufzählung haben, das sind alles Be- Gerade die letzten Monate haben uns die Stärke reiche, wenn Sie sich die einmal ansehen, in denen dieses Systems vor Augen geführt. die EU-Kompetenz beschränkt ist, bei denen die Kompetenz bei den Mitgliedstaaten liegt, eben (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen) nicht bei der EU. Die Mitgliedstaaten wehren sich heftig dagegen, in diesen Bereichen Kompetenz abzugeben. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1863

Ich habe jetzt zehn Minuten geredet? ropa um. Wir als AfD lieben Europa beziehungs- weise die EU auch so sehr, dass wir uns freuen, dass Vizepräsidentin Dogan: Nein, aber Herr Gott- es immer noch 28 Staaten und diese auch noch schalk hat zehn Minuten geredet und Sie haben selbstständig sind. jetzt fünf Minuten geredet. Was fällt mir, was fällt uns zunächst einmal zu Eu- Abgeordnete Grotheer: Alles klar, dann komme ropa ein? Frau von der Leyen – sie wurde hier heute ich jetzt gleich zum Ende. Lassen Sie mich einen schon mehrfach genannt – ist im Moment gerade Punkt noch sagen, das bekomme ich noch hin. bei Bündnis 90/Die Grünen und bei DIE LINKE schwer im Geschäft und wird dort im EU-Parlament Vizepräsidentin Dogan: Wenn Sie das letzte Mal mehr beklatscht als von ihrer eigenen Partei. Was nicht hineingehen, lasse ich das laufen. fällt uns noch zu Europa ein? 50 000 Beschäftigte, Bananenverordnung, Staubsaugerverordnung, Abgeordnete Grotheer: Ich will noch einmal her- ein, natürlich. (Abgeordnete Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen]: Mensch, ist das alt!) Vizepräsidentin Dogan: Dann müssen Sie zum Schluss kommen, Frau Grotheer. Gurkenverordnung und Schengen mit offenen Grenzen für alle. Braucht Deutschland Europa? Das Abgeordnete Grotheer: Okay, dann komme ich ist ja die Frage, das Thema des Tages hier heute. gleich zum Schluss. So gibt es verschiedene Ich sage einmal, das ist zumindest strittig. Braucht Punkte, bei denen ich sagen würde, dass wir auf- Europa Deutschland? Ich glaube, das ist, wenn ich passen müssen, ob wir es hinbekommen. Den wich- mir das hier so anhöre, ziemlich unstrittig, zumin- tigsten Punkt der CDU sage ich jetzt noch. Wenn dest solange Deutschland den Zahlmeister macht. Sie die Stärkung von Beteiligungsrechten von Bür- gerinnen und Bürgern fordern, aber auf der ande- Bekommen wir – ich behaupte, wir bekommen nie ren Seite sagen, Sie wollen vom Einstimmigkeits- – die 28 Länder unter einen Hut? Das ist ein Ge- prinzip abgehen, dann müssen Sie aufpassen, dass burtsfehler der EU mit 28 Sie sich nicht in Widersprüche in ihrer Argumenta- tion verwickeln. Dann melde ich mich gleich noch (Abgeordnete Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen]: einmal. – Vielen Dank! Es sind 27!)

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) sehr unterschiedlichen Staaten und mit 28 auch oft- mals sehr unterschiedlichen Völkern. Das ist nicht Vizepräsidentin Dogan: Als nächster Redner hat hinzubekommen, selbst wenn Deutschland wie in das Wort der Abgeordnete Herr Jürgewitz. den letzten Jahrzehnten weiterhin den Zahlmeister macht. Ich zitierte gestern schon Henryk M. Broder, Abgeordneter Jürgewitz (AfD): Frau Präsidentin, der zu Moria, zu der Flüchtlingskrise sagte: Die meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Ab- Osteuropäer nehmen deshalb keine Flüchtlinge geordneter der klassischen Europapartei, der AfD, auf, weil sie nicht blöd sind. Diese Feststellung gilt aber nicht nur in Fragen der Flüchtlinge. (Lachen) Herr Professor Hilz sprach von der Werteunion. will ich mir natürlich nicht nehmen lassen, hier ei- Herr Professor Hilz, die gibt es tatsächlich, aller- nige Sätze zum Thema zu sagen. dings ist das ein Bestandteil der CDU.

(Abgeordneter Dr. vom Bruch [CDU]: Sie belieben (Abgeordneter Prof. Dr. Hilz [FDP]: Dass Ihnen das zu scherzen, oder?) fremd ist, das habe ich mir gedacht!)

Ja, es soll ja auch jeder ein bisschen Spaß haben, Die Werteunion in der EU gibt es tatsächlich nicht, Herr Dr. vom Bruch. Den haben wir, gut. und sie wird es nun einmal auch nicht geben. Jetzt fordern Sie, Herr Professor Hilz und auch Frau Dr. Ein französischer Staatspräsident sagte einmal, er Müller, gegen unliebsame Mitglieder entspre- liebe Deutschland so sehr, dass er sich freue, dass chend vorzugehen. es zwei davon gebe. Ich münze das einmal auf Eu- 1864 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

(Abgeordnete Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen]: Vertrag bei. Jeder Mitgliedstaat bekennt sich zu Das habe ich nicht gesagt!) diesen Grundwerten. Das ist nicht verhandelbar, weder von Ihnen noch von sonst jemand anderem, Wer bestimmt denn eigentlich die Werte dieser der dazugehören will. Union? Sind wir es mit unseren moralischen Vor- stellungen oder sind es andere in der EU, zum Bei- (Beifall SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, DIE spiel die Visegrád-Staaten? Wer liegt denn da rich- LINKE, FDP) tig? Sind wir das oder sind es vielleicht die ande- ren? Wenn ich mir Frau Dr. Müller so anhöre, müss- Ich arbeite mich nicht an Menschen ab, die ich so- ten einige Länder der EU eigentlich herausge- wieso nicht überzeuge. schmissen werden. Dagegen hätten wir von der AfD nichts. Wenn wir diese auf die ursprünglichen Deswegen fange ich jetzt weiter an mit dem, wo- sechs der EWG reduzieren würden, hätten wir rüber ich mich mit den Kollegen der CDU gern un- wirklich etwas davon. terhalten würde, es klang auch ein bisschen durch bei der Kollegin von den Grünen, nämlich die Jetzt haben wir also die Ratspräsidentschaft Frage der Abkehr von der Einstimmigkeit. Ich Deutschlands und diese soll nun den päpstlichen weiß, dass das eine Diskussion ist. Nach meiner Segen über alle hier in der EU bringen. Päpstlicher Auffassung ist diese Frage aber nicht einmal in Segen der „Heiligen Angela“. Deutschland konsensfähig, weder im Bund noch in den Ländern, geschweige denn in der EU. Daher (Abgeordnete Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen]: halte ich sie für so global auch nicht zu fordern. In Das ist eine Frechheit!) dieser Allgemeinheit ist sie auch nicht gut für uns. Außenpolitik ist zudem traditionell der Kernbe- Die EU ist für uns ein Europa der Vaterländer. Dazu reich der nationalen Souveränität. Da sollte man sagen wir ja. Wir sagen ja zu einer europäischen vielleicht zweimal hinschauen, bevor man in die- Wirtschaftsgemeinschaft, aber wir sagen nein zu sem Bereich eine Abkehr fordert, Herr Professor dem, was sich hinter dem Pseudonym – so muss ich Hilz. fast sagen – Brüssel, verbirgt. – Dankeschön! Außerdem besteht ein wichtiger Wert der Europäi- Vizepräsidentin Dogan: Als nächste Rednerin hat schen Union gerade darin, dass nicht der Starke die Abgeordnete Frau Grotheer das Wort. über den Schwachen, der Große über den Kleinen oder auch die Mehrheit über die Minderheit hin- Solange gewischt wird, möchte ich aber auf der Be- weggeht. Die EU ist aus gutem Grund auf Konsens- suchertribüne auch noch recht herzlich eine bildung ausgerichtet, auch wenn das Entschei- Gruppe der Gesamtschule Mitte begrüßen. Seien dungsprozesse bisweilen zäh macht. Ihre Akzep- Sie herzlich willkommen! tanz in den Bevölkerungen würde jedenfalls sicher schwinden, wenn man plötzlich davon überstimmt (Beifall) werden könnte. Wir haben bereits einige Bereiche, in denen es durchaus möglich ist, in einer starken Abgeordnete Grotheer (SPD): Frau Präsidentin, Gruppe voranzugehen. Auch das sollte an dieser meine Damen und Herren! Die Grundwerte der Eu- Stelle nicht unter den Tisch fallen, damit nicht der ropäischen Union – nur als Nachhilfestunde für den Eindruck entsteht, dass wir an jeder Stelle immer Kollegen, der das offenbar nicht kennt – sind in Ar- gezwungen sind, alle alles gemeinsam zu machen. tikel 2 des Vertrages über die Europäische Union verankert. Sie sind Menschenwürde, Freiheit, De- Ich komme jetzt zum Antrag der FDP. Sie wollen mokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die gern über die Konferenz zur Zukunft Europas re- Wahrung der Menschenrechte, einschließlich der den. Das finde ich richtig, das haben wir vor drei Minderheitenrechte. Ich hoffe, Sie haben es ver- Monaten getan. Ich glaube, wir sind da im Moment standen. ein bisschen auf Eis gelegt, weil es noch nicht ein- mal eine Einigung in den zuständigen Gremien (Beifall SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, DIE darüber gibt, wie die aussehen soll. Ich habe große LINKE, FDP) Bedenken, ob wir als Region oder die Bürgerinnen und Bürger da tatsächlich Einfluss nehmen kön- Diesem Artikel 2 des Vertrags über die Europäi- nen. Auch darüber haben wir gesprochen, wie wir sche Union tritt jeder Mitgliedstaat bei, wenn er es das in Bremen hinbekommen können. Jetzt muss werden möchte. Dem tritt er bei. Er tritt diesem ich einmal ein bisschen blättern. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1865

Gemeinsames europäisches Asylsystem ist ange- Maximum des gesamtstaatlichen Schuldenstandes kündigt für nächste Woche. Ich bin gespannt, was von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts be- da kommt. Ich finde, wir sollten im Europaaus- schreibt. schuss unbedingt ausführlicher darüber reden und hoffe, falls wir ein gemeinsames Verfahren finden, Genau dazu hat die Europäische Kommission im auch auf viele von Ihnen, liebe Kolleginnen und Februar einen Prozess angestoßen, der nämlich da- Kollegen, als aktive Gäste und Zuhörer. rin gipfeln soll, diesen Stabilitäts- und Wachstums- pakt zu überarbeiten. Hier läuft noch eine Konsul- Brexit. Brexit ist ein Thema, das mich sehr umtreibt, tationsphase, die bis 30. Juni abgeschlossen wer- insbesondere die Frage, was jetzt gerade in Groß- den sollte. Trotzdem ist die Forderung nach auto- britannien mit der Diskussion über das Nordirland- matischen Sanktionen realitätsfremd und im Kern Abkommen passiert, beziehungsweise über das auch unpolitisch. Inwiefern ein Mitgliedstaat be- Protokoll des Austrittsabkommens. Ich weiß nicht, stimmte Kriterien einhalten kann und ob die Regie- wer von Ihnen gestern das britische Parlament ver- rung dieses Landes für eine eventuelle Abwei- folgt hat. Der britische Außenminister hat gestern chung verantwortlich ist, bleibt immer eine Ermes- auf die Frage, ob er das Nordirland-Abkommen ei- sensfrage. Zudem dürfte dies die Akzeptanz der EU gentlich gelesen hat, wortwörtlich gesagt: Ich habe in einigen Mitgliedstaaten erheblich schwächen mir das vorgelegt, ich habe es mir angeschaut, aber und das können wir uns im Moment nicht erlauben. nicht von Beginn und gar nicht ganz durch. – Vielen Dank!

Sorry, ich glaube denen überhaupt nichts mehr, (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) was den Brexit anbelangt, aber es ist ihre Entschei- dung, nicht unsere. Ich glaube leider, auch wenn Vizepräsidentin Dogan: Als nächste Rednerin hat ich es anders hoffe, dass die Möglichkeiten, auf das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Müller. diese Menschen einzuwirken im Rahmen politi- scher Verhandlungen, sehr gering sind, auch wenn Abgeordnete Dr. Müller (Bündnis 90/Die Grünen): ich großen Wert darauf lege, dass wir es weiterhin Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! versuchen. Ich hatte angekündigt, mich in der zweiten Runde vor allem auf die Anträge zu beziehen. Jetzt hat Der nächste Punkt, den ich ansprechen will, und aber Antje Grotheer unser Abstimmungsverhalten, das finde ich wirklich schwierig, ist der Begriff der vor allem zum FDP-Antrag, so detailliert darge- Schuldenunion. Herr Professor Hilz, ich finde, wir stellt, dass ich Ihnen die Wiederholung ersparen sollten uns nicht Kampfbegriffe anderer zu eigen will. machen. Ich will trotzdem sagen, der Antrag der Koalitio- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) näre – das hat der Kollege Gottschalk ja auch ein- drücklich dargestellt – hat als Coronakonsequenz Ganz ehrlich, da müssen wir ein bisschen aufpas- und -folge natürlich einen starken wirtschafts- und sen. Wenn Sie das schreiben, dann müssen Sie be- finanzpolitischen Fokus. Ich war deswegen sehr denken, dann sind wir als Bundesrepublik dankbar, als dann der CDU-Antrag ergänzend da- Deutschland auch eine Schuldenunion. Und daraus zukam, weil ich finde, dass er eine gelungene Er- haben wir als Bremen in den letzten Jahren durch- gänzung unseres Antrags ist und den Blick weitet, aus unsere Vorteile gezogen, dass wir gesagt ha- was die Auseinandersetzung und die Aufgaben ben, wir wollen ein gemeinsames Niveau. Ich finde und die Bewältigungsstrategien, die wir uns vor- solche Begrifflichkeiten ganz schwierig. Ich arbeite stellen können, die wir von der europäischen mit dem Begriff der Solidarität und der gegenseiti- Ebene erwarten, von der deutschen Bundesebene, gen Unterstützung. aber vor allem auch von uns selbst, von der regio- nalen Ebene, angeht. Das finde ich sehr gelungen, (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) wenn wir beiden Anträgen heute in großen Teilen zustimmen. Als letzter Punkt: Mit dem Regelwerk von Maas- tricht, was Sie in Ihrem Antrag so nennen, ist ver- Dass das die Botschaft aus dem Landtag des Landes mutlich, so nehme ich an, der Stabilitäts- und Bremen heraus ist, das finde ich dann ein sehr ge- Wachstumspakt gemeint, der unter anderem eine lungenes Ergebnis dieser heutigen Debatte. Ich jährliche Obergrenze des Haushaltsdefizits von hätte mir gewünscht, dass das beim FDP-Antrag drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts sowie ein ähnlich ist. Ich will nur einen Punkt nennen, warum 1866 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

mir das sehr schwerfällt. Ich finde, was man beiden übernehmen. In Bremen leben sehr viele Men- Anträgen, dem der Koalition und dem der CDU, an- schen, hier in der Bürgerschaft sitzen einige Men- merkt, ist ein ganz klares Bekenntnis zu diesem schen, die mit Transformationsprozessen in eben Grundgedanken der Europäischen Union. Bei der diesen Ländern Erfahrung haben. Ich stelle mich FDP lese ich das aus dem Antrag – aus Ihrem Re- gern zur Verfügung, andere auch, der Ausschuss debeitrag nicht –, aber aus dem Antrag kommt so hat es gezeigt, wir sind auch mit schwierigen Part- ein funktionalistischer Gedanke heraus: Die EU nern in guten Gesprächen. nützt uns an den und den Punkten, und deswegen wollen wir das und das. Deswegen will ich ganz klarstellen, weil es gerade uminterpretiert wurde: Ich will niemanden aus der Das finde ich sehr schade. Deswegen würde ich EU werfen. Ich will nur, dass wir uns klarmachen, mich freuen, wenn die FDP dann vielleicht den an- mit welchen Partnern wir es zwischendurch zu tun deren Anträgen zustimmt, weil ich überzeugt bin, haben, auch hier im Hause, und klare Worte und dass Sie dieses Bekenntnis eigentlich auch unter- klare Grenzen finden: Bis wohin gehen wir mit? Bis stützen, aber es aus dem Schriftwerk, also aus dem wohin können wir zusammenarbeiten und wo ist Antrag, nicht besonders deutlich wird. eine Grenze erreicht, von der man sagen muss, das passiert dann nicht mehr auf Basis des Artikels, den Ich würde mich sehr freuen, wenn sich nach außen die Kollegin Grotheer noch einmal in Erinnerung vermitteln würde, dass der Bremischen Bürger- gerufen hat? schaft und allen – na ja, fast allen – Abgeordneten hier im Haus dieses Bekenntnis zum freiheitlich- (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD) demokratischen, rechtsstaatlichen Europa wichtig ist. Die Rolle, die ich Bremen zuschreibe, die gehört natürlich auch zur Bundesrepublik. Die deutsche (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, CDU, SPD, DIE Bundesregierung – und ich finde, sie nimmt das im LINKE) Rahmen der Ratspräsidentschaft sehr gut wahr – hat natürlich – und das ist keine Floskel – in ver- Noch viel wichtiger wäre mir, dass wir ganz beson- schiedener Hinsicht eine besondere Verantwor- ders klarmachen, insbesondere nach dem Redebei- tung, eine gute, eine konstruktive, eine verbin- trag des Abgeordneten Herrn Jürgewitz, dass wir dende Rolle innerhalb der Europäischen Union Respekt davor haben, dass es viele Länder inner- wahrzunehmen, mit Frankreich, auch mit Polen. halb der Europäischen Union gibt, die sich noch in einem Transformationsprozess hin zu einer Gesell- Die Bundesrepublik Deutschland ist nun einmal schaftsform befinden, die genauso demokratische, auch aufgrund der eigenen Erfahrungen prädesti- freiheitliche und rechtsstaatliche Prinzipien als al- niert dafür – wir sind ja im Jahr 30 nach der Einheit leroberste Priorität hat. Wir als westeuropäische –, als Brückenbauer zwischen leider zwei Teilen ei- Länder, die diese Erfahrung mit diesem Gesell- nes Kontinents zu fungieren, die seit vielen Jahren schaftssystem schon etwas länger haben, reichen dabei sind, sich aufeinander zuzubewegen, aber unsere Hand und unterstützen darin, diesen Trans- nun einmal Irrungen und Wirrungen miteinander formationsprozess auch erfolgreich zu Ende zu aushalten müssen. Aushalten heißt aber nicht für bringen, so wie es ein Großteil der Bevölkerungen gut befinden, sondern aushalten heißt, nicht zu re- in diesen Ländern ja will. signieren und weiterhin am gemeinsamen Ziel zu arbeiten. Wir dürfen Ich habe es in der ersten Runde schon gesagt: Das (Zuruf Abgeordneter Jürgewitz [AfD]) Ziel aller Mitglieder muss sein, die Grund- rechtecharta einzuhalten, zu verteidigen und um- die Regierungen gerade nicht mit den Bevölkerun- zusetzen. – Vielen Dank! gen verwechseln. (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) (Beifall Bündnis 90/Die Grünen) Vizepräsidentin Dogan: Als nächste Rednerin hat Bremen, das hat sich auch in der Rathaushalle über Bürgermeisterin Frau Dr. Schaefer das Wort. den Sommer wieder hervorragend gezeigt, hat aus der Solidarno -Zeit heraus eine gute Tradition, ge- Bürgermeisterin Dr. Schaefer: Sehr geehrte Frau nau diese Brückenrolle zwischen Ost und West zu Präsidentin, meine Damen und Herren! Wenn ich ść Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1867

jetzt gerade hier von meinem Platz hinaussehe, auch sehr, zwischen Griechenland und der Türkei, dann sehe ich drei Flaggen: Ich sehe die Speck- mitten in Europa. Wir haben eine hohe Jugendar- flagge, ich sehe die Deutschlandflagge, aber eben beitslosigkeit und das Erstarken von Patriotismus auch die EU-Flagge. Ich finde, das zeigt diesen und nationalen Einzelgängen. Das macht mir in der Dreiklang, den es braucht, und ich wünsche mir, Tat große Sorgen. dass wir die EU-Flagge eigentlich überall haben, wo wir die Speckflagge und die Deutschlandflagge Die EU hat in den letzten Monaten, in den letzten in Bremen hissen. Jahren vielleicht auch, das eigentliche Ziel, Krisen gemeinsam besser zu bewältigen, nicht erfüllt. Ich (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) habe immer gedacht, es gilt: Einer für alle, alle für einen, gemeinsam sind wir stark. Das scheint aber Ich bin auch froh, in fast allen Redebeiträgen eine nicht in allen Ländern so gelebt zu werden. Ob es große Übereinstimmung in diesem Haus für ein Eu- die Migration ist, ob es die Klima- oder Coronakrise ropa mitbekommen zu haben. Das ist ein gutes Sig- ist: Die EU war von einem einheitlichen, solidari- nal. Die AfD hat sich hier als antieuropäisch in dem schen, gemeinsamen Handeln in vielen Fällen weit Redebeitrag dargestellt, das zeigt vielleicht auch, entfernt. welche Einstellung sie zu Europa haben. Ich bin aber froh, dass dies eine kleine Minderheit hier in Zum Beispiel Moria: Das Moria, von dem wir reden, diesem Haus ist. hat nichts damit zu tun, was wir bei Tolkien im „Herr der Ringe“ einmal gelesen haben. Moria war (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) da das größte und berühmteste aller Zwergenrei- che, es lag im Nebelgebirge und war mit der Elben- In Vorbereitung auf die Rede heute habe ich mich stadt durch die Straße zum Westtor verbunden. So gefragt: Europa im 21. Jahrhundert, ist das Glas kann man es im „Herr der Ringe“ nachlesen. Doch halb voll oder ist es halb leer? Früher – ja, das ist das Moria auf der Insel Lesbos ist weit davon ent- schon ein paar Jahre her – war es zumindest für fernt, einem Reich aus einer Fantasiewelt zu glei- mich so, dass Europa als eine Einheit ein Selbstver- chen. Es steht für Elend, es steht für Not, es steht ständnis war. Es gab viele Ziele, eine einheitliche für Menschen, die dort perspektivlos gelagert wer- Währung wurde eingeführt und man hat die Leh- den, vor den Augen des Rests von Europa verbor- ren aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg gezo- gen. Moria steht für ein Kapitel, in dem das eigent- gen. Man wollte ein gemeinsames Europa. Und lich grenzenlose Europa grenzenlos versagt hat. heute? Wo stehen wir heute? (Beifall Bündnis 90/Die Grünen) Wir haben erst einmal viele Herausforderungen. Wir haben den Klimawandel als globale Herausfor- Ich finde Moria beschämend und ich schäme mich derung, wir haben seit Ende letzten Jahres Corona als Europäerin dafür, dass wir kollektiv wegge- als globale Pandemie und in dem Fall würde ich schaut haben, die meisten zumindest. Wir haben doch das Wort Krise benutzen wollen. Wir haben hier eine gesamteuropäische Verpflichtung, den den Brexit. Mich stimmt es traurig, weil ich selber Menschen in Not zu helfen und sie aufzunehmen, in England gelebt habe, dass sich dieses Land nun und zwar nicht nur in Deutschland, sondern ge- von Europa, aus der EU verabschieden möchte. Ich rechterweise in allen Ländern Europas. Der müssen glaube, das ist ein großer Fehler. wir nachkommen, wir dürfen nicht Griechenland allein lassen, wir dürfen nicht Italien allein lassen, Es ist die Situation von Russland, Belarus angespro- auch nicht Malta oder Spanien. chen worden. Ich finde es erschreckend, dass heute wieder Menschen, wie zu Zeiten des Kalten Krie- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) ges, was man so aus Krimis eigentlich immer mit- bekommen hat, vergiftet werden, weil sie Regie- Ich finde aber auch, dass das Glas halb voll ist. Wir rungskritiker sind. Wir haben immer noch einen haben die Grenzen überwunden. Wir haben gren- Krieg in der Ukraine. Die erstarkenden Nationalis- zenlose Reisefreiheit, wenn auch gerade durch men in Polen und Ungarn wurden angesprochen. Corona wieder in Teilen manchmal eingeschränkt, aber das macht uns, glaube ich, noch einmal deut- Wir haben Flüchtlingsfragen, die man klären muss, licher, was für ein wichtiges Gut das ist. Wir haben im Mittelmeerraum, nicht nur in Italien, sondern finanzielle und wirtschaftliche Mittel, Stabilität und jetzt aktuell eben auch in Griechenland. Wir haben Frieden. Viele junge Menschen haben die Mög- aber auch einen Konflikt, und das beunruhigt mich lichkeit, im Ausland innerhalb der EU zu studieren, 1868 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

andere Länder kennenzulernen, andere Kulturen (Präsident Imhoff übernimmt wieder den Vorsitz.) kennen und verstehen zu lernen. Auch das ist ein wirklicher großer Vorteil der EU. Es ist gut, wenn hier aus Bremen auch ganz andere Töne kommen, die auch das Erreichte betonen. Der Umso wichtiger im 21. Jahrhundert und derzeit ist, Wiederaufbaufonds ist ein wichtiger Schritt zur dass Europa ein Puffer ist zwischen den USA, Russ- wirtschaftlichen Erholung in Europa. Das ist zu be- land und China. Nur ein starkes, solidarisches Eu- grüßen, weil erstmals deutlich gesagt wird, dass ropa kann diesen globalen Spannungen, diesem das nicht zum Nulltarif zu haben ist und dass es zum Teil irrationalen Kräftemessen einiger mächti- nach Jahren der Sparpolitik einen Paradigmen- ger Staatsoberhäupter, diesem Wirtschaftskrimi o- wechsel hin zu zukunftsträchtigen Investitionen der auch Wirtschaftskrieg zum Teil schon, stand- gibt, unter anderem auch durch Kreditaufnahme halten. Ein Gebaren, das des 21. Jahrhunderts un- der europäischen Ebene. Das ist angesichts der würdig ist und vor der globalen Klimakrise, die uns Herausforderungen richtig und notwendig. alle nämlich massiv bedroht, einfach nur dumm ist. Entscheidend wird jetzt sein, worin dieses Geld tat- Ich wünschte, wir wären in diesem Jahrhundert in sächlich investiert wird. Ich finde, wir müssen da- unserem Bewusstsein schon weiter. Das geht mir, rauf achten, dass es nachhaltig und sozial gerecht ehrlicherweise, fast jeden Tag so, dass ich mich verteilt wird. wundere, dass wir in einer Zeit leben, in der wir immer noch Grenzabsperrungen haben. Ich (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) wünschte, wir wären weiter, wir hätten keine Grenzabsperrungen, keine Diskriminierung, keine Dass diese Gelder nicht nur als Darlehen, sondern nationalen Egoismen, keine Ungleichheit zwischen zum größeren Teil als Zuschüsse vergeben werden Geschlechtern, zwischen Hautfarben und zwischen sollen ist entscheidend, damit die Programme den Religionen. Nur so können wir die globalen Krisen Schuldenstand betroffener Mitgliedstaaten nicht meistern, Krieg verhindern, Flucht verhindern, weiter erhöhen. Das ist gelebte europäische Solida- wenn alle Menschen nämlich die Chance auf ein rität und deshalb ist die temporäre Erhöhung der gutes Leben haben. Eigenmittelobergrenze ein guter Vorschlag. Wich- tig ist darüber hinaus die zügige Einführung neuer Fazit ist: Wir müssen uns zusammenraufen und uns Eigenmittel, um auch daraus die Schulden zurück- solidarisieren, statt zu spalten, Herr Jürgewitz. zuzahlen. Jetzt ist als Konsequenz die oberste Aufgabe, Me- thoden der Krisenbewältigung zu finden und zu In der Tat kann und wird auch Bremen vom neuen verankern. Die Europäische Kommission hat das in EU-Haushalt profitieren, denn für uns besonders Teilen erkannt, im Green Deal, in Digitalisierungs- wichtige Bereiche wie Forschung und Entwicklung strategien. Wichtige Meilensteine hat Ursula von oder Erasmus sollen gegenüber dem letzten mehr- der Leyen gestern in ihrer Rede benannt. jährigen Finanzrahmen spürbar aufgestockt wer- den, wenn auch nicht in so großer Höhe wie von Für Bremen und Bremerhaven ist die Stabilisierung der Europäischen Kommission ursprünglich vorge- Europas, von Finanzen bis zum sozialen Zusam- schlagen. menhalt – –. Europa ist eben nicht nur Wirtschafts- und Handelsbeziehungen oder Finanzmärkte, son- Doch es liegt jetzt auch an der Bundesregierung, dern es geht auch um den sozialen Zusammenhalt, ihre Ratspräsidentschaft für einen erfolgreichen deswegen ist Europa für Bremen und Bremerhaven Abschluss der Verhandlungen mit dem Europäi- von enormer Bedeutung. schen Parlament über den mehrjährigen Finanz- rahmen und das Wiederaufbauinstrument zu nut- Kurz zur Coronakrise: Die Kommission hat von ei- zen. Da sind Impulse von Länderseiten wie hier aus nem frühen Zeitpunkt an erhebliche Anstrengun- Bremen ein wichtiges Signal. Es ist rundweg zu be- gen unternommen, soweit dies in ihren Kompeten- grüßen, dass die Bürgerschaftsfraktionen sich in zen lag. Ohne sie und die EU insgesamt stünden dieser Weise positiv zur Arbeit der europäischen wir in Europa heute schlechter da. In vielen Län- Institutionen während der Coronakrise positionie- dern der Welt kann man beobachten, was für Kon- ren und welche Schlüsse und Forderungen sie dar- sequenzen, für dramatische Konsequenzen das für aus ziehen. Angesichts der oft ungerechtfertigten die Menschen hat, die sich mit Corona anstecken, Kritik, die die Europäische Union in den letzten wenn man eben nicht vorausschauend – so wie in Wochen und Monaten auf sich gezogen hat, ist das Europa – gehandelt hat. bemerkenswert und zeigt einmal mehr, dass EU- Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1869

Bashing in Bremen nicht zu machen ist, auch wenn Das negiert nicht die Probleme, das ist völlig klar. es bei einigen hier wieder einmal populär ist. Wenn wir aber über Probleme reden, dann hilft es nun einmal auch nicht weiter, wenn man immer Bremen leistet viel wichtige Arbeit auch in Sachen nur – und da bleibe ich bei diesem Bereich – mit Kommunikation, wenn es um Europa geht. Der Eu- Begriffen der Vergangenheit arbeitet. Das habe ich ropapunkt Bremen ist wichtig, macht gute Arbeit hier am linken und am anderen Ende der Skala und es ist gut, ihn zu haben. Wir haben Onlineplan- wahrgenommen. Ich glaube, Begriffe wie „Schul- spiele, gerade auch, um junge Menschen für die EU dengemeinschaft“, aber auch Begriffe wie „Neoli- zu begeistern, wie zum Beispiel das Spiel „Einmi- beralismus“ oder „neoliberale Antworten“, das schen, Jugend redet mit“. Als Senat werden wir die sind Begriffe, die etwas Plakatives haben, die etwas Inhalte des Antrags mit voller Überzeugung gegen- von einem Schlagwort haben. Sie sind aber irgend- über den europäischen Institutionen, aber auch ge- wie die Gefechte von gestern und sie helfen uns bei genüber den anderen Ländern und der Bundesre- der Bewältigung der Probleme im Europa von mor- gierung vertreten können, denn sie buchstabieren gen nicht weiter. unsere europäische Linie, wie wir sie auch im Koa- litionsvertrag verankert haben, konsequent aus. (Beifall CDU, Bündnis 90/Die Grünen) Die Anträge der Koalition und der CDU erläutern dazu wichtige Ansatzpunkte, die der Senat gern Sehr richtig fand ich und finde ich – und auch das aufnimmt. Meine Damen und Herren, Europa ist es ist ein Eindruck aus dieser Debatte –, dass es auch wert, dass wir uns im Land Bremen gemeinsam da- Nachdenklichkeit gibt, dass es möglicherweise für aussprechen und stark machen. – Herzlichen auch zwischen den Koalitionären unterschiedliche Dank! Nuancen gibt, bei der Frage der Mehrheitsent- scheidung. Das ist keine Frage, die man einfach (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) einmal so oder so beantwortet und schon gar nicht aus dem Ärmel geschüttelt. Das ist eine Frage, die Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort natürlich tatsächlich viele Konsequenzen hat, aber der Abgeordnete Herr Dr. vom Bruch. auf der anderen Seite – und da bleibe ich bei dem, was ich vorhin auch zu diesem Thema gesagt habe Abgeordneter Dr. vom Bruch (CDU): Herr Präsi- – glaube ich, dass wir am Ende des Tages, wenn dent, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich Europa weiterkommen will, wenn wir eine Zukunft möchte nur wenige Anmerkungen zum Schluss für Europa haben wollen, hinnehmen müssen, dass dieser Debatte machen, über die ich mich sehr ge- nicht immer alle einer Meinung sind. Das wird mit freut habe, denn im Tenor habe ich diese Debatte einem demokratischen Prinzip, nämlich mit dem so verstanden, so gelesen, dass hier doch die Ge- Mehrheitsprinzip, entschieden und deshalb finde meinsamkeiten im Vordergrund standen und die ich das im Grundsatz richtig. Gemeinsamkeiten ganz deutlich in der Mehrheit sind. (Beifall CDU)

Frau Kollegin Müller, von Ihnen habe ich heute Frau Kollegin Antje Grotheer, ich habe nicht zum mitgenommen, dass Sie, glaube ich, zu Recht da- Ausdruck bringen wollen – so habe ich das von rauf hingewiesen haben – so habe ich Sie zumin- Ihnen ein bisschen mitgenommen –, dass ich ir- dest verstanden –, dass es nicht immer sein kann gendwie die deutsch-französische Freundschaft als und nicht immer hilfreich ist, mit dem Wort „Krise“ Alternative zur Europäischen Union aufbauen zu arbeiten. Das Wort „Krise“, ich habe noch ein- wollte. Ich habe von dem Kern der Europäischen mal nachgesehen, kommt glücklicherweise in mei- Union gesprochen, von einem Kernbestandteil der ner Rede auch gar nicht vor. Ich bin darüber im Europäischen Union. Nachhinein froh, denn es hat tatsächlich etwas Fa- talistisches, es hat etwas Auswegloses, es hat auch Das ist keine Entscheidung gegen alle anderen, irgendwie etwas Dämonisches. Ich glaube, mit sondern das ist nur der pragmatische Hinweis da- Blick auf Europa hilft uns Fatalismus nicht weiter. rauf, dass die Europäische Union auch in der Ver- Wir brauchen einen Aufbruch, wir brauchen Opti- gangenheit immer dann weitergekommen ist, mismus, und zu dem gibt es auch Anlass! wenn Deutschland und Frankreich eine starke Ge- meinschaft gebildet haben, wenn sie sich verstän- (Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) digt haben. Das heißt nicht, dass sie die anderen dabei nicht mitnehmen sollen! 1870 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Letzte Bemerkung: Ich finde auch nicht – und da 1,3,5 und 8 seine Zustimmung geben möchte, den komme ich noch einmal auf die Mehrheitsentschei- bitte ich jetzt um das Handzeichen. dung zurück –, dass man Mehrheitsentscheidun- gen in Widerspruch zu mehr Bürgerbeteiligung set- (Dafür CDU) zen darf. Bürgerbeteiligung brauchen wir in Eu- ropa, völlig klar. Wir brauchen eine stärkere Sicht- Ich bitte um die Gegenprobe. barkeit von Europa, auch für die Bürger, mehr kon- krete Rechte, mehr konkrete Kompetenzen, die die (Dagegen SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE Bürger auch die Wichtigkeit und die Bedeutung LINKE, M.R.F., Abgeordneter Jürgewitz [AfD]) Europas spüren lassen. Das ist kein Widerspruch zu Mehrheitsentscheidungen. Insofern habe ich das, Enthaltungen? was Sie diesbezüglich zum Ausdruck bringen woll- ten, nicht so ganz verstanden. (FDP)

Strich darunter: Ich habe mich über diese Debatte Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt die gefreut. Ich glaube, dass sie das richtige Signal für Ziffern 1,3,5 und 8 des Antrags ab. unseren Beitrag zu einer hoffentlich erfolgreichen Ratspräsidentschaft Deutschlands ist. Das ist für Jetzt lasse ich über die übrigen Ziffern des Antrags uns hier in Bremen wichtig, aber wir haben dafür abstimmen. Wer den übrigen Ziffern seine Zustim- auch eine Mitverantwortung und die wollen wir, mung geben möchte, den bitte ich jetzt um das glaube ich, alle gemeinsam gern wahrnehmen. – Handzeichen. Herzlichen Dank! (Dafür CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE (Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) LINKE)

Präsident Imhoff: Weitere Wortmeldungen liegen Ich bitte um die Gegenprobe. nicht vor. (Dagegen M.R.F., Abgeordneter Jürgewitz [AfD]) Die Beratung ist geschossen. Enthaltungen? Wir kommen zur Abstimmung. (FDP) Ich lasse zunächst über den Antrag der Fraktionen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt mit der Drucksachennummer 20/514 abstimmen. den übrigen Ziffern des Antrags zu. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Zum Schluss lasse ich über den Antrag der Fraktion der FDP mit der Drucksachennummer 20/609 ab- (Dafür SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, stimmen. Wer diesem Antrag seine Zustimmung CDU) geben möchte, den bitte ich jetzt um das Handzei- chen. Ich bitte um die Gegenprobe. (Dafür FDP) (Dagegen FDP, M.R.F., Abgeordneter Jürgewitz [AfD]) Ich bitte um die Gegenprobe.

Stimmenthaltungen? (Dagegen SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, M.R.F., Abgeordneter Jürgewitz [AfD]) Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt dem Antrag zu. Enthaltungen?

