Kirchentage auf dem Weg | Erfurt | 25.-28. Mai 2017

Sperrfrist: Sa. 11.30 Uhr Projekt: Zentrum Juden und Christen Veranstaltung: Vortrag: Elisabeth Schmitz und ihr Einsatz für die Juden Eine Ausnahme in der Bekennenden Kirche Zeit, Ort: Sa. 11.30–13.00, Jüdische Landesgemeinde Thüringen, Kultur- und Bildungszentrum, Erfurt Referent/in: Sibylle Biermann-Rau, Pfarrerin, Tübingen

(Der Vortrag basiert auf dem Buch: Sibylle Biermann-Rau: Elisabeth Schmitz – Wie sich die Protestantin für Juden einsetzte, als ihre Kirche schwieg, Hamburg 2017 – Das Manuskript wird ohne die von der Autorin angegebene Literatur und Fußnoten aufgeführt.)

Einleitung: Elisabeth Schmitz? – Eine Entdeckung! Im Jahr 2008 habe ich zum ersten Mal von ihr gehört. Bekannt sind die Männer der Bekennenden Kirche, allen voran Barth, Bonhoeffer, Gollwitzer, Niemöller. Aber von Elisabeth Schmitz, der Berliner Studienrätin im Dritten Reich, war jahrzehntelang nicht die Rede gewesen. Erst seit einigen Jahren und immer häufiger wird ihr Name genannt. Auf dem Prospekt der Ausstellung zur Barmer Theologischen Erklärung in der Kirche in Wuppertal-Barmen ist sie mit Barth und Bonhoeffer auf einer Seite zu sehen. „Wenn das Schmitz noch erlebt hätte, aber vom Inhalt her stimmts!“ war der Kommentar von Dietgard Meyer, der ehemaligen Schülerin und späteren Freundin von Schmitz, als sie mir den Prospekt vor 2 Jahren zeigte. Seit den 80er Jahren ist zwar ein bedeutender Brief von Schmitz an den Dahlemer Pfarrer Helmut Gollwitzer bekannt, und es gab auch schon Hinweise auf einen Briefwechsel zwischen Schmitz und dem Theologieprofessor . Aber bis 1999 blieb unbekannt, dass diese Briefeschreiberin auch die Verfasserin der wichtigen rund 20- seitigen Denkschrift von 1935/36 „Zur Lage der deutschen Nichtarier“ ist, mit der Schmitz „ihre“ Bekennende Kirche zum Widerstand gegen die Judenverfolgung aufrütteln wollte. Die unterschriftslose Denkschrift wurde einer anderen zugeschrieben, als sie 1948 zum ersten Mal erwähnt worden ist (von Wilhelm Niemöller, dem Bruder von Martin N.und „Historiker“ des Kirchenkampfs). Die falsche Zuordnung der Denkschrift hatte zur Folge, dass der eigenständige Ansatz der Schmitz- Denkschrift nicht wahrgenommen wurde und dass diese auch nicht im Kontext ihrer Briefe an die erwähnten Kirchenmänner der Bekennenden Kirche verstanden werden konnte. Es hätte nicht viel gefehlt und Elisabeth Schmitz hätte das Geheimnis ihrer Denkschrift mit ins Grab genommen. Wie aber kam es nun zur Aufdeckung der Verfasserschaft? Nach Schmitz` Tod 1977 drückte deren ältere Schwester Maria, so erzählt Dietgard Meyer, ihr als Freundin von Elisabeth deren alte Aktentasche in die Hand: „Die nimm du mal mit“. Sie enthielt neben Familienbildern und Freundes-Korrespondenzen viele gesammelte Vorträge und Artikel aus der Bekennenden Kirche. Erst in ihrem Ruhestand sichtete Meyer diese genauer und entdeckte dabei auch eine anonyme Denkschrift „Zur Lage der deutschen Nichtarier“. Sie

Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Geneh- migung der Verfasserin/des Verfassers.

Seite: 1/17

erkannte bald: „Das klingt doch nach Schmitz!“, obwohl sie sich nicht erinnern konnte, dass Schmitz je mit ihr über ihre Denkschrift gesprochen hätte. Auf der Suche nach einem Nachweis für die Urheberschaft stieß Meyer Ende der 80er Jahre im Staatsarchiv Wiesbaden auf ein Gesuch von Elisabeth Schmitz aus dem Jahr 1947, in dem sie um Wiederaufnahme in den höheren Schuldienst bat. Um ihre kritische Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus zu beweisen, verwies sie gegenüber dem zuständigen hessischen Regierungspräsidium ausdrücklich auf ihre Denkschrift und legte sie als Anlage bei, (dazu auch noch eine Bestätigung ihrer Verfasserschaft von Propst Wilhelm Wibbeling.) Es handelt sich bei dieser Denkschrift, mit der Schmitz „ihre“ Bekennende Kirche bereits 1935, aber leider vergeblich, zum Protest rufen wollte, nach heutiger Einschätzung „um den bedeutendsten Text, der auf evangelischer Seite in den zwölf dunklen Jahren des Dritten Reichs überhaupt zur Lage der rassisch Verfolgten geschrieben wurde“, (so Herausgeberinnen des Doku-Bandes im Vorwort). Zu einer kommentierten Veröffentlichung der Denkschrift kam es dann erst 1999, als „Exkurs Elisabeth Schmitz“ in dem von Meyer mit herausgegebenen 1. Dokumentationsband zu Katharina Staritz.

Das wurde vereinzelt durchaus registriert, auch mehrere Zeitungen berichteten darüber. Im Jahr 2004 fand dann auch noch Gerhard Lüdecke , Hanauer Richter i. R. und Kirchenvorstand, zufällig im Kellerraum seiner Kirche eine dick eingestaubte Schultasche, auf der ein Zettel lag: “Nachlass Dr. Elisabeth Schmitz“. Der Name hat ihm etwas gesagt, da er Dietgard Meyer bei einem Vortrag über die gebürtige Hanauerin im dortigen Geschichtsverein (im Dezember 2001) gehört und auch ihren Exkurs zu Schmitz gelesen hatte. So konnte er den Fund sofort einordnen. Die Schultasche war prall gefüllt mit Dokumenten, die Aufschluss gaben über ihre Familie, ihren Werdegang und ihre berufliche Situation, ihr Leben in und Hanau, aber auch Papiere zu verschiedenen Themen. In einem größeren Briefumschlag mit dem Hinweis „Zu meiner Denkschrift“ befanden sich Schulhefte mit einem handschriftlichen Text, auch ergänzt und überschrieben, sowie mit Stichworten und einer Gliederung, was interessante Einblicke in die Vorarbeiten zur Denkschrift gibt. (Die 2004 im Hanauer Kirchenkeller von Lüdecke gefundenen Dokumente sind sehr wichtig als ein Teil des Nachlasses von Schmitz.) Dieser sensationelle Fund verleitet immer wieder dazu, diesen als die „Entdeckung“ oder den Beweis dafür zu werten, dass Schmitz tatsächlich die Verfasserin der Denkschrift war. 30 Jahre nach Schmitz‘ Tod wurde 2007 auf Initiative des Berliner Historikers Manfred Gailus in Berlin erstmalig eine wissenschaftliche Tagung zu Elisabeth Schmitz durchgeführt. Gailus hat, auch durch seine ausführliche Schmitz-Biografie, viel dazu beigetragen, Elisabeth Schmitz in der Öffentlichkeit bekannt zu machen, aber das Bild, das er von Schmitz als Person zeichnet, nämlich von der „grauen“ Erscheinung zur „protestantischen Ikone des 20. Jahrhunderts“, ist für Dietgard Meyer als Freundin nicht stimmig: „Sie war eben eine Frau ohne Kitsch!“ Seit Herbst 2010 hatte ich direkten Kontakt zu Dietgard Meyer (Jahrgang 1922). Sie kennt Elisabeth Schmitz wie niemand sonst und hat einen großen Teil ihres Nachlasses erhalten. Meine Ausführungen zu Elisabeth Schmitz stützen sich also auch auf Dietgard Meyer, sowohl auf unsere Gespräche als auch auf ihre verschiedenen Veröffentlichungen.

Wer war Elisabeth Schmitz?

I vor 1933: Kindheit und Jugend in Hanau, Studieren und Unterrichten in Berlin

Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Geneh- migung der Verfasserin/des Verfassers.

