CHRISTOPH BAUSENWEIN

FUSSBALLTRADITIONHSV SEIT 1887 FOREVER AND EVER FOREVER AND EVER HSV Der HSV: Fast immer erste Klasse

Der Hamburger SV ist der einzige Verein in Deutsch- die Hamburger im Finale einer deutschen Meister- land, der von der Gründung der im Jahr schaft oder landeten in der Bundesliga auf Platz zwei. 1963 bis zum bitteren Abstieg 2018 in jeder Saison erst- Weitere Endspielteilnahmen schaf te der HSV auch im klassig war. Und auch in früheren Jahren hatte der HSV DFB-Pokal (dreimal) und im Europacup (je einmal im Erfolg: Seit 1919 spielte er als einziger deutscher Verein Pokalsieger-Cup, Landesmeister-Cup und UEFA-Cup). ununterbrochen in der jeweils höchsten Spielklasse. Um alle weiteren Titel des Vereins mit der berühmten Und dort gehört der Hamburger Traditionsverein nach Raute aufzuzählen, müsste man viele Seiten füllen. Meinung nicht nur der HSV-Fans immer noch hin, auch Die Gesamtstatistik der Nordvereine in den Jahren von wenn es 2018/19 nicht mit dem sofortigen Wiederauf- 1919 bis 1963 führt der HSV mit großem Abstand an. Er stieg in die erste Liga klappen wollte. wurde mehrfach (Groß-)Hamburger Meister, Nord-Po- Bereits 1923 holten die Rothosen die erste von sechs kalsieger, Nordmark-Meister und allein 26-mal Nord- deutschen Meisterschaften. Außerdem gewann der meister. In den letzten Jahren hat der HSV zwar nicht HSV dreimal den DFB-Pokal, dazu die bedeutendsten mehr ganz so erfolgreich gespielt. Aber er mischte wei- internationalen Trophäen: den Europapokal der Pokal- terhin auf oft bemerkenswerte Weise mit und gewann sieger und den Europapokal der Landesmeister (heute sogar Titel, etwa im DFB-Ligapokal und im europäi- Champions League). All diese Erfolge waren kein Zufall. schen UI-Cup. Klar bleibt trotzdem: Eigentlich gebührt Denn auch in den titellosen Jahren spielte der HSV in dem HSV ein Platz ganz oben unter den Großen des der Regel ganz oben mit. Neun weitere Male standen deutschen und europäischen Fußballs.

Der HSV feiert die Deutsche Meister- schaft 1960.

6 Der HSV nach dem Gewinn des Europa- pokals der Landes- meister 1983.

Titel und Erfolge

Deutscher Meister 1923, 1928, 1960, 1979, 1982, 1983

Gewinner Europapokal der Pokalsieger 1977 DFB-Pokalsieger 1963, 1976, 1987 Gewinner Europapokal der Landesmeister 1983

Deutscher Meister 1982: der HSV!

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DIE GOLDENEN JAHRE Der HSV 1973–1987

Deutscher Meister 1979, 1982, 1983 | DFB-Pokalsieger 1976, 1987 | Gewinner Europapokal der Pokal- sieger 1977 | Gewinner Europapokal der Landesmeister 1983 DIE GOLDENEN JAHRE

Macher beim HSV: „Ritter Kuno“ Klötzer und der „Generalma- nager“ Dr. Peter Krohn.

