FOTOS: BONGARTS Fechtzentrum in : „Mami, mach es dir gemütlich zu Hause, ich bin nie da“

FECHTEN Emils Geisterbahn Über Jahrzehnte hat seine Sportler und Trainer gefördert, ausgesaugt und fallen lassen. Jetzt geriet der Medaillenschmied selbst in die Kritik. Bei den Weltmeisterschaften in Seoul fehlt er erstmals an der Planche. Von Rücktritt will Beck jedoch nichts wissen.

e älter das Jahrhundert wird, desto dem sich Leistung lohnt; der den verfette- Von Montag an müssen Emils Kämpfer, mehr bläht sich der Leib dieses kleinen ten Deutschen gezeigt hat, wie ein Wirt- die in den letzten Jahren so oft ins Leere Jrunden Mannes auf den Fotos. Und je schaftswunder geht: Emil, das letzte von 13 stießen, bei den Weltmeisterschaften in mehr er sich ausdehnt, desto besser klingen Kindern, das sich zum Friseur ausbilden Seoul wieder auf die Planche. Beck, haupt- die Namen der vielen Menschen, die bei ließ und anderen für 50 Pfennig die Haare beruflich Boss in Tauberbischofsheim und ihm zu Besuch waren. schnitt; Emil, der in den fünfziger Jahren obendrein Chefbundestrainer aller deut- Die Bilder, mit denen die Wände im den Film „Die drei Musketiere“ sah und schen Fechter, hat bis vor kurzem gehofft, Fechtzentrum von Tauberbischofsheim be- bei sich dachte, dass es mit einem Degen in dass nach diesem Turnier vielleicht noch hangen sind, schrauben sich nach oben wie der Hand im Leben schneller vorangeht mal ein Fluggerät aus der Hauptstadt bei ein Wagnersches Crescendo: Emil Beck mit als mit einer Schere. Emil, der vor 47 Jah- ihm landen und einen dieser neuen Politi- Lothar Späth, einst Landesvater in Baden- ren einen Fechtclub gründete und vie- ker ausspucken würde, was bestimmt ein Württemberg; Emil Beck mit Richard von le Jahre später als „Medaillenschmied“ schönes Foto hergäbe. Weizsäcker, als der noch im Hubschrau- Deutschlands bekannt wurde. Aus.Vorbei. Emil Beck, 64, fehlt in Süd- ber der Luftwaffe unterwegs war. Die Galerie mit den Dokumenten kleb- korea. Er hat sich eine Formel erdacht, Und dann, fortissimo, Emil Beck mit riger Antrittsbesuche aus Bonn endet mit nach der er sein Amt als Bundestrainer Helmut Kohl, als der Chef in Deutschland Helmut Kohl, als sei nach ihm die Welt un- „vorerst ruhen“ lasse. Die Wahrheit ist, war und die Gelenke noch geschmeidig – tergegangen. Es ist, als müsse Emil Beck im dass Deutschlands oberster d’Artagnan als die Abbildung zeigt den frühen Kanzler Sog seines „lieben Helmut“ gleich mit ab- Führungskraft nicht mehr zumutbar ist. bei einer Dehnübung auf dem Trimm-dich- saufen. Der Dicke aus Bonn gewann keine Emil Beck ist Amok gelaufen. Es war, als fit-durch-Sport-Gerät. Alle großen Christ- Wahlen mehr, der Dicke aus Tauberbi- habe er die Nation zum Tag der offenen demokraten waren bei ihm. Beim Emil, bei schofsheim gewann keine Medaillen mehr. Tür geladen und unfreiwillig vorgeführt,

204 der spiegel 44/1999 Sport was sich hinter seinen Gemäuern in Wirk- des deutschen Sportwesens mit freundli- Beck, habe zu lange schon keine Sieger lichkeit verbirgt: eine Geisterbahn. Am cher Unterstützung von Mercedes und dem mehr produziert. Er schreibt: Kassenhäuschen sitzt Emil, und innen drin Bundesministerium des Inneren (siehe Kas- „Und in diesem Punkt hast Du in allen ziehen Gestalten Grimassen, die alle aus- ten Seite 206), zu Ruhm kam. Belangen versagt, Deinen Arbeitsauftrag sehen wie lauter