Seite: 2/17

Elisabeth Schmitz wird 1893 in Hanau/Main als dritte Tochter von Marie und August Schmitz, einem Gymnasialprofessor geboren und ist dort (in einem stattlichen Haus in der Corniceliusstraße), in einem bildungsbürgerlichen und kirchenverbundenen Milieu aufgewachsen. Der Vater, der auch Theologie studiert hat, ist kein Lutheraner, sondern reformierten Bekenntnisses, was i.d.R. auch eine kritischere Einstellung zum Staat zur Folge hat. August Schmitz fördert die höhere Schulbildung seiner Tochter bis zum Abitur an der Frankfurter Schiller-Schule und finanziert anschließend eine rund 10-jährige Ausbildung. Schmitz beginnt kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Bonn mit dem Studium der Fächer Deutsch, Geschichte und Religion. Mitten im Krieg wechselt sie 1915 nach Berlin, wo zwei international renommierte Professoren Elisabeths wichtigste Lehrer werden, Adolfvon Harnack - liberaler Theologe und Kirchenhistoriker - und Friedrich Meinecke- Historiker, bei dem Schmitz 1920 promovieren wird. Schmitz gehört nicht nur (seit 1916) dem auserwählten Kreis von Meineckes „Historischem Seminar“ an, sondern ist (ab 1917), vermutlich als erste Frau, auch Teilnehmerin im „Kirchengeschichtlichen Seminar“ Adolf von Harnacks, einem Kreis von Eliteschülern, zu dem zuvor auch Barth und später Bonhoeffer zählen, dem sie wahrscheinlich dort auch begegnet ist, auch wenn von einem näheren Kontakt nichts bekannt ist. Darüber hinaus ist und bleibt Elisabeth Schmitz ihren Lehrern Meinecke und von Harnack und deren Familien auch persönlich verbunden. Schon als Studentin ist sie häufig Gast bei Familie von Harnack, die in einem weitverzweigten Familien- und Kollegenkreis sowie in engen nachbarschaftlichen Kontakten im Berliner Westen lebt und ist eng befreundet mit der Tochter Elisabet von Harnack. Durch ihre persönlichen Kontakte zu diesen beiden Familien gewinnt Schmitz auch Anschluss an das „kulturprotestantische Bildungsbürgertum “ , das eine distanzierte Haltung zur stark traditionsverhafteten und obrigkeitshörigen preußischen Kirche hat und gekennzeichnet ist durch einen religiösen Individualismus und die Betonung der Ethik. Und als Historikerin nimmt Schmitz in Berlin den Umbruch nach dem Ende des Ersten Weltkrieg und die Weimarer Republik sehr bewusst wahr. Nach ihrem ersten Staatsexamen 1921 absolviert Schmitz parallel zu ihrem schulischen Vorbereitungsdienst noch ein mehrjähriges Ergänzungsstudium an der Theologischen Fakultät. Doch sie versteht sich zeitlebens als Historikerin, nicht als Theologin (so Meseberg- Haubold).

Dass Schmitz am pulsierenden Berliner Leben der sogenannten „Goldenen Zwanziger“ teilnimmt, ist nicht bekannt und auch schon aus Zeitgründen angesichts von Studieren und Unterrichten und weiteren Aktivitäten eher unwahrscheinlich. Auch nach Abschluss ihres Vorbereitungsdienstes und des Zweiten Staatsexamens (1923) kann Schmitz in Berlin bleiben, muss aber mit Zeitverträgen weiterhin an verschiedenen höheren Mädchenschulen/Lyzeen unterrichten. Nach sechs Jahren kommt sie endlich 1929 als fest angestellte Studienrätin ihrem Wunsch entsprechend an das Luisen-Oberlyzeum in der Ziegelstraße 12 in der Spandauer Vorstadt, heute Berlin-Mitte. An dieser renommierten Höheren Mädchenschule mit einer sozialdemokratisch gesinnten Direktorin ist Schmitz „zu Hause“: Sie findet gleichgesinnte Kolleginnen, in Arbeitsgemeinschaften entstehen vertrauensvolle Beziehungen zwischen Lehrerinnen und Schülerinnen.

Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Geneh- migung der Verfasserin/des Verfassers.

Seite: 3/17

Elisabeth Schmitz hatte 17 Jahre lang (seit 1915) in der Auguststraße 82 (heute Hotel Augustinenhof) in einem möblierten Zimmer im Evangelischen Hospiz gewohnt, einem Wohnheim für alleinstehende Damen. Das war ein jüdisch geprägtes Umfeld, denn die Auguststraße (mit jüdischem Kinderheim „Ahawah“ und jüdischer Mädchenschule, Synagoge in der Oranienburger Straße) grenzt an das damals von vielen Juden bewohnte Scheunenviertel in Berlin-Mitte. Erst mit knapp 40 Jahren bezieht sie im Januar 1933 eine eigene 3-Zimmer- Wohnung am Robert-Koch-Platz (Luisenstraße 67) in der Nähe der Charité, also auch nicht weit von ihrer Schule entfernt. Im 1. Stock wohnt bereits ihre Freundin, die Ärztin Martha Kassel, eine evangelisch getaufte Jüdin. Schmitz bleibt unverheiratet, aber lebt in zahlreichen Kontakten zu Freundinnen und Kolleginnen. Zu ihrem Freundes- und Bekanntenkreis gehören einige Juden und Judenchristen.

Und wie schon als Studentin pendelt sie auch als Berufstätige weiterhin in Ferien-und Festzeiten nach Hanau in ihr Elternhaus (auch die älteren Schwestern hatten nicht geheiratet), dazwischen hält sie die Verbindung zu ihrer Familie durch einen regen Briefwechsel. „Berlin war ständige Aufregung, Hanau bedeutete Ruhe“, so bemerkt Dietgard Meyer.

II: Die Reaktion von Elisabeth Schmitz auf das „Dritte Reich“ und die Judenverfolgung Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten erkennt Elisabeth Schmitz sogleich deren Un- Geist. Da sie bald in Konflikt mit dem neuen Schuldirektor gerät, lässt sie sich auf dessen Drängen hin 1935 an die Auguste-Sprengel-Schule (heute Beethoven- Gymnasium) in Berlin-Lankwitz versetzen. Ihre damalige Schülerin Dietgard Meyer erinnert sich: Schmitz war „leise auftretend, persönlich zurückgenommen, konzentriert auf den Unterrichtsstoff, sachlich und anspruchsvoll in ihren Anforderungen an uns. Und in ihrem „Outfit“ – ach, so schlicht und bescheiden: [...] Alles ein wenig altertümlich und nicht dazu angetan, uns spontan für ihre Person zu begeistern. Dennoch ist es Elisabeth Schmitz gelungen, sich Anerkennung zu verschaffen. Ihre absolut lautlose Autorität machte uns sprachlos. […] Dabei war sie menschlich nicht unnahbar. […]Einige haben sie auch um ihres Unterrichts willen hochgeschätzt und verehrt. Abneigung oder Zuneigung erzeugte sie bei uns durch ihre erkennbare Ablehnung des Nationalsozialismus. Die zeigte sich schon bei ihrem Hineinkommen ins Klassenzimmer mit ihrem Hitlergruß. Der kam nicht forsch und mit stramm erhobenem Arm wie bei anderen Lehrern. Nein, sie machte nur eine verhuschte Handbewegung und ihr verhauchter Gruß war kaum vernehmbar.“ Niemand kann ahnen, dass Schmitz neben ihrem Schuldienst ab 1933 unzählige Fakten und Berichte über Diskriminierungen von Juden sammelt.

Schmitz lebt auch in einem Netzwerk von Gleichgesinnten, was im Dritten Reich geradezu lebensnotwendig ist für Andersdenkende. Zum einen gehören dazu Frauen: Unter den mit ihr verbündeten Mitstreiterinnen sind allen voran die Biologie-Professorin Dr. Elisabeth Schiemann aus der Dahlemer Gemeinde und die frühere Kollegin Dr. Elisabeth Abegg zu nennen, mit der Schmitz sich auch nach dem Schulwechsel 1935 weiterhin regelmäßig trifft. Zum anderen steht Schmitz in enger Verbindung zu einzelnen Pfarrern und Gemeinden der Bekennenden Kirche: Seit den Kirchenwahlen im Sommer 1933 gehört sie der Gemeindevertretung (nicht dem Vorstand) der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Charlottenburg an mit dem dort amtierenden Pfarrer Jacobi. Im September 1934 wird Schmitz selbst Mitglied der Bekennenden Kirche. Ab 1936/37 wendet sie sich mehr zur Bekennenden Gemeinde in Dahlem hin, wo Pfarrer Niemöller bis zu seiner Verhaftung im Juli 1937 wirkt und

Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Geneh- migung der Verfasserin/des Verfassers.

Seite: 4/17

ab 1938 dessen inoffizieller Nachfolger Gollwitzer. Nachdem Gollwitzer (1940) eingezogen worden ist, orientiert sie sich um zur Friedenauer BK-Gemeinde um Pfarrer Jannasch zu. Schmitz wählt also genau aus, zu welcher Gemeinde sie gehören will. Und schließlich gibt es noch den Charlottenburger Kreis um Anna von Gierke (1884-1943), einer sog. „Halbjüdin“ und entlassenen Jugendheimleiterin. Bei ihr gibt es jeden zweiten Mittwoch einen Bibelabend mit Diskussion, in der anderen Woche (bis zum Verbot 1942) trifft sich ein größerer Kreis (bis zu 80 Personen) zu einem Vortragsabend zu kulturellen Themen (auch gehört zu den Referenten). Was Schmitz neben ihrer vollen Berufstätigkeit als Studienrätin leistet, ist enorm. Das alles gehört zum Hintergrund für Schmitz` Reaktionen auf die Judenverfolgung. Die Judenverfolgung im Dritten Reich hat sich in vier Phasen gesteigert.