Nun lasse ich über den Antrag der Fraktion der (CDU) CDU mit der Drucksachennummer 20/536 abstim- men. Hier ist getrennte Abstimmung beantragt Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den worden. Ich lasse zunächst über die Ziffern 1,3,5 Antrag ab. und 8 des Antrags abstimmen. Wer den Ziffern Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1871

Forschung zeitgemäß gestalten, Arbeitsplätze er- Jeder technische Vorsprung für saubere Schiffe, für halten: Ein nachhaltiger Neubau der Polarstern einen sauberen Schiffsbetrieb ist ein Dienst an der Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen, Umwelt und dient der Erhaltung unserer aller Le- der SPD und DIE LINKE bensgrundlage. vom 9. September 2020 (Drucksache 20/606) (Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Staatsrat Unser Antrag fordert nicht nur eine nachhaltige Cordßen. Bauweise, sondern auch, den Bau von Forschungs- schiffen als Schlüsseltechnologie zu definieren. Die Beratung ist eröffnet. Bisher gilt diese Definition nur für Marineschiffe und das ist völlig unverständlich. Der Neubau von Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete klimafreundlicher Antriebstechnik von For- Frau Dr. Eschen. schungsschiffen generell birgt enormes Innovati- onspotenzial. Nachhaltigkeitsstandards beim Bau Abgeordnete Dr. Eschen (Bündnis 90/Die Grü- der Polarstern strahlen definitiv auch auf andere nen): Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Wirtschaftsbereiche aus und sind damit Schlüssel- Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich sehr, hier technologie für den Forschungsstandort Deutsch- heute für einen Antrag zu werben, in dem es um land und für verstärkten Klimaschutz. den Neubau der Polarstern geht, dem Forschungs- schiff des Alfred-Wegener-Instituts in Bremer- (Beifall Bündnis 90/Die Grünen) haven. Wir fordern hier heute den Senat auf, sich auf Bundesebene für einen schnellstmöglichen und Was wir uns wünschen, ist eine Vergabe nach Bre- nachhaltigen Neubau der Polarstern einzusetzen. merhaven. Die Vorteile davon liegen auf der Hand. Mehr Nachhaltigkeit im Schiffsbau ist natürlich Die ansässige Lloyd Werft hat das Know-how und ganz allgemein ein Ziel, bei der Polarstern erst kann sich direkt vor Ort mit dem Alfred-Wegener- recht. Es geht um moderne Antriebstechnik, es Institut abstimmen. Gleichzeitig werden gerade in geht um neueste Filtertechnologie, es soll geprüft diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten die Ar- werden, ob auch neue Dinge wie Hybridantriebe beitsplätze der Werft auf Jahre gesichert. Hierbei aus Flüssiggas, elektrische Antriebstechnik, wind- müssen wir aber auch ehrlich sein: Es darf nicht unterstützte Antriebe und so weiter künftig genutzt verschwiegen werden, dass eine Vergabe nach werden können. Bremerhaven im Verbund mit Mecklenburg-Vor- pommern zwar unser Anliegen ist, es dafür aber Zudem müssen auf jeden Fall alle technisch mögli- keine Garantie gibt. Das gehört zur Ehrlichkeit chen Vorkehrungen getroffen werden, um den An- dazu. So sehr wir das auch wollen – es ist möglich, trieb zu einem späteren Zeitpunkt umrüsten zu dass die Rechtslage hinsichtlich des Gesetzes ge- können, wenn es neue Entwicklungen gibt. Denn gen Wettbewerbsbeschränkungen dem entgegen- ich muss Sie heute fragen: Welches Schiff, wenn steht. Doch so oder so, für uns ist völlig klar: Wir nicht die Polarstern 2, ist prädestiniert dafür, eine wollen uns definitiv für eine Definition als Schlüs- Ikone der Nachhaltigkeit zu werden? seltechnologie und für eine Vergabe nach Bremer- haven einsetzen. (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD) (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD) Ich glaube, wir sind uns einig: Wir sprechen hier nicht über irgendein Schiff, wir sprechen über das Ich möchte also noch einmal zusammenfassen: Was deutsche Forschungsschiff schlechthin. Die Polar- wollen wir? Wir wollen Nachhaltigkeit, wir wollen, stern hat eine Strahlkraft weit über Bremerhaven, dass es jetzt schnell geht, wir wollen die Schlüssel- über Bremen hinaus, weit über Deutschland hin- technologie, wir wollen die Vergabe nach Bremer- aus. Das muss auch bei der Polarstern 2 so bleiben. haven! Lassen wir sie vom Stapel laufen, unsere Po- Weder in der Wissenschaft noch in der Bevölke- larstern 2 als Ikone der Nachhaltigkeit und als rung ist vermittelbar, dass Forscher ihre Arbeiten Symbol für den Aufschwung der Werften. zum Klimawandel nicht unter möglichst umwelt- freundlichen Bedingungen durchführen können. (Beifall Bündnis 90/Die Grünen) Natürlich ist eine nachhaltige Bauweise zunächst teurer als eine konventionelle, dies zahlt sich aber aus wie letztendlich jede Klimaschutzmaßnahme. 1872 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Das ist der Bund, nach dem Vergabefiasko im Früh- (Vizepräsidentin Grotheer übernimmt den Vorsitz.) jahr, dem Alfred-Wegener-Institut, der Polarfor- schung und unserem Standort schuldig. – Vielen Stattdessen sind wir der Meinung, dass man im Dank! Ausschreibungsverfahren erhebliche Veränderun- gen vornehmen müsste, um den engen Zeitplan (Beifall Bündnis 90/Die Grünen) noch einzuhalten. Es muss also mindestens ein be- schleunigtes Ausschreibungsverfahren durchge- Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin hat das führt werden. Noch besser wäre eine Direkt- Wort die Abgeordnete Frau Strunge. vergabe. Für die Direktvergabe müsste der Bau von Forschungsschiffen allerdings als Schlüsseltechno- Abgeordnete Strunge (DIE LINKE): Sehr geehrter logie definiert werden, und das geschieht bisher Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das For- nur bei der Militärtechnik. Der Bau eines Schiffes schungsschiff Polarstern fährt bereits seit 1982 über zur Erforschung des Klimawandels erscheint mir die Weltmeere und hat sich in dieser Zeit zu einer aber für die Zukunft des Landes angesichts der of- weltweit hoch anerkannten Einrichtung der Polar- fensichtlichen Klimakrise erheblich wesentlicher und Klimaforschung entwickelt. Mit seinem Stand- zu sein als Waffen- und Militärtechnik. ort in Bremerhaven und seiner Zuordnung zum Alf- red-Wegener-Institut ist das Schiff ein wesentlicher (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) Stützpfeiler der lokalen Forschungslandschaft. Es prägt die hiesige Meeresforschung und hat einen Dass sich die Bundesregierung hier bisher weigert, erheblichen Anteil an der herausragenden For- eine Direktvergabe bei Forschungsschiffen zu er- schung im Land Bremen in diesem Bereich. In Zei- möglichen, halten wir angesichts der Bedeutung ten des Klimawandels ist diese Forschung, die mit des Projekts der Polarstern 2 für nicht hinnehmbar. Hilfe der Polarstern betrieben wird, unverzichtbar, Egal, ob es am Ende über die Direktvergabe oder um die Phänomene des Klimawandels zu verstehen in einem beschleunigten Ausschreibungsverfahren und die absolute Dringlichkeit für eine neue sein wird, optimalerweise würde die neue Polar- Klimapolitik wissenschaftlich zu fundieren. stern auf Werften in Bremerhaven und in Mecklen- burg-Vorpommern gebaut werden. Hier und an der (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) Ostsee sind das Know-how und die Kapazitäten vorhanden. Angesichts des Einbruchs der Wirt- Seit Längerem ist jedoch absehbar, dass die Polar- schaft aufgrund der Coronapandemie wäre dieser stern nicht mehr lange fahren können wird, denn Auftrag des Bundes wesentlich, um die Werften bereits im Jahr 2010 empfahl der Wissenschaftsrat und die damit verbundenen Arbeitsplätze zu stabi- den Neubau, denn länger als bis zum Jahr 2027 lisieren. wird das Schiff wohl nicht betrieben werden kön- nen. Die Zeit, bis eine Polarstern 2 fertiggestellt Wir begrüßen daher ausdrücklich das gemeinsame sein muss, drängt also. Daher ist es höchst proble- Engagement unseres Bürgermeisters Herrn Dr. matisch, dass ein erstes Ausschreibungsverfahren Bovenschulte und seiner Amtskollegin Frau zum Neubau von der Bundesregierung ohne Er- Schwesig aus Mecklenburg-Vorpommern, diesen gebnis abgebrochen wurde. Damit ist der gesamte Auftrag für die Werften der beiden Bundesländer Zeitplan außer Kraft und der Neubau bis 2027 ist zu sichern. Wir möchten diesen Neubau aber auch ungesichert. nutzen, um neue Technologien für mehr Nachhal- tigkeit in der Schifffahrt auszuprobieren und einzu- Es besteht also die Gefahr, dass diese extrem wich- setzen. tige Forschungsaktivität unterbrochen werden muss. Deswegen ist es dringend erforderlich, jetzt Optimalerweise würde die Polarstern schon mit ei- schnell und zielgerichtet zu handeln. Die Bundes- nem klimaneutralen Antrieb ausgestattet werden. regierung erweckt derzeit aber leider nicht den Sie müsste aber mindestens später in dieser Weise Eindruck, dass sie dieses Projekt mit dem gebote- umgerüstet werden. Dieses Element in die öffentli- nen Nachdruck verfolgt. Genau hier setzt deshalb che Auftragsvergabe mit aufzunehmen wäre ein unser Antrag an. Wir möchten als Koalition auf wichtiges Signal für die klimaneutrale Weiterent- Bundesebene dafür sorgen, dass endlich das not- wicklung des Schiffsbaus. Wir fordern die Bundes- wendige Tempo in diesen Prozess kommt. Dafür regierung auf, jetzt endlich konsequent und mit al- reicht es aber nicht aus, jetzt einfach das Ausschrei- lem Nachdruck zu handeln, damit dem Neubau der bungsverfahren zu wiederholen. Polarstern 2 nichts im Wege steht. – Herzlichen Dank! Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1873

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) Zudem haben wir etablierte Zulieferstrukturen in den Häfen verankert und bereits durch die Polar- Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin stern und die damit verbundenen Wartungsarbei- hat die Abgeordnete Frau Brünjes das Wort. ten hat sich hierbei ein breites Wissen und Know- how rund um die Bedürfnisse von solch einem Abgeordnete Brünjes (SPD): Sehr geehrte Frau Schiff etabliert. Nirgendwo sonst bündeln sich ma- Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Was ritime Expertisen auf den Werften mit hochkaräti- haben das Alfred-Wegener-Institut, AWI, und un- ger Wissenschaft in diesem Ausmaß. Die Polarstern sere Werften gemeinsam? Richtig, beide sind aus 2 muss auch in Bremerhaven gebaut und der Bau Bremerhaven nicht wegzudenken und beide soll- von Forschungsschiffen als Schlüsseltechnologie ten profitieren, wenn ein neues Forschungsschiff anerkannt werden. Alles andere wäre ein schwerer gebaut wird. Genau dies ist nun der Fall. Die Polar- Fehler. – Vielen Dank! stern, das weltweit bekannte Forschungsschiff, das aus zahlreichen Forschungsmissionen herausra- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) gende wissenschaftliche Erkenntnisse in unseren Heimathafen eingefahren hat, ist nun in die Jahre Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin gekommen. Um weitere Spitzenforschungen auf hat das Wort die Abgeordnete Frau Grobien. hohem Niveau betreiben zu können, müssen wir am Zahn der Zeit bleiben. Wir brauchen eine Po- Abgeordnete Grobien (CDU): Frau Präsidentin, larstern 2 und dafür benötigen wir Folgendes: meine sehr geehrten Damen und Herren! Um es di- rekt vorwegzunehmen, wir werden Ihrem Antrag Erstens: Ein klares Bekenntnis und Handeln der heute zustimmen, weil unsere Auffassung ist, dass Bundesministerin für Bildung und Forschung, wir ein ganz deutliches und starkes Signal von hier Frau Karliczek. aussenden wollen und dass es in unser aller Inte- resse ist, dass für die Polarstern 2 möglichst zügig (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen) der Auftrag vergeben werden kann und sie auch rechtzeitig fertig wird. Jüngst, im Frühjahr 2020, wurde das Ausschrei- bungsverfahren abgebrochen; Unsicherheiten be- (Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE züglich des Neubaus sind dadurch entstanden. Ein LINKE) fatales Signal für die Zukunft der Spitzenforschung im Bereich Klima und Umwelt. Wir haben aber natürlich ein paar andere Argu- mente dafür, als hier jetzt schon von den Kollegin- Zweitens: Neueste Technologien sollten vor allem nen und Kollegen vorgebracht wurde. nachhaltig ausgerichtet sein, vom Antrieb bis zu den Filtern wollen wir unserer Klimaforschung alle Wir alle wissen – das ist auch schon gesagt worden Ehre machen und mit unserem Schiff selbst den –, seit 38 Jahren ist die Polarstern das Symbol der Klimaschutz leben. In diesen sensiblen Polarregio- Polar- und Meeresforschung und sie leistet einen nen wollen wir durch unsere Forschung schließlich besonders bedeutenden Beitrag zur Klimafor- helfen, Klimawandel zu bekämpfen und von daher schung. Es wird dringend ein neues Schiff benötigt, auch selbst emissionsarm unterwegs sein. Prüfen und wie wir auch alle wissen, ist das Ausschrei- wollen wir daher umweltschonende Antriebstech- bungsverfahren, das schon über einen sehr langen niken, zum Beispiel elektrische Hybride oder sol- Zeitraum gelaufen ist, im Februar 2020 unterbro- che mit Brennstoffzellen. chen worden.

Drittens: Den Forschungsschiffbau als Schlüssel- In der politischen Diskussion der letzten Monate technologie erklären. Um die Beschäftigung und wurde immer wieder die Forderung erhoben, dass wichtige Arbeitsplätze mit den Fachkräften auf un- die Bundesregierung den Auftrag zum Neubau des seren Werften zu sichern, brauchen wir eine Di- Schiffes an deutsche Werften vergeben soll. Ich rektvergabe an den Schiffsbaustandort. Unsere möchte hier unmissverständlich klarstellen: Auch Bremerhavener Häfen sind das Rückgrat unserer die CDU in Bremen wünscht sich natürlich, dass Wirtschaft und für entsprechende Aufträge hervor- der Neubau in den Ländern Bremen und Mecklen- ragend geeignet. Unsere Arbeitskräfte auf den burg-Vorpommern stattfindet. Wir alle wissen, dass Werften haben zudem die maritime Kompetenz für die Zahl der Aufträge im Schiffbau nun einmal diesen komplexen Schiffsbau. auch coronabedingt erheblich zurückgegangen ist 1874 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

und das alleine eine große Gefahr für den Schiffs- Es gibt aber auch von der Bundestagsfraktion der baustandort Deutschland ist. CDU/CSU und der SPD einen Antrag, nämlich aus Juni 2020, „Rettung der deutschen Schiffbauin- Ein öffentlicher Auftrag wie der Bau der Polarstern dustrie“, und da wird bereits dafür plädiert, eine 2 mit einem Auftragsvolumen von circa 890 Millio- europarechtskonforme Vergabe der öffentlichen nen Euro könnte da natürlich auch die Werftsitua- Aufträge für den Bau von Behörden- und For- tion in Deutschland stabilisieren und wäre für alle, schungsschiffen an deutsche Werften zu prüfen für das AWI und die Werften, eine Win-win-Situa- und bei der Beschaffung solcher Schiffe verstärkt tion. Insofern teilen wir die politischen Ziele des Klima-, Umwelt- und sozialpolitische Aspekte zu Koalitionsantrags, aber der Antrag hat nun einmal fordern. leider rechtliche Schwächen. (Abgeordneter Bücking [Bündnis 90/Die Grünen]: In dem Vortext wird suggeriert, dass die Erklärung Bravo!) des Baus von Forschungsschiffen zu industrieller Schlüsseltechnologie eine Direktvergabe an deut- Die Bundesministerin für Bildung und Forschung, sche Werften ermöglichen würde. Diese Argumen- Frau Karliczek, hat an der Spitze schon massive tation ist leider nicht richtig. Das geplante Volumen Unterstützung allein in der Vorbereitung der neuen des Auftrages zum Bau der Polarstern 2 in Höhe Ausschreibung geleistet. Sie hat zusätzlich 20 neue von mehr als 800 Millionen Euro überschreitet die Stellen in dem Referat geschaffen, um auch von der geltenden EU-Schwellenwerte und aus diesem Seite der Regierung alles zu tun, weil auch allen Grund ist eine europäische Ausschreibung für den und nicht nur uns Bremern, glaube ich, klar ist, dass Bau der Polarstern rechtlich zwingend und erfor- diese Polarstern schnell auf Kiel gelegt wird. derlich. In diesem Sinne werden wir den Antrag der Koali- Im deutschen Gesetz gegen Wettbewerbsbe- tion und unsere gemeinsame, hier schon so häufig schränkungen findet man zwar Ausnahmeregelun- betonte Zielsetzung, trotz der Schwächen in die- gen im Zusammenhang mit Schlüsseltechnologien, sem Antrag, die übrigens auch Frau Professor Boe- diese Ausnahmen – und auch das kam schon vor – tius erkannt hat, – –. Uns ist wichtig, dass wir hier beziehen sich aber lediglich auf sicherheits- und heute das gemeinsame Signal aussenden. – Vielen verteidigungsrelevante Schlüsseltechnologien. Im Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Vergaberecht der Europäischen Union – und das ist das Entscheidende – gibt es keine pauschale Aus- (Beifall CDU) nahme für den Bau von Forschungs- und Behör- denschiffen. Insofern wird Ihr Beschlusspunkt Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner hat Nummer vier auch nicht zum Erfolg führen. der Abgeordnete Herr Dr. Buhlert das Wort.

Aus den oben genannten Gründen ist auch der Abgeordneter Dr. Buhlert (FDP): Sehr geehrte Punkt drei nicht ganz korrekt. Da es sich hier aber Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Auf eher um einen Prüfauftrag handelt, bleiben wir die Bedeutung der Polarstern für die Klimafor- auch in diesem Fall bei unserer Zustimmung. Wir schung ist schon hingewiesen worden. Die Polar- alle sind nämlich an einer schnellstmöglichen stern ist ein entscheidender Baustein für die Arbeit Vergabe interessiert, weil wir alle wissen, dass ei- des Alfred-Wegener-Instituts und es darf auch gentlich ab 2027 ein neues Schiff zur Verfügung keine Lücke in der Aktivität des Forschungsschiffes stehen muss. geben, weil die Forschung hinsichtlich des Klima- wandels, hinsichtlich der Lebensräume in der Ark- Nun ist die Bundesregierung ja so viel gescholten tis und der Antarktis so essentiell für uns, für das worden, dagegen muss ich jetzt doch etwas sagen: Begreifen dieses Planeten ist, dass wir uns ihr wid- Erst einmal sind hier die Maßnahmen aus dem men müssen und hierfür alle Anstrengungen wert Konjunkturpaket der Bundesregierung zu nennen, sind. wonach der Bau der Behördenschiffe vorgezogen werden soll und ein neues Sofortprogramm „Sau- Wir erinnern uns an die diesjährige Forschungsex- bere Schiffe“ aufgelegt wird. Frau Dr. Eschen hat pedition, die die Polarstern einen polaren Winter ja auf die Nachhaltigkeit und die besondere Art über den Nordpol führte. Sicherlich ist uns allen dieses so ökologischen Schiffes schon hingewiesen, das Eisbärenbild, das zum Pressefoto wurde und auch wenn das im ersten Schritt so gar nicht um- das auch ausgezeichnet wurde, in Erinnerung. Es setzbar ist. ist diese Polarstern, die der entscheidende Baustein Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1875

ist und deswegen brauchen wir ein neues For- und da hören wir schon, dass das alles Antriebe schungsschiff. Deswegen haben wir als FDP-Frak- sind, die es noch nicht gibt, die im Forschungs- und tion schon im Februar danach gefragt, als die Aus- Entwicklungsstadium sind. Das heißt auch, dass schreibung zu scheitern drohte und letztlich dann wir dringend in die Vergabe kommen müssen, da- auch gescheitert ist, weil es schnellstmöglich ge- mit die Forschung realisiert werden kann. schafft werden muss, dass wir weiterhin ein For- schungsschiff haben. So ein Schiff auf Kiel zu legen Ich weiß nur von wenigen Werften, die überhaupt ist das eine, auszuschreiben das andere und am über Methanol-Antriebe nachdenken, also Metha- Ende dauert es eben seine Zeit eines zu bauen. Es nol, mit aus Windkraft gewonnenem Wasserstoff. muss zeitlich in die Planungen der Werften passen Aber genau das sind die Antriebe, die wir in Zu- und muss dann realisiert werden. kunft brauchen werden, wo wir dann auch mit sol- chen Schiffen hingelangen müssen und bei denen Es geht für uns mit diesem Antrag darum, hier aus auch die Energiedichte gegeben ist, um solche der Bremischen Bürgerschaft ein Zeichen zu sen- Leistungen, die ein Eisbrecher benötigt zu erhal- den, dass wir das unterstützen, dass wir das wollen ten, damit auch die Versorgung über die langen und dass wir vom Bund erwarten, dass er tätig wird Zeiträume sichergestellt werden kann. Wir haben und zügig handelt. Insofern haben wir als Freie De- diese einjährige Expedition gesehen, während der mokraten die Frage, ob es denn wettbewerbsrecht- natürlich auch nicht beliebig Treibstoff oder Ener- lich auch so möglich ist, was hier suggeriert wird. gie nachgehalten werden kann. Es muss also ent- Frau Dr. Eschen habe ich so wahrgenommen und sprechend gebaut werden. auch Frau Grobien. Natürlich gibt es diese Zweifel, aber die Aussage lautet: Wir erkennen an, dass das Meine Damen und Herren, wir Freien Demokraten ein besonderes Schiff ist und wir wollen, dass das unterstützen den Antrag voll und ganz, weil wir betrachtet wird und wir wollen am Ende, dass der wissen, wie wichtig die Polarstern für die Klimafor- schnellstmögliche Weg – und in diesem Wort ste- schung und für den Forschungsstandort Bremen cken ja schnell und möglich – gewählt wird, um und Bremerhaven ist. Deswegen herzlichen Dank dieses Schiff zu vergeben, denn eine Unterbre- für die Initiative hier, bevor ich mich in weiteren chung können wir uns nicht wünschen. Details zu Antrieben verliere. – Herzlichen Dank!

Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Debatte ist die (Beifall FDP, Bündnis 90/Die Grünen) Nachhaltigkeit des Schiffsantriebes. Da kann ich nur sagen, auch das unterstützen wir Freien Demo- Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner hat kraten. Wo, wenn nicht in der Arktis sollten Schiffe das Wort Herr Staatsrat Cordßen. mit entsprechenden Antrieben fahren. Es ist doch so, dass in dem MARPOL-Abkommen schon heute Staatsrat Cordßen: Sehr geehrte Frau Präsidentin, definiert ist, dass die Arktis nur mit entsprechender meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Neu- Abgastechnik befahren werden soll, weil sie ein so bau eines Forschungseisbrechers ist für jedes Land schützenswerter Raum ist. Der Bund fördert das ja eine große Herausforderung, das sich einer solchen auch bei anderen Schiffen, nachhaltige Antriebe zu Aufgabe widmet. Im Falle des Neubaus der Polar- installieren, sodass der Bund mit den Schiffen, die stern, dem Flaggschiff der deutschen Forschungs- er selbst in Auftrag gibt, auch vorangehen und flotte – das ist eben von allen unterstrichen worden nachhaltige Antriebe realisieren lassen sollte. – gilt dies in besonderem Maße, denn der Ruf, den das jetzige Schiff innerhalb der weltweiten wissen- Natürlich kann man über Vieles diskutieren, aber schaftlichen Gemeinschaft genießt, ist einzigartig. am Ende kommt es bei diesen Antrieben nicht da- Wissenschaftler in aller Welt schwärmen von den rauf an, dass sie nur nachhaltig genannt werden, vielfältigen Einsatzmöglichkeiten und der Zuver- sondern dass sie es auch sind und die Leistung er- lässigkeit des Schiffes. bringen, die so ein Eisbrecher braucht. Wer über Batterien und elektrische Schiffe nachdenkt, dem Wir können wahrhaftig stolz darauf sein, dass die- muss ich sagen, dieses Schiff bestünde dann nur ses Schiff seinen Heimathafen in der Seestadt Bre- aus Batterie aber wenig anderem, weil einfach die merhaven hat. Die Polarstern trägt maßgeblich zum Energiedichte nicht gegeben ist. internationalen Renommee des Wissenschaftsstan- dortes Bremen und Bremerhaven bei und prägt un- Wir werden daher bei den Antrieben schon über ser Profil als weltweit hoch anerkannter Standort Dinge wie Wasserstoff, synthetische Kraftstoffe o- für Spitzenforschung in den Polar- und Meereswis- der über grünes Methanol nachdenken müssen senschaften. 1876 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Lassen Sie mich gleich zu Beginn betonen, dass die der Vergabe beauftragt worden und dies ist aus- Finanzierung des Neubaus der Polarstern – aber drücklich zu begrüßen, denn nur dort liegt die hohe auch das ist in den Redebeiträgen deutlich gewor- technische Expertise, das wissenschaftliche Know- den – ausschließlich durch die Bundesrepublik how und, nicht zu vergessen, auch die Erfahrung Deutschland erfolgt. Der Haushalt unseres Bundes- aus fast 38 Jahren Betrieb des Forschungseisbre- landes wird somit durch einen Neubau nicht belas- chers. tet. Das ist die gute Nachricht, aber aus genau die- sem Grund können wir aus bremischer Sicht nun Das BMBF hat sich außerdem verpflichtet, das AWI einmal zunächst auch nur Wünsche und Anregun- in die Lage zu versetzen, ein, ich zitiere, „leistungs- gen formulieren. Wir können uns für einen fähiges, wirtschaftliches und der international be- schnellstmöglichen Neubau der Polarstern unter achteten Stellung Deutschlands in der Polar- und der Berücksichtigung von bestimmten Qualitätskri- Klimaforschung entsprechendes Nachfolgeschiff terien einsetzen und das tun wir auch, die Entschei- rechtzeitig zu beschaffen“. Das AWI ist in diesem dungen für die Vergabe und den Bau werden dann Zusammenhang vom Bund gebeten worden, in allerdings auf Bundesebene getroffen. dem neuen Vergabeverfahren einen noch stärke- ren Fokus auf zusätzlich tiefgreifende, qualitative Trotzdem ist der hier vorliegende Antrag der Re- Zuschlagskriterien zu legen. Ich interpretiere diese gierungsfraktionen zu unterstützen und wir sind Aussage im Sinne des heute zu diskutierenden An- auch sehr erfreut, dass er diesen breiten Zuspruch trags und freue mich, dass es hier offensichtlich findet, folgt er doch der Intention des gemeinsamen breite inhaltliche Kongruenzen zwischen den Ab- Schreibens des Präsidenten des Senats und der Mi- sichten des Bundes und denen des Landes Bremen nisterpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern gibt. aus dem Juli 2020 an die Bundesregierung. In dem wurde bereits auf die Dringlichkeit des Neubaus Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum hingewiesen, denn – und auch das ist eben schon Abschluss noch einmal betonen: Dem Senat ist die betont worden – die Polarstern wird ab dem Jahr enorme Relevanz des Neubaus der Polarstern 2 so- 2027 nicht mehr für den Forschungsbetrieb zur wohl für unser Bundesland als auch für die gesamte Verfügung stehen. deutsche und internationale Klima- und Polarfor- schung bewusst. Ich kann Ihnen versichern, dass In Ihrer Antwort vom 23. Juli 2020 hat die Bundes- der Senat sich weiterhin mit aller Kraft im Sinne des ministerin Karliczek folgende grundsätzliche Aus- hier vorliegenden Antrags einsetzen wird. – Vielen sage getroffen, ich zitiere: „Es steht außer Frage, Dank! dass ein Nachfolgeschiff für die Polarstern im Inte- resse der deutschen Wissenschaft gebaut wird.“ (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Das, meine Damen und Herren, ist eine wichtige Positionierung, denn auch im Hause der Bundesmi- Vizepräsidentin Grotheer: Weitere Wortmeldun- nisterin dürfte es bekannt sein, dass die Zeit für die gen liegen nicht vor. Planung und die Ausschreibung langsam knapp wird. Allerdings weist die Bundesministerin in ihrer Die Beratung ist geschlossen. Antwort auch auf das bestehende europäische Vergaberecht sowie auf die Berücksichtigung der Wir kommen zur Abstimmung. notwendigen Wirtschaftlichkeitskriterien im Vergabeverfahren hin. Ausnahmetatbestände Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben durch nationale Gesetzgeber werden hier nach möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Aussage der Bundesministerin ausgeschlossen. Wir sehen also, im Sinne des Antrags ist hier bei der (Dafür CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE Bundesregierung noch einiges an Überzeugungs- LINKE, FDP, Abgeordneter Jürgewitz [AfD], Ab- arbeit zu leisten. geordneter Timke [BIW])

Der Neubau der Polarstern wird nun bereits über Ich bitte um die Gegenprobe. viele Jahre hinweg vorbereitet. Es ist höchst bedau- erlich, dass das erste Vergabeverfahren im Februar Stimmenthaltungen? dieses Jahres durch das BMBF aus rechtlichen Gründen aufgehoben wurde. Mittlerweile ist das (M.R.F.) Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven selbst mit Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1877

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt auf freiwilliger Basis und bedarfsgerechte medizi- dem Antrag zu. nische Angebote in den Vordergrund rücken.

Meine Damen und Herren, wir treten jetzt in eine (Beifall DIE LINKE) Mittagspause bis 14:40 Uhr ein. Ich unterbreche bis dahin die Sitzung. – Vielen Dank! In dieser Frage sind wir uns unter anderem mit den Frauen rund um das Bremer Frauen*streik-Bünd- (Unterbrechung der Sitzung 13:10 Uhr) nis einig, die am 28. September mit einer Kundge- bung am sogenannten Safe Abortion Day genau  dafür kämpfen.

Vizepräsidentin Grotheer eröffnet die Sitzung wie- In dem vorliegenden Antrag „Schwangerschafts- der um 14:40 Uhr. abbrüche: Ausbildung verbessern, Zugang erleich- tern“ konzentrieren wir uns aber auf einige Stell- Vizepräsidentin Grotheer: Die unterbrochene Sit- schrauben, um die Versorgung für die mehr als zung der Bürgerschaft (Landtag) ist wieder eröff- 2 000 Frauen, die jährlich im Land Bremen einen net. Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen, end- lich zu verbessern. Bereits Ende 2017 hatte die Bre- Wir setzen die Tagesordnung fort. mische Bürgerschaft in einem Beschluss die Strei- chung des § 219a gefordert, in dem Ärzt*innen für Schwangerschaftsabbrüche: Ausbildung verbes- die angebliche Werbung für einen Schwanger- sern, Zugang erleichtern schaftsabbruch kriminalisiert werden. Nach einer Antrag der Fraktionen DIE LINKE, Bündnis in unseren Augen völlig unzureichenden Ände- 90/Die Grünen und der SPD rung dieses Paragrafen im vergangenen Jahr er- vom 30. Juni 2020 neuern wir diese Forderung. Dies halten wir auch (Drucksache 20/522) deshalb für nötig, um die betreffenden Ärzt*innen aus der Schusslinie radikaler Abtreibungsgeg- Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin ner*innen zu nehmen. Wie dringend dies ist, zei- Bernhard. gen nicht nur die Vorgänge um Kristina Hänel, die im August zum Glück erfolgreich gegen einen Die Beratung ist eröffnet. komplett unsäglichen Holocaust-Vergleich klagte.

Als erste Rednerin hat die Abgeordnete Frau Tege- Vor dem Hintergrund derartiger Stimmungsmache ler das Wort. und der repressiven Gesetze ist es leider nicht ver- wunderlich, dass bundesweit nur noch etwa 1 200 Abgeordnete Tegeler (DIE LINKE): Sehr geehrte Ärzt*innen in diesem Bereich tätig sind, Tendenz Frau Präsidentin, liebe Kolleg*innen! Wenn wir sinkend. Auch im Land Bremen ist es da recht hier und heute mal wieder über Schwangerschafts- dünn. Am Medizinischen Zentrum von pro familia, abbrüche diskutieren, geht es eigentlich um nicht wo der größte Teil der Abbrüche vorgenommen weniger als um das Selbstbestimmungsrecht der wird, sind maximal zwei Ärzt*innen tätig. In Bre- Frauen über ihren eigenen Körper. Mich langweilt merhaven ist die Versorgung zeitweise leider gar ehrlich gesagt, dass es auch im Jahr 2020 trotz jahr- nicht gegeben, so nach unseren Informationen zehntelangem Einsatz unzähliger Feminist*innen auch im Moment nicht. Wir fordern den Senat dazu in dieser Sache immer noch Menschen gibt, die den auf, noch stärker darauf zu achten, wie eine woh- betreffenden Frauen aus fragwürdigen Gründen nortnahe Versorgung gewährleistet werden kann. dieses Selbstbestimmungsrecht absprechen wol- len. Die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrü- chen hat auch mehr oder weniger direkte Auswir- (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) kungen auf die Ausbildung von Ärzt*innen. Schwangerschaftsabbruchmethoden sind im Rah- Um es ganz klar zu sagen, heute und in Zukunft men der Mediziner*innenausbildung schlicht nicht setzen wir uns als DIE LINKE für die Streichung des vorgesehen. Wir setzen uns daher für ein Fortbil- § 218 ein. Wir wollen die Kriminalisierung von dungsprogramm zu Abbruchmethoden im Land Schwangerschaftsabbrüchen und die Beratungs- Bremen ein und fordern den Senat auf, sich dafür pflicht überwinden und stattdessen gute Beratung einzusetzen, dass dies auch im Rahmen der Ausbil- dung an Kliniken abgebildet wird. 1878 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) Berufsleben aus. Gleichzeitig werden an den Klini- ken, die eine Gynäkologie haben, nicht genügend Abbruchmethoden sollten in unseren Augen Ärztinnen und Ärzte ausgebildet. Dass Schwanger- selbstverständlich Teil der gynäkologischen Fach- schaftsabbrüche als Straftat gewertet und andau- ärzt*innenausbildung sein. ernde Diskussionen darüber instrumentalisiert und teils medial ausgeschlachtet werden, mag einen (Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen) abschreckenden Effekt auf junge Ärztinnen und Ärzte haben. Wenn Studierende in ihrer Ausbil- In einigen Nachbarländern, insbesondere in Polen, dung nicht hinlänglich darauf vorbereitet werden, ist die Situation für Frauen, die sich nach reiflicher gibt es folglich auch nicht genügend Ärztinnen und Überlegung zu einem Abbruch entschieden haben, Ärzte, die einen Schwangerschaftsabbruch durch- noch deutlich prekärer. Wir möchten ein Zeichen führen können. der Solidarität mit diesen Frauen aussenden und sprechen uns daher dafür aus, zu prüfen, inwieweit Also müssen wir doch dafür sorgen, dass im prakti- mit der Europäischen Krankenversicherungskarte schen Teil der gynäkologischen Ausbildung EU-Ausländer*innen der Zugang zu medizini- Schwangerschaftsabbrüche gelehrt werden. Das schen Angeboten hierzulande ermöglicht werden können wir in Bremen durchaus machen. In der kann. Ausbildung der Ärztinnen und Ärzte fehlt auch die Varianz in den Methoden der Schwangerschaftsab- Ich bitte um Zustimmung zu dem vorliegenden An- brüche. Die Absaugmethode ist die am häufigsten trag! – Vielen Dank! angewandte Methode, aber es ist zum Beispiel auch ein medikamentöser Abbruch möglich. Daher (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) müssen wir dafür sorgen, dass es ein geeignetes Fortbildungsprogramm zu Schwangerschaftsab- Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin bruchmethoden für Ärztinnen und Ärzte gibt. erhält die Abgeordnete Frau Bredehorst das Wort. Zweitens ist der § 219a Strafgesetzbuch ein krimi- Abgeordnete Bredehorst (SPD): Sehr geehrte Frau nalisierender und entwürdigender Paragraf für Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es Ärztinnen und Ärzte, die bereit sind, Abtreibungen gibt in Deutschland kein widersprüchlicheres Ge- vorzunehmen, und dies auch anzeigen, wie zum setz als das zu Schwangerschaftsabbrüchen. Beispiel die Gießener Gynäkologin Frau Hänel. Grundsätzlich ist eine Abtreibung in § 218 des Dieser Paragraf muss weg. Punkt. Strafgesetzbuches eine Straftat und nur mit medi- zinischer und kriminologischer Indikation, also aus (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) gesundheitlichen Gründen ober bei Vergewalti- gung, und auf Grundlage der Beratungspflicht un- Drittens ist es nicht nur so, dass hier lebende ter bestimmten Bedingungen straffrei. Dass es die- Frauen zu wenig wohnortnahe Möglichkeiten ha- sen Paragrafen überhaupt noch gibt, ist eine Unge- ben, Schwangerschaftsabbrüche wahrzunehmen – heuerlichkeit. insbesondere in Bremerhaven ist die Beratungs- und Schwangerschaftsabbruchmöglichkeit prekär (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) –, nein, auch Frauen aus dem nahen ultrakonserva- tiven Ausland, vor allem aus Polen, müssen die Das muss man an dieser Stelle noch einmal beto- Möglichkeit erhalten, in Deutschland abzutreiben. nen. Ich fange jetzt aber keine Grundsatzdebatte Daher ist die Forderung gerechtfertigt, dringend ei- darüber an, denn mit den Konservativen unter uns nen erleichterten Zugang zu medizinischen Ein- ist keine Einigung in der Sache zu erzielen. Daher richtungen für EU-Bürgerinnen mit der Europäi- beschränke ich mich darauf, unseren Antrag zu be- schen Krankenversicherungskarte zu prüfen. raten, der in der Sache zwingend notwendig ist. Ich fasse noch einmal zusammen: Erstens wollen Was sind die Probleme? Erstens gibt es zu wenig wir den wohnortnahen Schwangerschaftsabbruch Kliniken, Ärzte und Ärztinnen im Land Bremen, die ermöglichen. Zweitens wollen wir ein Fortbil- einen Schwangerschaftsabbruch durchführen kön- dungsprogramm für Ärztinnen und Ärzte zu nen. Was sind die Gründe dafür? Die Gynäkologin- Schwangerschaftsabbruchmethoden. Drittens wol- nen und Gynäkologen, die Abtreibungen vorneh- len wir, dass im Rahmen der Ausbildung an Klini- men, werden immer älter und scheiden aus dem ken die Vornahme von Schwangerschaftsabbrü- Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1879

chen gelehrt wird. Viertens wollen wir, dass ge- Grenze der Belastbarkeit arbeiten und dringend prüft wird, inwieweit EU-Bürgerinnen mit der Eu- wohnortnah auf- und ausgebaut werden müssen. ropäischen Krankenversicherungskarte ein Zu- Wünschenswert wäre aus Bremerhavener Sicht gang zu medizinischen Einrichtungen gewährt zum Beispiel ein von pro familia betriebenes MVZ werden kann. Fünftens muss der Senat sich weiter- in Bremerhaven nach dem Beispiel Bremens, das hin für die Abschaffung des § 219a einsetzen. auch wir als CDU sehr begrüßen würden. Auch pro familia hat bereits Interesse für ein solches MVZ in Meine sehr verehrten Damen und Herren, stimmen Bremerhaven bekundet. Sie unserem Antrag zu und helfen Sie uns, Schwangerschaftsabbrüche zu entkriminalisieren. Zu Ihrem Antrag: Es ist tatsächlich der Fall, dass an Wir leben im Jahr 2020. – Vielen Dank! einigen Universitäten in Deutschland die Metho- den eines Schwangerschaftsabbruchs im Medizin- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) studium theoretisch gelehrt werden. Die praktische Ausbildung ist nicht Teil des Studiums, dafür sind Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin dann die jeweiligen Ärztekammern zuständig. Bre- hat das Wort die Abgeordnete Dertwinkel. men ist aber das einzige Bundesland, das keine Humanmediziner ausbildet. Ein Antrag der CDU, Abgeordnete Dertwinkel (CDU): Frau Präsidentin, die Machbarkeit der Einführung eines Humanme- liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Situation der dizinstudiums zu prüfen, wurde von Ihnen, meine Schwangeren- und gerade der Schwangerenkon- sehr geehrten Damen und Herren, abgelehnt. fliktberatung hat sich im Land Bremen in den letz- ten Jahren und auch seit der letzten Debatte zu die- Schade, denn gerade in einem Bremer Medizinstu- sem Thema hier in der Bürgerschaft noch einmal dium hätte man ein solches Fortbildungsprogramm verschlechtert. Gerade in Bremerhaven ist die Situ- beziehungsweise erst einmal die Ausbildung für in- ation besorgniserregend. Von den vormals zwei teressierte angehende Gynäkologinnen und Gynä- Medizinern, die Schwangerschaftsabbrüche vorge- kologen hervorragend implementieren können. nommen haben, nimmt momentan keiner mehr ei- nen Abbruch vor. Die schwangeren Frauen müssen (Beifall CDU) für einen Abbruch nach Bremen oder Niedersach- sen ausweichen. Das kann keine Dauerlösung sein, Allein eine Fortbildung ohne ganzheitliche Ausbil- das sehen wir auch so, und hier muss gehandelt dung anzubieten, macht aus unserer Sicht keinen werden. Sinn.

(Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE In Punkt drei Ihres Antrags fordern Sie zusätzlich LINKE) zu einem Fortbildungsprogramm, dass das Vorneh- men von Schwangerschaftsabbrüchen im Rahmen Die Beratungsstellen und medizinischen Ambulan- der Ausbildung an Kliniken gelehrt wird. Das ist zen für Schwangerschaftsabbrüche haben zudem aber erstens gerade in Bremen schwierig, da in den wegen der Coronakrise mit Einschränkungen zu Kliniken im Verhältnis zu anderen Bundesländern kämpfen. Frauen müssen mitunter mehrere Wo- nur wenige Abbrüche gemacht werden. Von den chen auf einen Termin warten. Seit Ende März fin- Abbrüchen, die in Bremen vorgenommen werden, det die Beratung bis auf Ausnahmefälle via Telefon wird eine Vielzahl nach der 14. Schwangerschafts- und Video-Chats statt. Die erforderlichen Bera- woche vorgenommen und zu diesem Zeitpunkt tungsscheine für einen Schwangerschaftsabbruch kann die sogenannte Absaugmethode – Frau werden dann digital verschickt. An dieser Stelle Bredehorst hat das gerade erörtert – nicht mehr an- möchte ich ein großes Lob an die Beratungsstellen gewendet werden. Der Fötus muss dann ausge- aussprechen, die so schnell und gut im Sinne der schabt oder medikamentös abgetötet und tot gebo- betroffenen Frauen reagiert haben. ren werden.

(Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE Zweitens ist die Durchführung eines Schwanger- LINKE) schaftsabbruchs eine ethisch-moralische Entschei- dung und an die Akzeptanz der Ärztinnen und Es ist aus unserer Sicht also ganz klar, dass die be- Ärzte gebunden, die oft noch fehlt. Durch Zufall stehenden Beratungsangebote, die Präventions- weiß ich gerade, wie ein Fötus in der 14. Schwan- strukturen, auch die medizinischen Ambulanzen gerschaftswoche aussieht, und kann deswegen im Land Bremen, gerade in Bremerhaven, an der wirklich gut verstehen, wenn Medizinerinnen und 1880 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Mediziner einen Abbruch nach der 14. Schwanger- Abgeordnete Wischhusen (FDP): Frau Präsidentin, schaftswoche aus ethischen und moralischen Grün- liebe Kolleginnen und Kollegen! Sich mit dem den nicht mehr vornehmen möchten. Thema Schwangerschaftsabbrüche zu beschäfti- gen, macht mich erst einmal sehr nachdenklich. Um trotzdem mehr Zuspruch unter den Ärzten zu Zunächst ist natürlich der gesellschaftliche Fort- erlangen, auf Bundesebene, und somit die Gesamt- schritt sehr zu begrüßen, der uns nämlich dahin ge- situation zu verbessern, planen das Gesundheits- führt hat, dass Frauen selbst über ihren Körper be- ministerium und die Bundesärztekammer zukünf- stimmen und frei, eigenverantwortlich Entschei- tig, die Beratungsgespräche mit Patientinnen stär- dungen treffen können. ker in der Medizinerausbildung zu verankern. Ge- spräche dazu wurden auch schon geführt. Das ist Doch bewegt sich der Abbruch gleichzeitig auch gut so, das sehen wir auch so, denn die Beratung immer in dem Spannungsverhältnis zur Verantwor- stellt in unseren Augen, anders als in Ihrem Antrag tung, nämlich für ein ungeborenes Leben. In den genannt, keine massive Einschränkung des Selbst- letzten zehn Jahren ist die Zahl der Schwanger- bestimmungsrechts dar, sondern ist im Vorfeld ei- schaftsabbrüche zwar gesunken, gleichwohl zeigt nes Abbruchs aus unserer Sicht essenziell. aber der Landesgesundheitsbericht 2019: Im Jahr 2016 kamen auf 1 000 Neugeborene 227 Schwan- (Beifall CDU) gerschaftsabbrüche bei Frauen, die ihren Wohnsitz im Land Bremen hatten. Damit sind wir hinter Ber- Zusätzlich soll dort für Ärztinnen und Ärzte, die lin leider tatsächlich Spitzenreiter unter den Bun- ihre Ausbildung bereits hinter sich haben, ein bes- desländern, und das seit Jahren. Dieses Ranking seres Angebot für freiwillige Fortbildung zur Ver- darf uns auf keinen Fall zufriedenstellen. fügung gestellt werden, wo es systematisch und ge- ographisch Sinn macht. Außerdem soll eine Leitli- (Beifall FDP – Abgeordnete Bredehorst [SPD]: Neh- nie für einen Schwangerschaftsabbruch in Anleh- men Sie doch die Zahlen von 2019!) nung an die der Weltgesundheitsorganisation erar- beitet werden. Am häufigsten werden in einer der wenigen Um- fragen zu dem Thema eine schwierige Partnersitu- Auf Bundesebene ist also gerade in den letzten vier ation genannt, danach folgen berufliche und finan- Wochen viel passiert und es wird viel dafür getan, zielle Unsicherheiten, gesundheitliche Bedenken die Situation ganzheitlich auf Bundesebene zu ver- und auch altersbezogene Gründe wie in einer Aus- bessern. Das begrüßen wir. Ihren Antrag lehnen bildung oder in einem Studium befindlich zu sein. wir jedoch ab, da wir nach wie vor den Beschluss- Es ist trotzdem erschreckend, wie selten begründet punkt Ihres Antrages, also die Abschaffung des medizinische Gründe zutrafen, denn wir reden hier § 219a, nicht teilen. Ebenso wenig können wir uns von gerade einmal circa vier Prozent. Teilen des Vortextes anschließen und letztlich habe ich ja auch einige Argumente gegen Ihre Forderun- Mich macht das Thema gerade deshalb besonders gen aufgezeigt – nachdenklich, weil die Mehrheit der Betroffenen zwischen 20 und 35 Jahre alt ist. Das ist doch ei- (Glocke) gentlich ein Alter, in dem wir von einer mehrheit- lich guten Aufklärung ausgehen können. Natürlich ich komme zum Schluss –, die nur Bremen betref- machen sich Frauen die Entscheidung nicht leicht fen und das Große und Ganze aus unserer Sicht und viele leiden darunter, aber wir sollten in Bre- nicht mit einbeziehen. men überlegen, ob uns diese Zahlen zufriedenstel- len können und ob wir in einer Gesellschaft, in der Es ist hoffentlich trotzdem deutlich geworden, dass wir einen sehr guten Zugang zu Verhütungsmitteln wir betroffenen Frauen selbstverständlich eine wie zu Kondomen im Supermarkt oder an Tankstel- wohnortnahe Beratung und medizinische Versor- len oder zu der rezeptfreien „Pille danach“ haben, gung, besonders in Bremerhaven und im Land Bre- mehr tun können und sollten. men, ermöglichen möchten. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit! Ich glaube, wir müssen auf der einen Seite Frauen in schwierigen Lagen stärken und wir müssen auf (Beifall CDU) der anderen Seite die Themen Verhütung und si- cherer Sexualverkehr durch Bildung und Aufklä- Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin rung noch stärker hervorheben. hat die Abgeordnete Frau Wischhusen das Wort. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1881

(Beifall FDP) Ansprechpartner und Anlaufstationen haben. Da- her stimmen wir auch den Punkten eins bis drei des Ungewollte Schwangerschaften sind nicht zu ver- Antrags der Koalition zu. hindern und Schwangerschaftsabbrüche sind und bleiben eine Option, die zu einem selbstbestimm- Was wir allerdings nicht gutheißen, ist der Schwan- ten Leben dazugehört. Die weiterhin hohe Anzahl gerschaftsabbruchstourismus, den wir befürchten, der Schwangerschaftsabbrüche ist aber, für mich wenn Punkt vier des Antrages verabschiedet wer- jedenfalls, sehr unbefriedigend. Deshalb finde ich den würde. , mit Grenze zu Polen, es auch unangemessen, dass die Koalition in ihrem verzeichnete im Jahr 2017 832 Frauen aus dem Antrag schreibt, dass die Beratungspflicht und die Ausland, die den Abbruch dort vorgenommen ha- dreitägige Wartezeit nach der Beratung zum Ab- ben. Wir wollen nicht, dass Schwangerschaftsab- bruch eine massive Einschränkung des Selbstbe- brüche in Deutschland im Ausland beworben wer- stimmungsrechts über den eigenen Körper dar- den. Dieser Punkt ist für uns daher nicht zu befür- stellt. Eine Schwangerschaft bedeutet nun einmal worten und wir werden diesen ablehnen. Ich bitte nicht nur Selbstbestimmung, sondern auch Verant- daher auch um getrennte Abstimmung. wortung gegenüber einem heranwachsenden Menschen. Wir haben auch innerhalb unserer Fraktion viel darüber diskutiert, und weil es ein sehr ethisches, (Beifall FDP, CDU) moralisches Thema ist, werden wir die Entschei- dung freigeben, wer wie abstimmt. – Vielen Dank! Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal an die vielen kinderlosen Paare erinnern, die sich belas- (Beifall FDP) tenden, teuren Behandlungen unterziehen müssen, um schwanger zu werden. Hier steht die Entschei- Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin dung immer noch aus, ob Bremen sich an den Kos- hat die Abgeordnete Frau Dr. Müller das Wort. ten beteiligt. Ich verweise hierzu gern auf unseren Antrag, der bald in der entsprechenden Deputation Abgeordnete Dr. Müller (Bündnis 90/Die Grünen): beraten wird. Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, die gespro- chen haben! Das ist auch wieder bezeichnend, es Auch wenn einige von uns den Schwangerschafts- ist eine Frauendebatte, obwohl Männer an abbruch ethisch, moralisch oder auch sozialgesell- Schwangerschaften beteiligt sind, aber wem sage schaftlich nicht gutheißen, darf das keine Begrün- ich das? dung sein, das medizinische Personal nicht zu schulen und damit dessen Weiterbildung zu unter- (Heiterkeit) binden. Bildung ist immer etwas Gutes. Die Quali- fikation und damit das Wissen, wie man den Liebe Kollegen, die immerhin zuhören und nicht Frauen in dieser schwierigen Entscheidung hilft, draußen Kaffee trinken – das war auch schon ein- und das Können, einen Schwangerschaftsabbruch mal anders! vorzunehmen, sind wichtig und auch richtig. Das ist auch vor dem Hintergrund wichtig, dass die An- Das war jetzt, glaube ich, eine Übersprungshand- zahl der Ärztinnen und Ärzte abnehmend ist, die lung, weil ich die Debatte sehr bezeichnend fand einen Eingriff vornehmen können und wollen. und auch nahegehend, weil sich nun einmal wieder zeigt, welchen brüchigen Konsens wir haben und Hier gilt es auch im Sinne einer guten und ausrei- dass es überhaupt keine einfache oder gar klare chenden Versorgung der Frauen gegenzusteuern. Debatte ist, wie man mit Schwangerschaftsabbrü- Niemand möchte sich an die fatalen Konsequenzen chen und mit der rechtlichen Umsetzung umgeht, in früheren Zeiten erinnern, als der Abbruch noch nämlich dem § 218. verboten war und Frauen ins Ausland reisten oder illegal in Hinterzimmern und unter kruden Um- Ich will ganz vorneweg sagen, ich habe für jeden ständen behandelt wurden und in der Folge Umgang mit Schwangerschaftsabbrüchen und mit schwerwiegende Infektionen entwickelten. Wich- der Gewissensentscheidung – –. Ich habe großen tig ist der Zugang zu den Ärzten, die einen Respekt, dass die FDP-Fraktion die Abstimmung Schwangerschaftsabbruch professionell vorneh- freigibt, denn es ist nun einmal nicht per se einfach, men können, und dass die Hilfe suchenden Frauen zu sagen, ich finde Schwangerschaftsabbrüche gut oder nicht. Nein, das finde ich nicht, aber deswe- gen mache ich sie nicht unmöglich. Das ist, glaube 1882 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

ich, die Grundlage, auf die wir uns alle hier im haupt vornehmen „wollen“ – die Gewissensent- Haus einigen können. scheidung von Ärztinnen und Ärzten, keine Abbrü- che vorzunehmen, nimmt zu, auch das müssen wir (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD) wahrnehmen –, weil sie es aus ethischen Gründen ablehnen, ist nachvollziehbar aus der Kriminalisie- Ich will noch einmal deutlich sagen: Wer glaubt, rung durch den § 218. Am Ende haben wir natür- dass Frauen frei und unabhängig und selbstbe- lich damit zu kämpfen, dass es in der Ausbildung stimmt über ihren Körper entscheiden können, der nicht vorgesehen ist, weil man nichts ausbildet, irrt. Frauen können es nicht, denn sie machen sich was als strafbare Handlung ausgelegt werden strafbar. Das muss man sich immer in Erinnerung kann. Das ist in sich schlüssig, lehnen wir aber ab. rufen. § 218 ist nicht in irgendeinem Gesetz, son- dern im Strafgesetzbuch festgeschrieben. Jede (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) Frau, die sich entscheidet, ihrer Notlage Abhilfe zu schaffen, macht sich strafbar. Wer glaubt, dass Fe- Deswegen legen wir Ihnen diesen Antrag heute ministinnen in den letzten Jahrzehnten in dem vor. Wir bleiben weiterhin der Meinung, dass Kampf um das Selbstbestimmungsrecht der Frau § 219a abgeschafft gehört, weil keine Ärztin und immer weiter fortgeschritten sind, auch der irrt. kein Arzt für Schwangerschaftsabbrüche wirbt. Sie Auch da erinnere ich wieder, wir sind im Jahr 30 sollen aber informieren, dass sie es anbieten. Da- nach der Wende. Es hat Millionen Frauen gegeben, rauf haben die Kolleginnen schon hingewiesen. die viel weiter waren und bis 1989 viel mehr Rechte wahrnehmen konnten. Wir wollen, dass Ausbildung und Fortbildung mög- lich werden, um vor allem im Land Bremen erst ein- (Beifall SPD) mal dem, wie ich finde, Skandal Abhilfe zu schaf- fen, dass wir so wenig Fachpersonal in dieser Frage Sie wurden danach beschnitten und zurückgewor- haben, und zweitens dem noch größeren Skandal, fen und im Nachgang kriminalisiert. Deswegen dass wir in Bremerhaven nicht einmal mehr die me- empfinden sich auch viele als Verliererinnen der dizinische Versorgung sicherstellen können. Wir Einheit. Ich kann das gut nachvollziehen. fordern deswegen den Senat auf, da schnellstmög- lich mit dem Abhilfe zu schaffen, was dem Senat Die Kriminalisierung von Frauen, die Möglichkei- zur Verfügung steht. ten brauchen, um aus einer Notlage herauszukom- men, die sie – ich betone – sich nicht selbst und al- Letzter Punkt, weil die Zeit abläuft und mir das lein eingebrockt haben, führt dazu, dass wir mit un- aber wichtig ist: die Solidarität mit den Frauen in glaublich schwierigen Konsequenzen für mehr als den Ländern, die unter massivem Druck leiden und die betroffenen Frauen zu kämpfen haben. Natür- alles andere vorhaben, als zu touristischen Zwe- lich ist es für die Frau keine unzumutbare Forde- cken nach Bremen zu kommen und nebenbei einen rung, sich einer Beratung zu unterziehen. Man Schwangerschaftsabbruch durchzumachen. Also, kann jeder Frau, die nicht weiß, wie sie mit einer dem Argument kann ich wirklich überhaupt nichts Schwangerschaft umgehen soll, nur anraten, sich abgewinnen. Hier geht es darum – das betrifft nicht beraten zu lassen. Meistens ist es gar nicht so dra- nur Polen, das betrifft auch Frankreich, das darf matisch, wie es sich erst einmal anfühlt, vielleicht man nicht vergessen, wo die Lebensschützer eine kommt sie doch mit einem neugeborenen Kind zu- immer größere Mehrheit bekommen –, dass es im- recht. mer mehr Frauen gibt, denen nur noch eine Mög- lichkeit bleibt: die Selbstverstümmelung und das Doch diese Beratung verpflichtend zu machen, das Hinterzimmer. Das sind mittelalterliche Zustände, ist schon ein starkes Stück, ergibt sich aber aus der liebe Kolleginnen und Kollegen, deswegen erklä- Kriminalisierung. Das sogenannte Werbeverbot, ren wir uns solidarisch mit den Frauen und versu- das Ärztinnen und Ärzten verbietet, darauf hinzu- chen, Lösungen zu finden, dass sie hier eine medi- weisen, dass sie diese medizinische Versorgung zinische Versorgung erhalten können. – Vielen vornehmen, ist auch eine Frechheit, ergibt sich Dank! aber aus der Kriminalisierung, ist also auch nicht abwegig. (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Dass wir zu wenige Ärztinnen und viel zu wenig Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin Ärzte haben, die Schwangerschaftsabbrüche über- hat die Abgeordnete Frau Tegeler das Wort. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1883

Abgeordnete Tegeler (DIE LINKE): Sehr geehrte dass wir dort dringend das Angebot schaffen müs- Frau Präsidentin, liebe Kolleg*innen! Kollegin sen, auch um den Frauen, die sich in diesem Be- Wischhusen, als Sie vorhin für Ihre Fraktion an das reich behandeln lassen wollen, das endlich zu er- Mikrofon kamen, war ich zunächst froh, weil ich leichtern. Da gibt es aus unserer Sicht keine andere finde, christlicher Fundamentalismus hat in dieser Lösung. Zu sagen, wir wollen zum Beispiel keine Debatte nichts zu suchen. Im Laufe der Rede war polnischen Frauen hier in den deutschen medizini- ich dann plötzlich nicht mehr so besonders froh. Ich schen Angeboten haben, finde ich mehr als grenz- fand Ihre Argumentation, das muss ich ganz ehrlich wertig. sagen, streckenweise gruselig. (Glocke) (Unruhe FDP) Vizepräsidentin Grotheer: Frau Tegeler, gestatten Frauen, die sich, und zwar nicht einfach, sondern Sie eine Zwischenfrage von der Abgeordneten nach reiflicher Überlegung, zu einem Abbruch ent- Frau Grönert? schieden haben, haben Sie fast schon als Täterin- nen dargestellt. Das finde ich ehrlich gesagt be- Abgeordnete Tegeler (DIE LINKE): Ja, bitte! denklich und es ist das Gegenteil von dem, was ge- rade hilfreich ist. Wir gehen ja gerade mit diesem Abgeordnete Grönert (CDU): Frau Tegeler, wür- Antrag in die Debatte, um den Druck auf Frauen – den Sie mir bitte einmal erklären, was Sie eigent- egal, wie sie sich dann entscheiden – verringern zu lich mit Ihrem Einwurf meinten? Was ist christlicher können. Fundamentalismus?

(Glocke) Abgeordnete Tegeler (DIE LINKE): Ich glaube, eine Diskussion über Evangelikale in dieser Stadt Vizepräsidentin Grotheer: Gestatten Sie eine Zwi- würde jetzt weg vom Thema führen. Vielleicht schenfrage des Abgeordneten Herrn Prof. Dr. Hilz? hätte ich das nicht so aufmachen sollen, aber Sie wissen, glaube ich, recht genau, was ich meine. Abgeordnete Tegeler (DIE LINKE): Ja, bitte! (Unruhe CDU, FDP) Abgeordneter Prof. Dr. Hilz (FDP): Frau Tegeler, wie kommen Sie darauf, dass aus unserer Fraktion Vizepräsidentin Grotheer: Frau Tegeler hat das christlicher Fundamentalismus in die Debatte ein- Wort! Die Abgeordneten, die sich melden möchten, gebracht werden könnte? können das tun, es gibt auch die Möglichkeit einer Kurzintervention. Frau Tegeler, bitte fahren Sie (Beifall FDP) fort!

Abgeordnete Tegeler (DIE LINKE): Das fragen Sie Abgeordnete Tegeler (DIE LINKE): Ich bin fertig. mich wirklich? Ich würde schon sagen, dass Sie – Danke! eine Abgeordnete in Ihren Reihen haben, die ganz deutlich dafür steht, und ich hatte Angst davor, wie Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin sich die Debatte dann entwickelt hätte. hat die Abgeordnete Frau Bredehorst das Wort.

(Zuruf Abgeordnete Wischhusen [FDP]) Abgeordnete Bredehorst (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich wollte Vizepräsidentin Grotheer: Frau Tegeler hat das eigentlich nicht noch einmal Wort! (Unruhe FDP) Abgeordnete Tegeler (DIE LINKE): Zu den Bera- tungsangeboten hat Kollegin Frau Dr. Müller, an das Mikrofon kommen, das wollte ich nicht, aber glaube ich, schon die richtigen Worte gefunden. nach der Aussage von Frau Wischhusen, Polinnen Wir stehen ja nicht gegen Beratungsangebote. Wir würde Schwangerschaftstourismus nach Bremen stehen gegen eine verpflichtende Beratung. betreiben – –. Dass Sie so etwas sagen, ist, finde ich, wirklich ungeheuerlich, nachdem wir heute über Was das medizinische Angebot für Frauen aus dem Solidarität in Europa gesprochen haben. europäischen Ausland betrifft, ist es tatsächlich so, (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) 1884 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Das geht gar nicht. Diesen Frauen, die Ihrer Mei- Allerdings jetzt noch den Menschen aus dem Aus- nung nach diesen Schwangerschaftstourismus be- land, wobei wir selbst kaum das Angebot schaffen treiben würden – das klingt nach Ferien, ich treibe können, das offen zu halten, das wollen wir nicht. ab und mache noch eine Woche Urlaub in Bremen Wir sehen vor allem bei dem Thema Abtreibung –, denen tun Sie, glaube ich, in großem Maße Un- auch immer eins, nämlich die Verantwortung für recht. das Leben, das im Körper heranwächst. Ja, Selbst- bestimmung steht ganz vorn. Ja, wir stehen für die (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Eigenverantwortung der Frau. Ja, wir stehen dafür, dass Frauen selbst entscheiden können. Das macht man nur, wenn man wirklich in Not ist, wenn man in seinem eigenen Land keine Möglich- Es geht aber auch darum, zu überlegen, was das keiten hat. Bei dieser Möglichkeit – und da fängt eigentlich für die Verantwortung dem ungebore- die Grundsatzdebatte an, die ich vielleicht doch er- nen Kind gegenüber heißt, das in einem wächst. öffnen muss – geht es um Selbstbestimmung. Wenn Deswegen erwarten wir auch, dass man zumindest Sie sagen, dass Sie das Leben eines Menschen dem darüber nachdenkt. Deswegen hätten wir auch von Ungeborenen gegenüberstellen: Das geht nicht, da Ihnen erwartet, die Toleranz zu haben, diese De- fehlen mir die Worte, Frau Wischhusen. Von Ihnen batte ein wenig offener zu führen und durchaus hätte ich das wirklich nicht erwartet. – Danke auch einmal für zwei Menschen zu denken. – Vie- schön! len Dank!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) (Beifall FDP, CDU)

Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin hat die Abgeordnete Frau Wischhusen das Wort. erhält Frau Senatorin Bernhard das Wort.

Abgeordnete Wischhusen (FDP): Liebe Kollegin- Senatorin Bernhard: Sehr geehrte Frau Präsiden- nen und Kollegen, das kann ich jetzt hier nicht so tin, sehr geehrte Damen und Herren! Die Frage um stehen lassen. Ich bin völlig entsetzt. Frau Tegeler, den Schwangerschaftsabbruch hat wirklich Gene- Sie erwarten für Ihr Leben von uns allen Toleranz. rationen von Frauen sozialisiert. Ich gehöre dazu. Wir alle sind allen Menschen und der Gesellschaft In bayerischen Zusammenhängen haben wir in den gegenüber tolerant. Keiner diskreditiert Sie, und 80er-Jahren sehr intensiv darum gestritten, wie das Sie wagen es, sich hier hinzustellen und öffentlich aussieht, das Selbstbestimmungsrecht der Frau. unsere Abgeordnete Frau Bergmann in diesem Dass sich daran immer noch die Geister scheiden, Hause zu diskreditieren. Ich erwarte von Ihnen ist bitter. Ich finde das wirklich ganz bemerkens- eine Entschuldigung. wert, weil ich unabhängig von ethischen, religiö- sen, persönlichen und ähnlichen Erfahrungen (Beifall FDP, CDU) finde, das Einzige, was zählt, ist genau dieses Selbstbestimmungsrecht. Sie als Fundamentalistin zu bezeichnen ist eine Un- verschämtheit und das gehört sich nicht. Immer (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) wieder wird hier von Toleranz gesprochen. Ich würde mir wünschen, dass Sie anfangen, diese To- Ohne die Frau – und so weit sind wir wissenschaft- leranz auch einmal zu leben. Das wird nämlich lich noch nicht fortgeschritten – gibt es kein neues Zeit. Leben. Sie allein muss das entscheiden. Sie braucht insofern absolut die Möglichkeit, das zu tun – nicht (Beifall FDP, CDU) mehr und nicht weniger –, und das im Übrigen auch zu Coronazeiten. Jetzt kam gerade die Diskussion auf, wie das mit den Abtreibungen aus dem Ausland ist. Wir haben Ich gebe zu, die Versorgungslage hier ist nicht be- für uns beschlossen, dass die Punkte eins bis drei sonders gut, und das ist gelinde gesagt untertrie- für uns überhaupt nicht zur Diskussion stehen. Des- ben. Ich hatte in Bremen nicht mit einer so miserab- wegen brauchen Sie uns auch nicht anzugehen, wir len Versorgungslage gerechnet, als wir uns über würden dem nicht offen gegenüberstehen. Wir den § 219a auseinandergesetzt haben. Die Mög- stimmen den Punkten eins bis drei zu, falls Sie zu- lichkeit, einen Abbruch durchzuführen zu lassen, gehört haben. ist in Bremen schlecht. Sie haben es erwähnt, in Bremerhaven ist es aktuell gar nicht möglich. Das Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1885

ist ein unhaltbarer Zustand und Sie können sicher weit es ein Zusammenarbeiten mit pro familia ge- sein, dass ich alles tun werde, um das zu beheben. ben kann, um so etwas auszuweiten und selbstver- ständlich auch für Bremerhaven zur Verfügung zu (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen) stellen.

Ein Schwangerschaftsabbruch kann nicht warten. Ich finde es auch richtig – um zum vierten Be- Das, glaube ich, muss man wirklich niemandem er- schlusspunkt zu kommen –, zu sagen, EU-Auslän- klären. Die schwierige Versorgungslage wird vor derinnen müssen selbstverständlich diese Möglich- allem dadurch bestimmt, dass es immer weniger keit haben. Nach meiner Kenntnis können sie das Ärztinnen und Ärzte gibt, die diese Schwanger- auch über die Europäische Krankenversicherungs- schaftsabbrüche vornehmen. In den letzten 15 Jah- karte in Anspruch nehmen. Insofern wäre hier ren gab es bundesweit einen Rückgang von 40 Pro- keine Vereinfachung des Verfahrens notwendig. zent, zum Teil sogar mehr. Die Bundesärztekam- mer hat im vergangenen Jahr darauf aufmerksam Ich möchte zum Schluss noch einmal sagen, die Ab- gemacht, dass der Druck durch die Abtreibungs- schaffung des § 219a ist aktuell gescheitert. Aus gegner immer stärker wird. Das ist hier bei uns so, meiner Sicht müsste es außerdem nach wie vor der aber es ist auch im europäischen Ausland so und § 218 sein, der zur Diskussion stehen und abge- global und international im Grunde genommen schafft werden müsste. auch. (Beifall SPD, DIE LINKE) Gleichzeitig erreichen uns aber immer wieder Rückmeldungen, dass Ärzte und Ärztinnen sich Meine Kollegin, Dr. Henrike Müller, hat darauf mehr Weiterbildung wünschen. Sie wollen, dass sie hingewiesen, dass wir die Fristenlösung hatten und da qualifiziert werden. Die Deutsche Gesellschaft dann mehr oder weniger wieder zurückgedrängt für Gynäkologie und Geburtshilfe und der Berufs- worden sind. Wir sind nach wie vor mit dieser Prob- verband der Frauenärzte äußerten sich im Juli die- lematik im Strafgesetzbuch verankert. Ich halte das ses Jahres in einer Pressemitteilung, dass sie auf- für absolut falsch und historisch längst überholt, gefordert wurden, sich stärker um diese Weiterbil- aber Sie sehen, wie die Debatten laufen. Wir müs- dung zu kümmern und den Ärztinnen und Ärzten sen uns weiterhin genau damit auseinandersetzen. diese Fertigkeiten entsprechend zu vermitteln. Dies sei aus deren Sicht, wie beide Verbände sa- Ich halte es auch für falsch, die Kinderwunschprob- gen, aber sichergestellt, denn jede Fachärztin und lematik und die Schwangerschaftskonfliktproble- jeder Facharzt erlerne diese Techniken im Rahmen matik gegeneinander zu stellen. Das sind Proble- ihrer und seiner Ausbildung. Bereits im Medizin- matiken, die man auseinanderhalten muss und studium würden die rechtlichen und ethischen nicht in irgendeiner Weise gegeneinander aufwie- Rahmenbedingungen zum Schwangerschaftsab- gen darf. Das möchte ich an der Stelle auf jeden bruch vermittelt. Fall noch einmal feststellen.

Aus meiner Sicht ist das nur ein Teil der Wahrheit, (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen) denn gleichzeitig ist es so, dass es sehr viele selbst organisierte Projekte von jungen Mediziner*innen Wir haben bezüglich des § 219a einen schlappen gibt – der berühmte Papaya-Workshop wurde hier Kompromiss errungen. Aus meiner Sicht ist es ge- auch schon genannt. Das heißt, es gibt einen Man- scheitert, denn diese Internetseite bringt nicht die gel, und zwar gibt es diesen Mangel bezüglich aller notwendige Transparenz. Auf der Internetseite der Methoden, die man dort anwenden kann. Für die Bundesärztekammer sind aktuell fünf Einrichtun- Weiterbildungsordnung der Medizinerinnen und gen. Das reicht bei Weitem nicht aus. Bundesge- Mediziner ist nun die Ärztekammer zuständig, so- sundheitsminister Spahn hat nach der Sommer- dass ich über mein Ressort keinen direkten Einfluss pause hier ein Zwischenfazit angekündigt. Wir habe, wir werden dort aber auf jeden Fall in dieses werden weiter darauf dringen, dass es dort einen Gespräch eintreten. Prozess gibt, der das zumindest an der Stelle weiter bearbeitet. Ähnliches gilt im Übrigen auch für das Fortbil- dungsprogramm, weil es auch hier die ureigene Es ist jedenfalls meine tiefe Überzeugung, dass wir Aufgabe der Selbstverwaltung ist, aber auch das diese Möglichkeit bieten müssen. Wir haben einen werden wir noch einmal eingehend prüfen. Wir Versorgungsauftrag in diesem Land und der muss werden insbesondere der Frage nachgehen, wie erfüllt werden. Sie können sicher sein, dass ich 1886 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

mich dafür einsetzen werde, damit der auch im Angemessene Eingangsbesoldung für Feuer- Sinne der Frauen entsprechend abgefedert wird. – wehrfrauen und -männer Vielen Dank! Antrag der Fraktion der CDU vom 13. August 2020 (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) (Drucksache 20/564)

Vizepräsidentin Grotheer: Weitere Wortmeldun- Dazu als Vertreterin des Senats Frau Staatsrätin gen liegen nicht vor. Krebs.

Die Beratung ist geschlossen. Die Beratung ist eröffnet.

Wir kommen zur Abstimmung. Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Herr Lübke. Hier ist getrennte Abstimmung beantragt worden. Abgeordneter Lübke (CDU): Frau Präsidentin, Ich lasse zunächst über die Ziffer 4 des Antrags ab- meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein leis- stimmen. Wer der Ziffer 4 seine Zustimmung geben tungsfähiger und attraktiver öffentlicher Dienst ist möchte, den bitte ich um das Handzeichen. nicht nur ein Kernbestandteil öffentlicher Daseins- vorsorge, sondern entspricht auch der Erwartungs- (Dafür SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) haltung der Bevölkerung. Gerade in Zeiten wie jetzt, in der Coronakrise, zeigt sich, dass ein schnell Ich bitte um die Gegenprobe. und effektiv agierender starker Staat jetzt und in Zukunft unverzichtbar ist und bleibt. (Dagegen CDU, FDP, M.R.F., Abgeordneter Jürge- witz [AfD]) Es ist ein wichtiger Teil politischer Verantwortung, die Verwaltung und die entsprechenden Behörden Stimmenthaltungen? in Zeiten wachsender und sich verändernder Her- ausforderungen qualitativ, aber auch quantitativ so Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt zu entwickeln, dass sie jederzeit ihrer Aufgabe ge- der Ziffer 4 des Antrags zu. recht werden können. Ein Teil davon ist die perso- nelle Ausstattung. Jetzt lasse ich über die übrigen Ziffern des Antrags abstimmen. Meine Damen und Herren, darum haben wir vor ein paar Monaten die Eingangsbesoldung im Jus- Wer den übrigen Ziffern seine Zustimmung geben tizdienst von der Besoldungsstufe A 7 auf A 8 an- möchte, den bitte ich um das Handzeichen. gehoben und als Fraktion der CDU haben wir das immer unterstützt, weil es sachgerecht und ange- (Dafür SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, messen ist. Abgeordnete Wischhusen [FDP], Abgeordneter Hilz [FDP], Abgeordneter Dr. Buhlert [FDP], Abge- (Beifall CDU) ordneter Schäck [FDP]) Ich werde jetzt nicht jede einzelne Berufsgruppe Ich bitte um die Gegenprobe. von Beamten durchgehen und damit vergleichen, weil es immer eine Frage der Einzelfallentschei- (Dagegen CDU, M.R.F., Abgeordnete Bergmann dung ist. Wir als Fraktion der CDU finden aber, [FDP], Abgeordneter Jürgewitz [AfD]) dass es vor dem Hintergrund, dass im Justizdienst mit der Besoldungsstufe A 8 und der Feuerwehrbe- Stimmenthaltungen? amte mit der Besoldungsstufe A 7 eingestellt wird eine erhebliche Schieflage gibt, die nicht gerecht- Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt fertigt ist. den übrigen Ziffern des Antrags zu. (Beifall CDU)

Es gibt eine ganze Menge von Gründen, die dafür sprechen, die Eingangsbesoldung auch bei der Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1887

Feuerwehr anzuheben: Wer bei der Feuerwehr an- handelt es sich nicht nur um eine Frage der Ge- fangen will, muss erstens eine abgeschlossene Be- rechtigkeit und Wertschätzung, sondern nur so rufsausbildung vorweisen. Erst dann kann man den wird ein attraktives Berufsbild erhalten und Akzep- Dienst, die Ausbildung beginnen und abschließen. tanz für notwendige Veränderungen und Belastun- Zweitens wird jeder Feuerwehrmann, jede Feuer- gen bei derzeitigen und potenziellen Angehörigen wehrfrau zusätzlich zu einer Notfallsanitäterin oder der Feuerwehr erzeugt.- Herzlichen Dank! zu einem Notfallsanitäter ausgebildet. Somit haben alle Feuerwehrbeamten am Ende der Ausbildung (Beifall CDU) mindestens drei abgeschlossene, anerkannte Aus- bildungsberufe. Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Bergmann. Wir müssen ebenfalls feststellen, ich glaube, das ist auch unstrittig, dass die Anforderungen an die Feu- Abgeordnete Bergmann (FDP): Sehr geehrte Frau erwehrbeamten in den letzten Jahren erheblich zu- Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! genommen haben. Zum einen haben die Einsatz- Brandbekämpfung, Katastrophenschutz, Bergung zahlen stark zugenommen, im Bereich des Ret- und Rettung von Menschen sind Kernaufgaben des tungsdienstes sogar explosionsartig, zum anderen Staates. Um diese Kernaufgaben zu bewältigen, hat sich die Qualität der Einsätze erhöht. Das heißt, brauchen wir personell, organisatorisch und tech- den Feuerwehrbeamten wird mehr abverlangt als nisch gut aufgestellte Feuerwehren in unseren bei- noch vor einigen Jahren. den Städten Bremen und Bremerhaven.

Die Feuerwehrbeamten, Männer und Frauen, neh- Und die Männer und Frauen unserer Berufsfeuer- men in Bremen Kernaufgaben der öffentlichen Ver- wehren leisten ihren Dienst dabei sieben Tage die waltung wahr. Hohe Verantwortung von Beginn Woche, rund um die Uhr. Sie setzen sich dabei Ge- an, rund um die Uhr Dienst sowie potenziell gefah- fahren für Leib und Leben und Gesundheit aus und rengeneigte und belastende Einsätze kennzeich- deswegen haben wir in den zurückliegenden Mo- nen das Berufsbild der Feuerwehrbeamten, das zu- naten auch über das erhöhte Erkrankungsrisiko für dem in den Wettbewerb mit anderen Berufen gerät. bestimmte Krebsarten bei Feuerwehrleuten ge- Es ist deshalb von besonderer Bedeutung, die At- sprochen und was wir für den Schutz tun müssen. traktivität des Berufes für qualifizierten Nach- wuchs konkurrenzfähig zu halten. Dazu gehört Heute geht es um eine zügige Anhebung der Ein- auch eine angemessene Bezahlung, insbesondere gangsbesoldung für Feuerwehrleute von A 7 auf A im Eingangsamt. 8. In den Augen von uns Freien Demokraten ist dies ein längst überfälliger Schritt. Eine vernünftige Vor diesem Hintergrund gibt es aus Sicht der Frak- Eingangsbesoldung ist nicht nur Ausdruck von tion der CDU keine Argumente, die Einstiegsbesol- Wertschätzung, die wir als Politik und Gesellschaft dung nicht auf A 8 anzuheben. Wenn man das für die Arbeit der Feuerwehrleute aufbringen, es macht, kann das aber nur der erste Schritt sein, macht die Feuerwehren auch wettbewerbsfähiger denn, wenn ein Feuerwehrbeamter mit A 8 anfängt im Kampf um die besseren Nachwuchskräfte, denn und mit A 9 aufhört, was im mittleren Dienst die machen wir uns nichts vor: In vielen Berufen liegen Regel ist, kann man beamtenrechtlich nicht mehr heute die Einstiegsgehälter eindeutig höher. Ge- von einer Laufbahn sprechen. rade technisch versierte und handwerklich begabte Bewerber werden nicht nur bei der Feuerwehr hän- Folgen muss der Anhebung der Einstiegsbesol- deringend gesucht und an vielen Stellen auch mit dung ein umfangreiches, ich nenne es einmal Per- Handkuss genommen. Dabei müssen angehende sonalkonzept, wie es am Ende heißt, ist gleichgül- Feuerwehrleute darüber hinaus körperliche Fitness tig. Dazu gehören veränderte Strukturen der Lauf- und auch die Bereitschaft zum zehrenden Schicht- bahn, aber auch verbesserte Möglichkeiten der be- dienst mitbringen und entsprechend soll das natür- ruflichen Perspektive, der Beförderung und Bezah- lich auch honoriert werden. lung. Das wird Kosten nach sich ziehen. Doch wir spre- Wir als Fraktion der CDU sind davon überzeugt, chen nicht von Nice-to-have-Berufen, sondern von dass es der richtige Weg ist, die Eingangsbesol- einer zentralen staatlichen Aufgabe, die erhalten dung anzuheben und im nächsten Schritt ein um- werden muss. Daher stehen wir auf dem Stand- fangreiches Personalkonzept zu erarbeiten. Hier punkt, dass diese Kosten zu tragen sind, denn an 1888 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

der Sicherheit der Bevölkerung zu sparen, das ist Über den Antrag der CDU haben wir auch lange mit uns Freien Demokraten nicht zu machen. beraten. Eines will ich vorweg sagen und das dann später begründen, wir werden den Antrag ableh- (Beifall FDP) nen, insbesondere auch wegen der Ziffer eins. Ich will das aber gut begründen, damit da keine Miss- Im zweiten Antragspunkt soll der Senat aufgefor- verständnisse entstehen. dert werden, ein umfassendes, ich nenne es einmal Zukunftskonzept in Abstimmung mit den beiden In Ziffer eins geht es um die Anhebung des Ein- Stadtgemeinden zu erarbeiten. Dieses soll der Bür- stiegslohns auf A 8 und in Ziffer zwei geht es um gerschaft bis zur Mitte der Legislaturperiode vor- das Personalkonzept für die Feuerwehren. Das fin- gelegt werden. Wir halten das für absolut notwen- den wir ganz gut, dieses Personalkonzept. Der Se- dig, um die Feuerwehren zukunftsfest zu machen. nator für Finanzen ist ja dazu bereits im Gespräch In unseren Augen gehen Anpassungen an neue mit dem Senator für Inneres. Am 18. Februar dieses Notwendigkeiten, Herausforderungen oder techni- Jahres hat es dazu einen Senatsbeschluss gegeben, sche Entwicklungen viel zu langsam vonstatten. der den Auftrag ganz konkret an beide Ressorts for- Wir brauchen hier eigentlich eine ständige Evalua- muliert, hier ein Personalkonzept zeitnah auszuar- tion. beiten. Dafür braucht es auch keinen gesonderten Bürgerschaftsbeschluss. Ich sagte es an anderer Gelegenheit schon: Es wurde in der Vergangenheit wohl aufgrund des Dieser Senatsbeschluss ist für uns bindend, weil wir Spardrucks schon ein bisschen viel gespart. Wir er- entsprechend bei uns im Koalitionsvertrag die Ver- innern uns an die historischen Einsatzfahrzeuge einbarung haben, dass die Anhebung des Einstieg- mit H-Kennzeichen. Wir halten beide Forderungen samtes im Bereich der Feuerwehr und auch die der CDU des vorliegenden Antrages für berechtigt Festlegung, dass die tariflichen und besoldungs- und werden dem Antrag daher zustimmen. rechtlichen Veränderungsvorstellungen in einzel- nen Ressorts, immer in Hinsicht auf das gesamte (Beifall FDP) Spektrum der Tarif- beziehungsweise Besoldungs- strukturen im öffentlichen Dienst, geprüft werden Und liebe Feuerwehrleute der Berufs- und der frei- soll. So steht es bei uns formuliert. willigen, der Betriebs- und der Flughafenfeuer- wehren: Wir als FDP-Fraktion nutzen auch diese Das heißt, wir schauen uns diesen gesamten Be- Gelegenheit, uns von dieser Stelle ganz herzlich für reich an und schauen uns nicht gesondert und iso- Ihren Dienst zu bedanken. Uns alle hat die Pande- liert einen einzelnen Bereich an und sagen, da ma- mie vor große Herausforderungen gestellt. Doch chen wir es, und wie können wir das machen und gerade die Feuerwehrleute gehören zu den Berufs- warum machen wir das nicht. gruppen, die nicht in ein Homeoffice konnten, son- dern ihren Dienst weiterhin verrichten mussten. Jetzt weiß ich, Sie schauen mich ja schon an, Herr Vielen Dank! – Und Ihnen, vielen Dank für Ihre Kollege vom Bruch, Aufmerksamkeit! (Abgeordneter Dr. vom Bruch [CDU]: Sie haben (Beifall FDP) meinen Blick richtig interpretiert!)

Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner hat das Wort Justiz ist ja gefallen, auf dieses Argument das Wort der Abgeordnete Herr Öztürk. werde ich natürlich später eingehen. Völlig d´ac- cord, aber bevor ich darauf komme, will ich versu- Abgeordneter Öztürk (Bündnis 90/Die Grünen): chen, das noch einmal zu erläutern. Das sind jetzt Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen keine Schutzbehauptungen an der Stelle, sondern und Kollegen! Einiges wurde schon zur Feuerwehr einmal der Auftrag, der daraus resultiert, das, was gesagt, sie arbeiten im Schichtdienst unter erhebli- wir hier bei uns im Koalitionsvertrag haben: Wir chem körperlichem Einsatz zu unterschiedlichsten haben ein Bremisches Besoldungsgesetz, demnach Uhrzeiten. Erst vorgestern bei dem Brand waren ist die Bewertung von Funktion und Ämtern immer dutzende Feuerwehrleute im Einsatz. Auch die einem Quervergleich zu unterziehen zu allen ande- freiwilligen Feuerwehren, die leisten alle hervorra- ren Ämtern auch. Das sieht die Besoldungsordnung gende Arbeit und das verdient immer Respekt und vor. Anerkennung und das leisten wir, wo wir nur kön- nen und schauen, dass wir nachsteuern können. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1889

Daraus folgt immer auch die Prüfung, wie man die man noch in Folge weiterfinanzieren muss. Man Anhebung vollziehen kann, insbesondere bei den kann ja dann nicht sagen, bei der Besoldungsstruk- Einstiegsämtern, und wie man das bei den anderen tur höre ich auf, weil die Besoldung ja entspre- Laufbahnen gestalten kann. Diese Anhebung und chend an der Stelle fortgesetzt wird. die Anschlussforderungen, der technische Dienst wurde genannt, das ist A 7, der mittlere Dienst Also, wir haben es im Koalitionsvertrag, es gibt ei- wurde genannt, die sind alle da in dieser Betrach- nen Senatsbeschluss dazu und das ist für uns als tung erfasst, auch die Steuerverwaltung ist erfasst Koalition der Auftrag, dass wir das zügig abarbei- im mittleren Dienst und auch hier ist ein Querver- ten und schauen, dass nach abschließender Prü- gleich heranzuziehen. Ohne diese Quervergleiche fung für 2021 ein Ergebnis vorliegt und das Ergeb- kann eigentlich keine Anhebung des Amtes vollzo- nis wird dann bewertet. Ich bin da sehr zuversicht- gen werden. lich, dass die Bewertung eventuell sogar dazu füh- ren wird, dass man zu einem früheren Zeitpunkt Jetzt weiß ich, da schauen Sie auch wieder mit gro- entsprechend dort nachsteuern kann. – Danke ßen Augen, zu Recht, wir haben bei den Justizbe- schön! diensteten diese Entscheidung gefällt, fernab von dem, was ich hier gerade erzähle, weil dort die be- (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) sondere Lage war, die Überarbeitung der Gerichte, die Überarbeitung der Bediensteten, das Personal- Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner hat tableau, wo man auch Schwierigkeiten hat, Perso- das Wort der Abgeordnete Lenkeit. nal für den JVA-Bereich zu gewinnen. Am Ende des Tages war das der Koalitionsbeschluss und Abgeordneter Lenkeit (SPD): Frau Präsidentin, auch der Senatsbeschluss, hier eine Anhebung Kolleginnen und Kollegen! In der Nacht von Mon- durchzuführen. tag auf Dienstag retteten Einheiten der Berufsfeu- erwehr, der Freiwilligen Feuerwehr und des Ret- Bei dem Thema Feuerwehr haben wir gesagt, wir tungsdienstes 54 Menschen aus einem brennenden brauchen diesen Quervergleich, wir müssen uns an Mehrfamilienhaus am Rembertiring. Nach dem diese rechtlichen Rahmenbedingungen halten, Eingang des ersten Notrufes um 2:57 Uhr meldete weil wir auch alle anderen übrigen Beschäftigten der Einsatzleiter um 7:44 Uhr: Feuer aus! im öffentlichen Dienst entsprechend dieser Quer- prüfung unterziehen wollen. Lassen Sie mich einen Teil meiner Redezeit also bitte dazu nutzen, um den genannten Einsatzkräf- Ein anderes Argument, was ich noch kurz erwäh- ten zu danken. Die Bremerinnen und Bremer ver- nen möchte, ist die Zulage. Seit dem 1. Januar 2018 trauen ihrer Feuerwehr und das zu Recht – die Kol- hat die Feuerwehr im Gegensatz zu den Bedienste- leginnen und Kollegen haben sich dieses Ver- ten der JVA eine Zulage, eine Feuerwehrzulage, in trauen redlich verdient. dem Fall in Höhe von 75 Euro im Monat nach dem ersten Dienstjahr und 150 Euro nach dem zweiten (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) Dienstjahr. Das Gehalt liegt durch die Zulage weit- aus höher und im Vergleich zu anderen Bundeslän- Wir haben in den letzten Sitzungen der Bürger- dern ist die Bremer Feuerwehr dadurch deutlich schaft bereits umfangreich über die Feuerwehr ge- besser gestellt. Das hat auch haushaltspolitische sprochen. Wir haben vor dem Hintergrund einer Auswirkungen, wenn man die Qual der Wahl hat Großen Anfrage der CDU-Fraktion über die Feuer- und begrenzte Finanzmittel, muss man dann auch wehr gesprochen und wir haben auch vor dem Hin- die Entscheidung treffen, schaffe ich das noch in tergrund der rot-grün-roten Klientelpolitik beim dem einen Haushaltsjahr, die JVA-Bediensteten zu Haushalt über die Feuerwehr gesprochen. Eine befördern, fernab der ganzen Prüfungssystematik, Entwicklung, die ich und die SPD-Fraktion sehr be- die ich gerade erklärt habe. grüßen.

Für die anstehenden Haushalte haben wir uns das Vor diesem Hintergrund fordert die CDU-Fraktion auf den Zettel geschrieben, dass wir für das Jahr nun eine angemessene Eingangsbesoldung für 2021, deswegen sind wir da auch nicht weit ausei- Feuerwehrfrauen und -männer. Kolleginnen und nander, Kollege Lübke, mit Ihrem CDU-Antrag, Kollegen, wir teilen das Ansinnen der CDU-Frak- dass das entsprechend auch geprüft werden muss, tion, die Eingangsbesoldung der Kolleginnen und weil eine Anhebung ja bedeuten würde, dass sich Kollegen der Feuerwehr Bremen angemessen dar- auf die Jahre Summen aufsummieren werden, die zustellen. Nun möchte ich keine Diskussion um den 1890 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Begriff „angemessen“ beginnen, ich bin mir sicher, bereits eingeleiteten Prozesses. Ich bin froh, dass in uns eint hier dasselbe Ziel. einem so kritischen Bereich der staatlichen Da- seinsvorsorge wie der Feuerwehr kein erkennbarer Nun mag es nicht überraschen, dass wir uns auch Dissens zwischen der Koalition und den Oppositi- vor dem Hintergrund der beschlossenen Anhebung onsfraktionen besteht. der Eingangsbesoldung für die Kolleginnen und Kollegen im Justizdienst von A 7 auf A 8 bereits auf Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich auf die den Weg gemacht haben zu prüfen, wie und wann zukünftigen Diskussionen zum Thema Feuerwehr, eine Anhebung auch auf die Feuerwehr übertragen wir bleiben bei den Themen Personal und Fahr- werden kann. Der Kollege Herr Öztürk hat das ge- zeugausstattung am Ball. – Ich danke Ihnen für Ihre rade ausführlich dargestellt. Aufmerksamkeit!

Aber, jetzt kommt das aber, uns ist auch klar, dass (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) das Thema damit nicht abgehakt ist. Wir wissen, es ist ein schrittweiser Prozess, den wir bewusst im Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner hat Justizbereich gestartet haben. Wir haben hier ei- das Wort der Abgeordnete Herr Janßen. nen Bereich mit besonderen Herausforderungen und einer überschaubaren Größe, gerade im Ver- Abgeordneter Janßen (DIE LINKE): Sehr geehrte hältnis zu anderen Gruppen. Ganz deutlich, auch Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und bei der Feuerwehr haben wir besondere Herausfor- Herren! Ich versuche, angesichts der Tatsache, derungen, ich sage nur, dass es sich bei der Anhe- dass ich nach einigen Vorrednerinnen und Vorred- bung bei Justiz um kein Gegeneinander handelt, nern schon der fünfte Redner bin, wenige Wieder- sondern vielmehr um ein pragmatisches Nachei- holungen einzubauen. nander. Wir beraten heute einen Antrag der Fraktion der Und ja, Herr Lübke hat Recht, das Berufsbild der CDU zu den Feuerwehren im Land Bremen, der Feuerwehr hat sich in den vergangenen Jahren ge- sich im Kern um zwei Fragestellungen dreht, um ändert. Das Berufsbild ist komplexer geworden, die Frage der Besoldung und die Frage der Ausstat- aber auch dies ist kein Alleinstellungsmerkmal, tung in Bezug auf ein Personalentwicklungskon- dies gilt für fast alle Berufe. zept.

Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie gar nicht Derzeit ist es so, dass die Einstellung bei der Feu- mit langweiligen Zahlen quälen, das überlasse ich erwehr eine abgeschlossene Berufsausbildung mit dem Ressort, aber ich möchte deutlich sagen, dass einer Qualifikation, die für den Feuerwehreinsatz die Erhöhung der Eingangsbesoldung bei der Feu- von Interesse ist, voraussetzt. Zusätzlich müssen ar- erwehr natürlich nicht die Welt kosten wird, aber beitsmedizinische Untersuchungen erfolgreich ab- es sind wiederkehrende sechsstellige Personalkos- solviert werden. Eine weitere Bedingung für die 17- ten und da bitte ich um Verständnis, denn die Koa- monatige Ausbildung mit anschließender Lauf- lition unterliegt hier anderen Zwängen als die Op- bahnprüfung, nach der dann bei Erfolg die Ernen- position und wir werden Ihrem Antrag hier und nung in ein Beamtenverhältnis auf Probe ansteht, heute nicht zustimmen. ist die körperliche Eignung. Also ein durchaus komplexer Vorgang mit einer Eingruppierung in Was ich bereits angedeutet habe: Wir haben auch die Besoldungsgruppe A 7. noch andere Bereiche, in denen wir über eine Er- höhung der Eingangsbesoldung werden nachden- Als Ergänzung zu dieser, aus unserer Sicht tatsäch- ken müssen, als Beispiel seien die Finanzbeamtin- lich zu niedrigen, Eingruppierung gibt es für Feu- nen und -beamten zu nennen. Sie sehen, wir haben erwehrleute zudem verschiedene Zulagensysteme. Ihren Antrag schon weitergedacht und konzentrie- Die Gewerkschaften haben in der Vergangenheit ren uns auf eine gesamtheitliche Lösung für die immer wieder darauf hingewiesen, dass nicht alle vielen Kolleginnen und Kollegen in den unter- Zulagen, die aufgabenbezogen und nicht qualifi- schiedlichen Ressorts in unserem öffentlichen kationsbezogen gezahlt werden, im Falle von Ur- Dienst. laub oder Krankheiten weitergezahlt werden. Auch werden sie bei der Altersvorsorge nicht angerech- Auch Ihre Forderung nach einem ganzheitlichen net. Deshalb kann man auch nicht sagen, man re- Feuerwehrpersonalkonzept ist für uns kein Start- gelt das System einfach langfristig über Zulagen, schuss, sondern vielmehr eine Bestätigung eines diese Herausforderung ist uns durchaus klar. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1891

Wir werden also nicht dagegen sprechen, dass noch für die Koalition. Wir werden daran bleiben diese Erhöhung politisch notwendig ist und auch und ähnlich wie in der Vergangenheit die Lücken den komplexer werdenden Herausforderungen, füllen, die es noch zu schließen gibt. – Vielen Dank die an die Feuerwehren gestellt werden, Rechnung für Ihre Aufmerksamkeit! tragen muss. Die Absicht des Antrags der Fraktion der CDU finden wir durchaus nachvollziehbar. (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Diese Intention findet sich aber bereits in unserem Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner hat Koalitionsvertrag. Wir haben sie als politische Ziel- das Wort der Abgeordnete Lübke. stellung bereits lange erkannt und wissen um die- sen Auftrag. Selbstverständlich ist ein Koalitions- Abgeordneter Lübke (CDU): Frau Präsidentin, vertrag weder eine parlamentarische Beschluss- meine sehr geehrten Damen und Herren! Kollege lage, noch eine Beschlusslage des Senats, aber sie Öztürk, ich glaube, Sie haben sich Mühe gegeben, ist eine erklärte Willensbekundung. Meine Kolle- aber überzeugt haben Sie mich mit Ihren Argu- gen von der Koalition haben schon darauf hinge- menten nicht. wiesen, dass es einen Senatsbeschluss gibt, auch dieses gemeinsame Koalitionsvorhaben, das eine In der Opposition kann man sich hinstellen – –. Ich Willensbekundung im Rahmen des Koalitionsver- hätte auch fordern können, die Eingangsbesoldung trages ist, zu formalisieren und voranzubringen. soll bei A 9 liegen, das habe ich aber nicht getan, weil ich glaube, mit dem Thema sollte man sensibel Wir brauchen dafür nicht zusätzlich eine Aufforde- und ehrlich umgehen. Natürlich kann man Argu- rung durch die Fraktion der CDU. Es schadet nicht, mente dafür finden, dass hier und da noch etwas diese Diskussion ab und zu einmal wieder aufzu- geprüft werden muss. greifen, gleichzeitig gibt es eine bestehende Be- schlusslage. Ich kann mich gut daran erinnern, dass Ich will das Ganze einmal auf einen Punkt bringen: wir in den letzten Haushaltsberatungen lange über Das, was Sie von der Koalition gesagt haben, ist die Frage der Justizvollzugsbeamtinnen und -be- eine politische Entscheidung, nämlich die Ent- amten diskutiert haben, bei denen auch schon im scheidung, wofür gebe ich letztendlich das Geld Vorfeld die Zusage der Koalition im Raum stand. aus. Insofern, Herr Kollege Öztürk, haben Sie sich gerade ein bisschen widersprochen: Sie haben ge- Man wird es schaffen, diese erhöhte Einstiegsbe- sagt, bei den Justizbeamten haben Sie die Ent- soldung auf A 8 zu realisieren. Sie wissen, wir ha- scheidung fern ab dieser ganzen Prüfungen getrof- ben im Rahmen des Haushaltes diesem Verspre- fen. Also: Man kann es tun, wenn man will. Ich will chen Taten folgen lassen und die Eingruppierung diese Prüfungen nicht wiederholen, das hat der entsprechend abgebildet. Ich kann mich gut daran Kollege Öztürk schon in aller Ausführlichkeit dar- erinnern, dass die Fraktion der CDU im Rahmen gelegt. der Haushaltsberatungsänderungsanträge ange- merkt hat, auch im Bereich der Feuerwehr – –, nicht Diese politische Entscheidung müssen Sie treffen allerdings bezogen auf die Frage der Eingruppie- und das haben wir als Fraktion der CDU getan und rung. sie sieht bei uns anders aus.

Wir wissen, dass diese Entwicklung in den nächs- (Beifall CDU) ten Haushalten wieder aufgegriffen werden muss. Dazu sind im Senatsbeschluss bereits Eckpunkte in Wir sehen, dass es eine erhebliche Schieflage gibt Bezug auf eine Personalentwicklung angelegt und und darum wollen wir das Geld für die Eingangs- zu den zurückliegenden Beratungen können wir besoldung der Feuerwehr zur Verfügung stellen. Ihnen sagen, dass es gelungen ist, im Rahmen der Das ist die einzige Frage, die Sie hier beantworten Haushaltsberatungen insgesamt zusätzliche müssen. Es ist eine politische Entscheidung und wir 7,6 Millionen Euro über die bisherigen Anschläge haben sie getroffen. – Herzlichen Dank! im Bereich der Feuerwehr zu veranschlagen: Für den Fuhrpark, gegen den Investitionsstau, der da- (Beifall CDU, FDP) mit noch nicht aufgelöst ist, aber reduziert wird. Wir haben das Thema nach wie vor auf der politi- Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner hat schen Agenda und es ist für uns noch lange nicht das Wort der Abgeordnete Öztürk. abgeschlossen, weder für den Senat, der sich mit einer Beschlusslage auf den Weg gemacht hat, 1892 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Abgeordneter Öztürk (Bündnis 90/Die Grünen): hen. Dann müssen wir schauen, wie wir diese Be- Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! reiche finanziell so ausstatten, dass man das Wort Kollege Lübke, wir haben ja keinen Dissens. Ich „angemessen“ dann gar nicht mehr in den Mund habe ja versucht, in meinem ersten Redebeitrag zu nehmen braucht, sondern dass sich jeder dort klarzustellen und auch diesen Umstand näher zu wiederfindet, wo er meint, momentan in der Grup- erläutern, wie schwierig das immer ist, wenn man pierung eingeordnet zu werden. – Danke schön! an der Stelle von beamtenbesoldungsprüfungs- rechtlichen Formalien abweicht und da für Be- (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE) dienstete des öffentlichen Dienstes eine Besol- dungserhöhung auf den Weg bringt. Bei der Feuer- Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin wehr muss man dann nun einmal entsprechend die hat Frau Staatsrätin Krebs das Wort. Worte finden und das ist immer ein schwieriger Ba- lanceakt. Staatsrätin Krebs: Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Sie müssen uns aber auch zugestehen, dass wir als Auch ich will zu Beginn – es ist heute zu Recht in Bundesland Bremen die Ersten wären, die bei der der Debatte auch schon angeführt worden – darauf Feuerwehr von A 7 auf A 8 gehen. Es gibt kein Bun- verweisen, welche wichtige Aufgabe die Feuer- desland, das das bisher gemacht hat. Wir wären die wehr übernimmt und leistet, was diese Woche in Ersten, neben all den Zulagen, die wir leisten. Sie der Rembertistraße deutlich geworden ist. Ich per- schütteln den Kopf. Ich habe einen anderen Infor- sönlich erinnere mich auch noch sehr an das große mationsstand. Insofern ist, dass es a. im Koalitions- Feuer in Gröpelingen. Ich wohne in der Übersee- vertrag steht und wir b. den Senatsbeschluss ha- stadt, da ist man dann schon froh, dass man ein ben, ja eine Zusicherung an die Feuerwehr, dass Stückchen weg ist, wenn man abends nach Hause hier ernsthaft geprüft wird. fährt und eine große Rauchwolke am Himmel sieht und weiß, da sind jetzt Leute dabei, ein richtig gro- Am Ende des Tages besteht die politische Entschei- ßes Feuer zu löschen. dung auch immer darin, dass man mit den knappen Haushaltsmitteln, die man hat, entsprechend um- Insofern allergrößte Anerkennung, aber nicht nur gehen muss. Der Umgang war hier nun einmal, für den Einsatz bei großen, dramatischen Bränden, dass die Defizite bei der JVA schwerer gewogen der wichtig ist, sondern auch für all die anderen haben, dass man gesagt hat, da müssen wir jetzt kleinen Einsätze in Bremen für die Menschen und deutlich nachbessern, weil wir diesen Bereich sonst ihre Sicherheit hier, die von der Feuerwehr geleis- gar nicht mehr unter Kontrolle bekommen. Man tet werden. Auch der Senat kann es grundsätzlich kann sagen, das sind auch kaufmännische Zwänge, immer nur begrüßen, dass der Feuerwehr und all die man am Ende des Tages als Regierungskoali- den anderen die Anerkennung zuteilwird, die tion hat, bei denen man in Absprache mit dem Se- ihnen gebührt, und dass sich diese Anerkennung nat und mit den Zuständigen die Abwägung treffen nach Möglichkeit auch entsprechend monetär nie- muss, an welchen Stellen man das Geld nachsteu- derschlägt, keine Frage. ert. Es ist schon gefallen, wir haben auch deshalb in Das hat nichts mit Respektlosigkeit zu tun, es hat Bremen schon einiges getan, was nicht in allen nichts damit zu tun, dass man das Wort „angemes- Bundesländern so gemacht wird. Wir haben bei der sen“ unterschiedlich auslegt. An der Stelle haben Zulage, die für die Feuerwehr gewährt wird und wir uns ja verbindlich auf den Weg gemacht, um die 2018 noch einmal deutlich erhöht wurde, bun- auch nicht nur in die Feuerwehr hinein ein Signal desweit die Spitzenposition – Bremen ist Spitzen- zu senden – ich habe versucht, das in meinem ers- position – und es ist eine Zulage, die auf dem glei- ten Redebeitrag zu machen –, sondern für den ge- chen A 7 aufsetzt. Das heißt, bei der Bezahlung ins- samten Bereich des öffentlichen Dienstes. Da reden gesamt in Deutschland ist Bremen da ganz vorn. wir über ganz andere Summen. Wir haben einen Anwärtersonderzuschlag, der auch sehr ordentlich ist. Also, die Bemühungen, die Das heißt, wir sind inhaltlich eigentlich viel weiter Anerkennung für die Feuerwehr und für ihren Ein- als das, was Sie in Ihrem Antrag formuliert haben. satz auch monetär sichtbar zu machen, sind vor- Trotzdem haben wir keinerlei Dissens. Ich bin zu- handen. versichtlich, dass uns das gelingen wird. Die Haus- haltsberatungen werden ja auch bald wieder losge- Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1893

Auch das ist schon gefallen, aber ich möchte es und gerade bei der Feuerwehr mit Sicherheit hoch noch einmal deutlich herausarbeiten: Es geht im öf- verdient ist. Wir bleiben also dabei, wir wollen eine fentlichen Dienst bei der Besoldungsordnung nun Gesamtbetrachtung, und sind daran. Wir stimmen einmal um Quervergleiche. Es geht darum, dass deshalb aber auch umso mehr dem Anliegen zu, das gesamte System funktioniert. Ja, es ist eine po- ein Personalkonzept für die Feuerwehr zu erarbei- litische Entscheidung, zu sagen, wir wollen in ei- ten. Es ist schon erwähnt worden, es ist im Senat ja nem bestimmten Bereich die Einstiegsvergütung bereits beschlossen und in Arbeit. erhöhen. Es ist aber auch eine politische Entschei- dung, es in anderen Bereichen nicht zu tun, denn Wir bleiben also bei der Ablehnung der Einzelbe- die Verantwortung bei der Entscheidung gilt für trachtung, hoffen aber, dass wir möglichst bald die alle Bereiche. Mittel generieren können, um der bremischen Ver- waltung insgesamt in der Einstiegsbesoldung zu ei- Ich möchte ein paar Worte aufgreifen, die Sie zu nem gerechten Anstieg zu verhelfen. – Herzlichen Recht als Argument für Ihren Antrag in Bezug auf Dank für die Aufmerksamkeit! die Feuerwehr gesagt haben. Sie haben gesagt, es geht um Gerechtigkeit, um Wertschätzung, es geht (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) um fehlende Nachwuchskräfte und es geht darum, dass die Feuerwehr kein „nice to have“ sei. Dann Vizepräsidentin Grotheer: Weitere Wortmeldun- sage ich aber auch, auch der technische Dienst in gen liegen nicht vor. der Verwaltung ist kein „nice to have“. Auch die allgemeine Verwaltung verdient Wertschätzung, Die Beratung ist geschlossen. und auch bei der Steuerverwaltung geht es um Ge- rechtigkeit und geht es um fehlende Nachwuchs- Wir kommen zur Abstimmung. kräfte, und zwar ganz gewaltig. Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben Das sind alles solche Bereiche. Die Steuerverwal- möchte, den bitte ich um das Handzeichen. tung – ich habe es in diesem Gremium schon ein- mal erwähnt – steigt noch mit A 6 ein und hat er- (Dafür CDU, FDP, M.R.F.) hebliche Nachwuchsprobleme, was ein bisschen etwas damit zu tun hat, dass sie zwar die Grund- Ich bitte um die Gegenprobe. lage für all unser Handeln hier schafft, weil es ohne Steuerverwaltung keine Steuern gäbe und wir es (Dagegen SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE schwer hätten, Politik zu machen, weil wir keine LINKE) Mittel dafür hätten. Die öffentliche Anerkennung für die Steuerverwaltung hält sich dann aber sehr Stimmenthaltungen? in Grenzen und gleichzeitig ringen wir darum, sie so gut aufzustellen, dass die Steuergerechtigkeit Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den weiter gewahrt bleibt. Antrag ab.

Von daher bleiben wir dabei, und ich habe es ein Zukunft der maritimen Wirtschaft im Land Bre- bisschen einfacher als manche Abgeordneten hier men im Raum, es war nämlich, wenn ich mich richtig er- Große Anfrage der Fraktion der CDU innere, meine erste Rede in der Bremischen Bür- vom 29. Januar 2020 gerschaft, in der es um die Eingangsbesoldung für (Drucksache 20/259) den Justizvollzug ging. Ich habe damals auch schon gesagt, dass wir Einzelentscheidungen nicht Dazu sinnvoll finden, so berechtigt sie im Einzelfall sind, so notwendig sie wären, aber wir stehen in der Ver- Mitteilung des Senats vom 9. Juni 2020 antwortung für den gesamten öffentlichen Dienst. (Drucksache 20/431)

Wir sind verpflichtet, diesen Quervergleich ange- Dazu als Vertreter des Senats Herr Staatsrat messen zu machen. Deswegen bleiben wir dabei, Cordßen. es muss um eine Gesamtbetrachtung gehen und darum, dann die Möglichkeiten zu finden, insge- Ich gehe davon aus, dass der Senat die Antwort auf samt in der Einstiegsbesoldung im öffentlichen die Große Anfrage nicht mündlich wiederholen Dienst das zu machen, was notwendig und sinnvoll 1894 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

möchte, sodass wir direkt in die Aussprache eintre- dazu wird vielleicht auch noch vor dem Jahres- ten können. wechsel debattiert.

Als erste Rednerin hat die Abgeordnete Frau Gro- Für uns als Fraktion der CDU steht die Wettbe- bien das Wort. werbs- und Zukunftsfähigkeit der bremischen Hä- fen an erster Stelle. Das hat, Herr Bücking, nicht Abgeordnete Grobien (CDU): Frau Präsidentin, unbedingt mit der Größe eines Hafens zu tun. Bei liebe Kollegen und Kolleginnen! Vier maritime Ihnen klang das gestern so: Rotterdam ist viel grö- Themen in einer Plenarwoche, von der Kajensanie- ßer, da können wir eigentlich gleich aufgeben. rung bis zum Forschungsschiff Polarstern: Das zeigt, wie facettenreich das Thema maritime Wirt- In der Beantwortung der Fragen acht und neun schaft ist. Für uns als Fraktion der CDU ist die ma- wird sehr gut geschildert, wie sich die Marktanteile ritime Wirtschaft das Herzstück unseres Bundes- Bremens am Containerumschlag, aber auch am landes, und um darzustellen, dass es für uns hohe Gesamtumschlag in den letzten Jahren kontinuier- Priorität hat, haben wir diese Große Anfrage bereits lich verschlechtert haben, während Rotterdam und im Januar dieses Jahres eingereicht. Damals war Antwerpen zeitgleich ihre Wettbewerbsposition uns die Aktualität, die das Thema im Laufe des Jah- ausbauen konnten. Daran, meine Damen und Her- res bekommen würde, allerdings gar nicht so rich- ren, ist nicht Corona schuld. Corona ist vielleicht tig bewusst. Seit Anfang Juni liegt nun die Antwort ein Brandbeschleuniger und hat die Entwicklung des Senats vor und jetzt, im September, debattieren in diesem Jahr beschleunigt. wir. Natürlich hat der Konzentrationsprozess unter den (Vizepräsidentin Dogan übernimmt den Vorsitz.) Reedereien mit heute nur noch drei großen Allian- zen zu einer Veränderung der Rahmenbedingun- Zunächst vielen Dank an das Ressort und an den gen geführt. Genau wie es in der Vorlage beschrie- und vor allen Dingen die Mitarbeiter, die die Fra- ben ist, führen immer größere Schiffseinheiten, Zu- gen beantwortet – und zwar sehr umfangreich be- sammenarbeit in den Routen und Fahrplanbildun- antwortet – haben. Bei der Lektüre der 25 Seiten gen zu stärkerem Wettbewerb unter den Häfen. Es bekommt man einen guten Einblick in die Facetten scheint nur so, dass Rotterdam das viel eher er- und aktuellen Entwicklungen der maritimen Wirt- kannt und sich besser darauf eingestellt hat. Mit schaft, zu der nicht nur Hafenentwicklung, See- Maasvlakte 2, die wir ja bereits in der letzten Le- schifffahrt und Redereien zählen, sondern auch gislaturperiode angesehen haben, Dedicated Ter- Meerestechnik, maritime Infrastruktur, maritime minals für die Reedereien und automatisiertem Wissenschaft und vieles mehr. Umschlag hat man die Zukunft frühzeitig erkannt und sich gut darauf vorbereitet. Ich möchte in meinem Debattenbeitrag auf einige Punkte eingehen, die wir im Januar bereits abge- Umso wichtiger ist es, wenn in Norddeutschland fragt haben und die, wie bereits gesagt, sehr aktu- auch endlich die Zeichen der Zeit erkannt werden ell und für eine positive Entwicklung unseres Ha- und erforderliche Investitionen in die Infrastruktur fenstandorts in Bremen und Bremerhaven von im- – und dabei meine ich nicht nur die Kaje, sondern menser Bedeutung sind. auch die Weservertiefung – umgesetzt werden.

Das ist als erstes das Thema der Wettbewerbsfähig- Natürlich kommt man bei diesem Thema, einer keit den bremischen, ja deutschen Häfen. Gestern weiteren Facette, auch sofort auf mögliche nord- in der Stadtbürgerschaft hat mein Kollege Carsten deutsche Kooperationen. Ich werde mit Absicht Meyer-Heder schon eindrücklich darauf hingewie- nicht vertieft darauf eingehen, denn solche Gesprä- sen, wie wichtig die Ertüchtigung der Stromkajen che kann die Politik empfindlich stören. Vor allem, in Bremerhaven ist. Wohlgemerkt: Die Kajensanie- wenn Politik direkt mögliche Chancen schon im rung in den stadtbremischen Häfen in Bremer- Vorwege durch Individualinteressen zerredet und haven debattieren wir in der Stadtbürgerschaft, als das auch noch öffentlich. wäre das Thema für Bremerhaven nicht von Be- lang. Auch sehr merkwürdig. Ich will deutlich sagen: Mögliche Kooperationen sind wahrscheinlich die letzte Chance für die deut- Zu dem Thema Landeshafen haben wir seit über schen Häfen, um wieder in die Offensive im Wett- einem Jahr eine Initiative laufen, die offenbar nicht bewerb und vor allen Dingen vor den Wind zu so richtig erwünscht ist. Unsere Große Anfrage Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1895

kommen, wie wir sagen. Dabei geht es bei den Ver- wäre, dass diese beiden Prozesse noch etwas stär- handlungen darum, für alle Beteiligten möglichst ker auf die Mitarbeitenden in Bremen und Bremer- eine Win-Win-Situation zu erzeugen. Wir wün- haven abgezielt worden wären, auch zur Frage, schen von dieser Stelle dabei viel Erfolg. was Digitalisierung und Automatisierung in den Geschäftsprozessen verändern. (Beifall CDU) Zu begrüßen ist in jedem Fall, dass es zur Frage der Auch klar ist, dass mögliche Kooperationen nicht Digitalisierung eine länderübergreifende Arbeits- die alleinige Lösung für mehr Wettbewerbsfähig- gruppe, auch mit Hamburg und mit Niedersachsen, keit sind. Dazu gehören noch mehr Rahmenbedin- gibt. Das ist sicherlich wichtig, weil diese Digitali- gungen, die sich aus betriebswirtschaftlicher Not- sierungsprozesse alle deutschen Häfen betreffen. wendigkeit, also auch mehr Effizienz, ergeben und natürlich eine entsprechende positive politische Zum Containerumschlag selbst: Es ist den Zahlen Begleitung. zu entnehmen, dass der Containerumschlag insge- samt stagniert und in Bremerhaven und in Ham- Zu einem weiteren Aspekt – ich sehe, meine Uhr ist burg auch zurückgeht. Rotterdam gewinnt in dem abgelaufen – komme ich in meinem zweiten Bei- relativ schwachem Umfeld an Marktanteilen, und trag. – Vielen Dank! es ist richtig, dass wir uns als rot-rot-grüne Koali- tion dafür einsetzen, die umfangreichen Kajensa- (Beifall CDU) nierungen voranzubringen und auch die Kajen am CT I bis III a zu ertüchtigen, um über diese Planun- Vizepräsidentin Dogan: Als nächster Redner hat gen voranzukommen. Für uns ist klar, wenn wir se- das Wort der Abgeordnete Herr Müller. hen, wie andere Häfen sich bei diesen Prozessen im Hinblick auf die Automatisierung entwickelt ha- Abgeordneter Müller (Bündnis 90/Die Grünen): ben, dann muss sich auch Bremerhaven in diese Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Richtung weiterentwickeln. Herren! Ich bin froh über die Debatte und möchte, auch wenn es direkt in der Vorlage so nicht er- Meine Damen und Herren, ein wichtiges Ziel ist die wähnt worden ist, die Mitarbeitenden in den Häfen maritime Energiewende. Auch dazu werden ver- während der Coronakrise besonders grüßen und schiedene Punkte in der Vorlage ausgeführt. Für ihnen danken, dass sie in dieser schwierigen Kri- uns Grüne ist es wichtig, dass wir den wirtschaftli- senzeit die Funktionsfähigkeit der Häfen erhalten chen Kurs mit dem Ziel des 1,5-Grad-Zieles ver- haben. Ich finde das sehr wichtig und es ist ein knüpfen, das heißt, wir möchten den klimaneutra- wichtiges Signal, dass wir heute noch einmal den len Hafen und die Liegeplätze über Landstrom er- Menschen für ihren Einsatz danken. tüchtigen, damit Schiffe im Hafen weniger Emissi- onen ausstoßen. Wir wollen auch, dass die Emissi- (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD) onen der Schiffe, die in den Weltmeeren unterwegs sind, sinken. Meine Damen und Herren, die maritime Wirtschaft ist das Rückgrat der bremischen Wirtschaft. Über Ich bin sehr froh, heute zu hören, dass das Europä- 80 000 Menschen arbeiten in maritimen Beschäfti- ische Parlament entsprechende Rahmenbedingun- gungsverhältnissen. Für Bremerhaven und Bremen gen setzt. Dass die Emissionen für größere Schiffe, sind die Häfen von besonderer Bedeutung. Die In- auch für Kreuzfahrtschiffe, reduziert werden sollen vestitionen in Forschung und Entwicklung sind für und dass es auch darum geht, die Seeschifffahrt uns besonders wichtig, weil sie die Arbeitsplätze auch unter CO2-Kriterien zu limitieren. Das ist ein und die Spezialisierung der logistischen Prozesse ganz wichtiges Signal und zeigt, dass wir Grünen für die Zukunft sichern. mit unserer Häfenstrategie auf dem richtigen Weg sind. Der Vorlage ist zu entnehmen, dass sich der Schiff- bau vor der Coronakrise gut entwickelt hatte. Nach (Beifall Bündnis 90/Die Grünen) meinen Informationen ist der Schiffbau auch gut durch die Krise gekommen. Ich denke, ein ganz Ich möchte einen Punkt besonders herausgreifen, wichtiger Punkt, der adressiert werden muss, ist die das ist die Forschung im Bereich des Wasserstoffs Digitalisierung. Zu Digitalisierungsprogrammen in Bremerhaven. Wir haben dort ein breites For- und Automatisierung kann man der Vorlage eini- schungssegment aufgestellt, indem wir Wasser- ges entnehmen. Was ich mir noch gewünscht hätte, stoffanwendungen entwickeln. Dort ist auch der 1896 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Prozess der Elektrolyseure zu erforschen, um bes- (Beifall Bündnis 90/Die Grünen) sere Wasserstoffprozesse zu ermöglichen und gleichzeitig mit der Brennstoffzelle diese Wasser- Vizepräsidentin Dogan: Als nächster Redner hat stoffanwendungen auch im maritimen Umfeld zu das Wort der Abgeordnete Herr Tebje. ermöglichen. Wir sehen damit für Bremerhaven und Bremen große Chancen, auch die Seeschiff- Abgeordneter Tebje (DIE LINKE): Sehr geehrte fahrt mit Wasserstoff sauberer zu machen. Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser sehr umfangreichen Antwort des Senats Für uns Grüne ist natürlich wichtig, dass wir den stecken einige sehr ernste Fragen, was die Zukunft grünen Wasserstoff fördern wollen, das heißt, den der maritimen Wirtschaft im Land Bremen betrifft. Wasserstoff, der aus erneuerbaren Energien ge- Insgesamt wächst der Seehandel langsamer als es wonnen wird. Die logische Konsequenz ist, dass wir in der Vergangenheit der Fall war. Die Anteile der dafür sind, dass die Offshoreziele ausgebaut wer- Bremer Häfen am Umschlag der Nordrange sinken. den. Da hat die Bundesregierung einige Schritte in Interessant ist dabei auch, wenn man den gesam- die richtige Richtung gemacht. Wir haben bei der ten Containerumschlag der Nordrange zusammen- WINDFORCE gehört, dass wir uns für die Industrie rechnet, dann ist er von 2008 bis 2019 um etwa noch mehr Sicherheiten wünschen, damit die 15 Prozent gewachsen. Das ist ein eher bescheide- Windkraft dort weiter vorankommt. Das sind wich- nes Wachstum, wenn man es vor dem Hintergrund tige Schritte, die wir brauchen, um die Emissionen der weltweiten Entwicklung sieht. in der Seeschifffahrt zu senken. Hier schlagen sich Verschiebungen der weltweiten Vor welchen Herausforderungen stehen die deut- Handelsströme auf See nieder, die wir kaum beein- schen Häfen? Ein wichtiger Punkt ist genannt: Wir flussen können. Die größten Wachstumsraten gibt haben in Europa mittlerweile drei große Reederei- es in Asien, in den Schwellenländern wie China, allianzen, die konkurrieren und die auch die Ter- Indien, Indonesien. Dass chinesische Staatsunter- minalbetreiber in den verschiedenen deutschen nehmen in Häfen wie Piräus und Barcelona einge- und europäischen Häfen unter Druck setzen. Ich stiegen sind, dass es eine direkte Güterverbindung stimme Frau Grobien zu, dass es wichtig ist, zu von China nach Duisburg gibt und damit nach schauen, welche Möglichkeiten Häfenkooperatio- Rotterdam, das sind Anzeichen dieser Verschie- nen ermöglichen können. Es ist wichtig für Ham- bungen. burg und für Bremerhaven, dass entsprechende Ressourcen wirtschaftlich genutzt werden. Die Für die deutschen Seehäfen und die maritime Wirt- Konkurrenz von Rotterdam und Antwerpen ist schaft insgesamt heißt das, Spezialisierung, Hoch- stark. Wir müssen schauen, wie wir uns als deut- technologieausrichtung, aber auch Ökologisierung sche Häfen dagegen aufstellen. werden immer wichtiger. Eine Ausrichtung auf rei- nes Mengenwachstum wird nicht erfolgreich sein. Ein weiterer wichtiger Punkt, der wurde in der Vor- Es kommt nicht nur darauf an, wie hoch der Anteil lage auch angesprochen, aus meiner Sicht: China an einem Umschlag in der maritimen Wirtschaft ist, ist immer mehr dabei, sich in europäische Häfen sondern welcher Anteil das zukünftig ist. An dieser einzukaufen und zielt mit seiner Wirtschaftspolitik Stelle bietet die Verbindung von Seehäfen, mariti- sicherlich nicht darauf ab, ein starkes Europa zu men Unternehmen und maritimer Wissenschaft schaffen. Deswegen müssen wir schauen, dass wir noch viel Potential in Bremen und Bremerhaven. mit einem starken Europa gegen diesen chinesi- Nachhaltige Antriebsarten, aber auch nachhaltiger schen Einfluss dagegenhalten. Schiffsbau sind Bereiche, in denen zukünftig mari- times Know-how gefragt ist. Letzter Punkt von mir: Die Zukunft der deutschen Häfen und die Wettbewerbsfähigkeit sehen wir Häfen sind natürlich ein wichtiger Teil der mariti- Grüne in jedem Fall darin, dass wir es auch schaf- men Wirtschaft, aber sie sind nicht der einzige. fen, mit den Schienenanbindungen, mit den Hin- Nach Beschäftigung und Wertschöpfung entwi- terlandverbindungen Logistik zu schaffen, die ckelt sich der Bereich Logistik stark, auch unab- nachhaltiger ist, die nicht über Lkws abgewickelt hängig von der Seehafenlogistik. Wasserstofftech- wird, sondern über die Schiene. Da sind Hamburg nologie mit ihren notwendigen Anbindungen an und Bremerhaven stark und auch mit diesem Lo- regenerative Energie wie der Offshorewindkraft, gistikvorteil müssen wir werben, dann sind wir für ist ein maritimer Zukunftsbereich, der erst einmal die Zukunft der maritimen Wirtschaft gut gerüstet. nicht unmittelbar mit Schiffen und Hafenumschlag – Danke schön! Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1897

