SWR2 Tandem Titel, Tod Und Träume Stationen Des Olympiafechters Matthias Behr Aus Tauberbischofsheim Von Pirmin Styrnol
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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Tandem Titel, Tod und Träume Stationen des Olympiafechters Matthias Behr aus Tauberbischofsheim Von Pirmin Styrnol Sendung: Donnerstag, 9. März 2017, 10.05 Uhr Redaktion: Rudolf Linßen Regie: Pirmin Styrnol Produktion: SWR 2017 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Tandem können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Tandem sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Bestellungen per E-Mail: [email protected] Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? 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Er wusste ja, Dittrich macht immer viel Quatsch, aber dass er das wirklich macht – das wusste er nicht. Und da haben wir ihn quasi aus dem holen Bauch getroffen, aber – er hat sich total gefreut. Das tolle ist, dass der Kontakt dauerhaft anhält. Bis heute. Zu der Familie. Die Tatsache dass sie bereit waren Kontakt aufzunehmen, das hat bei ihm glaube ich alle Schleusen geöffnet.“ Text: 34 Jahre zuvor. Juli 1982. Atmo: Reportage Rom ´82: Lazar: „Vor mir liegen die Gegenstände die beim gestrigen Unfall eine entscheidende Rolle gespielt haben. Die Maske von Wladimir Smirnow, und das Florett von Matthias Behr. Diese stummen Zeugen eines schrecklichen Unfalls sind fast prädestiniert dazu den Fechtsport in Verruf zu bringen.“ Text: Das Loch in der Maske ist im krisseligen Fernsehbild der 80er Jahre kaum zu erkennen – und doch ist es da. Neben der Maske liegt eine abgebrochene Florettklinge. Hinter Fechtreporter Stefan Lazar ragen die Zwischenstände der Weltmeisterschaft auf, Polen, Rumänien, Frankreich in der nächsten Runde, steht da. Mitten auf der Planche steht jedoch der kleine Holztisch. Ergebnislisten interessieren nicht, an diesem Tag. Es ist eine merkwürdige Szenerie. Auch 35 Jahre später. 2 Atmo: SWR 1 Leute: Petra Zundel: „19. Juli 1982, das ist der Tag, an dem die Florettklinge des Fechters Matthias Behr abbrach und den damaligen Weltmeister Wladimir Smirnow tödlich verletzte. Es war ein schrecklicher Unfall, der das Leben von Matthias Behr nachhaltig geprägt hat.“ Text: SWR1 Leute mit Petra Zundel am 15.07.2016 Atmo: SWR 1 Leute: Zundel: „Matthias Behr, erinnern Sie sich mal. Was ist damals genau passiert? Können Sie die Szenerie so abrufen?“ Behr: „Also der Moment als die Klinge abgebrochen ist, da ist eine Aktion vorausgegangen wo zwei Menschen mit – wir waren gut trainiert – mit 85 Kilo ca in der Aktion einen Angriff gestartet haben. Man nennt das im Fechten Aktion Simultanee. In dem Moment wollten beide angreifen und da ist meine Klinge abgebrochen, was zu der Zeit häufig der Fall war, dass Klingen abgebrochen sind, und ich konnte dann den abgebrochenen Stumpf letztendlich nicht mehr koordinieren. Die Klinge ist dann weitergefahren von der Wucht, in seine Maske - die Maske hat nachgegeben, hat keine Sicherheit gehabt, war porös - und ist weiter in die Schläfe von Wladimir.“ Zundel: „Und was ist dann passiert? Er ist umgefallen, und Sie sind weggelaufen?“ Behr: „Er ist sofort umgefallen. Ich hab noch Blut gesehen und ich war entsetzt. Ich hab nur geschrien. Nein, nein, nein, nein... Was ist hier passiert? Hab mich umgedreht, hab wieder hingeguckt. Aber er lag ja schon am Boden. Viele Leute, Ärzte und sein Team haben sich um ihn gekümmert. Und ich war dann noch angeschnallt an der Rolle. Dann kam mein Bruder, der zu der Zeit als Assistent von Emil Beck als Bundestrainer gearbeitet hat. Und es war dann Chaos im Kopf. Ich enttäuscht, entsetzt.“ Text: Es ist ein Unfall, der die Fechtwelt auf den Kopf stellt. Fortan beherrschen Sicherheitsfragen die Debatten. Das Material wird verändert, Masken ausgetauscht. Der Fechtsport wird auf links gedreht. Hinterfragt sich selbst. Für Wladimir Smirnow kommt das zu spät. Acht Tage lang kämpft der amtierende Weltmeister im Krankenhaus um sein Leben, dann erliegt er am 28. Juli 1982 seinen Verletzungen. Matthias Behr trifft der Tod seines Kontrahenten und Sportfreundes tief. Filmemacher 3 Michael Dittrich, der erst im Sommer 2016 einen Film über den Fechter produzierte, kennt die Wunden seines Freundes. O-Ton Dittrich: „Er ist von Haus aus, und das von jeher, jemand der sehr feine Antennen hat. Jemand der Stimmungen genau spürt, der wirklich im klassischen Sinne sehr sensibel ist. Der auf Menschen zugehen kann, der Menschen verbinden kann, und der wirklich – ja Matthias ist sehr feinfühlig. Also er ist kein Amboss, kein Holzpfosten, und deshalb hat ihn der Unfall bis heute sehr beschäftigt.