1973–1975: „Zirkus Krohn“ und „Ritter Kuno“ Ab November 1973, als der diplomierte Volkswirt Dr. Horst Bertl von holen zu können, Peter Krohn zunächst als Präsident und dann als „Gene- die Aktion „Fans kaufen Spieler“ ins Leben. Jeder sollte ralmanager“ tätig war, wurde beim HSV plötzlich alles zusätzlich zum Ticketpreis noch ein „Bertl-Extrageld“ anders. Neu war nicht nur die Werbung auf den Tri- entrichten. kots, neu waren auch die Trikots à la „Création Pierre Kuno Klötzer, der neue Trainer, bot mit seinem Auf- Krohn“, mit der die modebewusste Damenwelt ins Sta- treten ein Kontrastprogramm zum umtriebigen und dion gelockt werden sollte. Über den „Zirkus Krohn“ – forschen Präsidenten. Der gebürtige Sachse, der sich Showtrainings und allerlei Fanaktionen mit Musik, Frei- als Aufstiegstrainer von Fortuna Düsseldorf und Kickers bier und Luftballons – wurde bald mehr geschrieben Of enbach einen Namen gemacht hatte, präsentierte als über die Spiele selbst. Und plötzlich gab es anschei- sich als freundlicher und gemütlicher Mann, beinahe nend auch jede Menge Geld, um neue Spieler wie den wirkte er wie ein Vater der Spieler. Sein Spitzname als Uwe-Seeler-Nachfolger angekündigten Willi Rei- „Ritter Kuno“ war bei einem Auswärtsspiel in Of enbach mann, den niederländischen Libero Horst Blankenburg entstanden. In dem Hotel, wo der HSV übernachtete, oder die schwergewichtige Schusskanone Hans „Buf y“ gab es eine Ritterrüstung. Klötzer wurde aufgefordert, Ettmayer zu verpf ichten. Krohn sparte nie mit großen sie mal anzuziehen: Er sei auch so „geradeaus“ wie ein Worten, und wenn das Geld nicht reichte, war er nie Ritter, meinte der Hotelbesitzer. Kuno tat’s, die Presse um einen Einfall verlegen. So rief er, um den Stürmer machte Fotos – und der „Ritter Kuno“ war geboren.

46 DER HSV 1973–1987

Nur in Eppingen nicht auf Der sich bereits abzeichnende Aufwärtstrend setzte dem Vormarsch sich in der Saison 1974/75 fort. Ritter Kunos Mannen bissen sich im Verlauf der Hinrunde in der Spitzen- Es war ein ungleiches Führungsduo, das sich der gruppe fest. Am 18. Spieltag gastierte der Tabellen- Geschicke des HSV angenommen hatte. Aber rasch führer Borussia Mönchengladbach im Volksparksta- wurde klar, dass es recht gut funktionierte. 1973/74 lan- dion. Bei nur einem Punkt Rückstand hätte der HSV mit dete der HSV zunächst nur im Mittelfeld der Liga, aber einem Sieg die Spitze übernehmen können. Es gelang im Pokalwettbewerb hätte es schon beinahe für einen jedoch nur ein 1:1 durch einen wunderschönen Nog- Titel gereicht. Dramatisch ging es im Achtelf nale gegen ly-Flugkopfball in der 66. Minute, der später zum „Tor Borussia Mönchengladbach zu. Nach einem 2:2 wurde des Monats“ gewählt wurde. Ein Titel für das gesamte ein Wiederholungsspiel angesetzt. Auch in diesem Team sprang trotz weiterhin ansprechender Vorstel- stand es nach Verlängerung immer noch unentschieden lungen nicht mehr heraus, am Ende reichte es lediglich (1:1). Im Elfmeterschießen sorgte Torwart für den vierten Platz. mit dem größten Auftritt seiner Karriere für Furore: Er Im UEFA-Cup drangen Kapitän Nogly & Co. bis ins Vier- parierte drei Schüsse! Die nächsten Aufgaben gegen telf nale vor. Mit 0:2 und 0:0 hielten sie sich auch dort Wattenscheid 09 und Kickers Of enbach – 1:0 nach Ver- gegen Juventus Turin ganz beachtlich. Bitter war aller- längerung und 1:0 ohne Verlängerung – wurden ähn- dings ein peinlicher Auftritt im DFB-Pokal. Wenn das lich knapp gelöst. Und auch im Finale wurde es erneut Stichwort „Eppingen” fällt, fröstelt es alte HSV-Fans eng. Nach 90 Minuten gegen stand noch heute. Eppingen ist ein 8.000-Einwohner-Städt- es wieder 1:1, nachdem Ole Bjørnmose die Frankfurter chen in Baden. Gegen den dort beheimateten Amateur- Führung hatte egalisieren können. In der Verlängerung verein VfB musste der damalige Bundesliga-Tabellen- war dann die Luft bei den Rothosen raus, der HSV verlor führer HSV am 26. Oktober 1974 in der zweiten Runde mit 1:3. des DFB-Pokals antreten. Und verlor mit 1:2. Trotzdem: In der Bundesliga vorne dabei und fast im Finale des UEFA-Cups – der HSV, so schien es, war all- mählich wieder reif für einen Titel.