zu tun hat. Aber solche Bereiche sind von hoher Be- Vizepräsidentin Dogan: Als nächster Redner hat deutung für die Zukunft der maritimen Wirtschaft, das Wort der Abgeordnete Zager. gerade weil es hier Standortvorteile gibt, die von den Schwankungen globaler Handelsketten unab- Abgeordneter Zager (SPD): Frau Präsidentin, hängig sind. meine Damen und Herren! Ihre Große Anfrage zur Zukunft der maritimen Wirtschaft im Land Bremen, Der Hinweis auf die vielen Automatisierungsinitia- liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der tiven ist wichtig. Es ist aber auch ein Hinweis da- CDU, wurde vom Senat sehr umfangreich beant- rauf, dass Häfen selbst heute weniger Beschäfti- wortet, dafür vielen Dank. Auch Ihnen, Frau Gro- gung erzeugen als früher. Schon jetzt gibt es ein bien, vielen Dank, dass wir das Thema Kooperation gewisses Missverhältnis zwischen Wertschöpfung heute nicht differenziert behandeln oder themati- und Beschäftigung. Eines ist klar, die großen öf- sieren wollen. Sie haben Recht, ich glaube, das fentlichen Investitionen, die in der maritimen Wirt- würde in der Diskussion nicht unbedingt förderlich schaft immer gefordert sind, lassen sich letzten En- sein. des nur über die Beschäftigungseffekte rechtferti- gen. Das gilt auch für die Verteilung von öffentli- Ich beginne mit einem Zitat: „Schiffbauzulieferer, chen Investitionen innerhalb der maritimen Wirt- Meerestechnik, Schifffahrt, Offshore und mehr, die schaft. maritime Wirtschaft hat viele Facetten und enor- mes Zukunftspotenzial. Sie ist eine Schlüsselbran- Ein Bereich, in dem das überdeutlich ist, sind die che im Norden und bestimmt dessen wirtschaftli- Schiffe selbst. Deutschland ist immer noch führend, che Entwicklung wesentlich mit.“ So lautet die wenn es um die Eigentümeranteile an weltweiten Überschrift der Website des Vereins Maritimes Schiffsflotten geht. Die offizielle deutsche Flotte, Cluster Norddeutschland e. V., und ich finde, die die auch unter deutscher Flagge fährt, ist demge- haben Recht. genüber sehr klein. Das ist ein Ärgernis, denn es bedeutet, auf diesen ausgeflaggten Schiffen gelten In diesem Cluster sind über 350 Firmen engagiert, keine deutschen Tarifverträge und keine deut- die sich positionieren und entsprechende Veröf- schen Arbeitsschutzstandards. Das maritime Bünd- fentlichungen machen. Maritim, vielfältig, wirt- nis hatte die Erwartung, dass die Reeder mehr schaftlich stark, das sind unsere beiden Städte Bre- Schiffe zurückflaggen im Gegenzug zu den hohen men und Bremerhaven. Maritim geprägt sind Bre- Subventionen, die in der Antwort erwähnt sind. men und Bremerhaven schon sehr lange. Die Nähe Wenn es heißt, die Zahl der Schiffe unter deutscher zum Wasser bot die Chance, sich zum Tor zur Welt Flagge habe sich stabilisiert, dann ist das eine höf- zu entwickeln, und ich finde, sie wurde genutzt. In liche Umschreibung dafür, dass es nicht geklappt den letzten Jahrzehnten haben wir die Container- hat. Terminals I bis 4 in Bremerhaven entwickelt und gebaut, und sie sind in Betrieb. Dadurch konnten Das Versprechen, wieder Schiffe zurückzuflaggen, wir viele Firmen ansiedeln, sowohl große als auch ist nicht eingehalten worden, daher kann man kleinere, und viele Arbeitsplätze schaffen. diese Vereinbarung nicht einfach verlängern. Ap- pelle und freiwillige Vereinbarungen scheinen hier Das Herzstück der maritimen Wirtschaft, den nicht zu reichen. Es ist immer wieder erstaunlich – Schiffbau, die Werften und die Fischwirtschaft, ha- und das gilt nicht nur für Bremen –, dass nähere ben in den letzten Jahrzehnten große Strukturwan- Studien zur maritimen Wirtschaft und ihren Be- del erfahren, in Bremerhaven haben einige der gro- schäftigungseffekten nicht gerade neu sind, der Se- ßen Werften geschlossen, in Bremen war der Un- nat bezieht sich auf die Potentialstudie von 2005. tergang des Vulkan Verbundes zu beklagen. Inzwischen ist viel passiert. Für eine sozialökologi- sche Wachstumsstrategie in der maritimen Wirt- Aber das bietet auch Chancen. Durch den Struktur- schaft wird man daher an verschiedenen Punkten wandel, die Globalisierung und Digitalisierung ha- auch neue Daten brauchen. Die Zukunft in der ma- ben sich für unsere Häfen neue Möglichkeiten er- ritimen Wirtschaft können wir nur qualitativ entwi- schlossen. So spielt heute, das wurde schon von ckeln, ein Einfaches Höher, Schneller, Weiter wird dem Kollegen Müller gesagt, Logistik eine größere auf Dauer nicht funktionieren. – Vielen Dank für Rolle. Wissensintensive Bereiche wie Forschung, die Aufmerksamkeit! Wissenschaft und neue Technologien wie grüner Wasserstoff sind die Chancen, die wir nutzen. (Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) 1898 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Ebenso wie Tourismus und Freizeit. Nicht zu ver- Jetzt habe ich hier eine Seite übersprungen, aber gessen die Lebensmittel-Industrie, die in Bremen das macht weiter nichts, denn meine Zeit ist gleich und Bremerhaven auch eine große Rolle spielt. zu Ende.

Aber was müssen wir machen, um die Wettbe- (Heiterkeit) werbsfähigkeit zu erhalten? Wir müssen in unsere Hafeninfrastruktur investieren, und dazu ist es Den anderen Part macht gleich mein Kollege Stah- ganz wichtig, dass wir die Ertüchtigung der Kajen mann. Also: Lassen Sie uns weiterhin in unsere Hä- am CT I bis III a, wie die Senatsvorlage sagt, mög- fen investieren, sei es die Ertüchtigung der Kajen, lichst schnell voranbringen. sei es die Columbuskaje, sei es der Ausbau der er- neuerbaren Energien oder die Einrichtung neuer Ich finde, wenn wir mit den anderen Städten kon- Studiengänge. Damit können wir unsere maritime kurrenzfähig bleiben wollen, die genannt worden Wirtschaft weiterentwickeln und können Arbeits- sind, dann brauchen wir die Kajen, denn diese sind plätze vor Ort sichern. Abschließend, für mich ge- notwendig, um die größeren Brücken an Land zu hört Laschen immer noch zur Hafenarbeit dazu. – bringen, damit Schiffe entladen werden können. Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit! Wenn man mit den Firmen spricht, haben die teil- weise Schwierigkeiten, größere Wege zu überwin- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) den. Vizepräsidentin Dogan: Herr Zager, Sie haben (Beifall SPD) auch die Möglichkeit, ein zweites Mal hineinzuge- hen. Sie haben zweimal fünf Minuten, das wollte Über die Chancen, mittels eines Versorgungsha- ich nur noch einmal in Erinnerung rufen. fens zum Weltraumbahnhof in Bremerhaven zu kommen, haben wir gestern in der Aktuellen Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Stunde schon von Frau Dr. Schilling gehört, da bin Prof. Dr. Hilz. ich gespannt, wie die Diskussionen weitergehen. Ich würde mich freuen, wenn ich als Bremerhave- Abgeordneter Prof. Dr. Hilz (FDP): Sehr geehrte ner so etwas hätte. Darüber hinaus wollen wir na- Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und türlich alles Erforderliche unternehmen, um unsere Herren! Die Anfrage und die Antworten des Senats Häfen möglichst CO2-neutral zu betreiben. Wir ha- dazu haben in diesem Fall fast enzyklopädischen ben hierfür 16 Millionen Euro in den Haushalt ein- Charakter. Dafür möchte ich mich noch einmal gestellt, um die Anlagen für die Landstromversor- ganz herzlich bedanken. Ich finde es vorbildlich für gung voranzubringen. Aber das ist unsere Seite. andere Bereiche. Wenn ich an unsere Große An- Jetzt sind auch die Reeder gefragt, ihre Schiffe ent- frage zur Sicherheits- und Verteidigungsindustrie sprechend auszurüsten, damit sie diese auch nut- denke, da ist durchaus noch Luft nach oben, und zen können. Sonst nützt die ganze Investition Sie sollten sich tatsächlich am Häfenressort ein Bei- nichts. Also: Nicht nur wir müssen unseren Teil spiel nehmen. dazu beitragen, auch die Reeder sind gefordert. (Beifall FDP – Heiterkeit Bündnis 90/Die Grünen) Zur Zukunft gehört aber auch, dass wir qualifizierte Fachkräfte benötigen. Ich finde, hier bieten unsere Diese Anfrage zeigt auch, wie vielfältig die mari- Hochschulen in Bremen und Bremerhaven ein sehr time Wirtschaft ist, rund um die Georg-Borttschel- gutes Angebot, natürlich auch ausgerichtet an ler-Straße in Bremerhaven oder um die Senator-A- dem, was unsere Wirtschaft benötigt, was sie haben pelt-Straße hier beim Neustädter Hafen. Die Rede- möchten. Aber wie man der Antwort des Senats zeit läuft übrigens nicht, aber ich kann gern einfach entnehmen kann, haben wir noch Potenzial bei der so lange reden, wie ich Lust habe. Ausschöpfung der Kapazitäten. Ich finde, da müss- ten wir ordentlich Werbung machen, um noch mehr (Heiterkeit) Menschen ausbilden zu können, sie am Standort Bremen und Bremerhaven halten zu können und Also, die maritime Wirtschaft ist vielfältig, wir ha- unserer Wirtschaft zu signalisieren, ja, wir bieten ben jetzt viel über Containerlogistik gehört, aber euch die Fachkräfte an, und es macht Sinn, sich in wir haben heute Morgen auch das Thema Schiff- Bremerhaven und Bremen anzusiedeln. bau gehabt. Tatsächlich ist es gut, zu lesen, dass die Werften in Bremerhaven auch im Spezialschiffbau (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen) führend sind. Hier besteht nach wie vor eine echte Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1899

Chance, sich weiter zu spezialisieren und auch die- Ein wenig überrascht hat mich die Aussage von sen Bereich nicht aus den Augen zu verlieren. Ha- Ihnen, Herrn Müller, wenn Sie meinen, Bündnis fen ist ganz vielfältig. Ich kann nur einmal empfeh- 90/Die Grünen seien mit ihrer Hafenpolitik auf len, Kontakt mit den Leuten im Hafen aufzuneh- dem richtigen Weg. Wenn man sich das oft genug men: Wo ist was? Was gibt es für verschiedene Ar- selbst sagt, dann glaubt man es wahrscheinlich. beitsplätze im Bereich Logistik, bei Laschern, Lot- Derzeit, glaube ich, sind Sie die Einzigen, liebe Da- sen, Festmachern und so weiter? Es gibt ein enges men und Herren von der Fraktion Bündnis 90/Die Zusammenspiel der Kräfte, damit unser Hafen Grünen, die das noch glauben. Tatsächlich geht es überhaupt läuft. Deswegen müssen wir immer wie- bei Hafenpolitik doch um einiges mehr als nur da- der wachsam sein und schauen, wo wir uns verbes- rum, Landstromanlagen zu bauen und zu sagen, sern können. jetzt müssen die Reeder nachziehen. Das ist ein bisschen zu einfach. Hier muss man tatsächlich so Natürlich geht aus der Vorlage auch hervor, dass zielgerichtet Anlagen bauen und schaffen, dass sie unsere bremischen Häfen am Weltmarkt oder am am Ende auch genutzt werden, und alle Alternati- europäischen Markt an Anteil verlieren, und das ven prüfen. In unserem Fall sind LNG PowerPacs, muss Anlass zur Sorge sein und Grund für uns, et- die mobil sind, tatsächlich besser geeignet. was zu tun, um die Infrastruktur zu verbessern. Deswegen haben wir uns immer für Kajen-Ertüch- (Abgeordneter Fecker [Bündnis 90/Die Grünen]: tigung, für den Ausbau von Kajen ausgesprochen. Sie aber schon zugehört, oder? Wahrscheinlich ist Nicht nur vorgestern für die Stromkaje, sondern der Lautsprecher auf der Außenbahn etwas ka- zum Beispiel auch die für Westkaje im Fischereiha- putt!) fen, die Westkaje im Kaiserhafen, die dort zur Nut- zung für die Werften hergerichtet wurde, die Er- Dann werden die Schiffe in Zukunft auch umge- neuerung der Columbuskaje. Das sind alles wich- stellt werden. Alles in allem muss diese Antwort tige Infrastrukturmaßnahmen, die uns helfen, wett- des Senats tatsächlich Ansporn sein, weiter in Be- bewerbsfähig zu bleiben und wettbewerbsfähiger schäftigung, in Hafeninfrastruktur für dieses Bun- zu werden. desland – Neustädter Hafen, Industriehäfen, Über- seehäfen Bremerhaven, Fischereihafen – zu inves- Das Thema Automatisierung steht an, auch hier tieren. Dafür werden wir weiterhin auch in der Bür- müssen wir aufpassen, dass wir nicht den An- gerschaft werben. – Vielen Dank! schluss verlieren, denn damit ist niemandem damit geholfen. Automatisierung müssen wir als Chance (Beifall FDP) begreifen und ergreifen und das Ganze voranbrin- gen, damit unsere Häfen weiter an Ladungsum- Vizepräsidentin Dogan: Als nächster Redner hat schlag gewinnen und wir die Arbeitsplätze dort si- der Abgeordnete Herr Bücking das Wort. chern. Das ist auch ein Teil der Wahrheit: Wenn wir den Trend der Digitalisierung verschlafen, werden Abgeordneter Bücking (Bündnis 90/Die Grünen): wir Arbeitsplätze riskieren. Wir müssen hier offen- Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich siv herangehen und das entsprechend machen. möchte auf unsere Kontroverse von gestern zurück- kommen und auf die neuen Argumente, die sowohl Wenn wir uns die Ausbildungsberufe in der Vor- in der Zeitung zu finden wie auch in verschiedenen lage anschauen, sind auch die vielfältig, aber da ist Beiträgen untergebracht waren. tatsächlich, wie Herr Zager schon gesagt hat, Schiffsbetriebstechnik so ein Studiengang, in dem Zu allererst möchte ich vorschlagen, dass wir uns die Ressourcen noch ausgeschöpft werden könn- Mühe machen bei der Erklärung dafür, warum die ten. Es macht einem Sorgen, wenn man sieht, wie Zuwachsraten im Containerverkehr seit den letzten wenige Schiffsbetriebstechniker tatsächlich in den sieben Jahren deutlich geschrumpft sind. Dass wir letzten Jahren ihr Studium begonnen haben. Dann versuchen, die Erklärung zu gliedern und nicht al- konnten es logischerweise auch nicht mehr sein, les zu vermischen. Ich finde es klug, zu sagen, wir die ihr Studium abschließen konnten. Da kann man müssen die Faktoren sammeln, die zu den struktu- sich die Frage stellen – das hängt auch mit dem rellen Gründen zählen, die zu den konjunkturellen Markt zusammen –, wie der Beruf eines deutschen Gründen zählen und die, die etwas mit dem Wett- Schiffsbetriebstechnikers wieder attraktiv werden bewerb, dem Wettrüsten in der Technik, der Qua- kann. lität der Kajen und all dem zu tun haben. Das sind drei verschiedene Dinge. 1900 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Erst einmal würde ich gern eine kleine Stichwort- Dann gibt es konjunkturelle Gründe, die sind mit sammlung machen. Das ist nicht das Ende der Dis- den Händen zu greifen. Wir hatten sie in der Fi- kussion, das ist völlig klar, wir ringen ja darum, die nanzkrise und wir haben sie jetzt wieder. In der Fi- Dinge zu verstehen. Das gilt für uns ganz genauso nanzkrise war die interessante Beobachtung, dass wie für jede andere Fraktion, die für sich in An- das Wachstum über die Position hinausgeschossen spruch nimmt, schon ewig auf dem richtigen Pfad ist, die der Welthandel vor der Krise hatte. In den zu sein. Jahren 2010, 2011 und 2012 gab es mehr Um- schläge als in den Jahren 2008 und 2007. In der Also, was gehört zu den strukturellen Gründen? Ich Konsequenz hat das die strukturellen Veränderun- glaube, eine Sache ist interessant: Im Großen und gen nicht außer Kraft gesetzt. Denn ab dem Jahr Ganzen behaupten die Experten, alles, was in den 2013 fallen die Zahlen, das war gewissermaßen nur Container passt, wird auch im Container transpor- eine in der Konjunktur begründete Veränderung. tiert. Das Wachstum der Gesamtsumme der Contai- Man muss genau hinschauen, was gerade passiert. nerwirtschaft hatte in der Vergangenheit nicht nur etwas damit zu tun, dass der Welthandel mit seiner Der letzte Punkt, und das ist der, auf den Sie immer Arbeitsteilung zugenommen hat, sondern auch da- wieder mit einer gewissen Berechtigung abheben: mit, dass immer mehr Güter in den Container ge- Die einzelnen Häfen in der Nordrange stehen im kommen sind. Das scheint im Großen und Ganzen Wettbewerb zueinander und in diesem Wettbe- ausgereizt zu sein. Das ist ein struktureller Grund. werb kämpfen sie jetzt um einen kleineren Markt. Solange der noch in der Größenordnung von fünf, Das Zweite, das ist völlig klar: Der größte Teil die- sechs Prozent gewachsen ist, war es für Herrn Aden ser Bewegung der Container geht zwischen Ost- in Bremerhaven ein Leichtes, immer mehr umzu- asien und Europa hin und her, und der Typus des schlagen. Nun wächst der Kuchen als ganzer nicht Wirtschaftswachstums in Ostasien hat sich in den mehr so schnell, und es sind Leute mit langem Mes- letzten zehn Jahren verändert. Das ist allgemein ser und langer Gabel an diesem Tisch und holen bekannt. Mittlerweile werden viel mehr Autos in sich ihren Teil von diesem Kuchen. China selbst gebaut als nach China exportiert und so weiter. In der Konsequenz ist es nicht mehr so, Jetzt ist die Zeit leider schon um. Das kann ich im dass das chinesische Wachstum gewissermaßen Detail jetzt nicht ausweiten, ich wollte und werde eins zu eins gekoppelt ist an das Wachstum der das immer wieder sagen und darauf aufmerksam Weltarbeitsteilung. Das ist nicht mehr so. Ein wach- machen, dass es eine völlig eindeutige strukturelle sender Teil des chinesischen Handels wird in Ost- Unterscheidung gibt zwischen den kleineren Hä- asien selbst abgewickelt und nicht mehr mit Eu- fen wie Le Havre, Zeebrugge und Bremerhaven, ropa. Jade-Weser-Port und den ganz großen Häfen wie Antwerpen und Rotterdam. Irgendwo dazwischen Drittens: Natürlich organisiert China selbst seinen befindet sich Hamburg mit seiner gewaltigen Loco- Außenhandel mittlerweile als geostrategische Ope- Quote. Und damit muss man sich beschäftigen. ration. Diese Nue Seidenstraße – maritim und auf Welche Ladungen sollen es sein? Haben wir in dem Land – ist eine solche Maßnahme. In der Konse- Bereich eine Chance, mit welchem Hebel, welchem quenz hat das Wirkung auf die Frage, wie die Nor- Aufwand bekommen wir sie zu uns in unsere Stadt? drange dasteht, das ist doch eindeutig. Wenn man Und was müssen wir klugerweise an Diversifizie- das mit der weltweiten Rivalität insbesondere von rung unseres Geschäftsfelds organisieren? Dafür ist USA und China und Europa verkoppelt, dann weiß diese Anfrage ein wunderbares Material, weil sie man, dass das ebenfalls dazu beiträgt. Wenn wir zeigt, was da alles los ist. In diese Richtung gehen uns aus guten Gründen mit Russland wegen seiner unsere Argumente. Nur das sichert die Arbeits- Innenpolitik anlegen und Sanktionen erlassen in plätze, die Wertschöpfung, die Bedeutung von Bre- der einen oder anderen Frage, womöglich Nord- merhaven. Ein letzter Satz: Nehmen Sie doch Uwe stream 2 einstellen müssen, hat das Einfluss auf die Schmidt zur Seite und erklären Sie ihm, was wir Frage, ob die Handelsschifffahrt weiter von Bre- hier besprechen. – Vielen Dank! merhaven aus die Ostseehäfen anläuft oder nicht. Das sind alles strukturelle Gründe. In diesen Topf (Beifall Bündnis 90/Die Grünen) gehören die. Dagegen kann man auf der Ebene von Bremerhaven nicht anarbeiten. Vizepräsidentin Dogan: Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Grobien. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1901

Abgeordnete Grobien (CDU): Frau Präsidentin, positiver Effekt werden. Mein Kollege Herr Meyer- meine Damen und Herren! Nach dieser geopoliti- Heder hat es in der Debatte gestern schon darge- schen und strukturellen Debatte und Argumenta- stellt. An jedem einzelnen Arbeitsplatz in der Ha- tion von Herrn Bücking zur Ladungsentwicklung fenwirtschaft hängen fünf weitere Arbeitsplätze in und Verschiebung lassen Sie mich vorweg sagen, der Gesamtwirtschaft. Wenn wir also durch gute ich glaube, es kommt schon noch auf Ladungsmen- Hafenpolitik, eine moderne Infra- und Suprastruk- gen an. Bremerhaven auf die Größenordnung von tur sowie schnelle und passgenaue Dienstleistun- Le Havre und auf das Niveau zu heben, finde ich gen wieder mehr Ladung – es geht immer noch um sehr gewagt. Da gibt man sich ja schon von vorn- mehr Ladung und mehr Umschlag – in unsere Hä- herein auf. fen holen, dann entstehen dadurch im besten Fall Tausende neue Arbeitsplätze in der Region oder (Beifall CDU, Bündnis 90/Die Grünen) werden bestehende gesichert. Deswegen wünsche ich mir eine offene Haltung gegenüber neuen Ich habe mich aber hier noch einmal gemeldet, um Technologien und wäre ein wenig vorsichtig mit ein Wort zur Zukunftsfähigkeit und damit auch zur der Wortwahl, Herr Bücking, wenn Sie vom Hoch- Digitalisierung zu sagen. Viele Elemente, es gibt ja rüsten der Technologie sprechen. den Nationalen Masterplan Maritime Technolo- gien, immerhin ein nationaler Plan, sind auch in Zweitens muss es für die durch die Digitalisie- das Bremer Innovationscluster Maritime Wirtschaft rungsmaßnahmen direkt betroffenen Arbeitneh- und Logistik eingeflossen. Auch das ist schon zur merinnen und Arbeitnehmer selbstverständlich Sprache gekommen. Es ist auch, das merkt man passende und öffentlich geförderte Qualifizie- hier an der Debatte, unser aller Interesse, gemein- rungsmaßnahmen für neue Tätigkeiten geben. Für sam und überparteilich in den Bereichen Nachhal- uns ist klar, niemand darf durch die Digitalisierung tigkeit und Umweltschutz im Schiffbau und Schiffs- verloren gehen. betrieb sowie der Digitalisierung der Häfen voran- zukommen. Doch oft scheint es so, als reden wir im- Noch einmal zu heute Morgen, als wir ja schon mer nur darüber und kommen nicht so richtig vo- über das Forschungsschiff Polarstern für das AWI ran. debattiert haben. Es ist ein weiteres maritimes, nachhaltiges und zukunftsweisendes Thema und So lässt zum Beispiel die Zusammenarbeit mit dem zeigt noch einmal, auch jetzt abschließend nach bereits 2017 gegründeten Deutschen Maritimen dieser Debatte, wie eben doch alles von allem ab- Zentrum e. V. noch sehr zu wünschen übrig. Nicht hängt oder auch mit allem zusammenhängt. Durch nur dass wir erst anderthalb Jahre nach der Grün- die Verknüpfung zwischen Hafenwirtschaft, In- dung als letztes Bundesland Mitglied wurden. In dustrieproduktion, logistischen Dienstleistungen der Vorlage heißt es dazu, der interdisziplinäre sowie Forschung und Wissenschaft sind die Grund- Austausch wird zukünftig noch weiter ausgebaut voraussetzungen für eine positive Entwicklung der und intensiviert werden – auch ein Hinweis darauf, maritimen Wirtschaft auch weiterhin am Standort dass bislang noch nicht viel passiert ist. Die Hand- Bremen und Bremerhaven gegeben. lungsfelder sind genau die, über die wir hier die ganze Zeit reden: Wettbewerbsfähigkeit, Nachhal- Allerdings ist dieser Erfolg kein Automatismus. Wie tigkeit und Klimawandel, technologischer Wandel gesagt, wir haben es heute oft gehört, die Wettbe- und Demografie und Nachwuchssicherung. werber schlafen nicht, sondern sind im Gegenteil schneller und agiler als wir. Deswegen müssen wir Ich weiß, dass Digitalisierung insbesondere des schneller werden, in Ausbildung, in neue Techno- Hafenumschlags nicht nur Begeisterung, sondern logien investieren und vor allem Prozesse be- eben auch Ängste auslöst. Ein Van-Carrier, der au- schleunigen, statt sie zu zerreden, und vielleicht tomatisch fährt, braucht eben keinen Fahrer. Ob auch einmal einen alten Zopf abschneiden. Für sich die immensen Investitionen in ein solch auto- uns, die CDU, jedenfalls hat die maritime Wirt- matisiertes System lohnen, müssen aber die jewei- schaft weiterhin oberste Priorität. – Vielen Dank für ligen Umschlagsunternehmen am jeweiligen Ort Ihre Aufmerksamkeit! selbst entscheiden. (Beifall CDU) Dazu möchte ich erstens sagen, wenn wir auf mitt- lere Sicht an der Kaje durch die Digitalisierung ei- Vizepräsidentin Dogan: Als nächster Redner hat nige Hundert Arbeitsplätze weniger haben sollten, das Wort der Abgeordnete Stahmann. so kann daraus gesamtwirtschaftlich dennoch ein 1902 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Abgeordneter Stahmann (SPD): Frau Präsidentin, Abgeordneter Prof. Dr. Hilz (FDP): Frau Präsiden- liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der tin, meine Damen und Herren! Keine Angst, ich Fraktion der CDU ist aus dem Januar. werde nichts von dem wiederholen, was ich vorhin gesagt hatte. (Abgeordneter Prof. Dr. Hilz [FDP]: Das ist eine An- frage!) (Heiterkeit)

Das hatten wir beim letzten Mal schon, wahr- Ich habe mich noch einmal auf die Aussagen von scheinlich ist das mein Markenzeichen. Herrn Bücking gemeldet. Ich habe dem genau zu- gehört und zwischendurch meinen wissenschaftli- Die Anfrage der Fraktion der CDU ist aus dem Ja- chen Taschenrechner gezückt und mir die Tabel- nuar, und man könnte denken, dass es Zufall ist, len, die in dieser Vorlage auf Seite 21 bis 23 sind, dass wir heute – Frau Grobien hat es gesagt – vier noch einmal genauer angeschaut. Die einzige sehr Themen im Zusammenhang mit dem Hafen und kleine Verbesserung, die Sie, Herr Staatsrat, für mit maritimer Wirtschaft haben. Ich glaube, dass Herrn Bücking beim nächsten Mal vielleicht ma- das nicht so ist, sondern dass es Ausdruck dessen chen können, ist, noch die Summe unter die abso- ist, welche Bedeutung die maritime Wirtschaft in luten Zahlen zu schreiben, damit man das noch ein- diesem Land hat, und sie ist uns, der Koalition, mal sieht: Der Gesamtumschlag in den europäi- wichtig. Deswegen kämpfen wir für den Standort schen Häfen ist in den letzten elf Jahren um acht Bremerhaven, wir kämpfen für die Häfen, diese Prozent von 946 Millionen TEU auf 1 024 Millionen müssen auch wirtschaftlich gestärkt werden. TEU gestiegen. Auch der Containerumschlag ist in diesem Zeitraum von 39,3 TEU auf 45,3 TEU, also (Beifall SPD) sogar um 15 Prozent, gestiegen.

Ich warte, bis meine Fraktion geklatscht hat. Diese strukturellen Fragen, die Sie gestellt haben, stimmen nicht so ganz. Also, es sind in den letzten (Abgeordnete Neumeyer [CDU]: Was bekommen elf Jahren immer mehr Container in den europäi- die dafür?) schen Häfen verladen worden. Mit den Strategien, die China verfolgt, sind trotzdem mehr Container Ich habe noch vier Minuten, das dauert nicht so bei uns angekommen. Insofern wollen wir an die- lange. sem Mehr auch teilhaben. Das konnten wir aber nicht. Wenn man sich die Zahlen für die bremi- Ich glaube, dass wir gut beraten sind, und die Ei- schen Häfen anschaut, dann sind die Marktanteile nigkeit, die wir heute über alle vier Themen hatten, im Gesamtumschlag von 7,9 auf 6,8 Prozent Markt- war bezeichnend dafür, wie wichtig das uns und anteil zurückgegangen, also der relative Anteil, der Opposition ist. Ich glaube, dass wir in Zukunft den wir hier abbekommen. Im Containerumschlag der Digitalisierung und der Weiterentwicklung des ist es noch stärker von 13,9 auf 10,7 Prozent zurück- Hafens nicht ausweichen können. Es ist keine gegangen. Wir haben also Marktanteile verloren. Frage, ob wir das wollen, sondern wir werden uns dem stellen und als Politik damit umgehen müssen. Insofern sehe ich das etwas anders als Sie, Herr Bü- Wir werden schauen, was das für Arbeitsplätze cking, und vielleicht erklärt das auch, dass wir eine heißt und wie wir sie erhalten, denn es geht auch ganz andere Haltung zum Beispiel auch zur Au- da um die Wettbewerbsfähigkeit im Kleinen und im ßenweservertiefung haben. Wir wollen die Markt- Einzelnen und nicht nur in der Reparatur oder Er- anteile halten. Deswegen ist diese Außenweserver- tüchtigung von Kajen oder anderen Dingen. tiefung elementar wichtig, um die Erreichbarkeit der bremischen Häfen weiterhin zu erhalten. Das Auf zwei Dinge kann ich verzichten. Das eine sind ist ein ganz wichtiger Punkt, den ich in dieser De- Pressemitteilungen von außen und das andere sind batte doch noch einmal klar erwähnen möchte. lange Erklärungen von einzelnen Abgeordneten und Wiederholungen. – Ich danke Ihnen! Zweiter Punkt: Kooperation. Da will ich auch nicht näher auf die aktuellen Diskussionen von gestern (Beifall SPD) bei einem lokalen Fernsehsender eingehen, aber ich möchte noch einmal zeigen, dass auch in dieser Vizepräsidentin Dogan: Als nächster Redner hat Antwort der Maritime Cluster Norddeutschland der Abgeordnete Herr Prof. Dr. Hilz das Wort. e.V., der Deutsche Maritime Zentrum e. V. und Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1903

auch das erwähnt werden. Alle sind Kooperatio- den coronabegründeten Unterstützungsmaßnah- nen, welcher Art auch immer, und sie führen dazu, men des Bundes mit aller Kraft weiterhin dafür sor- dass die bremischen Häfen tatsächlich gestärkt gen, dass wir als maritim geprägter Standort opti- werden und dass wir als norddeutsche Häfen in Ko- male Rahmenbedingungen für die in diesem Be- operation gemeinsam stärker sind, als wenn wir al- reich tätigen Unternehmen vorhalten können. lein kämpfen. Auch ohne Coronapandemie befinden sich unsere Häfen in einer schwierigen Marktlage und sehen Insofern sind wir immer – und Sie können es in un- sich einem immer stärker werdenden Wettbewerb serem Wahlprogramm nachlesen – unter den Be- gegenüber. dingungen, wie auch immer sie geartet sind, für weitere Kooperationen in den norddeutschen Hä- Ein Beispiel: Im vergangenen Jahr ist der Contai- fen, mindestens mit losen Zusammenschlüssen wie nerterminal in Bremerhaven im europäischen Ver- dem Maritime Zentrum e. V., dem Maritime Cluster gleich von Platz vier auf Platz sieben abgerutscht. Norddeutschland e. V. und dem Bündnis für Aus- Hinzu kommt, dass wir die weiteren Auswirkungen bildung und Beschäftigung in der Seeschifffahrt, der Coronapandemie auf die Branche im Moment Maritimes Bündnis. Das alles hilft uns. In diesen noch nicht vollständig absehen können. Dieser ver- Bereichen sollten wir auch offen für etwas sein, das schärften Wettbewerbssituation stellen sich der Se- in Zukunft kommen könnte. nat und die Akteure im Hafen Tag für Tag mit einer Vielzahl an Maßnahmen. (Beifall FDP) Mit der Großen Anfrage werden einige wichtige Ich möchte schließen. Also, ich empfehle, die Zah- Aspekte unserer Hafen- und maritimen Wirt- len noch einmal genau anzuschauen, bevor man schaftspolitik aufgegriffen, die ich im Folgenden strukturelle Fazits zieht, die vielleicht nicht ganz in näher erörtern möchte: Zahlen widergespiegelt werden. Wir müssen dazu kommen, Marktanteile zu gewinnen, damit wir hier Ziel unserer Politik ist und bleibt es, die Wettbe- den Standort Bremen/Bremerhaven stärken. – Vie- werbsfähigkeit der bremischen Häfen weiterhin si- len Dank! cherzustellen und auszubauen. Hierfür tätigen wir kontinuierliche und in die Zukunft gedachte Inves- (Beifall FDP) titionen zur Modernisierung der Hafeninfrastruk- tur, beispielsweise durch den Neubau der Kaje 66, Vizepräsidentin Dogan: Als nächster Redner hat der Columbuskaje und der Nordmole, um die Pro- Herr Staatsrat Cordßen das Wort. jekte zu benennen, die wir mit dem aktuellen Haushaltsbeschluss in die Umsetzungsphase ge- Staatsrat Cordßen: Sehr geehrte Frau Präsidentin, bracht haben. Dazu gehört aber auch, das ist schon meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich mehrfach erwähnt worden, und wir hatten hier am möchte der Fraktion der CDU für diese außeror- Dienstag auch das Thema, der Senatsbeschluss, mit dentlich breit angelegte Anfrage danken, denn sie dem wir die Ertüchtigung der Kajen am CT I bis III gibt uns die Möglichkeit, hier über die aktuelle Si- a am Containerterminal in Bremerhaven auf den tuation und die Zukunft der maritimen Wirtschaft Weg gebracht haben. und der Logistik in Bremen und Bremerhaven zu diskutieren, und ich möchte Ihnen allen für den bis- Auch auf die globale Herausforderung der Corona- herigen Verlauf dieser Debatte danken. pandemie haben wir schnell und effektiv reagiert und Maßnahmen zur Abmilderung der Auswirkun- Angesichts der enormen Relevanz dieser Branche gen dieser Krise auf die Hafen- und Logistikwirt- für unser Bundesland und der Herausforderungen, schaft umgesetzt. Wir standen während der ersten vor denen die deutsche Seeschifffahrt sowie die Hochphase der Pandemie zum Beispiel im Rahmen Hafen- und Logistikwirtschaft gerade jetzt im Zuge der Task Force „Bremische Häfen“ im direkten Di- der Coronapandemie stehen, ist ein Dialog hier in alog mit der Branche und halfen, wo wir konnten. der Bremischen Bürgerschaft außerordentlich rich- Diesen Dialog werden wir auch zukünftig im Rah- tig und wichtig. men des Zukunftsforums bremische Häfen fortset- zen. Meine Damen und Herren, Sie wissen alle, dass die Branche zu den beschäftigungsintensivsten und Zur Unterstützung der Unternehmen in der Krise umsatzstärksten Wirtschaftsbereichen im Land haben wir beispielsweise die Stundung der Miet-, Bremen gehört. Der Senat wird deswegen neben 1904 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Pacht- und Erbbauzinszahlungen sowie der Hafen- bremischen maritimen Wirtschaft angenommen. gebühren ermöglicht. Zudem wurde die turnusmä- Der Senat unterstützt die Unternehmen bei der ßige Erhöhung der Miet- und Erbbauzinsen im Ha- Durchführung solcher Programme. fenbereich ausgesetzt. Klar ist allerspätestens jetzt, da die Elbvertiefung begonnen wurde, dass auch (Präsident Imhoff übernimmt wieder den Vorsitz.) die Außenweservertiefung, die eine dringende ökonomische Notwendigkeit für unseren Hafen- Im Sinne der maritimen Wirtschaft brauchen wir standort ist, endlich vom Bund vorangetrieben wer- den Dialog mit den Unternehmen sowie mit den den muss. Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Branche genauso wie diese politischen Debatten in der Bre- (Beifall FDP) mischen Bürgerschaft. Nur so erreichen wir eine gemeinsame klare Orientierung, damit die mari- Hier erhoffen wir uns weitere Klarheit durch das time Wirtschaft auch in Bremen in der Zukunft wei- Koordinierungsgremium Weser, zu dem wir mit der ter die Bedeutung hat, die sie in den letzten Jahr- Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt zehnten hatte und die sie auch in den nächsten und den beteiligten Bundesländern im Oktober in Jahrzehnten haben wird. – Vielen Dank für Ihre Bremen zusammenkommen werden. Das gilt Aufmerksamkeit! gleichermaßen für die Verbesserung der Seehafen- hinterlandanbindung, sowohl auf der Schiene als (Beifall SPD, DIE LINKE) auch auf der Straße. Für die Umsetzung dieser bre- mischen Interessen an regionalen und überregio- Präsident Imhoff: Weitere Wortmeldungen liegen nalen Infrastrukturen setzen wir uns mit voller nicht vor Kraft und im guten Dialog mit dem Bund ein. Die Aussprache ist geschlossen. Meine Damen und Herren, die Zukunft unseres Hafenstandorts ist natürlich auch davon abhängig, Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Antwort dass wir Wissen und Innovation, kurz gesagt, das des Senats, Drucksachen-Nummer 20/431, auf die maritime Know-how in unserem Bundesland bil- Große Anfrage der Fraktion der CDU Kenntnis. den, unterstützen und sichern. Mit guter Ausbil- dung und Qualifizierung sowie zielgerichteter For- Mittelstandsförderungsgesetz reformieren – schung und Entwicklung werden wir Bremen und Clearingstelle, Clearingverfahren und Mittel- Bremerhaven weiter zu einem innovativen Hafen- standsbeirat einrichten! und Logistikstandort ausbauen. Antrag der Fraktion der FDP vom 12. März 2020 Als Ressort für Wissenschaft und Häfen liegt uns (Drucksache 20/322) deswegen neben der beruflichen natürlich auch die akademische Ausbildung im maritimen Sektor am Dazu als Vertreter des Senats Staatsrat Ehmke. Herzen. Unsere Hochschulen mit ihren maritimen Ausbildungs- und Studiengängen sind sich ihrer Die Beratung ist eröffnet. Verantwortung für den Hafen- und Logistikstand- ort bewusst und stellen sich dieser Herausforde- Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete rung durch eine verstärkte Internationalisierung Frau Wischhusen. sowie eine Vielzahl von Kooperationen mit Unter- nehmen aus der Branche. Abgeordnete Wischhusen (FDP): Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Für den deut- Ein anderer Aspekt betrifft die Weiterbildung. In schen Mittelstand werden wir weltweit tatsächlich einer Zeit der ständigen Veränderung und der kla- beneidet. Der Mittelstand ist das Rückgrat unserer ren Tendenz hin zu mehr Automatisierung und Di- heimischen Wirtschaft, und er schafft es eben auch gitalisierung wird es immer wichtiger, die Mitar- immer wieder durch seine Werte auch die sehr har- beiterinnen und Mitarbeiter in den Häfen und der ten Zeiten, nämlich die Krisenzeiten, zu überwin- maritimen Wirtschaft auf diesem Weg mitzuneh- den. Der Mittelstand, das sind in Bremen rund men und im Rahmen von gezielten Weiterbildun- 99 Prozent der Unternehmen. 73 Prozent davon, gen zum Beispiel durch die ma-co maritimes com- das heißt, allein 11 800 Betriebe, beschäftigen in petenzzentrum GmbH für die Zukunft fit zu ma- Bremen weniger als zehn Mitarbeiterinnen und chen. Auch die zur Verfügung stehenden For- Mitarbeiter und die Wertestruktur des Mittelstan- schungs- und Förderprogramme werden von der Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1905

