Professor Dr. Otto Schlecht Ehemaliger Vorsitzender Der Ludwig-Erhard-Stiftung Im Gespräch Mit Holger Lösch
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BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 16.03.2000 Professor Dr. Otto Schlecht Ehemaliger Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung im Gespräch mit Holger Lösch Lösch: Herzlich willkommen bei Alpha-Forum. Heute ist bei uns Professor Dr. Otto Schlecht zu Gast, der Vorsitzende der Ludwig-Erhard-Stiftung und langjährige Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Ich begrüße Sie, Herr Professor Schlecht. Schlecht: Grüß Gott. Lösch: Bei der Vorbereitung auf so ein Gespräch liest man ja recht viel über den Gast. Man liest natürlich vor allem im Lebenslauf nach, und dabei ist mir in Ihrem Lebenslauf eines aufgefallen: Für einen Mann Ihres Kalibers ist er extrem kurz. In diesem Lebenslauf heißt es: fünf Jahre Studium, dann 38 Jahre Bundeswirtschaftsministerium. Hat Ihnen das so gefallen, dass Sie nie die Idee hatten, irgendwo anders hinzugehen? Schlecht: So ist es. Ich hatte in regelmäßigen Abständen Angebote, in die Wirtschaft zu gehen oder Präsident eines Unternehmerverbands zu werden. Aber mir hat es einfach Spaß gemacht, in der Wirtschaftspolitik aktiv mitzuwirken. Und immer dann, wenn es mir langweilig wurde, wurde ich entweder befördert oder es wechselte der Minister oder die Koalition oder alles zusammen. Lösch: Das sind natürlich hervorragende Voraussetzungen. Lassen Sie uns 1925 beginnen. In diesem Jahr sind Sie geboren, und zwar als Sohn eines Metzgermeisters im württembergischen Biberach an der Riß. Hat denn dieses Aufwachsen in einem Handwerksbetrieb Ihre Einstellung zur Ökonomie in irgendeiner Weise geprägt oder beeinflusst? Schlecht: Nein, überhaupt nicht. Für mich war schon als ganz kleiner Junge klar, dass ich nicht in die Fußstapfen meines Vaters treten werde – obwohl ich der einzige Sohn war. Ich wollte ehrlich gesagt Offizier werden. Ich war das dann als Neunzehnjähriger am Schluss des Krieges sogar noch. Lösch: Normalerweise haben die Eltern ja so bestimmte Vorstellungen, was ihre Kinder einmal werden sollen. Hatten Ihre Eltern auch die Vorstellung, dass Sie eines Tages einmal den Handwerksbetrieb übernehmen sollen? Schlecht: Diese Vorstellung war da, aber ich habe ihnen schon relativ früh als Schüler klar gemacht, dass ich das in keinem Fall machen werde. Das Problem tauchte noch einmal auf, als ich nach der Katastrophe des verlorenen Kriegs aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause zurückkam. Ich hatte nur ein Notabitur, und da stellte sich schon die Frage, was ich denn machen sollte. Da hatte mein Vater noch einmal die kleine Hoffnung, dass ich doch in den väterlichen Betrieb einsteigen und daraus eventuell sogar eine Fleischfabrik machen würde. Aber ich wollte das nicht. Ich wollte stattdessen mein Abitur nachmachen und danach studieren. Ich wollte allerdings zunächst einmal Forstwissenschaft studieren. Lösch: Sie waren acht Jahre alt, als Hitler an die Macht kam, Sie waren 14 Jahre alt, als der Krieg begann. Wie haben Sie denn dieses Dritte Reich miterlebt? Haben Sie daran bewusste Erinnerungen: gute oder schlechte? Schlecht: Ich habe sehr bewusste Erinnerungen daran, und ich muss einfach sagen, dass ich ein ziemlich strammer Pimpf und Pimpfenführer war. Das war damals für Jugendliche eigentlich eine ganz interessante Sache: Das hatte mit Ideologie gar nichts, sondern mit Geländespielen und mit Lagerleben zu tun. Ich hatte insgesamt eine sehr positive Jugend trotz dieses politischen Umfelds. Lösch: Sie gehören zu der Generation, die ihre Schulzeit nicht im Klassenzimmer, sondern auf dem Schlachtfeld beendet hat. Sie sind 1943 mit 18 Jahren eingezogen worden. War das für Sie damals eine Überraschung? War das für Sie mit Angst und mit Furcht verbunden? Schlecht: Nein, im Gegenteil. Als ich Soldat wurde, war Stalingrad schon geschehen, und so hätte man eigentlich wissen müssen, wie die Sache ausgeht. Aber ich bin immer noch begeistert Soldat geworden und wollte Offizier werden. Zwei Monate vor Kriegsschluss bin ich dann auch noch Offizier geworden. Lösch: Sie sind dann als Leutnant in die Gefangenschaft gegangen. Schlecht: So ist es. Lösch: Sie waren in einer sehr heiklen Einheit, denn Sie waren Gebirgspionier auf dem Balkan. Wie bewusst haben Sie denn den Krieg im Sinne des Kampfs, des Nahkampfs und der Schlacht erlebt? Schlecht: Ich habe auf dem Balkan den Krieg insofern bewusst erlebt, als wir zunächst einmal rund herum als Gebirgspioniere gesprengte Brücken wieder aufbauten bzw. selbst Brücken sprengen mussten. Aber wir standen schon auch im Kampf gegen die Tito-Partisanen. Ich bin dann ins Lazarett gekommen, weil ich als Achtzehnjähriger in Griechenland die Malaria bekommen habe. Danach kam ich dann wieder zur Truppe zurück. Im Anschluss daran kamen die Russen über die