26. Oktober 1974, zweite Runde im DFB-Pokal: Torjubel bei Eppingens Zweifach-Torschützen Gerd Störzer (Nr. 10). Rudi Kargus liegt am Boden, Peter Nogly (Nr. 4) schaut bedröppelt. Da für den HSV nur Bertl ins Netz trif t, scheidet der Bundesligist bei dem Verein aus der 1. Amateur- liga Nordbaden mit 1:2 aus.

47 DIE GOLDENEN JAHRE Volkert Bjornmose Reimann Die Pokalsieger von 1976 Eigl Zaczyk* Memering 1975/76: Pokalsieger und Hidien Nogly Blankenburg Kaltz stolzer Vizemeister Kargus 1975/76 spielte der HSV rasch ganz oben mit. Am zehnten Spieltag sprang er durch ein 4:2 gegen Eintracht Frank- * 62. Sperlich furt auf den zweiten Platz. Besonders erinnerungs- würdig war dabei Peter Noglys direkt abgenommener Ebenso respektabel war das Ergebnis im UEFA-Cup, wo Hammerschuss in den Winkel zum 1:1, bis heute einer es die Rothosen über Young Boys Bern, Roter Stern Bel- der schönsten Tref er in der HSV-Geschichte. Es folgten grad, FC Porto und den polnischen Vertreter Stal Mielec viele weitere Siege, für den größten Jubel sorgte ein bis ins Halbf nale schaf ten. Mit 1:1 und 0:1 scheiterten 3:1-Auswärtserfolg im Derby gegen Werder. Zwei sie nur äußerst knapp am FC Brügge. Und auch im DFB- Niederlagen am Ende der Saison – in Karlsruhe und Pokal ließ der HSV in dieser Spielzeit nichts anbrennen, zuhause gegen Bremen – dämpften schließlich die wobei die Gegner, die er aus dem Wettbewerb kickte, Meisterhof nungen. Zwei Siege in den letzten beiden zunächst nur eine überschaubare Spielstärke auf- Spielen – in Uerdingen und zuhause gegen Düssel- wiesen. Nach drei 4:0-Siegen gegen die Amateure dorf – reichten nicht mehr, um den Vier-Punkte-Rück- des 1. FC Köln, gegen Union Salzgitter sowie stand auf Borussia Mönchengladbach noch gutzuma- gegen den SC Jülich schaltete er Bayern Hof chen. Aber immerhin: Als Vizemeister erreichte der HSV seine bis dahin beste Platzierung in der Bundesliga.