kleine fiese Emils. Beck, ihr Erfinder, hat die Menschen um keinesfalls erfüllt (…) Du hast nie begrif- Vom Besuch des Kanzlers Kohl muss er sich herum in ein subtiles Abhängigkeits- fen, dass nur der Gesamterfolg letztendlich behalten haben, dass an Niederlagen im- verhältnis manövriert; er hat Sportler zu erst stark macht (…) Du stellst für leis- mer die anderen schuld sind. Schuld am Siegern gemacht und dafür das Recht auf tungsorientierte Fechter keine Alternative Niedergang des Fechtzentrums von Tau- ihre Persönlichkeit kassiert; er hat sich jun- dar. Man kann und muss es leider so deut- berbischofsheim sind nach Ansicht seines ge Menschen ausgesucht, denen er beibie- lich sagen: Dies ist ein Armutszeugnis und Chefs die Angestellten , 44, gen konnte, dass sich die Welt in Leute der sportliche Offenbarungseid!“ und , 44. Der eine ist Lei- teilt, die fechten, und andere, die nicht Pusch sagt, er habe „Erleichterung emp- ter des Sportinternats, der andere Bundes- fechten. Und solche, die fechten, machen funden“, als er das las. Er lebt zwar von trainer für die Degenfechter, beide waren ihr ganzes Leben lang Überstunden. dem Moment an in fortwährender Exis- Weltmeister und Olympiasieger. „Mami“, so will Beck einst zu seiner Gat- tenzangst, aber hat endlich schriftlich, was Behr und Pusch haben für Tauberbi- tin gesagt haben, „Mami, mach es dir er schon lange vermutet. schofsheim die Trophäen gewonnen, auf gemütlich zu Hause, ich bin nie da.“ Er hat Seit Wochen hat er diffuse Rauchzeichen die sich der kleine Mann gestellt hat, um den eigenen Lebensentwurf auf andere pro- aus dem Taubertal empfangen. Einmal trifft immer noch ein Stück größer zu werden. jiziert, weil er sie dafür brauchte. Er selbst er beim Waldspaziergang eine Bekannte, Und als er wieder so klein war wie damals sagt: „Ich tue für meine Mitarbeiter – egal, die ihn fragt: „Alex, stimmt es eigentlich, im Frisiersalon, wollte er sie aus ihren Pos- zu welcher Zeit – alles, was mir möglich ist. dass dein Vertrag nicht verlängert wird?“ ten jagen. Der vormalige Figaro hat die Immer direkt, korrekt und geradeaus.“ Auf welchem Niveau es irgendwann en- Ikonen des Taubertals gemobbt und sich den wird, ahnt Puschs Ehefrau Ute schon damit gewissermaßen selbst rasiert – seine m 6. Juli 1999 findet der Trainer Ale- seit zwei Jahren. Sie erinnert sich an einen Opfer sind jetzt an seiner Stelle bei den Axander Pusch in seinem Postfach einen Dialog, der sie in einen Nervenzusam- Weltmeisterschaften im Einsatz. drei Seiten langen Brief, in dem ihm an- menbruch treibt. Die Geschichte von Matthias Behr und gekündigt wird, dass er demnächst seinen Bei der Ehrung der Sportler des Jahres Alexander Pusch zeigt, wie Tauberbi- Job los ist. Der Absender hält ihm ge- sitzt Emil Beck an ihrem Tisch und klagt schofsheim, diese vorbildliche Werkstatt bremsten Arbeitseifer vor. Pusch, meint über „meine Trainer“, die nicht mehr spu- ren. „Die arbeite nix, die schaffe nix. Die Im Reich der Klingen Ämter, die Emil Beck bekleidet werde scho sehn, was sie davon haben.“ Ihr ist klar, dass der Tischherr damit ihren eigenen Mann meint. Die Bankkauffrau Ute Pusch ist eine selbstbewusste Frau, sie 1. Vizepräsident Chefbundestrainer antwortet ihm: „Wenn ich das höre, bin ich des Fecht-Clubs 1344 im Deutschen Leiter des Olympia- Mitglieder froh, dass ich einen Job habe, der zur Not 400 Tauberbischofsheim Fechter-Bund (DFeB) uns beide über Wasser hält.