Plenarprotokoll 16/151

Deutscher

Stenografischer Bericht

151. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- Dr. Frank-Walter Steinmeier, neten Wolfgang Wieland ...... 15835 A Bundesminister AA ...... 15837 D Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- Markus Löning (FDP) ...... 15838 B nung ...... 15835 B Dr. (CDU/CSU) . . . . 15839 D Absetzung des Tagesordnungspunktes 14 . . . 15836 B Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE) ...... 15841 C Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 15836 B Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 15843 B Michael Roth (Heringen) (SPD) ...... 15844 B Tagesordnungspunkt 3: (FDP) ...... 15846 A a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- (CDU/CSU) ...... 15847 B zes zum Vertrag von Lissabon vom (DIE LINKE) ...... 15848 B 13. Dezember 2007 Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ (Drucksache 16/8300) ...... 15836 D DIE GRÜNEN) ...... 15849 C b) Erste Beratung des von den Fraktionen (CDU/CSU) ...... 15850 D CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ Gesetzes über die Ausweitung und Stär- DIE GRÜNEN) ...... 15851 C kung der Rechte des Bundestages und Volker Kauder (CDU/CSU) ...... 15852 B des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ (Drucksache 16/8489) ...... 15837 A DIE GRÜNEN) ...... 15852 C c) Erste Beratung des von den Fraktionen Dr. Carl-Christian Dressel (SPD) ...... 15852 D CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU) ...... 15853 D DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Axel Schäfer (Bochum) (SPD) ...... 15855 A Grundgesetzes (Art. 23, 45 und 93) Alexander Ulrich (DIE LINKE) ...... 15856 A (Drucksache 16/8488) ...... 15837 A Axel Schäfer (Bochum) (SPD) ...... 15856 B d) Antrag der Abgeordneten Dr. Diether Hermann Gröhe (CDU/CSU) ...... 15856 C Dehm, Alexander Ulrich, Dr. Hakki Keskin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Intransparenz Tagesordnungspunkt 4: beenden – Eine lesbare Fassung des Reformvertrags schaffen a) – Zweite und dritte Beratung des von (Drucksache 16/7446) ...... 15837 B der Bundesregierung eingebrachten II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Entwurfs eines Sechzehnten Geset- Tagesordnungspunkt 30: zes zur Änderung des Wehrsold- a) Zweite und dritte Beratung des von der gesetzes (16. WSGÄndG) Bundesregierung eingebrachten Entwurfs (Drucksachen 16/8188, 16/8470) . . . . 15857 C eines Ersten Gesetzes zur Änderung des – Bericht des Haushaltsausschusses ge- Hopfengesetzes mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksachen 16/8153, 16/8397) ...... 15866 C (Drucksache 16/8471) ...... 15857 D b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung b) Antrag der Abgeordneten Birgit des von der Bundesregierung eingebrachten Homburger, , Dr. Rainer Stinner, Entwurfs eines Gesetzes zu der Entschlie- weiterer Abgeordneter und der Fraktion ßung vom 8. Juli 2005 zur Änderung des der FDP: Unverzügliche Erhöhung des Übereinkommens vom 26. Oktober Wehrsoldes 1979 über den physischen Schutz von (Drucksache 16/5970) ...... 15857 D Kernmaterial (Drucksachen 16/8151, 16/8486) ...... 15866 D Dr. , Bundesminister c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung BMVg ...... 15858 A des von der Bundesregierung eingebrach- Birgit Homburger (FDP) ...... 15858 D ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver- trag vom 8. September 2006 zwischen Dr. Hans-Peter Bartels (SPD) ...... 15859 D der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Trinidad und Tobago Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) ...... 15861 B über die Förderung und den gegenseiti- (BÜNDNIS 90/ gen Schutz von Kapitalanlagen DIE GRÜNEN) ...... 15862 B (Drucksachen 16/8251, 16/8520) ...... 15867 A d) Zweite Beratung und Schlussabstimmung Bernd Siebert (CDU/CSU) ...... 15863 B des von der Bundesregierung eingebrach- Dr. Rainer Stinner (FDP) ...... 15864 C ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver- trag vom 1. August 2006 zwischen der Maik Reichel (SPD) ...... 15864 D Bundesrepublik Deutschland und der Republik Madagaskar über die gegen- seitige Förderung und den gegenseiti- Tagesordnungspunkt 29: gen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksachen 16/8252, 16/8520) ...... 15867 B a) Antrag der Abgeordneten , Dr. Hans-Peter Uhl, Kristina e) Zweite Beratung und Schlussabstimmung Köhler (Wiesbaden), weiterer Abgeordne- des von der Bundesregierung eingebrach- ter und der Fraktion der CDU/CSU sowie ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem der Abgeordneten , Abkommen vom 8. November 2006 zwi- , Dr. Michael Bürsch, schen der Bundesrepublik Deutschland weiterer Abgeordneter und der Fraktion und der Republik Guinea über die der SPD: Verbot des Vereins „Collegium gegenseitige Förderung und den gegen- Humanum“ sowie des „Vereins zur seitigen Schutz von Kapitalanlagen Rehabilitierung der wegen Bestreitens (Drucksachen 16/8253, 16/8520) ...... 15867 B des Holocaust Verfolgten“ prüfen und f) Zweite Beratung und Schlussabstimmung bestehende Gemeinnützigkeit aberken- des von der Bundesregierung eingebrach- nen ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver- (Drucksache 16/8497) ...... 15866 A trag vom 5. Februar 2007 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem b) Antrag der Abgeordneten , Königreich Bahrain über die Förde- , Kersten Naumann, weiterer Ab- rung und den gegenseitigen Schutz von geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kapitalanlagen Keine Ausweitung der Inlandseinsätze (Drucksachen 16/8254, 16/8520) ...... 15867 C der Bundeswehr (Drucksache 16/6036) ...... 15866 B g) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver- Zusatztagesordnungspunkt 2: trag vom 30. Mai 2007 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der Sultanat Oman über die Förderung und SPD: Chancen der Charta der Vielfalt nut- den gegenseitigen Schutz von Kapital- zen anlagen (Drucksache 16/8502) ...... 15866 B (Drucksachen 16/8255, 16/8520) ...... 15867 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 III h) Zweite und dritte Beratung des von der Hans-Michael Goldmann (FDP) ...... 15873 A Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ Übereinkommen von 2001 über die DIE GRÜNEN) ...... 15874 A Beschränkung des Einsatzes schädli- Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) ...... 15874 C cher Bewuchsschutzsysteme auf Schif- fen (AFS-Gesetz) (DIE LINKE) ...... 15876 A (Drucksachen 16/8154, 16/8503) ...... 15867 D Julia Klöckner (CDU/CSU) ...... 15877 B i) Beschlussempfehlung und Bericht des (SPD) ...... 15879 A Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Ab- Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ geordneten Sylvia Kotting-Uhl, Rainder DIE GRÜNEN) ...... 15879 C Steenblock, Nicole Maisch, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Antifoulingab- Tagesordnungspunkt 6: kommen unverzüglich ratifizieren (Drucksachen 16/5777, 16/8498) ...... 15868 B Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit j)–q) und Entwicklung zu dem Antrag der Abge- Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- ordneten Sibylle Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, schusses: Sammelübersichten 373, 374, Dr. , weiterer Abgeordneter und 375, 376, 377, 378, 379 und 380 zu Peti- der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- tionen ordneten , Dr. , (Drucksachen 16/8385, 16/8386, 16/8387, Gabriele Groneberg, weiterer Abgeordneter 16/8388, 16/8389, 16/8390, 16/8391, und der Fraktion der SPD: Entwicklungs- 16/8392) ...... 15868 C und Schwellenländer verstärkt beim Auf- bau und bei Reformen von sozialen Siche- rungssystemen unterstützen und soziale Zusatztagesordnungspunkt 3: Sicherung als Schwerpunkt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit implemen- a)–i) tieren (Drucksachen 16/7747, 16/8484) ...... Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- 15881 B schusses: Sammelübersichten 381, 382, Walter Riester (SPD) ...... 15881 C 383, 384, 385. 386, 387, 388 und 389 zu Petitionen Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE) ...... 15883 B (Drucksachen 16/8505, 16/8506, 16/8507, Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/ 16/8508, 16/8509, 16/8510, 16/8511, DIE GRÜNEN) ...... 15883 D 16/8512, 16/8513) ...... 15869 A Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) ...... 15884 D Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 5: DIE GRÜNEN) ...... 15886 C a) Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Ulrike Höfken, , weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Tagesordnungspunkt 9: NIS 90/DIE GRÜNEN: Verbraucher- Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP politischen Bericht vorlegen und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das deut- (Drucksache 16/8499) ...... 15870 A sche Filmerbe sichern b) Beschlussempfehlung und Bericht des (Drucksache 16/8504) ...... 15887 C Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- Wolfgang Börnsen (Bönstrup) trag der Abgeordneten Ulrike Höfken, (CDU/CSU) ...... 15887 D Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer (CDU/CSU) ...... 15888 C Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Moderne Ver- Dr. Claudia Winterstein (FDP) ...... 15889 B braucherpolitik fortführen und weiter- Angelika Krüger-Leißner (SPD) ...... 15890 B entwickeln (Drucksachen 16/684, 16/8398) ...... 15870 A Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE) ...... 15891 D Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 15870 B DIE GRÜNEN) ...... 15892 C Uda Carmen Freia Heller (CDU/CSU) . . . . . 15871 C Dorothee Bär (CDU/CSU) ...... 15893 B IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Zusatztagesordnungspunkt 4: (Hildesheim) (SPD) ...... Antrag der Abgeordneten Jürgen Koppelin, 15907 C Rainer Brüderle, Dr. , weiterer (FDP) ...... 15908 C Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Ent- lastung von Vorstand und Aufsichtsrat der Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU) ...... 15909 C IKB Deutsche Industriebank AG durch Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . 15910 B Nutzung der Stimmrechte der KfW Kredit- anstalt für Wiederaufbau verhindern Dr. Herbert Schui (DIE LINKE) ...... 15911 A (Drucksache 16/8493) ...... 15894 A Dr. Herbert Schui (DIE LINKE) ...... 15911 D Jürgen Koppelin (FDP) ...... 15894 B Otto Fricke (FDP) ...... 15913 A Dr. h. c. (CDU/CSU) . . . . . 15895 D (BÜNDNIS 90/ Jürgen Koppelin (FDP) ...... 15896 D DIE GRÜNEN) ...... 15913 A Dr. Herbert Schui (DIE LINKE) ...... 15897 B Jörg-Otto Spiller (SPD) ...... 15898 A Tagesordnungspunkt 7: Jürgen Koppelin (FDP) ...... 15898 C – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ eines Gesetzes zur Durchführung der DIE GRÜNEN) ...... 15899 C Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH-Anpassungsgesetz) (Drucksachen 16/8307, 16/8523) ...... 15914 A Tagesordnungspunkt 11: – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß a) Antrag der Abgeordneten § 96 der Geschäftsordnung (Hamm), , Julia Klöckner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion (Drucksache 16/8521) ...... 15914 B der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Heinz Schmitt (Landau) (SPD) ...... 15914 B Elvira Drobinski-Weiß, Dr. , , weiterer Abgeordneter und (FDP) ...... 15915 D der Fraktion der SPD: Sicheres Spielzeug (CDU/CSU) ...... 15916 C für unsere Kinder (Drucksache 16/8496) ...... 15900 C Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) ...... 15918 B b) Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ Ulrike Höfken, Cornelia Behm, weiterer DIE GRÜNEN) ...... 15919 C Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: EU-Spielzeug- richtlinie modernisieren und Verbrau- Tagesordnungspunkt 12: cherschutz ausbauen (Drucksache 16/7837) ...... 15900 C Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Thea Dückert, Dr. , Kerstin Franz Obermeier (CDU/CSU) ...... 15900 D Andreae, weiterer Abgeordneter und der Hans-Michael Goldmann (FDP) ...... 15901 D Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Beschäftigungspotenziale bei den Dienst- Elvira Drobinski-Weiß (SPD) ...... 15902 D leistungen Karin Binder (DIE LINKE) ...... 15904 A (Drucksachen 16/4817, 16/6746) ...... 15920 C Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 15904 C DIE GRÜNEN) ...... 15920 D Julia Klöckner (CDU/CSU) ...... 15905 C (CDU/CSU) ...... 15921 D Jürgen Kucharczyk (SPD) ...... 15906 B Gudrun Kopp (FDP) ...... 15923 C (SPD) ...... 15924 B Tagesordnungspunkt 10: Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) ...... 15926 C Beschlussempfehlung und Bericht des Haus- haltsausschusses zu dem Antrag der Abgeord- neten Dr. Herbert Schui, Dr. Barbara Höll, Tagesordnungspunkt 13: Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Privatisierungs- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- folgen seriös bilanzieren – Privatisierungen wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Ab- aussetzen geordneten Hans-Joachim Fuchtel, Eckart von (Drucksachen 16/3914 , 16/5565) ...... 15907 B Klaeden, , weiterer Abgeord- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 V neter und der Fraktion der CDU/CSU sowie in Verbindung mit der Abgeordneten , Lothar Mark, , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Erneuerbare Zusatztagesordnungspunkt 5: Energien, wie Solarenergie, Geothermie, Wind- und Wasserkraft, für die Energie- Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Markus Kurth und der Fraktion BÜND- versorgung deutscher Einrichtungen im NIS 90/DIE GRÜNEN: Lokale Entschei- Ausland einsetzen – für Klimaschutz und dungsspielräume und passgenaue Hilfen Nachhaltigkeit für Arbeitssuchende sichern (Drucksachen 16/7489, 16/7910) ...... 15927 C (Drucksache 16/8524) ...... 15934 D Monika Griefahn (SPD) ...... 15927 D

Harald Leibrecht (FDP) ...... 15928 B Tagesordnungspunkt 17: Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU) ...... 15930 B Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Monika Knoche (DIE LINKE) ...... 15932 A schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abge- Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/ ordneten Ulrike Höfken, Cornelia Behm, DIE GRÜNEN) ...... 15932 D Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einfuhrverbot für den gentechnisch verän- Tagesordnungspunkt 8: derten Mais MON810 anordnen und den a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Verkauf von MON810-Saatgut stoppen Rainer Brüderle, , Gudrun (Drucksachen 16/7835, 16/8399) ...... 15935 A Kopp, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Geset- Tagesordnungspunkt 18: zes gegen Wettbewerbsbeschränkungen Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- (Drucksache 16/8405) ...... 15934 A schusses für Wirtschaft und Technologie zu b) Beschlussempfehlung und Bericht des dem Antrag der Abgeordneten Rainer Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- Brüderle, , Christian gie zu dem Antrag der Abgeordneten Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Frak- Rainer Brüderle, Martin Zeil, Gudrun tion der FDP: Mahnungen des Sachverstän- Kopp, weiterer Abgeordneter und der digenrates ernst nehmen – Mehr Freiheit Fraktion der FDP: Mehr Dynamik und wagen (Drucksachen 16/7112, 16/8263) ...... mehr Wettbewerb für die deutsche 15935 B Volkswirtschaft – Entflechtungsrege- lung in das Gesetz gegen Wettbewerbs- beschränkungen und europäisches Tagesordnungspunkt 19: Recht integrieren Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer, Hans- (Drucksachen 16/4065, 16/5946) ...... 15934 A Kurt Hill, Dr. Barbara Höll, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Eon-Netz in die öffentliche Hand über- Tagesordnungspunkt 15: nehmen (Drucksache 16/8494) ...... 15935 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Verbots der Vereinbarung Tagesordnungspunkt 20: von Erfolgshonoraren (Drucksache 16/8384) ...... 15934 C Antrag der Abgeordneten Bettina Herlitzius, Markus Kurth, Cornelia Behm, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Tagesordnungspunkt 16: GRÜNEN: Erwerbsarmut verhindern – Einkommen stärken – Wohngeld jetzt ver- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- bessern schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- (Drucksache 16/8053) ...... 15935 C trag der Abgeordneten , Kornelia Möller, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Tagesordnungspunkt 21: Innovative Arbeitsförderung ermöglichen – Projektförderung nach § 10 SGB III a) Antrag der Abgeordneten Elke Hoff, zulassen Birgit Homburger, Dr. Rainer Stinner, (Drucksachen 16/3889, 16/5167) ...... 15934 C weiterer Abgeordneter und der Fraktion VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

der FDP: Medizinische Versorgung der Martin Zeil (FDP) ...... 15941 B Bundeswehr an die Einsatzrealitäten Ulla Lötzer (DIE LINKE) ...... anpassen – Kompetenzzentrum für 15943 A posttraumatische Belastungsstörungen Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/ einrichten DIE GRÜNEN) ...... 15943 C (Drucksache 16/7176) ...... 15935 D b) Antrag der Abgeordneten Paul Schäfer Anlage 4 (Köln), Inge Höger, Monika Knoche, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung LINKE: Adäquate Behandlungs- und des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung Betreuungskapazitäten für an post- des Verbots der Vereinbarung von Erfolgs- honoraren (Tagesordnungspunkt 15) traumatischen Belastungsstörungen erkrankte Angehörige der Bundeswehr Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) ...... 15944 B (Drucksache 16/8383) ...... 15936 A Christoph Strässer (SPD) ...... 15945 A Mechthild Dyckmans (FDP) ...... 15946 B Tagesordnungspunkt 22: Wolfgang Nešković (DIE LINKE) ...... 15947 B Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ Koczy, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter DIE GRÜNEN) ...... 15947 D und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Keine EU-Exportsubventionen für Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär Schweinefleisch in Entwicklungsländer BMJ ...... 15948 C (Drucksache 16/8404) ...... 15936 B Anlage 5 Nächste Sitzung ...... 15936 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: Anlage 1 – Innovative Arbeitsförderung ermöglichen – Projektförderung nach § 10 SGB III zulas- Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 15937 A sen – Lokale Entscheidungsspielräume und Anlage 2 passgenaue Hilfen für Arbeitsuchende si- chern Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Ent- (Tagesordnungspunkt 16 und Zusatztagesord- nungspunkt 5) wicklungs- und Schwellenländer verstärkt beim Aufbau und bei Reformen von sozialen Peter Rauen (CDU/CSU) ...... 15949 C Sicherungssystemen unterstützen und soziale Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) ...... 15951 A Sicherung als Schwerpunkt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit implementie- Jörg Rohde (FDP) ...... 15952 A ren (Tagesordnungspunkt 6) Katja Kipping (DIE LINKE) ...... 15952 C Dr. Karl Addicks (FDP) ...... 15937 D Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 15953 B Anlage 3 Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des der Beschlussempfehlung und des Berichts: Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkun- Einfuhrverbot für den gentechnisch veränder- gen ten Mais MON810 anordnen und den Verkauf – Antrag: Mehr Dynamik und mehr Wettbe- von MON810-Saatgut stoppen (Tagesord- werb für die deutsche Volkswirtschaft – nungspunkt 17) Entflechtungsregelung in das Gesetz ge- Dr. Max Lehmer (CDU/CSU) ...... 15954 A gen Wettbewerbsbeschränkungen und Elvira Drobinski-Weiß (SPD) ...... 15954 D europäisches Recht integrieren Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) ...... 15955 D (Tagesordnungspunkt 8 a und b) Dr. (DIE LINKE) ...... 15956 D Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) ...... 15938 C Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ Rolf Hempelmann (SPD) ...... 15939 D DIE GRÜNEN) ...... 15957 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 VII

Anlage 7 Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: der Anträge: Mahnungen des Sachverständigenrates ernst nehmen – Mehr Freiheit wagen (Tagesord- – Medizinische Versorgung der Bundeswehr nungspunkt 18) an die Einsatzrealitäten anpassen – Kom- Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) ...... 15958 D petenzzentrum für posttraumatische Be- lastungsstörungen einrichten Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD) . . . . . 15959 C Rainer Brüderle (FDP) ...... 15959 D – Adäquate Behandlungs- und Betreuungs- kapazitäten für an posttraumatischen Be- Dr. Herbert Schui (DIE LINKE) ...... 15960 C lastungsstörungen erkrankte Angehörige (BÜNDNIS 90/ der Bundeswehr DIE GRÜNEN) ...... 15961 B (Tagesordnungspunkt 21 a und b) Monika Brüning (CDU/CSU) ...... 15971 C Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Petra Heß (SPD) ...... 15972 B des Antrags: Eon-Netz in die öffentliche Elke Hoff (FDP) ...... 15973 D Hand übernehmen (Tagesordnungspunkt 19) Dr. (CDU/CSU) ...... 15962 A Inge Höger (DIE LINKE) ...... 15974 D Rolf Hempelmann (SPD) ...... 15963 D Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ Gudrun Kopp (FDP) ...... 15965 A DIE GRÜNEN) ...... 15975 B Ulla Lötzer (DIE LINKE) ...... 15965 D Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ Anlage 11 DIE GRÜNEN) ...... 15966 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Keine EU-Exportsubventionen Anlage 9 für Schweinefleisch in Entwicklungsländer (Tagesordnungspunkt 22) Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Erwerbsarmut verhindern – Ein- Anette Hübinger (CDU/CSU) ...... 15976 D kommen stärken – Wohngeld jetzt verbessern (Tagesordnungspunkt 20) Dr. Sascha Raabe (SPD) ...... 15978 A (CDU/CSU) ...... 15967 B Manfred Zöllmer (SPD) ...... 15979 A Sören Bartol (SPD) ...... 15968 B Hellmut Königshaus (FDP) ...... 15979 D Patrick Döring (FDP) ...... 15969 B (DIE LINKE) ...... 15970 B Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 15981 A Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 15970 D DIE GRÜNEN) ...... 15981 D

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15835

(A) (C) Redetext

151. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Beginn: 10.31 Uhr

Präsident Dr. : a) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Die Sitzung ist eröffnet. tionsausschusses (2. Ausschuss) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie Sammelübersicht 381 zu Petitionen alle. – Drucksache 16/8505 – Dem Kollegen Wolfgang Wieland, der am vergange- b) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- nen Sonntag seinen 60. Geburtstag gefeiert hat, möchte tionsausschusses (2. Ausschuss) ich im Namen des Hauses nachträglich und in Abwesen- heit ganz besonders herzlich gratulieren. Sammelübersicht 382 zu Petitionen – Drucksache 16/8506 – (Beifall – Dr. [FDP]: Oh! Auch wenn man nicht da ist, wird einem hier c) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- also gratuliert! Wie schön!) tionsausschusses (2. Ausschuss) (B) (D) Es findet sich in der Fraktion sicher jemand, der ihm Sammelübersicht 383 zu Petitionen diese besonders herzlichen Grüße in angemessener – Drucksache 16/8507 – Weise überbringt. d) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene tionsausschusses (2. Ausschuss) Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufge- führten Punkte zu erweitern: Sammelübersicht 384 zu Petitionen ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen – Drucksache 16/8508 – FDP und DIE LINKE: e) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Haltung der Bundesregierung zu den Konse- tionsausschusses (2. Ausschuss) quenzen aus dem Urteil des Berliner Verwal- Sammelübersicht 385 zu Petitionen tungsgerichts zum Mindestlohn für Brief- dienste – Drucksache 16/8509 – (siehe 150. Sitzung) f) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren Sammelübersicht 386 zu Petitionen (Ergänzung zu TOP 29) – Drucksache 16/8510 – Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ g) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- CSU und der SPD tionsausschusses (2. Ausschuss) Chancen der Charta der Vielfalt nutzen Sammelübersicht 387 zu Petitionen – Drucksache 16/8502 – – Drucksache 16/8511 – Überweisungsvorschlag: h) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Ältestenrat tionsausschusses (2. Ausschuss) ZP 3 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus- Sammelübersicht 388 zu Petitionen sprache (Ergänzung zu TOP 30) – Drucksache 16/8512 – 15836 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) i) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- (C) tionsausschusses (2. Ausschuss) gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes Sammelübersicht 389 zu Petitionen – Drucksache 16/8150 – – Drucksache 16/8513 – überwiesen: ZP 4 Beratung des Antrags der Fraktion der FDP Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz IKB Deutsche Industriebank AG durch Nut- Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zung der Stimmrechte der KfW Kreditanstalt Finanzausschuss für Wiederaufbau verhindern Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- – Drucksache 16/8493 – gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung der Vorschriften zum begünstigten Flä- ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte chenerwerb nach § 3 Ausgleichsgesetz und der Pothmer, Markus Kurth und der Fraktion BÜND- Flächenerwerbsverordnung (Flächenerwerbs- NIS 90/DIE GRÜNEN änderungsgesetz-FlErwÄndG) Lokale Entscheidungsspielräume und passge- – Drucksache 16/8152 – naue Hilfen für Arbeitssuchende sichern überwiesen: – Drucksache 16/8524 – Haushaltsausschuss (f) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Überweisungsvorschlag: Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Finanzausschuss richts des Ausschusses für Gesundheit (14. Aus- schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Heinz Der in der 148. Sitzung des Deutschen Bundestages Lanfermann, Birgit Homburger, überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätz- (Münster), weiterer Abgeordneter und der Frak- lich dem Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und tion der FDP Geschäftsordnung (1. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden. Entbürokratisierung der Pflege vorantreiben – Qualität und Transparenz der stationären Erste Beratung des von den Abgeordneten Birgit (B) Pflege erhöhen Homburger, Martin Zeil, Rainer Brüderle, weite- (D) ren Abgeordneten und der Fraktion der FDP ein- – Drucksachen 16/672, 16/6836 – gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Gesetzes zur Einsetzung eines Berichterstattung: Nationalen Normenkontrollrates Abgeordneter Willi Zylajew – Drucksache 16/7855 – Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so- überwiesen: weit erforderlich, abgewichen werden. Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Außerdem ist vorgesehen, den Tagesordnungspunkt 14 Innenausschuss Rechtsausschuss abzusetzen und an dieser Stelle den Tagesordnungspunkt 8 Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und aufzurufen. Darüber hinaus sollen der Tagesordnungs- Geschäftsordnung punkt 7 an den Platz des Tagesordnungspunktes 11 rü- Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? – cken, der Tagesordnungspunkt 11 an den Platz des Das scheint der Fall zu sein. Ich höre keinen Wider- Tagesordnungspunktes 9 und der Tagesordnungspunkt 9 spruch. Dann ist das so beschlossen. an den Platz des Tagesordnungspunktes 7. Ich denke, das alles haben Sie jetzt voll drauf. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 d auf: (Heiterkeit – [BÜNDNIS 90/ a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- DIE GRÜNEN]: Leider nein! Können Sie das gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Ver- bitte wiederholen?) trag von Lissabon vom 13. Dezember 2007 Sollte es Irritationen geben, stehen wir für ergänzende – Drucksache 16/8300 – Auskünfte gerne zur Verfügung. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) Schließlich mache ich auf drei nachträgliche Aus- Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und schussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste Geschäftsordnung aufmerksam: Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Die in der 145. Sitzung des Deutschen Bundestages Rechtsausschuss überwiesenen nachfolgenden Gesetzentwürfe sollen Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie zusätzlich dem Finanzausschuss (7. Ausschuss) zur Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Mitberatung überwiesen werden. Verbraucherschutz Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15837

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Verteidigungsausschuss wissheit hat, dass sich die Dinge nach Plan entwickeln, (C) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist zur Untätigkeit verdammt. Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Vor einem Jahr hatten wir immer noch ein großes Vor- Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe haben, aber – daran erinnere ich – alles andere als Ge- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung wissheit, vielleicht sogar ganz im Gegenteil. Das Projekt Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und einer Vertragsreform – damals noch Verfassungsreform Entwicklung genannt – galt nach den verlorenen Referenden in Frank- Ausschuss für Kultur und Medien reich und in den Niederlanden als gescheitert. Ich erin- b) Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/ nere auch daran, dass unsere Entschlossenheit, sich dieser CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN resignierten Haltung entgegenzustellen, auf ungläubige, eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die ja manchmal sogar entmutigende Reaktionen traf; über Ausweitung und Stärkung der Rechte des Begebenheiten dieser Art habe ich bei anderen Gelegen- Bundestages und des Bundesrates in Angele- heiten hier im Parlament bereits berichtet. genheiten der Europäischen Union Allerdings: Untätigkeit konnten wir uns, konnte sich – Drucksache 16/8489 – Europa nicht leisten. Wir konnten sie uns angesichts der Überweisungsvorschlag: wachsenden Herausforderungen, die die sich rasant wan- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) delnde Welt für Europa darstellte, nicht leisten. Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und weltweite wirtschaftliche Wettbewerb mit aufstreben- Geschäftsordnung den Handelsmächten wie China und Indien, der Klima- Innenausschuss schutz und die Energiepolitik, all das sind Stichworte, Rechtsausschuss die diese Herausforderungen beschreiben. Wir konnten c) Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/ uns auch deshalb keine Untätigkeit leisten, weil die ge- CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- scheiterten Referenden und die nachfolgende Krise eine NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Krise für das Selbstverständnis Europas bedeuteten. Ich Änderung des Grundgesetzes (Art. 23, 45 füge hinzu: Wir wollten uns auch keine Untätigkeit leis- und 93) ten. Denn wir hatten den Anspruch, die Europäische – Drucksache 16/8488 – Union demokratischer und transparenter zu machen. Überweisungsvorschlag: Heute, kaum mehr als ein Jahr nach dem Beginn un- Innenausschuss (f) seres Vorhabens, liegt Ihnen der Entwurf eines Gesetzes Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und zur Ratifizierung des Vertrags von Lissabon vor. Das ist Geschäftsordnung (B) Rechtsausschuss zuallererst ein Beleg für die Erneuerungskraft Europas (D) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und für das Verantwortungsbewusstsein, das alle Mit- gliedstaaten im vergangenen Jahr an den Tag gelegt ha- d) Beratung des Antrags der Abgeordneten ben. Dr. , Alexander Ulrich, Dr. Hakki Keskin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten DIE LINKE der CDU/CSU) Intransparenz beenden – Eine lesbare Fassung Es ist auch ein Beweis für den engen Schulterschluss des Reformvertrags schaffen zwischen Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag: Bundesrat und Bundestag haben die Bemühungen der – Drucksache 16/7446 – Bundesregierung um eine Wiederbelebung des Reform- Überweisungsvorschlag: prozesses vom Anbeginn an engagiert und konstruktiv Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) unterstützt. Dafür und für die exzellente persönliche Zu- Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss sammenarbeit meinen ganz herzlichen Dank und den Dank der Bundesregierung! Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Auch Uns einte in den Diskussionen der letzten Monate das das ist offensichtlich einvernehmlich. Dann ist das so be- gemeinsame Ziel, die Substanz des Verfassungsvertra- schlossen. ges zu erhalten. Dieses Ziel haben wir erreicht, auch wenn wir auf dem Weg zu diesem Ziel Abstriche ma- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst chen mussten; darüber haben wir in diesem Hohen Haus der Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. bei anderer Gelegenheit gesprochen. Sie wissen, dass es (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nur um den Preis dieser Abstriche möglich war, das Er- der CDU/CSU) gebnis zu erzielen, das Sie kennen und das nach meiner festen Überzeugung für Europas Legitimation, für seine Glaubwürdigkeit und vor allen Dingen für Europas Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Handlungsfähigkeit entscheidende Fortschritte bringt. Auswärtigen: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Wir haben uns auf den Reformvertrag geeinigt. Jetzt Herren! Jean Monnet, einer der Gründungsväter Euro- kommt es darauf an, dass er wie geplant in Kraft tritt und pas, hat in seiner Erinnerung folgenden Satz geprägt: ab Januar 2009 möglichst schnell mit Leben erfüllt wird. Wer auf ein Vorhaben verzichtet, weil er nicht die Ge- Dazu gehört die innerstaatliche Umsetzung, insbeson- 15838 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) dere die konkrete Ausgestaltung der besseren Mitwir- (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei (C) kungsrechte der nationalen Parlamente. Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN) Wir haben – die Ausschüsse des Deutschen Bundesta- ges waren intensiv daran beteiligt – die verschiedenen Meine Damen und Herren, Sie haben den Rahmen ge- Optionen für die Umsetzung der mit dem Reformvertrag steckt. Die Portugiesen haben die Einigung über den neu eingeführten Instrumente abgewogen. Am Ende Text herbeigeführt. Jetzt kommt es darauf an, dass der stand die uns verbindende Überzeugung, dass es am bes- Vertrag ratifiziert wird. Wir sind nicht mit allem glück- ten ist, wenn wir die verstärkten Mitwirkungsrechte von lich, was erreicht worden ist. Aber eines ist klar: Der Bundestag und Bundesrat in einem sogenannten Begleit- Vertrag macht die Europäische Union demokratischer, gesetz niederlegen. Sie wissen auch, flankiert wird die- transparenter und handlungsfähiger. ses Begleitgesetz durch eine behutsame Anpassung des (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Grundgesetzes, die eine allgemeine Ausweitung und da- der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- mit eine verfahrensmäßige Harmonisierung der Minder- SES 90/DIE GRÜNEN) heitenrechte im Bundestag zum Inhalt hat. Ich glaube, das ist insgesamt eine sinnvolle, eine angemessene Lö- Dem Europäischen Parlament wird eine ganze sung, der wir hoffentlich alle zustimmen können. Reihe von neuen Rechten eingeräumt. Es wird an allen wesentlichen Teilen der Gesetzgebung – im Inneren und (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) im Rechtsbereich, in der Landwirtschaft, im Verkehr und Sie wissen, dass Malta, Ungarn, Slowenien, Frank- bei den Strukturfonds – beteiligt und erhält zudem ein reich und Rumänien den neuen Vertrag bereits angenom- sorgfältig ausgestaltetes Haushaltsrecht. men haben. Sie wissen auch, dass die Ratifizierungs- Bei der Wahl des Kommissionspräsidenten wird das verfahren in anderen Mitgliedstaaten noch einige Europäische Parlament dem Bundestag gleichgestellt; Hürden zu nehmen haben; ich denke hierbei nicht nur an auch wir wählen den Chef der Exekutive. Ich weise an die Volksbefragung, an das notwendige Referendum, das dieser Stelle auch darauf hin, dass das Europäische Par- in der zweiten Juniwoche in Irland stattfinden wird. Ich lament bei der Anhörung und Bestätigung der Kommis- hoffe, dass am Ende in den Mitgliedstaaten die Weichen sion bessergestellt wird und mehr Rechte haben wird als so gestellt sind, dass der Vertrag wie geplant zum der Deutsche Bundestag. Denn wir hören die Minister 1. Januar 2009 in Kraft treten kann. Ich glaube, wir kön- nicht an; auch wird die Regierung nicht durch uns bestä- nen die Umstände in anderen Staaten günstig beeinflus- tigt. An dieser Stelle ist ein deutlicher Fortschritt der De- sen, indem wir die Ratifizierung in Deutschland – mit mokratie zu verzeichnen. Ihrer Unterstützung natürlich – bis zum 23. Mai ab- (B) schließen. Ich glaube, es wäre ein gutes Signal, das auch Auch die doppelte Kontrolle ist ein Schritt hin zu (D) in anderen Ländern – sicherlich auch in Irland – in der mehr Demokratie in Europa. Sie ist ein Schritt zu einer Diskussion Wirkung zeigen kann. Union der Länder, aber auch der Bürger. Mit der doppel- ten Mehrheit werden die Bevölkerungsmehrheiten und Lassen Sie uns das Vorhaben, das wir vor einem Jahr Bevölkerungsgrößen der Länder angemessen abgebildet. gemeinsam begonnen haben, jetzt auch gemeinsam zu Das ist für das große Land Deutschland mit 80 Millionen einem guten Ende führen. Einwohnern ein wichtiger Schritt nach vorne zu mehr Ich danke Ihnen sehr. Demokratie in Europa. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten bei Abgeordneten der FDP) der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Europa wird rechtsstaatlicher gestaltet. Es wird durch Für die FDP-Fraktion erhält der Kollege Markus Mehrheitsentscheidungen handlungsfähiger und erhält Löning das Wort. eine Rechtspersönlichkeit. Die Europäische Union kann endlich der Europäischen Menschenrechtskonvention (Beifall bei der FDP) beitreten. Ich hoffe, dass das auch unmittelbar nach der Ratifizierung erfolgen wird. Markus Löning (FDP): Des Weiteren erhalten wir eine Gemeinsame Außen- Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Liebe und Sicherheitspolitik. Eines muss vor Beginn der Ge- Kolleginnen und Kollegen! Dieser Reformvertrag ist meinsamen Außen- und Sicherheitspolitik festgestellt ohne Zweifel ein wichtiger Schritt nach vorne, hin zu werden: Sie muss den Geist der Union atmen. Sie kann mehr Handlungsfähigkeit und Gemeinsamkeit der Euro- nicht so gestaltet werden, wie es sich der Präsident unse- päer. Die Europäische Union hat schon immer Stagna- res Nachbarlands Frankreich vorstellt, nämlich dass sich tionsphasen und dynamische Phasen erlebt. Ich will einige wenige große Staaten zusammenschließen und Ihnen, Frau Bundeskanzlerin und Herr Bundesaußenmi- vorangehen. Wir brauchen zwar dynamische Gruppen, nister, an dieser Stelle ausdrücklich die Anerkennung der die vorangehen. Aber jedes Vorangehen von Gruppen Freien Demokraten dafür aussprechen, dass Sie unter Ih- muss inklusiv sein. Nichts darf als exklusiv empfunden rer Präsidentschaft die Phase der Stagnation überwun- werden. Die Großen dürfen sich nicht gegen die Kleinen den haben. zusammenschließen. Die Staaten des Südens dürfen sich Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15839

Markus Löning (A) nicht zusammenschließen und die Staaten des Nordens Lassen Sie mich zum Thema Wettbewerb noch ein (C) ausschließen. Der Westteil Europas darf sich nicht gegen paar Sätze sagen. Wettbewerb wurde aus dem Ziele- den Ostteil zusammentun. Europa gehört zusammen. Je- kanon gestrichen und abgestuft. Aber Wettbewerb ist des Zusammengehen in einzelnen Politikfeldern bedarf mehr als ein Mittel der Wirtschaftspolitik. Wettbewerb einer sorgfältig austarierten Gruppe derer, die vorange- ist ein Ordnungsmittel einer freien Gesellschaft. Wenn hen. ich sehe, dass soziale Ziele, die immer staatliches Han- deln nach sich ziehen, nach vorne gerückt sind, während Ich halte es für außerordentlich wichtig, das von An- der Wettbewerb abgestuft ist, dann sehe ich im Hinter- fang an klarzumachen: Wir sind für eine dynamische grund einen Paradigmenwechsel, der mir als Liberalen Entwicklung, aber nur gemeinsam und im europäischen nicht gefällt. Europa ist auch immer eine Union der Geist. freien Bürger gewesen. Ein Grundwert Europas ist im- (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei mer gewesen, dass die Freiheit des Einzelnen zählt, dass Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜND- es sich um freie Gesellschaften handelt, in der das Indi- NISSES 90/DIE GRÜNEN) viduum einen sehr hohen Stellenwert hat. Wir müssen in den nächsten Jahren unser Augenmerk darauf richten, Lassen Sie mich noch einige Worte zu den Punkten dass nicht zu viel staatliches Handeln aus Europa quasi sagen, die leider nicht ganz gelungen sind. Es wird im- über uns kommt. mer postuliert, dass die nationalen Parlamente eine stär- kere Rolle bekommen sollen. Wir bekommen nun das Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Mit dem Vertrag Recht der Subsidiaritätsrüge. Wir sollen innerhalb von von Lissabon wird ein wichtiger Schritt gegangen. Da- acht Wochen eine Mehrheit innerhalb des Parlaments mit können wir Europa nach vorne bringen. Wir Freien herstellen. Obwohl die Frist nun um ein Drittel länger ist Demokraten werden den Vertrag ratifizieren; denn wir als ursprünglich vorgesehen, wissen Sie genauso gut wie denken, dass die Vorteile die Nachteile überwiegen. Da- ich, wie lang parlamentarische Wege sind und dass es nach wird es an der Zeit sein, europäische Politik wieder daher außerordentlich schwierig sein wird, so schnell mit Substanz zu betreiben, zum Wohl der Europäerinnen eine Mehrheit herzustellen. Ich glaube, die Rolle des und zum Wohl der Europäer. Deutschen Bundestages wird – genauso wie die der an- Vielen Dank. deren nationalen Parlamente – vielmehr darin bestehen, dass wir unsere Rechte, die uns zustehen, aktiv wahrneh- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten men. Das ist eine Aufforderung insbesondere an die Ko- der CDU/CSU und der SPD) alitionsfraktionen, in Zukunft mit mehr parlamentari- schem Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein gegenüber Präsident Dr. Norbert Lammert: (B) (D) der Regierung aufzutreten. Wenn wir das nicht tun, nut- Dr. Andreas Schockenhoff ist der nächste Redner für zen uns alle Rechte nichts. Dann sind sie noch nicht ein- die CDU/CSU-Fraktion. mal das Papier wert, auf dem sie stehen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): [SPD]) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im wirtschaftlichen Bereich gibt es einige Punkte, die Europa ist in den letzten Jahren durch den Beitritt von nicht so ausgefallen sind, wie wir Liberale uns das ge- zwölf weiteren Staaten nicht nur größer geworden. Es ist wünscht hätten. Deutschland ist mit der Unabhängigkeit auch politisch stabiler geworden. Wir haben es nicht nur der Bundesbank immer sehr gut gefahren und hat deswe- geschafft, die widernatürliche politische Teilung zu gen großen Wert darauf gelegt, dass die Rolle der Euro- überwinden, sondern auch zusammenzuwachsen. Dass päischen Zentralbank entsprechend festgelegt wird. die Europäische Union in einer so extrem schwierigen Nun ist sie vielleicht nicht faktisch, wohl aber symbo- und völkerrechtlich nicht eindeutigen Frage wie der An- lisch dadurch ein bisschen abgewertet worden, dass sie erkennung des Kosovo zusammengeblieben ist, dass sie keinen eigenen Artikel mehr hat. Man kann und muss sich geschlossen für die ESVP-Rechtsstaatsmission ein- dem entgegensteuern. Uns muss klar sein: Das darf nicht gesetzt hat und den Aufbau des Kosovo angeht, zeigt den Einstieg in einen Paradigmenwechsel in der Wäh- doch, dass wir auf dem Weg zu einer handlungsfähigen rungspolitik bedeuten. Die EZB und ihre Unabhängig- Sicherheitsunion sind. keit müssen weiter Toppriorität in der deutschen Politik Ich nenne dieses Beispiel, weil die vielen wichtigen haben. Verbesserungen durch den Lissaboner Vertrag nur dann Der Verzicht auf Symbole mag ein Preis sein, den wir die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit der Europäi- zahlen mussten, um Einigkeit herzustellen. Dennoch schen Union wirklich stärken werden, wenn auch der sollten wir daran denken, dass sich die Bürger mit politische Wille da ist, trotz unterschiedlicher Interessen Europa identifizieren wollen. Dazu brauchen wir Sym- zu einem gemeinsamen Handeln zu kommen. Genau da- bole. Deswegen begrüßen wir es, dass wir weiterhin rin liegt die politische Bedeutung dieser beiden Ereig- Symbole im Bundestag verwenden. nisse, der Einigung auf den Lissaboner Vertrag und der Geschlossenheit in der Kosovo-Frage. Die EU hat ihre (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Ambitionen unterstrichen, eine politische Union, eine Abgeordneten der CDU/CSU) Sicherheitsunion, ein maßgeblicher Akteur der interna- 15840 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. 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Dr. Andreas Schockenhoff (A) tionalen Politik zu sein. Die Einigung auf den Lissabo- keiten anwenden: im Inneren gegenüber unserer eigenen (C) ner Vertrag ist der Ausdruck des politischen Willens, die Bundesregierung und nach außen, indem wir uns mit den dafür erforderlichen Schritte der Vertiefung nachzuholen anderen nationalen Parlamenten zügig koordinieren. und den Prozess der politischen Integration fortzuset- zen. Ich sage eines ganz offen: Angesichts der globalen Wie wichtig es ist, die Handlungs- und Entschei- Herausforderungen haben wir dazu keine Alternative. dungsfähigkeit der Europäischen Union zu stärken, zei- Entweder sind wir in der Lage, bei der Bewältigung der gen die Herausforderungen, die wir zu bewältigen ha- globalen Herausforderungen unsere Interessen gemein- ben. Ich nenne drei Beispiele: sam zu vertreten, indem wir handlungsfähiger werden, Erstens. Unsere wachsende Energieabhängigkeit macht oder wir lassen uns von anderen vorgeben, welche Rolle es dringend erforderlich, die vor einem Jahr beschlos- wir zu spielen haben. sene Energieaußenpolitik endlich in die Praxis umzu- Dass Europa erneut zusammengefunden und sich auf setzen. diesen Vertrag geeinigt hat, ist maßgeblich ein Erfolg der (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) deutschen EU-Präsidentschaft. Es war eine große Leis- tung unserer Bundeskanzlerin, selbst die widerspenstigs- Dieses Thema wird heute und morgen beim EU-Gipfel ten Partner zu überzeugen. Dafür danken wir ihr. angesprochen werden. Wenn wir in unseren Beziehun- gen gegenüber Dritten wie Russland weitermachen wie (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- bisher – als Beispiele nenne ich nur den Einstieg Un- neten der SPD) garns und Bulgariens bei „South Stream“ –, dann müs- Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird diesen Ver- sen wir uns nicht wundern, wenn wir eines Tages ein trag ratifizieren. Auch wenn nicht alle Wünsche erfüllt Spielball russischer Gaspolitik werden. wurden, ist es ein guter Vertrag. Er stärkt die Hand- Gasprom – das lässt sich an den Aktivitäten ganz klar lungs- und Entscheidungsfähigkeit der Europäischen absehen – hat eine europäische Strategie, Europa hat sie Union: In 40 weiteren Politikbereichen gehen wir von noch nicht; sie ist aber dringend erforderlich. Wir kön- der Einstimmigkeits- zur Mehrheitsentscheidung über, nen uns eine fragmentierte, an bilateralen Verhandlun- mit der doppelten Mehrheit wird künftig die Blockade- gen orientierte Politik, die uns alle nur schlechter stellt, möglichkeit eingeschränkt, und die EU-Kommission nicht mehr länger leisten. Wir brauchen eine Energie- wird deutlich verschlankt, was einen Beitrag zum Büro- sicherheitsunion. kratieabbau darstellt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Es gibt mehr Kontinuität und Sichtbarkeit nach innen neten der SPD) wie nach außen durch den Präsidenten des Europäischen (B) (D) Rates und durch den Hohen Beauftragten für Außen- Das heißt erstens, dass Energieversorgungssicherheit und Sicherheitspolitik. Wir sollten bei der umgangs- ein geschlossenes Auftreten gegenüber Dritten erfordert. sprachlichen Bezeichnung „EU-Außenminister“ bleiben. Das heißt zweitens, dass wir eine Kultur der Energiesoli- darität brauchen, dass wir also bei Versorgungsproble- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und men solidarisch füreinander einstehen. Das schließt na- der SPD) türlich ein, dass wir gleiche Bevorratungsstandards Henry Kissinger hat vor vielen Jahren gefragt, welches haben. Es kann nicht angehen, dass die Bundesrepublik denn die Telefonnummer von Europa sei. Jetzt haben wir für 120 Tage Gas vorhält, während andere EU-Partner sie endlich. Das ist wichtig für den Dialog mit unseren überhaupt keine Bevorratung haben. Das heißt drittens, globalen Partnern USA, Russland, China und Indien. Es dass wir unsere technologische Überlegenheit im Ener- ist aber auch für die Identifikation unserer Bürger mit giebereich, also Energieeffizienz, Energieeinspartechno- der EU und ihrer Politik wichtig. logien und Klimaschutz, viel stärker in die Verhandlun- gen einbringen müssen. Die nationalen Parlamente werden durch das Recht der Subsidiaritätseinrede und der Subsidiaritätsklage ge- In diesem Zusammenhang – das ist das zweite Thema – stärkt. Je größer die Europäische Union wird, desto kurz ein Wort zur Klimapolitik. Der Klimawandel wird wichtiger ist es, dass sie sich auf ihre Kernaufgaben kon- immer mehr zu einem Sicherheitsrisiko. Es wäre sträf- zentriert: auf die globalen, länderübergreifenden Heraus- lich, ihn nur als ein Umwelt- und Energieproblem zu be- forderungen. Sie soll aber nicht für Fragen zuständig trachten. Wenn es nicht gelingt, den Klimawandel zu be- sein, die auf nationaler oder regionaler Ebene besser ge- wältigen, dann werden sich die Folgen des Klimawandels regelt werden können. Die Europäische Kommission hat in anderen Regionen direkt bei uns in Europa auswirken, immer wieder Gesetzgebungsvorschläge gemacht – ich zum Beispiel durch Flüchtlingsbewegungen, aber auch denke hier etwa an die Antidiskriminierungspolitik –, indem wir in Konflikte um Wasser, Land und Nahrung hi- bei denen eine Zuständigkeit der EU kaum zu erkennen neingezogen werden. Wir müssen unbedingt die im letz- ist. ten Jahr beschlossenen Emissionsreduktionsziele erfül- len, wir müssen erreichen, dass unsere Partnerländer, dass (Beifall bei der CDU/CSU) die Schwellen- und Entwicklungsländer mehr als bisher Als nationale Parlamente haben wir jetzt die Chance, da- für den Klimaschutz tun, und wir brauchen einen europä- für zu sorgen, dass die EU-Politik wieder bürgernäher ischen Ansatz zur Konfliktprävention und zum Krisen- wird. Dann müssen wir unsere Rechte aber auch nutzen management, um den durch den Klimawandel hervorge- und die im Begleitgesetz geschaffenen Kontrollmöglich- rufenen Herausforderungen zu begegnen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15841