des ist absolut einzigartig. Was versteht man da- telstand mit einzubeziehen und auch mit Wert- runter, was steht dahinter? Sie zeichnet sich näm- schätzung auszustatten. Es geht darum, den Mittel- lich durch eine enorme Standorttreue aus. Denken stand, der eben nicht versucht, Steuern zu umge- wir als Beispiel nur an Hachez, damals an die guten hen und sich aus dem Staub zu machen, endlich mit Zeiten, als Hachez noch den beiden Bremer Fami- an den Tisch der Politik zu holen. Der Mittelstand, lien Kropp-Büttner und Nauck gehörte, da war die das sind nämlich diejenigen, die die Steuern zah- Bremer Schokoladenfabrik in unserer Mitte und len, denn die Armen können es logischerweise nicht wegzudenken. Kaum wurde sie verkauft, nicht, und die großen Konzerne haben es einfach, wurde die Firma auch in das Ausland verlagert. sich in das Ausland zu flüchten und umgehen da- mit die Steuerlast. Die, die bezahlen, sind oft die Der enge Bezug zu der Belegschaft ist auch charak- kleinen und mittelständischen Unternehmen. teristisch. In Familienunternehmen ist man nämlich Mitarbeiterin/Mitarbeiter, ist man persönlich be- Deutschland ist ein Steuerhochland, und der Büro- kannt, man hat einen Namen, man hat eine Ge- kratieaufwand ist zunehmend überbordend. Der schichte, und es wird oft viel emotionaler geführt Mittelstand wird massiv belastet, und um unseren als im Konzern, wo man eben nur eine Nummer in Mittelstand zu entlasten und dessen Belange ernst einer Personalakte ist. Kleine und mittelständische zu nehmen, ist es essenziell, einen Mittelstandsbei- Unternehmen tragen eine ganz hohe soziale Ver- rat zu formen, der die Interessen des Mittelstands antwortung. So spenden eben oft die Unternehmer mit der Politik verknüpft. Oft erscheinen unsere und die Unternehmerinnen an Kirchengemeinden, Gesetzesvorhaben so logisch, doch beachten wir an Kindergärten, an Schulen, Sportvereine, und nicht in der Konsequenz, welche Auswirkungen sie auch Kultureinrichtungen wie Kunst und Theater in der Praxis auf die Wirtschaft tatsächlich haben. werden oft unterstützt. Leider ein Mehrwert, der Häufig lesen wir immer wieder in den Vorlagen viel zu häufig vergessen wird. Besonders für den von der Deputation für Wirtschaft, welche Konse- Mittelstand ist auch das generationenübergrei- quenz es auf die Mittelstandsbetroffenheit hat. Ich fende Denken. Denn der Mittelstand steht selten kann mich, glaube ich, die letzten Jahre nicht erin- für kurz gedachte Exit Stories, sondern vielmehr für nern, dass darin überhaupt einmal etwas gestan- ein nachhaltiges und auf die Zukunft ausgelegtes den hat. Und da fragen wir uns eben, ob dieses In- Unternehmen. strument noch das richtige ist. Wir glauben, dass ein Mittelstandsbeirat ein viel besseres Instrument Die unternehmerische Vorsicht bedingt damit auch wäre oder zumindest ein ergänzendes. den Erfolg. Gerade deshalb sind die Eigenkapital- quoten im Mittelstand im Vergleich enorm hoch, (Beifall FDP, CDU) und gerade deshalb ist der Mittelstand so krisenre- sistent. Denn nur wer Geld auf der hohen Kante Gerade jetzt in der schweren Coronakrise, in der hat, kann so schwere Zeiten und Konjunkturdellen wir davon ausgehen müssen, mindestens ein Drittel aushalten. Aber, und das gehört zur Wahrheit aus- unserer Unternehmen durch Insolvenz zu verlie- gesprochen, der Mittelstand hat für seine Macht ren, ist es unausweichlich, den Mittelstand zu ent- viel zu wenig Gehör. Es ist auch einfacher, einen lasten und zu unterstützen. Der Mittelstandsbeirat Besuch bei Airbus oder Mercedes zu machen, statt mit der Clearingstelle und dem Clearingverfahren die tausend kleinen Logistikunternehmen einzeln bietet dafür eine hervorragende Plattform und zu besuchen. Doch dieser Ansatz ist viel zu kurz ge- sorgt für eine Wertschätzung, die es so in Bremen dacht, denn allein im Jahr 2016 haben alle kleinen noch nie gegeben hat. Nordrhein-Westfalen macht und mittelständischen Unternehmen im Land Bre- es vor, und auch wir wollen den Mittelstand in Bre- men ein Umsatzvolumen von beachtlichen men stützen. Die Zusammensetzung ist dabei ein 23,3 Milliarden Euro erwirtschaftet. Die Export- wichtiger Erfolgsfaktor, und die Diversität der Ge- quote lag bei 15,7 Prozent, und so werden durch sprächspartner wird für einen echten Mehrwert auf den Bremer Mittelstand Bremer Produkte in die allen Seiten sorgen. Wir glauben, es können nur Welt getragen. alle gewinnen, und wir freuen uns darauf, wenn er ins Leben gerufen werden würde. – Vielen Dank! Auch die Ausbildungsleistung ist absolut nennens- wert, und so sind vier von fünf Auszubildenden im (Beifall FDP) Mittelstand beschäftigt. Hannelore Kraft hatte in Nordrhein-Westfalen 2015 die Superidee, einen Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort Mittelstandsbeirat einzuführen. Das, um den Mit- der Abgeordnete Herr Meyer-Heder. 1906 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Abgeordneter Meyer-Heder (CDU): Herr Präsi- 325 000 haben, und da stellt der Mittelstand 73 Pro- dent, sehr geehrte Damen und Herren! Jetzt wird zent der Beschäftigten. Bei der Ausbildung, auch es schwierig, weil wir uns ja nicht mehr so viel wie- das ist schon gefallen, 80 Prozent, also vier von fünf derholen wollen. Ich versuche einmal, worüber uns Ausbildungsplätze befinden sich im Mittelstand. Frau Wischhusen schon sehr ausgiebig informiert Hier kommen natürlich noch die Leistungen der hat, auch was die Werte betrifft, da bin ich voll bei Unternehmen, die vielleicht geführt werden wie Ihnen, ich versuche trotzdem, so ein paar Dinge ein Mittelständler, die aber in der Kategorie über- noch zu ergänzen, die mir einfallen. haupt nicht vorkommen. Kurzum, der Mittelstand hat eine unglaublich hohe Bedeutung für die hei- Wichtig ist dabei, Hannelore Kraft ist schon gefal- mische Wirtschaftsleistung, und jede Maßnahme len. Richtig ist, dass wir es da mit einer rot-grünen wirkt sich positiv auf die gesamte Beschäftigungs- Regierung zu tun haben in Nordrhein-Westfalen, lage in Bremen aus. die dieses Clearingverfahren, diese Clearingstelle und den Beirat beschlossen hat. Das heißt, es geht Als letzter, und auch das ist schon angeklungen, ja nicht um parteipolitische Dinge oder nur darum, nicht zu unterschätzender Aspekt ist natürlich die den Beirat einzuführen, weil wir eine wirtschafts- Tatsache, dass die in der Regel eigentümergeführ- freundliche Partei sind. Es geht wirklich um die Er- ten Mittelständler natürlich einen ganz anderen kenntnis, dass der Mittelstand wichtig ist. Lassen Bezug zu unseren beiden Städten haben und in un- Sie uns bitte vernünftig darum kümmern. Darüber serem Land dann auch Verantwortung überneh- steht: „Lassen Sie uns das machen, was Sinn men. Der zweite Punkt, die gesamte Wirtschaft und macht!“ – was ich sowieso eine grundsätzlich sehr der Mittelstand haben eine besondere Bedeutung gute Haltung finde. im Hinblick auf die Themen, die vor uns liegen. Also der Klimawandel, wir stehen vor einem ge- Aus diesem Grund werden wir als CDU-Fraktion waltigen Umbau der Wirtschaft und nicht nur der den Antrag unterstützen. Wir würden uns sehr Automobilwirtschaft. Wir als CDU glauben ja nicht freuen, wenn wir das in der Breite hier auch durch- so an Verbote, sondern an Innovation, und auch da bekommen, weil das Bremische Mittelstandsförde- spielt natürlich der Mittelstand eine große Rolle, rungsgesetz in § 12 sagt, dass wir lediglich einmal und dafür brauchen wir natürlich einen vernünfti- pro Legislaturperiode, also alle vier Jahre, einen gen Dialog und eine sehr vernünftige zielgerichtete Mittelstandsbericht vorlegen müssen. Das ist aus Arbeit mit dem Mittelstand zusammen. unserer Sicht viel zu spät. Der letzte Bericht war 2017, wurde Mitte 2018 vorgelegt, basiert auf Da- Es entstehen auch im Mittelstand durch den Um- ten von 2016. Im Vergleich zu den Instrumenten bau, durch die Innovation natürlich wieder ganz aus Nordrhein-Westfalen hat Bremen da, obwohl andere Anforderungen. Handwerkerinnen, Hand- wir natürlich kleiner und viel agiler sein könnten, werker, es wird ja immer viel von Automobilen ge- eine viel geringere Erkenntnislage, was den Mittel- redet, aber es gibt auch in kleinen Bereichen ganz stand betrifft, als in Nordrhein-Westfalen. Das müs- andere Berufsfelder, auf die sich dann auch der sen wir verbessern. Mittelstand speziell fokussieren kann. Wenn wir also über energetische Sanierung nachdenken, da Warum ist der Mittelstand überhaupt so wichtig? kommt natürlich ein ganz anderes Know-how ins Auch da sind schon viele Dinge angesprochen wor- Spiel. Wir müssen ganz anders umgehen mit För- den. Ich lasse einmal die weg, die Frau Wischhusen derprojekten, welche Projekte fördern wir eigent- schon genannt hat. 99,1 Prozent der Unternehmen lich, auch da braucht es Know-how im Mittelstand. in Bremen sind kleine und mittlere Unternehmen, Es gibt dann noch Branchen wie IT-Dienstleistung das sind in der Summe 22 425 von 22 438 Unter- zum Beispiel, die auch sehr mittelständisch geprägt nehmen. Es ist also schon sehr relevant. Der Anteil sind, bei denen wir noch viele Arbeitsplätze gerade liegt dabei bei 99,6 Prozent. Vom Umsatz her kann in Bremen schaffen können. man sich das so vorstellen: Alle Unternehmen ha- ben einen Gesamtumsatz von 67 Milliarden Euro, Deswegen würde ich mich freuen, wenn Rot-Rot- davon entfallen auf den Mittelstand oder die klei- Grün sich dazu durchringen könnte, diesen Antrag nen und mittleren Unternehmen 23 Milliarden zu unterstützen, wir müssen in diese Kommunika- Euro, das sind also 34 Prozent. tion kommen, denn ein von oben verordneter Strukturwandel wird nicht funktionieren. Wirt- Deutlich besser sieht es bei den Sozialversiche- schaftsförderung ist natürlich ein wichtiges Thema. rungsbeschäftigten aus, von denen wir insgesamt Da müssen wir ein wenig unterscheiden, einmal vor Corona und mit Corona, und ich hoffe, auch Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1907

nach Corona. Das Zukunftsthema in Bremen und and-paste ist und nicht ein bewusstes Ausklam- Bremerhaven wird aber natürlich sein, wenn wir mern dieser Kammer. Das hat mich aber schon et- uns den Konjunkturindex anschauen, der ist um was verwundert. 57 Punkte auf 41 Punkte gefallen, also wir werden hier in eine wirtschaftliche Krise laufen. Das Thema Das ist der eine Punkt. Das wäre für die Fraktion Arbeitsplätze, vernünftige Arbeitsplätze, Siche- der SPD an sich schon ein Grund, den Antrag ab- rung von Bestandsunternehmen wird das Thema zulehnen, wenn man in einem solchen Gremium sein, was wir zu bewältigen haben, und das können die Arbeitnehmerkammer nicht berücksichtigt, wir nur zusammen mit dem Mittelstand erreichen. denn sowohl Frau Wischhusen als auch Herr Deswegen, gesagt habe ich es schon, wir unterstüt- Meyer-Heder haben gesagt, dass die Besetzung zen den Antrag. des Gremiums und die Diversifizierung und die Vielfalt etwas Wichtiges ist. Das ist dann aber ein Eines noch, was wir natürlich nicht wollen, wir wol- Problem, wenn man Gruppen auslässt. len vernünftige schlagfertige Menschen dann in dem Beirat, wir wollen keine zusätzliche Bürokra- (Beifall SPD) tie, wir wollen einen fairen Austausch miteinander. Dazu brauchen wir dieses Instrument. Deswegen Dass man dann in der Zusammensetzung einen Ali- unterstützen wir den Antrag. – Vielen Dank! bigewerkschafter lässt, finde ich dann eher weni- ger gut, denn von der Sache her ist es so, dass es (Beifall CDU, FDP) natürlich ein Gremium wird, das allein von Arbeit- gebern und Verbänden entschieden wird. Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Stahmann. Noch einmal vielleicht zum Inhalt. Sie fordern die Mittelstandsförderung und die Clearingstelle, das Abgeordneter Stahmann (SPD): Herr Präsident, Clearingverfahren, weil die Mittelständler mit ih- liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was von der ren Sorgen und Nöten nicht ausreichend in der Re- FDP und von der CDU gerade zu der Bedeutung gierungspolitik berücksichtigt sind. Ehrlich gesagt, des Mittelstands gesagt wurde, kann ich ohne verstehe ich das nicht. Es gibt das Mittelstandsge- Wenn und Aber für die SPD-Fraktion unterstrei- setz, alle Redner haben das gesagt und Sie haben chen. Der Mittelstand ist eine Säule der Wirtschaft, die Möglichkeit, darauf Einfluss zu nehmen. Es gibt und das nicht nur in Bremen, sondern in der Bun- im Gegensatz zu Nordrhein-Westfalen die Deputa- desrepublik, daran gibt es auch nichts zu deuteln. tionen, die wir haben. Ich glaube, dass die Deputa- Der Mittelstand trägt ganz viel von der Beschäfti- tionen gute Möglichkeiten sind, denn dafür sind sie gung, und er trägt noch mehr, auch das ist bereits in Bremen geschaffen, genau auf solche Fragen von Herrn Meyer-Heder gesagt worden, in der auch Einfluss zu nehmen. Frage der Ausbildung. Natürlich ist es so, dass wir mit Corona und mit der Krise, in der wir sind und Frau Wischhusen, Sie sind Mitglied der Deputation aus der wir jetzt hoffentlich kurzfristig herauskom- für Wirtschaft und Arbeit, auch wenn ich Sie dort men, im Mittelstand riesige Probleme haben. Wir noch nie gesehen habe, sollten Sie doch wissen, haben alle in der Zeitung gelesen, was mit Zuliefe- dass man dort solche Sachen diskutieren kann, rern ist, und das begrenzt sich nicht nur auf den dass man dort solche Dinge ansprechen kann und Automobilbereich, sondern auch auf Luft- und dass man dort auch Mittelstandsförderung durch- Raumfahrt, auf Stahl und auf andere, weil die Zu- führen kann. liefererindustrie immer noch vom Mittelstand ge- prägt ist. (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Insofern haben wir da großen Handlungs- und Un- Dann wird hier von Entbürokratisierung gespro- terstützungsbedarf. Was wir etwas anders sehen, chen, und es darf keinen Aufwand geben. Gleich- ist die Frage des Antrags der FDP. Für mich ist die zeitig wird aber gesagt, wir machen ein zweistufi- Frage, ich will einmal mit einem Punkt am Anfang ges Verfahren mit einer Clearingstelle, mit Treffen, anfangen, die Besetzung dieses Gremiums macht mit Rückkoppelung, und wir wollen auch noch, eher den Eindruck, als sei die Vorlage so ein wenig dass Gesetze, die es bereits gibt, rückwirkend noch Copy-and-paste aus Nordrhein-Westfalen, denn einmal infrage gestellt werden. Also soll die Clea- was darin in der Besetzung fehlt, ist zumindest die ringstelle zukünftig auch bereits bestehende Ge- Arbeitnehmerkammer. Ich hoffe ja, dass das Copy- setze überprüfen. Eine Antwort, was das dann heißt, gibt die FDP nicht. Eine Antwort, warum man 1908 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

sagt, wie geht man denn damit um, wenn man jetzt Deshalb ist mein Eindruck, dass hier eine völlig un- sagt, man stellt fest, oh, da ist aber irgendetwas nötige Bürokratisierung geschaffen werden soll. nicht richtig. Soll das Gesetz jetzt geändert werden, Zusätzliche Gremien helfen uns da nicht unbedingt muss das wieder ins Verfahren? Dann gleichzeitig weiter. Ich fände es auch gelinde gesagt, sehr zu behaupten, es sei kein Bürokratiemonster, finde schwierig, Lobbyarbeit im Vorfeld noch per Gesetz ich schon gewagt. – Danke! festzuschreiben, wenn man einer Gruppe zusi- chern will, noch vor Senatsbefassung Stellungnah- (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) men abzugeben und sie dazu aufzurufen, zustän- dige Ressorts zu beraten. Dann müsste das für ver- Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort schiedene andere Gruppen auch gelten. Ich der Abgeordnete Tebje. glaube, auch Herr Stahmann hat da ein paar gute Hinweise gegeben. Das Ergebnis wäre hier, dass Abgeordneter Tebje (Die LINKE): Sehr geehrter Gesetzesprozesse noch weiter bürokratisiert und in Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, die Länge gezogen werden. Beteiligung im Geset- es macht selbstverständlich Sinn, dass wir das Mit- zesverfahren ist sinnvoll und findet statt. telstandsförderungsgesetz noch einmal überprüfen und weiterentwickeln. Ich sage das auch ganz of- Dass eine Gruppe das Recht bekommen soll, Ge- fen, das wäre eigentlich dieses Jahr auch an der setzesvorhaben bereits im Vorfeld zu blockieren, Reihe gewesen, auf der Agenda des Ressorts und zu ändern und frühzeitig Einfluss zu nehmen, kann der Koalition, sich damit zu beschäftigen. Dann ich mir da eigentlich so nicht vorstellen. Ich weiß wissen wir aber auch ganz genau, dass uns dieses auch nicht, in welche Richtung das eigentlich ge- Jahr mit der Coronakrise der Zeitplan deutlich dacht ist. Der FDP-Antrag erwähnt die Zahlen aus durcheinander geschoben wurde. Ja, die Corona- dem Mittelstandsbericht und es fiel hier ein paar auswirkungen und das wissen wir auch, der Mittel- Mal, dass 99 Prozent der Unternehmen im Land stand liegt momentan natürlich im Fokus, nämlich Bremen zum Mittelstand gehören. Ich glaube, dass genau zu schauen, wie können wir Unterstützung das eine wichtige Gruppe ist. Das haben wir auch leisten, wie können wir aus dieser Krise Hilfen or- alle hier schon gesagt. ganisieren, wie können wir in dieser Krise kon- junkturelle Impulse setzten, die wir sicher in die Man muss aber natürlich sagen, das ist ein sehr Zukunft tragen. Das ist momentan, ich sage einmal weiter Begriff aus Sicht des Mittelstands, der hier so, der Kern der Auseinandersetzung und wir sind zugrunde gelegt wird. Der Mittelstandsbericht in verschiedenen Punkten auch daran, an verschie- zählt Betriebe bis zu 500 Beschäftigte zum Mittel- denen Dingen, Mittelstand zu fördern und zu hal- stand, darüber liegen im Land Bremen nicht viele. ten und die Auswirkungen der Krise zu bewältigen. Ja, das ist so. Die EU verwendet eine deutlich nied- rigere Grenze von 250 Beschäftigten und ob das Das hat natürlich auch dazu geführt, dass das, was wirklich Sinn macht, ob die Interessen des Mittel- man sich im Zeitplan vorgenommen hat, sich wirk- stands so gleich sind, ob ich zehn, 50 oder 500 Be- lich einmal das Mittelstandsförderungsgesetz an- schäftigte in meinem Betrieb als solches habe, dass zusehen und auf die Agenda zu nehmen, im das also eine Interessengemeinschaft ist, da habe Grunde bisher noch nicht stattgefunden hat. Wir ich wirklich meine Zweifel. sagen aber ganz deutlich, wir haben das auf der Agenda, sowohl das Ressort als auch die Koalition, Wenn man fast alles zum Mittelstand zählt, dann aber diesen Prozess wollen wir auch nicht vorgrei- klingt das zwar gewaltig, aber man verliert auch er- fen, denn über den Vorschlag einer eigenen Clea- heblich die Trennschärfe, für wen will man eigent- ringstelle und eines Mittelstandsbeirats bin ich lich was machen, mit welchem Fokus und wo sind skeptisch. Man kann da Bremen, meiner Meinung die Problemlagen? Dann ist ein Mittelstandsbeirat nach, auch nicht mit NRW vergleichen. Es gibt hier in diesem Größenverhältnis eigentlich nichts ande- kurze Wege für Gesetze, es gibt ordentliche Betei- res als ein Unternehmerbeirat für das Land Bre- ligungsprozesse, an dem die Wirtschaftsverbände men. Da haben wir auch schon andere Institutio- beteiligt sind. Deputationen sind vorab öffentlich, nen. Sofern ist, glaube ich, für uns eher der Part, es gibt eigentlich keine größeren Vorhaben die ir- dass man sich von dieser Idee verabschieden sollte. gendwie überraschend auf den Tisch kommen. Ich Wir wollen die Auswertung, die Überarbeitung des glaube, das wissen wir alle, wie kurz die Wege hier Mittelstandsförderungsgesetzes abwarten, gründ- in Bremen und Bremerhaven sind, auch zwischen lich diskutieren, aber jetzt einen Schnellschuss, zu- den Unternehmen und der Politik. Also, mein Ein- sätzliche Gremien einzurichten, das würde sich die druck ist das schon. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1909

FDP-Fraktion gerade an anderer Stelle sofort ver- Haltung der Autoren dieses Gesetzes, dafür zu sor- bitten. Für den Mittelstand gilt dasselbe wie für an- gen, dass mindestens einmal in der Legislaturperi- dere Gruppen. Seine besondere Lage, seine Inte- ode der Blick auf das Ganze geworfen wird. ressen sind wichtig und sollen Gehör finden, aber mit zusätzlichen Gremien ist dem Mittelstand ge- Unterhalb dieser Schwelle, und das ist absolut ver- nauso wenig geholfen, wie allen anderen. – Vielen nünftig, kann man alles machen. Unterhalb dieser Dank! Schwelle gibt es bei den einzelnen Fördermaßnah- men, bei den einzelnen Gesetzen ein umfängliches (Beifall DIE LINKE, SPD) System von Konsultationen zwischen Politik und Verwaltung auf der einen Seite und Wirtschaft auf Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort der anderen Seite. Ich kann mich nicht erinnern, an der Abgeordnete Bücking. irgendeinem Treffen zum Thema Innenstadtent- wicklung teilgenommen zu haben, ohne dass die Abgeordneter Bücking (Bündnis 90/Die Grünen): Handelskammer dabei war. Ich kann mich nicht Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es daran erinnern. Wenn Sie sich an dieses ganz ak- macht Sinn, glaube ich, noch einmal einen Blick tuelle Ereignis Innenstadtgipfel erinnern. Wer saß auf dieses Mittelstandsförderungsgesetz selbst zu da zusammen? Die Akteure des wirtschaftlichen werfen. Das stammt aus dem Jahr 2006, also der Feldes saßen da zusammen und so ist das immer! Blütezeit der Großen Koalition. Ein Werk, an das die CDU und die damalige SPD-Fraktion Hand an- Deswegen habe ich das Gefühl, wir tun uns keinen gelegt haben. Gefallen, wenn wir dafür jetzt noch ein formalisier- tes Gremium schaffen würden. Es würde alle Ge- Das Gesetz ist, wenn man genau auf die Wortwahl setzgebungsvorgänge, alle Vorgänge, mit denen schaut, so etwas wie ein Appell, denn es appelliert wir Förderprogramme verändern und überarbei- an die Politik und betreibt eine Selbstbindung des ten, erneut in die Länge ziehen, weil es ja nicht nur Senats. Ich will Ihnen aufzählen, was es benennt: so ist, dass man den Text ausarbeiten muss, son- Die Zielgruppe sind Unternehmen bis 250 Mitar- dern man muss ihn vorlegen und erklären, es muss beiter, sozusagen als Einschränkung eins bis 250. ein Termin gefunden werden, er muss kommentiert Dann kommen die Handlungsfelder, die sind so und es muss darauf reagiert werden und so weiter schön wie allgemein. Erstens: Die Schaffung und und so fort. der Erhalt verlässlicher Rahmenbedingungen für die mittelständische Wirtschaft. Zweitens: Der Aus- Es ist klug, die jetzt geschaffenen Strukturen weiter bau wirtschaftsnaher Infrastruktur/unternehmens- zu pflegen. Das kann man besser machen oder bezogene Fördermaßnahmen. Das sind die Hand- schlechter. Man kann im Übrigen auch eine bes- lungsfelder. sere oder schlechtere Mittelstandspolitik machen. Darüber, finde ich, lohnt es sich immer zu streiten. Dann geht es darum, dass untersucht wird, was Ich finde das Portrait der mittelständischen Wirt- Einfluss haben kann. Das sind die Standortkosten, schaft, das Frau Wischhusen vorgetragen hat, ab- das ist die öffentliche und private Leistungserbrin- solut treffend. Sie sind im wirtschaftlichen Feld na- gung, das ist die Beteiligung an öffentlichen Auf- hezu alles und es spricht deswegen dafür, die Lo- trägen, das sind unternehmensbezogene Förder- gik, nach der das stabil gehalten werden kann, programme. Mit anderen Worten, es ist das ge- nach der man dafür sorgen kann, dass sich das gut samte Feld der staatlichen Tätigkeiten, die Auswir- entwickelt, und nach der man dafür sorgen kann, kungen auf das unternehmerische Handeln haben, dass die Kompetenz, die in dieser Klasse gesam- also von der Steuerfrage bis zur Bereitstellung von melt ist, nicht verlorengeht und beim Generations- Gewerbeflächen, von der Förderung der Fach- wechsel nicht abreißt, damit Krisen gemeistert wer- kräfte bis zum Bildungswesen. den können. Das alles ist vollständig richtig. Nach bestem Wissen und Gewissen bemühen wir uns da- Wenn Sie den Mittelstandsbericht aufblättern, der rum. Der Rest ist politischer Streit. einmal pro Legislaturperiode aufgelegt wird, ha- ben Sie ein Komplettportrait staatlichen Handelns Also, ich wäre der Auffassung vom Kollegen Herrn und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen und de- Tebje. Das Gesetz wird jetzt im Dezember noch ren Folgen im Wirtschaftsgeschehen selbst. Jetzt einmal verlängert. Wir werden im nächsten Jahr einmal im Ernst: Das zeigt dann immer das Ganze, hoffentlich unter Bedingungen, die nicht durch alles was wir machen, und es ist, meinem Gefühl Corona beeinflusst sind, anständig darüber nach- nach, eine Einladung. Es war gewissermaßen die denken können, was wir daran verändern und 1910 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

dann wird dieser Vorschlag noch einmal geprüft. wann Sie denn einen neuen Mittelstandsbericht Ich selbst werde mit dem jetzigen Informations- vorlegen wollen, damit wir das Gefühl haben, der stand, dann eine Wortmeldung vornehmen, die e- Mittelstand ist wichtig und wir kümmern uns als her dagegenspricht. – Danke! Koalition auch darum. – Vielen Dank!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen) (Beifall CDU, FDP)

Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort Präsident Imhoff: Als nächste Rednerin hat das der Abgeordnete Herr Meyer-Heder. Wort die Abgeordnete Wischhusen.

Abgeordneter Meyer-Heder (CDU): Ja, ich noch Abgeordnete Wischhusen (FDP): Herr Präsident, einmal ganz kurz. Mich wundert, dass Herr Bü- meine Damen und Herren! Ich würde mich auch cking das Pult gar nicht heruntergefahren hat. gern den Worten von Herrn Meyer-Heder insofern anschließen, als dass ich mich auch freue, dass wir (Abgeordnete Krümpfer [SPD]: Er hat den Tritt ge- alle hier im Hause den Mittelstand und die kleinen nommen!) und mittelständischen Unternehmen wertschätzen, dass wir uns nicht darüber streiten müssen, wie Das steht ja noch auf meiner Höhe, Herr Bücking, wichtig diese Strukturen auch für Bremen und Bre- sehr schön. merhaven sind. Es freut mich, das tatsächlich von allen gehört zu haben. Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wunderbar finde ich ja schon einmal Nichtsdestotrotz, Herr Tebje, würde ich Ihnen noch die einheitliche Sicht über alle Fraktionen auf den einmal kurz mit auf den Weg geben, weil ich Ihnen Mittelstand, dass wir sowohl mit den Werten ein- eben zugehört habe, mit Ihrer Begründung, wie hergehen als auch die Bedeutung des Mittelstan- groß diese Spanne ist, also von wann bis wann die des honorieren. Unternehmensgröße ist, Sie sagen, das geht bis 500 Mitarbeiter, haben Sie recht. Das ist wirklich Ich glaube, dass trotzdem – –. Wie gesagt, das Mit- die offizielle Definition, die von kleinen und mittel- telstandsförderungsgesetz ist noch nicht angepasst ständischen Unternehmen benutzt wird. Nichts- worden, die Datenlage von 2016 in dem letzten Be- destotrotz haben allein in Bremen, das hatte ich ge- richt – –. Ich meine, das sind vier Jahre, da ist eine sagt, 73 Prozent der Betriebe unter zehn Mitarbei- Menge passiert in den letzten vier Jahren, da ter. Das heißt, wir haben hier eine große Anzahl müsste man ein bisschen mehr Gas geben an der von tatsächlich eher kleiner geprägten Unterneh- Stelle, um den Mittelstand da auch zu sehen. Ich men, die eben in diesen kleinen und mittelständi- finde nach wie vor so ein Gremium – –. Wir wollen schen Strukturen vorkommen. nicht Bürokratie aufbauen, aber einfach ein kleines Gremium, wo man direkt die Ansprache hat, denn Ich glaube, es ist wichtig, dass gerade die, die näm- meine Erfahrung im Mittelstand – –. Tatsächlich, lich sonst überhaupt nicht gehört werden, durch so wenn man hier so – –. ein Gremium eine Stimme bekommen könnten, wo es wichtig ist, dass auch einmal die Kleineren, die Wir in der IT kommen gut klar. Die Logistiker kom- sonst überhaupt keine Lobby haben, die keine men auch gut klar. Es gibt aber viele, das sehen wir Chance haben, an Politik heranzutreten, dort bes- zum Beispiel in der Veranstaltungsbranche, die ser vertreten sind. sich jetzt, gerade in Coronazeiten, in dem Bremen- Fonds gar nicht so richtig wiedergefunden haben. Natürlich steht es dem Senat frei, eine Besetzung Dafür wäre es vielleicht doch gut gewesen, weil die vorzuschlagen, Herr Stahmann. Da haben wir uns Branche sehr mittelständisch geprägt ist, zu sagen, auch gar nicht so festgelegt. Wir haben in unseren ja, da gibt es ganz klar ein Gremium, an das ich Antragstext hinein geschrieben, dass wir das gut mich wenden kann. Gern nehmen wir natürlich die finden, wie es in NRW läuft. Wir haben das auch Arbeitnehmerkammer mit in so ein Gremium, Herr mit unseren Kollegen vor Ort noch einmal rückge- Stahmann, damit habe ich überhaupt kein Prob- prüft. Dort wird auch von unserem Kollegen, dem lem. Wirtschaftsminister Herrn Dr. Pinkwart, ganz klar gesagt, damals hat Frau Kraft ein tolles Gremium Wenn Sie jetzt den Vorschlag, also den Antrag geschaffen, tatsächlich in NRW, das auch heute nicht mitgehen, würde ich mir zumindest wün- schen, dass Sie uns jetzt einmal genau mitteilen, Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1911

noch Fortbestand hat, das sie weiterentwickelt ha- Ihre Überlegungen mitaufnehmen können, viel- ben, ja, aber das hochgeschätzt wird von allen Teil- leicht zumindest noch einmal durchdenken, ob es nehmerinnen und Teilnehmern. nicht doch eine Alternative wäre.

Es geht eben darum, kleine und mittelständische Denn eines ist auch klar: Sicherlich ist Bremen Unternehmen zu vertreten und hier nicht einseitig nicht NRW, aber das, was in NRW hervorragend Arbeitnehmerinnenpolitik zu machen oder zu sa- funktioniert, vorbildlich funktioniert, muss nicht gen, wir machen nur Unternehmerpolitik. Sondern schlecht für Bremen sein und wir würden uns wün- es geht wirklich darum, für die Wirtschaft, für die schen, dass wir auch einmal von anderen Ländern kleinen und mittelständischen Unternehmen und lernen. – Danke! eben gerade daran angrenzend die ganzen Arbeit- nehmerinnen und Arbeitnehmer, die nämlich dort (Beifall FDP) beschäftigt sind, irgendwo auch deren Interessen zu vertreten. Präsident Imhoff: Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Stahmann. Wir haben diese Beiratsstrukturen, die sind hier vorhanden, deswegen glaube ich auch nicht, dass Abgeordneter Stahmann (SPD): Herr Präsident, wir zusätzlich Bürokratie aufbauen würden, son- liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, der Mittel- dern ganz im Gegenteil, Herr Stahmann. Wir ha- stand hat eine große Bedeutung und dazu stehen ben aber, das passt vielleicht nicht in das Thema, wir auch, allerdings mit dem Antrag gut gemeint, Positivbeispiele. Wir haben den queerpolitischen heißt noch nicht, gut gemacht. Das muss man dazu Beirat, wir haben den Landesbehindertenbeirat, einfach einmal feststellen. Ich will auf ein paar Fra- wir haben ganz viele Beiräte in Bremen als Beirats- gen noch einmal eingehen. Herr Meyer-Heder, die strukturen, wo verschiedene Interessengruppen an Veranstaltungsbranche ist mittelständisch geprägt, einem Tisch sitzen und sich gemeinsam Gedanken das ist so. Die Probleme, die wir dort haben, und machen. wir werden uns als Koalition darum kümmern, ent- stehen jetzt aber nicht aus der Mittelstandszugehö- Ich persönlich finde gerade bei diesen Treffen im- rigkeit, sondern sie entstehen aus Corona und dass mer eine sehr konstruktive Atmosphäre, die nicht sie aus ganz vielen Hilfsprogrammen einfach her- geprägt ist von Ideologien, sondern wo es tatsäch- ausgefallen sind. Deswegen braucht man Sonder- lich darum geht, die Interessen in den Vordergrund lösungen, wie wir sie für Soloselbstständige und zu stellen und gemeinsam Lösungen zu suchen. andere haben, das ist kein Mittelstandsproblem. Gerade das, finde ich persönlich, ist ein großer Darum muss man sich kümmern, weil diese Bran- Mehrwert und macht Spaß und deswegen haben che besonders betroffen ist. wir uns das hier auch für kleine und mittelständi- sche Unternehmen gewünscht. Zweiter Punkt: Frau Wischhusen, Lösungen ma- chen Spaß, aber Herr Bücking hat ja gesagt, dass Mir ist nicht bewusst und bekannt, dass Mittel- er noch nie eine Veranstaltung erlebt hat im Zu- standsbetroffenheit in den Vorlagen jemals groß sammenhang mit der Innenstadt, aber auch mit an- dargelegt wurde, meistens ist das Feld leer. Da deren Dingen, also Gewerbeflächenentwicklung müssen wir uns die Frage stellen, funktioniert diese und allem, wo die Kammern nicht dabei waren, in- Mittelstandsbetroffenheit, die wir in unseren Vor- sofern gibt es das. Es gibt diese Beteiligung und lagen abfragen, überhaupt oder ist das nicht das diese Beteiligung ist organsiert für dieses Parla- richtige Instrument, brauchen wir ein anderes In- ment in den Deputationen. Es ist nicht richtig, strument? wenn Sie sagen, das Feld ist leer. Richtig ist, dass da meistens steht, eine Mittelstandsbetroffenheit Wir haben Ihnen hier ein Instrument vorgeschla- ist nicht gegeben. Kreuz bei Nein. Es steht Ihnen gen. Wir haben das nicht aus der Luft heraus ge- und Ihren Deputierten aber frei, hier oder in den griffen, wir haben das übrigens schon entwickelt, Deputationen zu sagen, was heißt das denn, dem bevor Corona kam, sondern wir haben uns das vor- nachzugehen und das zu tun. Sie haben die Mög- her überlegt. Als wir es eingereicht haben, fing das lichkeit das voranzutreiben. mit Corona gerade erst an, aber nichtsdestotrotz glauben wir, gerade jetzt in dieser Zeit braucht es Dritter Punkt, ein Satz noch: Ich habe sehr genau das noch mehr, und wir würden uns wünschen, zugehört, Frau Wischhusen, und Sie haben nicht dass Sie vielleicht diese Idee doch noch einmal in gesagt, die Arbeitnehmerkammer soll dort mit hin- ein. Sie haben das Wort Arbeitnehmerkammer, 1912 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

habe ich jedenfalls nicht gehört, Sie haben gesagt, Thema darlegen. Als nächster Redner hat das Wort es steht ja dem Senat frei, es vorzuschlagen. Ich Herr Staatsrat Ehmke. habe noch nicht gehört, dass die FDP jetzt sagt, die Kammer soll da hinein, die Arbeitnehmerkammer, Staatsrat Ehmke: Herr Präsident, meine sehr ge- aber das vielleicht nur am Rande. ehrten Damen und Herren! Es ist deutlich gewor- den, wir streiten nicht über die Bedeutung des Mit- (Zuruf Abgeordnete Wischhusen [FDP]) telstands hier in diesem Haus, sondern die wird von allen Fraktionen und selbstverständlich auch vom Abschließend vielleicht einmal eine Zusammenfas- Senat als überragend wichtig angesehen. Wir strei- sung: Also Erstens, der Mittelstandsbericht Herr ten auch nicht über die Notwendigkeit, sich mit Meyer-Heder, glaube ich, nützt nichts. Ich bin kein dem Mittelstand und seinen Bedürfnissen und In- Freund von Berichten. Da kommt etwas alle vier teressen intensiv auseinanderzusetzen. Das hat Jahre und dann kann man sich darüber unterhal- niemand bestritten, auch darüber besteht Einig- ten, war das gut oder war das nicht gut. Was wir für keit. Dass über die Frage, wie gut der Senat das tut, den Mittelstand brauchen, ist eine direkte, unmit- zwischen Opposition und Koalition unterschiedli- telbare Förderung und Beachtung. Drei Jahre zu che Einschätzungen bestehen, ist nicht ungewöhn- warten und dann einen Bericht zu diskutieren was lich, aber das müssen wir auch nicht intensiver ver- falsch war, bringt nichts. Wir brauchen dort eine tiefen. Aktualität, insofern ist der Bericht gut, der schafft noch einmal einen Überblick, man kann daraus ler- Man könnte ja dann sagen, vielleicht streiten wir nen, man kann da für die Zukunft etwas entwi- über die Instrumente. Ich glaube, am Ende streiten ckeln, aber er löst auf keinen Fall das Problem. Ers- wir auch gar nicht über die Instrumente. Denn, dass ter Punkt! man miteinander reden muss und reden sollte und dass man mit den Vertreterinnen und Vertretern Zweiter Punkt: Was wir nicht wollen, ist ein Aufbau der mittelständischen Betriebe in einen intensiven von zusätzlicher Bürokratie und das ist ein Aufbau Austausch muss, das bestreitet ja keiner, sondern von zusätzlicher Bürokratie, neben den Deputatio- das Miteinanderreden, das Aufeinanderzugehen nen, in welchem Verhältnis die stehen, der Mittel- und Aufeinanderhören finden ja alle richtig. Die stand, die Clearingstelle zu den Deputationen ist Frage ist doch, ob wir eine neue, eine andere, ver- überhaupt noch nicht angesprochen worden. fasste Struktur brauchen. Da ist der Hinweis, dass die Strukturen und Wege in einem Flächenland Dritter Punkt: Wir wollen keine Verzögerung von vielleicht doch etwas weiter sind und nicht eins zu Gesetzesvorhaben. Sie sind es immer, die Opposi- eins zu übertragen sind auf den Stadtstaat Bremen, tion, die FDP und die CDU, die sagen, es geht alles den Zweistädtestaat Bremen, meines Erachtens zu langsam, wir müssen schneller sein. Mein Kol- richtig. lege hat es gesagt, wenn es eine Gesetzesinitiative gibt, dann bitte nicht noch einmal 1 000 Schleifen Wenn man einmal in die Liste derjenigen schaut, durch 1 000 Gremien, sondern das muss da ent- die für diesen Beirat in den Blick genommen sind, schieden werden und die Möglichkeiten haben wir. und man sich dann ganz ehrlich fragt, wie oft sehe ich die eigentlich pro Woche, pro Monat, wieviel Wir wollen auch auf keinen Fall ein Eingreifen in Jour fixe habe ich eigentlich mit denen und brau- bestehende Gesetze, weil wir uns auch nicht vor- che ich tatsächlich noch eine weitere Runde, um stellen können, was dann die Konsequenz daraus mich mit denen einmal grundsätzlich auszutau- ist. Also, in diesem Sinne bitte ich Sie, liebe CDU, schen? Wenn man die Frage ganz ehrlich beant- liebe FDP, nutzen Sie die Möglichkeiten, die Sie in wortet, dann würde es mich sehr wundern, wenn es diesem Parlament haben, die Mittelstandsförde- in Bremen viele Verantwortungsträger gibt, die sa- rung voranzubringen, kritisch zu hinterfragen, wo gen, dumme Sache, Handelskammer, wann habe das nicht erfolgt, gehen Sie in die Deputationen. ich die eigentlich das letzte Mal gesehen, Arbeit- Wir als SPD-Fraktion werden den Antrag ableh- nehmerkammer, müsste ich nicht dringend einmal nen. wieder mit denen reden?