“ stützpunkts Fechter Tauberbischofsheim 24 475 Attacken dieser Art ist Beck im richtigen Mitglieder Leben nicht gewohnt. Er denkt einen Mo- Beauftragter des Lan- ment nach und sagt dann zu der Frau, die dessportverbandes Vizepräsident Stellvertretender Ständiger Gast er gern als seine „Lieblingsschwiegertoch- für die Olympiastütz- der Gesellschaft Vorsitzender im Aufsichtsrat Beratendes ter“ bezeichnet: „Eh, wie läuft es eigent- punkte in Baden- zur Förderung des Stiftungsrats der der Stiftung Mitglied im Württemberg des Fecht-Clubs Stiftung Fechtsport Fechtsport DFeB-Präsidium lich bei euch beiden? Wenn du nicht mehr zufrieden bist, brauchst du mir nur Be- scheid zu sagen.“ Na und? Beck findet: „Sicherlich war meine Äußerung unbedacht und zu vor- gerückter Stunde ausgesprochen. Aber wenn man jedes Wort auf die Goldwaage gelegt bekommt – das ist ja furchtbar.“ Alexander Pusch verbringt sein Leben bei Emil Beck, seit er elf Jahre alt ist. Er ist der talentierteste Sportler, den Beck je- mals zu fassen bekam, aber er fühlt sich 33 Jahre lang ununterbrochen gegängelt. Pusch ist Becks Gegenentwurf: Er muss sich den Erfolg nicht mit Zusatzstunden erarbeiten und lebt sein Leben mit einer Leichtigkeit, die Emil Beck suspekt ist. Al- les, was Pusch macht, macht er mit einem schlechten Gewissen. „Man lebt hier in ständiger Angst“, sagt er. Pusch spielt nebenher Golf, und Beck wirft ihm vor, er stecke zu viel Energie in sein Privatvergnügen. Mit 20 wird er Ein- zel-Weltmeister mit dem Degen, im Mann-

* , , Zita Funkenhauser bei den Trainer Beck, Medaillengewinnerinnen*: „Wie eine Reise in den Himmel“ Olympischen Spielen 1988 in Seoul.

der spiegel 44/1999 205 Sport Finte in der Buchführung In Emil Becks Fechtimperium wird wegen Betrugs und Urkundenfälschung ermittelt.

Wie keinem zweiten Sportfunktionär Das scheint ein überschaubarer Be- hier zu Lande ist Emil Beck von Politi- trag. Weitaus gravierender ist jedoch kern gehuldigt worden.Allein aus Bonn der Verdacht der Urkundenfälschung. flossen in den letzten zehn Jahren rund Denn in einigen Fällen, so Heister, ha- 33 Millionen Mark in sein weit veräs- ben die Befragten ausgesagt, dass Un- teltes Reich. terschriften auf Belegen nicht von ih- Doch Liebling Beck wird nicht mehr nen stammen. Beim BVA in Köln, das gehätschelt. Das Regierungspräsidium mit den Stuttgarter Ermittlern in stän- in Stuttgart untersagte ihm unlängst, digem Kontakt steht, spricht man von die Stiftung Fechtsport in Emil-Beck- Unterschriften „in einer Art Kinder- Stiftung umzutaufen. Gelockert sind schrift“. auch die Seilschaften im Deutschen Dass das Ausmaß der Vorwürfe nicht Fechter-Bund. Erst musste Beck auf noch erdrückender wird, liegt an den Druck sein Amt als Cheftrainer ruhen Verjährungsfristen. Die Listen, die der lassen, dann gab er, nach heftiger Kri- Staatsanwaltschaft Mosbach vorliegen, tik des DSB-Präsidenten Manfred von reichen 20 Jahre zurück. Doch die Richthofen, den Vorsitz des Trainerbei- Strafverfolger interessieren sich nur für rats im Deutschen Sportbund ab. die B2-Kader der vergangenen fünf Die alten Spezis distanzieren sich, Jahre. Unbeantwortet wird deshalb die

