& Berichte und Kommentare b 1/2019 k

• Sicherheit neu denken

• 50 Jahre AEE – wie alles anfing

• Carsharing – mach mit!

• Klimabesorgte Klimasünder

• Apostolicum-Serie: Ewig leben!?

Arbeitskreis Evangelische Erneuerung 2 Inhalt

3 Hans-Willi Büttner: Editorial 4 Erwin Schelbert: Sicherheit neu denken 8 Synodenthema: Christus ist unser Friede, mit Kommentar 9 HG Koch: Zwei Prozent von irgendwas, oder: Warum soll Deutschland seine Rüstungsausgaben verdoppeln? 11 Was der Initiativkreis Frieden von der Friedenssynode erwartet 12 50 Jahre AEE – wie alles anfing 13 50 Jahre – und dann? Ausschnitte aus der Jubiläumspredigt von HG Koch

16 ELKB 2068 – 100 Jahre AEE: Eine „prophetische“ Schau des AEE-Sprechers von 2018

17 Jubiläumstagung 2018: Splitter und Balken

18 Martin Kleineidam: Carsharing – mach mit!

19 Martin Kleineidam: Warme Menschlichkeit – am besten, man fliegt nicht mehr

21 Simon Wiesgickl: Über die „Klimabesorgten Klimasünder“ und die „Prediger der Prophetie“

23 Lutz Taubert: Homo sapiens wird „Homo Deus“

25 Uwe Lang: Apostolicum-Serie: Ewig leben!?

27 Rainer Gollwitzer über seinen Namensvetter Helmut Gollwitzer

29 AEE intern: Aus dem Bericht des Sprechers bei der Mitgliederversammlung

30 Aus der Geschäftsstelle

31 Namen und Adressen

31 Das Letzte Editorial 3

Das nächste große Ereignis steht unmit- telbar bevor: Die Landessynode widmet ihre Tagung in Lindau dem Friedens- thema. Wir haben das lange ange- mahnt, freuen uns, dass es nun dazu kommt, und sind gespannt, wie weit sich das Kirchenparlament unseren Impulsen annähert und sie aufgreift. Unsere Hoffnung ist eher verhalten. Im AEE und in den kirchlichen Gruppie- rungen, die sich im Initiativkreis Frieden vereinen, hat sich in vielen Jahren eine große Sachkompetenz in Friedensfragen entwickelt. Das Gespräch mit uns hat aber niemand gesucht. Es bleibt das Gefühl, sich immer hineindrängen zu Januar 2019 müssen, wenn man was erreichen will. Liebe Leserin, lieber Leser, Wir leben in einem friedlichen Land und wie war es und wie wird es bzw. soll es können dies meist persönlich genießen. weitergehen? Unsere Tagung zum 50. Aber wir leben auch (immer noch? Geburtstag des AEE ist keine Gedenk-, wieder? andauernd?) in aufgewühlten sondern eine Denkveranstaltung gewor- Zeiten. Schon ein Blick auf das Inhalts- den, wie wir uns das gewünscht hatten. verzeichnis lässt dies erahnen. Die Frage war: Wie steht es um die pro- gressiven Kräfte in der Kirche? Und unse- Ich wünsche Ihnen umso mehr ein re Gäste für Vortrag und Podium haben gutes, getragenes und begründetes diese Frage durch ihre ganz unterschied- Hoffnungsjahr. lichen Zugänge spannend geerdet. Ihr Hans-Willi Büttner 4 Frieden

Sicherheit neu denken Ein Szenario aus der badischen Landeskirche – Von Erwin Schelbert Friede ist das Titelthema unseres b&k-Heftes. „Suche Frieden“, heißt es in der biblischen Jahreslosung 2019. Friede steht im Mittelpunkt der Frühjahrstagung der bayerischen Landessynode im März. Die badische Landeskirche hat ein Konzept entworfen, das sehr konkret den mittelfristigen Ausstieg aus der militärischen Friedenssicherung angeht. Der „gerechte Friede“ ist das Gegenbild zum „gerechten Krieg“.

Die sogenannte „Stunde Null“ hat es zwar Auch die Kirchen haben keine klare und nie gegeben, aber in den ersten Jahren eindeutige Position gegen den Krieg be- nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte in zogen. Obwohl sich die EKD in einem weiten Kreisen der deutschen Bevölkerung Wort 1950 gegen die Wiederaufrüstung der starke Wunsch, ja die Forderung: „Nie aussprach, erklärten die „Heidelberger wieder Krieg!“ Das wäre die große Chance Thesen“ von 1959 sogar die Abschreckung gewesen für ein neues Sicher- heitsverständnis: keine Sicher- heit durch möglichst zerstöre- rische Waffen vor Feindenvon außen, sondern gemeinsame Sicherheit mit den anderen Ländern ohne Bedrohung und ohne Waffen. Es hätte der Beginn eines Frie- densprozesses sein können, der sich nicht an der alten untaug- lichen und widersprüchlichen Maxime „Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor!“ orientiert, sondern an der „Non Violence“ – Symbol der Gewaltlosigkeit: Skulptur einer Pistole mit Knoten im Lauf vor dem UNO Hauptquartier in New York. einzig sinnvollen und logi- Foto: Rainer Sturm / pixelio.de schen Forderung: „Wenn du Frieden willst, bereite den Frieden vor!“ mit Atomwaffen zu einer noch„ christli- Dazu ist es leider nicht gekommen, das alte chen Handlungsweise“. In der Friedens- Sicherheitsdenken in militärischen Kate- denkschrift der EKD von 1981 („Frieden gorien hat sich durchgesetzt und führte fördern, wahren und erneuern“) wurde zur deutschen Wiederaufrüstung, zum diese These weiterhin vertreten, wenn Blockdenken der NATO und bis zum Kalten auch mit dem frommen Wunsch als Zu- Krieg mit seiner atomaren Bedrohung. satz: „Dieser Zustand darf nicht dauern.“ Frieden 5

Beim konziliaren Prozess zu bearbeiten, bevor sie (Frieden – Gerechtigkeit – eskalieren, ist bis heute Bewahrung der Schöpfung) noch nicht ins Bewusstsein entsteht zwar das Bekennt- der Politikstrategen vorge- nis „... jedem Verständnis drungen. von Sicherheit zu wider- Auch nach dem Ende des stehen, das den Einsatz von „Kalten Krieges“ stellte sich Massenvernichtungsmitteln leider keine Friedensdivi- vorsieht ...“, der Krieg als dende ein, im Gegenteil, „ultima ratio“ wird aber sogar „Neue Kriege“ ent- nicht ausgeschlossen (Welt- standen (Rohstoffkriege, versammlung Seoul 1990), Interventionskriege, Re- genauso wenig wie dies gime-Change-Kriege), an auch die EKD-Denkschrift denen auch deutsche Sol- von 2007 („Aus Gottes In der Münchner Erklärung von daten in vielen Ländern be- 1984 distanziert sich der AEE vom Frieden leben – für ge- „noch“ der Heidelberger Thesen. teiligt sind („Deutschland rechten Frieden sorgen“) wird am Hindukusch ver- tut. Gewaltfreiheit wird nur als vorrangige teidigt“). Option bezeichnet. Der weit interpretierbare Begriff der „ul- Gegenwärtig findet eine massive Auf- tima ratio“ entstammt noch der alten rüstungswelle statt (Forderung nach 2 Lehre vom „Gerechten Krieg“ (Augusti- Prozent des Bruttosozialproduktes, Waf- nus, Th. v. Aquin, Calvin, Luther). Krie- fenmodernisierung), es ist wieder von ge sollten nur dann gerechtfertigt sein, einem neuen Kalten Krieg die Rede. Aus wenn alle anderen Möglichkeiten der all dem muss gefolgert werden, dass die Konfliktlösung ausgeschöpft waren. Frei- bisherige traditionelle Sicherheitspolitik lich hat das noch nie funktioniert, die gescheitert ist. Die strukturelle Gewalt als Ursache aller Konflikte und Kriege Der gerechte Krieg – lässt sich nicht mit Gegen-Gewalt, mit das hat noch nie funktioniert Waffen und militärischen Strategien be- seitigen. Geschichte kennt keinen einzigen ge- rechten Krieg, weil die „ratio“, die Ver- Dagegen hat sich die Friedensbewegung nunft, sehr unterschiedlich ausgeprägt mit all ihren kirchlichen und nichtkirch- war und meist Unvernunft und un- lichen Gruppen durch immer neue Ak- friedliche Gefühle (Feindschaft, Hass, tionen und Kampagnen gerichtet (gegen Machtgier) im Spiel waren. Dass weit Aufrüstung, Nachrüstung, Atomwaffen), vor der „ultima ratio“ die „prima ratio“ zwar mit wenig Erfolg bei den politisch entscheidend wäre, nämlich Konflikte Mächtigen, aber immerhin miteiner Be- präventiv durch gewaltfreie Methoden wusstseinsänderung in weiten Bevölke- 6 Frieden neu denken

