Einsicht 14 Bulletin des Fritz Bauer Instituts

, Frühe Strafverfolgung Fritz Bauer Institut und Formung von Erinnerung Geschichte und MMitit BeiträgenBeiträgen vonvon AAlexalexa SStiller,tiller, EinsichtWirkung 14 Herbst des 2015Holocaust JJörgörg EEchternkampchternkamp uundnd TThomashomas WWideraidera 1 Editorial

Thomas Widera beschreibt die Endphase des NS-Regimes und den Beginn der sowjetischen Besatzungsherrschaft in . Er skizziert die Internierung der letzten noch in der Stadt leben- den Juden, die vor ihrer Deportation nach Auschwitz ebenso wie Tausende Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge in Rüstungsbetrieben ausgebeutet wurden. Am 13./14. Februar 1945 zerstörten alliierte Bombenangriffe das Dresdner Zentrum. Kurze

DVD, 210 Min., ausführliches Booklet, ausführliches 210 Min., DVD, 4018, € 14,90 Best. Nr.: Booklet, 180 Min., DVD, 4042, € 19,90 Best. Nr.: + s/w, Farbe 85 Min., DVD, 4039, € 14,90 Best. Nr.: Zeit später rückten Einheiten der Roten Armee in die Stadt ein und DER LETZTE DER UNGERECHTEN EIN GESPÜR FÜR DEN FRIEDEN PO-LIN – SPUREN DER ERINNERUNG errichteten die Militäradministration. Widera verdeutlicht, dass die Benjamin Murmelsteins Kampf gegen die Endlösung. Eindrücke in der Schweiz und aus Deutschland Die verlorene Welt der Schtetl in historischen Filmaufnahmen. Zerstörung der Stadt die Erinnerung an die NS-Zeit prägte, für die Ein Film von Claude Lanzmann zum 8. Mai 1945. Erzählt von Hanna Schygulla Liebe Leserinnen und Leser, Leiden der NS-Opfer blieb hingegen kaum Raum – was teilweise 19 Filme von Gabriel Heim und Alexander Kluge Ein Film von Jolanta Dylweska bis heute fortwirkt. mit dieser Ausgabe der Einsicht knüpfen Raphael Gross schließlich stellt die Prozesse von Nürnberg in wir an das Frühjahrsbulletin an, in dem einen größeren sowohl rechtshistorischen wie moralhistorischen wir die »Endphasenverbrechen« des Kontext. Er zeigt, wie weit die Nürnberger Prozesse auch als Ant- NS-Regimes 1944/45 und deren Ahn- wort auf eine nationalsozialistische Normativität verstanden werden dung in den vier Besatzungszonen the- können. matisiert haben. Schlaglichtartig möch- Im Rahmen unserer Beiträge zu Leben und Wirken Fritz Bau- ten wir in diesem Heft nun Ereignisse ers befasst sich Georg D. Falk mit dem Justizmord an der Polin beleuchten, die teils noch während, teils Stanisława Janczyszyn, die 1943 zum Tode verurteilt worden war, kurz nach der militärischen Nieder- weil sie einem dreijährigen jüdischen Kind Unterschlupf gewährt ringung des NS-Regimes die Ausein- hatte, und dem in der Bundesrepublik angestrengten Verfahren gegen andersetzung mit der nationalsozialisti- die Mitglieder des NS-Sondergerichts. schen Gewaltherrschaft, dem Holocaust Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Fritz Bauer Instituts und den deutschen Eroberungs- und Ver- danken Prof. Dr. Raphael Gross noch einmal ganz herzlich – für sei- nichtungskriegen für lange Zeit, teilwei- nen kollegialen Führungsstil, seinen unermüdlichen Einsatz für das se bis heute, beeinfl usst haben. Institut und seine inhaltliche Federführung, die in den vergangenen Alexa Stiller untersucht, welche acht Jahren wesentlich für die weitere Profi lierung des Hauses war. 2 DVD, s/w + Farbe, 291 Min., + Hörspiele + Bio, + Bio, + Hörspiele 291 Min., s/w + Farbe, 2 DVD, 8013, € 24,90 Best. Nr.: Farbe, 96 Min., mit einem ausführlichen Booklet, einem ausführlichen mit 96 Min., Farbe, 4030, € 14,90 Best. Nr.: 2 DVD, ca. 320 Minuten, Farbe + s/w, viele Extras, + s/w, Farbe ca. 320 Minuten, 2 DVD, 4037, € 24,90 Best. Nr.: Begleitbuch als PDF-Datei, Rolle der Holocaust in den Nürnberger Sie wünschen ihm alles Gute für seine neue Aufgabe in und MONOWITZ UND ANDERE TATORTE ERHOBENEN HAUPTES WIE WERDE ICH DEMOKRAT? Kriegsverbrecherprozessen von 1945 freuen sich auf zukünftige Kooperationen mit dem Simon-Dubnow- DVD1: Das Frankenburger Würfelspiel / Warschauer Leben Fünf Personen, die zwei Dinge teilen: als Kinder in Re-Education durch Film nach 1945: Wochenschau, DVD 2: Deckname Dr. Friedrich / Monowitz – ein Tatort Deutschland von den Nazis verfolgt – Überleben im Kibbuz. - und Dokumentarfilme widmen sich der bis 1949, in denen er kein eigener An- Institut. Die zeitgeschichtlichen Filme von Alfred Jungraithmayr Ein Film von docview.org entscheidenden Frage: Wie werde ich Demokrat? klagepunkt gewesen war, spielte. Sie Derzeit läuft das Berufungsverfahren für die »Professur zur Ein Film von Dieter Reifarth argumentiert, dass in Nürnberg eine Erforschung der Geschichte und Wirkung des Holocaust«, die am Entwicklung stattfand: Während der Historischen Seminar der Goethe-Universität voraussichtlich zum Vernichtung der europäischen Juden 1. Januar 2017 besetzt werden soll. Diese neu eingerichtete Professur zunächst kein herausragendes Gewicht beigemessen wurde, änderte wird zukünftig mit der Leitung des Fritz Bauer Instituts verbunden sich dies bis zum Abschluss des letzten Verfahrens. Die im Gerichts- sein. Die kommissarische Leitung des Fritz Bauer Instituts hat einst- saal entwickelte Interpretation, der Holocaust habe von anderen weilen Werner Konitzer übernommen. Verbrechen abgetrennt stattgefunden und sei hauptsächlich von der Im Wintersemester 2015/16 dürfen wir wieder einen Gastprofes- SS verübt worden, war lange Zeit wirkungsmächtig. sor in begrüßen: Nicolas Berg, leitender wissenschaftlicher Rund 17 Millionen Soldaten waren bis 1945 von der Mitarbeiter am Simon-Dubnow-Institut in Leipzig, wird am Fritz einberufen worden, etwa 5,3 Millionen von ihnen kamen ums Leben, Bauer Institut in Lehre und Forschung tätig sein. Dies wird ermög- mehr als 11 Millionen gerieten in Gefangenschaft. Jörg Echtern- licht durch die großzügige Spende von Michael Hauck und Oliver kamp schildert die Bemühungen der westlichen Besatzungsmächte, Puhl, die es uns auch in den kommenden vier Jahren gestatten wird, die deutsche Gesellschaft zu »entmilitarisieren«, und behandelt die jeweils im Wintersemester eine Gastprofessur zu vergeben. Wir sind Auseinandersetzung mit Verbrechen der Wehrmacht. Unmittelbar unseren beiden Förderern hierfür überaus dankbar. nach dem Krieg waren diese in der Öffentlichkeit präsent, wurden IM BUCH- ODER FACHHANDEL die Deutschen doch durch die Nürnberger Prozesse und durch das apl. Prof. Dr. Werner Konitzer und Dr. Jörg Osterloh ODER DIREKT BEI DVD, Farbe + s/w, 85 Min., + s/w, Farbe DVD, 4015, € 14,90 Best. Nr.: Booklet, ausführliches 114 Min., Farbe, DVD, 7011, € 14,90 Best. Nr.: Reeducation-Programm hiermit konfrontiert. Frankfurt am Main, im September 2015 SHOAH DURCH ERSCHIESSEN HITLERKANTATE absolut MEDIEN GmbH IN DER UKRAINE Mit Hilmar Thate, Lena Lauzemis Am Hasenbergl 12, 83413 Fridolfing Der oftmals2 übersehene Beginn des Holocaust Eine Kantate für den 50. Geburtstag Hitlers … Telefon: 030 285 398 70 Einsicht 14 Herbst 2015 Abb. oben: Werner Konitzer, unten: Jörg Osterloh 1 Ein Film von Romain Icard Ein Film von Jutta Brückner www.absolutmedien.de Fotos: Werner Lott Inhalt

13 Dagi Knellessen: Novemberpogrome 1938 Nachrichten und Berichte Ausstellungsangebote 14 Elke Gryglewski u. a.: Gedenkstättenpädagogik Information und Kommunikation Wanderausstellungen des Instituts

Aus dem Institut 105 Legalisierter Raub. Der Fiskus und die 95 historiae faveo-Preis 2015: Auszeichnung für Martin Jost Ausplünderung der Juden in Hessen 1933–1945 96 Dr. Nicolas Berg, Gastprofessur für interdisziplinäre 106 Ein Leben aufs neu. Das Robinson-Album. Einsicht Holocaustforschung DP-Lager: Juden auf deutschem Boden 1945–1948 Forschung und Vermittlung 96 Neue wissenschaftliche Mitarbeiterin: Laura S. Tittel 106 Die IG Farben und das KZ Buna/Monowitz. Wirtschaft und Politik im Nationalsozialismus Frühe Strafverfolgung und Formung von Erinnerung Aus dem Förderverein 107 Fritz Bauer. Der Staatsanwalt. NS-Verbrechen vor Gericht 16 Die Nürnberger Prozesse und der Holocaust. 97 Leitungswechsel am Fritz Bauer Institut / Frühe Interpretationen zur Verfolgung und Vernichtung Neue Holocaust- und Gastprofessur der europäischen Juden / Alexa Stiller 24 Verbrechen der Wehrmacht. Hitlers Soldaten zwischen Aus Kultur und Wissenschaft Anklage und Verteidigung in der Besatzungszeit 98 »We are giving them Treblinka« Publikationen Fritz Bauer Institut Jörg Echternkamp Punk und Jewish Radical / Hanno Loewy des Fritz Bauer Instituts Im Überblick 32 Umbruchszeit. Dresden in der Endphase des 101 Fritz Bauer Studienpreis 2015: Nationalsozialismus und am Beginn der sowjetischen Auszeichnung für Nachwuchsjuristen 108 Jahrbuch / Wissenschaftliche Reihe / Schriftenreihe u.a. 4 Das Institut / Mitarbeiter / Gremien Besatzungsherrschaft / Thomas Widera 102 Asynchron. Dokumentar- und Experimentalfi lme zum Holocaust. Arsenal – Institut für Film und Videokunst e.V. Beiträge zu Leben und Wirken Fritz Bauers 104 Online-Datenbank: GeoBib – Georeferenzierte Online- 40 Der ungesühnte Justizmord an Stanisława Janczyszyn Bibliographie früher Holocaust- und Lagerliteratur 112 Impressum Zur Einstellung eines Ermittlungsverfahrens durch die Veranstaltungen hessische Justiz im Jahre 1964 / Georg D. Falk Halbjahresvorschau 48 Verfehlungen. Franz Kafka, Hans Kelsen und die 6 Gastprofessur am Fritz Bauer Institut, Nicolas Berg Normativität des Bösen / Raphael Gross 7 Lehrveranstaltung, Jörg Osterloh Generation 7 Vortrag: Das Ich im Wir – Victor Klemperer, Anna Seghers und Hans Meyer in der frühen DDR Einskommafünf 8 Wanderausstellung: Fritz Bauer. Der Staatsanwalt 8 Wanderausstellung: Legalisierter Raub Rezensionen Deutsch-Türkische Migrationsgeschichten – 9 Wanderausstellung: Die IG Farben und das Buch- und Filmkritiken eine Videoinstallation von Olcay Acet Konzentrationslager Buna/Monowitz 9 Wanderausstellung: Ein Leben aufs neu 56 Rezensionsverzeichnis: Liste der besprochenen Bücher 23.09.2015 – 20.12.2015 58 Rezensionen: Aktuelle Publikationen zur Geschichte und Wirkung des Holocaust Bildungsstätte Anne Frank Frankfurt am Main Neuerscheinungen www.bs-anne-frank.de Aktuelle Publikationen des Instituts Pädagogisches Zentrum 10 Katharina Rauschenberger, Werner Konitzer (Hrsg.): Frankfurt am Main Antisemitismus und andere Feindseligkeiten Öffnungszeiten: 11 Werner Renz (Hrsg.): »Von Gott und der Welt verlassen«. 92 Angebote und Kontakt Dienstag – Freitag 10.00 – 17.00 Uhr Fritz Bauers Briefe an Thomas Harlan 92 Personalwechsel am Pädagogischen Zentrum Sonntag 12.00 – 18.00 Uhr 12 Birgit Erdle, Werner Konitzer (Hrsg.): Theorien über 93 Präsentation der Pädagogischen Materialien Nr. 03 Der Eintritt ist frei. Judenhass – eine Denkgeschichte 94 Tagungsbericht von Christa Kaletsch: 12 Werner Renz: Fritz Bauer und das Versagen der Justiz Religion: Diskurse – Refl exionen – Bildungsansätze

2 Inhalt Einsicht 14 Herbst 2015 3 Fritz Bauer Institut Im Überblick

Mitarbeiter und Arbeitsbereiche

Kommissarischer Direktor apl. Prof. Dr. Werner Konitzer

Gastprofessur für interdisziplinäre Holocaustforschung Dr. Nicolas Berg (Historiker am Simon-Dubnow-Institut, Leipzig)

Administration Dorothee Becker (Sekretariat) Werner Lott (Technische Leitung/Digital- und Printmedien) Manuela Ritzheim (Leitung des Verwaltungs- und Projektmanagements)

Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Dr. Christoph Dieckmann (Zeitgeschichtsforschung) Das Fritz Bauer Institut Dr. des. Jenny Hestermann (Zeitgeschichtsforschung) Dagi Knellessen (Zeitgeschichtsforschung) Das Fritz Bauer Institut ist eine interdisziplinär ausgerichtete, un- Dr. Jörg Osterloh (Zeitgeschichtsforschung) abhängige Forschungs- und Bildungseinrichtung. Es erforscht und Dr. Katharina Rauschenberger (Programmkoordination) dokumentiert die Geschichte der nationalsozialistischen Massenver- Dr. Katharina Stengel (Zeitgeschichtsforschung) brechen – insbesondere des Holocaust – und deren Wirkung bis in die Laura S. Tittel (Wissenschaftliche Hilfskraft) Gegenwart. Das Institut trägt den Namen Fritz Bauers (1903–1968) und ist seinem Andenken verpfl ichtet. Bauer widmete sich als jüdischer Archiv und Bibliothek Remigrant und radikaler Demokrat der Rekonstruktion des Rechts- Werner Renz Stiftungsrat Wissenschaftlicher Beirat systems in der BRD nach 1945. Als hessischer Generalstaatsanwalt hat er den Frankfurter Auschwitz-Prozess angestoßen. Pädagogisches Zentrum Für das Land Hessen: Prof. Dr. Joachim Rückert Am 11. Januar 1995 wurde das Fritz Bauer Institut vom Land des Fritz Bauer Instituts und des Jüdischen Museums Frankfurt Volker Bouffi er Vorsitzender, Goethe-Universität Frankfurt am Main Hessen, der Stadt Frankfurt am Main und dem Förderverein Fritz Dr. Türkân Kanbıçak Ministerpräsident Prof. Dr. Moritz Epple Bauer Institut e.V. als Stiftung bürgerlichen Rechts ins Leben geru- Gottfried Kößler (stellv. Direktor) Boris Rhein Stellv. Vorsitzender, Goethe-Universität Frankfurt am Main fen. Seit Herbst 2000 ist es als An-Institut mit der Goethe-Universität Manfred Levy Minister für Wissenschaft und Kunst Prof. Dr. Wolfgang Benz assoziiert und hat seinen Sitz im IG Farben-Haus auf dem Campus Dr. Martin Liepach Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Westend in Frankfurt am Main. Sophie Schmidt Für die Stadt Frankfurt am Main: Universität Forschungsschwerpunkte des Fritz Bauer Instituts sind die Be- Peter Feldmann Prof. Dr. Dan Diner reiche »Zeitgeschichte« und »Erinnerung und moralische Auseinan- Freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Projekten Oberbürgermeister Hebrew University of Jerusalem dersetzung mit Nationalsozialismus und Holocaust«. Gemeinsam mit Dr. des Irene Aue-Ben-David, Dr. Kata Bohus, Prof. Dr. Felix Semmelroth Prof. Dr. Atina Grossmann dem Jüdischen Museum Frankfurt betreibt das Fritz Bauer Institut Dr. Iwona Guść, Rolf Erdorf, Dr. Lena Folianty, Dezernent für Kultur und Wissenschaft The Cooper Union for the Advancement of Science and Art, New York das Pädagogische Zentrum Frankfurt am Main. Zudem arbeitet das Dr. David Johst, Dr. Sharon Livne, Ursula Ludz, Prof. Dr. Marianne Leuzinger-Bohleber Institut eng mit dem Leo Baeck Institute London zusammen. Die aus Dr. Ingeborg Nordmann, Diane Webb, Für den Förderverein Fritz Bauer Institut e.V.: Sigmund-Freud-Institut, Frankfurt am Main diesen institutionellen Verbindungen heraus entstehenden Projekte Dr. Gerben Zaagsma Jutta Ebeling Prof. Dr. Gisela Miller-Kipp sollen neue Perspektiven eröffnen – sowohl für die Forschung wie Vorsitzende Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf für die gesellschaftliche und pädagogische Vermittlung. Herbert Mai Prof. Dr. Walter H. Pehle Die Arbeit des Instituts wird unterstützt und begleitet vom Wis- Rat der Überlebenden des Holocaust 2. Vertreter des Fördervereins Verlagslektor und Historiker, Dreieich-Buchschlag senschaftlichen Beirat, dem Rat der Überlebenden des Holocaust Prof. Dr. Peter Steinbach und dem Förderverein Fritz Bauer Institut e.V. Trude Simonsohn (Vorsitzende und Ratssprecherin) Für die Goethe-Universität Frankfurt am Main: Universität Mannheim Siegmund Freund Prof. Dr. Birgitta Wolff Inge Kahn Universitätspräsidentin Dr. Siegmund Kalinski Prof. Dr. Susanne Schröter Abb.: Obere Etage des IG Farben-Hauses auf dem Campus Westend der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Das Fritz Bauer Institut hat Dora Skala Dekanin, Fachbereich Philosophie und seinen Sitz im 5. Obergeschoss des Gebäudes. Foto: Werner Lott Wir trauern um Katharina Prinz sel. A. Geschichtswissenschaften

4 Fritz Bauer Institut Einsicht 14 Herbst 2015 5 Veranstaltungen Halbjahresvorschau

Gastprofessur am Fritz Bauer Institut Gastprofessur am Fritz Bauer Institut Lehrveranstaltung Vortrag Zeugenschaft und Jean Améry, Hannah Arendt Die frühen national- Dr. Nicolas Berg, Wissenschaft und Theodor W. Adorno sozialistischen Konzen- Frankfurt am Main/Leipzig Grundfragen der in den 1960er Jahren trationslager 1933/34 Das Ich im Wir – Victor Holocaustforschung Klemperer, Anna Seghers Dr. Nicolas Berg, Lektürekurs/Übung, Mittwoch, Dr. Jörg Osterloh, Übung, Blockseminar, einführende 16.00–18.00 Uhr (14. Oktober 2015 bis 10. Februar Sitzung am Mittwoch, 14. Oktober 2015, 14.00–16.00 und Hans Mayer in der Dr. Nicolas Berg, Seminar, Dienstag, 16.00–18.00 2016), Goethe-Universität Frankfurt Uhr, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Campus Uhr (13. Oktober 2015 bis 9. Februar 2016), Goethe- frühen DDR am Main, Campus Westend, IG Farben-Haus, Westend, IG Farben-Haus, Raum 3.401. Die Termine Universität Frankfurt am Main, Campus Westend, Raum IG 454 für zwei Ganztagsveranstaltungen im Dezember 2015/ Neues Seminarhaus, Raum SH 2.102 Donnerstag, 19. November 2015, 18.15 Uhr, Goethe- Januar 2016 werden noch festgelegt. Universität Frankfurt am Main, Campus Westend, In der ersten Hälfte der Casino am IG Farben-Haus, Raum 1.811 Die moderne Forschung zur 1960er Jahre entstanden und Nach den Reichstagswah- Verfolgung und Vernich- erschienen Hannah Arendts Bericht Eich- len im März 1933 begannen Victor Klemperer, Anna tung der europäischen Juden 1933–1945 mann in Jerusalem (dt. 1963), Jean Amérys die Nationalsozialisten Konzentrationslager Seghers und Hans Mayer hat seit geraumer Zeit einen außerordent- Essaysammlung Jenseits von Schuld und sowie sogenannte Schutzhaftabteilungen wuchsen in jüdischen Familien auf, wurden lich hohen Grad an Spezialisierung erlangt. Sühne sowie Theodor W. Adornos Nega- in Gefängnissen einzurichten. Verantwort- aber in ihrer Kindheit und später berufl ich Das Allgemeinwissen über den Holocaust tive Dialektik (beide 1966). Diese Bücher lich hierfür waren die Gestapo (etwa das und politisch verschieden sozialisiert. Die in Schule, Medien und Öffentlichkeit bleibt avancierten mit ihren Thesen zu Tätern und KZ Columbia-Haus in Berlin), die SA (z.B. Nazizeit überlebten Seghers und Mayer im Gastprofessur am Fritz Bauer Institut Publikation ist sein 2008 bei Vandenhoeck jedoch nicht selten diffus. Das Seminar fragt Opfern, zur kulturellen Tradition und zum das KZ Sachsenburg bei Chemnitz), Innen- Exil; Klemperer protokollierte als geheimer & Ruprecht in Göttingen erschienenes Buch exemplarisch nach Entwicklungslinien der politischen Versagen in Deutschland sowie ministerien der Länder (KZ Kislau/Baden) Chronist das Verhalten der Menschen in der Dr. Nicolas Berg Luftmenschen. Zur Geschichte einer Me- Forschung, nach leitenden Fragen und Be- durch die hier verwendeten Begriffe und und schließlich die SS (KZ Dachau). Diktatur und konnte mit seiner Frau Depor- Gastprofessur für tapher. griffen seit 1945. Es richtet sich vornehm- Deutungsangebote zu Klassikern der »Ver- Die ersten Häftlinge waren vor allem tation und Tod knapp entrinnen. Nach 1945 Aktuell forscht Nicolas Berg zur The- lich an Studierende, die an empirischer gangenheitsbewältigung« in Deutschland. politische Gegner der Nationalsozialis- hielten alle drei die Gründung der DDR für interdisziplinäre orie- und Wissenschaftsgeschichte der Na- Forschung und methodischer Reflexion Die Übung hat zum Ziel, alle drei Werke ten: Kommunisten und Sozialdemokraten, die bessere staatspolitische Antwort auf die Holocaustforschung tionalökonomie um 1900. Dabei gilt sein gleichermaßen Interesse haben. Zu den genau zu studieren und auch den Kontext, aber auch Politiker anderer Parteien, Ge- vorangegangenen zwölf Jahre als die der Augenmerk vor allem den Debatten um Teilnahmebedingungen gehört es, bis zur in dem sie jeweils entstanden, in die Lektüre werkschaftsfunktionäre, Intellektuelle und BRD. Victor Klemperer suchte in Dresden Im Wintersemester 2015/ Kapitalismus und jüdische Kollektivität ersten Sitzung die Erinnerungen oder Auf- und Interpretation mit einzubeziehen. Wäh- Künstler. Juden waren in den ersten Mona- einen Neuanfang, Seghers und Mayer wähl- 2016 wird Dr. Nicolas Berg sowie der Goethe-Rezeption bei jüdischen zeichnungen einer oder eines Überlebenden, rend die erste Hälfte der Veranstaltung also ten des NS-Regimes in der Regel vor allem ten nach ihrer Rückkehr Ostberlin und Leip- als Gastprofessor an das Fritz Bauer Insti- Intellektuellen und Gelehrten im 19. und 20. einen Zeugenbericht oder ein Zeitzeugen- den Werken selbst gewidmet ist, soll in der aus politischen Gründen inhaftiert worden. zig als neue Wirkungsstätten. Immer wieder tut kommen. Zum Auftakt seiner Lehrtätig- Jahrhundert. In seiner Forschungs-, Lehr- interview zu lesen und mitzubringen, ganz zweiten Hälfte der Versuch stehen, Gemein- Allein in Sachsen befanden sich im Juli sahen sie sich politisch und gesellschaftlich keit an der Frankfurter Goethe-Universität und Vortragstätigkeit hat er sich auf histo- gleich von wem, in welcher Sprache und aus samkeiten und geteilte Voraussetzungen der 1933 rund 4.500 Menschen in »Schutzhaft«. genötigt, ihre jüdischen Erfahrungen im möchten wir Sie zu einem öffentlichen rische, historiographische und methodische welchem Jahrzehnt. Der Austausch über den drei Texte zu diskutieren. Zwischen Ende 1933 und Mai 1934 lie- neuen Gemeinwesen aufgehen zu lassen. Vortrag einladen. Am 19. November 2015 Fragen zum Holocaust und dessen Erinne- dabei entstandenen Kanon von Texten ist ßen Reichsinnenminister Wilhelm Frick und In Tagebüchern, Briefen und Memoiren spricht er über »Das Ich im Wir – Victor rungsgeschichte konzentriert. Daraus sind Thema der ersten beiden Sitzungen, in der Zur Einführung empfohlen: der Preußische Ministerpräsident Hermann spricht sich aber zur gleichen Zeit bei allen Klemperer, Anna Seghers und Hans Mayer zahlreiche Publikationen hervorgegangen, der Seminarplan zusammen erarbeitet wird. Monika Boll, Raphael Gross (Hrsg.), »Ich Göring mehr als 40 »wilde« Lager schlie- eine andere Gedächtnisgrammatik aus, in in der frühen DDR« (siehe Seite 7). die sein breites wissenschaftliches Interes- staune, dass Sie in dieser Luft atmen kön- ßen, um die Willkürherrschaft vor allem der der sich das Erinnerungs-Ich dem neuen Wir se spiegeln. Es richtet sich insgesamt auf Zur Einführung empfohlen: nen«. Jüdische Intellektuelle in Deutsch- SA zu beenden. Zugleich wurde ab Ende der Nachkriegsdeutschen verweigerte. Dr. Nicolas Berg ist leitender wissenschaftli- moderne jüdische und deutsche Geschichte, Martin Sabrow, Norbert Frei (Hrsg.), Die land nach 1945, Frankfurt am Main 2013; 1933 und im zweiten Jahr der NS-Herrschaft cher Mitarbeiter am Simon-Dubnow-Institut auf jüdische Ideen- und Geistesgeschichte Geburt des Zeitzeugen nach 1945, Göttin- Mirjam Wenzel, Der deutschsprachige eine Vielzahl von politischen Gegnern des für jüdische Geschichte und Kultur in Leip- sowie auf die Entwicklung von Antisemitis- gen 2012; Saul Friedländer, Den Holocaust Holocaust-Diskurs der sechziger Jahre, Naziregimes aus der KZ-Haft entlassen. zig. 2003 erschien seine an der Universität mus, völkischem Denken und anderer Kol- beschreiben: Auf dem Weg zu einer integ- Göttingen 2009. Die Übung befasst sich mit der Ge- Freiburg abgeschlossene Dissertation Der lektivkonstruktionen, hier besonders deren rierten Geschichte, Göttingen 2013. schichte der mindestens 80 sogenannten Informationen zu weiteren Vortragsver- Holocaust und die westdeutsche Geschichts- sprachlich-metaphorische Verfasstheit. Voranmeldung erforderlich wegen be- frühen Konzentrationslager. anstaltungen entnehmen Sie bitte unserem wissenschaft – Erforschung und Erinnerung Mehr zur Gastprofessur am Fritz Bauer Voranmeldung erforderlich wegen be- grenzter Teilnehmerzahl! Bitte E-Mail an: dreimal jährlich erscheinenden Veranstal- im Göttinger Wallstein Verlag. Sie liegt in- Institut lesen Sie auf Seite 96. grenzter Teilnehmerzahl! Bitte E-Mail an: [email protected] Voranmeldung erforderlich wegen be- tungsprogramm, das Sie kostenlos abonnie- zwischen in dritter Aufl age und in englischer [email protected] grenzter Teilnehmerzahl! Bitte E-Mail an: ren können, oder den Ankündigungen auf Übersetzung vor. Eine weitere nennenswerte [email protected] unserer Website.

6 Veranstaltungen Einsicht 14 Herbst 2015 7 Wanderausstellung Wanderausstellung Lizzie, Eginhard und Lothar Wassum Wanderausstellung »Auf Grund eines Beschlusses der Gehei- Fritz Bauer. Legalisierter Raub men Staatspolizei in Darmstadt ist das Ver- Die IG Farben und das Der Fiskus und die mögen Ihrer Mutter Lizzie Sara Wassum Konzentrationslager Der Staatsanwalt zugunsten des Deutschen Reiches eingezo- NS-Verbrechen vor Gericht Ausplünderung der Juden gen«: Mit diesen Worten wandte sich das Buna/Monowitz in Hessen 1933–1945 Finanzamt Michelstadt am 16. August 1943 Wirtschaft und Politik im Donnerstag, 21. April bis Sonntag, 21. August 2016 an Eginhard und Lothar Wassum, die damals Nationalsozialismus NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln Dienstag, 10. November 2015 bis 21- und 17-jährigen Söhne Lizzie Wassums. Appellhofplatz 23–25, 50667 Köln Sonntag, 28. Februar 2016 Beigelegt war dem Schreiben ein Verzeich- Freitag, 4. September bis Sonntag, 18. Oktober Weitere Ausstellungsorte sind in Planung. (21. Dezember bis 8. Januar geschlossen) 2015, Stadtmuseum im Rathaus-Center Odenwald- und Spielzeugmuseum Michelstadt nis »der noch vorhandenen Gegenstände«, Rathausplatz 20, 67059 Ludwigshafen Einhardspforte 3, 64720 Michelstadt die der Finanzbeamte am selben Tag in der Öffnungszeiten: Do. bis So., 11.00–17.00 Uhr Freitag, 11. März bis Dienstag, 10. Mai 2016 Eine Ausstellung des Fritz Wohnung der Familie, die damals in der www.ludwigshafen.de/lebenswert/stadtmuseum Bauer Instituts und des Jü- in Mainz, im Ministerium der Finanzen Rheinland-Pfalz, Kellereibergstraße 1 lebte, »festgestellt« Kaiser-Friedrich-Str. 5 und im Ministerium der Justiz dischen Museums Frankfurt am Main. und für Verbraucherschutz, Diether-von-Isenburg-Str. 1 hatte. Die Liste ging verloren, das Schreiben Die Ausstellung besteht aus Nach der Erstpräsentation der Ausstel- hat Lothar Wassum aufbewahrt. Eginhard (links) und Lothar Wassum beim Spielen, um 1930. Foto: HR/Lothar Wassum Fotografi en, die von der SS lung vom 10. April bis 7. September 2014 im Viele Michelstädter kennen den heute anlässlich des Besuches von Himmler in Jüdischen Museum Frankfurt war sie vom Die Ausstellung »Legalisier- 89-Jährigen: Seine Eltern, Lizzie und Jakob Auschwitz am 17./18. Juli 1942 angefer- 9. Dezember 2014 bis 15. Februar 2015 im ter Raub« beschäftigt sich Wassum, waren 1926 wenige Monate nach unterwegs. Er lernte eine andere Frau kennen Tages wollte die KdF »die Jüdin« nicht mehr tigt wurden, kontrastiert durch Texte von Thüringer Landtag in Erfurt, vom 26. Feb- mit jenen Gesetzen und Verordnungen, die seiner Geburt mit ihm und seinem älteren und lebte ab 1938 nicht mehr zu Hause. unterstützen, die Urlauber blieben fort. Eine Überlebenden wie Primo Levi, Eli Wiesel, ruar bis 17. April 2015 im Landgericht Hei- ab 1933 auf die Ausplünderung jüdischer Bruder Eginhard von Erbach nach Michel- Lothar Wassum und seinem Bruder große Rolle in der Ernährung der Familie Jean Améry und Paul Steinberg. Sie ent- delberg und vom 7. Mai bis 26. Juni 2015 Bürger zielten. Sie stellt die Beamten der stadt gezogen; er hat sein ganzes Leben in Eginhard, der als »Halbjude« schon 1936 spielte der Garten – bis ihn sich eine Nach- stand anlässlich des weltweiten Treffens im Landgericht Tübingen zu sehen. Finanzbehörden vor, die die Gesetze in Ko- der Stadt verbracht. 2010 wurde auf Initia- das Michelstädter Gymnasium hatte verlas- barin aneignete. Die Not der Familie wurde der Überlebenden von Buna/Monowitz Die Ausstellung steht unter der Schirm- operation mit weiteren Ämtern und Instituti- tive einiger Michelstädter Bürger ein Stol- sen müssen, wurde vom Kreisamt nahege- größer und größer. im ehemaligen Verwaltungsgebäude der herrschaft des Bundespräsidenten Joachim onen umsetzten, und sie erzählt von denen, perstein für seine Mutter verlegt: Sie war am legt, dass auch sie die Mutter verlassen soll- Anfang 1943 kam es in Würzburg zur IG Farbenindustrie auf dem heutigen Cam- Gauck. Sie wird gefördert durch die Stiftung die Opfer dieser Maßnahmen wurden. Ge- 6. November 1888 als Tocher von Ludwig ten – sie hätten es beim Vater besser. »Ich Scheidung. Damit entfi el für Lizzie Wassum pus Westend der Goethe-Universität Frank- Polytechnische Gesellschaft, die Hamburger zeigt wird, wie das Deutsche Reich durch die und Ida Ascher in eine jüdische Hamburger hab’ gesagt: Ich geh’ nicht«, erzählt Lothar der relative Schutz, den die Ehe mit einem furt im Oktober 1998. Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Reichsfl uchtsteuer, zahlreiche Sonderabga- Familie hineingeboren worden. Vor ihrer Ehe- Wassum. Er liebte seine Mutter. »Arier« bedeutet hatte: Am 6. März drangen Kultur, das Bundesministerium der Justiz und ben und schließlich durch den vollständigen schließung mit Jakob Wassum war sie 1920 Die Kinder blieben. Lothar Wassum zwei Gestapomänner und der damalige Po- für Verbraucherschutz, das Hessische Minis- Vermögenseinzug sowohl an den Menschen zum evangelischen Glauben konvertiert. absolvierte eine Schreinerlehre, sein Bru- lizeichef von Michelstadt in die Wohnung terium der Justiz, für Integration und Euro- verdiente, die in die Emigration getrieben Wie haben Lizzie und Jakob Wassum der wurde Drogist – doch darüber hinaus? ein und verschleppten sie. pa, die Georg und Franziska Speyer’sche wurden, wie an denjenigen, die blieben, weil die ersten Jahre nach 1933 erlebt? Über »Wir konnten nichts machen, nicht Mitglie- Als das Finanzamt Michelstadt die Söh- Wanderausstellung Hochschulstiftung, die Fazit-Stiftung sowie ihnen das Geld für die Auswanderung fehlte manches kann man nur spekulieren. In der der in einem Sportverein werden, nichts, gar ne am 16. August darüber in Kenntnis setzte, Christiane und Nicolaus Weickert. oder weil sie ihre Heimat trotz allem nicht Familie wurden Spannungen spürbar. Lothar nichts«, erinnert er; und dann plötzlich ein dass der »Herr Oberfi nanzpräsident in Darm- Ein Leben aufs neu verlassen wollten. Nach den Deportationen Wassum erinnert, dass der Vater irgendwann Lichtblick: »Wir konnten in die Staatsju- stadt […] damit einverstanden (ist), daß die Das Robinson-Album. Kuratoren der Ausstellung kam es überall zu öffentlich angekündigten den Umgang mit den jüdischen Verwandten gend eintreten.« Das war vermutlich 1939, vorhandenen Einrichtungsgegenstände und › Monika Boll (Fritz Bauer Institut): Kon- Auktionen aus »jüdischem Besitz«: Tisch- mütterlicherseits verbot. Lizzie Wassum galt als in der Hitler-Jugend die »Dienstpfl icht« die Wäsche vorerst Ihnen unentgeltlich zum DP-Lager: Juden auf deut- zeption und Aufbau der Erstausstellung wäsche, Möbel, Kinderspielzeug, Geschirr ab 1935 mit dem Erlass des Reichsbürger- eingeführt wurde. Lothar Wassum erlebt es Gebrauch überlassen werden«, war Lizzie schem Boden 1945–1948 in Frankfurt und Lebensmittel wechselten den Besitzer. gesetzes und der folgenden 1. Verordnung als großes Glück, nun seinem Hobby, der Wassum wahrscheinlich schon tot. Die in › Erik Riedel (Jüdisches Museum Frankfurt): trotz ihrer Taufe als Jüdin; die evangelisch Fliegerei, nachgehen zu können; doch es Auschwitz ausgestellte Sterbeurkunde da- Die Ausstellung war zuletzt vom 31. August bis Betreuung der Wanderausstellung Regionaler Schwerpunkt der erzogenen Kinder waren nun »Halbjuden«. sollte nicht lange währen: 1941 wurde er tiert ihren Tod auf den 13. Juli 1943. 11. September 2015 im Rathaus in Wiesbaden zu sehen Ausstellungsstation in Michelstadt Jakob Wassum, der seit Ende der 20er aus der Organisation wieder ausgeschlossen. Kontakt Für die Präsentation in Michelstadt (bereits Jahre als Architekt gearbeitet hatte, konnte In den ersten Jahren nach der Trennung Die Ausstellung porträtiert Fritz Bauer Institut die 26. Station der Ausstellung »Legalisier- nicht Mitglied der Reichskulturkammer wer- hatte Lizzie Wassum einen bescheidenen in Bildern des Fotografen Manuela Ritzheim ter Raub«!) wurde die Ausstellung wie an den, weil er mit einer Jüdin verheiratet war. Lebensunterhalt durch den Verkauf von Ephraim Robinson das tägliche Leben Tel.: 069.798 322-33, Fax: 069.798 322-41 [email protected] jedem ihrer bisherigen Standorte mit einem Die Mitgliedschaft war verpfl ichtend; wer Seifen und die Vermietung eines Zimmers Weitere Informationen/Ausleihe und die Arbeit der Selbstverwaltung eines www.fritz-bauer-institut.de/fritz-bauer-ausstellung.html neuen Schwerpunkt versehen. Er beschäftigt nicht Mitglied war, erhielt beispielsweise erwirtschaftet: Hier wohnten Urlauber, die Weitere Informationen zu unseren Wander- Lagers für jüdische Displaced Persons in sich unter anderem mit der Geschichte der keine öffentlichen Aufträge mehr. Um Geld durch die NS-Organisation »Kraft durch ausstellungen und ihrer Ausleihe fi nden Sie der amerikanischen Besatzungszone: des Familie Wassum aus Michelstadt. zu verdienen, war Jakob Wassum nun viel Freude« nach Michelstadt kamen; aber eines auf den Seiten 105 f. DP-Lagers Frankfurt-Zeilsheim.

8 Veranstaltungen Einsicht 14 Herbst 2015 9 Neuerscheinungen Aktuelle Publikationen des Instituts

› Andrew Hussey: Die Wiederkehr des Werner Renz (Hrsg.) Mit Einführungen und Anmerkungen Bauer ein Vorbild für die deutsche Jugend. postkolonial Verdrängten: Französischer von Werner Renz und Jean-Pierre Stephan Bauer pfl egte in den 1960er Jahren eine in- Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2015 Antisemitismus im 21. Jahrhundert »Von Gott und 300 S., gebunden, 24 s/w-Fotos, € 29,90 tensive Freundschaft mit Harlan und unter- › Yasemin Shooman: Zur Debatte über das der Welt verlassen« EAN 978-3-593-50468-1 stützte den Schriftsteller nach Kräften. Fritz Verhältnis von Antisemitismus, Rassismus Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts, Bauers Briefe an Harlan sind ein Zeugnis der und Islamfeindlichkeit Fritz Bauers Briefe an Band 25, bereits erschienen, auch als E-Book erhältlich condition humaine, der gelebten Mitmensch- › Monique Eckmann: Herausforderungen Thomas Harlan lichkeit eines Juristen, der sein Amt als Stütze im Umgang mit Rassismen und Antise- Fritz Bauer (1903–1968), und Bürde zugleich empfand und der einmal mitismen – Formen der Interaktion Jude, Sozialdemokrat, Jus- an eine Freundin, die Gefangenenbetreuerin › Monika Schwarz-Friesel: Rechts, links tizjurist, von den Nazis 1936 aus dem Land Birgitta Wolf, schrieb, er trage seinen Titel oder Mitte? Zur semantischen, formalen getrieben, 1949 aus dem Exil zurückgekehrt, Generalstaatsanwalt nur mit Abscheu. und argumentativen Homogenität aktueller um am Aufbau eines demokratischen Ge- Verbal-Antisemitismen meinwesens tatkräftig mitzuwirken, setzte Werner Renz, M.A., Germanistik- und seine Hoffnungen auf die jungen Generatio- Philosophie-Studium in Frankfurt am Main, Katharina Rauschenberger, Dr. phil., ist nen. Sein besonderes Interesse galt der Kunst, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fritz Katharina Rauschenberger, Wie verhält Antisemitismus wissenschaftliche Mitarbeiterin und Pro- von der er sich eine große erzieherische Wir- Bauer Institut, Leiter der Abteilung Archiv Werner Konitzer (Hrsg.) sich zu anderen Formen grammkoordinatorin des Fritz Bauer Insti- kung auf die Deutschen nach Hitler versprach. und Bibliothek, Arbeitsschwerpunkte: Ge- gruppenbezogenen Hasses? Bisher hat man tuts sowie Lehrbeauftragte am Historischen In Thomas Harlan (1929–2010), dem rebelli- schichte der Frankfurter Auschwitz-Pro- Antisemitismus und in der Forschung vor allem die Frage nach Seminar der Goethe-Universität Frankfurt schen Sohn des Nazi-Regisseurs Veit Harlan zesse, Geschichte des Konzentrationslagers andere Feindseligkeiten den Unterschieden und den Ähnlichkeiten am Main. (1899–1964), der sich zeitlebens künstlerisch Auschwitz-Birkenau, zahlreiche Veröffent- derartiger Feindseligkeiten gestellt. Dieser an der NS-Vergangenheit abarbeitete, sah lichungen dazu. Interaktionen von Band geht anhand von Beispielen aus der Werner Konitzer, apl. Prof. Dr., ist kom- Ressentiments Geschichte wie aus der Gegenwart der Frage missarischer Direktor des Fritz Bauer Ins- nach, wie sich die verschiedenen Formen tituts und Lehrbeauftragter am Institut für gruppenbezogenen Hasses aufeinander be- Philosophie der Goethe-Universität Frank- ziehen, wie sie einander rechtfertigen und furt am Main, Privatdozent an der Europa- miteinander agieren und welche Funktion Universität Viadrina Frankfurt (Oder) und dem Antisemitismus in diesen Interaktionen Vertrauensdozent der Heinrich-Böll-Stif- von Ressentiments zukommt. Die meisten tung. Barbara Dröscher Wer sagt, dass Zwiespalt Schwäche sei? historischen Konstellationen, in denen der Das Leben des jungen Wilhelm Dröscher Antisemitismus virulent wurde, waren ago- Seit 1996 gibt das Fritz Bauer Institut das 1920–1948 nale Situationen der Konfrontation verschie- Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des 328 S. | Broschur | 22,00 Euro ISBN 978-3-8012-0472-3 dener Gruppen. Sie verändern sich aktuell Holocaust heraus. Es enthält wissenschaft- Neu im mit großer Dynamik. Sie besser zu verstehen liche Aufsätze zu wechselnden Themen- Oktober nimmt sich dieser Band vor. schwerpunkten.

Inhalt Über den Umgang Jahrbuch 2015 zur Geschichte und Wirkung › Werner Konitzer: Einleitung mit der Vergangenheit: des Holocaust, 2015 › Johannes Heil: Matthaeus Parisiensis, die Hrsg. im Auftrag des Fritz Bauer Instituts Politische Biografien bei Dietz von Katharina Rauschenberger und Werner Konitzer Mongolen und die jüdische Verschwörung. Eine Liste mit Publikationen des Fritz Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2015 Überlegungen zu Hintergründen und Wir- Bauer Instituts fi nden Sie auf den Seiten 197 S., kartoniert, € 29,90, EAN 978-3-593-50469-8 kung eines narrativen Konstrukts 108 f. Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts, Band 19 › Thomas Kaufmann: Luthers Judenhass im Erscheinungstermin: 12. November 2015, Andreas Marquet Friedrich Wilhelm Wagner auch als E-Book erhältlich Kontext anderer Feindseligkeiten 1894–1971 › Olaf Blaschke: Nebensache Antisemi- Eine politische Biografie Das Jahrbuch erscheint mit freundlicher Unterstützung tismus? Verhältnis und Verfl echtung von 488 S. | Broschur | 58,00 Euro des Fördervereins Fritz Bauer Institut e.V. Feindbildkomplexen in der Kulturkampfzeit ISBN 978-3-8012-4231-2 Mitglieder des Fördervereins können das aktuelle › Christoph Dieckmann: Die Entwicklung Jahrbuch zum reduzierten Preis von € 23,90 dietz-verlag.de (inkl. Versandkosten) im Abonnement beziehen. des Antisemitismus in Litauen bis 1944

10 Neuerscheinungen Einsicht 14 Herbst 2015 11 Birgit Erdle, Werner Konitzer (Hrsg.) Christian Wilhelm Dohm, David Friedlän- an seinen Freund Thomas Harlan. Bauer Erschießungskommandos, die Mitarbeiter Dagi Knellessen der, Heinrich Heine, Karl Marx, Max Wie- blickte voller Resignation und Bitterkeit von Gestapostellen, die Juden in Ghettos Erinnern und Theorien über Judenhass – ner, Felix Weltsch und Arnold Zweig insbesondere auf zwei Prozesse zurück, die und Todeslager deportierten, hatten nach Novemberpogrome 1938 eine Denkgeschichte vor dem Landgericht Frankfurt am Main Auffassung der deutschen Strafrichter die »Was unfassbar schien, Verstehen Birgit Erdle, Prof. Dr., ist Walter Benjamin verhandelt worden waren. Da war zum ei- befohlene Tat, die Judenvernichtung, nur Kommentierte Quellen- Visiting Professor an der Hebrew University nen der Auschwitz-Prozess, mit dem Bauer als fremde Tat fördern und unterstützen und ist Wirklichkeit« edition (1781–1931) in Jerusalem. 2011/2012 war sie Gastprofes- gemeinhin in einem Atemzug genannt wird. nicht als eigene begehen wollen. sorin am Fritz Bauer Institut. Da war zum anderen das skandalöse Urteil Bauer hatte sich Anfang der 1960er im Verfahren gegen die beiden Mitarbeiter Jahre, als er voller Energie NS-Verfahren Werner Konitzer, apl. Prof. Dr., ist kom- Adolf Eichmanns, Hermann Krumey und in Gang brachte, von den Prozessen viel er- missarischer Direktor des Fritz Bauer Insti- Otto Hunsche, die im Sommer 1944 zu- hofft. Sie sollten den Deutschen »Schule« tuts und Lehrbeauftragter am Institut für Phi- sammen mit dem »Spediteur des Todes« und »Lehre« sein und »Lektionen« erteilen. losophie der Goethe-Universität Frankfurt 438.000 Juden aus Ungarn nach Auschwitz Die Bundesdeutschen im Wirtschaftswun- am Main, Privatdozent an der Europa-Uni- deportiert hatten. derland erwiesen sich freilich nicht als ge- versität Viadrina Frankfurt (Oder) und Ver- Warum sprach Bauer im Rückblick lehrige Schüler. Die Prozesse erzielten nicht trauensdozent der Heinrich-Böll-Stiftung. auf die NS-Prozesse von ihrer »Tragödie«? die volkspädagogische Wirkung, die Bauer Hatten die Verfahren nicht geleistet, worum um einer besseren Zukunft willen von den

es Bauer in den Prozessen gegen Nazi-Ver- Verfahren erwartet hatte. Im Jahr 2000, nach einer erneuten Welle brecher vorrangig und erklärtermaßen ging? Die in dem Buch veröffentlichten eskalierender Gewalt im Nahen Osten, Umfassende politische Aufklärung Aufsätze legen Bauers Vorstellungen vom Mit einem Vorwort von Raphael Gross suchte eine Gruppe palästinensischer und Die Erarbeitung des Heftes wurde von der israelischer Lehrer nach einer neuartigen Mitarbeiterpublikation: durch zweifelsfreie Tatsachenfeststellun- Sinn und Zweck der NS-Prozesse dar und Stiftung CITOYEN gefördert. Darstellung des Geschehens, um Vorurteile Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2015 Werner Renz gen der Schwurgerichte sowie die in der untersuchen Vorgeschichte und Verlauf des Pädagogisches Zentrum des Fritz Bauer Instituts und und Feindbilder zu überwinden. Das so ent- 361 S., gebunden, € 39,90 Beweisaufnahme zu Gehör gekommenen Frankfurter Auschwitz-Prozesses (1963– des Jüdischen Museums, Frankfurt am Main 2015 standene Buch stellt zwei Erzählungen des EAN 978-3-593-50470-4 116 S., € 10,– Konflikts Seite für Seite nebeneinander. Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts, Stimmen der überlebenden Opfer waren un- 1965), der vor 50 Jahren zu Ende ging. Heu- Fritz Bauer und das EAN 978-3-932883-36-1 2015. 279 Seiten. Ca. 100 Fotos u. Karten Band 26, Erscheinungstermin: 12. November 2015 strittig wichtigste Ergebnisse der Prozesse. te noch stehen Angehörige des Auschwitz- € 29,90. ISBN 978-3-593-50281-6 Versagen der Justiz Pädagogische Materialien Nr. 03 auch als E-Book erhältlich Doch hatten die Strafgerichte das Tun und Personals vor Gericht. Die späten Prozesse »Nazi-Prozesse« und Lassen der Angeklagten tatangemessen gegen Greise sind ein untrügliches Zeichen Das Materialheft steht zum kostenlosen Download Wie hat man – vom späten ihre »Tragödie« qualifi ziert? Hatten sie die strafrechtliche für das Versagen der deutschen Strafjustiz auf den Websites des Fritz Bauer Instituts: www.fritz-bauer-institut.de/pz-materialien.html 18. bis zum frühen 20. Jahr- Verantwortung der NS-Verbrecher überzeu- bei der justiziellen Aufarbeitung der NS- und des Pädagogischen Zentrums: www.pz-ffm.de hundert – über den Antisemitismus nach- gend gewürdigt? Vergangenheit. gedacht? Diese Anthologie dokumentiert Die bundesdeutsche Strafjustiz kannte signifi kante, oft vergessene Quellentexte, als »Haupttäter« und »Taturheber« nur Hit- Werner Renz, M.A., Germanistik- und Die Novemberpogrome im die sich mit dem Phänomen des Judenhas- ler, Himmler, Göring, Heydrich u.a. und nur Philosophie-Studium in Frankfurt am Main, Jahr 1938 stehen für die ses auseinandersetzen und es theoretisch zu wenige weitere Mittäter, die entweder eigen- wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fritz ersten gezielten Gewaltexzesse gegen das erklären versuchen. Sie zeigt die Erkennt- mächtig und befehlslos getötet hatten oder Bauer Institut, Leiter der Abteilung Archiv deutsche Judentum im gesamten Deutschen nisarbeit, die in den zumeist von jüdischen die sich im Konsens mit der verbrecheri- und Bibliothek, Arbeitsschwerpunkte: Ge- Reich. Ausgehend von diesem historischen Autoren verfassten Texten steckt, und macht schen Staatsführung die befohlenen Taten zu schichte der Frankfurter Auschwitz-Pro- Moment stellt das Materialheft die Ent- Frauen und Männer erlebten in den natio- die Anstrengung deutlich, die darin liegt, eigen gemacht, sie als eigene gewollt hatten. zesse, Geschichte des Konzentrationslagers wicklungen zwischen 1933 und 1938 aus nalsozialistischen Konzentrationslagern dass diese Refl exionen in den nichtjüdi- In bundesdeutschen NS-Prozessen wurden Auschwitz-Birkenau, zahlreiche Veröffent- der Perspektive der deutschen Juden dar. »the same hell, but different horrors«, so Myrna Goldenberg. Erst 1990 sensibilisierte schen Zeitgenossen oft kein intellektuelles nur circa 170 Angeklagte als Mörder quali- lichungen dazu. Im Zentrum stehen ihre Reaktionen auf die Goldenberg damit für den Stellenwert der Gegenüber fanden. Jeder der abgedruckten fi ziert und abgeurteilt. Hingegen waren der nationalsozialistische antijüdische Gewalt- Kategorie Gender für das Funktionieren Quellentexte wird von einem kommentie- Justiz unter den abertausenden Tatbeteilig- politik, die mit den Pogromen im November wie das Erleben dieses Systems der Gewalt. Hamburg: CEP Europäische Verlagsanstalt, 2015 Was bedeutet dies für die Erinnerung an die renden Artikel begleitet, der biografi sche 180 S., kartoniert, € 18,–, EAN 978-3-863-93068-4 ten die bloßen Gehilfen geradezu Legion. In 1938 einen Höhepunkt erreichte, der trotz Lager? Mit einem Vorwort von Ruth Klüger. und werkgeschichtliche Zusammenhänge bereits erschienen der rechtlichen Würdigung der Handlungen der existenzbedrohenden Erfahrungen der 2015. Ca. 293 Seiten. € 49,90 beleuchtet und die Besonderheit der jewei- der Beteiligten an dem Menschheitsverbre- vorangegangenen fünf Jahre für die meisten ISBN 978-3593-50490-2 ligen historischen Erfahrung herausstellt. Von der »Tragödie« der chen, das wir heute Shoah oder Holocaust nicht vorstellbar gewesen war. bundesdeutschen Verfah- nennen, erkannten die Gerichte meist auf Das Heft nimmt aufgrund der aus- Mit Texten von Saul Ascher, Oskar Baum, ren gegen NS-Gewaltverbrecher schreibt bloße Gehilfenschaft. Das Personal der drücklich jüdischen Perspektive der Dar- campus.de Constantin Brunner, Hermann Cohen, Fritz Bauer im März 1966 in einem Brief Vernichtungslager, die Angehörigen von stellung eine eher ungewöhnliche zeitliche

12 Neuerscheinungen Einsicht 14 Herbst 2015 13 Die große Hitler-Biographie Eine Darstellung, Periodisierung vor. Die Phase zwischen der Mitarbeiterpublikation: an Lehrkräfte in Schulen und außerschuli- »Machtübernahme« der Nationalsozialisten Elke Gryglewski, Verena Haug, schen Einrichtungen sowie an Studierende 1933 und den Pogromen Ende des Jahres Gottfried Kößler, Thomas Lutz und Multiplikatoren. die neue Maßstäbe setzt 1938 wird in fünf chronologische Etappen und Christa Schikorra (Hrsg.): eingeteilt. Jedes Kapitel bietet darstellende Mit Beiträgen von: Katja Anders, Daniel Texte, die sowohl für Lehrkräfte als auch Gedenkstättenpädagogik Gaede, Elke Gryglewski, Matthias Haß, für Schülerinnen und Schüler ab Jahr- Kontext, Theorie und Verena Haug, Juliane Heise, Matthias Heyl, gangsstufe 10 geeignet sind. Methodische Ronald Hirte, Hanna Huhtasaari, Hildegard Vom Autor der erfolgreichen Vorschläge richten sich an die Lehrkräfte, Praxis der Bildungsarbeit Jakobs, Constanze Jaiser, Wolf Kaiser, Lore aber das Materialheft eignet sich auch als zu NS-Verbrechen Kleiber, Gottfried Kößler, Wolfgang Meseth, Biographien »« (2008) Grundlage für Präsentationsprüfungen und Fabian Müller, Kuno Rinke, Nina Ritz, Projektarbeit. Martina Ruppert-Kelly, Martin Schellenberg, und »Goebbels« (2010) Julius Scharnetzky, Cornelia Siebeck, Robert Inhalt Sigel, Ulrich Tempel, Oliver von Wrochem › Vorwort von Raphael Gross › 1933 bis 1937 – Die deutschen Juden Elke Gryglewski, Dr., ist Politikwissen- zwischen Abwehr und Konzentration der schaftlerin und seit 1995 wissenschaft- Kräfte lich-pädagogische Mitarbeiterin in der › 1938 – Expansion des NS-Regimes. Die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Bedrohung für Juden im deutschen Macht- Wannsee-Konferenz in Berlin. bereich wächst › Herschel Grynszpan – Die Geschichte Verena Haug ist Diplom-Pädagogin, Pro- eines polnisch-deutsch-jüdischen staaten- motion zur pädagogischen Kommunikation losen Jugendlichen in KZ-Gedenkstätten. Seit vielen Jahren ar- Herausgegeben von Elke Gryglewski, Verena Haug, › Die Novemberpogrome 1938 beitet sie wissenschaftlich, konzeptionell, © Leonie Lallemand Gottfried Kößler, Thomas Lutz und Christa Schikorra › Die Fluchtwelle nach der Katastrophe pädagogisch und publizistisch an und über im Auftrag der AG Gedenkstättenpädagogik, gefördert von der Stiftung »Erinnern, Verantwortung und Zu- Gedenkstätten. Von 2001–2004 war sie pä- Dagi Knellessen, M.A., ist wissenschaft- kunft« und der Ernst-Ludwig Chambré-Stiftung zu Lich. dagogische Mitarbeiterin am Fritz Bauer liche Mitarbeiterin am Fritz Bauer Institut Berlin: Metropol Verlag, 2015, 363 S., kartoniert, € 22,– Institut. EAN: 978-3-86331-243-5 und am Simon-Dubnow-Institut für jüdische Tyrann, Psychopath, Vollstrecker eines rassen- Geschichte und Kultur, Leipzig. Studium Gottfried Kößler ist stellvertretender Di- ideologischen »Programms« – oder gar charis- der Erziehungswissenschaft, Politikwissen- Seit vielen Jahren sind Ge- rektor des Fritz Bauer Instituts und Mitar- matischer »Führer«, dem seine Anhänger »ent- schaft und Psychologie an der Technischen denkstätten für die Opfer beiter des Pädagogischen Zentrums des Fritz gegengearbeitet« haben? Peter Longerich geht Universität Berlin; M.A. 2001 an der Uni- der nationalsozialistischen Verbrechen auch Bauer Instituts und des Jüdischen Museums in seiner neuen Biographie über die bisherigen versität Berlin, Thema der Magisterarbeit: Lernorte. Der vorliegende Sammelband gibt Frankfurt sowie Lehrbeauftragter am Semi- »Im bedingungslosen Gehorsam und über einen Überblick über den aktuellen Stand nar für die Didaktik der Geschichte an der Hitler-Deutungen hinaus: Er entwirft das den Befehl hinaus. Eine Studie über Adolf der Bildungsarbeit vor Ort. In den Kapiteln Goethe-Universität Frankfurt am Main. eines Diktators, der weit mehr und viel aktiver Eichmann«. Von 2001 bis 2005 wissen- »Rahmen und Perspektiven«, »Stärken und als bisher angenommen in die unterschiedlichs- schaftliche Mitarbeiterin am Fritz Bauer Herausforderungen« sowie »Zugänge und Thomas Lutz, Dr., ist seit 1993 Leiter des ten Politikbereiche persönlich eingriff. Und da- Institut; von 2005 bis 2015 freie Erziehungs- Methodik« werden zunächst die gesell- Gedenkstättenreferats der Stiftung Topogra- bei nicht selten überraschend flexibel handelte. wissenschaftlerin in Berlin. schaftspolitischen Rahmenbedingungen phie des Terrors in Berlin, seit 1984 Redak- beleuchtet, um dann in die grundsätzlichen teur des GedenktstättenRundbriefs. Diese Biographie rückt die Person Hitler und Zur Präsentation des Materialhefts siehe Debatten einzuführen. Sowohl die vielfäl- ihr Handeln in das Zentrum der Geschichte des auch Seite 93. tige gedenkstättenpädagogische Arbeit wie Christa Schikorra, Dr., ist Leiterin der Bil- auch das breite Spektrum an Gedenkstätten dungsabteilung der KZ-Gedenkstätte Flos- Nationalsozialismus: Denn erst das Zusammen- wird vorgestellt. senbürg/Stiftung bayerischer Gedenkstätten spiel der Kräfte, die Hitler bewegten, mit je- Als Bindeglied zwischen Theorie und sowie freie wissenschaftliche Mitarbeiterin nen, die er selbst in Bewegung setzte, lässt uns Praxis wendet sich das Buch an Mitarbeite- und Bildungsreferentin verschiedener NS- erkennen, was das »Dritte Reich« im Innersten rinnen und Mitarbeiter von Gedenkstätten, Gedenkstätten. zusammenhielt. 908 Seiten mit Abb., gebunden, e 39,99 (D) ISBN: 978-3-8275-0060-1 14 Neuerscheinungen Einsicht 14 Herbst 2015 Erscheint im November 2015 Siedler15 Auch als E-Book erhältlich www. siedler-verlag.de Einsicht Forschung und Vermittlung

Kenntnis gebracht wurde, meint Donald Bloxham, ein britischer His- auch die Frage nach dem Stellenwert des Antisemitismus werden zwar toriker, dass die Zentralität des Massenmordes nicht erkannt wurde; nach wie vor in der Zunft kontrovers diskutiert, zunehmend setzen sich Bloxhams Kritik geht noch einen Schritt weiter, er hinterfragt das jedoch multifaktorische Erklärungsansätze der Vernichtungspolitik Narrativ des Erfolgs der Nürnberger Prozesse als Beginn der Ära der durch. Neben der antijüdischen, rassistischen und nationalistischen völkerrechtlichen Strafverfolgung von Verbrechen gegen Zivilisten.4 Weltanschauung waren auch ökonomische und bevölkerungspoliti- Die Nürnberger Prozesse und der Holocaust Diese unterschiedlichen Bewertungen sind der Ausgangspunkt sche Interessen, der »Hungerplan«, die »Lebensraumeroberung« und meiner folgenden Ausführungen. Mit Marrus stimme ich überein, damit verbundene Siedlungsplanungen, Wohnraumbedarf, Aufstands- Frühe Interpretationen zur Verfolgung und dass der »Hauptkriegsverbrecherprozess« die Verfolgung und Ver- bekämpfung, die Ideen einer sozioökonomischen »neuen Ordnung« nichtung der Juden erstmalig ins größere Bewusstsein brachte. Doch und einer deutschen »Volksgemeinschaft« nach »rassischen« und Vernichtung der europäischen Juden auch Bloxhams Beobachtungen sind nicht von der Hand zu weisen; »völkischen« Grundsätzen wie auch letztlich eine gewisse Eigendy- aus heutiger Perspektive scheint es unerklärlich, wieso der Mas- namik der Gewalt vor Ort von Bedeutung. senmord an den europäischen Juden nicht einen eigenen zentralen Die Entwicklung im Zuge der Nürnberger Prozesse zwischen von Alexa Stiller Anklagepunkt im IMT bildete. Außerdem teile ich seine Kritik am Sommer 1945 und 1949 hin zu einer kohärenten Interpretation Nürnberger Erfolgsnarrativ. der Vernichtung der europäischen Juden und die historische Ent- Ich werde im Weiteren ausführen, dass während der Prozesse faltung eines entsprechenden Narrativs hingen unter anderem mit Die »Nürnberger Prozesse« in ihrer Ge- eine bislang in der Forschung übersehene Entwicklung stattfand. Am den Rahmenbedingungen des IMT-Prozesses zusammen: mit der samtheit, das heißt neben dem Prozess vor Anfang des IMT-Prozesses wurde dem Holocaust keine hervorgeho- Organisation des Prozesses, mit den Hintergründen und Strategien dem Internationalen Militärtribunal (IMT) bene Bedeutung zugesprochen. Doch am Ende des letzten Prozesses der Anklagebehörden, mit bedeutenden Wendungen während des auch die zwölf allein von den Amerikanern in Nürnberg – fast vier Jahre nach dem Beginn des IMT – hatte sich Verfahrens und schließlich auch mit sich verändernden politischen Alexa Stiller, M.A., 1997–2003 Stu- geführten Prozesse vor den Nürnberger Militärtribunalen (NMT), eine in sich geschlossene Interpretation der Verfolgung und Vernich- Interessen der Vereinigten Staaten von Amerika. dium der Geschichte, Soziologie und waren lange Zeit fast ausschließlich eine Domäne der Beteiligten1 tung der Juden herausgebildet, welche als Narrativ sehr wirkmächtig Politikwissenschaft an der Universität und zugleich über Jahrzehnte für HistorikerInnen vor allem ein wurde. Diese Interpretation basierte, wie ich hier zeigen werde, auf Hannover. 2001–2007 Stipendiatin der Pool von Dokumenten zur NS-Zeit.2 In der Forschung dominierten drei miteinander verbundenen Annahmen: 1.) die Ermordung der Organisation des IMT-Prozesses Heinrich Böll-Stiftung, 2004 Stipendi- Studien zum IMT-Prozess, zu dessen Verlauf und Ausgang, seinen Juden habe getrennt von anderen Verbrechen stattgefunden, 2.) die um der Deutschen Historischen Institu- Erfolgen und Misserfolgen.3 Die Nürnberger Prozesse als einen SS sei hauptverantwortlich und 3.) der zentrale Antrieb, der Nukleus Das Londoner Abkommen und das Statut des IMT vom 8. August te in Washington, D.C. und Warschau, dezidiert historischen Ort von eigener Bedeutung zu betrachten ist der Vernichtung der europäischen Juden, sei der Antisemitismus 1945 bildeten die Rechtsgrundlage des »Hauptkriegsverbrecherpro- 2007 Charles H. Revson Foundation dagegen eine relativ neue Herangehensweise. vornehmlich Hitlers gewesen. zesses«. In ihnen waren die Tatbestände festgelegt, für deren Ahndung Fellow, Holocaust Me- Die Frage, wie die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Aufgrund des heutigen Standes der Forschung sind diese Annah- der Gerichtshof zuständig war: »Verbrechen gegen den Frieden«, morial Museum, Washington, D.C., Juden in Nürnberg verhandelt wurde, bleibt auch siebzig Jahre nach men nicht mehr haltbar. Historikerinnen und Historiker haben in den »Kriegsverbrechen« und »Verbrechen gegen die Menschlichkeit«.6 2008–2009 Stipendiatin der Fondation Beginn des »Hauptkriegsverbrecherprozesses« in der Forschung un- letzten Jahrzehnten gezeigt, dass es etliche Zusammenhänge zwischen pour la Mémoire de la Shoah in Paris. terschiedlich bewertet. Während der kanadische Historiker Michael der Verfolgung und Vernichtung der Juden und den »Euthanasiemor- 2004–2008 Lehrbeauftragte an der Marrus der Ansicht ist, dass im IMT die Dimension der Opferzahl, den«, den Massenerschießungen von Polen wie Juden während des und der Mord an den europäischen Juden, Frankfurt am Main 1995; Dieter Pohl, Universität Hannover. Seit 2008 wis- die unterschiedlichen Mordmethoden und die Entwicklung von der deutschen Angriffs auf Polen, der Ermordung der Sinti und Roma, der Nationalsozialistische Judenverfolgung in Ostgalizien 1941–1944. Organisation senschaftliche Mitarbeiterin am Histo- Verfolgung zur Vernichtung erstmalig ausführlich dokumentiert Ermordung der sowjetischen Kriegsgefangenen und der Aushunge- und Durchführung eines staatlichen Massenverbrechens, München 1996; Christi- rischen Institut der Universität Bern. wurden und damit der Holocaust einer breiten Öffentlichkeit zur rung und Ermordung der ost- und südosteuropäischen Zivilbevölke- an Gerlach, Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspoli- tik in Weißrussland 1941–1944, Hamburg 1999; Michael Wildt, Generation des Titel der abgeschlossenen Dissertation: rungen gab. Die Forschungen haben auch bewiesen, dass nicht nur die Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg »Germanisierung und Gewalt: Natio- SS und die Sicherheitspolizei zu den Tätern des Holocausts gehörten, 2002. nalsozialistische Volkstumspolitik in den sondern auch große Teile des Staatsapparats, der Wehrmacht, der 6 Zum ersten und dritten Tatbestand gehörten auch der Entwurf und die Beteiligung polnischen, französischen und sloweni- 1 Siehe z.B. Telford Taylor, Die Nürnberger Prozesse. Kriegsverbrechen und Völ- Besatzungsverwaltungen, der Wirtschaft, der wissenschaftlichen Ex- an einem »gemeinsamen Plan« oder an einer »Verschwörung« zur Begehung kerrecht, Zürich 1951; Whitney R. Harris, Tyranny on Trial. The Evidence at ebendieser Verbrechen. Doch der neue Tatbestand der »Verbrechen gegen die 5 schen Annexionsgebieten, 1939–1945.« Nuremberg, Dallas 1954; Francis Biddle, In Brief Authority, Garden City 1962. perten etc. Die Debatte um Intentionalität versus Funktionalität wie Menschlichkeit«, der nicht nur »Mord, Ausrottung, Versklavung, Deportation Veröffentlichungen (Auswahl): Hrsg., 2 Siehe z.B. Robert L. Koehl, RKFDV: German Resettlement and Population Poli- oder andere unmenschliche Handlungen« sowie »Verfolgung aus politischen, ras- mit Kim C. Priemel, NMT. Die Nürn- cy 1939–1945. A History of the Reich Commission for the Strengthening of Ger- sischen und religiösen Gründen« während des Krieges, sondern auch davor um- berger Militärtribunale zwischen mandom, Cambridge 1957; Martin Broszat, Nationalsozialistische Polenpolitik fasste, war nur in Verbindung mit einem der anderen beiden Tatbestände justizia- 1939–1945, Stuttgart 1961. 4 Michael Marrus, » at Nuremberg«, in: Studies, Jg. 26 bel. Dieser Kausalnexus wurde erst im Kontrollratsgesetz Nr. 10, welches die Geschichte, Gerechtigkeit und Recht- 3 Bradley F. Smith, Der Jahrhundert-Prozeß. Die Motive der Richter von Nürn- (1998), S. 5–41; Donald Bloxham, Genocide on Trial. War Criminals and the überarbeitete Rechtsgrundlage der Nürnberger Militärgerichtshöfe bildete, aufge- schöpfung, Hamburg 2013; Hrsg. berg, Anatomie einer Urteilsfi ndung, Frankfurt am Main 1977; ders., The Road to Formation of Holocaust, History and Memory, Oxford 2001. hoben. Siehe dazu auch Kim C. Priemel, Alexa Stiller, »Wo ›Nürnberg‹ liegt. Zur mit Kim C. Priemel, Reassessing the Nuremberg, New York 1981; Robert E. Conot, Justice at Nuremberg, New York 5 Sybil Milton, »The Context of the Holocaust«, in: German Studies Review, Jg. 13 historischen Verortung der Nürnberger Militärtribunale«, in: dies. (Hrsg.), NMT. Nuremberg Military Tribunals. Tran- 1983; Ann Tusa, John Tusa, The Nuremberg Trial, London 1983; Joseph E. Persi- (1990), S. 269–283; Götz Aly, Susanne Heim, Vordenker der Vernichtung. Die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Recht- co, Nuremberg. Infamy on Trial, New York 1994; Arieh J. Kochavi, Prelude to Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung, Hamburg schöpfung, Hamburg 2013, S. 9–63, hier S. 9 f., 28–37. Siehe auch Kevin Jon sitional Justice, Trial Narratives, and Nuremberg. Allied War Crimes Policy and the Question of Punishment, Chapel 1991; , The Origins of Nazi Genocide: From Euthanasia to the Heller, The Nuremberg Military Tribunals and the Origins of International Crim- Historiography, Oxford 2012. Hill u.a. 1998. , Chapel Hill 1995; Götz Aly, »Endlösung«. Völkerverschiebung inal Law, Oxford 2011.