DFB-Pokalf nale 1976: Die HSV-Ersatzbank schützt sich mit Sonnenhüten vor der schlimmen Hitze. Jubelnde Hamburger Pokal- sieger in Frankfurt (v.l.n.r.): , Torwart Rudi Kargus, Peter Hidien, Georg Volkert mit der Trophäe, Klaus Zaczyk, mit 2:0 und den FC Homburg mit 2:1 aus. Dann tauchte Hans-Jürgen Sperlich, Kurt Eigl, im Halbf nale am 4. Mai – es war kurz nach der unglück- und Peter Nogly. lichen 0:1-Niederlage in Brügge – der FC Bayern Mün- chen im Volksparkstadion auf. Es entwickelte sich ein dramatisches Duell. Vor 53.000 Zuschauern stand es nach der regulären Spielzeit 1:1. In der Verlängerung ging Bayern durch Franz Becken- bauer mit 2:1 in Führung. Peter Nogly, einmal mehr Anweisung von Peter Krohn – den dänischen Mittel- für den besonderen Moment zuständig, glich in der feldrenner Ole Bjørnmose als Sturmspitze aufgeboten. 115. Minute jedoch noch aus. Beim Wiederholungsspiel Wer auch immer die Idee hatte – der Schachzug funk- im Münchner Olympiastadion f elen lange keine Tref er. tionierte. In der 22. Minute legte Bjørnmose dem auch In der 83. Minute hielt Rudi Kargus einen Gerd-Mül- of ensiv erneut überragenden Vorstopper Peter Nogly ler-Elfmeter, in der letzten Minute traf der kleine Mit- gefühlvoll auf – und es stand 1:0. In der 37. Minute telfeldstratege Kurt Eigl nach einer Flanke von Georg sorgte der Däne selbst für das 2:0 und damit einen Volkert ausgerechnet per Kopf zum 1:0-Endstand für beruhigenden Vorsprung. Schon zur Pause hatte nie- den HSV. mand im glühenden Stadion das Gefühl, dass an diesem Tag für die Himmelblauen noch irgendetwas schief- gehen könnte. Pokalf nale in teuf ischer Hitze Tatsächlich brannte nichts mehr an. Der Glutofen im Waldstadion – man fühle sich wie in Afrika, meldete Das Pokalf nale gegen den 1. FC Kaiserslautern am die Presse, angeblich zeigte das Quecksilber über 50 26. Juni 1976 vor 61.000 Zuschauern in Frankfurt gestal- Grad – ließ wohl auch eine Aufholjagd der Lauterer tete sich trotz der großen Hitze im Vergleich zum Gän- einfach nicht mehr zu. Als Schiedsrichter Eschweiler sehautspiel gegen die Bayern als einfache Aufgabe. Der abpf f , waren selbst die Verlierer erleichtert. Und die gegen die „Roten Teufel“ diesmal in Hellblau angetre- HSV-Spieler jubelten wie lange nicht mehr. Der Pokal- tene HSV war von Beginn an die klar bessere Elf. Über- sieg war die Krönung einer mit der Vizemeisterschaft ja raschenderweise hatte Kuno Klötzer – angeblich auf sowieso schon sehr erfolgreichen Spielzeit.

49 Die Pokalsieger Volkert Keller Reimann DIE GOLDENEN JAHRE von 1976 Steffenhagen Magath Memering Hidien Nogly Ripp Kaltz

Kargus

1976/77: Triumph im Europapokal der Pokalsieger Die Saison 1976/77 begann mit einer Präsentation der nach Kaltz-Flanke (19. Minute), 2:0 durch Reimann neuen Mannschaft vor 20.000 Fans im alten Stadion am (22. Minute), 3:0 Keller (28. Minute). Diese drei Tore Rothenbaum. HSV-Macher Krohn, nie um einen unge- gegen Atlético bedeuteten das Ticket für die Titel- wöhnlichen Einfall verlegen, hatte diesmal für einen chance. bundesweit kommentierten Hingucker den Anstoß Am 11. Mai 1977 um 20.15 Uhr wurde in Amsterdam das gegeben: rosafarbene Trikots! Wichtigster der Neuen, Endspiel gegen den belgischen Serienmeister RSC die sich im schrillen Outf t den Fotografen stellten, Anderlecht angepf f en. 53.000 Zuschauer, darunter war ein zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend 20.000 HSV-Fans, erlebten ein zunächst recht namenloser junger Mann vom 1. FC Saarbrücken: zäh verlaufendes Match. In der 80. Minute dann . große Aufregung: Nach einem Foul an Arno Der technisch beschlagene Mittelfeldregis- Stef enhagen hatte Schiedsrichter Patrick seur sollte in eine große Karriere Partridge dem HSV einen Elfmeter zugespro- starten. Erfolgreich war bereits seine erste chen. Vorgesehen für die Ausführung war der Saison. Nicht im Pokal – das Aus in der zweiten coole HSV-Linksaußen Georg Volkert. Er ging Runde kam durch ein deprimierend deutliches weit zurück, schneuzte sich noch einmal, lief 1:5 gegen Bayern München –, auch nicht in der entschlossen an und schlenzte den Ball zum 1:0 Bundesliga – der sechste Rang nach 34 Spieltagen halbhoch ins linke Toreck. Flügeldribbler Volkert, bot wenig Anlass für Euphorie –, sondern im Euro- bereits seit sieben Jahren beim HSV und inzwischen papokal der Pokalsieger. Kef avík ÍF (Island), Heart of so etabliert wie sein Vorgänger Charly Dörfel, glänzte in Midlothian (Schottland), MTK Budapest (Ungarn) und der Schlussminute nach einem Konter auch noch einmal Atlético Madrid (Spanien) waren die Gegner, die der als Vorlagengeber: Der junge Felix Magath verwandelte HSV auf dem Weg ins Finale ausschalten musste. aus wenigen Metern sicher zum 2:0-Endstand. Im Halbf nale wurde es eine sehr knappe Geschichte. Der HSV hatte erstmals einen europäischen Titel In Spanien verlor die Klötzer-Elf mit 1:3, aber im Rück- gewonnen! Es war die Krönung der vierjährigen Amts- spiel machten die Mannen um Kapitän Nogly die Sache zeit von „Ritter Kuno“ Klötzer, der mit dem Triumph innerhalb von neun Minuten klar: 1:0 Eigentor Capón seine Tätigkeit beim HSV beendete.

