Helmut Gollwitzer Als Theologe Des Dialogs

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Helmut Gollwitzer Als Theologe Des Dialogs Helmut Gollwitzer als Theologe des Dialogs Andreas Pangritz Überarbeitete Fassung eines Gedenkvortrags auf dem „Dies academicus“ der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn am 3. Dezember 2008 Helmut Gollwitzer, der von 1950-1957 an der Universität Bonn und dann bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1975 an der Freien Universität Berlin Systematische Theologie lehrte, gehörte zu den einflussreichsten evangelischen Theologen des 20. Jahrhunderts – und scheint doch heute weitgehend vergessen zu sein. Am kommenden 29. Dezember wäre Gollwitzer 100 Jahre alt geworden, – Anlass, an die bleibende und in der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise ganz neue Aktualität seines Theologisierens zu erinnern. In Nachrufen aus Anlass seines Todes im Jahr 1993 wurde Gollwitzer im allgemeinen als ein „streitbarer“ Theologe bezeichnet; diese Charakterisierung, so viel an ihr dran sein mag, verdeckt doch eher den dialogischen Charakter seiner Theologie, die ihn zu einem Brückenbauer in vielerlei Hinsicht werden ließ: zwischen Theologie und Politik, zwischen Christen und Juden, zwischen bekennenden Christen und Marxisten. Sein Genie der Freundschaft bewährte sich nicht zuletzt in Vermittlungsversuchen über die politischen Fronten hinweg zwischen den Regierenden und der aufbegehrenden jungen Generation der sog. „Achtundsechziger“. Wie kaum ein anderer evangelischer Theologe hat Helmut Gollwitzer sich in den 40 Jahren westdeutscher Bundesrepublik als ein politischer, und das hieß für ihn je länger je mehr, ein sozialistisch engagierter Mensch verstanden. Die frühe Mahnung seines Lehrers Karl Barth, wonach ein Christ auf die „äußerste Linke“ gehöre, wurde für ihn schließlich wegweisend. Um so größer war das Erstaunen der Gebildeten unter den Verächtern der Religion, wenn sie wahrnahmen, auf welch scheinbar konservativem lutherisch-theologischen Fundament sein gesellschaftliches Engagement ruhte. Modische Ketzereien wie die „Theologie nach dem Tode Gottes“ der Sechziger Jahre waren seine Sache nicht. Dass Gott existiert, besser: dass er lebt und dass nicht der Tod des sündigen Menschen, sondern dessen Umkehr zum Leben Gottes Wille sei, war Ausgangspunkt von Gollwitzers „politischer“ Theologie. Für ihn beinhaltete gerade die dogmatische Tradition den schärfsten Widerspruch gegen gesellschaftliche Ungerechtigkeit. Gollwitzer war ein „Reich-Gottes-Theologe“. „Kernbegriff seiner Theologie“ war der „Begriff der Verheißung“ als „Vorgriff der 1 Hoffnung auf die im Evangelium erklärte Wirklichkeit Gottes“ und „Angriff auf jede theologische und kirchliche Trägheit und falsche Beharrlichkeit“. Alle traditionellen Themen der Theologie gerieten bei ihm in den „Horizont der Weltveränderung“. Denn: „Die Hoffnung ist das Thema der Bibel.“ Die „Reich-Gottes-Gemeinde“ sei daher „Vortrupp des Lebens“, der von Gott für „Veränderungen im Diesseits“ verantwortlich gemacht wird (F.-W. Marquardt). Schüler Karl Barths Der 1908 geborene Sohn einer bayerischen Pfarrersfamilie war in der Weimarer Zeit nicht zuletzt durch die „Jugendbewegung“ geprägt worden. Seit 1928 studierte er Theologie und Philosophie in München, Erlangen und Jena, seit 1930 mit Unterbrechungen in Bonn, wo Karl Barth sein wichtigster theologischer Lehrer wurde. Aus dieser ersten Bonner Zeit ist u.a. von der Episode zu berichten, als im Juli 1931 der junge Berliner Privatdozent Dietrich Bonhoeffer nach der Rückkehr von seinem Studienjahr in New York für zwei Wochen in Bonn auftauchte, um Karl Barth persönlich kennenzulernen. Auf Gollwitzers Studentenbude traf Bonhoeffer mit dem engsten Kreis der Bonner Barth-Schüler zusammen, von denen er einen eher zwiespältigen Eindruck empfing: „Man hat hier scharfe Witterung für Vollblütler. Da geht kein Neger durch ‚for white’, man inquiriert auch seine Fingernägel und Fußsohlen.“ Andererseits seien es „doch jedenfalls Leute, die sich wirklich interessieren und was verstehen …“ Unter dem Eindruck Karl Barths „rutschte“ dessen Lieblingsschüler Gollwitzer in den Bonner Studienjahren politisch „mehr nach links“; überliefert ist die Anekdote, dass Barth eines Tages „wohlgefällig“ zu seinem bayrischen Studenten sagte: „Herr Gollwitzer, man hat mir erzählt, Sie hätten gestern abend in einer Versammlung die Internationale mitgesungen. Sie machen gewaltige Fortschritte!