W. WITTERS W. weil ein schwerwiegender Verdacht auf Frage bleiben, ob die rund 134 000 IOC-Exekutivmitglied Bach dem Lebenswerk des Degengurus las- Mark, die das Fechtzentrum von 1979 Fassungslose Reaktion tet: Es geht um Betrug und Urkunden- bis Mitte 1994 aus Bonn erhielt, er- fälschung. Mittlerweile interessiert sich schwindelt worden sind oder nicht. ie drei Beamten des Bundes- auch die Staatsanwaltschaft Mosbach Peinlich bleiben die Finten in jedem verwaltungsamtes (BVA), die für die Angelegenheit und hat ein Er- Fall. So wird der Olympiasieger von DAnfang vergangener Woche mittlungsverfahren gegen Emil Beck als 1976, , für die Jahre 1980 im Fechtzentrum Tauberbischofsheim Verantwortlichen des Fechtzentrums bis 1986 in der Disziplin Herrenflorett erschienen, erwiesen sich als alte Be- eingeleitet (Az: 24 Js 6179/99). als B2-Kader geführt. Der Wirtschafts- kannte. Dreimal innerhalb weniger Jahrelang sollen in Tauberbischofs- Wochen waren die Prüfer, Mitarbeiter heim ehemalige Spitzenfechter ohne einer Revisionsstelle für das Bundes- deren Wissen als so genannte B2-Ka- innenministerium (BMI), bereits vor- dermitglieder geführt worden sein, da- stellig geworden im hintersten Winkel mit das Fechtzentrum Zuschüsse kas- Nordbadens. Nun setzten sie zum siert. Pro Kopf und pro Jahr honoriert finalen Schlag an. das BMI den Einsatz ehemaliger Ath- Fünf Tage lang durchforsteten die leten, die sich vor Wettkämpfen als Kontrolleure den Aktenbestand von Trainingspartner zur Verfügung stellen, Emil Becks Fechtimperium – sie sich- mit rund 1000 Mark Materialkosten, teten Schriftsätze, Rechnungen, Belege dem „Klingengeld“. und Organigramme. Als sich das Trio Die Vernehmungen sind seit letzter auf den Heimweg nach Köln mach- Woche weitgehend abgeschlossen. Zwei te, hatte es – kopiert oder gleich im Beamte der Landespolizeidirektion

Original – zahlreiche Dokumente im Stuttgart haben 26 von 29 ehemals Ak- BAUMANN Gepäck. tiven verhört, die auf den B2-Kaderlis- Stützpunktleiter Beck: Seilschaften gelockert Der diskrete Besuch der Abteilung II ten auftauchen. Bei drei Betroffenen (Verwendungsnachweisprüfung) des haben die Ermittler auf einen Besuch anwalt aus Tauberbischofsheim, als BVA markiert einen einschneidenden verzichtet: Die Ex-Fechter leben mitt- Mitglied im IOC-Exekutivkomitee zu Punkt im deutschen Spitzensport. lerweile im Ausland. einem der gewichtigsten Repräsentan- Denn niemals zuvor ist ein Olympia- Die Aussagen bringen Beck arg in ten der internationalen Sportpolitik stützpunkt, der zum größten Teil mit Bedrängnis. Denn die Hälfte der Be- aufgestiegen, reagierte auf Anfrage des öffentlichen Geldern subventioniert fragten gab zu Protokoll, weder als SPIEGEL fassungslos: „Ich habe keine wird, derart akribisch auf sein Finanz- Sparringspartner gefochten noch das Erklärung dafür.“ gebaren durchleuchtet worden wie die Geld für die Ausrüstung bekommen zu Derweil schiebt Beck die Verant- einstige Medaillenschmiede im Tau- haben. Der Schaden für den Bund liegt wortung auf andere: Mit dem B2-Kader bertal. Bis Mitte November, so gibt das nach Auskunft des zuständigen Ober- habe er, lässt Beck wissen, nichts, aber BVA zu verstehen, soll der Abschluss- staatsanwalts Herbert Heister bislang auch gar nichts zu tun. bericht (Az: VII A3 99040) erstellt sein. „weit unter 70000 Mark“. Horand Knaup, Michael Wulzinger