Dr. Andreas Schockenhoff (A) Ein drittes Thema: Wir müssen möglichst bald die Für die Europapolitik ist es wichtig, die mittleren und (C) Verhandlungen mit Russland über ein Folgeabkommen kleinen Staaten frühzeitig einzubinden. Das ist bei zum Partnerschafts- und Kooperationsabkommen begin- 26 Partnerstaaten oft mühsam und nicht immer einfach; nen. Die Energiethematik wird dabei eines der wichtigen aber die deutsche Präsidentschaft hat gezeigt, dass es Themen sein, aber auch Themen wie Demokratie, möglich ist. Nichts ist kontraproduktiver für Europa, als Rechtsstaatlichkeit, Medienfreiheit und Ausbau der zi- wenn die großen eine Politik über die Köpfe der mittle- vilgesellschaftlichen Zusammenarbeit müssen vorange- ren und kleinen Staaten hinweg betreiben. bracht werden. Der künftige Präsident Medwedew hat Ich fasse zusammen: Der Lissabonner Vertrag ist ein dazu bemerkenswerte Reden gehalten und Aussagen ge- guter Vertrag, der Europa voranbringen wird. macht, die wir begrüßen. Wir hoffen, dass er sie in die Tat umsetzt; sonst wird er das selbstgesteckte Ziel einer Vielen Dank. umfassenden Modernisierung von Wirtschaft, Staat und (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Gesellschaft in Russland nicht erreichen. Ich sage aber des Abg. Markus Löning [FDP]) auch, dass wir ein klares Interesse an einem politisch und wirtschaftlich modernen Russland haben. Deswegen sollten wir Medwedews Modernisierungsvorhaben un- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: terstützen und nicht nur als Zuschauer begleiten, zumal Nächster Redner ist der Kollege Professor Dr. Lothar Russland uns braucht. Dadurch haben wir Einfluss. Da- Bisky, Fraktion Die Linke. bei werden wir Medwedew und seine wiederholte Beto- (Beifall bei der LINKEN) nung von Rechtsstaatlichkeit, freien Medien und einer starken Zivilgesellschaft beim Wort nehmen. Das tun wir beispielsweise dadurch, indem wir einfordern, dass das Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE): Gesetz über Nichtregierungsorganisationen geändert Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Nie- wird. Das ist ein bürokratisches Monstrum, das dem derländer und Franzosen haben in Referenden die ur- Staat nach wie vor viel Raum für Willkür bietet. sprüngliche EU-Verfassung abgelehnt. Sie wollten eine Verfassung für Europa Alle drei Themen – Energie, Klima, Russland – wer- (Zuruf von der CDU/CSU: Das war gestern!) den Schwerpunkte auch der französischen EU-Ratspräsi- dentschaft im zweiten Halbjahr sein. Diese Herausforde- – ja, das war gestern, aber man darf sich daran erinnern –, rungen zeigen, wie wichtig es ist, dass der deutsch- aber sie wollten keinen Sargdeckel für den Sozialstaat; französische Motor rundläuft. Deutschland und Frank- sie wollten nicht, dass Aufrüstung und eine gescheiterte (B) reich waren seit Beginn der europäischen Einigung der Wirtschaftspolitik Verfassungsrang erhalten. (D) Motor des Einigungsprozesses und werden es auch wei- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert terhin sein. Wann immer sich Deutschland und Frank- Winkelmeier [fraktionslos] – Renate Künast reich nicht einig waren, lief nichts in der Europäischen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie stimmt Union; wenn sie sich einig waren, kam die Europäische denn die Linke in Berlin ab? Gegen den Ver- Union voran. Deshalb begrüßen wir, die CDU/CSU, es trag, Herr Bisky?) außerordentlich, dass es Ihnen, liebe Frau Bundeskanzle- rin, vor wenigen Tagen gelungen ist, mit Präsident Es gibt weitere Gründe. Sarkozy in Hannover eine europäische Lösung für das Die Regierenden verordneten sich eine Denkpause, Projekt einer Union für das Mittelmeer zu vereinbaren. aus der sie bis heute nicht herausgefunden haben. Das Alles andere wäre ein Rückschlag gewesen. Ergebnis: Die Europäerinnen und Europäer bekommen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Fritz jetzt einen Vertrag, in dem erneut Aufrüstung und eine Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gescheiterte Wirtschaftspolitik die Grundrichtung be- wird in Frankreich ganz unterschiedlich be- stimmen. wertet!) (Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Diese alten Hüte! – Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Von – Die politische Bewertung der Europapolitik durch die gescheiterter Wirtschaftspolitik verstehen Sie Bundeskanzlerin und durch den französischen Präsiden- etwas!) ten ist einheitlich, und das ist das Entscheidende. Wir werden sehen, was dabei herauskommt. Der Konventspräsident Giscard D’Estaing sagte, der Vertrag von Lissabon sei ein alter Brief in einem neuen (Lachen bei Abgeordneten des BÜND- Umschlag. NISSES 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glaubt (Zuruf von der CDU/CSU: Wie die PDS!) doch kein Mensch! – Jürgen Trittin [BÜND- Ich frage mich: Fürchten sich die Regierenden vor den NIS 90/DIE GRÜNEN]: Weiß das Herr Europäern, oder haben die Europäerinnen und Europäer Sarkozy?) Grund, sich vor diesem Vertrag zu fürchten? Wir brauchen eine starke französische Präsidentschaft, (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert die sich frühzeitig mit Deutschland abstimmt. Winkelmeier [fraktionslos]) 15842 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Dr. Lothar Bisky (A) Bis heute liegt kein lesbarer Vertrag vor. Wir alle Eine Lehre aus der europäischen Geschichte lautet: (C) brauchen einen Steuerberater; wahrscheinlich werden Wir dürfen Freiheit und Gerechtigkeit nie wieder tren- wir alle auch einen Europaberater brauchen. Ohne euro- nen. päische Öffentlichkeit gibt es keine europäische Demo- (Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Das sagen kratie. Sie?) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Wir müssen sie zusammen denken. Winkelmeier [fraktionslos]) Meine Damen und Herren von der Koalition, mit dem Sicher: Mit dem europäischen Bürgerbegehren wird Vertrag von Lissabon schaffen Sie eine Aufrüstungs- mehr direkte Demokratie in Europa eingeführt; soziale verpflichtung. Bewegungen erhalten von der EU ein Gestaltungsinstru- ment. Das begrüßen wir ausdrücklich. Es ist aber ein (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Armutszeugnis, dass es bei einem so einschneidenden Winkelmeier [fraktionslos] – Widerspruch bei Vertragswerk zu einer eklatanten Missachtung des Volks- der CDU/CSU und der SPD – Markus Löning willens kommt. Darum fordert die Linke Volksabstim- [FDP]: Das ist demagogischer Mist, den Sie da mungen in allen EU-Ländern, verzapfen!) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Ich zitiere den Direktor der EU-Verteidigungsagentur, Winkelmeier [fraktionslos]) Alexander Weis. Im Handelsblatt vom 27. November 2007, auf Seite 7, hat er das Jahr 2008 zum Jahr der Auf- am besten am selben Tag, damit Europa auf der Zustim- rüstung erklärt. Ich frage Sie: Wer bedroht Europa mung seiner Menschen aufbauen kann. heute? (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Sie bedro- NEN]: Wie stimmen Sie dann ab, Herr Bisky? hen Europa!) Wie Harald Wolf mit Nein?) Wir als Linke meinen: Wir brauchen weder Innenminis- Wir sehen durchaus Verbesserungen gegenüber dem ter, die in unsere Computer kriechen, noch darf sich Eu- Vertrag von Nizza: Die Charta der Grundrechte wird ropa durch Raketen spalten lassen. rechtsverbindlich. Künftig soll eine soziale Querschnitts- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert klausel zur Prüfung aller Rechtsakte auf ihre Sozialver- Winkelmeier [fraktionslos]) träglichkeit gelten. Die Vielfalt der Daseinsvorsorge und der vorrangigen Kompetenz der Mitgliedstaaten wird an- Was wir brauchen, sind viele Jahre der Abrüstung. (B) erkannt. Europol kommt unter parlamentarische Kon- (D) trolle. Haushaltsrechte des Europäischen Parlaments (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Zu werden gestärkt. welchem Thema sprechen Sie?) Wozu brauchen wir eine ständige strukturierte Zusam- (Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Lauter menarbeit? Möchte die EU ihre Battle-Groups innerhalb Gründe, zuzustimmen!) von wenigen Tagen überall in die Welt verlegen? Wollen Bei internationalen Handelsabkommen wird ein parla- die Europäer die strenge Bindung an die UN-Charta lö- mentarisches Vetorecht eingeführt. Und: Die Mitbestim- sen? mungsrechte des Europäischen Parlaments werden von (Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Wo leben Sie 20 auf 80 Politikbereiche erweitert. denn eigentlich?) (Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Ein guter Ver- Nur wer meint, immerzu stark zu sein, kann sich die trag! Ein sehr guter Vertrag!) Missachtung des Völkerrechts leisten. Die ursprüngliche Idee der europäischen Integration (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Genau! – war es, Frieden durch Abhängigkeit zu schaffen. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Heute wird überdies eine politische Antwort auf die Glo- NEN]: Was?) balisierung gesucht. Wir stehen vor den Herausforderun- gen des Klimawandels, der Energiesicherheit und der 6 000 Afrikaner – junge Frauen, junge Männer, Kin- Friedenssicherung durch Kooperation. Der Vertrag von der – sind allein im vergangenen Jahr bei dem Versuch Lissabon wird diesen Herausforderungen nicht gerecht. ertrunken, europäisches Festland zu erreichen. Es ist zy- nisch, die Heimat dieser Menschen mit Waren zu über- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert fluten, ihre Sehnsucht nach einer Perspektive aber im Winkelmeier [fraktionslos]) Mittelmeer zu ertränken. Bei allem Positiven: Es fehlt ihm an Zukunftsfähigkeit. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Wir bedauern, dass Sozialstaatlichkeit nicht zu den Wer- Winkelmeier [fraktionslos] – Markus Löning ten der EU gehört und soziale Marktwirtschaft an Wett- [FDP]: Sagen Sie das mal den afrikanischen bewerbsfähigkeit gekoppelt ist. Marktradikalismus leh- Diktatoren!) nen wir ab; das wissen Sie. Ich will deutlich sagen: FRONTEX ist eine humanitäre (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Katastrophe. Wir alle sind aufgefordert, dies zu überwin- Winkelmeier [fraktionslos]) den. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15843

Dr. Lothar Bisky (A) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) Winkelmeier [fraktionslos] – Renate Künast NEN]: Der doppelte Toeloop! – Dr. Andreas [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach! Wenn Schockenhoff [CDU/CSU]: Reiner Populis- es um Agrarsubventionen für die alten LPG- mus!) Betriebe geht, sind Sie auf der anderen Seite!) Ich glaube, dass zwei Fragen wichtig sind, weil sie – Frau Künast, Sie sind gleich dran, dann können Sie das die Menschen in diesem Land bewegen. Die Menschen alles sagen. Es gibt keinen Grund zur Aufregung. machen sich Gedanken über die Frage: Kann die Euro- päische Union unsere zentralen Zukunftsfragen lösen? Die Linke möchte eine Verfassung für Europa, die auf den besten europäischen Traditionen aufbaut: ein sozia- (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Ja!) les, ein wohlhabendes und ein friedliches Europa. Die Fragen der Sicherheit und der ökonomischen Zu- (Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Freiheit!) verlässigkeit sind mit Blick auf die Erreichung der Ziele der Menschen in Europa berechtigt, auf sie muss man Die Bundesregierung hat sich redlich bemüht, die euro- eingehen. Ich will dies noch einmal sehr deutlich sagen: päischen Ideale von Freiheit, Gleichheit und Solidarität Herr Bisky, Sie haben den marktradikalen Neoliberalis- zu stutzen. Das halten wir für falsch. Deshalb lehnen wir mus wieder angesprochen. Wenn Sie sich diesen Vertrag den „Basta!“-Vertrag von Lissabon ab. einmal genau anschauen würden, so würden Sie sehen, Ich danke Ihnen. dass man jedes dieser Argumente widerlegen kann. Un- ter anderem gibt es die soziale Querschnittsklausel in (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Art. 5 des Vertrages. Dort steht: Winkelmeier [fraktionslos]) Bei der … Durchführung ihrer Politik und ihrer Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Maßnahmen Ich gebe das Wort dem Kollegen Rainder Steenblock, – und zwar aller Politiken der Europäischen Union – Bündnis 90/Die Grünen. trägt die Union den Erfordernissen im Zusammen- (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Rainder, hang mit der Förderung eines hohen Beschäfti- jetzt bin ich aber gespannt! Frieden durch Auf- gungsniveaus, mit der Gewährleistung eines ange- rüstung! Grüne Ideale!) messenen sozialen Schutzes, mit der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung sowie mit einem hohen Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Niveau der allgemeinen und beruflichen Bildung (B) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! und des Gesundheitsschutzes Rechnung. (D) Es ist schon ein Schritt in die richtige Richtung, dass Das sind zentrale soziale Erfordernisse, die in dieser auch die Linke in diesem Bundestag verstanden hat – das Verfassung wie in keiner anderen als Querschnittsauf- erkenne ich auch an, Kollege Bisky –: Dieser Vertrag gabe für alle Politikfelder enthalten sind. Als oberstes macht die Zukunft Europas demokratischer und transpa- Ziel steht in Art. 2 Abs. 3 unter dem Stichwort „soziale renter; er stärkt die Beteiligung der europäischen Bürge- Ziele“: Die EU rinnen und Bürger deutlich. All das ist anscheinend Kon- sens in diesem Haus. Das ist gut so – das sage ich auch bekämpft soziale Ausgrenzung und Diskriminie- ganz deutlich in Ihre Richtung, Herr Bisky –; das ist, rungen und fördert soziale Gerechtigkeit und sozia- finde ich, ein Schritt in die richtige Richtung. len Schutz, die Gleichstellung von Frauen und Männern … (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie haben nicht zugehört!) Ich will das gar nicht alles vortragen. Diese zentralen sozialen Ziele sind in keiner anderen Verfassung Euro- Wir als Grüne in diesem Haus haben immer gesagt: pas so intensiv integriert wie in diesem Vertrag. Natürlich wäre es richtig gewesen, über die europäische Verfassung damals ein Referendum zu veranstalten und Schließlich gibt es auch noch die Grundrechtecharta, damit ein Votum in ganz Europa herbeizuführen. Unsere die in zentralen Teilen ebenfalls diese sozialen Grund- Debatte über die Vor- und Nachteile von Referenden ist rechte beschreibt, die nicht nur für die Staaten, sondern aber sehr viel differenzierter als das, was Sie mit Ihrer auch für die Organe der Europäischen Union relevant Forderung nach Referenden auf nationaler Ebene hier sind. In diesem Zusammenhang zitiere ich aus der Be- populistisch einbringen. So einfach ist das nicht. zirkszeitung Die Linke. Friedrichshain-Kreuzberg vom 5. Februar dieses Jahres: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der (Michael Roth [Heringen] [SPD]: Was du alles CDU/CSU) liest!) Mich ärgert es manchmal schon, wie schnell einige Die Charta der Grundrechte ist das modernste Grund- Leute vom autoritären Zentralismus zur direkten Demo- rechtedokument überhaupt. – Das steht in diesem lesens- kratie und Basisdemokratie übergewechselt sind. werten Blatt. Das ist richtig, das unterstützen wir. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – sowie bei Abgeordneten der SPD) 15844 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Rainder Steenblock (A) Das hat Frau Kaufmann geschrieben, die Abgeordnete Parlament macht deutlich, in welch dynamischem Pro- (C) der Linken, die für sie auch im Konvent war. zess der Verfassungsgebung innerhalb der Europäischen Union wir uns bewegen. Vielleicht noch ein Wort zum Militarismus. Wenn man in diesem Vertrag nachliest, was dort zur Sicher- Wie klein und bescheiden hat der Parlamentarismus heits- und Friedenspolitik steht, dann sieht man: Im in Europa begonnen – mit einem beratenden Gremium. Vertrag ist als allererstes Ziel in Art. 2 Abs. 1 verankert: Jetzt haben wir es, auch dank des Vertrages von Lissa- bon, mit einem parlamentarischen Organ zu tun, das in Ziel der Union ist es, den Frieden, ihre Werte und fast allen Politikbereichen, für die die Europäische das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern. Union verantwortlich zeichnet, mit dem Rat gleichbe- Weiter heißt es dann: rechtigt ist. Damit wird deutlich: Die Europäische Union ist eine Union nicht allein der Staaten, nicht allein der In ihren Beziehungen zur übrigen Welt … leistet Regierungen; vielmehr ist sie eine Union der Bürgerin- [sie] einen Beitrag zu Frieden, Sicherheit, globaler nen und Bürger, der Parlamentarierinnen und Parlamen- nachhaltiger Entwicklung, Solidarität und gegensei- tarier. Dafür haben wir viel, lange, intensiv und mühsam tiger Achtung unter den Völkern … sowie zur strik- gearbeitet; es ist ein Erfolg, auf den wir alle gemeinsam ten Einhaltung und Weiterentwicklung des Völker- stolz sein können. rechts, insbesondere zur Wahrung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Hier ist die Friedenspflicht internationaler Politik noch einmal verankert. Eine zentrale Aufgabe der Europäischen Union ist es, sich mit einer demokratischen und gleichzeitig sozialen Auch in dem Kapitel zur Außen- und Sicherheitspoli- Antwort auf die Risiken und die Chancen der Globalisie- tik werden vorrangig, vor den militärischen Konfliktlö- rung zu positionieren. Da sei die kritische Frage erlaubt, sungsmöglichkeiten, die zivilen Möglichkeiten genannt. ob das, was wir institutionell, auch mit dem Vertrag von All das steht in dieser Verfassung. Deshalb unterstützen Lissabon, auf den Weg bringen konnten, ausreicht, um wir diesen Vertrag für die Zukunft Europas. Er spiegelt die EU im globalen Wettbewerb so zu positionieren, dass genau unsere Werte wider. sie den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger voll- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, umfänglich gerecht werden kann. Ich befürchte, dass die bei der CDU/CSU und der SPD) Fortschritte, die wir erzielen konnten, noch nicht ausrei- chen. Aber auch das sollte uns nicht in Pessimismus ver- Als Vertreter der Grünen sage ich hier denjenigen, die fallen lassen, weil wir alle wissen, dass auch mit dem (B) dieses Europa sozialer machen wollen: Wir brauchen Vertrag von Lissabon die Verfassungsgebung in der Eu- (D) mehr soziale Gerechtigkeit, und wir brauchen weitere ropäischen Union nicht an ein Ende gekommen ist. Die Initiativen. Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, nicht nur (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Aha!) hier im Parlament, halten an dem Ziel fest: Wir wollen eine Verfassung für die Europäische Union. Wir wollen, All denjenigen, die dieses Europa – das bezieht sich auf dass die Union der Bürgerinnen und Bürger weiter ge- die Sicherheitspolitik – mit seinen zivilen Konfliktlö- stärkt wird und dass auch der Parlamentarismus in der sungsmöglichkeiten aktiver, attraktiver und auch hand- Europäischen Union noch stärker gefestigt wird, als das lungsfähiger machen wollen, sage ich: Auch Sie haben mit dem Vertrag von Lissabon erfreulicherweise der Fall die Grünen an Ihrer Seite. Das ist überhaupt keine Frage. ist. Dieser Prozess muss weitergehen. Ich sage aber auch sehr deutlich: Diejenigen, die die Grundwerte der Euro- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des päischen Union instrumentalisieren wollen, um daraus Abg. Michael Stübgen [CDU/CSU]) ihr parteipolitisches Süppchen zu kochen, werden unse- Wir müssen zur Kenntnis nehmen – ob uns das passt ren entschiedenen Widerstand finden. oder nicht –, dass das Fundament gemeinsamer Über- Vielen Dank. zeugungen innerhalb der Europäischen Union brüchiger geworden ist. Mit einer EU der 27 ist es schwierig ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, worden, so voranzukommen, wie es die Bürgerinnen und bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Ab- Bürger von uns erwarten. Die Suche nach dem kleinsten geordneten der FDP) gemeinsamen Nenner ist mit 27 natürlich schwieriger als mit sechs, acht oder auch mit 15 Partnern. Dennoch kön- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: nen wir hier im Bundestag zufrieden sein. Ein langer Der nächste Redner ist der Kollege Michael Roth, Weg kann hoffentlich endlich zu einem erfolgreichen SPD-Fraktion. Abschluss gebracht werden. Erinnern wir uns kurz: Der Weg hat, damals noch unter deutscher Präsidentschaft (Beifall bei der SPD) – Ratspräsident war Gerhard Schröder –, mit dem Kon- vent zur Erarbeitung der Grundrechtecharta begonnen. Michael Roth (Heringen) (SPD): Das war das Startsignal für die Verfassungsdebatte. Des- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wegen sind wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemo- Am gestrigen Tag hat das Europäische Parlament feier- kraten besonders stolz auf das, was wir in den vergange- lich seinen 50. Geburtstag begangen. Das Europäische nen Jahren und Monaten erzielen konnten. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15845

Michael Roth (Heringen) (A) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) spielsweise von den Vereinigten Staaten von Amerika (C) propagiert werden. Ich halte zum Beispiel die Vor- Was ist aber jetzt zu tun? Wir alle wissen: Der Vertrag schläge zur Fluggastdaten-Speicherung für inakzeptabel. von Lissabon macht die Europäische Union nicht auto- Darüber müssen wir noch einmal reden. matisch besser. Aber es besteht jetzt eine Chance, dass wir in bestimmten Politikfeldern vorankommen. Das (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP und zentrale Momentum scheint für mich zu sein, dass wir des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) das europäische Sozial- und Gesellschaftsmodell aus- bauen, stärken und intensivieren. Hier ist die Europäi- Das ist nicht unsere Vorstellung von einem sicheren und sche Union noch nicht so weit, wie sie eigentlich sein freiheitlichen Europa der Bürgerinnen und Bürger. müsste. Die Bürgerinnen und Bürger wollen, dass bei ( [FDP]: Unsere auch nicht!) der Lösung von sozialen Problemen, bei der Schaffung von neuen und zukunftsweisenden Arbeitsplätzen die Wir müssen vor allem unsere eigene Rolle als Parla- Europäische Union nicht Teil des Problems, sondern Teil ment neu justieren. Der Vertrag von Lissabon eröffnet der Lösung ist. Hier muss die Europäische Kommission den nationalen Parlamenten neue Chancen der Mitver- in noch stärkerem Maße als bislang das europäische So- antwortung und der Mitwirkung. Es bleibt aber dabei: zialmodell in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten rücken. Die zentrale Aufgabe des Deutschen Bundestages ist es, Wir als Deutscher Bundestag haben diesen Prozess sehr Regierungshandeln innerstaatlich zu kontrollieren. Die aufmerksam und sehr kritisch zu begleiten. Bundesrepublik Deutschland wird im Rat von der Bun- desregierung vertreten. Hier müssen wir kontrollieren (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und versuchen, Einfluss zu nehmen. Ebenso wichtig ist es, liebe Kolleginnen und Kolle- (Beifall bei der FDP) gen, dass wir in außen- und sicherheitspolitischen Fragen zu einem neuen Gemeinsinn kommen. Hier ha- Oftmals gibt es Missverständnisse in Deutschland, ben die großen Mitgliedstaaten Vorbild zu sein. Deswe- was die Subsidiarität angeht. Subsidiarität ist ein gen ist das, was auch unser französischer Partner in den Instrument; aber wir dürfen mit der Keule der Subsidia- vergangenen Monaten geliefert hat, besorgniserregend. ritätskontrolle oder -rüge nicht all das, was uns mögli- Es kann nicht angehen, dass man mit dem Kopf durch cherweise politisch missfällt, zerschlagen. Wir brauchen die Wand will, dass man beispielsweise mit der Mittel- die politische Auseinandersetzung. Wir müssen uns meerunion einen Vorschlag auf den Weg bringt, der eher frühzeitig in den Gesetzgebungsprozess der Europäi- spaltet denn vereint. Wir müssen das gemeinsame Fun- schen Union einbringen. Subsidiaritätsrüge und -kon- dament in der Außen- und Sicherheitspolitik stärken. trolle sind sicherlich wichtige Instrumente. Wir müssen (B) Wir können nicht mit dem Finger auf Tschechien oder aber dafür sorgen, dass es innerhalb der Europäischen (D) andere kleinere Mitgliedstaaten zeigen, wenn gerade die Union keine neuen Blockaden gibt, sondern konstruktive großen Mitgliedstaaten – Deutschland, Frankreich, Mitgestaltung. Hier stehen wir im Wort. Großbritannien – nicht mit gutem Beispiel vorangehen. (Beifall bei der SPD) Diese Glaubwürdigkeit darf von uns erwartet werden. Wenn wir hinsichtlich unserer Überzeugungen nicht glaubwürdig sind, können wir auch nicht mit dem Finger Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: auf andere, wie die Vereinigten Staaten von Amerika Herr Kollege Roth. oder Russland, zeigen. Wir brauchen daher keine großen Solisten in der Au- Michael Roth (Heringen) (SPD): ßen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union. Wir Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. brauchen Teamspieler und die Bereitschaft zum Kom- promiss. Denn weltweit besteht die Erwartungshaltung Es muss uns darum gehen, auch durch personalpoliti- an die Europäische Union: Tragt dazu bei, dass Kon- sche Entscheidungen, die in den nächsten Jahren und flikte präventiv oder mit zivilen Mitteln gelöst werden! Monaten zu treffen sind, die Gemeinschaftsinstitutionen Tragt zu einem anderen Sicherheitsmodell – als dem zur der Europäischen Union zu stärken. Wir brauchen nicht Zeit global dominierenden – bei! Die Europäische Union mehr intergouvernementales Handeln, – sollte diesen Erwartungen gerecht werden. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Beifall bei der SPD) Herr Kollege, Sie sprechen auf Kosten Ihrer Frak- Wir brauchen – das betrifft jetzt einen anderen zentra- tionskollegen. len Politikbereich der Europäischen Union – eine neue Balance zwischen Sicherheit und Freiheit. Die EU Michael Roth (Heringen) (SPD): begreift sich als Raum der Sicherheit, der Freiheit und – sondern eine starke Kommission und ein starkes des Rechts. Ich habe bei einigen Gesetzesinitiativen und Parlament. Deshalb bleibt es beim Slogan der deutschen -vorstößen der EU-Kommission mitunter den Eindruck, Ratspräsidentschaft: Die EU gelingt nur gemeinsam. dass man die Rechte der Bürgerinnen und Bürger zulas- ten einer vermeintlichen Sicherheit opfert. Es muss deut- (Beifall bei der SPD – Dr. Andreas lich werden, dass wir innerhalb der Europäischen Union Schockenhoff [CDU/CSU]: Sehr gut! Hervor- nicht einseitig auf Sicherheitsmodelle setzen, die bei- ragend!) 15846 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: gegenseitige Anerkennung sehr weit geht, aber anderer- (C) Das Wort hat der Kollege Florian Toncar, FDP-Frak- seits die Beschuldigtenrechte und Verfahrensrechte dem tion. nicht gerecht werden. Daran muss gearbeitet werden. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Denn wer gleichzeitig von Freiheit, Sicherheit und Recht Florian Toncar (FDP): spricht, der muss alle diese Werte schützen und nicht die Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! einen mehr und die anderen weniger. Europa ist ein Projekt der Freiheit. Grenzen fallen; Men- schen aus unterschiedlichen Ländern kommen zusam- Natürlich ist der Beitritt zur Europäischen Menschen- men. Jeder Europäer darf sich in ganz Europa frei entfal- rechtskonvention ein wichtiges Signal, das die FDP- ten. Die Unionsbürgerschaft gewährt ihm im ganzen Bundestagsfraktion seit vielen Jahren gefordert hat. Unionsgebiet das Recht dazu. Auch die Verbindlichkeit der Grundrechtecharta ist wichtig für den Grundrechtsschutz in Europa. Aber für Vor diesem Hintergrund finde ich es ein bisschen die gegenseitige Anerkennung ist beides nicht ausrei- schade, dass diese Errungenschaften in Ihrer wenig in- chend. Die EMRK gilt in ganz Europa für alle Mitglied- spirierenden Rede, Herr Kollege Bisky, nicht gewürdigt staaten schon sehr lange. Trotzdem gibt es noch deutli- worden sind. Ich glaube, dass Sie einen eher öden Vor- che Unterschiede bei den Standards in den trag über alle Vorurteile – seien sie auch noch so platt –, Strafverfahren. Die Grundrechtecharta wird für europäi- die es über Europa gibt, gehalten haben. Das wird Eu- sches Recht gelten, aber nicht bei Strafverfahren auf na- ropa nicht gerecht. tionaler Ebene. Das bedeutet, dass wir in dem neuen Ver- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten trag – wenn er in Kraft tritt – zwingend von der der SPD) Ermächtigung Gebrauch machen und die angesproche- nen Verfahrensgarantien auf europäischer Ebene schnell Europa stärkt nämlich nicht nur unsere Wettbewerbs- weiter harmonisieren müssen, wenn wir die gerichtli- fähigkeit – das tut es zweifelsohne –, sondern Europa chen Entscheidungen gegenseitig anerkennen wollen. fördert insgesamt die gegenseitige Toleranz von Men- schen unterschiedlicher Herkunft, die Fähigkeit, sich auf (Beifall bei der FDP) Menschen anderer Kulturen, anderer kultureller Her- Ich möchte noch eine Bemerkung zum Thema Subsi- kunft einzulassen. Ich glaube, dass diese Fähigkeit, an- diarität machen. Das ist ein Thema, auf das wir mehr dere Kulturen zu verstehen und auf andere Menschen achtgeben müssen. Früher war völlig klar: Europa hat einzugehen, eine der Schlüsselqualifikationen im Zu- eher ein Defizit bei den Kompetenzen. Heute sind die (B) sammenhang mit der Globalisierung insgesamt ist. Eu- Kompetenztitel des Vertrages sehr weitgehend. Jetzt (D) ropa liefert sie uns gratis, und dafür sollten wir etwas geht es um eine sinnvolle Abgrenzung dessen, was eher dankbarer sein. dezentral, regional, auf nationalstaatlicher oder europäi- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten scher Ebene gelöst werden soll. Dieses Prinzip muss der CDU/CSU) ernst genommen werden. Es ist eine der Schlüsselfragen bei der Weiterentwicklung der Europäischen Union, wie Dieses Europa wird mit dem Lissabonner Vertrag viel regionale Vielfalt noch möglich und erlaubt ist und wieder handlungsfähig – das ist gut. Denn wir haben in welchen Bereichen es gar keine andere Möglichkeit sehr lange über Verfahren und die Verfassung gestritten. gibt, als europaweit einheitliche Regelungen zu treffen. Aber das ist ja auch der Weg, den man gehen muss, um die bestehenden Probleme anzupacken. In den letzten Jahren hat es immer wieder Versuche gegeben, EU-Kompetenzen auszudehnen, die wir als Ich möchte einen Bereich als Beispiel nennen, in dem wenig sinnvoll erachtet haben. Es gab beispielsweise wir sehr viel zu tun haben werden, den Raum der Frei- den Streit um das Thema Bodenschutz. Im Strafrecht gab heit, der Sicherheit und des Rechts in Europa. In 27 Mit- es immer weiter reichende Kompetenzen, die zum Teil gliedsländern der Europäischen Union herrscht Bewe- nicht einmal auf einer klaren vertraglichen Grundlage gungsfreiheit. Das ist großartig, aber das macht mehr beruht haben. Jetzt liegen Vorschläge für eine Auswei- Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten und mehr tung des Antidiskriminierungsschutzes in Europa auf Koordination auf europäischer Ebene notwendig. dem Tisch. Wir glauben, dass wir das Subsidiaritätsprin- Der Lissabonner Vertrag vertieft die bestehende Zu- zip in diesen Bereichen in Zukunft strikter anwenden sammenarbeit in der Innen- und Rechtspolitik. Das und besser beachten müssen. zentrale Prinzip sowohl im zivilrechtlichen als auch im (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) strafrechtlichen Bereich ist das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Art. 81 Die Kompetenztitel dieses Vertrages und auch die For- und 82 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäi- mulierung des Subsidiaritätsprinzips in Art. 5 des EU- schen Union. Auf der einen Seite ist also die gegensei- Vertrages sind nicht besonders klar. Sie lösen diesen tige Anerkennung zwingend vorgesehen. Auf der ande- Konflikt nicht, sondern machen es nötig, dass wir diesen ren Seite fehlt es aber immer noch an auch im Vertrag angelegten Konflikt bei jeder einzelnen Mindestvorschriften für ein faires Strafverfahren, für Be- Sachfrage wieder von Neuem austragen und ausdiskutie- schuldigtenrechte und Datenschutz in ganz Europa. Aus ren. Dieses Parlament sollte sich das Recht herausneh- unserer Sicht kann es nicht angehen, dass einerseits die men, sehr selbstbewusst zu sagen: Es gibt Bereiche, in Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15847

Florian Toncar (A) denen man uns die Regelungskompetenz nicht wegneh- tragstext zu verstehen. Dieser Umstand lässt allerdings (C) men muss, weil sie auch auf nationaler Ebene sehr ver- tief blicken. nünftig geregelt werden können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ging darum, in Europa Handlungsfähigkeit zu- rückzugewinnen. Diese Handlungsfähigkeit haben wir Von diesem Recht muss der Bundestag Gebrauch ma- zurückgewonnen. Wir haben die Strukturen verschlankt. chen. Wir verringern die Zahl der Kommissare. Obwohl mög- licherweise weitere Staaten der EU beitreten werden, Ein weiterer Punkt ist: Der Europäische Gerichtshof wird die Zahl der Parlamentarier begrenzt. Wir haben hat bisher bei allen Kompetenzfragen eine große Zu- mehr und mehr sogenannte Mitentscheidungsverfahren rückhaltung an den Tag gelegt und gesagt: Wir entschei- des Parlaments bzw. Mehrheitsentscheidungen statt des den das nicht; wenn die Regierungen im Rat sagen, dass zähen Einstimmigkeitsprinzips. Diese Aufzählung etwas auf europäischer Ebene geregelt werden muss, könnte man beliebig fortsetzen. dann wird es schon so sein. – Diesen Beurteilungsspiel- raum möchte ich dem Rat nicht mehr zugestehen. Ich Zunächst musste das Fundament, auf dem Europa glaube, dass der Europäische Gerichtshof nicht darum aufgebaut wurde, ein Haus mit sechs bzw. zwölf Mit- herumkommen wird, eine klare Doktrin zu entwickeln, gliedstaaten tragen. Mittlerweile wohnen in diesem Haus wie er das Subsidiaritätsprinzip anwendet. Ich verbinde 27 Mitgliedstaaten. Das Fundament hat daher nicht mehr mein positives Votum zum Vertrag mit der klaren Erwar- getragen. Dies gilt erst recht, wenn möglicherweise mit tung, dass der Gerichtshof das tun wird und auch meine Kroatien noch ein 28. Mitglied hinzukommt. Diesem Rechte als Mitglied eines nationalen Parlaments durch Umstand müssen wir Rechnung tragen. konsequente Anwendung des Vertrages schützt. Hier haben wir den entscheidenden Schritt nach vorne (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten getan. Wir haben insgesamt zu mehr Transparenz gefun- der CDU/CSU) den. Die demokratische Teilhabe wird gestärkt, sodass erstmalig der Deutsche Bundestag und auch die Bundes- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: länder mehr Mitsprachemöglichkeiten haben. Um es im Klartext zu sagen: Daraus erwächst auch ein hohes Maß Ich gebe dem Kollegen Gunther Krichbaum, CDU/ an Verantwortung für uns Parlamentarier. Das geht bis in CSU-Fraktion, das Wort. die einzelnen Fachausschüsse hinein. Wir können es uns (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) mit dem Thema Europa nicht mehr so leicht wie in der (B) Vergangenheit machen. Europa strahlt sehr viel stärker. (D) Diesem Umstand müssen wir noch stärker Rechnung tra- Gunther Krichbaum (CDU/CSU): gen, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Gerade in letzter Zeit höre ich vermehrt, wir hätten statt Wir reden sehr häufig über die Grundpfeiler. Dazu ge- eines Vertrages lieber eine Verfassung gehabt. Manche hören auch unsere Errungenschaften wie Frieden und trauern jenen Bestandteilen hinterher, die jetzt nicht Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Das müs- mehr im Vertrag enthalten sind. Ich kann nur davor war- sen wir auch an einem Tag wie heute erwähnen, das kön- nen, dieses Werk kleinzureden. Wir befinden uns heute nen wir nicht oft genug tun. Für mich ist es neben der in der ersten Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zum zweifelsohne historischen Errungenschaft des jetzigen Vertrag von Lissabon. Wir beginnen damit den Ratifizie- Lissabon-Vertrages wichtig, dass wir im Sinne der Bür- rungsprozess. Die Abstimmung darüber hier im Parla- ger auch über andere europäische Errungenschaften ment wird im Ergebnis einen Quantensprung für die sprechen. Das sind für mich der Wettbewerb und die Re- Entwicklung in Europa bedeuten. gelungen in diesem Wettbewerb. Immerhin verdanken wir diesen Regelungen einen einheitlichen europäi- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und schen Binnenmarkt. Wir haben den Euro. Gerade in der SPD) diesen Tagen muss man den Bürgern aufzeigen, wie Ich höre darüber hinaus, der Text sei nicht lesefreund- wichtig genau diese Errungenschaft ist. Ich will nicht lich. Mit diesem Text wurde nie der Anspruch verfolgt, wissen, was in Deutschland an den Tankstellen los wäre, den Literaturnobelpreis zu erringen. Ich kenne kaum je- wenn wir unseren starken Euro nicht hätten. Schließlich manden in Deutschland, der mir erklären kann, wie der wird der Ölpreis auf Dollarbasis abgerechnet. Auch der Motor eines Autos funktioniert. Die meisten setzen sich oft herbeigeschriebene Einbruch im Export ist nicht ein- ins Auto und wollen damit fahren. So ist es auch mit Eu- getreten, weil wir 70 Prozent unseres Exports innerhalb ropa. Nicht die Details dieses Vertrages müssen interes- der Europäischen Union abwickeln und deswegen nicht sieren, sondern der Umstand, dass wir uns damit in Eu- so anfällig sind. Das sind Dinge, die wir dem Bürger be- ropa nach vorne bewegen. greiflich machen müssen; denn das verdeutlicht jedem, dass er die Existenz und Sicherung des eigenen Arbeits- (Zuruf des Abg. Dr. Lothar Bisky [DIE platzes auch Europa zu verdanken hat. So werden die LINKE]) Dinge greifbar und plastisch. – Verehrter Herr Bisky, es bleibt natürlich Ihnen überlas- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sen, einen Steuerberater zu konsultieren, um den Ver- der SPD) 15848 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Gunther Krichbaum (A) Ein zweiter Punkt, den ich in diesem Zusammenhang (Beifall bei der LINKEN – Markus Löning (C) erwähnen möchte, weil er meiner Ansicht nach noch [FDP]: Das ist ja nicht zu fassen!) nicht ausreichend gewürdigt worden ist, ist die Erweite- rung des Schengen-Raums. Es ist auch das Verdienst Herr Steenblock, das, was Sie hier gesagt haben, unseres Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble, dass zeigt, wie sehr sich die Grünen zum Schlechteren ver- man trotz Bedenken in der Öffentlichkeit darauf hinge- ändert haben. wirkt hat, dass sich die Menschen in Europa begegnen (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) können. Das ist wichtig; denn davon profitieren die Bür- ger in Europa. Ich hätte mir gewünscht – mit dieser Be- Wer zu völkerrechtswidrigen Kriegen die Hand hebt, merkung möchte ich zum Schluss kommen –, dass jene, wer in Jugoslawien, im Kosovo mitgemacht hat, hat na- die sich gegen den Vertrag von Lissabon wenden, die türlich kein Problem damit, zu dieser EU-Verfassung Ja möglicherweise sogar vor das Bundesverfassungsgericht zu sagen. Wer als Grüner kein Problem mit dem Krieg ziehen werden – das sage ich, weil ich aus meinem Her- hat, muss zu einem solchen Vertrag natürlich Ja sagen. zen keine Mördergrube machen möchte –, dieser Debatte Schade, dass die Grünen sich so sehr zum Schlechteren beigewohnt hätten; denn der eigentliche Ort der Ausei- verändert haben. nandersetzung ist der Deutsche Bundestag. Die parla- mentarische Willensbildung vollzieht sich nämlich nicht (Beifall bei der LINKEN) in den Kolumnen irgendwelcher Tageszeitungen, son- Die Niederländer und die Franzosen haben die ur- dern hier, im Deutschen Bundestag. Daher hätte ich mir sprüngliche EU-Verfassung abgelehnt. Sie wollten zwar die Anwesenheit dieser Abgeordneten ganz besonders eine Verfassung, aber nicht Sozialabbau, Aufrüstung und gewünscht. eine neoliberale Wirtschaftsordnung mit Verfassungs- Ich denke, wir machen einen großen Schritt in die rang. richtige Richtung. Wenn wir darauf schauen, was wir in (Markus Löning [FDP]: Das ist doch Volks- den letzten 50 Jahren erreicht haben, wenn wir die Er- verdummung, was Sie hier machen!) rungenschaften und Fortschritte sehen und in die Zu- kunft projizieren, dann wissen wir, vor welch großer Zu- Herr Bundesaußenminister, Sie sind nebenher stell- kunft wir stehen; dann wird uns aber auch klar, welche vertretender Vorsitzender einer sogenannten Volkspartei. Fantasien uns manchmal guttäten. Vor wenigen Monaten hat die SPD in Hamburg ein Grundsatzprogramm beschlossen, in dem steht, dass Vielen Dank. man für den demokratischen Sozialismus eintritt. Wer (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- das in ein Programm schreibt, aber zu einer neolibera- (B) neten der SPD und der FDP) len EU-Verfassung Ja sagt, begeht einmal mehr Wort- (D) bruch, in diesem Fall gegenüber der eigenen Partei. Wortbruch wird zum Tagesgeschäft der SPD. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Nächster Redner ist der Kollege Alexander Ulrich, (Beifall bei der LINKEN – Renate Künast Fraktion Die Linke. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie bauen doch die Mauern neu auf, nur an einer anderen (Beifall bei der LINKEN) Stelle!)

Alexander Ulrich (DIE LINKE): Nach den gescheiterten Volksabstimmungen haben Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sich die Regierungen eine Denkpause verordnet. Es Herr Krichbaum, bisher hat nur einer angekündigt, vor wurde eine Pause des Denkens. In den Expertengesprä- das Verfassungsgericht zu ziehen, und der gehört Ihrer chen während der letzten Wochen konnten wir feststel- Fraktion an. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion muss len, dass 90 Prozent des EU-Verfassungsvertrages in ihre Hausaufgaben machen. Machen Sie es aber bitte dem Vertrag von Lissabon steht. Das zeigt, dass die Be- nicht wie die SPD in Hessen: Mobben Sie ihn bitte nicht. hauptung, es handele sich nicht mehr um eine Verfas- Lassen Sie die demokratische Möglichkeit, nach Karls- sung, ein undemokratischer Putsch der EU-Regierungen ruhe zu gehen, zu. war; denn 90 Prozent von dem, was damals darin stand, steht jetzt in den Verträgen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN – Dr. Carl-Christian Unser Leben wird immer stärker von der Europäi- Dressel [SPD]: Von undemokratisch haben Sie schen Union bestimmt. Bis Januar 2009 sollen alle EU- Ahnung!) Länder den Vertrag von Lissabon ratifizieren. Die Völ- ker Europas – das hat mein Kollege Lothar Bisky schon Das ist eine Ignoranz gegenüber der Bevölkerung, insbe- deutlich zum Ausdruck gebracht – sollen aber nicht mit- sondere Frankreichs und der Niederlande. bestimmen, wie die Grundlagen der Europäischen Union Sie wollen keine Volksabstimmungen und auch keine gestaltet werden, obwohl dadurch das Leben und Arbei- Öffentlichkeit, ten der Bevölkerung grundlegend verändert werden. Der Vertrag von Lissabon – ich möchte das wiederholen – ( [SPD]: Sie wollen keine Volks- festigt die undemokratische, neoliberale und militärische demokratie! – Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Entwicklung der Europäischen Union. Wer hat Ihnen das aufgeschrieben?) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15849

Alexander Ulrich (A) weil die Regierung mit ihrer nur auf Wirtschaftsinteres- Friedensmacht, ein Europa des Völkerrechts. Sie wollen (C) sen ausgerichteten Politik gescheitert ist. Wir hoffen, ein Europa der Nokias, der Zumwinkels, dass dieser Vertrag in Irland abgelehnt wird. Nur dann besteht noch die Chance für ein friedliches und soziales (Widerspruch bei CDU/CSU, der SPD, der FDP Europa. An die Bevölkerung Irlands sage ich: Gehen und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie zur Wahl und stimmen Sie mit Nein! der Konzerne und des Finanzkapitalismus. Die soziale Spaltung in den EU-Ländern nimmt im- mer mehr zu. Das ist kein Zufall, sondern Folge von po- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: litischen Entscheidungen. Das Europa der herrschenden Herr Kollege. Eliten will seine unsoziale und neoliberale Politik jetzt vertraglich absichern. Statt europäische Mindestlöhne, Alexander Ulrich (DIE LINKE): das Verbot der Privatisierung von öffentlichem Eigen- Ich komme zum Ende. – Die Menschen wollen Ihr tum und Mindestsozialstandards umzusetzen, wird die Europa nicht. Deswegen lehnen wir den Vertrag von Lis- offene und freie Marktwirtschaft im Vertrag festge- sabon ab. schrieben. Vielen Dank. (Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Lesen Sie es einmal! Dann wissen Sie es besser!) (Beifall bei der LINKEN – Gerd Andres [SPD]: Das war eine Rede von ganz hohem Dies bedeutet den Abbau von Schutzrechten für die Be- Niveau! – Gegenruf der Abg. Renate Künast schäftigten, Dumpinglöhne und auch Steuerdumping. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, von Diese Wirtschaftsordnung widerspricht den Interessen ganz rechts!) der Bevölkerungsmehrheit. Sie dient nur den Banken, Konzernen und Wohlhabenden. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Beifall bei der LINKEN) Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin, Bünd- nis 90/Die Grünen. Wer Armut und Prekarisierung bekämpfen will, muss den Vertrag von Lissabon ablehnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Das ist noch Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): schlimmer als Moskau in den 50er-Jahren!) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber (B) Die Grundfreiheiten führen derzeit zur Unfreiheit Kollege Ulrich, es war schon bezeichnend, dass Sie sich, (D) der Arbeitnehmer. Der EuGH hat auf Grundlage der gel- als Herr Krichbaum unzweifelhaft den leider abwesen- tenden europäischen Verträge die erfolgreichsten Wirt- den angesprochen hat, angesprochen schafts- und Sozialmodelle Europas angegriffen. In gefühlt haben. Finnland und Schweden wurde das Streikrecht mit der (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ Dienstleistungs- bzw. Niederlassungsfreiheit ausgehe- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der belt. Der Europäische Gewerkschaftsbund und die däni- SPD – Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Ge- schen Gewerkschaften fordern daher, den Vertrag von troffene Hunde bellen!) Lissabon nicht zu ratifizieren. Darüber sollten Sie einmal nachdenken. (Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Wie bitte?) (Gerd Andres [SPD]: Das kann er nicht!) Wenn der Gerichtshof die Grundfreiheiten der Unterneh- Ich glaube, wenn Sie darüber nachdenken, kommen Sie men höher bewertet, bedeutet dies, dass Aufträge künftig vielleicht zu dem Ergebnis, dass Sie einmal der Frage nur noch an Mindestlöhne gekoppelt werden dürfen. Da- nachgehen sollten, wie es dazu kommen konnte, dass ein mit werden Mindestlöhne zu Höchstlöhnen. Das ist doch Vertreter Ihrer Fraktion hier erklärt hat, der Vertrag von pervers, das ist Gleichmacherei auf niedrigstem Niveau. Lissabon sei hinsichtlich der Demokratie, der Beteili- gung von Parlamenten und vieler anderer Punkte ohne Sie schaffen eine Aufrüstungsverpflichtung. Der Vor- Zweifel besser als der Vertrag von Nizza. Wenn Sie hier sitzende der EU-Verteidigungsagentur hat das der FA Z sagen, Sie möchten, dass die Iren dafür abstimmen, dass mitgeteilt. Im Protokoll über die zuständige strukturelle der schlechtere Vertrag, der Vertrag von Nizza, in Kraft Zusammenarbeit entmachten Sie die Parlamente. Die bleibt, dann zeugt das nicht von europapolitischer EU möchte ihre Battle Groups – zu Deutsch: Schlacht- Kenntnis, verbände – innerhalb von wenigen Tagen überall in die Welt verlegen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: „Schlachtverbände“?) sondern davon, dass Sie die Dinge nicht zu Ende gedacht haben. Das zeugt auch davon, dass in Ihrer Partei der Wir fordern eine Verfassung für Europa, die an die Prozess, zu einer proeuropäischen Haltung und einem besten europäischen Traditionen anknüpft. Wir wollen Bekenntnis zu Europa zu kommen und den Nationalis- ein soziales und wohlhabendes Europa, ein Europa als mus zu überwinden – dieser nationalistische Gedanken- 15850 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Jürgen Trittin (A) gang ist der Hintergedanke der Klage von Herrn aber als es um eine Agentur für Menschenrechte ging, (C) Gauweiler –, noch ein ganz langer Weg ist. haben Sie angefangen, das zu kritisieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ein anderes Beispiel sind die von Ihnen als ständig und bei der SPD) ausufernd beklagten Regelungen zur Antidiskriminie- rung. Das ist ein Punkt, an dem Sie Europa nicht nur Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Verfas- schlecht verkaufen, sondern den Gedanken auf den Kopf sung müssen wir den Bürgerinnen und Bürgern klarma- stellen. Wenn es etwas gibt, das man aus den Plebisziten chen, worum es dabei geht. Dabei sollten wir uns davor in Frankreich und den Niederlanden lernen kann, dann hüten, das Vorhandene schönzureden. Wir sollten uns ist es, dass die Menschen Europa nicht mehr als einen aber auch davor hüten, die Diskussion mit einfachen Po- Schutz vor den Gefährdungen und Verunsicherungen pulismen zu begleiten. Für das eine wie das andere gibt aufgrund der Globalisierung begriffen haben. Der Ver- es Beispiele. such, einheitliche Standards zur Antidiskriminierung in Heute kann man in der Financial Times ein Beispiel Europa zu schaffen – das hat auch etwas mit Wettbe- der letzteren Art lesen. Der Vorsitzende der CDU/CSU- werbsgerechtigkeit zu tun –, bedeutet doch nichts ande- Fraktion, Herr Kauder, bediente die Vorurteile der ande- res, als den Bürgerinnen und den Bürgern Schutz vor den ren Sichtweise auf Europa unter der Überschrift Anforderungen der Globalisierung und Sicherheit zu „Schluss mit den Anmaßungen“. vermitteln. Das ist eine der Herausforderungen für Europa. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Genauso wie das Bild der Linken von einem militarisier- ten Europa falsch ist, ist Ihr Bild, Herr Kauder, eines Eu- Letzte Bemerkung: Man darf es sich auch in anderer ropas, das sich ständig neue Kompetenzen anmaßt und Hinsicht nicht zu leicht machen. Nur weil jemand sagt, Richtlinien vorschlägt, ein falsches. dass es aufgrund des Klimawandels und der Ressourcen- knappheit ein Sicherheitsproblem geben wird, ist das, (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Da- liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, noch gegen gehen wir jetzt vor!) keine Forderung nach einer Militarisierung der EU. Ich Der Vorwurf von Herrn Kauder ist, dass vor der Erstel- empfehle, einfach einmal nachzulesen, was jemand wie lung von Richtlinien eine Einbeziehung der Bürger Solana zu dieser Frage sagt. Er schlägt zum Beispiel vor, durch den Prozess der Konsultationen stattfindet. Wenn EU-Kapazitäten aufzubauen im Hinblick auf Beobach- es etwas gibt, bei dem man von Europa lernen kann, tung und Frühwarnung über Konfliktprävention und Kri- dann ist es die offene Art und Weise, in der die Kommis- senbewältigung bis hin zum Katastrophenschutz. Es ist (B) sion ihre Richtlinien vor der Verabschiedung in öffentli- doch genau der richtige Ansatz, nicht nachzusorgen, (D) chen Konsultationen zur Schau stellt. sondern durch Prävention und Ursachenbekämpfung das Entstehen gewaltsamer Konflikte aufgrund solcher Risi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – ken zu unterbinden. Zuruf des Abg. Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Davon könnten Sie noch etwas lernen. Dafür sollte man Herr Kollege. Europa loben! Was ist das eigentlich für ein Bild, das Sie da zeichnen? Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir streiten im Rahmen eines gemeinsamen Gesetz- Das ist es, was sich in dem Vertrag von Lissabon, in entwurfs zusammen mit Ihnen – in dem Punkt sind wir der neuen Grundrechtecharta ausdrückt, – einer Meinung – dafür, auch einer Minderheit des Deut- schen Bundestages das Recht einzuräumen, im Zweifel Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: dagegen klagen zu können, wenn Kompetenzen über- Herr Kollege Trittin. schritten werden. (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: So Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ist es!) – und deswegen sagen wir Ja zu diesem Vertrag. Aber interessant sind dann immer die Beispiele, die ih- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nen zu angeblichen Kompetenzüberschreitungen einfal- und bei der SPD) len. (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Was Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: fällt Ihnen denn ein?) Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Kauder. Das wichtigste Thema diesbezüglich war für Sie über Wochen und Monate hinweg offensichtlich, dass es in Volker Kauder (CDU/CSU): Wien eine Agentur für Menschenrechte gibt. Früher hat Herr Kollege Trittin, zunächst einmal begrüße ich, es zwar schon Tausende Agenturen gegeben, ohne dass dass Ihre Fraktion dem Vertragswerk zustimmt und da- Sie sich gerührt haben. mit ein klares Bekenntnis zu Europa abgibt. Wir haben (Michael Roth [Heringen] [SPD]: 29!) in diesem Vertrag genau geregelt, wofür Europa zustän- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15851