16 Einsicht Einsicht 14 Herbst 2015 17 Die Anklageerhebung gegen 24 Angeklagte und sechs Orga- den ursprünglich aus Russland stammenden, französisch-jüdischen nisationen erfolgte am 6. Oktober 1945. Zu den drei Tatbeständen Historiker Léon Poliakov vom Centre de Documentation Juive Con- war ein vierter Anklagepunkt hinzugekommen, »Verschwörung und temporaine zur Unterstützung der Beweisführung der Verfolgung gemeinsamer Plan«. Die Idee, die »verbrecherische Staatspolitik« und Vernichtung der Juden hinzu. Und auch bei der in Nürnberg des NS-Regimes mittels der Rechtskonstrukte der »Verschwörung« anwesenden polnischen Delegation waren Mitarbeiter der Zentralen sowie des Weiteren der Organisationskriminalität justiziabel zu ma- Jüdischen Historischen Kommission Polens beteiligt.10 chen, war von US-amerikanischer Seite ausgegangen. Verknüpft mit dem Tatbestand des Angriffskrieges, sollten diese dem angelsäch- sischen Recht entstammenden Rechtsfi guren die völkerrechtsdog- Strategien, Interpretationen und Probleme – matische Problematik der Souveränität und der Unmittelbarkeit von Beweisdokumente, Zeuginnen und Zeugen Otto Ohlendorf (links), Individuen lösen.7 der Hauptangeklagte Die Beweisführung vor Gericht teilten sich die Alliierten. Jede Frühzeitig legten sich die amerikanische und die britische Anklage- im sogenannten Einsatzgruppenprozess, Anklagebehörde übernahm einen Anklagepunkt. Die US-ameri- behörde fest, dass sie ihre Beweisführung auf deutsche Dokumente bespricht sich im kanische Anklagebehörde unter Robert H. Jackson nahm sich des aufbauen wollte. Auf diese Art die Täter selbst sprechen zu lassen Nürnberger Justizpalast Tatbestandes der »Verschwörung und des gemeinsamen Planes« erschien ihnen objektiver und von stärkerer Beweiskraft als reine mit seinem an, arbeitete dabei jedoch stark mit der britischen Anklagebehör- Zeugenaussagen. Die sowjetische Anklagebehörde stützte ihre Be- Rechtsanwalt Rudolf Aschenauer, de zusammen, die wiederum die Beweisführung der »Verbrechen weisführung dagegen stärker auf die Ergebnisberichte der eigenen, 26. Februar 1948. gegen den Frieden« tätigte. Die französischen und sowjetischen der polnischen, der tschechoslowakischen und der jugoslawischen Foto: Süddeutsche Anklagebehörden behandelten gemeinsam den Anklagepunkt der Untersuchungskommissionen zur Feststellung der deutschen Ver- Zeitung Photo »Kriegsverbrechen«: Die französische Seite befasste sich mit jeg- brechen in den jeweiligen Ländern.11 Zusammen legten die vier lichen Kriegsverbrechen im Westen, die sowjetische Seite mit den- Anklagebehörden dem Gericht circa 2900 Beweisdokumente vor.12 jenigen in Ost- und Südosteuropa.8 Die Konsequenz war, dass die Dagegen wurden von den vier Anklagevertretungen nur 34 Zeu- französische Anklagevertretung quasi auch die Interessen Norwe- ginnen und Zeugen aufgerufen, davon 11 von der französischen und Interpretationen und Verortung des Holocaust 21. November 1945. Da es um den Anklagepunkt der »Verschwö- gens, Dänemarks, der Niederlande, Belgiens und Luxemburgs vertrat 14 von der sowjetischen Anklagebehörde. Unter diesen befanden sich rung« ging, führte er aus, dass die Beweisführung zeigen werde, und die sowjetische Anklagebehörde polnische, tschechoslowakische 12 KZ-, Vernichtungslager- und Ghettoüberlebende.13 Samuel Rajz- Bereits in der Anklageschrift gab es zwei parallel existierende »dass das Ziel, dem sich alle Nazis fanatisch ergaben, nämlich sowie jugoslawische Belange. Die Beweisführung der »Verbrechen man schilderte ausführlich den Massenmord im Vernichtungslager Deutungen des Holocaust. Zum einen eine eingebettete: Unter dem alle Juden zu vernichten, Plan und festes Vorhaben war«.16 Der gegen die Menschlichkeit« führten alle vier Anklagevertretungen in Treblinka und Abraham Sutzkever detailliert die Verfolgung und Er- Anklagepunkt der »Kriegsverbrechen« hieß es, die Angeklagten Antisemitismus spielte dabei eine wichtige Rolle, wurde er doch Verbindung mit ihren jeweiligen Anklagepunkten aus. Aus diesem mordung der jüdischen BewohnerInnen Wilnas. Wichtige Aussagen hätten einen »genocide« (in der offi ziellen deutschen Übersetzung von der amerikanischen Anklagebehörde als Klammer zwischen Grund behandelten sie alle die Verfolgung und Vernichtung der Ju- über den Massenmord der europäischen Juden in Auschwitz-Birkenau »Massenmord«) »insbesondere [an] Juden, Polen, Zigeuner[n] usw.« der Verfolgung vor 1939 und der Massengewalt danach gesehen. den, da dieser Tatkomplex vornehmlich, jedoch nicht ausschließlich machten die beiden Zeuginnen Marie Vaillant-Couturier und Severina begangen.14 Zum anderen gab es die Annahme einer getrennten Ent- Allerdings defi nierte Jackson den Antisemitismus ausschließlich unter diesem Anklagepunkt aufgerollt wurde. Schmaglewskaja, die beide in diesem Lager interniert gewesen waren. wicklung, die eine Besonderheit und Intention der Verfolgung und instrumentell17: »Der Antisemitismus wurde gefördert, um die Der American Jewish Congress hatte vor Prozessbeginn bei Vernichtung der europäischen Juden betonte (unter dem Anklage- demokratischen Völker zu spalten und zu verbittern und ihren Jackson beantragt, ihm einen, den anderen nicht beteiligten europäi- punkt der »Verbrechen gegen die Menschlichkeit«). Diese Deutung Widerstandsgeist gegen den Angriff der Nazis zu schwächen.«18 schen Staaten entsprechenden offi ziellen Status eines Amicus Curiae fußte auch auf einer linearen Sichtweise, die bei der Verfolgung und Ein weiterer Faktor sei quasi die Einübung der Gewaltpraxis ge- im Gericht einzuräumen. Jackson lehnte dies ab, zog aber schließlich se aus der Sicht jüdischer Holocaustüberlebender im besetzten Deutschland«, Entrechtung der jüdischen Deutschen begann und mit dem Massen- wesen: »Die Ausrottung der Juden ermöglichte den Nazis, mit in: Priemel, Stiller (Hrsg.), NMT, S. 653–683, hier: S. 655–663. den Direktor des Institute of Jewish Affairs, den Juristen Jacob Ro- 10 David Cesarani, »Challenging the ›Myth of Silence‹: Postwar Responses to the mord an den europäischen Juden endete. In der Anklageschrift hieß erfahrener Hand in ähnlicher Weise gegen Polen, Serben und binson, als Berater hinzu.9 Die französische Anklagevertretung bat Destruction of European Jewry«, in: ders., Eric J. Sundquist (Hrsg.), After the es dazu: »Von den 9600000 Juden, die in Gebieten Europas unter Griechen vorzugehen.«19 Allerdings machte Jackson auch die Holocaust: Challenging the Myth of Silence, London 2012, S. 15–38, hier S. 28. Nazi-Herrschaft lebten, sind nach vorsichtiger Schätzung 5700000 Besonderheit und Einzigartigkeit der Verfolgung und Vernichtung Zu den frühen Arbeiten der Kommission siehe Frank Beer, Wolfgang Benz, verschwunden, von denen die meisten absichtlich von den Nazi- der europäischen Juden deutlich: »Die Geschichte berichtet von Barbara Distel (Hrsg.), Nach dem Untergang. Die ersten Zeugnisse der Shoah in 15 7 Priemel, Stiller, »Wo ›Nürnberg‹ liegt«, S. 19, 31 f. Polen 1944–1947. Berichte der Zentralen Jüdischen Historischen Kommission, Verschwörern ums Leben gebracht worden sind.« keinem Verbrechen, das sich jemals gegen so viele Opfer gerichtet 8 Siehe dazu Robert Jackson am 21.11.1945, Der Prozess gegen die Hauptkriegs- Berlin 2014. Den Eröffnungsvortrag der amerikanischen Anklagebehör- hat oder mit solch einer berechnenden Grausamkeit begangen verbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof [im Folgenden abgekürzt: 11 Sie zog den Bericht der sowjetischen »Außerordentlichen Staatskommission zur de hielt Robert H. Jackson am zweiten Verhandlungstag, dem worden ist.«20 IMG], 42 Bde, Nürnberg 1947, hier Bd. 2, S. 141; David Maxwell-Fyfe am Feststellung und Erforschung der Verbrechen«, den Bericht der tschechoslowaki- 8.1.1946, IMG, Bd. 4, S. 585. Am intensivsten arbeiteten die amerikanische und schen Regierung, »Deutsche Verbrechen gegen die Tschechoslowakei«, einen die britische Anklagebehörde zusammen, die sich zum Teil bei der Beweisfüh- Bericht der polnischen Regierung über die deutschen Verbrechen in Polen und rung abwechselten und auch von einer »gemeinsamen Beweisführung« sprachen, Materialien der jugoslawischen Staatskommission zur Feststellung der Verbre- siehe Sidney S. Alderman am 3.12.1945, IMG, Bd. 3, S. 45; Hartley Shawcross chen der deutschen Besatzung heran. Siehe Roman A. Rudenko am 8.2.1946, 14 Indictment, Trial of the Major War Criminals Before the International Military 16 Jackson am 21.11.1945, IMG, Bd. 2, S. 139. am 4.12.1945, IMG, Bd. 3, S. 168; Alderman am 10.12.1945, IMG, Bd. 3, S. 413. IMG, Bd. 7, S. 220–222. Tribunal, Nuremberg 14. Nov. 1945–1. Oct. 1946 [im Folgenden abgekürzt: 17 Dazu bereits Marrus, »The Holocaust at Nuremberg«, S. 14 f. 9 Siehe Michael R. Marrus, »A Jewish Lobby at Nuremberg: Jacob Robinson and 12 Priemel, Stiller (Hrsg.), NMT, S. 762. IMT], 42 Bde., Nürnberg 1947–49, hier Bd. 1, S. 42 f.; Anklageschrift, IMG, 18 Jackson am 21.11.1945, IMG, Bd. 2, S. 139. the Institute of Jewish Affairs, 1945–46«, in: Cardozo Law Review, Jg. 27 (2006), 13 Zur ungeklärten Zahl der jüdischen Zeugen siehe Jockusch, »Das Urteil der Bd. 1, S. 47. 19 Ebd., S. 139 f. S. 1651–1665; Laura Jockusch, »Das Urteil der Zeugen: Die Nürnberger Prozes- Zeugen«, S. 655, 662; Cesarani, »Challenging the ›Myth of Silence‹«, S. 28. 15 Anklageschrift, IMG, Bd. 1, S. 71 f. 20 Ebd.

18 Einsicht Einsicht 14 Herbst 2015 19 Die Beweisführung zum Zusammenhang zwischen den Verbre- gevertretung Expansion und »Lebensraumeroberung« sowie, dem Das langfristige Endziel war in allen Fällen das gleiche. Die Metho- der Verfolgung und Vernichtung der Juden mitgewirkt zu haben chen gegen die Juden und der Planung des Angriffskrieges eröff- untergeordnet, wirtschaftliche Interessen.28 den folgten alle einem ähnlichen Muster: Zuerst ein vorsätzliches betrachteten sie zwar für fast jeden Angeklagten als erwiesen. Zu nete William Walsh, Hilfsankläger für die Vereinigten Staaten, am Die Verantwortung der Angeklagten an der Verfolgung und Ver- Programm des Mordes, der völligen Vernichtung. Dies war die bei den Haupttätergruppen erklärten sie allerdings die Gestapo, den SD 13. Dezember 1945.21 Nachdem er im ersten Teil seines Vortrags über nichtung der Juden sah Faure auf zwei Ebenen gegeben: erstens in der polnischen Intelligenz, bei den Zigeunern und bei den Juden und die SS.35 Unter dem Unterpunkt der »Judenverfolgung« legten die Verfolgung der jüdischen Deutschen gesprochen hatte, befasste der Ausarbeitung und Abfassung von Gesetzen und Verordnungen angewandte Methode. […] Die Angeklagten und ihre Spießgesellen sie ihre Beurteilung der Ereignisse und Täterschaft folgendermaßen sich Walsh im zweiten Teil mit der Ermordung der Juden während und zweitens in der Praxis der Verwaltung. Anhand der Deportation benutzten auch Methoden der langsamen Vernichtung; bevorzugt war dar: Hitler habe die »Ausrottung der Juden« Anfang 1939 »ange- des Krieges. Er kam zu dem Schluss, dass die europaweite »Aus- der französischen Juden nach Auschwitz führt er aus: »Ein so großes das Umbringen der Opfer durch Arbeit. […] Eine andere beliebte droht«, die »Endlösung« sei dann ab »Sommer 1941«, »kurz nach rottung der Juden« von Anfang an das »Endziel der Nazi-Partei« Unternehmen wie die Verschickung so vieler Juden erforderte den Vernichtungstechnik war das Verhungernlassen. […] Die im Elsass dem Angriff auf die Sowjetunion«, geplant worden, und zu diesem gewesen sei.22 Er sagte: »Ob Sieg oder Niederlage für Deutsch- Eingriff zahlreicher verschiedener Behörden, und wir sehen hier, angewandte Methode war die Deportation. […] Die Nazis wendeten Zweck sei Eichmanns Referat gegründet worden.36 Insgesamt drei- land, der Jude war dem Untergang geweiht. Es war die offen ausge- dass das Gelingen dieses Unternehmens von der Umorganisation auch verschiedene sogenannte biologische Methoden zum Völker- mal nannten die Richter Eichmann im Urteil. Eichmann war ihrer sprochene Absicht des Nazi-Staates, dass, was immer das deutsche des Transportwesens unter Verantwortung des Reichsverkehrsmi- mord an. Sie verminderten gefl issentlich die Geburtsziffern in den Deutung zufolge »von Hitler« mit der »Endlösung« beauftragt wor- Schicksal sein möge, der Jude nicht unter den Überlebenden bleiben nisteriums abhing. Es besteht also kein Zweifel darüber, dass ein besetzten Gebieten durch Sterilisation, Kastration und Abtreibung den.37 Eichmann war damit nicht nur durch Hoettls eidesstattliche sollte.«23 Im Verlauf der Beweisführung legte er Dokumente über die solches Ministerium, das doch im Wesentlichen eine Fachbehörde […].«31 Ganz offensichtlich folgte die britische Anklagevertretung Erklärung zum »Kronzeugen« der Opferzahl von sechs Millionen Ghettoisierung der jüdischen Bevölkerung Osteuropas vor, über den ist, diese allgemeine Verschickungsaktion gefördert hat.«29 Obwohl Raphael Lemkins Defi nition eines Genozids, wie dieser sie in seiner Juden geworden, sondern im Verlauf des IMT-Prozesses auch zum beabsichtigten Hungertod der Menschen in diesen Ghettos, über die er zuvor einen Deportationsbefehl von Eichmann zitiert hatte, erlag Studie Axis Rule in Occupied Europe von 1944 dargelegt hatte.32 Haupttäter des Holocaust. Zerstörung des Warschauer Ghettos, über Massenerschießungen im Faure damit nicht der Versuchung, eine einzige Person als Verant- Die britischen und französischen Ankläger benannten expli- Baltikum, in Weißrussland und der Ukraine, über die Benutzung von wortlichen hervorzuheben. Die Darstellung Faures ging schon sehr zit verschiedene staatliche und gesellschaftliche Gruppen als Ver- Gaswagen, die Deportation von holländischen Juden sowie die Mas- in die Richtung der frühen historischen Holocaust-Analysen von antwortliche der Massengewalt in den besetzten Gebieten.33 Die Problemkomplexe, die die Entstehung der kohärenten senermordung von Juden in den Vernichtungslagern Auschwitz und Léon Poliakov und Raul Hilberg, die beide auch vornehmlich mit amerikanische Anklagebehörde stellte eine andere Interpretation Interpretation begünstigten Treblinka.24 In seiner Schätzung der Gesamtzahl der jüdischen Opfer Nürnberger Dokumenten arbeiteten. vor. Jackson, der auf der einen Seite die Singularität des Holocaust folgte er schließlich der Aussage Wilhelm Hoettls, eines ehemaligen In den Schlussplädoyers der vier Anklagebehörden Ende Juli hervorhob, reduzierte auf der anderen Seite die Verantwortung für Einiges spricht dafür, dass es während des Verfahrens gegen die als Mitarbeiters des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA). Hoettl hatte 1946 hatten sich die zwei konträren Erklärungsansätze, die zum den Massenmord an den Juden auf eine Handvoll Personen: Neben verbrecherisch angeklagten Organisationen Anfang Januar 1946 zu in einer eidesstattlichen Erklärung angegeben, habe einen den Massenmord an den Juden unter »Kriegsverbrechen« an Hitler und den Einsatzgruppen nannte er explizit: »Adolf Eichmann, einer Verengung des Täterkreises kam. Nach Walshs Beweisführung ihm gesagt, dass vier Millionen Juden in Lagern und zwei Millionen Zivilisten subsumierten und zum anderen als »Verbrechen gegen die diese fi nstere Gestalt, die mit dem Ausrottungsprogramm beauftragt zum Anklagepunkt der »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« be- Juden durch Erschießungen ermordet worden seien.25 Menschlichkeit« als etwas Besonderes werteten, jeweils verfestigt. war«.34 gann die amerikanische Anklagebehörde mit der Beweisführung Der französische Hilfsankläger, Edgar Faure26, trug vor Ge- Der britische Hauptankläger Hartley Shawcross ordnete den Ho- Die Richter folgten in ihrem am 30. September und 1. Ok- gegen die Organisationen. Vor der Weihnachtspause ging sie auf die richt eine andere Verortung des Holocaust vor. Im letzten Abschnitt locaust in die Gesamtverbrechen des NS-Regimes ein, denen zwölf tober 1946 verkündeten Urteil stark Jacksons Interpretation. An SS ein, im neuen Jahr auf den SD und die Gestapo. Am 3. Januar der französischen Anklagerede zur »Planung der verbrecherischen Millionen Zivilisten zum Opfer gefallen seien, darunter sechs Mil- 1946 lud sie nacheinander zwei Zeugen in den Stand, deren Aussagen Handlungen« ging er auf die Verfolgung der Juden ein. Dabei be- lionen Juden.30 Dem seiner Meinung nach übergeordneten Ziel der die Verortung des Holocaust entscheidend beeinfl ussen sollten: Otto nannte er auch den Antisemitismus und betrachtete ihn als Teil der Nationalsozialisten, die eroberten Gebiete als neuen »Lebensraum« Ohlendorf und . Ihre Vorladungen dienten nicht NS-Rassentheorien. Die Funktion des Antisemitismus hatte nach mit Deutschen zu besiedeln und dafür die einheimische Bevölkerung 31 Ebd., S. 553–557 (Zitat S. 556 f.). der Tatsachenbeweisführung, dass ein Massenmord an den Juden 32 Auch die französische Anklagevertretung orientierte sich an Lemkins Konzept, seiner Interpretation in der »Täuschung und Irreführung« und der zu vertreiben und zu vernichten, ordnete Shawcross verschiedene siehe Auguste Champetier de Ribes am 29.7.1946, IMG, Bd. 19, S. 595; Dubost verübt worden war, sondern der Beweisführung der Tatbeteiligung Motivation zur Gewalt gelegen, um bestimmte politische Ziele zu »Methoden« der Gewalt und Unterdrückung zu: »Der Völkermord am 29.7.1946, ebd., S. 617. Siehe auch Raphael Lemkin, Axis Rule in Occupied der jeweils als verbrecherisch angeklagten Gestapo und des SD.38 erreichen.27 Und das waren in den Augen der französischen Ankla- beschränkte sich nicht auf die Ausrottung des jüdischen Volkes oder Europe. Laws of Occupation, Analysis of Government, Proposals for Redress, Telford Taylors Darstellung folgend galt Ohlendorfs Aussage in der Zigeuner. Er fand in verschiedenen Formen auch Anwendung in Washington, D.C. 1944, S. 79–95; auch Dan Stone, »Raphael Lemkin on the Ho- der Forschungsliteratur lange Zeit als eine Art Wendung, weil erst locaust«, in: Journal of Genocide Research, Jg. 7 (2005), S. 539–550; A. Dirk Jugoslawien, bei den nichtdeutschen Bewohnern von Elsass-Loth- Moses, »Lemkin, Culture, and the Concept of Genocide«, in: Donald Bloxham, durch diese Zeugenaussage vor Gericht die tatsächlichen Ausmaße ringen und bei den Völkern der Niederlande und von Norwegen. A. Dirk Moses (Hrsg.), The Oxford Handbook of Genocide Studies, Oxford 2010, des Holocaust erkannt worden seien. Taylor bezeichnete Ohlen- 21 Walsh am 13.12.1945, IMG, Bd. 3, S. 578. Siehe dazu auch Telford Taylor, Die Die Methode wechselte von Nation zu Nation, von Volk zu Volk. S. 19–41; Alexa Stiller, »Semantics of Extermination. The Use of the New Term dorfs Angaben über die 90.000 von den Einsatzkommandos der Nürnberger Prozesse. Hintergründe, Analysen und Erkenntnisse aus heutiger of Genocide in the and the Genesis of a Master Narrative«, in: Sicht, 3. Aufl ., München 1994, S. 243. Kim C. Priemel, Alexa Stiller (Hrsg.), Reassessing the Nuremberg Military Tribu- 22 Walsh am 14.12.1945, IMG, Bd. 3, S. 614 f., auch S. 639. nals. Transitional Justice, Trial Narratives, and Historiography, Oxford u.a. 23 Ebd., S. 630 f. 2012, S. 104–133. 24 Ebd., S. 589–597, 614–634. 8.2.1946, ebd., S. 172. 33 Siehe Shawcross am 26.7.1946, IMG, Bd. 19, S. 563; Dubost am 29.7.1946, 35 Urteil, IMG, Bd. 1, S. 298, 300, 305–307, 330. 25 Ebd., S. 634 f. Der Anwalt von Ernst Kaltenbrunner, Dr. Kurt Kauffmann, stellte 28 Siehe dazu insbes. Jaques B. Herzog am 18.1.1946, IMG, Bd. 5, S. 496 f.; Char- IMG, Bd. 19, S. 610. Insbes. die französischen Ankläger lehnten das juristische 36 Ebd., S. 280. daraufhin den Antrag, Hoettls eidesstattliche Erklärung nicht anzuerkennen, son- les Dubost am 29.1.1946, IMG, Bd. 6, S. 363, 366. Ausbeutung und Ausplünde- Konstrukt der »Verschwörung« ab, siehe ebd., S. 617, 630. 37 Ebd., S. 283, weitere Nennungen auf S. 280, 298. dern ihn als Zeugen vorzuladen, da er sich ohnehin im Nürnberger Gefängnis be- rung nannte auch die sowjetische Anklagebehörde als wichtigste Ziele des »Im- 34 Jackson am 26.7.1946, IMG, Bd. 19, S. 448. Die sowjetische Anklagevertretung, 38 Ohlendorf war von 1939 bis 1945 Leiter des Amtes III (SD-Inland) des RSHA fand. Das Gericht lehnte diesen Antrag jedoch ab. Siehe Kurt Kauffmann am perialismus« der »Hitleristen«, siehe Rudenko am 8.2.1946, IMG, Bd. 7, S. 174, die wie die US-amerikanische Anklagebehörde dem Rechtskonstrukt der »Ver- gewesen und hatte von Juni 1941 bis Juni 1942 die Einsatzgruppe D der Sicher- 14.12.1945, IMG, Bd. 3, S. 637 f. 180, 209. schwörung« folgte, fokussierte sich dagegen auf , siehe Rudenko heitspolizei und des SD geleitet, die in der südlichen Ukraine Massenerschießun- 26 Faure bekleidete in den 1950er bis 1970er Jahren verschiedene Ministerposten in 29 Faure am 5.2.1946, IMG, Bd. 7, S. 48 f. am 29.7.1946, IMG, Bd. 19, S. 687. Zur sowjetischen Anklagevertretung siehe gen durchgeführt hatte. Wisliceny hatte 1937 für einige Monate das »Judenrefe- Frankreich. 30 Shawcross am 26.7.1946, IMG, Bd. 19, S. 483. Zur Einordnung des Massenmor- auch Francine Hirsch, »The Soviets at Nuremberg: International Law, Propagan- rat« des SD geleitet; zwischen September 1940 und Oktober 1944 war er 27 Edgar Faure am 5.2.1946, IMG, Bd. 7, S. 32–34. Die Bedeutung der NS-Rassen- des an den Juden in die gesamten Kriegsverbrechen gegen Zivilisten und Verbre- da, and the Making of the Postwar Order«, in: American Historical Review, nacheinander »Beauftragter für jüdische Angelegenheiten« in der Slowakei, Grie- theorien hob auch die sowjetische Anklagevertretung hervor, siehe Rudenko am chen gegen die Menschlichkeit auch ebd., S. 521, 567 f. Jg. 113 (2008), H. 3, S. 701–730. chenland und Ungarn.

20 Einsicht Einsicht 14 Herbst 2015 21 Einsatzgruppe D ermordeten Juden als »sensationelle Enthüllungen«39 und des SD übertragen worden sei.44 Eichmann war in seinen Augen Organisation des Generalstabs und des Oberkommandos der Wehr- ihrem Schlussplädoyer im November 1948 spitzten die US-ameri- und schrieb: »Ich erinnere mich noch an das gelähmte Schweigen »verantwortlich« für die Umsetzung der »Endlösung«.45 macht (OKW) vorgezeichnet. Der deutsche Verteidiger Hans La- kanischen Ankläger diesen Vorwurf auf die beiden SS-Angeklagten im Zuschauerraum, das der kalten, unbeteiligten Aussage des SS- Diese beiden Zeugen hatten damit den Massenmord an den ternser, der später auch in anderen Prozessen Wehrmachtsgeneräle in diesem Verfahren, Walter Schellenberg und Gottlob Berger, zu.54 Offi ziers Otto Ohlendorf folgte […].«40 Juden – gleich ob in den Vernichtungslagern oder durch Massener- vertrat, versuchte von da an grundsätzlich, die Morde und Grausam- Dieses Verfahren, das als letzter Nürnberger Prozess im April 1949 Zu diesem Zeitpunkt hatten jedoch Jackson und vor allem schießungen und mobile Gaswagen – als »Führerbefehl« deklariert. keiten an Zivilisten den Einsatzgruppen und der SS zuzuschieben. endete, veränderte sich schließlich in seinem Verlauf von einem Walsh schon etliche Dokumente, die den Massenmord belegten, Ohlendorf hatte zusätzlich das Verteidigungsargument des Handels Und das gelang ihm auch zumeist. Prozess gegen das Auswärtige Amt hin zu einem SS-Prozess. So präsentiert. Die Zahl von sechs Millionen getöteten Juden war auf höheren Befehl prominent gemacht, womit etliche spätere Ange- erhielt auch der Angeklagte Berger die in diesem Prozess verhängte genannt worden. Und Film- und Fotomaterial über Grausamkeiten klagte versuchen sollten, die Schuld auf die übergeordneten Dienst- höchste Haftstrafe von 25 Jahren.55 in den Konzentrationslagern und bei der Räumung des Lemberger stellen und vorgesetzten Personen abzuwälzen. Die Verantwortung Ausblick auf die Entwicklungen in den NMT-Prozessen Das Aufzeigen der Strukturen der arbeitsteilig praktizierten Ghettos waren gezeigt worden. Wie kann es sein, dass Ohlendorfs gaben sie ausnahmslos toten bzw. angenommenen toten Personen: Verfolgungs- und Vernichtungspolitik des NS-Regimes verlor sich Auftritt schockierte? Aufschlussreich ist abermals Taylors Erinne- Hitler, Himmler, Heydrich, Streckenbach und Heinrich Müller sowie Im Urteil des OKW-Prozesses, das im Oktober 1948 verkündet wur- in den NMT-Verfahren schließlich im »institutionellen Ansatz«, der rung an den Moment: »Ohlendorf war zierlich und sah jung und Eichmann und (letztere als Ausführende respektive de, erklärten die amerikanischen Richter, dass ein Beweis für eine sich in der Ordnung der Verfahren nach Tätergruppen (Wehrmacht, ziemlich gut aus – niemand hätte weniger wie ein brutaler SS- in der Sprache der deutschen Verteidiger als »Werkzeuge«).46 Die generelle Zusammenarbeit zwischen der Wehrmacht und den Ein- Industrielle, Ministerialbürokratie und SS) anstelle von Verbrechens- Schlägertyp à la Kaltenbrunner wirken können. Er sprach leise, mit Angeklagten im IMT – außer Kaltenbrunner, der durch ihre Aussagen satzgruppen nicht erbracht worden sei.49 Ohnehin ging es im OKW- komplexen niederschlug. Unwillentlich hatten die Ankläger den großer Genauigkeit, Objektivität und offenkundiger Intelligenz. schwer belastet wurde47 – sprachen sie damit im Prinzip von der Prozess weniger um eine Tatbeteiligung als um eine »Kenntnis« von Angeklagten und der Herausbildung exkulpatorischer Narrative in Wie konnte er getan haben, was er nun so ruhig beschrieb?«41 Oh- Tatbeteiligung an der Massenermordung der Juden frei. der Ermordung der Juden.50 Das Ergebnis war schließlich, dass die die Hände gearbeitet.56 lendorf passte schlichtweg nicht in das Bild, das sich insbesondere In den Schlussplädoyers der Anklagebehörden zu den angeklag- Wehrmacht mit »sauberen Händen« aus den Nürnberger Prozessen die Amerikaner von der SS und den Tätern des Massenmordes ten Organisationen Ende August 1946 wurden alle zuvor geäußerten herausging.51 Das hing zwar nicht nur mit Otto Ohlendorfs Aussage gemacht hatten. differenzierten Erklärungsansätze über den Haufen geworfen und im IMT-Prozess zusammen, aber sie hatte einen Grundstein für diese Schluss Von Taylor in seinen Ausführungen zu den Nürnberger Pro- auch von der britischen Anklagevertretung die Täterschaft auf die Entwicklung gelegt. zessen von 1992 immer noch als großer Coup der amerikanischen vereinfachte Formel gebracht: »Die Vernichtung der Juden wurde Schließlich wirkten auch die Veränderungen der politischen Bereits vor Beginn des »Hauptkriegsverbrecherprozesses« gab es Anklagevertretung gewertet, war Ohlendorfs wie auch Wislicenys durch die SS ausgeführt.«48 Verhältnisse zwischen 1946 und 1948/1949 darauf ein. Der herauf- eine kohärente Interpretation des Holocaust, die im Zusammen- Ruf in den Zeugenstand zwar durchaus eine Wendung – jedoch mit Zweifellos waren die Aussagen von Ohlendorf und Wisliceny ziehende Kalte Krieg, die Entstehung zweier deutscher Staaten und hang mit dem neu geschaffenen Tatbestand der »Verbrechen gegen negativen Auswirkungen. wichtig für die Beweisführung gegen die Gestapo und den SD als die geplante Westbindung der westlichen Besatzungszonen – all die Menschlichkeit« entstanden war. Diese Deutung wurde zwar Ohlendorf gab zwar offen zu, dass von den Einsatzkommandos Organisationen – für eine Beweisführung, die zeigen wollte, dass diese Faktoren führten zu einem Schlussstrich-Drängen auf beiden sowohl im IMT-Prozess als auch in allen weiteren Verfahren vor der von ihm geleiteten Einsatzgruppe D zwischen Juni 1941 bis verschiedenen Gruppen im NS-Regime Verantwortung für die Ver- Seiten des Atlantiks.52 den NMT in Frage gestellt – vornehmlich mittels Lemkins Geno- Juni 1942 »etwa 90.000 als liquidiert gemeldet« worden waren.42 folgung und Vernichtung der Juden getragen hatten, wie – neben Nach dem Prozess gegen das Wirtschafts- und Verwaltungs- zidkonzept –, doch letzteres konnte sich aus bestimmten Gründen Sich selbst sah er dafür aber gar nicht in der Verantwortung. Denn der SS und Polizei – die Ministerialbürokratie, die Wehrmacht, die hauptamt der SS, in dem es um die Konzentrations- und Vernich- nicht etablieren.57 Schlussendlich erlangte folgende Interpretation der »Liquidationsbefehl«, wie er sich ausdrückte, sei über Bruno Industriellen und Wissenschaftler, waren sie jedoch kontraproduktiv. tungslager ging, und dem Einsatzgruppen-Prozess war endgültig die Deutungshoheit: 1. Der Massenmord an den Juden habe von Streckenbach von Heydrich und Himmler gekommen. Er habe nur Diese Entwicklung lässt sich jedoch auf eine Grundproblematik die Hauptverantwortung an der Verfolgung und Vernichtung der anderen Verbrechen getrennt stattgefunden, 2. die Organisation der die Einsatzkommandos vor Ort koordiniert. Die eigentliche Ver- des Prozesses und seiner Konzeption zurückführen, nämlich die Juden der SS zugesprochen. Auf diese Weise wurde die SS quasi SS sei hauptsächlich dafür verantwortlich gewesen und 3. dahinter antwortung für den Massenmord an den Juden schrieb er Hitler gleichzeitige Ahndung von individueller Schuld und Organisations- zum »Alibi« der Westdeutschen.53 habe vornehmlich Hitlers Antisemitismus und eine frühzeitig deter- und Himmler zu.43 Auch Wisliceny sagte im Zeugenstand aus, dass kriminalität einerseits und individueller Schuld und Verschwörung Im Wilhelmstraßen-Prozess, der im Januar 1948 begann, wurde minierte Vernichtungsabsicht gestanden. Eichmann ihm einen schriftlichen Geheimbefehl zur »Endlösung« andererseits. in der Anklageschrift noch allen 21 Angeklagten die Tatbeteiligung Dieser intentionalistische Erklärungsansatz entfaltete sich auf gezeigt habe, der von Himmler unterzeichnet gewesen sei und in Im an Ohlendorfs und Wislicenys Aussagen war an der Vernichtung der europäischen Juden zur Last gelegt, doch in dem Hintergrund der politischen Verhältnisse des Kalten Krieges. dem gestanden habe, dass Hitler die »Endlösung der Judenfrage« be- die Strategie der Verteidigung der als verbrecherisch angeklagten Als Narrativ sollte er in der Bundesrepublik Deutschland politisch fohlen habe und die Durchführung dem Chef der Sicherheitspolizei und gesellschaftlich bis in die späten 1960er Jahre äußerst wirkmäch- tig sein. Denn auf Grundlage dieses Narrativs konnten ehemalige 49 Trials of War Criminals Before the Nuernberg Military Tribunals Under Control Funktionsträger des NS-Regimes in die westdeutsche Gesellschaft 44 Wisliceny am 3.1.1946, IMG, Bd. 4, S. 397 f. Council Law No. 10, October 1946–April 1949 [im Folgenden abgekürzt: TWC], 45 Ebd., S. 395. So auch Karl Heinz Hoffmann am 1.8.1946, IMG, Bd. 20, S. 179 f., 15 Bde., Washington, D.C. 1949–53, hier Bd. 11, S. 547–549. integriert werden, solange sie nicht SS-Mitglieder gewesen waren. 39 Taylor, Die Nürnberger Prozesse – Hintergründe, S. 265. 185, 197 f. 50 Ebd., S. 462–697. Siehe dazu Stiller, »Semantics of Extermination«, S. 119. 40 Ebd., S. 17. 46 Siehe dazu das Schlussplädoyer des Verteidigers Rudolf Merkel für die Gestapo 51 Siehe Valerie Hébert, Hitler’s Generals on Trial. The Last War Crimes Tribunal 41 Ebd., S. 295. am 23.8.1946, IMG, Bd. 21, S. 567, 587–589. Auch Horst Pelckmann, der Vertei- at Nuremberg, Lawrence 2010. 42 Ohlendorf am 3.1.1946, IMG, Bd. 4, S. 353. diger der SS, führte den Massenmord auf einen »direkten Befehl Hitlers« zurück, 52 Siehe Frank M. Buscher, The U.S. War Crimes Trial Program in , 1946– 43 Ebd., S. 350 f., 372, 377, 391. Auch spätere SS-Mitarbeiter beriefen sich auf ei- siehe Pelckmann am 26.8.1946, IMG, Bd. 21, S. 677. Ebenso Hans Gawlik, der 1955, New York 1989, S. 34–42; Peter H. Maguire, Law and War. An American nen Befehl Hitlers zur Ermordung oder Deportation der Juden, siehe Werner Best Verteidiger des SD, am 27.8.1946, IMG, Bd. 22, S. 50 f. Story, New York 2001, S. 205. 54 Siehe dazu Stiller, »Semantics of Extermination«, S. 119 f. am 31.7.1946, IMG, Bd. 20, S. 151; Karl Heinz Hoffmann am 1.8.1946, IMG, 47 Siehe dazu Kaltenbrunners Stellungnahme zu Wislicenys Aussage am 11.4.1946, 53 Jan Erik Schulte, »The SS as the ›Alibi‹ of a Nation? Narrative Continuities from 55 Dirk Pöppmann, »Im Schatten Weizsäckers? Auswärtiges Amt und SS im Wil- Bd. 20, S. 183. Die Ermordung der Juden in den Lagern der »Aktion Reinhardt« IMG, Bd. 11, S. 308. Der Anwalt von Kaltenbrunner, Kurt Kauffmann, war es the Nuremberg Trials to the 1960s«, in: Priemel, Stiller (Hrsg.), Reassessing the helmstraßen-Prozess«, in: Priemel, Stiller (Hrsg.), NMT, S. 320–352. sei ebenfalls von Hitler befohlen worden, die Umsetzung habe Christian Wirth auch, der Rudolf Höß als Zeugen für seinen Mandanten aufrief. Siehe Höß am Nuremberg Military Tribunals, S. 134–160. Zum Einsatzgruppen-Prozess siehe 56 Siehe auch Priemel, Stiller, »Wo ›Nürnberg‹ liegt«, S. 57–61. oblegen, so Konrad Morgen am 7.8.1946, IMG, Bd. 20, S. 540, und am 8.8.1946, 15.4.1946, IMG, Bd. 11, S. 438–472. Hilary Earl, The Nuremberg SS-Einsatzgruppen Trial, 1945–1958. Atrocity, Law, 57 Zur Engführung der Defi nition des Genozid-Konzeptes durch die UN-Völker- ebd., S. 554. 48 Maxwell-Fyfe am 29.8.1946, IMG, Bd. 22, S. 261. and History, Cambridge 2009. mordkonvention siehe Stiller, »Semantics of Extermination«, S. 121–123.

22 Einsicht Einsicht 14 Herbst 2015 23 Jahrhundert nach Kriegsende platzte nun diese »Legende von der deutlich geändert. Niederlage und Besetzung, der aufbrechende sauberen Wehrmacht«, die Millionen Deutschen ein ruhiges Gewis- Systemkonfl ikt zwischen Ost und West, die Teilung Deutschlands sen vermittelt hatte. Seitdem gehört es zum historischen Grundwis- 1949, die Wiederbewaffnung und Integration in die NATO Mitte sen, dass deutsche Soldaten aufgrund völkerrechtswidriger Befehle der 1950er Jahre bildeten neue Sinnzusammenhänge, in denen die den Massenmord an Zivilisten, Besatzungsverbrechen sowie die »Primärerfahrungen« (Reinhart Koselleck) des Zweiten Weltkrieges Verbrechen der Wehrmacht Ermordung von Kriegsgefangenen mit zu verantworten hatten. Auch neu justiert wurden. Diese Rahmenbedingungen sollen zunächst wenn sich der Anteil der Beteiligten nicht mit einer exakten Prozent- schlaglichtartig beleuchtet werden, bevor die Wahrnehmung der Hitlers Soldaten zwischen Anklage und zahl beziffern lässt, die genaue Zahl der Opfer unbekannt bleibt und Wehrmacht ins Blickfeld gerät. über ihre Motive weiter gestritten wird: 60 Jahre nach Kriegsende Die deutsche Nachkriegsgesellschaft lässt sich nicht zuletzt als Verteidigung in der Besatzungszeit stand außer Frage, dass auch das deutsche Militär ein Instrument des eine Verlustgesellschaft verstehen. 5,3 Millionen Männer waren nationalsozialistischen Unrechtsregimes und seiner verbrecherischen im Krieg gefallen. Allein im Januar 1945 waren 450.000 deutsche Politik gewesen ist. Endlich hatte ein Aufklärungsprozess, wenn auch Soldaten ums Leben gekommen. Fast jede Familie hatte einen To- von Jörg Echternkamp spät, das Schweigen gebrochen und die Unkenntnis beseitigt, die in ten oder Vermissten zu beklagen. Von den mehr als 11 Millionen der Öffentlichkeit seit dem Ende des »letzten deutschen Krieges«4 deutschen Soldaten, die in Kriegsgefangenschaft geraten waren, herrschte – so scheint es. kehrten bis 1948 die meisten aus den Lagern in Nordamerika und Für Zündstoff in der öffentlichen Diskussion Eine Überraschung bereitet insofern der Blick in die Tageszei- Westeuropa zurück.6 Die »Heimkehrer« kündeten in der Nachkriegs- sorgte eine historische Wanderausstellung, tungen der unmittelbaren Nachkriegszeit. Ob im Berliner Tagesspie- gesellschaft ebenso vom Krieg wie die materiellen Zerstörungen, die vor zwanzig Jahren ihren Weg durch gel oder in der Süddeutschen Zeitung: Verbrechen der Wehrmacht die Flüchtlinge und Vertriebenen. Rund 12,5 Millionen Flüchtlinge die Kommunen startete und ihrerseits Ge- machten immer wieder Schlagzeilen in der »Lizenzpresse«, wie die und Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten kon- Jörg Echternkamp, Dr. phil. habil., schichte schrieb. »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht ersten, von den alliierten Besatzungsmächten zugelassenen Zeitun- kurrierten mit den evakuierten »Ausgebombten« und den zurück- geb. 1963, Privatdozent für Neuere 1941 bis 1944« lautete der provozierende Titel der Ausstellung des gen auch hießen. Tatsächlich fi el die Auseinandersetzung mit dem kehrenden Wehrmachtsoldaten um Lebensmittel und Wohnraum, und Neueste Geschichte an der Hamburger Instituts für Sozialforschung, die von 1995 bis 1999 und, Krieg und den Streitkräften, die ihn geführt hatten, differenzierter während wiederum Millionen Displaced Persons – zumeist befreite Martin-Luther-Universität Halle- in einer überarbeiteten Fassung, von 2001 bis 2004 auf Tour ging.1 aus, als das die Legendenbildung im Nachhinein vermuten lässt. Im Zwangsarbeiter, aber auch KZ-Überlebende – auf dem Weg in die Wittenberg und Projektbereichsleiter Drastische Fotos zeigten, wie Angehörige der Wehrmacht direkt oder historischen Moment des Übergangs von der Kriegs- zur Nachkriegs- Heimat waren oder zwangsrepatriiert wurden.7 am Zentrum für Militärgeschichte und indirekt an Kriegsverbrechen beteiligt waren. Insbesondere in Ost- gesellschaft geriet der Krieg in die öffentliche Kritik.5 Die Neuordnung der Gesellschaft im Hinblick auf die Ein- Sozialwissenschaften der . und Südosteuropa hatten Hitlers Soldaten einen »Vernichtungskrieg« stellung gegenüber Krieg und Militär wurde durch die Umerzie- 2012/13 Inhaber der Alfred-Grosser- geführt, so lautete die Aussage.2 hungspolitik der Alliierten vorangetrieben. Hatte das NS-Regime Gastprofessur am Institut d’Études Zwar waren die Verbrechen der Wehrmacht den Experten seit Nach der Niederlage: Bedingungen der Neuorientierung die veröffentlichte Meinung weitestgehend im Griff, sorgten die Politiques in Paris, Gastprofessor in langem bekannt, und mit einem Griff ins Bücherregal hätte sich westlichen Alliierten für ein Forum nach westlichem Vorbild. In Calgary/Kanada, Gastwissenschaftler jeder Interessierte seit den 1970er Jahren über die Zusammenhänge Wie einzelne Deutsche über den verlorenen Zweiten Weltkrieg und den Printmedien und im Rundfunk wurden Nachrichten verbreitet, am University College London, an von Wehrmacht, Kriegführung und Nationalsozialismus informieren die Wehrmacht urteilten, hing nicht nur von ihrer Einstellung zum Meinungen ausgetauscht und Standpunkte verhandelt. Der Vorrei- den Deutschen Historischen Instituten können. Doch offenbar hatte sich in der breiten Öffentlichkeit die Nationalsozialismus ab, sondern auch von den persönlichen Ge- ter in der amerikanischen Zone war die seit dem 1. August 1945 Paris und London, Lehraufträge an Vorstellung festgesetzt, dass die mehr als 17 Millionen Soldaten, walterfahrungen, die sie zwischen 1939 und 1945 gemacht hatten, erscheinende . Es folgten Der Tagesspiegel der Université Paris 1 Panthéon- die zwischen 1939 und 1945 zur Wehrmacht eingezogen worden und von den konkreten Bedingungen, unter denen die Wehrmacht (27. September 1945) und die Süddeutsche Zeitung (6. Oktober Sorbonne, der FU und HU Berlin waren, einen »normalen« Krieg nach den Regeln des Kriegsvöl- und der Krieg thematisiert wurden. Mit dem Ende des Krieges in 1945); die Neue Zeitung erschien ab dem 18. Oktober 1945. Zwar sowie der Universität Potsdam. kerrechts geführt hätten. Für Kriegsverbrechen, vor allem für den Europa am 8. Mai 1945 und dem Beginn der alliierten Besatzungs- war die Pressefreiheit auch in den westlichen Zonen insofern be- Veröffentlichungen (Auswahl): Solda- Völkermord an den europäischen Juden seien andere verantwortlich herrschaft in Deutschland hatten sich diese Rahmenbedingungen grenzt, als die Artikel demokratische Wertvorstellungen vermitteln ten im Nachkrieg. Historische Deu- gewesen, namentlich die SS. Die Soldaten hätten schließlich nicht sollten. Gleichwohl schufen die Medien die wesentlichen Voraus- tungskonfl ikte und westdeutsche De- für Hitler, sondern für ihr Vaterland gekämpft, hieß es.3 Ein halbes mokratisierung 1945–1955, München 2014; Die Bundesrepublik Deutsch- 4 Rolf-Dieter Müller, Der letzte deutsche Krieg 1939–1945, Stuttgart 2005. Vgl. land 1945/49–1969, Paderborn 2013; zur prägenden Phase des Kriegsendes Ian Kershaw, Das Ende. Kampf bis in den Die 101 wichtigsten Fragen: Der 1 Die zweite Ausstellung mit dem Titel »Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen Untergang – NS-Deutschland 1944/45, München 2011; Sven Keller, Volksge- 6 Vgl. Annette Kaminsky, Heimkehr 1948. Geschichte und Schicksale deutscher des Vernichtungskrieges 1941–1944« korrigierte Fehler und setzte andere meinschaft am Ende. Gesellschaft und Gewalt 1944/45, München 2013. Vgl. Kriegsgefangener, München 1998; Svenja Goltermann, Die Gesellschaft der Zweite Weltkrieg, München 2010; Schwerpunkte, unterstrich jedoch die Kernaussage der militärischen Beteiligung auch Einsicht 13. Bulletin des Fritz Bauer Instituts, »Endphasenverbrechen und Überlebenden. Deutsche Kriegsheimkehrer und ihre Gewalterfahrungen im Zwei- (Hrsg.), Die deutsche Kriegsgesell- an Kriegsverbrechen. Vgl. Christian Hartmann, Johannes Hürter, Ulrike Jureit frühe Strafverfolgung«, ULR: www.fritz-bauer-institut.de/fi leadmin/user_upload/ ten Weltkrieg, 2. Aufl ., München 2009. schaft 1939–1945, 2 Bde., München (Hrsg.), Verbrechen der Wehrmacht. Bilanz einer Debatte, München 2005. uploadsFBI/einsicht/Einsicht-13.pdf. 7 Jörg Echternkamp, »Im Schlagschatten des Krieges. Von den Folgen militärischer 2004/05; Der Aufstieg des deutschen 2 Hamburger Institut für Sozialforschung (Hrsg.), Verbrechen der Wehrmacht. Dimen- 5 Für eine ausführliche Darstellung des Folgenden siehe Kapitel II meines Bandes Gewalt und nationalsozialistischer Herrschaft in der frühen Nachkriegszeit«, in: sionen des Vernichtungskrieges 1941–1944, Ausstellungskatalog, Hamburg 2002. Soldaten im Nachkrieg. Historische Deutungskonfl ikte und westdeutsche Demo- Rolf-Dieter Müller (Hrsg.), Der Zusammenbruch des Deutschen Reiches 1945: Nationalismus 1770–1840, Frankfurt 3 Vgl. Detlef Bald, Johannes Klotz, , Mythos Wehrmacht. Nach- kratisierung 1945–1955, München 2014, bes. S. 89–180, auf dem der Beitrag be- Die Folgen des Zweiten Weltkriegs, München 2008 (= Das Deutsche Reich und am Main 1998. kriegsdebatten und Traditionspfl ege, Berlin 2001. ruht; dort auch weiterführende Literaturhinweise. der Zweite Weltkrieg, Bd. 10/2), S. 657–697.

24 Einsicht Einsicht 14 Herbst 2015 25 setzungen für die Selbstverständigung der neuen westdeutschen bis 2. August 1945. Dieser Konsens fi el nicht schwer, denn was das Gesellschaft.8 Dazu gehörte die Einstellung gegenüber dem Militär. konkret bedeutete, konnte je nach Lesart unterschiedlich defi niert Bereits während des Krieges hatten amerikanische Offi ziere werden. Außer Frage stand auch die Absicht, Nationalsozialismus deutsche Soldaten mit einer anderen Sicht des Krieges und der und Militarismus zu beseitigen. Das zeigte die Entmilitarisierungsge- Wehrmacht konfrontiert. In der Gefangenschaft wurden das tra- setzgebung des Alliierten Kontrollrats 1945/46.11 Die Proklamation dierte Selbstverständnis und die nationalsozialistische Deutung des Nr. 2 fasste die in Potsdam gefassten Beschlüsse über die Aufl ösung Weltkriegs erstmals »offi ziell« in Frage gestellt. Denn die Alliierten aller deutschen militärischen und paramilitärischen Institutionen nutzten die massenhafte Anwesenheit deutscher Soldaten in ihrem oder Organisationen zusammen. Dazu gehörten alle, die sich der Land nicht nur zu nachrichtendienstlichen Zwecken, sondern auch Pfl ege militärischer Traditionen widmeten. Militärische Übungen, für erste Schritte auf dem Weg der »Umerziehung« (Reeducation).9 Propaganda und ähnliche Tätigkeiten wurden verboten, selbst bei Zahlreiche Kriegsgefangene, die in den ersten zwei, drei Nachkriegs- grundsätzlich zivil orientierten Gruppen. Die Schifffahrt wurde von jahren in ihre Heimat zurückkehrten, waren durch ihren Zwangs- alliierten Genehmigungen abhängig gemacht; Flugzeuge durften aufenthalt in Nordamerika auf den Wertewandel in eigener Sache nicht mehr gebaut werden.12 Die Meinungsverschiedenheiten zwi- vorbereitet, der sie in den westlichen Besatzungszonen erwartete. schen den Alliierten beeinträchtigten die gemeinsame Entmilitari- Kriegstreiberei schien den Alliierten ein Grundzug der deut- sierungspolitik nicht. Das Besatzungsstatut sicherte der Alliierten schen Kultur.10 Das Bild der Deutschen, das in der internationalen Hohen Kommission Befugnisse im Bereich der »Abrüstung und Öffentlichkeit und der politisch-historischen Publizistik auch die Entmilitarisierung, einschließlich der damit zusammenhängenden Wahrnehmung des laufenden Kampfes gegen Hitler-Deutschland Gebiete der wissenschaftlichen Forschung« zu.13 prägte, verlängerte deren Aggressionsbereitschaft weit zurück in Entmilitarisierung war in hohem Maße Symbolpolitik. Alles, die Vergangenheit. Der »preußische Militarismus« wurde als ein was den Weltkrieg und die Wehrmacht in der Öffentlichkeit positiv historisch-kulturelles Problem defi niert, als eine über Generationen darstellte, sollte aus dem Straßenbild verschwinden. Mit seinem Be- anerzogene Eigenschaft. Bereits im Herbst 1943 hatten sich die fehl Nr. 1 untersagte der Kontrollrat am 30. August 1945 den Deut- drei Alliierten darauf geeinigt, dass Deutschland als eine militäri- schen, »militärische Uniformen in ihrer jetzigen Farbe sowie irgend- sche Macht defi nitiv ausgeschaltet, das hieß: die deutsche Armee welche militärischen Rangabzeichen, Orden oder andere Abzeichen vollständig aufgelöst werden sollte. Darüber hinaus setzte die Be- zu tragen«. Das Verbot zielte auf einen wesentlichen Symbolbereich satzungspolitik auf die psychologische Abrüstung. Das Ziel, den des Militärischen. Die Uniform erinnerte an die militarisierte Volks- Militarismus für alle Zeiten durch eine radikale »Entmilitarisierung« gemeinschaft des »Dritten Reiches«, in der Uniformen aller Art das auszurotten, war die logische Konsequenz der Kriegführung und Straßenbild geprägt, Zugehörigkeit, Loyalität, Disziplin und nicht (späteren) Besatzungspolitik der Anti-Hitler-Koalition. zuletzt gesellschaftliche Bedeutung und den (militärischen) Rang des Uniformträgers signalisiert hatten. Nichts unterstrich nach innen wie nach außen die Mobilisierung der Volksgemeinschaft mehr als die Blick in den Verhandlungssaal des Nürnberger Haupt- »Entmilitarisierung« – ein Ziel der Besatzungspolitik uniformierte Masse im Gleichschritt. Entgegen ersten Plänen insbe- kriegsverbrecher-Prozesses (20.11.1945–1.10.1946). sondere der Franzosen, die Wehrmachtuniform ganz zu verbieten, Auf der Anklagebank in der 1. Reihe (von links): Hermann Göring (rechte Hand vor der Stirn), Rudolf Gemeinsam ein »demokratisches« und »friedliebendes« Deutsch- untersagte der Alliierte Kontrollrat Ende August 1945 schließlich Heß, Joachim von Ribbentrop, Wilhelm Keitel, land zu schaffen – darauf einigten sich die USA, Großbritannien das Tragen von militärischen und paramilitärischen Uniformen in Ernst Kaltenbrunner, Alfred Rosenberg, , und die Sowjetunion auf der Potsdamer Konferenz vom 17. Juli ihrer ursprünglichen Farbe sowie von Orden und Abzeichen ab dem Wilhelm Frick, Julius Streicher, Walter Funk, 1. Dezember 1945. Diese Kleiderordnung wurde im September 1949, Hjalmar Schacht. In der 2. Reihe (von links): Karl Dönitz, Erich Raeder, als die Diskussion über die Wiederbewaffnung Fahrt aufnahm, durch Baldur von Schirach, Fritz Sauckel, , die Alliierten Hochkommissare bekräftigt; bei einem Regelverstoß Franz von Papen, Arthur Seyß-Inquart, Albert 8 Vgl. Christina von Hodenberg, Konsens und Krise. Eine Geschichte der west- Speer, Konstantin von Neurath, Hans Fritsche. deutschen Medienöffentlichkeit 1945–1973, Göttingen 2006. drohten bis zu fünf Jahre Haft. Um die wertvollen Textilien nutzen zu Foto: Süddeutsche Zeitung Photo 9 Sönke Neitzel, Abgehört. Deutsche Generäle in britischer Kriegsgefangenschaft 1942–1945, Berlin 2005. Vgl. zur Reeducation auch Ulrike Weckel, Beschämen- Im Juni 1946 kehrt dieser Deutsche aus der Kriegsge- de Bilder. Deutsche Reaktionen auf alliierte Dokumentarfi lme über befreite Kon- fangenschaft in Jugoslawien zu seiner Familie zurück. zentrationslager, Stuttgart 2012, insb. Kap. III »Deutsche Kriegsgefangene: Ge- 11 Vgl. bereits Gerhard Wettig, Entmilitarisierung und Wiederbewaffnung in Foto: Deutsches Historisches Museum; Schirn meinsam Zwangsaufgeklärte«, S. 247–327. Deutschland 1943–1955. Internationale Auseinandersetzungen um die Rolle der 15546/24, Urheber: Pressebild-Verlag Schirner 10 Vgl. Kathleen J. Nawyn, »Striking at the Roots of German Militarism«. Efforts to Deutschen in Europa, München 1967, S. 102–106. Demilitarize German and Culture in American-Occupied Württemberg- 12 FRUS, Conference of Berlin 1945, Vol. I, 605, II, 1008–1023, zit. nach Wettig, Baden, 1945–1949, Diss., Chapel Hill 2008, S. 37–84 bzw. 85–118. Vgl. auch Entmilitarisierung, S. 103. Hew Strachan, »Die Vorstellungen der Anglo-Amerikaner von der Wehrmacht«, 13 Besatzungsstatut zur Abgrenzung der Befugnisse und Verantwortlichkeiten zwi- in: Rolf-Dieter Müller, Hans-Erich Volkmann (Hrsg.), Die Wehrmacht. Mythos schen der zukünftigen deutschen Regierung und der Alliierten Kontrollbehörde und Realität, München 1999, S. 92–104. vom 10. Mai 1949.

26 Einsicht Einsicht 14 Herbst 2015 27 können, färbten viele die feldgrauen Uniformen oder Uniformreste bewahrte zahlreiche Kriegerdenkmäler des Ersten Weltkriegs vor der Oberbefehlshaber der Reichs-/Kriegsmarine bis 1943, Erich massenhaft zu Tode kamen.22 Der Wehrmachtoffi zier als Zuschauer um. »It’s dye or die«, notierte ein britischer angesichts der Zerstörung, wenngleich sie mehr oder weniger ausdrücklich an Raeder, sowie sein Nachfolger, Karl Dönitz, den Hitler zum Staats- oder gar Urheber eines Verbrechens – diese Darstellung passte nicht der Menschenschlangen vor den Färbereien.14 Allerdings ließ auch die Überwindung des Versailler Vertrages erinnerten oder die Hoff- oberhaupt gemacht hatte. Die NS-Granden auf der Anklagebank: zu dem Ideal eines Kriegers aus dem noch im Frühjahr 1945 be- die (wie man heute sagen würde) »umgenutzte« Uniform noch an nung auf ein militärisches Wiedererstarken der deutschen Nation Das bot Stoff für ein Medienspektakel ersten Ranges. Zahlreiche schworenen »Heldenvolk der Deutschen«.23 Insbesondere durch die die Wehrmacht denken – so wie etwa der zum Kochtopf umfunkti- zum Ausdruck brachten.15 Die Direktive wurde am 5. Mai 1955 per Journalisten berichteten im Rahmen der Aufklärungsbemühungen Aussagen des Befehlshabers der Einsatzgruppe D, Otto Ohlendorf, onierte Stahlhelm. Gesetz der Hohen Alliierten Kommission aufgehoben. der Alliierten ausführlich über das verbrecherische Treiben während erfuhr die breite Nachkriegsöffentlichkeit von der Kooperation der Für Kriegerdenkmäler traf das erst recht zu. Problematischer des Krieges, nicht zuletzt über die Verbrechen der Wehrmacht. Die Wehrmacht mit den Einsatzgruppen. als das Verbannen feldgrauer Uniformen, Orden und paradierender deutschen Reporter blieben freilich in der Minderzahl.18 Durch ihre Nicht nur das Verbrechen im Krieg wurde schließlich themati- Soldaten aus dem öffentlichen Raum war der Umgang mit Objekten, Justizielle Aufarbeitung: Die Wehrmachtführung Prozessberichterstattung, in der Zeugenaussagen und Verhöraus- siert, sondern auch der Krieg als Verbrechen. Ein Jahr zuvor noch deren Zweck in der Erinnerung an den Krieg und die Gefallenen vor dem Internationalen Militärgerichtshof schnitte wörtlich oder paraphrasiert wiedergegeben wurden, kon- zum »Schicksalskampf« des deutschen Volkes überhöht, wurde er lag. Die Kontrollrats-Direktive Nr. 30 vom 13. Mai 1946 sah vor, frontierten die Lizenzzeitungen die Öffentlichkeit mit anschaulichen vor dem IMT als Angriffskrieg demaskiert. Insgeheim hatte die deut- »deutsche Denkmäler und Museen militärischen und nationalso- Entmilitarisierungspolitik war aber nicht nur Symbolpolitik. Zur Beschreibungen der Rolle der Wehrmacht, ihrer Führung und ihrer sche Generalität die Wiederaufrüstung betrieben und so den Krieg zialistischen Charakters« zu verbieten. Ab sofort waren untersagt: Umerziehung der »Militaristen« gehörten vielmehr die justizielle Soldaten.19 Mit den Propagandabildern des Nationalsozialismus gezielt vorbereitet, hieß es nun. Immer wieder lieferte die Presse »die Planung, der Entwurf, die Errichtung, die Aufstellung und der Aufarbeitung des Krieges und die Verurteilung der militärischen hatte das nichts mehr zu tun. Vielmehr bestätigte sich, was viele eindeutige Schlagzeilen: »Befohlene Barbarei«24, »Verseucht, ver- Anschlag oder die sonstige Zurschaustellung von Gedenksteinen, Elite in den ersten Nachkriegsjahren.16 Das Londoner Viermächte- gerüchteweise, etwa durch Soldaten auf Heimaturlaub, über den brannt, gefroren«25, »Verbrecherische Seekriegsführung«26, »Hinter Denkmälern, Plakaten, Statuen, Bauwerken, Straßen- oder Land- Abkommen der Alliierten von August 1945 sah vor, durch ein Spe- östlichen Kriegsschauplatz gehört hatten. Während des Nürnberger den Panzern die Räuber«27. So rief die Wehrmacht nach ihrer Auf- straßenschildern, Wahrzeichen, Gedenktafeln oder Abzeichen, die zialgericht und auf der Grundlage eines besonderen Gesetzes die Prozesses lasen die Deutschen vom Angriffskrieg auf die Sow- lösung ein doppeltes Entsetzen über das hervor, was die NS-Presse darauf abzielen, die deutsche militärische Tradition zu bewahren Funktionselite des NS-Regimes strafrechtlich zu belangen. Es ging jetunion, von der planmäßigen wirtschaftlichen Ausbeutung vor verschwiegen oder verzerrt dargestellt hatte. Ende 1945 wurde die und lebendig zu erhalten, den Militarismus wachzurufen oder die um jene »Hauptkriegsverbrecher […], für deren Verbrechen ein allem der besetzten Gebiete in Osteuropa und den katastrophalen Wehrmacht in einer Zwischenbilanz der Aufklärung über die Ver- Erinnerung an die nationalsozialistische Partei aufrechtzuerhalten, geographisch bestimmter Tatort nicht gegeben ist.«17 Dazu bedurfte Auswirkungen auf deren Wirtschaft. Das Bild verdunkelte sich brechen im NS-Regime eingeordnet, die mit den Enthüllungen über oder ihrem Wesen nach in der Verherrlichung von kriegerischen Er- es der Fiktion, dass das Gefl echt zwischenstaatlicher Vereinbarungen weiter durch die Feststellung, dass nicht der Bedarf an militärisch die Konzentrationslager in Bergen-Belsen und Dachau und die Rolle eignissen bestehen.« Sämtliche bestehenden Gedenksteine etc. waren über Krieg und Frieden den Charakter eines Strafgesetzes besaß, notwendigen Waren, sondern die Gier nach Luxusgütern zu orga- der SS begonnen hatte: »Und nun Nürnberg. Die Wehrmacht wird bis zum 1. Januar 1947 vollständig zu zerstören und zu beseitigen. gegen das zu verstoßen mithin eine Straftat darstellte. Das »Völker- nisierten Plünderungen geführt habe.20 Im letzten Kriegsjahr waren unter voller Beleuchtung sichtbar.«28 Denkmäler aus der Zeit vor dem 1. August 1914, dem Beginn des recht« diente als Ersatznorm, die das zuvor kraft Regelungskompe- Wehrmachtangehörige sogar für die NS-Propaganda tätig gewesen, Ins Rampenlicht geriet vor allem die Wehrmachtführung als Ersten Weltkriegs, waren indes von der Säuberung ausgeschlossen. tenz gesetzte nationale Recht erst zu Unrecht werden ließ und Tat- erfuhren die Zeitungsleser. Reaktion auf die Berichte über die Kriegsverbrecherprozesse. Ging Die Direktive defi nierte Militarismus dazu folgendermaßen: »Die bestände schuf, die geahndet werden konnten, ja mussten, obgleich Nachzulesen war vor allem, dass die Wehrmacht auf unterschied- es in den Prozessberichten um die Beteiligung der Wehrmacht an Ausdrücke ›militärisch‹ und ›Militarismus‹ sowie der Ausdruck sie zur Tatzeit nicht gegolten hatten. Das »Völkerstrafrecht«, das liche Weise Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Mensch- Kriegsverbrechen insbesondere außerhalb der (alten) Reichsgrenzen, ›kriegerische Ereignisse‹ im Sinne dieser Direktive beziehen sich im Kriegsministerium unter Henry Stimson entworfen wurde, sah lichkeit verübte. Und nicht nur die Wehrmachtführung wusste von besaß der Vorwurf der Kriegsverlängerung eine breitere erfahrungs- auf Kriegshandlungen nach dem 1. August 1914 zu Lande, zu Wasser folgende Delikte vor: Verbrechen gegen den Frieden, Verbrechen diesen Verbrechen gegen die Menschlichkeit; zahlreiche Soldaten geschichtliche Dimension. Den Generälen wurde vorgehalten, die oder in der Luft und auf Personen, Organisationen und Einrichtun- gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges sowie Verbrechen leisteten etwa logistische Unterstützung bei Massenerschießungen Durchhalteparolen der NS-Propaganda in den letzten Kriegsmonaten gen, die mit diesen Handlungen in unmittelbarem Zusammenhange gegen die Menschlichkeit. durch die Einsatzgruppen. Die Wehrmacht, las man weiter, profi tierte bereitwillig übernommen und ihnen durch entsprechende Befehle stehen.« Vor dem Internationalen Militärgerichtshof (IMT) in Nürnberg von Zwangsrekrutierungen und half dem NS-Regime, Personen aus Geltung verliehen zu haben. Die verantwortlichen Kommandeure Unversehrt durften zudem Gegenstände bleiben, wenn sie »von fand vom 20. November 1945 bis zum 1. Oktober 1946 der Prozess politischen oder rassischen Gründen in »Schutzhaft« zu nehmen oder »brachten nicht den Mut auf«, zu kapitulieren und die Naziherrschaft wesentlichem Nutzen für die Allgemeinheit oder von großem ar- gegen die Hauptkriegsverbrecher statt. Darunter befanden sich der die Familien von Widerstandskämpfern zu internieren, ihr Vermö- »abzuschütteln«, obwohl ihnen die ausweglose Lage klar gewe- chitektonischen Wert« waren oder wenn der Zweck der Direktive Chef des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW), Wilhelm Kei- gen zu beschlagnahmen und sie in bombengefährdete Gebiete oder sen sei, hieß es etwa in der Neuen Zeitung.29 Im Rückblick auf die dadurch zu erreichen war, dass durch die »Entfernung der zu bean- tel, der Chef des Wehrmachtführungsstabes im OKW, Alfred Jodl, nach Deutschland zu verschleppen.21 Einzelne Verbrechen wurden Vorweihnachtszeit 1944 zeigte sich die damit zusammenhängende standenden Teile oder durch anderweitige Maßnahmen der Charakter in aller Deutlichkeit beschrieben; detailliert und mit drastischen Desinformationspolitik des OKW. Meldungen von der Front, die einer Gedenkstätte wirksam ausgemerzt« werden konnte. Ausge- Worten schilderten die Journalisten etwa die Verhältnisse in den nommen blieben ferner Einzelgrabsteine und Gedenksteine, die ein- deutschen Kriegsgefangenenlagern, in denen sowjetische Gefangene 15 Vgl. Kathleen J. Nawyn, »Ausrottung des ›Kämpferischen Geistes‹! Zur Beseiti- zig dem Gedenken an die Gefallenen regulärer Truppen dienten – mit gung militaristischer Denkmäler im amerikanisch besetzten Württemberg-Baden, Ausnahme also der paramilitärischen Verbände der SS und Waffen- 1945–1947«, in: Tanja Thomas, Fabian Virchow (Hrsg.), Banal Militarism. Zur 22 Süddeutsche Zeitung, 9.11.1945, S. 1 f. SS – und die durch ihre Architektur, ihre Ausschmückung und ihre Veralltäglichung des Militärischen im Zivilen, Bielefeld 2006, S. 129–147. 23 So noch wenige Wochen vor der Kapitulation Generalfeldmarschall Walter Mo- Inschriften weder eine militaristische Haltung förderten noch an die 16 Gerd R. Ueberschär (Hrsg.), Der Nationalsozialismus vor Gericht. Die alliierten del in einem Tagesbefehl an Soldaten im Rheinland; vgl. Front und Heimat, Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 1943–1952, Frankfurt am Main 18 Zu den Augenzeugenberichten vgl. die Anthologie von Steffen Radlmaier, Der Nr. 81 (Februar 1945), S. 1 f. NSDAP erinnerten. Gedenk- und Grabsteine durften so verändert 1999. Zu den Nachfolgeprozessen vgl. Kim C. Priemel, Alexa Stiller (Hrsg.), Nürnberger Lernprozess. Von Kriegsverbrechern und Starreportern, Frankfurt am 24 Der Tagesspiegel, 20.10.1945, S. 1. werden, dass die »anstößige(n) Merkmale« beseitigt wurden. Das NMT. Die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Main 2001. 25 »Verseucht, verbrannt, gefroren – Serien-Experimente der Wehrmacht und SS«, Rechtschöpfung, Hamburg 2013. 19 Vgl. Jörg Echternkamp, »Wut auf die Wehrmacht? Vom Bild der deutschen Sol- in: Der Tagesspiegel, 21.11.1945, S. 3 (Beilage). 17 Vgl. die deutsche Fassung des Londoner Viermächte-Abkommens vom 8. August daten in der unmittelbaren Nachkriegszeit«, in: Müller, Volkmann (Hrsg.), Die 26 Süddeutsche Zeitung, 18.1.1946, S. 1. 1945, wie sie den Verteidigern zur Verfügung stand, im Anhang bei Telford Tay- Wehrmacht, S. 1058–1080. 27 Der Tagesspiegel, 11.12.1945, S. 1. lor, Die Nürnberger Prozesse. Hintergründe, Analysen und Erkenntnisse aus heu- 20 Süddeutsche Zeitung, 29.1.1946, S. 2. 28 Leo Menter, »Das Schießgewehr«, in: Der Tagesspiegel, 27.12.1945, S. 3. 14 Wettig, Entmilitarisierung, S. 106. tiger Sicht, München 1996, S. 742–744, hier S. 742. 21 Ebd. 29 Neue Zeitung, Jg. 1, Nr. 6 (4.11.1945), S. 1.

28 Einsicht Einsicht 14 Herbst 2015 29 gezeigt hätten, dass der »heldenhafte Widerstand« zusammenbrach, Manstein, Generaloberst Franz Halder, sowie die Generale Walter untergegangen war, antifaktisch als eine quasi exemte Institution Besatzungszone wenig Zweifel. Dazu kamen der moralische Vorwurf wurden »vor dem Volke eifrig verheimlicht«.30 Darüber hinaus ent- Warlimont und Siegfried Westphal, »dass das Heer gegen Partei und des »Dritten Reiches«. des Opportunismus und die durch den Vergleich mit 1917/18 scharf zündete sich die Empörung an der Bereitschaft, die schlecht ausge- SS eingestellt gewesen sei, nahezu alle wichtigen Entscheidungen Die exkulpatorische Funktion des in der unmittelbaren Nach- konturierte Kritik an der Kriegsverlängerung. Doch der Blick zurück rüsteten, auch aus jungen Wehrpfl ichtigen und Kranken bestehenden Hitlers mißbilligt und gegen Kriegsverbrechen opponiert hatte.«36 kriegszeit vor dem Hintergrund des antikommunistischen Bedro- im Zorn auf die Wehrmacht blieb nicht ohne Widerspruch. Schon »Volksgrenadierdivisionen«31 und schließlich den »Volkssturm« als Aus Sicht der Generalität führte die politische Säuberung der Alliier- hungsszenarios entwickelten Arguments erstreckte sich immer mehr zu einem frühen Zeitpunkt zeichneten sich Entlastungsstrategien ab, letztes Aufgebot in den sogenannten Endkampf zu schicken und ten vor allem dort, wo sie auf den besonderen Bereich des Militäri- auf die gesamte soziale Gruppe der ehemaligen Soldaten. Am Ende die vor allem durch den Mythos des Soldatischen und die Betonung dadurch den auch militärisch sinnlosen Tod deutscher Soldaten in schen übertragen wurde, in Wirklichkeit zu einer Beschmutzung (der mutierten Täter zu Mitläufern, schließlich zu Opfern. Von Anfang an von Sekundärtugenden des Kriegers, die die Anerkennung seiner Kauf zu nehmen. Verherrlichte die NS-Presse noch im Februar 1945 »Ehre«), die ein intensives »Reinwaschen« erforderlich zu machen ging es darum, das Militär von möglichem moralischem Ballast zu Leistung ermöglichte, darauf zielten, die Kriegführung aus ihrem die »Helden der Hitlerjugend«32, wurde das »Heer der Verzweifl ung« schien. Das lag im Übrigen ganz auf der Linie der knapp eineinhalb befreien, es für die Nachkriegsjahre disponibel zu halten und seiner politisch-ideologischen Zusammenhang zu zerren, das Handeln der nun als eine militärische Farce entlarvt, die primär der Disziplinie- Jahre zurückliegenden Selbstdeutung, die Großadmiral Karl Dönitz Elite die gesellschaftliche Akzeptanz über den Systemwechsel hin- Wehrmacht mit dem Gewand des Gewöhnlichen zu bedecken und rung nach innen dienen sollte, und als der letzte Beweis dafür, dass als ihr oberster Befehlshaber im letzten Wehrmachtbericht vom weg zu sichern. Allerdings wäre es ein Missverständnis, würde man die konkrete, persönliche Verantwortung im Nebel der Vergangenheit die deutschen »Kriegsherren« längst »zu Befehlsempfängern degra- 9. Mai 1945 propagiert hatte, als er den Kampf der Wehrmacht als hier einen grundsätzlichen Widerspruch zur Entmilitarisierungspolitik aufzulösen. diert« worden waren. Die Kommandeure wurden als Handlanger für »heldenhaft« und »ehrenvoll« lobte.37 Wenn die Veteranen in den sehen, richtete sich diese doch im Kern gegen eine kriegstreiberische Verbrechen der Wehrmacht? Über die Verantwortung im Ver- schuldig erklärt.33 Der Vorwurf an die Wehrmachtführung, sich für 1950er Jahren auf die Wiederherstellung ihrer soldatischen »Ehre« »militaristische« Wehrmacht, nicht prinzipiell gegen die Existenz nichtungskrieg wurde später heftig gestritten; unbekannt war sie das Regime und gegen das Volk entschieden zu haben, wurde in der pochten, die sie durch das Verhalten der Alliierten und nicht durch deutscher Streitkräfte. Die dichotomische Vorstellung von Krieg freilich nicht. Durch die Erfahrungen militärischer Gewalt unter- öffentlichen deutschen Diskussion jedoch weniger an juristischen ihr eigenes beeinträchtigt sahen, deutet die semantische Verschie- und Militär – Nationalsozialismus hier, Wehrmacht da – fl oss 1950 füttert und von den Alliierten unter der Devise der »Entmilitarisie- Kategorien als am Koordinatensystem überkommener soldatischer bung auf die Instrumentalisierbarkeit des Ehrbegriffs.38 nahtlos in die geheimen Überlegungen zur Wiederbewaffnung ein.40 rung« forciert, setzte mit der offenen Debatte über den Krieg und Normen festgemacht: Von dem Verlust der soldatischen »Ehre« war Die Kernfrage lautete: Überzeugt die Vorstellung von einem die Wehrmacht ein Diskussionsprozess ein, der zu einem Wandel der allenthalben die Rede.34 unpolitischen deutschen »Soldatentum«, das mit der NS-Diktatur, politisch-kulturellen Werte beitrug, das Aushandeln von Positionen in die es eher zufällig hineingeraten schien, eigentlich nichts zu Fazit in der Meinungskonkurrenz einer pluralistischen Gesellschaft einzu- tun gehabt und sich befehlsgemäß auf ihr soldatisches Handwerk üben half und so die »innere Demokratisierung« Westdeutschlands »Saubere Wehrmacht«? Anfänge einer Legende beschränkt hatte? Die Alliierten ließen den angeklagten Generälen Nicht nur der Krieg selbst, sondern auch seine Folgen überformten vorantrieb. und Admirälen diese ahistorische Fiktion einer quasi institutionellen mithin das Urteil der deutschen Nachkriegsgesellschaft über die Während die Entmilitarisierung in der ersten Phase auf vollen Ausgliederung aus dem inkriminierten System nicht durchgehen. Wehrmacht und die Erinnerungen an den Krieg, die ihrerseits für die Touren lief, stellten deutsche Militärs bereits die Weichen für die Sie entlarvten sie angesichts der nachgewiesenen aktiven Teilhabe Konstruktion nationaler Nachkriegsidentitäten bestimmend waren.41 – wie es später hieß – »Legende von der sauberen Wehrmacht«. an einem verbrecherischen Angriffskrieg als das, was sie war: ein Die Geschichtsforschung hat den Schwerpunkt in diesem Kontext Das soziale Netzwerk von nationalkonservativen, militäraffi nen Scheinargument einer verabredeten Entlastungsstrategie. Eine mi- lange Zeit zumeist auf die »Entnazifi zierung« gelegt. In der Program- Jenseits des Vorstellbaren – jungen Rechtsanwälten wie Hans Laternser und Otto Kranzbühler litärische Führung, die ihr Verhalten fallweise (wie Keitel und Jodl) matik der Alliierten ging diese jedoch regelmäßig mit der »Entmi- Recht im Ghetto auf der einen und hochrangigen Militärs auf der anderen Seite35 – mit soldatischen Prinzipien wie Treue und Gehorsam begründete, litarisierung« einher, die dem Militärischen in der demokratischen ironischerweise begünstigt durch die Internierung in bestimmten sich (wie Dönitz und Raeder) als von Berufs wegen unpolitisch und Staats- und Gesellschaftsordnung und den Köpfen ihrer Bürger einen Die von den Deutschen zwangs- Lagern – verfolgte mit ihrer Lesart der Vergangenheit und ihren daher ahnungslos gab, behauptete (wie die Autoren der Denkschrift neuen Platz zuweisen sollte. Uniformen, Orden, Kriegerdenkmä- weise ein gesetzten Judenräte Sinnstiftungsangeboten konkrete Interessen: kurzfristig die Ver- der Generale), »nahezu alle wichtigen Entscheidungen Hitlers miss- ler: Die Insignien des »Militarismus« sollten entzaubert werden. In entwickelten in den NS-Ghett os teidigung vor Gericht, wo es um Leben und Tod ging; mittel- und billigt und gegen Kriegsverbrechen opponiert«39 zu haben, wider diesem Zusammenhang sind nicht zuletzt auch die Anklagen gegen neue Defi nitionen von Recht langfristig das »Reinwaschen« der Wehrmacht als Reaktion auf die besseres Wissen an der nationalsozialistischen Kriegsdeutung fest- deutsche Militärs vor dem Internationalen Militärgerichtshof und in und Kriminalität. Diese Rechts- Entmilitarisierungspolitik der Alliierten. Dazu diente insbesondere hielt und sich auf einen Präventivkrieg hinauszureden suchte oder den Nürnberger Nachfolgeprozessen zu sehen. sphäre diente dem Schutz der die »Denkschrift der Generäle«. In dem Memorandum behaupteten eine originär »soldatische Ehre« beschwor: Eine solche Militärelite Dass die Wehrmacht nicht aus dem NS-Regime heraus zu Gemeinschaft und zur Aufrecht- die Generalfeldmarschälle Walther von Brauchitsch und Erich von repräsentierte die Wehrmacht, kaum dass sie mit dem NS-Regime defi nieren war, daran ließen die Prozessberichte, die Kommen- erhaltung der inneren Moral. tare und die Leserbriefe in der Lizenzpresse der amerikanischen Eindrücklich beschreibt Svenja Bethke die Delikte, die Aufgaben der jüdischen Polizei und der 30 Der Tagesspiegel, 16.12.1945, S. 5. 36 Manfred Messerschmidt, »Vorwärtsverteidigung. Die ›Denkschrift der Generale‹ Gerichte und letztlich die tragi- 31 Ebd. für den Nürnberger Gerichtshof«, in: Hannes Heer, Klaus Naumann (Hrsg.), Ver- 40 Hans-Jürgen Rautenberg, Norbert Wiggershaus, Die »Himmeroder Denkschrift« 32 Vgl. »Helden der Hitlerjugend«, in: Front und Heimat, Nr. 81 (2/1945), S. 2. nichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1945, Hamburg 1995, S. 531. vom Oktober 1950. Politische und militärische Überlegungen für einen Beitrag sche Chancenlosigkeit dieser 33 Der Tagesspiegel, 18.10.1945; vgl. »Die Kriegsherren und der Herbst«, in: ebd., 37 Zit. nach Wolfram Wette, »Das Bild der Wehrmacht-Elite nach 1945«, in: Gerd der Bundesrepublik Deutschland zur westeuropäischen Verteidigung, Karlsruhe Bemühungen. 1.11.1945, S. 3. R. Ueberschär (Hrsg.), Hitlers militärische Elite. Bd. 2: Vom Kriegsbeginn bis 1985. Klappenbroschur | 320 Seiten | € 28,– ISBN 978-3-86854-295-0 34 Vgl. Echternkamp, »Wut auf die Wehrmacht«. zum Weltkriegsende, Darmstadt 1998, S. 293 f. 41 Vgl. Jörg Echternkamp, Stefan Martens (Hrsg.), Der Zweite Weltkrieg in Europa. 35 Vgl. dazu auch Detlev Bald, »Reform des Militärs in der Ära Adenauer«, in: Ge- 38 Vgl. Bert-Oliver Manig, Die Politik der Ehre. Die Rehabilitierung der Berufssol- Erfahrung und Erinnerung, Paderborn 2007; Kerstin von Lingen (Hrsg.), Kriegs- schichte und Gesellschaft, Jg. 28 (2002), S. 204–232; Hans Laternser, Verteidi- daten in der frühen Bundesrepublik, Göttingen 2004. erfahrung und nationale Identität in Europa nach 1945. Erinnerung, Säuberungs- gung der Soldaten. Plädoyers vor alliierten Gerichten, 1950; vgl. auch 39 Siegfried Westphal, Der deutsche Generalstab auf der Anklagebank. Nürnberg prozesse und nationales Gedächtnis, Paderborn 2009; Arnd Bauerkämper, Das Kerstin von Lingen, Kesselrings letzte Schlacht. Kriegsverbrecherprozesse, Ver- 1945–1948. Mit Einer Denkschrift von Walter von Brauchitsch, Erich von Man- umstrittene Gedächtnis. Die Erinnerung an Nationalsozialismus, Faschismus und hamburger-edition.de | .com/hh_editon gangenheitspolitik und Wiederbewaffnung. Der Fall Kesselring, Paderborn 2004. stein, Franz Halder, Walter Warlimont, Siegfried Westphal, Mainz 1978. Krieg in Europa seit 1945, Paderborn 2012.

