Der Ostfront

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Der Ostfront Bernd Wegner Die Garde des »Führers« und die »Feuerwehr« der Ostfront Zur neueren Literatur über die Waffen-SS Die Waffen-SS1 ist weniger noch als Reichswehr und Wehrmacht als rein militärge- schichtliches Phänomen zu erklären. Historisch eine nur ephemere Erscheinung, war die Truppe doch in einzigartiger Weise die militärische Verkörperung einer imperialen Herrschaftsidee. Insofern kann nicht verwundern, in der bewaffneten SS zahlreiche jener fundamentalen Widersprüche und Besonderheiten zu entdecken, die die natio- nalsozialistische Herrschaft auch in ihren übrigen Erscheinungsformen kennzeichne- ten. Die multifunktionale Eingebundenheit der Waffen-SS in Partei und Staat, in Ge- samt-SS und Streitkräfte, in den innenpolitischen Beherrschungsapparat einerseits und die äußere Eroberungspolitik andererseits dürfte dabei das wohl auffallendste Merk- mal sein. Aber auch andere, nur aus der Genese der Waffen-SS zu begreifende Beson- derheiten wie etwa der im Vergleich zu »regulären« Armeen sehr unterschiedliche ver- fassungsrechtliche Legitimationsrahmen oder der weltanschauliche Anspruch der be- waffneten SS auf ein die Grenzen zivilen und militärischen Denkens bewußt spren- gendes »politisches Soldatentum« lassen erkennen, daß ein im engeren Sinne militärge- schichtlicher, gar traditionell kriegsgeschichtlicher Ansatz allein dem erstaunlichen Aspektreichtum des Themas in keiner Weise gerecht würde. Die Vielgestaltigkeit des historischen Erscheinungsbildes scheint hier geradezu nach einer Mannigfaltigkeit auch des methodischen Zugriffs zu verlangen. So kann nicht verwundern, daß die bis- lang erschienene Literatur über die Waffen-SS denn auch - bewußt oder unbewußt - von nicht selten total verschiedenen Fragestellungen geleitet wurde, aus weithin diver- gierenden Interessenlagen heraus entstand und mit nur partiell vergleichbaren Ergeb- nissen aufwartete. Von diesem Tatbestand ausgehend soll im folgenden die neuere Li- teratur2 unter dem Gesichtspunkt ihres jeweiligen Interessengegenstandes, ihres For- schungsansatzes und der Komparabilität ihrer Ergebnisse gesichtet werden, um von dort zu einer präziseren Formulierung der tatsächlichen Forschungsdesiderate zu ge- langen. I Die nach Kriegsende auch in Deutschland rasch einsetzende Diskussion um SS und Waffen-SS fand ihren Angelpunkt sehr bald in der Frage nach der politisch-morali- schen Verantwortlichkeit der Gesamtorganisation und ihrer Teilgliederungen. Unter dem Horizont dieser bis heute relevant gebliebenen Problemstellung gelang schon in den ausgehenden 40er und 50er Jahren eine recht umfassende Aufarbeitung der The- matik3, wie etwa die Arbeiten von E. Kogon4, E. Neusüß-Hunkel5 oder G. Reitlin- ger6 belegen. Kennzeichnend für diese erste Forschungsphase war einerseits die Dürf- tigkeit der Quellenlage, die nur eine allgemeine, oft fragmentarische und fehlerhafte Rekonstruktion der Ereignisse zuließ und allenfalls in Einzelfällen sektoral begrenzte Detailanalysen gestattete7; andererseits förderten die historische Nähe des »Dritten Reiches« und die Aktualität seiner politischen, moralischen und strafrechtlichen Fol- gen in außerordentlicher Weise das Bedürfnis nach einer theoretischen Klärung und Erklärung der Rolle der SS und ihrer bewaffneten Teile. Aus dieser Situation heraus entstanden eine Vielzahl empirisch nicht selten unzureichend abgestützter histori- scher, soziologischer, sozialpsychologischer und psychoanalytischer Deutungsversu- 210 MGM 1/78 che, die R. Koehl seinerzeit zu fünf Gruppen zusammenfaßte8. In ihnen erschien die SS jeweils als kriminelle Bande, als Alibi einer Nation, als Techniker der Macht, als Er- satzreligion oder als sozialpathologisches Phänomen. Die moralische Problemstellung als Hintergrund all dieser Funktionsmodelle ist offensichtlich; die genannten Erklä- rungen stellen allesamt auf eine Beurteilung des Verhaltens der SS-Angehörigen ab und versuchen, diese entweder als Kriminelle, als Sündenböcke, als technokratische Zyni- ker, als weltanschaulich Verführte oder als seelisch Kranke zu klassifizieren. Organi- sations- und sozialgeschichtliche Strukturanalysen traten hier also entschieden zurück hinter der Frage, wie es zu erklären sei, daß bestimmte Menschen sich in einer konkre- ten historischen Situation so und nicht anders verhielten. Bezugspunkt solcher Pro- blemstellung waren naturgemäß am ehesten solche Verhaltensweisen, die dem Moral- empfinden am ärgsten widersprachen, mithin am erklärungsbedürftigsten schienen; so waren die Ausrottungs- und Versklavungspolitik, die Kriegsverbrechen sowie die hin- ter all dem stehenden rassistischen Phantasmagorien der SS die dominierenden The- men der einschlägigen Nachkriegsliteratur9. Der Primat moralisierender Betrachtungsweise galt (und gilt bis heute!) gleichermaßen für