Ein Lorbass Erinnert Sich
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Karlheinz Weber Ein Lorbass erinnert sich II. Teil Jugend in Wernigerode Musikstudium Berufsjahre Selbstverlag Brühl 2018 Erinnerung ist die Patina am Erz unsres Lebens. Ø 1 × Nach der Flucht aus Ostpreußen Der Kindheit heile Welt ward durch die Flucht zerrissen mit des Schicksals ganzer Wucht. Vorbei Masurens liebliche Idylle, dahin der Heimat reich erfahrne Fülle. Für das Kapitel, das nun aufgeschlagen, sind andre Maßstäbe uns aufgetragen. Den Lebenslauf prägt fortan die Zäsur, der Wechsel von der See- zur Bergnatur, von dörflich rustikaler Ärmlichkeit hin zu kleinstädtischer Gediegenheit, die als Premiere hinterlässt die Spuren im Leben eines Lorbass aus Masuren. Wenn der Premiere, die uns scheint gelungen, bald folgen weitre Inszenierungen, sie können an Bedeutung nie erreichen den Untergang Masurens ohnegleichen! Auch wenn das Bittre wir nicht glauben wollen, die Heimat bleibt für ewig uns verschollen. Sie sank dahin. Was blieb von ihr erhalten als der Erinnerung schwindende Gestalten. Was deutsch mal war, das wurde ausgetrieben. Ein Nichts ist außer der Natur geblieben. Der Zeiten wanderdünengleiche Sand begräbt das ausgelöschte Heimatland. Nur der Erinnrung Spaten kann noch heben, uns die zerbrochnen Scherben preiszugeben. Wie weiland Schliemann Troja ausgegraben, wir unsre Kindheit ausgebuddelt haben, Ø 2 × wobei die kleinste Scherbe hat gezählt, wo noch erhaltne Reste uns gefehlt. Aus Sicht des Lorbass wurde aufgeschrieben, was im Gedächtnis haften ist geblieben. Denn Schichten von fast über 60 Jahren „archäologisch“ abzutragen waren. Auch wenn recht unvollständig das Ergebnis, so war es für den Lorbass ein Erlebnis. So subjektiv, wie sich das Wahre gibt, wenn man in einem Gegenstand verliebt. Die Wahrheit, wie sie war, wird wahr berichtet, und wahr bleibt Wahrheit auch, wenn man sie dichtet. Wohlan, so nehmen wir den Faden auf von unsres Labyrinthes zagen Lauf. Neuanfang in Wernigerode Die alte Heimat hatten wir verloren, zur neuen Wernigerode ward erkoren. Natürlich hat nicht einer dran geglaubt, dass wir für immer sind um sie beraubt. Denn ’45, Ende Januar, der Krieg ja noch im vollen Gange war. Sogar vom Endsieg war die Rede täglich, wiewohl die Lage war mehr als unsäglich. Der Ostfront waren wir zwar weit entrückt, der Luftkrieg uns nun auf die Pelle rückt. Gleich bei der Ankunft hat es angefangen, als uns Sirenen in den Keller zwangen. Der Luftkrieg jedenfalls war voll im Gang, und wir durchlebten dies noch wochenlang. Ø 3 × Im Radio wir verfolgen früh bis spat, ob eine Bomberflotte sich uns naht. Wenn schon in Münster man sie hat gesichtet, wobei der Kurs auf Braunschweig ist gerichtet, dann bald schon heulen die Sirenenteller, und alles hastet in die Luftschutzkeller. Dass die Gefahr durchaus bestanden hat, bewies der Luftangriff auf Halberstadt. Auch bis zu uns die Bomben sich verirrten und über Wernigeröder Dächer schwirrten. Doch nur das Kino ward zerstört total in des totalen Krieges Bacchanal. Der Pulvergarten, der Asyl uns bot, bewahrt zunächst uns vor der schlimmsten Not. Indessen, wenn das Kriegsglück sich nicht wendet, der Krieg in einer Katastrophe endet. Und keiner wusste, was noch kommen würde. Die Ungewissheit war des Tages Bürde. Jedoch trotz allem, was uns war geschehen, das Leben musste vorerst weiter gehen. Es brachte des Obwaltens böse