“ Ein Holzpfosten ist Matthias Behr in der Tat nicht. Der 1,94 große Mann lacht gerne und viel. Zumindest heute. Dennoch ziehen sich die Folgen des Unfalls durch sein ganzes Leben – noch heute bleibt er im Supermarkt kurz stehen, wenn er eine Wodka-Flasche mit „Smirnow“-Etikett sieht. O-Ton Behr: „Der Unfall an sich war ja eine einzelne Sache, ein Moment, der dann aber in der Folge – wenn ich so überlege, jetzt sind es grade 34 Jahre wo es passiert ist – der ist letztendlich auch eine lebenslängliche Strafe. Das bleibt an mir haften und damit muss ich auch immer zurecht kommen. Ich schaffe das mal besser und mal nicht so gut.“ Text: Bis zu diesem Unfall ist die sportliche Karriere von Matthias Behr ein einziger Höhenflug. Bereits 1976 gewinnt Behr olympisches Florettgold mit der Mannschaft, zusammen mit dem heutigen IOC-Präsidenten Thomas Bach, mit Harald Hein, Klaus Reichert und Erk Sens-Gorius. O-Ton Dittrich: „Sie war total steil. Olympiasieger, Weltmeister, und völlig überraschend ist sie natürlich danach schwer eingebrochen. Aber er hat sich zumindest sportlich wieder erholt. Die Psyche kam erst später, viel viel später zur Ruhe.“ Matthias Behr versucht nach dem Unfall die Öffentlichkeit zu meiden. Mit seinem Trainer Emil Beck verreist er für ein paar Tage in den bayerischen Wald – er sucht Abstand. Dass Wladimir Smirnow zu diesem Zeitpunkt im Krankenhaus um sein Leben kämpft, davon weiß Matthias Behr. Dennoch ist es ein Schock für ihn, als der sowjetische Ausnahme-Fechter stirbt. In einigen Zeitungen ist vom Karriere-Ende von Matthias Behr die Rede: Die Welt zitiert ihn am 9. Oktober 1982 mit den Worten: „Ich muss weiter fechten, sonst zerbreche ich.“ O-Ton Dittrich: „Nach diesem Unfall kam eine Phase der völligen Ruhe, der Depression. Der ersten beginnenden. Dann hat er sich wieder hochgekämpft und wurde wieder Weltmeister, 1983. So wie ich ihn kenne einschätze ist es für ihn eine Befreiung, eine Bestätigung gewesen. Denn er hat sich ja lange überlegt mit dem Fechten ganz aufzuhören. Er hat sich bestimmt dann bestätigt gesehen, die Quälerei hat sich gelohnt. War für ihn bestimmt die richtige Entscheidung.“ 4 Atmo, WM ´83: „Da ist der Sieg, da ist die Weltmeisterschaft, schauen Sie wie er sich freut, der Lange. Emil Beck ist da, sein Bruder Jochen Behr links, der Trainerassistent. Sie jubeln, sie stürmen auf die Piste, der Wachtmeister......“ Text: Insgesamt wird Matthias Behr in seiner Karriere 33 Mal deutscher Meister, gewinnt 1978 sogar den Gesamtweltcup, wird drei Mal Weltmeister und 1984 Fechter des Jahres. Dazu kommen Olympisches Gold und Silber – mehr geht nicht. Es könnte eine vollendete Karriere sein, wenn – ja wenn da nicht dieser 19. Juli 1982 wäre. O-Ton, Behr liest aus seinem Buch: „Noch heute zermartere ich mir immer wieder den Kopf.“ Text: Matthias Behr liest aus seiner Autobiographie: „Erfolge, Licht und Schatten“ O-Ton, Behr liest aus seinem Buch: „Wäre ich damals bloß nicht so ehrgeizig gewesen, hätte ich doch nicht mitgemacht bei der WM. Wäre das alles nicht passiert. Das tragische Unglück während der Weltmeisterschaften in Rom am 19. Juli 1982. Doch es ist passiert. Wladimir war damals 28 Jahre alt. Er war mein Freund, wir verstanden uns gut, obwohl wir auf der Planche Gegner waren.“ Musik – Hey Jude, piano Text: Die Fragen verschwinden nicht aus dem Kopf. Obwohl Freunde und Familie zu helfen versuchen. Der heutige IOC-Präsident Thomas Bach war dabei, damals, in der Halle in Rom. O-Ton Thomas Bach: „Es war im ersten Moment schon ein Schock, ich wusste nicht was passiert war. Aber ich konnte aus der Körperhaltung von Matthias schließen, wie tief der Schock bei ihm saß. Und danach kamen dann langsam die Informationen und das hat sich tief eingegraben glaub ich in jeden der dabei war. Und einer der ersten Gedanken ging dann natürlich zu Matthias. Weil ich ihn kannte – in seiner Sensibilität eben auch. Und da dann auch die Frage und auch die Hoffnung gestellt habe, dass er das überwindet. Es waren wirklich schwierige Moment und noch heute – wie muss es erst ihm gehen - fällt es mir schwer drüber zu sprechen. Und auf der anderen Seite eben auch die Bewunderung, wie er sich aus diesem wirklich tiefen menschlichen Tal wieder herausgearbeitet hat.“ Text: Doch zuerst – (einsetzende Depressionsmusik) – geht’s bergab.