Volker Kauder (A) dig ist und wofür Europa nicht zuständig ist. Außerdem (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Jetzt (C) haben wir im Rahmen der Föderalismusreform in kommt das Bekenntnis zur Kernenergie! – Deutschland genau festgelegt, wofür der Bund zuständig Heiterkeit bei der CDU/CSU) ist und wofür die Länder zuständig sind. Daher kann nicht jedes Mal, wenn man meint, dass in einem be- Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): stimmten Fall der Bund zuständig sein sollte, in die Lieber Herr Kollege Kauder, manchmal muss man Kompetenzen der Länder eingegriffen werden. aufpassen, welche Beispiele man anführt. Ein schönes Ich habe in meinem Namensbeitrag ausdrücklich ge- Beispiel, das Sie erwähnt haben, ist die Föderalismus- sagt: reform in Deutschland. Ich habe noch gut in Erinne- rung, was hier geschehen ist. Sie haben eine Föderalis- Beim Natur- und Verbraucherschutz, im Arbeits- musreform beschlossen, deren erklärtes Ziel darin recht und in der Sozial- und Familienpolitik mag es bestand, sicherzustellen, dass es künftig keine Finanz- unterschiedlichen Handlungsbedarf geben. Aber transfers des Bundes an die Länder mehr geben wird, – jetzt kommt der entscheidende Satz; Sie können davon beispielsweise für Ganztagsschulen. ausgehen, dass dies auch die Meinung meiner Fraktion (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ist – NEN]: Hört! Hört!) nicht jedes Problem ist ein Auftrag für die Kommis- Dann stellte Ihre Ministerin Frau von der Leyen fest – übri- sion, immer tätig zu werden, wenn sie glaubt, etwas gens zu Recht –, dass es bei der Kinderbetreuung in besser regeln zu können als die Mitgliedstaaten. Deutschland ein Defizit gibt. Daher mussten Sie einen (Beifall bei der CDU/CSU) Weg vorbei am Grundgesetz und an der von Ihnen ge- rade erst getroffenen Regelung finden, um das dafür Im weiteren Verlauf meines Artikels habe ich gesagt: dringend benötigte Geld bereitstellen zu können. Nicht überall sind einheitliche europäische Lösun- Was lehrt uns dieses Beispiel? Sollte man einem sol- gen automatisch richtig. chen Vorgehen auf europäischer Ebene nacheifern? Ich Gerade Sie, Herr Trittin, müssten diesen Satz unter- glaube, nein. Wir müssen zur Kenntnis nehmen: Es gibt schreiben können. Oder sind Sie etwa der Meinung, dass Dinge, die man gut auf europäischer Ebene regeln kann, wir in Europa zu einheitlichen Auffassungen in der und es gibt Dinge, die man besser vor Ort regeln kann. Energiepolitik kommen sollten, beispielsweise bei der (Manfred Grund [CDU/CSU]: Genau!) friedlichen Nutzung der Kernenergie? (B) Wir sind diejenigen, die an dieser Stelle für ein hohes (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Maß an Dezentralität plädieren. Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Aha! Sehr richtig!) Ich würde es sehr begrüßen, wenn Sie endlich dieser An- sicht wären. Denn bei diesem Thema vertreten Sie eine Wir geben uns aber nicht dem Irrtum hin, dass das ganz andere Auffassung als die Mehrheit der Mitglied- möglich ist, indem man schlanke und einfache Regelun- staaten der Europäischen Union. gen trifft, wie Sie es im Rahmen der Föderalismusreform versucht, aber schlecht gemacht haben. Was man Wir sollten uns an diesem Punkt aber nicht streiten. braucht, sind Mechanismen, die dann, wenn es zu einem Es geht schlicht und ergreifend darum, dass die Men- Konflikt kommt, greifen. Das ist auch der Grund, warum schen in vielen Fällen den Eindruck haben, Europa sei wir die zur Subsidiaritätsklage einer Minderheit getrof- meilenweit von ihnen entfernt. fene Regelung mittragen. (Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Ja! Weil Am Ergebnis kommen auch Sie nicht vorbei: Es ist Sie ihnen das einreden!) mit der Idee eines gemeinsamen Binnenmarktes über- Ich will ein Europa, das auch die Herzen der Bürgerin- haupt nicht zu vereinbaren, dass wir wichtige Parameter nen und Bürger bewegt, nicht nur ihre Köpfe. des Binnenmarktes – ein Beispiel sind die Steuern – dau- erhaft weiterhin entweder national oder nur im Konsens (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- regeln können. Das ist ein Defizit dieses Vertrages, übri- NEN]: Nein! So nicht! Wir brauchen auch die gens ein Defizit, das auch Ihre Fraktion immer kritisiert Köpfe der Menschen und nicht nur ihre Her- hat. In Anbetracht der Situation, dass eine vergemein- zen!) schaftete europäische Regelung ein Defizit hat, sollten Deswegen ist es richtig, Europa den Menschen näherzu- Sie nicht permanent davon reden, Europa würde alles bringen, nicht den Bürokraten. Das war die Botschaft „kleinregulieren“. meines Beitrags. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach was! – Ge- (Beifall bei der CDU/CSU) genruf des Abg. Klaus Uwe Benneter [SPD]: Jetzt hören Sie doch mal zu, Herr Kauder!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Was die Energiepolitik angeht, mache ich mir übri- Herr Kollege Trittin. gens gar keine Sorgen. Über dieses Thema sollten Sie 15852 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Jürgen Trittin (A) einmal mit Ihren österreichischen Parteifreunden von der Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) ÖVP diskutieren. Lieber Kollege Kauder, ich muss Ihnen Nachhilfe ge- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja! Das tun wir! ben. Mit unseren Freunden in Norwegen und Finn- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- land reden wir übrigens auch!) SES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/ Dann werden Sie das Echo auf Ihre Vorschläge bekom- CSU: Oberlehrer! – Dr. Andreas Schockenhoff men. [CDU/CSU]: Herr Magister!) Ich gebe Ihnen ein anderes schönes Beispiel: Sie soll- Es ist doch so: Die Kommission macht Vorschläge, sie ten einmal darüber nachdenken, ob Ihre Form der Ver- hat das alleinige Initiativrecht in Europa. Diese Vor- weigerung einer Regelung europäisch korrekt ist. Wie schläge haben keinerlei Rechtsverbindlichkeit, es sei kann es sein, dass Deutschland das einzige Land ist, – denn, der Rat und, in den meisten Fällen, das Parlament stimmen dem zu. Das heißt, wir haben genau den Zu- stand, dass in Europa seit geraumer Zeit ohne Zustim- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: mung der Mitgliedstaaten nichts geht. Herr Kollege Trittin, Ihre drei Minuten sind ver- braucht. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ist das jetzt die Bewerbungsrede von jemandem, der EU- Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kommissar werden will?) – das darauf verzichtet, zu regeln – Frankreich, die Was Sie gerade belegt haben, ist das alte Vorurteil Beneluxstaaten, Großbritannien machen es uns vor –, über Europa. Das können wir nicht durchgehen lassen. was jemand verdienen muss? Deutschland geht, was die Beschäftigung angeht, einen nationalen Sonderweg, mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dem wir permanent Lohndumping aus Steuermitteln fi- sowie bei Abgeordneten der SPD) nanzieren. Das ist nicht akzeptabel. Nicht die Kommission ist Europa, wir sind Europa; das (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ ist die Wahrheit. DIE GRÜNEN und der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Da haben Sie etwas Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: nicht verstanden!) Zu einer weiteren Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Kauder das Wort. (D) (B) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Gerd Andres [SPD]: Wie geht das denn? – Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Carl-Christian Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Dann können Dressel, SPD-Fraktion. wir ja alle gehen!) Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Volker Kauder (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ohne Frau Präsidentin! Herr Trittin, ich möchte nur auf ei- jetzt eine Replik geben zu wollen, möchte ich anknüpfen nen Ihrer Punkte eingehen. Sie haben das Beispiel der an das, was Herr Trittin gesagt hat: Gerade wenn man Kinderkrippen angesprochen. mit Vorurteilen gegenüber Europa aufräumen will, ge- (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wir haben rade wenn man darstellen will, dass Europa etwas ist, hier keine Hamburger Koalitionsverhandlun- was jeden angeht, muss man feststellen: Der Vertrag von gen!) Lissabon ist ein wichtiger Schritt, weil Europa mit die- sem Vertrag transparenter, effizienter und vor allem de- Es ist durchaus richtig, dass man über die Kompetenzzu- mokratischer wird. weisung sprechen muss. Aber dann muss die Europäi- sche Kommission bereit sein, sich mit uns zusammenzu- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) setzen und sich mit uns zu einigen, wie wir es mit den Wir erleben auch einen weiteren wichtigen Entwick- Ländern gemacht haben. Dann können wir den Vor- lungsschritt: Nachdem sich die Europäische Union schlag miteinander umsetzen. Aber die Europäische schon einige Zeit als Raum der Freiheit, der Sicherheit Kommission setzt sich nicht mit uns zusammen, sie kün- und des Rechts versteht, sind jetzt in Art. 2 des EU-Ver- digt einfach an, was sie machen will. Hier unterscheidet trages die Werte aufgeführt, auf die sich die Union stützt, sie sich von unserer Vorgehensweise. Werte wie Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Achtung der Menschenwürde. Für eine Gemeinschaft, Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Das ist die ursprünglich als Europäische Wirtschaftsgemein- nicht wahr! So ein dummes Zeug!) schaft gegründet wurde, ist diese Entwicklung zu einer Wertegemeinschaft etwas, was mit uns Sozialdemokra- ten der überwiegende Teil des Hauses nur gutheißen Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: kann. Herr Kollege Trittin, Sie dürfen noch antworten; aber dann beenden wir dieses Gespräch. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15853

Dr. Carl-Christian Dressel (A) In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen Drittens. Durch eine Änderung von Art. 45 des (C) werden, dass durch den Vertrag von Lissabon die Charta Grundgesetzes wird der Ausschuss für die Angelegen- der Grundrechte für die Institutionen der EU erstmals heiten der Europäischen Union zur Wahrnehmung der Rechtsverbindlichkeit erhält. Ich wage aber vorauszusa- Rechte ermächtigt, die dem Deutschen Bundestag in den gen: Wenn die Charta der Grundrechte gegenüber den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union ein- Institutionen der EU gilt, dann wird sich im Sinne eines geräumt werden. Jus Communae Europaeum auch eine Entwicklung in die nationalen Verfassungsräume abzeichnen, so wie es Viertens. Um einen Gleichklang im Rahmen des Op- jetzt schon ein fruchtbares Miteinander im deutschen positionsschutzes, der im System des Grundgesetzes für Verfassungsraum auf Bundes- und Länderebene gibt. die Bundesrepublik Deutschland angelegt ist, zu ge- währleisten, wird das für Normenkontrollanträge maß- Gleichzeitig wird im Rahmen der Stärkung der natio- gebende Quorum nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 Grundgesetz nalen Parlamente allerdings auch das Europäische Parla- von einem Drittel auf ein Viertel angepasst, wie es schon ment weiter gestärkt. Dies haben wir als Parlamentarier bei der Einsetzung von Untersuchungsausschüssen vor- seit Jahren gewünscht. Das gilt sowohl für uns als auch geschrieben ist und wie es auch künftig bei der Erhebung für die Kolleginnen und Kollegen des Europäischen Par- der Subsidiaritätsbeschwerde vor dem Europäischen Ge- laments. Wir können uns erfreut darüber zeigen, dass ge- richtshof geregelt wird. rade diese Fortschritte während der deutschen EU-Rats- Das ist ein vernünftiger und rechtssicherer Weg, der präsidentschaft im Jahre 2007 beschlossen worden sind. sich in der Tradition unseres Parlaments und seines Vor- Zu den Fortschritten gehört auch, dass die Opposition gängers befindet. Am 8. September 1948 hat Carlo im Deutschen Bundestag mehr Rechte erhält, oder – wie Schmid im Parlamentarischen Rat ausgeführt – ich zi- es Nikolai Fichtner in der Financial Times Deutschland tiere –: formuliert hat – „Mehr Macht für Opposition im Bun- … daß die drei Staatsfunktionen Gesetzgebung, destag“. Es besteht die Möglichkeit, dass die Opposition, ausführende Gewalt und Rechtsprechung in den wenn sie über ein bestimmtes Quorum der Mitglieder Händen gleichgeordneter, in sich verschiedener Or- des Deutschen Bundestages verfügt, gegen europäische gane liegen, und zwar deswegen in den Händen Vorhaben mit der Subsidiaritätsklage vorgehen kann. verschiedener Organe liegen müssten, damit sie Ich denke, dieses Oppositionsrecht ist beispielhaft und sich gegenseitig kontrollieren und die Waage halten fraktionsübergreifend begrüßenswert. können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dieses von Carlo Schmid definierte Ideal können wir der CDU/CSU) (B) durch den EU-Reformvertrag auf die europäische Ebene (D) Wir hoffen, dass wir mit der heutigen Debatte den Ra- ausweiten; denn die Möglichkeit einer verbesserten ge- genseitigen Kontrolle auf europäischer wie auf nationa- tifizierungsprozess beschleunigen können. Die Bundes- regierung hat den Gesetzentwurf am 19. Dezember 2007 ler Ebene ist gegeben. Lassen Sie uns ein fraktionsüber- beschlossen. Ich gehe davon aus, dass gerade von der greifendes Signal für dieses Ziel aussenden. Ich wünsche, dass jede demokratisch und wahrhaft euro- deutschen Ratifizierung eine besondere Signalwirkung ausgeht. Wir wollen, dass der Ratifizierungsprozess in päisch gesinnte Fraktion in diesem Haus den vorgelegten allen Mitgliedstaaten – an die „Linken“ gerichtet füge Gesetzentwürfen zustimmt, sodass wir Einstimmigkeit erreichen. ich hinzu: inklusive Irland – zügig und positiv verläuft, damit der Vertrag zu Beginn des nächsten Jahres in Kraft Ich danke Ihnen. treten kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Was wir als Bundesrepublik Deutschland dazu beitra- der CDU/CSU) gen können, das tun wir auch. Neben der Ratifikation des Vertrages von Lissabon und der Verabschiedung des Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: sogenannten Begleitgesetzes müssen wir unser Grund- Nächster Redner ist der Kollege Thomas Silberhorn, gesetz behutsam anpassen, um die Ziele zu erreichen, CDU/CSU-Fraktion. die wir mit dem Begleitgesetz verfolgen: (Beifall bei der CDU/CSU) Erstens. Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes sieht vor, durch die Einfügung eines Abs. 1 a in Art. 23 das Recht des Bundestages und des Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Bundesrates auf Erhebung der Subsidiaritätsklage im Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Grundgesetz zu verankern und im Rahmen des Opposi- Herren! Das erklärte Ziel des Vertrages von Lissabon ist tionsschutzes die Pflicht des Bundestags einzuführen, es, die Europäische Union der 27 Mitgliedstaaten hand- auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder die Erhebung lungsfähiger und demokratischer zu machen. Diesem der Subsidiaritätsklage zu beschließen. Ziel kommen wir, wie ich meine, ein gutes Stück näher. Mehr Handlungsfähigkeit wird durch die Vereinfachung Zweitens. Das Mehrheitsprinzip wird in einzelnen der Entscheidungsprozesse erreicht, beispielsweise Fällen modifiziert, sodass wir im Begleitgesetz in Ein- durch die Ausweitung der Beschlüsse mit qualifizierter zelfällen die Zweidrittelmehrheit anstelle der im Hause Mehrheit, aber auch durch die institutionellen Verände- üblichen einfachen Mehrheit festschreiben können. rungen. Das ist in einer erweiterten Europäischen Union 15854 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Thomas Silberhorn (A) unabdingbar. Mehr Demokratie schaffen wir durch eine Partner der Parlamente entwickelt; denn die Instrumente, (C) Stärkung der Parlamente, sowohl durch eine Aufwertung die uns der Vertrag von Lissabon zuweist, bedeuten ein des Europäischen Parlaments, das in vielen Fällen am Stück Mitverantwortung der nationalen Parlamente für Mitentscheidungsverfahren beteiligt wird, als auch die europäische Politik. Die Mitverantwortung der natio- durch eine stärkere Beteiligung der nationalen Parla- nalen Parlamente muss dazu führen, dass die bislang mente. Beides, mehr Handlungsfähigkeit und mehr De- recht exekutivlastige Rechtsetzung in der Europäischen mokratie, bedingen aber auch einander. Wenn man die Union ein Stück weit parlamentarisiert wird, und zwar Handlungsfähigkeit der Europäischen Union stärken durch die bessere Beteiligung des Europäischen Parla- will, dann erfordert das geradezu, dass man auch mehr ments wie der nationalen Parlamente. Demokratie schafft, und zwar dadurch, dass man die Be- teiligungsrechte des Europäischen Parlaments wie der Dies wird sich am Ende selbstverständlich auch in der nationalen Parlamente stärkt. Ich glaube, das ist ein Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nieder- wichtiges Signal des Vertrages von Lissabon. schlagen müssen. Es ist dessen Verantwortung, dafür zu sorgen, dass das Subsidiaritätsprinzip justiziabel wird Über die Instrumente, die den nationalen Parlamenten und mit Inhalten ausgestattet wird. Eine wirksame Kom- an die Hand gegeben werden – die Subsidiaritätsrüge petenzbegrenzung muss auch in der Rechtsprechung des und die Subsidiaritätsklage –, haben wir mehrfach debat- Europäischen Gerichtshofs zum Tragen kommen. Au- tiert. Ich bin nach wie vor skeptisch, ob der sehr hohe ßerdem muss ein gewisses Verständnis dafür entwickelt formale Aufwand der Subsidiaritätsrüge – innerhalb von werden, dass nicht jedes Tätigwerden eines Ministers im acht Wochen muss eine Stellungnahme abgegeben wer- Ministerrat mit der parlamentarischen Mehrheit gleich- den und ein bestimmtes Quorum der nationalen Parla- zusetzen ist, der dieser Minister zu Hause verpflichtet mente erreicht werden – gerechtfertigt ist. Wir werden ist. Da kann es durchaus Unterschiede geben. Deswegen bei der Wirkung der Subsidiaritätsrüge sehr genau hin- ist die Wahrung der Handlungsspielräume der nationalen sehen müssen. Nach meiner Einschätzung liegt ihre Wir- Parlamente unsere Aufgabe als Wächter des Subsidiari- kung weniger in den einzelnen Verfahren als im Allge- tätsprinzips und zugleich eine Aufgabe des Europäi- meinen darin, dass wir mit diesem Instrument eine schen Gerichtshofs, dies in seiner Rechtsprechung eben- höhere Sensibilität der nationalen Parlamente für euro- falls zu berücksichtigen. päische Politik schaffen können. Aber wir können damit umgekehrt auch eine höhere Sensibilität der europäi- (Beifall bei der CDU/CSU) schen Institutionen für die Belange der nationalen Parla- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben mente erreichen. Mit wesentlich mehr Hoffnung sehe ich in der Umsetzung des Vertrages von Lissabon Regelun- die Subsidiaritätsklage, die wir – völlig zu Recht – im gen gefunden, die europaweit Maßstäbe setzen. Es (B) Deutschen Bundestag als ein Minderheitenrecht eines kommt uns darauf an, dass wir unsere neuen Instrumente (D) Viertels der Mitglieder des Hauses ausgestalten. Das ist aus dem Vertrag von Lissabon im Bundestag wirkungs- die einzig sachgerechte Lösung. Das haben auch die Ex- voll wahrnehmen und gleichzeitig gegenüber der eige- pertengespräche im Europaausschuss ergeben. nen Bundesregierung eine starke Mitwirkung des Bun- Vor diesem Hintergrund werden sich auch die Rolle destages verankern. der Kommission und die Rolle des Europäischen Ge- (Beifall des Abg. Markus Löning [FDP]) richtshofs verändern müssen. Die Europäische Kommis- sion wird sehr viel genauer als bisher begründen müssen, Dass dies gelungen ist, ist für viele Kolleginnen und warum sie auf europäischer Ebene aktiv wird. Herr Kollegen die Voraussetzung dafür gewesen, dem Vertrag Trittin, hier muss in der Tat mit mancherlei Anmaßung von Lissabon am Ende zustimmen zu können. Die Kom- Schluss sein, die die Europäische Union bislang im Rah- petenzübertragung, die wir auf die europäische Ebene men der Kommission begeht; denn die Interpretation des vornehmen, wird durch eine stärkere Mitwirkung des Subsidiaritätsprinzips kann nicht sein, dass es immer Bundestages auf nationaler Ebene gewissermaßen kom- dann besser ist, wenn die Europäische Union tätig wird. pensiert. Das bedeutet eben eine stärkere Mitwirkung Das haben wir an der Bodenschutzrichtlinie gesehen. nicht nur auf europäischer Ebene, sondern auch gegen- Hier wird die Tätigkeit der Europäischen Union damit über der eigenen Regierung. begründet, dass in einem Fluss die Flussablagerungen flussabwärts die Grenze überschreiten könnten. Es Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: grenzt schon an Absurdität, mit einem solchen Argu- Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen. ment das Tätigwerden auf europäischer Ebene zu be- gründen. Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Die Europäische Kommission wird sich künftig sehr Hier wird dem Bundestag nicht nur eine Kontroll- viel mehr anstrengen müssen. Es reicht eben nicht aus, funktion, sondern auch eine konstruktive Rolle, eine ge- darauf zu verweisen, dass es besser ist, etwas auf euro- staltende Funktion, eingeräumt. Im Ergebnis wird dies päischer Ebene gemeinsam zu regeln. Die Europäische dazu beitragen, dass europäische Politik auf höhere Ak- Kommission muss vielmehr auch darlegen, dass eine be- zeptanz stoßen kann, wenn sie durch die Parlamente der stimmte Materie durch die Mitgliedstaaten nicht ausrei- Mitgliedstaaten in größerem Umfang als bisher mitgetra- chend geregelt werden kann. Insoweit setze ich manche gen und gestaltet wird. Hoffnung auf den Europäischen Gerichtshof. Ich wün- sche mir, dass sich der Europäische Gerichtshof zum Vielen Dank. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15855

Thomas Silberhorn (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Besser gesagt: Sie sind auf Bundesebene, was Europa (C) neten der SPD) anbelangt, untauglich. Das ist die ganz klare Feststel- lung, die wir hier treffen müssen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Das Wort hat der Kollege Axel Schäfer, SPD-Frak- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Markus tion. Löning [FDP]: Die sind überhaupt untaug- (Beifall bei der SPD) lich!) Eines geht bei dieser Diskussion, die Gott sei Dank Axel Schäfer (Bochum) (SPD): vielfältig war und bei der sich nicht nur breiter Jubel Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bahn gebrochen hat, natürlich auch nicht, nämlich dass Heute ist die Stunde des Parlaments. Mit einem gewis- wir unehrlich über die schwierige Dialektik zwischen sen Stolz können wir feststellen, dass wir, die übergroße Bürgerinteressen und Parlamentarismus reden. Wir ha- Mehrheit in diesem Hause, mit dem Lissabon-Vertrag ben die gesamte Diskussion über den Verfassungsver- die Gemeinschaft demokratischer, bürgernäher und da- trag, die jetzt mit dem Lissabon-Vertrag endet, acht Jahre mit auch parlamentarischer machen. lang öffentlich geführt. Wir hatten Anhörungen und Ver- anstaltungen, wie es sie nie zuvor in der europäischen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Geschichte gegeben hat. Es sind wahrscheinlich Millio- Damit haben wir ein Stück des Weges abgeschlossen, nen E-Mails an den Konvent gegangen, in denen Vor- den seit 45 Jahren die Christdemokraten, Liberalen und schläge, Meinungen und berechtigte Kritik geäußert Sozialdemokraten im Bundestag – seit 25 Jahren auch wurden. Das alles ist von den Parlamenten aufgenom- die Grünen – gegangen sind: einen gemeinsamen euro- men worden und in den Diskussionsprozess eingegan- päischen Verfassungsbogen zu spannen, der für die Poli- gen. Das Resultat ist letztendlich der Kompromiss, der tik tragfest ist, die unser Land auch mit unterschiedli- möglich war zwischen denen, die in Europa ein Stück- chen Regierungskonstellationen in der Europäischen chen weitergehen wollen, und denen, die eher ein Stück- Union macht. chen zögerlich sind. Am Ende haben aber alle gesagt: Dieser Vertrag muss parlamentarisch ratifiziert werden. Bei dieser parlamentarischen Debatte ist der Links- partei eine Frage zu stellen. Die Linkspartei muss heute Ich hätte es gut gefunden – das sage ich ganz offen –, entscheiden, für welche Tradition sie steht: für die Tradi- wenn es dem Konvent gelungen wäre, ergänzend zur tion, die mit der jungen Arbeiterbewegung und Teilen parlamentarischen Ratifizierung an einem Tag Volksab- des liberalen Bürgertums 1848, also vor genau 160 Jah- stimmungen in Europa anzusetzen. Dann hätte man, wie (B) ren, begonnen hat, als in der Bürgerlichen Revolution es in der Schweiz der Fall ist, ratifiziert, wenn die Mehr- (D) das vereinte Europa ein Schlagwort war, oder für die heit der Staaten – in der Schweiz sind es die Kantone – Tradition der KPD von vor genau 60 Jahren, Nein zum und die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger dafür ge- Grundgesetz zu sagen. Vor dieser Entscheidung stehen stimmt hätten. Das ist leider nicht gelungen. Hier haben Sie heute. Für uns ist unsere Entscheidung deshalb so wir im Rahmen des Verfassungsprozesses tatsächlich ein wichtig, weil wir mit dem neuen Vertrag von Lissabon Defizit, das wir ruhig einräumen können. Aber eines so etwas wie ein Grundgesetz für das 21. Jahrhundert in geht natürlich überhaupt nicht, nämlich dass diejenigen, Europa schaffen. Das Nein der Linkspartei dazu heißt die die Verfassung sowieso nicht wollen, sich dafür aus- eben, dass sie sich auf eine kommunistische Tradition sprechen, dass die Bürger abstimmen, aber nicht um der stützt, die nicht unsere Tradition ist. Dies muss hier ganz Abstimmung willen, sondern deshalb, damit dieses Eu- deutlich gemacht werden. ropa verhindert wird. Dagegen sind wir allerdings. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) der CDU/CSU) Wir hatten eine Expertenanhörung – es gab eine au- Lasst uns auch, weil wir von der Selbstverpflichtung ßergewöhnlich spannende und kritische Diskussion –, an des Parlaments, unserer Selbstverpflichtung für die zu- deren Ende uns alle Experten, egal von welcher Fraktion künftige Arbeit reden, offen ansprechen: Jawohl, es gibt sie vorgeschlagen worden sind, gesagt haben: Wir emp- Unterschiede zwischen den Parteien; es gibt auch Unter- fehlen euch, für diesen Vertrag zu stimmen. – Keiner hat schiede innerhalb der jetzigen Großen Koalition. In Zu- gesagt, wir sollten gegen den Lissabon-Vertrag stimmen. kunft wird es auch in diesem Hause einen spannenden Wettbewerb bei der Diskussion über die europäische Di- (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das stimmt mension von Politik geben. Wir reden hier nicht über nicht!) Europa, sondern über die Handlungsebene, die wir zu- sätzlich zur nationalen Ebene unbedingt brauchen. Es – Das gilt selbst für eure Experten. Der Einzige, der an- derer Meinung war, war ein Abgeordneter der Linkspar- wird sich die Frage stellen, ob diese Debatte über Europa tei aus dem Europäischen Parlament. – Wenn Sie sagen, durch die Hoffnungsträger oder eher durch die Be- denkenträger bestimmt wird. Ich sage für meine Frak- dass der Entwurf des Lissabon-Vertrages ein Putsch der Regierung sei, dann zeigen Sie nur eines: Sie sind auf tion: Wir waren, wir sind und wir bleiben die Partei der Bundesebene europapolitisch nicht handlungsfähig. europäischen Hoffnungsträger. Wir haben im Grundge- setz formuliert, dass wir dieses vereinte Europa wollen, (Zuruf von der CDU/CSU: Untauglich!) um dem Frieden in der Welt zu dienen. So haben es 15856 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Axel Schäfer (Bochum) (A) Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten seit über (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem (C) 140 Jahren formuliert. Das ist unsere Verpflichtung, und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) deshalb werden wir diesem Vertrag zustimmen. Es hilft überhaupt nicht weiter, wenn Sie ständig (Beifall bei der SPD) Dinge wiederholen, die überhaupt nichts mit der Verfas- sung zu tun haben, sondern lediglich mit der Frage, wie wir letztlich auf einem gemeinsamen Fundament unter- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: schiedliche Politik gestalten. Die Politik der Sozialde- Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem mokratischen Partei weicht etwas von der Politik der an- Kollegen Ulrich. deren Parteien ab; aber das Fundament ist das gleiche. Lieber Kollege Ulrich, es hilft auch überhaupt nicht Alexander Ulrich (DIE LINKE): weiter, wenn Sie immer wieder auf Frankreich hinwei- Lieber Kollege Axel Schäfer, ich kann die Nervosität sen, ohne dabei zu erwähnen, dass Ihre Parteifreunde der Sozialdemokratie angesichts der Umfragen, die un- dort zusammen mit der Front National, den Rechtsextre- sere beiden Parteien demnächst auf gleicher Höhe sehen, misten, dieses Europaprojekt bekämpft haben; das muss und angesichts der Tatsache, dass die sozialdemokrati- hier deutlich gesagt werden. sche Partei unter die 20-Prozent-Marke fällt, sehr gut verstehen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Ich frage mich wirklich, wie du es nennst, dass es in CDU/CSU) Frankreich und den Niederlanden Volksabstimmungen gab, die Bevölkerungen mit Nein gestimmt haben, nun Solche Partner wie die Front National wollen wir nicht 90 Prozent dessen, was im ursprünglichen Entwurf haben. stand, im jetzigen Verfassungsvertrag enthalten ist und jetzt die Regierungen nichts Besseres zu tun haben, als Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: darauf zu achten, wie man möglichst jeder Volksabstim- Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege mung aus dem Weg gehen kann, um die Verträge durch- Hermann Gröhe, CDU/CSU-Fraktion. zubringen. Wie nennst du das? Ist das das demokratische Modell, das du für Europa willst? Wir nennen das ganz (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) bewusst einen Putsch; denn hier haben die Regierungen versucht, die Völker zu entmachten. Hermann Gröhe (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Michael Roth [Heringen] [SPD]: Es gibt eine (B) In dieser Debatte ging es im Kern um die Handlungsfä- (D) Verfassung! Es gibt ein Grundgesetz!) higkeit der Europäischen Union und um mehr Transpa- Das ist Fakt; man kann nicht darum herumreden. renz. Wenn kurz vor Ende in einer Kurzintervention der Fortschritt, der mit dem Vertrag von Lissabon verbunden Zweitens. Du sagst, dass wir nicht in Europa ange- ist, mit dem Wort „Putsch“ belegt wird, dann zeigt das kommen sind. Ich sage ganz bewusst: Wir sind stolz da- einfach, dass mancher das Friedenswerk Europa bis rauf, dass wir, die Linke, nicht Ja sagen zu einem Europa, heute nicht begriffen hat. in dem die Armut wächst, in dem die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht. Wir wol- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP len nicht zulassen, dass im Mittelmeer Menschen ertrin- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ken, weil sie nicht nach Europa gelassen werden. Zu die- Ich möchte zum Abschluss dieser Debatte ein innen- sem Europa sagen wir ganz bewusst Nein. Wir wollen politisches Thema ansprechen: die behutsame Verfas- ein Europa der Bürgerinnen und Bürger. Damit sind wir sungsänderung, die wir ebenfalls heute auf den Weg in Europa angekommen; ihr seid auf dem Weg, nur Ka- bringen. Wie bei anderen europäischen Weichenstellun- pitalinteressen zu vertreten. gen, etwa im Zusammenhang mit dem Vertrag von Maastricht, ist auch heute eine Anpassung verfassungs- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – rechtlicher Bestimmungen aus unserem Grundgesetz er- Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: So ein forderlich. Es hat sich die Überzeugung durchgesetzt, Schwachsinn!) dass die Minderheitenrechte unseres Parlaments, die wir in der letzten Legislaturperiode einfachgesetzlich – mit Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: einem Begleitgesetz – geregelt haben, einer sicheren Herr Kollege Schäfer, Sie können erwidern. verfassungsrechtlichen Grundlage bedürfen. Ein Min- derheitenrecht ist immer auch eine Abkehr vom Mehr- Axel Schäfer (Bochum) (SPD): heitsprinzip; deswegen bedarf es einer entsprechenden Verankerung im Grundgesetz. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist bedauerlich, dass man Volksabstimmungen immer Mit der Subsidiaritätsklage wird die Möglichkeit er- nur dann heranzieht, wenn sie negativ verlaufen sind. Im öffnet, zu prüfen, ob Bestimmungen des sekundären Ge- Jahr 2005 gab es in Spanien und Luxemburg Referen- meinschaftsrechts gegen eine Norm des primären Ge- den, bei denen sich eine Mehrheit für die Verfassung meinschaftsrechts, nämlich das Subsidiaritätsprinzip, aussprach. Es wäre gut, wenn das zur Kenntnis genom- verstoßen. Mit anderen Worten: Es geht dabei um die men würde. Frage, ob die EU ihre Kompetenzen überschreitet. Die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15857

Hermann Gröhe (A) Tatsache, dass die EU dies selbst im Vertragswerk regelt, die Verankerung europapolitischer Entscheidungen in (C) macht deutlich, dass der Konflikt, auf den unser Frak- den nationalen Parlamenten mehr demokratische Legiti- tionsvorsitzender hingewiesen hat, von existenzieller mation zu verleihen. Dies ist ein guter und wichtiger Bedeutung ist. Es muss immer darum gehen, sauber ab- Schritt. Dass wir dies durch die beiden demokratischen zugrenzen: Wo liegen die Kompetenzen der EU? Wo lie- Oppositionsfraktionen und durch die Große Koalition gen die Kompetenzen der Mitgliedstaaten? hier in so großer Gemeinsamkeit einbringen können, lässt mich hoffen, dass wir diese behutsame Verfas- Bei der Subsidiaritätsklage als einem Minderheiten- sungsänderung nach einer zügigen Diskussion in einer recht ging es um die Frage: Wollen wir die Regelung, die gemeinsamen Beschlussfassung auf den Weg bringen wir in der letzten Wahlperiode beschlossen haben, ins können. Grundgesetz aufnehmen, nämlich das Recht einer Frak- tion, Klage zu erheben, verbunden mit der Möglichkeit, Vielen Dank. dies mit einer Zweidrittelmehrheit zu verhindern? Wir, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie die Koalition, haben uns dagegen entschieden und den bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- Oppositionsfraktionen einen anderen Vorschlag unter- NISSES 90/DIE GRÜNEN) breitet. Wir hätten es für systemwidrig gehalten, de facto materielles Geschäftsordnungsrecht des Bundestages in die Verfassung aufzunehmen; denn damals wurde in ers- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: ter Linie ein qualifiziertes Antragsrecht einzelner Frak- Ich schließe die Aussprache. tionen geschaffen. Mit dem Vorschlag, auf den sich die Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Große Koalition, FDP und Grüne jetzt verständigt ha- den Drucksachen 16/8300, 16/8489, 16/8488 und 16/7446 ben, knüpfen wir an Vorschläge der Unionsfraktion aus an die in der Tagessordnung aufgeführten Ausschüsse der letzten Wahlperiode an, nach denen die Subsidiari- vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist tätsklage bzw. das damit verbundene Minderheitenrecht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. im Parlament als wirkliches Minderheitenrecht qualifi- ziert und nach denen auch damals schon eine Paralleli- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf: sierung zum Verfahren der Normenkontrollklage vorge- a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- sehen werden sollte. Außerdem nehmen wir Anliegen desregierung eingebrachten Entwurfs eines aus der Opposition und Anregungen des Bundestagsprä- Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des sidenten im Hinblick auf die Gestaltung des Minderhei- Wehrsoldgesetzes (16. WSGÄndG) tenrechts im Parlament auf. – Drucksache 16/8188 – (B) Wir haben dies in folgender Weise zusammengeführt: (D) Parallel zum Verfahren zur Normenkontrolle können 25 Pro- Beschlussempfehlung und Bericht des Vertei- zent der Mitglieder des Deutschen Bundestages – dies digungsausschusses (12. Ausschuss) entspricht der Regelung, nach der 25 Prozent der Mit- – Drucksache 16/8470 – glieder auch die Einsetzung eines Untersuchungsaus- schusses verlangen können – darauf bestehen, dass der Berichterstattung: Bundestag eine Subsidiaritätsklage einreicht. Anders als Abgeordnete Bernd Siebert beim Verfahren zur Normenkontrolle, die im Namen die- Dr. Hans-Peter Bartels ser 25 Prozent der Mitglieder erhoben wird, führt im Birgit Homburger Falle der Subsidiaritätsklage der Deutsche Bundestag als Paul Schäfer (Köln) Ganzes das Verfahren. Deswegen ist es richtig, dass im Winfried Nachtwei Begleitgesetz die folgende Regelung getroffen wird: – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Wenn mindestens 25 Prozent der Mitglieder des Hauses schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung keine Verletzung des Subsidiaritätsprinzips sehen, dann können sie dies in der Klageschrift zum Ausdruck brin- – Drucksache 16/8471 – gen. Berichterstattung: Parallel dazu wird durch die Verfassungsänderung Abgeordnete Johannes Kahrs Weiteres auf den Weg gebracht. Ich nenne die Stärkung Susanne Jaffke-Witt des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäi- Otto Fricke schen Union und die Möglichkeit, durch ein Zustim- mungsgesetz Abweichungen vom Mehrheitsprinzip Alexander Bonde dann vorzusehen – aber auch nur dann –, wenn in den b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union Bun- Homburger, Elke Hoff, Dr. Rainer Stinner, weite- destag und Bundesrat besondere Rechte zugewiesen rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP werden. Es kann also keineswegs um Ausnahmen vom Mehrheitsprinzip allgemein in Angelegenheiten der Eu- Unverzügliche Erhöhung des Wehrsoldes ropäischen Union gehen. Es ist gut, dass dies in der Ge- – Drucksache 16/5970 – setzesbegründung ausdrücklich festgehalten wird. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Heute nimmt sich der Deutsche Bundestag einmal Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich mehr selbst in die Pflicht, der europäischen Politik durch höre keinen Widerspruch. 15858 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (C) minister der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Beifall aus den hinteren Rängen!) Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi- Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Bild gung: der Bundeswehr vom Staatsbürger in Uniform und zum Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Thema der inneren Struktur- und Personalanpassung. Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Ge- Herr Kollege Nachtwei, auch Sie wissen: Wir haben setzentwurf der Bundesregierung soll der Wehrsold rund 60 000 Wehrpflichtige im Jahr. Davon verpflichten rückwirkend zum 1. Januar dieses Jahres um 2 Euro pro sich 25 000 freiwillig weiter. Ich denke, das ist eine Tag erhöht werden. Die letzte Erhöhung des Wehrsoldes wichtige Frage der Strukturentwicklung der Bundes- erfolgte vor neun Jahren, und zwar um 1 DM pro Tag. wehr. Die Sicherheit unseres Landes wird im Wesentli- Die Wehrpflichtigen leisten einen wichtigen Dienst für chen durch unsere Gesamtkonzeption mit jetzt rund die Sicherheit unseres Landes, aber auch für die Ge- 250 000 Soldatinnen und Soldaten gewährleistet. Darun- währleistung von Sicherheit, beispielsweise bei der Un- ter sind 60 000 Wehrpflichtige. Ich füge hinzu: Wir ha- terstützung der Auslandseinsätze. Ich denke deshalb, ben durch meine Entscheidung, jährlich 6 500 mehr dass sie eine Erhöhung verdient haben. Wehrpflichtige einzuberufen, gewährleistet, dass wir jetzt 79,1 Prozent derjenigen, die tauglich sind, für den (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Wehrdienst einberufen. Das hat auch etwas mit Wehrge- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rechtigkeit zu tun. Deshalb halte ich diesen Weg für rich- tig. Ich will Folgendes unterstreichen: Wenn man den Durchschnitt betrachtet, dann stellt man fest, dass die (Beifall bei der CDU/CSU – Winfried Wehrpflichtigen rund 250 Euro pro Monat erhalten. Das Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ist noch nicht einmal ein 400-Euro-Job. Wie viele werden zurzeit als untauglich ge- mustert?) Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb war es auch unter dem Aspekt der Attraktivität des Wehr- Kollege Nachtwei, ich denke, die Attraktivität des dienstes geboten, dass wir damals entschieden haben, Dienstes verlangt eine angemessene finanzielle Ausstat- dass die Wehrpflichtigen sowohl das Weihnachtsgeld als tung. Deshalb bitte ich Sie hier im Deutschen Bundestag, auch das Entlassungsgeld weiterhin erhalten, dass wir der Erhöhung des Wehrsoldes um 2 Euro pro Tag zuzu- jetzt aber auch bereit sind, den Wehrsold um 2 Euro pro stimmen. Das ist im Interesse der Gewährleistung der Tag zu erhöhen. Dies entspricht aus meiner Sicht der Dienstpflicht richtig. Es ist auch richtig im Interesse der (B) Ableistung der Dienstpflicht und damit auch einer ange- Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger. Damit ist (D) messenen finanziellen Ausstattung. Daher bitte ich Sie dies auch im Interesse der Bundeswehr. Ich bitte Sie um um Ihre Unterstützung für die Erhöhung des Wehrsoldes. Ihre Zustimmung zu dieser Wehrsolderhöhung. Besten Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP) Wir brauchen die Wehrpflichtigen der Bundeswehr. Wir brauchen sie für die Unterstützung unserer Aufga- ben und unseres Einsatzes für den Frieden. Wir brauchen Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: sie aber auch zum Schutz Deutschlands, auch und gerade Ich gebe das Wort der Kollegin Birgit Homburger, im Bereich der zivil-militärischen Zusammenarbeit. Ich FDP-Fraktion. denke beispielsweise an die Bewältigung der Hochwas- (Beifall bei der FDP) serkatastrophe und an andere Ereignisse. Hier haben die Wehrpflichtigen einen wichtigen Beitrag geleistet. Sie gewährleisten die Sicherheit Deutschlands. Deshalb, Birgit Homburger (FDP): denke ich, ist es richtig, an der allgemeinen Wehrpflicht Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! festzuhalten. Als ich mich auf diese Debatte vorbereitet habe, habe ich überlegt, was man für 2 Euro bekommt. Für 2 Euro be- Die Wehrpflicht gewährleistet die Verbindung zur Ge- kommen Sie ein Päckchen Butter, ein Glas Marmelade, sellschaft. Sie verkörpert die Armee in der Demokratie. 500 Gramm Nudeln, eine Packung Wunderkerzen oder Als die Wehrpflicht eingeführt wurde, hat der damalige ein USB-Kabel für den PC. Ich zähle dies auf, um zu sa- Bundespräsident Heuss formuliert: gen: 2 Euro sind nicht gerade üppig. Dessen sollten wir uns bewusst sein, wenn wir heute die Erhöhung des Die … Wehrpflicht ist das legitime Kind der Demo- Wehrsoldtagessatzes um 2 Euro beschließen. kratie. Es geht um den Dienst des freien Bürgers für die Gemeinschaft der freien Bürger. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Herr Minister hat es angesprochen: Hinzu kommt, dass diese Erhöhung Die Wehrpflicht hat sich für die Bundeswehr innerhalb längst überfällig ist. Die letzte Erhöhung um 1 DM er- ihrer 50-jährigen Tradition bewährt. Deshalb denke ich, folgte zum 1. Januar 1999. Seither hat ein Grenadier ei- dass es richtig ist, wenn wir in Zukunft an der Wehr- nen Tagessold von 7,41 Euro. Ich glaube, das ist wirk- pflicht festhalten. lich nicht angemessen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15859