Pranken des Reiches feste Ordnung nicht ins Wanken. Die straff geführte Heimatfront stand fest, viel fester als die Front in Ost und West. Auch wir Entkommenen der Russenwut, wir zollten dieser Ordnung den Tribut. In meinem Fall hat man sich sehr beeilt, und mich der neuen Schule zugeteilt. Ø 4 × Die bunte Stadt am Harz Der Harz, die Berge, Schloss und „Bunte Stadt“, der Lorbass solches nie gesehen hat. Er kam vom Dorf, von hüglig flachem Land, und plötzlich er vor dieser Bergwelt stand. Und grad im weißen Kleid des Winters war das Panorama einfach wunderbar. Vom „Lindenberg“ ein schöner Blick sich bot hinunter auf die Stadt, mit Dächern rot. So übersichtlich klein die Häuser, Straßen, die vielen Kirchentürme, gleichermaßen. Des Schlosses Pracht das alles überkrönt, der Silhouette Stolz das Bild verschönt. Am Bergausläufer malerisch geschmiegt, es schon aus weiter Ferne sichtbar liegt. Ein schöneres Entree in eine Stadt wohl äußerst selten eine Schlossstadt hat. Bereits im Jahr zwölf-dreizehn (1213) ungefähr von einer Grafenburg geht um die Mär, nach 1700 umgebaut durch viele barocke und noch andre Neo-Stile. Die variantenreiche Baugeschichte steht diesem Grafenschloss gut zu Gesichte. Der Stile Mischmasch dieses hehren Baus macht sicher die besondere Wirkung aus. Der Stolberg-Wernigeröder Adelsspross besaß als letztes dieses Fürstenschloss. Fürst Botho ward enteignet durch die Roten. Sein Sitz geplündert durch die Vollidioten. Ø 5 × Die Russen sich benahmen wie Vandalen. Sie alles aus des Schlosses Räumen stahlen. Die mittelalterlichen Lanzen, Speere, die kunstvoll ziselierten Jagdgewehre, kurz, Militaria, alles kam in Kisten, verbrannt im Kalten Tal von Rotarmisten. Vom Schloss hat man den schönsten Blick zum Brocken, am besten, wenn die Luft ist klar und trocken. Denn meist verhüllt der höchste Berg den Scheitel und gibt sich unfreundlich blasiert und eitel. Die Stadt im Tal jedoch den Blick nicht scheut und sich uns gern in ganzer Schönheit beut. Zwei Arme sich erstrecken lang und schmal ins Nöschen- und ins Hasseröder Tal. Die Holtemme und auch der Zillerbach sind hier schon etwas strömungsfaul und flach. In beiden Bächen gibt es noch Forellen, doch muss man kennen die bestimmten Stellen. Der Lorbass aus Masuren sah sich satt an dem, das so er nie gesehen hat. Kopfüber ward in diese neue Welt premierenwürdig er hineingestellt. Auf seinem Schulweg war er täglich Zeuge, wie schließlich auch der Winter ging zur Neige. Der Schnee schmolz tropfnass von den Zweigen und ließ der Hänge kahle Blöße zeigen. Wie atmet die Natur, vom Schnee befreit, und Märzens Sonne webt das Frühlingskleid, in dem das frische Grün so herrlich dominiert, und das durch bunte Farben wird floriert. Ø 6 × Der Winter hat sein Hemd verloren und weicht von hinnen unverfroren. Die Herrschaft hat zu lang gedauert. Drum niemand seine Flucht bedauert. Im Gegenteil, die Sonne lacht und hat den Frühling uns gebracht. Die Knospen sprießen schon hervor, bald alles steht in grünem Flor. Wie atmet freier die Natur und weckt im Herzen die Amour. Der warmen Kleidung jeder spottet. Sie wird bis neulich eingemottet. Romantische Gefühle können irren und passen wenig zu des Krieges Wirren. Noch im April ein Bombenhagel hat, in einer Nacht zertrümmert Halberstadt. Schulzeit in Wernigerode Fürst-Otto-Schule, mehr noch, gymnasial, war eigentlich für mich die beste Wahl. Der Herzog Albrecht im