Das Letzte Mal in Der Freien Stadt Danzig
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Gertrud Dworetzki Heimatort Freie Stadt Danzig Unseren Kindern Bildredaktion: Manfred Lotsch Fotonachweis: Argusfot (Stueber), Berlin: 25 Clara Bernthal: 15, 47 Bundesarchiv: 2, 7, 20, 23, 24, 50-52, 55, 57, 67, 75, 79 Danziger Heimatdienst und Staatl. Werbestelle: 38 Eiko-Film: 48 Else Hege: 30, 34 Heinrich Hoffmann: 58, 59, 62, 64 G. Kresin: 49 Landesverkehrsverband für das Gebiet der Freien Stadt Danzig: 1, 18, 26, 29 Lulinski: 61, 65, 66 Dr. Gertrud Meili-Dworetzki: 9, 12, 13, 17, 32, 35-37, 80, 81 Mimosa: 11, 19 Private Quellen: 16, 31, 68-70 Privates zeitgeschichtliches Archiv: 6, 14, 21, 27, 28, 33, 39, 40, 43, 45, 63 Kunstverlagsanstalt Schaar & Uathe: 46 Verlag Schöning & Co: 22 Sönnke: 60 Staatliche Bildstelle Freie Stadt Danzig: 3-5, 8 Horst Strehlke: 76-78 Dr. Trenkler: 44 Th. Urtnowsky: 10 Aus zeitgenössischen Veröffentlichungen: 53, 54 aus «Danziger Hauskalender 1950», herausgegeben von Siegfried Rosenberg: 71 aus Bohdan Szermer «Gdansk. Vergangenheit und Gegenwart», Warszawa 1971: 72 aus Maria I. Andrezej Szypowscy «Gdansk», Warszawa 1978: 56, 73 CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Meili-Dworetzki, Gertrud: Heimatort Freie Stadt Danzig / Gertrud Dworetzki. Gdansk – Danzig – Gdansk: Rückblicke / Thomas Omansen. – Düsseldorf: Droste, 1985. ISBN 3-7700-0683-6 NE: Omansen, Thomas: Gdansk – Danzig – Gdansk: Rückblicke © 1985 Droste Verlag GmbH, Düsseldorf Schutzumschlagentwurf: Helmut Schwanen Gesamtherstellung: Bercker Graphischer Betrieb GmbH, Kevelaer ISBN 3-7700-0683-6 Eingescannt mit OCR-Software ABBYY Fine Reader Inhalt Gertrud Dworetzki: Heimatort Freie Stadt Danzig Erster Teil: 1973-1974 Der höchste Berg der Welt 11 Sog der Vergangenheit 14 Schwierige Fragen 25 Und wie gefällt Ihnen Polen? 25 Warum kannst du nicht Polnisch? 28 Schätze und Überraschungen 31 Das letzte Mal in der Freien Stadt Danzig 35 Im Kontor 39 Hilfreiche Geister 44 Feiertage und Feste 48 Ideologisches 58 Phantasien 64 Georg 68 Inka 75 Die Bilder im Wohnzimmer 78 Das Herrenzimmer 80 Kurt 82 4. März 1974 90 Zweiter Teil: Sommer 1977 Im neuen Anlauf (1974-1977) 95 Vorurteile – eigene und fremde 105 Aus der Schule plaudern 111 Schöne Sommer in Zoppot 117 Formdeuten 122 Fragen und Ängste 125 Meine Mutter und das Geld 128 Tante Lutta bewundert gern 131 Auf Vaters Seite 137 Meine Schwester 144 Hermann Rauschnings Briefe: ein Bogen schliesst sich 155 Notizen einer Reise in die alte Heimat Danzig, 26. Juli bis 2. August 1973 160 5 Thomas Omansen: Gdansk • Danzig • Gdansk: Rückblicke Bürgerin der Freien Stadt 171 Lasst uns Frieden halten, jederzeit 172 Gyddanyzc: Als der heilige Adalbert dort taufte 175 Geschichte auf Polnisch, Geschichte auf Deutsch 176 11 gemeinsame Jahre 178 Als die Zisterzienser-Mönche kommen 180 Friedlich nebeneinander: die Marktsiedlung der Lübecker Kaufleute 181 Der 14. November 1308 183 Unter den Kreuzrittern 184 der erste stein zu unser lieben Frauwen Kirche 185 Die Stadt der dudeschen Hanse und der Orden 188 Künigliche Herrlichkeit: eine der grössten und reichsten Hafenstädte Europas 192 Weltoffen, tolerant und kunstfreudig 194 Das Ende von Danzigs grosser Zeit 197 Dieser Schatten von Unabhängigkeit 199 Preussisch 201 Napoleonisch: Freistaat und Festung 203 Nur noch eine Stadt in Preussen 204 Handelsconjuncturen 207 Später Aufbruch zum modernen Industrie-Zeitalter 210 Zu Kaisers Zeiten: lebenswerte Grossstadt 212 Wachstum, Weltbrand, Versailles 215 Wir wollen deutsch bleiben 219 «Freie Stadt Danzig» 222 Heimat, Geborgenheit, Gefährdung 229 Minderheit und Mehrheit 233 Was sie einst Heimat und Vaterland nannten 234 Verhängnisvoller Sommer 1939 236 Ein dramatischer August 239 Krieg? Krieg um Danzig? 