Birgit Homburger (A) (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Winfried leisten circa 60 Prozent eines Jahrgangs weder Wehr- (C) Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und noch Zivildienst. Vor diesem Hintergrund kann von des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Wehrgerechtigkeit schon lange nicht mehr gesprochen werden, sondern nur noch von Wehrungerechtigkeit. Wir sind der Auffassung, dass, solange die allgemeine Wehrpflicht besteht, diejenigen, die ihrem Dienst und ih- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten rer Pflicht nachkommen, wenigstens eine einigermaßen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der nachvollziehbare Anerkennung erhalten sollten. Des- LINKEN und des Abg. Gert Winkelmeier halb fordert die FDP seit langem die Erhöhung des [fraktionslos] – Winfried Nachtwei [BÜND- Wehrsolds. Wir haben im letzten Jahr, am 4. Juli, einen NIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist eine gemeine Antrag dazu eingereicht. Eine solche Erhöhung war und nicht eine allgemeine Wehrpflicht!) lange umstritten, obwohl sie gerade einmal knapp Es ist auf Dauer nicht akzeptabel, dass die einen die- 0,2 Prozent des gesamten Verteidigungshaushalts aus- nen, während die anderen verdienen. Angesichts der Tat- macht. Wenn die Wehrpflichtigen wirklich die Bedeu- sache, dass sich die Bundeswehr zu einer Armee im Ein- tung haben, die der Verteidigungsminister hier eben be- satz gewandelt hat und sich damit ganz anders darstellt schrieben hat, dann hätte man ihnen diese Anerkennung als noch vor einigen Jahren, sollten wir uns der Debatte schon früher geben müssen. um die Wehrpflicht annehmen. Die Wehrpflicht – das (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Winfried hat schon Roman Herzog gesagt – ist nur dann gerecht- Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und fertigt, wenn sie für die Aufrechterhaltung der äußeren Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Sicherheit unabdingbar notwendig ist. Wenn wir uns die sicherheitspolitische Lage Deutschlands anschauen, Wir haben uns dann, und zwar über alle Fraktionen dann sehen wir, dass das heute nicht mehr der Fall ist. Es hinweg, im Laufe der Haushaltsberatungen im letzten hat sich deutlich geändert. Vor diesem Hintergrund muss Jahr auf eine Wehrsolderhöhung verständigt und diese diese Debatte geführt werden. im Bundeshaushalt eingestellt. An dieser Stelle möchte ich sehr deutlich sagen, dass ich von dem Engagement (Beifall bei der FDP) der Wehrdienstleistenden beeindruckt war. Sie haben Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, sich massiv engagiert. Herr Ahammer, der Beisitzer der tritt die FDP-Bundestagsfraktion für eine Aussetzung Grundwehrdienstleistenden beim Deutschen Bundes- der Wehrpflicht ein. Wir sind der Auffassung, dass man wehr-Verband, hat beispielsweise eine Petition einge- sich den Gegebenheiten stellen muss, dass die Bundes- reicht, und die Wehrdienstleistenden haben die Erhö- wehr zukunftsfähig gemacht werden muss und dass eine hung zu einem Thema auf ihrer Bundestagung gemacht. Umstrukturierung erfolgen muss, um den zukünftigen Die Tatsache, dass diese jungen Männer das Thema so (D) (B) Herausforderungen gerecht zu werden. Ich sage aber engagiert aufgegriffen haben, hat auch politischen Druck auch für meine Fraktion: Solange es die allgemeine erzeugt. Heute zeigt sich, dass politisches Engagement Wehrpflicht gibt, werden wir uns immer für die Interes- sich rentiert, dass es richtig ist, sich politisch zu engagie- sen der Wehrpflichtigen einsetzen. ren. Es ist auch der Erfolg der Grundwehrdienstleisten- den, dass heute diese Erhöhung beschlossen werden Vielen Dank. kann. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: LINKEN) Nächster Redner ist der Kollege Hans-Peter Bartels, Betrachtet man die Erhöhung um 2 Euro einmal ge- SPD-Fraktion. nauer, dann stellt man fest, dass, wenn man die Inflation (Beifall bei der SPD) herausrechnet, faktisch nur eine Erhöhung um 1 Euro übrigbleibt. Deswegen bleibt zu hoffen, dass die nächste Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): Anpassung nicht wieder neun Jahre auf sich warten lässt. Denn wenn die Inflation weiterhin ähnlich verläuft, wäre Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe man dann im Jahr 2017 wieder auf dem Stand von 1999. Kollegin Homburger, der feste Wille der Koalitionsfrak- Das wird der Bedeutung der Wehrpflichtigen überhaupt tionen ist, dass es nicht bei dieser Erhöhung des Wehr- nicht gerecht. soldes bleibt. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. [FDP]: Was zu gegebener Zeit zu be- Allerdings – hier unterscheidet sich die Einschätzung weisen wäre! – Winfried Nachtwei [BÜND- der FDP-Bundestagsfraktion erheblich von der des Bun- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist immer nur die desverteidigungsministers – müssen wir uns dann viel- Frage, wann!) leicht gar nicht mehr über einen Wehrsold unterhalten. Nach neun Jahren nehmen wir – Gott sei Dank – wieder (Beifall bei der FDP) einmal eine Erhöhung vor. Auch nach meinem Gefühl ist ein bisschen viel Zeit vergangen. Ich möchte anlässlich dieser Debatte darauf aufmerksam machen, dass zwischenzeitlich nur noch 17 Prozent ei- Eine Erhöhung um 2 Euro – das entspricht einer Er- nes Jahrgangs wirklich Wehrdienst leisten. Insgesamt höhung um 25 Prozent – hört sich nicht nach viel an. 15860 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Dr. Hans-Peter Bartels (A) Aber wir reden hier in der Tat nicht über Gehälter, son- friedenstellend ist. Es gibt auch das Problem der Unter- (C) dern über den Wehrsold. Er musste allerdings dringend forderung. Wir sind der Meinung, dass Wehrpflichtige in angehoben werden; denn in der Zwischenzeit sind die der Bundeswehr gefordert werden wollen und können. Tariflöhne nach den Zahlen der Hans-Böckler-Stiftung Wir wollen, dass Wehrpflichtige nicht nur Handlangertä- um 20 Prozent gestiegen. Eine Erhöhung war also drin- tigkeiten ausführen, sondern in verantwortlicher Weise gend geboten. Dinge tun können, die ihrem Ausbildungsstand entspre- chen. Die Ausgestaltung des Dienstes – weg vom Gam- Schon die letzte Erhöhung 1999 um 1 DM war knapp meldienst, über den wir schon vor 25 Jahren diskutiert bemessen. Damals hatte die SPD beantragt – ich war haben – bleibt ein Thema für die Bundeswehr, auch noch nicht Mitglied des Bundestages –, eine Erhöhung wenn sie heute weniger Wehrpflichtige für die Aufrecht- um 2 DM durchzuführen. Vielleicht sollte man in Zu- erhaltung ihres Dienstbetriebes braucht. kunft nicht mehr so lange bis zur nächsten Erhöhung warten und es sich damit ersparen, in einer gewaltigen Ein weiteres Thema wäre der Zustand der Unter- Aktion eine Erhöhung durchzuführen. Man sollte die Er- künfte. Diesbezüglich haben wir allerdings schon eini- höhung des Wehrsolds lieber an lineare Erhöhungen, die ges auf den Weg gebracht. Das Sonderprogramm für die es für Angehörige des öffentlichen Dienstes auf anderem Sanierung der Kasernen ist für die Attraktivität des Wege gibt, koppeln. Das haben die Wehrpflichtigen ver- Dienstes ein wichtiger Punkt. dient. Der Minister hat es schon angesprochen: Dass 50 Pro- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) zent der Zeit- und Berufssoldaten aus der Gruppe der Grundwehrdienstleistenden gewonnen werden – sie wis- Ich bin sehr froh, dass wir gegen den Widerstand der sen also nicht schon vorher, dass sie diesen Beruf für Haushälter – nicht alle in diesem Haus waren zunächst längere ergreifen wollen; sie tun dies, weil sie die Bun- willens, Geld in die Hand zu nehmen – eine Erhöhung deswehr kennengelernt haben –, ist ein Beleg dafür, dass um 2 Euro statt einer Erhöhung um 1 Euro durchsetzen wir erstens die Wehrpflicht brauchen und dass zweitens konnten. Dass dies möglich ist, ist das Ergebnis der An- der Wehrdienst attraktiv sein muss. In der Bundeswehr strengungen der „Verteidiger“ in beiden Koalitionsfrak- muss man die Erfahrung machen, dass es sich lohnt, da- tionen. Wir sind froh, dass wir auch die FDP und die bei zu bleiben. Grünen dabei an unserer Seite haben. Wenn wir über die Zukunft der Wehrpflicht reden, Wir fragen uns natürlich immer, ob das Geld, das wir dann müssen wir uns in diesem Zusammenhang auch die der Bundeswehr zur Verfügung stellen, richtig angelegt Frage stellen, wie sinnvoll es ist, dass der Wehrdienst in- ist. Wir ziehen nun zusätzliche Wehrpflichtige ein – die nerhalb von neun Monaten absolviert wird. Wenn wir im zugrunde liegenden Probleme wurden schon angespro- (B) Rahmen der Weiterentwicklung der Wehrpflicht zu ei- (D) chen; auch der Minister hat dies getan –, um den Aspekt nem anderen, intelligenteren Modell übergehen, dann der Wehrgerechtigkeit zu beachten. Diese 6 700 zusätz- muss dieser Zeitraum noch einmal auf den Prüfstand lich eingezogenen Wehrpflichtigen kosten mehr Geld. Es gestellt werden. Zwölf Monate – solange dauern andere kann eigentlich nur – um mit Bismarck zu sprechen – ein vergleichbare Dienste; und so lange hat der Wehrdienst „System der Aushilfen“ sein. Das ist zwar nicht schlecht. früher auch über eine lange Zeit gedauert – sind sicher- Aber wir sollten zu einer anderen Systematik und zu ei- lich eine planbarere Größe als die Untergrenze von neun ner intelligenten Weiterentwicklung der Wehrpflicht Monaten, die zurzeit besteht. kommen, damit wir sie bewahren. Wir sollen unter den neuen Bedingungen mehr Freiheit und mehr Freiwillig- ( [Bayreuth] [FDP]: Wir hatten keit gewährleisten. Dazu wird mein Kollege Maik auch schon 18!) Reichel nachher noch einiges sagen. Aber für viele kommt die Grenze von neun Monaten ja Ich will zur Attraktivität der Bundeswehr noch ein auch gar nicht zum Tragen; viele leisten freiwillig einen paar Worte verlieren. Durch die Erhöhung des Wehrsol- längeren Wehrdienst ab. des wird der Dienst in der Bundeswehr substanziell nicht wirklich attraktiver. Lassen Sie mich eine Bemerkung zur generellen Attraktivität des Wehrdienstes machen. Der Bundes- (Dr. Max Stadler [FDP]: Sehr vorsichtig aus- wehrverband hat unter seinen Mitgliedern entsprechende gedrückt!) Umfragen durchgeführt. Über die Repräsentativität die- Das ist ein kleines Element. Aber es gibt auch andere ser Umfragen kann man sicherlich streiten; aber die Tat- Aspekte, die für Wehrpflichtige heute zumindest ge- sache, dass die Ergebnisse in eine bestimmte Richtung nauso wichtig, wahrscheinlich noch wichtiger, sind. Das tendieren, muss uns doch dazu bringen, auch über das ist zunächst einmal die Planbarkeit des Zeitpunkts für nachzudenken, was über die Wehrpflicht an sich hinaus- den Dienstantritt. Wann wird man gezogen? An wel- geht, nämlich die Attraktivität des Wehrdienstes für Zeit- chem Ort wird man stationiert? Es geht auch darum, in- und Berufssoldaten. Denn was diese Soldaten über den wieweit den Wünschen der Wehrpflichtigen Rechnung Wehrdienst sagen, wirkt sich darauf aus, wie attraktiv getragen wird. In welchem Bereich können sie tätig wer- die Bundeswehr in der Gesellschaft und in der Genera- den? tion derjenigen, die in die Bundeswehr nachrücken, wahrgenommen wird. Wenn das Signal aus der Bundes- Wenn man mit Wehrpflichtigen spricht, erfährt man, wehr ist: „Es lohnt sich nicht, Wehrdienst zu leisten, ich dass die Ausgestaltung des Dienstes nicht immer zu- würde das meinen eigenen Kindern nicht empfehlen“, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15861

Dr. Hans-Peter Bartels (A) dann ist das ein Problem. Wir müssen daran arbeiten, (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. (C) dass die Berufe der äußeren Sicherheit von den materiel- Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DlE GRÜ- len Bedingungen, von der Planbarkeit und der Familien- NEN und des Abg. Gert Winkelmeier [frak- freundlichkeit her ähnlich attraktiv werden, wie es die tionslos]) Berufe der inneren Sicherheit – Polizei – in den vergan- genen Jahren nach und nach geworden sind. In diesem Ist der Sold auskömmlich? Es ist schon gesagt wor- Bereich hat die Bundeswehr Nachholbedarf. Wir werden den: In den ersten drei Monaten gab es bisher 222 Euro das Ministerium bzw. die Bundesregierung dabei unter- Sold, künftig werden es 282 Euro sein. Man muss natür- stützen, in diesem Bereich mehr zu tun. lich berücksichtigen, dass Unterkunft, Verpflegung, Dienstkleidung etc. gestellt werden. Aber es ist nicht üp- Heute geht es um 2 Euro. Der Antrag der FDP-Frak- pig, was für die Wehrdienstleistenden herauskommt. Das tion ist damit sozusagen auf freundliche Art und Weise ist nur zu rechtfertigen, wenn man berücksichtigt, dass erledigt. es sich um eine kurze Lebensspanne handelt, in der sich die Grundwehrdienstleistenden in dieser Situation befin- (Zuruf von der FDP: Nach knapp einem den, nämlich neun Monate. Für diese ist es oft keine pro- Dreivierteljahr!) duktive Zeit; denn sie bringt sie beruflich nicht weiter. Ich bin froh, dass wir hier gemeinsam eine Debatte füh- Deshalb liegt unser Vorschlag zu einer deutlichen An- ren, die in die gleiche Richtung führt. Wir haben zwar hebung des Entlassungsgeldes weiter auf dem Tisch. unterschiedliche Argumente; aber wir alle wollen, dass Gegenwärtig sind es 690 Euro. Das ist, so scheint es uns, die Wehrpflicht für die jungen Wehrdienstleistenden ein sehr geringer Betrag. Wir schlagen nicht eine Aufsto- – auch die Zivildienstleistenden – materiell ein kleines ckung von 10 oder 20 Euro vor, sondern wir meinen bisschen attraktiver, dass die Besoldung angemessener – darüber muss man dann diskutieren –, die Aufstockung wird. Ich bin froh, dass wir dafür heute die Zustimmung könnte so hoch sein, dass der Betrag vierstellig wird. Um des Hauses in dieser Breite erhalten. Schönen Dank. den Übergang von der Wehrpflicht in den Beruf oder in (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) eine weitere Ausbildung zu erleichtern, wäre das sinn- voll. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Der nächste Redner ist der Kollege Paul Schäfer, Winkelmeier [fraktionslos]) Fraktion Die Linke. Aber es gilt generell, liebe Kolleginnen und Kollegen: (Beifall bei der LINKEN) Die Wehrpflicht, über die wir hier reden, ist nicht mehr (B) zeitgemäß. (D) Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn es des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) um die Entlohnung abhängig Beschäftigter geht, hat die Linke klare Positionen. Wir sagen: Man muss davon le- Der heutige Wehrdienst, der nur eine kleine Minderheit ben können. – Deshalb reden wir über den gesetzlichen erfasst, der sogenannte Auswahlwehrdienst, ist überaus Mindestlohn. Wir reden darüber, dass ständig steigende ungerecht. Nehmen Sie nur einmal einen Geburtsjahr- Lebenshaltungskosten ausgeglichen werden müssen – gang. Vom Geburtsjahrgang 1983 haben 62 000 junge Stichwort „Inflationsausgleich“. Wir reden davon, dass Männer ihren Wehrdienst geleistet, das sind 14 Prozent die Arbeitnehmer am Produktivitätsfortschritt teilhaben dieses Altersjahrgangs. Das ist die allgemeine Wehr- sollen, um ihren Lebensstandard zu steigern. pflicht. Das kann überhaupt nicht sein. Den letzten Aspekt können wir getrost beiseitelassen; Die Wehrpflicht als eine Art Zwangsdienst ist nur denn jetzt reden wir über den Wehrsold. Wir reden über durch eine bestimmte Sicherheitslage zu begründen, also einen Inflationsausgleich und eine Aufstockung des durch eine spezielle militärische Bedrohungs- und Ge- Wehrsolds, der zuletzt vor neun Jahren und seitdem nicht fährdungslage. Diese ist aber nicht mehr gegeben. Des- mehr erhöht wurde. Allein wenn man bedenkt, wie sehr halb sollte man mit der Wehrpflicht schleunigst aufhö- die Lebenshaltungskosten gestiegen sind, dann muss ren. man zu dem Schluss kommen, dass diese Anpassung längst überfällig und völlig gerechtfertigt ist. Solange es (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. die Wehrpflicht gibt, muss man auch über Wege nach- Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- denken, wie eine Dynamisierung des Wehrsolds erreicht NEN]) werden kann; denn sonst wird vielleicht in zehn Jahren Im Übrigen weiß die Bundeswehr gar nicht so richtig, wieder die gleiche Situation bestehen. was sie mit den Wehrpflichtigen anfangen soll. Die (Beifall des Abg. Hüseyin-Kenan Aydin [DIE Beispiele, wie Unterforderung und Unzufriedenheit, sind LINKE] und des Abg. Gert Winkelmeier genannt worden. Ich habe mehrfach gefragt, wofür die [fraktionslos]) Wehrpflichtigen eingesetzt werden sollen. Eine konkrete und präzise Antwort bekommt man auf diese Frage Wir stimmen diesem Gesetz also zu, vor allem, weil es nicht. Die Bundeswehr interessiert sich für die Wehr- auch den Zivildienstleistenden zugutekommt, deren pflichtigen nur insoweit, als man aus ihnen Menschen Leistungen man an dieser Stelle einmal würdigen sollte. für den weiteren militärischen Dienst rekrutieren will. 15862 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Paul Schäfer (Köln) (A) Es gibt bezeichnenderweise keine Studien über die man kann auch etwas erreichen. Deshalb geht mein (C) Erwartungshaltung und Situation der Wehrpflichtigen. Glückwunsch an diese beiden jungen Menschen. Es gibt dazu im Bericht des Wehrbeauftragten verstreute Hinweise. Aber ansonsten spielen die Wehrpflichtigen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN keine Rolle. Das muss man sich der Ehrlichkeit halber sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der einmal einfach eingestehen. Hier muss man klar sagen: SPD, der FDP und der LINKEN) Diese Menschen sind nur eine Rekrutierungsreserve, Zugleich muss ich mein Bedauern darüber ausspre- aber ansonsten haben wir mit ihnen nichts zu tun. Ich chen, dass es überhaupt dieses Druckes bedarf und dass finde, das wird den Wehrpflichtigen, die neun Monate es zu dieser Erhöhung erst so spät gekommen ist. Rot- oder etwas mehr ihres Lebens dafür opfern, nicht ge- Grün hatte bis 2005 Verantwortung. recht. (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Eben!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das heißt, meine Worte sind auch eine Kritik an der feh- lenden Bereitschaft der damaligen Koalition, dies umzu- Leider nicht nur an dieser Stelle bedeutet die Große setzen. Koalition Stillstand. Die Frage der Wehrpflicht wird im- mer wieder vertagt, obwohl die meisten hinter vorgehal- Im Gesetzentwurf heißt es: tener Hand den Wehrdienst für nicht mehr up to date hal- Das konsequente Festhalten an dem Bestehen der ten. Diesen Zustand müssen wir beenden. Gerade mit allgemeinen Wehrpflicht verpflichtet dazu, den jun- Blick auf die Bundestagswahl 2009 ist es mehr als über- gen Soldaten, die … einen wichtigen Dienst für un- fällig, mit dem Anachronismus Wehrpflicht Schluss zu ser Land erbringen, nach neun Jahren eine Anpas- machen. Dabei geht es natürlich auch um die Ersetzung sung des Wehrsolds zu gewähren. der Zivildienstleistenden in den Bereichen Gesundheit, Pflege und Altenbetreuung. Die Arbeit dort wollen wir Diese Formulierung scheint mir ironisch gemeint zu anders organisieren. Hier werden vor allem gut ausgebil- sein. dete und qualifizierte Fachkräfte gebraucht, nicht die Zi- (Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ vildienstleistenden als Nothilfsmaßnahme, wie wir es DIE GRÜNEN]) gegenwärtig haben. Es ist an der Zeit, die Wehrpflicht aufzuheben. Angesichts der enormen Verzögerung der anstehenden Wehrsolderhöhung und der schon mehrfach angespro- Danke. chenen geringfügigen „Höhe“ des Wehrsoldes wird ei- nem klar, dass das das nicht wirklich ernst gemeint sein (B) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (D) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN kann. An dem Umgang der Politik mit dem Wehrsold und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) zeigt sich de facto eine Geringschätzung der Wehrpflich- tigen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Die Bundesregierung nimmt für sich in Anspruch, an Ich gebe das Wort dem Kollegen Winfried Nachtwei, der allgemeinen Wehrpflicht festzuhalten. Herr Minis- Bündnis 90/Die Grünen. ter, dafür verwenden Sie bei der Bundeswehr allerdings alle möglichen Tricks. Einige Belege dafür: Vor zehn Jahren wurden 13,3 Prozent der Wehrpflichtigen als un- Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): tauglich gemustert. Vor fünf Jahren waren es 16,9 Pro- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! zent. Und wie viele waren es im ersten Halbjahr des letz- Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen begrüßt aus- ten Jahres? 42,2 Prozent! Einen solchen Niedergang der drücklich die heute zu beschließende Erhöhung des Gesundheit und des körperlichen Zustandes junger Män- Wehrsolds. Dies verdient Anerkennung für die Verteidi- ner gibt es wahrhaftig nicht. gungspolitiker der Koalition, die die Haushaltspolitiker und das Ministerium dazu gebracht haben, zuzustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mein Glückwunsch geht aber vor allem an die organi- und bei der FDP) sierten Vertreter der Wehrpflichtigen. Daran sieht man, wie hier manipuliert wird und wie es Im Juni 2006 beschloss das Parlament der Wehr- um die Glaubwürdigkeit der Aussage „Wir halten an der pflichtigen des Deutschen Bundeswehr-Verbandes genau allgemeinen Wehrpflicht fest!“ steht. Dieses sogenannte diese Forderung nach 2 Euro mehr Wehrsold. Diese For- Festhalten ist zutiefst unglaubwürdig. Abgesehen davon derung wurde dann Anfang vorigen Jahres als Petition ist es auch sicherheitspolitisch ein Anachronismus. mit damals 4 750 Unterschriften in den Bundestag ein- Wie unglaubwürdig diese Aussage ist, hat sich – das gebracht; inzwischen sind es 29 000 Unterzeichner. Das ist interessant – auch am vergangenen Montag bei der sollte man in der Tat ansprechen; Frau Kollegin Kommandeurtagung der Bundeswehr gezeigt. Kanzle- Homburger hat das vorhin ebenfalls getan. Die beiden rin und Minister bekannten sich dort ganz selbstver- besonderen Fürsprecher dieses Anliegens, nämlich ständlich – das gehört sozusagen zum Redenarsenal von Andreas Ahammer und Stephan Nachtigall, haben hier- Ministern und Kanzlern – zur allgemeinen Wehrpflicht. bei eine hervorragende Überzeugungsarbeit geleistet. In der Tat können diese jungen Leute anhand dieses Bei- (Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister: spiels sagen: Es lohnt sich, für eine Sache zu kämpfen, Jawohl!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15863

Winfried Nachtwei (A) – Jawohl. – (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Alles (C) andere wäre auch eine Blamage!) (Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE]: Donnernder Applaus!) Wir waren und sind gemeinsam der Auffassung, dass Welches Echo kam von den Generalen, die sicherlich die unsere Wertschätzung für die Wehr- und Ersatzdienst- stärkste Gruppe der Sympathisanten der allgemeinen leistenden für alle in unserer Gesellschaft sichtbar sein Wehrpflicht darstellen? Keine Hand rührte sich – im Un- muss. Eine Erhöhung um 2 Euro ist nicht nur ein klares Zeichen, ein Signal, sondern auch eine substanzielle Ver- terschied zu der Kommandeurtagung vor drei Jahren. besserung für die Grundwehrdienstleistenden. Denn wir Als der Bundespräsident damals ein Bekenntnis zur all- konnten nicht vom Erhalt der allgemeinen Wehrpflicht gemeinen Wehrpflicht abgelegt hat, gab es kräftigen Bei- sprechen, ohne entsprechende Taten folgen zu lassen. fall – jetzt aber nicht mehr. Das heißt, die Generale kau- Darum werte ich diese vom Verteidigungsausschuss ein- fen Ihnen Ihr Bekenntnis schlichtweg nicht mehr ab. stimmig beschlossene Erhöhung des Wehrsoldes – es ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, übrigens die erste seit dem 1. Januar 1999; das ist schon bei der FDP und der LINKEN sowie des Abg. mehrfach erwähnt worden – als deutliches Bekenntnis Gert Winkelmeier [fraktionslos]) zur allgemeinen Wehrpflicht – ich sage das an dieser Stelle bewusst –, jedenfalls für die Fraktion der CDU/ Zurück zum Wehrsold. Der heutige Beschluss zur CSU. Wehrsolderhöhung ist, wie gesagt, erfreulich. Er ist aber kein Grund zur Selbstzufriedenheit. Vonseiten der Oppo- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sition, aber auch vonseiten der SPD ist bereits gesagt neten der SPD) worden, dass eine Dynamisierung der Anpassung und Entwicklung des Wehrsoldes eine Selbstverständlich- Es ist schon mehrfach auf die 2 Euro hingewiesen keit sein müsste. Bis zur nächsten Wehrsolderhöhung worden. Frau Kollegin Homburger hat darüber philoso- dürfen nicht noch einmal neun Jahre vergehen. Ich phiert, was sie wert sind. Im Monat sind das immerhin meine aber, dass es so oder so keine neun Jahre dauern 60 Euro. 222,30 Euro im Monat werden auf 282,30 Euro wird; denn vorher wird die in der Tat völlig unglaubwür- erhöht. dige Wehrpflicht durch ein sinnvolles System einer Frei- (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist be- willigenarmee abgelöst. Da bin ich mir sehr sicher. Dies- eindruckend!) bezüglich habe ich die Unterstützung der Opposition und erheblicher, „heimlicher“ Teile der Koalition. Dies ist eine Steigerungsrate, wie es sie in der Ge- Danke. schichte der Bundesrepublik Deutschland bei der Erhö- hung des Wehrsolds noch nicht gegeben hat. All die Äu- (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ßerungen, dass ein viel zu langer Zeitraum zwischen der (D) sowie des Abg. Paul Schäfer [Köln] [DIE letzten Erhöhung und der heutigen ist, sind mit Recht LINKE]) vorgetragen worden. Das ist überhaupt keine Frage. Aber ich will das gar nicht weiter bewerten. Denn das, Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: was in den Jahren dazwischen passiert ist, spricht für Ich gebe das Wort dem Kollegen Bernd Siebert, sich selbst. CDU/CSU-Fraktion. Herr Nachtwei, Sie haben auf eine Veranstaltung und (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist jetzt der auch auf die beiden jungen Rekruten Andreas Ahammer unheimliche Teil der Koalition!) und Stephan Nachtigall hingewiesen, die sich im Bun- deswehr-Verband in entscheidender Weise der Aufgabe Bernd Siebert (CDU/CSU): gewidmet haben, dazu beizutragen, den Wehrsold zu er- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! höhen. Ich will aus einer Zeitung des Bundeswehr-Ver- Nach den bisherigen Reden kann man eines sicherlich bandes zitieren, wo sie über eine Veranstaltung, bei der festhalten: Der heutige Tag ist ein guter Tag für die auch Sie anwesend waren, schreiben: Es ist ein großer Wehrpflichtigen. Moment in der Geschichte des Deutschen Bundeswehr- Verbandes. Die Abgeordneten und Bernd (Beifall bei der CDU/CSU) Siebert halten den von ihnen in der Sitzung unterzeich- Ich glaube, der heutige Tag ist auch ein guter Tag für die neten Antrag auf Wehrsolderhöhung in die Kamera und Bundeswehr insgesamt. damit in das Publikum hinein. Mit dem vorliegenden Wehrsoldänderungsgesetz ist Wir haben großen Beifall erhalten, und die Leute ha- das Bundesministerium der Verteidigung einer Initiative ben sich gefreut. Das war genau die Absicht, die wir da- der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der SPD, mals hatten, gefolgt. Der Wehrsold wird, rückwirkend ab dem 1. Ja- (Birgit Homburger [FDP]: Beifall zu bekom- nuar 2008, um 2 Euro pro Tag erhöht. Für dieses wich- men!) tige Zeichen danke ich ausdrücklich dem Bundesminis- ter der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, der diese nämlich dazu beizutragen, Anerkennung in der Öffent- Initiative aus dem Herbst des Jahres 2007 aufgenommen lichkeit für diese notwendige Maßnahme zu finden. und entscheidend dazu beigetragen hat, dass diese Initia- tive Erfolg hatte und haushalterisch umgesetzt werden (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und konnte. der SPD) 15864 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Bernd Siebert (A) Die Wehrpflichtigen leisten in der Bundeswehr einen heute umsetzen. Ich bitte ganz eindringlich um Zustim- (C) nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Einsatzbereit- mung für dieses Gesetz. schaft. Sie leisten meiner Ansicht nach einen sehr ver- Herzlichen Dank. antwortungsvollen Dienst. Sie stellen – ebenfalls sehr verantwortungsvoll – einerseits den reibungslosen Hei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- matbetrieb der Streitkräfte sicher, andererseits sind die neten der SPD) vielen freiwillig Längerdienenden das Rückgrat der Truppe in den Auslandseinsätzen. So darf dieser persön- Vizepräsident Dr. : liche Beitrag, den die jungen Bundesbürger für das Ge- Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen meinwohl Deutschlands erbringen, nicht unterschätzt Stinner von der FDP-Fraktion das Wort. werden. Auch das gehört in diese Debatte. Die Wehr- pflicht ist ein Zeichen der Solidarität mit der Gemein- schaft und schafft nachhaltige Sicherheit für Deutsch- Dr. Rainer Stinner (FDP): land. Der Dienst des Einzelnen in der Gemeinschaft im Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Rahmen der Wehrpflicht ist ein wichtiger Dienst und Kollegen! Da diese Debatte sicherlich in die deutschen trägt zur Sicherheit von uns allen bei. Geschichtsbücher eingehen wird, möchte ich um der his- torischen Wahrheit willen noch einmal die Fakten auf (Beifall bei der CDU/CSU) den Tisch legen. Herr Siebert, Sie haben das Hohelied auf die Koalition gesungen. Es ist richtig, dass Sie am Die Erhöhung des Wehrsolds darf nicht isoliert be- Ende des Tages zugestimmt haben. Aber ich möchte der trachtet werden. Vielmehr ist sie ein weiterer Beitrag zu Öffentlichkeit und der Geschichte nicht den Fakt vorent- einem ganzen Strauß an Maßnahmen zur Verbesserung halten, dass es die Fraktion der Freien Demokratischen der Lage der Bundeswehr als Armee im Einsatz. Ich darf Partei im Deutschen Bundestag war, die den entspre- daran erinnern, dass wir im Jahre 2007 das Personalan- chenden Antrag eingebracht hat. passungsgesetz und das Einsatz-Weiterverwendungsge- setz beschlossen haben. Wir beraten im Moment über das Ich möchte weiterhin zur Kenntnis geben, dass Ihre Wehrrechtsänderungsgesetz, das wir hier wahrscheinlich Fraktion, sehr verehrter Herr Siebert, zunächst sehr zö- nächste Sitzungswoche beschließen werden. Das Dienst- gerlich war und den Wehrsold nur um 1 Euro erhöhen rechtsneuordnungsgesetz befindet sich ebenfalls in der wollte. Dass Sie sich unseren guten Argumenten letzt- Pipeline. Wir werden in besonders intensivem Maße da- endlich nicht verschließen konnten, spricht für Sie; das rum kämpfen, dass die Interessen der Soldaten beim sollte öfter so sein. Das andere musste aber auch gesagt Dienstrechtsneuordnungsgesetz berücksichtigt werden. werden. (B) (Beifall bei der FDP – Zuruf von der SPD: Ge- (D) Natürlich ist auch – das sage ich in aller Deutlichkeit – schichtlicher Beifall!) eine adäquate Unterbringung zum Wohlbefinden der Soldatinnen und Soldaten notwendig, wenn sie ihre schwere Aufgabe erledigen. Wenn wir es mit der Wehr- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: pflichtarmee und der Fürsorge für sie wirklich ernst mei- Es gibt keine Erwiderung. – Dann hat der Kollege nen – und das tun wir –, müssen wir für moderne und an- Maik Reichel von der SPD-Fraktion das Wort. gebrachte Wohnverhältnisse in unseren Kasernen (Beifall bei der SPD) sorgen. Das haben wir in den neuen Bundesländern seit der Wiedervereinigung in den vergangenen Jahren mei- ner Meinung nach vortrefflich geschafft. Maik Reichel (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Aber der finanzielle Mangel und die dringend not- Kollegen! Dieses Thema um diese Tageszeit zu bespre- wendige Rettung der Ostkasernen haben die Kasernen chen, scheint nicht nur wegen der 2 Euro wichtig gewe- im Westen aus dem Fokus verschwinden lassen. Deshalb sen zu sein. Die Erhöhung um 2 Euro war notwendig. war die Entscheidung des Ministers richtig, im Herbst Das haben alle Redner bekräftigt, und auch der einstim- 2007 ein Sonderprogramm in Höhe von 650 Millionen mige Beschluss hat das gezeigt. Bei diesem Einverneh- Euro aufzulegen, um die Verhältnisse in den Westkaser- men soll es auch bleiben, unabhängig von Schuldzuwei- nen deutlich zu verbessern. Auch das muss man in die- sungen im Hinblick darauf, wer am Anfang zugestimmt sem Zusammenhang deutlich erwähnen. hat oder nicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Unsere Bundeswehr hat es verdient, dass wir nicht neten der SPD) nur heute über die Wehrpflicht, die Wehrpflichtigen oder auch die Bundeswehr an sich reden. Deshalb wünsche Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Die Entschei- ich mir auch mehr Debatten zu diesen Themen. Ich dung für die Erhöhung des Wehrsoldes, die zur Verbes- denke, dass die Erhöhung um 2 Euro, über die wir heute serung der Verhältnisse der Soldaten beiträgt, ist eine reden, von allen getragen wird und allen ein Herzensan- wichtige Entscheidung. Die Soldaten haben diese Unter- liegen war. Auch der Wehrbeauftragte des Deutschen stützung verdient. Sie haben in der Vergangenheit beson- Bundestags sitzt hier im Raum. Er hat in fast jedem sei- dere Leistungen erbracht und haben im Rahmen von ner Berichte, meistens im Vorwort, darauf hingewiesen, Auslandseinsätzen das Ansehen Deutschlands deutlich dass ihm das ein wichtiges Anliegen war. Dieses haben verbessert. Deswegen sollten wir diese Entscheidung wir aufgegriffen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15865

Maik Reichel (A) Ich plädiere dafür, eine gesetzliche Regelung zu Die Einsatzbereitschaft unserer Bundeswehr muss in (C) schaffen, die es erübrigt, alljährlich, alle zwei oder gar angepasster Form gewährleistet sein. Dazu haben wir ei- nur alle neun Jahre über eine Wehrsoldanhebung reden nige Vorschläge unterbreitet. Wir wollen, dass sich die zu müssen. Kollege Siebert hat das Dienstrechtsneu- jungen Männer entscheiden können, ob sie den Wehr- ordnungsgesetz angesprochen. Im Hinblick darauf dienst oder einen Ersatzdienst machen wollen; vorher wünsche ich mir, dass die Soldatinnen und Soldaten ins- sollen sie aber alle Stufen, die wir kennen, durchlaufen, gesamt nicht schlechter und nicht besser gestellt werden auch die Musterung. Darüber werden wir in diesem als alle anderen Beamtinnen und Beamten, für die dieses Hause entscheiden müssen. Gesetz gelten soll. Auch das ist ein großer Wunsch im Im Jahre 1978 – das ist also schon 30 Jahre her – hat Hinblick darauf, dass wir im Rahmen des Dienstrechts- das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass man neuordnungsgesetzes noch einiges bewegen wollen. bei der Entscheidung zwischen Wehrpflichtarmee und Wir hatten eine Debatte, die von der Ausstattung der Freiwilligenarmee nicht nur die sicherheitspolitischen Bundeswehr über die Kasernen bis hin zur Sinnhaftig- Bedingungen berücksichtigen, sondern auch wirtschafts- keit oder Nichtsinnhaftigkeit der allgemeinen Wehr- politische Erwägungen, die gesellschaftspolitischen pflicht reichte. Gerade in der heutigen Zeit und bei der Rahmenbedingungen und allgemeinpolitische Aspekte aktuellen Sicherheitslage kann man – das ist von mehre- abwägen muss. In diese Phase sollten wir eintreten, um ren Seiten angedeutet worden – über den letztgenannten die Bundeswehr weiterhin attraktiv zu gestalten. Punkt reden. Das heißt im Umkehrschluss aber auch, dass die Bun- Natürlich hat sich die Bedrohungslage in Deutsch- deswehr noch attraktiver werden muss. Mit der Erhö- land und in Europa nach 1990 völlig verändert; hier sind hung des Wehrsolds um 2 Euro pro Tag tragen wir dazu wir uns alle einig. Die Gefahr eines konventionellen sicherlich ein wenig bei. Sollte man die Idee des Frei- Krieges im Herzen Europas, der wir uns vorher ausge- willigendienstes aufgreifen, muss hier allerdings noch setzt sahen, besteht heute nicht mehr; denn mittlerweile ein bisschen mehr getan werden. Dabei werden finan- ist Deutschland, wie es immer wieder heißt, umgeben zielle Aspekte eine Rolle spielen, aber auch verschie- von Freunden. Dazu tragen EU und NATO bei, auch mit dene Vergünstigungen. Darüber müssen wir nachdenken. ihren Erweiterungen in Richtung Osten. Diesen verän- Da sich die sicherheitspolitischen Bedingungen auf derten Bedingungen passt sich die Bundeswehr an. Auch der Welt verändern, muss sich auch die Bundeswehr ver- die Wehrpflicht ist daher neu zu bewerten. ändern. Sie muss sich der Situation anpassen. Daher Das Ende des Kalten Krieges bedeutet allerdings werden wir auch darüber diskutieren müssen, welche in- nicht das Ende jeglicher Bedrohung für die Sicherheit telligenten Möglichkeiten es gibt, um die Wehrpflicht zu (B) Deutschlands und Europas. Wenn wir nur einige Jahre ersetzen. (D) zurückschauen, stellen wir fest: Die Konflikte auf dem Wir stehen dazu, dass die allgemeine Wehrpflicht, die Balkan, quasi vor unserer Haustür, aber auch die An- wir kennen, ein wesentlicher Bestandteil unserer Überle- schläge vom 11. September 2001 haben uns sehr deut- gungen ist; hier stimmen wir dem zu, was der Minister lich vor Augen geführt, dass es in unserer Welt neue und gesagt hat. Unsere Fraktion will aber ihre Weiterent- nach wie vor schreckliche Bedrohungen gibt. Tiefgrei- wicklung. Über die verschiedensten Möglichkeiten, die fende Veränderungen der sicherheitspolitischen Lage es dazu gibt, müssen und werden wir reden. Das wird in sind vor allem kurzfristig nicht auszuschließen. Deshalb Zukunft unser Anliegen sein. Die Einführung eines Frei- ist es notwendig und wichtig, dass wir die Landesvertei- willigendienstes ist ein erster Schritt in diese Richtung. digung auch weiterhin stets gewährleisten können. Ich bitte das gesamte Hohe Haus, daran im Interesse Die Koalition, dieses ganze Haus und natürlich auch unserer Bundeswehr, der Soldatinnen und Soldaten und meine Fraktion werden daran sehr intensiv mitwirken. des Ansehens der Staatsbürger in Uniform mitzuwirken, Denn unsere Soldatinnen und Soldaten, ob Wehrdienst- anstatt Grabenkämpfe auszutragen. Liebe Kolleginnen leistende oder länger Dienende, leisten in allen Berei- und Kollegen, ich freue mich auf die allgemeine Zustim- chen einen ehrenvollen, hervorragenden und sehr enga- mung in diesem Hause. gierten notwendigen Dienst, sowohl im Inland als auch im Ausland. Dafür möchte ich ihnen an dieser Stelle un- Vielen Dank. seren herzlichsten Dank sagen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) der CDU/CSU)

Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee; das soll Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: sie auch bleiben. Dieses Thema ist gerade von vielen Ich schließe die Aussprache. Rednern der Opposition angesprochen worden. Die SPD hat eine intelligente Weiterentwicklung unserer Wehr- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- verfassung vorgeschlagen. Darum muss es gehen. Die desregierung eingebrachten Entwurf eines Sechzehnten vollständige Deckung des Bedarfs der Bundeswehr wol- Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes. Der Ver- len wir durch freiwillige Wehrdienstleistende sicherstel- teidigungsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- len. Auch das ist ein Thema, über das wir miteinander fehlung auf Drucksache 16/8470, den Gesetzentwurf der reden werden, insbesondere auch mit unserem Koali- Bundesregierung auf Drucksache 16/8188 anzunehmen. tionspartner. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen 15866 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent- Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 30 a bis (C) haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung 30 q sowie den Zusatzpunkten 3 a bis 3 i. Es handelt sich einstimmig angenommen. um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu- Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 a auf: stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange- regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten nommen. Gesetzes zur Änderung des Hopfengesetzes Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der – Drucksache 16/8153 – Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5970 mit dem Titel „Unverzügliche Erhöhung des Wehrsoldes“. Wer stimmt Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- cherschutz (10. Ausschuss) nen bei Zustimmung der Oppositionsfraktionen abge- lehnt. – Drucksache 16/8397 – Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und 29 b so- Berichterstattung: wie Zusatzpunkt 2 auf: Abgeordnete Kurt Segner Dr. 29 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann Wolfgang Bosbach, Dr. Hans-Peter Uhl, Kristina Dr. Kirsten Tackmann Köhler (Wiesbaden), weiterer Abgeordneter und Cornelia Behm der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeord- neten Gabriele Fograscher, Klaus Uwe Benneter, Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- Dr. Michael Bürsch, weiterer Abgeordneter und desregierung eingebrachten Entwurf eines Ersten Geset- der Fraktion der SPD zes zur Änderung des Hopfengesetzes. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Verbot des Vereins „Collegium Humanum“ empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sowie des „Vereins zur Rehabilitierung der sache 16/8397, den Gesetzentwurf der Bundesregierung wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten“ auf Drucksache 16/8153 anzunehmen. Ich bitte diejeni- prüfen und bestehende Gemeinnützigkeit ab- gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr erkennen (B) Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der (D) – Drucksache 16/8497 – Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig ange- Überweisungsvorschlag: nommen. Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Dritte Beratung Finanzausschuss und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Jelpke, Petra Pau, Kersten Naumann, weiterer Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange- Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE nommen. Keine Ausweitung der Inlandseinsätze der Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 b auf: Bundeswehr Zweite Beratung und Schlussabstimmung des – Drucksache 16/6036 – von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Überweisungsvorschlag: eines Gesetzes zu der Entschließung vom Innenausschuss (f) Rechtsausschuss 8. Juli 2005 zur Änderung des Übereinkom- Verteidigungsausschuss mens vom 26. Oktober 1979 über den physi- schen Schutz von Kernmaterial ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD – Drucksache 16/8151 – Chancen der Charta der Vielfalt nutzen Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- – Drucksache 16/8502 – ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit (16. Ausschuss) Überweisungsvorschlag: Ältestenrat – Drucksache 16/8486 – Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Berichterstattung: Verfahren ohne Debatte. Abgeordnete Dr. Georg Nüßlein Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an Christoph Pries die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Eva Bulling-Schröter Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Sylvia Kotting-Uhl Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15867

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- Berichterstattung: (C) desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu Abgeordneter Rolf Hempelmann der Entschließung vom 8. Juli 2005 zur Änderung des Übereinkommens vom 26. Oktober 1979 über den phy- f) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des sischen Schutz von Kernmaterial. Der Ausschuss für von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 5. Februar seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8486, 2007 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache land und dem Königreich Bahrain über die 16/8151 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- Förderung und den gegenseitigen Schutz von setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge- Kapitalanlagen genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist – Drucksache 16/8254 – mit den Stimmen aller Fraktionen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ses für Wirtschaft und Technologie (9. Aus- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 c bis 30 g auf: schuss) c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von – Drucksache 16/8520 – der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zu dem Vertrag vom 8. September Berichterstattung: 2006 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- Abgeordneter Rolf Hempelmann land und der Republik Trinidad und Tobago g) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des über die Förderung und den gegenseitigen von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Schutz von Kapitalanlagen eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 30. Mai – Drucksache 16/8251 – 2007 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- land und dem Sultanat Oman über die Förde- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- rung und den gegenseitigen Schutz von Kapi- ses für Wirtschaft und Technologie (9. Aus- talanlagen schuss) – Drucksache 16/8255 – – Drucksache 16/8520 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Berichterstattung: ses für Wirtschaft und Technologie (9. Aus- Abgeordneter Rolf Hempelmann schuss) (B) (D) d) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des – Drucksache 16/8520 – von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 1. August Berichterstattung: 2006 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- Abgeordneter Rolf Hempelmann land und der Republik Madagaskar über die Wir kommen zur Abstimmung über die Entwürfe von gegenseitige Förderung und den gegenseitigen Gesetzen zu den Verträgen zwischen der Bundesrepublik Schutz von Kapitalanlagen Deutschland und der Republik Trinidad und Tobago, der – Drucksache 16/8252 – Republik Madagaskar, der Republik Guinea, dem Königreich Bahrain und dem Sultanat Oman über die Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapital- ses für Wirtschaft und Technologie (9. Aus- anlagen, Drucksachen 16/8251 bis 16/8255. Der Aus- schuss) schuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt unter – Drucksache 16/8520 – Buchstaben a bis e seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8520, die Gesetzentwürfe anzunehmen. Berichterstattung: Abgeordneter Rolf Hempelmann Wenn Sie damit einverstanden sind, lasse ich über diese fünf Gesetzentwürfe gemeinsam abstimmen. – Es e) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des gibt keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. No- Ich bitte diejenigen, die diesen Gesetzentwürfen zu- vember 2006 zwischen der Bundesrepublik stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Deutschland und der Republik Guinea über Enthaltungen? – Die Gesetzentwürfe sind mit den Stim- die gegenseitige Förderung und den gegenseiti- men der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei gen Schutz von Kapitalanlagen Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. – Drucksache 16/8253 – Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 h auf: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ses für Wirtschaft und Technologie (9. Aus- Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- schuss) regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkommen von – Drucksache 16/8520 – 2001 über die Beschränkung des Einsatzes 15868 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) schädlicher Bewuchsschutzsysteme auf Schif- Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 j auf: (C) fen (AFS-Gesetz) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- – Drucksache 16/8154 – ausschusses (2. Ausschuss) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Sammelübersicht 373 zu Petitionen ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung – Drucksache 16/8385 – (15. Ausschuss) Sammelübersicht 373 auf Drucksache 16/8385. Wer – Drucksache 16/8503 – stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Berichterstattung: Sammelübersicht 373 ist einstimmig angenommen. Abgeordneter Patrick Döring Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 k auf: Abstimmung über den von der Bundesregierung ein- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- gebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Internationa- ausschusses (2. Ausschuss) len Übereinkommen von 2001 über die Beschränkung des Einsatzes schädlicher Bewuchsschutzsysteme auf Sammelübersicht 374 zu Petitionen Schiffen, AFS-Gesetz. Der Ausschuss für Verkehr, Bau – Drucksache 16/8386 – und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussemp- fehlung auf Drucksache 16/8503, den Gesetzentwurf der Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- Bundesregierung auf Drucksache 16/8154 anzunehmen. gen? – Sammelübersicht 374 ist ebenfalls einstimmig Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen angenommen. wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent- Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 l auf: haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses (2. Ausschuss) Dritte Beratung Sammelübersicht 375 zu Petitionen und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu- stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – – Drucksache 16/8387 – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange- Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- nommen. gen? – Sammelübersicht 375 ist mit den Stimmen der Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 i auf: Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegen- (B) stimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der (D) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 m auf: Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Rainder Steenblock, Nicole Maisch, weiterer Ab- ausschusses (2. Ausschuss) geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sammelübersicht 376 zu Petitionen Antifoulingabkommen unverzüglich ratifi- – Drucksache 16/8388 – zieren Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- – Drucksachen 16/5777, 16/8498 – gen? – Sammelübersicht 376 ist einstimmig angenom- men. Berichterstattung: Abgeordnete Ingbert Liebing Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 n auf: Heinz Schmitt (Landau) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Angelika Brunkhorst ausschusses (2. Ausschuss) Eva Bulling-Schröter Sylvia Kotting-Uhl Sammelübersicht 377 zu Petitionen Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- – Drucksache 16/8389 – schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit gen? – Sammelübersicht 377 ist mit den Stimmen aller dem Titel „Antifoulingabkommen unverzüglich ratifizie- Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke ren“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- angenommen. fehlung auf Drucksache 16/8498, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5777 für erle- Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 o auf: digt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be- ausschusses (2. Ausschuss) schlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Sammelübersicht 378 zu Petitionen Wir kommen jetzt zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. – Drucksache 16/8390 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15869

