Deutsche Familienerziehung in Der Zeit Der Aufklärung Und Romantik
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3 8 Deutsche Familienerziehung in der Zeit der Aufklärung und Romantik. M. Bacherlcr. Deutsche Familienerziehung in der Zeit der Aufklärung und Romantik. Auf Grund autobiographischer und biographischer Quellen bearbeitet. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Hohen Philosophischen Fakultät der Friedrich - Alexanders - Universität zu Erlangen vorgelegt von Michael Bacherler gcpr. Lehramtskandidat. Tag der mündlichen Prüfung: 20. Mai 1914. STUTTGART 1914 Druck von Jung & Sohn. Dekan: Professor Dr. Falckcnbcrg. Referent: Professor Dr. Stählin. Einleitung. Die historisch-pädagogische Forschung der letzten Jahrzehnte hat in ausgiebiger Weise Biographien als Quellenmaterial benützt. Aber diese Arbeiten kommen fast ausschließlich der Schulgeschichte zu gut, der Erziehungsgeschichte dagegen nur insoweit, als sich die Er- ziehung in der Schule abspielt, Friedrich Paulsen verwertet in seiner „Geschichte des gelehrten Unterrichts"^) in ausgedehntem Maße graphisches Material. Was an Stoff zur Charakterisierung des deutschen Universitäts- unterrichts der neueren Zeit in den Selbstbiographien bedeutender Männer enthalten ist, sammelte Julius Ziehen in seinem Werke „Aus der Studien- zeit. Ein Quellenbuch zur Geschichte des deutschen Universitätsunterrichts in der neueren Zeit. Aus autobiographischen Zeugnissen zusammengestellt," Berlin (Weidmann) 1912. — Beiträge zur Geschichte des Volksschul-, besonders aber des Mittelschulunterrichts der zweiten Hälfte des 19. Jahr- hunderts liefern Adolf Grafs „Schülerjahre" (Berlin-Schöneberg 1912), — Alle Schulgattungen umfassen die Berichte von Hugo Eybisch , .Schulgeschichtliche Ergebnisse biographischer Darstellungen", veröffent- licht in „Historisch-pädagogischer Literaturbericht über das Jahr 1910" (herausgegeben von der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schul- geschichte) Berlin (Weidmann) 1912 und in dem „über das Jahr 1911" (ebendort 1913), — „Urteile über Erziehung sowie Erinnerungen aus der Schul- und Jugendzeit hervorragender Personen" sammelte Ferdinand Feldigl in seiner Schrift .Sonnenblicke ins , Jugendland" Freiburg i, Br. (Herder) 1912, Deshalb konnte die vorliegende Arbeit, die auf Grund autobio- graphischer und biographischer Quellen ein Bild der deutschen Fami- lienerziehung des Zeitalters der Aufklärung in der Romantik zu gewinnen sucht, wenig aus den genannten Werken entnehmen. Eine Gesamtdarstellung der deutschen Familienerziehung fehlt noch. Neben den kurzen Abschnitten in historischen oder pädagogischen Werken-) ist nur ein einziges größeres Weik zu nennen, nämlich Dr, G. Stephan ..Die häusliche Erziehung in Deutschland während des achtzehnten Jahr- hunderts", Wiesbaden (Bergmann) 1891. Auf Grund eines umfangreichen Quellenmaterials — aus Biographien, Autobiographien, Briefwechseln, päda- gogisch-theoretischen Schriften — wurde, wie das von Professor Bieder- mann verfaßte Vorwort des Buches sagt, ,,ein organisches, in allen seinen Theilen eng zusammenhängendes, sich gegenseitig ergänzendes und er- läuterndes Ganzes geschaffen".^) ') Friedrich Paulsen. „Geschichte des gelelirten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten vom Husgang des Mittelalters bis zur Gegenwart. Alit besonderer Rück- sicht auf den klassischen Unterricht." Leipzig (Veit & Comp.) lS9b IS97. -) Rein „Encyklopädisches Handbuch der Pädagogik" II 731—756, R. Schmid , Päda- gogische Encyklopädie" II 401 —110, Rololf „Lexikon der Pädagogik" II behandeln die Theorie, nicht die Geschichte der häuslichen Erziehung. Die geschichtliche Entwicklung streifen Lamorecht „deutsche Geschichte" Bd. VIII 1; und Bd. IX Dr. Karl Biedermann „Deutschlands geistige, sittliche und gesellige Zustände im IS. Jahrhundert", Leipzig (Weber) ISSO. 11. Teil. 3. Hbteilung. 3) Einleitung III'IV. — 4 — Bei aller Fülle des Materials und bei aller Vielseitigkeit der Beleuch- tung kommt jedoch die Beziehung zum Zeitganzen, zu den geistigen Strömungen der Zeit nicht immer zur Geltung. Die Weltanschauung der Familienhäupter ist indes zweifellos für die ganze Erziehung innerhalb der Familie von sehr hoher Bedeutung. Im 18. Jahrhundert nun folgen zwei entgegengesetzte Weltanschauungen aufeinander: Der Pietismus, der sein ganzes Sinnen und Trachten auf das Jenseits lenkt und nach diesem Gedanken seine ganze Lebensführung einrichtet, und die Aufklärung, die für in der menschlichen Vernunft die höchste Norm und letzte Instanz alle Fragen der Welt- und Lebensanschauung sieht. In wieweit diese beiden so verschiedenen Zeitströmungen auf die häusliche Erziehung ein- gewirkt haben, kommt in Stephans Werk nicht hinreichend zur Geltung; mehr Gewicht ist auf die ständische Verschiedenheit gelegt. Der Einfluß der jeweiligen Zeitströmung auf die häusliche Erziehung und die