30 Einsicht Einsicht 14 Herbst 2015 31 Nationalsozialisten mit der Ausführung zu beauftragen, wird ver- Wiederaufbau von Verwaltung und Wirtschaft, Terror gegen die Bevöl- mutlich immer ihr Geheimnis bleiben.3 kerung, erste Schritte der Trennung vom Nationalsozialismus. Zwar war Rost kein unbekannter Bildhauer, allerdings von mittelmäßiger künstlerischer Begabung. Das Urteil eines Berufs- kollegen, dass Rosts »Tüchtigkeit und Anpassungsfähigkeit im Dresden am Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft Umbruchszeit Sinne seiner Plastiken […] der Kunst nicht zu wünschen« seien, charakterisierte treffend seine zahlreichen Werke. Indessen kam sein Unternehmer und Beschäftigte waren auch in Dresden tief in die Dresden in der Endphase des naturalistischer Stil offenkundig nicht nur dem Kunstverständnis der Kriegsanstrengungen des nationalsozialistischen Regimes involviert. Nationalsozialisten und vieler Zeitgenossen entgegen. Rost hatte Die Arbeiter von Seidel & Naumann etwa stellten keine Nähmaschi- Nationalsozialismus und am Beginn sich den Nationalsozialisten mit seinen Werken angedient, er hatte nen, sondern Granaten und Zünder her. Tausende Beschäftigte der mit Aufträgen für die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Zeiss-Ikon-Werke produzierten statt weltberühmter Kameras und der sowjetischen Besatzungsherrschaft (NSDAP) und für führende Parteigenossen sowohl sehr gut verdient Kinoapparate optische Zielgeräte und anderen militärischen Bedarf. als auch seine Karriere befördert. Infolge des sowjetischen Auftrags Anstelle der Zigarettenmaschinen verließen Torpedoteile die Uni- konnte er diese bruchlos fortsetzen. Bezeichnenderweise ist das 1953 verselle AG, die Mehrzahl der Betriebe produzierte ausschließlich von Thomas Widera entstandene Karl-Marx-Denkmal Rosts ebenso verschollen wie eine oder überwiegend für den Krieg.8 Rekrutierungen verschärften den Die »Entnazifi zierung« begann mit dem 15 Jahre zuvor geschaffene Hitlerbüste. Er war kein »Wanderer« ohnehin bestehenden Arbeitskräftemangel. Die deutschen Verluste an Vormarsch der Alliierten. Allerorts ver- zwischen »politischen Systemen«,4 sondern einer von zahlreichen den Fronten stiegen im Verlauf des Krieges und immer mehr Arbeiter schwanden im Deutschen Reich Parteiab- Deutschen mit einem ausgeprägten politischen Opportunismus. wurden Soldaten. Arbeitskräftereserven mussten mobilisiert werden. zeichen und Orden diskret in Abfallgruben Rost suchte wie Millionen Deutsche – Anhänger der NSDAP, Das zielte auf Frauen, die ursprünglich aus ideologischen Erwägun- Thomas Widera, Dr. phil., gebo- und in Kanalisationen, Bilder mit den Konterfeis führender Natio- »Mitläufer« und Verbrecher – neue Orientierung. Er gehörte zu den gen aus dem Arbeitsprozess herausgedrängt worden waren und nun ren 1958, 1993–1998 Studium der nalsozialisten, mit NS-Ideologie kontaminierte Bücher und Akten Privilegierten, die sich nicht einmal umorientieren oder anders identi- ihre männlichen Kollegen ersetzen sollten. Wegen der Unterhalts- Neueren und Neuesten Geschichte, mit den Nachweisen der Verbrechen gingen in Flammen auf. So fi zieren mussten: Er fand Entlastung in der Arbeit an Ehrenmalen zum zahlungen für Familien entfi el jedoch der Anreiz zur Aufnahme einer Wirtschafts- und Sozialgeschichte, glaubten viele Deutsche, sich ihrer Vergangenheit entledigen und Gedenken an tote sowjetische Soldaten. Zwischen Werk und politischer Beschäftigung. Aus diesem Grund und weil die Kriegsproduktion Soziologie an der TU Dresden. 2004 vom Nationalsozialismus trennen zu können. Später beteiligten Haltung unterschieden, wurde seine Kunst als ideologisch unverdächtig gesteigert werden musste, traten Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene ebenda Promotion mit einer Arbeit sie sich am Abriss öffentlicher Denkmäler, bei der Umbenennung eingestuft. So wohlfeile Identifi kationsangebote offerierte freilich die und Häftlinge aus den Konzentrationslagern an die Stelle der durch über »Dresden 1945–1948. Politik von Straßen und Plätzen, der Entfernung von Zeichen, Sprüchen Besatzungsmacht nicht jedem. Doch mitnichten ein Einzelfall,5 setzte die Einberufung zur Wehrmacht ausgefallenen Arbeitskräfte. Zuneh- und Gesellschaft unter sowjetischer und Ornamenten. Darin zeigte sich nicht nur symbolisch das En- Rost sein Schaffen als unpolitischer Künstler fort. War angesichts sol- mende Verlagerung der Kriegsfertigung aus gefährdeten Regionen Besatzungsherrschaft«. Seit 2001 de der nationalsozialistischen Herrschaft. Die Errichtung neuer cher Karrieren das vielfach als »Zusammenbruch« beschriebene Ende nach Sachsen trieb den Arbeitskräftebedarf weiter in die Höhe und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sinnbilder und Herrschaftszeichen1 sollte die Entnazifi zierung der des »Dritten Reiches« tatsächlich ein gesellschaftspolitischer Umbruch? bewirkte die wachsende Ausbeutung dieser Arbeitssklaven.9 Hannah-Arendt-Institut für Totalita- Gesellschaft und den Willen zur politischen Erneuerung des Staates Ausgehend von dieser Frage soll in der nachfolgenden Skizze Brü- Untergebracht waren sie in erbärmlichen Barackenlagern oft rismusforschung an der TU Dresden abbilden.2 chen und Kontinuitäten in der Endphase des Nationalsozialismus und in der Nähe oder direkt auf dem Gelände der Betriebe. Ihre un- mit zeitweiligen Unterbrechungen Bereits am 25. November 1945 enthüllten in Dresden Vertreter am Beginn der sowjetischen Besatzungsherrschaft in Dresden nachge- menschliche Lebenssituation hatte Victor Klemperer, der von den wegen der Mitarbeit in anderen der sowjetischen Besatzungsmacht feierlich ein Denkmal für die spürt werden. Ausdrücklich sei darauf verwiesen, dass es sich um Ergeb- Nationalsozialisten wegen seiner jüdischen Herkunft aus seinem Projekten. gefallenen Soldaten der Roten Armee, wenige Tage nach dem am nisse einer Lokalstudie handelt, die nur bedingt verallgemeinerbar sind.6 Amt vertriebene und verfolgte Romanist, 1942 in einem Bericht Veröffentlichungen (Auswahl): 11. November im Berliner Tiergarten eingeweihten Sowjetischen Die Situation in Dresden unterschied sich in vielfacher Hinsicht von der über »einen Schub ganz junger, halbkindlicher Russinnen« dem Dresden 1945–1948. Politik und Ehrenmal. Beiden gemeinsam ist die kurze Planungs- und Bauzeit, in anderen Städten auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone Hörensagen nach aufgezeichnet: »Die Mädchen sind zum Dienst Gesellschaft unter sowjetischer Be- auch der Monumentalstil und die Besetzung eines zentralen Ortes (SBZ) und von der der Bevölkerung auf dem Land. Dennoch geht es gepresst und fühlen sich als verschleppte Gefangene. Sie hungern satzungsherrschaft, Göttingen 2005; in der eroberten Stadt – anders aber als das von sowjetischen Bild- um Aspekte einer urbanen Gesellschaft, die in abgewandelter Form (Hrsg. zus. mit Rolf-Dieter Müller und hauern und Architekten für die ehemalige Reichshauptstadt ent- überall Konfl iktfelder strukturierten:7 Kriegsschäden und Kriegsfolgen, Nicole Schönherr), Die Zerstörung worfene Ehrenmal schuf das Dresdner Denkmal der Deutsche Otto Dresdens 13. bis 15. Februar 1945. Rost. Was die Offi ziere in Dresden bewogen hat, einen bekennenden sen. Studien zur Genese der kommunistischen Herrschaft 1945–1952, Köln u.a. Gutachten und Ergebnisse der 2003. Dresdner Historikerkommission zur 3 Ernst-Günter Knüppel, Otto Rost. Leben und Werk 1887–1970. Sächsischer Bild- 8 Liste der im Bombenkrieg beschädigten Großbetriebe, undatiert (StadtAD, De- hauer in Dresden und Döbeln, Gaimersheim 2006, S. 54 ff. zernat Oberbürgermeister 1008, Bl. 13 f.); vgl. Holger Starke, »Vom Werkstätten- Ermittlung der Opferzahlen, Göttin- 1 SED-Bezirksleitung Dresden, Bezirkskommission zur Erforschung der Geschich- 4 Ebd., S. 47, 223, 244 f. und 91. areal zum Industriegelände. Die Entwicklung des Industriegebietes an der Kö- gen 2010; Die DDR-Bausoldaten. te der örtlichen Arbeiterbewegung (Hrsg.), Die Gedenk- und Erinnerungsstätten 5 Vgl. Winfried Nerdinger, Ekkehard Mai (Hrsg.), Wilhelm Kreis. Architekt zwi- nigsbrücker Straße in Dresden von der Entstehung der Albertstadt bis zur Politischer Protest gegen die SED- der Arbeiterbewegung im Bezirk Dresden, Dresden 1970; SED-Bezirksleitung schen Kaiserreich und Demokratie 1873–1955, München 1994. Aufl ösung der Industrieanlagen Nord (1873–1952)«, in: DGB 5, hrsg. vom Stadt- Diktatur, Erfurt 2014. Dresden (Hrsg.), Erinnerungsstätten der revolutionären Arbeiterbewegung im 6 Thomas Widera, Dresden 1945–1948. Politik und Gesellschaft unter sowjetischer museum Dresden, Altenburg 1999, S. 150–198, hier S. 180 ff. Bezirk Dresden, Dresden 1988. Besatzungsherrschaft, Göttingen 2004. Weiterführende Quellen- und Literatur- 9 Vgl. Fremd- und Zwangsarbeit in Sachsen, Beiträge eines Kolloquiums in Chem- 2 Vgl. Peter Reichel, Politik mit der Erinnerung. Gedächtnisorte im Streit um die verweise sind dieser Publikation zu entnehmen. nitz am 16. April 2002, hrsg. vom Sächsischen Staatsministerium des Innern, nationalsozialistische Vergangenheit, Frankfurt am Main 1999, S. 31. 7 Vgl. Rainer Behring, Mike Schmeitzner (Hrsg.), Diktaturdurchsetzung in Sach- Dresden 2002.

32 Einsicht Einsicht 14 Herbst 2015 33 in ihrem Massenquartier, morgens und abends ein Topf Kaffee mit um Dresden. Panzersperren dienten der Sicherung von Einfallsstraßen einer Schnitte Brot, mittags nur eine dünne Suppe. Sie hungern so, und Elbbrücken. Indessen näherte sich der Krieg aus der Luft. Bei dass ihnen auch die jüdischen Kameraden zu Hilfe kommen. Das dem zweiten Bombenangriff auf Dresden am 16. Januar 1945 starben ist verboten; aber man lässt eine Schnitte unter den Tisch fallen, 334 Menschen. Während für die Mehrheit der Stadtbewohner die nach einer Weile bückt sich die Russin und verschwindet dann mit Gefahren des Luftkrieges überwogen, kam für die Zwangsarbeiter, die dem Brot aufs Klosett. (Die Juden erhalten eine Hauptmahlzeit in Kriegsgefangenen und Konzentrationslagerhäftlinge die Bedrohung der Kantine.) – Zeiss-Ikon soll ein ›Völkergemisch‹ beschäftigen; durch den nationalsozialistischen Terror hinzu: Zwischen den Fron- polnische, französische, dänische etc. Arbeiterinnen.«10 ten mussten sie auf ihr Überleben und die rasche Befreiung hoffen. Unter noch miserableren Umständen wurden rund 300 noch in In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 warfen kurz Dresden lebende jüdische Männer, Frauen und Kinder ab November nach 22 Uhr Ortszeit 243 britische Lancaster-Bomber unbehelligt von 1942 im sogenannten Judenlager Hellerberg zusammengepfercht. deutscher Luftabwehr ihre Bombenlast über Dresden ab. Wegen des Die Arbeitsfähigen unter ihnen mussten bis zur Deportation aller Ausfalls der Alarmanlagen entfi el bei der zweiten Angriffswelle nach Lagerinsassen nach Auschwitz im März 1943 ebenfalls Zwangs- 1 Uhr in der Nacht die Warnung. 529 britische Flugzeuge näherten arbeit bei Zeiss-Ikon leisten und Uhrwerkszünder für die Marine sich dem Zielgebiet, in beiden Angriffen wurden 1477 Tonnen Spreng- fertigen. Klemperer, den seine »Mischehe« vor der Internierung auf bomben und 1181 Tonnen Brandbomben abgeworfen. Diese Kombi- dem Hellerberg und vor der Deportation in die Vernichtungslager nation entfaltete eine apokalyptische Wirkung. Zuerst unterbrachen Im »Judenlager Hellerberg« (von links): der Sachbearbeiter im Judenreferat der Lagerinsassen kurz nach ihrer Ankunft auf dem Hellerberg. schützte, notierte Ende November 1942 bestürzt über das Lager, Sprengladungen die Energie- und Wasserversorgung und sie zerfetzten Dresdner Gestapo, Kriminalsekretär Herbert Klemm, Dr. Johannes Hasdenteufel Beide Fotos: Stiftung Sächsische Gedenkstätten, Sammlung Juden in Dresden von der Zeiss-Ikon AG, die Gestapo-Angehörigen SS-Untersturmführer Henry dass Zimmerleute, die »am Barackenbau für russische und polnische die Dächer der Häuser. Die Brandbomben setzten anschließend die Schmidt und Kriminalobersekretär Rudolf Müller. Gefangene beschäftigt gewesen« seien, gesagt hätten, diese seien Wohnungen in Flammen. In den engen Straßen und schmalen Gassen »Luxushotels gegen dies [sic!] Judenlager in Sand und Schlamm!«11 der dicht mit Fachwerkhäusern bebauten Innenstadt entwickelten Zahlreiche Firmenleitungen forderten immer mehr sogenannte sich Flächenbrände. Durch den Sauerstoffbedarf entstand ein Sog, »Ostarbeiter« an. Allein in den verschiedenen Betriebsteilen der der Feuerstürme verursachte, die alles Brennbare in einem Gebiet Zeiss-Ikon AG arbeiteten im letzten Kriegsjahr mehrere Tausend von 15 Quadratkilometern verzehrten. Wegen der vollkommenen, Lagerhäftlinge und Zwangsarbeiter unter unmenschlichen Bedin- unübersichtlichen Verwüstung nutzte das Propagandaministerium die gungen. Bis in den Herbst 1944 wurden in Dresden Außenlager des Zerstörung der Stadt, um den »anglo-amerikanischen Bombenterror« Konzentrationslagers Flossenbürg errichtet. Im Februar 1945 belief anzuprangern, und sprach von 100.000 und mehr Luftkriegstoten. In- sich die Zahl der männlichen und weiblichen Häftlinge auf etwa zwischen ist nach Auswertung sämtlicher Quellen nachgewiesen, dass 4500.12 Etwa 780 Betriebe in Dresden beschäftigten während des einschließlich der zwei amerikanischen Tagesangriffe am nächsten Krieges weit über 30.000 ausländische Arbeitskräfte.13 und am übernächsten Tag etwa 25.000 Menschen starben.14 Unaufhaltsam rückten die Alliierten auf deutschem Territorium Wenn aus heutiger Perspektive die Bombardierung Dresdens als vor. Entlang der Elbe sollte sie eine von Hamburg bis Prag geplante nicht sinnvoll und wenig effektiv bezeichnet wird, beruht diese Ein- Verteidigungslinie aufhalten. Nach der Bildung des »Verteidigungs- schätzung auf späteren Auswertungen und der Bewertung des strategi- bereiches Dresden« Ende 1944 begann der Bau von Stellungen in und schen Bombenkrieges generell. Für die kriegführenden alliierten Staa- ten war die Bombardierung Teil des Planes zur siegreichen Beendigung des Zweiten Weltkrieges und der Niederwerfung des Nationalsozia-

10 Victor Klemperer, Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1942– lismus. Sie konnten zum damaligen Zeitpunkt nicht absehen, dass die 1945, Bd. 2, Berlin 1995, Tagebucheintrag vom 6.8.1942, S. 194. Hervorhebung Wehrmacht drei Monate später kapitulieren würde. Sie hatten soeben im Original. unter erheblichen Anstrengungen die Ardennenoffensive abgewehrt, 11 Ebd., Tagebucheintrag vom 24.11.1942, S. 281. Zum Lager auf dem Hellerberg an der Ostfront kämpfte die Rote Armee erbittert und verlustreich. vgl. auch Norbert Haase, Stefi Jersch-Wenzel, Hermann Simon (Hrsg.), Die Erin- nerung hat ein Gesicht. Fotografi en und Dokumente zur nationalsozialistischen auf Dresden war der Versuch, ein wichtiges Zentrum Judenverfolgung in Dresden 1933–1945, bearbeitet von Marcus Gryglewski, der Rüstungsindustrie und den letzten funktionierenden deutschen Leipzig 1998. Verkehrsknotenpunkt zur Versorgung der Fronten auszuschalten. Das 12 Ulrich Fritz, »›Ich hatte den Eindruck, dass damals alles schon etwas in Aufl ö- gelang nur für kurze Zeit. Die umfassende Zerstörung der Dresdner sung begriffen war.‹ KZ-Häftlinge in Dresden – vor, während und nach den Luft- angriffen vom Februar 1945«, in: Günther Heydemann, Jan Erik Schulte, Fran- Innenstadt ist auf ein Zusammentreffen verschiedener Umstände und cesca Weil (Hrsg.), Sachsen und der Nationalsozialismus, Göttingen 2014, S. 111–128, hier S. 115. Der Bildhauer Otto Rost im Sommer 1945 mit einem Blick vom Dresdner Rathaus über Teile der zerstörten Innenstadt und die Elbe, April 1949. 13 Dresdner Polizei 1945–1946. Ein Jahr im Neuaufbau (Bericht über den Aufbau Offi zier der Roten Armee in seinem Dresdner Atelier Durch die Bombardierungen in der Nacht vom 13. auf 14. Februar 1945 und an den beiden Folgetagen und die Arbeit der Polizei der Landeshauptstadt Dresden von Juni 1945 bis Juni 14 Rolf-Dieter Müller, Nicole Schönherr, Thomas Widera (Hrsg.), Die Zerstörung vor einer noch unfertigen Skulptur. waren große Teile der Innenstadt sowie der industriellen und militärischen Infrastruktur Dresdens 1946), o.D. (wahrscheinlich Juni 1946), Sächsisches Hauptstaatsarchiv, LBdVP Dresdens 13. bis 15. Februar 1945. Gutachten und Ergebnisse der Dresdner Hi- Foto: Akademie der Künste, Berlin, Kunstsammlung, vernichtet worden. 359, nicht paginiert, hier S. 42 f. storikerkommission zur Ermittlung der Opferzahlen, Göttingen 2010. Fotosammlung Foto: bpk / Erich Andres

34 Einsicht Einsicht 14 Herbst 2015 35 mehrerer Ursachen zurückzuführen. Der überdurchschnittlich große ihrem Zusammentreffen mit den Amerikanern an der Elbe nördlich der Besatzungsmacht zu den zentralen Unterschieden zwischen der originalen Wortlaut. Diese Unkenntnis leistete den selbstherrlichen Anteil von Brandbomben verweist auf die Absicht, in Kenntnis der für von Riesa, wo in Torgau am 26. April das weltberühmte Foto entstand, SBZ und den westlichen Besatzungszonen. Doch die Kommunisten Tendenzen örtlicher Kommandanten Vorschub.27 die Entfachung von Großbränden anfälligen Architektur, durch Feuer stießen sowjetische Truppen auf Döbeln, Riesa und Meißen vor. Am handelten keineswegs autonom. Rahmen und Grundlage der Neu- Ständige Ansprechpartner der deutschen Institutionen und damit gezielt Entsetzen und Tod über die Bevölkerung zu bringen. Nach 6. Mai erreichten sie Nossen und Meißen. Wegen der Zerstörung der ordnung bestimmten sowjetische Offi ziere. die für sie wichtigsten Personen waren die »Polit-Stellvertreter« der der ersten Angriffswelle schon zeigte sich die örtliche Einsatzleitung Dresdner Brücken umgingen sie das Stadtzentrum und überquerten Um die Machtausübung im Besatzungsgebiet konkurrierten die Kommandanten. Sie sollten die Entmilitarisierung und Demokrati- zu einer koordinierten Hilfeleistung nicht in der Lage. Die Feuer- die Elbe in Loschwitz. Nur vereinzelt gab es Gegenwehr.18 Militärbefehlshaber der Roten Armee und die Bevollmächtigten des sierung durchführen. Diese zwei begriffl ich nicht näher defi nierten wehr arbeitete sporadisch, in der Nacht brach jegliche Organisation Erinnert wird in Dresden die Bombardierung vom 13. bis 15. Volkskommissariats für Inneres (NKWD). Im Bereich der 1. Uk- Grundsätze des politischen Umbruchs gestatteten auf der einen Seite zusammen. Helfer schöpften mit Eimern Wasser aus der Elbe zur Februar 1945 als eine Zäsur. Hierbei handelte es sich mitnichten um rainischen Front und damit in Sachsen wurde der NKWD-General willkürliche Festlegungen sowjetischer Offi ziere, auf der anderen Bekämpfung infernalischer Brände. Die Luftschutzkeller erwiesen einen ausschließlich staatlich gesteuerten Identifi kationsprozess, den Pawel Jakowlewitsch Meschik zuständig für den Aufbau deutscher Seite hatten die deutschen Akteure die Möglichkeit, Gestaltungs- sich als tödliche Fallen. Viele Menschen hatten die unmittelbare Bom- noch die nationalsozialistische Propaganda in Gang setzte.19 Mit der Verwaltungen. Er erreichte am 16. Mai die Unterzeichnung seiner spielräume auszuhandeln. Den Besatzungsalltag dominierten po- bardierung überlebt, ihnen wäre ein Entkommen möglich gewesen. Verwüstung ihrer Stadt begannen für deren Bewohner die Entbehrun- Vorschläge durch den Kriegsrat der 1. Ukrainischen Front. Erst jetzt litische Instrukteure wie der Leiter der Informationsabteilung der Da sie die Bedrohung durch das Feuer nicht erkannten, erstickten und gen, die Not und die tatsächliche Betroffenheit von den Auswirkun- konnte er alle Offi ziere anweisen, die deutschen Verwaltungs-, Poli- Kommandantur, der späteren Abteilung Agitation und Propaganda, verbrannten sie in den unzulänglich gesicherten Kellern. gen des Krieges. Die Verlusterfahrung der Zeitzeugen bezog sich auf zei- und Justizorgane einheitlich aufzubauen.21 Diese zeitliche Verzö- Hauptmann Anatoli B. Waks, der die politische Tätigkeit von Insti- Einerseits waren die Moral der Zivilbevölkerung und ihr Wille die Luftangriffe, in denen sie Angehörige, nahestehende Personen, gerung erklärt viele Handlungsspielräume deutscher Kommunisten tutionen und Personen kontrollierte.28 zum Durchhalten nahezu ungebrochen, andererseits wurde in den Besitz, ihre Lebensgrundlagen und Zukunftsaussichten verloren. Die und die anfängliche Unklarheit beim Aufbau deutscher Behörden folgenden Wochen der Terror auch gegen die deutsche Bevölkerung Angst hingegen, mit der sie damals im Anschluss an den Terror der in Dresden22 und andernorts.23 verstärkt. Drastische Urteile sollten den Erosionsprozess aufhalten, Nationalsozialisten auch gegen die deutsche Bevölkerung den sow- Neben den Kommandanturen und Dienststellen der Roten Armee Reorganisation und Entnazifi zierung »Gerüchtemacher«, »Verräter« und »Plünderer« erschossen werden. jetischen Soldaten entgegensahen und die Tage nach der Eroberung überzogen NKWD und sowjetische Staatssicherheit die Stadt mit ei- der Dresdner Stadtverwaltung29 Wer die Autorität der NSDAP, der Wehrmacht und anderer Instituti- erlebten,20 hat in der kollektiven Erinnerung ebenso geringen Platz nem Netz von Haftorten in beschlagnahmten Privatgrundstücken und onen in Frage stellte und sich gegen den Krieg aussprach, riskierte gefunden wie die eigene Verstrickung in den Nationalsozialismus. Kasernengebäuden. Damals wusste kaum einer, was hinter den Mauern In Abstimmung mit sowjetischen Offi zieren nahmen die deutschen sein Leben. Bis Mitte März nahm die Polizei in Dresden nach eigener geschah, und manche wollen es bis heute nicht wissen. Unwissenheit Kommunisten Hermann Matern und Kurt Fischer entscheidenden Ein- Angabe »79 Plünderer« fest. Ein Massengrab auf dem Heidefried- verstärkte die Furcht. Speziell die in der Haftanstalt am Münchner Platz fl uss auf die Umgestaltung in Dresden. Unmittelbar nach den Kampf- hof gab später 179 Tote frei.15 Ob und wie viele Dresdner Bürger Prinzipien sowjetischer Besatzungsherrschaft und im gleichermaßen genutzten »Heidehof« an der Bautzner Straße truppen der Roten Armee eingetroffen, setzten diese beiden rangho- sich unter den Terroropfern befanden, wie viele Zwangsarbeiter und tagenden Militärtribunale, die unterschiedslos nationalsozialistische hen kommunistischen Funktionäre in der städtischen Verwaltung ein Häftlinge, desertierte Soldaten und kriegsmüde Volkssturmmänner Dresden wurde die erste Großstadt in der SBZ, wo deutsche Kommu- Täter, sozialdemokratische Oppositionelle und andere verurteilten, Grundkonzept gesellschaftlicher Transformation durch, indem sie im ist unbekannt. Besonders gefährdet waren die zuvor in den Dresd- nisten ungestört von Nähe und Einfl uss westlicher Besatzungsmächte unterlagen einem Tabu.24 Wie keine andere Instanz verbreitete die poli- Personalamt der Stadt die Schaltstelle für die kommunistische Macht- ner Betrieben beschäftigten Konzentrationslagerhäftlinge. Die SS- unter dem Schutz und mit der Beihilfe sowjetischer Offi ziere die tische Geheimpolizei Angst und Schrecken.25 Sie besaß großes Gewicht übernahme errichteten. Fischer leitete die Innenverwaltung und Matern Wachmannschaften trieben sie nach Aufl ösung der Außenlager Ende gesellschaftspolitischen Weichen für die Errichtung der »Diktatur beim Aufbau neuer staatlicher Strukturen und konnte, ehe schließlich das Personalressort der Stadtverwaltung. Letzterer baute außerdem April in Richtung Erzgebirge und nach Theresienstadt. Bis dahin des Proletariats« stellen konnten. Exemplarisch entstanden in Dres- die SMAD Mitte August 1945 ihre Grundsätze für die Umgestaltung die Landesgruppe Sachsen der Kommunistischen Partei Deutschlands hatten sie Trümmer beräumen und Tote bergen müssen.16 den die Grundzüge einer Gesellschaftsordnung der Nachkriegszeit, der SBZ formulierte, wichtige Veränderungen präjudizieren.26 (KPD) auf. Sie besetzten innerhalb kürzester Frist die wichtigsten Für heutige Einwohner von Dresden und ihre Erinnerung an den die sich am sowjetischen Modell orientierte. Offi ziell verfolgte die Zu den Prinzipien sowjetischer Besatzungsherrschaft gehör- Positionen in der Verwaltung mit zuverlässigen Gefolgsleuten. Zweiten Weltkrieg besitzen die militärischen Operationen im Frühjahr Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) die ten die verminderte Schriftlichkeit und mangelnde Abgrenzung Fischer und Matern verschafften sich einen Überblick über die vor 1945, die Eskalation der Gewalt in den letzten Kriegstagen, die End- mit den Alliierten auf der Konferenz von Jalta vereinbarten Zie- der Befugnisse. Die regelmäßig praktizierte mündliche Weitergabe Ort anwesenden Kommunisten und unterbreiteten dem Stadtkomman- phasenverbrechen und andere Ereignisse nahezu kein Gewicht. Das le. Sie werde den »Faschismus« ausrotten und Demokratie sowie von Befehlen verhinderte Einblicke der deutschen Instanzen in den danten Personalvorschläge für den Magistrat. Oberbürgermeister wur- Kriegsende am 8. Mai 1945 fand keinen Platz in der historischen Er- bürgerliche Freiheiten festigen. Tatsächlich unterschieden sich die de der Jurist Rudolf Friedrichs, ein Verwaltungsfachmann und Sozial- innerung der Stadt. Anders als sonst in Sachsen, wo die 1. Ukrainische sowjetischen Vorstellungen und vor allem die Methoden ihrer Be- demokrat mit Sympathien für die KPD. Mit vier Männern bürgerlicher Front und die 2. Polnische Armee erbitterten Widerstand überwinden satzungsherrschaft von denen der westlichen Alliierten. Eine davon Herkunft berief Friedrichs Personen mit Fachwissen und Erfahrung in mussten,17 erfolgte die Einnahme von Dresden nahezu kampfl os. Nach war der Einsatz ausgewählter deutscher Kommunisten. Diese kamen 21 Nikita W. Petrow, »Die sowjetische Besatzungsverwaltung und die Sowjetisie- das Versorgungs-, das Wirtschafts- und das Finanzressort und in das in mehreren Gruppen aus dem sowjetischen Exil zurück und organi- rung Ostdeutschlands«, in: Jan Foitzik (Hrsg.), Sowjetische Kommandanturen Gesundheitsamt. Zwei von ihnen traten bald der KPD bei. Die drei wei- und deutsche Verwaltungen in der SBZ und frühen DDR. Dokumente, Berlin sierten im sowjetischen Auftrag den Aufbau von Verwaltungen und 2015, S. 33–97, hier S. 35–39. teren Ratsmitglieder im Sozialamt, im Bildungswesen und im Amt für das öffentliche Leben. Die Umsetzung und Kontrolle dieser Vorgän- 22 Vgl. Widera, Dresden 1945–1948, S. 68–99. Kommunale Betriebe gehörten bereits der KPD an. Somit dominierten 15 Widera, Dresden 1945–1948, S. 49. Vgl. auch den Beitrag von Sven Keller in ge durch kommunistische Führungskader, die sich auf diese Weise 23 Vgl. Gerhard Keiderling, (Hrsg.), »Gruppe Ulbricht« in Berlin. April bis Juni Kommunisten vom ersten Tag an den Verwaltungsapparat, und da sich Einsicht 13, Bulletin des Fritz Bauer Instituts, Frühjahr 2015. eine eigene Herrschaftsbasis errichteten, gehörte neben dem Terror 1945. Von den Vorbereitungen im Sommer 1944 bis zur Wiedergründung der bei Matern und Fischer die wichtigsten Entscheidungskompetenzen 16 Fritz, »KZ-Häftlinge in Dresden«, S. 127. KPD im Juni 1945. Eine Dokumentation, Berlin 1993. 17 Vgl. Uwe Niedersen (Hrsg.), Soldaten an der Elbe. US-Armee, Wehrmacht, Rote 24 Gerald Hacke, »Gedenkorte an die sowjetische Besatzungszeit und die SED-Dik- Armee und Zivilisten am Ende des Zweiten Weltkrieges, Dresden 2008. Die tatur«, in: Dresdner Hefte, Nr. 115 (2013), S. 52–62. 1. Weißrussische Front unter Marschall Shukov führte im Gebiet der Seelower 25 Vgl. Birgit Sack, »Justizorte in Dresden während der nationalsozialistischen Dik- Höhen den Angriff direkt auf Berlin, die 1. Ukrainische Front unter Marschall 18 Widera, Dresden 1945–1948, S. 53 ff. tatur, der sowjetischen Besatzungszeit und der frühen DDR«, in: Dresdner Ge- 27 Vgl. Norman M. Naimark, Die Russen in Deutschland. Die sowjetische Besat- Konev rückte weiter südlich und gleichzeitig in Richtung Bautzen-Dresden vor. 19 Vgl. Oliver Reinhard, Matthias Neutzner, Wolfgang , Das rote Leuchten. schichtsbuch 10, Altenburg 2004, S. 195–216. zungszone 1945–1949, Berlin 1997, S. 23 ff. und 35 ff. Siehe Kurt Arlt, »Der Einmarsch der Roten Armee in Deutschland im Frühjahr Dresden und der Bombenkrieg, Dresden 2005, S. 110–127. 26 Jan Fotzik, »Einleitung«, in: ders. (Hrsg.), Sowjetische Interessenpolitik in 28 Widera, Dresden 1945–1948, S. 61 f. 1945«, in: ebd., S. 15–28. 20 Widera, Dresden 1945–1948, S. 55–60. Deutschland 1944–1954. Dokumente, München 2012, S. 5–154, hier S. 50 ff. 29 Zum Folgenden ebd., S. 86–99 und S. 162–181.

36 Einsicht Einsicht 14 Herbst 2015 37 konzentrierten, kontrollierten sie sämtliche Ressorts. Nominell unter- deutschen Öffentlichkeit als demokratische Partei. Sie hoffte, der aus der laufenden Produktion, weil sie in der SBZ die verwertbaren in der Wirtschaft mit dem Ziel, die Macht den deutschen Kommunisten standen die Dezernate Friedrichs in seiner Eigenschaft als Oberbürger- entscheidende Integrationsfaktor des Parteiensystems zu werden Industrieanlagen demontieren ließen. In Sachsen wurden 1000 Be- zu übertragen. Bis auf Kirchen und Religionsgemeinschaften sollte meister – die höchste Autorität lag bei der Besatzungsmacht. und allen anti-nationalsozialistischen Kräften eine Basis zu bieten. triebe abgebaut mit drastischen Folgen für die Arbeitsproduktivität. ein tiefgreifender politischer und sozialer Transformationsprozess alle Anders als an der Verwaltungsspitze prägten vorerst starke Kon- Neben ihrem ideologisch-programmatischen Vorsprung verfügte die Branchen wie die Flugzeugindustrie und der Fahrzeugbau erlitten Teilbereiche der Gesellschaft in der SBZ und später der DDR erfas- tinuitäten den Apparat, wobei die KPD-Führung den Umbruch mit KPD über eine außerordentlich günstige organisatorische Position, die schwersten Verluste. Noch gravierender wirkten sich aber die sen. Mehrheitlich mussten sich die im sowjetischen Einfl ussbereich der Entnazifi zierung einleitete. Vor den sowjetischen Truppen waren da sie die technischen Möglichkeiten der Verwaltung nutzte. Über- Einbußen im Transportwesen aus. Die Eisenbahnlinien konnten nur lebenden Menschen einer umfassenden Neuorientierung unterziehen. hauptsächlich höhere Beamte gefl ohen; viele der in den unteren und dies behinderten Besatzungsoffi ziere ihre politische Konkurrenz. eingleisig betrieben werden, der Bestand an Lokomotiven und Wag- Einsicht in die eigene Rolle bei der Funktionsfähigkeit des NS- mittleren Positionen beschäftigten Angestellten blieben und erschie- Der von sowjetischen Offi zieren gelenkte Aufbau der Parteien gons verringerte sich stark. Unbeirrt hielt der sowjetische Diktator Systems bis in die letzten Tage des Krieges – gleich, ob als Täter, be- nen bald wieder an ihren Arbeitsplätzen. Am 30. Mai 1945 verabschie- ließ keine Eigenständigkeit zu. Ihre Obstruktionspolitik und die der an seiner Forderung nach Zahlung von zehn Milliarden Dollar fest.32 geisterter Anhänger, Zuschauer und »Mitläufer« – gab es wenig. Unter dete der Dresdner Rat die von Matern formulierten Entnazifi zierungs- KPD-Führung verzögerten den Gründungsprozess der Sozialdemo- Infolge dieser Reparationsregelung der freien Hand entwickelten den Überlebenden der Verfolgung war das Verlangen nach Abrech- richtlinien. Vorrangig sollten SS- und SA-Angehörige und diejenigen kratischen Partei Deutschlands (SPD), der Christlich-Demokrati- sich die Zonen politisch und wirtschaftlich immer weiter auseinander. nung mit den Verbrechen der Vergangenheit zweifelsohne sehr groß. Mitglieder der NSDAP, die der Partei vor dem 30. Januar 1933 bei- schen Union (CDU) und der Liberal-Demokratischen Partei (LDP). Der Volksentscheid in Sachsen über die »Enteignung der Kriegs- und Die sowjetische Besatzungsmacht und die neuen politischen Kräfte getreten waren, entlassen werden. 5000 NSDAP-Mitglieder arbeite- Erst nachdem deren Repräsentanten eingewilligt hatten, in dem von Naziverbrecher« am 30. Juni 1946 setzte den Umsturz der Eigentums- wollten gleichfalls die juristische Aufarbeitung von Verbrechen, wie ten in der Stadtverwaltung; um sie komplett auszutauschen, fehlte der KPD dominierten Parteienblock mitzuarbeiten, erhielten sie die verhältnisse fort. Sämtliche treuhänderisch verwalteten Unternehmen der noch im September 1945 durchgeführte sogenannte »Radeberger Fachpersonal. Im Mai und Juni ersetzten hauptsächlich in Dresdner Zulassung. Mit der Einbindung aller Parteien in die sogenannten wurden zuvor in Listen erfasst. Die Betriebe der A-Liste sollten ent- Prozess« gegen Wachleute des Lagers in Radeberg bei Dresden zeigte. Betrieben angeworbene Arbeiter ohne Fachausbildung zunächst 1500 »Einheitsfront-Ausschüsse« und mit der Zwangsvereinigung von eignet, die Betriebe der B-Liste den Eigentümern zurückgegeben Dessen Inszenierung als Schauprozess machte zwar deutlich, dass die städtische Angestellte. Politische Qualifi zierung gab den Ausschlag. SPD und KPD im Frühjahr 1946 zur Sozialistischen Einheitspartei werden. Die C-Liste mit den größten Produktionsstandorten bildete systematische Ahndung nationalsozialistischer Verbrechen hinter dem Besatzungsbehörden und KPD-Führung drängten auf die vollständige Deutschlands (SED) gelang es der kommunistischen Parteiführung, den Grundstock der künftigen Sowjetischen Aktiengesellschaften Willen zur politischen Umgestaltung zurückstand, nichtsdestoweniger Entfernung der ehemaligen NSDAP-Mitglieder, dennoch konnte bis ihre Dominanz im Prozess der Umgestaltung durchzusetzen. Die (SAG). In Dresden standen 61 Firmen auf der C-Liste, darunter die bestand die Absicht zur Strafverfolgung. Seit Sommer 1945 fahndeten zum Jahresende nur die Mehrheit von ihnen entlassen werden. Bündnispolitik bewirkte eine Handlungsblockade der anderen Par- Zeiss-Ikon AG, Seidel & Naumann, die Universelle-Werke, das Sach- sowjetische und deutsche Behörden etwa nach den Beteiligten an den Nachweislich von den Nationalsozialisten Verfolgte oder Ge- teien, die Aufspaltung von Interessen und die Unterdrückung der senwerk in Dresden-Niedersedlitz. Zu den SAG-Betrieben in Sachsen Krankenmorden in der Pirnaer Tötungsanstalt. Prozesse aber wie der maßregelte erhielten Führungspositionen. Alte Funktionsträger mit vorhandenen Ansätze einer Demokratisierung. gehörten auch das Brikettkombinat Espenhain, das Benzinwerk Böh- »Euthanasie«-Prozess vor dem Dresdner Landgericht 1947 verlangten Fachwissen, auf die man nicht verzichten konnte, befanden sich Wirtschaftspolitische Maßnahmen fl ankierten den politischen len, das Bleichert-Werk Leipzig, die Porzellanmanufaktur in Meißen eine gründliche und deswegen längere Vorbereitung. Dieser und der häufi g in der zweiten Reihe auf Stellvertreterposten und auf der Umbruch. Wichtige Verfügungen der neuen Landesverwaltung,30 und nicht zuletzt die bis Juni 1947 errichtete SAG Wismut. Sie pro- Dresdner Juristenprozess34 wenig später standen im Kontext weite- Ebene des mittleren Fachpersonals. Auf ihnen lastete ein hoher die sie in Abstimmung mit den Besatzungsbehörden erließ, betra- duzierten ausschließlich für den Bedarf der Sowjetunion. Die faktisch rer Strafverfahren gegen Verbrechen von Nationalsozialisten, unter Rechtfertigungsdruck. Der leiseste Zweifel an ihrer Loyalität ver- fen die Neuordnung des Bankenwesens und die Bodenreform. Die enteigneten und in Staatseigentum überführten Betriebe der A-Liste anderem dem Nürnberger Ärzteprozess. anlasste die Entfernung aus dem Amt. Nur dort, wo eine fachliche Liquidierung sämtlicher Finanzinstitute und die Enteignung von mussten ebenfalls erhebliche Reparationsleistungen erbringen.33 Unbestritten bildete der 13./14. Februar 1945 in der historischen Ausbildung unverzichtbar war, wie bei den Führungskräften der Grundbesitz über 100 Hektar konnten als Signale verstanden werden, Realität der Stadt Dresden eine Zäsur, bis heute lebendig in der Er- städtischen Werke, in der Gesundheits- und Bauverwaltung oder die eine grundstürzende Veränderung der Eigentumsverhältnisse und innerung. Allein rechtfertigt der Hinweis auf eigene Not nicht, dass im Versorgungs- und Finanzwesen, herrschte im Unterschied zur der Wirtschaft ankündigten. Von Herbst 1945 bis Mitte 1946 wurde Fazit das Schicksal Tausender Menschen, die von Dresdner Nationalso- Zentral- und Innenverwaltung größere personelle Kontinuität. in Sachsen etwa 22 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfl äche zialisten ausgebeutet, verfolgt und umgebracht worden sind, bis in Mit der Verdrängung der bürgerlichen Eliten formte die KPD- entschädigungslos enteignet.31 Bis Ende 1945 setzten die gleichfalls Die Reichweite von Brüchen und Kontinuitäten tritt erst in der his- die Gegenwart fast vergessen ist. Symptomatisch für die andauernde Führung bis Ende 1945 den Verwaltungsapparat in ein Instrument von der Landesverwaltung gebildeten Ämter für Betriebsneuord- torischen Rückschau deutlich hervor. 1945 begann ein gravierender Asymmetrie der historischen Erinnerung in der Bundesrepublik35 ist zur Durchsetzung ihrer Politik um, indem sie Personen in die Entna- nung Treuhänder in 2000 sächsischen Betrieben ein. Die Behörden politischer Umbruch für die deutsche Gesellschaft; gleichwohl wandten auch die Versetzung des Denkmals für die gefallenen sowjetischen zifi zierung einbezog, die sich nicht durch Nähe zum nationalsozialis- überprüften die Betriebsinhaber auf mögliche nationalsozialisti- sich Menschen oft nur äußerlich vom Nationalsozialismus ab, exempla- Soldaten von seinem 1946 in Platz der Einheit umbenannten zentra- tischen Regime kompromittiert hatten. Mit der angedrohten Entlas- sche Belastungen und ernannten gemäß einer Forderung der KPD- risch ablesbar an dem Bildhauer Otto Rost. Persönliche und berufl iche len Standort in Dresden an die städtische Peripherie in den Park vor sung sollte loyales Verhalten erzwungen werden. Von Anbeginn war Führung zur Besetzung von »Kommandohöhen« in der Wirtschaft Kontinuität wie bei ihm war in der SBZ aber eher selten. Die sowjeti- dem Militärhistorischen Museum der Bundeswehr (Olbrichtplatz). die angestrebte Entmachtung der Nationalsozialisten mit Repressi- kommissarische Betriebsleiter. Sie strebten Enteignungen an. schen Besatzungsbehörden und deutsche Kommunisten praktizierten onen gegen politisch Andersdenkende verbunden, worin zahlreiche Da die Siegermächte sich weder über die von Deutschland zu die Entnazifi zierung rigoros und entfernten unterschiedslos tatsächliche Zeitgenossen Kennzeichen einer neuen Diktatur erblickten. zahlenden Entschädigungen noch über die erforderlichen Modalitäten und nominelle Nationalsozialisten aus politischen Ämtern, aus ihren einigen konnten, handelte jede Besatzungsmacht hinsichtlich der Funktionen in staatlichen Apparaten und aus den wichtigen Positionen 34 Boris Böhm, Gerald Hacke (Hrsg.), Fundamentale Gebote der Sittlichkeit. Der Reparationen eigenständig. Stalins Truppen unterminierten inzwi- »Euthanasie«-Prozess vor dem Landgericht Dresden 1947, Dresden 2008; Gerald Ausblick auf die politische und ökonomische Transformation schen die ökonomischen Voraussetzungen für Reparationslieferungen Hacke, »Der Dresdner Juristenprozess 1947 im Spannungsfeld der politischen und medialen Auseinandersetzung«, in: Jörg Osterloh, Clemens Vollnhals (Hrsg.), NS-Prozesse und deutsche Öffentlichkeit. Besatzungszeit, frühe Bundesrepublik Diese Entwicklung konnte im Sommer 1945 nicht vorhergesehen 32 Nach jüngsten Schätzungen und Berechnungen erbrachte die SBZ/DDR ein- und DDR, Göttingen u.a. 2011, S. 167–188. werden. Nach außen hin hatte es den Anschein, als ob die SMAD die schließlich der Besatzungskosten zwischen 12 und 15 Milliarden US-Dollar, den 35 Jürgen Zarusky, »Sowjetische Opfer von Krieg und nationalsozialistischer Verfol- Gründung demokratischer Parteien ohne Einschränkungen zuließ. 30 Vgl. Andreas Thüsing, Landesverwaltung und Landesregierung in Sachsen größten Anteil daran trug das hoch industrialisierte Sachsen, vgl. Winfrid Halder, gung in der bundesdeutschen Erinnerungskultur«, in: Andreas Wirsching, Jürgen 1945–1952, Frankfurt am Main 2000. Deutsche Teilung. Vorgeschichte und Anfangsjahre der doppelten Staatsgrün- Zarusky, Alexander Tschubarjan, Viktor Ischtschenko (Hrsg.), Erinnerung an Die KPD wandte sich in ihrem zentralen Aufruf vom 11. Juni 1945 31 Rainer Karlsch, Michael Schäfer, Wirtschaftsgeschichte Sachsens im Industrie- dung, Zürich 2002, S. 137. Diktatur und Krieg. Brennpunkte des kulturellen Gedächtnisses zwischen Russ- gegen radikale sozialistische Bestrebungen und präsentierte sich der zeitalter, Dresden 2006, S. 229. 33 Widera, Dresden 1945–1948, S. 336. land und Deutschland seit 1945, Berlin 2015, S. 227–245.

38 Einsicht Einsicht 14 Herbst 2015 39 Beiträge zu Leben und Wirken Fritz Bauers Fälle zuständig, in denen Juden versuchten, den für sie angeordneten 2) Anstifter und Gehilfen werden wie der Täter, die versuchte Tat »besonderen Lebensbedingungen« und gegen sie gerichteten Vernich- wird wie die vollendete bestraft. In leichteren Fällen kann auf tungsmaßnahmen zu entgehen. Waltke wurde wegen Beihilfe zum Mord Zuchthaus oder Gefängnis erkannt werden. an 73 Menschen zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt und im Übrigen 3) Die Aburteilung erfolgt durch die Sondergerichte. wegen zahlreicher weiterer Taten mangels Beweises freigesprochen.4 Mit dieser Neuregelung waren eine lebensbedrohliche Verschärfung Der ungesühnte Justizmord an Aufgrund der Anzeige leitete die Staatsanwaltschaft (StA) in der Repression und zugleich eine organisatorische Voraussetzung für Hannover auch gegen die drei Richter des Sondergerichts ein Er- eine »effektivere« Liquidierung der jüdischen Bevölkerung geschaf- Stanisława Janczyszyn mittlungsverfahren wegen Mordes ein. Der Aufenthaltsort des Vor- fen. Unabhängig von diesen administrativen Schikanen waren Juden sitzenden des Sondergerichts ließ sich nicht ermitteln. Der nunmehr täglich Willkür, Terror, Deportation in ein Vernichtungslager und Zur Einstellung eines Ermittlungsverfahrens erstbeschuldigte Beisitzer, der frühere Landgerichtsrat Ernst Krüger, Ermordung auf offener Straße ausgesetzt. Im März 1943 wurde die war inzwischen Rechtsanwalt und Notar im nordhessischen Arolsen.5 Liquidierung des Ghettos forciert. Bei seiner Räumung am 1. Juni durch die hessische Justiz im Jahre 1964 Deshalb gelangte das Ermittlungsverfahren im September 1963 an wurden etwa 12.000 Menschen umgebracht.12 In einer letzten Form die StA , die den hessischen Generalstaatsanwalt (GStA) Fritz von Selbstbestimmung nahmen sich rund 3.000 Juden das Leben.13 Bauer – der eine entsprechende Anordnung gegeben hatte6 – um Zu diesem Zeitpunkt war Marjan Frischmann schon tot; von Georg D. Falk Prüfung einer Übernahme des Verfahrens bat.7 Stanisława Janczyszyn wartete auf ihre Verhandlung. Hannover 1962

Am 25. Oktober 1962 erreicht den Unter- Lemberg 1943 Das Verfahren vor dem Sondergericht Lemberg suchungsrichter bei dem Landgericht (LG) 1 Dr. h.c. Georg D. Falk, geb. 1949, Hannover ein Brief aus Israel. Absender ist Ludwig Frischmann aus Die deutsche Herrschaft in dem im August 1941 dem »General- Verfahren gegen Juden vor den Sondergerichten waren selten. Vorsitzender Richter am Oberlan- Ramat-Izchak. Der hatte wenige Tage zuvor durch den Bericht einer gouvernement« (GG) angegliederten Distrikt Galizien war eine der Schon bei normalen strafrechtlichen Tatbeständen bestand der Re- desgericht Frankfurt am Main a.D., israelischen Zeitung von dem in Hannover geführten Strafverfahren schrecklichsten Erscheinungsformen des nationalsozialistischen Ter- gelfall eher darin, dass Juden der Polizei zur Ermordung überlassen Mitglied des Staatsgerichtshofes des gegen Oskar Waltke erfahren. Ohne Zögern erstattet er Strafanzeige rors, in der sich Ausbeutungs- und Vernichtungspolitik verbanden. wurden.14 Neben dem Verstecken blieb nur die Flucht. In dieser Landes Hessen, Lehrbeauftragter der gegen Waltke. Dieser habe am 17. Mai 1943 in Lemberg im Gefäng- Lemberg, das Zentrum Galiziens, galt seit den Zeiten Habsburgs verzweifelten Situation muss der polnische Widerstand Ludwig Philipps-Universität Marburg, seit nis in der Lackiegostraße seinen damals dreieinhalbjährigen Sohn als östlichste Stadt Mitteleuropas – ein Ort vieler Kulturen und Frischmann zu Hilfe gekommen sein.15 Nach den Feststellungen 1979 in verschiedenen Funktionen im Marjan erschossen. Konfessionen. Als sich die deutschen Truppen am 30. Juni 1941 des Sondergerichts wandte sich in der zweiten Aprilhälfte 1943 ein Bereich der Studenten- und Referen- Das Kind war wenige Stunden vor seiner Ermordung bei einer zum Angriff auf Lemberg rüsteten, lebten dort etwa 160.000 Polen, ihr unbekannter Mann des polnischen Hilfskomitees an Stanisława darausbildung tätig, seit 1997 Leiter Durchsuchung ergriffen worden. Zugleich war die Polin, bei der 160.000 Juden und 50.000 Ukrainer.8 3.400 Juden waren noch am Janczyszyn mit der Bitte, einen kleinen Jungen – den dreieinhalbjäh- der Fortbildungstagungen des Landes das Kind gewohnt hatte, verhaftet und im Dezember 1943 wegen Leben, als Lemberg Ende Juli 1944 befreit wurde.9 rigen Marjan – zu versorgen; seine zur Zwangsarbeit eingezogenen Hessen »Justiz im NS-Staat«. Zahl- Unterschlupfgewährung zum Tode verurteilt worden. »Als Vater Am 15. Oktober 1941 unterzeichnete Generalgouverneur Hans portugiesischen Eltern könnten sich um das Kind nicht kümmern. reiche Veröffentlichungen zu diesem meines so grausam ermordeten Kindes wende ich mich an Sie, Herr Frank die Dritte Verordnung über Aufenthaltsbeschränkungen10, die Sie versorgte das Kind bis zur Entdeckung am 17. Mai 1943. Thema, zuletzt: »Die ungesühnten Untersuchungsrichter, mit meiner Anklage gegen den Mörder Oskar durch Erlass vom 17. Dezember 1941 auf Ostgalizien übertragen Stanisława Janczyszyn, geboren am 7. Oktober 1906, befand Verbrechen der NS-Justiz« in: Wolf- Waltke, seinen Gehilfen Miezislaus Belzien und gegen die Richter wurde.11 Durch sie wurde ein neuer Paragraph 4b mit drei Absätzen sich bereits seit mehr als sechs Monaten in der deutschen Straf- gang Form, Theo Schiller, Lothar des damaligen Sondergerichts, mit der inständigen Bitte, die Mörder geschaffen: anstalt in Lemberg in Haft, als sie am 3. Dezember 1943 vor das Seitz (Hrsg.), NS-Justiz in Hessen. ihrer gerechten Strafe zuzuführen.«2 1) Juden, die den ihnen zugewiesenen Wohnbezirk unbefugt verlas- Sondergericht bei dem Deutschen Gericht in Lemberg gestellt wurde. Verfolgung. Kontinuitäten. Erbe, In Hannover stand zu diesem Zeitpunkt das Verfahren gegen Wal- sen, werden mit dem Tode bestraft. Die gleiche Strafe trifft die Marburg 2015, S. 337 ff.; »Die tke vor dem Abschluss. Dadurch war das Kerngeschehen bekannt: Personen, die solchen Juden wissentlich Unterschlupf gewähren. deutschen Richter im Jahre 1933«, Waltke, SS-Hauptscharführer, ein »alter Kämpfer«, arbeitete in Lem- ebd. S. 21 ff. (gemeinsam mit Jens- berg in dem zur Abteilung IV (Gestapo) gehörenden Judenreferat des 12 Ebd., S. 258. 13 Ebd., S. 259. Daniel Braun). Kommandeurs der Sicherheitspolizei und des SD; hier leitete er das 14 So heißt es in der Abschlussverfügung des Leiters der StA Lemberg vom Sachgebiet »Judenbegünstigung«.3 Damit war er für die Verfolgung der 4 Urteil des LG Hannover vom 29.11.1962, in: Christiaan F. Rüter (Hrsg.), Justiz 28.9.1942 in einer Strafsache gegen einen Juden: »In der Strafsache gegen K. und NS-Verbrechen, Bd. XVIII, Amsterdam 1978, S. 727–759. wegen Hehlerei habe ich […] von der Erhebung der öffentlichen Klage gemäß 5 HHStAW, Abt. 631a, Nr. 1467 f., Js 30/63 (GStA), Bl. 11. § 154a Abs. 3 StPO Abstand genommen und überstelle ihn hiermit zwecks Aus- 6 Matthias Meusch, Von der Diktatur zur Demokratie. Fritz Bauer und die Aufar- siedlung«; siehe Pohl, Nationalsozialistische Judenverfolgung in Ostgalizien, 1 Akten des Ermittlungsverfahrens des hessischen Generalstaatsanwalts gegen den beitung der NS-Verbrechen in Hessen (1956–1968), Wiesbaden 2001, S. 251. S. 164; vgl. auch Gerd Weckbecker, Zwischen Freispruch und Todesstrafe. Die früheren Landgerichtsdirektor Fritz Starcke und andere, Hessisches Hauptstaats- 7 HHStAW, Abt. 631a, Nr. 1467 f., Js 30/63 (GStA), Bl. 12. Rechtsprechung der nationalsozialistischen Sondergerichte Frankfurt/Main und archiv (HHStAW), Abt. 631a, Nr. 1467 f., Js 30/63 (GStA), Bl. 2 8 Pohl, Nationalsozialistische Judenverfolgung in Ostgalizien, S. 108. Bromberg, Baden-Baden 1998, S. 456, 758. 2 Ebd. 9 Saul Friedländer, Die Jahre der Vernichtung. Das Dritte Reich und die Juden 15 Diese und die folgenden Angaben sind mit Vorsicht zu behandeln, denn sie beru- 3 Dieter Pohl, Nationalsozialistische Judenverfolgung in Ostgalizien 1941–1944. 1939–1945, München 2006, S. 464. hen ausschließlich auf den tatsächlichen Feststellungen, wie sie sich aus dem Ur- Organisation und Durchführung eines staatlichen Massenverbrechens, München 10 Verordnungsblatt für das Generalgouvernement 1941, S. 595. teil des Sondergerichts Lemberg ergeben, in: HHStAW, Abt. 631a, Nr. 1467 f., 1997, S. 393. 11 Pohl, Nationalsozialistische Judenverfolgung in Ostgalizien, S. 163. Js 30/63 (GStA), Bl. 129 ff.

40 Einsicht Einsicht 14 Herbst 2015 41 Das Sondergericht verurteilte sie entsprechend der Anklage wegen »Ich möchte es dahingestellt lassen, ob aufgrund der nach 1945 im Sommer 1933 der SA an, schließlich mit dem Dienstgrad eines Den folgenden Text unter Ziffer II. 3. scheint Bauer persönlich Unterschlupfgewährung zum Tode. Die tatsächlichen Feststellungen gewonnenen Erkenntnisse die Verordnung über Aufenthaltsbeschrän- Rottenführers. Am 1. Mai 1937 trat er der NSDAP bei. Nach dem gestrichen zu haben, denn er verweist mit einer handschriftlichen im Urteil sind unpräzise. Schon der Aufenthaltszeitraum des Kindes kungen … der Endlösung der Judenfrage dienen sollte. […] Die Assessorexamen im August 1942 und kurzer Tätigkeit bei der StA Randbemerkung auf die Neuformulierung auf der folgenden Seite.23 bei der polnischen Familie erschließt sich lediglich aus der in den Verordnung hat […] einen durch die Kriegsverhältnisse bedingten Bielefeld wurde er am 1. September 1943 an die StA in Krakau Der Entwurf hatte folgende Formulierung vorgesehen: Gründen mitgeteilten »Übergabe des Kindes in der zweiten April- Ordnungssinn gehabt und insoweit auch eine Gerechtigkeit ange- abgeordnet und einen Monat später an die StA in Lemberg. Eine »Den Beschuldigten kann ihre Einlassung hinsichtlich des To- hälfte« und dem im Rubrum des Urteils festgehaltenen Zeitpunkt strebt. […] Schließlich möchte ich in diesem Zusammenhange be- Unterscheidung zwischen politischen und nichtpolitischen Strafsa- desurteils nicht widerlegt werden. Ihnen ist somit nicht nachzuwei- der Festnahme der Angeklagten. Die Begründung beschränkt sich merken, dass es in der Justiz – auf jeden Fall aber mir – bis dahin chen habe es im Dezernat nicht gegeben, sagte Körber. Die Juden sen, dass sie sich bewusst gewesen sind, gegen das Recht verstoßen24 auf folgende Sätze: nicht bekannt gewesen ist, dass ein Richter die Anwendung eines seien von der Strafgerichtsbarkeit nicht betroffen gewesen. Den und aus niedrigen Beweggründen im Sinne der Rechtsprechung zu »[…] Das jüdische Kind hatte mit seinen Eltern anordnungsge- ordnungsgemäß erlassenen Gesetzes ablehnen kann. […] Der weitere Grund kenne er nicht. Es sei aber allgemein bekannt gewesen dass § 211 StGB gehandelt zu haben (BGHSt 18, 37 ff.). Deshalb musste mäß Aufenthalt im jüdischen Wohnbezirk in Lemberg genommen. Vorhalt, dass in dem vorliegenden Falle der Hinweis der Frau, dass »die Polizei über sie verfügte«. An den Fall habe er keine konkrete das Ermittlungsverfahren wegen versuchten beziehungsweise voll- Wenn es sich auch als nicht geschäftsfähiger Mensch nicht rechts- es sich um ein Kind mit portugiesischer Staatsangehörigkeit gehan- Erinnerung. Der Gedanke, dass die Verordnung rechtswidrig sein endeten Mordes eingestellt werden.« wirksam aus dem jüdischen Wohnbezirk unbefugt entfernen konnte, delt habe, in der schriftlichen Urteilsbegründung nicht genügend könnte, sei ihm niemals gekommen. Bauers Neuformulierung lautet: so trifft § 4b der genannten Verordnung dennoch zu. Es entspricht behandelt sei, trifft […] an sich zu. Trotzdem ist diese Frage aber »Die Einlassungen der Beschuldigten hinsichtlich des Todesur- gesundem Volksempfi nden und dem Sinn und Zweck der Durchfüh- sicherlich in der Beratung geprüft worden und hat es offenbar nur der teils überzeugen nicht. Auch wenn aber davon ausgegangen wird, rung der Vorschriften über die Aufenthaltsbeschränkungen im GG, Berichterstatter unterlassen, hierauf bei Absetzen des Urteils näher Die Einstellungsverfügung dass sie sich der Grausamkeit der Todesstrafe bewusst waren, so dass auch noch nicht geschäftsfähige Personen durch tatsächliches einzugehen. Dies ist natürlich bedauerlich, aber bei der damaligen lässt sich ihnen nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachwei- Verhalten den ihnen zugewiesenen Wohnbezirk unbefugt verlassen Arbeitsüberlastung immerhin auch verständlich.« Nach Eingang der Äußerungen der Beschuldigten stellte die GStA sen, dass sie insbesondere aus niedrigen Beweggründen im Sinne und damit gegen § 4b der genannten Verordnung vom 13. September Der seinerzeitige Berichterstatter Helmut Pirk, 1906 in Berlin keine weiteren Ermittlungen an. Schon am 27. Februar 1964 un- der Rechtsprechung zu § 211 StGB gehandelt haben (vgl. BGHSt 1940 verstoßen können. Wenn auch strafunmündige Juden straf- geboren, war inzwischen als Oberregierungsrat beim Landesverwal- terschrieb Fritz Bauer die von Staatsanwalt Dr. Eberhard Kaiser 18, 37 ff.). Daher scheidet eine Strafbarkeit wegen vollendeten oder rechtlich hierfür nicht zur Verantwortung gezogen werden können, tungsamt in Berlin beschäftigt. Er war im November 1933 in die SS entworfene Einstellungsverfügung.20 versuchten Mordes aus. Einer Strafverfolgung wegen vollendeten so bleibt die Anwendbarkeit der genannten Gesetzesvorschrift auf eingetreten und 1937 oder 1938 NSDAP-Mitglied geworden.18 Ab Aus den Gründen: »II.1. Das Urteil ist objektiv rechtswid- oder versuchten Totschlags steht, wie bereits erwähnt, die inzwischen diejenigen, die strafrechtlich nicht verantwortlichen Juden Unter- 1935 war er als Hilfsrichter im Bezirk des Kammergerichts tätig. rig. Der § 4b der Verordnung über Aufenthaltsbeschränkungen eingetretene Verjährung entgegen. Somit musste das Ermittlungs- schlupf gewähren, bestehen. […] Die Verteidigung der Angeklagten, Im September 1939 erfolgte die Ernennung zum Amtsgerichtsrat im Generalgouvernement richtete sich nur gegen eine bestimmte verfahren eingestellt werden.« sie habe geglaubt, Juden portugiesischer Staatsangehörigkeit nähmen in Berlin. Zum 1. Oktober 1942 wurde er an die Regierung des Bevölkerungsgruppe. Er sollte offenbar nur zu deren Vernichtung Auch bei der Nachricht an den Vater des ermordeten Kindes eine Sonderstellung ein, greift nicht durch. Aufgrund von § 4b der Generalgouvernements abgeordnet und Anfang Januar 1943 an das beitragen. Mit ihm wurde die Gerechtigkeit nicht angestrebt. Die formuliert Bauer den Entwurf um. Die eigentliche Begründung für genannten Verordnung musste gegen die Angeklagte auf die nach Gericht in Lemberg versetzt. Zum Vorwurf ließ er sich wie folgt ein: Bestimmung ist unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des die Einstellung wird nicht mitgeteilt, stattdessen wird auf eine Ver- dieser gesetzlichen Vorschrift allein zulässige Todesstrafe erkannt »Ich stelle […] in Abrede, mich […] eines Tötungsverbrechens Bundesgerichtshofs (BGHSt. 2, 177)21 als nichtig anzusehen. Wie jährung verwiesen. Natürlich wusste Bauer, dass ein Mord nicht werden.« und gar des Mordes schuldig gemacht zu haben, selbst wenn die aus den Urteilsgründen zu entnehmen ist, fand die Verordnung nicht verjährt war; ihm ging es vermutlich um eine wenigstens vorder- Vollstreckung jenes Urteils festgestellt worden sein sollte. Da ich unmittelbar Anwendung. Sie ist vielmehr unter Berufung auf das gründig plausible Erläuterung für die Einstellung gegenüber dem mich an das Beratungsgeheimnis gebunden fühle, sehe ich mich da- gesunde Volksempfi nden und auf ihren Sinn herangezogen worden. Anzeigeerstatter. Die Ermittlungen des hessischen Generalstaatsanwalts ran gehindert, den Hergang bei der Beratung und Abstimmung über Die Einlassung der Angeklagten, dass das Kind die portugiesische Der Bericht an den Justizminister stellt eine andere Überlegung dieses Urteil zu offenbaren. […] Nach stets herrschender Auffassung Staatsangehörigkeit gehabt habe, wurde nicht gebührend gewür- in den Vordergrund: Im November 1963 veranlasst die Behörde des GStAs in Frankfurt darf sich der das Gesetz anwendende Richter damit abfi nden, dass digt. Sie hätte in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des »Das krasse Todesurteil und die nicht überzeugenden Einlas- am Main erste Ermittlungen. die ordnungsgemäß im Gesetzblatt veröffentlichten Gesetze und Ver- Reichsgerichts zum Irrtumsproblem als außerstrafrechtlicher, den sungen der Beschuldigten dazu legen den Gedanken an den Antrag Ernst Krüger, im März 1908 in Stralsund geboren, hatte nach ordnungen mit Gesetzeskraft verfassungsmäßig zustande gekommen Vorsatz ausschließender Rechtsirrtum behandelt werden sollen. Auch auf Eröffnung der gerichtlichen Voruntersuchung nahe. Es ist jedoch seinem 2. Examen 1935 als Gerichtsassessor im Bezirk des Ober- waren und daher so, wie sie abgedruckt sind, ihn bindendes Recht wenn die Todesstrafe als einzige Strafe angedroht war, so musste nicht damit zu rechnen, dass das Gericht ihm entsprechen würde.« landesgerichts (OLG) Stettin zuletzt beim Amtsgericht Stralsund darstellen. […] Der Gedanke, diese Verordnung könnte dennoch und konnte ihre Verhängung vermieden werden. Sie steht in einem als Sachbearbeiter für Entschuldungssachen gearbeitet.16 Am 1. Juli ›gesetzliches Unrecht‹ darstellen, konnte unter den seinerzeit im unerträglichen Missverhältnis zur Tat der Angeklagten und muss 1939 wurde ihm unter Beibehaltung seiner bisherigen Tätigkeit eine Generalgouvernement herrschenden Verhältnissen nicht aufkom- als grausame bezeichnet werden. Das Verbot grausamen Strafens Argumente für eine andere juristische Bewertung Planstelle als Landgerichtsrat in Köslin übertragen. In der NSDAP men. […] Sie sollte […] gewährleisten, dass ein Angehöriger der galt aber auch während der Herrschaft des Nationalsozialismus.«22 war er seit 1933, darüber hinaus im NS-Rechtswahrerbund und Rot- jüdischen Bevölkerung durch Zufl ucht bei einem Einwohner des Gegen die Richter des Sondergerichts Lemberg bestand ein hinrei- tenführer in der SA. Im September 1942 erfolgte die Abordnung an Generalgouvernements nicht die Plattform für eine gegen die deut- chender Tatverdacht für einen in mittelbarer Täterschaft begange- das Deutsche Gericht in Lemberg. Auf Vorhalte des Vernehmungs- schen Interessen gerichtete Tätigkeit gewinnen konnte.«19 nen Mord im Sinne von § 211 StGB, gegen den Ankläger wegen 20 Die Darstellung Meuschs, Von der Diktatur zur Demokratie, S. 252, Bauer habe 17 richters erklärte Krüger unter anderem: Der Ankläger vor dem Sondergericht, Heinrich Körber, geboren den ihm vorgelegten Entwurf der Benachrichtigung von der Einstellung an den Anstiftung zum Mord in mittelbarer Täterschaft. Angesichts der am 6. Juni 1914, gehörte seit seinem Aufenthalt beim Arbeitsdienst Beschuldigten Krüger verschärft, indem er den Tatbestand von »Rechtsbeugung« in »Mord, begangen durch Rechtsbeugung«, geändert habe, ist unzutreffend; sie- he HHStAW, Abt. 631a, Nr. 1467 f., Js 30/63 (GStA), Bl. 108. 16 Die folgenden Angaben stammen aus der Vernehmung des Beschuldigten Krüger 21 Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen (BGHSt), Bd. 2 (1952), 23 Für die Identifi zierung der unterschiedlichen Handschriften danke ich den frühe- vom 26.11.1963, in: HHStAW, Abt. 631a, Nr. 1467 f., Js 30/63 (GStA), Bl. 28 ff. 18 Schriftliche Einlassung des Beschuldigten, ebd., Bl. 57 ff. S. 177. ren Oberstaatsanwälten bei der GStA Gunther Mitscher und Johannes Warlo. 17 Ebd., Bl. 30 ff. 19 Ebd., Bl. 61 ff. 22 HHStAW, Abt. 631a, Nr. 1467 f., Js 30/63 (GStA), Bl. 103 ff. 24 Diese und folgende Hervorhebungen jeweils vom Verfasser.