50 DER HSV 1973–1987

Europapokalf nale 1977: HSV-Kapitän Peter Nogly im schicken babyrosanenTrikot bei der Platzwahl.

Hamburger Torjubel nach Georg Volkerts Elfmeter- tref er zur 1:0-Führung gegen Anderlecht (v.l.n.r.): Peter Nogly, Georg Volkert, Ferdinand Keller und Arno Stef enhagen. 51 DIE GOLDENEN JAHRE

ernüchternd: In der Bundesliga nur Mittelmaß, im DFB- 1977/78: Pokal und im Europapokal früh ausgeschieden, und Eine „Zaubermaus“ Keegan, der als Rechtsaußen sein Potenzial kaum hatte entfalten können, war restlos frustriert. beim HSV

Im Sommer 1977 versprach HSV-Chef Dr. Krohn den 1978/79: Meistertitel mit Fans des frischgebackenen Europapokalsiegers aus Netzer und Zebec Hamburg einen spektakulären Coup. Man wolle nun ganz oben mitmischen im europäischen Klubfußball, Günter Netzer krempelte zur Saison 1978/79 alles um. Er lautete seine Ankündigung. Und er machte tatsäch- feuerte die Spieler Volkert, Stef enhagen und Keller, die lich Ernst. Die Verpf ichtung des englischen Weltstars er für die schlechte Stimmung in der Mannschaft ver- vom FC Liverpool war ein Paukenschlag. antwortlich machte. Und er holte dafür Spieler aus der 2,3 Millionen DM ließen die Hanseaten für die 1,69 Meter zweiten Liga: „Jimmy“ Hartwig, Horst Wehmeyer und große „Mighty Mouse“ mit dem Wuschelkopf über den , den Torjäger von Rot-Weiss Essen. Der Tisch gehen und knackten damit zum ersten Mal in der wichtigste Neue aber war der Trainer: . Bundesliga die Zwei-Millionen-Marke. Der ehemalige Weltklassespieler aus Jugoslawien, Anstelle von Kuno Klötzer, in den Augen des Über- der bereits den FC Bayern München zum Meistertitel f iegers Krohn ein viel zu braver Typ, stand nun der geführt hatte, regierte mit strenger Hand und klaren schillernde an der Seitenlinie. In dem taktischen Anweisungen. Seine wichtigste Maßnahme: welterfahrenen Trainer-Paradiesvogel, der den Fans Der laufstarke Wirbelwind Keegan, bisher auf dem „totalen Fußball“ versprach, meinte der Generalma- Flügel ziemlich wirkungslos, durfte nun als hängende nager einen „kongenialen“ Partner gefunden zu haben. Spitze hinter dem Sturmkeil Hrubesch schalten und Doch trotz aller Aufbruchstimmung und vollmundig walten, wie er wollte. Trotz regelmäßiger Sonderbewa- verkündeter Ambitionen – die Leistungen blieben erst chung lehrte die „Zaubermaus“ jetzt jeden Gegner das mal weit hinter den Erwartungen zurück. Auch die Per- Fürchten. Der Engländer wirbelte wie ein Irrer durch die formance Keegans, der Liverpool zu etlichen nationalen gegnerischen Abwehrreihen und schoss Tor um Tor. 17 und internationalen Titeln geführt hatte, bot kaum waren es am Ende – und damit vier mehr, als Mittel- einmal Anlass für große Träume. stürmer Hrubesch, am liebsten mit dem Kopf, ins Tor Nach einem 1:2 am zwölften Spieltag gegen den 1. FC gewuchtet hatte. Saarbrücken – der HSV dümpelte mit mageren 13 Der HSV funktionierte in jeder Hinsicht. Denn er hing Punkten im Mittelfeld der Tabelle – wurde Rudi Guten- nicht alleine vom Weltklassespieler Keegan ab, son- dorf von seinem Assistenten Özcan Arkoç abgelöst. dern präsentierte sich als eine homogene und auch Auch Peter Krohn, schon lange bei der Presse und im charakterlich geschlossene Mannschaft. Viele Spieler Verein umstritten, warf nun das Handtuch und machte waren torgefährlich – am Ende standen 78 Tref er zu für Günter Netzer Platz. Immerhin endete die Saison Buche –, das Mittelfeld mit Magath, Hartwig unfallfrei auf Rang zehn (34:34 Punkte). In Anbetracht und Memering ließ den Ball sicher und der hohen Erwartungen war die Bilanz freilich sehr taktisch clever zirkulieren, und hinten

