Die Anfänge Der Nationalsozialistischen Herrschaft in Rheinhessen1
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Angelika Arenz-Morch Die Anfänge der nationalsozialistischen Herrschaft in Rheinhessen1 Vorbemerkung Rheinland-Pfalz wurde 1946 aus ehemals preußischen, bayrischen und hessi- schen Landesteilen auf Anordnung des Befehlshabers der französischen Besat- zungszone, General Koenig, neu geschaffen. Rheinhessen hatte bis dahin zum seit 1918 bestehenden Volksstaat Hessen gehört, dem Nachfolgestaat des Groß- herzogtums Hessen, auch Hessen-Darmstadt genannt. Dieses Land Hessen um- fasste neben Rheinhessen (mit den Kreisen Alzey, Mainz, Oppenheim, Worms und Bingen) die Provinzen Oberhessen (mit den Kreisen Gießen, Alsfeld, Büdin- gen, Friedberg, Lauterbach und Schotten) und Starkenburg (mit den Kreisen Darmstadt, Bensheim, Dieburg, Erbach, Groß-Gerau und Heppenheim). Rhein- hessen wurde also von 1816 bis 1945 von Darmstadt aus regiert. Daher spielen bei einer Darstellung der Anfänge der NS-Herrschaft in Rheinhessen die Ereig- nisse der „Machtübernahme im Volksstaat Hessen“ und die Veränderungen in- nerhalb der hessischen Polizei, die bis zu dessen Machtenthebung im Herbst 1933 mit der Person ihres kommissarischen Leiters, Dr. Werner Best, verknüpft waren, eine wichtige Rolle. In diesen Zusammenhang fällt natürlich auch die Entstehung des „frühen“ Konzentrationslagers in Osthofen, als wirksamstes In- strument zur Bekämpfung der politischen Gegner und als ein wichtiges Element bei der Konsolidierung des NS-Regimes in Hessen. Machtübernahme im Volksstaat Hessen Die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 führte im gesamten Deutschen Reich zu Versuchen, die Länderregierungen zu stürzen und durch Reichskommissare zu ersetzen. Hauptangelpunkt war hierbei die Befehls- gewalt über die Polizei. In Hessen amtierte geschäftsführend die sozialdemokra- tische Minderheitsregierung Adelung. Mit ihrem Innenminister Wilhelm Leuschner und dem ihm zur Seite stehenden Pressesprecher und Berater Carlo Mierendorff war die hessische Polizeiführung überwiegend pro-republikanisch eingestellt und als „linksorientiert“ den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Vorerst jedoch scheiterten deren Versuche, den hessischen Landtag aufzulösen und Neuwahlen herbeizuführen, am Widerstand der SPD. 1 Geringfügig überarbeitete Fassung eines Vortrages, der von der Autorin am 7.11.2002 bei einer Tagung des Instituts für schulische Fortbildung und schulpsychologische Beratung des Landes Rheinland-Pfalz (IFB) in Speyer gehalten wurde. 2 Angelika Arenz-Morch Am 10. Februar 1933 forderte der nationalsozialistische Reichsinnenminister Frick einen „Kurswechsel“ der hessischen Polizeiführung zur „Befriedung“ des Landes.2 In Wahrheit ging es um den Schutz von NSDAP-Veranstaltungen und die Entmachtung der amtierenden sozialdemokratischen Landesregierung. Frick forderte denn auch die schnelle Absetzung des Innenministers Leuschner. Dieser reichte am 15. Februar erbittert sein Rücktrittsgesuch ein. Damit hatte die SPD das Innenministerium und die Befehlsgewalt über die Polizei aufgegeben. Der Brand des Reichstags am Abend des 27. Februar 1933 lieferte der Reichsregie- rung dann den Vorwand, mit einer Verordnung, die die wesentlichen Grundrech- te – angeblich vorübergehend, in Wahrheit aber auf Dauer – außer Kraft setzte, im Vorfeld der Reichstagswahl gegen die politischen Gegner aus den Reihen der KPD und der SPD vorzugehen und diese an einem effektiven Wahlkampf zu hindern. Die Wahlen zum Reichstag am 5. März 1933 brachten der NSDAP in Hessen mit 47,4% ein um fast 4% über dem Reichsdurchschnitt liegendes Ergebnis. Vor allem in den ländlichen Kreisen in Rheinhessen konnte die NSDAP noch deutlich bessere Wahlergebnisse erzielen: So errang die NSDAP im Kreis Oppenheim mit 55,5 % und im Kreis Alzey mit 55,4 % der Stimmen die absolute Mehrheit. Im Kreis Worms lag sie mit 46,1 % deutlich über dem Reichsdurchschnitt, aber un- ter dem durchschnittlichen Ergebnis des Volksstaates Hessen. Im Kreis Bingen mit 37,9% und im Kreis Mainz mit 36,3% erreichte sie sowohl im Vergleich zum Land als auch zum Reich deutlich schlechtere Ergebnisse mit einem Stimmenan- teil von nur etwas mehr als einem Drittel der abgegebenen Stimmen. Noch in der Wahlnacht vom 5. auf den 6. März kam es in einigen Städten und Gemeinden in Hessen zu gewaltsamen Ausschreitungen durch die Nationalsozialisten. Bereits in der Nacht vom 28. Februar war in Worms der sozialdemokratische Gewerk- schafter Philipp Weiß bei einem Überfall auf das „Volkshaus“ erschossen wor- den, in der gleichen Nacht ebenfalls ermordet wurde ein junger Kommunist na- mens Metzger.3 Der 6. März begann in Hessen mit der Veröffentlichung einer Meldung, wo- nach die noch amtierende hessische Landesregierung unter dem sozialdemokrati- schen Ministerpräsidenten Bernhard Adelung