42 Einsicht Einsicht 14 Herbst 2015 43 im Strafrecht geltenden Äquivalenztheorie kann an der Mitursäch- Feststellung einer vorsätzlichen Rechtsbeugung, um den Richter werden kann, dass er ein Gefühl dafür hat, ob eine Strafe in uner- begründete der GStA in der Einstellungsverfügung damit, es sei an- lichkeit von Anklage und Urteil für die Hinrichtung überhaupt kein auch wegen tateinheitlicher anderer Taten zu bestrafen.30 träglichem Missverhältnis zur Schwere der Tat und zur Schuld des gesichts der Einlassung der Beschuldigten nicht möglich, ihnen die Zweifel bestehen.25 Die Einstellungsverfügung ist insoweit nicht eindeutig. Wäh- Täters steht. […] All diese Umstände erwecken den Verdacht, dass subjektiven Mordmerkmale nachzuweisen. Dass das unzutreffend Die Frage einer Rechtsbeugung seitens der Richter des Son- rend StA Kaiser in seinem Entwurf die Einstellung (auch) auf einen der Angeklagte [...] bei den Strafaussprüchen bewusst das Recht war, ergibt sich indirekt aus Bauers Bericht an den Justizminister. dergerichts spielte bei der Fallgestaltung eigentlich keine Rolle. nicht nachweisbaren Rechtsbeugungsvorsatz gestützt hatte, verzich- gebeugt hat, um der ›allgemeinen Tendenz‹, d.h. dem Verlangen Tatsächlich hätte sich – mit der Terminologie des BGH – argumen- Grundsätzlich beschränkt zwar der Rechtsbeugungstatbestand die tete Bauer in seiner Korrektur auf diese auf die Sperrwirkung der der politischen Machthaber zu genügen, (die Angeklagten) […] tieren lassen, dass sich bei dem Lemberger Todesurteil die dem strafrechtliche Verantwortlichkeit des Richters.26 Wegen dieses so- Rechtsbeugung bezogene Argumentation. Das entspricht nicht nur durch Strafen ›unschädlich zu machen‹, die in einem unerträglichen Regime bewusst dienenden Richter zu Herren über Leben und Tod genannten Richterprivilegs kann ein Richter nicht bestraft werden, Bauers grundlegender Überzeugung von der Strafbarkeit justizieller Missverhältnis zur Schwere der einzelnen Taten und zur Schuld der aufgeworfen hatten.35 Denn die Einlassungen der Beschuldigten über wenn er fahrlässig ein – möglicherweise – falsches Urteil fällt. Die Terrorakte, sondern lag auch in der Konsequenz der in der Einstel- einzelnen Täter standen.«34 die Sinnhaftigkeit der Verordnung aus Gründen der Kriegsführung Sperrwirkung des Rechtsbeugungstatbestands greift aber dann nicht, lungsbegründung festgestellten Nichtigkeit der angewandten Norm. Aus der Perspektive einer Anklagebehörde lag es nahe, diese waren angesichts der tatsächlichen Umstände und des alltäglich wenn das Urteil in Wirklichkeit eine reine Willkürmaßnahme exe- Zur Annahme einer Strafbarkeit wegen Mordes konnte man im Argumentation aufzugreifen. Den direkten Rechtsbeugungsvorsatz sichtbaren Mordens geradezu grotesk. Sie hatten sogar selbst er- kutiert.27 Das gilt in besonderem Maße für Urteile unter Anwendung Jahre 1964 aber auch dann gelangen, wenn die Verurteilung der an hätte man unschwer in Anknüpfung an das grobe Missverhältnis kannt, dass Juden wegen eines Verstoßes gegen die Verordnung solcher Normen des NS-Staates, die evident als extremes Unrecht dem Todesurteil beteiligten Juristen ihre Strafbarkeit wegen Rechts- zwischen lebensrettendem Ungehorsam (Verlassen des Ghettos) und gar nicht mehr vor Gericht gestellt wurden, sondern die Polizei identifi ziert werden können. Die aufenthaltsrechtlichen Verord- beugung voraussetzte. Eine vorsätzliche Rechtsbeugung hätte sich Todesstrafe begründen können. Dieses Missverhältnis war so groß, anderweitig »über sie verfügte«36 bzw. »Standgerichte der Polizei« nungen im Generalgouvernement standen ersichtlich unmittelbar auf der Grundlage der Argumentation der GStA ohne Schwierigkeiten dass es auch unter Berücksichtigung der Zeitumstände nicht nur die Tötung übernommen hatten.37 im Zusammenhang mit der aus bloßem Rassenhass beschlossenen und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH begrün- von ausgebildeten Volljuristen leicht hätte erkannt werden können. Ausrottung der jüdischen Bevölkerung. Gerade die Androhung der den lassen. Zwar hatte der BGH in einer Entscheidung vom 7. De- Nach dem Sachverhalt konnte auch vom Vorliegen »niedriger Todesstrafe macht deutlich, was die eigentliche Zielsetzung war. zember 1956 für die Rechtsbeugung erstmals eindeutig den direkten Beweggründe« ausgegangen werden. Die gegenteilige Auffassung Betroffen waren einzig die Juden, die, schon um sich zu ernähren Vorsatz als erforderlich bezeichnet.31 Auch hier hatte er indes auf die 35 BGH, Urteil vom 21.7.1970, in: Neue Juristische Wochenschrift, Jg. 24 (1971), 32 H. 13, S. 571–575. und um eine Chance zum Überleben zu haben, gar keine andere Mög- schon in früheren Entscheidungen angesprochene Möglichkeit der 36 Aussage Körber, HHStAW, Abt. 631a, Nr. 1467 f., Js 30/63 (GStA), Bl. 96. lichkeit hatten, als das Ghetto zu verlassen. Auch mit Entscheidun- Rechtsbeugung durch unverhältnismäßiges Strafen hingewiesen. 34 BGHSt, Bd. 14 (1960), S. 147 f., Rn. 18 f. juris. 37 Aussage Krüger, ebd. Bl. 30R. gen des Bundesgerichtshofes (BGH) hätte sich daher ohne weiteres Wenige Jahre später bestätigte der BGH diese Auffassung nochmals begründen lassen, dass die dem Lemberger Todesurteil zugrunde mit einer Entscheidung vom 30. Juni 1959. Er begründete darin die liegende Verordnung keine Grundlage für eine wirksame richter- Annahme der objektiven Seite der Rechtsbeugung mit der Wendung: liche Tätigkeit sein konnte, weil das Anwenden dieser Verordnung »[…] so stand doch in beiden Fällen die Verhängung der To- gegen allgemeinverbindliche rechtliche Grundsätze verstieß, die desstrafe außer jedem Verhältnis zu einer etwa noch zu bejahenden 28 unabhängig von staatlicher Anerkennung gelten. Ein Urteil auf strafrechtlichen Schuld. Dieses Missverhältnis ist so groß, dass eine www.fischerverlage.de der Grundlage solcher Normanwendung ist nichtig. Weil damit zu- andere Erklärung als die, dass es sich hier um einen der Abschre- gleich die aus der amtlichen Befugnis zum Urteilen resultierende, ckung um jeden Preis dienenden terroristischen Akt handelte, aus- von § 336 StGB alte Fassung (a.F.) geschützte Rechtfertigung für geschlossen erscheint […]«.33 die Entscheidung von Rechtssachen entfällt,29 bedarf es nicht der Noch deutlicher wird dieser Gedanke in einer Entscheidung vom 16. Februar 1960 formuliert. Es ging zwar nicht um einen NS-Richter, sondern um einen früheren Richter der DDR, der Zeugen Jehovas zu einer zeitlich begrenzten Freiheitsstrafe verurteilt hatte. Der ange- Warum tun Menschen 25 Günter Spendel, Rechtsbeugung durch Rechtsprechung, Berlin, New York 1984, klagte Richter machte geltend, dass er die ausgesprochene Strafe für S. 107. Im Übrigen war es für die Frage eines hinreichenden Tatverdachts uner- heblich, wäre das richterliche Handeln nur als Beihilfe zum Mord gewürdigt wor- angemessen gehalten habe. Dies konnte ihm nicht widerlegt werden. einander Gewalt an? den. Für den Mordversuch – sofern es ausnahmsweise nicht zu einer Vollstre- Dennoch argumentierte der BGH: »Das schließt jedoch bei der ckung gekommen sein sollte – gilt nichts anderes. im übrigen gegebenen Sachlage den Vorsatz der Rechtsbeugung nicht Gewalt war und ist eine für jedermann zugängliche und deshalb 26 Thomas Vormbaum, Der strafrechtliche Schutz des Strafurteils. Untersuchungen ohne weiteres aus. Der Angeklagte ist Volljurist, von dem erwartet zum Strafrechtsschutz des strafprozessualen Verfahrenszieles, Berlin 1987, attraktive Handlungsoption – und kein »Extremfall«. Wer wirklich wissen will, S. 372. Gustav Radbruch hat die privilegierende Wirkung des Rechtsbeugungstat- was geschieht, wenn Menschen einander Gewalt antun, muss eine Antwort auf bestands erstmals ausdrücklich ausgeführt in dem vielzitierten Aufsatz »Gesetzli- die Frage finden, warum Menschen Schwellen überschreiten und andere ches Unrecht und übergesetzliches Recht«, in: Süddeutsche Juristen-Zeitung, verletzen oder töten. Eine beeindruckende Studie über den sozialen, kulturellen Jg. 1 (August 1946), Nr. 5, S. 108. Rechtssachen«, in: Goltdammers Archiv für Strafsachen, Jg. 140 (1993), und wissenschaftlichen Umgang mit Gewalt. 27 Vgl. auch Eric Hilgendorf, in: Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, S. 389 ff., 396 ff.; Dirk Quasten, Die Judikatur des Bundesgerichtshofs zur 12. Aufl ., 2011, Bd. 13, § 339 Rn. 59 ff. Rechtsbeugung im NS-Staat und in der DDR, Berlin 2003, S. 57. 28 BGHSt, Bd. 2 (1952), S. 173 ff., Rn. 29 juris: »Obrigkeitliche Anordnungen, die 30 Ob – unabhängig vom Entfallen einer Sperrwirkung – auch bei nichtigen Urteilen die Gerechtigkeit nicht einmal anstreben, den Gedanken der Gleichheit bewusst gleichwohl eine Rechtsbeugung begangen werden kann, ist problematisch; vgl. verleugnen und allen Kulturvölkern gemeinsame Rechtsüberzeugungen von Wert dazu Quasten, Die Judikatur des Bundesgerichtshofs, S. 93 ff. und Würde der menschlichen Persönlichkeit gröblich missachten, schaffen […] 31 BGHSt, Bd. 10 (1958), S. 294. 272 Seiten, gebunden, ¤ (D) 19,99 kein materielles Recht, und ein ihnen entsprechendes Verhalten bleibt Unrecht.« 32 BGHSt, Bd. 3 (1953), S. 118. 29 Friedrich-Christian Schroeder, »Der Rechtfertigungsgrund der Entscheidung von 33 In: Rüter (Hrsg.), Justiz und NS-Verbrechen, Bd. XVI, Amsterdam 1976, S. 584.

44 Einsicht Einsicht 14 Herbst 2015 45 Das Beratungsgeheimnis, auf das Krüger und Pirk auch mit habe bisher offengelassen, ob Richter sich durch Mitwirkung an in Betracht kommenden strafrechtlichen Tatbestände angenommen Auf dessen Empfehlung fand er als Staatsanwalt Aufnahme in den ihren Erinnerungslücken hinsichtlich ihres Abstimmungsverhaltens rechtswidrigen Todesurteilen auch wegen Mordes strafbar machen werden konnte. Das ist seinerzeit von anderen StAen durchaus so hessischen Justizdienst.48 Bezug nahmen, bot für sie bei richtiger Rechtsanwendung letztlich könnten. Andererseits begründet Bauer gegenüber dem Minister die gesehen worden. Auf Weisung des bei der kritischen Auseinander- Deshalb gilt es festzustellen: Nach den Gesamtumständen hätte keinen Schutz. Das Beratungsgeheimnis steht einer Beweisaufnah- Einstellung damit, es sei damit zu rechnen, dass das zuständige Ge- setzung mit der NS-Justiz keineswegs besonders hervorgetretenen der GStA im Februar 1964 den Antrag auf gerichtliche VU stellen me über das Abstimmungsverhalten dann nicht entgegen, wenn das richt einen Antrag auf Eröffnung der gerichtlichen Voruntersuchung Justizministeriums des Landes Schleswig-Holstein stellte die StA müssen. Er konnte es dem Untersuchungsrichter überlassen, aufzu- öffentliche Interesse an der Aufklärung eines Verbrechens schwerer (VU) ablehnen werde. Lübeck im Jahre 1965 bei einem nahezu identischen Todesurteil klären, ob das Todesurteil gegen Stanisława Janczyszyn vollzogen wiegt als das mit dem Beratungsgeheimnis verfolgte Interesse an Das ist in mehrfacher Hinsicht nicht plausibel: Weil der BGH des Sondergerichts Warschau den Antrag auf Eröffnung der VU.45 worden war. der Wahrung der Einheitlichkeit des Kollegiums und der Autorität die Rechtsfrage der Möglichkeit eines Justizmordes wegen niedriger Zuständig für die Bescheidung eines entsprechenden Antrags war Die fachlich verfehlte und aus heutiger Sicht unverständliche richterlicher Entscheidungen.38 Das gilt erst recht bei Anwendung Beweggründe der beteiligten Juristen noch nicht entschieden hatte, das für den Wohnsitz des Beschuldigten Krüger zuständige LG Kas- Einstellung des Ermittlungsverfahrens wegen dieses Justizmordes einer nichtigen Norm. Konkrete Anhaltspunkte für einen Dissens bei sprach alles – sofern sich ein hinreichender Tatverdacht für eine sel, über ein Rechtsmittel gegen dessen Entscheidung hatte das OLG setzt fort, was wenige Jahre vorher bundesweit massenhaft gesche- dem Lemberger Todesurteil ergaben sich aus den Einlassungen der Täterschaft bzw. Teilnahme an dem Justizmord begründen ließ – für Frankfurt am Main zu befi nden. Zwar war im Jahr 1952 der Versuch, hen war. Ermittlungsverfahren gegen im Zuge der »Blutrichterkam- Beschuldigten nicht. In einem solchen Fall kann aber nicht aufgrund eine gerichtliche VU. Nach § 180 Strafprozessordnung (StPO) in der einen Richter wegen eines exzessiven Todesurteils des Sondergerichts pagne« der DDR beschuldigte Juristen waren eingestellt worden. einer nur theoretischen Möglichkeit der Zweifelssatz zugunsten aller damals geltenden Fassung konnte ein solcher Antrag kaum abgelehnt Kassel zur Rechenschaft zu ziehen, gescheitert.46 Inzwischen war Auch in Hessen hatte der GStA Verfahren gegen mehr als hundert Beteiligten zur Anwendung kommen.39 werden. Gegen eine Ablehnung hätte das Rechtsmittelgericht ange- jedoch das die NS-Täter schützende gesellschaftliche Schweigekartell an Todesurteilen beteiligte NS-Richter eingestellt. rufen werden können. Mit der deshalb zu erwartenden Eröffnung der aufgebrochen. Die Diskussion nicht nur über die NS-Gewaltver- Es begründet eine Tragik, dass ausgerechnet Fritz Bauer, der immer VU ging das Ermittlungsverfahren in die Hand des Untersuchungs- brechen im Allgemeinen, sondern auch über die Beteiligung von wieder gegen die Unzulänglichkeiten der strafrechtlichen Verfolgung Bewertung der Einstellungsverfügung richters über; dieser musste eine Entscheidung der zuständigen Straf- Richtern des NS-Staates, die ihre Karriere ungebrochen fortsetzten, von NS-Verbrechen ins Feld gezogen ist, seinerseits bei unter Mitwir- kammer darüber herbeiführen, ob das Hauptverfahren zu eröffnen war hatte begonnen.47 Im Hessischen Landtag war darüber 1960 mehrfach kung »von kleinen Staatsanwälten, von kleinen Landgerichtsräten«49 Aus heutiger Perspektive ist die Einstellungsverfügung nicht nach- oder die Angeschuldigten außer Verfolgung gesetzt werden mussten.42 debattiert worden. Hinzu kam, dass in Frankfurt durch die gerade gefällten Todesurteilen den Kampf nicht wirklich aufgenommen hat.50 vollziehbar. Die in der Literatur wiederholt – auch vom Verfasser Entschied die zuständige Strafkammer auf der Grundlage von §§ 198, von Fritz Bauer veranlassten umfangreichen Ermittlungen für den Die Gründe dafür herauszuarbeiten bedarf es weiterer gründlicher – geäußerte Auffassung,40 Fritz Bauer habe bei Ermittlungen gegen 204 StPO a.F., die Angeschuldigten außer Verfolgung zu setzen, stand Auschwitz-Prozess ein starkes Problembewusstsein entstanden war. Untersuchungen. belastete Richter »nicht anders gekonnt« und entsprechende Verfah- der StA dagegen das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde nach Die Hauptverhandlung begann im Dezember 1963 etwa zeitgleich zur ren einstellen »müssen«41, hält einer kritischen Prüfung nicht stand. § 210 Abs. 2 StPO a.F. zu. Bauer hätte also streitige Rechtsfragen Aufnahme der Ermittlungen gegen die Lemberger Richter. Nur um Missverständnissen vorzubeugen, ein Nachsatz: Fritz Bauers Unter Berücksichtigung der bis Anfang 1964 ergangenen Rechtspre- wie das Vorliegen der Mordmerkmale ohne Weiteres einer Klärung Angesichts der Besetzung des für ein Beschwerdeverfahren historische Verdienste um die Demokratisierung, Liberalisierung und chung des BGH gab es gute Gründe, um von einer Strafbarkeit der durch das zuständige OLG zuführen können. zuständigen Strafsenats hatte der GStA keinerlei Veranlassung für Humanisierung der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutsch- an dem Lemberger Todesurteil beteiligten Richter wegen Mordes Die Widersprüchlichkeit der Einstellung ist auffallend und schon eine skeptische Beurteilung des Vorverständnisses der beteiligten land sind singulär. Für Studentinnen und Studenten, die Ende der in mittelbarer Täterschaft auszugehen. seinerzeit von anderen Staatsanwälten in der Behörde bemerkt wor- Richter. Kein Richter des nach der Geschäftsverteilung des OLGs 1960er Jahre ihr Jurastudium begannen, war er ein Leuchtfeuer in Die Einstellungsverfügung und die in diesem Zusammenhang den. Nicht nur Johannes Warlo, einer der jungen, von Bauer geholten im Jahre 1964 zuständigen 3. Strafsenats war Richter schon im NS- schwierigen Zeiten. Er gab Mut, Orientierung und Zuversicht. Seine formulierten Schreiben des GStAs offenbaren auch einen ins Au- Staatsanwälte,43 war über die Einstellung verwundert, schon weil Staat gewesen. Senatspräsident war Arnold Buchthal. Das war nicht Tätigkeit als Generalstaatsanwalt begründete »Höhepunkte in der ge fallenden Widerspruch: Einerseits wird eingeräumt, der BGH bei kontroversen schwierigen Rechtsfragen in derart bedeutsamen irgendein Richter. Als Jude im April 1933 zwangsbeurlaubt, wurde hessischen und der deutschen Justizgeschichte«.51 Bauer gehörte zu Ermittlungsverfahren grundsätzlich eine gerichtliche Entscheidung er mit Wirkung zum 1. November 1933 nach § 3 des Gesetzes zur den wenigen Initiatoren der Verfolgung von NS-Verbrechen; ohne herbeigeführt werden müsse.44 Es war nach der damaligen Rechtspra- Wiederherstellung des Berufsbeamtentums ohne Pension in den ihn wäre dieses dunkle Kapitel der bundesdeutschen Justizgeschichte xis der StAen auch nicht üblich, auf den Antrag auf Eröffnung der VU Ruhestand versetzt. Mit dem britischen Pionierkorps kam er aus noch schändlicher ausgefallen. 38 So schon Günter Spendel, »Das richterliche Beratungsgeheimnis und seine Grenze im Hinblick auf eine für möglich gehaltene Ablehnung des Antrags dem englischen Exil zurück. Buchthal wusste, um was es ging. Seit im Strafprozeß«, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, Jg. 65 durch die zuständige Strafkammer des LGs zu verzichten. Daher lag Anfang 1947 gehörte er zu den Staatsanwälten im Dienst der ame- (1953), S. 406 ff., 418. Ansonsten wäre die Gefahr einer »strukturellen Strafl osig- keit« und ein »Rechtsbeugungsprivileg« des Kollegialgerichts nicht von der Hand der Gedanke an einen Antrag auf Eröffnung der gerichtlichen VU rikanischen Anklagebehörde für Kriegsverbrechen; unter Charles zu weisen; so ausdrücklich Christoph Strecker, in: Betrifft Justiz, Nr. 96 (Dezember nicht nur – wie es in dem Bericht an den Justizminister heißt – »nahe«, M. LaFolette vertrat er in Nürnberg die Anklage im Juristen-Prozess 2008), S. 377 ff. Vgl. auch Thomas Fischer, »Beratungsgeheimnis, Sondervoten, sondern eine solche Antragstellung war nach dem Ermittlungsergeb- und später unter Robert M. W. Kempner gegen das Auswärtige Amt. Richterbilder. Einige Bemerkungen zu einer fast vergessenen Frage«, in: Felix Her- nis an sich zwingend. Der Maßstab der Prüfung durfte nicht sein, zog u.a. (Hrsg.), Festschrift für Winfried Hassemer zum 70. Geburtstag, Heidelberg 2010, S. 977–991; Klaus Bernsmann, in: Strafverteidiger, 2012, S. 274, 277. wie Bauer im Februar 1964 die Chancen auf eine Eröffnung der VU 48 Personalakte Ip B 315, HHStAW, Abt. 505, Nr. 1272. 39 Thomas Fischer, Strafgesetzbuch, 58. Aufl ., § 339 Rn. 8.; vgl. auch Hilgendorf, einschätzte. Es kam einzig darauf an, ob auf der Grundlage des vor- 49 Bauer in einer Sitzung des Rechtsausschusses des Hessischen Landtages, in: Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 339 Rn. 115. läufi gen Ergebnisses der Ermittlungen und bei Anwendung geltender 45 Klaus-Detlev Godau-Schüttke, Ich habe nur dem Recht gedient. Die »Renazifi - Kurzbericht über die Sitzung des Rechtsausschusses am 3.6.1960, S. 9, Hessi- 40 Georg D. Falk, »Die Karriere des Kriegsrichters und späteren Marburger Amtsge- juristischer Dogmatik ein hinreichender Tatverdacht hinsichtlich der zierung« der Schleswig-Holsteinischen Justiz nach 1945, Baden-Baden 1993, scher Landtag Archiv, S. 9. richtsdirektors Massengeil«, in: Joachim Perels, Wolfram Wette (Hrsg.), Mit rei- S. 220. 50 Bauer hoffte umso mehr auf den Erfolg der von ihm eingeleiteten Ermittlungen nem Gewissen. Wehrmachtrichter in der Bundesrepublik und ihre Opfer, Berlin 46 Urteil des LG Kassel vom 28.3.1952, auszugsweise abgedruckt in: Klaus Moritz, gegen die Generalstaatsanwälte und Oberlandesgerichtspräsidenten, die an der den 2011, S. 235. Ernst Noam, NS-Verbrechen vor Gericht 1945–1955 (Justiz und Judenverfolgung, Euthanasie-Verbrechen vorausgehenden Konferenz im »Haus der Flieger« in Ber- 41 So ausdrücklich: Meusch, Von der Diktatur zur Demokratie, S. 251 f.; Irmtrud Bd. 2), Wiesbaden 1978, S. 308 ff., 320 ff. Dazu näher Georg D. Falk, »Die unge- lin im April 1941 teilgenommen und mit ihrem Schweigen diese Morde gedeckt Wojak, Fritz Bauer 1903–1968. Eine Biographie, München 2009, S. 371. Voll- 42 Max Kohlhaas, vor §§ 178 ff., Anm. 1, in: Löwe-Rosenberg, Strafprozessord- sühnten Verbrechen der NS-Justiz«, in: Wolfgang Form u.a. (Hrsg.), NS-Justiz in hatten; vgl. dazu Helmut Kramer, »Oberlandesgerichtspräsidenten und General- ständig unzutreffend ist die Darstellung von Steinke, bei den von Bauer eingelei- nung, 21. Aufl ., Berlin 1963. Hessen. Verfolgung. Kontinuitäten. Erbe, Marburg 2015, S. 348 ff., 360 ff. staatsanwälte als Gehilfen der NS-›Euthanasie‹. Selbstentlastung der Justiz für die teten Ermittlungsverfahren seien »lediglich Freisprüche« herausgekommen, in: 43 Steinke, Fritz Bauer, S. 255 f. 47 Vgl. Sonja Boss, Unverdienter Ruhestand. Die personalpolitische Bereinigung Teilnahme am Anstaltsmord«, in: Kritische Justiz, Jg. 17 (1984), H. 1, S. 25 ff. Ronen Steinke, Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht, München 2013, S. 257. 44 Warlo in einem Gespräch mit d. Verf. am 17.12.2014. belasteter NS-Juristen in der westdeutschen Justiz, Berlin 2009, S. 45 ff. 51 Meusch, Von der Diktatur zur Demokratie, S. 382.

46 Einsicht Einsicht 14 Herbst 2015 47 Zentral in der Erzählung ist vor allem das Verfahren selbst, ge- hier der Reisende, nicht lesbar sind. Das Opfer erfährt in den Augen nauer die Art und Weise, wie in der Strafkolonie ein Prozess geführt des Richters/Offi ziers »Erlösung«. wird. Zunächst wird dies durch einen »eigentümlichen Apparat«3 In Kafkas Erzählung wird ein wesentlicher Aspekt der Ge- markiert, der für Exekutionen verwendet wird: Der Verurteilte wird schichte des Gesetzes und seiner Anwendung im 20. Jahrhundert nackt auf ein mit Watte belegtes Bett geschnallt. Sein Mund mit vorgezeichnet: die Aufhebung der im 19. Jahrhundert erarbeiteten Verfehlungen einem Filzstumpf verschlossen. Von oben geht eine Maschinerie rechtsstaatlichen Trennung zwischen verschiedenen Instanzen im in Form einer »Egge«, die mit Nadeln bestückt ist, auf den Rücken Prozess, insbesondere der Gewaltenteilung. In der Strafkolonie ist Franz Kafka, Hans Kelsen und des Festgeschnallten nieder und schreibt dem Delinquenten über der Offi zier alles in einer Person: Richter, Verteidiger, Ankläger, 1 viele Stunden hinweg ein Gesetz, eine Norm ein. In den Worten Vollstrecker – am Ende sogar Opfer. Was sich hier zudem zeigt, ist, die Normativität des Bösen des Offi ziers: »Dem Verurteilten wird das Gebot, das er übertreten dass so grausam und so sadistisch das Einschreiben des Gesetzes, hat, mit der Egge auf den Leib geschrieben.«4 Der von seiner Appa- der Norm, auf dem Rücken des Verurteilten auch erscheinen mag, ratur und dem Verfahren begeisterte Offi zier zeigt dem Reisenden, so ernsthaft scheint der Offi zier von der tiefen Gerechtigkeit dieser von Raphael Gross wie die Nadeln jeweils in zweifacher Anordnung über die Haut des Prozedur durchdrungen zu sein; auch und gerade vom moralischen Delinquenten fahren: »Die lange schreibt nämlich, und die kurze Standpunkt aus betrachtet. spritzt Wasser aus, um das Blut abzuwaschen und die Schrift immer Ich erinnere an diese Erzählung, da sie eine ganz andere Dimen- Franz Kafka: In der Strafkolonie klar zu erhalten.«5 sion, eine andere Auseinandersetzung mit der Frage des Gesetzes Diese Prozedur soll nicht einfach schnell töten, sondern es geht und der Implementierung von Normen ins Zentrum rückt, wie dies Während Kafka an seinem Roman Der Pro- darum, die Schrift so in den Körper zu treiben, dass durchschnittlich in der berühmten Parabel »Vor dem Gesetz« im Roman Der Prozess zess arbeitete, verfasste er eine Erzählung, In zwölf Stunden bis zum Ende vergehen. Dabei wird an alles gedacht. geschieht. Historisch könnte man die Parabel – und den Roman ins- Prof. Dr. Raphael Gross ist seit April der Strafkolonie. Dieser Text – geschrieben im Oktober 1914 – scheint Am Kopfende fi ndet der Delinquent sogar einen Napf mit warmem gesamt – als eine kritische Auseinandersetzung des Juristen Franz 2015 Direktor des Simon-Dubnow- mir für die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und Reisbrei: »Erst um die sechste Stunde verliert er das Vergnügen am Kafka mit dem »Gesetz« und mit der Frage nach der »Gleichheit Instituts für jüdische Geschichte und dem 20. Jahrhundert wichtiger als Der Prozess: Strafkolonien, die Essen. Ich knie dann gewöhnlich hier nieder und beobachte diese vor dem Gesetz« innerhalb der k. u. k. Monarchie verstehen, die Kultur und Inhaber des Lehrstuhls für in vielerlei Hinsicht Vorläufer der Konzentrationslager des 20. Jahr- Erscheinung. Der Mann schluckt den letzten Bissen selten, er dreht Kafka stark geprägt hat. Während sich mit der Erzählung In der Jüdische Geschichte und Kultur an hunderts waren, existierten seit dem 18. Jahrhundert, und sie waren ihn nur im Mund und speit ihn in die Grube. […] Wie still wird dann Strafkolonie etwas viel Radikaleres ankündigt: eine künstlerische der Universität Leipzig; zudem leitet auch im 19. Jahrhundert gängige Praxis. Als Sanktionsinstrument aber der Mann um die sechste Stunde! Verstand geht dem Blödesten Vorahnung von der moralischen Rechtfertigung des Unrechts oder er das Jüdische Museum in Frankfurt stellten sie eine besondere Form der Strafverbüßung dar. Die Delin- auf. Um die Augen beginnt es. Von hier aus verbreitet es sich. Ein der Normativität des Bösen im NS-Staat.8 am Main, dem er seit Februar 2006 quenten wurden in abgelegene Gebiete oder Kolonien transportiert Anblick, der einen verführen könnte, sich mit unter die Egge zu als Direktor vorsteht. Seit 2008 ist er bzw. deportiert, wodurch auch die Vorgänge in den Lagern fernab legen. Es geschieht ja nichts weiter, der Mann fängt bloß an, die Honorarprofessor am Historischen jeglicher Kontrolle waren. 1889 bis 1899 war beispielsweise der Schrift zu entziffern, er spitzt den Mund, als horche er. […] es ist Rassenschande: Moralisierung des Rechts Seminar der Goethe-Universität in Artilleriehauptmann Alfred Dreyfus aufgrund antisemitischer Intrigen nicht leicht, die Schrift mit den Augen zu entziffern; unser Mann Frankfurt am Main, seit 2009 Dozent auf der Teufelsinsel (Französisch-Guayana) interniert, wo sich eine entziffert sie aber mit seinen Wunden. Es ist allerdings viel Arbeit; Der Zusammenhang zwischen Recht und Moral tritt vielleicht am im Fachbereich Geschichte an der Strafkolonie für verurteilte Schwer- und Berufskriminelle befand. er braucht sechs Stunden zu ihrer Vollendung. Dann aber spießt ihn deutlichsten bei den öffentlichen Inszenierungen zur Brandmarkung Queen Mary, University of London. Auf einer solchen Insel mit einer Strafkolonie landet in Kaf- die Egge vollständig auf und wirft ihn in die Grube, wo er auf das der »Rassenschande« in Erscheinung. Bereits das 1935 in Nürn- Bis Ende April 2015 war er Direktor kas Erzählung ein »Forschungsreisender«. Er war offenbar nur aus Blutwasser und die Watte niederklatscht. Dann ist das Gericht zu berg verkündete »Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und des Leo Baeck Institute in London (ab Höfl ichkeit der Einladung des Kommandanten gefolgt, »der Exe- Ende, und wir, ich und der Soldat, scharren ihn ein.«6 der deutschen Ehre« verknüpft Recht/Gesetz mit Biologie (Blut) 2001) und Direktor des Fritz Bauer In- kution eines Soldaten beizuwohnen, der wegen Ungehorsam und In diesem Verfahren kennt der Verurteilte sein Urteil nicht: »Er und Moral (Ehre). Und so ist es kein Zufall, dass im Umfeld dieser stituts in Frankfurt am Main (ab April Beleidigung des Vorgesetzten verurteilt worden war«.2 Damit hatte erfährt es ja auf seinem Leib.«7 Er weiß nicht einmal, dass er verur- Moralisierung und Biologisierung der Norm es auch jenseits der 2007). Seine Forschungsschwerpunkte der Jurist Franz Kafka die Figur des Beobachters bzw. eines Pro- teilt ist. Entsprechend gibt es für ihn auch keine Verteidigung. Der Gerichte zu »Verfahren« kam, die jegliche Grenze zwischen Recht sind Jewish Intellectual History, Ge- zessbeobachters kreiert, der die Isolation des Lagers durchbrach. Angeklagte durchläuft eine Prozedur, in welcher er niemals zu Wort und Moral, zwischen Strafe und Rache, zwischen positiver Norm schichte und Wirkung des Holocaust kommt. Das geschriebene Gesetz sind Zeichnungen mit verschlunge- und situativem Volksempfi nden aufhob: Ich meine die öffentlich und Rechtsgeschichte. nen Buchstaben und Ornamenten, die den Tötungsapparat steuern, so inszenierten Rasenschande-Pogrome, wie sie seit 1933 in ganz Publikationen (Auswahl): November das Urteil vollstrecken und bezeichnenderweise für Außenstehende, Deutschland stattgefunden haben. 1938. Die Katastrophe vor der Katas- 1 Der Text basiert auf einem Vortrag, der im Rahmen des Symposiums »Globale – Lassen Sie uns dazu ein Foto genauer in den Blick nehmen. Das Tribunal – Ein Prozess gegen die Verfehlungen des 20. Jahrhunderts« vom trophe, München 2013; Anständig ge- 19. bis 21. Juni 2015 am Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe In einem von Klaus Hesse und Philipp Springer herausgegebenen blieben. Nationalsozialistische Moral, auf Einladung Peter Waibels gehalten wurde. Im Zentrum des Symposiums stand Band mit Fotos von NS-Terroraktionen in der Provinz fi ndet sich Frankfurt am Main 2010; Carl Schmitt der Roman Der Prozess (1914/1915) von Franz Kafka sowie eine Auseinander- 3 Ebd. und die Juden. Eine deutsche Rechts- setzung mit historischen Prozessen des 20. Jahrhunderts; der dadaistische Schau- 4 Ebd., S. 36. prozess von Andre Breton gegen Maurice Barres (1921), der Auschwitz-Prozess 5 Ebd., S. 39 f. lehre, Frankfurt am Main 2000 und das »Vietnam War Crimes Tribunal«. 6 Ebd., S. 42 f. Foto: Helmut Fricke, FAZ 2 Franz Kafka, In der Strafkolonie: Eine Erzählung, Göttingen 2012, S. 31. 7 Ebd., S. 36. 8 Clemens Jabloner, »Das Gesetz als Problem«, in: Juristische Blätter 2006, S. 409.

48 Einsicht Einsicht 14 Herbst 2015 49 eine Bildserie, die ein solches Rassenschande-Pogrom9 dokumen- Strafmaßnahmen durch eine Art von »Volksgerichtsbarkeit« wir- Rechts: Acht der tiert, welches Werner Konitzer sehr überzeugend analysiert hat.10 ken.12 Angeklagten des Auf einer dieser Fotografi en sieht man etwa einen jungen Mann in Wie unterscheiden sich nun Strafe und Rache, die beide Reakti- Nürnberger Prozesses gegen die Hauptkriegs- 11 einem Abendanzug mit Fliege, der ein Schild trägt. Er wird von onen auf eine Norm- bzw. eine Regelverletzung sind. Strafen gibt es verbrecher, vordere einer Gruppe von SA-Männern und anderen Personen eskortiert: Ein nicht nur im öffentlichen Leben, sondern auch in Institutionen wie Reihe (v. l.): Hermann Junge fährt auf seinem Fahrrad nebenher. Ein Mann ist vom Fahr- der Schule, der Armee, auch in der Familie. In der alltäglichen Rede Göring, Rudolf Heß, rad abgestiegen und begleitet den Tross. Körperhaltung und Gestik begrenzen wir den Sinn des Ausdruckes »Strafe« nicht auf juristische Joachim von Ribben- trop, Wilhelm Keitel, beider legen die Vermutung nahe, dass auch andere den Zug auf Verfahren, sondern bezeichnen damit ganz allgemein ein Verhalten, dahinter (v. l.): Karl diese Weise begleiten, die aber auf dem Bildausschnitt nicht erfasst bei dem jemandem mit Absicht ein Übel zugefügt wird, mit der Dönitz, Erich Raeder, werden. Die Formation der SA-Männer ist offenbar so locker, dass Begründung, dass er etwas getan hat, was er nicht hätte tun sollen.13 Baldur von Schirach, sie sich nicht gegen die umstehenden Zivilpersonen abschließt. Am Anhand dieser Erklärung (oder: Bestimmung) lassen sich Strafe Fritz Sauckel Foto: Offi ce of the Straßenrand begleiten verschiedene Leute den Zug, manche scheinen und Rache jedoch noch nicht unterscheiden. Tatsächlich scheint die U.S. Chief of Counsel auf dem Bürgersteig halb beteiligt mitzugehen, andere bleiben stehen historische Wurzel von Strafe ganz allgemein das Bedürfnis nach for the Prosecution of und winken den SA-Männern zu. Eine Frau grüßt mit Hitlergruß, Vergeltung zu sein. 14 Dementsprechend heben die klassischen (oder Axis Criminality/public eine andere Frau mit einem Kind auf dem Arm steht da, als wolle ursprünglichen) Defi nitionen von Strafe vor allem den Gesichtspunkt domain sie dem misstrauisch dreinblickenden Kleinen stolz zeigen, der Vergeltung hervor. Erst bei genauerer Betrachtung treten die wie sie ist und wie sie mit unserer Zustimmung sein kann. Der Mann unterschiedlichen Bedeutungen von »Strafe« und »Rache« in ihrer Unten: Hans Kelsen (Ausschnitt aus dem mit der Fliege, um den sich der ganze Aufzug zu drehen scheint, jeweiligen Besonderheit klar hervor. Plakat zur Ausstellung trägt ein Schild mit der Aufschrift: »Ich habe ein Christenmädchen Der sicherlich wichtigste Unterschied zeigt sich anhand der »Hans Kelsen und die geschändet«. Die Bildunterschrift klärt uns auf, dass es sich bei dem Gründe, die für die Vergeltungshandlung maßgeblich sein müssen. Bundesverfassung. öffentlich vorgeführten und gedemütigten jungen Mann um einen Im Fall der Rache muss das vorausgegangene Übel durch den erlitten Geschichte einer Josefstädter Karriere«, jüdischen Studenten handelt, der von der SA auf diese Weise durch sein, der die Rache ausübt. Die Tatsache, dass er selbst oder seine im Bezirksmuseum Marburg geführt wurde. Angehörigen das Übel erfahren haben, ist Handlungsgrund für die Josefstadt, 30.9.2010 Die Indienstnahme von moralischen Gefühlen der Empörung, Rache. Nach diesem Prinzip hat die Frage nach der Vorsätzlichkeit bis 27.2.2011.) von Schuldvorwürfen und der Andeutung von Groll durch Gefühle des Regelverstoßes, also nach dem willentlichen oder unwillent- des Hasses, die hier zelebriert werden, erklärt zum Teil die eigenar- lichen Handeln keinerlei Bedeutung. Was zählt, ist das zentrale tige Stellung, die die Rassenschande-Pogrome einnehmen. Es sind Merkmal der Rache: die persönlich empfundene Betroffenheit der Vorgänge, die zwischen öffentlicher Bestrafung einerseits und kol- Kränkung bzw. Schädigung. lektiv vollzogener Rache andererseits anzusiedeln sind. Der Aufbau Der Strafe hingegen muss die Verletzung einer Norm zugrunde des Geschehens erinnert an spätmittelalterliche Formen öffentlicher liegen, nach der eine Handlung als strafwürdig klassifi ziert wird. Sie, Bestrafung. Die öffentlichen »Vorführungen« und pogromähnlichen die Norm, und die Tatsache, dass sie verletzt wurde, sind Handlungs- Ausschreitungen trugen jedoch darüber hinaus zur Durchsetzung grund für die strafende Autorität. Die Autorität muss wiederum ihre von neu geschaffenen Gesetzen bei – den 1935 verabschiedeten Legitimation aus einem Rechtssystem herleiten, das die Normen, Nürnberger Gesetzen –, die intime Kontakte zwischen »arischen« gegen die verstoßen wird, defi niert. Die Vorsätzlichkeit spielt bei der und »jüdischen« Deutschen unter Strafe stellten. Die öffentliche Strafe eine entscheidende Rolle, setzt sie doch bei demjenigen, der Brandmarkung und Erniedrigung der sogenannten Rasseschänder – die Norm verletzt hat, in gewissem Maß so etwas wie Willensfreiheit und Rasseschänderinnen – sollten wie eine Vorwegnahme staatlicher voraus. In der Folge hat die Strafe das Ziel, dass der Bestrafte die Möglichkeit haben muss, Sinn und Berechtigung der Strafe ein- zusehen, ja dass er im Idealfall die »reinigende« und »heilende«

9 Zu dem Begriff »Rassenschande-Pogrom« hat Werner Konitzer vom Fritz Bauer Funktion der Strafe selbst anerkennt, da er sich mit der Tat selbst Institut mehrfach Überlegungen angestellt, auf die ich mich in diesem Abschnitt Schaden, nämlich Schuld zugefügt hat. Das heißt vor allem auch, in- stütze. Es handelt sich um Gedanken, die bisher noch nicht publiziert, aber in dem Schuld durch Strafe abgegolten werden kann, wird sie zugleich Vorträgen und Gesprächen entfaltet wurden. Ich danke Werner Konitzer dafür, auf diese Überlegungen zurückgreifen zu dürfen. 10 Alexandra Przyrembel, »Rassenschande«. Reinheitsmythos und Vernichtungslegi- timation im Nationalsozialismus, Göttingen 2003. Vgl. Klaus Hesse, Philipp Springer, Vor aller Augen. Fotodokumente des nationalsozialistischen Terrors in 12 Wildt, Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung, S. 366. der Provinz, für die Stiftung Topographie des Terrors hrsg. von Reinhard Rürup, 13 Zur Bedeutung von Strafe in Institutionen und für die Logik von Institutionen Essen 2002. Vgl. auch Michael Wildt, Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung, insgesamt: Michel Foucault, Überwachen und Strafen, Frankfurt am Main 1978. Oben: Franz Kafka (geboren am 3. Juli 1883 in Prag, Hamburg 2007, S. 219. 14 Joachim Ritter, Karlfried Gründer, Gottfried Gabriel (Hrsg.), Historisches gestorben am 3. Juni 1924 in Kierling bei Wien) auf dem 11 Hesse, Springer, Vor aller Augen, S. 82, Abb. 85. Wörterbuch der Philosophie, »Strafe«, Basel 1998, S. 208–261. Cover der Suhrkamp-Ausgabe von In der Strafkolonie.

50 Einsicht Einsicht 14 Herbst 2015 51 prinzipiell begrenzbar. Ziel der Strafe ist zudem, dass sie vom Opfer Dieses Beispiel aus der NS-Zeit soll uns helfen, die hier in wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem »positiven Recht« waren. Gleichzeitig warnt Kelsen, dass es eben solche Übereinkom- der rechtsverletzenden Handlung anerkannt wird. Dadurch hebt sich der Jurisprudenz und im Umgang mit dem Gesetz erfolgten Ver- wendete sich also vor allem gegen die Moralisierung, Psychologi- men bräuchte, um langfristig durch das Gesetz eine Basis für den sein Anspruch auf Vergeltung auf. Der Kreislauf, erneut Rache zu änderungen besser zu verstehen, und ich denke, es zeigt auch, in sierung, Theologisierung, Ethnisierung und nicht zuletzt gegen die Frieden zu schaffen. Damit waren die rechtlichen Grundlagen für üben, wird durchbrochen. Die Wirkung eines zugefügten Unheils in welcher Weise hier eine »Normativität des Bösen« aktiv betrieben Ideologisierung rechtlichen Denkens. Seine Theorie stand dem Bild, die Nürnberger Prozesse gelegt wie auch für den Jahrzehnte später ihren Folgen für ein Gemeinwesen wird begrenzbar. wurde – also ein Umgang mit dem Gesetz, wie Kafka ihn vor dem das Kafka in der Strafkolonie beschrieben hatte und das in zahlreichen eingerichteten Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Vor dem Hintergrund dieser beiden Charakterisierungen erschei- NS bereits imaginierte und der uns in veränderter Form auch heute anderen Variationen in der NS-Jurisprudenz realisiert worden war, 1947 – ein Jahr nach Beendigung des Nürnberger Prozesses ge- nen die öffentlichen und gewalttätigen Erniedrigungsrituale wegen immer wieder herausfordert. Dabei übergehe ich ganz die weitere diametral entgegen. Sein theoretischer Hauptgegner war der bis heute gen die Hauptkriegsverbrecher – kommentierte Kelsen das Tribunal Rassenschande bestenfalls als eigentümliche Mischung von Strafe Radikalisierung in den nationalsozialistischen Konzentrations- und gerade in den Kulturwissenschaften weiterhin so beliebte, vielleicht und kam auf seine Grundgedanken aus dem Jahre 1943 zurück. Er und Rache. Sie stellen weder ganz das eine noch ganz das andere vor allem in den Vernichtungslagern. Hier tritt – nach den vollzoge- bedeutendste nationalsozialistische Rechtsdenker, Carl Schmitt. kritisiert nicht den Gegenstand oder den Inhalt des Verfahrens, auch dar, sondern nehmen Momente von beidem – von Strafe und von nen Morden – das Element der »Anständigkeit« beim Töten hinzu, Das Werk von Kelsen ist außerordentlich umfangreich, zahlrei- nicht die Urteile des IMT, sondern die Argumentation des Chief Rache – auf. In gewisser Weise bilden sie also eine eigene Form der von der Himmler in seiner berüchtigten Posener Rede im Jahr 1943 che grundlegende Aspekte seiner Lehre wären auszuführen, wenn Justice Robert H. Jackson: »This judgement [by the International Vergeltung, die sich zugleich als Normsetzung versteht. gesprochen hat. Nach der Aufl ösung der Differenz zwischen Recht es um Recht und Moral geht. Ich will heute vor allem einen Punkt Military Tribunal – RG] is not a source of law in the sense a true Die ganze Inszenierung der Rassenschande-Pogrome scheint ein und ethnischer Moral, zwischen dem Gesetz und der Moral der zur Sprache bringen, nämlich wie Kelsen die Frage nach der juris- precedent ist. The source of law is the London Agreement; and it is Vorgang von Verurteilung und Strafe zu sein, weil dem Rasseschän- Volksgemeinschaft, beginnt die Rechtfertigung des »anständigen« tischen Auseinandersetzung mit verbrecherischen Kriegen und mit a source of law only and exclusively for the International Militrary der – vielfach waren es Rassenschänderinnen – zumindest eine Art Mordens – die natürlich auch 1945 (oder: selbst nach 1945) keine den präzedenzlosen Massenverbrechen diskutiert hat. Dies schließt Tribunal established by this Agreement.«19 Während Kelsen die Geständnis irgendwie zugebilligt wird. Als Grund für die Vorführung scharfe Grenze fand. auch die Frage mit ein, ob und inwieweit sich durch diese historische Bestrafung der Verbrecher des 20. Jahrhunderts – wenn ich unser wird eine als schlecht bewertete Handlung genannt. Die Vorfüh- Zäsur Folgen ergaben für seine nüchterne Rechtstheorie. Kelsen hatte Thema mal so lesen kann – selbstverständlich einfordert, so war für rung ist öffentlich, ja sie bezieht ganz bewusst die Öffentlichkeit sich in einer 1941 erschienenen Schrift – übrigens die letzte, die er ihn ebenso zentral, dass die Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher mit ein, weil sie auf Vergeltung und auf allgemeine Abschreckung Hans Kelsen: Peace Through Law16 noch in deutscher Sprache publizieren sollte – mit dem Verhältnis auf der Grundlage eines durch positives Recht geregelten Verfahrens zielt. Schließlich treten hier Personen auf, die sich wie Autoritäten von »Vergeltung und Kausalität« beschäftigt. Es ging ihm hier in beruht und vor Gericht entschieden wurde. Die Bestrafung sollte ge- gebärden und die Bestrafung durchführen. Alle diese Elemente der Der Autor, der aus meiner Sicht die schärfste Antwort, die striktes- erster Linie um die Bedeutung von Vergeltung in der menschlichen nau nicht ein reines Instrument politischer, theologischer, ethnischer Strafe sind jedoch darauf ausgerichtet, eine ideologisch-moralische te Theorie, die radikalste Absage formulierte gegenüber jeglicher Vorstellung von Gerechtigkeit. Der Zweite Weltkrieg war zu dieser oder moralischer Vorstellungen, eben keine Rache sein. NS-Norm zu etablieren, nämlich die der Rassenschande. Vermischung von Moral und Recht wie gegenüber der Aufl ösung Zeit bereits zwei Jahre im Gange. Kelsen war von Köln über Genf/ Einem Vorgang von Rache wiederum gleicht das Szenario da- der Gewaltenteilung und dabei gleichzeitig – weder zufällig noch Prag noch knapp in die USA entkommen. Seit 1922, verstärkt noch durch, dass die Handlung des Beschuldigten eine Beleidigung oder unvermittelt – ein führender Theoretiker der Demokratie wurde, ist ab 1933 hatte er im Genfer Exil zu völkerrechtlichen Themen gear- Justiz nach 1945 Verletzung der ganzen Gruppe bzw. der Volksgemeinschaft darstellen Hans Kelsen. Ich möchte nun auf diesen zweiten Autor zu sprechen beitet. Seit den 1940er Jahren ging er der Frage nach der Herstellung soll, in deren Namen die »Bestrafung« durchgeführt wird. In einem kommen, der mir für unseren Kontext heute entscheidend erscheint. von Gerechtigkeit durch »Strafe« in Bezug auf das Völkerrecht nach. Nach dem Nürnberger Tribunal setzte sich die juristische Aufar- ganz archaischen Verständnis vollzieht sich die Logik der Rache nach Wie Kafka war auch der in Prag geborene Jahrhundertjurist Hans Seine Auseinandersetzungen kulminierten in der Publikation Peace beitung der NS-Verbrechen innerhalb des nationalen rechtlichen dem Muster: Jemand aus der eigenen Gruppe wurde angegriffen, da- Kelsen durch das assimilierte jüdische Bürgertum der österreichisch- Through Law, die schließlich 1944 erscheinen sollte. Viele der darin Rahmens fort. Von den vielen Prozessen, die in der Nachkriegs- mit wird die Gruppe in ihrer Gesamtheit beschädigt und geschändet. ungarischen Doppelmonarchie geprägt. Noch mehr stand im Zentrum behandelten Fragen hatte er bereits 1943 ausführlich behandelt in zeit geführt wurden, sind Ihnen bestimmt viele vertraut: Der 1961 Die Integrität der Gruppe ist erst dann wiederhergestellt, wenn der seiner Überlegungen die Frage nach der Grundlage des menschli- dem umfangreichen Artikel »Collective and Individual Responsibi- in Jerusalem geführte Prozess gegen Adolf Eichmann stützte sich Täter – oder womöglich jemand aus der Gruppe des Täters – öffent- chen Rechts, die sich später in seinem berühmten Hauptwerk Reine lity in International Law with Particular Regard to the Punishment rechtlich im Wesentlichen auf dieselbe formale Grundlage wie das lich bloßgestellt, angegriffen, gedemütigt und geschädigt wird. Die Rechtslehre niederschlug. Die hier entwickelte Rechtstheorie baut auf of War Criminals«18. Kelsen argumentiert hier, dass die bestehenden Nürnberger Tribunal, nämlich auf die von den Alliierten kodifi - Gewaltakteure, die SA-Männer, würden auf diese Weise als Rächen- dem Begriff der Grundnorm auf; sie bildet die Grundlage und den völkerrechtlichen Grundlagen (die etwa aus dem Brian-Kellogg-Pakt zierten Londoner Statuten aus dem Jahre 1945. Die seit 1949 von de die Ehre der eigenen Gruppe wiederherstellen. Dem entspricht, Ausgangspunkt des Rechts. Die Reinheit bezog sich, anders als es aus dem Jahre 1928 resultierten) keine ausreichende Grundlage böten der bundesrepublikanischen Justiz geführten sogenannten NSG- dass auf den Schildern, die den Gebrandmarkten umgehängt werden, die kaum zu überblickenden polemischen Schriften behaupten, nicht für eine individuelle Bestrafung von Kriegsverbrechern. Dennoch sei Verfahren basierten wiederum auf dem deutschen Strafrecht von von Schande, also dem Gegenteil von Ehre die Rede ist. auf das »abstrakte Recht«, sondern auf den Versuch, die Rechtslehre aber selbstverständlich eine individuelle Bestrafung auf völkerrecht- 1871. Entsprechend gab und gibt es hier weder die Todesstrafe noch In genau dieser Verbindung zwischen Rachemotiven aufgrund nicht mit anderen Disziplinen zu vermischen: »In völlig kritikloser licher Basis möglich, selbst rückwirkend, wenn ein entsprechendes konnten auf dieser Grundlage die Straftatbestände ins Zentrum ge- des rasseschändlichen Angriffs gegen die Volksgemeinschaft und Weise hat sich die Jurisprudenz mit Psychologie und Biologie, mit Abkommen mit den beteiligten Staaten abgeschlossen würde. Damit stellt werden, die kennzeichnend für die NS-Verbrechen waren: die dem gleichzeitigen Anspruch, strafbegründete Normen zu setzen, Ethik und Theologie vermengt.«17 Kelsens klare Vorstellung von einer war ein für das spätere Nürnberger Tribunal entscheidendes juristi- Massenmorde. Die Beteiligung an Massenerschießungen und an kommt ein zentraler Aspekt nationalsozialistischer Ethik zum Aus- sches Hindernis von ihm aus dem Weg geräumt worden: Nicht nur den Vergasungen in den Vernichtungslagern wurden behandelt wie druck. Nämlich, dass sich eine besondere Gemeinschaft zur Quelle Staaten, sondern auch Individuen konnten rückwirkend für Kriegs- ein »normales« kriminelles Einzeldelikt: Die NS-Täter wurden des aller Beurteilung (und damit auch aller Normen) überhaupt zu er- verbrechen belangt werden, wenn die entsprechenden Grundlagen Mordes nach § 211 angeklagt, den sie in teils Hunderten von Fällen von Wilhelm Weischedel, Frankfurt am Main 1974, S. 150; Immanuel Kant, Me- 15 heben versucht . taphysik der Sitten, in: ders.: Werkausgabe Bd. VIII, hrsg. von Wilhelm Weische- positivrechtlich zwischen den Staaten abgestimmt und beschlossen begangen hatten. Zu den wenigen Verfahren, die in einer breiten Öf- del, Frankfurt am Main 1977, S. 453; Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlini- fentlichkeit wahrgenommen wurden, gehörte der sogenannte Ulmer en der Philosophie des Rechts, hrsg. und eingeleitet von Helmut Reichel, Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1972, S. 96. 15 Dieser Gesichtspunkt spielt sowohl in Kants wie auch in Hegels Rechtsphiloso- 16 Hans Kelsen, Peace Trough Law, Clark, NJ 2008. 18 Hans Kelsen, »Collective and Individual Responsibility in International Law phie eine bedeutende Rolle. Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft. 17 Hans Kelsen, Reine Rechtslehre. Einleitung in die rechtswissenschaftliche Prob- with Particular Regard to the Punishment of War Criminals«, in: California Law Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: ders.: Werkausgabe Bd. VII, hrsg. lematik, Studienausgabe der 1. Aufl . 1934, Tübingen 2008. Review, Vol. 31 (1943), S. 530. 19 Ebd., S. 162.

52 Einsicht Einsicht 14 Herbst 2015 53 Einsatzgruppen-Prozess gegen Angehörige des Einsatzkommandos deutschen Nachkriegsgeschichtsschreibung aufgearbeitet. Für mich wirkmächtigen Echos beschäftigt, erscheint mir am sinnvollsten zu haltgemacht, in Nürnberg wenigstens die Hauptkriegsverbrecher zu Tilsit, der am 28. April 1958 vor dem Schwurgericht in Ulm begann. scheint es insgesamt kompliziert oder mindestens eine Überforde- sein für eine gegenwärtige Auseinandersetzung mit den Verbrechen belangen (und zwar auch für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verhandelt wurde der Mord an 5.502 jüdischen Kindern, Frauen und rung, davon auszugehen, Historiker könnten in diesen Prozessen des Nationalsozialismus. auch wenn dieser Straftatbestand hier nicht im Fokus stand). Für Männern durch zehn Gestapo-, SD- und Ordnungspolizeiangehörige. viel beitragen. Sie können sich eben nicht auf ein »positives Gesetz« Kelsen bestand zwar nicht der geringste Zweifel, dass die juristische International wahrgenommen wurde der erste Frankfurter Ausch- beziehen und es fehlt ihnen der juristische Maßstab. Zwar haben sie Verfolgung dieser Verbrecher notwendig war, dennoch hielt er das dort witz-Prozess in den Jahren 1963–1965. Dieses Großverfahren ging im Veto-Recht der Quellen21 ein gewisses Korrektiv, um nicht reine Schluss gewählte Verfahren für unzureichend. Die NS-Verfahren insgesamt wesentlich auf die Initiative des sozialdemokratischen, jüdischen Geschichten zu erzählen. Doch wenn sie nicht »reine Empiriker« konnten nicht die Aufgabe übernehmen, die den Verbrechen zugrunde Generalstaatsanwalts Fritz Bauer zurück. Angeklagt waren zunächst sein wollen, werden sie viel stärker aus der ersten Person heraus Nürnberg steht für den Versuch, mit den Verbrechen der NS-Zeit liegenden Motive und moralischen Gefühle aufzudecken. Darin sehe 22, später noch 20 ehemalige Täter aus dem Konzentrations- und historische Urteile fällen – die nicht unbedingt für die juristische juristisch umzugehen. Das Tribunal der Alliierten fand nicht zufällig ich – bis heute – eine mögliche Rolle für die Arbeit des Historikers. Vernichtungslager Auschwitz, die direkt am Massenmord beteiligt Urteilsfi ndung hilfreich sind. hier statt, in Hitlers »Stadt der Reichsparteitage« und der »Nürnber- Zum Schluss noch einige Sätze zu meiner Rolle in dem hier waren. Der Prozess hatte eine gesellschaftlich breite pädagogische ger Gesetze«. Nürnberg steht für die gleichnamigen Gesetze von geführten angeblichen Tribunal. Einige Punkte habe ich ja bereits Wirksamkeit. Jedoch entsprachen weder die Urteile den Erwartungen 1935 – dem »Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der erwähnt. Die Ausführungen zu Kelsens rechtlicher Grundsatzposi- des Generalstaatsanwalts oder denen der in Frankfurt aufgetretenen NS und Moral deutschen Ehre«. Dieser Schritt war der sichtbarste Versuch, das tion, der ich folge, nämlich, dass jedes juristische Verfahren, auch Opferzeugen noch führte der Prozess zu einer wirklich großen Welle moderne auf Gleichheit basierende Rechtssystem in seinen Grund- das Nürnberger Tribunal, eine klare positiv rechtliche Grundlage weiterer juristischer Verfahren. Zwar folgten noch fünf kleine Ausch- Es gibt allerdings Gebiete in dieser Auseinandersetzung, zu denen lagen zu zerstören, um eine Moralisierung und Biologisierung – wir benötigt, mögen Ihnen verdeutlicht haben, dass ich das gesamte witz-Prozesse in den 1960er und 1970er Jahren, sie blieben jedoch Historiker gemeinsam mit Philosophen und Vertretern anderer Dis- würden heute sagen Ethnisierung – der normativen Grundlagen in Karlsruher Verfahren für problematisch halte. Ein Tribunal des vollkommen unbeachtet; insgesamt ging die Anzahl der Prozesse ziplinen Neues beitragen können. Mich interessiert vor allem die der Gesellschaft zu etablieren. Kafka hat diese Möglichkeit in sei- 20. Jahrhunderts scheint mir nur dann sinnvoll zu sein, wenn es und die Einleitung von NSG-Verfahren drastisch zurück. Zahlreiche Frage nach den Gründen für die fürchterlichen Verbrechen, die von ner Erzählung In der Strafkolonie bereits 1914 – also an einer der die Irrwege eines moralisierten Rechts kennzeichnet und auf die hohe Beamte, Juristen, Ärzte, Theologen, Wissenschaftler und Un- Deutschen und anderen begangen wurden und nicht von einem an- Schwellen der Moderne – vorausgeahnt. Bedeutung des positiven Rechts hinweist. Da dies – gerade in den ternehmer, die in verantwortlicher Position an den NS-Verbrechen onymen 20. Jahrhundert. Für die Beschäftigung mit den Hintergrün- Kelsens fundamentale Kritik an jeder nur möglichen Form der heutigen Kulturwissenschaften – oftmals nicht populär ist, hielt ich beteiligt waren, blieben nach 1945 unangetastet und hatten sich in den reichen die klassischen strafrechtlichen Kategorien, wie sie für Pervertierung des Rechts hat auch vor dem Versuch der Alliierten nicht es trotz vieler Bedenken für richtig, heute hier zu sprechen. ihren stabilen bruchlos fortgesetzten Nachkriegskarrieren etabliert. Deutschland noch im 19. Jahrhundert formuliert worden sind, nicht Ein Großteil von ihnen wurde teils durch rechtliche Veränderun- aus: (also: »Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Ge- gen, teils durch das Nicht-Aussetzen der Verjährungsfrist geradezu schlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, vor polizeilichen Ermittlungen geschützt. Wichtige NSG-Verfahren heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln gegen hohe Entscheidungsträger, sogenannte Schreibtischtäter – et- oder, um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, 22 wa im Reichssicherheitshauptamt –, verliefen daher im Sande oder einen Menschen tötet.« ). Diese Motive erklären noch nicht, wie www.fischerverlage.de konnten gar nicht erst eröffnet werden. Der Versuch, die Normativität das, was in Nürnberg und im ersten Auschwitz-Prozess verhan- des Bösen, die in den präzedenzlosen Massenverbrechen gegipfelt delt wurde, möglich werden konnte. In einem Projekt von Werner »Ein herausragendes Buch. (…) war, in Deutschland juristisch zu ahnden, der wesentlich mit dem Konitzer und mir, auf das ich Sie aufmerksam machen möchte, geht Nicholas Stargardt (…) bietet anschaulichere und nuanciertere Einsichten denn je in die Motive, Namen von Fritz Bauer verbunden ist, vollzog sich als steiniger und es um die Auseinandersetzung mit »NS und Moral«. Wir gehen die gewöhnliche Deutsche den grauenvollsten schwieriger Weg. Aus heutiger Sicht, würde ich als Historiker sagen, davon aus, dass – wie oben ja schon gezeigt – der Nationalsozi- Krieg aller Zeiten führen ließen.« Ian Kershaw konnten die späteren Verfahren letztlich nur symbolisch eine Spur alismus sehr stark moralische Kategorien verwendet hat, um eine von Gerechtigkeit legen. Das macht sie keineswegs unbedeutend – ständige Empörung zu inszenieren, welche die Verfolgung und die aber sie hatten eben ihre Grenzen. Morde legitimierte. Die Moralisierung des Rechts war kein Zufall, 1939 – 1945 Noch ein Wort zur Rolle von Historikern in den bundesdeut- sondern Programm. Wir untersuchen, wie diese Form der »Moral« schen NS-Prozessen, die auch meine diffuse Funktion in dem hier funktioniert hat. Und wir fragen weiter, welcher Anteil dieser NS- Sechs endlose Jahre, erzählt aus der geführten angeblichen Tribunal fraglich erscheinen lässt. Die bun- Moral, die ja von breiten Teilen der Bevölkerung geteilt worden war, Perspektive der Menschen, die sie durchlebten desdeutschen Gerichte bzw. die Ankläger der Staatsanwaltschaften sich nach 1945 weiter gehalten und verbreitet hat und inwieweit sie hatten teils namhafte Historiker als Sachverständige aufgerufen. auch in Echos bis in die Gegenwart hineinreicht.23 Diese Perspek- Sommer 1939, Mobilmachung im nationalsozialistischen Deutschland. Gerade die deutschen Historiker waren oftmals selbst ehemals Mit- tive, die sich mit der Motivation für diese Verbrechen und deren Die Menschen ahnen nicht, dass ein brutaler, zerstörerischer Krieg folgen wird. Erstmals erzählt der renommierte Oxford-Historiker Nicholas Stargardt aus der glieder der NSDAP oder anderer NS-Organisationen, so dass ihre Nahsicht, wie sie diese Zeit erlebten. Rolle zumindest kompliziert war. Nicolas Berg hat in einem gerade auf Englisch erschienenen eindrucksvollem Werk, The Holocaust 21 Reinhart Koselleck, »Standortbindung und Zeitlichkeit. Ein Beitrag zur historio- and the West German Historians,20 diese und weitere Aspekte dieser graphischen Erschließung der geschichtlichen Welt«, in: ders.: Vergangene Zu- kunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt am Main 1979, S. 176–207. 22 Strafgesetzbuch, StGB, § 211: »Mord«, 52. Aufl ., München 2014. 23 Moralität des Bösen. Ethik und nationalsozialistische Verbrechen, Jahrbuch 2009 zur 848 Seiten, gebunden, ¤ (D) 26,99 20 Nicholas Berg, The Holocaust and the West German Historians: Historical Inter- Geschichte und Wirkung des Holocaust, hrsg. im Auftrag des Fritz Bauer Instituts pretation and Autobiographical Memory (George L. Mosse), Madison 2015. von Werner Konitzer und Raphael Gross, Frankfurt am Main, New York 2009.