52 DER HSV 1973–1987 stand die stärkste Abwehr der Liga: Kargus im Tor, davor Kaltz, Nogly, Buljan und Hidien. Zwischen dem 22. und 32. Spieltag feierte der HSV zehn Siege, Höhepunkt war ein 6:0 gegen den Titelverteidiger Köln. Ein 0:0 in Bielefeld am 33. Spieltag machte die Meisterschaft per- fekt, da der Konkurrent Stuttgart gleichzeitig zuhause 1:4 gegen Köln verlor. Endlich konnten die Fans wieder singen: „Wer wird deutscher Meister? Ha-Ha-Ha-Ha- Es-Vau!“

Schreckliche Meisterfeier 19 Jahre hatten die Fans des HSV auf die Meisterschaft gewartet. 62.000 Feierfreudige kamen am 9. Juni 1979 zu dem bis auf den letzten Platz ausverkauften letzten Heimspiel gegen Bayern München. Es sollte ein ausge- lassenes Fest werden – und endete katastrophal. Die 1:2-Niederlage störte nicht weiter, denn Keegan & Co. standen ja bereits als Meister fest. Schlimm wurde es aber, als Hunderte von – nicht nur siegestrunkenen – Randalierern über die Zäune kletterten, um mit ihrer Mannschaft zu feiern. Es entstand ein fürchterliches Durcheinander. 71 Menschen wurden verletzt und mussten in Krankenhäuser eingeliefert werden. Schossen den HSV zur deutschen Meisterschaft 1979: Kevin Keegan und Horst Hrubesch.