206 der spiegel 44/1999 schaftswettbewerb verliert er ein Gefecht, Deutschland gewinnt nur Silber. Pusch erinnert sich, dass ihm Beck später Absicht unterstellt habe: Er sei ein „Egoist“, er habe vorsätzlich schlecht gefochten, um seine Einzelmedaille aufzuwerten. Beck bestreitet das. „Ich habe nur gesagt: Ale- xander, wenn man Weltmeister im Einzel wird, dann sollte man auch in der Mannschaft eine entsprechende Leistung bringen.“ Pusch macht neben seinem Sport eine Lehre als Bauzeichner und lässt sich zum Diplom-Fechttrainer ausbilden. 1980 ar- beitet er in Tauberbischofsheim zudem als Koordinator und Trainer. Er erteilt ei- nem jungen Mädchen „Lektionen“, wie Übungsstunden in dieser Sportart genannt werden: Es ist Anja Fichtel, die später die erfolgreichste deutsche Fechterin aller Zei- ten sein wird. Aber das reicht nicht. „Mach deine mi- nimale Arbeit wenigstens richtig“, hört er von Beck. Am 20. Dezember 1980 kündigt Pusch. Er schreibt, er sei „diesen psychi- schen Belastungen nicht mehr gewachsen“. Beck fängt ihn ein, aber erwachsen darf Pusch auch danach nicht werden. 1983 schreibt sein Aufpasser einen Vermerk: „E. Beck hat am 14. April 1983 mit Ale- xander Pusch ein Gespräch geführt: es wurde vereinbart, dass A. Pusch ab sofort nur noch dann Prämien vom Fecht-Club annimmt, wenn er das Rauchen einstellt.“ Zwei Jahre später scheint es, als würden sich die Dinge zum Guten fügen: Beck hat sich aus dem täglichen Geschäft an der Planche zurückgezogen, und Pusch wird

in den nächsten Jahren von dem Diplom- Fechtmeister Berndt Peltzer trainiert. Peltzer hat mit dem Fechten begonnen, als er zur Hitlerjugend kam. 1971 lotste ihn Beck nach Tauberbischofsheim, die Arbeit an den Waffen wurde damals noch im Hei- zungskeller der örtlichen Festhalle verrich- tet. Beck und Peltzer wirkten hier in sym- biotischer Beziehung miteinander. „Er war fanatisch, ich war fanatisch“, sagt Peltzer. Er arbeitete als Trainer und war neben- her für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Er bediente die Lokalredaktionen mit Fotos und selbst abgefassten Artikeln. Mit den Jahren, sagt Peltzer, habe er gemerkt,

der spiegel 44/1999 Sport WEREK BAUMANN R. FESSEL / BONGARTS Olympiasieger Pusch (1988) Olympiasieger Behr Bundestrainer Peltzer (1994) Beck-Weggefährten: „Je mehr Erfolg er hatte, desto größenwahnsinniger wurde er“ dass der Emil eklig werden kann. „Wenn Berndt Peltzer Geburtstag. Emil Beck gra- er einem Journalisten vom Dialog mit wir Erfolg hatten, sagte er: Ich habe Me- tuliert ihm am Telefon und schreibt auch Beck, und das rächt sich. daillen geholt. Er sagte nie: wir.“ noch einen Glückwunschbrief, in dem er Journalisten nennt Emil Beck gern – an- Damals war noch eine Frau im Zentrum auf künftige Zusammenarbeit hofft. Dann geblich nur im Spaß – „Ratten“ oder „klei- angestellt, die man die gute Seele des Hau- ruft Becks Sekretärin an und bittet Peltzer ne Stinker“, weil sie ihm nach seiner Auf- ses nannte: Marga Hein, die Mutter des für den nächsten Morgen, 7.45 Uhr, ins fassung den Erfolg neiden. Alexander Fechters , kochte für die Be- Fechtzentrum. Pusch bekommt eine schriftliche Verwar- legschaft das Essen. Eines Tages war sie Berndt Pelzer ist schon um 7.20 Uhr in nung und einen Brief hinterher, in dem weg. „Dem Emil“, sagt Peltzer, „hat ihre seinem alten Arbeitszimmer. Er sucht noch Beck „Dankbarkeit“ einfordert: Nase nicht mehr gepasst.