243 In lodernden Flammen stand die ganze Stadt Danzig 245 Danzig. Gdansk 258 6 «. und je weiter nordwärts man kommt, desto lauter schlägt das Herz, bis man die See wittert. Die See – Wie schon Kilometer vorher jeder Pfahl, jedes Strohdach plötzlich eine tiefere Bedeutung haben . Windumweht steht der Busch, feiner Sand knirscht dir zwischen den Zähnen . ..» Kurt Tucholsky, aus «Heimat», 1929. Zurück zum Meer Schon atme ich den Duft von Salz und Tang, die Füsse eilen über trock'nem Sand und folgen meinem ungestümen Drang ans Meer: es ist mein Heimatland. Schon zeigt sich mir ein schmaler blauer Streifen, der Puls geht schneller, und das Herz wird weit vor Glück, die Landschaft zu ergreifen in ihrer vollen Herrlichkeit. Ich lass den Sand von meinen Fingern rinnen, dann zieht's mich in die kühle Flut: die Seele und der Leib mit allen Sinnen frohlocken nun, und alles in mir ruht. Des Meeres Schönheit kann ich voll erfassen mit Auge, Ohr, mit meiner ganzen Haut, dem Meer kann ich mich willig überlassen als Kind, das sich der Mutter anvertraut. 7 Erster Teil 1973-1974 Der höchste Berg der Welt Vor langen Jahren hatte ich einen Traum: ich kam von der «Sandgrube» her, einer Strasse parallel zu der unsrigen, dem «Schwarzen Meer», und wollte durch das oberste Gässchen unter dem Bischofsberg zu unserem Haus heruntergehen. Verworrene Umstände, wie sie für Träume typisch sind, hinderten mich, aus dem holprigen Gässchen mit ganz unbekannt scheinenden Häusern um die Ecke zu gelangen, dort wo sich breiter und heller das «Schwarze Meer» hinzog. Beim Erwachen empfand ich mehr Wehmut als Schmerz. Es war einer jener Träume, bei denen nicht viel ge- schieht, deren Stimmung uns aber noch lange begleitet. Zu jener Zeit beschäftigte ich mich nicht mit Danzig, noch mit meiner Kindheit, und ich dachte nicht daran, den Ort, in dem ich geboren und auf- gewachsen bin, jemals wiederaufzusuchen. Meine Angehörigen waren vor dem Kriege, unter dem wachsenden Druck der Nationalsozialisten ausge- wandert, meine Freunde, soweit sie «arisch» waren, hatten sich mindestens nach der Einnahme der Stadt durch die Russen und Polen in den Westen gerettet. Letzten Sommer bin ich nach Danzig zurückgekehrt. Vielleicht wäre es nie dazugekommen, wenn mein Mann nicht hätte nachprüfen wollen, ob es in Danzig im Sommer wirklich immer schön ist und die Landschaft so viel Reize bietet, wie ich es behauptet hatte. Gleich nach der ersten Nacht – wir sind am späten Nachmittag angekom- men – machen wir uns von der Innenstadt her, wo wir private Unterkunft bei der Bekannten einer Berner Kollegin gefunden haben, auf den Weg zum «Schwarzen Meer». Vor der Brücke über die Bahnlinie und die Radaune läuft jetzt eine grosse Autostrasse, und dahinter ist der Weg versperrt. Alles, was man durch das Gebüsch erkennt, ist eine Baustelle. Da es strömend regnet – der einzige Schlechtwettertag unserer Danzig-Woche – geben wir es auf, einen Zugang zu suchen. Wieviel lässt sich in diese Woche packen? Wie es einrichten, dass es für meinen Mann nicht ein langweiliges Abklappern an sich bedeutungsloser Gegenden und Plätze wird? Nun, es lässt sich einrichten