(Beifall SPD) Mit denen kommt man doch in den verschiedens- ten Runden, Herr Bücking hat einige genannt, re- Präsident Imhoff: Herr Staatsrat, ich glaube Sie gelmäßig zusammen. Das Wirtschaftsressort hat re- wollen noch die Meinung des Senats zu diesem gelmäßige Jour fixe, mit denen kann man – –. Das Rathaus hat regelmäßige Jour fixe, mit denen kann Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1913

man – –. Anlassbezogen redet man sowieso ständig (M.R.F.) miteinander. Es gibt kurze Wege in Bremen und die werden auch intensiv genutzt. Ich habe noch Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den nicht erlebt, dass sich die Wirtschaftsverbände, die Antrag ab. Gewerkschaften oder die Kammern davon haben abhalten lassen, den Senat in einzelnen Fragen zu Wie ist Bremen im Kampf gegen Cyber- und In- beraten, weil es ihnen an einer Struktur fehlt. Die ternetkriminalität aufgestellt? Kontakte sind eng und gut und das ist auch wichtig Große Anfrage der Fraktion der CDU und ich freue mich auch, dass die Vertreterinnen vom 9. März 2020 und Vertreter regelmäßig auf uns zukommen und (Drucksache 20/311) ihre Positionen entsprechend darlegen. Dazu Zu Beginn der Coronapandemie hat der Bürger- meister gemeinsam mit dem Wirtschaftsressort und Mitteilung des Senats vom 23. Juni 2020 anderen Senatsressorts eine regelmäßige Runde im (Drucksache 20/479) Rathaus etabliert. Dort kommen zusammen die Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitnehmer- Dazu als Vertreter des Senats Herr Staatsrat Bull. kammer, der Handelskammer, der Handwerks- kammer, der Unternehmensverbände, der Ge- Ich gehe davon aus, dass der Senat die Antwort auf werkschaften und da werden genau diese Fragen, die Große Anfrage nicht mündlich wiederholen welche Entscheidungen sind jetzt wichtig, welche möchte, sodass wir direkt in die Aussprache eintre- Hilfsmaßnahmen sind erforderlich, wie ist die Be- ten können. troffenheit durch Corona in Bremen eigentlich aus- geprägt, intensiv beraten. Die Aussprache ist eröffnet.

Wir haben neulich eine Runde zum Thema Ausbil- Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete dung gehabt. Das heißt, diese Kontakte finden Herr Dr. vom Bruch. statt, das will auch niemand in Abrede stellen. Die Frage, die man sich nur stellen muss, ist, brauchen Abgeordneter Dr. vom Bruch (CDU): Herr Präsi- wir da tatsächlich eine neue Struktur, brauchen wir dent, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir ein weiteres Anhörungsverfahren? Mir erscheint es haben mit der vorliegenden Großen Anfrage ein plausibel, dass wir hier möglicherweise eher eine Thema aufgegriffen, das zunächst vielleicht ein Doppelstruktur etablieren würden als wirklich et- wenig abstrakt erscheinen könnte. In Wahrheit ist was Neues zu machen. – Vielen Dank! es der gemeinsame Nenner von vielen Themen, die uns hier und in anderen Gremien fast täglich direkt (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE) oder indirekt beschäftigen. Insofern gilt es hier heute auch nicht, den großen Streit zu führen oder Präsident Imhoff: Weitere Wortmeldungen liegen die schnelle oder einfache Lösung anzumahnen. Es nicht vor. gilt für uns, weiter zu sensibilisieren, darauf auf- merksam zu machen, eine, wie wir meinen, wich- Die Beratung ist geschlossen. tige Diskussion anzustoßen.

Wir kommen zur Abstimmung. Eine Diskussion, die uns in Zukunft kontinuierlich begleiten muss und die wir auch in Bremen gele- Wer diesem Antrag seine Zustimmung geben gentlich mit noch größerer Aufmerksamkeit beglei- möchte, den bitte ich um das Handzeichen. ten und führen sollten.

(Dafür CDU, FDP) (Beifall CDU)

Ich bitte um die Gegenprobe. Eine Diskussion, von der wir für uns nicht in An- spruch nehmen, dass sie besonders neu ist oder von (Dagegen SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE uns erfunden wurde. Doch neben vielen Chancen LINKE) mit und durch das Internet, das Information, Aus- tausch und Kommunikation auf völlig neue Grund- Stimmenthaltungen? lagen gestellt hat, gibt es nun einmal auch die 1914 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Kehrseite der Medaille. Neue Formen der Krimina- eine schwierige Personallage, auch angesichts der lität durch Angriffe auf Behörden, Unternehmen o- Arbeitsmarktlage und der Bezahlung des öffentli- der Organisationen erschrecken uns. chen Dienstes, verwiesen. Ein Rechtfertigungsmus- ter, das ich jüngst bei der Begründung der fatalen (Vizepräsidentin Grotheer übernimmt den Vorsitz.) personellen Unterdeckung in den Gesundheitsäm- tern schon einmal gehört habe, mit den gegenwär- Andere Formen der Kriminalität aber, die, wie zum tig zu besichtigenden fatalen Folgen. Beispiel die Kinderpornografie, durch das Internet im wahrsten Sinne des Wortes eine neue Dimen- Meine Damen und Herren, dieser Staat weiß um sion erhalten haben, machen uns fast täglich neu seine Probleme und Herausforderungen. Sie als Se- fassungslos. Betrug im Internet hat fast jeder inzwi- nat sind in der Pflicht, dass wir endlich dem Ein- schen schon erlebt, das Darknet ist zu einem Werk- druck, wir würden in den allermeisten Fällen nur zeug der Kriminalität ersten Ranges geworden. hinterherlaufen, nachdrücklicher als bisher entge- gentreten. Hass und terroristische Kriminalität verbunden mit einer Radikalisierung im Internet und einer Ver- (Beifall CDU) breitung der Taten im Netz offenbaren nicht nur polizeiliche, sondern gesellschaftliche und politi- Ich unterstelle nicht, dass nichts passiert. Im Be- sche Fragen. Extremismus, insbesondere auch der reich der Prävention in den Schulen zum Beispiel Rechtsextremismus, ist ohne Verbreitungsmöglich- gibt es vielfältige Aktivitäten. Mich machen aber keiten und Kommunikation zumindest in der ge- Aussagen in Ihrer Antwort wie, ich zitiere, „Struk- genwärtigen Größenordnung kaum denkbar. Des- turen im operativen Informationssicherheitsma- information und Verschwörungstheorien haben ge- nagement der Behörden und Ämter befinden sich rade gegenwärtig unter Coronabedingungen Kon- im Aufbau“ andererseits eher unruhig. junktur und schaffen gesellschaftlich eine kritische Gemengelage mit politisch destruktiven Folgen für Bemerkenswert im wahrsten Sinne des Wortes ist Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. allerdings das, was Sie zur Entwicklung des Rechtsrahmens zur Bekämpfung der Kriminalität Angesichts der Vielfalt der Problemfelder, ange- mit dem und im Netz sagen. Mit Blick auf Bundes- sichts der Dynamik der Entwicklung, angesichts ei- und Europarecht halten Sie offenbar sowohl die nes wohl nach wie vor hohen Dunkelfeldes in die- Rückverfolgbarkeit von Informationen als auch sem Bereich sind Ihre Antworten nicht gerade be- verbesserte Formen der Datenspeicherung und der ruhigend. Ich fühle mich in den Zweifeln eher be- Telekommunikationsüberwachung für wünschens- stätigt, dass wir hier wirklich gut und ausreichend wert, insbesondere zur Strafverfolgung – eine Dis- aufgestellt sind. kussion, die ich mit Blick auf die Gefahrenabwehr, die Sie im Polizeigesetz selbst regeln könnten und (Beifall CDU) müssten, anders verstanden habe. Das ist selbstver- ständlich nicht das Gleiche, das weiß ich, aber po- Natürlich ist es mit Blick auf die Kriminalität mit litisch fehlt es hier an einer konsistenten und nach- dem und im Internet richtig, darauf zu verweisen, vollziehbaren Sichtweise und ist deshalb ziemlich dass es überregionale Strukturen gibt und es inso- verwirrend. fern auch eine überregionale Antwort geben muss. Genauso richtig ist aber auch, dass Bremen als (Glocke) Bundesland hier eine eigene Verantwortung und Zuständigkeit hat, auf deren Funktionstüchtigkeit Ich komme zum Schluss. Verwirrend – das sei die die Bürger vertrauen können müssen, dass wir alle abschließende Bemerkung – ist auch Ihre Ableh- Anstrengungen unternehmen, Straftaten zu verhü- nung eines regionalen Lagebildes mit der Begrün- ten und zu verfolgen, dass wir aber auch alles zur dung, Cybercrime-Delikte seien ein bundes- und verbesserten Prävention und zur Dunkelfeldaufhel- europaweites Phänomen und das an dieser Stelle lung tun. geführte Lagebild sei ausreichend. Ich wünschte mir, Sie überdächten das noch einmal. Es erweckt Wenn ich mir jedoch die Zahlen der Zuständigen in den Eindruck, dass die ganze Bedeutung des Prob- der Polizei und insbesondere in der Staatsanwalt- lems bei Ihnen doch noch nicht angekommen ist schaft anschaue, ist das wenig beruhigend und op- und die eigene Zuständigkeit in diesem Bereich timistisch stimmend. Hier wird qualitativer und doch noch nicht ganz durchgängige Haltung ist. quantitativer Bedarf freimütig eingeräumt und auf Wir bleiben an diesem Thema daran, wir kommen Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1915

darauf zurück, denn es ist ein Thema mit hoher Dy- (Abgeordneter Fecker [Bündnis 90/Die Grünen]: Ist namik. – Herzlichen Dank! es einmal wieder so weit?)

(Beifall CDU) Natürlich kann man die Projekte zur Stärkung der Demokratie in diesen Bereich der Prävention mit Vizepräsidentin Grotheer: Als nächste Rednerin einberechnen, aber vor dem Hintergrund der The- erhält das Wort die Abgeordnete Bergmann. men, die wir hier in Bremen bearbeiten, ist uns das als FDP-Fraktion doch ein wenig zu dünn. Abgeordnete Bergmann (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Her- Meine Damen und Herren, Regierungen, Unter- ren! Gesellschaftliche Kommunikation, Arbeits- nehmen, Verwaltung, Polizei und auch wir Politi- und Geschäftsleben und auch private Versamm- ker*innen müssen aufgrund der breiten Gefähr- lungen und Kommunikation finden immer mehr im dungslage durch das Internet immer weiter rei- Netz statt, und das seit Corona selbstverständlicher chende Entscheidungen in Feldern treffen, die für und häufiger. Das bedeutet Chance und Risiko zu- ganz viele von uns, wenn wir ehrlich sind, Neuland gleich. Allein auf „real life“ angewiesen sein, das sind, zum Beispiel zum Thema Quellenkommuni- wollen wir ja nicht mehr, aber gleichzeitig haben kationsüberwachung. Ich versuche, den Sachver- wir gar keinen Überblick mehr darüber, wen un- halt plus zugehöriges Dilemma einmal allgemein- sere Daten und Kommunikationsabläufe erreichen, verständlich zu beschreiben. und wir wissen, dass Cybercrime ständig zunimmt. Wenn sich die Polizei präventiv aufgrund straf- Deswegen debattieren wir heute die Große An- rechtlicher Ermittlungen in einen bestimmten frage der CDU-Fraktion, wie Bremen im Kampf ge- Kommunikationsverlauf, also zum Beispiel in ein gen Cyber- und Internetkriminalität aufgestellt ist. Handygespräch oder in eine SMS-Kommunikation, Ich kann jetzt nur auf ein paar Punkte eingehen. hineinschaltet, dann geht das beim Telefonieren, bei SMS, aber bei Ende-zu-Ende-verschlüsselten Im Kontext von Radikalisierung und Straftaten im Kommunikationsportalen wie bei WhatsApp zum Netz ist in der Senatsantwort erfreulicherweise da- Beispiel, da geht das nicht. Da kann man sich nicht von die Rede, dass es eine Menge Präventionspro- irgendwo dazwischen einschalten, sondern da jekte gibt. Infoveranstaltungen zum Thema Inter- muss man an die Quelle gehen. netkriminalität, so hören wir, sind richtig gut be- sucht. Wir haben uns allerdings gefragt, ob das Man muss sich das vorstellen, als ob man ein klei- auch bedeutet, dass verstanden wurde, was dort nes, digitales Loch zum Beispiel in das Handy vermittelt werden soll. Wie ist es bei den schuli- macht und dadurch an die gesuchten Daten heran- schen Lernangeboten? Kommt das an? Wir brau- kommt. Dann hat die Polizei aber nicht nur Zugang chen Evaluationen und gegebenenfalls dann auch zu diesem Dialog, den sie beobachten möchte, son- eine entsprechende Anpassung. dern zu allen Daten. Mancher mag sagen, das ist zwar blöd, aber entweder du hast nichts zu verber- (Beifall FDP) gen oder du bist selbst schuld. Allerdings können sich ja jetzt auch Dritte durch dieses Loch in diese Falls diese Veranstaltungen bereits evaluiert wer- Quelle hineinschalten und vom Handybesitzer Da- den, dann würde ich herzlich darum bitten, uns als ten abrufen oder interagieren, zum Beispiel auf Abgeordneten einmal die Ergebnisse zur Verfü- Kontodaten zugreifen oder Fake News anlegen. gung zu stellen. Eigentlich ist es gerade Aufgabe der Sicherheitsbe- Dann habe ich mir einmal die Ausrichtung der Prä- hörden, diese Löcher zu schließen. Wenn die Quel- ventionsprojekte angeschaut und da fiel mir auf, len-TKÜ kommt, dann haben Sicherheitsbehörden dass einmal mehr der Linksextremismus völlig aus aber ein entgegengesetztes Interesse, nämlich dem Visier gerät. Dies ist ein Bremer Systemfehler, diese Löcher zu erhalten. Das heißt, dass sich da die den ich ja in unterschiedlichen Kontexten immer Katze in den Schwanz beißt. Das ist ein logisches wieder angemahnt habe. Präventionsprojekte zu und sicherheitsrechtliches Dilemma und nicht tri- Islamismus, zu Rechtsextremismus finden wir, aber vial. gegen Linksextremismus wird auf 24 Antwortsei- ten nicht ein konkretes Beispiel genannt. Nun bin ich aufgrund sehr wichtiger Kriminalitäts- felder wie zum Beispiel dem sexuellen Missbrauch 1916 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

an Kindern oder Clankriminalität absolut der Mei- zur Schwächung der Cyber- und IT-Sicherheit füh- nung, dass wir uns in diesem Bereich bewegen ren, sondern auch zur Gefährdung der öffentlichen müssen. Sicherheit. Das ist absolut inakzeptabel für uns von Bündnis 90/Die Grünen. (Abgeordneter Lenkeit [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage. – Glocke) Die Kriminalität im Netz ist vielfältig. Wir haben neben dem Darknet Identitätsdiebstahl, wir haben Vizepräsidentin Grotheer: Frau Bergmann, gestat- Internetbetrug, wir haben Fake Shops, wir haben ten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Len- Rechtsextremismus, andere Formen von Extremis- keit? mus, Hatespeech, Fake News, Verbreitung von Verschwörungsideologien, Angriffe auf die IT-Si- Abgeordnete Bergmann (FDP): Nein, ich würde cherheit, Sexismus, Rassismus, Mobbing – alltäg- jetzt gern erst einmal meine Rede halten. lich, allgegenwärtig, aber unerträglich. Das sind die Schattenseiten des Internets und entsprechend Um aber effiziente, durchdachte und nachhaltige müssen wir auch die Rolle der sozialen Medien be- Entscheidungen treffen zu können, braucht Politik werten. Wir müssen über Algorithmentransparenz hier Expertenanhörungen, wie wir sie eben im reden und die Medienkompetenz und die Stärkung Kontext der geplanten Polizeigesetzesnovelle er- der Medienkompetenz und den Verbraucherschutz lebt haben. Bremen braucht meines Erachtens zum stärken. Thema Cyberkriminalität eine hochkarätige Ver- anstaltungsreihe mit Experten aus Technik, Justiz, Generell gilt, die Chancen der Digitalisierung bei Ethik und IT, die an vorderster Front zum Thema der Bekämpfung gerade dieser neuen Kriminali- Cyberkriminalität, tätsformen, Cybercrime, stärker zu nutzen, um die Bürgerinnen und Bürger besser zu schützen, aber (Glocke) auch unsere Wirtschaft zu schützen, die öffentliche und die kritische Infrastruktur zu schützen. Wir von Quellen-TKÜ und so weiter forschen. State of the Bündnis 90/Die Grünen stehen selbstverständlich Art, Entwicklungsmöglichkeiten, Zeitfenster, tech- für das Prinzip des grundrechtsschonenden Um- nische Entwicklungen und dann auch eine breite gangs mit personenbezogenen Daten. Polizeiliche gesellschaftliche Debatte. Maßnahmen und der Einsatz von Software müssen transparent und nachvollziehbar sein, auch tech- (Beifall FDP) nisch, und jederzeit den Vorgaben des Bundesver- fassungsgerichts entsprechen. Das Thema ist wichtig und dringend. Wenn wir dem Thema Internetkriminalität nicht weiterhin im Mit Blick auf die Herausforderungen der Polizeiar- Dilemma erstarrt gegenüberstehen wollen, dann beit im digitalen Zeitalter gibt es diverse Fragen, müssen wir das anpacken. – Vielen Dank für Ihre die dringend geklärt werden müssen, weil wir Aufmerksamkeit! Rechtssicherheit brauchen. Das ist hier aus den Fragen der CDU-Anfrage und durch die Antworten (Beifall FDP) des Senats auch offenkundig. Dort wurden Punkte geliefert, die noch weitere offene Fragen nach sich Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner er- ziehen. hält der Abgeordnete Herr Öztürk das Wort. Wie kann im Rahmen einer verfassungsgemäßen Abgeordneter Öztürk (Bündnis 90/Die Grünen): und verhältnismäßigen Telekommunikationsüber- Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! wachung zum Beispiel das Mitlesen von Messen- Frau Bergmann, das Internet ist kein rechtsfreier gerdiensten so umgesetzt werden, dass verfas- Raum, das Internet war noch nie ein rechtsfreier sungsrechtliche Vorgaben eingehalten werden, an- Raum. Cyber- und IT-Sicherheit sind elementare dere Bereiche der elektronischen Endgeräte bezie- Grundbedingungen für die öffentliche Sicherheit, hungsweise der digitalen Infrastruktur unangetas- zum Beispiel in Form sicherer Endgeräte und star- tet bleiben und gleichzeitig die IT-Sicherheit, bei- ker Verschlüsselung. Die Schwächung der Ver- spielsweise durch das bewusste Offenhalten von schlüsselung von Kommunikationsmitteln wie im Sicherheitslücken durch Sicherheitsbehörden, Jahr 2019 vom Bundesministerium des Innern, für nicht massiv gefährdet wird? Das ist eine der Kern- Bau und Heimat gefordert würde daher nicht nur fragen, wenn man darüber spricht, wie man Inter- netkriminalität, Cybercrime, bekämpfen will. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1917

Doch welche grundrechtsschonenden und tech- nicht mit mehr Arbeit überfrachten. Wir müssen nisch sicheren Alternativen gibt es eigentlich? Wa- schauen, wie wir da zusteuern können. Ein ab- rum wurden die Rechtsgrundlagen durch den Bund schließender Gedanke, was damit gemeint ist. bis heute nicht reformiert? Warum wurden die Ein- Letztendlich liegt das Gewaltmonopol im Innern griffsschwellen für den Einsatz von Quellen-TKÜ, bei der Polizei. Wir müssen dann über die Sicher- worüber wir gerade eben gesprochen haben, Frau heitsarchitektur in Deutschland reden. Wir haben Bergmann, und Onlinedurchsuchungen nicht – da Dutzende Dienste, die zum Teil sehr gute Arbeit offenkundig erforderlich – erhöht? Wie kann ver- machen, die aber zum Teil nicht richtig miteinan- mieden werden, dass feindlich agierende Staaten der kommunizieren, dieselben Sicherheitslücken nutzen, die Kriminelle ausnutzen, wenn es darum geht, Millionen Bürge- (Glocke) rinnen und Bürger einem Sicherheitsrisiko auszu- setzen? Der Staat sollte nicht das tun, was Krimi- weil sie unterschiedlichen Behörden und Diensten nelle tun. zugeordnet sind. Deswegen ist es ja an der Zeit – und da komme ich zum Schluss, Frau Präsidentin – Die Antworten auf die Anfrage legen auch offen, , dass sich die Bundesregierung dieser Kontroverse dass die Polizei Bremen je nach Deliktart im Be- annimmt und dem Bundesamt für Sicherheit in der reich Cybercrime über genug oder über ungenü- Informationstechnik, BSI, endlich mehr Unabhän- gendes Spezialwissen, Ressourcen und entspre- gigkeit einräumt. Davon würde die Cyber- und IT- chende Kompetenzen verfügt und dass die Bremer Sicherheit in Deutschland sicherlich mehr profitie- Polizei bei der Ausbildung und bei Neueinstellun- ren, da das BSI seine Rolle in vertrauensvoller Zu- gen sicher immer auch in Konkurrenz zu anderen sammenarbeit mit anderen Akteuren effektiver Landespolizeien steht, insbesondere auch zur Wirt- ausüben könnte. Das BSI dafür auszunutzen, für schaft. Da ist ein Konkurrenzdruck, kluge Köpfe Geheimdienste Sicherheitslücken ausfindig zu ma- fallen nicht vom Himmel, man muss sich aktiv um chen, ist nicht die Lösung, meine Damen und Her- diese Menschen bemühen und die Tarifstrukturen ren! sind, wie sie sind, und die Bezahlung in der Wirt- schaft ist eine andere. Deswegen sagen wir von Bündnis 90/Die Grünen, Bürger*innen dürfen nicht das Gefühl haben, dass Erfreulich ist, dass zahlreiche Organisationen, die Straftaten im Internet nicht verfolgt werden oder im präventiven Bereich in unterschiedlichsten De- verfolgt werden können. Das ist nicht hilfreich. Es liktfeldern von Cybercrime beratend aktiv sind – ist aber auch nicht hilfreich, Bürgerrechte in dem und darin sind sie richtig gut –, alle Erwähnung in Glauben einzuschränken, damit könne man Cyber- der Antwort des Senats finden. An der Stelle crime bekämpfen und besiegen. – Danke schön! möchte ich mich gern auch für diese geleistete Ar- beit durch diese Organisationen bedanken. (Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Herr Dr. vom Bruch, Sie haben gesagt, Sie vermis- Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner hat sen eine Aussage zum Lagebericht, dass der Senat das Wort der Abgeordnete Janßen. keinen Lagebericht möchte. Ich möchte dem etwas entgegensetzen. Wir brauchen endlich einen wis- Abgeordneter Janßen (DIE LINKE): Sehr geehrte senschaftlichen, fundierten, periodischen Sicher- Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und heitsbericht, der unsere Kriminalpolitik in ganz Herren! Ihre Anfrage ist ja bereits in drei Ab- Deutschland auf eine solide, analytische Grund- schnitte unterteilt und eigentlich wären es auch lage stellt. Damit wirken wir nicht nur Fake News drei Debatten, die man führen könnte. Deshalb ver- und Hatespeech entgegen oder populistischer suche ich mich auf ein paar Bereiche zu konzent- Stimmungsmache und Identitätsdiebstahl und all rieren. den Fake Shops, sondern können wirklich fakten- basiert bestimmen, an welchen Stellen die tatsäch- Insgesamt geht es in der Anfrage um Internetkrimi- lichen Herausforderungen im Bereich Cybercrime nalität, Cyberkriminalität. Der erste Bereich Ihrer liegen, an welchen Stellen Handlungsbedarf be- Anfrage zielt dabei auf den Bereich der Sicherheit steht, an welchen wir nachbessern müssen. im öffentlichen Dienst und den Bereich von öffent- lichen Behörden ab. Ich finde die Antwort an eini- Die Polizei darf nicht der Ausputzer für alle gesell- gen Stellen durchaus bemerkenswert, ja, insge- schaftlichen Probleme sein. Wir müssen schauen, samt auch sehr umfangreich. Unter anderem finde wie wir Antworten liefern können. Wir dürfen sie ich einen Satz bemerkenswert, in dem es heißt: 1918 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

„Bisher konnten alle erkannten Angriffe letztend- Ich möchte mich jetzt noch einmal auf den großen lich abgewehrt werden.“ Was das Wort „letztend- Bereich zwei in Ihrer Anfrage – das nenne ich jetzt lich“ bedeutet, weiß ich auch nicht ganz genau. einmal so – beziehen, der sich in erster Linie auf Hass und Radikalisierung im Netz bezieht. Vor- Tatsache ist aber, dass es zumindest nicht zu erheb- weg: Ich glaube, die Frage eins unter diesem Kom- lichen Problemen langfristiger Art gekommen ist plex, die darauf abzielt, welche Plattformen eigent- und dass auch die Frage nach den Folgen, zumin- lich die sind, auf denen Radikalisierung stattfindet, dest auf der finanziellen Ebene, jenseits von, ich zeigt, wie schwierig das Thema am Ende zu fassen sage einmal, Neuinstallationen oder auch War- ist. Dabei nennt ja die Antwort zu Recht alle mögli- tungsarbeiten, nicht bemerkenswert in Betracht chen sozialen Netzwerke, Chatprogramme, Blogs gekommen ist. Das heißt natürlich nicht, dass es für und Internetseiten. Klar, Facebook, YouTube und die Zukunft ähnlich weitergehen sollte. Instagram sind dabei, andere vielleicht nicht wie Foursquare, TikTok, Reddit und noch mehr, die Schwierig ist natürlich auch, dass es für alle Sys- Liste können wir nicht abschließend aufzählen, teme technisch sehr unterschiedliche Angriffs- weil sie sich jeden Tag erweitert. punkte gibt, und da sind die öffentlichen Systeme keine Ausnahme, von technisch relativ einfach um- Das Problem ist in den meisten Fällen ja nicht die zusetzenden DDoS-Angriffen, bei denen es eigent- Existenz einer Plattform, auf der Hass und Radika- lich um eine Überlastung von Netzen geht, bis hin lität ausgedrückt werden können – natürlich müs- zu Hacks, die auch auf die Systeme abzielen und sen wir auch da an die Regulierung herangehen –, langfristige Schäden verursachen können. Infor- sondern das Problem beginnt deutlich vorher. Ich mationssicherheitsmanagement mit dem Ziel, auch glaube, daher hilft auch die Frage, die unter der die Sensibilität der Beschäftigten im öffentlichen Ziffer sieben aufgetaucht ist, wie man eigentlich Dienst zu schulen, gehört daher genauso zur Prä- Möglichkeiten für ein Verbot festlegen kann, nur vention von Cyberkriminalität wie wehrhafte Sys- sehr begrenzt, weil wir genau wissen, dass es zu- teme, die auch real davor schützen, den öffentli- mindest für große Plattformen wie einen Telegram- chen Dienst oder auch die Behörden zum Ziel von Channel oder für eine WhatsApp-Gruppe nicht Cyberangriffen werden zu lassen. funktionieren wird, die Plattform zu verbieten, wohl aber, die Betreiber derartiger Plattformen in In der Antwort wird deutlich, dass die Ansprüche die Verantwortung zu nehmen und sowohl durch zwischen den Behörden unterschiedlich sind, da eine Moderation als auch durch eine Speicherung selbstverständlich die Sicherheitsbehörden wie die der Daten abzusichern, dass eine Strafverfolgung Polizei noch einmal höhere Ansprüche haben und ermöglicht wird und möglicherweise auch im Vor- deshalb auch im Verbund mit anderen Bundeslän- feld die strafbaren Handlungen verhindert werden dern, beispielsweise bei diesem CNP-Verbund, können. miteinander verknüpft werden sollen. Wenn wir dann lesen, dass nur drei der 38 im IT-Bereich Be- Am Ende des Tages wird nur ein Maßnahmenbün- schäftigten innerhalb der Polizei mit dem Bereich del helfen, um diese Form von Straftaten im Inter- IT-Sicherheit befasst sind, dann nehme ich das erst net auch ernsthaft zu verhindern. Es muss selbst- einmal so zur Kenntnis, denn wir haben keine Ver- verständlich über die Strafverfolgungs- und Sicher- gleichszahlen, wie die Ausstattung in anderen Bun- heitsbehörden eingeleitet werden. Gleichzeitig ge- desländern ist. lingt es aber auch nur durch Präventionsarbeit, die darauf setzen wird und setzen muss, auf der einen Daher wird man sich mit Sicherheit immer einmal Seite Medienkompetenz zu vermitteln und auf der wieder die Frage stellen, wie gut wir ausgestattet anderen Seite natürlich auch die sogenannte Coun- sind. Angesichts der Tatsache, dass es bisher zwar terspeech zu stärken, bei dem es darum geht, auch einmal zu einem größeren Fehler kam, indem die verbreiteten Fake News offensiv entgegenzutreten Seite der Ortspolizeibehörde Bremerhaven abge- und sie nicht als Tatsachen unwidersprochen im stürzt ist, aber sonst jedenfalls keine großen Daten- Raum stehen zu lassen. pannen oder Angriffe zu verzeichnen sind, denke ich, dass wir noch keinen Ansatzpunkt dafür ha- Klar ist auch, dass es bereits viele Projekte unter ben, festzustellen, dass wir hier ein grundsätzlich dem Banner „Toleranz, Demokratieförderung und großes Problem haben. Für die Zukunft kann man Förderung von Medienkompetenz“ gibt. Viele die- das aber selbstverständlich nicht ausschließen. ser Programme sind aber EU- oder Bundespro- gramme mit einer zeitlich befristeten Laufzeit, die immer wieder vor der Schwierigkeit stehen, sowohl Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1919

langfristig Personal zu binden als auch erworbene als gut bezeichnet werden kann. Licht und Schat- und entwickelte Kompetenzen und Netzwerke zu ten ja, aber deutlich mehr Licht als Schatten. verstetigen. Daher glaube ich auch, dass es sich lohnt, diese Fragestellung Es zeigt sich, dass die Bündelung der Fachbereiche IT-Forensik, Video- und Telekommunikations- (Glocke) überwachung und Cyberkriminalität im Rahmen der Polizeireform zu einer Fachdienststelle zu einer von Medienkompetenz und Präventionsarbeit im Vielzahl von Synergien geführt hat. Anschluss noch einmal genauer in den Blick zu nehmen und einen Schwerpunkt darauf zu setzen, (Präsident Imhoff übernimmt wieder den Vorsitz.) die Menschen zu stärken, nicht anfällig für Hass und Kriminalität im Internet zu werden und dem Diese Erkenntnis begrüßen wir als SPD-Fraktion auch entgegentreten zu können. – Vielen Dank für sehr. Erfreut hat es uns auch, zu lesen, dass die Ein- Ihre Aufmerksamkeit! führung einer IT-Zulage geplant beziehungsweise angedacht wird, um das Einkommensdelta für IT- (Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen) Spezialisten zu verkleinern, die sich für die Polizei und nicht für die Privatwirtschaft entscheiden. Wir Vizepräsidentin Grotheer: Als nächster Redner er- haben ja heute Nachmittag schon sehr ausführlich hält der Abgeordnete Herr Lenkeit das Wort. das Thema Eingangsbesoldung bei der Feuerwehr diskutiert, wissen um die Problematik der Nach- Abgeordneter Lenkeit (SPD): Sehr geehrte Frau wuchsgewinnung und auch hier gilt: IT-Spezialis- Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Wir disku- ten sind nicht „nice to have“, sondern wir brauchen tieren heute die Große Anfrage der CDU. Lassen sie in unseren Reihen. Sie mich den Beginn meiner Rede nutzen, um der CDU für diese Anfrage zu danken. Ich möchte auch (Beifall SPD) dem Senat für die sehr umfangreichen Antworten danken. Ich glaube, wir haben jetzt eine fundierte Auch die Tatsache, dass es bereits eine Vielzahl Grundlage, ein gutes Rüstzeug zur Diskussion über von Präventionsangeboten gibt, die sich zielgerich- den Kampf gegen die Cyberkriminalität in Bremen. tet an eben jene Gruppen richtet, die nicht als „di- gital natives“ bezeichnet werden können, ist er- Frau Bergmann, ich hatte ja eben leider nicht die freulich. Möglichkeit bekommen, eine Zwischenfrage an Sie zu richten, deswegen erzähle ich noch einmal Es ist uns auch klar, dass immer mehr geht, aber kurz etwas zum Thema Quellen-TKÜ. Am 2. De- die Tatsache, dass die Präventionsangebote nicht zember 2015 erschütterte der Terroranschlag von nur digital, sondern auch vor Ort stattfinden, ist si- San Bernardino die Welt. Islamistische Terroristen cherlich nicht nur für uns, sondern für viele Bürge- töteten 14 Menschen und verletzten 21 weitere. rinnen und Bürger erfreulich. Der von der Polizei getötete Attentäter hatte ein iPhone 5c bei sich und die amerikanische Bundes- Ich möchte in diesem Zusammenhang noch kurz polizei, das FBI, benötigte gut vier Monate, nämlich daran erinnern, dass die Koalition – und das haben bis Ende März 2016, um jenes iPhone zu entschlüs- wir in unserer Haushaltsdebatte auch sehr ausführ- seln, um auf die dort gespeicherten Daten zuzu- lich diskutiert – bereits zusätzliche Stellen bei der greifen. Polizei im Bereich der Cyberkriminalität mit dem Schwerpunkt gegen Kindesmissbrauch geschaffen Ich habe oft das Gefühl, dass die Quellen-TKÜ als hat, Stellen, die wir sicherlich alle gern einsparen Heilbringer polizeilicher Arbeit angesehen wird, würden, aber leider nicht können. aber – bei allem Vertrauen in unsere Sicherheitsbe- hörden hier in Bremen – wenn das FBI mehrere Mo- Kolleginnen und Kollegen, wir haben den Bereich nate benötigt, um ein vorliegendes, modernes im Blick, stocken auf und setzen Schwerpunkte! – Smartphone zu entschlüsseln, ja, was denken Sie Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wün- dann, wie realistisch die Idee ist, dass wir hier in sche gleich einen schönen Feierabend! Bremen mit der Quellen-TKÜ ein iPhone infiltrie- ren und ablesen können? (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Es freut mich sehr, dass die Antwort des Senats Präsident Imhoff: Als nächster Redner erhält Herr zeigt, dass die Situation bei uns im Land Bremen Staatsrat Bull das Wort. 1920 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Staatsrat Bull: Sehr geehrter Herr Präsident, sehr noch Ängste und Stereotype wiedergegeben wer- geehrte Damen und Herren! Zunächst einmal den, die sich aggressiv gegen den Staat richten. danke ich der CDU, dass sie das wichtige Thema auf die Agenda gehoben hat. Sowohl die Unter- Der Bremer Verfassungsschutz leistet Pionierarbeit punkte „Angriffe auf bremische Behörden“ als bei der datenwissenschaftlichen Analyse der extre- auch „Radikalisierung und Hass im Internet“ sind mistischen Netzwerke, aber diesen Netzwerken ist wichtige Aspekte. Durch die Vielzahl der Unterfra- kaum mit Repressionen beizukommen. Deshalb ist gen verliert sich aber leider, aus meiner Sicht, ein das Engagement der Bildungseinrichtungen, der wenig der Kern und ich will mich bemühen, die Beratungsstellen und weiterer Akteure bei der Auf- Botschaft des Senats zu vermitteln. Vorweg: Der klärungsarbeit und Deradikalisierung eine beson- Senat kapituliert keinesfalls vor den großen Her- dere Stärke. Auf dieses Netzwerk kann Bremen ausforderungen, er nimmt sie an! durchaus stolz sein!