54 Einsicht Einsicht 14 Herbst 2015 55 Rezensionen Buch- und Filmkritiken

65 Christian Dirks, Hermann Simon (Hrsg.): Von Innen nach 78 Nicholas Kulish, Souad Mekhennet: Dr. Tod. Außen. Die Novemberpogrome 1938 in Diplomatenberichten Die lange Jagd nach dem meistgesuchten NS-Verbrecher  Exil aus Deutschland / From the Inside to the Outside. The 1938 von Rudolf Walther, Frankfurt am Main in der edition text+kritik November Pogroms in Diplomatic Reports from Germany von Kurt Schilde, Berlin/Potsdam 80 Romy Langeheine: Von Prag nach New York. Hans Kohn. Eine intellektuelle Biographie ANNA-LENA HERMELINGMEIER 66 Alvin H. Rosenfeld: Das Ende des Holocaust von Monika Boll, Düsseldorf WAHRNEHMUNG von Jérôme Seeburger, Leipzig VON HEIMAT 81 Eva Illouz: Israel. Soziologische Essays 67 : Himmlers Krieger. Joachim Peiper von Jenny Hestermann, Fritz Bauer Institut UND EXIL und die Waffen-SS in Krieg und Nachkriegszeitt von Niels Weise, München 82 Susanne Wein: Antisemitismus im Reichstag. 33 Judenfeindliche Sprache in Politik und Gesellschaft »Kometen des Geldes« 68 Annemone Christians: Amtsgewalt und der Weimarer Republik Ökonomie und Exil Volksgesundheit. Das öffentliche Gesundheitswesen von Martin Liepach, Pädagogisches Zentrum des Fritz im nationalsozialistischen München Bauer Instituts und des Jüdischen Museums Frankfurt von Mathias Schütz, München 83 Benedikt Widmaier, Gerd Steffens (Hrsg.): 69 Claudia Müller, Patrick Ostermann, Karl-Siegbert Politische Bildung nach Auschwitz. Erinnerungsarbeit Rehberg (Hrsg.): Die Shoah in Geschichte und und Erinnerungskultur heute Anna-Lena Claus-Dieter Krohn / Erinnerung. Perspektiven medialer Vermittlung in Italien von Gottfried Kößler, Pädagogisches Zentrum des Fritz Hermelingmeier Ursula Seeber / Rezensionsverzeichnis und Deutschland Bauer Instituts und des Jüdischen Museums Frankfurt Wahrnehmung Veronika Zwerger (Hg.) Liste der besprochenen Bücher von Florian Zabransky, Frankfurt am Main von Heimat »Kometen und Exil 85 Hans Berkessel, Wolfgang Beutel (Hrsg.): des Geldes« 70 Peter Hammerschmidt: »Deckname Adler«. Jahrbuch Demokratiepädagogik 3. Demokratiepädagogik 354 Seiten, € 34,80 ISBN 978-3-86916-410-6 Ökonomie und Exil und die westlichen Geheimdienste und Rechtsextremismus. 2015/16 320 Seiten, € 34,– 58 Frank Bajohr, Andrea Löw (Hrsg.): Der Holocaust. von Wolfram Wiesemann, Wiesbaden von Manuel Glittenberg, Frankfurt am Main Mit der Grenzüberschrei- ISBN 978-3-86916-451-9 Ergebnisse und neue Fragen der Forschung tung auf der Flucht setzt von Christoph Dieckmann, Fritz Bauer Institut 72 Eric Lichtblau: The Nazis next door. How America 86 Rosa Fava: Die Neuausrichtung der »Erziehung eine Erfahrung des Exils Der Titel »Kometen des became a save haven for Hitler’s men nach Auschwitz« in der Einwanderungsgesellschaft. ein, in der die Wahrneh- Geldes« geht auf einen 59 Martina Steber, Bernhard Gotto (Hrsg.): von Ruth Bettina Birn, Stuttgart Eine rassismuskritische Diskursanalyse mung von »Heimat« ein 1933 erschienenen Visions of Community in . von Astrid Messerschmidt, Darmstadt jähes Ende fi ndet. Der Essayband des Schrift- Social Engineering and Private Lives 73 Philipp Neumann-Thein: Parteidisziplin und Band ist eine kulturwis- stellers Paul Elbogen von Alex J. Kay, Berlin Eigenwilligkeit. Das Internationale Komitee 87 Conrad Taler: Asche auf vereisten Wegen. senschaftlich ausgerich- zurück, der berühmte Buchenwald-Dora und Kommandos Berichte vom Auschwitz-Prozess tete Studie, die anhand Wirtschaftskapitäne 60 Hans-Christian Harten: Himmlers Lehrer. von Katharina Stengel, Fritz Bauer Institut Martin Warnke: Zeitgenossenschaft. von fi ktionalen sowie porträtiert. Die Studien Die Weltanschauliche Schulung in der SS 1933–1945 Zum Auschwitz-Prozess 1964 nicht-fi ktionalen Texten in diesem Band aus der von Remko Leemhuis, Berlin 74 Johann Chapoutot: La Loi du sang. Peter Jochen Winters: Den Mördern ins Auge gesehen. und vereinzelt Filmdo- Reihe »Exilforschung« Penser et agir en nazi Berichte eines jungen Journalisten vom Frankfurter kumentationen eine widmen sich den 61 Alfred Rosenberg: Die Tagebücher von 1934 bis 1944 von Werner Konitzer, Fritz Bauer Institut Auschwitz-Prozess 1963–1965 neue Perspektive auf ökonomischen Aspekten von Jörg Osterloh, Fritz Bauer Institut von Werner Renz, Fritz Bauer Institut Exilthematik und des kulturellen Exils und 76 Gabriele Fritsch-Vivié: Gegen alle Widerstände. »Heimat« eröff net. der Arbeit von Hilfsorga- 62 Lisa Hauff: Zur politischen Rolle von Judenräten. Der Jüdische Kulturbund 1933–1941. Fakten, Daten, 90 Ron Segal: Jeder Tag wie heute. Roman nisationen. Benjamin Murmelstein in Wien 1938–1942 Analysen, biographische Notizen und Erinnerungen von Christiane Weber, Gießen von Katharina Rauschenberger, Fritz Bauer Institut von Martin Jost, Leipzig

64 Susanne Willems: Auschwitz. 77 Frank Reuter: Der Bann des Fremden. Die Geschichte des Vernichtungslagers Die fotografi sche Konstruktion des »Zigeuners« von Werner Renz, Fritz Bauer Institut von Anne Klein, Köln

56 Rezensionen Einsicht 14 Herbst 2015 57 Zwischenbilanz Die Aufsätze untermauern und entfalten die einleitenden Thesen. »Propagandamittel oder Analysewerkzeug?« kommt zu dem Schluss, dass der Begriff »Volksgemeinschaft« Ulrich Herbert legt eine aktualisierte Fassung seines erstmals 1998 »a concept of limited value« sei, das »signifi cant defects as a tool publizierten pointierten Überblicks zur Geschichte der Holocaust- of analysis« habe (S. 42), unter anderem seine Ungenauigkeit, sein

forschung insbesondere in Deutschland vor. Die Vor- und Nachteile begrenzter Nutzen bei der Erklärung der entscheidenden Schritte sowie die begrenzte Reichweite der in den letzten Jahren zu einer hin zum Krieg und Völkermord sowie der wachsenden Kritik am Frank Bajohr, Andrea Löw (Hrsg.) eigenen Subdisziplin gewordenen Täterforschung analysieren luzi- Martina Steber, Bernhard Gotto (Hrsg.) Regime während der letzten Kriegsjahre oder seine Unfähigkeit, den Der Holocaust. Ergebnisse und neue de Frank Bajohr und Mark Roseman. Mit der jüdischen Opferseite Visions of Community in Nazi Germany. Gegnern des Regimes und denen, die zum Schweigen gezwungen Fragen der Forschung befasst sich Beate Meyer, die einen sehr guten Überblick zur Verfol- Social Engineering and Private Lives wurden, gerecht zu werden. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch gungsgeschichte der Juden im Deutschen Reich und in Westeuropa Oxford: Oxford University Press, 2014, Ergiebiger scheint es, die »Volksgemeinschaft« als NS-Pro- Verlag, 2015, 342 S., € 14,99 liefert, während Andrea Löw sich auf den Alltag in jüdischen Ghettos XX + 336 S., £ 65,– pagandamittel zu verstehen. Die utopische Vision der Nationalso- in Polen konzentriert. Dan Michman weist darauf hin, dass der Um- zialisten und der Versuch, die Erfahrungen des August 1914 als gang von Juden mit den Verfolgungserfahrungen nicht nur als Re- dauerhaften Zustand zu reproduzieren, waren essenziell für die Be- Das 2013 gegründete Zentrum für Holo- aktion zu verstehen sei, denn fast alle Verhaltensweisen seien schon Der vorliegende Sammelband geht auf eine liebtheit und den Erfolg des Regimes. Solange diese Vision greif- caust-Studien am Institut für Zeitgeschich- lange Bestandteil traditioneller Formen jüdischen Lebens gewesen. gemeinsam vom Deutschen Historischen In- bar nah zu sein schien, war der Grad an Loyalität gegenüber dem te in München legt die Ergebnisse seines ersten Workshops vom Mit den konzeptionellen Fragen, in welchem Kontext der Ho- stitut London und dem Institut für Zeitgeschichte München-Berlin Regime so hoch, dass die »Volksgemeinschaft« zwar mehr als ein April 2014 vor, herausgegeben vom Leiter Frank Bajohr und seiner locaust angemessen zu verstehen sei, befassen sich fünf Autoren. organisierte Konferenz, die im März 2010 in London stattfand, zu- bloßes Propagandamittel gewesen zu sein scheint, allerdings auch Stellvertreterin Andrea Löw. In ihrer Einleitung zeigen sie, wie – Jürgen Matthäus diskutiert den Erklärungswert des Antisemitismus rück. Die Debatte um die sogenannte »Volksgemeinschaft« gehört weniger als eine Realität, da »there is absolutely no doubt that social nach mühsamen Anfängen – die Holocaustforschung in den letzten für die Handlungen der deutschen und nichtdeutschen Täter. Er ar- zu den herausragendsten der letzten Jahre im Bereich der NS-For- inequality persisted during the Nazi regime« (Wirsching, S. 149). 25 Jahren einen Boom durchlaufen hat. Sie habe sich internationa- gumentiert, der Antisemitismus als abstraktes Erklärungskonzept schung. Nach wie vor sind Historikerinnen und Historiker gespal- Sobald die utopische Vision an Realisierbarkeit zu verlieren begann, lisiert, ausdifferenziert und spezialisiert. Ich denke, darüber hinaus sei an seine Grenzen gestoßen und es gehe nun um seine konkre- ten bei der Frage, ob die nationalsozialistische Volksgemeinschaft büßte allerdings sogar das Propagandakonzept an sich zunehmend sind auch einige markante Umbrüche, Übergänge und Transformati- te Einbettung in die breitere integrative Untersuchung der gesell- eine historische Tatsache darstellt oder eher ein propagandistisches seine Überzeugungskraft ein. Bis 1945 war die postulierte »Volksge- onen zu konstatieren, die sich abzeichnen. Denn Bajohr und Löw he- schaftlichen Prozesse, der dynamisch strukturierten Gewalt und des Werkzeug war und welche Wirkungskraft sie in den verschiedenen meinschaft« durch eine »community of victimhood« (Bessel, S. 294) ben vier Grundtendenzen hervor. Erstens würden die älteren Begriffe Krieges. Dieter Pohl geht der Frage nach, warum es wichtig und Phasen der NS-Zeit erzielen konnte. Wegen dieser abweichenden ersetzt worden. Jetzt war es die Erkenntnis des Ausmaßes der von von Täter, Opfer und Bystander heute weniger die Fragestellungen notwendig sei, den Zusammenhang zwischen dem Holocaust und Auffassungen wird auch die Funktion dieses Konzepts unterschied- ihnen begangenen Verbrechen und die Angst vor Vergeltung im Falle anleiten. Man frage nun eher nach gesellschaftlichen Akteuren mit anderen NS-Verbrechen stärker als bislang zu berücksichtigen. Er lich aufgelegt und das Konzept an sich somit verschieden angewandt. einer Niederlage, die die »Volksgenossen« zusammenhielten. Auch multiplen Rollen und dynamischen Rollenveränderungen. Um das plädiert ebenfalls für eine integrale Konzeption, die die sechs bis Unter den insgesamt zwanzig Autorinnen und Autoren sind ei- Herbert zieht die Schlussfolgerung, es habe sich erwiesen, dass die Verhalten von 200.000 bis 250.000 Tätern allein in Deutschland sieben Millionen nichtjüdischen Opfer von Massenverbrechen der nige der führenden britischen, deutschen und amerikanischen His- »shaping power« der NS-Parole der »Volksgemeinschaft« »very und Österreich zu erklären, stünden eher soziale Prozesse im Vor- Nationalsozialisten in die Analyse mit einbezieht. Anders könne torikerinnen und Historiker der NS-Forschung, wie beispielsweise limited« gewesen sei (S. 69). dergrund. Zweitens habe sich der Blick Osteuropa zugewandt, wo man die »Lernprozesse extremer imperialer Gewalt« schwerlich Ian Kershaw, Ulrich Herbert, Jane Caplan, Christopher R. Browning Nichtsdestotrotz: Obwohl die »Volksgemeinschaft« »a pow- eine Vielzahl von Mordaktionen stattgefunden hat und das Mord- verstehen. Doris Bergen denkt in ihrer Diskussion von Tatjana Töns- und Richard Bessel. Eine einführende Funktion hat der erste Beitrag erful myth of unity« war, der ausdrücklich auf der Grundlage der geschehen nicht nur als ein bürokratisch-mechanistischer Prozess meyers Konzept zur Untersuchung von Besatzungspolitik ebenfalls von den beiden Mitherausgebern. Unter den Autorinnen und Autoren rassistisch motivierten Ausgrenzung formuliert war, war diese Aus- analysiert werden kann. Fragen nach der Einbettung des Holocaust über eine integrative Geschichte nach, kommt hier jedoch über eine herrscht weitgehende Einigkeit über die zentrale Bedeutung der grenzung in der NS-Gesellschaft »all too real« (Browning, S. 217). in andere NS-Massenverbrechen drängten sich ebenso auf wie die skizzenhafte Aufzählung nicht hinaus. Ingo Loose fasst die umfang- Ereignisse der Jahre 1914 bis 1918 für die nationalsozialistische Gewalt war »the most striking feature of the National Socialist Volks- differenzierte Zusammenschau von stalinistischem und national- reiche Literatur zur »Arisierung« zusammen und thematisiert die Vorstellung einer »Volksgemeinschaft«. Der Erste Weltkrieg und gemeinschaft process« (Steber/Gotto, S. 18). Es war in der Anfangs- sozialistischem Terror. Drittens sei das Geschehen in ganz Europa Beraubung der europäischen Juden. Sybille Steinbacher nimmt die sein Ausgang seien laut Sven Keller der Schlüssel zum Verständnis phase von 1933 bis 1934 und während der Jahre 1943 bis 1945, dass und die große Beteiligung von Nichtdeutschen am Holocaust ins Diskussion über die Bedeutung der kolonialen Erfahrung der Deut- der NS-Ideologie. Bei der Erläuterung des Begriffs »Volksgemein- Gewalt »was turned against potential Volksgenossen more than in the Blickfeld geraten. Ohne das deutsche Zentrum zu vernachlässigen, schen für die Verbrechen an den Juden zum Anlass, in erhellender schaft« wird immer wieder Bezug genommen auf die »experiences intervening years« (Keller, S. 226). Die Bedeutung der gewaltsamen werden die zahlreichen Tatorte der Peripherie in die Analyse einbe- Weise über das Verhältnis von Kontinuität und Diskontinuität nach- of August 1914« (Kershaw, S. 33), den »spirit of 1914« (Browning, Ausgrenzung von Gemeinschaftsfremden für die Förderung und zogen. Dementsprechend hätten sich viertens die engen nationalen zudenken. Abschließend zeigt Susanne Heim im Zusammenhang des S. 225), die »ideas of 1914« sowie auch die »defeat of 1918« und Konsolidierung der »Volksgemeinschaft« in dieser Zwischenzeit Gedächtniskollektive abgeschwächt. Zum Beispiel gibt es wichtige Editionsprojektes »Die Verfolgung und Ermordung der deutschen die »lessons of 1918« (Keller, S. 228, 238, 239), genauso wie da- dagegen »can hardly be underestimated« (Herbert, S. 67). Diese deutsche Forschungen, die sich mit der jüdischen Opferperspektive Juden«, wie lehrreich ein integrativ angelegtes Projekt sein kann. mals die Heraufbeschwörung der »Volksgemeinschaft« durch die Akzentsetzung auf die Rolle der Gewalt bildet eine weitere Stärke befassen. In ihrem Forschungsausblick plädieren Bajohr und Löw Der Band zeigt eine ausdifferenzierte Forschungslandschaft, die sich Nationalsozialisten häufi g unter Berufung auf die Erfahrungen des des Buches. Alles in allem leistet es einen wichtigen Beitrag zur dafür, die Prozesse in den europäischen Gesellschaften genauer im Übergang befi ndet, und bietet eine hervorragende Grundlage für Ersten Weltkriegs stattfand. Debatte über die Funktion des Konzepts der »Volksgemeinschaft« zu untersuchen. Dazu hat das Zentrum für Holocaust-Studien im weiterführende Diskussionen. Zu oft greifen Historiker diesen NS-Propagandabegriff für eine als Kerngemeinschaftsvision für die Politik des NS-Regimes. Oktober 2014 eine internationale Konferenz ausgerichtet, deren utopische Zukunftsvision auf und wenden ihn ohne Weiteres als Ergebnisse 2016 in englischer Sprache publiziert werden sollen. Christoph Dieckmann Instrument der historiographischen Analyse an. Es ist wichtig, den Alex J. Kay Zur zweiten Forderung, den Antisemitismus, insbesondere ab 1935 Fritz Bauer Institut Propagandabegriff vom Analysewerkzeug zu trennen, und diese Berlin und in ganz Europa, stärker in den Blick zu nehmen, wird im Herbst Abgrenzung bildet eine der Stärken des Bandes. Bei der Anwendung 2015 die nächste Konferenz stattfi nden. des Begriffs als Analyseinstrument ist Vorsicht geboten. Kershaw

58 Rezensionen Einsicht 14 Herbst 2015 59 Weltanschauung als Lernziel zutage gefördert wird. Interessanter sind schon die didaktischen Edition einer seltenen Quelle Erben übergaben 2001 einen Teil seines Nachlasses an das US Ho- Überlegungen, die sich zum Teil in erhaltenen Dokumenten fi nden. locaust Memorial Museum in Washington D.C. Erst Ende 2013 So zeigt der Autor gerade hier, dass die bis heute anzutreffenden erhielt das Museum allerdings die kurz zuvor aufgefundenen 425

Vorstellungen über den NS-Staat als einem »totalitären«, das heißt handschriftlichen Originalseiten der Tagebücher, die dieses kurz von einem Kommandostaat, der allein durch Befehl und Gehorsam darauf auf seiner Website veröffentlichte. Hans-Christian Harten geprägt ist, nur teilweise der Realität entspricht und somit auch der Alfred Rosenberg Mit Jürgen Matthäus und Frank Bajohr haben zwei ausgewiese- Himmlers Lehrer. Die Weltanschauliche Begriff der Indoktrination, der tendenziell schon immer eine Entlas- Die Tagebücher von 1934 bis 1944 ne Holocaust-Experten nun eine kritisch eingeleitete und kommen- Schulung in der SS 1933–1945 tungsfunktion hatte, in die Irre führt. Gerade die methodisch-didakti- Hrsg. und kommentiert von Jürgen tierte Ausgabe der Tagebücher vorgelegt. Tagebücher von führenden Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh, schen Überlegungen innerhalb des Schulungswesens der SS verdeut- Matthäus und Frank Bajohr Nationalsozialisten sind äußerst selten: neben jenen Rosenbergs sind 2014, 707 S., € 78,– lichen dies, wollte man doch, nach einem Wort von Himmler, gerade Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, nur die deutlich umfangreicheren (und bereits vorbildlich edierten) keinen »paukermäßigen« Unterricht, sondern einen, der lebendig und 2015, 650 S., € 26,99 Diarien von Reichspropagandaminister bekannt. abwechslungsreich sei. So fi ndet sich in dem Material immer wieder Beide waren Intimfeinde, »was ihren Aufzeichnungen auch die »Er habe sich«, so heißt es in dem Urteil des die Forderung, dass die Männer selbstständig denken und urteilen Funktion eines wechselseitigen Korrektivs gibt« (S. 18). Rosenbergs SS- und Polizeigerichtes vom 24. Mai 1943, sollten und eine freie Diskussion durchaus wünschenswert sei, wobei Alfred Rosenberg, 1893 als Baltendeutscher Tagebücher bieten aber vor allem, so die Herausgeber, Einblick in »zu Grausamkeiten hinreißen lassen, die eines deutschen Mannes sich diese Gespräche freilich stets im Rahmen der NS-Ideologie in Reval geboren, lebte ab Ende 1918 in Politik und Herrschaftssystem des NS-Regimes und ergänzen unser und SS-Führers unwürdig« seien, und der »Verrohung seiner Män- bewegten. Befehl und Gehorsam mochten zwar militärisch sinnvoll München, wo er umgehend in das völkische Milieu eintauchte. An- Wissen. ner« Vorschub geleistet ebenso wie seine Dienstpfl icht verletzt. Was sein und waren ebenfalls in die Schulungen integriert, aber Verstöße fang 1920 nahm er vermutlich Einfl uss auf das 25-Punkte-Programm Seine Notizen zu einer Besprechung mit Hitler am 16. Juli 1941 wurde dem SS-Untersturmführer vorgeworfen? Max Täubner hatte dagegen wurden, wie im Fall Täubner, nicht hingenommen, jedoch der NSDAP, ab 1923 war er Chefredakteur des Völkischen Beobach- korrigieren etwa die lange Zeit vorherrschende Ansicht von der im September 1941 mit seinem Werkstattzug das ukrainische Dorf legte man gerade in der ideologischen Schulung großen Wert auf ters. In seinem Hauptwerk Der Mythus des 20. Jahrhunderts (1930) »Schwäche des Ostministeriums gegenüber konkurrierenden Kräften Zwiahel überfallen und in einer eigenmächtigen Mordaktion 319 die selbstständige Erarbeitung der korrekten nationalsozialistischen entwarf er ein Weltbild, in dem sich Deutsche und Juden unvereinbar in Partei und Staat« (S. 63). Andererseits musste Rosenberg akzep- jüdische Kinder, Frauen und Männer erschießen lassen. In Scho- Haltung. So heißt es etwa in Vorschlägen zur Unterrichtsgestaltung: gegenüberstehen. Nach der Machtübernahme wurde er Leiter des tieren, dass seine Autonomiepläne für die Ukraine bei Hitler auf lochowo und Alexandrija waren es 191 beziehungsweise 459 Juden. »Bei der Ausbildung kommt es auf eine vernünftige Anleitung zur Außenpolitischen Amtes der NSDAP, 1934 »Beauftragter des Füh- Widerstand stießen und dass er von Reichskommissar Erich Koch, Ferner wurde ihm vorgeworfen, während eines Fronturlaubs im Selbsterarbeitung und Selbsterprobung an.« rers für die gesamte weltanschauliche Schulung und Erziehung der der ihm unterstellt war, vor Ort »völlig ignoriert« wurde. (S. 74) Kreis der Familie Fotografi en der Morde gezeigt und sich der Taten Harten hat mit seiner Monografi e eine gewichtige Studie vor- NSDAP«. 1940 organisierte er mit seinem »Einsatzstab Reichsleiter Jedoch sind die Tagebücher lückenhaft. Zum einen bekundete gerühmt zu haben. Das Gericht legte in seiner Urteilsbegründung gelegt, die gerade im Hinblick auf die Täterforschung eine eklatante Rosenberg« in den besetzten Ländern den Raub von Kunstsammlun- Rosenberg selbst Ende Juli 1936, dass er »für eine dauernde Füh- Wert darauf festzustellen: »Die Juden müssen vernichtet werden, Lücke schließt. Indes kann der Autor seine zentrale Fragestellung gen, Archivbeständen und Bibliotheken aus jüdischem Besitz. Im rung eines Tagebuchs doch kein Talent habe«, weswegen er »es mit es ist um keinen der getöteten Juden schade.« Täubner wurde also nach dem Zusammenhang zwischen Ideologie und Massenmord folgenden Jahr erklomm er den Höhepunkt seiner politischen Lauf- knappen Zusammenfassungen der Dinge versuchen« wolle (S. 184). nicht wegen der Morde an unschuldigen Zivilisten verurteilt. Viel- nicht zufriedenstellend beantworten. Denn allein die Feststellung, bahn, als Hitler ihn zum Reichsminister für die besetzten Ostgebiete Vor allem klafft in den Aufzeichnungen gerade in der Phase zwischen mehr wurde dem Angeklagten das eigenmächtige Agieren sowie das dass SS-Einheiten, die am Holocaust beteiligt waren, auch geschult ernannte. Ernst Piper hat 2005 in seiner fulminanten Rosenberg- Oktober 1941 und Oktober 1942 ein Lücke – vermutlich ist das Ma- Vorgehen zur Last gelegt, hatten seine Männer doch in den Augen wurden, lässt noch keinen Rückschluss zu, in welchem Verhältnis Biographie unterstrichen, dass dieser damit nicht nur »Vordenker terial infolge von Kriegszerstörungen oder gezielten Aktenvernich- des Gerichts »bei der notwendigen Vernichtung des schlimmsten Theorie und Praxis standen. Allerdings verweist Harten hier auf eines Weltanschauungsstaats« gewesen war, sondern im Krieg als tungen nicht mehr vorhanden, oder es wurde noch nicht aufgefunden. Feindes unseres Feindes bolschewistische Methoden« angewandt, eine Studie zum Schulungswesen der Polizei, Sipo und SD, die er Reichsminister an »vorderster Front« stand. Um Rosenbergs Rolle beim Übergang von der Judenverfolgung zum wie es etwas ungelenk in der Urteilsbegründung heißt. offenbar vorbereitet und in der er diese Fragen systematischer be- Um sein politisches Wirken zu dokumentieren, hatte Rosenberg Holocaust deutlicher hervortreten zu lassen, haben die Herausgeber Täubners Vergehen und die Gründe für seine Verurteilung be- antworten will. Neben einem gründlicheren Lektorat vermisst der am 14. Mai 1934, nach mehr als 15 Jahren, wieder begonnen, ein die Tagebücher im Anhang um 23 Dokumente ergänzt. Diesen lässt zogen sich somit im Wesentlichen auf Verstöße gegen zentrale Ver- Leser eine Einleitung, in welcher der Forschungsstand diskutiert und Tagebuch zu führen: »Jetzt stehen wir mitten drin in einer neu- sich etwa entnehmen, dass Rosenberg am 18. November 1941 er- haltensgrundsätze der »Weltanschaulichen Erziehung«. Doch was die eigene Studie verortet wird, sowie Hinweise zur methodischen en Entwicklung, die für die Zukunft entscheidend sein wird, und klärte, die Frage der sechs Millionen Juden im Osten könne nur »in verbirgt sich hinter diesem diffusen Begriff? Der Erziehungswissen- Vorgehensweise. Auch eine Zusammenfassung und Gewichtung an der ich mich namentlich in zwei Fragen mitbeteiligt fühle. Das einer biologischen Ausmerzung des gesamten Judentums in Europa« schaftler Hans-Christian Harten geht diesem in seiner voluminösen der Ergebnisse sucht man vergebens. Es bleibt zu hoffen, dass die ist: das Ringen um und die Durchsetzung unserer Weltan- gelöst werden (S. 84). Studie nach. Dabei steht für ihn die Frage nach dem Zusammenhang angekündigte Folgestudie diese Lücken schließt. schauung gegen alle Gegner.« (S. 119) Die Tagebücher zählten zum Die Edition besticht durch eine elaborierte und kundige Einlei- von Theorie und Praxis im Zentrum, also zwischen ideologischer Beweismaterial im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess. Ro- tung der Herausgeber, die sich vor allem auf Rosenbergs Rolle beim Schulung und den Verbrechen von Himmlers »Schwarzem Orden«. Remko Leemhuis bert M. W. Kempner, Mitarbeiter der Nürnberger Anklagebehörde, Judenmord konzentriert. Die Tagebücher böten Anlass, »über das Zu Recht weist er darauf hin, dass es zwar keinen direkten Zusam- Berlin erhielt gegen Ende des Verfahrens die Erlaubnis, Prozessmaterialen Verhältnis von Zentrum und Peripherie in der Genese des Holocaust menhang zwischen der politischen Schulung und dem Handeln der für Forschungs-, Publikations- und Vortragszwecke zu behalten. neu nachzudenken und Ersterem wieder vermehrt Beachtung zu SS gibt, jedoch bildeten die dort vermittelten Inhalte ohne Zweifel Kempner nahm den Großteil der Tagebücher mit sich. Als Mitte der schenken« (S. 23). Kurz: Rosenbergs Tagebücher dürften umgehend den legitimatorischen Rahmen, der spätestens mit dem Überfall auf 1950er Jahre der Göttinger Völkerrechtler Hans-Günther Seraphim ihren Platz unter den wichtigen publizierten Quellen zur Geschichte die Sowjetunion den Angehörigen der SS erlaubte, jegliche zivilisa- die Veröffentlichung der in die Nürnberger Prozessdokumentation des »Dritten Reiches« fi nden. torische Beschränkungen hinter sich zu lassen. Die Studie untersucht eingegangenen Tagebücher von 1934/35 und 1939/40 vorbereitete, umfassend neben dem institutionellen Gefüge des Schulungswesens teilte Kempner ihm mit, dass sich etwa 400 Seiten in seinem Besitz Jörg Osterloh auch die vermittelten Inhalte, wobei hier wenig Überraschendes befänden, stellte diese aber letztlich nicht zur Verfügung. Kempners Fritz Bauer Institut

60 Rezensionen Einsicht 14 Herbst 2015 61 Scheinmacht der Judenräte neuere Arbeiten die Ohnmacht der jüdischen Funktionäre, die, um Murmelstein sie bezeichnete, die als Probe für die Deportation und möglichst viele Menschen vor dem sicheren Tod zu retten, die Logik Ermordung der Juden bereits im Oktober 1939 durchgeführt wurde, der Nationalsozialisten und der Organisatoren des Massenmords lehrte ihn, dass die »Umsiedlung« genannten Deportationen nur von

nachvollziehen mussten, die den Befehlen der SS gehorchten und gesunden, jungen Menschen zu überleben waren, für Alte waren Gebildeter Antisemitismus dabei doch vor allem versuchten, Linderung für die Lebensumstände sie ein Todesurteil. Seine Intervention bei der Zusammenstellung Lisa Hauff der noch nicht für die Deportation Bestimmten zu erreichen.2 In der Transporte richtete sich also darauf, junge, kräftige Menschen Zur politischen Rolle von Judenräten. einem Kapitel schildert Hauff sehr eindrucksvoll die historiogra- wegzuschicken. Freilich musste ein Ersatz für die von den Listen

Interdisziplinäre Antisemitismusforschung Benjamin Murmelstein in Wien 1938–1942 phische Entwicklung bei der Beurteilung der Judenräte seit dem gestrichenen Personen kommen, der allerdings durch die von der Interdisciplinary Studies on l 6 Göttingen: Wallstein Verlag, 2014, 335 S., Kriegsende bis heute. SS betriebenen Zentralstelle für jüdische Auswanderung kam. Die € 34,90 Das Neue ihrer Arbeit besteht vor allem in ihrer Fokussierung alten Menschen sollten nach Murmelsteins Vorstellung in einem auf die Figur Murmelstein. Ausgehend von dem Filmmaterial Lanz- Ghetto in Wien in Frieden sterben, die Jungen bevorzugt umgesiedelt Monika Schwarz-Friesel [Hrsg.] manns, überprüft sie das Narrativ Murmelsteins anhand anderer werden. Zu diesem Zeitpunkt hatte er noch keine Kenntnis von den Gebildeter Antisemitismus DER LETZTE DER UNGERECHTEN heißt der Quellen, schildert die Angriffe gegen Murmelstein auf der einen Vernichtungslagern im Osten. Man sieht, wie weit sich ein jüdischer Film, den Claude Lanzmann 2013 in Cannes Seite, die Darstellungen der Weggefährten Murmelsteins auf der Funktionär auf die Ziele und Denkmuster der nationalsozialistischen Eine Herausforderung für Politik und Zivilgesellschaft dem Publikum außer Konkurrenz präsentierte. Darin verarbeitete er anderen und wägt die jeweiligen Geschichten ab. Sie entwirft das Machthaber einlassen musste, wenn er irgendeinen Einfl uss haben Interviews, die er 1975 in Rom in mehr als elf Stunden mit Benjamin Selbstbild Murmelsteins und stellt ihm die Fremdwahrnehmung der wollte. Murmelstein geführt hatte. Es waren dies die ersten Interviews für Zeitgenossen gegenüber. So kommt sie zu einer präzisen Beschrei- So ist es verständlich, wenn von außen bei den betroffenen SHOAH. Doch Lanzmann verwendete sie später nicht dafür. Murmel- bung der Persönlichkeit Murmelsteins und der Umstände seines Juden der Eindruck entstand, dass die IKG und insbesondere der stein, ehemals Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Handelns. Dabei setzt sie den Schwerpunkt ihrer Untersuchung auf mit diesen Aufgaben befasste Murmelstein am Zustandekommen Nomos Wien und ab Mai 1938 in der Zentralstelle für Auswanderung unter die Jahre 1938 bis 1942, also auf Murmelsteins Funktionärsdasein in der Deportationslisten mitwirkte n, auch wenn das de facto nicht Aufsicht der deutschen Behörden für die Auswanderung und spä- Wien unter nationalsozialistischer Kontrolle. Sie schildert ausführ- stimmte. Ähnlich verhielt es sich mit den für ihn arbeitenden Hel- ter auch die Deportationen der österreichischen Juden tätig, 1943 lich das entscheidende Jahr 1941, das Jahr, in dem die Auswanderung fern bei den Deportationen. Bei den »Aushebungen« genannten selbst nach Theresienstadt deportiert und dort der letzte Judenälteste, parallel zu den schon einsetzenden Deportationen stattfand und das Abholungen der Juden aus ihren Wohnungen waren immer Ange- Gebildeter Antisemitismus Murmelstein also passte nicht in das Konzept, das Lanzmann in den schrittweisen Übergang für die Angestellten der Auswande- hörige der IKG anwesend, hatten beim Packen zu helfen und dafür Eine Herausforderung für Politik und Zivilgesellschaft SHOAH umsetzte. Murmelstein strotzte vor Selbstbewusstsein und rungsbehörde von der Auswanderungshilfe zur Mitarbeit an den Sorge zu tragen, dass die richtige Anzahl von Personen pünktlich Herausgegeben von Geltungsdrang. Er wollte seine Geschichte erzählen – die Geschichte Deportationen darstellte. Diese ambivalente Position schadete dem an den Sammelstellen eintraf. Mitarbeiter Murmelsteins wurden als Prof. Dr. Dr. h.c. Monika Schwarz-Friesel der Judenräte – und ließ sich durch die Fragen Lanzmanns nicht Ansehen Murmelsteins extrem. Bemerkenswert sind die historisch »Rechercheure« eingesetzt, die nach Personen suchen mussten, die beeindrucken. Seit Jahrzehnten von der jüdischen Gemeinschaft nachweisbaren Abweichungen der Schilderungen Murmelsteins von sich der Deportation entziehen wollten. Derartige Beteiligungen an 2015, 318 S., brosch., 59,– € der Kollaboration mit den Nazis bezichtigt, wollte er endlich seine den historisch verbürgten Fakten. Betont er in den Interviews mit der Durchführung der Deportationen verschwieg Murmelstein in ISBN 978-3-8487-1679-1 Version der Ereignisse öffentlich anerkannt sehen. Murmelstein Lanzmann immer wieder, dass er an der Zusammenstellung der De- seiner Schilderung gegenüber Lanzmann, obwohl sie unter Zwang (Interdisziplinäre Antisemitismusforschung/ war eine starke, faszinierende Persönlichkeit, die sein Gegenüber portationslisten nicht mitwirkte, sondern dass die Auswahl der Opfer geschahen und den Betroffenen bei Zuwiderhandlung die eigene Interdisciplinary Studies on Antisemitism, Bd. 6) Lanzmann fesselte und für sich einnahm. Das Filmmaterial stellt allein durch die SS geschehen sei, zeigt Hauff, dass diese Darstellung Deportation angedroht war. www.nomos-shop.de/23451 eine außerordentliche Quelle erzählter Geschichte dar. nicht ganz mit der historischen Recherche übereinstimmt. Die von So zeigt Hauff in sehr nüchterner Weise die Grenzen der von Lisa Hauff nutzte das umfangreiche Material, das zum Teil der SS zusammengestellten Listen der Deportationen im Jahr 1941 Murmelstein in den Interviews immer wieder betonten Handlungs- Dieser Band präsentiert neueste Forschungsergebnisse im Internet fi lmisch und in transkribierter Form verfügbar ist, und wurden von Murmelstein wiederholt manipuliert. In der Überzeu- optionen. Auch er konnte die nationalsozialistische Planung zur zum gebildeten Antisemitismus in der deutschen Ge- machte es zur Grundlage ihrer Studie über die politische Rolle der gung, es handele sich bei den Deportationen um Verschleppungen Vernichtung der Juden nicht aufhalten, nicht einmal verzögern. Mit genwartsgesellschaft durch Beiträge führender Antise- Judenräte und insbesondere der Person Benjamin Murmelsteins. in , nahm er Menschen, die älter als 55 Jahre waren, früheren Autoren über die Judenräte kommt auch sie zu der Einschät- mitismusforscherInnen. Themenschwerpunkte sind Judeophobie und antiisraelischer Antisemitismus in der In ihrer Dissertation kommt sie dabei nicht zu gänzlich neuen Ein- von den Listen herunter. Sein Handeln ging auf seine Erfahrun- zung, dass es sich dabei um eine Scheinmacht handelte angesichts Alltagskommunikation, dem Internet sowie in der massen- schätzungen. Längst schon hat die Geschichtswissenschaft einen gen zurück, die er bei dem entsetzlichen Umsiedlungsprojekt der eines Systems, das Rettung ausschloss. Da Murmelstein der einzige medialen Berichterstattung. differenzierten Blick auf die Rolle der Judenräte bei der Deporta- Wiener Juden nach Nisko im sogenannten Generalgouvernement überlebende Judenälteste war, wuchs sein Rechtfertigungsdruck tion und Ermordung der ihnen anvertrauten Menschen entwickelt. machen musste. Diese »Endlösung durch Desorganisation«, wie parallel zu den Anfeindungen, denen er ausgesetzt war. Er wollte Anders als die Überlebenden der Konzentrationslager und die ers- seine Integrität nach 1945 wiederherstellen, indem er seine Hilfe ten wissenschaftlichen Abhandlungen über die Lager1, beschreiben für die Rettung von Menschen mit seiner Ohnmacht gegenüber dem

2 Isaiah Trunk, . The Jewish Councils in Eastern Europe under Nazi Oc- Vernichtungssystem zu seinen Gunsten aufrechnete. Lisa Hauffs cupation, New York, London 1972; Dan Diner, »Historisches Verstehen und Ge- Arbeit vollzieht dieses Dilemma minutiös nach. genrationalität. Der Judenrat als erkenntnistheoretische Warte«, in: Frank Bajohr, Portofreie Buch-Bestellungen 1 H.G. Adler, Theresienstadt 1941–1945. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft, Werner Johe, Uwe Lohalm (Hrsg.), Zivilisation und Barbarei. Die widersprüchli- Katharina Rauschenberger unter www.nomos-shop.de Mohr: Tübingen 1955; Raul Hilberg, The destruction of the European , Qua- chen Potentiale der Moderne, Hamburg 1991, S. 307–321; Doron Rabinovici, In- Alle Preise inkl. Mehrwertsteuer drangle Books: Chicago 1961; Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. A Report stanzen der Ohnmacht, Wien 1938–1945. Der Weg zum Judenrat, Frankfurt am Fritz Bauer Institut on the banality of Evil, Viking Press: New York 1963. Main 2000.

62 Rezensionen Einsicht 14 Herbst 2015 63 Auschwitz erst zurück, als sich durch die Exterminationspolitik gegenüber den Novemberpogrome im Spiegel von Smallbones – und das Personal des Generalkonsulats bedrängte sowjetischen Kriegsgefangenen die Notwendigkeit ergab, die Ar- Diplomatenberichten Juden und Jüdinnen, die um Hilfe ersuchten. beitskraft der zur Vernichtung bestimmten Juden temporär noch Eine (nicht realisierte) Form der Unterstützung hat sich der

auszunutzen. Im Unterschied zu den sogenannten reinen Vernich- luxemburgische Vize-Honorarkonsul Jean-Pierre Feltgen ausge- tungslagern der »Aktion Reinhardt«, Bełżec, Sobibór und Treblinka, dacht: Zum Schutz der Wohnungen von Juden luxemburgischer Susanne Willems und des Gaswagenlagers Chełmno/Kulmhof, deren alleiniger Zweck Staatsangehörigkeit wollte er an den Wohnungstüren entsprechende Auschwitz. Die Geschichte des die unmittelbare Ermordung der deportierten Juden (und von Sinti Christian Dirks, Hermann Simon (Hrsg.) Etiketten anbringen. Der Entwurf eines solchen Klebezettels ist in Vernichtungslagers und Roma) war, stellte Auschwitz bis in den Herbst 1944 einen Von Innen nach Außen. Die November- der Ausstellung und der Begleitpublikation zu sehen: »Hier wohnt Susanne Willems: Text, Zielort von Deportationen dar, deren Zweck die »Aussortierung«1 pogrome 1938 in Diplomatenberichten ein luxemburgischer Staatsbürger.« (S. 87) Das luxemburgische Frank und Fritz Schumann: Fotos und die »Selektion« von Arbeitskräften einerseits und die soforti- aus Deutschland / From the Inside to the Außenministerium hat aber von der Produktion solcher Aufkleber Berlin: Edition Ost, 2015, 256 S., ge Vernichtung der »Arbeitsunfähigen« andererseits war. Die nach Outside. The 1938 November Pogroms abgesehen, da es nur geringen Bedarf vermutete. zahlr. farb. Abb., € 29,99 Auschwitz Deportierten gingen mithin zwei Wege: den Weg von in Diplomatic Reports from Germany Auf eines der vielen Todesopfer der Pogrome weist der seit der Rampe direkt ins Gas (Alte, Kranke, Frauen mit ihren Kin- Berlin: Metropol Verlag, 2014, 224 S., € 24,– 1936 in München als polnischer Generalkonsul tätige Konstanty Über das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birke- dern) und den Weg der Vernichtung durch Arbeit (»arbeitsfähige« Jelenski hin. Er berichtet am 10. November 1938 dem Botschaf- nau gibt es bis heute keine umfassende Monografi e eines deutschen Männer und Frauen) in Lager (Auschwitz, Zwangsarbeitslager im Diese deutsch-englische Publikation ist ein Jahr nach der im Novem- ter Józef Lipski nach Berlin: »Heute Nacht wurde in München der Historikers oder einer deutschen Historikerin. Aus dem von Norbert Deutschen Reich). Das Buch enthält unter anderem Dokumente ber 2013 eröffneten gleichnamigen Ausstellung der Stiftung Neue polnische Staatsbürger Chaim Both ermordet […]« (S. 102). Der in Frei betreuten Forschungsprojekt »Darstellungen und Quellen zur und Pläne in Faksimile, Standbilder aus dem Film der sowjetischen Synagoge Berlin – Centrum Judaicum erschienen. Das Projekt geht Galizien geborene Mann hat gemeinsam mit seinem Schwager Jonas Geschichte von Auschwitz« sind die beiden profunden Dissertatio- Befreier, historische Aufnahmen der SS vom Himmler-Besuch im auf eine Idee von Hermann Simon (Direktor des Centrum Judaicum) Zeimer ein fl orierendes Herrenmodegeschäft betrieben. SA-Männer nen von Sybille Steinbacher über die »Musterstadt« Auschwitz und Juli 1942 und aus dem Auschwitz-Album. Die Fotos von Frank und zurück, der das Konzept gemeinsam mit Christian Dirks entwickelte. verprügelten ihn und bedrängten seine Frau und seinen Sohn. Als von Bernd C. Wagner über Zwangsarbeit und Vernichtung im Werk Fritz Schumann sind außergewöhnlich gut und ermöglichen eine Die reichhaltig mit Fotografi en brennender Synagogen, zerstörter Höhepunkt des Exzesses erschoss der SA-Mann Hans Schenk Both »IG Auschwitz O/S« (beide München: K. G. Saur Verlag, 2000) Vorstellung von der Gedenkstätte und den vielen Baulichkeiten, die Geschäfte und anderen Folgen der Pogrome im November 1938 aus nächster Nähe. Eine Sühne hat dieser Mord nicht gefunden, denn hervorgegangen. Steinbacher hat darüber hinaus in der Reihe C.H. einst die SS-Lagerverwaltung hat errichten lassen, um Auschwitz illustrierte Exposition ist zukünftig auch im Ausland zu sehen. das Oberste Parteigericht der NSDAP hat den Mörder im Januar Beck Wissen 2004 eine knappe, überaus konzise Darstellung über und Umgebung zu germanisieren und einen »Vorposten« für die Dirks führt kurz und prägnant in die Diplomatenberichte aus 1939 freigesprochen. Er habe den »Willen der Führung in die Tat Auschwitz vorgelegt, die allen zu empfehlen ist, die sich verlässlich Herrschaft über den eroberten »Osten« zu schaffen. zwanzig Auslandsvertretungen in Deutschland ein – darunter Nach- umgesetzt« (S. 106). Dafür könne er nicht bestraft werden. über das Lager informieren wollen. Willems verzichtet in ihren Texten, die noch keine umfassende barstaaten wie Frankreich und die Schweiz, Kleinstaaten wie der Diese und weitere Fälle der Ausstellung stellen »eindrucksvoll An Auschwitz-Literatur von polnischen Historikern fehlt es Geschichte des Lagerkomplexes liefern können, leider darauf, die Vatikan, die Großmächte USA und Sowjetunion sowie die über- dar, was sich vor den Augen ausländischer Diplomaten in Deutsch- freilich nicht. Zu nennen sind das Kalendarium der Ereignisse im Verwaltungsstruktur von Auschwitz darzustellen und das führende seeischen Nationen Brasilien und Japan. Die Berichte sind sehr land vollzog« (S. 8), wie Bundesaußenminister Frank-Walter Stein- Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau 1939–1945 (Reinbek bei SS-Personal des Lagers und seine Zuständigkeiten und Verantwort- interessant und zeigen unterschiedliche nationale und politische meier in seinem Vorwort hervorhebt. Hamburg: Rowohlt Verlag 1989) von Danuta Czech und die vom lichkeiten zu nennen. Biografi sche Angaben zu den »Haupttätern« Varianten der Beobachtung und der berichtenden Persönlichkei- Als Ergänzung und zur Verallgemeinerung stellt Michael Wildt Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau herausgegebene fünfbän- von Auschwitz wären für die Nutzer des Bandes von Bedeutung ten. Auf ein bemerkenswertes Beispiel sei hingewiesen: Vertreter den Weg zum Pogrom dar, der am 28. Oktober 1938 zu der Depor- dige Sammlung von Studien (Auschwitz 1940–1945. Studien zur gewesen. Zu bedauern ist überdies, dass die Publikation weder ein der kolumbianischen Gesandtschaft fotografi erten am Morgen des tation von 17.000 polnischen Juden und Jüdinnen an die Grenze zu Geschichte des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz), Quellen- noch ein Literaturverzeichnis enthält, auch ein Personen- 10. November 1938 in der deutschen Hauptstadt aus dem Wagen Polen geführt hat. Davon betroffen war auch die Familie von Her- die in deutscher Übersetzung von Jochen August (Oświęcim: Verlag und Ortsregister wäre hilfreich gewesen. In Tabellen hätte die Au- ihrer Gesandtschaft, »der ein diplomatisches Kennzeichen und eine schel Grynszpan, der am 7. November 1938 zu dem »verzweifelten des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau, 1999) vorliegen. torin ihre in den Texten verstreuten überaus exakten Zahlenangaben kolumbianische Flagge trug« (S. 79), Zerstörungen am Kurfürsten- Attentat« (S. 164) gegen den deutschen Botschaftsangehörigen Ernst Nunmehr legt die Historikerin Susanne Willems (Humboldt- zusammenfassen können. Die Anlage des Buches als Bildband mit damm. Die Polizei wollte dies unterbinden und die Fotoapparate vom Rath getrieben worden war. Wildt geht auf die Folgen dieser Tat Universität zu Berlin) ihre Darstellung der Geschichte des Konzen- wissenschaftlichen Texten, im Grunde ein Zwitter, führt leider da- beschlagnahmen. »Unsere Repräsentanten weigerten sich, dieser ein und erinnert an die wenige Stunden darauf in Kassel und Nord- trations- und Vernichtungslagers Auschwitz in einem Groß-Oktav- zu, dass Willems’ Beiträgen nicht das Gewicht und die Bedeutung Forderung nachzukommen, da weder das Fotografi eren verboten hessen losgetretenen ersten antijüdischen Ausschreitungen sowie die Band vor, der Bildband und Studie in einem ist. In 22 Kapiteln, zukommen, die sie verdienen. Dem Vernehmen nach arbeitet die noch Anordnungen der Polizei nicht eingehalten worden waren. Sie ab der Nacht vom 9. auf 10. November fortgesetzten reichsweiten dicht und kenntnisreich verfasst, werden die Besetzung Polens, die Autorin an einem separaten, eigenständigen Studienband, der hof- wurden in ihrem Wagen über eine Stunde auf offener Straße fest- Pogrome. Anschließend geht Sebastian Weitkamp auf die Judenpo- Geschichte des Lagers, die Massenverbrechen, die Opfergruppen, fentlich die allfällige Monografi e über Auschwitz sein wird. gehalten und später zum Auswärtigen Amt begleitet. Dort wurden litik des Auswärtigen Amts ein, und Christoph Kreutzmüller und der Lagerwiderstand und die Einrichtung eines Museums auf dem sie freigelassen.« (ebd.) Der Vorfall führte kurz darauf zu diploma- Bjoern Weigel beschreiben die internationalen Zeitungsberichte über Gelände des Stammlagers (Auschwitz I) und von Birkenau darge- Werner Renz tischen Verwicklungen und zum Abzug der beteiligten Diplomaten. die Novemberpogrome, die wieder interessante nationale Varianten stellt. Willems kennt sowohl die überlieferten Quellen als auch die Fritz Bauer Institut Eine andere Facette überliefert Robert T. Smallbones. Der bri- zeigen. Ein Personenregister schließt die gelungene illustrierte Doku- Auschwitz-Literatur. Ihre umfassende Kenntnis ermöglicht ihr eine tische Generalkonsul in Frankfurt am Main hat das »Smallbones mentation der Novemberpogrome 1938 in Diplomatenberichten ab. überaus präzise und detailgenaue Darlegung. Ihr Hauptaugenmerk Scheme« entwickelt. Mit diesem »Verfahren zur Vergabe von Tran- legt sie dabei auf die historische Tatsache, dass Auschwitz seit Herbst sitvisa« sollen schätzungsweise 50.000 Juden und Jüdinnen nach Kurt Schilde 1942 zur »Drehscheibe« (S. 221) des insbesondere von Albert Speer Großbritannien gefl ohen sein. Die Hilfsanstrengungen beziehen auch Berlin/Potsdam 1 So der von der SS im Auschwitz-Album gebrauchte Ausdruck, siehe Israel Gut- (Reichsrüstungsministerium) organisierten »Sklavenarbeitsmarkts« man, Bella Gutterman (Hrsg.), Das . Die Geschichte eines Familienangehörige ein: In der Nacht vom 9. auf 10. November 1938 (ebd.) wurde. Auf Juden als Arbeitskräfte griff das NS-Regime aber Transports, Göttingen: Wallstein Verlag, 2002, S. 24 (Faksimile). versorgen die Ehefrau und Tochter des Diplomaten – Inga und Irene

64 Rezensionen Einsicht 14 Herbst 2015 65 Kritik der Erinnerungskulturindustrie ein mit Erfahrungen der Holocaustopfer vergleichbares auszugeben Ein Nazi bis zuletzt wahrscheinlich aufgrund der Anschuldigung, homosexuell zu sein. und sich auf diese Weise eine Opferidentität zu schaffen. Für diese Sein Bruder Hasso fi el 1942 den Euthanasiemorden zum Opfer. Zu Rhetorik, die eine Technik der Aushöhlung des Opferbegriffs ist, hat einer Abkehr vom Nationalsozialismus führte der Tod der Brüder

er anschauliches künstlerisches Material ausgewählt. Rosenfeld be- nicht. Westemeier stellt Peipers Karriere und Handeln immer wieder greift sie als Moment des gesamtgesellschaftlichen Phänomens, dass das Schicksal der jüdischen Familie Marx aus Heilbronn gegenüber, Alvin H. Rosenfeld sich tendenziell alle als Opfer verstehen und eine stetig wachsende Jens Westemeier die zwischen 1938 und 1943 dessen fatale Folgen erlitt. Das Ende des Holocaust Zahl den Status des Opfers für sich reklamiert. Seine ausführlichste Himmlers Krieger. Joachim Peiper und Im Krieg führte Peiper unprofessionell und ohne Rücksicht Übersetzt von Manford Hanowell Analyse hat die Verwandlung Anne Franks in ein Symbol, die Re- die Waffen-SS in Krieg und Nachkriegszeit auf Menschenleben. Der unbedingte Angriffswille war wichtiger Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, zeption ihres Tagebuchs und dessen dramatische und fi lmische Bear- Paderborn: Schöningh Verlag, 2014, als Taktik. Seine mordende und brandschatzende Truppe (»Lötlam- 2015, 273 S., € 39,99 beitung zum Gegenstand. (Kap. 4 und 5) In der Untersuchung dieser 882 S., € 98,– pen-Bataillon«) nahm an der Ostfront nur selten Gefangene. Eine Bearbeitung und der ersten deutschen Übersetzung des Tagebuchs Konstante, die zu den Massakern von Boves 1943 (23 Opfer) und bringt Rosenfeld die interessierten Eingriffe zum Vorschein, die Es überrascht, wie wenige wissenschaftliche im Dezember 1944 Malmedy (mehr als 80 amerikanische Kriegs- Anders als im irreführenden Verlagstext darauf zielten, die spezifi sche Qualität der Erfahrung Anne Franks Biographien von Führern der Waffen-SS bis- gefangene) führte. In den Ardennen ermordete seine Kampfgruppe behauptet wird, kritisiert der Anglistikpro- als von den Nationalsozialisten bedrohte Jüdin zu tilgen, um sie lang vorliegen.1 Diese hat eine ungewöhnliche Genese. Schon 1996 zudem mehr als 250 belgische Zivilisten. fessor Alvin H. Rosenfeld in seinem vorliegenden Werk keinesfalls in ein Symbol für das unschuldige Opfer zu verwandeln, das sich verfasste Jens Westemeier eine erste Studie über Joachim Peiper,2 Im Mai 1945 geriet der hochdekorierte SS-Standartenführer in »die Zunahme von Büchern, Filmen, Ausstellungen und öffentlichen trotz allem seinen Glauben an das Gute im Menschen bewahrt habe. die er nun mit der überarbeiteten Fassung seiner Dissertation einer amerikanische Kriegsgefangenschaft. Gemeinsam mit 43 weiteren Gedenkveranstaltungen zum Holocaust«, sondern deren Qualität, Während sich Rosenfelds Detailanalysen durch eine hohe Treff- Totalrevision unterzog. Beeindruckend selbstkritisch konstatiert der Angeklagten aus seiner Einheit wurde er im Sommer 1946 im Dach- ihre Wirkung und Funktion innerhalb einer Erinnerungskultur des sicherheit auszeichnen, ist seine auf den gesellschaftlichen Zusam- Autor, ursprünglich nicht genug kritische Distanz zu seinem Gegen- auer Malmedy-Prozess zum Tode verurteilt. An seiner Schuld kann, kultivierten Vergessens. Gegenstand seiner Kritik ist die qualitative menhang der Einzelphänomene zielende Rede von der »Amerika- stand gewahrt zu haben. Die aktuelle, mit Anhang knapp 900 Seiten wie Westemeier minutiös nachweist, kein Zweifel bestehen. In ihrem Nivellierung des Begriffs Holocaust, dessen Transformation in ein nisierung des Holocaust« (Kap. 3) unzutreffend. In der Nivellierung starke Studie ist, so viel sei vorweggenommen, ein großer Wurf. zweiten Teil räumt die Studie mit den Landsberger »Foltermärchen« abstraktes Symbol für jedwedes Greuel oder das Böse überhaupt. des besonderen Bedeutungsgehalts des Holocausts durch Verallge- Um den Peiper-Mythos zu dekonstruieren, wählt Westemeier den auf und schildert die sprachlos machende »Entlassungshysterie« einer Rosenfeld belässt es nicht bei Kulturkritik, sondern warnt vor der meinerung glaubt Rosenfeld etwas eigentümlich Amerikanisches chronologischen Zugriff einer klassischen Biographie. Zwei annähernd gesellschaftsübergreifenden Kriegsverbrecherlobby zur Freilassung politischen Konsequenz dieser Nivellierung: dem Verlust der poli- zu erkennen, was sich dann wegen der vermeintlichen »Macht der gleich lange Teile widmen sich dem Leben vor und nach 1945 und lie- der sogenannten »Kriegsverurteilten«. Im Dezember 1956 verließ tischen Urteilskraft, ohne die es nicht möglich ist, in der atomaren amerikanischen Kultur« (S. 112) weltweit durchgesetzt habe. Tat- fern zugleich eine Gesamtgeschichte der Leibstandarte SS . Peiper nach knapp zehneinhalb Jahren das Landsberger Kriegsverbre- Aufrüstung des Irans die Vorbereitung eines zweiten Holocaust zu sächlich ist die von ihm kritisierte Tilgung der Besonderheit nichts Der 1915 in Berlin geborene Joachim Peiper erklärte noch in den chergefängnis als freier Mann und überzeugter Nazi. In einer zweiten erkennen und die gegen Israel gerichteten Vernichtungsdrohungen spezifi sch US-Amerikanisches, sondern ein der kapitalistischen 1960er Jahren öffentlich: »Ich war Nazi und bin es geblieben.« 1933 Karriere bei Porsche und beim Motorbuch-Verlag kam er noch zu der iranischen Führer ernst zu nehmen (Epilog). Mit seiner wissen- Warenproduktion eigentümliches Phänomen. Diese ist es, die sich in die SS eingetreten, seit 1934 hauptamtlicher SS-Führer, wurde der beträchtlichem Wohlstand, ein Ermittlungsverfahren aufgrund des schaftlichen Polemik, deren englische Fassung 2011 veröffentlicht weltweit durchgesetzt hat und deren Gesetzen sich auch die Kultur- Schulabbrecher schnell zum besonderen Protegé Himmlers. »Jo- Boves-Massakers wurde eingestellt. Peipers Hybris, ungeachtet seines wurde, möchte er sich den von ihm kritisierten Tendenzen wider- produktion zu unterwerfen hat. Theodor W. Adorno und Max Hork- chen war sein Liebling […]« (S. 106). Peiper wiederum bewunderte Schuldregisters seinen Altersruhesitz ausgerechnet nach Frankreich setzen und zur Stärkung der Urteilskraft beitragen. heimer haben hierfür den Begriff der Kulturindustrie geprägt, und Himmler, der auch seine »Eheweihe« vollzog, bis an sein Lebensen- zu verlegen, wo er 1976 einem bis heute nicht restlos aufgeklärten Rosenfelds Streitschrift ist eine Intervention in die internationale ihre Analysen dieses Komplexes vermögen den gesellschaftlichen de. Auch wenn das Urteil, dass er »einer der von Himmler am stärks- Brandanschlag zum Opfer fi el, bleibt letztlich unbegreifl ich. Diskussion um Erinnerungspolitik und -kultur. Das Material, aus Zusammenhang zu erhellen, in dem sich die durch Kulturprodukte ten beeinfl ussten SS-Junker« (S. 72) gewesen sei, etwas apodiktisch Seine Berühmtheit resultierte weniger aus der NS-Propaganda dem er in seinen Analysen die von ihm kritisierten Phänomene her- vermittelte Aushöhlung des Holocaustbegriffs vollzieht. erscheint, zertrümmert Westemeier die Legende der Junkerschulen, als vielmehr aus intensiver Lobbyarbeit der HIAG, populärwis- ausarbeitet, hat er größtenteils aus der US-amerikanischen, der deut- In den Kapiteln 6 bis 8 wendet sich Rosenfeld vier Autoren die auch Peiper durchlief, als elitäre Kaderschmieden restlos. Die mi- senschaftlicher Literatur wie John Tolands Ardennenschlacht und schen und der israelischen Diskussion gewonnen. Die Untersuchung zu, die versucht haben, sich der Erinnerungskulturindustrie zu wi- litärische Ausbildung der SS befand sich auf katastrophalem Niveau. letztlich aus seinem Tod. In Himmlers Krieger zeichnet Westemeier geht von der Prämisse aus, dass die meisten Menschen nicht durch dersetzen: Jean Améry, Primo Levi, Imre Kertész und Elie Wiesel. Als Adjutant Himmlers zwischen 1938 und 1941 hatte Pei- das Bild eines in der Wolle gefärbten Nationalsozialisten und Kriegs- Fachliteratur vom Holocaust erfahren, sondern ihre Vorstellungen Rosenfeld versucht in diesen Studien die Frage zu beantworten, ob per Auge und Ohr in der Schaltzentrale des Völkermords. Er las verbrechers, der bis an sein Lebensende nie auch nur den Hauch darüber hauptsächlich durch politische Reden, Museumsbesuche, und wie diese Zeugen die Resignation in Anbetracht der Ignoranz Himmlers Post, begleitete ihn bei KZ-Inspektionen und Anfang 1939 einer kritischen Refl exion seiner Taten zeigte. Eine wahre Fundgrube Spielfi lme, das Fernsehen, Kunst und Literatur geprägt werden. gegenüber ihrem Zeugnis zu bewältigen vermochten. Eine Frage, die zu Massenerschießungen in Polen. Die Einsatzgruppenmeldungen versteckt sich mit den zahlreichen SS-Führer-Biographien im um- (S. 11 f.) Dementsprechend vielfältig sind die Phänomene, denen für alle Relevanz besitzt, die sich wie Rosenfeld dagegen engagieren, nach dem Überfall auf die Sowjetunion gingen durch seine Hän- fangreichen Anmerkungsapparat. Zu bedauern ist neben dem sehr Rosenfeld seine Aufmerksamkeit widmet. dass der Holocaust auf »die vertrauten Kategorien einer Sonntags- de. Peipers Bruder Horst nahm sich 1941 als SS-Mann das Leben, hohen Ladenpreis, dass der Verlag die nützlichen Anlagen und Kar- Er beginnt mit der Analyse der Verlautbarungen Reagans an- schulpredigt oder eines konventionellen fi lmischen Kassenschlagers ten in den Anhang verbannte, statt sie in den Fließtext einzubinden. lässlich des Bitburg-Skandals. Er kritisiert dann die Popularisierung zurechtgestutzt wird« (S. 17 f.). Die faktenschwere und gut lesbare Dekonstruktion des Peiper- Hitlers in der biographischen und fi ktionalen Literatur und im Film Mythos ist defi nitiv gelungen. Ob die Kreise, in denen der SS-Führer (Kap. 1), untersucht die »Rhetorik der Viktimisierung« (Kap. 2) und Jérôme Seeburger 1 Zum aktuellen Forschungsstand vgl. Jan Erik Schulte, Peter Lieb, immer noch als Kriegsheld und Opfer alliierter Siegerjustiz gefeiert die Abwendung von den Tätern und Opfern des Holocaust hin zu den Leipzig (Hrsg.), Die Waffen-SS. Neue Forschungen, Paderborn 2014. Als Beispiele für wird, das auch zur Kenntnis nehmen, ist zu bezweifeln. neuere Biographien seien genannt: K. v. Lingen (Karl Wolff); F. J. Merkl (Max Rettern und Überlebenden, für die SCHINDLERS LISTE symptomatisch Simon); N. Weise (). ist (Kap. 3). Unter »Rhetorik der Viktimisierung« versteht der Autor 2 Jens Westemeier, Joachim Peiper 1915–1976. SS-Standartenführer. Eine Biogra- Niels Weise die Rhetorik derjenigen, die versuchen, ihr individuelles Leid als phie, Osnabrück 1996. München

66 Rezensionen Einsicht 14 Herbst 2015 67 Münchens selektierendes Die persönliche Dimension der Durchsetzung nationalsozia- Die Erinnerung der Shoah in Italien negiert. Tatsächlich handelte jedoch auch das italienische Militär Gesundheitswesen listischer Maßnahmen kann Christians auch im Münchner Gesund- und Deutschland widersprüchlich, indem es sich etwa weigerte, bis zu 4000 Jüdinnen heitswesen nachvollziehen. So war es Limmer, der die eugenische und Juden aus ihrer Besatzungszone in Kroatien an Deutschland zu Datensammlung vorantrieb und systematisierte, vorerst in seiner übergeben. So erhielten bislang 500 ItalienerInnen die Ehrung »Ge- Funktion als Bezirksarzt der Polizeidirektion und dann als Gesund- rechte unter den Nationen« von Yad Vashem, da sie Verfolgte ver- heitsamtsleiter. Auch war Limmer am häufi gsten an Verfahrenseröff- steckten und unterstützten. Dennoch betont Mario Avagliano, »dass Annemone Christians nungen vor dem Erbgesundheitsgericht beteiligt und saß nach seiner Claudia Müller, Patrick Ostermann, Rassismus und Antisemitismus in der italienischen Geschichte keine Amtsgewalt und Volksgesundheit. Beförderung 1937 den Prozessen bei, wodurch er in vielen Fällen Karl-Siegbert Rehberg (Hrsg.) Fremdkörper waren, sondern Ausdruck einer Allianz übergreifender Das öffentliche Gesundheitswesen im gleichzeitig als Ankläger und Richter fungierte und seine »Diagnose« Die Shoah in Geschichte und Erinnerung. Kräfte, Erfahrungen, Ideologien, Interessen und Vorteile« (S. 65). nationalsozialistischen München im Zweifelsfall erfolgreich mit dem Totschlagargument einer »aso- Perspektiven medialer Vermittlung in Der Handlungsspielraum der nichtjüdischen Bevölkerung gegenüber Göttingen: Wallstein Verlag, 2013, 374 S., zialen« Persönlichkeit untermauerte. Sein gnadenloses Verständnis Italien und Deutschland der Verfolgung von Jüdinnen und Juden schwankte dabei zwischen € 38,– eines selektierenden Gesundheitswesens nahm noch deutlichere Züge Bielefeld: transcript Verlag, 2015, 309 S., massenhafter Zustimmung, Gleichgültigkeit und privater Solidarität. an, als mit dem Zweiten Weltkrieg die Rassenhygiene gegenüber der € 32,99 Die Erinnerung der Shoah in Italien erfolgt überwiegend in Museen Ressourcenmobilisierung in den Hintergrund zu treten schien. bzw. an historischen Orten wie den Ardeatinischen Höhlen. Hier Die ideologische und administrative Gleich- So wird anhand der katholischen Assoziationsanstalt Schönbrunn erschossen deutsche Truppen mehr als 300 Menschen. schaltung nach 1933 betraf auch das öf- (Landkreis Dachau) jene schon früh in Gang gesetzte Verdrängungs- Die Einordnung sowie die Erinnerung an den Nationalsozialismus Der zweite Teil erweitert die Perspektive auf Herausforderun- fentliche Gesundheitswesen im Deutschen Reich. Am Beispiel der kette dargestellt, die Winfried Süß als »sozialgeschichtlichen Basis- und die Shoah sind in Deutschland überwiegend von Verdrängung gen des historischen Verstehens sowie der Geschichtsdidaktik in »Hauptstadt der Bewegung« hat Annemone Christians in ihrer in- prozess des deutschen Gesundheitswesens während der Kriegsjahre«1 und Externalisierungsprozessen geprägt. In den hegemonialen Erin- Deutschland. Zwei Kapitel untersuchen dabei den Umgang mit den struktiven Dissertation, die im Rahmen des Kooperationsprojekts bezeichnet hat: Somatisch Kranke – in diesem Fall Tbc-Patienten – nerungsdiskursen werden die NS-Verbrechen bis heute überwiegend verschiedenen Formen (juridisch, historisch, moralisch und reli- »Die Münchner Stadtverwaltung im Nationalsozialismus« entstand, wurden ab 1941 in Münchner Altenheime verlegt und die alten und der NS-Führungselite sowie der SS zugeschrieben. Die restliche giös) der endenden Zeitzeugenschaft. Alfons Kenkmann regt eine die Entwicklung nachgezeichnet, in deren Zentrum das Münchner alterskranken Bewohner dieser Heime hierfür nach Schönbrunn ver- Bevölkerung hatte von der Verfolgung und Ermordung der Jüdinnen Perspektiverweiterung auf deutsche Täter an, die in Schulbüchern Gesundheitsamt steht. Dieses bestand 1933 erst seit vier Jahren, bracht. Die faktische Übernahme der Assoziationsanstalt wurde von und Juden keine Kenntnis – so ein immer wiederkehrendes Narrativ jedoch oft eine zu prominente Stellung einnehme. So betont Martin arbeitete mit einem Minimum an Ressourcen und Personal und teilte Limmer in erneuter Zusammenarbeit mit Schultze bis 1944 stetig aus- nach der Befreiung 1945, das erst in den 1980er Jahren als solches Liepach: »Nach wie vor gibt es in den Schulbüchern die Dominanz sich seine Aufgaben mit zahlreichen anderen Bereichen der Stadtver- geweitet. Gewährleistet wurden die Verlegungen aus München durch tituliert werden konnte. einer täterorientierten NS-Geschichte, die sich auf zahlreiche NS- waltung sowie gemeinnützigen Trägern. Die relative Unterentwick- den Abtransport eines Großteils der geistig und körperlich behinder- Ähnlich erfolgt(e) in Italien in den Erinnerungsdiskursen eine ideologische Verlautbarungen stützt. Es besteht die Notwendigkeit, lung und Arbeitsteilung wurde im Zuge der nationalsozialistischen ten Pfl eglinge aus Schönbrunn in staatliche Anstalten, mindestens Schwerpunktsetzung auf die Resistenca, die Negierung des spezifi - über Zeitzeugen ein Gegengewicht zu einer täterorientierten Ge- Herrschaft sukzessive überwunden, wobei der Person des 1937 ein- 546 dieser Männer, Frauen und Kinder wurden in den verschiedenen schen italienischen Antisemitismus sowie die Deportation von Jüdin- schichtsschreibung zu schaffen.« (S. 159) Weitere Beiträge stellen gesetzten Gesundheitsamtsleiters Josef Limmer eine besondere Rolle Phasen des »Euthanasie«-Programms ermordet. Besonders makaber nen und Juden. Für beide Länder ist demnach eine problematische Erinnerungskulturen sowie Museen und historische Orte, wie die zukam – zum Teil gegen den Willen der Stadtverwaltung, meist in angesichts dieser tödlichen Verdrängung wirken die Stellungnahmen Aufarbeitung ihrer Vergangenheit zu konstatieren. Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main und die Emsland- Kooperation mit Walter Schultze, Staatskommissar für Volksgesund- des Schönbrunner Heimleiters aus der Nachkriegszeit, in denen er die Der Sammelband hat sich zum Ziel gesetzt, die Aufarbeitung lager, vor. heit im bayerischen Innenministerium, setzte er die Ausweitung und produktive Zusammenarbeit mit dem Münchner Gesundheitsamt lobt. in den beiden Ländern Deutschland und Italien zu untersuchen. Er Im dritten Teil elaboriert der Sammelband künstlerische und Zentralisierung der Kompetenzen nach und nach durch. Die Mechanismen, welche den Kompetenzstreitigkeiten und Ko- ist in drei Teile untergliedert. mediale Perspektiven der Vermittlung, etwa im Hinblick auf den Von den zahlreichen Aspekten des öffentlichen Gesundheitswe- alitionsbildungen des Münchner Gesundheitsamts, seiner selektieren- Im ersten Themenschwerpunkt »Zur Pluralität der Erinnerungen Künstler Felix Nussbaum. Die Beiträge bieten einen gründlichen sens in München, die Christians beleuchtet, ist der Fokus hervor- den Versorgungs-, Verfolgungs- und Verdrängungspolitik sowie seiner an die Shoah« beschreiben sieben Beiträge Geschichte und Erinne- Einblick in die italienische Geschichte sowie italienische und deut- zuheben, den sie auf den Komplex der Rassenhygiene im Rahmen rücksichtslosen Ressourcenmobilisierung zugrunde lagen, sind letztlich rung an die Shoah in Italien. Die seit Jahren andauernde und bis heute sche Erinnerungskulturen und Gedenkarbeit. Dennoch scheinen die des »Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« legt und auf dasselbe Prinzip zurückzuführen: auf ein sozialdarwinistisches nicht fertiggestellte Planung und Errichtung eines Shoah-Museums drei Teile aufgrund der verschiedenen Schwerpunkte unverbunden dabei, soweit überlieferungstechnisch möglich, den Opfern einen Paradigma, aus dem der Nationalsozialismus seine historische Legiti- in Rom zeigt die evidenten Schwierigkeiten, einen angemessenen nebeneinander zu stehen. Leider erfolgte die Vorstellung von kon- zentralen Platz einräumt. Zwar spiegeln sich auch in dieser frü- mation bezog und dem seine politische Logik auf jeder Ebene folgte. Umgang mit der Erinnerung in Italien zu fi nden. Zusätzlich führte kreten Projekten, Lehrplänen an Schulen sowie die konkrete Vorstel- hen systematischen Verfolgungsmaßnahme des Regimes die späte Insofern geht der Beitrag, den Christians’ Studie zum Verständnis nati- das italienische Parlament gegen die Kritik von Überlebenden sowie lung von Erinnerungsorten in Italien nur bruchstückhaft. Neben der Konstituierung und die fortdauernden Kompetenzstreitigkeiten des onalsozialistischer Herrschaft auf kommunaler Ebene liefert, über den der Opposition den offi ziellen Gedenktag der Shoah am 27. Januar ausführlichen Betrachtung der Geschichte Italiens, die insbesondere Münchner Gesundheitsamts wider, was sich daran erkennen lässt, eigentlichen Gegenstand des öffentlichen Gesundheitswesens hinaus. ein – und nicht am 16. Oktober, dem Datum der Liquidation des für LeserInnen in Deutschland von Interesse sein könnte, hätte bei- dass die städtische erbbiologische Kartei hinter dem Umfang euge- Ghettos in Rom 1943. Bemerkenswerterweise ist die Erinnerung der spielsweise eine vergleichende Perspektive des Antisemitismus so- nischer Erfassung in anderen Großstädten zurückstand und nicht im Mathias Schütz jüdischen Überlebenden bis zur deutschen Okkupation 1943 recht wie der Weltanschauungen der beiden Regime den Band bereichert. Gesundheitsamt angelegt wurde. Dennoch war das Münchner Ge- München positiv. Dabei werden die Verfolgungserfahrungen fast ausschließ- sundheitsamt die Zentrale der »rassenhygienischen Rasterfahndung« lich auf die deutschen Besatzer übertragen und die Vorbereitung Florian Zabransky (S. 318), und das Amt ließ keinerlei Hemmnisse hinsichtlich seiner der faschistischen Regierung (rassistische Gesetze sowie die damit Frankfurt am Main Hauptaufgabe erkennen: Bis 1935 wurden etwa 16.000 Vorladungen einhergehende Ausgrenzung aus dem gesellschaftlichen Leben, In- 1 Winfried Süß, Der »Volkskörper« im Krieg. Gesundheitspolitik, Gesundheitsver- zur Untersuchung im Gesundheitsamt als Postkarte verschickt und hältnisse und Krankenmord im nationalsozialistischen Deutschland 1939–1945, ternierungslager und Zwangsarbeit, Abweisung und Vertreibung von die Betroffenen somit offen als potenziell »erbkrank« stigmatisiert. München 2003, S. 328. Gefl üchteten in Italien, personelle Kontinuitäten nach der Befreiung)

68 Rezensionen Einsicht 14 Herbst 2015 69 Klaus Barbie und der BND Doch Hammerschmidt verfolgt mit seinem Buch ein weiteres, Auf der Grundlage dieser Quellen gelingt es dem Autor, einen Strafverfahren gegen Barbie in Frankreich Vorteile im Wahlkampf größeres Ziel: Er berichtet – festgemacht an der Personalie Barbie lückenlosen Lebenslauf von Klaus Barbie herauszuarbeiten. Vor versprach, wurde die Auslieferung Barbies nach Frankreich in die –, wie deutsche, amerikanische und andere Geheimdienste nach allem die Berichte über Folterpraktiken gegen französische Wider- Wege geleitet. Auch ein Waffengeschäft, das von Hammerschmidt

Kriegsende Angehörige von Gestapo und SS, ungeachtet deren im standskämpfer, die Deportation von 44 Kindern aus dem jüdischen nur andeutungsweise dargestellt wird, trug dazu bei, die Ausliefe- Dritten Reich begangenen Verbrechen, einstellten. Ihre Aufgabe Waisenhaus von Izieu nach Auschwitz, die Liquidierung des Wider- rung zu forcieren. Das Schwurgericht in Lyon verurteilte Barbie Peter Hammerschmidt bestand zunächst darin, die ehemaligen Mitkämpfer aufzuspüren standskämpfers Jean Moulin und die Zerschlagung von Résistance- zu lebenslanger Haft, in deren Verlauf er im September 1991, an »Deckname Adler«. Klaus Barbie und und sie später aufgrund ihrer Erfahrungen bei der Verfolgung von Verbänden werden faktensicher und detailgenau geschildert. Krebs erkrankt, verstarb. die westlichen Geheimdienste kommunistischen Gruppierungen zu rekrutieren. Bereits unmittelbar nach Kriegsende, das er unter falschem Es hätte wahrscheinlich den Rahmen der Publikation gesprengt, Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, Für dieses Anliegen war Barbie für Hammerschmidt das ideale Namen in Deutschland erlebt hatte, knüpfte Barbie Beziehungen wenn der Autor die Einzelheiten des Strafverfahrens gegen Barbie 2014, 555 S., € 24,99 Objekt. Die Quellen, die er für seine Dokumentation verwendet, zu amerikanischen Geheimdiensten, die ihn zur Bekämpfung von und die Urteilsbegründung ausführlicher dargestellt hätte. Auch sind umfassend. Angefangen mit Barbies Abituraufsatz bis zu dem vermuteten deutschen Widerstandskämpfern und später zur Auf- wären die Fragen nach Art und Umfang der Kollaboration während Material deutscher und ausländischer Archive, in die er – teilweise deckung kommunistischer Gruppierungen beschäftigten. Nachdem seiner Tätigkeit in Lyon, die in dem Verfahren aus naheliegenden Am 12. November 2014 wurde der mit erst nach massivem juristischen Druck – Einsicht erhalten hatte. So die französischen Strafverfolgungsbehörden – Barbie war in der Gründen nur andeutungsweise problematisiert wurden, für den Leser 10.000 Euro dotierte Förderpreis »Opus Pri- gelang es ihm, ein detailgenaues Bild von Barbie, seinen Kumpanen, Zwischenzeit in Frankreich in Abwesenheit zum Tode verurteilt von Interesse gewesen. mium« der Volkswagenstiftung für die beste Nachwuchspublikation seinen Beziehungen und vor allem von seinen Verbrechen darzu- worden – die Suche nach ihm intensivierten, beendeten die Ame- Peter Hammerschmidt hat mit seiner Studie eine beeindruckende des Jahres 2014 an den jungen Historiker Peter Hammerschmidt für stellen. Neben dem umfangreichen Archivmaterial – einschließlich rikaner, die im Zweifel sowohl seine Identität wie auch seine Ver- Rechercheleistung vorgelegt, mit der er ein wichtiges Kapitel deut- sein Werk »Deckname Adler« verliehen. Der Autor stellt in seinem der Dokumentenbestände des Bundesnachrichtendienstes – spürte gangenheit kannten, die Zusammenarbeit mit ihm und veranlassten scher Geschichte abschließend aufgearbeitet hat. Buch vordergründig das Leben von Klaus Barbie dar, einem der Hammerschmidt die Memoiren von Barbie auf, die sich im Pri- seine Flucht über die »Ratten-Linie« nach Südamerika, die zuvor berüchtigsten NS-Straftäter, der als Chef der Gestapodienststelle vatbesitz befi nden. Schließlich verwendete er die Materialien von schon von Adolf Eichmann und anderen NS-Verbrechern genutzt Wolfram Wiesemann Lyon von deutschen und französischen Strafverfolgungsbehörden zwei Stern-Reportern, die Barbie in den siebziger Jahren in Bolivien worden war. Wiesbaden in der Nachkriegszeit weltweit gesucht wurde. ausführlich interviewt hatten. Ausführlich schildert Hammerschmidt die folgenden dreißig Jahre im Leben von »Klaus Altmann« – Barbies Falschnamen – in Bolivien, wo er als erfolgreicher Geschäftsmann enge Kontakte zu den dortigen Regierungskreisen und zu deutschen Vereinen und Clubs unterhielt. Die Diktatoren Boliviens der 1960er Jahre be- nutzten seine Kenntnisse zur Bekämpfung von Widerstandsgrup- pen, integrierten ihn in ihre Militärverbände und verliehen ihm die Christlich-jüdischer Dialog Fritz Bauer Institut Medien - Materialien - Informationen bolivianische Staatsangehörigkeit. Geschichte und Als der Bundesnachrichtendienst »Mitarbeiter« für Bolivien ImDialog. Evangelischer Arbeitskreis für das christlich-jüdische Gespräch Wirkung des Holocaust suchte, war Barbie zur Stelle, zumal er in der Zwischenzeit auch in Hessen und Nassau www.ImDialog.org als Waffenhändler erfolgreich tätig geworden war. Gegen Honorare, Hier könnte Ihre die der Autor offenlegt, berichtete er mehr als zwei Jahre unter dem Predigthilfen • Gottesdienstideen • Decknamen »Adler« über Details der in Bolivien herrschenden poli- Materialien für Schule und Gemeinde Anzeige stehen! tischen Verhältnisse. Als in Pullach Zweifel an seiner Vergangenheit auftauchten, wurde seine Tätigkeit mit einer Abfi ndung beendet, zum Download für 3 bis 9 € Formate und Preise ohne dass die belastete Vergangenheit durch den BND aufgeklärt in unserem Online-Shop worden wäre, was – wie der Autor überzeugend nachweist – leicht Doppelseite 460 x 295 mm + Beschnitt 1.090,– www.imdialog-shop.org möglich gewesen wäre. So blieb es dann den Dezernenten der Zen- Umschlagseite U4 230 x 295 mm + Beschnitt 950,– tralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS- Umschlagseite U2 / U3 230 x 295 mm + Beschnitt 850,– Verbrechen in Ludwigsburg vorbehalten, 1971 die wahre Identität Ausstellungen zum Ausleihen: Ganzseitige Anzeige 230 x 295 mm + Beschnitt 690,– von »Klaus Altmann« aufzudecken. • Luthers Sündenfall gegenüber den Juden 1/2-seitige Anzeige vertikal 93 x 217 mm 390,– Nachdem die Eheleute Beate und hierdurch • Die Bibel. Buch der Juden, Buch der Christen 1/2-seitige Anzeige horizontal 192 x 105,5 mm 390,– den Aufenthaltsort Barbies erfahren hatten, begannen ihre inten- • Stationen des Antijudaismus 1/3-seitige Anzeige vertikal 60 x 217 mm 320,– siven Versuche, Barbie von Bolivien nach Frankreich oder nach • Jüdische Feste und Riten 1/4-seitige Anzeige vertikal 93 x 105,5 mm 270,– Deutschland ausliefern zu lassen. Hammerschmidt berichtet in • Stationen des Holocaust Aufl age: 5.500 Exemplare, Preise in Euro, zuzügl. gesetzl. MwSt. diesem Zusammenhang faktenreich über die eher zurückhalten- den Versuche der deutschen und französischen Instanzen, eine Kontakt: Dorothee Becker, Tel.: 069.798 322-40, [email protected] Abschiebung von Barbie zu erreichen. Erst im Jahre 1983, als sich www.ausstellungen.imdialog.org der französische Staatspräsident François Mitterand von einem