“ Je mehr Erfolg etwas in seinem Schreibtisch, als Emil Beck „Vielleicht erinnerst Du Dich, dass ich er gehabt habe, „desto größenwahnsinni- durch die Tür tritt. Beck hat seinen Ge- Dir in der Trainersitzung bereits gesagt ger wurde er“. schäftsführer Emil Kappus („Emil 2“) habe, dass Du möglicherweise heute auch Auffällig ist, dass Beck so gut wie jeden und den Betriebsratsvorsitzenden Peter an einem 2. oder 3. Zeichenbrett in einem Gedanken, der ihm durch den Kopf zuckt, Märtsch im Schlepp. Die beiden Aufpasser Büro als Technischer Zeichner bei einem schriftlich festhalten lässt.Wo immer er ist, bleiben stehen, Beck sitzt Peltzer gegen- Monatsgehalt von vielleicht 2000,– DM trägt er ein Diktiergerät bei sich, dem er über und sagt: „Von dieser Sekunde an ist brutto arbeiten könntest. Stattdessen hast sich anvertraut. Wenn ein Band voll ist, unsere Zusammenarbeit beendet. Bitte du ,nur‘ mit der Mittleren Reife eine tolle muss die Sekretärin ran. Sie soll alles so ab- räume deinen Schreibtisch. Herr Kappus Karriere gemacht.“ schreiben, wie es Emil gesagt hat. und Herr Märtsch werden warten, bis du Als Pusch 1989 mit der Firma „Muske- Eindrucksvoll ist beispielsweise, was ihm fertig bist.“ Dann verlässt er den Raum. tier“ einen Werbevertrag abschließen will, während eines Turniers zu einem Psycho- Kappus und Märtsch warten, bis der Pen- wird ihm der Deal verboten, weil das logen mit dem Namen S. einfiel, der zum sionär seine letzte Schublade geleert hat. Fechtzentrum Verträge mit anderen Ausrüs- ersten Mal dabei war: Beck sagt, sein verblüffender Stim- tern hat. In einem Vermerk liest Pusch: „Vermerk: S., wer auch immer das Band mungswandel sei als Akt menschlicher Fair- „Du hast ein Daimler-Benz-Fahrzeug abschreibt, bitte das ist ein vertraulicher ness zu verstehen. „So etwas sagt man je- kostenlos gefahren, hast eine wunderschö- Vermerk (…) Liegt irgendwo in der Halle mandem ja nicht an seinem Geburtstag. ne Wohnung, trägst sehr gute Kleidung und oben rum, in der Halle rum und pennt und Da wartet man wenigstens, bis der vorbei kannst es Dir leisten, in sehr guten Loka- schläft beim Europa-Cup (…) Entweder er ist.“ Und: „In Bezug auf Berndt Peltzer len essen zu gehen. Du siehst, es geht Dir ist frech (1.), 2. er ist so dumm, dass er eben habe ich mir wirklich nichts vorzuwerfen.“ glänzend, und darauf bin ich stolz und nichts dafür kann, 3. oder er hat einfach glücklich darüber, dass ich einiges dazu Komplexe und ist ein Psychopath, was auch eit er von Peltzer betreut wird, findet beitragen konnte.“ mein Eindruck ist, dass er einfach Komple- SAlexander Pusch aus dem Tal. Sein Längst ist Pusch zum Outcast von Tau- xe hat und selbst ein Psychopath ist, wie Sport geht ihm wieder leichter von der berbischofsheim geworden. Dass er gele- soll so ein Psychopath unseren ,wenn wir Hand, er gewinnt den Weltcup und wird gentlich mit der Hausordnung über Kreuz welche haben‘ Psychopathen helfen (…) zweimal hintereinander Weltmeister mit gerät, weiß Beck auch von Menschen, die Jetzt kommt S. auf uns zu. Irrtum, Irrtum, der Mannschaft. Aber Emil Beck hält wei- ihm als Zuträger behilflich sind. Emils De- er dreht ab und geht jetzt rüber.“ ter den Daumen drauf. tektive. Einer von ihnen hat zu dieser Zeit Ende 1994 hat Berndt Peltzer das Pen- Als Pusch ihm 1987 eröffnet, dass er bei den Beinamen „das Auge“: Matthias Behr sionsalter erreicht. Er möchte im Retiro frei- einer Deutschen Meisterschaft nicht an- ist ein erfolgreicher Fechter und leitet zu- beruflich weiterarbeiten. Beck bietet ihm treten will, weil er an einer Grippe mit dem das hauseigene Internat. 