rungskreisen. Laut Umfragen sprechen waren als Konfliktlösungsversuche mit sich z. B. etwa zwei Drittelder Deutschen militärischen Mitteln. gegen eine Ausweitung der Bundeswehr- einsätze im Ausland aus. Das Szenario „Sicherheit neu denken“ basiert auf einer menschlichen Sicher- Der Krieg als ultima ratio heit (human security) im Sinne einer zi- darf keine Option mehr sein vilen Sicherheitspolitik. In einem „Fünf- Säulen-Modell“ werden die notwendigen Aufbauend auf dieser militärkritischen Umwandlungsprozesse in fünf zentralen Einstellung hat die badische Landes- Politikbereichen dargestellt: kirche seit 2013 einen Prozess in Gang - Gerechte Außenbeziehungen (fairer gesetzt, zu einer „Kirche des gerechten Handel/Entwicklung); Friedens“ zu werden. Sie hat in einer - Nachhaltige EU-Nachbarschaft (Sicher- interdisziplinären Arbeitsgruppe dabei heits- und Wirtschaftspartnerschaft); bewusst ein Positivszenario entworfen, - Internationale Sicherheitsarchitektur das nicht primär gegen etwas gerichtet (Friedenslogik, Zivile Struktur in EU, ist, sondern eine langfristige Entwick- NATO, OSZE, UN); lung bis zum Jahr 2040 zu einer gewalt- - Resiliente Demokratie (Friedensbil- freien Gesellschaft aufzeigt, in der auch dung, zivile Friedensdienste); der Krieg als „ultima ratio“ keine Option - Konversion der Bundeswehr (Trans- mehr ist. Mit Beschluss der Herbstsyn- formation zu Polizeikräften, THW, Rüs- ode von 2016 soll der friedensethische tungskonversion). Prozess zunächst in der badischen Lan- deskirche umgesetzt werden. Sicher ein ambitioniertes Szenario mit der optimistischen Zielsetzung, dass be- Die Autoren des Szenarios konnten dabei reits 2025 der Bundestag den Beschluss auf wissenschaftlichen Konzepten auf- für eine neue zivile Sicherheitspolitik fasst bauen (z. B. Friedenslogik, Gewaltfreie und bis zum Jahr 2040 die Konversion der Kommunikation, Nonviolent Peaceforce) Bundeswehr abgeschlossen ist. Um dies und vor allem auf den Aktionsplan der Bundesregierung „Zivile Krisenprävention, Konversion der Bundeswehr bis 2040 Konfliktlösung und Friedenskonsolidie- rung“, der 2004 erstellt und in einem zu erreichen, sind im Rahmen der Kam- „Peace-Lab“ 2016 aktualisiert wurde. pagne viele Zwischenschritte und Einzel- Auch die Studie zweier US-Wissenschaft- maßnahmen vorgesehen, beginnend mit lerinnen von 2011 „Why civil resistance einer breiten Diskussion im innerkirch- works“ wurde zur Bekräftigungherange - lichen Bereich, aber auch einer Vernet- zogen, zeigt sie doch, dass in der Vergan- zung mit allen Gruppen und Organisatio- genheit in Krisensituationen gewaltfreie nen der Friedens-, Umwelt- und Sozial- Konfliktlösungen wesentlich erfolgreicher bewegung sowie der Gewerkschaften. Frieden 7

Nicht mehr zeitgemäß: Alter Panzer auf der Großen Höhe bei Delmenhorst. Foto: Uwe Duwald / pixelio.de

Selbst mit einer unterstützenden Papst- bietet, die gerade solche erschreckenden enzyklika wird im Jahr 2023 gerechnet: Fehlentwicklungen ausschließt. „Fructus justiciae pax“ (Der Gerechtig- Diesem mutigen Neuansatz kirchlicher keit Frucht wird Friede sein). Friedensethik kann nur Erfolg gewünscht werden. Auch wenn sich manche Zeit- Bei aller optimistischen Herangehens- perspektive wahrscheinlich als zu kurz weise werden in dem Szenariomodell gegriffen erweist, sollte ein derart be- auch Widerstände, Störungen und un- gonnener Weg weitergeführt werden: erwartete Entwicklungen angedacht, so Er ist die einzige friedenslogische Alter- in einem Trendszenario, das die derzeit native, um aus dem gegenwärtigen Sicher- sich abzeichnende zunehmende Militari- heitsdilemma herauszukommen. sierung weiterdenkt, und schließlich in (Mehr in dem Buch „Sicherheit neu den- einem Negativszenario, das eine noch ken“ der Arbeitsstelle Frieden und unter drastischere Konflikteskalation zu einem www.ekiba.de). atomaren Weltkrieg aufzeigt. Dies wird jedoch nicht so detailliert ausgearbeitet Unser Autor Erwin Schelbert, seit Jahr- wie das Positivszenario, das ja Identifika- zehnten friedenspolitisch aktiv, sitzt im tionsmöglichkeiten für eine neue realis- Vorstand der Studiengesellschaft für tische zivile Sicherheitsentwicklung an- Friedensforschung (München). 8 Frieden

Thema der Synode: „Christus ist unser Friede!“ Das Friedensthema „Christus ist unser Friede!“ erläutert die Präsidentin der Landes- synode so: „Christus als das alles durchdringende Bild der Einheit Gottes mit dem Menschen bedeutet in sich Frieden und ist damit das Gegenteil von Zerrissenheit und Trennung.“

Ein Kommentar dazu von Hans-Willi Büttner Ohne Frieden gibt es keine Gerechtigkeit

Das ist gut! Gleich zu Beginn halten wir tig, unverzagt! Darin sind wir uns doch fest, alle miteinander, dass uns keine quer durch die Reihen einig: Es gibt Weltanschauungen trennen. Wir wis- keine Gerechtigkeit ohne Frieden, kei- sen uns an Christus gebunden und ihm ne nachhaltige Lebensgestaltung ohne verpflichtet. Das füllen wir mit Leben, heilen Lebensraum. Wie man es dreht wo wir zu beraten und zu entscheiden und wendet, ergänzt oder pointiert: Es haben. Nicht geistliches Rahmenpro- kommt immer heraus, dass keine dieser gramm, ehe wir zur Tagesordnung kom- not-wendenden Grundlagen ohne die men, sondern Grundsatz, Bekenntnis, Verklammerung mit den anderen aus- Band. kommt. Also ran an die Arbeit; lasst uns solchen zusammenführenden Frieden Im Diskurs um die Sache und den Weg schaffen! wird es immer Auseinandersetzung ge- ben (müssen). Aber wenn wir dieses Unser besonderer Beitrag ist: Wir ha- gottesdienstlich geprägte „Friede sei mit ben uns dem Teil der Friedensarbeit dir!“ ernst meinen, kommen wir auch in verschrieben, in dem es um den Zu- schwierigen Fragen dem nahe, was Pau- sammenhang zwischen dem Frieden in lus wohl meinte mit Einmütigkeit. den Köpfen und dem friedfertigen Aus- kommen zwischen den Menschen geht. So lasst uns – im Frieden eins mit Chris- Wie können wir Frieden fördernd als Ge- tus – den Frieden suchen und ihm nach- meinschaft der Christinnen und Christen jagen, wo es an Frieden mangelt und wo auf unsere Gesellschaft einwirken? er gemacht werden muss. Unser Glaube Darum geht es in unseren Anträgen an hat Einfluss! Also ran an die Arbeit, mu- die Synode. Frieden 9

Zwei Bilder zum Band zwischen „Christus ist unser Friede“ und „Suche den Frieden und jage ihm nach“ im Vergleich. Das eine: Martha, die im Zeichen des Kreuzes das Böse, den Dra- chen, an der Leine hat und in Schach hält. Das andere Bild: Der Heilige Ge- org, kriegsgerüstet, der das Böse, den Drachen, vernichtet (kann er das?). Am Bild der Martha wird deutlicher, was „Christus ist unser Friede“ ist.

Hans-Willi Büttner

Kommentar Zwei Prozent von irgendwas, oder: Warum soll Deutschland seine Rüstungsausgaben verdoppeln? Von Hans-Gerhard Koch

2014 haben alle Staats- und Regierungs- Allzu viel ist zunächst nicht passiert. Es chefs der NATO-Staaten beschlossen, ihre war ja nur eine unverbindliche Absichts- Militärausgaben innerhalb von 10 Jahren erklärung. Seit Präsident Trump ist das auf jeweils zwei Prozent ihres Brutto- anders. Er verlangt ultimativ die zwei inlandsprodukts zu erhöhen oder sich Prozent, und die AfD klatscht ihm Beifall. jedenfalls in diese Richtung zu bewegen. Auf keinen Fall wollen sie ihre Rüstungs- Derzeit beträgt der Verteidigungsetat ausgaben senken. Deutschlands gerade mal 1,2 Prozent 10 Frieden des BIP oder 44,2 Milliarden Dollar. Zwei Also sollen wir 36 Milliarden, und mit Prozent von allem, was in Deutschland steigendem BIP noch mehr, für Rüstungs- Geld wert ist, wären rund 80 Milliarden. güter ausgeben, die kein Mensch braucht. Das ist eine andere Zahl als harmlos klin- 36 Milliarden, mit denen wir die stecken- gende zwei Prozent. 80 Milliarden wären gebliebene Energiewende wieder flott natürlich immer noch viel weniger als machen, die vielen maroden Schulen der Einsatz der USA, die 610 Milliarden sanieren oder einen Marshallplan ausgeben, aber schon deutlich mehr als für Afrika finanzieren könnten. Russlands Etat von 66,3 Milliarden. Das würde dann vielleicht die wirk- lichen Bedrohungen vermindern: die Die Große Koalition, folgsam wie sie ist, Verwüstung unserer Erde, die wachsen- will laut Koalitionsvertrag tatsächlich „vor- den Unterschiede im Bildungssystem handene Haushaltsspielräume prioritär oder die drückende Arbeitslosigkeit in dazu nutzen, neben den Verteidigungs- vielen Ländern Afrikas, die die Men- ausgaben zugleich die Mittel für Krisen- schen in die Flucht treibt. Denn das sind prävention, humanitäre Hilfe und- Ent Entwicklungen, die uns wirklich drohen. wicklungszusammenarbeit ... angemes- sen zu erhöhen“. Die wirkliche Bedrohung: Begründungen dafür gibt es keine. die Verwüstung unserer Erde