Verschiedenheit der Erziehung in den einzelnen Volksschichten gaben die leitenden Gedanken für die vorliegende Arbeit. Ja, nach der ständischen Verschiedenheit wurde die Haupteinteilung des Stoffes vorgenommen: Familienerziehung beim Adel, beim Bauernvolk und beim Bürgertum. Denn hinsichtlich der Lebensführung und des Bildungsstandes unterscheiden sich diese drei Gruppen der Bevölkerung wesentlich von einander, wenn auch Berührungspunkte und Aehnlichkeiten unter ihnen nicht fehlen. Lokale Verschiedenheiten in der Familienerziehung ließen sich aus den Biographien nicht ermitteln. Unberücksichtigt blieb die häusliche Erziehung des jüdischen Volks- teiles. Soviel aus den wenigen hier benützten Biographien sich schließen läßt, unterscheidet sich die jüdische Familienerziehung, abgesehen vom religiösen Moment, nicht von der christlichen. Im 18. Jahrhundert wurde auch hier die elterliche Autorität weit stärker betont als die elterliche Liebe, Schreibt doch Rahel Varnhagen (vgl. ,,Rahel Varnhagen, ein Lebens- und Zeitbild" von Otto Berdrow. Stuttgart (Pfeiffer und Greiner) 1901 S 10— 11) über das jüdische Familienleben im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts: „Das Familienleben mit seinen Sitten und Bräuchen blieb vom Luftzug der neuen Zeit noch lange unberührt. Hartnäckig hielten die Familienväter an ihrer patriarchalisch-despotischen Stellung fest. Absolute Oberhoheit des Familienvaters über die Seinen, unbedingte Unterwerfung der Familienmitglieder unter seinen Willen galt als erstes Gesetz. Beispielsweise verfügte das Oberhaupt unumschränkt über die Hand seiner Tochter; nicht des Herzens Stimme, sondern einzig der Wille des Vaters war für die Gattenwahl entscheidend und wehe der Tochter, die gewagt hätte, sich gegen die väterliche Entscheidung aufzulehnen." Im 19. Jahrhundert aber genossen auch in jüdischen Familien die Kinder größere Freiheit in Spiel und Erholung und im Verkehr mit Alters- genossen*) und das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern wurde auch hier milder und liebevoller.^) Was an Lektüre dem jüdischen Kinde geboten wurde, unterscheidet sich von der damals im Bürgerhaus heimi- *) VkI. Therese Devricnt „Jugenderinnerungen", Stultgart (Krabbe), 1"505, S. 6, 7, 15 und 72; Max Ring „Erinnerungen", Berlin (Concordia), 189S, S. 5; vgl. „Eduard Simson Erinnerungen aus seinem Leben" v. B. v. Simson, Leipzig (Hirzel). 1900, S. 11. •J Vgl. Eduard Simson a. a. O. 3; Therese Devrient a. a. O. 15 17; — 5 — sehen Jugendlektüre in keiner Weise. War doch bereits in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts unter den Juden ein reges „Streben sich deutsche Bildung und Gesittung anzueignen" lebendig geworden.*) Adolf Bern- hard Marx (geb. 1799 als Sohn eines Arztes in Halle) erwähnt in seinen „Erinnerungen" (Berlin (Jancke) 1865 I 11) als seine Jugendlektüre Ritter- und Räuberromane, Homer und Liebesgeschichten in den Werken Wielands und seiner französichen Vorgänger, Faust und Corneille, sogar Voltaires schlüpfriges Buch Pucelle. Der einzige Punkt, der eine Sonder- betrachtung erheischt, ist die religiöse Erziehung in der jüdischen Familie, eine Betrachtung, die einer kundigeren Feder vorbehalten sei. Daß die Aufklärung einen tiefen Einfluß auf die religiöse Erziehung der deutschen Israeliten ausübte, zeigen schon die wenigen hier zu Rate gezogenen Bio- graphien. Adolf Bernhard Marx schreibt (a. a. 0. 7) von seinem Vater: „In den Grundsätzen Voltaires und der damaligen ziemlich leicht- fertigen und oberflächlichen Aufklärung beharrend wies er — obwohl der Sohn und Enkel frommer Rabbiner — unbedenklich jede positive Religion, Judentum wie Christentum, als Aberglauben und Pfaffentrug zurück und floß über im Spott gegen die alte Religion und versäumte auch nicht, mich darauf aufmerksam zu machen, wie viel Trug und Selbst- täuschung im Schwange sei." Der Vater spielte ihm auch die damals vielgelesene Schrift de tribus impostoribus" in die Hände, in der Moses, Christus und Mohammed als Betrüger des Menschengesdhlechtes dar- gestellt werden.") ,,Die verschiedenen Konfessionen lebten friedlich mit- einander" erzählt der 1817 zu Zaudnitz Kreis Ratibor geborene Max Ring (in ,, Erinnerungen" S. 14) ,,ohne sich zu hassen oder zu verfolgen. In diesem Geiste wurde auch ich erzogen, und wenn mein Vater auch darauf hielt, daß ich in der jüdischen Religion unterrichtet wurde und die Gebräuche derselben beobachtete, so legte er doch das Hauptgewicht auf die Erfüllung der sittlichen Pflichten, auf tugendhaften Lebenswandel und Reinheit der Gesinnung. Er hatte nicht nur nichts dagegen, sondern sah es gern, daß ich mit den christlichen Kindern verkehrte und befreundet war."*) Neben dieser freien Richtung bestand auch eine strenggläubige, welche die religiösen Gebräuche auf das genaueste beobachtete.*) Aus all dem geht hervor, daß die jüdiche Familienerziehung in Deutschland von