1. Phase: Ausgrenzung der Juden ab 1933 Briefe an Karl Barth Mit der Boykottaktion der SA (zeitweilige „Hilfspolizei“ der Nationalsozialisten) beginnt bereits am 1. April 1933 die systematische Ausgrenzung der Juden. Am 7. April folgt das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ mit dem sogenannten „Arierparagraphen“. Nur zwei Tage später fordern die Deutschen Christen (DC), eine Bewegung innerhalb des Protestantismus, die mit den Nationalsozialisten sympathisieren und antisemitisch eingestellt sind, die Einführung des „Arierparagraphen“ auch in der evangelischen Kirche für Pfarrer und Mitarbeitende mit jüdischen Wurzeln. Im September des gleichen Jahres führen sie ihn dann auch in der größten Landeskirche ein, der Kirche der Altpreußischen Union mit acht Kirchenprovinzen vom Rheinland bis Preußen und Sitz in Berlin. Schon bei den Kirchenwahlen im Juli 1933 konnten sie die Leitung in 19 evangelischen Landeskirchen übernehmen außer in Württemberg, Bayern und Hannover. Der Pfarrernotbund, in dem sich u.a. der Berlin-Dahlemer Pfarrer Martin Niemöller engagiert und dem sich ca. ein Drittel der protestantischen Pfarrer anschließen, lehnt den „Arierparagraphen“ in der Kirche ab. Wie außerhalb der Kirche mit Juden verfahren wird, das wird jedoch dem Staat überlassen. Auch leisten durch das Ausstellen der sogenannten Ariernachweise so gut wie alle evangelischen und katholischen Pfarrämter Amtshilfe zur Klassifizierung von Juden und Ariern. Aufgrund der Gesetze vom April 1933 verliert auch Schmitz‘ Freundin und Hausgenossin Dr. Martha Kassel ihre Praxis als Ärztin und damit ihre Existenzgrundlage. Schmitz nimmt sie für mehr als vier Jahre in ihre Drei-Zimmer-Wohnung auf. So erlebt sie unmittelbar, was den „Nichtariern“ geschieht. Die Betroffenen selbst können nicht fassen, wie sie, die sie sich als weithin integrierte, gar patriotische, Deutsche verstanden haben, plötzlich als Nicht-Deutsche, als „Nichtarier“ ausgegrenzt werden, unabhängig davon, ob sie jüdischen oder christlichen Glaubens sind. Elisabeth Schmitz ist tief betroffen von dem, was den Juden und Christen jüdischer Herkunft aus ihrem Kollegen- und Freundeskreis geschieht. Sie denkt nicht daran, den Umgang mit ihnen aufzugeben. Um aber kirchenpolitisch wirken zu können, muss sie Verbündete finden unter den Kirchenmännern. Von Karl Barth (1886-1968), dem Bonner Professor schweizerischer und reformierter Herkunft und dem seinerzeit bekanntesten Theologen in Deutschland, erhofft sie sich vor allen anderen verständnisvolle Unterstützung. So entsteht 1933/1934 ein intensiver Briefwechsel, der vollständig erstmalig 2009 von Dietgard Meyer veröffentlicht wird.

Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Geneh- migung der Verfasserin/des Verfassers.

Seite: 5/17

Bereits in ihrem ersten Brief an Barth, den Elisabeth Schmitz am Ostermontag 1933 schreibt, spricht sie von den „Folgen der Judenverfolgung“. Schmitz kritisiert die Kirche scharf, kann deren Reaktionen nicht begreifen: „Aber die Kirche feiert Siegesfeste, feiert Ostern in der Siegesstimmung, die augenblicklich durch unser deutsches Volk geht, wie es hier in einer Predigt hieß u. sicher in tausenden ähnlich geheißen hat. Sieht die Kirche nicht die Gefahr, die von den ‚deutschen Christen‘ u. der ‚Gleichschaltung mit dem Staate‘ droht? Man hat mir gesagt, man befürchte eine neue Kirchenspaltung. Ich weiß nicht, ob das zu fürchten oder zu hoffen ist. Jedenfalls sind die lahmen, über u. über in Watte gepackten Äußerungen der evang. Kirchenbehörden nur dazu angetan, einen völlig verzweifeln zu lassen. [...] Hätte die Kirche denn nicht wenigstens die elementare Pflicht, sich um ihre eigenen verfolgten Glieder zu kümmern? Und trägt sie nicht die Verantwortung andererseits für die Glieder, von denen all der Hass ausgeht?“ Dann wendet sie sich an Barth selbst: „Meine Frage […] geht dahin, ob nicht Sie als der Theologe, dessen Stimme in Deutschland am meisten gehört wird […] ob nicht Sie etwas dazu tun könnten, dass die Gewissen wach werden und erschrecken. Ich weiß nicht, ob es klug ist, im Augenblick an die breite Öffentlichkeit zu treten. Aber vielleicht wäre es möglich, wenigstens für die theologische Welt etwas zu sagen“. In seinem Antwortbrief vom 2. Mai 1933 reagiert Barth zurückhaltend auf ihre Bitte. (gibt zu bedenken, dass ein Wort von ihm womöglich gar nicht gedruckt würde und wenn, dann würde es wenig Gewicht haben, da er Schweizer sei.) Als Schmitz am Neujahrstag 1934 einen mehrseitigen eindringlichen Brief an Karl Barth schreibt, hat sie das ganze Ausmaß der Judenverfolgung im Blick: „Sollten die Gesetze, wie sie heute sind, längere Zeit bestehen bleiben, so würde das das glatte Todesurteil bedeuten für Hunderttausende von Menschen, vielleicht für Millionen. Könnten heute ‚nichtarische Verlustlisten‘ aufgestellt werden, so würden die Opfer dieser Verfolgung bereits auf viele Hunderte festgestellt werden müssen – durch Selbstmord u. Krankheit, auch einzelne durch Gewalttat“. Außerdem deutet Schmitz, was in Deutschland geschieht, als Verstoß gegen das erste Gebot: „Einem deutschen Studenten sagten schwedische Christen: ‚Deutschland hat einen Götzen: die Rasse – u. diesem Götzen bringen die Deutschen Menschenopfer‘.“ Schmitz ist kritisch, nicht nur gegenüber den DC, sondern auch gegenüber der gerade entstehenden oppositionellen BK: „Zu alledem schweigt die Kirche. Ob sie überhaupt bemerkt, was vorgeht, ist nicht zu erkennen. Es sieht nicht so aus [...] Solang die sogenannte Opposition nur immer Bücklinge vor dem Staat macht, wird es nicht anders [...]Und wieso verstehen auf einmal so viele Theologen von Biologie u. Rassekunde mehr als alle Anthropologen? Die meisten Oppositionellen sind doch nur etwas zahmere deutsche Christen. […] Ich stehe dem kirchenpolitischen Kampf, der sicher nötig ist, nah genug, um seine Gefahr zu sehen. Er wird durch die Freude am Kampf bei vielen schließlich zum Selbstzweck. Er beruhigt auch die Gewissen – man kämpft ja gegen den Arierparagraphen (aber beileibe nur in der Kirche!) – u. macht die Menschen blind der Tatsache gegenüber, dass ebenso dringliche Aufgaben, ja die allerdringlichste vergessen wird. Wo hätte man ein Trostwort der Kirche an ihre verfolgten Glieder gehört, geschweige denn ein mitfühlendes Gedenken an die verfolgten – von Christen verfolgten – überhaupt? Was die Kirche am nötigsten braucht, ist weder ein neues Bekenntnis, noch die Verfassung, noch theologische Auseinandersetzungen über Volk u. Rasse, sondern die ganz einfache,

Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Geneh- migung der Verfasserin/des Verfassers.

Seite: 6/17

schlichte, selbstverständliche christliche Liebe. Auf keinem Gebiet hat die Kirche u. die deutsche Christenheit so rettungslos versagt wie auf diesem“. Schon am 18. Januar 1934 reagiert Karl Barth auf diesen Brief, laut Meyer ist der längste, den Barth je an eine Privatperson geschrieben hat. Er meint: „Die evangelische Kirche müsste heute mit einem lauten Nein zu all dem, was jetzt in der Arierfrage geschieht und mit einem ebenso bestimmten Wort des Trostes und der Hoffnung für ihre in dieser Sache angefochtenen Glieder und sogar mit einer ernsten Fürsprache für die Glieder der Synagoge auf dem Plan sein“. Aber Barth betont auch, dass die Kirche zunächst zu sich selber zurückkehren müsse, zu ihrer Substanz, bevor sie „die christliche Liebe und die christliche Wahrheit“ in einer Gesellschaft sprechen lassen könne.