Die Friedensforscher jedenfalls sehen Die wären auch einer großen Kraftan- keine Bedrohung, die eine solche Kraft- strengung wert, um der Zukunft unserer anstrengung rechtfertigen würde. Zu ein- Kinder und Enkel willen. seitig ist der Rüstungsaufwand verteilt, Übrigens: Es gibt ein Land, das die For- zu unwahrscheinlich ist es, dass Zehn- derungen von Herrn Trump übererfüllt: tausende russische Panzer über West- Griechenland mit 2,3 Prozent des BIP. europa herfallen könnten. Und dort steht ja alles zum Besten, oder? Friedensforscher sehen Wir als Kirchen wären gut beraten, uns keine Bedrohung deutlich gegen eine Erhöhung der Mili- tärausgaben auszusprechen. Drohungen kommen eher von der ande- ren Seite: Präsident Trump droht, dass die USA Europa „nicht mehr beschützen“ würden, vor wem auch immer. Speziell Deutschland schulde der NATO „riesi- ge Summen“. Kunststück – seine Wahl- kampfspender aus der Rüstungsindustrie wollen endlich die Rendite ihrer Spenden sehen. Frieden 11

Was der Initiativkreis Frieden von der Friedenssynode erwartet Mehrere kirchliche Richtungsgruppen haben sich im IKF, dem Initiativkreis Frieden, zu- sammengetan, um gegenüber der Landessynode gemeinsam in Sachen Frieden auf- zutreten. Seit eineinhalb Jahren in bisher neun Zusammenkünften gilt das Augenmerk des IKF einer gemeinsamen Positionsbestimmung mit dem Ziel, den Synodalen Einga- ben vorzulegen, aus denen – so hoffen wir – Anträge an die Synode gemacht werden. Im IKF vertreten sind Mitglieder des AEE, des Nürnberger Evangelischen Forums für den Frieden, des AK Schwerter zu Pflugscharen (neff), der Rummelsberger Brüderschaft, des Ökumenischen Netzes Bayern (ÖNB) und von pax christi.

Die Eingaben an die Landessynode zielen auf 1. Gewaltfreiheit: Die ELKB möge militärische Konfliktlösungsmodelle zur Friedenssicherung nicht alter- nativlos sehen, sondern gewaltfreie und zivile Konfliktlösung in Kirchen- gemeinden bekannt machen und praktizieren. Ganz im Sinne des ge- waltfreien Jesus. 2. Rüstungskonversion: Die ELKB möge sich für ein Verbot von Kriegs- rüstungsexporten und für einen ernst- haften und nachprüfbaren Weg der Rüstungskonversion einsetzen. 3. Friedensbildung: Die ELKB möge die 6. Gewissensschutz: Die ELKB möge Kriegs- Bildung zur Friedensfähigkeit und zur steuerverweigerern aus Gewissensgrün- Konfliktprävention zur Querschnittsauf- den Beratung und Beistand geben, wie gabe auf allen Ebenen kirchlichen Han- diese auch für Kriegsdienstverweigerer delns erklären. aus Gewissengründen gewährleistet ist. 4. Friedensbeauftragte: Die ELKB möge 7. Bekenntnisgrundlage Artikel 16 des eine/n Friedensbeauftragte/n mit Sitz im Augsburgischen Bekenntnisses (CA 16): Landeskirchenamt berufen. Die ELKB möge die in CA 16 stehende 5. Friedenssteuer: Die ELKB möge sich Rechtfertigung von Todesstrafe und mili- für die Einführung einer Friedenssteuer tärischer Gewaltanwendung als heute einsetzen, die Kriegssteuerverweigerern nicht mehr gültigen Bestandteil des Be- aus Gewissensgründen eine rechtlich kenntnisses benennen. gedeckte Steueralternative öffnet. Hans-Willi Büttner 12 50 Jahre AEE

50 Jahre AEE - wie alles anfing „Viele von uns begleiten den Weg der Im Gefolge der AEE-Gründung formier- Kirche mit zunehmender Sorge“: Zitat aus ten sich zwei weitere progressive Grup- einem Einladungsschreiben dreier junger pen, nämlich die Vereinigung Bayerischer bayerischer Pfarrer Anfang 1968 zu einem Vikare (BVB) und der LabeT (Landeskon- Treffen, bei dem sich schließlich der AEE, vent bayerischer evangelischer Theolo- der „Arbeitskreis Evangelische Erneue- giestudenten), und erwuchs schließlich rung“, als eine neue progressive Rich- die KRIBS, die „Kritische Begleitung der tungsgruppe im Raum des bayerischen bayerischen Landessynode“ ). Protestantismus konstituierte. Der erste Auftritt dieser KRIBS bei der Die Kirche, so schrieben Frühjahrssynode 1969 in die Initiatoren Hermann Bayreuth schlug hohe Wel- von Loewenich, Werner len: Im Plenarsaal wurden Schanz und Kurt Hoffmann, die Synodalen wie bei einer sei in der „Sackgasse der Demonstration mit Trans- Restauration“, unfähig, sich parenten für die Frauenordi- den Herausforderungen des nation und mehr Entwick- gesellschaftlichen Wandels lungshilfe empfangen, Flug- zu stellen. Deshalb ver- blätter forderten die „Demo- fehle die Kirche ihren Auf- kratisierung der Kirche“. trag, „Kirche für die Welt“ Diese kirchliche APO (Außer- zu sein. parlamentarische Opposi- Diese Gedanken im Geist tion) hatte sich freilich bald der 68er-Zeit und eben Hermann von Loewenich erledigt. Unter den Syno- gegen restaurative Kräfte dalen selbst bildete sich, waren von solch zündender, durchschla- wesentlich vom AEE auf den Weg ge- gender Kraft, dass allein auf das Einla- bracht, ein liberal-progressiver Arbeits- dungsschreiben hin bereits 180 Theolo- kreis, die „Offene Kirche“. Damit war gen und Laien ihren Beitritt zur erst noch der Marsch durch die Institution Kirche zu gründenden Gruppe erklärten. In der angetreten. Der einstige Aktivist Loewe- ersten Mitgliederversammlung wurde nich, der die bayerische Landeskirche so sogleich, ordentlich aufgeteilt in fünf kräftig aufgemischt hatte, wurde zweiein- Arbeitskreisen, über neue Gottesdienst- halb Jahrzehnte später zum Bischof die- formen, Kirchenverfassung, Konfirma- ser Kirche gewählt. Im Rückblick meinte tion, missionarische Gemeindestruktur er: „Wir wollten nicht aus der Kirche aus- und Fragen der politischen Verantwor- wandern, sondern wir wollten die Kirche tung der Kirchen diskutiert. Ein zentrales erneuern in einer neuen Hinwendung zu Thema war die damals noch ausstehen- den veränderten Gegebenheiten der de Frauenordination. Sechzigerjahre.“ red. 50 Jahre AEE 13

Aus unserer AEE-Jubiläumstagung: 50 Jahre – und dann? Wie steht es um die progressiven Kräfte in unserer Kirche? Sind sie längst in der Defensive oder immer noch eine (mit)gestaltende Kraft? Unter dieser Frage- stellung fand im Herbst 2018 die Jubiläumstagung des AEE statt, der seinen 50. Geburtstag feierte. Ausschnitte aus der Jubiläumspredigt von Hans-Gerhard Koch:

... Hat der AEE also nach 50 Jahren sei- Krieg hat längst angefangen, nicht nur in ne Schuldigkeit getan? Wir werden noch Syrien, auch in Chemnitz. ein paar Jahre in Ehren alt, und der oder Die Computer und Algorithmen und die die Letzte macht das Licht aus? Konzerne, die sie besitzen, sind im An- Aber das haben wir in den letzten 10 griff auf unser Leben und unser Denken. Jahren gerade nicht gemacht. Wir haben Sie haben anderes im Sinn als Wohl- uns weiterhin aus den Fenster gelehnt, stand für alle. Viele Menschen werden haben uns stark gemacht für die Schwa- überflüssig sein, sie wissen es bloß noch chen. Für die völlige Gleichberechtigung nicht. von lesbischen und schwulen Mitchris- ten. Für einen autofreien Buß- und Wird die Art, wie wir Kirche Bettag für die geplagte Schöpfung. Für machen, noch 50 Jahre überdauern? einen Atomausstieg hier und jetzt, für die Zukunft unserer Kinder. Für einen Wir Christen sind in Deutschland auf dem Frieden mit ziviler Konfliktbearbeitung Weg zur Minderheit. Die Landschaft der und ohne Militär. Für Geflüchtete mit Religionen verändert sich, und unserem und ohne Asyl. ... wohltemperierten Luthertum geht es vielleicht bald wie der SPD, die abstürzt Die Erde hält unseren Lebensstil und weiß nicht warum. keine 50 Jahre mehr aus. Wird die Art, wie wir Kirche machen, wirklich noch 50 Jahre mehr überdau- Wer es sehen will, kann es längst sehen: ern? Die Erde hält unseren Lebensstil keine 50 Jahre mehr aus. Bald wird sie unbe- ... Deswegen ist mir für heute Abend ein wohnbar, und es fängt bei denen an, die Bibelwort aus apokalyptischen Zeiten am wenigsten dafür können. eingefallen und hat mich nicht mehr los- Und nicht nur Südseeinseln gehen unter, gelassen. Es ist aus dem Buch des Pro- auch unsere Wohlstandsinsel mit Beam- pheten Joel, eines der ganz späten Pro- tengehalt ist nicht mehr sicher. Zuneh- pheten Israels. Der merkte, dass nicht mend kämpfen alle gegen alle, und der alles gut war im Gelobten Land, trotz 14 50 Jahre AEE aller Reformen und Erneuerungen nach Es geht nicht nur um eine frohe Bot- der Rückkehr aus Babylon. Er schrieb: schaft für uns Kirchenchristen, sondern um Hoffnung und Rettung für die Danach aber wird es geschehen, dass ich Menschheit und unsere Geschwister meinen Geist ausgieße über alles Fleisch. in der Schöpfung. Es geht nicht nur um Eure Söhne und Töchter werden Pro- innere Erneuerung oder ein paar kirch- pheten sein, eure Alten werden Träume liche oder politische Reförmchen, es haben, und eure Jungen haben Visionen. geht um eine radikale Änderung unse- Auch über Knechte und Mägde werde rer Lebensweise, anders ist es nicht zu ich meinen Geist ausgießen in jenen Ta- schaffen. gen. Und ich werde wunderbare Zeichen wirken, am Himmel und auf der Erde. Es geht nicht um ein paar Reförmchen, Blut und Feuer und Rauchsäulen ... ehe es geht um eine radikale Änderung der Tag des Herrn kommt, der große und unserer Lebensweise schreckliche Tag. Es geht nicht um ein paar neue Formen So Joel vor 2300 Jahren. Blut, Feuer und von Kirche, es geht darum, Gott neu zu Rauchsäulen hat es seitdem genug ge- begreifen. Dass er in allem ist, was lebt, geben. Und, vielleicht fängt es ja im 21. und nicht irgendwo in einem Himmel Jahrhundert wieder richtig an. uns gegenüber. Dass Christus täglich Kann man es wagen, dennoch Joel zu ans Kreuz genagelt wird in den Ärmsten zitieren? dieser Erde und in der Kreatur, und nicht Dass ein neuer Geist in die Welt kom- nur damals in Jerusalem. Dass die Reli- men soll, und zwar nicht nur über den gionen dieser Erde sich nicht nach ihren AEE oder unsere Kirche, sondern über Religionsstiftern unterscheiden, son- „alles, was lebt“? dern danach, wie sie mit den Leidenden Dass wir Alten unsere Träume von Ge- umgehen und ob sie noch eine Hoffnung rechtigkeit, Frieden und Schöpfung im- für Mutter Erde sehen. mer noch träumen dürfen, ja müssen, ... Die, denen es um die Zukunft unse- und noch viel umfassender als 1968? rer Welt bange ist, sind längst woanders Dass die Jungen trotz aller Fehlschläge unterwegs: auf dem Rettungsschiff im immer noch Visionen haben, wie das Mittelmeer, bei Ende Gelände im Ham- werden könnte, und sich neu auf den bacher Forst, auf Demos in München Weg machen? und . Allerdings, wenn eine Evangelische Er- Die, denen es vor allem um die Zukunft neuerung das Schwert über unseren der Evangelisch-Lutherischen Kirche Häuptern aufhalten soll, dann werden in Bayern geht, verfassen Papiere über wir Evangelium und Erneuerung einige Profil und Konzentration. Dafür gibt es Nummern größer denken müssen als Referentinnen und Referenten, Aus- 1968. schüsse und Workshops, und ihre Ter- 50 Jahre AEE 15 minkalender sind voll. Wer von ihnen wenn ich das erleben sollte, werde mich Visionen bekommt, macht einen Arzt- bis dahin daran festhalten, dass Gott termin, wie ein ehemaliger Bundeskanz- unter uns ist in seiner Schöpfung und ler empfohlen hat. Christus unter uns ist in allen, die leiden, und der Geist des Lebens ausgegossen ... Was heißt das für den AEE? ist über alles, was lebt. Ich glaub eigentlich nicht, dass auch Lassen wir uns unsere Träume und Visio- trotz apokalyptischer Zeiten demnächst nen nicht nehmen. Dietrich Bonhoeffer eine Welle von Jungen in den AEE ein- hat dazu gesagt: „Mag sein, dass der tritt, so wie es 1968 war oder später in Jüngste Tag morgen anbricht, dann wol- den Zeiten von Mutlangen und Wackers- len wir gern die Arbeit für eine bessere dorf. Die Jungen von heute sind, wie ge- Zukunft aus der Hand legen. Vorher aber sagt, anderswo unterwegs, und die Mitt- nicht.“ leren auch. Was uns bleibt, ist, unsere In diesem Sinne: Amen. Träume von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung nicht fallen zu lassen. Und auf die Visionen der Jun- gen zu achten, ihnen zuzuhören und auf- merksam zu sein, wo Gott seinen Geist ausgießt. Es wird vielleicht nicht da sein, wo wir es erwarten.

Ein Bündnis zwischen den Alten und ihren Träumen und den Jungen und ihren Visionen

Aber wenn wir es merken, wird viel- leicht ein Bündnis möglich sein zwischen den Alten und ihren Träumen von einer Hans-Gerhard Koch, neuen Kirche und den Jungen und ihren Sozialpfarrer im Ruhestand, Visionen von einer Rettung für Mutter ehemaliger Sprecher Erde. Und die, die sich um kleine konkre- des AEE. te Schritte mühen, und die, die den Ap- parat am Laufen halten, die werden es anders tun, wenn eine Vision sie nährt und nicht nur die Pensionsberechtigung. Wie weit unsere Visionen noch tragen? Kann gut sein, dass der AEE 2028 noch älter und noch kleiner geworden ist, wie unsere ganze Kirche auch. Aber ich, 16 50 Jahre AEE

Podiumsdiskussion bei der Jubiläumsfeier V. r. n.l .: Hans-Jürgen Benedict, Ulrich Willmer, Walter Schnell, Michael Kasperowitsch (Moderator) ,Gerhard Schoenauer, Paula Tiggemann

ELKB 2068 – 100 Jahre AEE Eine „prophetische“ Schau des AEE-Sprechers von 2018, Hans-Willi Büttner

Die Kirche ist nicht weggeschrumpft, son- Auch wenn der nicht immer realisiert, dern lebendig und attraktiv, zum Schrei- was sein Algi alles treibt. en und zum Freuen. Tragende Weite in, Die Physogenkrise von 2030/32. Zu viele mit und unter lastender Enge. Glaube, Synodale ließen sich durch ihre Algis ver- Liebe, Hoffnung … und der AEE hat 4000 treten, welche sich aber zunehmend auf Mitglieder. ‚bewährte‘ Muster zurückzogen, zur Sicher- Der größte Umbruch vollzog sich nicht im heit. Die Folge: Synodalstarre durch zer- Kern, sondern durch den digitalen Wan- streute Digi-Hirne und abwesende Echt- del. 2025 kamen die Physogene, die Ge- geister. Bewegung gab‘s wieder mittels staltgeneratoren. Nun konnte man mit der Verordnung zur Anwesenheitspflicht dem intelligenten Algorithmus einer Per- für Synodale in Leib und Geist – kurz: son kommunizieren. Fast so gescheit wie Realpräsenzverordnung. ein Host, mit breitem Entscheidungs- Heute sind drei Viertel der Kirchenparla- spielraum. Der Algi kann zu- bzw. absa- mentar* Nichttheolog*, hoch engagier- gen, Termine vereinbaren und Honorare te Fränner. aushandeln; sogar ins Sachgespräch steigt PS: Die bayerische Ministerpräsidentin holt sich stets gerne Rat bei der Sprecherin des AEE. er ein. Alles, was der Algi tut, ist im Host aus Fleisch, Hirn und Blut präsent.  Siehe auch „Das Letzte“, Seite 32 50 Jahre AEE 17

Jubiläumstagung 2018 Splitter und Balken

Walter Schnell: Frisch, frech und froh – AEE, mach weiter so! Die Landeskirche braucht den AEE, gerade im Angesicht von Klimawandel, Friedens- gefährdung und Ungerechtigkeit. Der AEE soll helfen, die Verände- rungen zu gestalten.

Hans-Jürgen Benedict: Bonhoeffer hat es uns gesagt: Nur eine „Kirche für andere“ hat Zukunft, das religionslose Christentum, daser vorausgesehen hat, ist da, und Gott ist da, wo Menschen leiden, sonst nirgends. Aber die evangelischen Kirchen sind einen anderen Weg gegangen: möglichst da anzufangen, wo sie 1933 aufhören mussten, „Kir- che im Spätkapitalismus“, „Kirche der Freiheit“, die in Wirklich- keit im Neoliberalismus gefangen ist. Aber der „Fortschritt“ hat mit Auschwitz geendet. Auch heute wird er wieder katastrophal enden, wenn wir die Probleme nicht angehen. Wir wissen alles – es geht jetzt darum, einzulösen, was wir proklamiert haben. Kirche wird statt politisch zu predigen, Über- lebenshilfe leisten, in der privaten Welt Heimat anbieten, das Leid der Menschen aus- halten und eine nicht perfekte Welt lachend aushalten müssen.