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- Ich rufe Zusatzpunkt 3 d auf: (C) gen? – Sammelübersicht 378 ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion ange- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- nommen. ausschusses (2. Ausschuss) Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 p auf: Sammelübersicht 384 zu Petitionen Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- – Drucksache 16/8508 – ausschusses (2. Ausschuss) Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- Sammelübersicht 379 zu Petitionen gen? – Sammelübersicht 384 ist mit den Stimmen aller – Drucksache 16/8391 – Fraktionen bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grü- nen angenommen. Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- gen? – Sammelübersicht 379 ist mit den Stimmen der Ich rufe Zusatzpunkt 3 e auf: Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegen- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die ausschusses (2. Ausschuss) Grünen angenommen. Sammelübersicht 385 zu Petitionen Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 q auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- – Drucksache 16/8509 – ausschusses (2. Ausschuss) Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- Sammelübersicht 380 zu Petitionen gen? – Sammelübersicht 385 ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke – Drucksache 16/8392 – angenommen. Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- Ich rufe Zusatzpunkt 3 f auf: gen? – Sammelübersicht 380 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Opposi- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- tionsfraktionen angenommen. ausschusses (2. Ausschuss) Ich rufe Zusatzpunkt 3 a auf: Sammelübersicht 386 zu Petitionen Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- – Drucksache 16/8510 – ausschusses (2. Ausschuss) (B) (D) Sammelübersicht 381 zu Petitionen Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- gen? – Sammelübersicht 386 ist mit den Stimmen aller – Drucksache 16/8505 – Fraktionen bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion ange- nommen. Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- gen? – Sammelübersicht 381 ist einstimmig angenom- Ich rufe Zusatzpunkt 3 g auf: men. Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Ich rufe Zusatzpunkt 3 b auf: ausschusses (2. Ausschuss) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Sammelübersicht 387 zu Petitionen ausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 382 zu Petitionen – Drucksache 16/8511 – – Drucksache 16/8506 – Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- gen? – Sammelübersicht 387 ist mit den Stimmen der Sammelübersicht 382 auf Drucksache 16/8506. Wer Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegen- stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd- Sammelübersicht 382 ist mit den Stimmen der Koali- nis 90/Die Grünen angenommen. tionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstim- men der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Ich rufe Zusatzpunkt 3 h auf: Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Ich rufe Zusatzpunkt 3 c auf: ausschusses (2. Ausschuss) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Sammelübersicht 388 zu Petitionen ausschusses (2. Ausschuss) – Drucksache 16/8512 – Sammelübersicht 383 zu Petitionen Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- – Drucksache 16/8507 – gen? – Sammelübersicht 388 ist mit den Stimmen der Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen bei gen? – Sammelübersicht 383 ist einstimmig angenom- Gegenstimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion Die men. Linke angenommen. 15870 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Ich rufe Zusatzpunkt 3 i auf: zugesagt wurden. Die Bundesregierung und insbeson- (C) dere Herr Minister Seehofer haben die Pflicht, ihre ver- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- braucherpolitischen Ergebnisse, Vorhaben und Ziele of- ausschusses (2. Ausschuss) fenzulegen, um sie der demokratischen Kontrolle zu Sammelübersicht 389 zu Petitionen unterwerfen. Wenn dies trotz Ihrer eigenen Ankündi- gung nicht geschieht, ist offensichtlich: Sie haben keine – Drucksache 16/8513 – verbraucherpolitischen Erfolge vorzuweisen, die Sie do- Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- kumentieren können. Ihre Bilanz ist dünn. Deshalb hal- gen? – Sammelübersicht 389 ist mit den Stimmen der ten Sie sich zurück. Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tionsfraktionen angenommen. und bei der FDP) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf: Ich werde Ihnen ein paar Beispiele nennen, um meine a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole Ausführungen zu erhellen. Thema Fahrgastrechte: Seit Maisch, Ulrike Höfken, Cornelia Behm, weiterer über einem halben Jahr wird ein Gesetzentwurf zu den Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Fahrgastrechten den Kunden der öffentlichen Verkehrs- DIE GRÜNEN mittel versprochen. Doch Justiz- und Verbraucherminis- terium können sich offensichtlich nicht einigen. Klar ist: Verbraucherpolitischen Bericht vorlegen Die Überlegungen der Bundesjustizministerin sind für – Drucksache 16/8499 – die Verbraucherinnen und Verbraucher unzureichend. Herr Minister Seehofer wird nicht müde, immer wieder b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- vollmundig mehr Entschädigungen anzukündigen. Aber richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- wo sind die Erfolge? Wo sind die konkreten Gesetze? schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu Wann werden wir im Ausschuss darüber beraten kön- dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, nen? Wann werden die Verbraucherinnen und Verbrau- Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer Abgeord- cher mit verbindlichen Fahrgastrechten rechnen können? neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Von Herrn Seehofer höre ich seit Monaten, alles sei auf NEN einem guten Weg. Der Weg ist das Ziel – das gilt viel- Moderne Verbraucherpolitik fortführen und leicht für Yogalehrerinnen. Aber in der Verbraucherpoli- weiterentwickeln tik ist nicht der Weg das Ziel. Vielmehr müssen konkrete Ergebnisse erzielt werden. – Drucksachen 16/684, 16/8398 – (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) Berichterstattung: und bei der FDP) Abgeordnete Julia Klöckner Elvira Drobinski-Weiß Zweites Beispiel sind die Lebensmittelskandale: Hans-Michael Goldmann Mehrere Gammelfleischskandale haben im vergangenen Karin Binder Jahr unser Land erschüttert und Verbraucherinnen und Nicole Maisch Verbraucher zutiefst verunsichert. Wir schlittern von ei- nem Gammelfleischskandal zum nächsten. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Nein, nein! – Widerspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist Julia Klöckner [CDU/CSU]: Wo leben Sie das so beschlossen. denn?) Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- Das liegt vielleicht auch daran, dass die Bundesregie- nerin der Kollegin Nicole Maisch von Bündnis 90/Die rung die Strukturen in der Fleischindustrie nicht in der Grünen das Wort. Art und Weise angeht, wie es aus verbraucherpolitischer Sicht wünschenswert wäre. Immer wieder wird vor Lob- byisten eingeknickt. Der Verbraucherminister sollte aber Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): an der Seite der Lebensmittelkonsumenten stehen und Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Da- beispielsweise ein Verbraucherinformationsgesetz vorle- men und Herren! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, gen, das seinen Namen auch verdient. gute Verbraucherpolitik lebt von Transparenz. Die Ver- braucherinnen und Verbraucher wollen wissen, was drin (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ist. Umso unverständlicher ist es unserer Fraktion, dass Die Liste der Beispiele ließe sich ellenlang fortsetzen. die Bundesregierung den Bürgerinnen und Bürgern so- In den Stellungnahmen der Verbraucherzentralen und wie dem Parlament die Transparenz hinsichtlich ihrer natürlich in den Anträgen der grünen Fraktion können verbraucherpolitischen Tätigkeit vorenthält. Sie nachlesen, was alles noch abzuarbeiten ist. Die Um- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN benennung des Hauses Seehofer war Programm. Der sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann Verbraucherschutz steht nur noch an dritter und damit [FDP]) letzter Stelle Ihrer Arbeit. Seit dem Jahr 2004 wurde kein verbraucherpolitischer (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Alphabetische Bericht mehr vorgelegt, obwohl regelmäßige Berichte Reihenfolge!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15871

Nicole Maisch (A) Das finde ich schade; das war zu anderen Zeiten besser. Uda Carmen Freia Heller (CDU/CSU): (C) Da stand der Verbraucherschutz nämlich an erster Stelle. Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Julia Kollegin Maisch, Ihnen ist offensichtlich nicht bekannt, Klöckner [CDU/CSU]: Aber nur verbal!) dass in wenigen Wochen der nächste verbraucherschutz- Moderne Verbraucherpolitik, meine Damen und Her- politische Bericht erscheint; er wird am 23. April im Ka- ren, sieht anders aus: Sie ist Schutz der Verbraucherin- binett vorgelegt werden, sodass die parlamentarischen nen und Verbraucher vor Gefahren. Beratungen noch vor der Sommerpause erfolgen können. Dieser Bericht ist schon nach dem neuen Berichtswesen- (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Vor den Grü- system ausgerichtet, wozu gehört, mit längeren Berichts- nen!) zeiträumen bessere Bewertungen vorzunehmen. Es geht Wo gesundheitliche und wirtschaftliche Gefahren dro- uns nicht wie der ehemaligen Verbraucherschutzministe- hen – seien es Pestizide im Essen oder Anlagebetrug –, rin Künast darum, mit jährlichen Berichten ohne konkrete muss der Staat seine Aufsichtspflicht und Kontrollfunk- Aussagen ständig Wirbel zu veranstalten. tion wahrnehmen. Eine Orientierung am Vorsorgeprinzip (Beifall bei der CDU/CSU – Julia Klöckner statt Einknicken vor Lobbyinteressen – so sieht vernünf- [CDU/CSU]: Selbstvermarktung!) tige Verbraucherpolitik aus. Die Umstellung des Berichtswesens auf größere Be- (Beifall der Abg. Cornelia Behm [BÜND- richtszeiträume ändert nichts daran, dass man natürlich NIS 90/DIE GRÜNEN]) auch weiterhin entsprechende Daten und Fakten abrufen Aber vernünftige Verbraucherpolitik setzt auch auf kann. Verbrauchermacht. Unser Ziel sind informierte und Wenn ich mir den vorliegenden Antrag von Bündnis 90/ selbstbestimmte Verbraucherinnen und Verbraucher, die Die Grünen mit der Forderung nach Berichterstattung mit ihren Kaufentscheidungen ihre Macht auf dem anschaue, fühle ich mich in die Zeiten zurückversetzt, Markt ausüben können. Nachhaltiger Konsum und das als die Verbraucherschutzpolitik noch die typisch grüne Verändern der Welt mit dem Einkaufsbeutel sind mög- Handschrift von Frau Künast trug. Damals wurden fünf lich, wenn man die politischen Rahmenbedingungen da- Jahre lang medienwirksame Inszenierungen geboten, für schafft. viele Worte und viel Wind gemacht. Substanziell wurde nicht viel umgesetzt, und wirkliche Erfolge konnte man (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – nicht vorweisen. Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Aber nicht mit den Schwarzen!) Der jetzige Verbraucherschutzminister steht für klare (B) (D) Zielvorstellungen, nicht für Worte. Wir setzen auf Taten. In der grünen Regierungszeit haben wir vorgemacht, wie dies geht. (Beifall bei der CDU/CSU) (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Gab es eine Betrachte ich die verbraucherpolitischen Erfolge von grüne Regierungszeit? Waren Sie nicht dabei?) Minister Seehofer, kann ich nur feststellen: Es sind viele gute Ergebnisse für den Verbraucherschutz erzielt wor- Die Fair-Trade-Kampagne, das Biosiegel, unser Engage- den. ment gegen Gentechnik sind nur drei Beispiele, wie Ver- braucherpolitik richtig funktioniert. Unter konstruktiver Oppositionsarbeit verstehe ich nicht, die Bundesministerien unnötig mit der Erstellung In dieser Woche begehen wir den Weltverbraucher- von Berichten zu belasten. Das sind reine Arbeitsbe- tag; doch die Arbeit dieser Bundesregierung stagniert. schaffungsmaßnahmen, die die Ministerien und Fachab- (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Wie ist es mit teilungen von der eigentlichen Sacharbeit abhalten. der Telefonwerbung?) (Beifall bei der CDU/CSU) Grund zum Feiern haben die Verbraucherinnen und Ver- Minister Seehofer kann bereits nach zweieinhalb Jah- braucher in diesem Jahr nicht. ren eine eindrucksvolle Bilanz vorweisen. Gestern hat Verbraucherinnen und Verbraucher vor Gefahren das Kabinett die „Allgemeine Verwaltungsvorschrift über schützen, ihre Stellung gegenüber Unternehmen stärken, Grundsätze zur Durchführung der amtlichen Überwa- ihre informationelle Selbstbestimmung garantieren und chung der Einhaltung lebensmittelrechtlicher, weinrecht- zugleich funktionsfähigen Wettbewerb und nachhalti- licher und tabakrechtlicher Vorschriften“, AVV RÜb, be- gen Konsum fördern – dafür steht grüne Verbraucherpo- schlossen. litik, und dafür stehen unsere Anträge. (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Richtig!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Damit sind weitere wichtige Elemente aus dem 13-Punkte- Programm für Lebensmittelsicherheit umgesetzt. Kern- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: stück der AVV RÜb sind Verbesserungen bei der Lebens- Das Wort hat die Kollegin Uda Heller von der CDU/ mittelüberwachung und die Behebung von Mängeln, die CSU-Fraktion. bei Gammelfleischskandalen offenkundig wurden. So gelten nun das Vier-Augen-Prinzip bei der Betriebskon- (Beifall bei der CDU/CSU) trolle, die vorrangige Probeentnahme beim Hersteller 15872 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Uda Carmen Freia Heller (A) oder Importeur und der Abgleich der Ergebnisse aus den (Beifall bei der CDU/CSU – Silke Stokar von (C) Betriebskontrollen mit denen der risikoorientierten Pro- Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na beentnahmen. prima!) ( [BÜNDNIS 90/ Mit einer neuen, schlankeren Verwaltungsstruktur kön- DIE GRÜNEN]: Das reicht doch hinten und nen wir nun das hohe Niveau der Bundesforschung er- vorne nicht bei der Gammelfleischmafia!) halten und diese an die Weltspitze heranführen. Der entscheidende Erfolg der Maßnahmen der AVV Ein ganz wichtiges Anliegen der Bundesregierung ist RÜb ist, dass sich die Lebensmittelsicherheit für den die Verabschiedung des Präventionsgesetzes zur Unter- Verbraucher deutlich verbessert. stützung einer gesunden Lebensführung und zur Vorbeu- gung von Krankheiten. Anfang April wird der Referen- Auch die berechtigte Forderung der Wirtschaft nach tenentwurf im Kabinett vorgelegt. Bürokratieabbau steht auf unserer Agenda. (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das war zu (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist ja befürchten!) eine Bedrohung, wenn das auf der Agenda Wir halten es für ganz wichtig, den Gedanken der Prä- steht! Das wird ja jedes Mal mehr!) vention deutlich ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, allein schon um die Folgen der demografischen Ent- Denn schließlich wollen wir die Nahrungsmittelproduk- wicklung bewältigen zu können und unser Gesundheits- tion in unserer Heimat behalten und die Vielfältigkeit system vor dem Kollaps zu bewahren. Mit dem Nationa- unserer Nahrungsmittel bewahren. Ich denke, das ist für len Aktionsplan für Ernährung und Bewegung ist dieses uns ein ganz wichtiges Anliegen. Ziel angegangen worden, und mit der Verabschiedung (Beifall bei der CDU/CSU) des Präventionsgesetzes noch in dieser Wahlperiode wird dieser Schwerpunkt des gesundheitlichen Verbrau- Mit der Verabschiedung des Gentechnikgesetzes im cherschutzes gesetzlich verankert sein. Februar wurde ein weiterer entscheidender Beitrag für (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ein hohes Maß an Transparenz bei der Lebensmittel- der SPD) kennzeichnung geleistet. Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) Jahr 2020 das Ernährungs- und Bewegungsverhalten der deutschen Bevölkerung nachhaltig zu verändern. Im par- Erstmals ist für den Verbraucher ganz klar zu erken- lamentarischen Beratungsprozess erwarten wir auch von (B) nen, ob tierische Produkte gentechnikfrei sind oder (D) den Oppositionsparteien, dass sie dieses so wichtige An- nicht. liegen nicht zerreden, sondern tatkräftig unterstützen. Ein weiterer verbraucherpolitischer Erfolg ist der im Dass die Bundesregierung in Sachen Lebensmittel- vergangenen Herbst verabschiedete Aktionsplan gegen kennzeichnung gute Arbeit leistet, zeigt die Tatsache, Allergien. Angesichts der Tatsache, dass insgesamt dass bei der anstehenden Novelle der EU-Kennzeich- 40 Prozent aller Deutschen eine Anfälligkeit für Aller- nungsverordnung für den gesamten Binnenmarkt das gien in sich tragen und die Zahl seit Jahren ansteigt, war deutsche Modell favorisiert wird. Die Angabe der zen- es dringend geboten, die Situation von Allergikern zu tralen Elemente „1 plus 4“ mit der Kalorienzahl plus Ge- verbessern. Der Aktionsplan setzt insbesondere auf eine halt an Fett, Zucker, gesättigten Fettsäuren und Salz umfassende Information der Bevölkerung und auf die stößt bei der EU-Kommission auf gute Resonanz. Diese Unterstützung durch Wirtschaft und Forschung. Es geht in Deutschland bisher freiwillige Nährwertkennzeich- auch darum, neue wissenschaftliche Erkenntnisse über nung erfüllt offensichtlich die Anforderungen an eine allergene Stoffe zu erlangen und die zunehmende Aus- verbindliche, einheitliche Lebensmittelkennzeichnung breitung von Allergien einzudämmen. für die gesamte Europäische Union. Außerdem wurden wichtige Reformen der Forschungs- Zum Schluss möchte ich Napoleon Bonaparte zitie- einrichtungen durchgeführt, um bessere Voraussetzungen ren: für eine leistungsfähige und international wettbewerbsfä- hige Spitzenforschung zu schaffen. Es gibt Diebe, die nicht bestraft werden und dem Menschen doch das Kostbarste stehlen: die Zeit. (Peter Bleser [CDU/CSU]: Innovation hat wie- Das haben Sie, meine Damen und Herren von den Grü- der einen Namen!) nen, mit diesem Antrag getan. Kernstück ist die Konzentration auf die vier Bereiche (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Pflanze, Tier, Ernährung und Lebensmittel sowie ländli- neten der SPD) che Räume, Wald und Fischerei. Die bisher sieben Bun- desforschungsanstalten wurden zu vier Bundesforschungs- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: instituten zusammengefasst. Die bestehenden 71 Institute Das Wort hat der Kollege Hans-Michael Goldmann an 35 Standorten werden nun auf 49 Institute an 21 Stand- von der FDP-Fraktion. orten konzentriert. Einer davon ist in der Nähe meines Wohnortes, in Quedlinburg. (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15873

(A) Hans-Michael Goldmann (FDP): menden Wochenende hätte schon etwas mehr Butter bei (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und die Fische gemusst. Da ist von Ihnen wirklich nicht viel Kollegen! Wir beschäftigen uns heute zeitökonomisch auf den Weg gebracht worden. mit zwei Anträgen der Grünen. (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ (Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- DIE GRÜNEN) NEN]: Mit zwei guten Anträgen!) Ihre verbraucherpolitischen Taten lassen sehr zu wün- Der erste Antrag mit dem Titel „Verbraucherpolitischen schen übrig. Es wäre gut, wenn das in einer intensiven Bericht vorlegen“ wird von uns nachdrücklich unter- parlamentarischen Auseinandersetzung deutlich würde. stützt. Wir wollen eine politische Diskussion darüber führen, was uns die Verbraucherpolitik wert ist und wel- Frau Heller, Sie kritisieren, dass die Grünen damals chen Stellenwert wir ihr geben wollen. Ich halte die Ver- nichts gemacht haben. Das ist unverständlich. Minister öffentlichung eines entsprechenden Berichts für drin- Seehofer erklärt bei bestimmten Gelegenheiten durch- gend geboten. aus, dass er die Künast’sche Politik in vielen Bereichen fortsetzen möchte. Auch darüber müssen wir eine Dis- (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ kussion führen. DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Er kommt ja!) Nun zu Ihnen, liebe Kollegin Maisch. Ich darf Ihnen sagen – ich bin schon etwas länger im Parlament –: Das Liebe Frau Kollegin Heller, es stimmt schlichtweg haben Sie prima gemacht. Sie haben über eine Sache ge- nicht, dass in diesem Bereich gute Arbeit geleistet wird. redet, die für uns alle einen hohen Stellenwert hat; aber Ich möchte das an zwei Beispielen verdeutlichen: Sie haben über Ihren zweiten Antrag überhaupt nicht ge- redet. Das war clever; denn der Antrag ist von 2006. Es Erstens. Gestern haben wir im Ausschuss erlebt, dass ist ein bisschen peinlich, wenn man 2008 über Anträge Sie den Tagesordnungspunkt, bei dem Sie Ihre Vorstel- von 2006 redet. lungen zum Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch unterbreiten wollten, abgesetzt haben. Wir sind aber in (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Alter Tobak! Sorge darüber, dass es bei der Rückverfolgbarkeit von Peinlich!) möglichen Skandalen in diesem Bereich das eine oder andere Problem geben kann. Es stellt sich schon die Der Antrag ist aber nicht nur, was das Zeitfenster angeht, Frage: Warum musste der Punkt abgesetzt werden? peinlich, sondern auch, was die inhaltliche Klarheit an- Wahrscheinlich weil Sie sich nicht einig sind. Es ist sehr geht. Sie sagen in diesem Antrag eigentlich gar nichts: bedauerlich, wenn der Minister nicht die Kraft hat, hier Sie beschreiben bestimmte Dinge; aber wieso Sie be- (B) eine klare Position zu beziehen. stimmte Forderungen stellen, wird überhaupt nicht deut- (D) lich. Zweitens. Auf der Anuga in Köln erklärte der Minis- ter, die kleinen und mittelständischen Betriebe könnten Es wird nur eines deutlich: Sie verfolgen ein völlig sich darauf verlassen, dass es zu einer freiwilligen De- anderes Verbraucherleitbild als wir Liberale. Ich sage klaration kommt. Die Betriebe haben sich auf den Weg vorweg: Wir geben nicht auf; wir setzen nach wie vor gemacht, die Deklaration einzuführen, weil die Grünen darauf, den Verbraucher zu informieren, ihm die Chance sonst sagen würden, dass die Wirtschaft wieder nichts zu Informationen zu eröffnen. Der Verbraucher ist auch tut. Was passiert im Nachhinein? Auf einmal stellen Sie gehalten, sich Wissen anzueignen. Dafür müssen wir fest – das ist hier letzte Woche vom Staatssekretär ver- dem Verbraucher Informationen zur Verfügung stellen. kündet worden –, man müsse die Bürger befragen, wie (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Da hat er recht!) man das regeln soll. Dann wundern Sie sich darüber, dass niemandem Ihre verbraucherpolitische Botschaft Dann aber, wenn sich der Verbraucher Wissen angeeig- zur Kennzeichnung klar ist und dass keiner weiß, wie es net hat, möchten wir ihn allein frei entscheiden lassen. weitergehen soll. Ich denke, das ist ein Grund dafür, dass (Beifall bei der FDP) Sie keinen Bericht vorlegen: Sie haben Ihre Position dazu schlicht und ergreifend nicht gefunden. Wir möchten nicht wie Sie von oben herab Verbote aus- sprechen. Die Verbotspolitik, die Sie in diesem Punkt be- (Beifall bei der FDP) treiben, ist mit unserem Leitbild eines mündigen, infor- Auch in anderen Bereichen sind Sie nicht ganz so mierten Verbrauchers überhaupt nicht in Einklang zu munter, wie Sie behaupten. Was ist beim Cold Call pas- bringen. Ich glaube, auch damit müssen wir uns ausei- siert? Wo bleiben Ihre parlamentarischen Initiativen? nandersetzen. Was ist beim Thema Kreditverkäufe und Veräußerung (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) von Krediten passiert? Wo sind Ihre parlamentarischen Initiativen? Wir sollten uns an dieser Stelle einigen. Wir werden unsere gesellschaftlichen Entwicklungen nicht durch (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Da sind wir doch Verbote, Gesetze und Verordnungen regulieren können. dran! Lieber langsam als ein Schnellschuss!) (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Richtig!) Gestern saß der Verbraucherschutzminister neben der Justizministerin; aber inhaltlich hat er fast nichts gesagt. Dies führt dazu, dass es bis zu einem gewissen Grade Gerade angesichts des Weltverbrauchertags am kom- Gesellschaftssport wird, so etwas zu umgehen. 15874 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Hans-Michael Goldmann (A) Wir müssen erstens darauf setzen, dass der Verbrau- Konsens finden. – Wir sollten das noch einmal aufgrei- (C) cher – das habe ich bereits gesagt – informiert ist. Zwei- fen, was der Kollege und Staatssekretär Müller letzte tens müssen wir Anreize geben, damit der Verbraucher Woche angesprochen hat: Verbraucherbildung. Lassen diese Informationen dann auch klug nutzt. In Ihrem An- Sie uns über unsere peb-Initiativen und anderes mehr trag wird mit keinem Wort von einem solchen Anreiz- darauf hinwirken, dass Verbraucherbildung oder über- system, einem Eigeninitiativesystem, einem Eigenver- haupt Verbraucherinformation auch in den Ländern ei- antwortlichkeitsdenken, einer Wettbewerbsorientierung nen höheren Stellenwert erhält! Dafür muss es nicht un- oder einer Marktöffnung gesprochen. Deswegen ist es bedingt ein neues Fach wie Hauswirtschaftskunde ein schlechter Antrag, den wir entschieden ablehnen. geben. Das kann durchaus in vielfältige Angebote, die bereits gemacht werden, integriert werden. In diesen An- (Beifall bei der FDP) geboten sollte das dann aber auch stattfinden, damit der Verbraucher für sich eine kluge Marktteilhabe verwirkli- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: chen kann. Herr Goldmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Maisch? Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP) Hans-Michael Goldmann (FDP): Ja, gerne. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat die Kollegin Waltraud Wolff von der Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): SPD-Fraktion. Danke, Herr Präsident. – Lieber Herr Goldmann, der heutigen Ausgabe der Welt konnte ich entnehmen, dass Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Sie beim Thema „Unerlaubte Telefonwerbung“ stren- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und gere Verbote und schärfere Maßnahmen fordern. Wie Kollegen! Meine Damen und Herren! Am 15. März, am passt das zu Ihren Ausführungen zur Verbotsrepublik? kommenden Samstag, ist Weltverbrauchertag. Es ist gut, dass wir heute zwei Debatten zum Verbraucherschutz Hans-Michael Goldmann (FDP): führen. Wir stoßen bei bestimmten Punkten natürlich an eine Kollegin Maisch, was Ihren Antrag angeht, kann ich Grenze, an der der Gesetzgeber gefordert ist. Da sind wir mich nur meinem Kollegen von der FDP anschließen. uns doch völlig einig. Der Antrag ist wirklich dünn. Darauf werde ich in mei- (B) (Manfred Zöllmer [SPD]: Hört! Hört! – Peter nen Ausführungen noch zurückkommen. (D) Bleser [CDU/CSU]: Es geht doch um Verhin- Wie können Sie hier das Verbraucherinformationsge- derung von Betrug! – Ulrich Kelber [SPD]: setz ansprechen? Ich war damals mit in der Regierungs- Das ist schon fast Sozialismus!) koalition. Wir haben das unter Rot-Grün nicht hinbe- Ich könnte das an Beispielen verdeutlichen, aber ich ma- kommen. che es mir ein bisschen leichter. (Zuruf von der CDU/CSU: Fünf Jahre nichts Wir sind uns doch darüber einig, dass der Verbraucher getan!) auf den Produkten Kennzeichnungen braucht. Das ist Alles das, was wir jetzt in dieser Regierung geschafft ha- doch gar kein Thema. Ein Mensch, der allergische Reak- ben, ist ein großer Schritt nach vorn. tionen zeigt, muss doch wissen, ob ein Produkt etwas enthält, was ihn gefährdet. Darauf sollten wir uns aber (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Julia beschränken. Wir sollten dem Verbraucher nicht sein Klöckner [CDU/CSU]: Danke, Waltraud!) Konsumverhalten vorschreiben – so machen Sie das –, sondern wir sollten dem Verbraucher die Informationen Die Februar-Ausgabe des afg-reports der Wirtschafts- geben, die er benötigt. vereinigung Alkoholfreie Getränke e. V. hat sich mit dem Thema Nährwertkennzeichnung befasst. Besonders Wenn es dann im Marktgeschehen einen Anbieter spannend fand ich, dass dort ein Etikett eines Erfri- gibt, der diese Situation missbraucht, dann muss der Ge- schungsgetränks abgedruckt wurde. Dieses Beispiel setzgeber einschreiten und klipp und klar sagen: Das zeigt auf hervorragende Art und Weise, warum wir als darfst du nicht! – Mit dem sogenannten Cold Call haben SPD eine verbindliche Kennzeichnung wollen, die ein- Sie einen der Bereiche angesprochen, in dem jemand fach ist und schnelle Orientierung gibt: Verbindliche An- den freien Markt aushebelt und nicht auf Wettbewerb, gaben, verbindliche Bezugsgrößen und eine leichte Er- sondern auf Missbrauch von Wettbewerb setzt. kennbarkeit, das sind die Ziele, die wir verfolgen. Ich bin auch dafür, dass Menschen, die mit Gammel- Erfüllt das dort vorgestellte Etikett diese Vorgaben? fleisch handeln, bestraft werden. Das ist gar keine Frage. Ich kann nur sagen: bei weitem nicht. Das Getränk wird Es geht um die Gewichtung. in 1-Liter-Flaschen oder in 0,5-Liter-Flaschen abgefüllt. Die Nährwertangaben werden aber auf einen Viertelliter (Beifall bei der FDP) bezogen. Diese Angaben sind einfarbig unten links auf Lassen Sie mich noch einen letzten Punkt ansprechen; dem Etikett zu finden. Wir wissen also: 17 Prozent des dann können wir, glaube ich, sehr schnell wieder zum Tagesbedarfs an Zucker sind gedeckt, wenn wir einen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15875

Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (A) Viertelliter trinken. So weit, so gut. Wirklich auffallend cherpolitik bleibt auf diese Weise letztlich ein Reparatur- (C) sind diese Angaben aber nicht. Was im Gegenzug auf- betrieb für die anderen Politikbereiche. fällt, ist etwas ganz anderes. Im Zentrum dieses Etiketts (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE ist ein großes Wort, nämlich „Wellness“ zu lesen. Erwar- GRÜNEN]: Ist das die klare Strategie der ten Sie bei einem Wellnessgetränk in einem Glas vier SPD?) Stück Würfelzucker? Ich nicht. Ich kenne diese Flasche aus dem Beispiel nicht. – Wir haben eine ganz klare Strategie hin zur Verbrau- cherinformation. Fakt ist: Einfache Kennzeichen orien- (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Ich kenne auch tieren, können aber natürlich nicht die ganze Komplexi- einige Flaschen!) tät eines Produkts erfassen. Was ist also zu tun? Erstens Ich habe sie nicht gesehen. Ich weiß aber, die Abteilung die Einführung einer einfachen Kennzeichnung und Konsumentenpolitik der Arbeiterkammer in Wien hat im zweitens Verbraucherbildung, die das A und O ist. Diese Jahr 2006 eine Erhebung zum Zuckergehalt von Erfri- muss in der Schule beginnen, da sind wir uns alle einig. schungsgetränken gemacht. Sie kommt zu dem Ergeb- Nur so bauen wir für die Zukunft Kompetenz auf. Die nis, dass Wellnessgetränke reichlich Zucker enthalten, Kennzeichnung kann so auch in das allgemeine Leben insbesondere im Vergleich zu Mineralwasser. Sie fragen übernommen werden. Lassen Sie uns hier gemeinsam zu sich nun, warum ich mit Mineralwasser vergleiche. Der einem wirklich schlüssigen Konzept kommen! Vergleich drängt sich förmlich auf, weil die Etikettenge- Wir alle, auch die Zuschauer dort oben, wollen unser staltung von Wellnessgetränken und Mineralwasser sehr Leben leben und unsere Zeit nicht mit dem Lesen von ähnlich ist. Ich glaube, hier liegt ein entscheidender Kleingedrucktem verbringen. Außerdem wollen wir im Punkt. Die Nährwertkennzeichnung konkurriert hier mit digitalen Zeitalter sorglos einkaufen und sicher im Netz der Gestaltung eines Produkts. Wir brauchen aber eine surfen können. Vor allem aber wollen wir sicher sein Kennzeichnung, die sich genau in dieser Konkurrenz be- können, dass wir mitbekommen, wenn wir einen Vertrag wegt und bewährt und die eine Orientierung schafft, und abschließen. Im gesundheitlichen Verbraucherschutz ha- zwar verbindlich, klar und leicht erkennbar. ben wir ein klar definiertes Vorsorgeprinzip. Das werden (Beifall bei der SPD) wir für den wirtschaftlichen Verbraucherschutz auch ent- wickeln. Sonst laufen wir nämlich der technischen Ent- Wenn ich Apfelsaft trinke, dann weiß ich: Damit wicklung immer hinterher. Das ist ein Rennen, das wir nehme ich sehr viel mehr Zucker zu mir. Mir ist natür- nicht gewinnen können, wenn wir nicht grundsätzlich lich klar, dass die Zusammensetzung der Ernährung ent- die Spielregeln definieren. scheidend ist. Ich bin aber sicher, dass wir beim Einkauf eine gute Orientierung haben, wenn wir innerhalb einer Gestern haben Bundesjustizministerin Zypries und (B) (D) Lebensmittelgruppe vergleichen können. Genau das leis- Verbraucherschutzminister Seehofer hier ein Maßnah- tet die Ampel, die wir von der SPD favorisieren. menpaket gegen unerlaubte Telefonwerbung vorgestellt. Zur unerlaubten Telefonwerbung gibt es ja eigentlich (Beifall bei der SPD – Zurufe von der FDP) schon Regelungen, nämlich im Gesetz gegen den unlau- Liebe Kolleginnen und Kollegen, in dem Antrag der teren Wettbewerb. Aber es halten sich nicht alle daran. Grünen wird auf das Leitbild des selbstbestimmten und Ich glaube, jeder von uns kennt diese Anrufe, und der auch des informierten Verbrauchers verwiesen. Ich eine oder andere hat auf diese Art und Weise schon einen denke, wir können diesem Verbraucher durchaus zumu- Vertrag abgeschlossen, den er gar nicht abschließen ten, eine Kennzeichnung wie die Ampel zu interpretie- wollte. Das darf in Zukunft nicht mehr möglich sein. ren. Was ich ihm – dem Verbraucher – und uns allen Ausnahmeregelungen beim Widerspruch werden gestri- eigentlich nicht zumuten will, ist das, was uns die Le- chen, und weitere wichtige Schritte werden unternom- bensmittelindustrie hier bietet. Die Angaben werden auf men. Wenn man den Telefonanbieter wechselt, bekommt beliebige Portionsgrößen bezogen. Die Portionsgrößen man einen schriftlichen Nachweis. müssen aber keinerlei Bezug zu dem Packungsinhalt ha- Verbraucherpolitik ist an dieser Stelle ganz klassische ben oder mit ihm im Zusammenhang stehen. Was nützt Verbraucherschutzpolitik. Denn das, was wir erlebt ha- die Kennzeichnung eines einzelnen Chicken Nugget in ben, ist reine Abzocke, zum Teil von renommierten Un- einer ganzen Packung mit Chicken Nuggets? ternehmen. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Soll jeder einzeln beklebt werden?) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Oder was nützt der Bezug auf einen halben Liter in einer Kommen Sie bitte zum Schluss. ganzen Flasche? Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Werden wir also demnächst mit dem Taschenrechner Ich komme zum Schluss. – Diese Dinge darf es in Zu- losziehen müssen? All das informiert nicht. Das verwirrt kunft im Rahmen einer vernünftigen Verbraucherschutz- mehr, und da macht die SPD nicht mit. politik nicht mehr geben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich habe es schon einmal gesagt: Die Grünen haben in Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Grünen führen ihrem Antrag viele Einzelmaßnahmen vorgeschlagen. in ihrem Antrag eine Vielzahl von ungebundenen Einzel- Wir wollen ein gemeinsames Konzept. An dieser Stelle maßnahmen auf. Es fehlt eine klare Strategie. Verbrau- können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. 15876 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (A) Vielen Dank. Ende niemand zuständig und verantwortlich ist, diese (C) tatsächlich in die Praxis umzusetzen. Ich denke dabei (Beifall bei der SPD) nur an Themen wie die Lebensmittelkontrolle. Es ist wunderbar, wenn wir hier Gesetze dazu beschließen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wenn aber die Länder die entsprechenden Stellen ab- Das Wort hat die Kollegin Karin Binder von der Frak- bauen und letztendlich niemand mehr diese Kontrolle tion Die Linke. ausüben kann, dann haben wir ein Problem. Dafür gibt (Beifall bei der LINKEN) es wirklich genügend Beispiele, zum Beispiel Stuttgart, meine Heimatstadt. Dort gibt es circa 11 000 Betriebe, die zu kontrollieren wären. Es gibt aber in Stuttgart ma- Karin Binder (DIE LINKE): ximal, wenn ich es richtig im Kopf habe, 18 Lebensmit- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! telkontrolleure. Die schaffen im Jahr, wenn überhaupt, Meine Damen und Herren auf der Zuschauertribüne! Ein die Hälfte dieser Betriebe. Ich denke, das ist deutlich zu Schelm, wer Böses denkt bei der Überlegung, warum die wenig. Von daher muss es eine wesentlich intensivere Grünen wohl ihren umfangreichen Forderungskatalog Zusammenarbeit mit den Ländern geben. zwei Jahre in der Schublade gehalten haben. (Beifall bei der LINKEN) (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Weil er abgearbeitet ist!) Vor mehr als zwei Jahren schon, im Dezember 2005, hat Herr Seehofer in seiner Regierungserklärung einige Warum wurde er nicht 2006 behandelt, nachdem er be- vollmundige Sätze gesagt. reits am 15. Februar 2006 eingebracht worden war? Hat- ten Sie möglicherweise die Befürchtung, dass dann zu Er sagte: oft gefragt worden wäre, warum Sie diese Dinge nicht schon in Ihrer Regierungszeit angepackt haben? Ich denke, zwei Leitbilder müssen uns führen: Zum einen das Leitbild des mündigen Verbrau- (Beifall bei der LINKEN – Julia Klöckner chers! [CDU/CSU]: Sehr gut! – Silke Stokar von Zum zweiten, unsere Skepsis einer totalen Ökono- Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da misierung unserer Gesellschaft gegenüber! müssen Sie nicht uns fragen, da müssen Sie die SPD fragen!) Er führte als Beispiel das Verbraucherinformationsgesetz an: Es gibt aber glücklicherweise noch einen zweiten An- trag. Ich denke, er ist berechtigt. Wir brauchen dringend Das Verbraucherinformationsgesetz wird hierzu ein (B) einen verbraucherpolitischen Bericht. Ich freue mich, erstes Beispiel geben: denn damit wollen wir den (D) dass er nun im April kommen soll. Von daher können mündigen Bürger stärken und diejenigen Unterneh- alle wunderbar zustimmen. Da sind wir uns einig: Der men stärken, deren Leistungen und Produkte ohne Bericht ist fällig; wir brauchen ihn. Beanstandung sind. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was steht (Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist doch gut!) denn drin?) Frau Heller, Sie hatten den Bürokratieabbau ange- Ich hoffe doch inständig, dass in diesem Bericht et- sprochen. Ich frage Sie daher: Warum wurde mit dem was mehr steht als das, was wir in der Regel über die Ta- Verbraucherinformationsgesetz ein solches Bürokratie- gespresse erfahren. monster geschaffen? (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: „Wir sind (Beifall bei der LINKEN) auf gutem Wege“, steht da drin!) Die Menschen müssen jetzt zu einer Behörde gehen, um Herr Seehofer ist auf jeden Fall ein Fachmann, wenn es eine Auskunft zu erhalten, die sie auf direktem Wege darum geht, sich marketingmäßig in den Medien in von einer Firma doch viel leichter erhalten können. Szene zu setzen, und bringt auch gut rüber, welche gro- ßen Projekte er auf der Liste stehen hat. Das Problem ist (Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD) nur: Außer den Überschriften kommt sehr oft lange Zeit Das Problem ist, dass die Firma diese Auskunft nicht er- erst einmal nichts, und wenn dann etwas kommt, ist das, teilen muss. Wenn die Bürger dann zu der Behörde ge- zumindest aus meiner Sicht, leider sehr unzulänglich. hen und sich eine Auskunft geben lassen, dann kann es (Beifall bei der LINKEN) sein, dass sie bis zu 500 Euro Gebühren zahlen müssen. Von daher wäre ich an diesem Bericht sehr interes- (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das ist doch al- siert, der außer den Überschriften möglichst viele Um- les Kappes!) setzungsvorschläge enthalten sollte. Sehr interessieren Die entsprechende Gebührenordnung ist gerade in Ar- würde mich dann natürlich auch, zu erfahren, was nach beit. Es werden also Gebühren fällig, wenn man Rechte der Umsetzung passiert ist: Wurden die Vorhaben, die nach dem Verbraucherinformationsgesetz in Anspruch auf Bundesebene in Gang gesetzt wurden, von den Län- nimmt. dern aufgenommen? Und wie wurden sie von den Län- dern umgesetzt? Wir können hier nämlich wunderbare (Manfred Zöllmer [SPD]: Bürgerverdum- Gesetze beschließen; das nützt aber nichts, wenn am mung par excellence!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15877

Karin Binder (A) Gebühren bis zu 500 Euro sind für viele Menschen gen, gezahlt werden. Es handelte sich aber niemals um (C) eine viel zu hohe Hürde, um darüberzuspringen. Eine 500 Euro. So wie Sie die Verbraucherinnen und Verbrau- solche Ausgabe können sich viele Menschen nicht leis- cher verunsichern, kann man nur hoffen, dass Sie für im- ten. Es kommen möglicherweise noch Kosten für Ausla- mer in der Opposition bleiben werden. gen hinzu. Aus meiner Sicht ist dieses Gesetz deshalb (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- schon heute ein Auskunftsverhinderungsgesetz. neten der SPD und der FDP) (Beifall bei der LINKEN – Waltraud Wolff Ich komme jetzt zu den Grünen. Ich finde es in Ord- [Wolmirstedt] [SPD]: Das ist eine unabhän- nung, dass wir über Verbraucherpolitik reden. Aber es gige Information und keine Wirtschaftsinfor- muss Hand und Fuß haben. mation!) (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE Wenn Herr Seehofer dem, was er in seiner Antritts- GRÜNEN]: Hat es!) rede damals angesprochen hat, gerecht werden will, dann muss er schnell von dem Schmusekurs mit der Wir lesen Ihre Anträge, obwohl es manchmal ein biss- Wirtschaft abrücken. Er sollte sich vielmehr an dem ori- chen Mut und Überwindung erfordert. In Ihrem Antrag entieren, was für die Verbraucherinnen und Verbraucher, „Verbraucherpolitischen Bericht vorlegen“ schreiben also für die Menschen, wichtig ist, und nicht an dem, Sie: was für die Wirtschaft wichtig ist. Das Arbeitsprogramm und der Grad der Zielerrei- (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Es geht um chung wurden von der Bundesregierung seitdem al- Arbeitsplätze, Frau Binder!) lerdings nicht dokumentiert. Das ist aber im Moment wohl seine erste Maßgabe. Das ist falsch. Denn die Halbzeitbilanz des Bundesmi- nisteriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- Vor diesem Hintergrund sage ich frei nach Bertolt cherschutz, in der man sich intensiv mit dem Verbrau- Brecht: Wer A sagt, muss nicht zwangsläufig B sagen. cherschutz beschäftigt, liegt vor. Die Grünen sind Er kann auch erkennen, dass A falsch war. sicherlich auch firm darin, das Internet zu nutzen. Im In- (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das ternet kann man sich stundenlang mit verbraucherpoliti- sieht man an Ihrer Rede!) schen Themen beschäftigen, weil es zu diesem Thema viele Dokumente gibt. Dieser Punkt Ihrer Kritik ist also Es wäre also gut, hier entsprechende Korrekturen anzu- nicht zutreffend. bringen. Sie schreiben weiter: (B) Danke schön. (D) Transparenz heißt aber auch, die wichtigen verbrau- (Beifall bei der LINKEN – Ulrich Kelber cherpolitischen Projekte der Bundesregierung of- [SPD]: Sie können auch zeigen, dass Sie das fenzulegen und einer demokratischen Kontrolle zu ganze Alphabet beherrschen!) unterwerfen. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat die Kollegin Julia Klöckner von der Du lieber Himmel! Als wäre hier etwas unter Verschluss CDU/CSU-Fraktion. gehalten worden! Frau Maisch, ich weiß nicht, wo Sie Mittwoch morgens in einer Sitzungswoche sind. (Beifall bei der CDU/CSU) (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Julia Klöckner (CDU/CSU): Das wissen Sie! Im Ausschuss!) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Vertreter Wir sind jedenfalls im Ausschuss. Dort erstattet uns die und sehr geehrte Vertreterinnen der Bundesregierung! Bundesregierung sehr oft Bericht über die aktuellen ver- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Binder, wir wol- braucherpolitischen Themen. len in dieser Debatte über das wichtige Thema Verbrau- cherpolitik diskutieren. Es war aber nicht die Rede davon, Ich kann ja einmal den Bericht hochhalten, den sie am 23. Januar 2008 im Ausschuss vorgestellt hat. Dieser Verbraucherverunsicherung zu betreiben und Unwahr- heiten in die Welt zu setzen. „Bericht der Bundesregierung über die verbraucherpoli- tischen Schwerpunkte sowie konkrete verbraucherpoliti- Ich will ganz kurz auf das Verbraucherinformations- sche Initiativen und Maßnahmen der Bundesregierung gesetz eingehen. Hier geht es darum – das hat meine für das Jahr 2008“ umfasst an die zehn Seiten, ist sehr Kollegin Waltraud Wolff vorhin richtigerweise in Form ausführlich, beschäftigt sich intensiv mit der Thematik eines Zurufs konstruktiv angemerkt –, dass man unab- und ist übrigens an alle Fraktionen, auch an Ihre, ver- hängige Informationen von Behörden erhält. Diese In- schickt worden. Knapp einen Monat später, am 20. Fe- formationen kosten keine 500 Euro, auch wenn Sie das bruar 2008, wurde ein weiterer ausführlicher Bericht der immer und immer wieder betonen. Das Verbraucherin- Bundesregierung vorgelegt. Dort wird berichtet, welche formationsgesetz ist nach dem gleichen Muster wie das Dinge in der Abstimmung sind, bei welchen Themen Informationsfreiheitsgesetz aufgebaut. Bei der Beru- noch Diskussionsbedarf besteht und in welchen Berei- fung auf dieses Gesetz mussten in etwas mehr als chen bereits etwas erreicht worden ist. Dort steht auch 100 Fällen Auskunftsgebühren, die höher als 50 Euro la- – auch dieser Bericht ist allen Fraktionen schriftlich 15878 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Julia Klöckner (A) zugegangen –, dass der verbraucherpolitische Bericht sie spüren, dass wir uns um sie kümmern. Wir machen (C) der Bundesregierung noch vor der Sommerpause vorlie- das nicht, indem wir bunte Berichte vorlegen. gen wird. Mittlerweile haben Sie ja schon gehört, dass (Beifall bei der CDU/CSU) dieser Bericht noch im April vorgelegt wird. Das Thema Bürokratieabbau wurde vorhin bereits an- Insofern erübrigt sich Ihr Antrag; er ist absolut obso- gesprochen. Wir legen Wert darauf – das haben wir ge- let. Sagen Sie doch einfach, dass es Ihnen nur darum genüber der Bundesregierung auch angekündigt –, dass geht, wieder einmal im Plenum zu reden. Wir machen da wir diesen Bericht alle vier Jahre bekommen; und er gerne mit; das ist kein Problem. wird auch kommen. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der Ich möchte ganz konkret hervorheben, was wir in die- CDU/CSU: Das wäre eine ehrliche Aussage ser Legislaturperiode, die ja lange noch nicht zu Ende gewesen!) ist, erreicht haben: Meine Kollegin Frau Heller hat es vorhin gesagt: Reden Wir haben einen Aktionsplan gegen Allergien aufge- ist das eine, aber Handeln ist das andere. legt. Das heißt, dass Allergiker – in der Bundesrepublik (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE betrifft das 30 Prozent der Bevölkerung – besser infor- GRÜNEN]: So ist das! – Nicole Maisch miert werden, zum einen über ein Internetportal, das das Ministerium eingerichtet hat, zum anderen auf den Ver- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das passt gut packungen von Lebensmitteln. zu Ihnen!) Das Verbraucherinformationsgesetz habe ich schon – Ich komme noch darauf zu sprechen. – Den Koali- erwähnt. tionsfraktionen und der Bundesregierung ist es wichti- ger, die Kapazitäten und Energien in etwas zu investie- Der grenzüberschreitende Verbraucherschutz hat end- ren, das den Verbraucherinnen und Verbrauchern hilft. lich eine Lobby gefunden. Zusammen mit dem BVL, Welchen Sinn und Zweck verfolgten denn die verbrau- dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebens- cherpolitischen Berichte damals unter Ihrer Ministerin, mittelsicherheit, haben wir klare Regelungen getroffen, Frau Künast? Das war doch reine Selbstdarstellung. damit grenzüberschreitender Verbraucherschutz umge- setzt wird. Es ist wichtig, dass Gesetze und Rechte (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Na! Künas- durchgesetzt werden. tisierung der Politik! – Zuruf von der CDU/ CSU: Nur Luftblasen produziert!) Weiter haben wir im Versicherungsbereich und im Bereich der Überschuldung von Verbrauchern einiges Frau Künast hat damals vieles angesprochen, doch ver- geregelt. Dank des reformierten Versicherungsvertrags- (B) ändert hat sie letztlich nichts. Sie hat ein verbales Wohl- gesetzes müssen Verbraucher informiert werden, bevor (D) fühlprogramm aufgelegt. sie etwas unterschreiben. Sie werden sogar an Über- schüssen beteiligt. Auch im Verbraucherinsolvenzrecht Ich habe mir die verbraucherpolitischen Berichte und sind wir weitergekommen – Stichwort Kontopfändungs- die Debatten, die wir mit Frau Künast geführt haben, schutz. Davon hat Frau Künast landauf landab gespro- noch einmal angeschaut. Sie hat damals zum Beispiel chen, aber sie hat nie gehandelt. die sogenannten Schrottimmobilien sehr gegeißelt, aber sie hat nichts dagegen unternommen. Dann hat sie viel (Zuruf von der CDU/CSU: Nur Luftblasen von einem Verbraucherinformationsgesetz gesprochen. produziert!) Fünf Jahre lang hat die vorherige Regierungskoalition Es ist wichtig, dass Verbraucherinnen und Verbrau- versucht, ein solches Gesetz zu erarbeiten, aber sie hat cher ein Konto haben, um am gesellschaftlichen Leben keines verabschiedet. Und wie sehr hat sie über unlau- teilnehmen zu können. tere Telefonwerbung geklagt! Aber auch dazu hat sie keinen Gesetzentwurf vorgelegt. Wir haben uns für die Senkung der Roaminggebühren eingesetzt. (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat es denn im Bundesrat blo- Wir sorgen dafür, dass im Internet – damit beschäftigt ckiert?) sich gerade die Bundesregierung – niemand in Kosten- fallen tappt, indem es erst zu einem sogenannten Ex- – Wo Sie jetzt dazwischenrufen, wir hätten das im Bun- traklick kommen muss, bevor ein Vertrag abgeschlossen desrat blockiert: Ich darf Sie daran erinnern, dass die wird. Vorlage, die Frau Künast Herrn Clement als damaligem Wirtschaftsminister vorgelegt hat, mitnichten so weitrei- Auch haben wir dafür gesorgt, dass es über Telefon- chend war wie das Gesetz, das wir jetzt verabschiedet werbung nicht mehr dazu kommen kann, dass Jugendli- che ohne ihr Wissen ein teures Abonnement abschließen. haben. Das ist wahre Verbraucherpolitik. Bürgerrechte und Wir haben die Verbraucherrechte gestärkt. Und nur Verbraucherrechte gehören zusammen. Verbraucher- dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, interessieren sich rechte sind Bürgerrechte. Wir nehmen die Bürgerinnen doch die Bürgerinnen und Bürger. Sie interessieren sich und Bürger ernst. Wir wissen, dass sie einen Willen ha- doch nicht dafür, was eine Regierung oder eine Ministe- ben. Wir wissen auch, dass die Bürgerinnen und Bürger rin oder ein Minister in ein Papier schreibt. Die Leute Informationen zur Entscheidung brauchen. draußen haben keine Zeit zum Lesen, sondern sie stehen mitten im Leben und müssen arbeiten. Deshalb müssen (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15879