Darauf antwortet sie in einem weiteren langen Brief vom 12. Februar 1934: „Ich will gewiss keinen ‚Verein für Moral‘ aus der Kirche machen, aber ich meine, dass die christliche Liebe ganz stark betont werden müsse […]es müssen beide Aufgaben – die dogmatische u. die ethische – zu gleicher Zeit aufgenommen werden […]. Der Brief bleibt unbeantwortet. Nur wenige Monate nach Schmitz` eindringlichem Schreiben an Barth wird auf der Barmer Synode vom Mai 1934, die als das Gründungsdatum der Bekennenden Kirche gilt, die Barmer Theologische Erklärung verabschiedet. In dieser maßgebend von Barth mitverfassten Erklärung lehnen die 139 Delegierten, darunter nur eine Frau, in sechs Thesen die Irrlehren der Deutschen Christen ab. Die Ablehnung der Irrlehre des Antisemitismus ist allerdings nicht dabei. Die Bekennende Kirche ist also keine Widerstandsbewegung gegen das national-sozialistische Unrechtsregime und die Judenverfolgung. Der Kirchenkampf der Bekennenden Kirche ist primär ein innerkirchlicher, gegen die Deutschen Christen. Wichtig ist der BK auch die Freiheit der Kirche gegenüber Übergriffen des Staates (wie der Gleichschaltung zur Reichskirche, dem Zugriff auf die Pfarrerausbildung und der Durchsetzung des „Arierparagraphen“ bei kirchlichen Mitarbeitenden). Dadurch gerät sie in Konflikte mit dem Staat, vor allem auch da, wo sie sich für die evangelisch getauften Juden engagiert, die ja ihre Kirchenmitglieder sind. Es ist von mindestens 100 000 evangelischen „Nichtariern“ im Deutschen Reich auszugehen (nach anderen Schätzungen bis zu 300.000). Nach der Nazi-Ideologie gehörten dazu auch diejenigen, deren Eltern oder Großeltern bereits zum Christentum konvertiert waren. So sind die Christen jüdischer Herkunft durch die Rassegesetzgebung ebenso in Gefahr wie die Glaubensjuden und die Konfessionslosen jüdischer Herkunft. In der entstehenden Bekennenden Kirche hat Elisabeth Schmitz keine Position inne. Die Worte dieser klarsehenden Frau werden nicht gehört. Das verwundert nicht angesichts der Tatsache, dass in der Barmer Erklärung die Kirche immer noch als eine „Gemeinde von Brüdern“ definiert und von Männern geleitet wird. Die Mitglieder der Bekennenden Kirche, die eine rote Karte als Ausweis bekommen, organisieren sich in Gemeinden, Synoden und sogenannten „Bruderräten“. Kurz vor der Augsburger Synode der Bekennenden Kirche im Juni 1935 hat Marga Meusel (1897- 1953), eine Berliner Wohlfahrtspflegerin (und Leiterin des evangelischen Bezirkswohlfahrtsamts Berlin-Zehlendorf), eine „Denkschrift über die Aufgaben der Bekennenden Kirche an den evangelischen Nichtariern“ verfasst. Darin wendet sie sich gegen die Ausgrenzung der zum Christentum konvertierter Juden innerhalb der Kirche, warnt aber ausdrücklich vor einer

Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Geneh- migung der Verfasserin/des Verfassers.

Seite: 7/17

Oppositionshaltung der Kirche gegenüber dem Staat: „Dann hätte sie vom Evangelium her nicht nur keine Berechtigung, sondern sie würde gegen Gottes Gebot verstoßen“. Allerdings wird diese Denkschrift auf der Synode im Juni 1935 weder beraten noch beschlossen, sie wird den Synodalen vermutlich nicht einmal vorgelegt. Und Barth war auf dieser BK-Synode, nur ein Jahr nach Barmen, bereits unerwünscht. Anders als Meusel geht es Schmitz wie dem seinerzeit erst 27-jährigen Dietrich Bonhoeffer (1906- 1945) um die Solidarität mit allen Juden, das sind mehr als eine halbe Million im Deutschen Reich. Bonhoeffer spricht in Bezug auf die geplante Einführung des „Arierparagraphen“ für kirchliche Mitarbeitende klar von einer „Irrlehre“. Und er hat bereits im April 1933 die Kirche dazu aufgefordert, sich für alle Opfer einzusetzen, auch wenn sie nicht zur christlichen Gemeinde gehören, die Opfer nicht nur zu verbinden, sondern „dem Rad selbst in die Speichen zu fallen“. Ab Oktober 1933 ist Bonhoeffer jedoch erst einmal für zwei Jahre als Auslandspfarrer in London.

In der Bekennenden Kirche gibt es nicht viele, die so denken. Es sind in ihr sogar ausdrücklich judenfeindliche Stimmen zu hören: Im März 1935 schreibt der Theologe Walter Künneth in einer in der BK weit verbreiteten Stellungnahme (zu dem NS- Ideologen Alfred Rosenberg): „Dass in der Charakterisierung des zersetzenden Einflusses des dekadenten Weltjudentums und seiner Gefährdung des deutschen Kulturlebens Rosenberg Wesentliches erkannt und dargestellt hat, ist nicht zu bestreiten. Verständlich ist es ferner, dass er aus Liebe zum Volk und zur deutschen Rasse mit der ganzen Kraft seiner Seele das deutsche Volk vor der Vergiftung durch diesen jüdischen Geist bewahren möchte und diesem Fremdgeist den unerbittlichen Kampf ansagt“ Und auch Künneth redet vom „‚Fluchcharakter‘ des Juden“ und nennt die Ursache des Fluchs:“Gott hat dich verworfen, weil du den Christus verstoßen hast“. Schmitz (ebenso wie Elisabeth Schiemann) schreibt ihm daraufhin einen empörten Brief (28. Juli 1935). 2. Phase: Entrechtung der Juden ab 1935 – Denkschrift für die Bekennende Kirche Mit den Nürnberger Rassegesetzen vom September 1935 wird die Entrechtung der Juden „legalisiert“ und die strikte Trennung von Ariern und Nichtariern in allen Lebensbereichen vollzogen. Wenige Tage nach Erlass der „Nürnberger Gesetze“ findet Ende September 1935 in Berlin- Steglitz eine öffentliche Synode der großen und gewichtigen altpreußischen Bekennenden Kirche statt. Schmitz hatte zuvor (am 5.9.) zur Vorbereitung der Synode ihre Denkschrift „Zur Lage der deutschen Nichtarier“ einem Pfarrer übergeben. Zu ihrem eigenen Schutz hat Schmitz ihren Namen nicht daruntergesetzt. Ob die Denkschrift ( natürlich noch ohne Nachtrag), dann der Synode überhaupt vorlag, ist umstritten. Meyer geht davon aus, dass die Denkschrift, auch wenn sie nicht auf der Synode kursierte, zumindest einigen Synodalen im Vorbereitungskreis vorgelegen hat. Der Inhalt der (rund 20-seitigen) Denkschrift: Schon in der Überschrift redet Schmitz bewusst von den „deutschen“ Nichtariern, obwohl es Juden ab 1935 bei Strafe verboten ist, sich deutsch zu nennen. Außerdem geht es ihr nicht nur um die Christen jüdischer Herkunft, sondern um alle rassisch verfolgten Juden. In der Einleitung bezeichnet sie die staatliche Ariergesetzgebung als Verletzung der Gebote Gottes und widerspricht damit der gängigen lutherischen Auffassung, die die gesetzlichen

Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Geneh- migung der Verfasserin/des Verfassers.