70 Rezensionen Einsicht 14 Herbst 2015 71 Nazis in Amerika Rahmen der »« nach Amerika geholt wurden. Widerstandshelden, »Rote Kapos« und waren. Gegen anhaltenden Widerstand der ostdeutschen Behörden, Andere Personen mit Nazi-Vergangenheit wie Otto von Bolschwing Parteikader in Halbdistanz die eine Verselbstständigung der Lagerkomitees fürchteten, konnte oder Aleksandras Lileikis hatten für den CIA gearbeitet und waren das IBK 1960 die große Dokumentation Buchenwald – Mahnung

deshalb in die USA gelangt. Lichtblaus Kritik daran, dass Regie- und Verpfl ichtung herausgeben, die für Jahrzehnte das Lagernar- rungsstellen Ex-Nazis protegierten und benutzten, durchzieht das rativ dominierte. Erst 1970 wurde das IBK offi ziell von der SED Eric Lichtblau Buch wie ein roter Faden. anerkannt – in der Hoffnung, von seiner moralischen Autorität in The Nazis next door. How America Korrekt zu bezeichnen, welche Stellung die beschriebenen Per- Philipp Neumann-Thein Westeuropa profi tieren zu können. Es verging ein weiteres Jahrzehnt, became a save haven for Hitler’s men sonen früher eingenommen und welchen Rang sie gehabt hatten, Parteidisziplin und Eigenwilligkeit. bis das Komitee allmählich begann, sich für Häftlingsgruppen zu Boston, New York: Houghton Miffl in ist nicht Lichtblaus Sache. Der Berufsdiplomat Gustav Hilger zum Das Internationale Komitee Buchenwald- öffnen, die bis dahin nicht vertreten waren. Der Zusammenbruch Harcourt, 2014, 266 S., ca. € 19,90 Beispiel wird als »one of Hitler’s top Russia aides« (S. 32) oder Dora und Kommandos des »realexistierenden Sozialismus« ab 1989 nötigte auch dem IBK »high-profi le Hitler aide« (S. 80) vorgestellt. Wie problematisch Göttingen: Wallstein Verlag, 2014, 629 S., eine grundsätzliche Neupositionierung ab. In heftigen Auseinan- mangelnde historische Genauigkeit sein kann, lässt sich am Beispiel € 39,90 dersetzungen mit der neuen Gedenkstättenleitung wurde versucht, Eric Lichtblaus Buch gehört zum Genre der von Tom Soobzokov gut zeigen. Dieser Fall nimmt breiten Raum ein. Kernelemente des eigenen Lagernarrativs zu verteidigen und eine Nazi-Enthüllungsschriften, die vor allem in Lichtblau beschreibt in drei Kapiteln Soobzokovs Tätigkeit für den (gleichgewichtige) Repräsentation des sowjetischen »Speziallagers« den siebziger und achtziger Jahren populär waren. In ihnen wird CIA und seine Aktivitäten in den USA bis zu seiner Tötung durch Das Internationale Buchenwald-Komitee zu verhindern; gleichzeitig setzte ein für das politische Überleben anhand von Personen aufgezeigt, dass Nazi-Verbrecher nach 1945 eine jüdische Terrorgruppe. In Rückblicken wird auf die Kriegszeit (IBK, seit 1964 Internationales Komitee notwendiger Prozess der politischen Öffnung und Anpassung ein. in Einwanderungsländern wie den USA, Australien oder Kanada eingegangen, aber bis zum Schluss ist nicht deutlich, welche Stel- Buchenwald-Dora) ist zweifellos ein spannender Gegenstand, wenn Dem IBK gelang, so Neumann-Thein, »Kontinuität durch Wandel«. Unterschlupf fanden. Typisch für dieses Genre ist, dass erzählt, nicht lung Soobzokov hatte. Hinweise auf die Wehrmacht (S. 60–61, 63), man sich mit der widersprüchlichen Geschichte der erinnerungspoli- Das Buch ist akribisch aus den Archivquellen gearbeitet, ein analysiert wird, historische Hintergründe oft nicht genau wiederge- die Waffen SS (S. 45, 112–113, 121) oder ein Einsatzkommando tischen Aktivitäten ehemaliger KZ-Häftlinge in der Nachkriegszeit Anhang listet sämtliche Zusammenkünfte des IBK, seine Mitglieder geben werden und es an Quellennachweisen mangelt, so dass die (durch Erwähnung von Krasnodar im Jahr 1942, S. 47–49, 59, 118) befassen will. Wie bedeutsam diese Aktivitäten für die Erinnerung und Vorsitzenden auf, wichtige Personen werden in Kurzbiographien Darstellungen häufi g nicht quellenkritisch hinterfragt werden kön- gehen wild durcheinander. In einem Satz wie dem, dass Soobzo- an die Lager waren, haben inzwischen Arbeiten zu verschiedenen vorgestellt. Auch sonst bleiben hinsichtlich der Geschichte des IBK nen. Das dritte Kapitel von Lichtblaus Buch zum Beispiel umfasst kov ein »Oberleutnant in the SS, the Germans’ notorious security Konzentrationslagern gezeigt. Nur wenige Lagerkomitees scheinen als Verband wenige Frage offen. 25 Seiten, hat aber nur sechs Fußnoten aufzuweisen. and intelligence branch« (S. 63) gewesen sei, stimmt nichts. (Ein die Wahrnehmung der Geschichte »ihres« Lagers so lange beherrscht Allerdings stellt sich beim Lesen bald das merkwürdige Gefühl Zu Beginn diente die Enthüllungsliteratur dem Zweck, Öffent- Oberleutnant ist ein Rang in der Wehrmacht; die SS wird hier mit zu haben wie das Buchenwald-Komitee, in kaum einem war die einer erstarrten Perspektive ein. Der Autor hält zu seinen Protago- lichkeit und Politik auf das Problem der Präsenz von Naziverbre- Sicherheitspolizei und SD verwechselt.) Eine präzise Bestimmung Perspektive der (deutschen) kommunistischen Funktionshäftlinge nisten immer dieselbe Halbdistanz. Er kommt ihnen nicht näher, um chern hinzuweisen, um dann durch die Schaffung neuer Institutionen von Rängen und Stellungen in Institutionen ist allerdings in der so dominant. etwa anhand von Ego-Dokumenten ihren persönlichen oder kollekti- Ermittlungen und rechtliche Maßnahmen zu ermöglichen. 2014 war strafrechtlichen Arbeit – wie der von OSI – eine Grundbedingung. Philipp Neumann-Thein rekonstruiert die Geschichte des IBK ven Erfahrungshintergrund, ihre Motive und Selbstwahrnehmungen das bereits geschehen, in den USA nahm das Offi ce of Special In- Mit bombastischen Inhaltslosigkeiten wie der, dass Soobzokov »The von seinen Grundlagen in den Strukturen des organisierten Häft- zu befragen. Die Akteure werden als Funktionäre gezeichnet, die vestigations (OSI) 1979 seine Tätigkeit auf. Diese Strafverfolger Führer of the North Caucasus« (S. XIII, 7) gewesen sei, überzeugt lingswiderstands bis in die frühen 2000er Jahre. Ausgehend von vor allem strategisch agieren und deren Antriebe, Aktivitäten und stellen bei Lichtblau die Helden im Kampf zwischen Gut und Böse man einen Richter nicht. einer Beschreibung der hierarchisierten Häftlingsgesellschaft ana- Ziele daher auch kaum Fragen aufwerfen. Gleichzeitig sucht der dar, ganze Passagen des Buches beruhen auf Interviews mit Ange- Die im Untertitel des Buches gestellte Frage »How America lysiert der Autor die zwangsläufi g ambivalente Position des Lager- Autor aber auch nur selten einen Blick aus größerer Distanz, der hörigen des OSI. Besonders auf zwei der Direktoren, Neal Sher und became a safe haven for Hitler’s men« wird nicht wirklich behandelt. widerstands zwischen privilegierter Funktionsübernahme und der es ermöglichen würde, die Akteure des IBK als Teil gesellschaftli- , und auf deren Handeln und moralische Motivation (Die Aktionen des CIA oder »Operation Paperclip« sind Sonderfälle, Hilfe für Mithäftlinge. Die jahrzehntelang mit Vehemenz verteidigte cher Prozesse und Diskurse zu zeigen, die über ihr engeres Umfeld wird detailliert eingegangen. Störende Details wie das, dass Sher in betreffen aber nicht die Masse der Einwanderer.) Im ersten Kapitel »Selbstbefreiung« der Häftlinge unter Führung der organisierten weit hinausgingen. Zwar werden die Komitee-Aktivitäten auf die seiner späteren Karriere wegen unethischen Verhaltens die Rechts- wärmt Lichtblau wissenschaftlich längst widerlegte Verschwörungs- Kommunisten gehörte bereits zu den Rechtfertigungsstrategien der innenpolitische Situation der ostdeutschen und französischen Kom- anwaltslizenz entzogen wurde, muss man in den Fußnoten suchen theorien wieder auf, wie zum Beispiel, dass dabei antisemitische rasch in der Kritik stehenden kommunistischen Funktionshäftlinge. munisten bezogen. Darüber hinaus gibt es aber kaum Kontextualisie- (Fn. 210, S. 255). Vorurteile in den Einwanderungsländern eine Rolle gespielt hätten. Selbststilisierung, positive Vereindeutigung des individuellen und rung etwa ihrer Lagernarrative mit den sich in ganz Europa ab 1945 Viele der vorgestellten Fälle sind bekannt, wie Ivan Demjanjuk, Tatsächlich wurde die Auswanderung von Nazi-Opfern aus Europa kollektiven Verhaltens, Auslassung aller für das Selbstbild bedroh- herausbildenden Erzählungen von Widerstandskampf, Helden- und , Viorel Trifa oder , und auch in durch eine internationale Organisation, die IRO, organisiert. Na- lichen Lagererfahrungen prägten von Anfang an die Darstellun- Märtyrertum – die keineswegs auf Kommunisten beschränkt waren. der Literatur schon beschrieben. Es ist deshalb bedauerlich, dass zi-Täter oder Kollaborateure sollten von IRO-Unterstützung aus- gen des kommunistischen Lagerwiderstands. Teils als Refl ex auf So entgeht dem Autor beispielsweise, dass die Lagernarrative des Lichtblau in nur beschränktem Maß Literatur rezipiert hat. Die geschlossen sein. Die Frage, wie und warum trotzdem Nazis die befürchtete oder tatsächliche Angriffe – die im Rahmen der stali- nichtkommunistischen Dachau-Komitees in vieler Hinsicht kaum an- unrühmliche Rolle zum Beispiel, die das OSI im Fall Demjanjuk Auswanderung gelang, ließe sich anhand reichlich vorhandenen nistischen Säuberungen durchaus bedrohlich waren –, teils einem ders funktionierten als die der Kommunisten aus Buchenwald, – was gespielt hat, ist schon differenzierter und kritischer dargestellt wor- Archivmaterials klären. Bedauerlicherweise hat Lichtblau dies nicht avantgardistischen Selbstverständnis folgend, schlossen sich die Fragen aufwirft, die einen deutlich weiteren Fokus erfordern würden. den.1 Ebenso wenig neu ist, dass Naturwissenschaftler wie Wernher getan, obwohl das Problem, dass politische Verbrecher Programme kommunistischen Häftlinge im Buchenwald-Komitee zusammen, Eine Strukturierung des umfangreichen Materials anhand begriffl ich von Braun, Arthur Rudolph oder Hubertus Strughold nach 1945 im zur Unterstützung ihrer Opfer unterwandern können, besonders in dessen tragende Kräfte meist deutsche und französische Kommunis- fundierter Fragestellungen hätte dieser Arbeit sehr gut getan. Zeiten großer Flüchtlingsbewegungen höchst relevant wäre. ten waren. Sie betrieben aktiv eine Kanonisierung und Vereinheit- lichung des internationalen Buchenwald-Gedächtnisses, was umso Katharina Stengel

1 Stephan Landsman, Crimes of the Holocaust: the law confronts hard cases, Phila- Ruth Bettina Birn leichter gelang, als zunächst Angehörige anderer Häftlingsgruppen Fritz Bauer Institut delphia: University of Philadelphia Press, 2005. Stuttgart noch kaum mit ihren Erfahrungen in der Öffentlichkeit präsent

72 Rezensionen Einsicht 14 Herbst 2015 73 Nationalsozialistische Normativität und geschlossene normative Struktur handelt. Diese Struktur, die des Kampfes. Kampf gehört für die Nationalsozialisten gleichsam einem rechtzeitigen militärischen Vorgehen gegen NS-Deutschland er dann mithilfe einer Fülle von Quellen darstellt, lässt sich kurz zur ursprünglichen und natürlichen Normativität und ist nicht nur zu bewegen. so zusammenfassen: 1. Es gibt so etwas wie eine natürliche Moral ein Mittel, die »natürliche« Ordnung wiederherzustellen, sondern Mit seiner Herangehensweise gelingt es Chapoutot, ein deutli-

bzw. Ethik, eine Normativität der Natur; diese ist die der »Rasse«. Moment dieser Ordnung selbst. Entsprechend ist die nationalsozia- ches und in vielen Aspekten erhellendes Bild von NS-Normativität Verschiedene »Rassen« haben eine je verschiedene Moral, und das listische »Volksgemeinschaft« eine Gemeinschaft, bei der der Kampf zu zeichnen. Vor allem zwei Aspekte erscheinen mir ein außerordent- Johann Chapoutot hängt damit zusammen, dass sie in bestimmten, natürlichen Räumen ums Dasein immer im Zentrum steht. Sie wird in diesem Sinne als lich positiver Beitrag zur weiteren Diskussion zu sein: 1: Die Darstel- La Loi du sang. Penser et agir en nazi gleichsam verwurzelt sind. Nur wer seine Bindung zur »Rasse« eine durch existenziellen Kampf zu Höchstleistungen angetriebene lung des Zusammenhangs von Normativität mit einem umfassenden Paris: Gallimard, coll. Bibliothèque des empfi ndet, kann auch zu der natürlichen Normativität gelangen, die Gemeinschaft als Leistungsgemeinschaft verstanden; alle Individu- Narrativ von Entfremdung und Wiedererlangung einer »natürlichen« Histoires, 2014, 576 S., € 25,– ihm eigentlich zu eigen ist. 2. Diese natürliche Moral, die Moral der en, die sich diesem Imperativ nicht unterwerfen, gelten als störend; Moral. 2. Die umfassende Sichtung der entsprechenden Literatur »Rasse«, ist verschüttet worden durch einen Prozess der Entfrem- sie müssen daher entweder so geformt werden, dass sie sich diesem und die Darstellung und Interpretation, die sie in direkten Zusam- dung, der Trennung, der Täuschung. Für diesen Prozess werden im Imperativ unterwerfen, oder sie werden aus der Gemeinschaft ausge- menhang mit den jeweils gerechtfertigten Verbrechen bringt. 3. Die Wesentlichen die Juden verantwortlich gemacht. Sie werden nicht schieden, schließlich ermordet. Der dritte Imperativ, den Chapoutot genaue und zusammenhängende Diskussion der verschiedenen Dis- als »Rasse«, sondern als »Rassengemisch« schlechthin, als Produkt als grundlegend für die nationalsozialistische Normativität ansieht, kurse vor allem aus dem Bereich des Rechts und die Einordnung Nachdem seit Ende der 1990er Jahre in und Agent der Trennung von der natürlichen Normativität gesehen. lautet »herrschen«. Hier erörtert Chapoutot vor allem Konzepte von in ein Gesamtbild von NS-Normativität, durch die viele Aspekte verschiedenen Publikationen darauf auf- Die Trennung ist Trennung von einer umfassenden Natur – wobei »Reich« und »Großraumordnung«, die von nationalsozialistischen einander wechselseitig erhellen. Alle drei Aspekte machen das Buch merksam gemacht wurde, welche große Bedeutung den Moralvor- »Natur« nicht im Sinne von Naturwissenschaft, sondern eher im Juristen, Historikern, Volkstumsplanern usw. entworfen wurden, von zu einer ausgesprochen lesenswerten Studie, von der man hoffen stellungen von Nationalsozialisten bei der Erklärung der national- Sinne eines romantischen Naturbegriffs verstanden wird. Natur hat ihrem Kampf gegen das internationale Recht und das Völkerrecht; kann, dass sie bald auch ins Deutsche übersetzt wird. sozialistischen Verbrechen zukommt, hat Johann Chapoutot mit daher eine eigene Normativität, der man entsprechen, der man aber dabei ist vor allem die Vorstellung eines »natürlichen Lebensraums« seinem Buch La loi du sang den Versuch einer zusammenhängenden auch zuwiderhandeln kann – bei Strafe letzten Endes des Untergangs der Völker verbunden mit der Vorstellung, dass die Germanen gleich- Werner Konitzer und systematisch angelegten Rekonstruktion nationalsozialistischer der eigenen naturgegebenen »Rasse«. Weil der Natur entgegenge- sam von Natur aus zur Herrenrasse geschaffen seien, maßgeblich. In Fritz Bauer Institut Normativität unternommen. Er wählt mit guten Gründen den wei- handelt wurde, ist ein Zustand umfassender Entfremdung entstanden, diesem Zusammenhang geht er auch noch einmal auf die Vernichtung teren Ausdruck »Normativität«; er habe versucht, Nazi-Moral sys- der – so die Meinung der Nationalsozialisten – die Gegenwart in der Juden und der Vorstellung von ihnen als »Gegenrasse«, die die tematisch und methodisch kontrolliert zu untersuchen; die Quellen allen ihren Zügen, kulturell, moralisch und politisch, prägt. 3. Die Shoah legitimierte, ein. – verschiedene eugenische und rassetheoretische Diskurse, Reden Moral der Natur ist eine Moral des Kampfes ums Dasein, in der das Chapoutots Buch ist, soweit ich sehe, der erste Versuch, nati- und Schriften führender Nationalsozialisten, Diskurse der verschie- Gesetz des Stärkeren gilt. Dieser Kampf ist nicht primär ein Kampf onalsozialistische Normativität umfassend als eine Struktur darzu- denen maßgeblichen Rechtstheoretiker und Rechtspraktiker, schließ- zwischen Einzelnen, sondern zwischen verschiedenen Gruppen, stellen und sie mit den von den Deutschen im Nationalsozialismus » « lich Wörterbücher und Propagandafi lme im engeren Sinne als auch eben »Rassen«. Daher muss er für den Erhalt der »Rasse« sowohl begangenen Verbrechen in einen systematischen Zusammenhang DasDas DritteDritte ReichReeich Spielfi lme – hätten in eine andere Richtung gewiesen. Ohne dass nach innen wie nach außen geführt werden. Nach innen geht es da- zu stellen. Die Gestalt dieser »Rekonstruktion« zielt darauf ab, zu nachnach HitlerHitler Chapoutot diese eigens anführt, gehen weitere Gründe für die Wahl rum, die »Rasse« in ihrer Reinheit und Stärke wiederherzustellen; erklären, wie es möglich war, dass die Täter Verbrechen ungeheuren 2323 TageTage imim MaiMai 1945.1945. des allgemeineren Ausdrucks »nationalsozialistische Normativität« so werden Menschen mit Behinderungen, Schwache, »Asoziale« Ausmaßes gemeinschaftlich begehen konnten, ohne ein entspre- EiEinene Chrhrononikik aus der Anlage und dem Inhalt des Buches hervor. Einmal die Tatsa- und »Arbeitsscheue« getötet oder verfolgt. Nach außen geht es um chendes Schuldbewusstsein oder Gefühle von Reue oder Scham zu Hrsg.Hrsg. vv.. AAndreasndreas NachamaNachama che, dass nationalsozialistische Normativität nicht als solche fassbar, die Wiederherstellung der ursprünglichen Ordnung der Natur, also haben oder zu zeigen. Durch diesen letztgenannten Aspekt, näm- undund KKlauslaus HHeessesse sondern ein besonderes historisches Narrativ ist, das von Zerfall darum, der »germanischen Rasse« den ihr von Natur aus erforderli- lich die Intention, die Motive der Täter zu erklären, unterscheidet Notizen: Visuell 1 und Wiederherstellung einer als natürlich gedachten Moral handelt. chen Lebensraum wiederzugeben. So kommt dem »Boden« als dem sich Chapoutots Herangehensweise von derjenigen Raphael Gross’, Zweitens, dass Moral und Recht in den verschiedenen Auffassungen Lebensraum normative Bedeutung zu: Gegen die »Verwerfungen« dem es in seinem Buch Anständig geblieben vor allem darum ging, StartStart dderer neuenneuen RReiheeihe iimm HentrichHentrich & HHentrichentrich VerlVerlagag von NS-Theoretikern voneinander nicht zu trennen sind, so dass hier des Westfälischen und des Versailler Friedensvertrags entwerfen Kontinuitäten normativer Auffassungen, die sich aus dem NS in die kantische Vorstellungen von Moral als einem außerrechtlichen und nationalsozialistische Ideologen eine Großraumordnung, die der Nachkriegszeit hinein fortsetzten, deutlich zu machen. Durch den JetztJetzt vorbestellen,vorbestellen, erscheinterscheint EndeEnde 20152015 dem Recht gleichsam gegenüberstehenden System nicht mehr grei- »natürlichen« Lebensweise der »Rassen« angepasst sein soll. zweiten Aspekt, nämlich die Intention, Kohärenz und Systematizität fen. Drittens, dass das Konzept der Rasse, dem Chapoutot in seiner Aus dieser Normativität heraus ergeben sich nun nach Cha- von NS-Normativität herauszuheben, unterscheidet sich sein Ansatz Darstellung der NS-Normativität nicht zu Unrecht eine bedeutende poutot drei umfassende Imperative. Sie bilden die Grundlage für von dem im letzten Jahr erschienenen Buch von Wolfgang Bialas, Rolle zuspricht, kein moralisches Konzept ist, sondern eines, in dem die Gliederung des Buches insgesamt. Im ersten Teil geht es um Moralische Ordnungen des Nationalsozialismus. Durch den dritten Die immer noch wenig bekannte Geschichte dieser normative und deskriptive Ansprüche miteinander kaum trennbar den Imperativ des Zeugens, der Vermehrung. Hier schildert er die Aspekt, nämlich die Intention, den Zusammenhang mit den Ver- 233 Tage wird wie in einem Kalender aufgeblättert... verschmolzen sind. Schließlich auch die Tatsache, die Chapoutot Vorstellung einer normativen Einbettung ins Ganze einer Natur, brechen, mit der Bestimmung und der Auswahl der Opfergruppen, DaDasas »»DriDrittette ReReicichh«« naachch HitlHitlerer caa. 232 Seiten, 130 Abbildungen besonders heraushebt, dass nationalsozialistische Normativität nicht die Menschen, Tiere und Pfl anzen umfasst, und das Konzept der darzustellen, hebt es sich von Aurel Kolnais bereits im Jahre 1938 Klappenbroschur ISBN: 978-3-95565-117-6 primär in eigenen Regelwerken, sondern vor allem sehr verschie- Entfremdung von dieser ursprünglich gegebenen und nun verlore- geschriebenen Buch The war against the West ab, einem Buch, das caa. € 19,90 denen anderen Formen – Filmen, Narrativen usw. – dargestellt und nen Moral und zeigt, wie die Auffassung von Juden als einer »Ge- Chapoutot nicht erwähnt, in dem der Moralphilosoph Kolnai NS- propagiert wurde. genrasse« sich in diese Normativität einfügt, wie diese umgekehrt Ideologie systematisch und mit besonderem Augenmerk auf die nor- Der Verlag für jüdische Kultur Chapoutot bringt in der Einleitung seine Auffassung zum Aus- von dieser Auffassung mit strukturiert ist. Der zweite Imperativ, mativen Implikationen darstellte mit der Intention, vor den Folgen www.hentrichhentrich.de und Zeitgeschichte druck, dass es sich bei der NS-Normativität um eine kohärente der sich aus der nationalsozialistischen Normativität ergibt, ist der dieser verbrecherischen Ideologie zu warnen und die Westmächte zu

74 Rezensionen Einsicht 14 Herbst 2015 75 Ort geistigen Widerstands oder Jude im Mittelpunkt der internen Diskussion. Anhand von Zeit- Antiziganistische Blickregime Mit Akribie hat Frank Reuter Sammlungen, Archive und zeugenberichten erarbeitet Fritsch-Vivié ein differenziertes Bild, Datenbanken durchforstet. Auf 21 Seiten (S. 497 ff.) wird eine das verdeutlicht, wie unterschiedlich die Gefühlslagen, die Ängste fotobibliografi sche Übersicht geboten, die populäre Illustrierte,

und Hoffnungen, aber auch die Möglichkeiten für Emigration und Kunstbände, Kataloge und Dokumentationen einbezieht. Das 42 das Engagement im Kulturbund waren. Die Kulturveranstaltungen Seiten umfassende Literaturverzeichnis vermittelt einen Einblick Gabriele Fritsch-Vivié ermöglichten Stunden der Entspannung und Ablenkung von der Frank Reuter in bislang eher getrennt abgehandelte Diskursfelder, die für diese Gegen alle Widerstände. Der Jüdische allgegenwärtigen Verfolgung, aber der Novemberpogrom zerstör- Der Bann des Fremden. Die fotografi sche Studie zusammengeführt wurden. Die 154 kleinformatigen, teils Kulturbund 1933–1941. Fakten, Daten, te die Grundlage für ein jüdisches (Kultur-)Leben in Deutschland Konstruktion des »Zigeuners« farbigen Fotografi en (im Text bzw. Anhang S. 480–492) legen Analysen, biographische Notizen und fast gänzlich. Dennoch öffnete sich der Vorhang in Berlin schon Göttingen: Wallstein Verlag, 2014, 568 S., diskriminierende Sehpraktiken frei. Die Bildinterpretationen (bil- Erinnerungen zwölf Tage später erneut. Über die endgültige Schließung des Kul- € 64,– dimmanent und historisch kontextualisiert) sind aufschlussreich, Berlin: Hentrich & Hentrich Verlag, 2013, turbundes am 11. September 1941 hinaus verfolgt sie die Spuren Text und Bild in der Regel gut miteinander verzahnt. Lediglich 273 S., € 24,90 einzelner Kulturbundfunktionäre bis nach Amsterdam, Westerbork Abbildung 39 auf Seite 209 scheint zu fehlen, und die wohlwol- und Theresienstadt. Seit Ende des 19. Jahrhunderts gehören Fo- lende Interpretation der Abbildung 38 auf Seite 208 bedarf einer Fritsch-Vivié stützt sich in ihrer Darstellung auf meist publizier- tos zu den zentralen Zeugnissen kulturel- Revision, schaut man sich den erhobenen Arm an, mit dem sich ein Den Jüdischen Kulturbund hätte es ohne den Nationalsozialismus te Quellen der Kulturbund-Sammlung der Akademie der Künste in ler Repräsentation und Kommunikation. Im 20. Jahrhundert (re-) Soldat von hinten über eine Roma-Frau beugt. Hingegen überzeugt nicht gegeben. 1933 wurde ein großer Teil der Juden, die an Theatern, Berlin, Erinnerungen und Gespräche, wobei besonders die Memoiren produzieren sie sowohl als Bilder, die in der sozialen Wirklichkeit die Interpretation der Abbildung 50 auf Seite 227, der es gelingt, Opern oder Kleinkunstbühnen in Deutschland tätig gewesen waren, von Kurt Baumann und Interviews mit verschiedenen Künstlern vorhanden sind, wie auch als cognitive maps unseren historischen durch eine kritische Quellenrekonstruktion mit eindimensionalen entlassen. Sie standen vor einer ungewissen berufl ichen Zukunft. Erwähnung fi nden. Ihrem Urteil, die Rezeption des Kulturbundes Wissensbestand. Bilder sind immer an Betrachterperspektiven und visuellen Zuschreibungsversuchen zu brechen. Klug gewählt ist In Berlin entwickelten der junge Regisseur Kurt Baumann und sein »endet an der Unkenntnis über seine Existenz« (S. 220), ist indes In-Wert-Setzungen gebunden. Die hier zur Besprechung vorliegende auch die Platzierung des Fotos der NS-Rasseexpertin Eva Justin, Mentor, Kurt Singer, bereits im Frühjahr den Plan eines »Kultur- so pauschal nicht zuzustimmen. Ende der 1980er Jahre lagen mit Studie Der Bann des Fremden. Die fotografi sche Konstruktion des die im Vorfeld der Vernichtung Sinti und Roma mit ihrer Kamera bundes Deutscher Juden«. Den NS-Kulturfunktionären kam eine den Arbeiten von Herbert Freeden, Eike Geisel, Henryk M. Broder »Zigeuners« baut auf der These auf, dass die Macht visueller Zu- (Abb. 17, S. 143) erfasste und katalogisierte. solche Institution gerade recht, konnten sie sich doch, mit Rücksicht und Volker Dahm schon grundlegende Ergebnisse vor, die die Aka- schreibungsprozesse im Kontext von Forschungen zu rassistischen auf das Ausland und die Sozialfürsorge, kein Heer von brotlosen demie der Künste mit einer großen Ausstellung 1992 erweiterte. Diskriminierungspraxen besonders wirksam ist. »Kulturjuden« leisten und zugleich alle entlassenen Künstler in einer Kritisch anzumerken ist, dass Fritsch-Vivié die aktuellen Studien zu Anknüpfend an den gemeinsam mit Silvio Peritore herausgege- »Zentralorganisation« überwachen (S. 34). Aus jüdischer Perspekti- Orchester und Theater des Berliner Kulturbundes von Lily Hirsch benen Sammelband zur Dekonstruktion visueller Darstellungsfor- ve, so erinnerte sich Singer 1936, war der Kulturbund eine »soziale (2010) und Rebecca Rovit (2012) nicht inhaltlich auswertet, obwohl men im Kontext von Erinnerungskultur und Ausstellungspraxis1, hat Idee« – künstlerisch-kulturelle Arbeit zum Wohl der ganzen Ge- sie ihre Darstellung auf Berlin konzentriert. Die Kulturbünde im Frank Reuter, Mitarbeiter des Archivs des Heidelberger Dokumen- meinschaft –, jeder, der als Künstler oder Zuschauer am Kulturbund übrigen Reich erwähnt die Autorin nur kurz, obwohl diese zwei tations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma, nun eine partizipierte, bewies seine »humane Existenz«. (S. 222) Dennoch Drittel der Mitglieder umfassten und sie zu Recht darauf hinweist, 568 Seiten umfassende Studie zum Zusammenhang von gesellschaft- war der Kulturbund eine Zwangsorganisation, in der Juden für Juden dass gerade in kleineren Gemeinden der Kulturbund oft die einzige licher Bildproduktion und antiziganistischer Stereotypenbildung »jüdische Kultur« präsentieren sollten. Möglichkeit einer geschützten Gemeinsamkeit und religiöser Feste vorgelegt. Das Standardwerk zur historischen Bildanalyse bietet Gabriele Fritsch-Vivié, freie Journalistin und Publizistin mit war. Eine Beschäftigung mit den vorhandenen Regionalstudien zum neben Überlegungen zu einer methodisch refl ektierten Theorie und Erfahrung in der praktischen Theaterarbeit, erzählt die Geschichte Kulturbund Rhein-Ruhr und Hamburg sowie zum Berufsorchester deren sozialgeschichtlicher Konkretisierung umfangreiche enzyk- des Kulturbundes für ein breites Lesepublikum. Den Aufbau der des Kulturbundes in Frankfurt am Main wäre angebracht gewesen, lopädische und bibliografi sche Informationen. Seiner Untersuchung Organisation schildert sie ebenso ausführlich wie das umfangreiche wodurch auch die Möglichkeit, programmatische Schwerpunkte stellt der Autor sechs Leitgedanken (S. 18 ff.) zur diskursiven Ver- Programm mit eigenem Schauspiel, Oper, Konzerten, Kunstausstel- und regionale Besonderheiten herauszuarbeiten, bestanden hätte. fl echtung von Fotografi e und Antiziganismus voraus. Sehfi lter und lungen sowie Vorträgen. In der zweiten Spielzeit 1934/35 konnten Der Kontext der sich radikalisierenden nationalsozialistischen Ju- Blickregime werden zu Schlüsselbegriffen einer Visual History2, die die 92 Organisationen, die im Reichsverband der Jüdischen Kul- denverfolgung bleibt blass. Die Dramatik der Situation 1941 wird aufzeigen will, wie durch Fotografi e diskriminierende Fremdheits- turbünde zusammengeschlossen waren, ihren 60.000 Mitgliedern dem historisch-interessierten Leser, für den dieses Buch in erster und Identitätsbestimmungen erzeugt werden und Bilderzählungen durch 800 Künstler reichsweit über 1000 Veranstaltungen bieten. Die Linie verfasst ist, durch den Fokus auf die Institution und letzte ebenso systematisch wie suggestiv Sinti und Roma als scheinbar Autorin beschreibt die Debatten um »jüdische Kunst« im Spielplan, Inszenierungen nicht ausreichend bewusst. »Andere« negativ diskriminieren. die der zuständige Staatskommissar Hans Hinkel immer wieder Häufi ge Kurzeinführungen zu Biographien oder Institutionen in einforderte. Das Repertoire war mehr vom deutsch-bürgerlichen den Anmerkungen und im Anhang erleichtern einen ersten Zugang Erfahrungshintergrund der Künstler geprägt denn von ihrem Juden- zur Geschichte des Kulturbundes, die Fritsch-Vivié anschaulich und tum; viele von ihnen hatten Jahre, teils Jahrzehnte im allgemeinen lebendig schildert. 1 Silvio Peritore, Frank Reuter (Hrsg.), Inszenierung des Fremden. Fotografi sche Kunstleben Deutschlands gewirkt. Zionistisch orientierte Künstler Darstellung von Sinti und Roma im Kontext der historischen Bildforschung, Hei- sahen hier aber die Chance zu einer Neubegründung jüdischen Seins. Martin Jost delberg 2011. 2 Einen Überblick über den geschichtswissenschaftlichen Diskurs gibt Gerhard Mit der Eröffnungsinszenierung von Lessings »Nathan der Weise« Leipzig Paul, Visual History, Version: 2.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 29.10.2012 am 1. Oktober 1933 stand die Frage nach der Identität als Deutscher (12.05.2015).

76 Rezensionen Einsicht 14 Herbst 2015 77 Neben Einleitung und Schluss umfasst das Buch vier große Der Fall Nauheim und wurde Arzt im Bürgerhospital Friedberg. Das Hessische übliche Rede von »war crimes« ist eben durch die bundesdeutsche Kapitel. In Kapitel I werden die methodischen Grundlagen sowie Staatsministerium wusste Bescheid über Heims Arbeits- und Wohnor- Justiz bei der justiziellen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit nicht die Phänomenologie des »Zigeuner«-Bildes vorgestellt. Kapitel II te, beantwortete aber Anfragen aus Österreich ebenso wenig wie die übernommen worden.1 Die Ludwigsburger Zentrale Stelle ist des- fokussiert auf die Rassenideologie der NS-Zeit und Kapitel III auf amerikanischen Militärbehörden. 1949 heiratete Heim Friedl Bechtold, halb auch keine »Behörde zur Untersuchung von Kriegsverbrechen« deren ethnologische und kriminalistische Wegbereitung seit dem ebenfalls Ärztin und Tochter aus reichem Hause. Ab 1953 führte Heim (S. 82). Elementare Schwächen weisen die Autoren auch auf, wenn 19. Jahrhundert. Die Popularisierung steretoypen Wissens durch Nicholas Kulish, Souad Mekhennet in Baden-Baden eine gynäkologische Praxis und bewohnte ein herr- es um juristische Sachverhalte geht. Die Polizei erlässt keine Haft- Zeitschriften (S. 357 ff.) ebenso wie die klischeevermeidende doku- Dr. Tod. Die lange Jagd nach dem schaftliches Haus, das ihm die Schwiegereltern fi nanzierten. Schon befehle (S. 81), ebenso wenig Fritz Bauer (S. 84) im Fall Eichmann. mentarische Fotografi e (S. 396 ff.) verweisen auf zivilgesellschaft- meistgesuchten NS-Verbrecher 1958 kaufte Heim einen Wohnblock in Berlin mit 34 Wohnungen. Haftbefehle erlassen Amts- und gelegentlich Landgerichte. Eine liche Entwicklungen der 1920er Jahre, die seit den 1980er Jahren Aus dem Englischen von Rita Seuß Nach dem Ulmer Einsatzgruppenprozess (April–August 1958), »Staatsanwaltschaft Baden-Württemberg« (S. 200) gibt es nicht. erneut an Bedeutung gewinnen. Die diskursive Wende hin zu einem München: Verlag C.H. Beck, 2015, 353 S., in dem zehn Angeklagte zwar nicht wegen Mordes, aber wenigstens Auch im Historischen sind die Autoren nicht immer bewandert. Die neuen fotografi schen Blick, der die »Machtgefälle des Sehens« (S. 9) € 22,95 wegen »Beihilfe« dazu verurteilt wurden, koordinierte, intensivier- »Schwarze Wand« im Stammlager Auschwitz wird falsch lokalisiert durchbricht, ist eng an die Bürgerrechtsbewegung der Sinti und te und professionalisierte ab Dezember 1958 die Zentrale Stelle in (S. 83), Fritz Bauer wurde nicht 1935 (S. 84) entlassen, Hans Glob- Roma gebunden. Auf circa 20 Seiten werden die Parameter einer Nicht nur viele sprichwörtlich furchtbare Ju- Ludwigsburg die Ermittlungen gegen NS-Verbrecher. Ergebnisse der ke war nicht »Referent in Eichmanns Referat für Jüdische Angele- emanzipativen Bildpraxis umrissen, die an die sozialkritische Arbei- risten blieben nach der Befreiung Deutsch- Arbeit der Ludwigsburger »Vorermittler« waren so wichtige Prozesse genheiten im Reichssicherheitshauptamt« (S. 216), 1965 wurde die terfotografi e anknüpft ebenso wie alternativen »Gegen-Bilder(n)« lands vom Nationalsozialismus noch lange in Amt und Würden, auch wie gegen das Personal der Vernichtungslager der »Aktion Reinhardt« Verjährungsfrist für Mord nicht um vier Jahre verlängert (S. 218), (S. 416) des Privaten und der politischen Selbstrepräsentation einen viele mörderische Mediziner und ihr Personal praktizierten nach (LG Düsseldorf: Treblinka-Prozess 1964/65; LG München I: Bełżec- gegen wurde nie eine »Anklage« (S. 219) eingereicht, Platz einräumt. Der Weg zu einer antidiskriminierenden Sichtbarkeit 1945 weiter. Die beiden Journalisten Nicholas Kulish und Souad Prozess 1965, LG Hagen: Sobibór-Prozess 1965/66) und gegen das zu Lebzeiten Aedtners und Simon Wiesenthals gab es kein »Bundes- verläuft, wie Frank Reuter betont, über die Bewusstwerdung der Mekhennet erzählen in ihrem Buch das Leben des SS-Arztes Aribert Personal des Gaswagenlagers Chełmno/Kulmhof (LG Bonn 1962/63). archiv Ludwigsburg« (S. 246), wurde vom Landge- mit Bildern verbundenen »Deutungsmacht über Menschen«. »Den Heim (1914–1992), das viele Züge einer Abenteuer- und Kriminal- Durch die von Ludwigsburg eingeleiteten systematischen Vor- richt München II nicht »nach einer neuen Theorie« (S. 292) verurteilt. Medien«, so argumentiert Reuter weiter, »kommt infolgedessen eine geschichte aufweist. ermittlungen gegen NS-Verbrecher kamen Gerüchte auf, die Heim Schlüsselrolle bei der Überwindung von Stereotypen zu.« (S. 478) Im Konzentrationslager Mauthausen und seinen 49 Außenlagern so verunsicherten, dass er Deutschland, seine Frau und seine zwei Rudolf Walther Insofern bietet das Buch Im Bann des Fremden auch eine gute Grund- wurden zwischen 1938 und 1945 mindestens 120.000 Häftlinge er- Kinder im April 1962 fl uchtartig verließ und zuerst in Tanger, dann Frankfurt am Main lage für eine historisch fundierte Antidiskriminierung. Angelehnt mordet, viele davon galten im Nazijargon als »kaum noch erziehbare in Kairo untertauchte. an den Vorschlag des Kulturwissenschaftlers Stuart Hall, visuelle Schutzhäftlinge«. Der Standortarzt Eduard Krebsbach (1894–1946) Bis zu seinem Tod, dreißig Jahre später, behielt Heim Kontakt 3 Mythen- und Stereotypbildungen des Rassismus durch Dekodie- formulierte das Ziel drastisch: »Es ist das Recht jedes Staates, sich zur Familie über den Frankfurter Anwalt Fritz Steinacker, der sich 1 Siehe des Aufsatz von Heinz Artzt, »Zur Abgrenzung von Kriegsverbrechen und rungspraxen in Frage zu stellen, kann mit diesem Buch in Schule, gegen Asoziale zu schützen, auch die Lebensuntüchtigen gehören auf die Vertretung von NS-Verbrechern spezialisiert hatte. Mehr NS-Verbrechen«, in: NS-Prozess. Nach 25 Jahren Strafverfolgung: Möglichkeiten Hochschule und Bildungsarbeit an der diskursiven Entschlüsselung dazu.« (S. 23) Viele Häftlinge wurden durch Giftspritzen ermordet. noch: Bis 1979 bestritt Heim seinen Lebensunterhalt in Kairo mit den – Grenzen – Ergebnisse, hrsg. von Adalbert Rückerl, Karlsruhe 1971, S. 163–194. antiziganistischer Bildproduktion gearbeitet werden, unter einer Um das Großverbrechen zu vertuschen, wurden am Kriegsende rund Einnahmen aus seinem Berliner Wohnblock, die über seine Schwes- Bedingung: Die Fotografi en müssten in einem größeren Format und 72.000 Akten innerhalb einer Woche vernichtet. Trotzdem organi- ter – an den Steuerbehörden vorbei – nach Ägypten transferiert projizierbar beigefügt sein! sierte die sowjetische Besatzungsmacht 1946 einen Prozess gegen wurden. Heims Sohn Rüdiger besuchte den Vater dreimal in Kairo. leitende Funktionäre des Lagers auf der Basis der Aktenbände, die Ein Spiegel-Artikel vom 5. Februar 1979 informierte detailliert Anne Klein der Arztschreiber Ernst Martin gerettet hatte. über den Fall, aber es gelang weder dem Nazijäger Köln Zu diesen Funktionären gehörte auch der Arzt Aribert Heim, noch deutschen Behörden, das Versteck Heims zu fi nden, der sich dem es jedoch gelang, seine Tätigkeit im KZ zu verschleiern. Im professionell abschirmte und willige Unterstützer – Steuerberater, Spruchkammerverfahren, das nach dem Beginn des Kalten Krieges Rechtsanwälte, Notare, Banken, Altnazis – um sich wusste. einer Farce gleichkam, machte Heim geltend, er sei »gegen seinen Das informative und spannend geschriebene Buch vermittelt Willen zwangsweise zur Waffen-SS eingezogen worden«, und erklär- zwei für die Nachkriegsgeschichte elementare Einsichten: Erstens: te, zu »keiner Zeit an Aktionen, die gegen die Menschenrechte oder »Die persönlichen Erfahrungen zählen mehr als alle Anschuldigun- gegen das Völkerrecht verstoßen« (S. 45), teilgenommen zu haben. gen durch Außenstehende« (S. 297), was Rüdiger, der Sohn Heims, Zeugenaussagen von Pfl egern und überlebenden Häftlingen spra- schlagend belegt, der seinen Vater für unschuldig hielt. Zweitens: chen allerdings eine andere Sprache. Sie bescheinigten ihm »schreck- Die Ermittlungen gegen die Täter wurden halbherzig betrieben, trotz lichste Unmenschlichkeiten« bis hin zu »Benzinspritzen« (S. 51) ins des unermüdlichen Einsatzes von Einzelnen wie des Mitarbeiters Herz und Operationen ohne Narkose, an denen die Betroffenen starben. der vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg gebildeten Son- Allerdings waren viele Zeugenaussagen zu unpräzise oder wurden von derkommision, Alfred Aedtner (1925–2005), dem die Autoren sein den österreichischen Behörden nur nachlässig gesichert und verfolgt. verdientes Denkmal setzen. 1.300 Seit dem Frühjahr 1948 arbeitete Heim in einem Sanatorium in Gravierende Mängel weist das Buch freilich auf. Die Autoren likes Bad Nauheim und spielte Eishockey beim VfL Bad Nauheim. Schon unterscheiden nicht zwischen Kriegs- und NS-Verbrechen. Heim während seiner Tätigkeit in Mauthausen spielte er beim Eissportklub war kein »Kriegsverbrecher« und beging im KZ Mauthausen keine Danke für 1.300 likes! 3 Stuart Hall, Rassismus und kulturelle Identität, Hamburg 1994, S. 133. Engelmann in Wien. Mitte Juni 1948 kündigte Heim seine Stelle in Bad »Kriegsverbrechen« an Häftlingen. Die im Angloamerikanischen www..com/fritz.bauer.institut

78 Rezensionen Einsicht 14 Herbst 2015 79 Topographie des Denkens Universalismus erweiterten Zionismus bringt Langeheine unter der Ethnokratie Israel? Besonders angefeindet wurde Illouz für ihren Artikel »Dreyfus Bezeichnung »ethischer Nationalismus« (S. 24 ff.) auf den Begriff. in Israel«. In der »Dreyfus-Affäre« stritt die französische Gesell- Zwar dachte Kohn die Nation weiterhin als präpolitische völkische schaft am Ende des 19. Jahrhunderts zwölf Jahre lang über die Ver-

Substanz, aber das nationale Bewusstsein sei, so Kohn, bloß ein urteilung des jüdischen Offi ziers Dreyfus als Spion. Hohe Offi ziere »Durchgangspunkt zum Menschheitsbewußtsein« (S. 100). Die Ju- setzten sich aufgrund entlastenden Beweismaterials und ihrer mora- Romy Langeheine den aber blieben für ihn mit Berufung auf den universalen Gerech- Eva Illouz lischen Überzeugung folgend für seine Freilassung ein. Sie stellten Von Prag nach New York. Hans Kohn. tigkeitsbegriff der Propheten das auserwählte Volk, dem mit dem Israel. Soziologische Essays damit die universalen Werte von Recht und Moral über den eigenen Eine intellektuelle Biographie Zionismus die Rolle der Avantgarde auf dem Weg zu einer befreiten Aus dem Englischen von Michael Adrian »aggressiven Antisemitismus« (S. 104). Im heutigen Israel sei es Göttingen: Wallstein Verlag, 2014, 248 S., Menschheit zufi el. Ethischer Nationalismus, so Langeheine, trete Berlin: Suhrkamp Verlag, 2015, S. 228, hingegen undenkbar, dass sich rechte jüdische Offi ziere für einen € 29,90 weder imperialistisch gegen andere noch hegemonial innerhalb der € 18,– zu Unrecht verurteilten Araber einsetzten, noch unwahrscheinlicher eigenen Nation auf. Minderheiten haben Anspruch auf gleichbe- sei eine leidenschaftliche Debatte der immer apathischeren Bevöl- rechtigte Anerkennung. Schon 1919 trat damit für Kohn das »ara- kerung. Dieser »Mangel an moralischen Normen« (S. 107) sei vor bische Problem« als »Prüfstein unseres Nationalismus« (S. 149) in allem durch die einfl ussreiche Siedlungsbewegung zu »trostloser Als Theoretiker des Nationalismus ist Hans den Fokus. Wie ernst es ihm damit war, zeigt seine Übersiedlung Eva Illouz seziert die Normen der zeitgenös- Normalität« (S. 151) geworden. Kohn (1891–1971) bekannt. Sein Buch Die nach Palästina Anfang der 1920er Jahre. Er arbeitete für die Auf- sischen israelischen Gesellschaft. Ihr Buch Von Intellektuellen wie Shlomo Sand, Moshe Zuckermann und Idee des Nationalismus erschien 1944 in den USA und gilt als Stan- bauorganisationen Keren Hajessod und Brith Shalom und agitierte enthält 14 Essays, die zwischen 2011 und 2014 in der linksliberalen Judith Butler und deren grundsätzlicher Kritik an der Verfasstheit dardwerk der Geschichtsschreibung. Kohns Dichotomie von einem für eine binationale Lösung. Die Araberfrage blieb das drängende Tageszeitung Haaretz erschienen sind und sich auf israelische Diskur- Israels als jüdischem Staat grenzt sich Illouz hingegen deutlich ab. westlichen, sprich aufgeklärten, und einem östlichen, sprich irrati- Problem und ständiger Reibungspunkt, vor allem mit dem zionisti- se in einer Zeit der »Konsolidierung extrem rechter Politiken« (S. 7) Sie betont die historische Legitimität des Zionismus, setzt sich aber onalen, Nationalismus kartographierte das Forschungsgelände für schen Flügel um Wladimir Jabotinsky, der eine jüdische Hegemonie beziehen. Illouz ist französische Jüdin, sie wuchs in einer orthodox innerhalb einer jüdischen Nationalkultur für die Stärkung universel- lange Zeit. Weniger bekannt ist, dass Kohns Weg zu seinem zentra- in Palästina anstrebte. Schließlich brach Kohn endgültig mit dem religiösen Familie in Marokko auf und wanderte nach ihrer Promotion ler Werte ein, damit ihre Wahlheimat »kein fi nsteres ethnokratisches len Thema über den Zionismus führte, mehr noch: Der Zionismus Zionismus. Verbittert notierte er 1933 in sein Tagebuch: »[…] wie in den USA nach Israel ein. Seit zwanzig Jahren lebt sie in Jerusalem Regime« (S. 59) werde. Das Versagen des Bildungssystems, Araber bildete die motivische Energie im Leben wie im Denken von Hans fälschlich wird Universalismus als jüdisch aufgefasst. Im Gegenteil, und lehrt heute als Professorin an der Fakultät für Soziologie und und sogar arabische Juden in die kulturelle und politische Elite des Kohn bis er 1934 Palästina verließ, um amerikanischer Staatsbürger Judenheit mit ihrem exklusiven Gott, der ihnen befi ehlt, Länder zu Anthropologie an der Hebräischen Universität Jerusalem. Landes ein- statt auszuschließen, ginge einher mit einem herrschen- zu werden. Eine Entscheidung aus persönlichen, politischen und erobern und Bewohner auszurotten […] immer chauvinistisch, ein Mit dem Ziel, die »sozialen Tiefenstrukturen« (S. 16) der is- den »Denk- und Sprachstil« (S. 63), nach dem »Goyim« (Nichtju- theoretischen Gründen. sich in ungeheurem Rassehochmut absonderndes Volk.« (S. 222 f.) raelischen Gesellschaft offenzulegen, setzt Illouz sich mit sozialen den) weniger wert seien und für die jüdische Elite arbeiten sollten, Mit ihrer »intellektuellen Biographie« schlägt Romy Langeheine Der Enttäuschung folgte 1934 ein weiterer Ortswechsel. Hans Ausschlussmechanismen in der politischen Kultur und mit der Span- wie der 2013 verstorbene Rabbi Ovadja Josef öffentlich verkündete. vor, die windungsreichen Denkwege von Hans Kohn wörtlich zu Kohn wurde Amerikaner aus Überzeugung. Eher noch als die Habs- nung zwischen universalen Werten und staatstragender jüdischer Zu seinem Begräbnis in Jerusalem kamen 800.000 Anhänger. Hier nehmen. Dabei herausgekommen ist eine fein abwägende Topogra- burgermonarchie, die Sowjetunion oder das britische Common- Religiosität auseinander. Ihre Texte treffen den Kern des nationalen sieht Illouz das grundlegende Problem des jungen Staates. Das Nar- phie des Denkens. Prag und New York stehen für den Ausgangs- und wealth – Modelle, auf die Kohn zuvor gesetzt hatte – versprach Selbstverständnisses: Anhand klug gewählter Beispiele zeigt sie, auf rativ des auserwählten Volkes erfüllte für die Juden als verfolgte Endpunkt, Russland und Palästina bilden ebenso prägende Stationen Amerika die Verwirklichung eines multinationalen Gemeinwesens. welche Weise Mechanismen der Inklusion die kulturelle Macht der Minderheit in der Diaspora eine wichtige soziale Bindungsfunktion, dieser intellektuellen Lebensreise. Den Einwand seiner Kritiker, er blende dabei die »Negerfrage« aus, aschkenasischen Elite sichern und wie »ein Rassismus, der sich in transformierte sich aber nach der Nationalstaatsgründung in ein Kohn wurde 1891 in Prag geboren und gehörte zur deutsch- überging er. Als Hochschullehrer konzentrierte er sich fortan auf eine den Gesetzen des Staates niederschlägt« (S. 80), den Alltag und die antiliberales Prinzip der Privilegierung einer ethnischen Gruppe, sprachigen jüdischen Minderheit. Wie viele seiner Generation ent- komparative und historische Erforschung des Nationalismus. Der Sozialbeziehungen in Israel strukturiert. die zur Mehrheit geworden war. fl ammte er aus Protest gegen die Assimilation seiner Eltern für den Zionismus schmolz zu einer Fußnote der Geschichte. Langeheine Ihre Kritik an unhinterfragten »Codes« der Armee wie dem Wie viele Linksintellektuelle sieht sich Illouz in den letzten Zionismus. Neben Hugo Bergmann und Robert Weltsch zählte Kohn belässt es nicht bei diesem scheinbaren Endpunkt einer weit gereisten Ethos der absoluten Geheimhaltung in allen Elite- und Kampfeinhei- Jahren einer scharfen Kritik von rechts und aus der Mitte der Gesell- seit 1908 zu den führenden Mitgliedern der Prager Bar Kochba- Denkbewegung. Denn Kohns auffallendes Schweigen zu jüdischen ten ist immer noch ein Tabubruch in Israel. Die umfassende Akzep- schaft ausgesetzt. Sie analysiert, »eine Kritik [am jüdischen Volk; Gruppe. Der Kulturzionismus, den er vertrat, gehörte ins weite Feld Themen, zum Holocaust oder zur großen Kontroverse um Hannah tanz dieser Codes führt in einem von Illouz’ Fallbeispielen dazu, dass J.H.] ist nur dann zulässig, wenn sie in einen Code der Liebe und der politischen Romantik mit starken antigesellschaftlichen und Arendts Eichmann-Buch von 1963 wirft die Frage auf, wie weit er eine Ärztin entgegen ihres Berufsethos ihrem Freund, der behauptete, Solidarität eingebettet ist« (S. 27). Diesen Angriffen hält sie entge- antistaatlichen Affekten. Gegen den politischen Zionismus Theodor wirklich der amerikanischen Diaspora die beste Lösung der Juden- er arbeite für den Mossad, bereitwillig bei einem Mord half. Auch gen, es könne keine bessere Weise geben, Liebe zum Judentum und Herzls sehnte Kohn in Anlehnung an seinen Mentor Martin Buber frage zutraute. Langeheines Resümee fällt skeptisch aus und wird ansonsten greife die Armee tief ins Leben ein: Die Prägung junger zum jüdischen Staat zu zeigen, als Humanität und Universalismus einen »Nationalismus der Innerlichkeit« (S. 76) herbei, von dem er die Forschung weiter beschäftigen: »Er beteiligte sich nicht an den Erwachsener durch militaristische Disziplin verstärke dauerhaft einzufordern. Statt der ritualisierten und inszenierten Trauer, die ein sich eine geistige Erneuerung des Judentums jenseits der Religion jüdisch-amerikanischen Erinnerungsdebatten, um keine partikularen einen tief verankerten männlichen Chauvinismus, auf dem in der weiteres Bindemittel innerhalb der jüdisch-israelischen Gesellschaft erhoffte. Doch es blieb nicht bei dieser Position. Als Freiwilliger Identitäten auszudrücken, die seine Integration in die amerikanische Folge auch andere Sektionen der Gesellschaft beruhen. So werden darstelle, fordert sie eine universelle »Gemeinschaft der Hoffnung« der österreichisch-ungarischen Armee geriet er von 1915–1919 in Gesellschaft eventuell in Frage gestellt hätten.« (S. 226) die Universitäten fast ausschließlich von aschkenasischen Männern (S. 223), und sei es nur als Vision gegen eine immer traurigere russische Kriegsgefangenschaft. Die lange Zeit nutzte er zum Studi- geführt. Einstellungsgespräche in öffentlichen Institutionen beruhten Realität. um des Sozialismus, den er mit dem Zionismus zu vereinen suchte. Monika Boll inoffi ziell darauf, wer in welcher Einheit mit wem diente, in wel- Damit entfernte er sich ein Stück weit von dem, was Kurt Blumen- Düsseldorf chem Stadtviertel man aufwuchs und dadurch den entsprechenden Jenny Hestermann feld sarkastisch die »dekadente Hypergeistigkeit der Buberklique« kulturellen Habitus aufweisen könne. Die Folge sei ein struktureller Fritz Bauer Institut (S. 61) schimpfte. Kohns Neuansatz eines zum humanistischen Ausschluss beispielsweise misrachischer Frauen.

80 Rezensionen Einsicht 14 Herbst 2015 81 Antisemitismus in der politischen Kultur fest. Der Befund selbst überrascht nicht, die Fülle an Belegen hin- »Infl uencing human attitudes« Aufmerksamkeit erfuhr. Die Herausgeber betonen im einleitenden der Weimarer Republik gegen schon, die die Autorin vorlegen kann. Die Häufi gkeit von Beitrag, dass die Forderung einer Erziehung zur Mündigkeit als judenfeindlichen und antisemitischen Invektiven konzentriert sich ersten Schritt die »Rekonstruktion des moralischen Horizonts« vo-

keinesfalls auf des parlamentarischen Niedergangs ab Ok- raussetze (S. 8). Die politische Bildung brauche daher eine fundierte tober 1930. In diesem Zusammenhang schlägt Wein die diskussions- Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus würdige Bezeichnung der »Laminierung antisemitischer Schlüssel- Benedikt Widmaier, als Grundlage – und das bedeute heute die genaue Rekonstruktion Susanne Wein begriffe« vor. Gemeint ist damit »das bewusste Zusammenbringen, Gerd Steffens (Hrsg.) und Kritik der rassistischen Moral der »Volksgemeinschaft«. Der Antisemitismus im Reichstag. Einfl ießen lassen und Verschweißen des als jüdisch Vorgestellten Politische Bildung nach Auschwitz. Band erhebt einen hohen Anspruch, der unmittelbar anschlussfähig Judenfeindliche Sprache in Politik und mit allen möglichen Wortzusammensetzungen des Internationalen, Erinnerungsarbeit und an den gedenkstättenpädagogischen Diskurs ist. Bemerkenswert ist Gesellschaft der Weimarer Republik von kapitalistischen Vorgängen und Weltverschwörungsphantasien« Erinnerungskultur heute allerdings, dass dieser Diskurs kaum rezipiert wird, wenn man von Frankfurt am Main: Peter Lang Edition, (S. 293). Insgesamt macht Wein drei zentrale Muster »erfolgreich Schwalbach am Taunus: Wochenschau den Beiträgen absieht, die aus dem gedenkstättenpädagogischen 2014, 524 S., € 59,95 gesetzter Deutungscodes« aus: die Stigmatisierung von Abgeordne- Verlag, 2015, 192 S., € 19,80 Diskursfeld stammen. ten tatsächlicher oder vermeintlicher jüdischer Herkunft, die xeno- Die Beiträge des ersten Teils sind einer Klärung der grund- Die vorliegende Untersuchung hat zum Ziel, phobe Vorstellung vom »Ostjuden« als inneren Feind und die des Der Sammelband von Widmaier und Stef- sätzlichen Rahmenfragen »politischer Bildung nach Auschwitz« Antisemitismus als relevantes Muster in der »internationalen jüdischen Kapitals« als äußeren Feind. Alle drei fens stellt sich die Aufgabe, eine Bilanz der gewidmet. Unter Verwendung empirischer Forschung zum Unter- Deutungskultur der Weimarer Republik nachzuweisen. Zu diesem Muster seien anpassungsfähig und fl exibel gewesen und wurden politischen Bildung unter dem Anspruch einer »Erziehung nach richtsalltag stellt Wolfgang Meseth drei »Thematisierungsformen« Zweck verknüpft die Autorin politikwissenschaftliche Ansätze und nur in Einzelfällen kritisiert. Auschwitz« zu ziehen, also der Rezeption des berühmten Rundfunk- des Holocaust vor: die kognitiv-historische, die moralisch-päda- Methoden der historischen Antisemitismusforschung. Detailreich Konzeptionell knüpft die Autorin an die These Shulamit Volkovs vortrags von Theodor W. Adorno aus dem Jahr 1966. Die Einleitung gogische und die affektiv-gedenktheoretische (S. 22). Es geht ihm stellt sie dazu den Inhalt der Plenardebatten der 1920er Jahre und die vom »Antisemitismus als kulturellen Code« an, die mittlerweile stellt das Buch zudem in den Kontext der Debatte um die Gegen- um die Differenzierung von Lerninhalten und Methoden, immer Aktionen und Reaktionen der Parlamentarierinnen und Parlamenta- zum Kanon der wissenschaftlichen Beschreibung des Antisemi- wartsdimension historischen Lernens, die durch die Intervention mit dem Ziel, die Kritikfähigkeit und Autonomie der Lernenden zu rier zu offen oder kaschiert antisemitischen Angriffen in den Blick- tismus im Kaiserreich gehört. Das Verdienst der Untersuchung von Dana Giesecke und Harald Welzer im Jahr 2012 öffentliche entwickeln. Ein solches Verständnis von politischer Bildung schließt punkt. Methodisch folgt die Studie Ansätzen der begriffsgeschicht- ist eine Überprüfung und terminologische Weiterentwicklung der lichen historischen Semantik und der Diskursanalyse, wenngleich Volkov’schen These. In den Darstellungen zur Weimarer Republik die Autorin betont, »mit einem methodisch bewusst offen gehaltenen und in der Erforschung der politischen Kultur fanden antisemiti- Verfahren an das Material herangegangen« (S. 47) zu sein. Zentrale sche Denkmuster »als handlungstreibende Ideologie« bisher wenig Quellen sind die stenografi schen Berichte des Reichstags der ersten Beachtung. Als unabdingbare Voraussetzung für die erfolgreiche vier Wahlperioden 1920 bis 1930, spätere Wahlperioden wurden in antisemitische Deutungscodierung macht die Autorin den deut- Einzelfällen herangezogen. Zusätzlich wurden Zeitungen partiell schen Nationalismus und eine allgemeine Opferstilisierung aus, Biografien über Mut und als Korrektiv zu den redigierten Wortprotokollen aus dem Reichstag die lagerübergreifend existiert hätten und eine Art Kitt bildeten, Verantwortung im genutzt sowie Ausschuss- und Fraktionsprotokolle, wobei hier die wenngleich in den jeweiligen Milieus mit völlig unterschiedlicher Quellenlage eher als schwierig zu bezeichnen ist. Weiterhin wurden Begründung. Hinsichtlich der Reichweite ihrer Ergebnisse formuliert Angesicht des Todes. Ego-Dokumente wie das Tagebuch des politischen Journalisten Ernst sie eingangs vorsichtig, die antisemitische Deutungskultur sei nur Feder oder Nachlässe genutzt. Die Recherchen zu letzteren mündeten eine unter mehreren gewesen. (S. 18) Es sei nicht auszuschließen, in ein lesenswertes Kapitel über fünf Abgeordnete (Kurt Löwenstein, dass ein eher unpolitisch eingestellter Teil der Bevölkerung kaum Ruth Fischer, Tony Sender, Julius Moses, Georg Bernhard), an de- mit der sogenannten jüdischen Frage in Berührung gekommen sei nen Wein exemplarisch Muster antisemitischer Diffamierungen und und darum keine dezidierte Meinung dazu gehabt hätte. Deutlicher Verleumdungen im Reichstag zeigt, aber auch die Reaktionen der formuliert sie in ihrem Resümee, wonach »der Antisemitismus in Parlamentarier darauf schildert. Die Auswahl der Personen spiegelt der politischen Kultur der Weimarer Republik eine feste Größe« zugleich die Bandbreite der Selbstdefi nition in Bezug auf ihre jüdi- (S. 423) gewesen sei. Folgt man der Grundüberlegung der Autorin, sche Herkunft wider. wonach der Reichstag einen exponierten Ort der politischen Kultur Den Schwerpunkt der Untersuchung bildet die Herausarbeitung bildete, so kann sie dies eindrucksvoll belegen. Die Selbstverortung antisemitischer Vorkommnisse im Reichstag anhand von Ereignissen der Studie als weiteren Baustein zu den »Einzelstudien über die in der Innen- und Außenpolitik. Für ersteren Bereich sind es die 1920er Jahre« erweist sich als Understatement. € [D] 19,95 | CHF 26.90 € [D] 19,95 | CHF 26.90 Ostjudenthematik und der Barmat-Skandal, eine Korruptionsaffäre, ISBN 978-3-280-05567-0 ISBN 978-3-280-05511-3 die ein nachhaltiges Presseecho fand; für die Außenpolitik werden Martin Liepach die Debatten über die Reparationen, vor allem über den Dawes-Plan Pädagogisches Zentrum des Fritz Bauer Instituts und den Young-Plan, dechiffriert. Insbesondere bei den Deutschnati- und des Jüdischen Museums Frankfurt Überall erhältlich, wo es Bücher gibt! www.ofv.chh onalen und den rechtskonservativen Kleinparteien stellt die Autorin in den Reparationsdebatten eine kaschiert-antisemitische Semantik

82 Rezensionen Einsicht 14 Herbst 2015 83 direkt an die Anregungen an, die von den Vätern der Frankfurter um später selbst Konzepte für ihre pädagogische Praxis entwickeln Rechtsextremismus als Randphänomen? lassen. Gerade für PädagogInnen sei es wichtig, anzuerkennen, Teil Schule in den 1960er Jahren gegeben wurden. Das zeigt Thomas Ko- zu können. einer rassistisch strukturierten Gesellschaft zu sein. Das Verharm- inzer, der die Argumente und Initiativen rekonstruiert, die durch Max In weiteren Aufsätzen des Bandes wird zum Beispiel die Her- losen oder Leugnen eines rassistischen Vorkommnisses könne bei

Horkheimer und Adorno im Kontext einer vom American Jewish ausforderung der Präsenz von NS-Geschichte in der städtischen To- betroffenen SchülerInnen Prozesse sekundärer Viktimisierung in Committee (AJC) beauftragten Serie von Studienreisen deutscher pographie am Beispiel Nürnbergs aufgegriffen (Doris Katheder). Die Gang setzen. Pädagogen in die USA vorgebracht wurden. Hier wird deutlich, seit Jahren bekannte und eingeführte Methode, Stammtischparolen Hans Berkessel, »Zentrale Anerkennungsdefi zite hinsichtlich der politischen was konkret unter »Wendung aufs Subjekt« zu verstehen ist: Keine mit Argumenten zu begegnen, wird erneut vorgestellt (Klaus-Peter Wolfgang Beutel (Hrsg.) Dimension« (S. 60) rechter Gewalttaten thematisiert auch Stefan theoretische Position, sondern ein verändertes Verhältnis zwischen Hufer). Der Blick auf den europäischen Kontext der historisch- Jahrbuch Demokratiepädagogik Dierbach. Er kritisiert, in welch hohem Maße sowohl im wissen- den Lehrenden und den Zöglingen. Horkheimer nannte das Ziel politischen Bildung hätte gerade für den außerschulischen Bereich 3. Demokratiepädagogik und schaftlichen als auch im politischen Diskurs eine starke Bagatel- »infl uencing human attitudes« (S. 29). Der Zusammenhang zwischen durchaus mehr Raum erhalten können. Der Beitrag von Benedikt Rechtsextremismus. 2015/16 lisierung rechter Gewalt stattfi nde. Dies geschehe, indem die zu- dieser pädagogischen Aktion und den Analysen in den Studien zum Widmaier zeigt die pädagogischen Chancen und die institutionellen Schwalbach am Taunus: grunde liegende rechtsextreme Ideologie zugunsten einer häufi g autoritären Charakter liegt nicht nur inhaltlich, sondern auch institu- Probleme dieses Arbeitsfelds sehr anschaulich auf. Dabei spielt der Wochenschau Verlag, 2015, 304 S., »jugendtheoretisch inspirierten Deutung von Rechtsextremismus« tionell auf der Hand. Beides waren Auftragsarbeiten des AJC. Astrid Blick auf die eigene Familienbiographie eine wesentliche Rolle, € 26,80 (S. 63) ausgeblendet würde. In einer Analyse dieser fehlgehenden Messerschmidt schließt an die von Volkhard Knigge immer wieder denn Begegnungspädagogik kann ohne Selbstrefl exion nicht funk- Erklärungsansätze arbeitet der Autor heraus, dass rechte Gewalt postulierte Zielbeschreibung eines kritischen Geschichtsbewusst- tionieren. Gerd Steffens liefert abschließend historisches Material Das Jahrbuch für Demokratiepädagogik widmet sich in seiner Aus- nicht als Ergebnis eines »Scheitern[s] einer politischen Sozialisation seins an. Sie lenkt den Blick weg von den KZ-Gedenkstätten und für ein Projekt, das einen Vergleich der Wege des Umgangs der gabe 2015/2016 dem Schwerpunktthema »Rechtsextremismus«. Das aufgrund sozialer Defi zite oder mangelnder Partizipation« (misszu-) regt eine verstärkte Beschäftigung mit dem Krieg und der Rolle der spanischen Gesellschaft mit der Erinnerung an die Diktatur und der ist angesichts der gesellschaftlichen Virulenz des Themas, nämlich verstehen, sondern als dezidiert politische, sich »gegen den Konsens Soldaten im Vernichtungskrieg an. Erneut betont Messerschmidt die deutschen Vergangenheitspolitik zum Gegenstand hätte. einer deutlich wahrnehmbaren Zunahme der öffentlichen Akzeptanz von Demokratie, Menschenrechten und Inklusion« (S. 69) wendende Verquickung dieser historischen Themen mit dem aktuellen Rassis- Der Band gibt vielfältige Einblicke in Konzepte und Refl exi- rechtsextremer Ideologeme als politisch legitime, im demokratischen Praxis zu begreifen sei. Der Begründung der analytischen Triftigkeit mus, also den heute virulenten Mechanismen von Ausschluss und onen der politischen Bildung. Dabei wird nicht ganz klar, was den Spektrum vertretbare Meinung – ob parteiförmig organisiert wie die eines solchen Verständnisses stellt der Autor zudem eine wichtige Selbstbildern (S. 46). Ertrag der Orientierung an der Rezeption des Aufsatzes von Adorno AfD oder eher bewegungsförmig wie bei – und deren prak- menschenrechtliche Begründung zur Seite, wenn er mit Verweis Über die aktuellen Bedingungen der historisch-politischen »Erziehung nach Auschwitz« ausmacht. Karl Christoph Lingelbach tischer Verwirklichung in rassistischer Gewalt eine einleuchtende auf den NSU schreibt, die Ausblendung der rechten Tatmotive sei Bildung informieren die beiden Beiträge von Norbert Reichling macht in seinem Beitrag deutlich, dass es eine nicht zu Ende gedachte Schwerpunktsetzung. Auf diesen Umstand weisen die Herausgeber deshalb problematisch, da sie gerade für die Geschädigten bezie- und Elke Gryglewski. Reichling gibt einen Überblick über die Ge- Rezeption der Überlegungen der Frankfurter Schule zum Natio- auch in der Einführung hin, wenn sie auf Grundlage der Bielefelder hungsweise deren Angehörige eine nochmalige Demütigung sei. schichte der Gedenkstättenbewegung seit den 1980er Jahren aus nalsozialismus war, die zur Grundlage der politischen Bildung seit Studie zu rechtsextremen Einstellungen und gruppenbezogener Men- Ebenso wie Christa Kaletsch erkennt der Autor hier die Gefahr einer der Perspektive der in der Erwachsenenbildung verwurzelten lo- etwa 1970 wurde. Hier wird die Essenz des Buches deutlich: Die schenfeindlichkeit von 2014 konstatieren, der Rechtsextremismus sekundären Viktimisierung. kalhistorischen Forschung und der damit verbundenen Initiativen. Bezugnahme auf die Dialektik der Aufklärung bedeutet konkret, die werde »zu einer nicht nur theoretischen, sondern realen Gefährdung Explizit mit der demokratiepädagogischen Relevanz des Themas Gerade in der Vielfalt der oft kleinen Initiativen und Institutionen Forderung nach Autonomie der Subjekte als Bildungsziel in ihrer demokratischer Verhältnisse« (S. 12). Interessant an der Einführung »Rechtsextremismus« setzt sich Janine Patz auseinander. Sie legt sieht er die große Chance einer prozessorientierten, demokratie- Ambivalenz zu begreifen. Das Ringen um die Konsequenzen aus den ist überdies, dass sie festhalten, bei einer recht(sextrem)en Bürger- dar, wie die extremismustheoretische Perspektive auf Rassismus fördernden Bildungsarbeit. Gryglewski entwickelt an Fällen aus Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus ist ein politisches bewegung wie PEGIDA handele es sich zwar um den Ausdruck und andere für den Rechtsextremismus konstitutiven Ideologien ihrer Arbeit mit heterogenen Gruppen an der Gedenkstätte Haus der und nicht in erster Linie ein pädagogisches Projekt. politischen Willens in der Demokratie und um ein zivilgesellschaftli- auch in vielen Bereichen zivilgesellschaftlichen Lebens und in pä- Wannsee-Konferenz Argumente für ihre Position, dass das Interesse Kritisch ist anzumerken, dass die Verwendung des Begriffs »Erinne- ches Phänomen, welches jedoch »anti-demokratische Bestrebungen« dagogischen Einrichtungen dominierten. Ein sensibler Umgang mit an den Themen Nationalsozialismus und Holocaust nicht »von der rung« in diesem Kontext einer kritischen Revision unterzogen wer- (S. 12) befördere. Dies macht – so ließe sich hinzufügen – einen Diskriminierungsverhalten in der Pädagogik werde auf dieser Grund- Herkunft« der Lernenden abhängt. Es ist eine zentrale Forderung den sollte. »Erinnerungsarbeit« und ähnliche Wendungen kommen demokratischen und menschenrechtsbasierten Begriff von Zivilge- lage verhindert, denn die Extremismustheorie konstruiere dort eine der Autorin, die Jugendlichen als Deutsche bzw. Berliner zu adres- im Titel und immer wieder im Band vor, ohne dass die geschichts- sellschaft notwendig. »vermeintlich normale, demokratisch gesonnene Mitte« (S. 100), sieren und nicht immer wieder auf ihren »Migrationshintergrund« wissenschaftliche Differenzierung zwischen Erinnerung, Gedächtnis, Auf das Fehlen einer so verstandenen Zivilgesellschaft bei wo Phänomene gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit wirkten. festzulegen (S. 89). Vergegenwärtigung etc. erkennbare Spuren hinterlassen hätte. den rassistischen Pogromen 1992 in Rostock-Lichtenhagen und Gerade im Umgang mit Betroffenen sei das hochproblematisch, Manfred Wittmeier greift die Kritik an der Intervention Harald der sich daran anschließenden Einschränkung des Grundrechts auf da eine Wahrnehmung diskriminierenden Verhaltens so erschwert Welzers zum Thema Gedenkstättenpädagogik noch einmal auf, die Gottfried Kößler Asyl macht Christa Kaletsch in ihrem Beitrag aufmerksam. Sie stellt werde und Betroffene von Diskriminierung von PädagogInnen in in der Einleitung des Bandes formuliert wird. Seine Ankündigung, Pädagogisches Zentrum des Fritz Bauer Instituts nicht nur den zeitlichen Nexus dieser Ereignisse heraus, sondern konkreten Fällen als Beteiligte und damit Mitschuldige einer nor- Konzepte der politischen Bildung vorzustellen, löst er allerdings und des Jüdischen Museums Frankfurt weist detailliert nach, wie einerseits die öffentlichen Diskurse ein malen jugendlichen Streitigkeit angesprochen würden. nicht ein. Umgekehrt referiert der Beitrag von Sylvia Heitz und rassistisches Klima schafften, das die rechtsextremen und bürgerli- Neben den dargestellten Aufsätzen zeichnet sich der Band durch Helmut Rook sehr ausführlich und anschaulich ein pädagogisches chen Akteure des rassistischen Pogroms zu ihren Ausschreitungen vielfältige Beiträge aus, die unter anderem das Wechselspiel von Projekt, nämlich ein gemeinsames Seminar der Gedenkstätte Bu- ermutigte, und wie andererseits die Ideologie, die den rassistischen Demokratiepädagogik und Lehrerbildung, Elternbildung, Gedenk- chenwald und des Fachbereichs Gesellschaftswissenschaften der Aktivitäten zugrunde lag, mit der Grundgesetzänderung in staatliche stättenpädagogik, Politikdidaktik, Jugendbegegnungen und demo- Goethe-Universität Frankfurt am Main. Das Seminar ist darauf Politik übersetzt wurde. Aus dieser Betrachtung begründet die Au- kratiepädagogische Projekte zum Thema haben. ausgerichtet, dass die Studierenden zugleich eigene Erfahrungen mit torin »[d]ie Notwendigkeit eines Perspektivwechsels« (S. 56): Der dem Ort machen – also kognitiv und affektiv lernen – und die päd- Blick auf den organisierten Rechtsextremismus dürfe den virulenten Manuel Glittenberg agogischen Arbeitsmöglichkeiten der Gedenkstätte kennenlernen, gesamtgesellschaftlichen Rassismus nicht zum blinden Fleck werden Frankfurt am Main