Paula Tiggemann: Progressiv/konservativ sind für junge Leute heute falsche Alter- nativen. Sie selbst sieht sich als „wertkonservativ“. Es geht heute darum, die Probleme des Rechtspopulismus und der Nachhaltig- keit zu lösen. Wenn es praktisch wird, machen auch Gremien Sinn, es muss ja nicht gleich eine Funktionärskirche werden. Es geht nicht um „zu brav“, sondern um kluge Bündnisse. Jugendliche sind nicht „angepasst“, sondern lernbereit und erfolgsorientiert. Progressiv ist: - Weitermachen trotz Apparat; - die Träume nicht aus den Augen verlieren; - den Jungen Raum geben in Kirche und Gesellschaft; - konkret etwas machen, statt ohne Ende analysieren - und das Scheitern nicht fürchten. Siehe auch „Das Letzte“, Seite 32 18 Umwelt

Carsharing – mach mit! Von Martin Kleineidam Unser Redakteur Martin Kleineidam hatte in b&k 2018/2 von seinem Traum richtet,be dass er und seine Familie auf ein eigenes Auto verzichten. Der Traum ist nun wahr geworden.

Nein, ich empfinde keine Wehmut, wenn Aber deswegen zurück zum eigenen Auto? ich mir das Bild von unserem Minibus Bitte nein! Man denke an die Staus, den anschaue, den wir verkauft haben. Die Ärger mit Versicherungen und Werkstät- Option des Carsharings hinterm Haus, ten, an das Winterräder-Schleppen, die die Anbindung mit der Tram zur Innen- Reparaturen und die Kfz-Steuer… stadt, die Toplage von Augsburg hin- Rund 2800.- Euro haben wir im 2. Halb- sichtlich des Fernzugverkehrs haben den jahr 2018 mit Carsharing verfahren. Da- Abschied vom eigenen Auto erleichtert. runter fallen Dienstfahrten, die wir mit Für unseren Bus mit Anhänger haben wir der Kirchengemeinde abrechnen, ein noch 3000.- Euro erhalten und mussten Umzug mit dem Sohn zum Studienort,

den Erlös nicht mehr in einen Neuwagen ein Urlaub in Dänemark … Man wählt stecken. Stattdessen haben wir für unsere in der Regel nur die Größe eines Autos, Fahrräder sogar noch Platz in der Gara- die zum Anlass passt: Für den Hausbe- ge gewonnen. such buche ich einen Kleinwagen, der Das Autobuchen beim Augsburger Car- wenig verbraucht und wenig kostet; für sharing-Anbieter per Internet oder Telefon den Umzug einen Transporter, der hin- geht ohne Probleme. Freilich, man muss sichtlich der Kosten einen Vergleich zu zu Buchungsstoßzeiten schon einmal Autovermietungen nicht scheuen muss. 500 Meter zum nächsten Carsharing- Finanziellen Gewinn verschafft die Kom- Standort weiterradeln oder ggf. das Car- bination aus Tram-Monatsticket und sharing-Auto auch mal sauber machen. Carsharing-Mitgliedschaft. Umwelt 19

Erstaunlich: Ich nutze jetzt das Rad noch Spaß und hält fit. Undfür mich das Wich- mehr als früher. Schöner Nebeneffekt: tigste: Man hilft den Klimakiller CO2 ein- Inzwischen habe ich durch das Radfah- sparen, trägt zur Säuberung der Luft der ren ohne Fitnessstudio nicht nur meinen Innenstadt bei und fördert Gesundheit Körper um einige Pfund erleichtert, son- von Mensch und Natur. Mein Traum wäre dern auch die Soll-Seite von Familie und eine Welt mit weniger Autos, weniger Kirchengemeinde. Straßen und einem Mehr an Raum für Trambahn- und Zugfahren nutze ich dazu, Mensch, Wohnraum und Schöpfung. endlich einmal auch etwas lesen zu kön- nen, wofür ich sonst hinterm Lenkrad kei- Stell dir eine Welt vor, in der Ruhe die ne Zeit hatte. Ich frage mich: Was habe Normalität ist, in der Abgase zur Ver- ich früher Zeit auf der Straße vertan? gangenheit gehören, in der Straßen für Mein Resümee: Wer vor der Anschaffung Gärten und Radwege verkleinert oder eines Neuwagens steht und weniger als Garagenblocks zu Wohngebäuden um- 9000 km/Jahr fährt, der schont mit Car- gebaut werden. Stell dir eine Welt vor, sharing und der Aufgabe eines Privat- in der man teilt und das Leben nicht ver- autos den Geldbeutel und die Umwelt. braucht und verhetzt, sondern gemein- Die freie Wahl der Transportmittel macht sam genießt. Carsharing – mach mit!

Kommentar Warme Menschlichkeit Von Martin Kleineidam

Nun ist es wieder so weit, die Reisever- Legt man zwei Tonnen CO2 pro Jahr anstalter werben mit Sandstrand und Emissionsbudget zugrunde, hat man mit Palmen für Urlaubsflüge auf die Baha- einem Deutschlandflug bereits 1/7 sei- mas oder die Malediven. Die Folge: Es nes Jahresbudgets verbraucht. werden nun wieder Flüge für Winter, Jeder Deutsche kommt daher im Durch- Ostern, Pfingsten und den Sommer ge- schnitt auf elf Tonnen statt auf zwei. bucht – in Massen. Wen wundert es, dass das Jahr 2018 in Auf deutschen Flughäfen verkehrten im Deutschland wieder einmal das wärms- Jahr 2017 insgesamt 234,8 Millionen te seit der Wetteraufzeichnung war? Wo Passagiere – 11,6 Millionen Fluggäste bleibt da die „warme Menschlichkeit“ mehr als 2016. für die Schöpfung und die nächsten Ge- Für einen Flug von München nach Berlin nerationen, die sich viele zu Weihnach- setzt eine Person 282 kg des CO2 frei. ten ersehnt haben? 20 Umwelt

Es geht auch anders: Zwei Mit- glieder der b&k-Redaktion sind schon über zehn Jahre nicht mehr mit dem Flugzeug in den Urlaub geflogen. Dennoch fin- den sie in Dänemark oder an den Masurischen Seen Erho- lung. Und wenn es einmal doch nicht anders geht, kann man den https://klima-kollekte.de CO2-Ausstoß der Flugroute über Organisationen berechnen und CO vermeiden - reduzieren - kompensieren kompensieren: Die Kirchen bie- 2 ten die Klima-Kollekte an. Die Klima-Kollekte unterstützt Sie, klima- Es gibt aber auch Atmosfair, cli- freundlich zu handeln und so die Schöp- matefair und andere. Es geht fung zu bewahren. bei Kompensation nicht um Ihre Emissionen berechnet die Klima- einen Ablass, der ja bekannt- Kollekte kostenlos und berät Sie zu Reduk- lich Verstorbene aus dem Fege- tionsmöglichkeiten. Verbleibende Emissi- feuer auslösen sollte. Das Geld onen können Sie über Projekte der Klima- für die Kompensation dient Kollekte im Bereich erneuerbare Energien dem Zweck, Klimaschutzpro- und Energieeffizienz ausgleichen. jekte aufzubauen oder Bäume zu pflanzen, um den CO2-Ver- brauch auszugleichen. Die unabhängige Stiftung Warentest hat in der Anfang 2018 erschienenen Unter- Am besten aber fliegt man gar suchung „Freiwillige CO2-Kompensation" nicht und macht auch keine die Klima-Kollekte mit dem Qualitätsurteil Kreuzfahrten, die als Klimakiller „sehr gut" ausgezeichnet. neben Flugzeugen gelten. Die Schöpfung wartet auf die Die Projekte sind für die lokale Bevölke- Offenbarung der Kinder Gottes, rung in Ländern des globalen Südens ent- und man selbst genieße den Ur- wickelt und mindern Armut vor Ort, indem laub ohne Jetlag. sie Frauen stärken, Gesundheit schützen und Perspektiven ermöglichen – zudem verringern sie den CO2 -Ausstoß und schützen so das Klima. Umwelt 21

Umkehr zum Leben Über die „Klimabesorgten Klimasünder“ und die „Prediger der Prophetie“ - Von Simon Wiesgickl