Lief aus dem Ruder: die Meisterfeier am 9. Juni 1979. DIE GOLDENEN JAHRE

Sensationell: Der HSV besiegt Real Madrid im Europapokal mit 5:1. 1979/80: Ein Superspiel gegen Real Madrid 1980/81: Kaiser statt Kevin Zur Spielzeit 1979/80 kamen weitere Topleute nach Zahlreiche Kevins hatten inzwischen an der Alster das Hamburg: , Jürgen Milewski und Licht der Welt erblickt, doch deren Namenspatron . Abgesehen vom DFB-Pokal – hier gab machte sich nun, im Sommer 1980, wieder auf den es ein frühes Aus gegen Kickers Of enbach – legte der Rückweg nach England. Ganz Hamburg habe geweint, noch einmal stärker gewordene HSV eine grandiose hieß es in der Presse. Doch bereits im Oktober gab es Saison hin. Doch statt die Früchte zu ernten, verspielten wieder positive Aufregung: „Der Kaiser kommt!“, lau- die Männer in den roten Hosen am Ende innerhalb einer tete die Schlagzeile in allen Gazetten. Der bereits 35 Woche alle Möglichkeiten. Jahre alte hatte zuvor drei Jahre In der Bundesliga führte die Zebec-Mannschaft bis zum im „Fußballaltersheim“ von Cosmos New York gekickt. vorletzten Spieltag die Tabelle an, musste dann aber „Kaiser Franz, hol die Bayern vom Thron!“, forderten die nach einer Niederlage in Leverkusen den FC Bayern vor- Fans. Aber der ehemalige Münchner hatte schon müde beiziehen lassen. Im Europapokal der Landesmeister Knochen und blieb weit entfernt von seiner früheren zeigte der HSV ganz große Spiele und rauschte dennoch Klasse. knapp am großen Triumph vorbei. Höhepunkt war das Die Mannschaft insgesamt kickte allerdings gut und Halbf nale gegen Real Madrid. Das Hinspiel in Spanien errang mit einem Punkt Vorsprung vor dem FC Bayern ging mit 0:2 verloren, aber in Hamburg drehten die Rot- die Herbstmeisterschaft. Dennoch herrschte keine hosen auf. Sie spielten wie im Rausch und schlugen die ungetrübte Freude, nicht nur, weil man im UEFA- Madrilenen mit 5:1. Die Tore: Kaltz per Strafstoß nach Pokal gegen St.-Étienne sang- und klanglos – mit 0:5 Foul an Keegan (10. Minute), Hrubesch per Kopfball nach zuhause und 0:1 auswärts – ausgeschieden war. Der Flanke Reimann (17.), Kaltz per abgefälschtem Weit- autoritäre Trainer Zebec war immer mehr in die Kritik schuss (40.), Hrubesch per Kopfball nach Flanke Meme- geraten, nicht zuletzt wegen seiner Alkoholkrankheit. ring (46.) und Memering nach Flanke Hrubesch (90.). Noch im Dezember trennten sich die Rothosen von ihm. Das Spiel war einer der ganz großen Höhepunkte in der Nachfolger wurde bis zum Ende der Saison der bishe- Geschichte des HSV! rige Co-Trainer Aleksandar Ristić. Der verlor gleich sein Das Endspiel am 28. Mai 1980 fand dann ausgerechnet erstes Spiel am 18. Spieltag mit 0:2 in Duisburg. Am in Madrid statt. Nottingham Forest war ein sehr unbe- 28. Spieltag rutschte der HSV auf Platz zwei ab. Dabei quemer Gegner. In der 20. Minute gingen die Engländer blieb es auch bis zum 34. Spieltag, der Rückstand auf mit 1:0 in Führung. Dann verteidigten sie mit Mann und Bayern München wuchs sogar noch auf vier Punkte Maus. Bis zum Schlusspf f rannte der HSV, der klar das an. Auch im DFB-Pokal war es diesmal mit den Titel- bessere Team war, unentwegt gegen das Abwehrboll- ambitionen nichts geworden, bereits im Februar hatte werk von Forest an. Es nützte nichts. Am Ende waren man mit 3:4 n.V. bei Eintracht Braunsschweig die Segel alle Mühen vergeblich geblieben. gestrichen.