84 Rezensionen Einsicht 14 Herbst 2015 85 Identität statt Verantwortung Überlieferungsfehler des Diktums von Jean Améry, der das bleibende Auschwitz-Prozess und Berichterstattung vor. Drei Jahrzehnte gingen ins Land, bis die beiden Juristen Gerhard Gewicht von Auschwitz als »negatives Eigentum«1 aufgefasst hat, Werle und Thomas Wandres ihre bedeutende Studie3 veröffentlichten was in den von Fava zitierten Texten zum »negativen Erbe« gemacht und erstmals hervorhoben, dass die unzureichende justizielle Aufar-

worden ist – eine Verschiebung von Verantwortung hin zu Identität. beitung der NS-Verbrechen vor allem auf das Versagen der Politik Die von vielen engagierten PädagogInnen im Feld historisch- und weniger der überforderten Justiz zurückzuführen ist. Rosa Fava politischer Bildung angenommene Lehre aus dem NS, sich von na- Conrad Taler Heute ist der Verlauf der »Strafsache gegen Mulka und andere« Die Neuausrichtung der tionalistischen, abstammungsbezogenen Unterscheidungen und Ab- Asche auf vereisten Wegen. gut dokumentiert. Der durch eine erfolgreiche Intervention Hermann »Erziehung nach Auschwitz« in der wertungen zu verabschieden, sieht Fava paradox angeeignet in der Berichte vom Auschwitz-Prozess Langbeins erhalten gebliebene Tonbandmitschnitt des Prozesses Einwanderungsgesellschaft. Eine »multikulturalistische[n] Aufwertung von ›Differenz‹« (S. 268). Gerade Mit einem Beitrag von Irmtrud Wojak, erlaubt eine nahezu lückenlose Dokumentation der Hauptverhand- rassismuskritische Diskursanalyse diejenigen, die sich um die Anerkennung derer bemühen, die lange 2., aktual. u. erw. Aufl . lung.4 2004 wurde vom Fritz Bauer Institut am historischen Ort, Berlin: Metropol Verlag, 2015, 397 S., € 24,– aus dem Erinnerungs- und Aufarbeitungsdiskurs ausgeblendet worden Köln: PapyRossa Verlag, 2015, 171 S., sind, reproduzieren eine ausgrenzende Norm. Kritische Einsprüche, € 13,90 Die verspätete Anerkennung der allgemeinen die Erinnerung nicht auf Herkunft beziehen, werden in der Arbeit als Main: Fischer Bücherei, 1968; Auschwitz. Bericht über die Strafsache gegen Relevanz von Migration für die Bildungspra- »gegendiskursive Positionierungen« (S. 183 ff.) aufgegriffen, deren Mulka und andere vor dem Schwurgericht Frankfurt, mit e. Nachw. von Marcel xis und die Bildungspolitik ist Ausdruck einer pädagogischen Verken- Durchschlagskraft nicht ausreichend gewesen ist, um den Diskurs zu Martin Warnke Atze u. e. Text von Hannah Arendt, Berlin: Philo Verlag, 2004; Der Auschwitz- Prozess. Bericht über die Strafsache gegen Mulka u.a. vor dem Schwurgericht nung, in der Migration allzu lange als Sonderthema und Problemfeld für verändern. Dominant bleiben national-identitäre Problematisierungen Zeitgenossenschaft. Frankfurt am Main 1963–1965, aktual. Neuausg., mit e. Vorw. von Werner Renz, den speziellen Umgang mit heterogenen Lerngruppen aufgefasst wor- von Defi ziten der Eingewanderten, denen der biografi sche Bezug zur Zum Auschwitz-Prozess 1964 Hamburg: Europäische Verlagsanstalt, 2013. den ist. Mit der an Foucault ausgerichteten Diskursanalyse wirft Fava »Täternachfolgeschaft« (S. 234) fehle. Diese Diagnose stellt Fava auch Vorgestellt von Pablo Schneider und 3 Gerhard Werle, Thomas Wandres, Auschwitz vor Gericht. Völkermord und bun- einen verfremdenden Blick auf historisch-politische Bildungsarbeit in den Praxisprojekten und Einrichtungen, die wesentlich zur migrations- Barbara Welzel desdeutsche Strafjustiz. Mit einer Dokumentation des Auschwitz-Urteils, Mün- chen: Verlag C.H. Beck, 1995. Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, auf Gedenkstätten- gesellschaftlichen Öffnung des pädagogischen Erinnerungsdiskurses Zürich, Berlin: diaphanes Verlag, 2014, 4 Der Auschwitz-Prozess. Tonbandmitschnitte, Protokolle und Dokumente, hrsg. pädagogik sowie Geschichts- und Politikdidaktik. Ihr Material besteht beigetragen haben. An dieser Stelle wäre auf Ambivalenzen einzugehen, 127 S., € 17,95 vom Fritz Bauer Institut und dem Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau, aus einem Textkorpus erziehungswissenschaftlicher und didaktischer die sich aus der auch von der Autorin benannten Unsicherheit ergeben, Fachliteratur, in der die Wirkungen des pädagogischen »Migrantendis- wie »ein zeitgemäßes Lernen über den NS« (S. 363) zu gestalten sei. kurses« und des »Auschwitz-Diskurses« reproduziert und verarbeitet Doch der entlarvende Gestus der Arbeit verstellt diese Möglichkeit. Die werden. In der Kombination beider Diskurse untersucht Fava das »spe- textanalytischen Nachweise belegen, wie mit national-kulturalistischen zifi sche semantische Feld« (S. 20), das im pädagogischen Sprechen über Identifi zierungen das Anerkennungsanliegen migrationsbezogener Pro- Peter Jochen Winters Migranten entstanden ist, wenn es um die Vermittlung von Wissen und jekte verfehlt worden ist, und lassen wenig Raum für Zwischentöne. Den Mördern ins Auge gesehen. Bewusstsein zum NS geht. Anhand von diskurskritischen Textanalysen Eine Kontextualisierung der Aussagen innerhalb einer pädagogischen Berichte eines jungen Journalisten vom »Ein Standardwerk … arbeitet Fava national-kulturelle Herkunftsthematisierungen heraus, die Landschaft, die sich weitgehend ignorant gegenüber dem Faktum der Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963–1965 über die einzelnen Transporte in die zur Reproduktion einer machtvollen Wir-sie-Unterscheidung geführt Migrationen verhalten hat, wäre dafür erforderlich gewesen. Das min- Berlin: Metropol Verlag, 2015, 236 S., haben. Die verwendeten Texte gliedert sie in drei Bereiche: theoretisch- dert jedoch nicht die Aufforderung zur pädagogischen und erziehungs- € 19,– Ghettos und Ver nichtungslager.« konzeptionelle Grundlagentexte, Praxisberichte und empirische Studien wissenschaftlichen Selbstkritik, die von Favas ausführlicher Analyse h-soz-kult sowie Konzepte für die Praxis. Dass Fava von einer »Neuausrichtung« ausgeht. Die pädagogischen AkteurInnen haben sich zu fragen, wie sie ausgeht, ist mit der Wirkung des »Veränderungs-Topos« (S. 73) zu der selbst verursachten Entwertung politischen Wissens zugunsten von Im August 2015 jährte sich das Urteil im erklären, der im Zuge der Heterogenitäts-, Vielfalts- und Multikultu- Identität entgegenarbeiten und wie sie die »geistige Substanz« (S. 364) Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963– ralitätsthematisierungen entstanden ist. Einwanderung wird dabei als in der Auseinandersetzung mit dem NS zurückgewinnen können, das 1965) zum fünfzigsten Mal. Das Verfahren gegen zunächst 22, zu- Anlass, Grund und Auslöser dafür angesehen, dass heute alles anders Denken also, das Adorno meinte, als er von der Fähigkeit zur »kriti- letzt 20 Angeklagte, 183 Verhandlungstage bzw. 20 Monate lang, sei. Die moralisch-identitäre Aufl adung in der pädagogischen Diskus- schen Selbstrefl exion«2 gesprochen hat, die einzig angemessen wäre schrieb Rechtsgeschichte. sion führt die Autorin darauf zurück, dass es in den meisten Texten um für eine Bildungsarbeit in der Verantwortung für und in den Nachwir- Bereits im Jahr der Urteilsverkündung legten Hermann Langbein1 das Lernen aus Auschwitz und nicht über Auschwitz geht. kungen von Auschwitz. und Bernd Naumann2 ihre bis heute unübertroffenen Dokumentationen Die dominante Wahrnehmung von Migranten als grundsätzlich anders im Umgang mit dem NS im Vergleich zu den unmarkiert Astrid Messerschmidt bleibenden Herkunftsdeutschen führt sie auf das Paradigma der Mul- Darmstadt 1 Hermann Langbein, Der Auschwitz-Prozess. Eine Dokumentation. 2 Bde. Wien, 512 Seiten tikulturalität zurück. Anhand ihres Materials zeigt Fava, wie der Frankfurt am Main, Zürich: Europa Verlag / Frankfurt am Main: Europäische gebunden »Theoriehintergrund des Multikulturalismus« (S. 241) und das damit Verlagsanstalt, 1965; Frankfurt am Main: Verlag Neue Kritik, 1995 (unveränd. 20 € zusammenhängende »Fehlen einer rassismuskritischen Perspektive« Nachdruck, mit e. Vorw. von H. Langbein zur Neuaufl .) ISBN 978-3-86539-059-2 (S. 242) zu einer »diskurstypischen Engführung« (S. 248) beitragen, 1 Jean Améry, Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche eines Überwältigten, 2 Bernd Naumann, Auschwitz. Bericht über die Strafsache gegen Mulka und ande- Stuttgart 1980. re vor dem Schwurgericht Frankfurt. Frankfurt am Main, Bonn: Athenäum Ver- durch die Vielfalt mit der Kategorie der Abstammung kurzgeschlos- 2 Theodor W. Adorno: »Erziehung nach Auschwitz«, in: ders., Erziehung zur Mün- lag, 1965; Auschwitz. Bericht über die Strafsache gegen Mulka und andere vor sen wird. Symptomatisch dafür ist ein mehrfach festzustellender digkeit, Frankfurt am Main 1971, S. 90. dem Schwurgericht Frankfurt, v. Autor gekürzte und bearb. Ausg., Frankfurt am www.verlagshaus-roemerweg.de

86 Rezensionen Einsicht 14 Herbst 2015 87 im Bürgerhaus Gallus, in dem von April 1964 bis August 1965 der Erforschung der Wahrheit« (S. 77 f.) schreibt. Auf der anderen Seite Die Veröffentlichung von Presseberichterstattung über das Frank- DVD-ROM-Publikation von 2004 heranziehen oder die Darstellung Prozess stattfand, die Ausstellung »Auschwitz-Prozeß 4 Ks 2/63 ist es verwunderlich, dass der Chronist die Ausführungen von Hans furter Strafverfahren gegen Mulka und andere fünfzig Jahre nach sei- von Devin O. Pendas11 lesen. Wer die Sicht der Opfer erfahren will, Frankfurt am Main« gezeigt und ein umfangreicher Katalog veröf- Hofmeyer (Vorsitzender Richter) in seiner mündlichen Urteilsbegrün- nem Ende macht nur Sinn, wenn die Artikel mit Anmerkungen und lese Inge Deutschkrons »Dokumentation von Zeugenaussagen über fentlicht, der neben der Dokumentation der Ausstellung wichtige dung, die eine klare und eindeutige Distanzierung von Fritz Bauers Erläuterungen, die den Stand der Forschung berücksichtigen, verse- Kinderschicksale«.12 In ihrem Vorwort refl ektiert sie die Wirkung Beiträge zum Verfahren und zu seiner Rezeption in Literatur, Philo- Prozesskonzept (S. 107) darstellen, schlicht referiert und sich eines hen werden oder aber, wie im Fall Warnke, durch ein Interview mit des Prozesses auf Journalisten. Keiner, der den Prozess regelmäßig sophie und Publizistik enthält.5 Das Urteil von 1965 und die BGH- kritischen Kommentars enthält. Hofmeyer zufolge war das Gericht dem Autor ihre angemessene Kontextualisierung erfahren. Winters verfolgt habe, sei »der gleiche Mensch geblieben«. Unter »dem Entscheidung von 1969 liegen seit 1979 in der berühmten Sammlung nicht berufen, die Vergangenheit zu bewältigen.9 Die Reduktion der hat seine Artikel mit informativen Anmerkungen ergänzt. Talers Neu- Eindruck des Gehörten« hätten die Prozessberichterstatter erfah- von Christiaan F. Rüter6 vor. 2013 hat das Fritz Bauer Institut weitere Beweisaufnahme auf den Nachweis von konkreten Einzeltatbeiträ- aufl age seines Buches von 2003 enthält neben einem für den Gegen- ren müssen, »wie unzulänglich ihnen ihr Wortschatz und ihre Ge- Quellen7 herausgegeben und den 430-stündigen Tonbandmitschnitt gen, die den Angeklagten individuell zurechenbar waren, erkannte stand Auschwitz-Prozess bedeutungslosen Vorwort einen Beitrag der staltungskraft erschienen, das wiederzugeben, was sich vor ihnen samt Transkription in Kooperation mit dem Hessischen Hauptstaats- Taler nicht als Problem der vom Schwurgericht geübten Rechtspraxis. Bauer-Biografi n Irmtrud Wojak, die in gewohnt hagiografi scher Manier in diesem Gerichtssaal zutrug«.13 Heutige Veröffentlichungen von archiv/Wiesbaden ins Internet (www.auschwitz-prozess.de) gestellt. Die Anstrengung der Anklagevertretung, die »Atomisierung« (Bau- Bauers Leben und Werk darstellt.10 Die »Auswahlbibliographie« von seinerzeitigen Prozessberichten müssten diese von Deutschkron Der Prozess wurde von Presse, Rundfunk8 und Fernsehen intensiv er) des Verbrechensgeschehens zu vermeiden, hat er nicht erkannt. 2003 ist um die vielen Titel, die in den letzten zwölf Jahren zum Ausch- hellsichtig formulierten Probleme der Präsentation thematisieren. begleitet. Zahlreiche Journalisten, zu nennen wären Inge Deutsch- Bei Taler fi nden sich auch terminologische Unsicherheiten. Er weiß witz-Prozess und zu Fritz Bauer erschienen sind, leider nicht ergänzt kron, Ralph Giordano, Gerhard Mauz und Jürgen Serke, berichteten nicht zwischen »Vorverfahren» und »Voruntersuchung«, zwischen worden und deshalb wenig brauchbar. Auch ein Personenregister fehlt. Werner Renz für Zeitungen oder Agenturen über den Prozess. »Angeklagten« und »Beschuldigten«, »Nebenklägern« und »Neben- Wer sich über den Prozessverlauf detailliert informie- Fritz Bauer Institut Drei Prozessbeobachter legen nunmehr ihre Prozessberichte erst- klägervertretern« zu unterscheiden. Falschschreibungen von Namen ren will, muss auf Langbein und Naumann zurückgreifen, die mals beziehungsweise abermals vor. Die formalen Vorgaben und die der Zeugen (S. 41, 44, 46, 52) kommen vor. Fehler bei der Nennung Rahmenbedingungen waren dabei für sie überaus unterschiedlich. der Anzahl der Zeugen (S. 92, 111), der Anzahl der Verteidiger (S. 93) 11 Devin O. Pendas, Der Auschwitz-Prozess. Völkermord vor Gericht, München: Conrad Taler (Kurt Nelhiebel), Jahrgang 1927, hat im monatlich sowie von Prozessbeobachtern (Joachim Greiff war nicht Präsident des Siedler Verlag, 2013. erscheinenden »Offi ziellen Organ der Israelitischen Kultusgemeinde OLG sondern des LG Frankfurt am Main, Bauers enger Freund Curt 10 Irmtrud Wojak, Fritz Bauer 1903–1968. Eine Biographie, München: C.H. Beck 12 Inge Deutschkron, ... denn ihrer war die Hölle. Kinder in Ghettos und Lagern, Verlag, 2009; 2., durchges. Aufl ., München: C.H. Beck Verlag, 2009; broschierte Köln: Verlag Wissenschaft und Politik, 1965, S. 12. Wien« (Untertitel), Die Gemeinde, 20 Berichte veröffentlicht. Meist Staff war OLG-Präsident, S. 93) wären unschwer vermeidbar gewesen. Sonderausgabe, München: C.H. Beck Verlag, 2011. 13 Ebd., S. 7 f. fasst er auf dem begrenzten Raum von einer Blattseite einen ganzen Peter Jochen Winters, Jahrgang 1934, hat zehn Beiträge in der Verhandlungsmonat, also in der Regel zwölf Verhandlungstage, in Zeitung Christ und Welt unterbringen können, in den 1960er Jahren einem Bericht zusammen und muss sich, seiner »Chronistenpfl icht« noch die aufl agenstärkste wöchentlich erscheinende Gazette. Winters (S. 10) genügend, notwendig auf die bloße Aufzählung und Aneinander- enthält sich keines Kommentars und keiner kritischen Bewertung reihung von einigen Aussagefragmenten der Zeugen beschränken. So des Prozessverlaufs. Auffallend ist, ebenso festzustellen bei den ist ihm, um ein Beispiel zu nennen, die überaus wichtige Vernehmung Berichten von Gerhard Mauz für Axel Springers Die Welt, dass des Zeugen Rudolf Vrba, der den Ablauf von »Transportabfertigungen« auch Winters sich gegen die Instrumentalisierung des Strafprozes- Michael Kißener schilderte, viereinhalb Zeilen wert (S. 74). Kein Prozessbeteiligter kann ses wendet. Der »Gerichtssaal« dürfe keine »Volkshochschule für bei dieser Art von Berichterstattung Kontur gewinnen. So überrascht Vergangenheitsbewältigung« (S. 46, 62) sein. Boehringer Ingelheim im Nationalsozialismus es beinahe, wenn Taler/Nelhiebel die Arbeit von Ergänzungsrichter Martin Warnke, Jahrgang 1937, schrieb für die Stuttgarter Zei- Studien zur Geschichte eines mittelständischen chemisch-pharmazeutischen Unternehmens Werner Hummerich zu würdigen weiß und vollkommen zutreffend von tung in der kurzen Zeitspanne von zwei Monaten (April bis Mai 1964) Historische Mitteilungen – Beiheft 90 dessen »profunder Sachkenntnis« und seiner »Unerbittlichkeit bei der zehn Artikel über den Auschwitz-Prozess und fünf über den zeitgleich im Bürgerhaus Gallus verhandelten Prozess gegen die Eichmann-Mit- Die Erforschung der deutschen Großindustrie in der Zeit des Nationalsozialismus hat in den vergangenen arbeiter Hermann Krumey und Otto Hunsche. Der frisch promovierte Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Wenig ist demgegenüber bislang über die Rolle klein- und Kunsthistoriker Warnke sprang für seinen Freund Tilmann Moser ein. mittel ständischer Familienunternehmer zwischen 1933 und 1945, zumal im chemisch-pharmazeutischen 48.679 Bildschirmseiten, 528 Abbildungen,100 Stunden Audio-Auswahl (Zeu- Bereich, bekannt. genvernehmungen, Letztes Wort der Angeklagten, mündliche Urteilsbegrün- Der später allseits bekannte Psychoanalytiker hatte 1962/1963 bei dung), DVD-ROM, Berlin: Directmedia Publishing, 2004, 2., durchges. und verb. der Stuttgarter Zeitung eine journalistische Ausbildung absolviert In diese Forschungslücke stößt Michael Kißener mit seinem Band über das bekannte, weltweit tätige Michael Kißener Aufl ., Berlin 2005, 3. Aufl ., Berlin 2007. und wenige Monate nach Prozessbeginn die Berichterstattung hin- Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim, dessen Geschichte in den Jahren 1933–1945 hier erstmals 5 Auschwitz-Prozeß 4 Ks 2/63 Frankfurt am Main, hrsg. von Irmtrud Wojak im Boehringer Ingelheim im umfassend dargestellt wird. In sechs Einzelstudien, die zentrale Themen wie „Zwangsarbeit“ oder den geworfen (S. 65). Warnke schreibt für die Tageszeitung meist über Nationalsozialismus Auftrag des Fritz Bauer Instituts, Köln: Snoeck Verlag, 2004. NS-Alltag im Werk, aber auch die „Bewältigung“ der Diktatur nach 1945 aufgreifen, zeichnet der Autor 6 Justiz und NS-Verbrechen. Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozia- einen einzigen Verhandlungstag und beschränkt sich, zumal er nur die 2015. ein anschauliches und differenziertes Bild der Handlungs optionen mittelständischer Familienunter- listischer Tötungsverbrechen 1945–1966, hrsg. von C. F. Rüter u.a. Amsterdam Vormittagssitzung verfolgen konnte, in der Regel auf die präzise und 292 Seiten mit 14 Fotos, nehmer unter den Bedingungen einer modernen totalitären Diktatur. Zugleich analysiert er regionale 1979, Bd. XXI, S. 361–887. äußerst nüchterne Wiedergabe einer Zeugenvernehmung. Wohlfeiles 2 Abbildungen und 7 Farb- 7 Raphael Gross, Werner Renz (Hrsg.), Der Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963– und 6 s/w-Tabellen. Einflussfaktoren auf die Unternehmensentwicklung und bestimmt in einem Vergleich den Standort des 1965). Kommentierte Quellenedition. Mit Abhandlungen von Sybille Steinbacher Moralisieren liegt ihm dabei fern. Er lässt die in Worte gefassten Kartoniert. innovativen Pharma- und Säurenherstellers in der Geschichte der deutschen Unternehmen in der Zeit und Devin O. Pendas, mit historischen Anmerkungen von Werner Renz und juri- Tatsachen, von denen die Zeugen erzählten, sprechen. ¤ 39,– des Nationalsozialismus. stischen Erläuterungen von Johannes Schmidt. 2 Bde, Frankfurt am Main, New 978-3-515-11008-2 York: Campus Verlag, 2013. @ 978-3-515-11021-1 8 Siehe das Hörbuch Aufklärung statt Bewältigung. Tondokumente zur Bericht- . www.steiner-verlag.de erstattung von Axel Eggebrecht über den ersten Auschwitz-Prozess, hrsg. von der franz steiner verlag Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv DRA, 2011. 9 Siehe DVD-ROM-Publikation (Fn. 4), 2. Aufl ., S. 36.665.

88 Rezensionen Einsicht 14 Herbst 2015 89 FRITZ BAUER. DER STAATSANWALT – NS-VERBRECHEN VOR GERICHT Anlässlich der Ausstellung des Fritz Bauer Instituts und des Jüdischen Museums Frankfurt sind folgende Publikationen in Zusammenarbeit mit dem Fritz Bauer Institut erschienen:

Zeugenschaft des Vergessens den Holocaust überlebt hat, durch einen nie aufgeklärten Mord. Er beendet daraufhin voller Trauer seine erfolgreiche Schriftsteller- karriere und zieht sich zurück. Jahrzehnte später bemerkt er, dass FRITZ BAUER: GESPRÄCHE, INTERVIEWS UND REDEN AUSCHWITZ VOR GERICHT (2013) FRITZ BAUER: GESPRÄCHE, INTERVIEWS UND REDEN AUSCHWITZ VOR GERICHT (2013) er langsam beginnt zu vergessen. So kehrt er eines Tages in seine AUS DEN FERNSEHARCHIVEN 1961-1968 STRAFSACHE 4 Ks 2/63 (1993) AUS DEN FERNSEHARCHIVEN 1961-1968 STRAFSACHE 4 Ks 2/63 (1993) Wohnung zurück und ist verwundert über die Harfe seiner Frau, die Erstveröff entlichung historischer Fernsehaufnahmen. TEIL 1: Die Ermittlung TEIL 2: Der Prozess TEIL 3: Das Urteil Erstveröff entlichung historischer Fernsehaufnahmen. TEIL 1: Die Ermittlung TEIL 2: Der Prozess TEIL 3: Das Urteil Ron Segal er als Fremdkörper wahrnimmt: »In der Zimmermitte stand eine 2 DVD, 298 Min., ausführliches Booklet, PDF-Materialien Zwei Dokumentationen von Rolf Bickel und Dietrich Wagner Redaktion:2 DVD, 298 Bettina Min., ausführliches Schulte Strathaus Booklet, PDF-Materialien 2Zwei DVD, Dokumentationen 45 + 180 Min., ergänzende von Rolf Bickel PDF-Materialien und Dietrich zusammengestellt Wagner Jeder Tag wie heute. Roman riesige Harfe […]. Was hat diese schwarze Harfe hier zu suchen?!« Redaktion: Bettina Schulte Strathaus 2 DVD, 45 + 180 Min., ergänzende PDF-Materialien zusammengestellt Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama (S. 102) Schumacher verlässt die Wohnung in der festen Überzeu- von Werner Renz Fritz Bauer (1903‒1968), bekannt als Initiator der Frankfurter Ausch- von Werner Renz Göttingen: Wallstein Verlag, 2014, 139 S., gung, in einem falschen Appartement zu sein. »Als ich zum zweiten witz-Prozesse,Fritz Bauer (1903‒1968), betrachtete bekannt den Gerichtssaal als Initiator als der einen Frankfurter öff entlichen Ausch- Ort Die legendäre Aufb ereitung des Auschwitz-Prozesses von Bickel und € 17,90 Mal meine Wohnung […] betrat, war mein Puls wieder normal, derwitz-Prozesse, historischen betrachtete und demokratischen den Gerichtssaal Bewusstwerdung. als einen öff entlichen Weniger Ortbe- WagnerDie legendäre in einer Aufb aktuellen ereitung KURZVERSION des Auschwitz-Prozesses und der von ausführlichen Bickel und und Tränen traten mir in die Augen; ihre Harfe stand da wie zuvor kanntder historischen ist, dass er alsund Interviewpartner, demokratischen Diskutant Bewusstwerdung. oder Redner Weniger auch vorbe- WagnerORIGINALDOKUMENTATION in einer aktuellen KURZVERSION aus den 1990er und der Jahren: ausführlichen […]. Ich begriff, dass ich Bella zum ersten Mal im Leben verges- denkannt Fernsehkameras ist, dass er als Interviewpartner, Stellung bezog. Er Diskutant äußerte sich oder zu Redner den NS-Prozes- auch vor AmORIGINALDOKUMENTATION 20. Dezember 1963 begann vor ausdem den Landgericht 1990er Jahren: Frankfurt am sen hatte« (ebd.). Adam nimmt Kontakt zu einer Sterbehilfeklinik sen,den Fernsehkameraszur politischen VerantwortungStellung bezog. derEr äußerte Justiz, zusich Geschichtsleugnung zu den NS-Prozes- MainAm 20. der Dezember Auschwitz-Prozess. 1963 begann Auf vorder Anklagebankdem Landgericht saßen Frankfurt 21 Angehö- am sen, zur politischen Verantwortung der Justiz, zu Geschichtsleugnung Main der Auschwitz-Prozess. Auf der Anklagebank saßen 21 Angehö- Das Vergessen des Holocaust wird meist in der Schweiz auf: Nachdem er seine Erinnerungen an Bella und und Rechtsradikalismus, aber auch zu Fragen der Wirtschaft skrimina- rige der Waff en-SS und ein Funktionshäft ling. Die SS-Männer gehör- und Rechtsradikalismus, aber auch zu Fragen der Wirtschaft skrimina- rige der Waff en-SS und ein Funktionshäft ling. Die SS-Männer gehör- mit einer Verdrängung aus dem kollektiven den Holocaust aufgeschrieben hat und diese im deutschen Magazin lität, dem Sexualstrafrecht oder der Humanisierung des Strafvollzugs. ten zum Personal des Konzentrations- und Vernichtungslagers. Nach Nichtlität, dem zuletzt Sexualstrafrecht sprach er über oder seine der Biografi Humanisierung e als politisch des undStrafvollzugs. antisemi- demten zum Krieg Personal hatten dessie inKonzentrations- Deutschland unbehelligtund Vernichtungslagers. ein ganz normales Nach Gedächtnis assoziiert, weil eine Gesellschaft sich nicht erinnern seines Kindheitsfreundes Max publiziert sind, möchte er sterben, um Nicht zuletzt sprach er über seine Biografi e als politisch und antisemi- dem Krieg hatten sie in Deutschland unbehelligt ein ganz normales will. Was aber passiert, wenn ein Überlebender sich nicht mehr an nicht noch mehr zu vergessen. Adam fährt daraufhin zum ersten Mal tisch Verfolgter und als jüdischer Remigrant. Auch fünfzig Jahre später Leben führen können. Nun konfrontierte man sie mit den Aussagen habentisch Verfolgter diese politischen und als jüdischerDebatten nichtsRemigrant. von ihrer Auch Brisanz fünfzig verloren. Jahre später ihrerLeben Opfer führen von können. einst. NunDie ganzekonfrontierte Welt verfolgte man sie damals mit den dramatische Aussagen die eigene Verfolgungsgeschichte erinnern kann? Wenn ihm eine seit 1945 nach München zurück, wo er einen Schlaganfall erleidet haben diese politischen Debatten nichts von ihrer Brisanz verloren. Verhandlungstage.ihrer Opfer von einst. Der gesamteDie ganze Prozess Welt wurdeverfolgte – einmalig damals dramatischein der deut- zunehmende Demenzerkrankung die Erinnerungen nimmt oder sie und von Max’ Assistentin Eva Weiß gepfl egt wird. Ihr diktiert der »Verfassungsschutz, Wahrung der Freiheitsrechte, Ungehorsam und Kampf schenVerhandlungstage. Rechtsgeschichte Der –gesamte auf Tonband Prozess aufgenommen. wurde – einmalig Den Autorenin der deut- der verschwimmen lässt mit den Geschichten der Freunde und Fami- an Sprachverlust leidende Autor seine Erinnerungen. Doch diese gegen»Verfassungsschutz, totalitäre Tendenzen Wahrung sind der viel Freiheitsrechte, zu wichtige UngehorsamDinge, als dass und sie Kampf amt- Dokumentationschen Rechtsgeschichte gelang –es, auf die Tonband verschollenen aufgenommen. Bänder aufzuspürenDen Autoren und der lienmitglieder oder mit dem angehäuften Sekundärwissen über die stimmen schlichtweg nicht immer. lichengegen totalitäreFunktionären Tendenzen überlassen sind werden viel zu könnten.«wichtige Dinge, Fritz Bauer als dass sie amt- auszuwerten.Dokumentation Zusammen gelang es, mit die exklusivemverschollenen Filmmaterial Bänder aufzuspüren entstand eineund Judenverfolgung? Der Leser horcht auf: Es geht nämlich nicht – wie es leider lichen Funktionären überlassen werden könnten.« Fritz Bauer historischauszuwerten. präzise Zusammen wie packende mit exklusivem Dokumentation. Filmmaterial entstand eine historisch präzise wie packende Dokumentation. Dieser Frage geht der israelische Autor Ron Segal in seinem fehlleitend im Klappentext heißt – um Grimm’sche Zwerge, die dem Debütroman Jeder Tag wie heute nach. Er entwirft dafür die Figur Autor Schumacher morgens den Text fertig geschrieben haben, den des Adam Schumacher, eines deutschen Juden, der mit seiner Familie er abends erst mit einer Idee skizziert hatte. Sondern der Roman zunächst noch nach Ungarn fl iehen kann. Nach seiner Verhaftung dreht sich um die traurige Tatsache, dass Schumacher schlicht und wird er mit seiner Familie nach Auschwitz deportiert und von dort einfach vergessen hat, dass er den Text zuvor fertig geschrieben auf einen Todesmarsch und später im Viehwaggon nach Mauthausen hatte. Nicht die faktische Geschichte, sondern das langsame Ver- geschickt. Im Anschluss wird er nach Palmnicken in Ostpreußen gessen der Lebensgeschichte steht im Vordergrund des Romans. Mit verbracht, wo er Zwangsarbeit unter Tage leisten muss. Nach seiner dieser Thematik greift Segal ein neues Thema auf, das zeigt, dass Befreiung durch die Amerikaner emigriert er nach Jerusalem, um die »nachgeborenen Generationen« neue Aspekte zur literarischen dort ein für seine »erstaunlich[e], übernatürlich[e]« (S. 28) Fanta- Darstellung des Holocaust hinzufügen können – neue Themen wie sie gefeierter Autor zu werden. Oder war es ganz anders? Wurde Schumachers demenzbedingte »imaginäre Wirklichkeit« (S. 8), die Adam Schumacher nicht von seinen Eltern – wie sein bester Freund nur die Jungen beschreiben können, die sie an den Alten bemerken. und späterer Verleger Max – in einem Kloster untergebracht und Segals Roman ist sicher kein Buch für jeden. Viel zu viele Er- dort von den Deutschen verhaftet? Musste er wirklich Zwangsar- zählstränge verknoten sich – während sie paradoxerweise gleich- beit leisten oder waren das doch seine Brüder? Und wieso wird er zeitig aneinander vorbeilaufen –, als dass ein rundes Bild entste- von Amerikanern befreit, wo doch historisch verbürgt ist, dass die hen könnte. Es gibt auch keinen Kern der Geschichte, auf den sie Rote Armee Palmnicken befreite? Es ist nicht einfach, den Spuren zuläuft, keine Klimax der Handlung, alles kreist um Schumachers Adam Schumachers durch die Jahre zu folgen, wie man es von den alltägliches Vergessen. Der Roman hat Ideen und Bilder, die für meist chronologisch geschilderten Erinnerungen der Überlebenden viele Bücher reichen würden, und man wünscht sich fast, dass Segal gewöhnt ist. Dieser Bruch mit der Konvention, die verworrene Er- weitere Romane schreibt, die sich auf einzelne Aspekte beziehen zählstruktur mit ständigen Sprüngen zwischen Zeit- und Figuren- und diese weiterdenken. Bei allen Schwierigkeiten gelingt es dem ebenen und die vielfachen Wiederholungen des alten Mannes lassen Autor nämlich trotz allem, mit einem hervorragenden Erzählduktus den Leser teilweise genauso im Nebel der Verwirrung stehen wie den plätschernden Gesprächsfl uss eines alten Mannes und die Ge- die an Demenz erkrankte Hauptfi gur. dankenwelt, in der Adam gefangen ist, nachvollziehbar zu machen. Die Rahmenhandlung lässt sich allerdings – zumindest in Tei- gefördert durch len – aus den Berichten des Ich-Erzählers rekonstruieren: Adam Christiane Weber gefördert durch Schumacher verliert seine Frau Bella, eine Harfenistin, die wie er Gießen

Im Buch- oder Fachhandel oder direkt bei www.absolutmedien.de 90 Rezensionen ImEinsicht Buch- 14oder Herbst Fachhandel 2015 oder direkt bei www.absolutmedien.de 91 Pädagogisches Zentrum Frankfurt am Main

Personalwechsel am Pädagogischen Zentrum Wallstein Verlag Monica Kingreen im

Ruhestand Józef Zelkowicz In jenen albtraumhaften Tagen Monica Kingreen hat seit Tagebuchaufzeichnungen aus dem Getto Lodz/Litzmannstadt, September 1942 2003 die pädagogische Ar- Hg. und kommentiert beit am Fritz Bauer Institut und am Päda- von Angela Genger, gogischen Zentrum Frankfurt mit geprägt. Andrea Löw und Sascha Feuchert. Aus dem Zum 1. August 2015 ist sie in den Ruhestand Jiddischen übersetzt von Susan Hiep. Eine getreten. Monica Kingreen, langjährige Mitarbeiterin am Neue Kollegin am Pädagogischen Zentrum: Publikation der Arbeits- Pädagogischen Zentrum, Foto: privat Sophie Schmidt, Foto: Werner Lott stelle Holocaustliteratur In der Frühjahrsausgabe von Einsicht (Universität Gießen) hat sie das von ihr entwickelte Web-Portal und des Zentrums für Holocauststudien am zur pädagogischen Auseinandersetzung mit Institut für Zeitgeschichte München dieser eingeschränkte Blick verzerrt auch dem Holocaust vorgestellt: www.holocaust- Forschungen, die sie schon lange mit Enga- Pädagogisches Zentrum Neue Publikation 150 S., geb., die Wahrnehmung der Vergangenheit. Das unterrichtsmaterialien.de. Es enthält Texte gement betreibt, wird sie nach ihrer Zeit im Schutzumschlag Angebote und Kontakt Präsentation der Pädago- ISBN 978-3-8353-1116-9 Pädagogische Zentrum hat die Aufgabe, die- und Fotos zur Verfolgung jüdischer Deut- Pädagogischen Zentrum weiterführen. Eines der eindrucksvollsten Zeugnisse se Themen voneinander abzugrenzen, und scher und zur Ermordung der europäischen Die Lehre an der Goethe-Universität gischen Materialien Nr. 03 jiddisch schreibender Autoren aus dem Das Pädagogische Zentrum so zu helfen, sie genauer kennenzulernen. Juden in den Jahren 1933–1945. wird Monica Kingreen allerdings aufge- Holocaust. Frankfurt am Main ist eine Das Pädagogische Zentrum unterstützt Bereits seit einigen Jahren ist ein zweites ben, am Ende des Sommersemesters haben Dagi Knellessen Susanna Schrafstetter gemeinsame Einrichtung des Fritz Bauer In- Schulen bei der Beschäftigung mit jüdischer Web-Portal online, das Monica Kingreen nicht sich viele Studierende sehr betrübt von ihr Novemberpogrome 1938 Flucht und Versteck stituts und des Jüdischen Museums Frankfurt. Geschichte und Gegenwart sowie bei der nur konzipiert hat, sondern weiter betreuen verabschiedet. »Was unfassbar schien, ist Wirklichkeit« Untergetauchte Juden in München – Das Pädagogische Zentrum verbindet Annäherung an die Geschichte und Nach- wird: www.vor-dem-holocaust.de. In diesem Studientag am 10. November 2015 im Verfolgungserfahrung und Nachkriegsalltag zwei Themenfelder: jüdische Geschichte geschichte des Holocaust. Hierzu bietet es Portal spiegeln sich die seit Jahrzehnten auf- Pädagogischen Zentrum Frankfurt 336 S., 11 Abb., geb., Schutzumschlag und Gegenwart sowie Geschichte und Nach- Lehrerfortbildungen und Lehrveranstaltun- gebauten Kontakte, die Monica Kingreen zu ISBN 978-3-8353-1736-9 geschichte des Holocaust. Sein zentrales gen an der Goethe-Universität Frankfurt, Überlebenden des Holocaust pfl egt, die aus Die Novemberpogrome im Über die unterge- tauchten Juden in Anliegen ist es, Juden und jüdisches Leben Workshops und Studientage an Schulen den jüdischen Landgemeinden Hessens stam- Sophie Schmidt neu am Jahr 1938 stehen für die München, die wäh- nicht ausschließlich unter dem Gesichts- und für Institutionen der Jugend- und Er- men. Eine unendliche Zahl von Bildern und Pädagogischen Zentrum ersten gezielten Gewaltexzesse gegen das rend des Holocaust punkt der Verfolgung und des Antisemitis- wachsenenbildung sowie themenbezogene dazugehörenden Lebensgeschichten sind an deutsche Judentum im gesamten Deutschen vor den Deportatio- nen flüchteten, sowie mus zu betrachten. Ein gemeinsames päda- Führungen, Vorträge, Unterrichtsmaterialien diesem Ort im Internet zu entdecken. Reich. Ausgehend von diesem historischen deren Erfahrungen in gogisches Zentrum für jüdische Geschichte und Beratung an. Begleitend zu den aktuel- Das Netzwerk, das Monica Kingreen Wir freuen uns, dass wir Moment, stellt das Materialheft die Ent- der Nachkriegszeit. und Gegenwart auf der einen und Geschich- len Ausstellungen des Jüdischen Museums pfl egt, umfasst nicht nur die Überlebenden nach der Pensionierung von wicklungen zwischen 1933 und 1938 aus te und Nachgeschichte des Holocaust auf der Frankfurt gibt es Fortbildungen mit Pers- und ihre Nachkommen. Auch all die Initiati- Monica Kingreen eine Mitarbeiterin für das der Perspektive der deutschen Juden dar. Freilegungen anderen Seite bietet die Chance, folgende pektiven für den Unterricht. ven, die Archive, die sich mit der Geschichte Pädagogische Zentrum gefunden haben, die Im Zentrum stehen ihre Reaktionen auf die Spiegelungen der NS-Verfolgung Themen differenziert zu bearbeiten: Hessens und des Holocaust befassen, gehö- mit neuen Perspektiven und einem frischen nationalsozialistische antijüdische Gewalt- und ihrer Konsequenzen › Deutsch-jüdische Geschichte im europä- Kontakt ren dazu. Das sind nicht Institutionen, son- Blick an unsere Arbeit herangeht. politik, die mit den Pogromen im November Hg. von Rebecca ischen Kontext Pädagogisches Zentrum Frankfurt dern Menschen, mit denen unsere Kollegin Sophie Schmidt hat zuletzt an der Fried- 1938 einen Höhepunkt erreichte, der trotz Boehling, Susanne Urban, Elizabeth Anthony › Jüdische Gegenwart – Religion und Kultur Seckbächer Gasse 14 in dauerndem Austausch steht. Immer wie- rich-Ebert-Schule in Frankfurt am Main, ei- der existenzbedrohenden Erfahrungen der und Suzanne Brown- 60311 Frankfurt am Main Fleming. Unter Mitarbeit › Holocaust – Geschichte und Nachge- Tel.: 069.212 742 37 der ist es eine Entdeckung, das Bild eines ner Integrierten Gesamtschule, gearbeitet. vorangegangenen fünf Jahre für die meisten von Henning Borggräfe schichte [email protected] oft im Holocaust ermordeten Menschen, das Sie bringt Erfahrung als Mitarbeiterin von nicht vorstellbar gewesen war. Jahrbuch des Inter- national Tracing Service › Antisemitismus und Rassismus www.pz-ffm.de sie auf diese Weise in die Gegenwart holt. Frank Nonnenmacher an der Goethe-Univer- An dem Studientag stellt die Autorin (Hg. i.A. des International Tracing Service Bad Wir werden sie im Alltag vermissen, ihr sität Frankfurt ebenso mit wie Praxiswissen die Quellen und Arbeitsvorschläge vor und Arolsen), Bd. 04 Die deutsch-jüdische und europäisch-jüdi- Engagement und ihre Begeisterung für die einer Lehrerin aus Unterricht und Projekten erprobt sie mit den Teilnehmenden. 279 S., 26 Abb., brosch. sche Geschichte wird meist vom Verbrechen Sache. Dankenswerterweise wird sie ihre Pro- zur NS-Geschichte in Frankfurt am Main. Ankündigung des Materialhefts auf S. 13 f. ISBN 978-3-8353-1657-7 des Holocaust aus betrachtet, das ist gerade jekte fortführen, da wird der neue Lebensab- An ihrer Schule hat sie zuletzt Zeitzeugenge- in Deutschland nicht anders denkbar. Die schnitt wenig ändern. Als freie Mitarbeiterin spräche mit Bewohnern der Senioren-Wohn- Anmeldung Gottfried Kößler Dominanz des Holocaust prägt die An- bleibt sie dem Pädagogischen Zentrum ver- anlage und des Pfl egeheims der Henry und Pädagogisches Zentrum Frankfurt www.wallstein-verlag.de näherung an alle genannten Themen, und bunden. Auch ihre regionalgeschichtlichen Emma Budge-Stiftung organisiert. [email protected]

92 Pädagogisches Zentrum Einsicht 14 Herbst 2015 93 Nachrichten und Berichte Information und Kommunikation

Tagungsbericht Jost vor allem an Hand des ›Kulturbundes Religion: Diskurse – Deutscher Juden Bezirk Rhein-Main‹, einer 1933/34 gegründeten Zwangsorganisation Refl exionen – für jüdische Kultur, nach. […] Und das ist Bildungsansätze ihm in hervorragender Weise gelungen, vor allem weil er mit großer Souveränität, ana- Bericht zur 6. Tagung der Reihe lytischer Präzision und zugleich sprachli- »Blickwinkel. Antisemitismuskritisches cher Sensibilität stets das größere Ganze im Forum für Bildung und Wissenschaft«, Blick hat. […] Mit seiner Studie über das Kassel, 8. und 9. Juni 2015 ›Jüdische Kulturleben in Frankfurt am Main in den 1930er Jahren‹ hat Martin Jost eine Ausgehend von der Wahr- beachtliche Forschungsleistung erbracht.« nehmung, dass bei der Aus- Das Fritz Bauer Institut gratuliert zu dieser einandersetzung mit Antisemitismus wei- verdienten Auszeichnung. terhin eine externalisierende, reduzierende Problemsicht dominiert, hatte die Veranstal- Aus dem Institut tung das Ziel, eine grundsätzliche Auseinan- Klaus Holz (Evangelische Akademien in Deutschland, Berlin) bei seinem Vortrag »Religion und Nation: dersetzung mit Interdependenzen zwischen Antisemitismus im deutschen Protestantismus«. Foto: Franz Ferdinand Photography historiae faveo-Preis 2015 Religion und Antisemitismus anzustoßen. Auszeichnung für Die Diskussionen und Vorträge der Tagung »Wir« konstruierenden – Akteurinnen und – Verfl echtungen?«, 22. und 23. September Martin Jost vermochten die zuschreibenden Mechanis- Akteuren in Bildung, Verwaltung, Gesetz- 2014 in Jena) herausgearbeitete Relevanz men zwar (auch) nicht vollständig zu über- gebung und Politik nicht wahrgenommen, des Theoriekonzepts des Otherings wurde in winden, sorgten aber für Differenzierungen besteht die Gefahr der wiederum häufig dem abschließenden Vortrag von Julia Eks- Der historiae faveo-Preis, und klärende Erkenntnisse. Dabei wurden verdeckten Anschlüsse an antisemitische ner (Frankfurt University of Applied Scien- mit dem der Förder- und vielfach unausgesprochene, unhinterfragte Konstruktionen und antimuslimischen Ras- ces, Frankfurt am Main) und Saaba Cheema Alumniverein der Geschichtswissenschaften Grundannahmen über die Verfasstheit der sismus. Umgekehrt kann eine kritische Aus- (Bildungsstätte Anne Frank, Frankfurt am an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Gesellschaft irritiert und zentrale Fragen einandersetzung mit den Fehlannahmen der Main) herausgearbeitet. Frankfurt am Main jährlich eine hervorra- aufgeworfen: Welche Relevanz hat Reli- Säkularität und den daraus resultierenden Die Reihe »Blickwinkel. Antisemi- gende Abschlussarbeit auszeichnet, ging gion als Kategorie der In- und Exklusion? Problematiken zu einer größeren Sensibilität tismuskritisches Forum für Bildung und 2015 an Martin Jost. Jost erhielt den mit Welche Auswirkung hat dies auf die Wahr- und damit für einem bewussteren Umgang Wissenschaft« wird von der Stiftung Er- 1000 Euro dotierten Preis auf einstimmi- nehmungen, Haltungen und Alltagspraxen mit aktuellen Formen des Antisemitismus innerung, Verantwortung und Zukunft, der gen Beschluss des Direktoriums des His- in pädagogischen Räumen? Wer spricht wie und antimuslimischen Rassismus beitragen. Bildungsstätte Anne Frank, dem Zentrum torischen Seminars der Goethe-Universität über wen? Wer wird dabei markiert? Wer Zentral scheint in diesem Zusammenhang für Antisemitismusforschung und dem Pä- für seine Magisterarbeit über »Jüdisches bleibt dabei ungenannt und wird damit als zu sein, ob die Schlüsselakteure die Be- dagogischen Zentrum des Fritz Bauer Insti- Kulturleben in Frankfurt am Main in den selbstverständlich – weil einer konstruierten reitschaft entwickeln, ihre antireligiösen tuts und des Jüdischen Museums Frankfurt 1930er Jahren«. Die von Prof. Dr. Christoph Norm entsprechend – zugeordnet und da- Haltungen – die sich insbesondere in der veranstaltet. Cornelißen und Prof. Dr. Raphael Gross be- Von links: Laudator Prof. Dr. Dieter Hein, Dr. Martin L. Müller, Vorsitzender des Förder- und Alumnivereins durch privilegiert? Und welche Bedeutung Abwehr von als muslimisch markierter Re- Die nächste Tagung ist für Juni 2016 zum treute Studie ging aus dem am Fritz Bau- historiae faveo, und Preisträger Martin Jost. Foto: Werner Lott spielt dabei die Vorstellung der Säkularität? ligiosität zeigen – zu bearbeiten. Thema »Alltagskommunikation« geplant. er Institut bearbeiteten Projekt »Die Aus- Die Tagung konnte eine kritische Aus- Die Tagung formulierte erneut die Not- schaltung der Juden aus dem Kulturleben Einer Blütezeit deutsch-jüdischer Kultur in Martin Jost, M.A., geb. 1987, von 2008 bis einandersetzung mit zu wenig beachteten, wendigkeit, die Blickrichtungen und For- Kontakt im ›Dritten Reich‹«, geleitet von Dr. Jörg den Jahren der Weimarer Republik folgte 2015 Studium der Geschichte, Soziologie und unhinterfragten Grundannahmen anstoßen. schungsinteressen einer kritischen Prüfung Bildungsstätte Anne Frank e.V. Osterloh, hervor. Die Preisverleihung fand unter dem NS-Regime die radikale Ausgren- Politologie an der Goethe-Universität Frank- Wichtigster Befund: Die Gesellschaft in zu unterziehen. Explizit wurde gefordert, Ricarda Wawra am 16. Juli 2015 im Rahmen der jährlichen zung jüdischer Künstler aus dem deutschen furt; von 2011 bis 2015 studentischer Mitar- Hansaallee 150 Deutschland ist keine säkulare. Christliche pädagogisch Handelnde aus Schule und 60320 Frankfurt am Main Absolventenverabschiedung des Histori- Kulturleben und später deren physische Ver- beiter am Fritz Bauer Institut, seit 1. Oktober Einfl üsse und Wissensbestände sind vielfach Jugendarbeit, die nichtjüdisch und nicht- Tel.: 069.56000-233, Fax: -250 schen Seminars statt. nichtung. Wie unter diesen Bedingungen ein 2015 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dok- – aber sehr verdeckt – wirkmächtig. Aus muslimisch positioniert sind, in den Mittel- [email protected] In seiner Laudatio sagte Prof. Dr. Die- jüdisches Kulturleben weiter aufrechterhal- torand am Simon-Dubnow-Institut in Leipzig. dieser Erkenntnis lassen sich wichtige Im- punkt des Forschungsinteresses zu rücken. www.bs-anne-frank.de ter Hein: »Jüdisches Kulturleben fand in ten werden konnte, wie es organisiert war, pulse ableiten: Werden die »verschleierten Tatsächlich liegen nur wenige Daten hierzu Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahr- welchen kulturellen Leitbildern es folgte historiae faveo – Förder- und christlichen Einfl üsse« von den – sich in der vor. Die bereits in der vorangegangenen Christa Kaletsch hunderts – das ist uns allen präsent – unter und welche künstlerischen Leistungen er- Alumniverein Geschichtswissenschaften Regeln selbstverständlich als dominantes Tagung (»Antisemitismus und Rassismus Frankfurt am Main extrem unterschiedlichen Bedingungen statt: bracht wurden, diesen Fragen geht Martin www.historiae-faveo.de

94 Pädagogisches Zentrum Einsicht 14 Herbst 2015 95 Aus dem Institut Hauck und sein Schwiegersohn Oliver Puhl Aus dem Institut Aus dem Förderverein Verbrechen des Nationalsozialismus beteiligt möchten durch ihre großzügige Förderung war. Vor diesem Hintergrund steht die Frank- Dr. Nicolas Berg darauf hinwirken, dass die Erforschung des Neue Mitarbeiterin Leitungswechsel am furter Universität in der besonderen Pfl icht, Gastprofessur für Holocaust und seiner Wirkung bis heute als Laura S. Tittel Fritz Bauer Institut den Holocaust aufzuarbeiten und sein Fort- interdisziplinäre Forschungsschwerpunkt an der Frankfur- Neue Holocaust- und wirken bis in die Gegenwart zu untersuchen. ter Goethe-Universität nachhaltig gestärkt Ermöglicht dank der großzügigen Fi- Holocaustforschung wird. Die Gastprofessur wird – zunächst Gastprofessur nanzierung durch das Hessische Ministe- befristet auf fünf Jahre – jährlich für je- rium für Wissenschaft und Kunst, konnte Im April 2001 wurde die am weils ein Semester an eine/n interdisziplinär Zum 30. April 2015 hat Prof. die in der Bundesrepublik Deutschland Fritz Bauer Institut angesie- arbeitende/n Wissenschaftler/in vergeben, Dr. Raphael Gross die Lei- einmalige »Professur zur Erforschung der delte »Gastprofessur für interdisziplinäre mit Forschungsschwerpunkt in der der sozi- tung des Fritz Bauer Instituts abgegeben. In Geschichte und Wirkung des Holocaust« Holocaustforschung« erstmals eingerichtet. al-, geistes- oder humanwissenschaftlichen der Nachfolge von Prof. Dr. Dan Diner ist inszwischen ausgeschrieben werden. Spä- Zum Wintersemester 2015/2016 wird die Perspektive zur Erforschung der Geschichte er seit 1. April 2015 Direktor des Simon- testens bis zum 1. Januar 2017 soll sie seit 2012 ausgesetzte Gastprofessor wieder und Wirkung des Holocaust. Dubnow-Instituts für jüdische Geschichte besetzt sein. Eingerichtet am Historischen aufgenommen. Dr. Nicolas Berg, leitender Zum Auftakt der Gastprofessur möch- und Kultur sowie Inhaber des Lehrstuhls Seminar, Fachbereich Geschichtswissen- wissenschaftlicher Mitarbeiter am Simon- ten wir Sie zu einem öffentlichen Vortrag für Jüdische Geschichte und Kultur an der schaften der Frankfurter Universität, wird Dubnow-Institut für jüdische Geschichte von Nicolas Berg einladen. Am 19. Novem- Universität Leipzig. Der Vorstand des För- sie zugleich verbunden sein mit der Position und Kultur in Leipzig, wird im Oktober sei- ber 2015 spricht er über »Das Ich im Wir – Seit Anfang April 2015 dervereins bedauert das Ausscheiden des der/des Direktorin/Direktors des Fritz Bauer ne Lehrtätigkeit an der Frankfurter Goethe- Victor Klemperer, Anna Seghers und Hans arbeitet Laura S. Tittel als langjährigen Direktors des Fritz Bauer Ins- Instituts, das seinen Status als unabhängiges GIDEON GREIF, Universität aufnehmen. Mayer in der frühen DDR« . Mehr zu diesem wissenschaftliche Hilfskraft im Rahmen des tituts außerordentlich. An-Institut beibehält. ITAMAR LEVIN Der Dank für die Wiederaufnahme Vortrag und zu den Lehrveranstaltungen im Forschungsprojekts »Deutsch-israelische Als derzeitige Vorsitzende des Stif- Das ist eine erfreulich positive Ent- AUFSTAND IN der Gastprofessur gebührt dem Engage- Rahmen der Gastprofessur fi nden Sie auf Beziehungen in den Geisteswissenschaften tungsrats war es mir sehr wichtig, die her- wicklung, die dem Institut eine dauerhafte AUSCHWITZ ment zweier Frankfurter Bürger: Michael den Seiten 6 f. zwischen 1970 und 2000. Studie zu Wis- vorragende Reputation des Instituts – die Perspektive für seine weitere Forschungs- DIE REVOLTE DES senschaft und Bilateralität« am Fritz Bauer unter der Leitung von Raphael Gross noch und Vermittlungsarbeit bietet. Dafür gebührt JÜDISCHEN Institut. gewachsen ist – durch das Finden einer ge- allen Beteiligten großer Dank! »SONDERKOMMANDOS« eignete Nachfolgelösung zu sichern. Mit Noch eine weitere positive Nachricht AM 7. OKTOBER 1944 Laura S. Tittel, geboren 1988; 2012 Ba- der neuen Präsidentin der Johann Wolf- habe ich zu vermelden: Die Frankfurter Bür- 2015. CA. 390 S. CA. 30 S/W-ABB. GB. chelor-Abschluss in Europäischen Studi- gang Goethe -Universität Frankfurt am ger Michael Hauk und Oliver Puhl erklärten CA. € 24,99 [D] | CA. € 25,70 [A] en mit den Fächern Sozialwissenschaften, Main, Birgitta Wolff, und dem Hessischen sich bereit, für fünf Jahre eine Gastprofessur ISBN 978-3-412-22473-8 Rechtswissenschaften, Neuere und Neueste Minister für Wissenschaft und Kunst, Boris am Fritz Bauer Institut zu fi nanzieren. Vor Gideon Greif und Itamar Levin Geschichte, Englisch und Spanisch an der Rhein, ist es gelungen, die erste Professur einigen Jahren musste diese vorübergehend schildern auf der Grundlage zahl- Universität Osnabrück (Bachelorarbeit: Kri- für interdisziplinäre Holocaustforschung in ausgesetzt werden. Jeweils für ein Semester tik der Menschenrechte bei Marx); seit 2012 Deutschland ins Leben zu rufen; diese soll pro Jahr wird nun wieder ein Gastwissen- reicher, zum Teil unveröffentlichter Master-Studium der Politischen Theorie an die Leitung des Instituts mit einschließen. schaftler oder eine Gastwissenschaftlerin die Aussagen von Überlebenden den der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Die Goethe-Universität ist vor hundert Lehre und Forschung am Institut verstärken. Aufstand der jüdischen Frauen und TU Darmstadt und Virginia Tech (Blacks- Jahren wesentlich von jüdischen Mäzenen Für dieses überaus großzügige Zeichen bür- Männer des »Sonder kommandos« burg, VA, USA); 2014 Graduate Teaching als Stiftungsuniversität gegründet worden. gerschaftlichen Engagements unseren herz- am 7. Oktober 1944 in Auschwitz. Assistant am Department of Political Sci- Im Nationalsozialismus verlohren alle jü- lichen Dank! Sie rekonstruieren die Ereignisse ence an der Virginia Tech als Stipendiatin dischen Wissenschaftler ihre Lehrbefugnis So sind in einer durch den Leitungs- und verschaffen dem einzigen des DAAD und ISEP. Forschungsinteressen: und mußten die Hochschule verlassen. Vie- wechsel bedingten Umbruchsituation des bewaffneten Aufstand in der Kritische Theorie der Gesellschaft, Antise- le gingen in die Emigration, andere wurden Fritz Bauer Instituts durch Überzeugungs- Geschichte des Lagers den ihm mitismusforschung, Europäische Ideenge- verschleppt und ermordet. Das IG Farben- arbeit, Hartnäckigkeit und den guten Willen schichte seit der Aufklärung, Deutsch-isra- Haus auf dem Campus Westend, heute Sitz aller Beteiligten Lösungen für das Institut gebührenden Platz in der Erinne- elische Beziehungen. der geistes- und kulturwissenschaftlichen gefunden worden, die ihm eine stabile und rung an den Holocaust. Fachbereiche der Goethe-Universität wie inhaltlich spannende Zukunftsperspektive Kontakt auch des Fritz Bauer Instituts, war die Kon- eröffnen. Das erfüllt mich mit großer Freude. Laura S. Tittel zernzentrale der IG Farbenindustrie, eines Fritz Bauer Institut WWW.BOEHLAU-VERLAG.COM Tel.: 069.798 322-60 der führenden Chemiekonzerne der Zwi- Jutta Ebeling, Vorsitzende Dr. Nicolas Berg auf der Buchmesse in Leipzig im März 2015. Foto: Simon-Dubnow-Institut, Leipzig l.tit [email protected] schenkriegszeit, der maßgeblich an den Für den Vorstand

96 Nachrichten und Berichte Einsicht 14 Herbst 2015 97 Aus Kultur und Wissenschaft mit seiner Dichtung, seinen Drogenexpe- Smith und ihren Gitarristen und Komponis- rimenten und seiner spirituellen Sinnsuche ten Lenny Kaye, die Dictators (»Master Ra- »We are giving schon in den sechziger Jahren Musiker wie ce Rock«) und die Ramones (»I’am a Nazi them Treblinka« Bob Dylan, Leonard Cohen und Lou Reed. Schatze«), die Neon Boys (deren Frontman Punk und Jewish Radical Lou Reed, geboren als Lewis Allan Rabi- Richard Hell einen jüdischen Vater hatte), nowitz in eine jüdische Familie in Brooklyn, MC5 und ihren Produzenten Danny Siegel rebellierte früh gegen das Elternhaus, wurde und gewissermaßen auch die Sex Pistols. Überarbeitete Fassung von zwei Texten aus dem wegen »Verdachts auf Homosexualität« in Deren Manager Malcolm McLaren, der Katalog der Ausstellung »Jukebox. Jewkbox! psychiatrische Behandlung geschickt und bei seiner jüdischen Großmutter aufgewach- Ein jüdisches Jahrhundert auf Schellack & Vinyl« des Jüdischen Museums Hohenems in Zusammen- studierte in Syracuse Literatur bei Delmor sen war, einer erklärten Nonkonformistin aus arbeit mit dem Jüdischen Museum München, Schwartz, dem früheren Herausgeber der traditioneller jüdischer Familie, brachte An- kuratiert von Hanno Loewy. legendären Partisan Review.3 Reed wurde fang der 1970er Jahre in London Subkultur Songschreiber für das Plattenlabel Pickwick und Mainstream durcheinander.5 Mit Vivien Der legendäre New Yorker Records und ihre Tanzmusiker, doch schon Westwood und ihrer gemeinsamen Boutique Rock-Club CBGB (sein ein Jahr später gründete er mit John Cale The »Let it Rock« experimentierte er mit Punk, Name – CBGB OMFUG – stand für »Coun- Primitives, dann The Velvet Underground, Nazi-Chic, Bondage und politischen Slogans try, Bluegrass, Blues and Other Music For die radikalste Herausforderung, die die Pop- auf T-Shirts. Die Sex-Pistols waren seine Uplifting Gormandizers«) wurde 1973 von Musik bis dahin erlebte. 1992 schaut Reed Kreation. Und gemeinsam ließen sie keine Hillel (Hilly) Kristal, einem Sohn russisch- in seinem Song »Harry’s Circumcision« in Gelegenheit aus, das Königshaus und den jüdischer Einwanderer gegründet. Der Club den Spiegel und entdeckt, das Rasiermesser guten Geschmack herauszufordern. gilt heute als die Keimzelle von Punk und in der Hand, dass er seinem Vater ähnlich zu Auch Serge Gainsbourg, der Chansonier, New Wave.1 sehen beginnt. »I wish I didn’t have this no- Songwriter und Schriftsteller, der 1969 mit Alan Vega (Boruch Alan Bermowitz), se.« Und führt die Beschneidung auf radikale seinem erotischen »Je t’aime. Moi non plus« Plattencover: The Ramones Klezmer Punk: Daniel Kahn & the Painted Bird der Sänger der Band Suicide, nannte den Weise an sich selbst durch. Die Punks woll- ganz Frankreich in Rage versetzt hatte, fl irtete Club »one big synagogue«. »We are giving ten der Alptraum ihrer Eltern werden. Für 1975 mit dem Punk und schockierte sein Pub- them Treblinka« sagte er über ihre eigene eine jüdische Familie nach dem Holocaust likum mit dem Album »Rock around the Bun- Ramone trat auch als Fan von George W. mit Jerry Goldstein und Bob Feldman zu- so wenn Fat Mike und die Punkrock-Band aggressive Musik – die den Punk schon bedeutete das der ultimative Tabubruch. ker«, dessen Lieder wie »Yellow Star« seine Bush senior auf, was seinen Bandkollegen sammengearbeitet und auch die erste Platte NOFX von Hebrew skinheads schwärmen: 1970 vorwegnahm und bittere Kritik an Für Lou Reed und die deutsche Sänge- eigene jüdische Geschichte und die deutsche gallige Kommentare entlockte. Ihre Texte von Blondie produziert. Stein hatte vorher »Friday night we’ll be drinkin’ Manishe- der amerikanischen Politik übte. Wie viele rin Nico galt dasselbe wie für die meisten Besatzung Frankreichs thematisierten.6 jedenfalls waren auf der Höhe der Spannung, für Syd Nathan (King Records), dann für witz … / Stompin’ shaygetz, screwin’ shiksas andere Jewish Radicals gehörte Vega zur Punkbands und New Wave Formationen, Emblematisch für die Geschichte des die sie elektrisierte. Der Refrain ihres Liedes Jerry Leiber (Red Bird Records) gearbeitet, … / Cause hey, we’re the Brews / Sportin’ anti- amerikanischen Subkultur, die sich in den die in den siebziger Jahren entstanden, sie Punk blieben aber The Ramones.7 Sie be- »Commando« lautete: »First rule is, ›The allesamt jüdische Musikproduzenten, wie swastika tattoos … / Oi Oi we’re the Brews / 1960er Jahren gegen die repräsentativen brachten jüdische und nichtjüdische Musi- gann 1974 im »Performance Studio« des laws of Germany‹ / Second rule is, ›Be nice Tommy Ramone oder Chris Stein, der Grün- The Fairfax ghetto boys skinhead Hebrews.« Institutionen aufl ehnte. Er gehörte zur Art ker gemeinsam auf die Bühne, die der ersten Produzenten Tamas Erdelyi, einem Sohn to mommy‹ / Third rule is, ›Don’t talk to com- der von Blondie. Mit Sire Records ist die Ironische Coverbands wie die australi- Worker’s Coalition, die 1969 das Museum Post-Holocaust-Generation angehörten, die ungarisch-jüdischer Holocaustüberleben- mies‹ / Fourth rule is, ›Eat kosher salamis‹.« Entdeckung vieler Musikgrößen verbunden, schen Jidcore parodieren den Punk mit ex- of Modern Art aus Protest verbarrikadierte.2 mit Nazi-Symbolen provozierten, mit sar- der, der unter dem Namen Tommy Ramone Mit Tommy Ramone starb 2014 das von den Ramones bis Madonna, von den plizit jüdischen Texten. Die kalifornische Für solche Querverbindungen zwischen kastischer Ironie Auschwitz thematisierten bald auch der erste Schlagzeuger der Band letzte Mitglied der Band, die jahrelang den Talking Heads bis zu The Cure. jüdische Skinhead-Formation Jewdriver pa- intellektuellem jüdischen Underground und und nach Berlin pilgerten. Als gelte es einen werden sollte. Auch Joey Ramone (Jeffrey Musikbetrieb, ihr Publikum und sich selbst Die Ramones aber sind eine Legende rodieren Blood and Honour. Brett Gurewitz musikalischem Radikalismus standen nicht Bann zu brechen. Hyman) stammte aus einer jüdischen Fami- mit aggressiver Musik und ebenso aggres- der Pop-Kultur geworden. Die unterschied- und die Punkband Bad Religion haben 2013 zuletzt Namen wie Allen Ginsberg und Mal- Diese Spannung prägte Blondie (damit lie. Ob ihr erster Hit »Blitzkrieg Bop« hieß, siven Texten aufpeitschte und provozierte. lichsten Bands, von Metallica bis zu den Red nun auch ihr Christmas-Album eingespielt. colm McLaren, Lenny Bruce und Tuli Kup- war nicht die Haartracht von Debbie Harry, weil Joey und Tommy ihre jüdischen Eltern Joey Ramone und Johnny Ramone starben Hot Chilli Peppers, KISS oder U2, nennen Und Jewrythmics aus Moskau und ferberg, Lou Reed und Serge Gainsbourg. sondern Hitlers Schäferhund gemeint) und ärgern wollten oder weil Johnny (ein erklär- 2001 und 2004 an Krebs, Dee Dee Ramone die Ramones heute ihre Inspiration. In Ber- touren durch Nachtklubs und Discos mit ei- Allen Ginsberg, der eloquente Fürspre- den jüdischen Gitarristen Chris Stein4, Patty ter Hitlerfan) und Dee Dee Ramone ihre starb 2003 an einer Überdosis Heroin. lin ist ihnen ein eigenes Museum gewidmet. ner Mischung von Jiddisch und Synthesizer, cher der Beatnik-Generation, beeinfl usste jüdischen Bandkollegen provozieren woll- Auch die Ramones hatten ihre ersten Die Beastie Boys, auch sie coole Disco und Techno. ten, wird nie mehr zu klären sein. Johnny Auftritte in Hilly (Hillel) Kristalls New jüdische Jungs aus New York, gingen schließ- In New York experimentieren hingegen Yorker Punk-Club »CBGB«, und ihre Alben lich vom Punk zum Hip Hop und Rap über. jüdische Musiker wie Mattisjahu oder der 3 Ebd., S. 32–50; Sascha Seiler, »›Ich kann nicht mehr wurden von Seymour Steins und Richard Die Band Sons of Abraham provozierte in Rapper Socalled seit 2000 immer wieder 1 Steven Lee Beeber, Die Heebie-jeebies im CBGB’S. mit Juden schlafen‹ Dichtung und Wahrheit bei Lou Gottehrers Plattenlabel Sire Record produ- den 1990er Jahren mit Jewish Straight Edge mit chassidischem Reggae und Rock, Rap Die jüdischen Wurzeln des Punk, Mainz 2008, Reed«, in: Jonas Engelmann u.a. (Hrsg.), We are ugly 5 Ebd., S. 227–245. S. 104–116. but we have the music, Mainz 2012, S. 172–182. 6 Ebd., S. 204 f. ziert. Gottehrer und Stein hatten sich 1966 Hardcore. Und bis heute kommt der Punk und Punk, so wie auch Moshiah Oi, eine 2 Ebd., S. 65–75. 4 Beeber, Die Heebie-jeebies, S. 182–195. 7 Ebd., S. 133–154. zusammengetan. Gottehrer hatte vorher immer wieder auf seine Ursprünge zurück, Punkformation die mit ihrem Plattenlabel