Zahlen sind manchmal paradox. Eine Spitze der Umweltbewegung setzen aktuelle Untersuchung des Umwelt- sollten. Und es wurde versprochen, bundesamts (UBA) hat herausgefunden, dass die Kirchen eine C02 Reduzie- dass gerade die Menschen, die beson- rung um 25 Prozent bis 2015 (!) schaffen ders umweltbewusst sind, einen beson- werden. ders hohen Ressourcenverbrauch ha- 2009 ist ironischer- ben. „Klimabesorgte Klimasünder“ – so weise das Jahr, seit K M U wird diese Gruppe dann genannt. dem in Deutsch- land eigentlich Zahlen lügen nicht. Der Griff nach dem Stillstand Bioprodukt beim Einkaufen und die Echt- herrscht R H E holzmöbel im Wohnzimmer sind löb- lich, fallen aber gegenüber der großen Altbauwohnung und den gelegentlichen ZUM in puncto Fernreisen nicht ins Gewicht. Zugege- C02 Reduzie- ben, es sind Klischees, die hier bemüht rung. Aus der Tat- werden, aber die Zahlen sprechen eine sache, dass derzeit eindeutige Sprache. an einem integrierten Und erinnern an das ethische Dilemma, LKlimaschutzkonzeptEBEN der das Paulus zuspitzt: „Denn das Gute, das ELKB gearbeitet wird, mit dessen Hilfe ich will, übe ich nicht aus, sondern das dann C02-Einsparungen auch messbar Böse, das ich nicht will, das tue ich.“ Die und überprüfbar gemacht werden, schlie- Klimakatastrophe ist also auch eine spi- ße ich mal, dass das eher nicht geklappt rituelle Krise. Meine These dazu lautet: hat mit den 25 Prozent bis 2015. Wir müssen anders in der Bibel lesen Eine Beobachtung, die mir symptoma- und vorrangig Tugenden einüben. tisch scheint: An mitreißenden Predigten und Stellungnahmen mangelt es nicht. Als Christinnen und Christen sind wir An der Umsetzung schon. Im PuK-Prozess ja gut darin, mahnende Stimmen pro- unserer Landeskirche gibt es das Ziel phetisch noch zu verstärken. - „Um „nachhaltig und gerecht wirtschaften“ – kehr zum Leben“, so forderte bereits gearbeitet wird aber erst einmal an (al- 2009 eine Denkschrift der EKD. -Wort len) anderen Baustellen. reich wurde deutlich gemacht, war- Schuld an dieser Gesamtsituation sind um sich gerade Christinnen und Chris- aber nicht nur die anderen, die not- ten biblisch gut begründet an die wendige Prozesse blockieren, die immer 22 Umwelt nur lamentieren, sondern auch wir, die nachzujagen bereit ist. Er, der allen an- falsch argumentieren. Wir, die „klimabe- deren moralisch überlegen ist, will nicht sorgten Klimasünder“. Wir, die „Prediger recht behalten, sondern Recht und Ge- der Prophetie“. Selbstkritisch können rechtigkeit erlangen. Keine Ziele- for wir uns fragen: Haben wir es uns in der mulieren, die nicht eingehalten werden Rolle des Mahners, der Mahnerin be- können, sondern Tugenden einüben, quem gemacht? Die Umkehr im Kleinen um zu den Zielen zu gelangen, die jedem wieder und wieder eingefordert, anstatt klar vor Augen stehen sollten. uns auf die Big Points zu konzentrieren? Paradox wäre es, nun mit einem prophe- tischen Appell zu schließen. Stattdessen möchte ich zu einer spirituellen und po- litischen Übung einladen. Vom 30. Mai bis 2. Juni 2019 findet das 5. Nürnberger Klimapilgern statt. Wir machen uns auf den Weg für politische und persönliche Transformationen. Anmeldungen und Informationen unter [email protected]

Dr. Simon Wiesgickl ist Vikar in Nürn- berg, hat u. a. bei Ulrich Duchrow in Heidelberg studiert, an der Universität Erlangen als Assistent über interkulturel- le Theologie gearbeitet und promoviert. Er ist im Befreiungstheologischen Netz- werk und bei „Kairos Europa – Unter- wegs zu einem Europa für Gerechtigkeit“ Prediger der Prophetie Tiki Küstenmacher engagiert und hat u. a. zusammen mit Franz Segbers den Sammelband „Diese Und für diese radikal zu kämpfen und Wirtschaft tötet“ herausgegeben. breite Unterstützung zu gewinnen? Das ist nämlich die Pointe und die Empfeh- lung der eingangs zitierten Studie des Umweltbundesamts. Zum Abschluss Paulus. Im dritten und vierten Kapitel des Philipperbriefs ver- spricht er, dass er vergessen will, was zurückliegt, und entschlossen dem Ziel Theologie 23 Homo sapiens wird „Homo Deus“ Ein philosophischer Bestseller vom Menschen, der Gott sein will– Von Lutz Taubert

Der Mensch steht an der Schwelle zur interessiert sich für die verrückten Zu- nächsten Evolutionsstufe: Physisch macht kunftsthesen Hararis sehr wohl und er sich, indem er immer länger lebt, sucht seinen Rat; Barack Obama und irgendwann einmal – vielleicht schon Bill Gates sind seine prominentesten bald? – unsterblich! Neue Technologien, Fans. Harari, der Geschichte an der He- im Besonderen die künstliche Intelli- bräischen Universität in Jerusalem lehrt, genz, statten ihn mit schier unermessli- wird weltweit zu Vorträgen eingeladen chen denkerischen Fähigkeiten und Ein- und hat auch schon mal – es war wohl sichten aus. Und alles in allem wähnt er in Davos – Angela Merkel die Welt von sich schließlich gottgleich. gestern und morgen erklärt, angeblich in 15 Minuten. Das ist die Kurzfassung eines 650 Seiten schweren Bestsellers des Historikers und Hararis „Homo Deus“ versteht man am Philosophen Yuval Noah Harari, der dem besten, wenn man Hararis erstes Buch Leser schon mit seinem Titel dies alles mit dem Titel „Eine kurze Geschichte sagt: „Homo Deus“, der Mensch macht der Menschheit“ sozusagen als Vorge- sich zu Gott! schichte seiner Zukunftsdeutung liest. In diesem seinem ersten „Kultbuch“ Die „Geschichte von Morgen“ (so die beschreibt der Historiker, wie unsere Unterzeile des „Homo Deus“), mag dem Spezies die Erde erobern konnte. Das einen noch so unglaublich und verrückt Anthropozän weitet er großzügig auf die vorkommen, andere mag der philosophi- letzten 70.000 Jahre aus, in denen der sche Blick in die Zukunft auch mit einem Homo sapiens zum alles – und vor allem gewissen Grauen erfüllen. Doch die The- die Ökologie – prägenden Weltverände- se vom Menschen, der seine Existenz als rer und Weltgestalter wurde, der alle Homo sapiens ausweitet und sprengt, anderen Lebewesen unterjochte und regt unsere Fantasie an und lohnt gera- schließlich durch wissenschaftlichen Er- de aus dem Blickwinkel von Kirchen und kenntnisgewinn sich zum Herrscher des von gottgläubigen Menschen. Globus machte.

Wer ist dieser Harari, von dem man Wie mutiert nun der Mensch zum an den theologischen Fakultäten noch „Homo Deus“? Nach Hararis Interpreta- nicht so viel gehört hat? Die politische tion geschieht auch dies schon seit einer und auch die unternehmerische Elite geraumen Weile: Der Mensch setzt an- von Berlin über Washington bis Peking stelle der theistischen Religionen eine 24 Theologie stelle der theistischen Religionen eine ethischen Folgen: Die eigene Gesund- humanistische Weltanschauung als das heit, das eigene Glück, die eigene Macht dominierende Glaubensbekenntnis. – darum vor allem geht es dem Homo Und im Humanismus wird nun mal nicht Deus, der über sich selbst nicht mehr eine höhere Macht verehrt, wie dies im viel hinausdenkt und sich, sein Leben Theismus der Fall ist, sondern man ver- selbst bestimmt.

Ist das nicht schon Gegenwart? „Was mein Leben bestimmt? Ich!” So fasste das Sozialwissenschaftliche Institut der EKD eine Studie über die Lebens- und Glaubenswelten junger Menschen zu- sammen, die sie während der letzten EKD-Synode zu diesem Thema vorlegte. Junge Erwachsene fühlen sich in einem sehr hohen Maße für ihr Leben allein verantwortlich. Der Glaube an einen Gott ist nur noch für eine Minderheit bedeutsam.

Zurück zu Hararis Zukunftsvision: Der Mensch, der sich zum Gott aufschwang, traut allein auf sich und aufs Diesseits. wird eines Tages vom Thron gestoßen – „Wir sind Self-made-Götter, die nur noch durch hochintelligente Algorithmen, die den Gesetzen der Physik gehorchen letztendlich die Weltherrschaft über- und niemandem Rechenschaft schuldig nehmen könnten. Wir wären dann, nach sind.“ Theismus und Humanismus, im Zeitalter des Dataismus angelangt, in dem, eine Konservative Religionshistoriker würden kluge Unterscheidung Hararis, das be- diese Entwicklung als Säkularisation be- wusste Denken (des Menschen) durch zeichnen und – in der Gegenwart an- nicht-bewusstes Denken (eben der Algo- gekommen, da der Atheismus in eine rithmen) ersetzt würde. Gottvergessenheit umschlägt – viel- Unser Post-skriptum zum „Homo Deus“: leicht noch Postsäkularisation. Harari Hararis Zukunftsvision ist keine Prophe- geht da aber den einen Schritt weiter: zeiung, vielmehr eine Provokation, eine Der Mensch, der zunächst Gott negiert, geniale Idee, Herausforderung an uns dann dem Gott mit Gleichgültigkeit bewusste Menschen. Wir dürfen und gegenübertritt, macht sich zum selbst- sollen uns durchaus beunruhigen las- ermächtigten Gottmenschen. Mit allen sen! A Theologie 25

Apostolicum-Serie Ewig leben!? In unserer Apostolicum-Serie greift Uwe Lang den letzten Satz im Glaubensbekenntnis auf: Ich glaube … an das ewige Leben