mit Hilfe unserer freundlichen Gastgeberin Irena, die nach der Arbeit gern mit uns plaudert und Ratschläge erteilt, und dank dem wirklich schönen Sommerwetter, bei 11 dem das Herumstreifen in Stadt, an der See und über die bewaldeten Höhen ein Vergnügen ist – wie ehedem. Dann aber am letzten Tag packt mich doch noch einmal der Gedanke: ich muss zum Schwarzen Meer. Irena ist mit uns nach Zuckau gefahren, wir sind durch das märchenhafte Radaunetal gewan- dert, und bei der Rückkehr am hypermodernen Busbahnhof bestehe ich da- rauf, noch einmal zum Schwarzen Meer zu gehen. Irena, die selbst erst seit ihrem Studium hier lebt und nicht viel vom alten Danzig kennt, übersetzt dem Chauffeur, wohin er uns fahren soll. Sie selbst muss noch Einkäufe machen. Der Mann scheint über den Auftrag wenig entzückt. Es gibt ein langes Palaver, in dem wir das Wort «Milice» verstehen. Irena erklärt uns: da sei jetzt ein Polizeigebäude und sonst nichts, ausserdem käme man we- gen Bauarbeiten und Umfahrungen schlecht heran. Nach langem gutem Zu- reden fährt der Mann mit uns endlich davon. Es geht am früheren Volks- tagsgebäude vorbei, auf langen Umwegen, von einer für mich ganz unge- wohnten Seite gelangen wir auf eine Anhöhe etwa dort, wo wir früher die Drachen steigen liessen und die Rodelbahn herunter nach dem Schwarzen Meer begann. Der Platz, an dem der Wagen hält, ist so schmal geworden, weil nun dort eine Polizeischule – die «Milice» also – mit grossem Um- schwung viel Raum einnimmt. (Wohl die 1938 gebaute Jugendherberge.) Wir steigen aus, und mein Blick sucht das Gelände unter den Büschen, die den Abhang bedecken, nach der Richtung ab, in der meine Strasse lie- gen müsste. Ich suche Anhaltspunkte zur Orientierung. Gehören jene Häu- sergruppen zu der Gasse, in der ich in meinem Traum vergeblich gesucht hatte? Wo stehen die Linden, an denen man auf dem Weg von der Stadt vorbeikam, wo war die Kneipe gegenüber im Eckhaus, aus der am Freitag- abend Betrunkene heraustorkelten? Ich suche vergeblich nach etwas Be- kanntem, fast wie in jenem Traum, und versage mir den Blick auf die Stadt, während mein Mann unbekümmert Aufnahmen macht. Das Gelände bleibt unübersichtlich, hie und da ein Gebäude, undefinier- bare Grünflächen. Man könnte versuchen, zu Fuss herunterzugehen und das Terrain zu durchstreifen. Aber wozu? Die Melancholie über die Vergänglichkeit hat der Traum vorweggenom- men. Wie hiess es doch früher bei uns? Es war eine Scherzfrage nach dem höchsten Berg der Welt. Die Antwort: der Bischofsberg. Warum der? Vom Bischofsberg kann man über das Schwarze Meer hinwegblicken, so hoch ist er. 12 I Danzig damals, zu Kaisers Zeiten, zu Freistaat-Zeiten: weltbekannte Silhouette einer ge- schichtsmächtigen Stadt. 13 Nun ist also der «Biskupiej Gorki» nicht mehr der höchste Berg der Welt: das «Schwarze Meer» ist verschwunden. – Doch da steigt die Freude am Bild der Stadt dort unten wieder auf. Lehrer der Heimatkunde würden vielleicht alle Unterschiede gegenüber früher er- kennen, mir genügt das alte Danzig – pauschal – mit den Backsteindächern und Türmen in jenem dunklen Rot, das für mich mit dem Begriff «eine schöne Stadt» verknüpft ist. Ein paar helle Bauten links neben der Franzis- kanerkirche mit den weiss gerandeten hohen gotischen Fenstern und dem feinen Gefüge zwischen den Giebelspitzen geben zwar einen fremden Ak- zent. Auch scheint mehr freier Platz vorhanden als früher, nicht alles wurde ja wieder aufgebaut, z.B.