Zum ersten Themenbereich „IT-Sicherheit“: Ich Was braucht es für Ermittlungen gegen Hass und war erschrocken und habe nachgefragt, als ich im Hetze? Das Internet kann nicht von Bremen aus ersten Entwurf gelesen habe, dass es tagtäglich bestreift werden, das wissen wir alle, aber die Mel- mehrere Tausend Angriffsversuche auf den Kon- dewege, Stichwort zentrales Postfach, die Online- zern Bremen abzuwehren gilt. Diese erfolgen aber wache, werden nicht nur für Sie als Abgeordnete ganz überwiegend nur als automatisierte Angriffe verbessert, wir schaffen auch noch Software zur ef- und konnten bislang – bis auf die Ausnahme in Bre- fizienteren Ermittlung an. merhaven, die Herr Janßen beschrieben hat – alle erfolgreich abgewehrt werden. Die Homepage der Weniger im Blickfeld der öffentlichen Wahrneh- Ortspolizeibehörde war zwei Tage lang nicht nutz- mung steht bisweilen die klassische Internetkrimi- bar, die Täter konnten leider noch nicht gefunden nalität. Ich habe mich Anfang der Woche mit dem werden. zuständigen Kommissariat 13 getroffen. Zugegebe- nermaßen, der Arbeitsbereich ist mit derzeit vier Der Senat hat seine Eingangspunkte zum Internet Kräften klein, aber alle Mitarbeiter sind fein ausge- verbessert und nimmt vom Computer Emergency wählt und hoch motiviert. Die dortigen Ermittler Response Team Nord Hilfe in Anspruch, wenn zum sind echte Spezialisten, für die ein stetig hoher Beispiel schadhafte E-Mails vorliegen, die behan- Fortbildungsanteil gewährleistet wird. Eine Ver- delt werden müssen. Dieses Beispiel des CERT- stärkung um mindestens zwei Kräfte in der Folge Nord zeigt, dass IT-Sicherheit definitiv kein Thema der Haushaltsberatungen, Herr Lenkeit hat es er- ist, dass man im Alleingang erledigen kann. Ein wähnt, ist eine echte Verstärkung, die für den Be- Abkommen mit dem Bundesamt für Sicherheit in reich sehr erfreulich ist, und die Zielzahl 2 900 als der Informationstechnik steht in Kürze an. Perspektive wird natürlich auch für diesen Bereich Perspektiven öffnen. Für die Sicherheitsbehörden sind die Schutzanfor- derungen selbstverständlich besonders hoch. Die Ein weiterer wichtiger Punkt, den es zu diskutieren müssen auch hoch sein. Wenn wir das EU-Daten- gilt, ist, dass wir im Wettbewerb mit der Wirtschaft schutzniveau im Polizeigesetz nachvollziehen, ist auch eine IT-Zulage zahlen können. Ich schaue in das eine Selbstverständlichkeit, dass wir dieses Ni- die Reihen der Unternehmer im Bereich der CDU, veau halten und die Daten vor Angriffen von außen diese Konkurrenz können wir wahrscheinlich nicht schützen müssen. wirklich aushalten, aber eine IT-Zulage würde es uns ermöglichen, für diesen Arbeitsbereich Exper- Die Antwort des Senats schildert ausführlich, wel- ten zu gewinnen. che kognitiven Mechanismen sich Extremisten al- ler Couleur – Frau Bergmann, aller Couleur! – über Herr Dr. vom Bruch hat angesprochen, dass der Ar- Internetplattformen zunutze machen, um Hass zu beitsbereich in der Polizei eigentlich erst aufgebaut säen und die Gesellschaft in „wir und die“ zu spal- werden müsste. Diese Darstellung fände ich zu ext- ten. Sie als Abgeordnete leben in den sozialen rem. Der Arbeitsbereich muss umgebaut werden. Netzwerken in einer gewissen Blase und werden vermutlich auch weniger Inhalte der Mitbewerber (Abgeordneter Dr. vom Bruch [CDU]: Ich habe le- als die aus dem eigenen Lager lesen. Bedrohlich diglich aus der Antwort zitiert!) wird es aber für unsere Demokratie, wenn sich Echokammern im Netz herausbilden, in denen nur Geplant ist eine Entlastung für diesen Arbeitsbe- reich um die Massendelikte. So könnte es gelingen, Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1921

dass der Arbeitsbereich als schlagkräftige Ser- Ein kurzes Wort noch zur Aussagekraft der Statis- viceeinheit funktioniert und das hat er auch bereits. tik, die in der Antwort auf die Große Anfrage ge- Die IT-Forensik wird immer wieder erfolgreich zeigt wird. Dort ist ein großer Rückgang zu sehen, konsultiert, wenn es bei Razzien darum geht, Be- das können wir aber nicht als großen Erfolg verbu- weismaterial zu entschlüsseln. Gerade in den letz- chen, denn er ist einfach nur darauf zurückzufüh- ten Tagen sind im Bund-Länder-Zusammenhang ren, dass wir eine sukzessive Neuzuordnung der wichtige Erfolge im Kampf gegen die organisierte Delikte vorgenommen haben. Das würden wir uns Kriminalität im Darknet erreicht worden. nicht anheften. Sie können diese Statistik aber noch besser verfolgen, wenn wir in Kürze einen pe- Bei allem ist auch wichtig – ich schaue in den Rei- riodischen Sicherheitsbericht vorlegen. Dann kann hen der CDU Herrn Meyer-Heder und Herrn Weiss man darüber detaillierter debattieren. an –, dass der Bereich Cyberkriminalität in der Po- lizei ansprechbar ist, wenn es Probleme gibt, und Was bleibt nach der Debatte: Cyberkriminalität for- dies auch am Wochenende. Das ist für den Standort dert uns kräftig heraus, aber die Polizei Bremen ist Bremen sicher nicht zu verachten. Für Bremen gilt, bei ihrer Bekämpfung alles andere als hinterwäld- dass das Kommissariat 13 wichtige Beratung und lerisch. Wir bleiben daran! – Vielen Dank! Prävention leistet, und das soll auch fortgesetzt werden. (Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Sie haben in der Debatte die erforderlichen Verän- Präsident Imhoff: Meine Damen und Herren, wei- derungen einer Rechtsordnung angesprochen und tere Wortmeldungen liegen nicht vor. selbstverständlich muss auch die Rechtsordnung den veränderten Anforderungen angepasst wer- Damit ist die Aussprache geschlossen. den. Wir brauchen aber keinen blinden Aktionis- mus, Herr Öztürk und Herr Lenkeit haben es vor- Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Antwort hin ausgeführt. des Senats mit der Drucksachen-Nummer 20/479 auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz nimmt die Be- Kenntnis. treiber in die Pflicht und Bremen setzt sich dafür ein, dass Betreiber außerhalb von Deutschland Damit sind wir am Ende der Tagesordnung ange- auch in Haftung genommen werden können – das kommen. Ich bedanke mich und wünsche Ihnen ei- sogenannte Marktortprinzip, das wir in den Bun- nen schönen Feierabend! desrat eingebracht haben. Ich schließe die Sitzung. Wir setzen uns auch dafür ein, dass die Identifizier- barkeit von Hasspredigern und anderen Straftätern im Netz verbessert wird. Die Bestandsdatenaus- kunft ist ein Basisinstrument und das Handwerks- (Schluss der Sitzung 18:15 Uhr) zeug für die Ermittler im Bereich Cyberkriminalität. Die Vorratsdatenspeicherung ist auch wichtig für die Ermittler, hier gilt es abzuwarten, dass in Kürze eine verfassungskonforme Lösung gefunden wird, die wäre wichtig für die Ermittler. 1922 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Anhang zum Plenarprotokoll

Schriftlich vom Senat beantwortete Anfragen aus Zu Frage 2: Es ist beabsichtigt, die Wohnanlagen der Fragestunde der Bürgerschaft (Landtag) vom an das Glasfasernetz anzubinden und die Band- 17. September 2020 breite auf zehn Gigabytes zu erhöhen. Damit wird in allen vom Studierendenwerk betriebe- Anfrage 10: Technische Infrastruktur in den Bre- nen Studierendenwohnanlagen die technische mer Studierendenwohnheimen für die Durchfüh- Infrastruktur zur Durchführung eines „hybri- rung eines „hybriden“ Wintersemesters den“ Wintersemesters 2020/2021 geschaffen 2020/2021 sein. Anfrage der Abgeordneten Frau Grobien, Röwe- kamp und Fraktion der CDU Zu Frage 3: Für sechs Wohnanlagen, die bereits vom 7. August 2020 an das Glasfasernetz angebunden waren, ist die Erhöhung der Bandbreite auf zehn Gigabytes Wir fragen den Senat: kürzlich erfolgt.

Frage 1: Wie bewertet der Senat die technischen In den Wohnanlagen, die noch an das Richtfunk- Voraussetzungen in den Wohnheimen des Stu- netz angeschlossen sind, sind für die Anbindung dierendenwerks Bremen, unter anderem die an das Glasfasernetz umfangreichere bauliche Qualität der Internetverbindung, für die Durch- Maßnahmen erforderlich. Die entsprechenden führung eines „hybriden“ Wintersemesters Maßnahmen konnten in der Wohnanlage in der 2020/2021? Neustadt bereits abgeschlossen werden. Die Wohnanlagen Weidedamm, Haus im Viertel und Frage 2: Welches Konzept verfolgt der Senat, um Horn-Lehe werden nach dem derzeitigen Stand die notwendigen technischen Voraussetzungen der Planungen ebenfalls bis zum Start des kom- für das kommende „hybride“ Wintersemester in menden Wintersemesters betriebsbereit an das den Wohnheimen des Studierendenwerks Bre- Glasfasernetz angeschlossen sein. men zu schaffen beziehungsweise zu verbes- sern? Anfrage 11: Verzögerungen bei der Schiffsabfer- tigung in Bremerhaven Frage 3: Welche Maßnahmen werden vom Stu- Anfrage der Abgeordneten Frau Grobien, Ra- dierendenwerk Bremen momentan umgesetzt o- schen, Röwekamp und Fraktion der CDU der geplant, um die technische Infrastruktur in vom 11. August 2020 den Studierendenwohnheimen zu schaffen be- ziehungsweise zu optimieren? Wir fragen den Senat:

Antwort des Senats: Frage 1: Inwiefern ist es zutreffend, dass es ak- tuell in der Hafengruppe Bremerhaven aufgrund Zu Frage 1: Wie bereits in der Antwort auf die von Personalmangel zu Verzögerungen bei der Anfrage der Fraktion der SPD für die Frage- Schiffsabfertigung von bis zu sieben Tagen stunde der Bremischen Bürgerschaft zur „Situa- kommt? tion von Studierenden in Wohnheimen“ vom 5. Mai 2020 dargestellt, war es aufgrund der Frage 2: Falls ja, an welcher Stelle und weswe- Coronapandemie und deren Auswirkungen er- gen entstehen die Verzögerungen? forderlich, dass die Hochschulen sehr schnell in den digitalen Semesterbetrieb starten. Frage 3: Inwiefern haben die laufenden Pläne und Maßnahmen zur Umstrukturierung des Ge- Um einen möglichst unkomplizierten Übergang samthafenbetriebsvereins, GHB, Einfluss auf die in die digitale Lehre und ein „hybrides“ Winter- oben geschilderte Situation? semester für diejenigen Studierenden zu ermög- lichen, die in den Wohnanlagen des Studieren- Antwort des Senats: denwerks wohnen, ist die digitale Infrastruktur für die Durchführung eines „hybriden“ Semes- Zu Frage 1, 2 und 3: Die Fragen werden zusam- ters unter Bereitstellung der dafür erforderlichen mengefasst wie folgt beantwortet: Kapazitäten schnellstmöglich weiter anzupas- sen. Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1923

Verzögerungen in der Schiffsabfertigung kom- ihm zur Verfügung stehenden Informationen. men aus unterschiedlichen Gründen in allen Hä- Dem Senat bereitet in diesem Kontext die welt- fen vor, denn weder die internationale Schiff- weit zunehmende Diskriminierung queerer fahrt, noch der Hafenbetrieb mit seinen vielfälti- Menschen große Sorge. Aus diesem Grund be- gen vor- und nachgelagerten Prozessen sind zu wertet der Senat die Arbeit von Netzwerken, Ak- einhundert Prozent im Voraus planbar. Dies gilt tionen, Vereinen und Nichtregierungsorganisa- im Normalbetrieb, noch viel mehr aber in Zeiten tionen, die sich grenzüberschreitend für die der Coronapandemie. Rechte von sexuellen Minderheiten einsetzen, als besonders wichtig. Diesbezüglich leisten die Die damit einhergehenden Verwerfungen und aktive Zusammenarbeit und der Austausch des Unsicherheiten in den internationalen Märkten CSD Bremen e. V. mit dem Danziger Verein To- hatten und haben einen starken Einfluss auf die lerado einen wichtigen Beitrag. weltweite Produktion und internationale Logis- tikketten. Sie haben aufgrund stark schwanken- Der Senat nutzt die Möglichkeiten der Landes- der Schiffsanläufe und Arbeitsaufkommen in ih- regierung, um in je bilateralen Gesprächen mit rer Folge zuletzt auch in Bremerhaven zu Verzö- den Botschaften der Länder unserer Städtepart- gerungen in den operativen Hafenabläufen ge- nerschaften und bei geeigneten öffentlichen führt. Auftritten immer wieder auf die Prinzipien und Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit und Men- Ein Aspekt unter mehreren war dabei auch die schenrechten hinzuweisen und sie als grundle- Verfügbarkeit und Flexibilität im Personalein- gend für die Politik des Senats zu verdeutlichen. satz, sowohl bei den Hafeneinzelbetrieben als Dies bezieht sich auch und gerade auf die auch beim Gesamthafenbetriebsverein, GHB, Gleichbehandlung sämtlicher Geschlechter. der sich aktuell in einer Phase der Umstrukturie- rung befindet. Die genannten Abfertigungsprob- Innerhalb der städtepartnerschaftlichen Aktivi- leme wurden zwischenzeitlich behoben. täten wird eine große Vielfalt von verschiedenen Thematiken abgebildet. Dabei liegt ein Schwer- Anfrage 12: Städtepartnerschaften im Zeichen punkt auf der Förderung des Austausches zwi- von Unterdrückung der LGBTQ-Community schen zivilgesellschaftlichen Akteuren in Bre- Anfrage der Abgeordneten Stahmann, Frau men mit den jeweiligen Partnerstädten. Im Rah- Grotheer, Güngör und Fraktion der SPD men der „urban diplomacy“ nutzen auch hier die vom 18. August 2020 Senatsmitglieder alle Möglichkeiten, um Ak- teure der LGBTQ-Community wie zum Beispiel Wir fragen den Senat: beim CSD öffentlich zu stärken und ihre Partner- Organisationen und Aktivitäten aus den Partner- Frage 1: Inwieweit beobachtet der Senat politi- städten öffentlich wertzuschätzen. Jüngste Bei- sche Entwicklungen in den Ländern, mit denen spiele war die Teilnahme des PdS an einer Bremen Städtepartnerschaften unterhält? deutsch-polnischen Konferenz zur Sicherung der Rechtsstaatlichkeit in Europa und einer deutsch- Frage 2: Wie reagiert der Senat in Bezug auf türkischen Konferenz mit Bürgermeisterin- staatliche Menschenrechtsverletzungen in die- nen/Bürgermeistern und Diplomatinnen/Diplo- sen Partnerstädten und den betreffenden Staa- maten zu deutsch-türkischen Städtepartner- ten? schaften im Rahmen der digitalen Kontaktpflege während des Lockdowns der COVID-19-Pande- Frage 3: Wie würde der Senat mit Städtepartner- mie. schaften verfahren, falls die Partnerstädte sich zu „LGBTQ-ideologiefreien Zonen“ erklären wür- Zu Frage 3: Der Senat hat derzeit keine Kennt- den, wie zurzeit einige Städte und Gemeinden in nis, dass sich Bremer Partnerstädte zu LGBTQ- Polen? ideologiefreien Zonen erklärt hätten. Insbeson- dere die freie Stadt Danzig verfolgt ganz im Ge- Antwort des Senats: genteil demonstrativ eine rechtsstaatliche, tole- rante Politik, um auch in Polen die Akzeptanz se- Zu Frage 1 und 2: Der Senat beobachtet die in- xueller und geschlechtlicher Vielfalt zu fördern. ternationale politische Entwicklung und dabei insbesondere die Entwicklung in Ländern zu de- Sollte sich die Situation in einer Partnerstadt än- nen Beziehungen bestehen auf Grundlage der dern, wird der Senat die Lage kritisch bewerten 1924 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

und auf einem geeigneten Weg verdeutlichen, Zu Frage 2: Die Anzahl der Verfahren zu ermit- dass eine solche Position der etwaigen Kom- teln, in denen die letzte gerichtliche Entschei- mune keine geeignete Grundlage für eine ver- dung über die Fortdauer oder Aussetzung der trauensvolle dauerhafte Zusammenarbeit ist. Vollstreckung der Maßregel mehr als ein Jahr zurücklag, ist mit vertretbarem Verwaltungsauf- Anfrage 13: Jährliche Überprüfung der Unter- wand nicht zu ermitteln. Das entsprechende bringung in der forensischen Psychiatrie elektronische Fachverfahren der für die Vollstre- Anfrage der Abgeordneten Frau Dogan, Frau Dr. ckung der Maßregeln zuständigen Staatsanwalt- Müller, Fecker und Fraktion Bündnis 90/Die Grü- schaft sieht keine statistische Erfassung der Fris- nen ten in Unterbringungssachen vor. Nach Aus- vom 19. August 2020 kunft der Staatsanwaltschaft ist eine Überschrei- tung der Fristen allerdings eine große Aus- Wir fragen den Senat: nahme, wobei es sich dann grundsätzlich jeweils lediglich um wenige Tage der Überschreitung Frage 1: Wie viele Personen sind derzeit im Rah- handelt. men des Maßregelvollzugs in einem psychiatri- schen Krankenhaus im Land Bremen unterge- Zu Frage 3: Mindestens einmal im Jahr überprüft bracht und bei wie vielen von ihnen beträgt die die Große Strafvollstreckungskammer des Land- Dauer der Unterbringung bereits mehr als ein gerichts Bremen in jedem Einzelfall, ob die Vo- Jahr, mehr als fünf Jahre beziehungsweise mehr raussetzungen für die weitere Fortdauer der Un- als zehn Jahre? terbringung nach § 63 StGB vorliegen. Verfah- rensbeteiligte für die zu treffende Entscheidung Frage 2: Bei wie vielen Betroffenen, die seit mehr sind das Klinikum Bremen-Ost, die Staatsan- als einem Jahr untergebracht sind, liegt die waltschaft Bremen, externe Sachverständige so- letzte gerichtliche Prüfung, ob die weitere Voll- wie die Verteidigerin oder der Verteidiger der streckung der Unterbringung auszusetzen oder Betroffenen. Im Regelfall gelingt es der Großen für erledigt zu erklären ist, mehr als ein Jahr zu- Strafvollstreckungskammer, die Fortdauerent- rück? scheidungen rechtzeitig vor Ablauf der Jahres- frist oder zumindest zeitnah kurz nach Ablauf Frage 3: Was sind die häufigsten Gründe für eine der Jahresfrist zu treffen. Überschreitung der gesetzlichen Einjahresfrist? Verzögerungen können sich bei der Auswahl Antwort des Senats: der beziehungsweise des Sachverständigen er- geben, da geeignete Sachverständige stark aus- Zu Frage 1: Die Unterbringungszahlen im bremi- gelastet sind. schen Maßregelvollzug stellen sich wie folgt dar: Eine Unterbringungsdauer von unter einem Jahr Die Strafvollstreckungskammer beauftragt nicht besteht für elf Personen, die alle stationär unter- die schnellsten Sachverständigen, sondern die- gebracht sind. Von einem bis unter fünf Jahren jenigen, welche in Bezug auf das konkrete Stö- sind 41 Personen stationär und fünf Personen im rungsbild der Betroffenen über die größte Sach- Rahmen eines Betreuten Wohnens, ambulant, kunde verfügen. Ist die persönliche Anwesen- untergebracht. heit der Sachverständigen im Anhörungstermin unabdingbar, kann auch die Terminabsprache Für den Zeitraum von fünf Jahren bis unter zehn zu Verzögerungen führen. Jahren sind zehn Personen stationär und vier Personen ambulant untergebracht. Eine Unter- Auch eine hohe Terminauslastung auf der Ver- bringungsdauer von über zehn Jahren besteht teidigerseite kann Verzögerungen nach sich zie- bei 19 Personen stationär und bei drei Personen hen; die Verteidigerin beziehungsweise der Ver- ambulant. teidiger muss an der gesetzlich vorgeschriebe- nen Anhörung mitwirken. In Ausnahmefällen Insgesamt befinden sich demnach 93 Personen führen die Einlegung von Rechtsmitteln und das im Maßregelvollzug; davon 81 stationär und Prozessverhalten von Betroffenen und Verteidi- zwölf ambulant. gern zu Verzögerungen. Aktuell gibt es beim Landgericht allerdings lediglich einen Fall, in dem der Betroffene – vertreten durch seinen Ver- teidiger – gegen nahezu jede Entscheidung der Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1925

Strafvollstreckungskammer Rechtsmittel einlegt Zu Frage 1: Im Zeitraum vom 15. März bis 31. und gegen die Mitglieder der Kammer mit einer August 2020 wurden im Gesundheitsamt Bre- Vielzahl an Befangenheitsanträgen, Strafanzei- men 95 bereits vorhandene Mitarbeiterinnen gen und Dienstaufsichtsbeschwerden vorgeht. und Mitarbeiter im Zuge der Coronapandemie beschäftigt. Davon sind 77 Personen weiblich so- In einzelnen Fällen stellt die Strafvollstreckungs- wie 18 Personen männlich. Darüber hinaus wur- kammer im Einvernehmen mit allen Verfahrens- den 21 Personen aus dem öffentlichen Dienst beteiligten die Entscheidung über die Fortdauer umgesteuert, davon sind zwölf Personen männ- über die gesetzliche Frist hinaus zurück. Dies lich sowie neun Personen weiblich. Des Weite- geschieht in erster Linie dann, wenn die positive ren wurden 16 Dienstverträge abgeschlossen, Entwicklung der Betroffenen erst in der End- von denen neun Verträge mit Frauen sowie sie- phase des Beobachtungszeitraumes stattgefun- ben Verträge mit Männern abgeschlossen wur- den hat. Die Strafvollstreckungskammer hat un- den. terschiedliche Maßnahmen getroffen, um Ver- fahrensverzögerungen zu begegnen. So hält sie Über den Senator für Finanzen wurden für das beispielsweise nahezu jede Woche Anhö- Gesundheitsamt Bremen 80 Studentinnen und rungstage ab. Diese finden entweder in der Kli- Studenten als Containment Scouts eingestellt, nik oder per Videokonferenz statt. davon sind 61 Frauen sowie 19 Männer.

Durch organisatorische Maßnahmen der Staats- Im Gesundheitsamt Bremerhaven waren alle anwaltschaft und der Strafvollstreckungskam- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ganz oder teil- mer des Landgerichts ist es gelungen, Verzöge- weise mit Aufgaben im Zusammenhang mit der rungen so zu reduzieren, dass Entscheidungen Coronapandemie betraut. Dort sind 56 Frauen über die Fortdauer der Unterbringung im Regel- und 15 Männer beschäftigt. Im Rahmen der fall vor Ablauf der Jahresfrist und nur in Ausnah- Coronapandemie wurden zusätzlich insgesamt mefällen kurz nach Ablauf der Frist getroffen 57 Personen – darunter 39 „Containment Scouts“ werden. – für das Gesundheitsamt Bremerhaven befristet eingestellt: 32 weibliche und 25 männliche Per- Anfrage 14: Gender Pay Gap im Gesundheitsress- sonen, darunter 18 weibliche und 23 männliche ort Land Bremen Studierende als Scouts. Anfrage der Abgeordneten Frau Dertwinkel, Rö- wekamp und Fraktion der CDU Zu Frage 2: Das Gesundheitsamt Bremen hat im vom 25. August 2020 Zusammenhang mit der Coronapandemie mit 16 Personen Dienstverträge gemäß § 611 BGB ab- Wir fragen den Senat: geschlossen. Werkverträge wurden nicht abge- schlossen. Von diesen Verträgen wurden sechs Frage 1: Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitar- Verträge für einen Zeitraum von rund eineinhalb beiter, darunter Studentinnen und Studenten, Monaten abgeschlossen. Drei Vertragsnehmer waren im Zeitraum vom 15. März bis 31. August waren weiblich und drei Vertragspartner männ- 2020 bei den Gesundheitsämtern Bremen und lich. Die Stundensätze wurden aufgrund von un- Bremerhaven im Zuge der Coronapandemie be- terschiedlichen Aufgabenstellungen mit 28,87 schäftigt? Bitte um Aufschlüsselung nach Ge- Euro beziehungsweise 32,49 Euro vergütet. Den schlecht und Gesundheitsamt. höheren Stundensatz haben sowohl eine Frau sowie drei Männer erhalten, der Stundensatz in Frage 2: Wie viele Werkverträge wurden hierzu Höhe von 28,87 Euro pro Stunde wurde mit zwei in Verantwortung des Gesundheitsressorts ge- Frauen vereinbart. Nach Überprüfung der Auf- schlossen mit welchen konkret ausgewiesenen gabenverteilung wurden die Stundensätze aller Stundenlöhnen? Bitte um Aufschlüsselung der dieser Vertragsnehmer für die gesamte Ver- Verdienste nach Geschlecht. tragsdauer auf 32,49 Euro vereinheitlicht.

Frage 3: Warum wurden im Land Bremen – an- Von den 16 Personen waren zehn Personen ders als im Bund – keine einheitlichen Verträge kurzfristig für fünf beziehungsweise für sechs nach TV-L und unabhängig vom Geschlecht mit Tage als Aushilfen für die Datenerfassung der den zeitlich befristet Beschäftigten geschlossen? Coronatests am Flughafen Bremen beschäftigt. Der Stundenlohn für diese Tätigkeit betrug ein- Antwort des Senats: heitlich 18 Euro pro Stunde. Im Rahmen dieser 1926 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Tätigkeit waren sechs Frauen sowie vier Männer Antwort des Senats: beim Gesundheitsamt Bremen beschäftigt. Das Gesundheitsamt Bremerhaven hat keine Dienst- Zu Frage 1: Im Zeitraum vom 15. März bis 31. oder Werkverträge im Zuge der Coronapande- August 2020 wurden der bremischen Wohn- und mie abgeschlossen. Betreuungsaufsicht insgesamt 1 927 Beschwer- den angezeigt. Zu Frage 3: Das Gesundheitsamt Bremen hat das Instrument Dienstverträge angewandt, um Zu Frage 2: Der weitaus größte Teil der Be- schnellstmöglich Personal einstellen zu können. schwerden während des Lockdowns richtete Der Prozess einer Neueinstellung nach dem TV- sich gegen die als zu restriktiv empfundenen Be- L dauert im Gesundheitsamt Bremen deutlich suchsregelungen. Diese führten zu einer hohen länger als der Abschluss eines Dienstvertrages. Verunsicherung der Angehörigen und der Ein- Um handlungsfähig zu sein, wurde dieses Instru- richtungsleitungen. Insbesondere Fragen zur ment am Gesundheitsamt gewählt. Des Weite- Umsetzung der Ausnahmeregeln, zum Verlas- ren arbeitet das Gesundheitsamt für kurzfristige sen der Einrichtungen durch die Bewohnerinnen Einsätze wie zum Beispiel die in Frage zwei ge- und Bewohner sowie Fragen zur Gewährung nannten fünf beziehungsweise sechs Tagesein- von Zutritt aus beruflichen Gründen, wie zum sätze am Flughafen Bremen mit diesem Instru- Beispiel für Betreuungsrichterinnen und -richter, ment. haben einen hohen Beratungsbedarf ausgelöst. Diese Beratungen sind in der weit überwiegen- Die Studierenden, die über den Senator für Fi- den Zahl telefonisch erfolgt, teils aber auch di- nanzen zugewiesen wurden, sind alle nach dem rekt in den Einrichtungen vor Ort. TV-L mit der Entgeltgruppe drei eingestellt wor- den. Bei der Stadt Bremerhaven wurden aus- Im weiteren Verlauf der Pandemie wurden ab schließlich Arbeitsverträge im Rahmen des Mitte Juni 2020 Besuche in den Einrichtungen TVöD und des Teilzeit- und Befristungsgesetzes wieder ermöglicht. Der Schwerpunkt der Bera- geschlossen. Die Differenzierung des Entgelts tungen und der Aufklärungsarbeit lag dann bei erfolgte in Abhängigkeit der Tätigkeit. Fragen zu Besuchs- und Hygieneregelungen.

Anfrage 15: Anlassbezogene Kontrollen in Pfle- Das Beschwerdeaufkommen hat sich insbeson- geheimen des Landes Bremen dere seit der 13. Coronaverordnung und einer Anfrage der Abgeordneten Frau Grönert, Röwe- weiteren Öffnung der Einrichtungen erhöht. Die kamp und Fraktion der CDU Schwerpunkte der Beschwerden beziehen sich vom 25. August 2020 nun auf die Qualität der Pflege und auf die Per- sonalausstattung. Beschwerden zu weiteren Wir fragen den Senat: Themen betreffen vor allem:

Frage 1: Wie viele Beschwerden über Miss- Infektionsschutzmaßnahmen, Hygiene, Verhal- stände in den Pflegeheimen des Landes Bremen ten des Personals, Mahlzeitenangebote, Ver- wurden der Wohn- und Betreuungsaufsicht im schattungen, zum Beispiel durch Außenjalou- Zeitraum vom 15. März bis 31. August 2020 an- sien, Markisen und Sonnenschirme, Eigenan- gezeigt? teile von Selbstzahlern in Einrichtungen, die von den Trägern in unregulierter Höhe auf Nutzerin- Frage 2: Welche Art von Mängeln und Missstän- nen und Nutzer umgelegt werden können, und den wurden in welcher Häufigkeit gemeldet? die daher mit erheblichen Kostensteigerungen Bitte um Aufschlüsselung der einzelnen Katego- verbunden sein können, Verhalten gesetzlicher rien. Betreuer, Eingriffe in Selbstbestimmungsrechte, Würde und freiheitsentziehende Maßnahmen. Frage 3: Mit welchen Ergebnissen wurden wie viele anlassbezogene Kontrollen durch die Zu Frage 3: Im Zeitraum vom 15. März bis 31. Wohn- und Betreuungsaufsicht im Zeitraum vom August 2020 hat die Wohn- und Betreuungsauf- 15. März bis 31. August 2020 in den Pflegehei- sicht 63 anlassbezogene Kontrollen durchge- men des Landes durchgeführt? Gemeint sind führt. Im Vordergrund stand die Beratung. Le- ausdrücklich echte Kontrollen, keine aufsuchen- diglich in einem Einzelfall war aufgrund der den Hygieneunterweisungen. Schwere der festgestellten Mängel eine Anord- Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1927

nung erforderlich. Unabhängig vom Anlass be- Der Senat würde es begrüßen, wenn möglichst hält die Wohn- und Betreuungsaufsicht bei allen zum Saisonstart der großen Profi-Ligen ein Ein- Besuchen in Einrichtungen die Einhaltung ein- stieg in den Veranstaltungsbetrieb mit Zuschau- schlägiger Vorgaben im Blick. Die zur Unterstüt- erinnen und Zuschauern möglich wäre. Dafür zung des Gesundheitsamtes durchgeführten Hy- wäre eine kurzfristige Einigung der Länder an- gieneunterweisungen boten daher auch eine zustreben. Der Senat rechnet damit, dass ein sol- Möglichkeit, in Zeiten der Pandemie alle Ein- ches Ergebnis noch in dieser Woche vorliegen richtungen aufzusuchen und sich von den fach- wird. lichen Gegebenheiten vor Ort einen Eindruck zu verschaffen. In Erwartung einer solchen bundeseinheitlichen Verständigung hat der Senat für das erste Heim- Anfrage 16: Ist professioneller Sport mit Zu- spiel des SV Werder Bremen entschieden, auf schauern auch in Bremen bald wieder realistisch? Basis des von Werder Bremen vorgelegten Anfrage der Abgeordneten Frau Bergmann, Prof. Schutz- und Hygienekonzeptes 8 500 Zuschaue- Dr. Hilz, Frau Wischhusen und Fraktion der FDP rinnen und Zuschauer zuzulassen, dies ent- vom 9. September 2020 spricht einer Auslastung von circa 20 Prozent der zur Verfügung stehenden Kapazitäten. Wir fragen den Senat: Der Senat bewegt sich mit dieser Entscheidung Frage 1: Ab wann rechnet der Senat damit, dass im Rahmen dessen, was derzeit Gegenstand der in Bremen – wie in anderen Bundesländern auch Erörterungen zwischen den Staats- und Senats- – wieder professionelle Sportarten vor Zuschau- kanzleien ist, ein Abwarten der gemeinsamen ern ausgetragen werden können? Beschlussfassung hätte aber die Umsetzung zum ersten Spieltag gefährdet. Frage 2: Mit welchen maximalen Zuschauerzah- len könnten die einzelnen Sportstätten für pro- Generell gilt: Die Voraussetzungen für professi- fessionelle Sportvereine im Land Bremen rech- onelle Sportveranstaltungen mit Zuschauerin- nen? nen und Zuschauern sind grundsätzlich immer orts- und veranstaltungsbezogene Schutz- und Frage 3: Welche Voraussetzungen müssten die Hygienekonzepte, die mit dem zuständigen entsprechenden Vereine und Sportstätten aus kommunalen Gesundheitsamt abgestimmt sind. Sicht des Senats erfüllen, damit wieder Zu- In einem ersten Schritt wird darüber hinaus die schauer bei professionellen Sportwettbewerben Zahl der zugelassenen Zuschauerinnen und Zu- zugelassen werden können? schauer in Abhängigkeit zu den Kapazitäten der Veranstaltungsstätten begrenzt sein, starre Antwort des Senats: Obergrenzen sind hingegen voraussichtlich nicht vorgesehen. Die Dachverbände des Sports Zu Frage 1, 2, und 3: Die Fragen werden im Zu- haben für die einzelnen Ligen Rahmenkonzepte sammenhang beantwortet. Im Rahmen der der- entwickelt, die von den örtlichen Vereinen und zeit gültigen Coronaverordnung sind Veranstal- Veranstaltungsstätten konkretisiert werden. tungen Indoor mit bis zu 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmern und Outdoor mit bis zu 400 Anfrage 17: Öffnung der Mensen an den Bremer Teilnehmerinnen und Teilnehmern bereits jetzt Hochschulen zulässig. Das gilt auch für professionelle Sport- Anfrage der Abgeordneten Dr. Buhlert, Frau veranstaltungen. Die Ministerpräsidentinnen Bergmann, Frau Wischhusen und Fraktion der und Ministerpräsidenten haben am 27. August FDP 2020 in der gemeinsamen Besprechung mit der vom 10. September 2020 Bundeskanzlerin beschlossen, dass Großveran- staltungen mit mehr als 1 000 Personen bis Jah- Wir fragen den Senat: resende nur unter strengen Auflagen möglich sein können. Die Ministerpräsidentinnen und Frage 1: Welche Planungen zur Wiedereröff- Ministerpräsidenten haben den Chefinnen und nung der derzeit geschlossenen Mensen und Ca- Chefs der Senats- und Staatskanzleien den Auf- feterien an den Bremer Hochschulen liegen für trag erteilt, für bundesweite Sportgroßveranstal- das Wintersemester 2020/2021 vor und wie sieht tungen einen gemeinsamen Vorschlag zu entwi- das jeweilige Hygienekonzept aus? ckeln. 1928 Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020

Frage 2: Inwiefern werden angesichts der Raum- Hochschule Bremerhaven, die Mensa Werder- knappheit an den Bremer Hochschulen im kom- straße, die Mensa Airport, die Cafeteria Grazer menden Wintersemester 2020/2021 die Cafete- Straße, Speicher XI und die Mensa Academia rien und Mensen alternativ genutzt? wird in Abstimmung mit den jeweiligen Hoch- schulen unter Hygieneaspekten, der voraus- Frage 3: Sofern keine Wiedereröffnung aller sichtlichen Nachfrage und Kapazität sowie der Mensen und Cafeterien geplant ist, welche Al- Wirtschaftlichkeit über eine Öffnung entschie- ternativen sind im Wintersemester 2020/2021, in den. dem die Lehre wieder verstärkt durch Präsenz- veranstaltungen sichergestellt werden soll, vor- Für die einzelnen Betriebe sind umfangreiche gesehen, damit sich die Studierenden sowie Mit- Schutz- und Hygienekonzepte entwickelt wor- arbeiterinnen und Mitarbeiter überall campus- den, die den Vorgaben der 16. Coronaverord- nah versorgen können? nung vom 8. September 2020 entsprechen.

Antwort des Senats: Zu Frage 2: Auf Bitten der Universität Bremen finden Klausuren auch in der Universitätsmensa Zu Frage 1: An der Universität Bremen haben statt. Mit Wiedereröffnung der Universitäts- das Café Central sowie die Cafeteria im Ge- mensa wird dies auch weiterhin außerhalb der bäude GW2 und an der Hochschule Bremen die Mensaöffnungszeiten möglich sein. Weitere An- Mensa Neustadtswall ihre Angebote auf Außer- fragen der Hochschulen liegen dem Studieren- Haus-Verkauf umgestellt. Seit dem 14. Septem- denwerk bisher nicht vor. ber 2020 hat auch die Universitätsmensa wieder geöffnet und bietet im Gegensatz zu den ande- Zu Frage 3: Wie in der Antwort auf Frage 1 dar- ren geöffneten gastronomischen Einrichtungen gestellt, wird unter den dort genannten Aspek- des Studierendenwerks Sitzplätze an, die pro ten über eine Öffnung der bisher noch geschlos- Gast maximal dreißig Minuten genutzt werden senen Betriebe entschieden. dürfen. Für die Mensa und die Cafeteria an der Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 20. Wahlperiode – 14. Sitzung am 16.09.2020 und 17.09.2020 1929

Konsensliste

Von der Bürgerschaft (Landtag) in der 14. Sitzung nach interfraktioneller Absprache beschlossene Tagesordnungspunkte ohne Debatte.

Nr. Tagesordnungspunkt Beschlussempfehlung Nachhaltigkeitsstrategie für das Land Bremen Die Bürgerschaft (Landtag) überweist den An- entwickeln! trag zur weiteren Beratung und Berichterstat- 20. Antrag der Fraktion der CDU vom 09.06.2020 tung an den Ausschuss für Bundes- und Euro- paangelegenheiten, internationale Kontakte und (Drucksache 20/428) Entwicklungszusammenarbeit Zustimmungsgesetz zum Staatsvertrag zur Modernisierung der Medienordnung in Die Bürgerschaft (Landtag) beschließt das Ge- 36. Deutschland setz in zweiter Lesung. Mitteilung des Senats vom 23.06.2020 (Drucksache 20/476) Veränderungen bei den Mitgliedern der staat- lichen Deputation für Inneres Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Mit- 41. Mitteilung des Präsidenten der Bremischen teilung des Präsidenten Kenntnis. Bürgerschaft vom 16.07.2020 (Drucksache 20/552) Veränderungen bei den Mitgliedern der staat- lichen Deputation für Mobilität, Bau und Stadtentwicklung Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Mit- 42. Mitteilung des Präsidenten der Bremischen teilung des Präsidenten Kenntnis. Bürgerschaft vom 17.07.2020 (Drucksache 20/553) Vierter Bericht des Senats gemäß § 12 BremIFG Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Mit- 52. Mitteilung des Senats vom 18.08.2020 teilung des Senats Kenntnis. (Drucksache 20/566) Familien während Corona unterstützen: Ver- lässliche Entschädigungszahlungen auch für Die Bürgerschaft (Landtag) überweist den An- trag zur weiteren Beratung und Berichterstat- 54. Eltern im Homeoffice! tung an die staatliche Deputation für Gesundheit Antrag der Fraktion der FDP vom 27.08.2020 und Verbraucherschutz. (Drucksache 20/575) Stellungnahme des Senats zum 2. Jahresbe- richt der Landesbeauftragten für Datenschutz Die Bürgerschaft (Landtag) überweist die Stel- nach der Europäischen Datenschutzgrundver- lungnahme des Senats zur weiteren Beratung 62. ordnung und Berichterstattung an den Ausschuss für Wis- senschaft, Medien, Datenschutz und Informati- Mitteilung des Senats vom 08.09.2020 onsfreiheit. (Drucksache 20/597)

Stellungnahme des Senats zum 14. Jahresbe- Die Bürgerschaft (Landtag) überweist die Stel- richt der Landesbeauftragten für Informati- lungnahme des Senats zur weiteren Beratung 63. onsfreiheit und Berichterstattung an den Ausschuss für Wis- Mitteilung des Senats vom 08.09.2020 senschaft, Medien, Datenschutz und Informati- (Drucksache 20/598) onsfreiheit.

Frank Imhoff Präsident der Bremischen Bürgerschaft