“ Nach Barths Vertreibung aus Bonn und seiner Rückkehr in die Schweiz promovierte Gollwitzer 1937 bei Barth in Basel mit der bereits in Bonn begonnenen Dissertation Coena Domini (Mahl des Herrn) über die altprotestantische Abendmahlslehre. Nach Martin Niemöllers Verhaftung wurde Gollwitzer 1937 faktisch dessen Nachfolger in der Bekennenden Gemeinde Berlin-Dahlem. Gollwitzer und die Bonner Republik Nach seiner Rückkehr aus der russischen Kriegsgefangenschaft am 31. Dezember 1949 wurde Gollwitzer, um den sich noch während seiner Gefangenschaft die Berliner Humboldt-Universität vergeblich bemüht hatte, auf die Professur für 2 Systematische Theologie nach Bonn berufen, nachdem Barth sich nicht mehr aus der Schweiz hatte zurückberufen lassen wollen. Eine besondere Nähe verband ihn in den Bonner Jahren mit zwei ihm bereits aus den Zeiten der Bekennenden Kirche her vertrauten Theologen: Hans-Joachim Iwand und Walter Kreck, beide seit 1951 Kollegen in der Systematischen Theologie. In Bonn avancierte Gollwitzer zu so etwas wie einem „Hoftheologen“ der Bonner Republik. Er stand in regem Austausch mit dem Bundespräsidenten Theodor Heuss und schloss Freundschaft mit Gustav Heinemann, der nach Gollwitzers Urteil damals wegen seines Kampfes gegen die von Adenauer und der CDU betriebene Westintegration der Bundesrepublik und die damit verbundene Remilitarisierung „in seiner Kirche ebenso wie bei den Politikern ein verfemter Mann“ geworden war. Auch Gollwitzer warnte Ende Januar 1955 auf der Paulskirchen-Versammlung in Frankfurt a. M. vor der Wiederbewaffnung, da sie „die unaufhaltsame Sowjetisierung von 18 Millionen Deutschen“ im Osten zur Folge haben werde. Gemeinsam mit Heinemann rückte Gollwitzer erneut nach links, indem er sich 1957 gegen den Militärseelsorgevertrag wandte und in einem stark beachteten Vortrag über Die Christen und die Atomwaffen gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr protestierte: Im Zeitalter der Massenvernichtungsmittel könne kein „gerechter Krieg“ mehr geführt werden; so sei schon die Drohung mit atomaren Waffen Unrecht. Die Freundschaft mit Heinemann hielt auch in Gollwitzers Berliner Jahren an; über viele Jahre verbrachten Heinemanns und Gollwitzers regelmäßig ihren Urlaub in unmittelbarer Nachbarschaft im Hotzenwald, wobei Gollwitzer den inzwischen zum Bundespräsidenten gewählten Freund mit den aufbegehrenden Berliner Studenten und Studentinnen ins Gespräch brachte. Seit den Siebziger Jahren bildeten die drei theologischen Emeriti Heinrich Albertz, der ehemalige Regierende Bürgermeister, Altbischof Kurt Scharf und Gollwitzer eine „Dreierbande“, eine Art demokratisches Gewissen Berlins, das die Politik der Bonner Republik kritisch begleitete. Im Mai 1976 hielt Gollwitzer die Begräbinsrede für Ulrike Meinhof – auch ein „Kind Gottes“ – auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof in Berlin-Mariendorf; im Juli desselben Jahres hatte er seinen Freund Heinemann, der nach dem Tod seiner Frau eine Zeitlang bei Gollwitzers in Dahlem gelebt hatte, in Essen zu begraben. Ein Bonner Nachspiel war die Friedensdemonstration für Abrüstung und Entspannung in Europa und gegen die von der NATO beschlossene Nachrüstung mit atomaren Mittelstreckenraketen im Bonner Hofgarten am 10. Oktober 1981, auf 3 der Gollwitzer noch einmal eine flammende politische Rede hielt: „Wir rücken ihnen jetzt auf den Leib, hier in Bonn …“ Gollwitzer und der christlich-jüdische Dialog Eine Woche nach der sog. „Reichskristallnacht“ vom 9. auf den 10. November 1938 bekannte Gollwitzer in seiner Dahlemer Bußtagspredigt voller Scham die christliche Mitverantwortung Schuld am Pogrom und rief zu praktischer Solidarität auf. In der Folgezeit war er an der illegalen Hilfe für bedrohte Judenchristen und Juden beteiligt. Ich kann auf diesen entscheidenden Ausgangspunkt für Gollwitzers späteres Theologisieren in der Nachkriegszeit jetzt nicht näher eingehen, will aber in diesem Zusammenhang auf ein persönliches Moment von Gollwitzers Biographie hinweisen. Im August 1940 hat Gollwitzer im Haus von Jochen Klepper in Berlin-Nikolassee die Schauspielerin Eva Bildt kennengelernt, mit der er sich im Januar 1941 verlobte. Eva Bildt galt wegen ihrer jüdischen Mutter als „jüdischer Mischling“, weshalb eine Heirat nur mit Sondergenehmigung der NS-Behörden möglich gewesen wäre, – eine Hoffnung, die sich nicht erfüllte. Überliefert ist aus der Zeit von Gollwitzers Kriegseinsätzen – als Sanitäter zunächst in Frankreich, dann an der Ostfront – ein umfangreicher Briefwechsel mit seiner Braut, der jüngst in Auswahl als Buch erschienen ist. Der Versuch der Familie Bildt, in die Schweiz auszuwandern, scheiterte im September 1943 endgültig. Der Schauspielerkollege Gustav Gründgens bot der bedrohten Familie Asyl in seinem Schlösschen in Zeesen südöstlich von Berlin. Doch Eva Bildt wurde zur Zwangsarbeit bei Siemens & Halske in München verpflichtet. Nachdem ihre Mutter im März 1945 an Krebs gestorben war, beging Eva Bildt am 27. April 1945 gemeinsam mit ihrem Vater – einen Tag nach dem Einmarsch der Roten Armee in Zeesen – Selbstmord. Der Vater überlebte, die Tochter wurde neben ihrer Mutter auf dem kommunalen Friedhof von Zeesen begraben. Ein Jahr später erfuhr Gollwitzer mit der ersten Post, die er als russischer Kriegsgefangener aus der Heimat erhielt, vom Tod seiner
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