98 Nachrichten und Berichte Einsicht 14 Herbst 2015 99 Shabasa Records auch andere chassidische Ausstellung: Aus Kultur und Wissenschaft Menschlichkeit, der Strafrechtsreform und Punkbands veröffentlicht. »Jukebox. Jewkbox! Ein jüdisches des humanen Strafvollzugs, der Achtung Abseits solcher, zuweilen auch mo- Jahrhundert auf Schellack & Vinyl« Fritz Bauer und des Schutzes der Menschenwürde. Dazu disch-wechselnder Experimente ist John Studienpreis 2015 erklärte Bundesminister Maas: »Fritz Bauer Kriegsende Zorns Label Tzadik nun schon seit 1995 Von Donnerstag, 18. Februar bis Mittwoch, 29. Mai hat seinen Beruf als Richter und Staatsan- 2016 wird die Ausstellung im Museum für Kommu- Auszeichnung für eine kontinuierliche Plattform für das, was walt stets als Verpfl ichtung verstanden, sich in Europa nikation in Frankfurt am Main zu sehen sein. Nachwuchsjuristen er und eine lockere Gruppe jüdischer Mu- Museum für Kommunikation, Schaumainkai 53, für die Demokratie und die Menschenrechte siker in New York seit einem Manifest und 60596 Frankfurt am Main. Ausstellungspräsentation stark zu machen. Zu seinen Lebzeiten war er einem Festival in der Knitting Factory von in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum Am 1. Juli 2015 wurde im verfolgt, verhasst und umstritten. Heute ist 1992 Radical New Jewish Culture nennen. Frankfurt am Main. Begleitprogramm in Kooperation Rahmen einer Feierstunde Fritz Bauer ein Vorbild für alle Juristinnen mit dem Pädagogischen Zentrum des Fritz Bauer Von Zorns »Kristallnacht«-Projekt 1993 bis Instituts und des Jüdischen Museums Frankfurt. im Bundesministerium der Justiz und für und Juristen.« Der Preis wird alle zwei Jahre zu seinem Bandprojekt Masada halten die Verbraucherschutz in Berlin erstmals der zum Todestag Fritz Bauers am 1. Juli verlie- Produktionen des Labels eine Außenseiter- Ende des 19. Jahrhunderts veränderte ein »Fritz Bauer Studienpreis für Menschen- hen und ist mit 5.000 Euro dotiert. position, die inzwischen Gefahr läuft, selbst deutsch-jüdischer Emigrant in den USA die rechte und juristische Zeitgeschichte« ver- Die Vergabe des Preises erfolgte un- zum Kanon zu werden.8 Daneben sind es Welt. Mit Emil Berliners Erfi ndung des Gram- liehen. Bundesjustizminister ter Mitwirkung einer hochrangig besetzen Musiker wie Uri Caine in New York, die auf mophons und der Schallplatte hatte das Zeit- zeichnete zwei Nachwuchsjuristen für ihre Jury. Ihr gehören an: Christoph Flügge individuelle Weise Schnittstellen und Span- alter der Massenunterhaltung ihr erstes glo- herausragenden Doktorarbeiten aus. (Internationaler Strafgerichtshof für das nungen zwischen Jazz und jüdischer Tra- bales Medium gefunden. Einhundert Jahre Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im ehem. Jugoslawien, Den Haag), Prof. Dr. Jüdischen Museum Hohenems (19. Oktober 2014 dition, Klassik und Neuer Musik ausloten. lang waren Schellack und Vinyl die Tonträger bis 8. März 2015), im Jüdischen Museum München Dr. Arthur von Gruenewaldt aus Frank- Raphael Gross (Simon-Dubnow-Institut Das »Jüdische« der Jewish Radicals seit der populären Kultur. Auf ihnen verdichteten (25. März bis 22. November 2015) und im furt am Main erhält den Preis für seine für jüdische Geschichte und Kultur an den sechziger Jahren ist vielleicht doch vor sich alle Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, Museum für Kommunikation in Frankfurt am Main Dissertation »Die Richterschaft des Ober- der Universität Leipzig), Werner Koep- allem als produktive Spannung zu defi nie- seine Utopien und Katastrophen, Illusionen (18. Februar bis 29. Mai 2016): landesgerichts Frankfurt am Main in der Kerstin (Humanistische Union, Berlin), Prof. ren, als Spannung zur eigenen Tradition, zur und Hoffnungen. Die Schallplatte, massenhaft Hanno Loewy (Hrsg.) Zeit des Nationalsozialismus«. Seine Un- Dr. Beate Rudolf (Deutsches Institut für bürgerlichen Assimilation in der Diaspora reproduziert und am kollektiven Geschmack Jukebox. Jewkbox! tersuchung zeigt, wie willfährig sich die Menschenrechte, Berlin) und Prof. Dr. 256 S. mit ca 150 farb. Abb., und zum neuen Nationalismus Israels – und orientiert, war gleichzeitig Ausdruck von per- Ein jüdisches Jahrhundert auf Schellack & Vinyl Frankfurter Richterschaft gegenüber der Gerhard Werle (Humboldt-Universität zu 21 x 28 cm, geb. mit SU € 24,95. ISBN 978-3-8062-3061-1 nicht zuletzt zu den künstlerischen Aus- sönlicher Identität und Gegenstand eines Ri- Hohenems: BUCHER Druck Verlag Netzwerk, 2014 nationalsozialistischen Diktatur gezeigt hat Berlin). 312 S., reich illustriert, mit beiliegender Single, € 29,90 drucksformen ihrer jeweiligen Umgebung. tuals. Auch die jüdische Erfahrung des 20. Mit Essays von Caspar Battegay, Alan Dein, und zu Mittätern des Unrechts wurde. Der reich bebilderte Band zeigt Jahrhunderts hat auf Schallplatten ihren Aus- Fritz Bauer Studienpreis 2017 Helene Maimann und Raymond Wolff. Befreiung, Kriegsende und Hanno Loewy druck gefunden, von der Verwandlung syna- Beiträge von Timna Brauer, Vladimir Vertlib, Dr. Andreas Werkmeister wird für seine Die Bewerbungsfrist endet am 31. Dezem- unmittelbare Folgen für die Jüdisches Museum Hohenems gogaler Musik in bürgerlichen Kunstgenuss Lizzie Doron, Ari Rath, Cilly Kugelmann, Doktorarbeit zu »Straftheorien im Völker- ber 2016, die Preisverleihung erfolgt zum Marian Fuks, Barbara Kirshenblatt-Gimblett, Menschen in Deutschland, bis zur Neuerfi ndung jüdischer Folkmusic, recht« ausgezeichnet. Seine Arbeit knüpft an 1. Juli 2017. Michael Asch u. v. a. Österreich, Frankreich, Hanno Loewy, Dr. phil, geboren 1961 in von der Karriere jiddischer Theaterlieder auf Auch als englische Ausgabe erhältlich. die Bemühungen Fritz Bauers an, mit Hilfe Luxemburg, Belgien, den Frankfurt am Main, Literatur- und Filmwis- dem Broadway bis zur Rebellion des Punk. ISBN: 978-3-99018-296-3 (Deutsche Ausgabe) des Völkerstrafrechts staatliches Unrecht zu Website zum Studienpreis senschaftler, Ausstellungsmacher und Pub- Die Geschichte der Schallplatte ist auch ISBN: 978-3-99018-297-0 (Englische Ausgabe) ahnden. www.bmjv.de/fritz-bauer Niederlanden, Großbritannien, lizist. 1995 bis 2000 Gründungsdirektor des eine Geschichte jüdischer Erfi nder, Musiker, Dänemark, Norwegen, Polen, Kontakt der Sowjetunion und der Fritz Bauer Instituts, Frankfurt am Main, bis Komponisten, Produzenten und Songwriter. Jüdisches Museum Hohenems Der Fritz Bauer Studienpreis wurde 2014 Kontakt 2003 Leiter der dortigen Abteilung für Er- Ihre Musik – der allgegenwärtige Sound des Hanno Loewy, Direktor von Justizminister Heiko Maas gestiftet, um Bundesministerium der Justiz Tschechoslowakei. und für Verbraucherschutz innerungskultur und Rezeptionsforschung. 20. Jahrhunderts mit seinen bekanntesten Villa Heimann-Rosenthal an Fritz Bauer (1903–1967), den einstigen Dabei werden politische und Schweizer Str. 5 Dr. Heiko Holste Seit 2004 Direktor des Jüdischen Museums Songs, Musicals und Filmmusiken – war 6845 Hohenems, Österreich hessischen Generalstaatsanwalt und Initiator Mohrenstr. 37 gesellschaftliche Entwicklungen Hohenems in Österreich. Seit 2011 Präsident nicht immer »jüdische« Musik, aber immer Tel.: +43-(0)5576.73989-0 der Frankfurter Auschwitz-Prozesse, zu er- 10117 Berlin aufgezeigt und ein spannender der Association of European Jewish Muse- auch ein Produkt jüdischer Geschichte und Fax: +43-(0)5576.77793 innern. Mit dem Preis sollen Nachwuchsju- Tel.: 030.1858090-57 Einblick in das Alltagsleben der ums. Seit 2001 Lehrbeauftragter an der Uni- Erfahrung. »Jukebox. Jewkbox!« präsentiert offi [email protected] risten motiviert werden, sich mit der Person Fax: 030.1858090-46 www.jm-hohenems.at [email protected] Menschen gewährt. versität Konstanz. Gastdozenturen in Essen diese Geschichte von den ersten Grammo- und dem Wirken Fritz Bauers zu befassen. www.bmjv.de/fritz-bauer und an der Rutgers University, New Jersey. phonen und Schellackplatten bis zur Auf- Ausstellungsstation Frankfurt am Main Ausgezeichnet werden herausragende juris- lösung des Mediums im World Wide Web Museum für Kommunikation tische Doktorarbeiten, die sich mit Leben – eine Entdeckungsreise durch unbekannte Monique Behr und Werk Fritz Bauers oder seinen Le- Welten der populären Kultur, begleitet von Schaumainkai 53 bensthemen beschäftigen, also insbesondere 8 Andreas Stuhlmann, »Radical Jewish Noise. John 60596 Frankfurt am Main Zorn, New York und ein Sabbat im Paradies«, in: persönlichen Erzählungen über Schallplatten, [email protected] der juristischen Ahndung des NS-Unrechts Engelmann (Hrsg.), We are ugly, S. 183–204. die manches Leben verändert haben. www.mfk-frankfurt.de und anderer Massenverbrechen gegen die

100 Nachrichten und Berichte Einsicht 14 Herbst 2015 101 Aus Kultur und Wissenschaft einer großen Reihe alle zehn Filme des › D ER LETZTE JUDE VON DROHOBYTSCH und putzt. »Bis zu den 1980er Jahren waren dieser Diskussion hat Lanzmann mit sei- Projekts »Asynchron. Dokumentar- und Paul Rosdy, Österreich 2011, 94 min Filme wie dieser Ausnahmen im israelischen nem Dokumentarfi lm einen herausragen- Asynchron. Dokumentar- Experimentalfi lme zum Holocaust«, die Alfred Schreyer (1922–2015) erzählt die Kino. Zeugnisse der eigenen Machtlosig- den, radikalen und formal strengen Beitrag und Experimentalfi lme neu digitalisiert oder digital angekauft Geschichte seiner Familie – über ein Jahr- keit und der persönlichen Trauer waren rar geleistet. Er spricht mit Zeugen des Mas- zum Holocaust wurden. Die Vorführungen werden be- hundert voller Tragik und Lebensmut. Als in einer Gesellschaft, die Stärke fi nden und senmordes in den Vernichtungslagern und gleitet von einem Rahmenprogramm mit Einziger aus seiner Familie überlebte er den repräsentieren wollte.« (Sonja M. Schultz) Überlebenden des Warschauer Ghettos, mit Aus der Sammlung des internationalen FilmemacherInnen und Holocaust und kehrte in seine Heimatstadt › M E‘KIVUN HA‘YAAR Tätern, Zuschauern und jüdischen Überle- Arsenal – Institut für Film WissenschaftlerInnen, von Filmgesprä- Drohobytsch in der heutigen Ukraine zu- (Stimmen aus dem Wald) benden der Sonderkommandos. Lanzmann und Videokunst e.V. chen mit internationalen Gästen, Ein- rück. Viele Jahre war er Sänger und Violinist Limor Pinhasov Ben Yosef, Yaron Kaftori fragt nicht nach dem Warum, sondern nach führungen und einer Podiumsdiskussion im örtlichen Kinofoyer-Orchester. Das ein- Ben Yosef, Israel 2003, 94 min dem Wie. Beharrlich und sachlich erkundigt zum Umgang mit der Erinnerung an den zige Lied, das er je selbst komponierte, heißt Zwischen 1941 und 1944 wurden in Ponar, er sich nach einer Fülle von Details. Der Das Gedenken an die Opfer Holocaust. »Bronitza Wald«. In diesem Wald wurden einem Dorf in der Nähe von Vilnius, mehr Film kommt gänzlich ohne Kommentar und des Nationalsozialismus ist über 11.000 Juden erschossen, unter ihnen als 100.000 Menschen, zum größten Teil Archivmaterial aus und zeigt keinen einzi- ein Thema, das für das Arsenal – Institut Bundesweite Präsentation der Filme Schreyers Mutter. Juden, ermordet. Kazimierz Sakowicz, ein gen Toten. Stattdessen führt er an die Orte für Film und Videokunst von besonderer des Projekts – teilnehmende Kinos: › H A‘MAKAH HA‘SHMONIM VE‘AHAT Einwohner von Ponar, dokumentierte die der Vernichtung in der Gegenwart. Bedeutung ist, bildet doch die fi lmische › Berlin, Kino Arsenal (Der 81. Schlag) Erschießungen ebenso wie das Alltagsle- › S OBIBOR, 14 OCTOBRE 1943, 16 HEURES Auseinandersetzung mit dem Holocaust seit › Bielefeld, Off Kino David Bergman, Jacques Ehrlich, Haim ben im Ort in Tagebucheinträgen auf Zet- Claude Lanzmann, Frankreich 2001, 100 min der Vereinsgründung einen thematischen › Frankfurt am Main, Kino des Deutschen Gouri, Miriam Novitch, Zvi Shner, Israel teln, Kalenderblättern und in Heften. Aus Der Filmtitel bezeichnet exakt Ort, Datum Schwerpunkt im Programm des Kinos Ar- Filmmuseums 1975, 115 min ihnen wird deutlich, dass die Massenhin- und Uhrzeit des Beginns des einzigen gelun- senal, des Filmverleihs arsenal distribution › Freiburg, Kommunales Kino Als Kind wurde Michael Goldmann-Gilad richtungen damals nicht heimlich, sondern genen bewaffneten Aufstands in einem nati- sowie des Berlinale Forums. Vor diesem › Karlsruhe, Kinemathek im Ghetto von Przemysl mit 80 Schlägen öffentlich durchgeführt wurden. Anhand der onalsozialistischen Vernichtungslager. Sein Hintergrund wurde für das Projekt »Asyn- › Köln, Filmpalette Filmkunstkino fast zu Tode geprügelt. Er überlebte, zog Tagebuchauszüge stellt der Film die Erinne- Gelingen verdankte sich nicht nur einem gu- Aus dem Englischen von Martin chron. Dokumentar- und Experimentalfi lme › Leipzig, Cineding nach Israel, doch dort wollte niemand sei- rungen der DorfbewohnerInnen denen der ten Plan, der sorgfältigen Vorbereitung und Richter. 587 Seiten. Leinen € 39,95 zum Holocaust« aus der Filmsammlung des › München, Werkstattkino ne Leidensgeschichte glauben – das war Überlebenden gegenüber. dem Mut der Beteiligten, sondern auch der ISBN 978-3-406-67531-7 Arsenal eine Auswahl von 46 Dokumentar- › Potsdam, Filmmuseum für ihn der 81. Schlag. Der Film verbindet, › P ARTISANS OF VILNA sprichwörtlichen deutschen Pünktlichkeit. (Historische Bibliothek der Gerda und Experimentalfi lmen zusammengestellt, › Wiesbaden, Caligari FilmBühne ohne dies selbst zu kommentieren, wenig Josh Waletzky, USA 1985, 130 min Zu den Aufständischen zählte der damals Henkel Stiftung) die sich mit dem Holocaust, aber auch mit bekanntes Archivmaterial mit Zeugenaus- Der Film erzählt vom bewaffneten Wider- siebzehnjährige Yehuda Lerner. Bereits in Themen wie Exil und Zwangsarbeit in der Die zehn digitalisierten Filme: sagen vom Eichmann-Prozess in Jerusalem stand und den internen Auseinanderset- der Vorbereitung seines Films SHOAH hatte David Nirenberg zeigt in Zeit des Nationalsozialismus auseinander- › D ARK LULLABIES zu einer detaillierten Beweisführung. Er zungen im Ghetto von Vilnius. Unter den Claude Lanzmann mit ihm gesprochen, das seinem aufsehenerregenden setzen. Das Projekt verbindet mit den Fil- Irene Angelico, Abbey Neidik, Kanada 1985, spannt den Bogen vom jüdischen Leben in jüdischen Partisanen waren viele Studenten Material dann aber nicht verwendet. Dem Buch anhand zahlreicher – men Fragen zur Erinnerung, dem Archiv und 82 min Europa vor 1933, Hitlers Machtergreifung, – sie waren jung, gebildet und unabhängig, Aufstand in Sobibór wollte er einen eigenen der Öffentlichkeit. Einer der ersten Filme, der sich bereits in dem Kriegsausbruch, der Errichtung, dem viele von ihnen Frauen. Sie schlossen sich in Film widmen. oft erschreckender – Belege Die Filme stehen Kinos, Kultur- und den 1980er Jahren mit den Auswirkungen Aufstand und der anschließenden Liquidie- den umliegenden Wäldern russischen, polni- › T OTSCHWEIGEN von der Antike bis heute, Bildungsorganisationen für eigene Program- des Holocausts auf die Nachfolgegenerati- rung des Warschauer Ghettos hin zu den schen und litauischen Gruppen an. Auch hier Margareta Heinrich, Eduard Erne, Öster- dass die Distanzierung vom me zur Verfügung. Zehn dieser Filme konn- on auseinandersetzte. Die Filmemacherin, Deportationen und Vernichtungslagern. Das begegneten ihnen Antisemitismus und Res- reich 1994, 88 min Judentum zum Kern des ten im Rahmen des Projekts digitalisiert bzw. deren Eltern das Ghetto von Vilnius über- Archivbild wird in diesem Film vom Do- sentiments. Der Film enthält 40 Interviews Der Film begleitet die Suche nach einem westlichen Denkens und in digitaler Kinofassung angekauft werden, lebten, befragt in Kanada und Israel andere kument zum Monument, vom Beweisstück mit ehemaligen Widerstandskämpfern, auf- Massengrab ungarisch-jüdischer Zwangs- Weltbilds gehört. damit sie auch für kommende Generationen Kinder von Überlebenden. Welchen Einfl uss zum Denkmal. genommen in Israel, New York, arbeiter, die im März 1945, wenige Tage sichtbar bleiben. Filmkopien sind zum einen hat die Verfolgungsgeschichte der Eltern auf › H ABEHIRA VE‘HAGORAL und Vilnius sowie Archivmaterial aus den vor dem Eintreffen der Roten Armee, in durch Zerfallsprozesse bedroht, zum anderen das eigene Leben? In Deutschland begegnet (Wahl und Schicksaal) Jahren 1933–1944. Traditionelle Lieder und der Nähe des österreichischen Ortes Rech- „Brillant, faszinierend und gibt es durch den medialen Wandel immer sie Kindern von Tätern, die von der Entde- Tsipi Reibenbach, Israel 1993, 118 min jiddische Interpretationen bekannter Partisa- nitz hingerichtet wurden. Ein Augenzeuge zutiefst bedrückend.“ weniger Vorführorte für analoge Filme. Die ckung der Verbrechen ihrer Eltern berichten »Warum hast du Dich von Lager zu Lager nenlieder übernehmen eine wichtige Rolle wurde ermordet, ein Überlebender stirbt, die Michael Walzer, The New Digitalisierung soll dem entgegenwirken und und davon, wie sie mit deren Schuld umge- schleppen lassen? Warum hast Du nichts im Film. beiden Hauptverdächtigen konnten fl iehen. York Review of Books diesen wichtigen Filmschatz nachhaltig er- hen. »In DARK LULLABIES werden wir Zeugen getan?« Tsipi Reibenbach will lernen, ihre › S HOAH Auf der Suche nach Antworten erleben die halten. Die Filme werden als DCP, teils auch des Versuchs, sich aus dem Unverständli- Eltern, beide Holocaustüberlebende, zu ver- Claude Lanzmann, Frankreich 1974–1985, Filmemacher eine verschworene Dorfge- als Blu-ray, mit deutschen Untertiteln für den chen und dem Vererbten eine Geschichte zu stehen. Während sie deren ritualisierten All- 566 min meinschaft, die sich der Aufarbeitung des Verleih neu verfügbar gemacht. erarbeiten. Mit selbst gemachten Begegnun- tag in einem Wohnblock in Israel beobachtet, Die fi lmische Auseinandersetzung mit dem Verbrechens entzieht. Bis heute sind die C.H.BECK Vom 1. Oktober bis 9. November 2015 gen, Bildern und mit eigener Sinngebung.« erzählt der Vater vom Leben in den Ghettos Holocaust ist immer auch eine mit der Umstände ungeklärt und das Massengrab WWW.CHBECK.DE präsentiert das Berliner Kino Arsenal in (Sonja M. Schultz) und Todeslagern. Die Mutter schweigt, kocht Darstellbarkeit des nicht Darstellbaren. Zu konnte nicht gefunden werden.

102 Nachrichten und Berichte Einsicht 14 Herbst 2015 103 Ausstellungsangebote Wanderausstellungen des Fritz Bauer Instituts

› V OICES FROM THE ATTIC Aus Kultur und Wissenschaft deshalb die frühe deutsch- und polnischspra- sechzig. Sie entstehen auf der Basis wei- Debbie Goodstein, USA 1988, 60 min chige Holocaustliteratur, die in den Jahren terer Recherchen und an manchen Orten 3 mal 4,5 Meter und 1,4 Meter Deckenhö- Online-Datenbank zwischen 1933 und 1949 publiziert wurde. in Zusammenarbeit mit Schülerinnen und he: Das sind die Maße des Dachbodens im GeoBib – Georeferenzierte Sie soll, angereichert um Zusatzinformati- Schülern. polnischen Urzejowice, auf dem sich 16 Online-Bibliographie onen wie Namen, Orte, Daten, Hinweise Mitglieder der Familie der Regisseurin vor zum Autor sowie der Rezeption oder auch Publikationen zur Ausstellung den Nationalsozialisten versteckt hielten. früher Holocaust- und Fundstellen in unterschiedlichen Bibliothe- › Legalisierter Raub – Katalog zur Ausstellung. Nach zwei Jahren konnten 13 von ihnen ken in einer Online-Datenbank zugänglich Reihe selecta der Sparkassen-Kulturstiftung Lagerliteratur Hessen-Thüringen, Heft 8, 2002, 72 S., € 5,– das Versteck verlassen. Zusammen mit fünf gemacht werden. Über die kartographische › Susanne Meinl, Jutta Zwilling: Legalisierter Raub. ihrer Cousinen und Cousins begleitet die Fil- Umsetzung wird erkennbar, wo, wann und Die Ausplünderung der Juden im Nationalsozialis- memacherin ihre Tante Sally – die damals www.geobib.info in welcher Sprache Schwerpunkte in den mus durch die Reichsfi nanzverwaltung in Hessen. selbst noch ein Kind war – auf der Reise Zeugnissen lagen. In dieser annotierten und Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts, Band 10, Frankfurt am Main, New York: Campus zurü ck an diesen Ort, ü ber den in der Fami- Die neue Website »Geo- georeferenzierten Darstellung sollen die an- Verlag, 2004, 748 S., € 44,90 lie nicht offen gesprochen werden konnte. Bib – Frühe deutsch- bzw. gereicherten bibliographischen Informatio- › Katharina Stengel (Hrsg.): Vor der Vernichtung. polnischsprachige Holocaust- und La- nen der Forschung, aber auch der universi- Die staatliche Enteignung der Juden im National- Katalog gerliteratur (1933–1949). Annotierte und tären Lehre, Schulen oder Gedenkstätten zur sozialismus. Wissenschaftliche Reihe des Fritz Legalisierter Raub Bauer Instituts, Band 15, Frankfurt am Main, Im Rahmen des Projekts »Asynchron. Do- georeferenzierte Online-Bibliographie zur Verfügung stehen. Der Fiskus und die Ausplünderung New York: Campus Verlag, 2007, 336 S., € 24,90 kumentar- und Experimentalfi lme zum Ho- Erforschung von Erinnerungsnarrativen« GeoBib ist ein gemeinsames Projekt der Juden in Hessen 1933–1945 › DER GROSSE RAUB. WIE IN HESSEN DIE JUDEN locaust. Aus der Sammlung des Arsenal – soll Ende des Jahres 2015 freigeschaltet der Arbeitsstelle Holocaustliteratur mit dem AUSGEPLÜNDERT WURDEN. Ein Film von Henning Institut für Film und Videokunst e.V.« ist in werden. Ziel des Projekts »GeoBib« ist es, Zentrum für Medien und Interaktivität, dem Burk und Dietrich Wagner, Hessischer Rundfunk, 2002. DVD, Laufzeit: 45 Min., € 10,– Zusammenarbeit mit dem fi lmwissenschaft- die frühen Texte der deutsch- bzw. polnisch- Institut für Germanistik/Bereich angewand- Eine Ausstellung des Fritz Bauer Instituts und des Hessischen Rundfunks, lichen Seminar »Filmische Erinnerungen an sprachigen Holocaust- und Lagerliteratur te Sprachwissenschaft und Computerlingu- mit Unterstützung der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen Ausstellungsexponate den Holocaust« der Freien Universität Ber- von 1933 bis 1949 bibliographisch in einer istik, dem Institut für Geographie/Bereich und des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst Die Ausstellung besteht aus circa 60 Rahmen im lin eine begleitende Publikation erschienen. Online-Datenbank zu erfassen. So können Geoinformatik und Fernerkundung (alle Format 100 x 70 cm, 15 Vitrinen, 6 Einspielstationen, Neben einleitenden Beiträgen von Christi- diese frühen Texte, die in weiten Teilen aus Justus-Liebig-Universität Gießen) sowie 2 Installationen und Lesemappen zu ausgesuchten Einzelfällen. Für jede Ausstellungsstation besteht die an Pischel und Tobias Ebbrecht-Hartmann dem kulturellen und kollektiven Gedächtnis des Herder-Instituts für historische Ostmit- Die Ausstellung gibt einen vor der Deportation ausfüllen mussten, um Möglichkeit, interessante Fälle aus der Region in das stellt der Katalog alle 46 Filme des Projekts verdrängt wurden, überhaupt erst wieder teleuropaforschung – Institut der Leibniz- Einblick in die Geschichte den Finanzbehörden die »Verwaltung und Konzept zu übernehmen. vor und ordnet sie in einen fi lmhistorischen auffi ndbar gemacht und für die öffentli- Gemeinschaft (Marburg). Es wird im Rah- des legalisierten Raubes, in die Biografi en Verwertung« ihrer zurückgelassenen Hab- Kontext ein. Der Katalog umfasst 176 Seiten che, wissenschaftliche und didaktische men der Förderung von Forschungs- und von Tätern und Opfern. seligkeiten zu erleichtern. Weitere Tafeln www.fritz-bauer-institut.de/legalisierter-raub.html und ist im Handel erhältlich. Wahrnehmung erschlossen und aufbereitet Entwicklungsvorhaben aus dem Bereich der Die Tafeln im Hauptteil der Ausstel- beschäftigen sich mit den kooperierenden ISBN 978-3-944692-13-5 werden. Ergänzt werden die bibliographi- eHumanities vom Bundesministerium für lung entwickeln die Geschichte der Täter- Interessengruppen in Politik und Wirtschaft, schen Einträge durch inhaltliche und bio- Bildung und Forschung unterstützt. gesellschaft, die mit einem Rückblick auf aber auch mit dem »deutschen Volksgenos- Das Projekt »Asynchron. Dokumentar- und graphische Annotationen, Informationen die Zeit vor 1933 beginnt: Die Forderung sen« als Profi teur. Schließlich wird nach der Experimentalfi lme zum Holocaust« wird ge- zur Werkgeschichte sowie durch Geore- Kontakt nach einer Enteignung der Juden gab es sogenannten Wiedergutmachung gefragt: Ausstellungsstationen / Termine fördert durch die Stiftung Deutsche Klas- ferenzierung (Informationen zu Orten und Prof. Dr. Henning Lobin nicht erst seit der Machtübernahme der Wie ging die Rückerstattung vor sich, wie Aktuelle Ausstellungsorte und -zeiten für senlotterie Berlin. Das Arsenal – Institut für Plätzen anhand von Kartenmaterial). Zentrum für Medien und Interaktivität (ZMI) Nationalsozialisten. Sie konnten vielmehr erfolgreich konnte sie angesichts der gesetz- unsere Wanderausstellungen fi nden Sie auf Justus-Liebig-Universität Gießen Film und Videokunst e.V. wird gefördert Der Holocaust und seine Erinnerungs- Ludwigstr. 34, 35390 Gießen auf weitverbreitete antisemitische Klischees lichen Ausgangslage und der weitgehend den Seiten 8 und 9. durch die Beauftragte der Bundesregierung diskurse stellen ein zentrales Forschungs- Tel: 0641.991635-1, Fax: -9 zurückgreifen, insbesondere auf das Bild ablehnenden Haltung der Bevölkerungs- für Kultur und Medien. feld dar, nicht zuletzt weil das Erinnerungs- [email protected] vom »mächtigen und reichen Juden«, der mehrheit sein? Ausstellungsausleihe gebot an den Holocaust nach wie vor hohe www.uni-giessen.de/fbz/zmi sein Vermögen mit List und zum Schaden Die Ausstellung wandert seit dem Jahr Unsere Ausstellungen können gegen Gebühr Kontakt politische und öffentliche Relevanz besitzt. des deutschen Volkes erworben habe. Vor 2002 sehr erfolgreich durch Hessen und da- ausgeliehen werden. Wir beraten Sie gerne Arsenal – Institut für Film und Videokunst e.V. Bald wird es keine überlebenden Zeugen diesem Hintergrund zeichnet das zweite rüber hinaus. Sie wurde an bisher 26 Stati- bei der Organisation des Begleitprogramms. Christine Sievers der NS-Verbrechen mehr geben – die ers- Kapitel die Stufen der Ausplünderung und onen gezeigt. Da für jeden Präsentationsort Weitere Informationen und ein Ausstellungs- Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Potsdamer Str. 2 ten Texte, die in den Jahren der Taten und die Rolle der Finanzbehörden in den Jahren neue regionale Vitrinen entstehen, die sich angebot senden wir Ihnen auf Anfrage zu. 10785 Berlin den ersten Nachkriegsjahren verfasst und von 1933 bis 1941 nach. Im nachgebauten mit der Geschichte des legalisierten Raubes Tel.: 030.26955143 veröffentlicht wurden, sind nicht mehr Be- Zimmer eines Finanzbeamten können die am Ausstellungsort beschäftigen, »wächst« Kontakt Fritz Bauer Institut [email protected] standteil des kollektiven und kulturellen Ausstellungsbesucher in Aktenordnern die Ausstellung. Waren es bei der Erstprä- www.arsenal-berlin.de Manuela Ritzheim Gedächtnisses bzw. sind gar nicht erst in blättern: Sie enthalten unter anderem Fak- sentation 15 Vitrinen, die die Geschichten Tel.: 069.798 322-33, Fax: -41 diese eingegangen. Erschlossen werden soll similes jener Vermögenslisten, die Juden der Opfer erzählten, sind es heute weit über [email protected]

104 Nachrichten und Berichte Einsicht 14 Herbst 2015 105 Ein Leben aufs neu er zehn Jahre zuvor eingewandert war –, Die IG Farben und das auf die Fabrik und damit die Technik stehen Fritz Bauer. revolutioniert. Nicht der Gehorsam der Bür- Das Robinson-Album. hinterließ er nicht nur viele hunderte Auf- KZ Buna/Monowitz im Vordergrund. Die Textebene hingegen Der Staatsanwalt ger gegenüber dem Staat stand im Vorder- nahmen, sondern auch ein Album, das die wird durch die Erzählung der Überlebenden grund. Bauer verstand sich stets als Vertreter DP-Lager: Juden auf deut- Geschichte der jüdischen DPs in exempla- Wirtschaft und Politik bestimmt. NS-Verbrechen vor Gericht der Menschenwürde vor allem auch gegen schem Boden 1945–1948 rischer Weise erzählt. im Nationalsozialismus Die Ausstellung ist als Montage im staatliche Gewalt – ein großer Schritt auf Über das vertraut erscheinende Medi- fi lmischen Sinn angelegt. Der Betrachter Fritz Bauer gehört zu den dem Weg der Demokratisierung in der frü- Nach Ende des Zweiten um des Albums führt die Ausstellung in ein Das Konzentrationslager sucht sich die Erzählung selbst aus den Ein- juristisch einfl ussreichsten hen Bundesrepublik. Weltkriegs fanden jüdische den meisten Menschen unbekanntes und von der IG Farbenindustrie AG zelstücken zusammen. Um diese Suche zu jüdischen Remigranten im Nachkriegs- Überlebende der NS-Terrorherrschaft im vielen verdrängtes Kapitel der deutschen in Auschwitz ist bis heute ein Symbol für unterstützen, werden in Heftern Quellentex- deutschland. Als hessischer Generalstaatsan- Zur Ausstellung sind erschienen: Nachkriegsdeutschland Zufl ucht in soge- und jüdischen Nachkriegsgeschichte ein: die Kooperation zwischen Wirtschaft und te angeboten, die eine vertiefende Lektüre walt, der den Frankfurter Auschwitz-Prozess Fritz Backhaus, Monika Boll, Raphael Gross (Hrsg.) Fritz Bauer. Der Staatsanwalt nannten Displaced Persons (DP) Camps. Fotografi en von Familienfeiern und Schul- Politik im Nationalsozialismus. Die kom- ermöglichen. Dazu bietet das Fritz Bauer auf den Weg brachte, hat er bundesrepub- NS-Verbrechen vor Gericht Die Fotoausstellung porträtiert das tägliche unterricht, Arbeit in den Werkstätten, Sport plexe Geschichte dieser Kooperation, ihre Institut einen Reader zur Vorbereitung auf likanische Geschichte geschrieben. Die Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2014, Leben und die Arbeit der Selbstverwaltung und Feste, Zeitungen und Theater, zionisti- Widersprüche, ihre Entwicklung und ihre die Ausstellung an. Ausstellung nimmt den Prozess, der sich 300 S., zahlr. Abb., € 29,90 in dem in der amerikanischen Besatzungs- sche Vorbereitungen auf ein Leben in Paläs- Wirkung auf die Nachkriegszeit (die Prozes- 2013 zum fünfzigsten Mal jährte, zum An- ISBN: 978-3-5935-0105-5 Schriftenreihe des Fritz Bauer Instituts, Band 32 zone gelegenen DP-Lager Frankfurt-Zeils- tina – Manifestationen eines »lebn afs nay«, se und der bis in die Gegenwart währende Ausstellungsrealisation lass, Fritz Bauer einem größeren Publikum Konzept: Gottfried Kößler; Recherche: Werner Renz; heim. das den Schrecken nicht vergessen macht. Streit um die IG Farben in Liquidation), Gestaltung: Werner Lott vorzustellen. Fritz Bauer Institut (Hrsg.) Der aus Polen stammende Ephraim wird aus unterschiedlichen Perspektiven Unterstützt von der Conference on Jewish Material Bauers Leben blieb nicht unberührt von Redaktion: Bettina Schulte Strathaus Robinson hatte seine ganze Familie im Ausstellungsexponate dokumentiert. Strukturiert wird die Aus- Claims Against Germany, New York. den Verwerfungen des 20. Jahrhunderts. Die Fritz Bauer. Gespräche, Interviews und Reden aus den Fernseharchiven 1961‒1968 Holocaust verloren. Als DP kam er 1945 › Albumseiten mit Texten (64 Rahmen, 40 x 49 cm) stellung durch Zitate aus der Literatur der Ausstellung dokumentiert seine Lebensge- › Porträtfotos (34 Rahmen, 40 x 49 cm) Ausstellungsexponate Absolut MEDIEN, Berlin 2014, Dokumente 4017 nach Frankfurt-Zeilsheim. Seinen Lebens- › Ergänzende Bilder (15 Rahmen, 40 x 49 cm) Überlebenden, die zu den einzelnen The- › 57 Rahmen (Format: 42 x 42 cm) schichte im Spiegel der historischen Er- 2 DVDs, 298 Min., s/w, € 19,90 unterhalt im Lager verdiente er sich als › Erklärungstafeln (13 Rahmen, 24 x 33 cm) men die Funktion der einführenden Texte › ein Lage plan des Lagers Buna/Monowitz eignisse, die ihn auch persönlich betrafen. ISBN: 978-3-8488-4017-5 freiberufl icher Fotograf. In eindrücklichen › Titel und Quellenangaben (7 Rahmen, 24 x 33 cm) übernehmen. Gezeigt werden Reproduktio- › ein Lage plan der Stadt Oświęcim Als Jude blieb Fritz Bauer vom Antisemi- www.absolutmedien.de Bildern hielt er fest, wie die geschundenen www.fritz-bauer-institut.de/ein-leben-aufs-neu.html nen der Fotografi en, die von der SS anläss- www.fritz-bauer-institut.de/ig-farben.html tismus nicht verschont. Als Sozialdemo- www.fritz-bauer-institut.de/fritz-bauer-ausstellung.html Menschen ihre Belange in die eigenen Hän- lich des Besuchs von Heinrich Himmler in krat glaubte er dennoch an den Fortschritt, de nahmen, ihren Alltag gestalteten, »ein Auschwitz am 17. und 18. Juli 1942 ange- dann trieben ihn die Nationalsozialisten für Abb.: »Ein Leben aufs neu«, Ausstellung im Hessi- Abb.: IG Farbenindustrie Aktiengesellschaft, Leben aufs neu« wagten. Als Ephraim Ro- schen Landtag in Wiesbaden, Januar 2012. fertigt wurden. Die Bildebene erzählt also Lageplan des Lagers Auschwitz III (Buna/Monowitz) 13 Jahre ins Exil. Als Generalstaatsanwalt binson 1958 in den USA verstarb – in die Foto: Werner Lott durchgängig die Tätergeschichte, der Blick Foto: Fritz Bauer Institut hat er das überkommene Bild dieses Amtes

106 Ausstellungsangebote Einsicht 14 Herbst 2015 107 Werner Konitzer und Raphael Gross (Hrsg.) Ronny Loewy, Katharina Rauschenberger (Hrsg.) Moralität des Bösen Wissenschaftliche Reihe »Der Letzte der Ungerechten« Schriftenreihe Publikationen Ethik und nationalsozialistische Verbrechen Der Judenälteste Benjamin Murmelstein in Filmen Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2009, 1942–1975 des Fritz Bauer Instituts 272 S., € 29,90, EAN 978-3-59339021-5; Claudia Fröhlich Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2011 Hanno Loewy (Hrsg.) Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2009, Band 13 Wider die Tabuisierung des Ungehorsams 208 S., 30 Abb., € 24,90, EAN 978-3-593-39491-6 Holocaust. Die Grenzen des Verstehens Fritz Bauers Widerstandsbegriff und die Aufarbeitung Wissenschaftliche Reihe, Band 19 Eine Debatte über die Besetzung der Geschichte Ulrich Wyrwa (Hrsg.) von NS-Verbrechen Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1992, 256 S., Einspruch und Abwehr Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2006, Werner Renz (Hrsg.) € 9,60, ISBN 3-499-19367-1; Die Reaktion des europäischen Judentums auf die 430 S., € 39,90, ISBN 3-593-37874-4 Interessen um Eichmann Schriftenreihe, Band 2 Entstehung des Antisemitismus (1879–1914) Wissenschaftliche Reihe, Band 13 Israelische Justiz, deutsche Strafverfolgung und alte Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2010, Kameradschaften Oskar Rosenfeld 372 S., € 29,90, EAN 978-3-593-39278-3; Thomas Horstmann, Heike Litzinger (Hrsg.) Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2012, Wozu noch Welt Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2010, Band 14 An den Grenzen des Rechts 332 S., € 34,90, EAN 9783593397504 Aufzeichnungen aus dem Getto Lodz Gespräche mit Juristen über die Verfolgung von Wissenschaftliche Reihe, Band 20 Hrsg. von Hanno Loewy. Verlag Neue Kritik, Liliane Weissberg (Hrsg.) NS-Verbrechen Frankfurt am Main, 1994, 324 S., € 25,–, Affi nität wider Willen? Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2006, Katharina Stengel: ISBN 3-8015-0272-4; Hannah Arendt, Theodor W. Adorno und die 233 S., € 19,90, ISBN 3-593-38014-5 Hermann Langbein Schriftenreihe, Band 7 Frankfurter Schule Wissenschaftliche Reihe, Band 14 Ein Auschwitz-Überlebender in den erinnerungs- Das Fritz Bauer Institut ver- Jahrbuch zur Geschichte Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2011 politischen Konfl ikten der Nachkriegszeit Martin Paulus, Edith Raim, Gerhard Zelger (Hrsg.) öffentlicht mehrere Publika- und Wirkung des Holocaust 236 S., 18 Abb., € 24,90, EAN 978-3-593-39490-9; Katharina Stengel (Hrsg.) Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2012, Ein Ort wie jeder andere tionsreihen, darunter das Jahrbuch und die Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2011, Band 15 Vor der Vernichtung 635 S., € 34,90, EAN 9783593397887 Bilder aus einer deutschen Kleinstadt. Die staatliche Enteignung der Juden im Wissenschaftliche Reihe, Band 21 Landsberg am Lech 1923–1958 Wissenschaftliche Reihe, jeweils im Cam- Fritz Bauer Institut, Sybille Steinbacher (Hrsg.) Nationalsozialismus Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1995, 224 S., pus Verlag, und die Schriftenreihe, die in Fritz Bauer Institut (Hrsg.) Holocaust und Völkermorde Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2007, Raphael Gross, Werner Renz (Hrsg.) 168 Abb., € 15,–, ISBN 3-499-19913-0; verschiedenen Verlagen erscheint. Daneben Gesetzliches Unrecht Die Reichweite des Vergleichs 336 S., € 24,90, EAN 978-3-593-38371-2 Der Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963–1965) Schriftenreihe, Band 9 gibt es Publikationsreihen, die im Eigenver- Rassistisches Recht im 20. Jahrhundert Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2012, Wissenschaftliche Reihe, Band 15 Kommentierte Quellenedition Hrsg. im Auftrag des Fritz Bauer Instituts von Micha 248 S., € 24,90, EAN 9783593397481 Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2013, Knut Dethlefsen, Thomas B. Hebler (Hrsg.) lag verlegt sind, darunter die Pädagogischen Brumlik, Susanne Meinl und Werner Renz. Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2012, Band 16 Christoph Jahr 1.398 S., Hardcover, gebunden, Edition in zwei Bilder im Kopf / Obrazy w glowie Materialien und die Reihe Konfrontationen. Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2005, Antisemitismus vor Gericht Teilbänden, € 78,–, EAN 9783593399607 Auschwitz – Einen Ort sehen Video-Interviews, Ausstellungskataloge und 244 S., € 24,90, ISBN 3-593-37873-6; Fritz Bauer Institut, Katharina Rauschenberger (Hrsg.) Debatten über die juristische Ahndung judenfeindli- Wissenschaftliche Reihe, Band 22 Oswiecim – Ujecia pewnego miejsca andere Einzelveröffentlichungen ergänzen Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2005, Band 9 Rückkehr in Feindesland? cher Agitation in Deutschland (1879–1960) Edition Hentrich, Berlin, 1996, 146 S., 134 Abb., Fritz Bauer in der deutsch-jüdischen Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2011, Jörg Osterloh, Harald Wixforth (Hrsg.) € 9,90, ISBN 3-89468-236-1 das Publikations-Portfolio des Instituts. Fritz Bauer Institut, Nachkriegsgeschichte 476 S., € 39,90, EAN 978-3-593-39058-1 Unternehmer und NS-Verbrechen Schriftenreihe, Band 12 Eine komplette Aufl istung aller bisher Jugendbegegnungsstätte Anne Frank (Hrsg.) Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2013, Wissenschaftliche Reihe, Band 16 Wirtschaftseliten im »Dritten Reich« und in der erschienenen Publikationen des Fritz Bau- Neue Judenfeindschaft? 240 S., € 29,90, EAN 9783593399805 Bundesrepublik Deutschland Hanno Loewy, Andrzej Bodek (Hrsg.) er Instituts fi nden Sie auf unserer Website: Perspektiven für den pädagogischen Umgang mit dem Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2013, Band 17 Wolf Gruner, Jörg Osterloh (Hrsg.) Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag 2014, »Les Vrais Riches« – Notizen am Rand globalisierten Antisemitismus Das »Großdeutsche Reich« und die Juden 416 S., € 34,90, EAN 9783593399799 Ein Tagebuch aus dem Ghetto Lodz www.fritz-bauer-institut.de Hrsg. im Auftrag des Fritz Bauer Instituts Fritz Bauer Institut, Werner Konitzer (Hrsg.) Nationalsozialistische Verfolgung in den Wissenschaftliche Reihe, Band 23 (Mai bis August 1944) von Bernd Fechler, Gottfried Kößler, Moralisierung des Rechts »angegliederten« Gebieten Reclam Verlag, Leipzig, 1997, 165 S., € 9,20, Bestellungen bitte an die Astrid Messerschmidt und Barbara Schäuble. Kontinuitäten und Diskontinuitäten Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2010, Katharina Rauschenberger, Werner Renz (Hrsg.) ISBN 3-379-01582 Karl Marx Buchhandlung GmbH Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2006, nationalsozialistischer Normativität 438 S., , € 39,90, EAN 978-3-593-39168-7 Henry Ormond – Anwalt der Opfer Schriftenreihe, Band 13 378 S., € 29,90, ISBN 978-3-593-38183-1; Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2014, Wissenschaftliche Reihe, Band 17 Plädoyers in NS-Prozessen Publikationsversand Fritz Bauer Institut Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2006, Band 10 248 S., € 29,90, EAN 99783593501680 Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2015, Margrit Frölich, Hanno Loewy, Jordanstraße 11, 60486 Frankfurt am Main Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2014, Band 18 Micha Brumlik, Karol Sauerland (Hrsg.) 364 S., 27 Abb., € 34,90, EAN 978-3-593-50282-3 Heinz Steinert (Hrsg.) Tel.: 069.778 807, Fax: 069.707 739 9 Fritz Bauer Institut (Hrsg.) Umdeuten, verschweigen, erinnern Wissenschaftliche Reihe, Band 24 Lachen über Hitler – Auschwitz Gelächter? [email protected] Zeugenschaft des Holocaust Katharina Rauschenberger, Werner Konitzer (Hrsg.) Die späte Aufarbeitung des Holocaust in Osteuropa Filmkomödie, Satire und Holocaust Zwischen Trauma, Tradierung und Ermittlung Antisemitismus und andere Feindseligkeiten Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2010, Werner Renz (Hrsg.) München: Edition text + kritik im Richard Boorberg www.karl-marx-buchhandlung.de Hrsg. im Auftrag des Fritz Bauer Instituts Interaktionen von Ressentiments 257 S., € 29,90, EAN 978-3-593-39271-4 »Von Gott und der Welt verlassen« Verlag, 2003, 386 S., 40 s/w Abb., € 27,50, von Michael Elm und Gottfried Kößler. Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2015 Wissenschaftliche Reihe, Band 18 Fritz Bauers Briefe an Thomas Harlan ISBN 3-88377-724-2 Liefer- und Zahlungsbedingungen Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2007, 197 S., kartoniert, € 29,90, EAN 978-3-593-50469-8 Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2015 Schriftenreihe, Band 19 Lieferung auf Rechnung. Die Zahlung ist sofort fällig. 286 S., € 24,90, EAN 978-3-593-38430-6; Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2015, Band 19 Ronny Loewy, Katharina Rauschenberger (Hrsg.) 300 S., gebunden, 24 s/w-Fotos, € 29,90 Bei Sendungen innerhalb Deutschlands werden ab Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2007, Band 11 »Der Letzte der Ungerechten« EAN 978-3-593-50468-1 Barbara Thimm, Gottfried Kößler, einem Bestellwert von € 50,– keine Versandkosten be- Das Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Der Judenälteste Benjamin Murmelstein in Wissenschaftliche Reihe, Band 25 Susanne Ulrich (Hrsg.) rechnet. Unter einem Bestellwert von € 50,– betragen Katharina Stengel und Werner Konitzer (Hrsg.) Holocaust erscheint mit freundlicher Unterstützung Filmen 1942–1975 Verunsichernde Orte die Versandkosten pauschal € 3,– pro Sendung. Für Opfer als Akteure des Fördervereins Fritz Bauer Institut e.V. Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2011 Birgit Erdle, Werner Konitzer (Hrsg.) Selbstverständnis und Weiterbildung in der Lieferungen ins Ausland (Land-/Seeweg) werden Ver- Interventionen ehemaliger NS-Verfolgter in der Mitglieder des Fördervereins können das aktuelle 208 S., 36 Abb., € 24,90 Theorien über Judenhass – eine Denkgeschichte Gedenkstättenpädagogik sandkosten von € 5,– pro Kilogramm Versandgewicht Nachkriegszeit. Jahrbuch zum reduzierten Preis von € 23,90 EAN 978-3-593-39491-6 Kommentierte Quellenedition (1781–1931) Frankfurt am Main: Brandes & Apsel Verlag, 2010, in Rechnung gestellt. Besteller aus dem Ausland erhal- Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2008, (inkl. Versandkosten) im Abonnement beziehen. Wissenschaftliche Reihe, Band 19 Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2015 208 S., € 19,90; ISBN 978-3-86099-630-0 ten eine Vorausrechnung (bei Zahlungseingang wird 308 S., € 29,90, EAN 978-3-593-38734-5; 361 S., gebunden, € 39,90, EAN 978-3-593-50470-4 Schriftenreihe, Band 21 das Paket versendet). Jahrbuch des Fritz Bauer Instituts 2008, Band 12 Wissenschaftliche Reihe, Band 26

108 Publikationen Einsicht 14 Herbst 2015 109 Jaroslava Milotová, Zlatica Zudová-Lešková, Beck`sche Reihe: bsr – C.H. Beck Wissen; 2782 Jiří Kosta (Hrsg.): ISBN 978-3-406-65470-1; Schriftenreihe, Band 31 Reihe »Konfrontationen« Zeitzeugen-Videos auf DVD DVD/DVD-ROM Sonstige Veröffentlichungen Tschechische und slowakische Juden im Eine Publikation des Leo Baeck Institute London Bausteine für die pädagogische Annäherung Widerstand 1938–1945 an Geschichte und Wirkung des Holocaust Metropol Verlag, Berlin, 2008, 272 S., € 19,–, Fritz Backhaus, Monika Boll, Raphael Gross (Hrsg.) Die Video-Interviews sind für die pädagogische Arbeit Veröffentlichung elektronischer Medien des Fritz Bauer Kersten Brandt, Hanno Loewy, Krystyna Oleksy (Hrsg.) ISBN 978-3-940938-15-2 Fritz Bauer. Der Staatsanwalt mit Zeitzeugenaussagen konzipiert. Sie sind für den Ein- Institut und Veröffentlichungen, die mit Unterstützung Vor der Auslöschung… Schriftenreihe, Band 22 NS-Verbrechen vor Gericht satz in der Schule (ab Klasse 8), der Erwachsenenbil- des Fritz Bauer Instituts erschienen sind. Fotografi en gefunden in Auschwitz Gottfried Kößler, Petra Mumme Begleitband zur Ausstellung des Fritz Bauer Instituts dung, der Lehrerfortbildung und der außerschulische Bil- Hrsg. im Auftrag des Staatlichen Museums Auschwitz- Identität Irmtrud Wojak und des Jüdischen Museums Frankfurt am Main, in dungsarbeit geeignet. Die DVD-Reihe wird fortgeführt. Fritz Bauer Institut und Staatliches Museum Birkenau. Gina Kehayoff Verlag, München, 2001, › Individuum und Gesellschaft Fritz Bauer 1903–1968 Kooperation mit dem Thüringer Justizministerium Auschwitz-Birkenau (Hrsg.): 2. überarb. Aufl ., Bildband, 492 S., ca. 2.400 Farbabb. › Anfänge des Nationalsozialismus Eine Biographie Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2014, »Ich habe immer ein bisschen Sehnsucht und Der Auschwitz-Prozess und Textband, 158 S., € 124,95; ISBN 3-934296-13-0 Frankfurt am Main, 2000, 56 S., ISBN 3-932883-25-X Verlag C. H. Beck, München, 2009, 24 Abb., 638 S., 300 S., zahlr. Abb., € 29,90 Heimweh …« Tonbandmitschnitte, Protokolle und Dokumente Konfrontationen Heft 1 € 34,–, ISBN 978-3-406-58154-0; ISBN: 978-3-5935-0105-5 Marianne Schwab, geboren 1919 in Bad Homburg, DVD-ROM, ca. 80.000 S. Hrsg. von Irmtrud Wojak Schriftenreihe, Band 23 Schriftenreihe, Band 32 Öffentlicher Vortrag 1992 Berlin: Directmedia Verlag, 2004, im Auftrag des Fritz Bauer Instituts Jacqueline Giere, Gottfried Kößler Die Digitale Bibliothek 101, € 45,– Auschwitz-Prozess 4 Ks 2/63 Frankfurt am Main Gruppe Joachim Perels (Hrsg.) Martin Liepach, Wolfgang Geiger: »Meine Eltern haben mir den Abschied leicht ISBN 3-89853-501-0 Katalog zur gleichnamigen historisch-dokumentari- › Gemeinschaft und Ausschluss Auschwitz in der deutschen Geschichte Fragen an die jüdische Geschichte gemacht« Eine Neuaufl age der DVD ist für € 19,90 (zzgl. schen Ausstellung des Fritz Bauer Instituts › Volksgemeinschaft und Verfolgung von Minderheiten Offi zin-Verlag, Hannover, 2010, 258 S., Darstellungen und didaktische Herausforderungen Dorothy Baer, geboren 1923 in Frankfurt am Main Versand) zu beziehen über: www.versand-as.de Snoeck Verlag, Köln, 2004, 872 S., 100 farb. und Frankfurt am Main, 2001, 56 S., ISBN 3-932883-26-8 ISBN 978-3930345724, € 19,80; Schwalbach/Ts.: Wochenschau-Verlag, 2014, Interview 1992 800 s/w Abb., € 49,80, ISBN 3-936859-08 Konfrontationen Heft 2 Schriftenreihe, Band 25 Reihe Geschichte unterrichten, 192 S., € 19,80 Hessischer Rundfunk (Hrsg.) ISBN: 978-3-7344-0020-9 »…dass wir nicht erwünscht waren« Der große Raub (D 2002) Fritz Bauer Institut und Staatliches Museum Heike Deckert-Peaceman, Uta George, Petra Mumme Raphael Gross Schriftenreihe, Band 33 Martha Hirsch, geboren 1918 in Frankfurt am Main, Wie in Hessen die Juden ausgeplündert wurden Auschwitz- Birkenau (Hrsg.): Ausschluss Anständig geblieben und Erwin Hirsch, geboren in Straßburg Ein Film von Henning Burk und Dietrich Wagner, Der Auschwitz-Prozess › Voraussetzungen und Zusammenhänge des Nationalsozialistische Moral Interview 1993 Hrsg. in wissenschaftlicher Zusammenarbeit mit Tonbandmitschnitte, Protokolle und Dokumente Ausschlusses von Minderheiten aus der Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, 2010, 288 S., dem Fritz Bauer Institut DVD-ROM, ca. 80.000 S., Directmedia Verlag, NS-Volksgemeinschaft € 19,95, ISBN 978-3-10-028713-7; »Rollwage, wann willst Du endlich aufwachen?« DVD zur Ausstellung »Legalisierter Raub. Der Fiskus Berlin, 2004, Digitale Bibliothek, Band 101, € 45,– › NS-»Euthanasie«-Verbrechen Schriftenreihe, Band 26 Erinnerungen an die Kinderlandverschickung und die Ausplünderung der Juden in Hessen 1933– ISBN 978-3-89853-801-5. › Verfolgung schwarzer Deutscher in der NS-Zeit 1940–1945 1945« des Fritz Bauer Instituts und des Hessischen Eine Neuaufl age der DVD ist für € 10,– (zzgl. Versand) Pädagogische Materialien › Der Weg zum Völkermord an den Sinti und Roma Rolf Pohl, Joachim Perels (Hrsg.) Herbert Rollwage, geboren 1929 in Hamburg Rundfunks zu beziehen bei Versand-AS, Berlin: www.versand-as.de Frankfurt am Main, 2003, 80 S., ISBN 3-932883-27-6 Normalität der NS-Täter? des Pädagogisches Zentrums des Fritz Bauer Ausschnitte aus einem Gespräch im Rahmen eines DVD, hr media, 2007, 45 Min., € 10,– Konfrontationen Heft 3 Eine kritische Auseinandersetzung Instituts und des Jüdischen Museums Frankfurt Seminars des Fritz Bauer Instituts 1996 ISBN 978-3-89844-311-1 Eine Rettergeschichte. Arbeitsvorschläge zum Film Hannover: Offi zin Verlag, 2011, 148 S., € 14,80 »Schindlers Liste« Uta Knolle-Tiesler, Gottfried Kößler, Oliver Tauke ISBN 978-3-930345-71-7 »Returning from Auschwitz« Fritz Bauer Institut (Hrsg.) Pädagogisches Begleitheft zum Oskar und Emile Ghetto Schriftenreihe, Band 27 Bernhard Natt, geboren 1919 in Frankfurt am Main Fritz Bauer Schindler Lernzentrum im Museum Judengasse Mirjam Thulin › Vernichtung durch Arbeit: das Ghetto Lodz Interview 1999 Gespräche, Interviews und Reden aus den Frankfurt am Main Von Frankfurt nach Tel Aviv › Theresienstadt – ein »Musterghetto«? Monika Boll und Raphael Gross (Hrsg.) Fernseharchiven 1961‒1968 Hrsg.: Jüdisches Museum Frankfurt und Fritz Bauer Die Geschichte der Erna Goldmann › Der jüdische Aufstand im Warschauer Ghetto »Ich staune, dass Sie in dieser Luft atmen können« Ein Leben zwischen Konzentrations-lager und Redaktion: Bettina Schulte Strathaus Institut. Texte ausgewählt und bearbeitet von Gottfried Materialheft zum Filmporträt Frankfurt am Main, 2002, 88 S., ISBN 3-932883-28-4 Jüdische Intellektuelle in Deutschland nach 1945 Dorfgemeinschaft Erstveröffentlichung historischer Fernsehaufnahmen Kößler und Martin Liepach. Pädagogische Schriften- Redaktion: Gottfried Kößler, Manfred Levy Konfrontationen Heft 4 Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main, 2013, Ruth Lion, geboren 1909 in Momberg (Hessen) anlässlich der Ausstellung des Fritz Bauer Instituts reihe des Jüdischen Museums Frankfurt am Main, Frankfurt am Main, 2012, 48 S., € 5,– 384 S., € 14,99, ISBN: 978-3-596-18909-0 Interview 1998 und des Jüdischen Museums Frankfurt: »Fritz Bauer. Band 5. Frankfurt am Main 2005, DIN-A 4 Broschüre, ISBN 978-3-932883-34-7 Verena Haug, Uta Knolle-Tiesler, Gottfried Kößler Schriftenreihe, Band 28 Der Staatsanwalt – NS-Verbrechen vor Gericht« 28 S., € 4,– (zzgl. Versand), ISBN 3-9809814-1-X. Pädagogische Materialien Nr. 01 Deportationen Kindheit und Jugend im Frankfurter Ostend Absolut MEDIEN, Berlin 2014, Dokumente 4017 Zu beziehen: www.juedischesmuseum.de/408.html › Leben zwischen Novemberpogrom und Deportation Fritz Backhaus, Dmitrij Belkin, Raphael Gross (Hrsg.): 1925–1941 2 DVDs, 298 Min., s/w, € 19,90 Wolfgang Geiger, Martin Liepach, Thomas Lange › Ausplünderung Bild dir dein Volk! Norbert Gelhardt, geboren 1925 in Frankfurt am Main, ISBN: 978-3-8488-4017-5 Dmitrij Belkin, Raphael Gross (Hrsg.) (Hrsg.) › Verschleppung Axel Springer und die Juden Interview 2000 http://absolutmedien.com/fi lm-1565 Ausgerechnet Deutschland! Verfolgung, Flucht, Widerstand und Hilfe Mit einem Beitrag von Peter Longerich: Deportatio- Göttingen: Wallstein Verlag, 2012, 224 S., 64 überw. Jüdisch-russische Einwanderung in die Bundesrepublik außerhalb Europas im Zweiten Weltkrieg nen. Ein historischer Überblick. farb. Abb., € 19,90, ISBN: 978-3-8353-1081-0 »Heim ins Reich« Fritz Bauer Institut, Absolut MEDIEN (Hrsg.) Essayband zur Ausstellung des Jüdischen Museums Unterrichtsmaterialien zum Ausstellungsprojekt Frankfurt am Main, 2003, 64 S., ISBN 3-932883-24-1 Schriftenreihe, Band 29 Margarethe Eichberger, geb. Drenger; geboren 1926 Auschwitz vor Gericht (D 2013) Frankfurt. Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin, »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg« Konfrontationen Heft 4 im Baltikum (heute Lettland), Strafsache 4 Ks 2/63 (D 1993) 2010, 192 S., 100 farb. Abb., € 24,95, Frankfurt am Main, 2013, 76 S., € 7,– Joachim Perels Interview 2001 Zwei Dokumentationen ISBN 978-3-89479-583-2 ISBN 978-3-932883-35-4 Jacqueline Giere, Tanja Schmidhofer »Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt von Rolf Bickel und Dietrich Wagner Pädagogische Materialien Nr. 02 Todesmärsche und Befreiung die Niedrigen« Die DVDs können entliehen werden über: DVD-Booklet mit einem einführenden Text von Fritz Backhaus, Liliane Weissberg, › Todesmärsche Beiträge zur Theologie Medienzentrum Frankfurt e.V., Ostbahnhofstr. 15, Werner Renz, Fritz Bauer Institut Raphael Gross (Hrsg.) Dagi Knellessen › Befreiung der Lager Frankfurt am Main, u. a.: Peter Lang, 2013, 235 S., 60314 Frankfurt am Main, Tel.:. 069.949424-0, Extras der DVD-ROM: ergänzende Texte und Juden. Geld. Eine Vorstellung Novemberpogrome 1938 › »Ein Leben auf’s Neu« – € 44,95, ISBN 978-3-631-62019-9 [email protected] Materialien zum Auschwitz-Prozess (pdf-Dateien), Katalog zur gleichnamigen Ausstellung des Jüdischen »Was unfassbar schien, ist Wirklichkeit« Jüdische Displaced Persons 1945 bis 195 Schriftenreihe, Band 30 www.medienzentrum-frankfurt.de zusammengestellt von Werner Renz. Museums Frankfurt und des Fritz Bauer Instituts. Mit einem Vorwort von Raphael Gross Frankfurt am Main, 2003, 56 S., ISBN 3-932883-29-2 Die DVDs können erworben werden (€ 5,– plus Versand- Absolut MEDIEN, Berlin 2014, Dokumente 4021 Ausstellung vom 25. April bis 6. Oktober 2013 im Redaktion: Gottfried Kößler Konfrontationen Heft 6 Raphael Gross kosten), Bestelladresse: Karl Marx Buchhandlung, Regie: Rolf Bickel und Dietrich Wagner (hr) Jüdischen Museum Frankfurt am Main. Frankfurt am Main 2015, 116 S., € 10,– November 1938 Jordanstraße 11, 60486 Frankfurt am Main, 2 DVDs, PAL, Mono, codefree, 4:3, Farbe + s/w, Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2013, IBAN 978-3-932883-36-1 Alle Hefte der »Konfrontationen«-Reihe sind zum Die Katastrophe vor der Katastrophe Tel.: 069.778807, [email protected] 220 Min., € 24,90, EAN: 978-3-8488-4021-2 436 S., zahlr. Abb., € 19,90 Pädagogische Materialien Nr. 03 Preis von € 7,60 (ab 10 Hefte € 5,10) erhältlich. München: Verlag C. H. Beck, 2013, 128 S., € 8,95 www.karl-marx-buchhandlung.de http://absolutmedien.com/fi lm-1569 ISBN 978-3-59339-923-2

110 Publikationen Einsicht 14 Herbst 2015 111 Impressum Fördern Sie mit uns das Nachdenken

Kontakt: über den Fritz Bauer Institut Norbert-Wollheim-Platz 1 Holocaust D-60323 Frankfurt am Main Telefon: +49 (0)69.798 322-40 Telefax: +49 (0)69.798 322-41 [email protected] www.fritz-bauer-institut.de

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Bankverbindung: Frankfurter Sparkasse SWIFT/BIC: HELADEF1822 Einsicht 14 IBAN: DE91 5005 0201 0000 3219 01 Fünfzig Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus ist am 13. Vorstand des Fördervereins Bulletin des Steuernummer: 45 250 8145 5 - K19 Januar 1995 in Frankfurt am Main die Stiftung »Fritz Bauer Institut, Jutta Ebeling (Vorsitzende), Brigitte Tilmann (stellvertretende Vor- Finanzamt Frankfurt am Main III Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung sitzende), Gundi Mohr (Schatzmeisterin), Prof. Dr. Eike Hennig Fritz Bauer Instituts des Holocaust« gegründet worden – ein Ort der Ausein-andersetzung (Schriftführer), Beate Bermanseder, Dr. Rachel Heuberger, Herbert Redaktion: Werner Konitzer (V.i.S.d.P.), unserer Gesellschaft mit der Geschichte des Holocaust und seinen Mai, Klaus Schilling, David Schnell (Beisitzer/innen) Herbstausgabe, Oktober 2015 Werner Lott, Jörg Osterloh, Katharina Auswirkungen bis in die Gegenwart. Das Institut trägt den Namen 7. Jahrgang Rauschenberger, Werner Renz Fritz Bauers, des ehemaligen hessischen Generalstaatsanwalts und Fördern Sie mit uns das Nachdenken über den Holocaust ISSN 1868-4211 Anzeigenredaktion: Dorothee Becker Initiators des Auschwitz-Prozesses 1963 bis 1965 in Frankfurt am Der Förderverein ist eine tragende Säule des Fritz Bauer Instituts. Lektorat: Gerd Fischer, Renate Feuerstein Main. Ein mitgliederstarker Förderverein setzt ein deutliches Signal bürger- Titelabbildung: Gestaltung/Layout: Werner Lott schaftlichen Engagements, gewinnt an politischem Gewicht im Stif- Prozess vor dem 5. US-Militärtribunal Herstellung: Vereinte Druckwerke Aufgaben des Fördervereins tungsrat und kann die Interessen des Instituts wirkungsvoll vertreten. vom 10. Mai 1947 bis 19. Februar 1948. Frankfurt am Main Der Förderverein ist im Januar 1993 in Frankfurt am Main gegrün- Zu den zahlreichen Mitgliedern aus dem In- und Ausland gehören Übergabe der Anklageschrift im Erscheinungsweise: zweimal jährlich det worden. Er unterstützt die wissenschaftliche, pädagogische und engagierte Bürgerinnen und Bürger, bekannte Persönlichkeiten des Nürnberger »Geiselmordprozess« (April/Oktober) dokumentarische Arbeit des Fritz Bauer Instituts und hat durch das öffentlichen Lebens, aber auch Verbände, Vereine, Institutionen und durch Colonel Charles Mays, Marshall Aufl age: 5.500 ideelle und fi nanzielle Engagement seiner Mitglieder und zahlreicher Unternehmen sowie zahlreiche Landkreise, Städte und Gemeinden. of Military Tribunals, an die »Südost Spender wesentlich zur Gründung der Stiftung beigetragen. Der Generale« Wilhelm List und Maximilian Manuskriptangebote: Verein sammelt Spenden für die laufende Arbeit des Instituts und Werden Sie Mitglied! von Weichs am 12. Mai 1947. Textangebote zur Veröffentlichung in die Erweiterung des Stiftungsvermögens. Er vermittelt einer breiten Jährlicher Mindestbeitrag: € 60,– / ermäßigt: € 30,– Foto: bpk Einsicht. Bulletin des Fritz Bauer Instituts Öffentlichkeit die Erkenntnisse, die das Institut im universitären Raum Unterstützen Sie unsere Arbeit durch eine Spende! bitte an die Redaktion. Die Annahme mit hohen wissenschaftlichen Standards erarbeitet hat. Er schafft Frankfurter Sparkasse, SWIFT/BIC: HELADEF1822 von Beiträgen erfolgt auf der Basis einer neue Kontakte und stößt gesellschaftliche Debatten an. IBAN: DE43 5005 0201 0000 3194 67 Begutachtung durch die Redaktion. Für Für die Zukunft gilt es – gerade auch bei zunehmend knapper wer- Werben Sie neue Mitglieder! unverlangt eingereichte Manuskripte, denden öffentlichen Mitteln –, die Projekte und den Ausbau des Informieren Sie Ihre Bekannten, Freunde und Kollegen über die Fotos und Dokumente übernimmt das Fritz Bauer Instituts weiter zu fördern, seinen Bestand langfristig Möglichkeit, sich im Förderverein zu engagieren. Gerne senden wir Fritz Bauer Institut keine Haftung. zu sichern und seine Unabhängigkeit zu wahren. Ihnen weitere Unterlagen mit Informationsmaterial zur Fördermit- gliedschaft und zur Arbeit des Fritz Bauer Instituts zu. Copyright: Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust © Fritz Bauer Institut Seit 1996 erscheint das vom Fritz Bauer Institut herausgegebene QR-Code: Förderverein Link zu allen bisher Stiftung bürgerlichen Rechts Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust im Campus Fritz Bauer Institut e.V. erschienenen Ausgaben Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck nur Verlag. In ihm werden herausragende Forschungsergebnisse, Reden von Einsicht. Bulletin mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. und Kongressbeiträge zur Geschichte und Wirkungsgeschichte des Norbert-Wollheim-Platz 1 des Fritz Bauer Instituts Holocaust versammelt, welche die internationale Diskussion über 60323 Frankfurt am Main als pdf-Dateien. [fritz-bauer-institut.de/ Einsicht erscheint mit Unterstützung des Ursachen und Folgen der nationalsozialistischen Massenverbrechen Telefon: +49 (0)69.798 322-39 einsicht.html] Fördervereins Fritz Bauer Institut e.V. refl ektieren und bereichern sollen. Telefax: +49 (0)69.798 322-41 Mitglieder des Fördervereins können das Jahrbuch des Fritz Bauer [email protected] Instituts zum Vorzugspreis im Abonnement beziehen. www.fritz-bauer-institut.de 112 Impressum Einsicht 14 Herbst 2015 113 Peter Jochen Winters 14 Den Mördern N ins Auge gesehen Berichte eines jungen Journalisten vom Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963–1965 Zeitgeschichte

WOLFGANG BENZ · PETER ECKEL · GÜNTER MORSCH · AGNES OHM PETER JOCHEN WINTERS ELKE GRYGLEWSKI · VERENA HAUG · ANDREAS NACHAMA (Hrsg.) Die Zentrale des KZ-Terrors Den Mördern ins Auge gesehen GOTTFRIED KÖSSLER · THOMAS LUTZ · CHRISTA SCHIKORRA (Hrsg.) Kunst im NS-Staat Die Inspektion der Konzentrationslager 1934–1945 Berichte eines jungen Journalisten vom Ideologie, Ästhetik, Protagonisten Ausstellungskatalog Auschwitz-Prozess 1963–1965 Gedenkstättenpädagogik ISBN: 978-3-86331-264-0 ISBN: 978-3-86331-251-0 ISBN: 978-3-86331-253-4 Kontext, Theorie und Praxis der Bildungsarbeit 472 Seiten · 24,90 € · Hardcover englische Ausgabe: 978-3-86331-252-7 236 Seiten · 19,– € zu NS-Verbrechen 352 Seiten · 24,– € Welche Rolle spielte Kunst für das NS-Regime? Am 20. August 1965 endete vor dem Land- ISBN: 978-3-86331-243-5 Welchen Verlockungen, welchen Zwängen un- Im Frühjahr 1934 unterstellten die Nationalsozia- gericht Frankfurt am Main nach 183 Ver- 363 Seiten · 22,– € · Hardcover terlagen die Künstler, welche Freiräume hatten listen alle KZ einer neuen Dienststelle der SS: der handlungstagen der Auschwitz-Prozess Seit vielen Jahren sind Gedenkstätten für die sie und wie gingen sie damit um? Gibt es eine „Inspektion der Konzentrationslager“ (IKL). Im mit der Verkündung des Urteils. Peter Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen „nationalsozialistische Kunst“? Experten aus Auftrag des Reichsführers SS Heinrich Himmler Jochen Winters hat als junger Redakteur auch Lernorte. Die Beiträge des Bandes geben den Bereichen Literatur, Theater, Film, Bilden- verwaltete die IKL 32 Hauptlager mit über 1000 der Wochenzeitung „Christ und Welt“ den einen Überblick über den aktuellen Stand der de Kunst, Architektur und Musik präsentieren Nebenlagern. Etwa 100 SS-Männer entschieden Prozess besucht und über ihn berichtet. Bildungsarbeit vor Ort. Sie beleuchten die gesell- die Ergebnisse einer viel beachteten Veranstal- hier über Unterbringung und Ernährung der Das Buch enthält seine damaligen Beiträge, schaftspolitischen Rahmenbedingungen, führen tungsreihe der Stiftung Topographie des Ter- Häftlinge, Transporte in andere Lager, Todes- ergänzt durch spätere Artikel des Autors zu in grundsätzliche Debatten ein und stellen die rors. Zahlreiche Abbildungen dokumentieren märsche, Strafen, Hinrichtungen, Zwangsarbeit, Auschwitz aus der FAZ sowie Auszüge aus vielfältige pädagogische Arbeit ebenso wie ein wichtige Aspekte der Kunst im NS-Staat. medizinische Experimente und Massenmorde. dem Urteil und Vernehmungen. breites Spektrum an Gedenkstätten dar.

Meggi Pieschel · Insa Eschebach · Amélie zu Eulenburg Die Rosen in Ravensbrück Ein Beitrag zur Geschichte des Gedenkens Ausstellungskatalog

Roses in Ravensbrück Des Roses à Ravensbrück Τρια ν τάφυλλα στην Ράβενσμπρικ Rose di Ravensbrück הוורדים בראוונסבריק Rozen in Ravensbrück Roser i Ravensbrück Rosen in Ravensbrück Róz˙e w Ravensbrück Trandafiri în Ravensbrück Pозы в Pавенсбрюкe

49 Rózsák Ravensbrück Ru˚že v Ravensbrücku Rosas en Ravensbrück

MEGGI PIESCHEL · INSA ESCHEBACH · ANDREA GENEST (Hrsg.) PETER LANGE KARL HEINZ ROTH · AMÉLIE ZU EULENBURG Damit die Welt es erfährt … Ein amerikanischer HARTMUT RÜBNER (Hrsg.) Die Rosen in Ravensbrück Illegale Dokumente polnischer Häftlinge aus Europäer: Schuld und Schulden Ein Beitrag zur Geschichte des Gedenkens dem Konzentrationslager Ravensbrück Die zwei Leben des Dirigenten Hypotheken der deutschen Besatzungsherrschaft Ausstellungskatalog ISBN: 978-3-86331-235-0 Hans Schwieger in Griechenland und Europa ISBN: 978-3-86331-255-8 240 Seiten · 19,– € ISBN: 978-3-86331-249-7 ISBN: 978-3-86331-265-7 englische Ausgabe: 978-3-86331-256-5 Polnischen Häftlingsfrauen gelang es 1943, 467 Seiten · 24,– € · Hardcover ca. 380 Seiten · 24,– € · Hardcover 120 Seiten · 16,– € Nachrichten aus dem Frauen-KZ Ravens- Der Dirigent Hans Schwieger stand 1933 Die Reparationsfrage ist in der Bundesrepu- Die Rose ist nicht nur zentrales Motiv in der brück zu schmuggeln. Kriegsgefangene vor einer großen Karriere. Sein Aufstieg blik nach wie vor umstritten. Vor allem die Erinnerungskultur des Frauen-KZ Ravens- hielten Kontakt zu den Frauen und leiteten wurde jäh unterbrochen, weil er eine jü- kleineren Länder Europas waren nach Kriegs- brück – schon während der Haft hatte sie für ihre Informationen weiter. Einige der Briefe dische Ehefrau hatte. Nach Zwischensta- ende leer ausgegangen – auch Griechenland, die Gefangenen Bedeutung: Auf Zeichnungen, wurden 1975 bei Neubrandenburg, vergra- tionen in Danzig und Tokio emigrierte er das bis heute Entschädigungen für die Opfer in Gedichten, als Stickerei oder auf heimlich ben in einem Medizinglas, vom MfS gefun- 1938 in die USA, wo ihm nach schwierigen der Massaker und die Ausplünderung seiner gefertigten Grußkarten war die Rose im Lager den und den polnischen Behörden überge- Anfängen eine zweite Karriere gelang. Er Volkswirtschaft fordert. Der Band dokumen- verbreitet. Sie galt als Zeichen der Freundschaft, ben. Das Glas enthielt Listen mit den Namen wurde zu einem der wichtigsten Orchester- tiert die Taktiken des deutschen Vorgehens, der Hoffnung und des inneren Widerstands. Der Erschossener und von Opfern medizinischer leiter seiner Zeit und für die klassische Mu- die im Ausklammern der Reparationen aus Band versammelt eine Fülle von Geschichten Experimente, Briefe sowie im Lager ver- sik zu einer Schlüsselfigur im europäisch- dem De-Facto-Friedensvertrag von 1990 und Abbildungen um die Rosen in Ravensbrück. fasste Gedichte. amerikanischen Kulturtransfer. („Zwei-plus-Vier-Vertrag“) kulminierten.

Ansbacher Straße 70 Metropol Ve r lag D–10777 Berlin 114 Telefon (030) 23 00 46 23 Neuerscheinungen Herbst 2015 (Auswahl) Telefax (030) 2 65 05 18 Alle Titel unter: www.metropol-verlag.de [email protected]