Seite: 8/17

Regelungen dem Staat überlässt, ohne sich zu widersetzen. Die ersten beiden Kapitel geben mit einer Vielzahl von Beispielen, die Schmitz von überallher zusammengetragen hat und auch kommentiert, Einblick in die Lage der Juden. Sie beschreibt die innere Not: Die Aufhetzung der öffentlichen Meinung durch Hass, Lüge, Verleumdung, Schmähungen und die Folgen der Verhetzung und fragt: „Sollte nicht auch uns das 8. Gebot gelten? Und sollte es nicht der Kirche aufgetragen sein, angesichts der unaufhörlichen Übertretung des Gebotes zu reden und nicht zu schweigen?“ Erschütternde Beispiele zur Lage der Kinder und der sogenannten „rasseschänderischen“ Ehen zwischen sogenannten Ariern und Nichtariern werden genannt und Schmitz fragt: „Was soll überhaupt aus unseren evangelischen nichtarischen Gemeindegliedern werden? Die Kirche hat es ja zunächst – aber auch wirklich nur zunächst – mit ihren Gliedern zu tun. Sollen unsere Kinder in die jüdischen Schulen gehen? Sollen die Kinder aus evangelischen Ehen in eine andere Badeanstalt gehen als Vater oder Mutter? Mann und Frau in verschiedene Restaurants und Cafes?“ Im zweiten Kapitel geht es um die äußere Not, um die Existenzfrage, und dann der unmissverständliche Satz: „Die Beispiele genügen um zu zeigen, dass es keine Übertreibung ist, wenn von dem Versuch der Ausrottung des Judentums in Deutschland gesprochen wird“. Elisabeth Schmitz sieht die Todesopfer, die Verelendung, Angst und Stress bisher schon gefordert haben. Sie sieht die Menschen, die von der Verzweiflung in den Tod getrieben werden, und spricht bereits 1935 von der versuchten Ausrottung! Und sie prophezeit: „Was sollen wir antworten einst auf die Frage: Wo ist dein Bruder Abel? Es wird auch uns, auch der Bekennenden Kirche keine andere Antwort übrigbleiben als die Kainsantwort.“ Und dann kommentiert sie einen Schulerlass: „Damit wäre der Ausschluss aller nichtarischen Kinder aus öffentlichen Schulen unvermeidlich, allerdings auch der Ausschluss der Bibel und des Christentums aus dem Unterricht.“ (243) Im dritten Kapitel schließlich geht es um die Stellung der Kirche zur Diskriminierung der Juden. Schmitz mahnt eindringlich: „Alle diese Menschen mit ihrem unermesslichen Leid Leibes und der Seele sind die Opfer des Glaubens an Blut und Rasse.“ Und sie stellt Anfragen an die Kirche: „Warum muss man sich immer sagen lassen aus den Reihen der nichtarischen Christen, dass sie sich von Kirche und Ökumene verlassen fühlen? […] Was soll man antworten auf all die verzweifelten, bitteren Fragen und Anklagen: Warum tut die Kirche nichts? Warum lässt sie das namenlose Unrecht geschehen? Wie kann sie immer wieder freudige Bekenntnisse zum nationalsozialistischen Staat ablegen, die doch politische Bekenntnisse sind und sich gegen das Leben eines Teiles ihrer eigenen Glieder richten? Warum schützt sie nicht wenigstens die Kinder […]? Warum betet sie nicht für die, die dies unverschuldete Leid und die Verfolgung trifft?“(244f) Schmitz fordert allerdings nicht nur christliche Solidarität mit den Opfern, sondern spricht auch offen von der Täterschaft der Christen in Deutschland: „Menschlich geredet bleibt die Schuld, dass alles dies geschehen konnte vor den Augen der Christen, für alle Zeiten und vor allen Völkern und nicht zuletzt vor den eigenen künftigen Generationen auf den Christen Deutschlands liegen. Denn noch sind fast alle Glieder des Volkes getauft, und noch trägt die Kirche Verantwortung für Volk und Staat, […] denn es sind ihre getauften Glieder, die all den Jammer und all das Elend auf dem Gewissen haben.“ (245f) Scharf kritisiert Schmitz auch ihre Bekennende Kirche: „Dass es aber in der Bek. Kirche Menschen geben kann, die zu glauben wagen, sie seien berechtigt oder gar aufgerufen, dem Judentum in dem heutigen historischen Geschehen und dem von uns verschuldeten Leiden Gericht und Gnade Gottes zu verkündigen, ist eine Tatsache, angesichts deren uns eine kalte Angst ergreift. Seit wann hat der Übeltäter das Recht, seine Übeltat als den Willen Gottes auszugeben? Seit wann ist es etwas Anderes als Gotteslästerung, zu

Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Geneh- migung der Verfasserin/des Verfassers.

Seite: 9/17

behaupten, es sei der Wille Gottes, dass wir Unrecht tun?“ (246) Im Mai 1936 fügt Schmitz der Denkschrift den mehrseitigen Nachtrag zu den Folgen der Nürnberger Gesetze hinzu: „Folgen, die einen erschütternden Beweis erbringen für die unheimlich schnelle Entwicklung der Dinge.“ (219) Schmitz schreibt darin auch über den „Arierparagraphen in der Wirtschaft“ und entlarvt das Gerede, dass dieser nicht für die Wirtschaft gelten solle: „Tatsächlich geht der Kampf gegen die jüdischen Geschäfte unaufhörlich und mit allen Mitteln weiter, ja, er wird immer stärker. […]Dass Kauf- und Pachtsummen in keinem Verhältnis stehen zum wirklichen Wert, wenn Tausende, die noch obendrein zu Menschen zweiter Klasse degradiert sind, vor der Notwendigkeit stehen, ihren Besitz sofort zu verkaufen, ist klar. Aber ebenso klar ist, dass das deutsche Volk als Ganzes sich dadurch gegen das 7. Gebot versündigt.“ Vermutlich hofft sie, dass ihre Denkschrift mit Nachtrag nun auf der Brandenburger Tagung der altpreußischen Bruderräte im Juni 1936 zur Kenntnis genommen wird, aber ob die Denkschrift dort wirklich verteilt wurde, ist nicht belegt. Es gibt auch keine zeitnahe Reaktion. Es ist davon auszugehen, dass sie auch auf dieser Synode nicht besprochen worden ist. Es gibt starke Differenzen innerhalb der Bekennenden Kirche. Dabei ist der entschiedene Flügel, der eine deutlichere Sprache gegenüber dem Staat fordert, zahlenmäßig dem gemäßigt- konservativen Flügel unterlegen. Das Schweigen der Bekennenden Kirche zur Judenfrage geschieht nicht nur aus Angst, sondern auch aus dem Willen heraus, die Kirche zu erhalten. Und nicht zuletzt gründet es sowohl in der traditionellen Juden- feindschaft, als auch in der falschen Auslegung der lutherischen „Zwei-Reiche-Lehre“.

Letzteres führt dazu, dass viele meinen, sie müssten das Handeln des Staates nicht kritisch hinterfragen, sondern könnten sich auf den Bereich der Kirche beschränken. Und während Schmitz nah bei den Menschen ist, die unter den Folgen der Nürnberger Rassegesetze zu leiden haben, grenzt sich der BK-Pfarrer Gabriel in seiner 1936 erschienenen Schrift „D. : Von den Jüden. Luthers christlicher Antisemitismus nach seinen Schriften“ zwar gegen den „Radau-Antisemitismus“ ab, doch Luther ist für ihn ein christlicher Antisemit, dessen Grundsätze – ins Moderne übertragen – „noch heute Klarheit und Segen bringen“. Die „rassischen und sozialen Einzelheiten“, betont er, solle die Kirche „der Weisheit des Staates“ überlassen. Als Schmitz 1947 die Denkschrift mit Nachtrag als Anlage ihrem Gesuch um Übernahme in den Schuldienst hinzufügt, bemerkt sie dazu: „Ich habe die Denkschrift eigenhändig in 200 Exemplaren abgezogen und diese 200 Exemplare der Vorläufigen Leitung der Bekennenden Kirche, den Landes- und Provinzialbruderräten, soweit ich Beziehung zu ihnen herstellen konnte (Altpreußen, Kurhessen, Frankfurt/M., Nassau/Hessen, Berlin, Brandenburg, die altpreußischen Provinzen, die Württembergische Sozietät) und einigen einflussreichen Einzelpersönlichkeiten der BK zugestellt. Rund 20 Seiten auf Matrize für 200 Denkschriften einzeln auf der Vervielfältigungsmaschine „durchzunudeln“ ist nicht nur viel Arbeit, sondern auch gefährlich. Bereits die Entdeckung des Apparates kann schlimme Konsequenzen haben, ganz abgesehen vom Inhalt der vervielfältigten Texte. Warum geht Schmitz dieses Risiko ein? Rückblickend schreibt sie in ihrem Gesuch: „Ich wollte mit dieser Schrift aufklären über die Lage der Nichtarier, die damals (1935/36) weitgehend unbekannt war, und dadurch die BK rufen zu ihrem Amt und zum Widerstand gegen die antichristlichen Maßnahmen des Staates“. Mit „antichristlichen Maßnahmen“ meint Schmitz die Judenpolitik der Nationalsozialisten.

Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Geneh- migung der Verfasserin/des Verfassers.