20 Mark die Stunde oder eine Anstellung Hautausschlag und Atemnot leide und seit Auch Behr war elf Jahre alt, als er Emil „zum so genannten Hausfrauentarif“. Pelt- Tagen keinen richtigen Schlaf mehr gefun- Beck zum ersten Mal begegnete. Der Jun- zer schreibt ihm, mit diesem Angebot sei den habe, nennt Beck ihn einen „Feigling“. ge, der ohne Vater aufwuchs, sah seinen bei- sein „Wertigkeitsgefühl im höchsten Maße Denn: „Der Arzt hat gesagt, dass er fech- den Brüdern beim Fechten zu. Beck fragte verletzt“, er sei doch „keine Putzfrau“ und ten kann. Und wenn der Arzt das sagt, ihn, warum er nicht auch Sport treibe, gab verlangt 25 Mark. Im März 1995 bekommt dann sollte er auch fechten. Die Entschei- ihm einen Schlag auf den Hinterkopf und er einen Antwortbrief. Beck schreibt: dung liegt jedoch beim Athleten.“ sagte: „Nächste Woche fängst du an.“ „Bin aber auch mit 25,– DM einverstan- Pusch nimmt gegen seinen Willen am Matthias Behr hat Emil Beck fast zwei den, wenn Dein Glück bzw. Dein sozialer Turnier teil und verliert in der ersten Run- Jahrzehnte seines Lebens bewundert. Beck Status davon abhängt.“ Am 15. Mai hat de. Weil er sich rechtfertigen will, erzählt war Behrs Vaterersatz. Behr erzählte Beck,

210 der spiegel 44/1999 was er wusste, etwa, wenn ihm auffiel, dass von Zita untergeordnet hast. Diese hätte Alexander Pusch weniger trainierte als die nach meinem Dafürhalten zunächst durch- anderen. Über Jahre verband Behr und aus als Assistentin arbeiten und das Inves- Pusch Misstrauen. titionsrisiko, das unweigerlich mit der Ein- Behr heiratete zum ersten Mal, als er 22 richtung einer neuen Praxis verbunden ist, war. Seine Ehe war wie bei Emil und Mami: sowie die zeitliche Belastung verringern Er war nie da. Mit 31 erfuhr er von Beck, können. Leidtragender ist – wie so oft – dass er mal dessen Nachfolger werden soll. der Olympiastützpunkt.“ Mit 34 ließ er sich scheiden, wichtig war Nur so kann es gehen, findet der Ab- ihm nur sein Sport. sender. „Wie soll man zu Leistung kom- Das ändert sich, als er Zita Funkenhau- men in unserer heutigen Zeit, wenn ich ser näher kennen lernt. Sie ficht ebenfalls nicht ständig motivierend tätig bin?“ in Tauberbischofsheim und verhilft Beck zu jenem Moment während der Olympischen mil Beck hat den Gipfel nicht wieder Spiele 1988 in Seoul, den er „wie eine Rei- Eerreicht. Der Zeitgeist der Neunziger se in den Himmel“ empfindet: Drei seiner hat sich seinen Weg sogar bis nach Tau- Fechterinnen gewannen Gold, Silber und berbischofsheim gebahnt. Auch im toten Bronze. Zita Funkenhauser wurde Dritte, Winkel von Baden-Württemberg gibt es fanatisch war sie nie. Internet und Ecstasy, und Fechten ist wie- 1993 führt Matthias Behr ein Gespräch der das, was es vor Emil Beck war: eine An- mit Emil Beck, das ihrem Verhältnis eine gelegenheit für Liebhaber. Wendung gibt. Behr möchte noch einmal Am 29. Juni 1999 tritt Beck zu seinem heiraten und hat sich entschlossen, die letzten Gefecht an. Er fürchtet, dass seinem Nachfolge von Beck abzulehnen, „weil Lebenswerk wegen des anhaltenden Miss- sonst die nächste Scheidung programmiert erfolgs die Fördergelder gekürzt werden. ist“. Er möchte mehr Zeit in seine Familie Er will seinen Lebensfilm noch mal an den investieren und riskiert, dass er damit Ein- Anfang spulen. gang findet in eine Kladde, die