die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen gefordert habe. Damit wollte sie der drohenden Umbildung der Re- gierung entsprechend den Ergebnissen der Reichstagswahlen zuvorkommen. An Neuwahlen allerdings hatten die Nationalsozialisten kein Interesse, zu weit waren die Vorbereitungen zur Machtübernahme gediehen. Im Verlaufe dieses Tages be- flaggten sie alle wichtigen staatlichen Gebäude mit dem Hakenkreuz und ver- brannten die Fahnen der Republik. Die Polizei verhielt sich gegenüber der NSDAP weitgehend zurückhaltend, sicher um keinen zusätzlichen Vorwand für ein Einschreiten seitens des Reichsinnenministeriums zu liefern. Zwischenzeit- lich versuchte die Landesregierung durch ihren Gesandten in Berlin in Erfahrung zu bringen, ob es sich bei den anti-republikanischen Demonstrationen in Darm- stadt um Eigenmächtigkeiten des Gauleiters Jakob Sprenger handelte oder ob 2 Vgl.: ULRICH HERBERT: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903-1989. Bonn 1996, S. 122. 3 FRITZ REUTER: Worms 1933. Zeitzeugnisse und Zeitzeugen. Worms 1995, S. 26. Die Anfänge der nationalsozialistischen Herrschaft in Rheinhessen 3 diese auf Veranlassung der Reichsregierung erfolgten. Für den Fall, dass die Landesregierung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit sehe, wurde ihr empfohlen, sich unverzüglich mit Gauleiter Sprenger in Verbindung zu setzen, da sie augenscheinlich nicht in der Lage sei, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Die Lage in Hessen war gespannt. Gegen 21 Uhr begab sich Dr. Heinz Müller aus Alsfeld, von der NSDAP für das Amt des Reichskommissars in Hessen vor- gesehen, in Begleitung von Dr. Werner Best und Fritz Claß zum Innenministeri- um und verlangte, unverzüglich zu Staatspräsident Adelung vorgelassen zu wer- den. Zu diesem Zeitpunkt lag noch keine offizielle Einsetzung Müllers durch Reichsinnenminister Frick in Darmstadt vor. Und Adelung war nicht gewillt, kampflos aufzugeben. Obwohl durch das Innenministerium schließlich fern- mündlich aus Berlin bestätigt wurde, dass Müller die Polizeigewalt in Hessen übernehmen solle, da die amtierende Regierung in Darmstadt offensichtlich nicht in der Lage sei, die Sicherheit und Ordnung im Land zu gewährleisten, wider- setzte sich Adelung dem Ansinnen, und die drei Nationalsozialisten mussten we- nig später unverrichteter Dinge zurück in das Gauhaus gehen. Etwa eine Stunde später lag jedoch das fragliche Telegramm vor, und Müller, Best, Claß, der SA- Standartenführer Dr. Otto Ivers sowie einige Sturmmänner begaben sich in Ade- lungs Privatwohnung und forderten diesen auf, die Amtsgeschäfte den National- sozialisten zu übertragen. Dieser weigerte sich zwar, dies persönlich zu tun, wies jedoch den diensttuenden höchsten Polizeioffizier im Innenministerium an, die Obliegenheiten der hessischen Regierung an Müller zu übergeben. Adelung wur- de daraufhin unter Hausarrest gestellt. Müller führte auf Anregung Bests die Bezeichnung „Inhaber der Polizeige- walt in Hessen“, Best selbst ernannte sich zum „Sonderkommissar für das Poli- zeiwesen in Hessen und Vertreter des Inhabers der Polizeigewalt“.4 In der Lan- deshauptstadt wurden das Innenministerium und – wie auch in anderen Städten und Gemeinden – die sozialdemokratischen Gewerkschafts- und die Pressehäuser besetzt. Als erste Amtshandlung der neuen Amtsinhaber wurden bis Ende März 1933 86 als „nicht zuverlässig“ eingeschätzte Beamte der hessischen Polizei beurlaubt. Aufgrund des Ermächtigungsgesetzes vom 13. März erließ das hessische Ge- samtministerium am 20. März eine Verordnung zur „Sicherung der Verwaltung und der Gemeinden“. Mit dieser Verordnung konnte die Amtszeit eines Bürger- meisters oder Beigeordneten vorzeitig beendet werden, wenn die Gewählten der KPD oder der SPD angehörten oder sich in deren Sinne betätigten. Es kam in der Folgezeit zu zahlreichen Absetzungen von Bürgermeistern und deren Stellvertre- tern. In Mainz wurde unter anderem Oberbürgermeister Dr. Wilhelm Ehrhard (Mitglied der DDP) abgesetzt und durch Rechtsanwalt Philipp Wilhelm Jung als kommissarischem Oberbürgermeister ersetzt. Aber auch andere Behörden wur- den „gesäubert“: „Beurlaubt“ wurden unter anderem der Mainzer Stadtmedizi- naldirektor Dr. Heinrich Rosenhaupt, der Leiter des Mainzer Arbeitsamtes, Jo- hann Engelmann, sowie in Worms Polizeipräsident Heinrich Maschmeyer, der in das Konzentrationslager Osthofen gebracht und dort gedemütigt und schikaniert 4 Hessischer Landtag, Protokoll vom 13.3.1933, S. 257ff. 4 Angelika Arenz-Morch wurde. Als neuer Polizeipräsident fungierte nun in Worms der Nationalsozialist Heinrich Maria Jost. Zeitgleich wurden SA- und SS-Angehörige als Hilfspolizisten vereidigt und dem Protégé von Best, dem Mainzer Polizeioberst Karl Fendel-Sartorius und jet- zigen Landespolizeiführer, unterstellt. Fendel-Sartorius hatte früher dem Zentrum angehört,