Seite: 10/17

Wie genau die Verbreitung dieser 200 Exemplare gewesen ist, auf denen ebenfalls aus Vorsicht der Name der Verfasserin nicht angegeben ist, kann nicht sicher gesagt werden. Ob Niemöller ein Exemplar erhalten hat, wissen wir nicht. Wahrscheinlich kannte Gollwitzer die Denkschrift. Bekannt ist, dass Bonhoeffer ein Exemplar einem Londoner Pfarrerkollegen zukommen lässt. Auch Barth, der seit seiner Ausweisung ein Jahr zuvor in Basel lebt, hat die Denkschrift im Laufe des Sommers 1936 (durch Elisabeth Schiemann) erhalten, nachdem Schmitz schon zuvor bei ihrem ersten Besuch bei Barth im Juli 1936 mit ihm darüber gesprochen hatte. (s. Brief an Barth vom 16. Juli 1936, noch aus Basel geschrieben) Schmitz besucht Barth mehrmals vor dem Krieg, wenn sie in der Schweiz Urlaub macht. Sie hält den Kontakt zu Barth auch dann noch aufrecht, nachdem sich selbst der entschiedene Flügel von ihm im Herbst 1938 distanziert hat. 3. Phase: Die Reichspogromnacht 1938 – persönliche Konsequenzen Die Reichspogromnacht am 9./10. November 1938 markiert den Beginn der dritten Phase der Judenverfolgung. Der Thüringer Landesbischof Martin Sasse (DC) begrüßt das Geschehen, gerade auch im Hinblick darauf, dass der 10. November der Geburtstag Martin Luthers ist. Von der intern zerstrittenen Bekennenden Kirche ist kein öffentliches Wort zur Reichspogromnacht zu hören, es herrscht Schweigen. Bonhoeffer ist tief erschrocken über das Geschehen in der Reichspogromnacht, muss sich aber mit öffentlichen Äußerungen zurückhalten, da er zu dieser Zeit auch schon Kontakte zu Verschwörerkreisen hat. Allerdings versuchen einzelne Menschen innerhalb der Bekennenden Kirche solidarisch mit den Juden (v. a. Christen jüdischer Abstammung) zu sein, indem sie sie verstecken oder ihnen zur Emigration verhelfen wie das „Büro Pfarrer Grüber“ (diese Hilfsstelle der Bekennenden Kirche für nichtarische evangelische Christen in Berlin (mit vielen Außenbüros) organisiert zwischen 1938 und 1940 für ca. 2000 Menschen die Emigration.) Elisabeth Schmitz zieht persönliche Konsequenzen und reagiert auf die Ereignisse der Reichspogromnacht in dreifacher Weise: Erstens: Sie quittiert den Schuldienst. Am Tag darauf erscheint sie nicht mehr in ihrer Berliner Schule – eine einzigartige Reaktion. Sie will ihren Dienst – mit 45 Jahren – quittieren. Rückblickend be- schreibt sie 1947 ihren Schritt so: „Ich beschloss, den Schuldienst aufzugeben und nicht länger Beamtin ei- ner Regierung zu sein, die die Synagogen anstecken lässt.“ Am 31. Dezember 1938 stellt sie den Antrag auf Frühpensionierung: „Ich befinde mich seit Monaten in einer inneren Unruhe und in starken seelischen Spannungen. Hierzu darf ich auf das in der Anlage beigefügte Attest verweisen. Es ist mir in steigendem Maße zweifelhaft geworden, ob ich den Unterricht bei meinen rein weltanschaulichen Fächern – Religion, Geschichte, Deutsch – so geben kann, wie ihn der nationalsozialistische Staat von mir erwartet und fordert. Nach immer wiederholter eingehender Prüfung bin ich schließlich zu der Überzeugung gekommen, dass das nicht der Fall ist. Da dieser dauernde Gewissenskonflikt untragbar geworden ist, sehe ich mich genötigt, den obigen Antrag zu stellen“. Dass Schmitz in ihrem Antrag nicht nur gesundheitliche Gründe nennt, sondern von ihren Zweifeln spricht, ist wohl ehrlich, aber auch mutig und lebensgefährlich. „Der persönlichen Integrität der Oberschulrätin und des zuständigen Juristen der Schulbehörde hatte Schmitz

Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Geneh- migung der Verfasserin/des Verfassers.

Seite: 11/17

es zu verdanken, dass ihr Gesuch um Entlassung wider Erwarten bewilligt wurde“. Als Pension erhält sie ab April 1939 rund 60 Prozent ihres Gehalts und bleibt dank der Deckung durch die zwei genannten höheren Beamten auch vor Repressalien bewahrt.

Zweitens: Sie hilft Menschen jüdischer Herkunft. Fortan engagiert sich Schmitz ehrenamtlich in der Bekennenden Kirche, zunehmend in der Friedenauer Bekenntnisgemeinde um Pfarrer Jannasch, auch eine Anlaufstelle für Verfolgte aus Berlin. Neben Bibelarbeiten und Besuchsdienst gibt Schmitz auf Bitten von Pfarrer Jannasch Taufunterricht für Juden, die in die Kirche aufgenommen werden wollen. Dazu muss sie in die als Judenwohnungen gekennzeichneten Wohnungen der Taufbewerber gehen. Wie Jannasch später schreibt, hätte „eine Entdeckung ihres Tuns […] zu vorübergehender Haft und Schlimmerem führen können“. Ende 1938 erwirbt Schmitz von dem jüdischen Arzt Max Seefeld, der ihre langjährige Wohngenossin geheiratet hatte und mit ihr kurz vor der Emigration steht, das idyllisch gelegene Wandlitzer Anwesen Haus „Pusto“. Sie kann es nach ihrer Frühpensionierung für sich als Rückzugsort und Garten gut nutzen. Aber das „Gartenhaus“ dient auch als Unterschlupf für Verfolgte. Dass Schmitz zeitweilig nicht nur in ihrer Wohnung in Berlin- Mitte, sondern auch in diesem ca. 30 Kilometer nördlich davon gelegenen Wandlitzer Haus untergetauchte Personen jüdischer Herkunft aufnimmt, ist lebensgefährlich. Ende 1938 wendet sich auch die 16-jährige Dietgard Meyer an ihre vormalige Lehrerin und erzählt ihr von den Belastungen, denen sie und ihre Familie wegen der jüdischen Abstammung des Vaters ausgesetzt sind. In Schmitz findet sie eine Vertrauensperson.“ Drittens: Sie nimmt Kontakt auf zu BK-Pfarrern, insbesondere zu Helmut Gollwitzer. Nachdem Schmitz bereits zwei Tage vor dem Bußtag bei ihm war, besucht sie am 16. November den Bußtagsgottesdienst im überfüllten Gemeindesaal in Dahlem, zusammen mit ihrer „nichtarischen“ Freundin Martha Seefeld-Kassel . Gollwitzer nimmt in seiner Predigt kritisch Bezug auf die jüngsten Ereignisse, ohne sie direkt beim Namen zu nennen. Wenige Tage danach, am 24. November 1938, bedankt sich Schmitz bei ihm mit einem Brief, der (so Schäberle-Königs) ein „einzigartiges Dokument christlicher Solidarität mit den Juden“ ist. Darin heißt es: „Sehr geehrter Herr Pfarrer, Bitte, erlauben Sie mir, dass ich Ihnen noch heute aus tiefstem Bedürfnis heraus für den Bußtagsgottesdienst danke. Es lässt sich wohl nicht mehr sagen als dies: dass man erfüllt war von dem Gefühl: So, und nur so kann und darf nach dem, was geschehen ist, eine christliche Gemeinde in Deutschland zusammen sein. Meiner Freundin, die vor der – im Augenblick unmöglich gemachten – Auswanderung steht, haben Ihre Worte herausgeholfen aus tiefer Bitterkeit und Verzweiflung über die Haltung der Kirche“. […] Schmitz wartet vergeblich auf ein Wort der Kirche: „Und nun? Es scheint, dass die Kirche auch dieses Mal, wo ja nun wirklich die Steine schreien, es der Einsicht und dem Mut des einzelnen Pfarrers überlässt, ob er etwas sagen will, und was. Aber was m. E. nun überall kommen muss, ist die Fürbitte. Ob wohl jemand auf den Gedanken gekommen ist, an Dr. Baeck [Reichsvertreter der deutschen Juden] zu schreiben im Namen der Kirche, oder an die jüdische Gemeinde, der man alle Gotteshäuser in Deutschland verbrannt oder in die Luft gesprengt hat, wobei man an manchen Orten Rabbiner gezwungen hat, zuzusehen. Wo sollen denn nun die Gemeinden Gottesdienst halten in dieser Notzeit?“ Schmitz fordert , „dass die Kirche in jedem Fall strikt als Kirche handelt, ohne rechts und links zu sehen, ohne Taktik, ohne zu fragen: was wird daraus, allein nach ihrem Wesen und Auftrag, dass sie sich selbst ganz ernst nimmt.“ Und

Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Geneh- migung der Verfasserin/des Verfassers.

Seite: 12/17

schließlich: „Es gehen Gerüchte um – und Derartiges hat auch in ausländischen Zeitungen gestanden – dass ein Zeichen an der Kleidung beabsichtigt sei. […] Was gedenkt die Kirche zu tun angesichts der drohenden Zerreißung der Gemeinden? Wenn die „Gesetze“ da sind, ist es zu spät. Hierfür müssen die Gemeinden zugerüstet werden“. Und weiter: „Wir haben die Vernichtung des Eigentums erlebt, zu diesem Zweck hatte man im Sommer die Geschäfte bezeichnet. Geht man dazu über, Menschen zu bezeichnen, so liegt ein Schluss nahe, den ich nicht weiter präzisieren möchte. […]Ich bin überzeugt, dass – sollte es dahin kommen – mit den letzten Juden auch das Christentum aus Deutschland verschwindet. Das kann ich nicht beweisen, aber ich glaube es“. Auch wenn Einzelne aus dem entschiedenen Flügel ähnlich denken wie sie, wird Schmitz` Stimme in der Bekennenden Kirche als Ganzes nicht gehört, werden ihre Forderungen nicht umgesetzt – auch nicht in den täglichen Fürbittgottesdiensten der Bekennenden Gemeinde in der St-Annen- Kirche in Dahlem.