Der Glaube an das ewige Leben ist wohl sondern es gehört dazu! Wir alle sind der Kernsatz unseres Bekenntnisses. Ich also schon jetzt „ewig“ oder „unend- persönlich habe ihn immer als „versöhn- lich“. Wenn wir das so betrachten, se- lichen Schluss“ empfunden, der es mir hen wir auch viele Gleichnisse von Jesus ermöglicht, dieses Bekenntnis unserer in einem völlig neuen Licht, etwa von christlichen Vorfahren dann auch als der selbstwachsenden Saat, vom Senf- Ganzes mitzusprechen. korn. Dazu gehören auch Jesu Worte Dabei ist diese Aussage vom ewigen vom Reich Gottes, das nicht irgendwann Leben ja nicht selbstverständlich. Sie kommt, sondern schon mitten unter uns wird auch von den meisten Christen ist! wohl falsch interpretiert. Reden Sie mal Logischerweise betrifft aber Unendlich- darüber mit einem Mathematiker. Der keit nicht nur unsere Gegenwart und Zu- würde zunächst mal das Wort „ewig“ kunft, sondern auch unsere Vergangen- in „unendlich“ austauschen. Und so be- heit. Wenn wir unendlich sind, haben trachtet wäre dann die Annahme völlig wir auch schon immer existiert. Hindu- falsch, dass unser jetziges Leben auf der isten, Buddhisten und Anthroposophen Erde, das ja vergänglich ist, einem „un- würden dem auch sofort zustimmen. endlichen Leben“, das „danach“ kommt, Christen werden da eher zögern, sich gegenüberstehen würde. Etwas Endli- mit einer solchen Aussage anzufreun- ches, das dem Unendlichen gegenüber- den. Aber für den Menschen Jesus ist es steht, ist mathematisch null! selbstverständlich, dass er „vom Himmel gekommen ist und Fleisch angenommen Übrigens ist auch die Annahme der hat“ (Glaubensbekenntnis von Nicäa). Materialisten nicht möglich, dass auf Aber dies gilt für jeden von uns! Unend- unser jetziges irdisches Dasein ein „un- lichkeit ist sowohl nach vorn als auch endlicher Tod“ folgt. Unendlichkeit hat nach hinten unbegrenzt. Übrigens kennt keinen Anfang und kein Ende. Wenn es auch das Neue Testament den Begriff uns unendlich nicht gäbe, gäbe es uns „Wiedergeburt“. Dazu gibt es ja auch auch jetzt nicht. Da jeder von uns aber ein interessantes Gespräch zwischen Je- jetzt offenkundig da ist, also existiert, ist sus und dem Pharisäer Nikodemus, das das nur so logisch denkbar, dass dieses im 3. Kapitel des Johannesevangeliums irdische Leben nichts ist, was vor dem beschrieben ist. Gegenüber den An- Ewigen, vor dem Unendlichen kommt, hängern eines „Karma-Glaubens“, der 26 Theologie 24 das neue Leben vom Ver- halten im alten Leben ab- hängig macht, betont Je- sus – ganz im Sinne des Propheten Hesekiel –, dass grundsätzlich jedem im- mer ein Neuanfang mög- lich ist. Insofern wird im NT Wiedergeburt immer mit Taufe verbunden. Dass wir eine unsterbliche Seele haben, das hat die Menschheit im Grunde schon immer gewusst. Platon (427-347 v. Chr.) war einer der ersten Phi- losophen, die das klar for- muliert haben. Wir wis- sen von vielen Dingen, die wir nicht hier auf die- ser Erde in Vollkommen- heit erleben können, sondern wir haben sie Hieronymus Bosch: Der Flug zum Himmel, Ausschnitt aus dem Jenseits mitge- bracht. Dazu gehören zum Beispiel Ge- als vermutet entsprechende Erfahrungen rechtigkeit, Barmherzigkeit, Freund- und Begegnungen. Und wir sollten auch schaft, Liebe, Schönheit. Ähnlich wie mal hinhören, was Wissenschaftler inzwi- Paulus („Wir sehen jetzt alles nur unklar schen über das ICH und sein Bewusst- wie in einem Spiegel“) meint Platon, sein herausgefunden haben. Dazu emp- dass wir hier im Diesseits nur dürftige fehle ich besonders das Buch von dem Abbilder davon sehen. Unsere Seele, Kardiologen Pim van Lommel, „Endloses sagt Platon, hat aber im Jenseits die Bewusstsein – medizinische Fakten zur ganze Vollkommenheit aller Dinge schon Nahtoderfahrung“, Patmos-Verlag. gesehen und erlebt und sehnt sich des- halb jetzt danach, ist unglücklich, wenn hier vieles so unvollkommen ist. Platon Uwe Langs Position findet vielleicht nicht nennt das „Wiedererinnerung“. Dieses überall Zustimmung. Wir freuen uns über Wissen muss vorgeburtlich sein. kritische Zuschriften. Übrigens haben weit mehr Menschen Die Redaktion Theologie 27

Gollwitzer über Gollwitzer Pfarrer i. R. Rainer Gollwitzer über seinen Namensvetter Helmut Gollwitzer

Die 1968er haben, wie wir AEEler wissen, die Kirche verändert, umgekehrt aber hat ein großer protestantischer Theologe in der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit wesent- liche politische Akzente gesetzt: Helmut Gollwitzer, der wie kaum ein anderer deutscher Theologe im 20. Jahrhundert polarisierte. Der 1908 im mittelfränkischen Pappenheim geborene Gollwitzer studierte Philosophie und Theologie, promovierte bei (was seiner politischen und theologischen Haltung die entscheidende Richtung gab), opponierte gegen das NS-Regime und begehrte gegen die Wiederbewaffnung auf, ließ bei sich wohnen, besuchte RAF-Terroristinnen im Gefängnis. Auch durch heftige Kritik von Strauß und später Kohl ließ er sich nicht beirren. Er galtals frömmster Sozialist, war einer der profiliertesten Köpfe der damaligen Friedensbewegung. Im letzten Jahr, da die AEE auf das runde 68er-Jubiläum zurückblickte, gedachte man auch Gollwitzers 110. Geburtstags und seines 25. Todestags. Der Mann, der aus Bayern stammt, ist gewissermaßen über Bayern hinausgewachsen. Wir feiern Gollwitzer, indem wir einen Namensvetter baten, seine persönliche Bezie- hung zum großen Gollwitzer zu beleuchten: Rainer Gollwitzer, Franke und evang.-luth. Pfarrer in Ruhe, über Helmut Gollwitzer.

Ob ich mit Helmut Gollwitzer verwandt den Mysterien des Gollwitzer’schen oder gar sein Sohn bin? Als Theologie- Stammbaums und unserem Verwandt- student, als Vikar, als Pfarrer wurde ich schaftsgrad, den großen Helmut Goll- das fast täglich gefragt. Ja, hab ich oft witzer ( * 1908 ) betreffend. Wir nahmen aus einer Laune heraus gesagt, das ist ihm das nicht übel. Wie, wenn nicht re- mein Bruder und der ist Mediziner in dend, sollte einer, der beide Beine verlo- Erlangen. „Nein, ob Sie mit dem großen ren hatte, mit dem Leben als halbierter Theologen Gollwitzer verwandt sind ?“ Mensch klarkommen. Peinlich, so genau wusste ich es selbst Heute würde man ihm mehrere Thera- nicht. Dabei hätte ich es wissen können. peuten zur Seite stellen. Wir Buben wuss- Mein Vater, der Pfarrer Heinrich Goll- ten uns der Dauerrede zu entziehen, in- witzer (* 1910), hatte als berufsaffine dem wir auf Durchzug schalteten. Später, Leidenschaft die der Dauerrede und er- als wir manches gern genauer gewusst zählte bei allen sich bietenden Mahlzei- hätten, hat er die Dinge nicht mehr auf ten, zu denen Pfarrfamilien einst noch den Punkt gebracht. Wir Buben übten vollständig versammelt bei Tische saßen, unsre Berufe workoholisch aus und ver- wechselweise vom Polenfeldzug, vom legten Familienerforschung in den Ruhe- Frankreichfeldzug, auch vom Russland- stand. Da liegt und ruht sie noch immer. feldzug oder – und jetzt kommt’s – von Verwandt mit dem großen Helmut Goll- 28 Theologie witzer? Ein wenig stolz war ich schon, ihn auch nie. Das macht man nicht als diesen Namen zu tragen. Man mochte Kind eines 200-Seelen-Dorfs, nach Ber- mich des Namens wegen unbesehen. lin gehen, in die große Stadt. Kriegsdienstverweigerer, Atomkraftgegner, Aber natürlich mochte ich den Kirchen- Friedensfreaks, Kriegsgefangene, Spät- tagsredner, den Mutlangen-Sitzblockie- heimkehrer, die sein Buch „ ... und führen, rer, sein offenes Haus. Wenn da noch

Berlin, 3. Januar 1980 - Helmut Gollwitzer hält die Beerdigung von Rudi Dutschke Friedrich Stark / Alamy Stock Foto wohin Du nicht willst!“ gelesen hatten, Licht war, und es war da gern noch Licht mochten ihn. So fiel immer ein wenig bis nach Mitternacht, traf man dort – Glanz des großen Namens auf mich ab. heißt es – die intellektuellen Spitzen Andere konnten mich um seines Namens der Studentenbewegung. Natürlich mag willen von vornherein nicht leiden, Glau- ich ihn als Dutschke-Versteher und als bende witterten in mir den nicht richtig „Seelsorger extrem“ für Glaubenden und Gläubige gar den Un- und Gudrun Ensslin. gläubigen. Politisch Rechtslastige erkann- „Wie ist Ihr Name?“, fragt ein Gottes- ten in mir instinktiv den Linksdrehenden. dienstbesucher. „Gollwitzer!“, sag ich. So richtig verstanden habe ich ihn nie, „Gollwitzer? Man merkt’s!“, sagt mein den großen Theologen, den systemati- Frager und lässt mich stehen. „Vorhang schen Denker, den Karl-Barth-Schüler, den zu und alle Fragen offen.“ philosophisch redenden Ausleger der Schrift. Gehört und gesehen habe ich AEE intern 29