Beck „Han- Um elf Uhr ruft er 39 Trainer und Mit- dicap-Akte“ nennt. Er vermerkte darin die arbeiter zu einer Sitzung zusammen. Dar- aus seiner Sicht negativen Eigenschaften in erklärt er, die Schuld am Niedergang aller Mitarbeiter. trügen Matthias Behr und Alexander 1996 will Emil Beck noch einmal auf den Pusch. Behr hat zuletzt 350 Überstunden Gipfel, es ist das Jahr der Olympischen im Jahr geleistet, Pusch kam auf 500. Spiele in Atlanta. Zita Funkenhauser bringt „Hiermit fordere ich dich auf zu gehen“, per Kaiserschnitt Zwillinge zur Welt. Ei- sagt Beck zu Behr. Pusch gibt er eine Frist nen Tag bevor Matthias Behr als Betreuer bis zum nächsten Jahr. der deutschen Fechter nach Amerika flie- Neben Behr sitzt Ute Vahid. Sie ist seit gen soll, wird sie aus dem Krankenhaus 21 Jahren Behrs Stellvertreterin im Inter- entlassen. Sie ist pflegebedürftig, und Behr nat. In den letzten zehn Jahren ist Behr beschließt, bei seiner Frau zu bleiben. bei Beck mehrfach wegen einer Gehalts- Atlanta wird zum Desaster für Tauberbi- erhöhung für sie vorstellig geworden. Ver- schofsheim. Eine einzige müde Bronzeme- gebens, Ute Vahid musste zum Tarif wei- daille bringt die Entourage mit nach Hause terarbeiten. Jetzt sagt Beck zu ihr: „Und – und Emil schreitet zur Abrechnung. wenn der Behr weg ist, kriegen Sie 1000 Matthias Behr bekommt weniger Ge- Mark mehr.“ Beck sagt heute: „Ich be- halt, Beck entzieht ihm die Leitung des daure diese Äußerung. Das ist mir leider so Ressorts „Soziales“ und erklärt ihn zur un- rausgerutscht.“ erwünschten Person bei Führungskonfe- Behr und Pusch werden wegen „psychi- renzen. In einem Brief legt er nach: scher Überforderung“ krank geschrieben. „Obwohl sodann die Niederkunft zeitge- Nach Wochen kehren sie auf ihre Plan- recht erfolgte, die Zwillinge und Mutter stellen zurück. Funktionäre, Trainer und wohlauf waren (…) hast Du damals auf eine Sportler haben sie ihrer Solidarität versi- Teilnahme verzichtet (…) Dein ,öffentlicher chert und Beck zum Rücktritt gedrängt. Feldzug für Familie und Freizeit‘ ist daher Rücktritt? Er denkt nicht dran. Emil Beck ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die sitzt in seinem Büro und hat die Jalousien Woche für Woche und Jahr für Jahr erheb- runtergelassen. Er befindet sich zurzeit ge- liche persönliche Opfer bringen. In Atlanta, nerell zwischen Licht und Schatten. als es um die Existenz des Fechtzentrums Einerseits, meint er, sei ja für die Ange- ging, hast Du Deine Trainerkollegen und stellten inzwischen wieder alles gut. „Es mich ganz persönlich im Stich gelassen.“ läuft optimal.Wir arbeiten gut zusammen, Zita Funkenhauser hat sich inzwischen denn wir haben ein gemeinsames Ziel.“ in Tauberbischofsheim als Zahnärztin nie- Andererseits gehe es ihm jetzt persönlich dergelassen. In ihr erkennt Beck eine Art ziemlich schlecht. Die Zeitungen trieben subversives Element, das den Gatten von ein böses Spiel mit ihm. „Ich bin weich, der Arbeit abhält und so allmählich das viel zu weich“, sagt Emil Beck. „Glauben schöne Sportzentrum zersetzt: Sie mir, ich bin nicht der Feldwebel, zu „Richtig ist, dass Du nicht in Not geraten dem mich einige machen wollen.“ Das tut bist, sondern Deine beruflichen Ambitionen ihm weh. Im Stillen habe er deshalb schon den beruflichen und privaten Wünschen oft geweint. Matthias Geyer

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