Vergleich indessen, der konnte sich mit diesem Fürsten messen. Denn Otto stieg von Otto Bismarcks Gnaden hinauf zu eines Vize-Kanzlers Graden. Der Kaiser Dero selbst mit großem Tross war Gast sogar auf Ottos Harzer Schloss. Seitdem gab es wie überall im Reiche die Kaiserstraße und die Kaisereiche. Der Kaiser wurde später abgesetzt, durch Hitler erst, durch Thälmann dann ersetzt. Ø 7 × Die gleiche Schmach der Schule widerfuhr, kaum dass erschien die rote Diktatur. Der „Fürst“ war den Genossen eine Qual, ein „Gerhard Hauptmann“ weniger feudal. Der Bildungstempel stand am Westerntor. Der Lorbass stand das erste Mal davor und fühlte sich erdrückt von soviel Ehre bei seiner abermaligen Premiere. 400 Jahre dieser Stätte haben gedient zu Nutz und Frommen aller Knaben, die gymnasiale Bildung hier erfuhren. Doch das war neu: ein Lorbass aus Masuren! Je nun, sein Einstieg Ende Januar für ihn kein leichtes Unterfangen war. Denn seine 2. Klasse war durchaus ihm in so manchem Fache weit voraus. In Englisch es am schlimmsten um ihn stand. Nicht 5, nicht 6, tief unterm Klassenstand! In Mathe lag er führend in der Spur und hielt die Spitze bis zum Abitur. Musik, wie er sich noch erinnern kann, schlug von der ersten Stunde ihn in Bann. Der Lehrer kam herein mit schnellem Schritt, gab an den Ton, und alle sangen mit. „Es will der Lenz uns grüßen“, dieses Lied seitdem durch die Erinnerung sich zieht. Vielleicht ist seit der Stunde über Nacht in ihm die Liebe zur Musik erwacht. Ø 8 × Klavierunterricht Beim Weg zur Schule, wie der Zufall spielt, er neugierig vor einem Hause hielt, gebannt zu lauschen dem Piano-Spiele des Unterrichts von einem Fräulein Thiele. Und ganz allmählich reifte der Entschluss, er das Klavierspielen erlernen muss. Die liebe Mutter dacht, es schadet nicht und meldete ihn an zum Unterricht. Das Stundenhonorar war sehr gering. Nur ein Brikett zum Heizen war Beding. Doch später hat er Holz gesägt, gehackt, und damit einen Rucksack voll gepackt. Und jedes Mal es Streit darüber gab: Sie bot ihm eine Mark, er lehnte ab. Doch ohne Heizung wär’ es nicht gegangen. Mit kalten Fingern ist nichts anzufangen. Zum Üben fand er schließlich ein Klavier bei einer lieben Nachbarin dahier. Sie hieß Amanda Steinkopf, strammes Mädchen. Und sie besaß ein Milch- und Käse-Lädchen. Ein eigenes Klavier aus 2. Hand sich für die Wohnung gegenüber fand. Das Üben ward bequemer, doch ich weiß, es hat kaum mehr beflügelt seinen Fleiß. Den Unterricht er bis zum Abi nahm, bis er zum „Kon“, dem Quedlinburger, kam. Dort war für ihn Klavier nur obligat, Gesang, Posaune aber sein Primat. Ø 9 × Vaters Flucht Ich bin etwas der Zeit voraus geeilt, hab von der Schulzeit vieles mitgeteilt. Doch leider war der Krieg noch nicht vorbei. Er tobte weiter bis zum 8. Mai. Mein Vater blieb zurück in Rosengarten, um noch die Frontsoldaten abzuwarten. Das Postamt hatte er zu übergeben, Befehl ist halt Befehl. So war es eben. Von ihm erhielten wir kein Lebenszeichen. Es war ein Hoffen, Bangen ohnegleichen. Vergeblich warteten wir Stund um Stunde und Tag um Tag auf eine frohe Kunde. Die größte Sorge jenseits aller Sorgen: Lebt unser Vater noch, ist er geborgen? Doch Mutter ließ nicht ab zu hoffen, bis Vater endlich bei uns eingetroffen. Nachdem der Flucht Strapazen er ertragen, sich mit dem Flüchtlingstross hat durchgeschlagen, stand er vor uns, o Glückes Übermaß! Vor allem Mutter sich vor Glück vergaß.