4. Phase; Die Vernichtung der Juden ab 1941 – Hilfe für Verfolgte Mit dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 beginnt die Endphase der Judenvernichtung in den Massenvernichtungslagern im Osten. Aber selbst jetzt noch schreibt der württembergische Bischof Wurm (BK), der mittlerweile von vielen als Sprecher der evangelischen Christen anerkannt ist , in einem internen Brief vom Februar 1942 an die Kirchenkanzlei: „Von keiner evangelischen Kirche ist dem Staat das Recht bestritten worden, zum Zweck der Reinhaltung des deutschen Volkes eine Rassegesetzgebung durchzuführen“. Ansonsten herrscht – wie zuvor schon – Schweigen in der Kirche.

Nur Bonhoeffer, der seit Herbst 1940 aktiv im Widerstand arbeitet und sich nach außen hin „tarnen“ muss, drängt 1941 konspirative Generäle, die einen Putsch gegen Hitler planen, zu raschem Handeln. Für Bethge, den Freund Bonhoeffers, besteht kein Zweifel, „dass die Hauptmotivation für Bonhoeffers Schritt in die aktive politische Verschwörung die Judenbehandlung durch das „Dritte Reich“ gewesen ist“. Schmitz hat weiterhin Kontakt zu „nichtarischen“ Menschen und engagiert sich persönlich für die Verfolgten. In ihrer Hanauer Rede von 1950 erzählt sie von einem jüdischen Mädchen, das mit einem getauften Juden verlobt war, den sie bald darauf heiratete, und dem sie Taufunterricht bis zur Taufe gab. Drei Tage nach der Geburt des Jungen sollte sie deportiert werden, aber sie ist noch einmal davongekommen. Schmitz hat sie besucht: “Sie glaubte so zuversichtlich, dass Gott das Kind nicht habe geboren werden lassen, um es gleich wieder zu sich zu nehmen. Mir aber zerriss es das Herz, wenn ich daran dachte, welchem furchtbaren Schicksal dies Kind entgegen schlief, und ich hatte keine Hoffnung. Als ich das nächste Mal kam, war die Wohnung leer. Sie waren nach Theresienstadt abtransportiert worden, aber, wie wir nach dem Zusammenbruch hörten, von dort weiter nach Polen zur Vergasung. Wir haben nie mehr etwas von ihnen gehört.“ Ihre Solidarität mit jüdischen Menschen geht auch aus der Post hervor, die Dietgard Meyer nach ihrer ersten Veröffentlichung über Schmitz im Jahr 1999 aus den USA von einem Charles Milford bekommt: „Sein ursprünglicher Name sei Mühlfelder, er habe vor dem Krieg mit den Eltern in Berlin gelebt. Sein Vater sei zu Kriegszeiten festgenommen und in das Sammellager in der Rosenstraße gebracht worden. Als sich seine Mutter zur Rosenstraße aufmachte, habe sie, besorgt um den allein in der Wohnung zurückbleibenden Sohn, zu ihm gesagt: ‚Geh du zu Frau Dr. Schmitz, die wird dich aufnehmen!‘ Und das tat sie dann auch, für etliche Nächte.“ Schmitz gehört auch zu dem Rettungsnetzwerk für etwa achtzig jüdische Verfolgte, das ihre

Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Geneh- migung der Verfasserin/des Verfassers.

Seite: 13/17

ehemalige Kollegin Elisabeth Abegg aufbaut. Dort engagiert sich auch Lydia Forsström, eine frühere Schülerin der Luisenschule, mit der Schmitz weiterhin in freundschaftlichem Kontakt steht. Als Schmitz von Ostern 1942 an krankheitsbedingt monatelang in Hanau bleibt, überlässt sie Forsström zeitweilig ihre Berliner Wohnung. Forsström erinnert sich später: Es habe 1942/43 viel „Durchgangsverkehr“ in der Wohnung Luisenstraße gegeben, aber dann kam ein Anruf von Elisabeth Abegg, die darum bat, dass Lilo sich da oben bei ihr ein bisschen ausruhen sollte … Und die Untergetauchte erzählt: „Als im Nov. 43 die Wohnung von Frl. Dr. Schmitz durch Bomben zerstört wurde, hatte sie mir weiter geholfen und zwar oft mit Geld und Lebensmittel- marken. Es ist mir bekannt, dass Frl. Dr. Schmitz noch anderen jüdischen Menschen in gleicher Weise wie mir geholfen hat[…] [Sie] hat uns Flüchtlingen auch oft durch ihre Haltung geholfen, den Glauben an eine bessere Zukunft nicht zu verlieren“. Schon im April 1943 hat Schmitz ihr Wandlitzer Häuschen an ein befreundetes Ehepaar (Löwenberg) vermietet. Beide gelten als „halbjüdisch“ und hatten größte Schwierigkeiten, irgendwo als Mieter unterzukommen. Schmitz selbst datiert ihren Wegzug von Berlin erst auf August 1943, als ein offizieller Evakuierungsaufruf an die Berliner ergeht. Schmitz hat vor der Zerstörung ihrer Wohnung nur wichtigste Dokumente und persönliche Unterlagen retten können. Der Versuch, über eine Möbelspedition wenigstens einige Kisten mit Büchern aus ihrer Wohnung nach Hanau zu bringen, scheiterte. Mit dem Abschied von Berlin muss Schmitz – wie so viele andere auch – jedoch nicht nur persönliche Dinge zurücklassen, sondern vor allem auch Menschen, die ihr viel bedeuteten, ihre Schule, ihre Gemeinde, ihre Stadt. III nach 1945: Studienrätin und Ruhestand in Hanau

Nach Kriegsende geht Elisabeth Schmitz nicht mehr zurück nach Berlin. Nach rund 30 Jahren wohnt sie jetzt wieder in ihrem elterlichen Haus in Hanau, nun zusammen mit ihrer 8 Jahre älteren Schwester Maria. Zunächst sind dort nach dem Krieg auch noch viele Fremde einquartiert. Ostern 1946 kehrt die mittlerweile fast 53 jährige Schmitz nach mehr als sieben Jahren Pause in die Schule zurück und unterrichtet fortan am Hanauer Realgymnasium für Mädchen, der späteren Karl-Rehbein-Schule. Schmitz nimmt aufmerksam die aktuelle Theologie und Kirche wahr und verfolgt die Nachkriegsdebatten. Mit drei ehemaligen Schülerinnen steht sie in freundschaftlichem Kontakt, ja, sie bezeichnet sie gelegentlich als ihre „Töchter“, 10, 20 und 30 Jahre jünger als sie selbst: Dr. Renate Ludwig, die wegen ihrer jüdischen Großmutter als „nichtarisch“ galt und noch vor dem „Dritten Reich“ (1932) als erste Theologin in der württembergischen Landeskirche die Zweite Theologische Dienstprüfung abgelegt hat. Lydia Forsström, die ja ab Sommer 1942 zeitweilig die Berliner Wohnung von Schmitz übernommen hatte, auch als Zuflucht für Verfolgte. Und Dietgard Meyer, die Schmitz auch eine Zeit lang mit ‚Mutter Elisabeth` anredete, war bei Kriegsende aus Berlin geflohen und hatte Aufnahme bei Schmitz in Hanau gefunden, bevor sie im Herbst 1945 nach Heidelberg zum Theologiestudium zieht – mit einer Empfehlung von Schmitz. „Elisabeth Schmitz nahm lebhaften Anteil an meinem Studium; ich durfte immer wieder nach Hanau kommen, um zu erzählen. Oft haben wir nächtelang auf dem grünen Sofa zusammengesessen. Auch während meiner Studienzeit in Göttingen und Marburg gehörten Wochenendbesuche in Hanau zum von ihr erwünschten und mich bereichernden Programm“,

Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Geneh- migung der Verfasserin/des Verfassers.