Aus dem Bericht des Sprechers bei der Mitgliederversammlung am 27. Oktober 2018 in Nürnberg

Das Leitende Team (LT) tagte im Jahr Aus den Regionalgruppen: 2018 viermal. Zentrales Thema war die - München: Debattierclub zu „Mit dem Vorbereitung der Jahrestagung am 27. Kreuz Staat machen“ am 12. 11. 2018; Oktober mit dem Schwerpunkt 50 Jahre regelmäßig erscheint ein Newsletter. AEE. Breiten Raum nahm die Vorberei- - Bayreuth: Veranstaltung mit Heribert tung auf die Frühjahressynode 2019 zum Prantl; im März berichtet Hannes Neu- Thema „Frieden“ ein. Wegen der inhalt- bauer über seinem Seenoteinsatz im lichen Übereinstimmungen in den An- Mittelmeer. liegen des AEE und des IKF (Initiativkreis In Nürnberg vier Treffen: Frieden) war es angemessen, im IKF ver- (1) mit Betriebsseelsorger Dr. Siegfried treten zu sein (sechs Zusammenkünfte). Ecker zu „Kapitalismuskritik – warum übt Hier entstand die Erklärung „Worüber sie der Papst und die Evangelischen wir ins Gespräch kommen müssen“. Die- nicht?“; se und weitere Texte des IKF, sowie die (2) mit Prof. Dr. Peter Hess „Digitalisie- AEE-Erklärung „Den Drachen an der Lei- rung – was macht sie mit uns?“ (vgl. b+k ne führen“ wurden dem Landeskirchen- 1/2018); rat zugeleitet. Sie sind nun mit weiteren (3) mit Renate Käser, Synodale, Mitglied Texten verschiedener kirchlicher Einrich- im Landessynodalausschuss und auch im tungen zu einem Reader für die Synoda- AEE „Kirche leiten und kritisch beglei- len zusammengestellt worden. ten“ über die Friedenssynode und über „Sprachfähigkeit im Glauben“: Netzwerkarbeit: Das LT pflegt Kontakte (4) mit Dr. Simon Wiesgickl, Vikar in Nürn- zur Evang. Jugend, zur Arbeitsstelle ko- berg, Mitarbeiter bei Kairos Europa und kon (Konstruktive Konfliktbearbeitung), beim Befreiungstheologischen Netzwerk. zur Evangelischen Akademikerschaft und Themen: Frieden, die Möglichkeit kirch- zum Evangelischen Bund. Kontakt zum licher Erneuerung und die Sichtweise theologischen Nachwuchs ist ange- der jüngeren Generation. strebt. Im Kontext dieser Verbindungen wurden elf Gespräche geführt. Im Rah- men der Landessynode in Schwabach im April 2018 konnte der Sprecher die Arbeit des AEE in zwei der drei Synoda- len Arbeitskreise vorstellen. 30 AEE intern

Aus der Geschäftsstelle b&k elektronisch? Der Redaktion von b&k gehören derzeit an: Martin Kleineidam, HG Koch, Gerhard Monninger und Lutz Taubert – eine Verstärkung wäre sehr willkommen! Zur Zeit wird die Frage diskutiert, ob man das aee-Magazin nicht auch elektronisch verschicken sollte. Was sagen unsere Leserinnen und Leser dazu? Geben Sie uns dazu eine Rückmeldung an die Geschäftsstelle.

Finanzen Die Kassenlage ist befriedigend, die Kasse wurde geprüft und für in Ordnung befunden. Derzeit gehören dem AEE 245 Personen an.

Sicherheit im Netz Laufend bekommen Menschen angeblich von der Geschäftsführerin bzw. dem AEE eine Virusmeldung oder gar eine Rechnung. Leider ist das eine Masche, die im Internet verbreitet ist und dem Zweck dient, persönliche Daten abzufischen. Sie betont des- halb, dass sie keinen Virus hat und auch keine Rechnungen per Mail verschickt. Bitte reagieren Sie auf solche Nachrichten nicht und rufen Sie im Zweifelsfall 0911-7807204 an! matteo – Kirche und Asyl b&k – Berichte und Kommentare matteo ist jetzt e. V. und gemeinnützig, Das Magazin des Arbeitskreis Evangelische hat ca. 200 Mitglieder, Geschäftsfüh- Erneuerung (AEE). rer Stephan Theo Reichel ist sehr aktiv. Erscheinungsweise: halbjährlich Nachdem das BAMF seine Bedingungen Herausgeber: Hans-Willi Büttner, Sprecher des AEE für Kirchenasyl verschärft hat, geht der Redaktion: Gerhard Monninger (gm), Martin Verein dagegen an, bietet aber auch Kleineidam (mk), Dr. Hans-Gerhard Koch (HG), Schulung und Beratung für Dossiers (Be- Lutz Taubert (lt) gründung für Kirchenasyle im Einzelfall) Druck: DCT GmbH-Druckerei und Copyshop in an. Die Vernetzung außerhalb und inner- Coburg, Oberfranken. halb der ELKB ist gut. Der AEE ist eine innerkirchliche Richtungs- gruppe im Raum der Evang.-Luth. Kirche in Bayern Dem AEE beitreten AEE-Geschäftsstelle: Beate Rabenstein, Ge- Das ist problemlos möglich über unsere schäftsführung, Internetseite www.aee-online.de Hermann-Löns-Str. 19, 90765 Fürth Herzlich willkommen bei der progressiven AEE im Internet: „Kirchenpartei“! http://www.aee-online.de AEE intern 31

Namen und Adressen Leitendes Team Hans-Willi Büttner, Sprecher, Pfarrer i. R., Fürth, 0911-897832 [email protected] Anne-Kathrin Kapp-Kleineidam, Gemeindepfarrerin, Augsburg, 0821-95022 [email protected] Heike Komma, Religionspädagogin, Bayreuth, 0921-596140 [email protected] Dr. Bernd Wintermann, Lehrer i. R., München, 089-3004676 [email protected] Thomas Zeitler, Pfarrer Lorenzer Laden, Nürnberg, 0911-49074835 [email protected] Beate Rabenstein, Geschäftsführerin, Hermann-Löns-Str. 19, 90765 Fürth, 0911-7807204 [email protected]

Regionalgruppe München Pfarrer i. R. Gerhard Monninger Buttermelcherstr. 19, 80469 München, 089 - 88 98 35 34 [email protected]

Regionalgruppe Nürnberg Hans-Willi Büttner (siehe oben) und Dr. Hans-Gerhard Koch, Sonneberger Str. 10, 90765 Fürth, [email protected]

Regionalgruppe Bayreuth Dr. Jürgen Wolff 0921 - 5606811 [email protected] und Johannes Herold Pfarrstr. 6, 95100 Selb [email protected] 32 Das Letzte

Eins kann mir keiner * Eins kann mir keiner – eins kann mir keiner, eins kann mir keiner nehmen, und das ist der Frust am Kirchenleben. Schickt mich in die Hölle, halt mich fern vom Paradies, vernebelt mir die Sinne, bis man nichts mehr sieht. Macht mich zum Relilehrer, zum Dekan von Michelau! Steckt mich in den Talar rein, bis ich schwitze wie die Sau. Und wenn es wirklich nötig ist, dann will ich nicht so sein, dann verpasst mir für den Nikolaus noch einen Heilgenschein.

Aber eins kann mir keiner – eins kann mir keiner, eins kann mir keiner nehmen, und das ist der Frust am …(He!) … die Lust am Kirchenleben. Wählt mich rein in die Synode, macht mich zum Oberkirchenrat. Und auch für einen Gebetskreis steh ich abends noch parat. Fragt mich aus über die Bibel, aber glauben müsst ihr’s nicht. Fordert schöne Gottesdienste, aber kurz mit Kurzpredigt. Und wenn ihr dann noch kritisch fragt: Da hast du Zeit für’n AEE ??? So sag ich: Ja! Komm ich halt nicht zum Kirchenkaffee.

Aber eins kann mir keiner – eins kann mir keiner, eins kann mir keiner nehmen, und das ist die Lust am Kirchenleben. Will ich dann in den Himmel, und Eva lässt mich nicht rein, werd ich – das könnt ihr glauben! – doch gewaltig sauer sein. Und ich frag Maria, warum frau Zicken macht? Wahrscheinlich sagt sie: Hast doch die Gender kaum bedacht. Dann denk ich mir, du kannst mich mal! Mach ich halt wieder kehrt. Wird die Kirche hier auf Erden noch ´ne Zeit von mir belehrt.

Aber eins kann mir keiner – eins kann mir keiner, eins kann mir keiner nehmen, und das ist die Lust am Kirchenleben.

* Aus dem Kabarett-Programm beim 50sten, zu singen nach der Melodie von Geier Sturzflug: „Eins kann mir keiner nehmen, und das ist die pure Lust am Leben“ - von Hans-Willi Büttner