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat Angeregt durch das Stakkato der Kollegin Klöckner, der Kollege Ulrich Kelber von der SPD-Fraktion das bei der ich überlegt habe, ob ich ihr durch eine Frage zu Wort. mehr Redezeit verhelfen sollte, aber mich nicht mehr rechtzeitig gemeldet habe, möchte ich nun Sie, Herr Kelber, fragen, ob Sie der Auffassung sind, dass das Ver- Ulrich Kelber (SPD): braucherinformationsgesetz noch erheblich zu verbes- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- sern ist. Beispielsweise erfüllt es ja nicht die Aufgabe, ren! Ich finde es schade, dass die meisten meiner Vorred- die kriminellen Machenschaften in der Fleischindustrie nerinnen und Vorredner nicht dem üblichen Ritual wi- tatsächlich einzudämmen und so die schwarzen Schafe derstehen konnten, dem politischen Gegner jedes auszusortieren, wie das Minister Seehofer einst verspro- grundsätzliche Interesse am Thema abzusprechen. Da chen hatte. wird behauptet, dass in der Regierungszeit der anderen Schwierig beim Verbraucherinformationsgesetz sind nie etwas umgesetzt wurde oder dass das, was in den Re- auch die Regelungen zu den Gebühren und zur Aus- den gesagt wurde, nicht ernsthaft gemeint war. Mit ei- kunftspflicht. So werden unglaublicherweise Betriebsge- nem solchen Stil werden wir nicht überzeugen. Wir soll- heimnisse von Unternehmen so stark geschützt, dass der ten uns nach wie vor um jedes einzelne Thema Verweis auf „sonstige wettbewerbsrelevante Informatio- kümmern. Ich glaube, dass sowohl in der Zeit bis 2005 nen“ ausreicht, um den Informationsanspruch der Bürge- als auch in der Zeit nach 2005 im Verbraucherschutz rinnen und Bürger, die eigentlich ab Mai die Gelegenheit wichtige Dinge umgesetzt wurden. Das kann man in den haben sollen, Auskünfte zu bekommen, einzuschränken. einzelnen Themenfeldern erkennen. (Otto Fricke [FDP]: Ist das eine Frage?) Zunächst einmal sollte man sich über das Ziel des Verbraucherschutzes verständigen. Ich finde es gut, dass Sind Sie also der Auffassung, dass dieses Verbraucher- wir das Bild vom mündigen Verbraucher und der infor- informationsgesetz, so wie es die SPD immer gefordert mierten Verbraucherin teilen. Dass das für einen moder- hat, bald verbessert werden sollte und insbesondere beim nen Verbraucherschutz nicht ausreicht, ist aber auch klar. Thema Lebensmittelkennzeichnung – das hat auch Frau Wir müssen mithilfe des Ordnungsrechts erzwingen, das Wolff schon dargestellt – eine deutliche Verbesserung Angebote vergleichbar werden. Wir haben zum Beispiel nötig ist und dass Minister Seehofer das mitbedenken Regeln festgelegt, wie bei Krediten Zinssätze und ver- sollte? deckte Kosten dargestellt werden müssen. Ulrich Kelber (SPD): (B) Wir müssen verhindern, dass eine so starke Markt- (D) macht entsteht, dass Wahlfreiheit nur noch auf dem Pa- Frau Kollegin Höfken, für Statements ist normaler- pier steht, weil ein Monopol auf einem Markt herrscht. weise die Redezeit gedacht. Wir müssen Regelungen merkbar machen; auch das (Beifall bei Abgeordneten der FDP) ist wichtig. Man kann natürlich hochkomplexe Regelun- gen festlegen, die dann aber nur noch wenige für sich in Sie müssen sich eben beim nächsten Mal innerhalb Ihrer Anspruch nehmen können. Man darf den mündigen Ver- Fraktion durchsetzen. braucher und die informierte Verbraucherin nicht so Natürlich beantworte ich gerne Ihre Frage, die Sie mir missbrauchen, dass man von ihm bzw. ihr verlangt, zu wahrscheinlich auch deswegen gestellt haben, weil Sie einem wandelnden Lexikon oder einem wandelnden Ta- meine Aussagen zum Verbraucherinformationsgesetz schenrechner zu werden. Das hat zum Beispiel Auswir- aus den Veröffentlichungen kennen. Daher wissen Sie, kungen auf die Frage, wie ich die Kennzeichnung bei dass ich das Verbraucherinformationsgesetz zunächst Lebensmitteln vornehme. einmal für einen großen Schritt nach vorne halte. Wir (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sollten die Verbraucherinnen und Verbraucher ermun- tern, es zu nutzen, und ihnen nicht von vornherein Angst Schließlich kommen Gesetze und Ordnungsrecht machen. überall dort zum Tragen, wo der Schutz der Gesundheit im Vordergrund steht. In diesem Bereich darf es eben (Beifall bei der SPD) nicht mehr möglich sein, alles Mögliche anzubieten, Wir sind aber darüber hinaus der Meinung, dass es As- sondern ein bestimmter Standard muss von vornherein pekte gibt, die nach einer gewissen Zeit überprüft werden durchgesetzt werden. müssen. Das ist eine Aufgabe, an die wir herangehen müssen. Die Gebührenfrage ist unserer Ansicht nach Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: nicht die wichtigste Frage. Wir sehen in der in diesem Herr Kollege Kelber, erlauben Sie eine Zwischen- Gesetz festgelegten Gebührenordnung keine Schlechter- frage der Kollegin Höfken? stellung gegenüber dem Informationsfreiheitsgesetz, das wir in der Zeit von Rot-Grün gemeinsam umgesetzt ha- ben. Ich hoffe, dass die Beamtinnen und Beamten die Ulrich Kelber (SPD): Verbraucherinnen und Verbraucher auf die Gebühren, Ja. Ich hatte die Frage zu einem späteren Zeitpunkt er- mit denen zu rechnen ist, aufmerksam machen werden. wartet, aber ich erlaube sie auch schon gerne jetzt. Trotzdem fände ich es schön, wenn wir eines Tages auch 15880 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Ulrich Kelber (A) über so etwas wie die Erstellung von Kostenvoranschlä- des Ortes der Produktion. Das hat ja Auswirkungen auf (C) gen in diesem Bereich reden könnten. die Entstehung oder den Abbau von Arbeitsplätzen. Den Verbraucherinnen und Verbrauchern müssen hier Ver- Was ist zu überprüfen, eventuell zu verbessern? Die gleichsmaßstäbe geboten werden, damit sie in ihre Kauf- erste Frage ist, ob bezüglich der Abwägung zwischen entscheidung auch gesellschaftliche Umstände einbezie- Betriebsgeheimnissen und dem Wunsch nach Herstel- hen können. lung von mehr Öffentlichkeit das Gesetz konkretisiert werden muss. Die zweite Frage ist, ob wir eine Auswei- Sie haben ganz aktuell mitbekommen, dass Justiz- tung auf andere Bereiche, zum Beispiel auf die Dienst- und Verbraucherschutzministerium einen gemeinsamen leistungen, vornehmen müssen. Die dritte Frage ist, ob Vorschlag hinsichtlich der Werbeanrufe vorgelegt haben. wir für eine aktivere Rolle des Staates schon bei der Ver- Es geht dabei sowohl um die Werbeanrufe, die schon öffentlichung von Informationen sorgen müssen. Das heute, nach geltendem Recht, illegal sind, als auch um sind die Elemente, über die man ein Jahr nach Einfüh- die, mit denen auf Basis einer schon bestehenden Ge- rung dieses Gesetzes sprechen sollte. schäftsbeziehung etwas erreicht werden soll. Ich finde es gut, dass wir die Regelung hinsichtlich der illegalen An- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der rufe weiter verschärft haben: Künftig ist die Rufnummer- Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- unterdrückung nicht mehr erlaubt. Die heutige Technik NEN]) macht es möglich, die Nummer desjenigen, der die Ruf- – Frau Höfken, das war meine Antwort. Ich denke, sie nummerunterdrückung aktiviert hat, nachzuvollziehen. war mehr als ausreichend, auch wenn sie nicht ganz so So kann das Bußgeld klar zugeordnet werden. Außer- lang war wie Ihr Statement. dem regeln wir klar, unter welchen Bedingungen ein Vertrag am Telefon abgeschlossen werden kann. Ich Wenn wir unsere Vorstellung von Verbraucherschutz meine aber, dass man über das Ziel hinausschießt – ich und der Rolle der Verbraucherinnen und Verbrauchern meine nicht die Abgeordneten aus der Koalition –, wenn mit der Wirklichkeit vergleichen, dann werden die ein- man grundsätzlich eine schriftliche Vereinbarung for- zelnen Aufgaben der Verbraucherschutzpolitik deutlich. dert. Das nützt nichts, denn es würde bedeuten, dass man Ein Punkt, um den wir uns gegenwärtig kümmern, nicht einmal eine Pizza oder ein Taxi per Telefon bestel- auch wenn die Federführung nicht bei unserem Aus- len kann. Das wollen wir nicht. schuss liegt, ist das Scoring bei Krediten. Die erste Frage Uns geht es um Folgendes: Bei einem Zeitschriften- hierzu lautet: Warum bieten Banken Kunden einen Kre- bezug kann ich sagen, dass ich diese Zeitung nicht haben dit zu einem anderen Prozentsatz an als zu dem, mit dem will, und den Vertrag widerrufen. Bei Verträgen mit sie werben, bzw. wie kommt es, dass sie sogar Kredite (B) Strom- oder Telefonanbietern und bei bestimmten Bank- (D) gänzlich verweigern, weil das Risiko zu hoch sei? Die dienstleistungen bekomme ich aber nichts Schriftliches zweite Frage hierzu lautet: Welche Daten werden ver- in die Hand, obwohl die Dienstleistung beginnt. Für sol- wendet? Können wir ausschließen, dass Daten, auf die che Fälle verlangen wir in Zukunft eine schriftliche Be- ich persönlich überhaupt keinen Einfluss habe, zum Bei- stätigung, weil der Verbraucher sein Recht auf Widerruf spiel die Wohnumgebung, mein Alter und Ähnliches, zu sonst nicht wahrnehmen kann. Dadurch werden wir eine Diskriminierungen führen? Es ist also notwendig, das Unart, die Einzug gehalten hat, innerhalb kürzester Zeit Scoring gesellschaftlich zu kontrollieren. Es geht nicht abwürgen. Ich halte das für einen großen Schritt in Sa- darum, das Scoring abzuschaffen. Es liegt nämlich chen Verbraucherschutz. durchaus im Interesse aller Bankkunden, dass Kreditaus- fälle nicht zu häufig auftreten. Es ist aber sicherzustel- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Manfred len, dass beim Scoring nur die Daten verwendet werden, Grund [CDU/CSU]) die gesellschaftlich akzeptabel sind. Außerdem müssen die Verbraucherinnen und Verbraucher darüber infor- Die Richtlinie der Europäischen Union zu den Fahr- miert werden, warum ihnen bestimmte Angebote vorent- gastrechten werden wir in Deutschland zum frühestmög- halten werden, damit sie aktiv darauf hinwirken können, lichen Zeitpunkt umsetzen. Ich halte es für wichtig, dass bessere Angebote zu erhalten. Das ist ein Bereich des wir eine Form wählen, die erstens für angemessene Ent- Verbraucherschutzes, in dem wir vorankommen wollen. schädigung der Betroffenen sorgt, zweitens den Druck erhöht, auf der gesamten Verkehrskette für Pünktlichkeit Über das Thema der Kennzeichnung hat die Kollegin zu sorgen, und drittens merkbar ist. Das heißt, wir soll- Wolff bereits gesprochen. Vor kurzem haben wir uns auf ten im Fernverkehr nicht eine Regelung treffen, die wir das „Ohne Gentechnik“-Siegel geeinigt. Das wurde von nach wenigen Jahren, wenn die europäische Richtlinie allen Verbraucherschutzverbänden als großer Durch- verbindlich wird, nicht mehr aufrechterhalten können. bruch dargestellt. Vielmehr sollten wir sie möglichst nah an der Richtlinie (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Aber es ist orientiert gestalten. Wir sollten überall dort, wo es mög- Gentechnik drin!) lich ist, im Fern- und Nahverkehr vergleichbare Rege- lungen vorsehen. Ich möchte die Verbraucherin oder den Ich glaube, wir brauchen langfristig auch noch mehr Verbraucher sehen, die oder der unterscheidet, zu wel- klare Kennzeichnungen, ohne die Verbraucherinnen und chem Geschäftsbereich ein Zug gehört. Wenn man nur Verbraucher dadurch zu überfordern. Es geht zum Bei- diese Kriterien ansetzt, kann man deutlich über das spiel um die soziale Verantwortung bei der Herstellung hinausgehen, was sich der Hauptbetreiber, die Deutsche von Produkten, also um Fragen der Art und Weise und Bahn AG, heute so an Verbraucherinnen- und Verbrau- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15881

Ulrich Kelber (A) cherrechten in seinem Bereich wünscht. Das Gute ist: Sicherung als Schwerpunkt der deutschen (C) Die Politik wird die Bedingungen festlegen und nicht die Entwicklungszusammenarbeit implementieren Deutsche Bahn AG. – Drucksachen 16/7747, 16/8484 – (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Berichterstattung: Ganz aktuell führen wir eine Diskussion über einen Abgeordnete Sibylle Pfeiffer Informantenschutz im Bereich von Lebensmitteln. Ich Walter Riester danke Herrn Goldmann dafür, dass er die Presse im Dr. Karl Addicks Laufe des heutigen Tages auf diesen Bereich aufmerk- Hüseyin-Kenan Aydin sam gemacht hat. Ich bin mir sicher, dass wir sehr Ute Koczy schnell für einen deutlichen Schutz der Arbeitnehmerin- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die nen und Arbeitnehmer sorgen werden, die die Öffent- Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Es gibt lichkeit darauf aufmerksam machen, dass der Betrieb, in keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. dem sie arbeiten, illegal handelt oder sogar Gesundheit und Leben der Verbraucherinnen und Verbraucher ge- Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- fährdet. Diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ner das Wort dem Kollegen Walter Riester von der SPD- müssen geschützt werden. Eine entsprechende Regelung Fraktion. brauchen wir noch im ersten Halbjahr 2008. (Beifall bei der SPD) Vielen Dank. (Beifall bei der SPD – Hans-Michael Walter Riester (SPD): Goldmann [FDP]: Und deswegen habt ihr ges- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es tern verschoben?) freut mich sehr, auf welch breite Zustimmung dieser An- trag, den wir heute beschließen wollen, während der Be- ratung in den Fachausschüssen und in der Rückkoppe- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: lung mit dem Ministerium bei den Vorfeldorganisationen Ich schließe die Aussprache. der Entwicklungsarbeit – der GTZ und der KfW – und Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der auch bei vielen Nichtregierungsorganisationen gestoßen Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8499 ist. Warum ist die Zustimmung so groß? Ich glaube, vor mit dem Titel „Verbraucherpolitischen Bericht vorle- allem deswegen, weil erkannt wird, dass Armutsbe- gen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – kämpfung in den Entwicklungs- und Schwellenländern langfristiger und nachhaltiger Strukturen bedarf, die die (B) Enthaltungen? – Der Antrag ist abgelehnt mit den Stim- (D) men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Menschen in die Lage versetzen, die großen Lebensrisi- Oppositionsfraktionen. ken wie Krankheit, Altersarmut und die generelle Ver- breitung der Armut selbst zu bewältigen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernäh- rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem An- Ich möchte auf einige Argumente eingehen, die ich trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel im Verlauf der Debatte gehört habe und die mit dem An- „Moderne Verbraucherpolitik fortführen und weiterent- trag eigentlich nichts zu tun haben, sondern aus unserer wickeln“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- eigenen, zu engen Sichtweise der Thematik entstanden empfehlung auf Drucksache 16/8398, den Antrag der sind. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/684 Es geht natürlich nicht darum, sozusagen den Schat- abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- ten Bismarcks über Afrika zu legen oder Diskussionen lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschluss- über das Gesundheitswesen oder die Riester-Rente, die empfehlung ist angenommen mit den Stimmen der wir hier in Deutschland haben, in Lateinamerika oder in Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegen- Asien anzustoßen. Nein, es geht darum, zu erkennen, stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung dass sich die Voraussetzungen in den Ländern, über die der Fraktion Die Linke. wir sprechen, ganz gravierend von den Voraussetzungen Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 6 auf: bei uns in Deutschland unterscheiden und wir deswegen Ansatzpunkte brauchen, die jenen Voraussetzungen ge- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- recht werden. richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) In allen diesen Ländern können wir aber sehen, dass zu dem Antrag der Abgeordneten Sibylle Pfeiffer, die ursprünglich von den Familien getragene Sicherung Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, weiterer Ab- zunehmend zerbricht, keine strukturellen Alternativen geordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie da sind und deswegen dauerhafte Armutsminderung der Abgeordneten Walter Riester, Dr. Sascha kaum angegangen werden kann. Die Voraussetzungen Raabe, Gabriele Groneberg, weiterer Abgeordne- sind aber nicht in allen Ländern gleich. Einerseits haben ter und der Fraktion der SPD wir Länder, in denen es kaum Krankenhäuser gibt und kaum Pflegepersonal vorhanden ist. Andererseits haben Entwicklungs- und Schwellenländer verstärkt wir Länder wie beispielsweise Südafrika – das habe ich beim Aufbau und bei Reformen von sozialen schon in der ersten Debatte gesagt –, die sozusagen Sicherungssystemen unterstützen und soziale Leuchttürme des entwickelten Gesundheitswesens 15882 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Walter Riester (A) vorzuweisen hatten und haben – so wurde die erste Herz- habe ich gerade auch mit Blick auf Indien geraten –, im (C) transplantation in Südafrika durchgeführt –, in denen es Rahmen solcher Kooperationen auch Fachleute aus an- aber gleichzeitig eine massenweise Unterversorgung der deren Bereichen einzubeziehen, die mehr Erfahrungen Bevölkerung gibt. mit dem informellen Arbeitsmarkt haben als wir. Ich finde, dieses Projekt beinhaltet viele Ansätze, die ver- Im Laufe der Diskussion kam auch die Frage auf, was deutlichen können, dass durch Entwicklungsarbeit eine Altersarmut in Ländern bedeutet, in denen über 50 Pro- nachhaltige Struktur aufgebaut werden kann und dass sie zent der Bevölkerung unter 15 Jahre alt sind. Das bedeu- nicht in der „Caritas-Haltung“, die wir häufig erleben tet vor allem, dass wir uns vergegenwärtigen müssen, – das ist nicht wertmindernd gemeint –, verharren muss. was bei dieser einseitigen Bevölkerungszusammenset- zung geschieht, wenn die starke Altersgruppe der Jungen Lassen Sie mich ein Beispiel anführen und kurz auf in einem Prozess, den wir uns nur wünschen können, die Situation in Malawi zu sprechen kommen. In ganz nämlich dem der Wohlstandsmehrung, in der Alterspyra- Malawi gibt es nur vier Krankenhäuser. Allerdings wer- mide nach oben wandert und es keinen Geburtenüber- den dort sehr große Anstrengungen unternommen, um schuss mehr gibt: In 30 bis 40 Jahren – das ist für die Menschen als Ärzte oder Pflegepersonal zu qualifizie- Vorsorge in Altersvorsorgesystemen eine sehr kurze ren. Anschließend arbeitet dieses qualifizierte Personal Zeit – wird es in diesen Ländern damit ein riesiges Pro- aber zum größten Teil in Großbritannien und Schottland. blem geben. Wenn wir das aber jetzt schon erkennen, ist Bei meinen Besuchen in Afrika habe ich mehrfach den es enorm wichtig, dass wir uns Gedanken darüber ma- erschütternden Satz gehört: In Manchester gibt es mehr chen, wie wir in diesen Ländern mit einzelnen Projekten in Malawi medizinisch ausgebildetes und qualifiziertes für die Menschen entsprechende Strukturen entwickeln Personal als in ganz Malawi. – Gleichzeitig stellen wir können. Das geht allerdings nicht schnell und auf wohl- fest, dass in Malawi sehr engagierte Ärzte der Organisa- feile Art. Aber wenn es uns gelingt, in den nächsten drei tion „Ärzte ohne Grenzen“ arbeiten. Ich denke, diese bis vier Jahren mit sechs oder sieben solcher Modellpro- Strukturen müssen aufgebrochen werden. jekte die Menschen in den Ländern selbst zu bewegen, Manchmal habe ich das Gefühl: Das Hauptproblem dann sind wir schon sehr weit und einer Antwort auf die der HIV/Aids-Bekämpfung besteht nicht darin, dass oben gestellte Frage nahe. Geld fehlt, sondern darin, dass die personellen und struk- Ich will auf die Budgetförderung, die wir im Hinblick turellen Voraussetzungen mangelhaft sind. Um diese auf die Entwicklungszusammenarbeit teilweise kontro- Geißel zu bekämpfen, müssen die Bedingungen verbes- vers diskutieren, eingehen. Wir müssen mit den in der sert werden. Regierung Verantwortlichen und den Parlamentariern ei- In einer interessanten Untersuchung, die von der ILO nes solchen Landes darüber diskutieren, dass mit den (B) durchgeführt wurde, kam man zu dem Ergebnis: Wenn (D) Mitteln der Budgetförderung eine Verbreiterung der man im Senegal und in Tansania 3 Prozent des jeweili- Strukturen vorgenommen wird. Auf diese Weise entsteht gen Bruttosozialproduktes in eine Grundsicherung gegen hier eine ganz andere politische Dimension. Ich kann Altersarmut und in eine Grundsicherung für Kinder in- mir aber auch vorstellen, dass wir ganz neue Kooperatio- vestieren würde, dann könnte die Armut in beiden Län- nen haben werden. dern um 40 Prozent reduziert werden. Ich habe mich sehr gefreut, als ich vor kurzem gele- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sen habe, dass die GTZ derzeit in Indien in Kooperation der CDU/CSU) mit der WHO und der ILO ein Projekt durchführt, bei dem es insbesondere darum geht, zu lernen, welche Ich kann nicht beurteilen, ob das stimmt. Strukturen sich auf dem informellen Arbeitsmarkt entwi- (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Doch! Das ist ckeln. Noch mehr hätte ich mich gefreut, wenn es eine realistisch!) Kooperation mit SEWA gegeben hätte, der größten Frau- enorganisation Indiens, die große Erfahrungen in diesem Daran wird aber deutlich, dass es ein vielversprechender Bereich hat. In unserer Diskussion im Ausschuss hat die Ansatz ist, diese Mittel in Strukturen zu investieren, die Kollegin Koczy zu Recht darauf hingewiesen, das dies nachhaltige Wirkungen haben ein zentraler Ansatzpunkt ist. Denn die familiäre Siche- (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Jawohl!) rung ist im Regelfall über die Frauen gelaufen. Und Frauen können auch auf den informellen Arbeitsmärkten und den Menschen die Möglichkeit eröffnen, die Armut die Strukturen weiterentwickeln, die notwendig sind, um selbst zu bekämpfen. diese Sicherung aufzubauen. (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: So ist es!) Ich kann mir aber auch andere Kooperationen vorstel- Wenn dieser Kerngedanke richtig ist, dann verspreche len, so könnten in Deutschland mit denjenigen Ministe- ich mir davon sehr viel. Ich finde es toll, dass das zustän- rien, die Erfahrungen in bestimmten Bereichen haben, dige Ministerium seine breite Unterstützung zugesagt wie das Gesundheitsministerium und das Arbeitsminis- hat, wenn es darum geht, diesen Ansatz in der Entwick- terium, aber nicht die spezifische Erfahrung des BMZ, lungsarbeit schwerpunktmäßig zu verfolgen. Das BMZ wie es in Entwicklungsländern aussieht, kohärente He- ist auf InWEnt zugegangen und hat gesagt: Wir möchten rangehensweisen entwickelt werden. einen Workshop organisieren, in dessen Rahmen wir die Meine nächste Überlegung. Wenn wir solche Modell- Beteiligten zusammenführen. – Ich fände es angesichts projekte durchführen, dann wäre es interessant – dazu der unterschiedlichen Voraussetzungen gut, wenn auch Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15883

Walter Riester (A) die Beauftragten des Ministeriums für die jeweiligen lungszusammenarbeit jahrelang vernachlässigt worden (C) Länder ihre Fachkompetenz einbringen, damit wir bes- seien. Das ist ein starkes Stück; denn wie will man Hun- ser beurteilen können, in welchen Ländern die Voraus- ger und extreme Armut nachhaltig bekämpfen, ohne setzungen, um diesen Prozess zu unterstützen, am ehes- dass man die sozialen Aspekte in den Mittelpunkt rückt? ten erfüllt sind. (Beifall bei der LINKEN) Ich habe mich in meinem Redebeitrag bewusst auf die Hier gibt es offenbar eine Schieflage. Ich fasse diese Frage konzentriert: Welche konkreten Maßnahmen kön- Schieflage wie folgt zusammen: Zum einen werden so- nen aus diesem Antrag abgeleitet werden? Häufig stelle zialpolitisch ausgerichtete Entwicklungsprogramme sys- ich nämlich fest: Wir beschließen einen Antrag und ge- tematisch durch marktradikale Außenwirtschaftspolitik, hen sofort zum nächsten aktuellen Thema über. Handelspolitik konterkariert; wir haben dies des Öfteren (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Oh nein! Wir thematisiert. Zum anderen leidet die deutsche Entwick- sind tapfer! – Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: lungspolitik an ihrer in sich widersprüchlichen Ausrich- So etwas!) tung. So werden durch die deutsche Entwicklungspolitik in einem Land wie Vietnam die berufliche Bildung und Ich denke aber, wenn wir uns auf etwas verständigen – in das Gesundheitswesen in ländlichen Räumen gefördert den Fachausschüssen haben wir bereits eine Verständi- – was wir begrüßen –; aber diese Maßnahmen bleiben gung erzielt –, dann muss das für die Menschen auch bruchstückhaft, da die durch Entwicklungsgelder massiv praktische Folgen haben. unterstützte Ausrichtung auf die Förderung der Privat- wirtschaft alles andere in den Hintergrund treten lässt. (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Ja! Ganz tapfer Mit der Entwicklungspolitik wird letztendlich versucht, machen wir das!) den deutschen Konzernen dabei zu helfen, einen Fuß in Lassen Sie mich zum Schluss einen sehr zugespitzten die Tür zu bekommen. Dies ist kein Einzelfall, dies ist Gedanken formulieren. Ich kann mir vorstellen, dass wir symptomatisch. in der einen oder anderen Frage selbst Lernende sind. Zumindest im Gesundheitsbereich kann die deutsche Wir erleben, wie der Arbeitsmarkt in Deutschland aus- Entwicklungszusammenarbeit mit einigen vielverspre- franst – mittlerweile gibt es 7 Millionen 400-Euro-Job- chenden Projekten aufwarten. Damit man in diesem Be- ber – und dass wir mit den bisherigen Instrumenten reich vorankommt, müssen die Anstrengungen, wie es kaum noch Antworten geben können. Ich verspreche mir Walter Riester am Beispiel Malawi dargestellt hat, beim solche Antworten nicht von den Menschen in den Ent- Personal ansetzen. Wie es im Antrag festgestellt wird, ist wicklungsländern, die überwiegend im informellen Ar- die Abwanderung von medizinischen Fachkräften insbe- beitsmarkt arbeiten; aber ich denke, wir kommen auf sondere für Schwarzafrika ein riesiges Problem. (B) eine Ebene, bei der man davon sprechen kann, dass wir (D) auf gleicher Augenhöhe lernen. Hier können wir mögli- cherweise Erfahrungen einbringen. Auf jeden Fall müs- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: sen wir wegkommen von einer Betrachtung, die davon Herr Kollege Aydin, erlauben Sie eine Zwischenfrage ausgeht, dass das eine Land Geberland, das andere Neh- der Kollegin Eid? merland ist. Wir müssen gemeinsam Lösungen für die großen Herausforderungen entwickeln. Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE): Selbstverständlich. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bitte schön, Frau Eid.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Den Beitrag des Kollegen Dr. Karl Addicks von der Sie sagten, dass die Entwicklungskooperation haupt- FDP-Fraktion nehmen wir zu Protokoll, weil er gegen- sächlich dazu dient, dass Konzerne einen Fuß in die Tür wärtig zu meiner Rechten als Schriftführer tätig sein bekommen. Können Sie mir sagen, was daran unredlich muss.1) sein soll, wenn deutsche Firmen dazu beitragen, dass in Ich erteile das Wort dem Kollegen Hüseyin Aydin von Ländern der Dritten Welt bzw. in Schwellenländern Ar- der Fraktion Die Linke. beitsplätze geschaffen werden und die Menschen ein Einkommen haben? In manchen dieser Länder sind (Beifall bei der LINKEN) 70 Prozent der Bevölkerung Jugendliche unter 20 Jah- ren; der Kollege Riester hat darauf hingewiesen. Was ist Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE): daran zu kritisieren, wenn auch deutsche Firmen Ar- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war beitsplätze schaffen und diesen Menschen eine Zu- schon bei der ersten Beratung im Januar auffällig, wie kunftsperspektive geben? Die Firmen zahlen vor Ort positiv die Rednerinnen und Redner der Regierungs- Steuern. Die Staaten haben damit ein Einkommen, mit koalition zu dem vorliegenden Antrag Stellung bezie- dem sie wiederum Schulen bauen können und ein Ge- hen. Dieser Antrag ist notwendig geworden. So heißt es sundheitssystem aufrechterhalten können. Was ist daran im Antrag selbst, dass soziale Aspekte in der Entwick- zu kritisieren? (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist 1) Anlage 2 keine Frage, das ist eine eigene Rede!) 15884 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

(A) Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN) (C) Frau Kollegin, ich möchte Ihnen am Beispiel Kenia Es ist absurd, wenn in der bilateralen Zusammenarbeit deutlich machen, warum die Linke hier starke Kritik übt. auf den Aufbau kostenloser Gesundheitsvorsorge gesetzt Über Infrastrukturprogramme und die Handelsliberali- wird, aber die Vertreter der Bundesregierung in der Welt- sierung wurden in Kenia viele staatliche Unternehmen bank und im IWF auf die Senkung staatlicher Sozialaus- privatisiert. Es wurden Sonderwirtschaftszonen einge- gaben drängen. richtet, in denen den Arbeitnehmern und Arbeitnehme- rinnen nicht einmal das im Land geltende Recht zugute Genauso absurd ist es, wenn die Bundesregierung in kommt. Die Beschäftigten arbeiten in den Sonderwirt- der EU die Verschärfung des Patentrechts fordert und so schaftszonen 45 Stunden in der Woche für 2 Dollar am die überlebenswichtige Versorgung von Aidspatienten Tag. Ich habe nichts dagegen, dass die betroffenen Fir- mit bezahlbaren Präparaten erschwert. men gefördert werden. Ein weiterer Schritt ist – er wäre im Übrigen völlig (Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: kostenlos –, dass Deutschland endlich die Übereinkom- Nennen Sie mir eine deutsche Firma!) men der Internationalen Arbeitsorganisation ratifiziert. Ich bin aber dagegen, dass sie aus dem Topf für Ent- (Beifall bei der LINKEN) wicklungszusammenarbeit gefördert werden. Die in die- sem Bereich zur Verfügung stehenden Mittel sollten vor Das würde das richtige Signal an die Partnerländer aus- allem für soziale Aufgaben eingesetzt werden, um Ar- senden. Schließlich gibt es in armen Ländern, in denen mut nachhaltig zu bekämpfen und Gesundheitsstruktu- mehr als drei Viertel der Bevölkerung in der Schatten- ren zu schaffen. wirtschaft arbeiten, für die allermeisten Beschäftigten keine medizinische Grundversorgung, keine Arbeitslo- (Beifall bei der LINKEN) senversicherung und keinen Mutterschutz. Um soziale Sicherungssysteme aufbauen zu können, müssen wir unsere Kraft vor allem darauf konzentrieren, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: dass mehr medizinische Fachkräfte in die Drittweltstaa- Herr Kollege Aydin, kommen Sie bitte zum Schluss. ten entsandt werden. Ich komme zu einem weiteren Kernbereich: die Da- Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE): seinsvorsorge. In diesem Bereich gibt die deutsche Ent- Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf, endlich wicklungspolitik ein überaus bescheidendes Bild ab. Vor zu handeln und zumindest das IAO-Übereinkommen 177 allem beim Aufbau von Systemen zum Schutz vor Al- über Heimarbeit zu ratifizieren. (B) tersarmut und Arbeitslosigkeit herrscht totale Flaute. In (D) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) diesem Bereich fordert der Antrag ein grundsätzliches Umsteuern. Genau deshalb unterstützen wir ihn. Wenn heute die Umsetzung des Antrags beschlossen werden sollte, dann werden wir als Fraktion Die Linke Es gibt Stimmen, die das für utopisch erklären. Man- die weiteren Schritte beobachten und auch weiterhin che meinen, in wirtschaftlich schwächeren Ländern konstruktiv-kritisch die Arbeit der Bundesregierung be- könne keine Rentenversicherung funktionieren. Das ist gleiten. Unsinn. In vielen Schwellenländern gab es gut funktio- nierende Rentensysteme, die erst unter dem Druck der Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Weltbank mit ihren Privatisierungsprogrammen kaputt gemacht wurden. So wurden beginnend mit Chile im (Beifall bei der LINKEN) Jahr 1981 unter dem Druck der Weltbank in zwölf latein- amerikanischen Ländern die öffentlichen Rentensysteme Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: zurückgefahren und durch Systeme privater Vorsorge er- Das Wort hat die Kollegin Sibylle Pfeiffer von der setzt. Das nutzte – wie auch in Deutschland – nur denje- CDU/CSU-Fraktion. nigen, die sich das leisten konnten, und den Versiche- rungskonzernen. (Beifall bei der CDU/CSU)

(Beifall bei der LINKEN) Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): Jüngst zog Guillermo Perry, Chefökonom der Welt- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! bank für Lateinamerika, eine ernüchternde Bilanz. Er Lieber Kollege Aydin, ich kann es mir nicht verkneifen stellte fest, dass in den lateinamerikanischen Ländern, in – nur zur Information –: Privatisierung bedeutet nicht In- denen es ein privates Rentensystem gibt, heute mehr als vestition. Dazwischen besteht ein riesengroßer Unter- die Hälfte der Arbeitnehmer von jeglicher Altersvor- schied. Das ist der erste Punkt. sorge ausgeschlossen sind. Ich frage mich deshalb, wen Der zweite Punkt ist: Natürlich kann man lange da- die Weltbank bekämpft: die Armut oder die Armen? rüber diskutieren, ob man die Wirtschaftsförderung in den Insofern stelle ich in Ergänzung zum Antrag fest: Die Entwicklungsländern im BMZ oder vielleicht im Wirt- deutsche Entwicklungszusammenarbeit braucht in der schaftsministerium ansiedeln sollte. Ich verstehe aber Tat eine grundsätzlich neue Ausrichtung. Aber das muss nicht, warum gerade von Ihrer Seite Kritik kommt; denn ihr Wirken in den multilateralen Institutionen wie der die Kontrolle staatlicher Gelder in den Entwicklungslän- Weltbank mit einschließen. dern geht nur über das BMZ und nicht über das Wirt- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15885

Sibylle Pfeiffer (A) schaftsministerium. Darüber sollten Sie sich im Klaren (Beifall bei der CDU/CSU) (C) sein. Aus Sicht der Armen ist ein fehlendes Sozialsystem Lieber Kollege Aydin, warum betreiben wir eigent- ein Hauptproblem. Das hat eine Untersuchung der Welt- lich Entwicklungszusammenarbeit? Wir wollen, dass bank im Jahre 2000 ergeben. Mehr als 1,3 Milliarden sich die betreffenden Länder wirtschaftlich so stabilisie- Menschen haben keinen Zugang zu einer ausreichenden ren, dass sie irgendwann eigene soziale Sicherungssys- Gesundheitsversorgung. Jährlich fallen mehr als 100 Mil- teme finanzieren können. Sie wollen nur Gelder vertei- lionen Menschen neu in die Armut, zum Beispiel weil len, und zwar vom Staat auf den Staat zu den Menschen. sie nicht krankenversichert sind und keine Versicherung Auf diese Art und Weise gibt es nirgendwo eine Ent- gegen Krankheitskosten haben. Die arme Bevölkerung wicklung. Das funktioniert so nicht. Bei Ihrer Rede hatte in den Entwicklungsländern ist in einem regelrechten ich den Eindruck, dass es Ihnen gar nicht um die Unter- Teufelskreislauf. Sie ist in einer Krankheits-Armuts- stützung des Aufbaus sozialer Sicherungssysteme in den Falle gefangen. Weil die Menschen arm sind, sind sie Entwicklungsländern geht, sondern um irgendeine ideo- krank. Weil sie krank sind, werden sie noch ärmer. logische Debatte. Sicherlich können wir irgendwann (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Warum sind sie eine allgemeine Debatte führen. Aber Sie haben das Pro- denn arm?) blem offensichtlich nicht erkannt. – Das ist eigentlich nicht Teil unseres Antrags. Aber ich (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie kann es gerne erklären. Wenn alle Zeit haben, habe ich bei Abgeordneten der FDP) nichts dagegen. Es dauert eine Dreiviertelstunde. Ich komme nun auf die Unterstützung des Aufbaus In diesem Zusammenhang reden wir über das Solidar- sozialer Sicherungssysteme in den Entwicklungsländern system in den Großfamilien. Manchmal stehen wir dane- zu sprechen. Das ist alles andere als ein abstraktes Ni- ben und stellen fest, dass dieses Sozialsystem so, wie es schenthema. Dieses Thema hat etwas – lieber Kollege dort in den Großfamilien funktioniert, bei uns auch ein- Aydin, hör mir zu; mal funktioniert hat. Aber selbst dort lösen sich diese traditionellen Strukturen auf. In den Entwicklungs- und (Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Das tue Schwellenländern wird die Zahl der Großfamilien immer ich gern, Frau Pfeiffer!) kleiner. Grund hierfür sind als Erstes die Wanderarbeiter, denn das ist das Wichtigste – mit Menschenwürde und aber auch Flüchtlings- und Migrationsströme, die vor al- Menschenrechten zu tun; darüber reden wir. Wir müssen len Dingen durch Bürgerkriege, Vertreibung sowie, liebe uns vergegenwärtigen, dass 80 Prozent der Menschheit Freunde, durch HIV/Aids ausgelöst werden. (B) in sozialer Unsicherheit leben. Das heißt, dass diese Es gibt dort keine staatlichen sozialen Sicherungssys- (D) Menschen den größten Lebensrisiken wie Alter, Krank- teme, wie wir sie uns vorstellen. Aber es gibt dort An- heit, Unfall, Arbeitslosigkeit und Tod des Ernährers sätze solcher Systeme, wenn auch nicht mit den Begriff- schutzlos ausgeliefert sind. Die Folgen sind allerdings lichkeiten, wie wir sie hier kennen. Für die Menschen in alles andere als abstrakt. Im Gegenteil: Sie sind bittere den Entwicklungsländern sind Arbeitslosenversiche- Realität. Es besteht ein Zusammenhang zwischen feh- rung, Unfallversicherung, Krankenversicherung, Ren- lender sozialer Sicherheit und Armut. Dass die Hälfte tenversicherung, Hinterbliebenenversicherung usw. der Menschen weniger als 2 Dollar pro Tag zum Leben Fremdwörter. Dort, wo es die Idee eines solchen Sys- hat, hängt auch damit zusammen. tems gibt, profitiert eine kleine elitäre Minderheit davon, Die Armutsbekämpfung ist die zentrale Aufgabe zumeist im militärischen Bereich, in der staatlichen Ver- deutscher Entwicklungspolitik. Da die Ursachen für Ar- waltung und Ähnliches. Aber der größte Teil der Men- mut komplex sind, müssen auch die Lösungsmöglichkei- schen ist davon ausgeschlossen. So haben beispielsweise ten sehr vielschichtig sein. Ich bin fest davon überzeugt, lediglich 10 Prozent aller Afrikaner Zugang zu sozialen dass die Verankerung von sozialen Sicherungssystemen Sicherungssystemen. einen wichtigen Beitrag zur Armutsbekämpfung in den Aus eigener Erfahrung – aus deutscher, aber auch aus Entwicklungsländern leistet. Lieber Kollege Aydin, das europäischer Erfahrung – wissen wir, dass soziale Siche- ist die Botschaft unseres Antrags: Systeme der sozialen rungssysteme und wirtschaftlicher Erfolg eines Landes Sicherung bedeuten vorbeugende und ausgleichende keine Gegensätze sind. Im Gegenteil, es ist nachweisbar, Maßnahmen gegen Notlagen, die der Einzelne ohne dass soziale Sicherungssysteme einen positiven Einfluss fremde Hilfe nicht bewältigen kann. Das heißt aber auch auf die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes haben. Hilfe zur Selbsthilfe. Dies haben wir nach der Industrialisierung selbst erlebt. Fehlende soziale Sicherungssysteme erschweren es Das wirtschaftliche Wachstum in den Entwicklungs- den Menschen, aus der Armut herauszukommen. Feh- ländern kann im Übrigen durch die Einrichtung der so- lende soziale Sicherungssysteme sind aber oft der zialen Sicherungssysteme gefördert werden. Aus eigener Grund, dass Menschen in Armut geraten, zum Beispiel Erfahrung wissen wir auch, dass sich ein eigener Wirt- wenn sie krank sind und unter Umständen ihr ganzes schaftszweig mit den sozialen Sicherungssystemen be- Vermögen für Medikamente und Pflege aufbrauchen. schäftigt. Aber wirtschaftliches Wachstum allein garan- Diesen Kreislauf gilt es aufzubrechen. Der Aufbau sozia- tiert den Entwicklungsländern noch keine nachhaltige ler Sicherungssysteme ist für die Entwicklungsländer le- Entwicklung. Manche der sich rasant entwickelnden benswichtig. Schwellenländer wie China sind mit ihren sozialen Si- 15886 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Sibylle Pfeiffer (A) cherungssystemen einfach nicht nachgekommen; die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (C) wirtschaftliche Entwicklung und die Entwicklung der Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat sozialen Sicherungssysteme sind nicht parallel gelaufen. der Kollege Thilo Hoppe vom Bündnis 90/Die Grünen Weil die Entwicklung gerade in diesem Land völlig dis- das Wort. parat verlief, ergeben sich große Probleme. Soziale Sicherungssysteme sind auch im Zusammen- Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): hang mit politischer Stabilität zu sehen. Ich mache dies Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und an Kindern deutlich, die Aidswaisen sind. Sie sind Ge- Kollegen! Vor einigen Monaten hat das IFPRI-Institut walt und Folter ausgesetzt, leben auf der Straße und ha- aus Washington eine sehr bemerkenswerte Studie vorge- ben keine Heimat. Gelegentlich werden sie von Alten legt, in der es sich sehr differenziert mit der Lage der ex- betreut, die selber über keinerlei soziale Sicherung ver- trem Armen auseinandergesetzt hat. Wir wissen, dass es fügen. Wenn sie schon nicht die Mittel haben, sich selbst beim Erreichen der Millenniumsziele je nach Sektor, je zu ernähren, wie sollen sie sich dann um Aidswaisen nach Teilziel, Fortschritte und Rückschritte gibt. Vor al- kümmern können? Dies birgt einen riesigen sozialen lem aufgrund der wirtschaftlichen Erfolge Chinas ist Sprengstoff in sich, wie wir aus Deutschland wissen. Die global gesehen die Zahl der extrem Armen – dazu zählt vernachlässigten und verwahrlosten Kinder und Jugend- man alle Menschen, die mit weniger als 1 Dollar pro Tag lichen in unserem Land sorgen sehr wohl für Instabilität auskommen müssen – zurückgegangen. Paradoxerweise in unserer Gesellschaft. Nun müssen wir uns vorstellen, ist aber gleichzeitig die Zahl der ultraextrem Armen – ein was in Subsahara-Afrika, wo mehr als 12 Millionen Kin- eigenartiges Wort – und der Hungernden gestiegen. Man der und Jugendliche als Aidswaisen leben, geschehen muss diese Größenordnung sehr differenziert betrachten. wird, wenn sie erwachsen werden. Sie haben keine Aus- Das liegt einerseits daran, dass in vielen Regionen dieser sicht auf Bildung und damit auch keine Aussicht darauf, Welt Kleinbauern, die auch vorher schon finanziell gese- sich in der Zukunft selbst zu versorgen. Was bleibt ihnen hen arm waren, von ihrer Scholle vertrieben wurden. denn? Sofern es überhaupt diese Möglichkeit gibt, bleibt Während sie sich vorher mit ihrer Hände Arbeit zumin- jungen Mädchen der Weg in die Prostitution. Im Übrigen dest noch haben ernähren können, mussten sie jetzt gro- bleiben jungen Menschen der Weg in Kriminalität oder ßen Bergbauprojekten, Staudämmen, Palmölplantagen die Wanderschaft. und der Sojafront weichen. Sie sind jetzt zusätzlich hungrig, weil sie sich nicht mehr selber ernähren kön- Was bedeutet es für Frauen, wenn sie sozial nicht ab- nen. Die IFPRI-Studie belegt aber andererseits auch sehr gesichert sind? Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zu- eindrucksvoll, dass nicht nur der Verlust der eigenen sammenhang das Erbrecht. Frauen können oft kein Land Scholle für die Kleinbauern ein Grund war, dass sie in (B) erwerben. Das Landeigentum geht im Fall des Todes des die Gruppe der ultraextrem Armen gefallen sind, son- (D) Ernährers auf dessen Familie über, nicht auf die Frau. dern in ganz vielen Fällen schlicht und einfach Krank- Auch das hat etwas mit sozialer Sicherung zu tun. Zwei heit und das Fehlen eines Minimums an sozialer Absi- Drittel der Ärmsten der Welt sind Frauen. Jährlich ster- cherung. 130 Millionen Menschen zählen zu diesen ben 600 000 Frauen an Komplikationen während der ultraextrem Armen, die mit weniger als 50 US-Cent aus- Schwangerschaft und der Geburt. Das würde hier nie ge- kommen müssen, nearly nothing. schehen, weil die Frauen hier versichert sind, zur Vor- Die Studie macht deutlich, dass diese Gruppe fast sorge gehen können und wir sie nicht mit ihren Krank- überhaupt keine Chance hat, sich aus eigener Kraft aus heiten alleine lassen. Wir sehen zu, dass sie betreut ihrer prekären Lage zu befreien, dass aber ein Minimum werden und dass vor allen Dingen diese Betreuung fi- an Sozialhilfe oder Krankenversicherung gereicht hätte, nanziert wird. um diesen Absturz in die Hoffnungslosigkeit zu verhin- Wir alle haben uns den Millenniumsentwicklungszie- dern. Nicht nur IFPRI, sondern auch viele NGOs und len verschrieben. Vier dieser Ziele beziehen sich auf die kirchliche Hilfswerke wie „Brot für die Welt“ und Mise- Armut. Es geht um die Halbierung der Zahl der Men- reor machen schon seit geraumer Zeit darauf aufmerk- schen, die arm sind und hungern, die Verringerung der sam, dass diese Gruppe der Allerärmsten kaum von der Kindersterblichkeit, die Verbesserung der Gesundheit staatlichen Entwicklungszusammenarbeit erreicht und der Mütter und die Bekämpfung von Aids und Malaria. auch von den jeweils nationalen Regierungen sträflich All diese Themen betreffen die sozialen Sicherungssys- vernachlässigt wird. Sie fallen also in doppelter Hinsicht teme. Es geht nicht darum, dass wir in den Entwick- durch den Rost. lungsländern unser „tolles“ Versicherungssystem anprei- Im Falle von Kriegen, Bürgerkriegen und Naturkatas- sen und fordern, dieses zu übernehmen, sondern es geht trophen wird Nahrungsmittelhilfe benötigt; sie stellt im- darum, auf der bestehenden Kultur und den bestehenden mer nur eine begrenzte Nothilfe dar. Über dieses Thema Systemen aufzubauen und uns unter Berücksichtigung diskutieren wir morgen. der Mentalitäten für das Erreichen der Millenniumsziele einzusetzen. Es geht nicht darum, etwas vorzuschreiben, Um die Lage der extrem Armen strukturell zu verbes- sondern darum, die Menschen zu unterstützen. Das ist sern, bedarf es, weil 80 Prozent der Hungernden auf dem Ziel und Zweck des Antrags. Land leben, einerseits größerer Investitionen in den länd- lichen Sektor – ich wiederhole gebetsmühlenartig, dass (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- hier Kurskorrekturen notwendig sind – und andererseits neten der SPD) – darüber reden wir heute – eines Aufbaus tragfähiger so- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15887