Seite: 14/17

erzählt Meyer. In einem Brief an Karl Barth vom 25. April 1947 unterstützt Schmitz ihren Wunsch, in Basel studieren zu können, erwähnt darin auch die Schwierigkeiten, die Dietgard Meyer wegen ihres jüdischstämmigen Vaters in der Nazizeit hatte. Als Meyer dann vom Sommersemester 1949 an für drei Semester in Basel studiert, besucht Schmitz sie dort und geht mit ihr ins Kolleg von Karl Barth. Auffallend ist, dass zwei „Töchter“ jüdische Wurzeln haben und sich die dritte wie Schmitz selbst für verfolgte Juden eingesetzt hat. Aber auch die Theologie verbindet die Frauen miteinander. Alle bleiben unverheiratet. Besuche in Hanau, aber auch gemeinsame Reisen gehörten dazu.“

Und es war Schmitz immer wichtig, auch den Kontakt zu ihren überlebenden jüdischen Freundinnen und Freunden aufrechtzuerhalten – auch durch viele Reisen ins In-und Ausland. Dass Schmitz sich nach 1945 mit der NS-Zeit und deren Aufarbeitung weiterhin beschäftigt, zeigen ihre Ansprachen, die sie in schulischem Rahmen hält. Die lange Rede zum Gedenken an die Opfer des Faschismus und des Krieges vom 7. September 1950 spiegelt die geistige Verfassung Deutschlands in den ersten Nachkriegsjahren und ist auch heute noch lesenswert. Darin spricht sie ausdrücklich von der Ermordung von 6 Millionen Juden durch Deutsche, was seinerzeit überhaupt nicht selbstverständlich war. Angesichts mancher Forderung, endlich einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen, begründet sie ausführlich, warum wir das nicht vergessen dürfen. Schließlich: Und wir müssen um das Vergangene wissen um der Zukunft willen. Wir müssen ja nach allem Zusammenbruch neu anfangen, einen neuen Anfang setzen, auch in der zerbrochenen Völkergemeinschaft. […]Dann aber müssen wir auch sicher sein, dass wir niemals wieder einer so unseligen Verirrung zum Opfer fallen wie in der Vergangenheit. Wenn wir davor sicher sein wollen, dann aber müssen wir wissen, wo die Ursache der Verirrung lag […] Wir haben den Menschen nicht mehr gesehen, am allerwenigsten im Juden“. […] (257ff) Im Schlussteil fordert sie mit Nachdruck, den Einzelnen nie aus dem Blick zu verlieren: „Wenn wir nun gefragt werden, was zu tun ist, so können wir antworten mit dem Motto, unter dem jetzt der ev. Kirchentag in Essen stand: Rettet den Menschen! [...] Rettet den Menschen, das heißt vor allem: Seht den Menschen! Sagt nicht immer: Die Franzosen, die Polen, die Juden, die Arbeiter, die Kapitalisten. Lernt den Menschen kennen, den Einzelnen, auch den Fremden, ehrt ihn darin, dass ihr freundlich zu ihm seid, auch den Schwachen und Verachteten gegenüber.“ (261) Als Lehrerin lädt Schmitz immer wieder besonders interessierte Schülerinnen zu einem privaten Arbeitskreis zu sich nach Hause ein. Eine ehemalige Schülerin erinnert sich so an die frühen 50er Jahre: „Ein Zimmer, vom Boden bis zur Decke an allen vier Wänden mit Büchern bedeckt! […] Sie lehrte uns kritisch lesen und trug so zur ‚geistigen Erneuerung‘ unserer Generation bei. […]. Eine weitere ehemalige Schülerin, Gabriele Eisenberg-Lüdecke, deren Mann viele Jahre später die Schultasche von Schmitz im Hanauer Kirchenkeller finden wird, erinnert sich: „In den Jahren 1954 bis 1958 war Frau Dr. Schmitz meine Klassenlehrerin. Wir hatten bei ihr Unterricht in Deutsch und zeitweise in Geschichte und Religion. An ihren Unterricht direkt kann ich mich nicht mehr erinnern. An ihre Persönlichkeit – nach gut fünfzig Jahren – kann ich mich sehr wohl erinnern. […] In Erinnerung habe ich sie als gerechte Lehrerin, als eine bescheidene, aber auch selbstbewusste

Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Geneh- migung der Verfasserin/des Verfassers.

Seite: 15/17

Persönlichkeit, der wir gewissen Respekt entgegenbrachten und deren Klugheit wir spürten. Aber eine Lehrerin, für die wir „schwärmten“, war sie nicht. Von meinen Eltern – die sie kannten – wusste ich, dass sie sich nach der sogenannten Reichskristallnacht in Berlin hatte vorzeitig pensionieren lassen. Darüber sprach sie bei uns Schülerinnen nicht. Leider! Und schon gar nicht über ihre Denkschrift“. Im Alter von 65 Jahren geht Schmitz 1958 in den Ruhestand. In ihren letzten Lebensjahren engagiert sie sich verstärkt im traditionsreichen Hanauer Geschichtsverein, dessen Mitglied sie seit 1949 ist, und publiziert in den „Hanauer Geschichtsblättern“. Am 10. September 1977 stirbt Elisabeth Schmitz im Alter von 84 Jahren nach kurzer Krankheit in einem Offenbacher Krankenhaus. Da die Beerdigung in der Stille stattgefunden hat, konnten nur sieben bis acht Menschen dabei sein. Es bedeutet also nicht, dass Schmitz isoliert und von ihrer Umwelt vergessen war.

Schluss: Vom Verschweigen zur Würdigung Jahrzehntelang war nicht bekannt, dass Schmitz die Verfasserin der Denkschrift „Zur Lage der deutschen Nichtarier“ ist. Auch von ihren Briefen wird lange nichts öffentlich. Ist es ein gezieltes Verschweigen? Ist es Scham? Ist es Unbehagen darüber, dass eine Frau an der Basis der Bekennenden Kirche klarer gesehen hat als die leitenden Männer? Oder sind Schmitz` kirchenkritische Worte auch noch nach 1945 unbequem, weil sie das Bild der Bekennenden Kirche und ihrer Vertreter, wie es nach 1945 gezeichnet wurde, trüben könnten?

Natürlich stellt sich die Frage, warum Elisabeth Schmitz sich nicht selbst nach 1945 als Verfasserin dieser Denkschrift offenbart – außer gegenüber der Schulverwaltung. Meyer gibt zu bedenken: „War Elisabeth Schmitz erneut enttäuscht über das auch nach 1945 andauernde Desinteresse der Kirche am Schicksal der Verfolgten? Hatte sie einfach nicht mehr die psychische Kraft, die für sie so belastende Zeit durch historische Richtigstellungen wieder aufleben zu lassen? Oder hielt sie ihr Handeln für so selbstverständlich, dass sie auf einen Einspruch in eigener Sache verzichtete?“ Erst seit 1999 erfährt das Leben und Wirken von Elisabeth Schmitz langsam angemessene Würdigung. Ihre Denkschrift ergibt zusammen mit den Briefen an Barth und Gollwitzer, sowie mit ihrer Entscheidung, den Schuldienst zu quittieren und ihrer Bereitschaft, Juden Asyl zu gewähren und ihnen zu helfen, das Bild einer außergewöhnlichen Persönlichkeit. Das alles hebe sie, betont Dietgard Meyer, “aus allen andern kirchlichen Stimmen und Verhaltensweisen der Jahre des nationalsozialistischen Regimes hervor.“ Seit 2005 wird auf dem Hanauer Friedhof mit einem großen Gedenkstein an Elisabeth Schmitz erinnert, den die Stadt Hanau und die evangelische Kirche Kurhessen-Waldeck errichtet haben. Am 11. November 2011 wird Elisabeth Schmitz zudem von der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vaschem posthum als „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet –wie vor ihr schon Elisabeth Abegg und nach ihr Elisabeth Schiemann, ihre früheren Mitstreiterinnen, weil sie „jüdischen Menschen während des Holocaust „unter Gefährdung ihres Lebens“ geholfen hat. Ein Gedenken an zentraler Stelle in Berlin steht noch aus. Dabei gibt es mit der Auguststraße 80 dort einen sehr geeigneten Ort für die Erinnerung an Elisabeth Schmitz. Das Haus ist im Besitz der EKD und Sitz verschiedener kirchennaher Einrichtungen und Schmitz hat von 1915 bis 1931 „nebenan“ in der Auguststraße 82 gewohnt (heute Hotel Augustinenhof). Wäre es nicht

Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Geneh- migung der Verfasserin/des Verfassers.

Seite: 16/17

naheliegend, in oder an der Auguststraße 80 in Berlin an Schmitz zu erinnern – vielleicht mit Informationen über ihr Leben und Wirken, vielleicht indem man das Haus nach ihr benennt? Elisabeth Schmitz ist ein Licht im Dunkel, das über der Beziehung zwischen Juden und evangelischer Kirche im Nationalsozialismus liegt. Ihr Wirken zeigt, was es heißt, uns zu unseren jüdischen Wurzeln zu bekennen, an der bleibenden Erwählung Israels festzuhalten und Gottes eigenen Weg mit Israel als Geheimnis zu akzeptieren. Und vor allem ist die Liebe, die keinen Menschen ausgrenzt, Maßstab für ihre Reden und Handeln.

Aktuell gültig sind ihre Worte: „Seht den Menschen! […] Lernt den Menschen kennen, den Einzelnen, auch den Fremden.“

Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz, http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/

Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Geneh- migung der Verfasserin/des Verfassers.

Seite: 17/17