Donau in den Balkan herein. Im Herbst 1944 bin ich verwundet worden, als wir versuchten, die Russen über die Donau zurückzuwerfen, was uns aber nicht gelang. Ich wurde unter großen Mühen herausgeschleust und kam dann erneut ins Lazarett, diesmal in Wien. Danach kam ich noch einmal zurück nach Mittenwald und war dann als Gebirgspionier auf der Kriegsschule in Dessau: Das war die Pionierschule. Ich hatte am Ende des Kriegs noch einmal wahnsinniges Glück, denn als Gebirgspioniere wurden wir zurückbeordert in die Alpen, weil Hitler die Wahnsinnsidee einer Alpenfestung hatte: Dazu brauchte man Gebirgspioniere. Die restliche Kriegsschule kam in geschlossenem Einsatz nach Berlin, um in Berlin zu kämpfen. Wahrscheinlich sind die meisten von ihnen dabei entweder getötet worden oder in russische Gefangenschaft geraten. Ich habe dagegen das Kriegsende am 8. Mai komfortabel in Reit im Winkel in einem Hotel verbracht. Ich kam in amerikanische Kriegsgefangenschaft und war bereits im Juli 1945 wieder zu Hause. Lösch: Haben Sie denn an dieser Alpenfestung überhaupt noch mitgebaut? Schlecht: Das war eine totale Farce. Wir haben ab und zu ein paar Bäume über die Straße gelegt. Wir wussten, dass die Amerikaner nur noch 20 Kilometer entfernt sind, aber wir mussten eben auch Vollzugsmeldungen beim Generalstab machen, dass etwas getan worden war. Aber es war uns wirklich klar, dass die Sache in wenigen Tagen zu Ende sein würde. Lösch: Ernst Jünger hat viel über das Prägende von Kriegserfahrungen geschrieben. War das auch für Sie eine prägende Erfahrung? Schlecht: Man kann nicht sagen, dass das eine prägende Erfahrung war. Aber im Nachhinein, wenn die Sache gut ausgegangen ist, will man das dann doch nicht missen. Das war schon eine enorme Sache: auch im Hinblick auf die Kameradschaft. Viele der heutigen Jugendlichen können ja nicht verstehen, warum wir nicht früher aufgehört haben, warum wir weitergemacht haben, obwohl der Krieg doch ganz offensichtlich verloren war und die Sache in eine Katastrophe mündete. Das lag eben auch an der Solidarität mit den Kameraden, die den Anlass dazu gab weiterzumachen. Lösch: Während Sie auf dem Balkan Brücken sprengte, saß in Deutschland ein Mann an einer Denkschrift: Sowohl die Denkschrift als auch der Mann haben Ihr Leben wohl nachhaltig geprägt. Der Mann war Ludwig Erhard, und die berühmte Denkschrift hieß "Wohlstand für alle". Wie kam denn jemand in dieser Zeit dazu, sich über solche Dinge Gedanken zu machen und eine solche Schrift zu verfassen? Unter welchen Umständen ist diese Schrift entstanden? Schlecht: Ludwig Erhard kam sogar relativ naiv an diese Geschichte. Er war ja im Wesentlichen in der Konsumforschung tätig und hatte dabei u. a. vom "Deutschen Industrieverband" den Auftrag bekommen, sich Gedanken darüber zu machen, wie man nach dem verlorenen Krieg – denn ihm war zu dem Zeitpunkt schon klar, dass der Krieg verloren gehen wird – in freiheitlichem Geiste eine Friedenswirtschaft wieder aufbauen könnte. Daraufhin hat sich Erhard hingesetzt und darüber nachgedacht. Dabei ist dann schon im Kern das entstanden, was er nach dem Krieg als Soziale Marktwirtschaft umgesetzt hat. Ich muss allerdings dazusagen, dass er dabei natürlich auch auf andere geistige Väter der Sozialen Marktwirtschaft zurückgegriffen hat. Ich selbst habe ja in Freiburg studiert: Eigentlich wollte ich primär Betriebswirtschaft studieren und danach in die "Energieversorgung Schwaben" eintreten. Der Generaldirektor der "Energieversorgung Schwaben" war ein Freund meiner Eltern, und ich hatte in diesem Betrieb in den Jahren 1945 und 1946 auch bereits volontiert. Es war also klar vorgezeichnet, dass ich in die "Energieversorgung Schwaben" eintreten werde. In Freiburg geriet ich dann aber – ich sage das ohne Übertreibung – in den Bann vor allem von Walter Euken und anderen geistigen Vätern der Sozialen Marktwirtschaft wie Franz Böhm, Wilhelm Röpke, Alexander Rüstow. Ich habe dann einfach auf Volkswirtschaft umgeschwenkt, sodass ich mir eigentlich schon nach wenigen Semestern fest vorgenommen habe, eines Tages in die Wirtschaftspolitik zu gehen. Als dann – das war bei mir im zweiten oder dritten Semester – Ludwig Erhard 1948 mit der Währungsreform die Schneise für die Marktwirtschaft schlug, dachte ich mir, dass es doch eine tolle Sache wäre, wenn ich in Bonn bei Erhard anfangen könnte. Und so ist es auch gekommen. Lösch: Sie wollten also zunächst einmal Forstwirtschaft studieren: Das haben Sie aber nach dem Krieg ganz offensichtlich ad acta gelegt. Wie kam das? Schlecht: Ich hatte Kontakte mit Leuten aus der Forstwissenschaft geknüpft, und die haben mir gesagt: "Lass die Finger davon. Denn wir müssen in den nächsten Jahren sehr viele Forstmeister aus den verlorenen Ostgebieten im Westen beschäftigen. Junge Leute müssen daher furchtbar lange warten, bis sie mal ein Forstamt bekommen." Außerdem habe ich festgestellt, dass