Thilo Hoppe (A) zialer Sicherungssysteme. Dabei muss man zuallererst Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C) die Zielgruppe der extrem Armen und Hungernden in Ich schließe die Aussprache. den Favelas, den Slums der wachsenden Megastädte, und Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- auf dem Land im Blick haben. ses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ich bin dem Kollegen Walter Riester sehr dankbar, zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der dass er dieses Thema nach vorne bringt. Wir unterstüt- SPD mit dem Titel „Entwicklungs- und Schwellenländer zen diesen Antrag. Ich freue mich, dass vier von fünf verstärkt beim Aufbau und bei Reformen von sozialen Si- Fraktionen – die Koalition, die Grünen und die Linken – cherungssystemen unterstützen und soziale Sicherung als den Antrag unterstützen; die FDP tanzt in diesem Punkt Schwerpunkt der deutschen Entwicklungszusammenar- leider aus der Reihe. Einen Antrag zu veröffentlichen beit implementieren“. Der Ausschuss empfiehlt auf und tolle Forderungen aufzustellen, ist das eine; es Drucksache 16/8484, dem Antrag zuzustimmen. Wer kommt aber darauf an – das haben Sie gesagt –, sie um- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim- zusetzen. Dabei sind uns drei Forderungen besonders men? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfeh- wichtig. lung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, Linken und Bündnis 90/Die Grünen ohne Gegenstimmen bei Enthal- Kollegin Koczy hat schon auf einen der Punkte hinge- tung der FDP-Fraktion angenommen. wiesen – Sie haben das aufgegriffen –: die besondere Rolle der Frauen für das Absichern der Familie, des Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 9 auf: Clans und des Gemeinwesens. Ähnlich wie bei der Frage Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, des Mikrofinanzwesens muss bei der Entwicklung eines SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sozialen Sicherungssystems die Rolle der Frau im Mit- telpunkt stehen. Das deutsche Filmerbe sichern Zweitens. Wichtig ist: Wir können nicht stellvertre- – Drucksache 16/8504 – tend für die Partnerländer Sozialhilfeträger sein; so ist Überweisungsvorschlag: der Antrag nicht gemeint. Die Partnerländer dürfen nicht Ausschuss für Kultur und Medien (f) von finanziellen Transfers der Geberländer abhängig Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie werden. Vielmehr geht es darum, wirklich tragfähige so- Ausschuss für Bildung, Forschung und ziale Sicherungssysteme aufzubauen. Hier bietet sich Technikfolgenabschätzung Versicherungsunternehmen kein attraktiver Markt; denn Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union die Zielgruppe, auf die wir uns konzentrieren sollten, Haushaltsausschuss kann kaum Eigenbeiträge leisten und kaum etwas anle- Es ist verabredet, hierzu eine halbe Stunde zu debat- (B) gen. Dieser Zielgruppe ist der Aufbau eines Kapital- tieren. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das (D) stocks – in anderen Ländern gelingt das – nicht möglich. so beschlossen. Drittens. Es ist entscheidend, zwei Dinge miteinander Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem zu verbinden – Kollegin Eid hat das gesagt –: Um die Kollegen Wolfgang Börnsen. Partnerländer auf der einen Seite in die Lage zu verset- zen, die sozialen Sicherungssysteme selber zu finanzie- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. ren; muss man ihnen auf der anderen Seite beim Aufbau Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE von Steuersystemen unter die Arme greifen. Die Steuer- GRÜNEN]) systeme müssen sozial gestaffelte, progressive Steuer- sätze vorsehen. Es ist ein Skandal, dass in vielen Län- Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): dern die reichen Eliten überhaupt nicht zur Finanzierung Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- sozialer Sicherungssysteme herangezogen werden. gen! Der Filmhit des Jahres 1950 trug den Titel Der Theodor im Fußballtor. Leicht, locker, amüsant und ko- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mödiantisch spielte Theo Lingen den Tor-Lehmann und und bei der SPD) schaffte eine kleine Freude in einer an Not reichen Nach- Natürlich weiß man: Wenn man entsprechende Vor- kriegszeit. schläge in den Regierungsverhandlungen vorbringt, löst ( [CDU/CSU]: Da sieht man mal, das nicht bei allen Partnerregierungen Begeisterungs- wie alt wir beide sind!) stürme aus. Vielleicht muss man in diesem Punkt das Prinzip der Ownership ein wenig infrage stellen. Man Sein Filmsong, schlicht und schelmisch, wurde ein Gas- muss klarstellen: Wenn die Entwicklungszusammenar- senhauer. Einige haben ihn noch im Ohr: beit, wie es der Aktionsplan vorsieht, noch stärker men- (Renate Blank [CDU/CSU]: Ja!) schenrechtsorientiert sein soll – dazu gehören auch die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschen- Der Theodor, der Theodor, rechte –, dann dürfen wir es den Partnerländern nicht Der steht bei uns im Fußballtor. durchgehen lassen, dass die Ärmsten der Armen ver- Wie der Ball auch kommt, nachlässigt oder vergessen werden. Wie der Schuss auch fällt, Der Theodor, der hält! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Sibylle (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE Pfeiffer [CDU/CSU]) GRÜNEN]: Singen!) 15888 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (A) Doch gehalten hat der Olli Kahn der Notzeit den ent- sichtigt wie die Kosten für Maßnahmen beim instabilen (C) scheidenden Elfmeter nicht. Denn Der Theodor im Fuß- Trägermaterial Acetat. Die Registrierung allein reicht ja balltor kommt nicht mehr vor. In keinem Archiv ist die- nicht. Das Filmgut braucht Bestandssicherung. ser Kultspielfilm mehr aufzutreiben. Dieses Schicksal Wer hinter die Kulissen schaut – – teilt Theo mit gut einem Drittel des deutschen Filmkul- turerbes. Verloren, verlegt, vergessen – ein Stück Film- erbe ist unwiderruflich auf der Strecke geblieben. Ein Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Land, das seine Filme verliert, verliert auch Teile seiner Herr Kollege, möchten Sie, bevor Sie hinter Kulissen Erinnerung und seiner Identität. schauen, noch eine Zwischenfrage des Kollegen Grund zulassen? (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Was bei Büchern und Musik eindeutig geregelt ist, hat Aber selbstverständlich. auch für den Film zu gelten. Da sind wir uns mit unserer Kollegin Claudia Roth und den anderen Fraktionen ei- (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Sehr nig: geschickt gemacht! Die Redezeit geht zu Ende! – Ute Kumpf [SPD]: Was ist denn das? (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Was?) Eine bestellte Zwischenfrage, Herr Kollege Grund?) Es muss eine Hinterlegungspflicht geben, und zwar nicht nur für den öffentlich geförderten Film, sondern auch für Herzlichen Dank. die mehr als 2 500 Dokumentar- und Kurzfilme, die bei uns jährlich gedreht werden. Manfred Grund (CDU/CSU): Im Entwurf für das neue Filmförderungsgesetz hat Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Lieber Kollege der von uns hochverehrte Staatsminister Bernd Börnsen, teilen Sie meine Einschätzung, dass kostbare Neumann die Archivierungspflicht für den Bund fest Filme nicht nur archiviert und hinterlegt werden müssen, verankert – vorausschauend, wie er eben ist. Die seit sondern ab und zu auch wieder der Öffentlichkeit ge- 2004 praktizierte Auflage zur Archivierung geförderter zeigt werden sollten, etwa im Fernsehen? Teilen Sie in Filme erhält damit Rechtskraft. diesem Zusammenhang meine Freude darüber, dass der Mitteldeutsche Rundfunk heute Abend gegen 23 Uhr Anerkennung verdient auch die Bereitschaft der Pro- den Film „Karbid und Sauerampfer“ aus dem Jahre 1963 duzenten, durch eine freiwillige Selbstverpflichtung zeigt, in dem der jetzt leider verstorbene Schauspieler Filmkopien zu sichern. Allein im Bundesarchiv sind (B) Erwin Geschonneck eine herausragende Rolle spielt? (D) 150 000 Spiel- und Dokumentarfilme hinterlegt. Erfasst und gesichert wird seit 1895, registriert aber erst seit (Ute Kumpf [SPD]: Habt ihr das jetzt abge- 2004. Eine zentrale Erfassung aller Filme gibt es bisher sprochen? – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] nicht. Dazu muss es aber kommen. [FDP]: Das habt ihr schon Klasse gemacht!) (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): NIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Kollege Grund, herzlichen Dank für die zutref- Es gibt bei uns in Deutschland allein zehn größere öf- fende Nachfrage. fentliche Filmarchive bzw. -museen, dazu kleinere und (Heiterkeit) Privatsammlungen. Es existieren keine genauen Anga- ben über die Gesamtzahl der seit 113 Jahren hinterlegten Manfred Grund hat recht. Wie gesagt, wir haben inzwi- Kopien. Wir haben versucht, zu ermitteln. Dorothee Bär schen ein großartiges Filmarchiv. Es geht aber um die und andere wissen es schon: Wir kommen auf über 10 Prozent, die wir noch nicht erfasst haben. Wir leisten 208 000 Filme, die in Deutschland in Archiven und Mu- uns zu wenige Wiederholungen. Wir leben von der Aktu- seen erfasst sind. Das ist doch ein großartiger Kultur- alität. Traditionspflege und das Erfassen von Kultfilmen schatz. gehört in einem verbesserten Verfahren dazu. Manfred, du hast gerade einen solchen Kultfilm genannt. Das ist (Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Joachim ein großartiger Film mit einer großartigen schauspieleri- Otto [Frankfurt] [FDP]: Habt ihr da durchge- schen Leistung. Meine Kollegen werden dazu beitragen, zählt? – Dr. [DIE LINKE]: Ange- dass die heutige Debatte vielleicht die Sensibilität er- guckt?) höht, damit wir zu einer verstärkten Aufnahme von Tra- – Ja, einzeln. ditionsfilmen kommen. Das würde ich mir sehr wün- schen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt daher die Initiative der Bundesregierung, durch eine Datenbank Jetzt kommen wir auf die Kulissen zurück. Es ist wich- für Übersicht in einem föderalen System zu sorgen. Das tig, darauf aufmerksam zu machen, dass Bund und Län- ist nicht zum Nulltarif zu machen. Allein das Bundesar- der einen beachtlichen finanziellen Beitrag zur Erhaltung chiv rechnet für die Filmsicherung mit Kosten in Höhe des Filmbestandes leisten. Mehr Zusammenarbeit wäre von 2,1 Millionen Euro jährlich. Die Kosten für die Um- jedoch wünschenswert. Der vom BKM eingeleitete Bei- kopierung der im Hinblick auf die Haltbarkeit risikorei- tritt Deutschlands zur Europäischen Konvention zum chen Zellulosenitratfilme sind dabei genauso berück- Schutz des audiovisuellen Erbes wird diese Sicherungs- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15889

Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (A) arbeit stabilisieren und stärken. Als eine der großen euro- (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ (C) päischen Filmnationen können wir den Verlust von wei- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der teren Filmen nicht akzeptieren, da sind wir uns alle einig. CDU/CSU) Ein weiteres Eigentor von Theodor im Fußballtor darf es nicht geben. Ob man nun David oder Götz oder wie auch Die Tatsache, dass wir hier einen interfraktionellen immer in den alten traditionsreichen Filmen heißt – es Antrag beraten, zeigt, dass wir in der Analyse der Situa- muss darauf Wert gelegt werden, dass auch die letzten tion und im Ziel einig sind: Die Archivierung von filmi- 10 Prozent der noch nicht ermittelten und erfassten Filme schen Werken ist in Deutschland ungenügend, und wir ins Archiv kommen. brauchen neue Standards, um unser Filmerbe auch dau- erhaft zu schützen. Herr Börnsen hat ein sehr schönes Die neue erweiterte Filmpolitik der Bundesregierung und passendes Beispiel gebracht. macht nicht nur zuversichtlich, was die Stabilisierung der Mittel für die Filmförderung angeht. Die 60 Millio- Die entscheidende Frage ist nun: Wie organisieren nen Euro, die jährlich allein durch den Deutschen Film- wir die Filmarchivierung? Der Antrag nennt einige fonds eingesetzt werden, sind klug eingesetzte Gelder. wichtige Punkte, lässt aber auch einige Fragen offen. Da Sie stärken den Filmstandort Deutschland und sind eine ist nämlich zunächst einmal zu klären: Was wollen wir Anerkennung der Leistung der Filmschaffenden. Wir er- archivieren? Wir müssen uns zwischen kompletter und kennen jedoch an, dass die Bundesregierung für sehr viel selektiver Archivierung entscheiden. Einige sagen, alles, mehr sorgt. Sie fühlt sich im neuen FFG und im Bundes- was als bewegtes Bild daherkommt, ist als ein einzigarti- archivgesetz verantwortlich dafür, die Zukunft des Kul- ger Bestandteil des kulturellen Erbes zu begreifen und turguts Film zu garantieren. Dieser Bereitschaft sollte somit archivierungswürdig. Das hieße aber, dass wir unsere gemeinsame Zustimmung gelten. auch sämtliche Werbespots, Videospiele, Handy- und In- ternetfilmchen oder auch gewisse andere Filme (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Was Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE meinst du damit?) GRÜNEN]) – das überlasse ich deiner Fantasie – aufheben müssten. Das ist aber nicht zu leisten. Eine allzu umfängliche Ar- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: chivierung ist schlichtweg nicht finanzierbar, weder Ich gebe zu, dass ich sehr gespannt darauf bin, ob wir durch die Produzenten noch durch den Staat. Wir müs- am Ende dieser Debatte eine „Best of“-Liste oder einen sen also Kriterien für die Bedeutung oder die Qualität ei- Kanon von Filmen haben werden, ausgewählt vom nes Filmes festlegen. Auf jeden Fall sollte die Pflicht der (B) Deutschen Bundestag. Zu diesem Zweck gebe ich jetzt Archivierung nicht wie bisher nur dann greifen, wenn (D) der Kollegin Dr. Claudia Winterstein das Wort. ein Film öffentlich gefördert wird; denn selbstverständ- (Beifall bei der FDP) lich sind auch nicht geförderte Filme Teil des Filmerbes. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Dr. Claudia Winterstein (FDP): der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und DIE GRÜNEN) Herren! Ich möchte mit einem Zitat von Charlie Chaplin beginnen: Wenn wir also auswählen, dann nach Kriterien mit dem Ziel des Bewahrens und Weitergebens des Filmerbes. (Heiterkeit – Monika Griefahn [SPD]: Auch nicht schlecht!) Ich denke, dass eine Expertenkommission sinnvolle Kriterien erarbeiten könnte. In den USA funktioniert Filmemacher sollten bedenken, dass man ihnen am dieses System. Bereits seit 1942 sammelt hier die Li- Tag des Jüngsten Gerichts all ihre Filme wieder brary of Congress Kinofilme, die nach einem Kriterien- vorspielen wird. katalog archiviert werden. Die meisten deutschen Filmemacher brauchen diesen Die nächste Frage lautet: Wer soll archivieren? Hier Zeitpunkt aufgrund der teils massiven Lücken in unseren bieten sich aus meiner Sicht zwei Lösungen an: Filmarchiven allerdings nicht zu befürchten. Seit der Ge- burt des Kinos am Ende des 19. Jahrhunderts wurden Erstens. Wir schaffen eine bundeseinheitliche Rege- Filme lange Zeit als bloße Unterhaltung angesehen, die lung analog zu dem Gesetz über die Deutsche National- nach ihrer kommerziellen Verwertung letztlich wertlos bibliothek bei Büchern. Seit 1969 gibt es hier die Pflicht wurden. Hollywood hat in den 30er- und 40er-Jahren zur Hinterlegung eines Exemplars. Das Filmarchiv des ganze Lastwagenladungen an Filmen einfach in den Pa- Bundesarchivs könnte bei dieser Regelung die Funktion zifik gekippt. Inzwischen gibt es in den USA ein ver- der Nationalbibliothek übernehmen. Die zweite Mög- bindliches System der Archivierung, und auch in lichkeit wäre ein Bund-Länder-Abkommen, in das die Deutschland setzt sich die Erkenntnis durch, dass Filme Archive der Länder mit einbezogen werden. Aber hier mehr sind als Unterhaltung. Der Film ist als Kunstform ist dann vor allen Dingen die Einheitlichkeit der Archi- ein wichtiger Bestandteil des kulturellen und histori- vierung sicherzustellen. In dieser zentralen Frage er- schen Erbes unseres Landes und verdient daher unseren warte ich einen klaren Vorschlag von Ihnen, Herr Staats- besonderen Schutz. minister. 15890 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Dr. Claudia Winterstein (A) Schließlich müssen wir auch die Frage klären: Wie nung als eigene Kunstform ist für den Film immer noch (C) wollen wir archivieren? Die Experten sagen uns, dass es keine Selbstverständlichkeit. für eine langfristige Archivierung nicht ausreicht, nur eine Kopie des Films aufzubewahren. Die meisten Län- Aus der Erfahrung meiner Arbeit in der Filmförde- der, in denen die Hinterlegungspflicht gefordert ist, se- rungsanstalt kann ich berichten, dass wir uns in der hen die Abgabe des Originalnegatives an das Archiv vor. Filmförderung bemühen, der ganzen Bandbreite des fil- Aber eine solche Forderung berührt natürlich auch ganz mischen Schaffens gerecht zu werden. Denn der gut ge- massiv die Interessen der Produzenten. Schließlich er- machte Unterhaltungsfilm hat genauso seine Berechti- möglicht nur das Original die Herstellung von Kopien in gung wie der Arthouse-Film mit künstlerischem beliebiger Zahl und damit die kommerzielle Verwertung. Anspruch, wie ein Dokumentarfilm, der das Brennglas Insofern könnte ein Kompromiss sein, dass geregelt auf einen Ausschnitt unserer Wirklichkeit legt, oder wie wird, dass zunächst eine Kopie abgegeben und später der Kurzfilm eines Hochschulabsolventen. Im Rückblick das Original hinterlegt wird. erkennen wir: Erst das ganze Spektrum des Filmschaf- fens spiegelt die Zeit, den Zeitgeist und die Gesellschaft Hier könnte langfristig auch die technische Entwick- wider, in der diese Filme entstanden sind. lung durch die Digitalisierung hilfreich sein. Früher oder später wird sich die Filmwirtschaft auf einen einheitli- (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: chen digitalen Standard einigen. Das wird vor allen Din- Richtig!) gen für die Archivierung einfacher und billiger. Auf internationaler Ebene gab es bereits 1980 eine Ini- Auch müssen wir sicherstellen, dass der Eigentümer tiative der UNESCO, die mit einer entsprechenden die Rechte an seinem Material behält, wenn er es im Ar- Richtlinie die Bedeutung des audiovisuellen Erbes be- chiv deponiert. fördern wollte. Ich erinnere daran: Am 27. Oktober ist UNESCO-Tag des audiovisuellen Erbes. Seit 2001 gibt Meine Damen und Herren, der Antrag ist ein erster es die Konvention des Europarats für den Schutz des au- wichtiger Schritt zur Sicherung des deutschen Filmer- diovisuellen Erbes. Ich begrüße an dieser Stelle aus- bes. Ich hoffe, ich habe durch meine Aussagen deutlich drücklich, dass die Bundesregierung den Beitritt gemacht, dass wir über diesen interfraktionellen Kon- Deutschlands zu diesem Übereinkommen derzeit vorbe- sens hinaus natürlich noch viele Fragen zu klären haben. reitet. Im Juni dieses Jahres erwarten wir einen Bericht Daher sollten wir im Kulturausschuss die noch offenen der EU-Kommission zum Filmerbe. Ich denke, damit Fragen in einer Anhörung mit Experten aus der Film- sollten wir uns beschäftigen. Sie sehen, liebe Kollegin- wirtschaft und den Institutionen, die sich mit dem Film- nen und Kollegen: Auf internationaler Ebene ist bereits erbe befassen, erörtern. einiges passiert. (B) (D) (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Lassen Sie mich nun einen Blick auf das deutsche Ich jedenfalls hoffe auf eine fruchtbare Diskussion und Filmerbe werfen. Seit den Anfangstagen der bewegten eine gute Lösung zum Schutz des Filmerbes. Bilder hat sich bei uns ein großer Filmstock angesammelt. Die CDU/CSU-Fraktion hat die Filme sogar gezählt. Wir (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten haben in Deutschland besondere Einrichtungen, die sich der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ um die Archivierung kümmern. Im Bundesarchiv ist ein DIE GRÜNEN) eigenes Filmarchiv untergebracht. Es gibt zudem die Stif- tung Deutsche Kinemathek, die sich um das Filmerbe be- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: müht. Die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung verwaltet Die Kollegin Angelika Krüger-Leißner ist die nächste die Filme der NS-Zeit. Das Filmschaffen der DDR wird Rednerin für die SPD-Fraktion. von der DEFA-Stiftung gepflegt. Wir wissen, dass es auch auf Länderebene entsprechende Bemühungen gibt. Angelika Krüger-Leißner (SPD): Das scheint alles ganz beachtlich zu sein. Aber wenn Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und man genau hinschaut, dann muss man sagen, dass es mit Kollegen! Ich bin dankbar für die heutige Debatte zum dem Filmerbe nicht zum Besten steht. Das wird beson- Filmerbe; denn das ist auch eine gute Gelegenheit, da- ders deutlich, wenn wir es mit dem Buch-Archivwesen rauf hinzuweisen, wie wichtig das Filmschaffen für un- vergleichen. Lassen Sie es mich so formulieren: Es gibt ser nationales kulturelles Gedächtnis ist. Ich denke, das zwei Aufgaben, die bei der Archivierung zu leisten sind: wird bei uns immer noch unterschätzt. Nicht nur die Erstens. Der gesamte Bestand muss gesichert werden. überlieferten Bücher und Schriften gilt es zu bewahren Zweitens. Es muss gewährleistet sein, dass die Gegen- und zu pflegen; es sind gerade die bewegten Bilder, die wartsproduktion an Filmen lückenlos erfasst wird – und einen besonders lebendigen Eindruck von zurückliegen- nicht nur die geförderten, sondern alle Filme. Im Buch- den Epochen und Gesellschaften vermitteln. wesen gibt es seit langem entsprechende Vorkehrungen und Verpflichtungen. Im Filmbereich steht so etwas Dass dem Film eine andere Wertschätzung als dem noch aus. Buch entgegengebracht wird, liegt vor allem daran, dass der Film im Vergleich zum Buch ein sehr junges Me- Ich komme nun zu den Problemen bei der Archivie- dium ist. Erst vor gut 100 Jahren hat die Stummfilmzeit rung. Zum einen ist das herkömmliche Speichermedium, begonnen. Aber es liegt auch daran, dass sich der Film nämlich das Material der Filmrollen, für Verfallspro- seine Anerkennung erst erobern musste. Die Anerken- zesse besonders anfällig. Der Aufwand für die Sicherung Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15891

Angelika Krüger-Leißner (A) ist entsprechend groß. Einige Filmwerke sind akut ge- talen Umkopierung historischen Materials zuwenden (C) fährdet, auf immer verloren zu gehen. Zum anderen gibt müssen. Dieser Weg scheint mir unausweichlich zu sein. es keine einheitlichen Vorschriften zur Abgabe an die Filmarchive. Frau Winterstein hat es richtig gesagt: Wir Ich möchte an dieser Stelle anregen – ich glaube, auch brauchen verbindliche Qualitätsstandards, die wir bisher Frau Winterstein hat das gemacht –, dass wir uns im Vor- feld der Novelle des Bundesarchivgesetzes im Rahmen aber nicht haben – weder für die abzugebenden Archiv- einer großen Anhörung im Ausschuss mit all diesen Fra- exemplare noch für die Verfahren bei der Archivierung gen beschäftigen. Dies sollten wir zum Anlass nehmen, und Konservierung. die umfassende Bestandsaufnahme aus dem Jahr 2005 Ich bin froh, dass die von mir geschilderten Probleme zum Stand der Filmarchivierung und zur Verbreitung des von der Bundesregierung bereits erkannt worden sind nationalen Filmerbes in Deutschland, die vom Kinema- und die entsprechenden Bemühungen angelaufen sind. theksverbund erstellt wurde, zu aktualisieren. Das Ende des vergangenen Jahres – ich denke, die Mitglieder scheint mir notwendig zu sein. des Kulturausschusses erinnern sich – hat Kulturstaats- Lassen Sie mich abschließend sagen: Ich freue mich, minister Neumann dem Ausschuss ausführlich über dass wir bei diesem für mich wichtigen Thema den An- seine Vorhaben zur Sicherung des Filmerbes berichtet. fang gemacht haben. Ich freue mich ebenfalls, dass wir Gesetzlich fixiert werden soll das im Rahmen der anste- auch in dieser filmpolitischen Frage das bewährte Ein- henden Novelle des Bundesarchivgesetzes. Wir begrü- vernehmen, das wir schon oft im Ausschuss für Kultur ßen diese Anstrengungen und wollen sie unterstützen. und Medien praktiziert haben, fortsetzen können. Ich glaube, mit unserem Antrag können wir sie ein Stück vorantreiben. Das scheint mir notwendig zu sein. Ange- Ich danke Ihnen. sichts der Bedeutung des Themas ist das aber nur ein (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem erster Schritt. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte auf zwei Punkte hinweisen, die weit über die eigentlichen Fragen der Archivierung hinausgehen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Erstens ist ein gesichertes Filmerbe auch für den Fortbe- Der Kollege Dr. Lothar Bisky spricht jetzt für die stand unserer Kinolandschaft in der Fläche von existen- Fraktion Die Linke. zieller Bedeutung. Zweitens – das steht damit in Zusam- menhang –: Ohne gesichertes Filmerbe können wir (Beifall bei der LINKEN) unserem kulturellen Bildungsauftrag nicht gerecht wer- den. Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE): (B) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Ge- (D) In diesem Zusammenhang möchte ich ein brandaktu- setzgeber hat es lange versäumt, sich ausreichend mit elles Thema ansprechen: Die Kinos stehen vor einem ra- dem deutschen Filmerbe zu beschäftigen. dikalen technologischen Umbruch zur digitalen Filmvor- führung. Statt der herkömmlichen Filmrolle werden nur (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: noch digitale Bildträger, die man ganz einfach in einer Das stimmt nicht!) Handtasche transportieren kann, zum Einsatz kommen. Ich freue mich, dass von der Fraktion der Grünen das Kaum ein Kino wird es sich leisten können, daneben Filmerbe nun zum Beratungsgegenstand im Bundestag auch die herkömmliche Vorführtechnologie vorzuhalten. gemacht wird. Ich freue mich auch, dass sich andere Deshalb sind gerade die kleinen Programmkinos und die Fraktionen dem Antrag angeschlossen haben. Das ist kommunalen Kinos darauf angewiesen, dass das histori- gut. sche Filmmaterial auch in digitaler Form zur Verfügung steht. Das ist eine Herausforderung. Das gilt übrigens Völlig zu Recht betonen Sie in Ihrem Antrag, dass genauso für die Verleihfirmen, die sich auf diesen Be- Filme aller Art „Gedächtnisarchive“ sind, die „einen be- reich spezialisiert haben. sonderen Zugang zu vergangenen Epochen“ und „zum Alltagsleben der Menschen“ schaffen. Diesen Reichtum Die Umkopierung des historischen Materials auf digi- gilt es zu sichern. Auch der Kulturstaatsminister ver- tale Träger ist also nicht nur eine Frage der Sicherung, schließt sich dieser Problemlage nicht. Das begrüße ich sondern zugleich auch eine Frage der Bereitstellung, da- namens der Fraktion Die Linke ausdrücklich. mit wir unserem Auftrag zur Vermittlung von Filmkultur und Filmgeschichte gerecht werden können. Ich möchte Ihnen zwei Vorschläge unterbreiten: Ers- tens. Nachdem besonders viele Stummfilme und frühe Selbstverständlich ist damit auch die Frage der Finan- Tonfilme archivarisch bereits verloren sind, muss die ge- zierung der entsprechenden Maßnahmen aufgeworfen, genwärtig sinkende Quote der Archivierung von Spiel- die – das will ich ausdrücklich anmerken – im vorliegen- filmen aus der Bundesrepublik gestoppt und eine ver- den Antrag zu kurz kommt. bindliche Abgaberegelung getroffen werden. Es reicht nicht, nebulös von „archivwürdigen Filmen der Gegen- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die digitale Umrüs- wartsproduktion“ zu sprechen, sondern ich meine, alle tung der Kinos wird derzeit im Rahmen der Novellie- Filme müssen in diese Regelung einbezogen werden, rung des Filmförderungsgesetzes verhandelt. Sobald wir egal welcher Qualität sie sind. Da bin ich Ihrer Meinung. hier klarer sehen – in den nächsten Monaten wird das der Denn schließlich sind auch die zu rein kommerziellen Fall sein –, werden wir uns der Notwendigkeit der digi- Zwecken gedrehten Filme irgendwann Dokumente über 15892 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Dr. Lothar Bisky (A) die Zeit, in der sie gedreht wurden – selbst wenn sie Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) dann lediglich als Anschauungsmaterial für schlechte NEN): Beispiele herhalten müssten. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein wirklich gutes und positives Signal, dass wir (Beifall bei der LINKEN) uns heute in großer Gemeinsamkeit mit der wichtigen Frage des Schutzes des Filmerbes beschäftigen, uns da- Als Ort der Archivierung kommt meiner Meinung für einsetzen und engagieren. Ich möchte mich bei allen nach vor allem das Bundesarchiv-Filmarchiv infrage. dafür bedanken, dass unsere Initiative so unbürokratisch Vielleicht wäre es derzeit auch möglich, einzelne Ver- und so unmittelbar aufgegriffen worden ist. luste an Filmen über die Recherche in den Fernseharchi- ven, also im Deutschen Rundfunkarchiv, im ZDF-Archiv (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie und in den Archiven der Landesrundfunkanstalten, auf- der Abg. Monika Griefahn [SPD]) zufangen. Ich schlage darum vor, eine Arbeitsgruppe zu bilden, die die Sendelisten aus West und Ost seit Beginn Wenn wir die bei der Filmarchivierung offenen Fra- der Fernsehübertragungen durchgeht, um gezielt nach gen angehen, dann tun wir das nicht unreflektiert. Archi- Material von verschollen geglaubten Filmen zu suchen. vierung meint ja nicht Sammeltrieb oder blindes Haben- Ich denke, dies ist im Interesse der cineastischen Nach- wollen, sondern meint eine Verpflichtung, die welt und zukünftiger Historikerinnen und Historiker ein Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichermaßen guter Vorschlag. betrifft. Filme sind Gedächtnisarchive. Sie sind Aus- druck unserer Geschichte und schaffen Zugänge zu histo- Zweitens. „Das deutsche Filmerbe sichern“ heißt im- rischen und fiktiven Orten, zu Hoffnungen und Träumen, mer auch, das deutsche Filmerbe der Öffentlichkeit zu- zu Vergessenem und Verdrängtem. Filmarchivierung gänglich zu machen. Wenn die Filme im Bundesarchiv- meint an erster Stelle Erhalt und Erschließung eines un- Filmarchiv aufbewahrt werden, dann ist die verantwor- vorstellbaren künstlerisch-historischen Reichtums, ei- tungsvolle Aufgabe der Erbesicherung auch mit der nes Reichtums, der für uns ganz eigene Lebens- und Er- Pflicht dieser Institution verbunden, auf Nachfrage ab- fahrungsmöglichkeiten beinhaltet, Möglichkeiten, mit spielfähige Kopien zur Verfügung zu stellen oder herzu- denen wir Gegenwart und Zukunft immer wieder neu zu stellen. Was nützt uns ein hoffentlich bald gesichertes sehen lernen und uns in Zukunft erinnern können. Filmerbe, wenn es niemand zu sehen bekommt? Die Wie bereits gesagt, leider ist schon sehr viel von unse- neue Fassung des vorliegenden Antrages berücksichtigt rem Filmerbe – das weiß kaum jemand – verloren gegan- diese Tatsache; das ist gut so. Hier ist nicht nur das Bun- gen. Von den frühen Stummfilmen ist nur noch ein desarchiv-Filmarchiv gefordert. Vor allem die drei für Bruchteil vorhanden. Kollege Wolfgang Börnsen hat ei- (B) den deutschen Film zuständigen Stiftungen müssen hier nen späteren Film genannt: Der Theodor im Fußballtor. (D) tätig werden. Die unterschiedliche Handhabung der Stif- Es ist eigentlich unvorstellbar, dass so wichtige Film- tungen bei der Zugangsmöglichkeit zu Filmen sollte üb- werke wie zum Beispiel Die Abenteuer eines Zehnmark- rigens nach Ansicht der Linken im Rahmen eines Antra- scheines von Friedrich Murnau überhaupt nicht mehr ges vereinheitlicht werden. Dabei ist aus demokratischer auffindbar sind. Andere müssen mühsam aus Versatzstü- Sicht besonders die Nivellierung der Nutzungsgebühren cken rekonstruiert werden, um sie jetzt vor dem Ver- von Bedeutung. schwinden zu bewahren. Meine Damen und Herren, der Schutz des nationalen Auch viele Filme der Gegenwartsproduktion gehen Kulturerbes ist nach meiner Meinung nicht ohne zusätz- verloren, insbesondere solche, für die es keine Verpflich- liche Belastungen der öffentlichen Haushalte zu realisie- tung zur Abgabe eines Archivexemplars gibt. Das be- ren. Wie Sie dieses Kunststück ansonsten fertigbringen trifft die Filme – Frau Kollegin Winterstein, ich glaube, wollen, weiß ich nicht; aber vielleicht gelingt es Ihnen Sie haben das angesprochen –, die ohne öffentliche För- ja. Mittelfristig wird der Platz in den Archiven für die derung entstanden sind, aber gleichwohl archiviert wer- Lagerung der Filme nicht mehr ausreichen. Auch für Be- den sollten, weil sie Teil des wichtigen künstlerischen schäftigte braucht man mehr Geld; denn die Mitarbeiter- Erbes sind. decke wurde in den vergangenen Jahren bei wachsenden Aufgaben nicht aufgestockt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] Wenn wir also in absehbarer Zeit das deutsche Film- [CDU/CSU]) erbe sichern und gleichzeitig den Interessierten einen Der Deutsche Bundestag hat im Jahr 1969 eine einfacheren Zugang zum Filmerbe verschaffen würden, Pflichtabgabe für das geschriebene Wort, für Bücher be- hätten wir viel gewonnen. Ich kann Ihrem Antrag zu- schlossen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir auch stimmen und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. für den Bereich des Films eine generelle Pflichtabgabe (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- brauchen. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wir brauchen auch eine nationale Filmografie; ich Die Kollegin Claudia Roth spricht jetzt für Bünd- glaube, auch das ist unstrittig. Wir müssen dokumentie- nis 90/Die Grünen. ren, wie reich Deutschland an Filmproduktionen war Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. 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Claudia Roth (Augsburg) (A) und ist. Diese Datenbasis ist Voraussetzung für eine (Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang (C) weltweite, systematische Suche nach verschollenen Fil- Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Schöner An- men, damit die Lücken in der Archivierung geschlossen fang!) werden können, soweit das überhaupt noch möglich ist. Unsere heutige Debatte wird aufgezeichnet und – Gruß Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass das Europäische an Phoenix – hoffentlich auch live und komplett übertra- Übereinkommen zum Schutz des audiovisuellen Erbes gen. Nun könnte man sagen, dass es ausreichen würde, sehr bald ratifiziert wird. Es ist klar, dass die Ratifizie- nur den Ton aufzunehmen. Natürlich reicht das nicht; rung dieses Übereinkommens die Verpflichtung beinhal- denn dann würde keiner sehen, wie viele Kollegen heute tet, das dort festgelegte Schutzniveau zu garantieren. anwesend sind und wie aufmerksam alle zuhören, die Redner hätten dann kein Gesicht, und ob der Redner Die Novellierung des Archivgesetzes ist eine gute wild gestikuliert, älter oder jünger ist, könnte niemand Chance, die rechtliche Grundlage für die Filmarchivie- sehen, und man könnte auch nichts damit verbinden. Das rung weiterzuentwickeln. Ich freue mich auf eine span- zeigt, dass wir mit Bildern, vor allem mit bewegten Bil- nende Expertenanhörung im Kulturausschuss. Ich dern, sehr viel verbinden. Erinnern wir uns an die Auf- glaube, dass der Ausschuss mit einem solchen Gespräch nahmen aus Berlin aus dem Jahr 1989, als die ersten wichtige, neue Anstöße geben kann. Mauerspechte sich Stücke aus der Mauer brachen, als das erste Element mit einem Kran herausgehoben wurde, Ich denke, dass es neben dem, was wir in dem vorlie- als die Menschen zu Hunderten auf die Mauer kletterten. genden Antrag behandeln, sinnvoll wäre, die Videokunst Das sind Bilder, die wir in unserem Leben nie mehr ver- in die Überlegungen einzubeziehen. Hier ist eine ganz gessen werden. Diese Bilder veranschaulichen nicht nur eigene, eine neue, eine junge, sehr innovative und ein- uns, sondern vor allem unseren Kindern und Enkeln, was flussreiche Kunstform entstanden, über deren archivari- für ein großer Tag der 9. November 1989 für Deutsch- schen Schutz und Erfassung wir dringend nachdenken land war. müssen. Genauso verhält es sich mit den Filmen aus den je- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie weiligen Epochen. Sie erzählen nicht nur eine Ge- bei Abgeordneten der CDU/CSU) schichte oder geben eine Handlung wieder, sondern spie- geln – einige Kollegen haben das schon angesprochen – Vom BKM kommen Signale, dass die Aufgaben, die den Zeitgeist wider, zeigen, welche Vorstellungen die wir in dem heutigen Antrag beschreiben, ohne den Ein- Menschen in einer bestimmten Zeit hatten, wie sie sich satz zusätzlicher öffentlicher Mittel zu bewältigen sind. gekleidet haben, wie sie gelebt haben und wie sie mitei- Ich bin sehr erwartungs- und hoffnungsfroh, dass sich nander umgegangen sind. Deswegen ist es von ganz gro- (B) (D) mit überschaubaren Mitteln vieles erreichen lässt. Ich ßer Bedeutung, das für uns und vor allem für die nach- glaube aber ebenso wie die Kollegin Krüger-Leißner, kommenden Generationen zu erhalten. dass es zusätzliche Aufgaben gibt und uns der Schutz des Erbes einiges wert sein muss. Ich weiß, dass Bernd (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Neumann sich mit Nachdruck in diese Debatte einbringt. neten der FDP und des BÜNDNISSES 90/ Dafür bin ich ihm dankbar. Er hat parteiübergreifend DIE GRÜNEN) eine starke Lobby hinter sich. Lieber Kollege Neumann, Ich freue mich sehr, dass der Antrag von vier Fraktio- wir lassen nicht locker. Wenn wir es schaffen, das große, nen gleichermaßen getragen wird. Daran zeigt sich, dass hohe, spannende und aufregende Kulturgut Film zu wir uns einig sind. Darüber hinaus sind wir uns auch mit schützen, dann wäre das ein großer Erfolg. unserem Staatsminister einig, der immer wieder betont, wie wichtig ihm die Erhaltung des deutschen Filmerbes Danke schön. ist. Vom Bund werden daher nicht nur die Stiftung Deut- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sche Kinemathek und das Deutsche Filminstitut geför- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der dert, sondern Mitte Februar hat unser Staatsminister SPD und der LINKEN) auch angekündigt, dieses Jahr die Novellierung des Bun- desarchivgesetzes umzusetzen. Darin ist eine Pflichthin- terlegung von Filmen beim Bundesarchiv vorgesehen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Schließlich kann uns der Status quo nicht befriedigen, da Die Kollegin Dorothee Bär spricht jetzt für die Frak- derzeit nur ein Drittel aller uraufgeführten deutschen tion der CDU/CSU. Spielfilme den Weg ins Bundesarchiv finden. (Beifall bei der CDU/CSU) Die letzte Passage meiner Rede habe ich einer meiner Lieblingspräsidentinnen gewidmet,

Dorothee Bär (CDU/CSU): (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- NEN) legen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Bundesarchiv hat im letzten Jahr die Aktion „Vier Minu- weil sie versprochen hat, am Ende dieser Debatte eine ten für das deutsche Filmerbe …“ gestartet. Dasselbe gilt Liste der wichtigsten genannten Filme anzufertigen. Nur jetzt für mich und meine Rede: Vier Minuten für das für Sie, Frau Göring-Eckhardt: Stellen Sie sich vor, wir deutsche Filmerbe. dürften nur einen von drei Filmen archivieren und 15894 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Dorothee Bär (A) müssten uns heute beispielsweise einigen, ob „Good fen soll, und vor allem darüber, wie dort über die KfW (C) Bye, Lenin!“, „Das Leben der Anderen“ oder „Sonnen- abgestimmt werden soll. allee“ archiviert werden sollte. Ich glaube, dass für die Auf der Hauptversammlung der IKB wird über die Debatte darüber, welcher der drei der wichtigste Film in Entlastung des Vorstandes und des Aufsichtsrats abge- diesem Bereich ist, eine halbe Stunde nicht ausreichen stimmt. Ausweislich der Tagesordnung sollen die Mit- würde. In diesem Sinne bin ich jetzt sehr gespannt auf glieder des Vorstandes für das Geschäftsjahr 2006/2007 die Zusammenfassung unserer Präsidentin. bis auf eine Ausnahme nicht entlastet werden. Ausweis- Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und hoffe lich der Tagesordnung sollen die Mitglieder des Auf- auf weitere gute Beratungen. sichtsrats der IKB jedoch alle entlastet werden. Wenn der Vorstand der IKB für die Jahre 2006/2007 nicht ent- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der lastet werden soll – wir finden: zu Recht –, warum wird SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE dann der Aufsichtsrat entlastet? Denn Aufgabe eines Auf- GRÜNEN) sichtsrats ist doch – da schaut man einmal ins Gesetz –: Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung zu überwa- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: chen. Der Aufsichtsrat kann die Bücher und Schriften Sie hat mir dafür 41 Sekunden übrig gelassen. Das der Gesellschaft sowie die Vermögensgegenstände ein- reicht natürlich nicht. Wir werden die Filme nicht gegen- sehen und prüfen. Der Aufsichtsrat hat zu bestimmen, einander ausspielen, schon gar nicht drei Filme, die die dass bestimmte Arten von Geschäften nur mit seiner Zu- DDR-Zeit betreffen. Wir müssen das wahrscheinlich ge- stimmung vorgenommen werden dürfen. samtdeutsch betrachten. Vereinfacht gesagt: Ein Aufsichtsrat ist keine Kaf- Nichtsdestotrotz wird interfraktionell die Überwei- feerunde im kleinen Kreise, sondern nimmt eine sehr sung der Vorlage auf Drucksache 16/8504 an die in der verantwortungsvolle Aufgabe wahr. Dafür gibt es für Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. den einen oder anderen, der im Aufsichtsrat sitzt, die Damit sind Sie offensichtlich einverstanden. Dann ist die entsprechende Vergütung. Diese Aufgaben sind nach Überweisung so beschlossen. meiner Meinung sehr verantwortungsvoll. Nach unserer Auffassung ist der Aufsichtsrat der IKB nicht in allen Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 4 auf: Bereichen seiner Aufsichtspflicht nachgekommen. Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen (Zuruf von der FDP: So ist es!) Koppelin, Rainer Brüderle, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Lassen Sie es mich ganz drastisch formulieren: Jeder Falschparker bekommt ganz schnell einen Strafzettel. (B) (D) Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat der Wenn aber unter den Augen eines Aufsichtsrats Milliar- IKB Deutsche Industriebank AG durch Nut- denbeträge verbrannt werden, dann wird ihm Entlastung zung der Stimmrechte der KfW Kreditanstalt erteilt, obwohl aufgrund der Beteiligung der KfW an der für Wiederaufbau verhindern IKB große Teile dieser Milliardenbeträge vom Steuer- – Drucksache 16/8493 – zahler aufgebracht werden müssen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist verab- Mein Kollege Hermann Otto Solms hat hier am redet, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren, wobei die 15. Februar gesagt, dass letztlich 6 Milliarden Euro öf- Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. – Dazu fentlicher Mittel durch die IKB-Krise verbrannt wurden. höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- Es geht darum, wer dafür verantwortlich ist. Wir als FDP sen. wollen keine Bauernopfer – etwa in Gestalt von Frau Matthäus-Maier – sehen. Aber es gibt Verantwortung, (Unruhe – [CDU/CSU]: Klei- und diese liegt zuerst einmal beim Bundesfinanzminis- ner Personalwechsel hier!) ter; denn er ist Aufsichtsbehörde über die KfW, die an der IKB beteiligt ist. Außerdem sitzt ein Vertreter des – Ein kleiner Personalwechsel ist bei den Filmpolitikern Bundesfinanzministeriums im Aufsichtsrat der IKB. natürlich immer mit der entsprechenden Show verbun- den. Das muss schon sein. (Dr. [FDP]: Wo sitzen die ei- gentlich heute?) Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Kollegen Jürgen Koppelin für die FDP-Fraktion. – Allerdings, Frau Präsidentin, muss ich sagen, dass es wirklich erschütternd ist, dass kein Mitglied der Regie- (Beifall bei der FDP) rung bei der Diskussion eines solches Themas anwesend ist. Jürgen Koppelin (FDP): (Widerspruch bei der CDU/CSU) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Deutsche Industriebank, IKB genannt, wird am Ich habe fast den Eindruck, die Regierung sei zurückge- 27. März dieses Jahres eine ordentliche Hauptversamm- treten. Das wäre natürlich erfreulich. lung durchführen. Über die KfW hält der Bund zurzeit (Beifall bei der FDP) mehr als 43 Prozent an der IKB. Deshalb ist es, glaube ich, notwendig, dass wir uns auch hier im Plenum da- Nicht einmal ein Vertreter des Wirtschaftsministeriums rüber unterhalten, wie diese Hauptversammlung ablau- ist anwesend. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15895

Jürgen Koppelin (A) (Parl. Staatssekretär Hartmut Schauerte betritt zu nehmen haben, ein Signal an die Bürgerinnen und (C) den Plenarsaal) Bürger, an die Steuerzahler, dass das Vernichten öffentli- cher Gelder Konsequenzen hat. Schließlich sollte es al- – Da kommt der Herr Staatssekretär Schauerte. len, die sich, in welcher Funktion auch immer, daran be- teiligt haben, ebenfalls ein deutliches Signal sein. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt kommt er angestürmt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, ich habe in den letzten Tagen die eine oder andere Äußerun- gen von Ihnen zur IKB gelesen. Heute können Sie hier Jürgen Koppelin (FDP): die Standhaftigkeit beweisen, die Sie draußen in den Dennoch ist das bei einem so wichtigen Thema schon Medien im Hinblick auf KfW und IKB immer verkündet ein merkwürdiger Umgang mit dem Parlament. haben. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Ich wiederhole: Die Verantwortung hat der Bundes- finanzminister. Außerdem sitzt im Aufsichtsrat der IKB Zum Schluss möchte ich ganz deutlich sagen, dass es ein Vertreter des Bundesfinanzministeriums. Verant- mit den Freien Demokraten keine weiteren öffentlichen wortlich ist zudem der gesamte Aufsichtsrat der IKB Gelder für die IKB geben wird. Das gilt auch, falls es selbst. Regressansprüche gegen die IKB über die KfW geben sollte. Wir haben schon teilweise geholfen, aber es wird Heute konnte man in den Medien lesen, dass Wirt- keine weiteren öffentlichen Gelder für die IKB geben. schaftsminister Glos erhebliche Bedenken hat, den IKB- Das sind wir den deutschen Steuerzahlern schuldig. Die Aufsichtsrat am 27. März zu entlasten. Banken und Aufsichtsräte müssen mit dem Problem selbst fertig werden. (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Recht hat er!) Ich hätte in dieser Debatte ganz gerne einmal Äußerun- Wir sind der Auffassung, dass der Aufsichtsrat der gen vonseiten des Wirtschaftsministeriums von diesem IKB nicht entlastet werden sollte. Deswegen bitten wir Pult aus gehört. Es hat sich aber kein Vertreter des Wirt- darum, heute sofort darüber abzustimmen. schaftsministeriums zu Wort gemeldet. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Bundesfinanzminister will den Aufsichtsrat ent- lasten. Warum er das will, kann man sich vorstellen. Der Kollege Dr. Hans Michelbach hat jetzt das Wort (B) Warum äußert sich dann aber kein Vertreter des Bundes- für die CDU/CSU-Fraktion. (D) finanzministeriums in dieser aus unserer Sicht sehr wichtigen Debatte? Zumal – das kann ja noch auf uns Dr.h.c. Hans Michelbach (CDU/CSU): zukommen – der Anteil der KfW an der IKB vielleicht Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol- auf über 50 Prozent steigen muss. Das aber würde be- legen! Das Rettungspaket für die IKB war richtig; denn deuten, dass der deutsche Steuerzahler die Regressforde- eine Pleite hätte das Ansehen des Finanzplatzes rungen zum Beispiel aus Amerika, sollte ihnen stattge- Deutschland stark beschädigt. Es wäre aber falsch, über geben werden, zu bezahlen hat. Im Hinblick darauf wäre die Vorgänge bei der IKB einen Mantel des Schweigens es doch wirklich an der Zeit, dass auch das Bundes- zu hüllen. Ich glaube, wir alle hier im Hause sind uns ei- finanzministerium sich an dieser Stelle zu dem Thema nig, dass die Vorgänge um die IKB schonungslos aufge- äußert. klärt werden müssen; denn der Finanzmarkt lebt vom (Beifall bei der FDP) Vertrauen. Vertrauen schafft man aber nur durch Trans- parenz. Die Regierung bleibt uns in der letzten Sitzungs- woche vor der Hauptversammlung der IKB die Antwort (Beifall bei der CDU/CSU) schuldig, wie sie mit dem Aufsichtsrat der IKB umgehen Außerdem hat jeder Steuerzahler nach der Starthilfe will. Wenn öffentliche Gelder in der Weise verbrannt einen Anspruch auf umfassende Information. Wir müs- werden, wie es in den letzten Monaten durch die IKB- sen schnellstmöglich klären, welche Fehlentscheidungen Krise geschehen ist, dann ist auch der Deutsche Bundes- der Vorstand getroffen hat, welche Geschäfte zur IKB- tag als Anwalt der Steuerzahler gefragt. Es waren öffent- Krise geführt haben, welche Rolle bei diesen dubiosen liche Gelder, die in die IKB hineingepumpt worden sind. Geschäften der IKB-Aufsichtsrat gespielt hat und wel- Eine Weisung der Bundesregierung an die KfW, den che Verantwortung all diejenigen tragen, die zu diesem Aufsichtsrat auf der Hauptversammlung der IKB nicht finanzpolitischen Super-GAU beigetragen haben. Diese zu entlasten, wäre aus unserer Sicht ein deutliches Fragen müssen wir im Interesse der Steuerzahler beant- Signal. worten. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU) Es wäre ein Signal an alle, die öffentliche Gelder in Lan- Wer hat zum Beispiel wann, wo und weshalb gegen die desbanken verbrannt haben, ein Signal an alle, die Mit- Bankenregeln oder gegen Aufsichts-, Informations- und glied in einem Aufsichtsrat sind und diese Aufgabe ernst Offenlegungspflichten verstoßen? 15896 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Dr. h. c. Hans Michelbach (A) Meine sehr geehrten Damen und Herren, zunächst von 590 Millionen Euro plus Inflationsrate, also etwa (C) sollten wir eine sachgerechte Bestandsaufnahme vorneh- 630 Millionen Euro, für die Mittelstandsförderung und men. Lassen Sie mich auf die Geschäftstätigkeit auf dem für den Erhalt des ERP-Sondervermögens zur Verfügung Subprime-Hypothekenmarkt in den USA und auf deren steht. Dies ist für uns eine wesentliche Frage; denn wir Folgen eingehen. Wie wir alle wissen, ist die IKB Ende wollen natürlich keinen Schaden für die Mittelstandsför- Juli 2007 aufgrund ihres starken Engagements und nega- derung hinnehmen. tiver Entwicklungen auf dem sogenannten Subprime- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hypothekenmarkt in den USA in eine ernsthafte Schief- lage geraten, deren Auswirkungen die gesamte deutsche Die FDP hat einen Antrag gestellt, die Entlastung von Kreditwirtschaft belastet haben. Vorstand und Aufsichtsrat der IKB zu verhindern. Wir brauchen dringend ein Gutachten, in dem untersucht Die KfW hat zur Vermeidung von Verlusten aus dem wird, ob der IKB-Vorstand oder der IKB-Aufsichtsrat eigenen bankdurchgeleiteten Fördergeschäft und zur Ab- seine Pflichten verletzt hat, ob er versagt hat. Ein wendung einer schweren Krise des Finanzmarktes auf Schnellschuss wäre aber falsch. Solange wir die Fakten Drängen der Finanzaufsicht, des Bundesfinanzministers nicht kennen, sollten wir uns vor einer Vorverurteilung eine Risikoabschirmung für die IKB vorgenommen. Die des Aufsichtsrates hüten. Vom Bundesfinanzminister zu übernehmenden Risiken wurden damals auf 3,5 Mil- und von der Vorstandssprecherin der KfW haben wir er- liarden Euro geschätzt. In diesem Zusammenhang ist die fahren, dass der Aufsichtsrat der IKB vom Vorstand ge- KfW unmittelbar in eine Kreditlinie der IKB über zielt belogen wurde. Solange wir nicht das Gegenteil 8,1 Milliarden Euro eingetreten. beweisen können, können wir nicht sagen: Der Auf- Leider hat sich bestätigt, dass die damaligen Bewer- sichtsrat hat Schuld auf sich geladen. tungen falsch und die Ausfälle wesentlich höher waren. Schon aufgrund der staatsanwaltschaftlichen Ermitt- Im Februar dieses Jahres musste bereits das dritte Ret- lungen gegen die Verantwortlichen der Mittelstandsbank tungspaket geschnürt werden. Aus dem Bundeshaushalt IKB wegen des Verdachts der Untreue und des Verstoßes wurden Steuermittel in Höhe von 1,2 Milliarden Euro gegen das Aktiengesetz ist eine Entlastung des Vorstan- überwiesen. Niemand weiß heute ganz genau, was noch des der IKB zum gegenwärtigen Zeitpunkt zurückzustel- kommt. Schon allein deshalb kann man nicht einfach zur len. Tagesordnung übergehen. Zur sachgerechten Bestandsaufnahme gehört auch die Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Überprüfung der Beihilfen durch die Europäische Herr Kollege Michelbach, Herr Koppelin würde Ih- Union. Hier kann aus Brüssel noch die eine oder andere nen gerne eine Zwischenfrage stellen. (B) sehr negative Nachricht auf uns zukommen. Dieses Ri- (D) siko ist sehr hoch zu gewichten. Daraus ergibt sich für Dr.h.c. Hans Michelbach (CDU/CSU): mich, dass der Staat bzw. die staatliche KfW die IKB Ich dachte mir, dass Herr Koppelin deswegen aufge- möglichst schnell, vielleicht im Rahmen einer Paketlö- standen ist. Bitte schön. sung, verkaufen sollte, damit die Risiken im Interesse der Steuerzahler minimiert werden. Das hielte ich für Jürgen Koppelin (FDP): richtig. Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass es ein Gutach- Ich befürchte aber, dass die IKB angesichts der vor- ten gibt, in dem das Verhältnis von Vorstand und Auf- handenen Probleme vielleicht gar nicht veräußerbar ist. sichtsrat der IKB untersucht wurde? Wie Sie sagen: Es Eine Veräußerung wird durch die Milliardenklage gegen mag Lügen gegeben haben; aber eine totale Nichtinfor- die IKB aus den USA zumindest erschwert. Insbeson- mation des Aufsichtsrates ist ausgeschlossen. dere die Anleiheversicherer haben Regressforderungen Sind Sie nicht auch der Auffassung, dass auf der gegenüber der IKB. Deswegen plädiere ich ausdrücklich Hauptversammlung die Entscheidung über eine Entlas- dafür, dass sich der Staat aus den privaten Banken zu- tung vertagt werden sollte? Es wird ja vorgeschlagen, rückzieht. Es gehört nicht zur ordnungspolitischen Linie die Entscheidung über die Entlastung eines der Vor- des Staates, private Banken zu stellen und im privaten standsmitglieder zu vertagen; den anderen will man die Bankgeschäft tätig zu sein. Vielmehr müssen wir den Entlastung versagen. Man könnte doch auch die Ent- privaten Banken Freiraum für eine marktwirtschaftliche scheidung über die Entlastung der Aufsichtsratsmitglie- Lösung des Problems verschaffen. Um die Risiken im der vertagen. Hinblick auf den Bundeshaushalt zu verringern, sollte man daher – das wiederhole ich – eine Paketlösung aus Wenn ich darauf hinweisen darf: Die KfW sitzt in die- IKB und KfW IPEX-Bank schnüren. sem Gremium; sie ist mit 43 Prozent an der IKB betei- ligt. Sie braucht eine Entscheidung – von uns. Oder sa- Natürlich hat das Parlament bei dieser Bestandsauf- gen Sie mir, wie der Bundesfinanzminister oder der nahme auch zu prüfen, welche Auswirkungen dies auf Bundeswirtschaftsminister die KfW anweisen werden! die KfW und auf die Mittelstandsförderung im Rahmen des ERP-Sondervermögens hat. Dr.h.c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Der Bundesrechnungshof hat in seinem Gutachten Herr Kollege Koppelin, wir sind gar nicht so weit aus- deutlich gemacht, dass wir im Zusammenhang mit der einander. Ich möchte nur verhindern, dass es in irgendei- Neuordnung sicherstellen müssen, dass ein Jahresbetrag ner Form zu parteitaktischen Intrigenspielen kommt, wie Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15897