54 Große Freude: Jakobs, Hrubesch und Magath nach dem Triumph gegen die „Königlichen“ aus Spaniens Hauptstadt.

Günter Netzer (rechts), seit 1978 Manager beim HSV, holte 1980 Altstar Franz Beckenbauer zum HSV. DIE GOLDENEN JAHRE Der Lebemanntrainer 1981/82: Ein „Grantler“ auf dem Motorrad, gewohnt grantig dreinblickend. Über seine Lebensein- macht Dampf stellung bemerkte er einmal: „Gran- teln, granteln, ich muss halt granteln Zur Spielzeit 1981/82 präsentierte Manager Günter in der Früh. Wenn ich das tu, ist der Netzer einen Trainer, der neben vielen anderen Titeln Tag besser für mich. Wenn ich nicht granteln kann, ist es für mich ein auch schon den Europapokal gewonnen hatte: Ernst schlechter Tag.“ Happel. Der ehemalige Weltklasseverteidiger aus Wien, passionierter Raucher und versierter Schnaps- trinker, schaute immer missmutig drein und sprach wenig. Und wenn er etwas sagte, dann war es meist ein mürrisches Grummeln. Kurzum: Happel verkörperte einen Typus, den die Österreicher „Grantler“ nennen. Sehr eigentümlich war neben vielem anderen sein Umgang mit den Spielern: Er duzte sie, ließ sich aber umgekehrt von ihnen nur mit „Herr Trainer“ anreden. Trotz allem kritisierte kaum jemand den Herrn Trainer. Denn er sorgte für richtig Dampf und ließ einen Fußball spielen, der alle begeisterte: in der Of ensive immer mit Tempo und in der Defensive stets aggressiv. Wichtigstes Element seiner Fußballphiloso- phie war das Pressing: Wenn man den Ball verloren hatte, sollte er dem Gegner sofort wieder abgejagt werden, möglichst noch in dessen Spielhälfte, denn dann konnte man sofort wieder gefährliche Angrif e einleiten. Der HSV funktionierte unter Happel bald wie eine gut geölte Maschine. Stein im Tor, Jakobs und Kaltz in der Abwehr waren eine Bank. Neben dem Torschützenkönig Horst Hrubesch (27 Tref er) waren auch (14), (13), Jürgen Milewski (20) und Manni Kaltz (acht Elfmeter- tref er!) extrem torgefährlich. Beckenbauer durfte hin und wieder mitmischen, f el aber nicht besonders auf. Am 24. April 1982, dem 29. Spieltag, stand der Saisonhö- hepunkt in München beim Titelkonkurrenten FC Bayern an. Der HSV lag bereits mit 1:3 zurück und gewann dann doch noch nach einer atemberaubenden Aufholjagd mit 4:3. Der junge – per sensa- tionellem Sololauf – und zweimal Hrubesch hatten innerhalb von 20 Minuten ein bereits verloren geglaubtes Spiel noch gedreht. Hrubeschs Sieg- tref er in der 90. Minute, natürlich per Kopf ins Netz gewuchtet, ist bis heute eine der legen- därsten Szenen in der Geschichte des HSV. Der Triumph im Olympiastadion war die ent- scheidende Station auf dem Weg zum Titel. Am Ende hatten die Rautenträger eine wahn- sinnige Tordif erenz von plus 50 (95:45 Tore), drei Punkte Vorsprung vor Köln und fünf vor München. Die fünfte Meisterschaft des HSV war einfach phänomenal!

56 Deutscher Meister 1982: der HSV! Hier freuen sich Lars Bastrup, DER HSV 1973–1987 Jimmy Hartwig und Ditmar Jakobs über den Titel.

„Manni Banane, ich Kopf – Tor.“ Horst Hrubesch über das Erfolgsrezept des HSV

Europacup-Finalpleite gegen die „Kameraden“ Bliebe noch die erfolgreiche UEFA-Cup-Saison zu raterna = Sportvereinigung Die Kameraden) war lange erwähnen. Da setzte es zwar einige Niederlagen, aber torlos und recht ausgeglichen, bis sich die Gäste kurz das störte niemanden so richtig, denn der HSV kam vor Schluss dann doch noch eine 0:1-Niederlage einhan- trotzdem Runde um Runde weiter. 0:1 und 6:3 gegen delten. Ihre Hof nungen hatten die HSV-Fans damit frei- den FC Utrecht, 1:2 und 2:0 gegen Girondins Bordeaux, lich längst nicht aufgegeben, zumal die Happel-Mann- 2:3 und 3:1 gegen den FC Aberdeen, 3:2 und 0:0 gegen schaft für viele Experten nach wie vor als Titelfavorit Xamax Neuchâtel und schließlich 1:2 und 5:1 gegen galt. 61.000 sahen beim Rückspiel im Volksparkstadion, Radnički Niš lauteten die Ergebnisse der Hamburger wie sich ihre Mannschaft of ensiv bemühte – und dann auf dem Weg in die beiden Endspiele. mehrmals auskontern ließ. 0:3 hieß es am Ende über- Das Hinspiel in der schwedischen Hafenstadt Göteborg raschend deutlich. Der Cup ging verdient in die schwe- beim dortigen IFK (schwedisch: Idrottsföreningen Kam- dische Hafenstadt.

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DIE GROSSE GESCHICHTE EINES GROSSEN VEREINS

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VON DER GRÜNDUNG 1887 BIS HEUTE

ISBN 978-3-7307-0461-5 VERLAG DIE WERKSTATT