die schon bald anlaufende Flut mehr oder minder offen apologetischer Schriften über die Waffen-SS - freilich in jenem umgekehrten Sinne, der die pauschale Exkulpa- tion der Truppe bezweckte. Unter dem Druck moralischer und versorgungsrechtli- cher Diskriminierung und strafrechtlicher Verfolgung gerieten die Memoiren ehema- liger Waffen-SS-Angehöriger ebenso wie die zunehmende Zahl der Truppengeschich- ten zur blanken Rechtfertigungsliteratur, nicht selten auch zur plumpen Abenteuer- journaille10. Die Verbitterung über den jähen Sturz von der Garde du corps des Rei- ches zur »Armee der Geächteten«11 blieb Grundtenor einer Erlebnisliteratur, der im Zusammenhang unseres Themas allenfalls das Verdienst zukommt, die Eigenständig- keit der Waffen-SS als Forschungsgegenstand zu einer Zeit ins Blickfeld gehoben zu haben, als die Vorstellung von der SS als einer monolithischen Einheit die öffentliche Diskussion noch weitgehend bestimmte. Die aus der moralischen Empörung erwachsene Geschichtsschreibung der Nach- kriegszeit war von ihrem Ansatz her ohne Zweifel legitim und der wohl notwendige historiographische Beitrag einer mit dem Forschungsgegenstand existentiell verbun- denen Generation von Opfern und Tätern. Gleichwohl konnten die Ergebnisse wis- senschaftlich nicht befriedigen, was teils der Dürftigkeit der damaligen Quellenlage, teils der theoretisch verengten Problemstellung zuzuschreiben sein dürfte. Die hin- sichtlich unseres Themas wesentlichsten Mängel lassen sich pauschal etwa folgender- maßen zusammenfassen: 1. Die enge organisatorische, ideologische und personelle Verknüpfung der Waf- fen-SS mit dem Gesamtapparat der SS verstellte den Blick für ihre militär- und sozial- geschichtlichen Besonderheiten. Es wurden keinerlei die Waffen-SS speziell betref- fende Fragestellungen entwickelt; die Truppe wurde vielmehr ausschließlich unter dem Blickwinkel allgemeiner SS-Geschichte behandelt. Himmlers stets propagierte Fiktion der in sich homogenen Gesamt-SS wirkte hier also noch deutlich nach. 2. Die stark personen- und ereignisgeschichtliche Orientierung der ersten Nach- kriegsforschungen führte zu einer relativen Uberbewertung ideologischer Einflüsse und einer gleichzeitigen Unterschätzung soziostruktureller Gegebenheiten sowie der entwicklungsgeschichtlichen Eigendynamik des politisch-militärischen Subsystems Waffen-SS. 3. Die Eindeutigkeit und Einhelligkeit in der moralischen Beurteilung der SS verlei- tete nicht selten zu methodischer Nachlässigkeit in der sachlichen Beweisführung12; zudem schuf das Klima emotionaler »Vergangenheitsbewältigung« zweifellos eine gewisse Tabuzone hinsichtlich neuer Interpretationsansätze. 211 II War in der älteren Literatur das Interesse an der Waffen-SS weitgehend durch das un- faßbare Ausmaß der Verbrechen motiviert gewesen, für das die Waffen-SS als Teil der Gesamt-SS mitverantwortlich gemacht wurde, so erhielt die Forschung seit Anfang der 60er Jahre neue Impulse durch die inzwischen zugänglich gewordenen Akten der zentralen SS-Dienststellen13. Der günstige Umstand, daß mit den Beständen der Schriftgutverwaltung »Persönlicher Stab Reichsführer-SS« nunmehr ein großer Teil der persönlichen Aufzeichnungen und umfangreichen Korrespondenz Himmlers ver- fügbar wurde, ermöglichte es, die vormals schon vieldiskutierte Frage der sogenann- ten »SS-Ideologie« auf neuer Grundlage aufzurollen. Daß die Ideologie der SS in ihren Zielvorstellungen nichts anderes war als die private Weltanschauung ihres Reichsführers, belegt eindrucksvoll die Studie von J. Acker- mann14. Obwohl in erster Linie ein Beitrag zur Biographie Himmlers, ist die Arbeit für das Verständnis der Waffen-SS in mehrerlei Hinsicht von Gewicht. Zum einen nämlich bietet Ackermann mit der Charakterisierung der geistigen Entwicklung des jungen Himmler15 ein prototypisches Beispiel für die allmähliche Verfestigung einer zutiefst zwiespältigen, zwischen Bewunderung und Verachtung bürgerlicher Tradi- tionen schwankenden Mentalität - ein Prozeß, dem zahlreiche spätere Waffen-SS- Führer jener Altersstufe, soweit feststellbar, in ganz ähnlicher Weise unterworfen ge- wesen sind. Zum anderen erhellt der Autor in systematischer Weise jenes abstruse Weltbild Himmlers, das zur Legitimationsgrundlage für alle Teile der SS, gerade auch für die Waffen-SS wurde. Der Radius dieses Weltbildes bestimmte maßgeblich die Funktion der Waffen-SS und verklammerte diese, unbesehen sonstiger personeller und organisatorischer Verknüpfungen, mit allen übrigen Bereichen des »Schwarzen Ordens«. Ackermann legt auf breiter Quellenbasis die wesentlichen Aspekte der Weltanschauung Himmlers dar: seinen Kampf gegen das Christentum und dieiVision der neuen, nachchristlichen Sozialreligion16, die auf der Uberzeugung rassischer Su- periorität basierende Ordensmoral, den Antisemitismus
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