Dr. h. c. Hans Michelbach (A) sie uns teilweise unterstellt werden. Dieses Thema ist rund 1,3 Milliarden Euro an der Sanierung beteiligt, der (C) nämlich viel zu ernst und viel zu problembehaftet, auch öffentliche Sektor, die KfW und die Sparkassen sowie für den Finanzmarkt, als dass wir in irgendeiner Form das Finanzministerium über den Bundeshaushalt, mit Vorverurteilungen vornehmen dürften. Wir sollten nicht derzeit 7,2 Milliarden Euro. Der endgültige Betrag wird aus einem Gutachten irgendwelche Schlüsse ziehen, die allerdings wesentlich höher ausfallen. wir noch gar nicht ziehen können. Begründet wird die Eilfertigkeit der staatlichen Stel- Ich meine, dass es am besten wäre, wenn Sie, Herr len – die KfW eingeschlossen – damit, dass, so Minister Kollege Koppelin, Ihren Antrag heute zurücknähmen. Steinbrück, eine Erschütterungsdynamik für den gesam- Wir brauchen das Sondergutachten von Pricewater- ten Finanzplatz Deutschland vermieden werden musste. house-Coopers zur Rolle des Aufsichtsrates, damit wir Fakten haben, die wir bewerten können. Auf dieser ( [SPD]: Richtig!) Grundlage wären wir sicherlich alle bereit, unsere Man kann vermuten, dass BDI-Präsident Jürgen Thumann Schlüsse zu ziehen und die Angelegenheit sachgerecht als Mitglied des Verwaltungsrates der KfW der Mehrheit aufzuklären; darum geht es ja letzten Endes. dieses Gremiums diese apokalyptischen Untergangsvor- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und stellungen einpflanzen konnte. Der Einzige, der Herrn der SPD – Dr. Werner Hoyer [FDP]: Ehren- Thumann durchgehend widerstehen konnte, war Herr wert, aber zu spät!) Lafontaine. Der Aufsichtsrat hat die Tätigkeit des Vorstands zu (Zuruf von Nicolette Kressl, Parl. Staatssekre- überwachen; das ist richtig. Die bisherigen Aussagen tärin beim Bundesminister der Finanzen) waren: Der Vorstand hat den Aufsichtsrat gezielt belo- gen. Es gibt keinen Gegenbeweis. Manche konnten ab und an seinen Einflüsterungen wi- derstehen. Auch Mitglieder der FDP konnten – wie es Wir sind bereit, uns einer Sonderbegutachtung zu scheint – nicht immer widerstehen. BDI-Präsident widmen und daraus die entsprechenden Schlüsse zu zie- Thumann will sicherlich Schaden vom privaten Sektor hen. Zum heutigen Tag wäre es, meine ich, falsch, dem abwenden. Warum ihm aber die beteiligten Ministerien FDP-Antrag zuzustimmen. und die KfW folgen, rechtfertigt einmal mehr die Frage, Herzlichen Dank. wer in diesem Land in der Politik den Ton angibt. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN) Die Minister Glos und Steinbrück und Frau Matthäus- (B) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Maier als Chefin der KfW sollten sich nicht mit der Er- (D) Der Kollege Dr. Herbert Schui hat jetzt das Wort für schütterungsdynamik für den Finanzplatz herausreden. die Fraktion Die Linke. Sie haben strategisch versagt. Sie hätten die Einleger bei der IKB wesentlich stärker an den Verlusten der Bank (Beifall bei der LINKEN) beteiligen können. Die Strategie besteht darin, klarzu- stellen, dass der Staat den Bankrott der IKB in Kauf Dr. Herbert Schui (DIE LINKE): nimmt, dass er aber die Gläubiger der IKB, die ihre Ein- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn lagen nicht abschreiben können, vor dem Konkurs rettet, der Vorstand und der Aufsichtsrat der Industriekredit- indem er ihnen langfristige Nachrangdarlehen zur Verfü- bank nicht entlastet werden, dann ist das nach Einschät- gung stellt. Da die IKB sehr viele Einleger hat, ist die zung der Wirtschaftszeitungen eine Voraussetzung dafür, Wahrscheinlichkeit gering, dass diese Nachrangdarlehen gegen die Deutsche Bank zu klagen und Schadenersatz in großem Umfang hätten in Anspruch genommen wer- zu verlangen. Deswegen kann die Linke dem FDP-An- den müssen. Sie können das im Einzelnen in meinem trag zustimmen. Es spricht alles dafür, dass die Deutsche Kommentar in der Financial Times Deutschland vom Bank der IKB Subprime-Wertpapiere verkauft hat, ob- 26. Februar 2008 nachlesen. Wenn diese Drohung glaub- wohl sie wusste, dass sie faul sind, und dass sie gleich- würdig gemacht worden wäre, hätten die privaten pro- zeitig der IKB Kreditlinien gekürzt hat, wodurch die fessionellen Einleger mehr zur Sanierung der IKB bei- Schwierigkeiten der IKB weiter akzentuiert wurden. tragen müssen. Dann stünden wir nicht vor der Situation, Diesem Übermaß an unternehmerischer Initiative muss dass wieder einmal ein privates Institut die Gewinne pri- die Rechtsprechung Grenzen setzen. vatisiert, während man für die Verluste die Allgemein- Eine Klage wäre der Versuch, den privaten Sektor we- heit aufkommen lässt. nigstens nachträglich umfangreicher an der Sanierung Vielen Dank. der IKB zu beteiligen, als dies gegenwärtig der Fall ist. Die Idee ist gut; sie stammt den Wirtschaftszeitungen (Beifall bei der LINKEN – Ute Kumpf [SPD]: zufolge von Minister Glos. Das Motiv ist wahrschein- So ein Quatsch!) lich, Minister Steinbrück in die Pfanne zu hauen. Aber lassen wir die Motivforschung beiseite. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bei der Sanierung der IKB, die eine private Einrich- Herr Kollege Schui, normalerweise müsste ich Zwi- tung ist, hat sich der öffentliche Sektor übermäßig stark schenrufe von der Regierungsbank rügen. Darauf ver- beteiligt. Der private Sektor, also die Banken, sind mit zichte ich aber, weil ich vermute, dass es eine Ehrerwei- 15898 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) sung zu Ihrem heutigen Geburtstag war. Herzlichen Jörg-Otto Spiller (SPD): (C) Glückwunsch! Ja. (Beifall – Dr. Herbert Schui [DIE LINKE]: Ich kann Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: das nur so interpretieren! Vielen Dank!) Bitte schön. Der Kollege Jörg-Otto Spiller hat das Wort für die SPD-Fraktion. Jürgen Koppelin (FDP): Herr Kollege, da ich kein Jurist bin, frage ich Sie: Jörg-Otto Spiller (SPD): Habe ich Sie richtig verstanden, dass wir, der Deutsche Bundestag, eine solche Entscheidung nicht treffen, wohl Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und aber 1,2 Milliarden Euro zur Verfügung stellen dürfen, Herren! So wie der FDP-Antrag formuliert ist, erfordert damit die marode IKB Deutsche Industriebank gerettet er ein paar Bemerkungen, die das Selbstverständnis des werden kann? Hier sind wir aufgefordert, mitzumachen. Deutschen Bundestages betreffen. Welches ist die Kern- Aber alles andere darf nur die Regierung. Oder wie darf aussage Ihres Antrages? Der Bundestag stellt fest: Die ich das verstehen? Bundesregierung hat direkt und über den Verwaltungsrat indirekt den Vorstand der KfW anzuweisen, wie die Stimmrechte der KfW auf der Hauptversammlung der Jörg-Otto Spiller (SPD): IKB verwendet werden sollen. Das heißt, der Bundestag Es ist so zu verstehen, dass das Parlament die Regie- fordert die Bundesregierung auf, sie möge den Vorstand rung kontrolliert, aber nicht jede Einzelentscheidung, die der KfW im Verwaltungsrat oder direkt auffordern, der die Regierung verantworten muss – auch gegenüber dem Vorstand der KfW solle auf der Hauptversammlung der Deutschen Bundestag –, abnimmt, und zwar aufgrund IKB Deutsche Industriebank wie folgt von den Stimm- unzureichender Informationen. rechten Gebrauch machen. (Jürgen Koppelin [FDP]: Milliarden!) (Eduard Oswald [CDU/CSU]: So steht es im Ich frage Sie, Herr Koppelin, wie Sie persönlich es in Antrag!) Zukunft handhaben wollen, wenn der Bundestag Ihnen Aufträge erteilt. Der Bund ist im Verwaltungsrat der Das sind drei, vier Ableitungen; über die genau Zahl Kreditanstalt für Wiederaufbau mit 14 Sitzen vertreten: lässt sich streiten. Im Jargon der Finanzmärkte gespro- Sieben Sitze hat die Bundesregierung, sieben weitere chen: Die FDP liebt Derivate. Sitze der Bundestag. Von den sieben Vertretern des Bun- destages gehören derzeit vier den Koalitionsfraktionen (B) Ich kann es aber nicht bei einer solchen ironischen und drei den Oppositionsfraktionen an; ein Vertreter sind (D) Bemerkung belassen; denn es berührt das Gefüge unse- Sie. Wenn nun der Deutsche Bundestag mit Mehrheit be- rer demokratischen Institutionen. In einer parlamentari- schließt, wie seine Vertreter im Verwaltungsrat der KfW schen Demokratie gibt es nicht nur das Prinzip der Ge- zu entscheiden haben, werden Sie – das ist offenbar Ihre waltenteilung, sondern auch Gewaltenverschränkung. Vorstellung – künftig an Mehrheitsentscheidungen des Im Grundgesetz ist das nicht ganz präzise definiert. Das Deutschen Bundestages gebunden sein. ist vermutlich weise. Aber es gibt auch keine Beliebig- keit, Herr Kollege Koppelin. Ich möchte aus dem sehr (Jürgen Koppelin [FDP]: Das haben Sie miss- lesenswerten Beitrag von Udo Di Fabio zur Gewaltentei- verstanden!) lung in Band II des Handbuches des Staatsrechts zitie- Dies ist nicht meine Vorstellung von Parlamentarismus. ren: (Jürgen Koppelin [FDP]: Meine auch nicht!) Die Verschränkung von Teilgewalten bedeutet nicht Verzicht auf Unterscheidbarkeit und Ordnung. Es Herr Koppelin, seien Sie sicher, wir werden unsere frei- geht um das geordnete, durchaus verstetigte Zu- heitliche Ordnung gegen Angriffe der FDP zu schützen sammenspiel bei grundsätzlich getrennten Aufga- wissen. ben und Verantwortungsbereichen. (Beifall bei der SPD – Lachen bei der FDP) Soll das Parlament die Entscheidung treffen, wie auf ei- ner Hauptversammlung einer Bank, an der der Bund Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: über mehrere Stufen indirekt beteiligt ist, abgestimmt Das Ende der Antwort auf seine Zwischenfrage werden soll, und zwar in diesem Fall über das Instru- konnte Herr Koppelin fast nur im Sitzen entgegenneh- ment des Verwaltungsrates der KfW? Herr Koppelin, das men. Ab jetzt läuft die Redezeit weiter. ist keine Gewaltenverschränkung, sondern verschroben. (Jürgen Koppelin [FDP]: Ich konnte nicht erken- nen, dass das noch zur Antwort gehört!) ( [CDU/CSU]: Das ist ein im- peratives Mandat!) Jörg-Otto Spiller (SPD): Ich komme auf die Formulierung zurück: Der Deut- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: sche Bundestag stellt fest, die Bundesregierung habe an- Herr Spiller, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kolle- zuweisen. Der Antrag ist ziemlich locker aus der Hüfte gen Koppelin zu? formuliert. Er ist uns ja auch sehr kurzfristig vorgelegt Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15899

Jörg-Otto Spiller (A) worden. Eine verantwortungsbewusste Politik, Herr belassen. Wir werden uns genau mit dem zu befassen ha- (C) Koppelin, sieht auch in so schwierigen Fragen anders ben, was uns die Bundesregierung berichtet. Aber Ihren aus. Antrag, Herr Koppelin, werden wir ablehnen. Ich erwarte, dass Sie die Freiheit behalten, sich im (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Verwaltungsrat der KfW so zu verhalten, wie Sie es per- der CDU/CSU) sönlich für richtig halten und wie Sie es Ihrer Fraktion gegenüber rechtfertigen können. Aber ich erwarte nicht, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: dass Sie sich Mehrheitsentscheidungen des Deutschen Die Kollegin Christine Scheel hat jetzt das Wort für Bundestages unterwerfen. das Bündnis 90/Die Grünen. (Jürgen Koppelin [FDP]: Es geht um die Bun- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ desregierung!) DIE GRÜNEN) Warum, frage ich Sie, soll, wenn sich der Bundestag an die Verwaltungsratsmitglieder der KfW wendet, zwi- Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): schen den sieben Vertretern des Bundestages und den Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sieben Vertretern der Bundesregierung unterschieden Ich gehe davon aus, dass alle ein sehr großes Interesse werden? Ich sage einmal, was wir erwarten: dass die sie- daran haben, dass lückenlos aufgeklärt wird. Ich gehe ben Vertreter der Bundesregierung mit einer Stimme davon aus, dass alle ein Interesse daran haben, dass die sprechen. Schuldigen zur Rechenschaft gezogen werden. Ich gehe (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auch davon aus, dass die Bundesregierung selbstver- NEN]: Das wäre schon einmal gut!) ständlich ein sehr großes Interesse daran hat, dass in die- sem Zusammenhang nichts verschleiert, beschönigt oder Es mag sein, dass das in den Medien nicht immer ge- unter den Tisch gekehrt wird. schieht. Aber wenn die Bundesregierung in einem Ent- scheidungsorgan einer Institution auftritt, dann ist unsere Wir erleben einen Streit zwischen zwei Ministern, Erwartung, dass alle Minister, die dort ein Mandat ha- zwischen Herrn Glos und Herrn Steinbrück. Der Abge- ben, zumindest bei Abstimmungen eine einheitliche Li- ordnete Spiller hat gerade gesagt, dass die sieben Vertre- nie vertreten. ter der Bundesregierung im Verwaltungsrat der KfW mit einer Stimme sprechen sollten. Wir hoffen, dass sie das (Beifall bei Abgeordneten der SPD) tun. Sie haben auch die Verantwortung dafür, dass Scha- Nun möchte ich noch ein paar Bemerkungen zur IKB densbegrenzung stattfindet. Ich sage von dieser Stelle (B) machen. Ich selbst kann nicht beurteilen, ob der Auf- aus auch: Jeder politische Streit schadet dem Verkauf der (D) sichtsrat der Industriekreditbank vom Vorstand dieser IKB. Bank systematisch hinters Licht geführt worden ist. Es (Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD]) gibt einen entsprechenden Hinweis; Herr Kollege Michelbach kennt ihn sicherlich auch. Schon vor gerau- Das muss man deutlich sagen; denn es gilt hier, Scha- mer Zeit, nämlich im Herbst, gab es die Pressemittei- densbegrenzung vorzunehmen, und nicht, die IKB durch lung, dass Pricewaterhouse-Coopers eine Sonderunter- bestimmte Debatten zu destabilisieren. suchung bei der IKB hinsichtlich der Information Im Antrag der FDP wird die Forderung erhoben, der durchgeführt habe, die der Aufsichtsrat vom Vorstand alte Vorstand solle nicht entlastet werden. Ich meine, es bekommen hat. Die damalige Aussage – ich kenne das ist sonnenklar, dass dann, wenn die Staatsanwaltschaft nur aus der Pressemitteilung – war, der Aufsichtsrat habe ermittelt, der alte Vorstand nicht entlastet werden kann. keine reelle Chance gehabt, durch das, was der Vorstand Weiterhin fordert die FDP, auch der Aufsichtsrat solle von sich aus darüber gesagt hat, zu erfahren, wie es tat- nicht entlastet werden. Ich wünsche mir, dass die einzel- sächlich um die Bank stand. Ich will solche Urteile von nen Mitglieder des Aufsichtsrats unterschiedlich behan- Wirtschaftsprüfern nicht überbewerten; denn ein anderes delt werden. Man muss sich anschauen, wer involviert – zumindest früher – hochrenommiertes Wirtschaftsprü- sein könnte. Es geht, um es ganz klar zu sagen, um den fungsinstitut, die KPMG, hatte der IKB noch im Juni Aufsichtsratsvorsitzenden der IKB, Herrn Dr. Ulrich 2007 bescheinigt, alle Risiken seien korrekt erfasst und Hartmann, der zugleich Mitglied des Aufsichtsrats der ausgewiesen worden. Ich will den Wirtschaftsprüfern Deutschen Bank und dessen Präsidiums und, wie wir nicht zu viel Ehre angedeihen lassen. Das Vertrauen in wissen, Aufsichtsratsvorsitzender der Eon AG ist. Es diese ist arg beschädigt. geht auch um den stellvertretenden Vorsitzenden und (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des vielleicht ein, zwei andere Personen. Ich wünsche mir, Abg. Jürgen Koppelin [FDP]) dass man hier sehr differenziert vorgeht und vielleicht zu dem Ergebnis kommt, einige Personen in diesem Auf- Ich möchte, dass die Entscheidung auf der Hauptver- sichtsrat nicht zu entlasten. sammlung der IKB nach sorgfältiger Prüfung durch die Bundesregierung und die KfW erfolgt. Ich glaube schon, Ich komme zu einem weiteren Punkt. Was wäre denn dass Sie mit dem Ansatz recht haben, dass, weil der die Konsequenz, wenn sich herausstellte, der Aufsichts- Steuerzahler inzwischen beteiligt ist, die Bundesregie- rat hätte seine Pflichten verletzt. Es gibt ein Gutachten rung mit der KfW gemeinsam eine Linie finden muss. von PwC; das ist ein 400 Seiten starkes Sondergutach- Aber ich rate, dass wir es bei der Verantwortungsteilung ten. Wir wissen nicht genau, was darin steht. Ich möchte 15900 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Christine Scheel (A) erst einmal wissen, inwieweit der Vorstand den Auf- stimmt. Enthalten hat sich die Fraktion Bündnis 90/Die (C) sichtsrat der IKB angelogen hat. Das ist ein Vorwurf, der Grünen. Damit ist der Antrag abgelehnt. in dem Gutachten analytisch untersucht werden musste. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b Ich finde, wir sollten hier beide Ministerien in die Pflicht auf: nehmen, diesen Punkt gemeinsam auszuwerten und uns, dem Bundestag, zu berichten, wie die Ergebnisse aus ih- a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Laurenz rer Sicht zu bewerten sind. Meyer (Hamm), Peter Bleser, Julia Klöckner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN CDU/CSU sowie der Abgeordneten Elvira und bei der SPD) Drobinski-Weiß, Dr. Rainer Wend, Doris Barnett, Aus den Überlegungen der FDP müsste man die Kon- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sequenz ziehen, dass alle, die in Aufsichtsräten von Kre- Sicheres Spielzeug für unsere Kinder ditinstituten in Deutschland saßen zu der Zeit, als man mit faulen US-Immobilienkrediten nicht richtig umge- – Drucksache 16/8496 – gangen ist und sich verzockt hat, nicht entlastet werden Überweisungsvorschlag: dürfen. Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist es! – Jürgen Verbraucherschutz Koppelin [FDP]: Ein guter Gedanke!) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Das gilt für die West-LB, die Sachsen-LB, die Bayern- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit LB und eine große Zahl von weiteren Banken. Deutsch- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union landweit dürfte keiner dieser Aufsichtsräte entlastet wer- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole den. Maisch, Ulrike Höfken, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Zum letzten Punkt: Schadenersatzklagen. Im Moment DIE GRÜNEN klagt jeder gegen jeden. Ich halte es für richtig, dass diese Schadenersatzklagen geprüft werden, und zwar EU-Spielzeugrichtlinie modernisieren und Ver- nicht nur von der BaFin, sondern auch von den Institu- braucherschutz ausbauen ten. Es muss geprüft werden: Inwieweit gibt es ein be- – Drucksache 16/7837 – rechtigtes Interesse von Aktionärsvertretern und Aktio- närsvertreterinnen, die behaupten, das Geld der Anleger Überweisungsvorschlag: sei verbrannt worden? Kann eventuell Geld von den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) (B) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und (D) Banken – zum Beispiel von der Deutschen Bank – zu- Verbraucherschutz (f) rückgefordert werden? Darüber müssen wir diskutieren. Rechtsausschuss Diese Fragen sind legitim; aber ich finde, man muss hier Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit Augenmaß vorgehen. Wir brauchen eine lückenlose Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Aufklärung, aber auch eine Schadensbegrenzung. Beides Federführung strittig erreicht man nicht mit einem politischen Spektakel und mit Intrigen; das muss klar sein. Es ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so be- schlossen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin Scheel! Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Franz Obermeier für die CDU/CSU-Fraktion. Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb werden wir uns bei der Abstimmung über Ih- ren Antrag enthalten. Franz Obermeier (CDU/CSU): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sowie bei Abgeordneten der SPD) Verbraucherschutz und Gesundheitsschutz müssen beim Spielzeug Hand in Hand gehen. Spielwaren sind nicht ir- gendwelche Güter; die Endverbraucher sind Babys und Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Kleinkinder. Wenn Verletzungen, Erstickungen, Vergif- Ich schließe die Aussprache. tungen oder Hörschäden drohen, dann macht Spielzeug keinen Spaß, sondern Angst. Kinder sind gesundheitlich Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der besonders empfindlich und gefährdet. Deshalb darf es Fraktion der FDP auf Drucksache 16/8493 mit dem Titel bei diesen Produkten keinerlei Risiken geben. „Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat der IKB Deutsche Industriebank AG durch Nutzung der Stimm- Ich begrüße, dass die EU-Kommission auf die Skan- rechte der KfW Kreditanstalt für Wiederaufbau verhin- dale im Zusammenhang mit Importspielzeug reagiert dern“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – hat. Wenn bis zu 39 Prozent der untersuchten Produkte Enthaltungen? – Für den Antrag haben die Fraktionen „Made in China“ Grund zu Beanstandungen geben, zeigt der FDP und Die Linke gestimmt. Gegen den Antrag ha- dies, wie dringend etwas dagegen getan werden muss. ben die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD ge- Die Überarbeitung der 20 Jahre alten Spielzeugrichtli- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15901

Franz Obermeier (A) nie, also die Neufassung der EU-Spielzeugrichtlinie, ist Ich gehe noch ein Stück weiter: Statt über die Ab- (C) das richtige Signal. schaffung des GS-Gütesiegels sollten wir über ein euro- paweites unabhängiges Prüfzeichen für die Produktsi- Aus meiner Sicht gibt es allerdings auch einige Kri- cherheit nachdenken. Das Gütezeichen sollte von einer tikpunkte. Die derzeitigen Vorschläge der Europäischen objektiven dritten Stelle verliehen werden. Dann hätte Kommission zum Richtlinienentwurf müssen von deut- der europäische Verbraucher eine einheitliche Orientie- scher Seite noch aktiv diskutiert und mitgestaltet wer- rung. Es muss so gestaltet werden, dass es auch die Wa- den. So heißt es im Entwurf: renflüsse aus der ganzen Welt nach Europa erfasst, die Importe. Niemand hat ein Recht, gefährliche Waren in Die Mitgliedstaaten sehen davon ab, die Kenn- Verkehr zu bringen, erst recht nicht solche, die für Kin- zeichnung der Übereinstimmung mit den Bestim- der bestimmt sind. mungen dieser Richtlinie durch eigene Vorschriften zu regeln, die eine Bezugnahme auf eine andere (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Konformitätskennzeichnung als die CE-Kennzeich- bei Abgeordneten der SPD) nung vorsehen, oder heben solche Vorschriften auf. In dem Zusammenhang lasse ich auch nicht gelten, dass Das heißt im Klartext: Es soll nur noch die CE-Kenn- solche neutralen Prüfungen mit zusätzlichen Kosten zu zeichnung geben. Buche schlagen. Die Gesundheit ist ein kostbares Gut. Sie muss es uns wert sein. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Genau, das ist falsch!) Es ist richtig, dass die chemischen Sicherheitsanforde- rungen bei Kinderspielzeug einheitlich geregelt werden Was bedeutet das für uns? Die CE-Kennzeichnung be- sollten. Kinder sind besonders verletzbar. Allerdings ist stätigt dem Hersteller die Konformität seines Produktes das Chemikalienrecht für Kinderspielzeug nur mit Ein- mit den zutreffenden EG-Richtlinien und die Einhaltung schränkungen brauchbar – hier setzt meine Kritik an –; der darin festgelegten wesentlichen Anforderungen. So denn die Grenzwerte darin sind für völlig andere Anwen- weit, so gut. Verantwortlich für diese Kennzeichnung ist dungsbereiche festgelegt worden. So wird auf den Gehalt aber in der Regel der Hersteller des Produktes selbst. des jeweiligen Stoffes abgestellt, nicht aber auf dessen Das ist sicher oft gut und richtig, aber – wie wir gesehen Freisetzung insgesamt. Wir alle wissen, dass Kinder ihr haben – leider nicht immer. Spielzeug oft so gern mögen, dass sie es glatt verspeisen. Sie leben in engstem und in langem Körperkontakt mit ih- Hier liegt der Unterschied zu unserer bisherigen deut- ren Lieblingsspielzeugen. Dabei werden Stoffe freige- schen Regelung. Ein wichtiges Qualitätsmerkmal ist das setzt. (B) deutsche GS-Zeichen, welches sich oft als weiterer Auf- (D) kleber auf einem Produkt befindet. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende. der FDP) Es ist ein Meilenstein des Verbraucherschutzes, denn Franz Obermeier (CDU/CSU): hier prüfen unabhängige Dritte – etwa der TÜV – und Das ist etwas ganz anderes als bei Lebensmittelverpa- nicht nur der Hersteller selbst ein Produkt auf seine Si- ckungen oder Ähnlichem. Wenn es also um die Gesund- cherheit. Die Prüfkriterien bei GS sind für alle Produkte heit unserer Kinder geht, dann darf es keine Kompro- einer Kategorie gleich. Auch wer einmal geprüft worden misse geben. Das ist die Zielrichtung unseres Antrags. ist, kann sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen; denn Herzlichen Dank. es gibt Überprüfungen, ob die Baumuster auch in der weiteren Produktion eingehalten werden. Das gibt den (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Verbrauchern noch mehr Sicherheit vor Gesundheitsge- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Rainer fahren. Wend [SPD]: Franz, du verstehst ja von allem was!) Es hat sich gezeigt, dass das GS-Prüfzeichen auch für die Hersteller Vorteile hat; denn es ist zum Markenzei- chen für deutsche Qualitätsprodukte geworden. Das Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: konnte man besonders feststellen, als Spielzeuge aus Der Kollege Hans-Michael Goldmann hat jetzt das chinesischer Herstellung wiederholt in die Schlagzeilen Wort für die FDP-Fraktion. geraten sind. Da erhöhte sich die Nachfrage nach deut- (Beifall bei der FDP) schem Spielzeug deutlich. „Made in “ wird ein- mal mehr weltweit geschätzt. Auch aus der Sicht des Wirtschaftspolitikers gibt es also keinen Gegensatz zwi- Hans-Michael Goldmann (FDP): schen neutralen Qualitätsprüfungen im Sinne des Ver- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und braucherschutzes und den Interessen der Wirtschaft. Kollegen! Kollege Obermeier, ich will es gleich vorweg Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, im weite- sagen: Wir müssen uns über Ihren Schlusssatz unterhal- ren Verlauf der Beratungen gegen ein Verbot nationaler ten. Es bleibt zu fragen, ob das, was Sie in Ihrem Antrag Sicherheitszeichen und für die Beibehaltung des GS-Zei- zum Ausdruck bringen, und das, was auf europäischer chens in Deutschland einzutreten. Ebene gemacht wird, nicht doch ein Kompromiss ist, der 15902 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Hans-Michael Goldmann (A) in der Sache nicht hilft. Darauf komme ich nachher (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der (C) noch. SPD) Lassen Sie mich berichten. Ich habe vor kurzem auf Ich habe Ihre Anträge intensiv gelesen. Liebe Freunde eine Informationsseite geschaut, die RAPEX heißt. Da- von Bündnis 90/Die Grünen sowie von der CDU/CSU rauf soll man sich darüber informieren, was an akuten und der SPD, vielleicht habe ich Sie nicht richtig ver- Verbraucherinformationen vorliegt. Wissen Sie, was ich standen. Ich habe den Eindruck, dass Sie eine betriebs- dort in der letzten Woche gefunden habe? Ich habe dort unabhängige Prüfung von Spielzeugen vor dem Inver- einen Warnhinweis für eine Weihnachtslichterkette aus kehrbringen fordern. Das klingt sinnvoll; denn so kann China gefunden. Daran kann man sehen, wie aktuell die der Hersteller das CE-Zeichen nicht einfach auf seine Informationen im Moment sind, die dem einzelnen Ver- Ware kleben. Vielmehr hat dann eine Prüfung stattgefun- braucher zur Verfügung gestellt werden. Ich will doch den. Dann ist aber nicht das GS-Zeichen auf der Ware, hoffen, dass wir uns in dieser Frage einig sind. sondern das CE-Zeichen. Ich glaube, wir sind uns einig, dass dieses CE-Zeichen nicht trägt. Deswegen sind mei- ( [SPD]: Vorausschauender ner Meinung nach die Anträge von CDU/CSU und SPD Verbraucherschutz!) sowie Bündnis 90/Die Grünen nicht ausreichend. – Liebe Kollegin, ich glaube, ich habe das nicht so recht Ich will aber ausdrücklich betonen, dass es nicht da- verstanden. Vielleicht stellen Sie eine Zwischenfrage. rum geht, dass jemand von der FDP oder sonst jemand Ich finde es nicht witzig, wenn die Information zu ei- Recht bekommt. Hier geht es einzig und allein darum, nem Zeitpunkt erfolgt, zu dem das Produkt schon lange auf europäischer Ebene eine Norm zu finden, die den benutzt wird. Wir wollen dies nicht überhöhen, aber es Ansprüchen, die die Verbraucher und vor allen Dingen kann durchaus sein, dass ein Kind beim Spielen eine sol- die „konsumierenden“ Kinder haben – Sie haben ja ein- che Lichterkette in den Mund nimmt. Deshalb meine ich, drucksvoll beschrieben, was Kinder zum Teil mit ihren wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass die Informa- Spielsachen und ihren Lieblingstieren machen –, und tion der Verbraucher auf europäischer Ebene besser höchsten Sicherheitsstandards Rechnung trägt. wird. Ich denke, hier sind wir alle – auch die Bundesre- (Beifall bei der FDP) gierung – gefordert. Deswegen lassen Sie uns gemeinsam darauf hinarbei- Bei Spielzeug ist es im Grunde genommen wie mit ten. Ich will einige Fixpunkte kurz benennen: niedrigste Lebensmitteln: Niemand möchte solche Produkte ohne Grenzwerte, soweit das überhaupt möglich ist; das GS- Vertrauen in die Sicherheit und in die Unbedenklichkeit Zeichen als freiwilliges Prüfsiegel; mit diesem freiwilli- kaufen. Dieses Vertrauen wurde bei Spielzeug durch gen Deklarationszeichen kann man dann in den Wettbe- (B) (D) vielfältige Skandale im letzten Jahr schwer angeschla- werb treten; Informierung darüber, dass die Produkte ei- gen. Wir alle erinnern uns an die dramatische Rück- nes Herstellers die Kriterien einer GS-Kennzeichnung rufaktion zum letzten Weihnachtsfest für bestimmte erfüllen und dass er mit dieser Qualität in den Markt hi- Spielzeuge. neingeht; deutliche Verbesserung des RAPEX-Portals Verantwortlich für die Sicherheit von Spielzeugen ist und am besten ein gemeinsames Rückrufportal von Her- natürlich der Hersteller. Gerade bei Spielzeug liegt es im stellern und Importeuren. Ich halte das wirklich für not- Interesse der Hersteller, den verunsicherten Käufer von wendig, gerade weil für viele Spielwaren der Produkti- seinen Produkten zu überzeugen. Hier haben wir ein onsort in China liegt. Machen wir uns gemeinsam auf wichtiges Signal: Das ist das GS-Zeichen. Es garantiert den Weg, um eine gute Lösung zu finden! dem Käufer, dass das Produkt durch eine unabhängige Herzlichen Dank. Stelle geprüft wurde. Damit vermittelt es dem Verbrau- cher Sicherheit. Die Einigung des Europäischen Parla- (Beifall bei der FDP) ments, nationale freiwillige Kennzeichen wie GS vorläu- fig zu erhalten, war ein guter und wichtiger Beitrag der Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: europäischen Ebene. Die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß hat jetzt das Lieber Kollege Obermeier, die Überarbeitung der EU- Wort für die SPD-Fraktion. Spielzeugrichtlinie trägt diese Zielsetzung jedoch nicht; (Beifall bei der SPD) denn die europäische Ebene fällt hinter den Standard von GS zurück und landet im Grunde genommen bei dem Elvira Drobinski-Weiß (SPD): CE-Zeichen. Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! (Zuruf von der SPD: Wohl wahr!) Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Messer, Gabel, Schere, Licht sind für kleine Kinder nicht.“ Wer von uns Ich glaube, hier sollten wir uns gemeinsam einig sein. kennt nicht diesen Spruch, der uns vor gefährlichen Ge- Das CE-Zeichen lässt zum Beispiel, wie der TÜV sagt, genständen schützen soll? Eltern halten Kinder von die- Grenzwerte für Blei oder Arsen in Farben zu, die nicht sen Gegenständen fern. mehr akzeptabel sind. Es lässt Weichmacher und krebserregende Stoffe zu; das ist absolut nicht akzepta- Doch wie sieht es mit Kinderspielzeug aus? Giftiges bel. Deswegen reichen das CE-Zeichen und somit auch Barbiezubehör, Blei in Lokomotiven und Kinderlätz- die europäische Zielsetzung nicht aus. Wir brauchen GS. chen, Drogen in Bastelsets, das waren die Skandale, die Dafür sollten wir gemeinsam kämpfen. uns kurz vor Weihnachten in Atem hielten. Aber nicht Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15903

Elvira Drobinski-Weiß (A) nur zur Weihnachtszeit kann das Spielen für Kinder ge- che Verschlechterung des geltenden Schutzniveaus für (C) fährlich sein. Das zeigt ein Blick auf die Seiten des euro- Kinderspielzeug auf. päischen Warnsystems RAPEX; der Kollege Goldmann (Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann hat gerade schon darauf hingewiesen. Dort sind 14 ge- [FDP]) fährliche Spielzeuge aufgeführt – die Lichterkette habe ich jetzt nicht darauf gefunden, Herr Goldmann –, und Zum Vergleich: Der für Lebensmittelverpackungen das bereits zur Hälfte des Monats März. Dazu gehören derzeit zulässige Grenzwert für Vinylchlorid – das ist ein zum Beispiel der Spiel-Lkw „Trailblazer“, bei dem Stoff, den wir in PVC, Isolierungen und Weichmachern große Vergiftungsgefahr besteht, und ein Spielfernglas finden – ist mit 1 Milligramm pro Kilogramm tausend- chinesischer Machart, ebenfalls giftig. Es gibt einen fach niedriger als der nach Chemikalienrecht zulässige Spiel-Lkw mit Blöcken, die verschluckt werden und so- Grenzwert. Vinylchlorid führt übrigens zur Schädigung mit zum Ersticken führen können. Es gibt die giftigen der Leber, Speiseröhre, Milz und Haut und wird als Plastikschnüre „Scoubidou“ und vieles mehr. krebserzeugend eingestuft. Die Liste wird sicher noch länger; denn, wie gesagt, Auch bei den Duftstoffen springt der Vorschlag der der März ist leider noch nicht herum. Aktuell ist davon EU-Kommission zu kurz: 38 sollen verboten werden; auszugehen, dass Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre in 26 Stoffe dürfen aber weiter verwendet werden, wenn diesem Jahr mit Spielzeug bis zu einem Wert von durch- sie denn gekennzeichnet sind. Man stelle sich das einmal schnittlich 53 Euro rechnen können. Es wird weiterhin vor. Spielzeug auf den Markt kommen. Kontraproduktiv ist auch das im Kommissionsvor- Zu viel Blei in der Farbe, gefährliche Weichmacher schlag erneut vorgesehene Verbot nationaler Prüfzei- im Kunststoff, Magnete, die sich lösen und geschluckt chen; dies ist schon verschiedentlich ausgeführt worden. werden können, zu laute Spielzeughandys, die das Gehör Die Entscheidung des Europäischen Parlaments und des schädigen können, all dies gehört nicht in Kinderhände Rates vom Februar 2008 beinhaltet eine generelle Beibe- und noch weniger in Kindermünder. haltung nationaler Sicherheitszeichen, mit denen wir sehr gute Erfahrungen gemacht haben. Dieses unabhängige Weil Blei eine tragende Rolle in den Spielzeugskan- Prüfzeichen gibt den Eltern Orientierung und garantiert dalen gespielt hat, kurz etwas zu den möglichen Auswir- ihnen Sicherheit. Unser Prüfzeichen hat sich bewährt. kungen: Blei schädigt die Blutbildung, wirkt schädigend Wir brauchen kein entsprechendes EU-einheitliches auf die Nieren und auf das Nervensystem, kann bei Kin- Prüfzeichen. dern zu psychomotorischen Störungen, zur Verminde- rung des IQ und der Gedächtnisleistung führen und ist (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der (B) erbgutschädigend. FDP) (D) Ich zitiere: Ich habe bereits gesagt, dass Kinder besonders schutzbedürftig sind. Deshalb wollen wir, dass Kinder- Wo es um die Gesundheit … unserer Kinder geht, spielzeuge wie Lebensmittel behandelt werden und den darf es keine Kompromisse geben. … Punkt. sogenannten Lebensmittelbedarfsgegenständen gleich- gestellt werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dieses Zitat von Industriekommissar Verheugen bringt Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: im wahrsten Sinne des Wortes die Problematik auf den Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Punkt. Leider entspricht der Vorschlag der EU-Kommis- sion diesem Ansinnen nicht. Elvira Drobinski-Weiß (SPD): (Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann Ja, Frau Präsidentin. [FDP]) Mit Kampagnen wie „Du bist Deutschland“ wird für So enthält der Vorschlag zwar ein Verwendungsverbot eine kinderfreundlichere Gesellschaft geworben. Ich für krebserregende, erbgut- und fortpflanzungsschädi- denke, wir müssen mit Prüfzeichen dafür sorgen, dass gende Stoffe, die man auch k/e/f-Stoffe nennt. Dieses Spielzeuge kindgerechter werden. Maxim Gorki hat ge- Verwendungsverbot gilt allerdings nur dann, wenn die sagt: „Das Spiel ist der Weg der Kinder zur Erkenntnis Konzentrationsgrenzwerte entsprechend den Regelun- der Welt, in der sie leben.“ Damit die Kinder diesen Weg gen im Chemikalienrecht überschritten werden. Sie ha- beschreiten können, bitte ich Sie herzlich darum, unse- ben richtig gehört: im Chemikalienrecht. Damit wird der ren Antrag zu unterstützen. Gehalt des jeweiligen Stoffes im Produkt als entschei- dend angesehen. Für die Sicherheit der Kinder ist aber Vielen Dank. doch wichtig, wie viel von dem jeweiligen Giftstoff aus (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie dem Spielzeug freigesetzt wird; bei Abgeordneten der FDP) (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sehr rich- tig!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Kollegin Karin Binder hat nun das Wort für die denn am Spielzeug wird gelutscht, gekaut oder es wird Linke. gar verschluckt. Das heißt, das Chemikalienrecht bringt uns hier nicht weiter. Im Gegenteil: Es zeigt eine deutli- (Beifall bei der LINKEN) 15904 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

(A) Karin Binder (DIE LINKE): sorgeprinzips, zu handeln und im Zweifelsfall unsicheres (C) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Spielzeug zu verbieten. Ich halte sehr viel davon, für Alle Jahre wieder werden vor Ostern – nicht nur vor Spielzeug in diesem Zusammenhang die gleichen Werte Weihnachten – viele Kinderspielzeuge gekauft. Aber wie für Lebensmittelverpackungen anzusetzen, um es si- nach wie vor haben wir das Problem, dass viele Spiel- cher zu machen; denn Spielzeug wird ja nun einmal auch zeuge nicht sicher sind. Ich freue mich darüber, dass wir in den Mund genommen. im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Ver- Ich hoffe, dass die vorliegenden Anträge relativ rasch braucherschutz sehr große Einigkeit darüber erzielt ha- beraten werden und dass wir nicht erst wieder vor Weih- ben, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht und nachten noch einmal über dieses Thema diskutieren dass das deutsche GS-Zeichen als Prüfsiegel unbedingt müssen. Ich hoffe vielmehr, dass die Anträge rasch ver- erhalten werden muss. abschiedet werden und das Spielzeug, das dann auf dem Als Linke gehen wir natürlich noch etwas darüber hi- Markt ist, sicher ist. naus. Wir wünschen uns, dass das GS-Zeichen nicht nur Vielen Dank. auf freiwilliger Basis, sondern verbindlich und ver- pflichtend eingeführt wird. Da man auf EU-Ebene nun (Beifall bei der LINKEN) eine gemeinsame Linie finden will, ist der Zeitpunkt ge- kommen, dieses Thema anzugehen. Ich denke, sicheres Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Spielzeug darf nicht nur denen vorbehalten sein, die den entsprechenden Geldbeutel haben. Jetzt spricht Nicole Maisch für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall bei der LINKEN) Die geprüften Spielzeuge erfüllen sehr hohe Qualitätsan- Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): forderungen; damit sind sie in der Regel aber teurer. Das Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Problem ist also, dass sich diejenigen, die nur einen klei- Kollegen! In den vergangenen Monaten haben die vielen nen Geldbeutel haben, mit dem Spielzeug begnügen Rückrufaktionen für Spielzeug gezeigt, dass zum Teil er- müssen, das mit dem CE-Zeichen gekennzeichnet ist. schreckende Sicherheitslücken bei der Produktsicherheit Wie wir alle wissen, bedeutet dies nicht viel. Ich halte im Spielzeugbereich bestehen. RAPEX, das Schnell- sehr viel davon, die Verantwortung der Hersteller zu warnsystem der Europäischen Union, verzeichnet seit stärken. Aber nach wie vor gilt: Vertrauen ist gut, Kon- Jahren einen Anstieg von Produktwarnungen. Zum trolle ist besser. Nachdenken bringen sollte uns, dass davon nicht nur Billigprodukte, sondern auch die Erzeugnisse namhafter (B) Wir haben in den vorangegangenen Beiträgen schon Markenhersteller betroffen waren. Auch wenn Eltern (D) gehört, welche Gefahren Blei, das in Billigspielzeugen mehr Geld in die Weihnachtsgeschenke für ihre Kinder zu finden ist, mit sich bringt. Blei hat im Spielzeug investiert haben, konnten sie sich nicht sicher sein, dass nichts verloren, und Spielzeug, das Blei enthält, muss das, was unter dem Weihnachtsbaum lag, sicher war. verboten werden. Auch ein niedrigerer Grenzwert hilft Auch Markenqualität ist im Spielzeugbereich im Mo- da nicht weiter; denn die Gefahr ist trotz allem vorhan- ment also keine Garantie für ungiftiges und sicheres den, wie uns Experten und Wissenschaftler bestätigen. Spielzeug. Blei muss also raus aus Spielzeug. Auffällig häufig betroffen waren Kinderartikel und Auch andere Stoffe wie giftige Weichmacher haben Elektrogeräte aus chinesischer Produktion. Das ist nicht nichts im Spielzeug verloren. Ein Spielzeug mit solchen verwunderlich, wenn man bedenkt, dass 61,7 Prozent Inhaltsstoffen muss anders konzipiert oder verboten wer- des Spielzeugs, das wir importieren – 80 Prozent werden den. Mir ist es allemal lieber, wenn ein Spielzeug vom insgesamt importiert; einiges wird ja auch noch in Markt genommen wird, als dass ein Kind möglicher- Deutschland hergestellt –, aus China importiert wird. Al- weise Schaden daran nimmt. lerdings waren knapp 40 Prozent der untersuchten Pro- Ein anderes Thema, das in dem Antrag der Regie- dukte, die wir aus China importiert haben, mit Sicher- rungskoalition keine Rolle spielt, ist das der Umwelt- heitsmängeln behaftet. und Sozialstandards in den Herstellerländern. Ich meine, Vor dem Hintergrund globalisierter Warenströme auch darüber müssen wir im Rahmen der Diskussion greifen die alten Sicherheitsmaßnahmen nicht mehr. Es über die EU-Spielzeugrichtlinie reden. Denn ich gehe zeigt sich ganz deutlich: Auf europäischer Ebene, aber davon aus, dass die Einführung von Sozialstandards ers- auch hier in Deutschland besteht Handlungsbedarf. tens zu einer Verbesserung der Arbeits- und Lebensbe- dingungen in den Herstellerländern beitragen könnte und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zweitens die Qualität der erzeugten Produkte steigern würde. Im Mittelpunkt der Kritik im Kontext der Spielzeug- skandale stand die späte und schlechte Informationspoli- (Beifall bei der LINKEN) tik der verantwortlichen Stellen. Wir haben schon oft über RAPEX gesprochen; es ist nicht geeignet, um Ver- Bei vielen Dingen sind wir uns ja einig. Aber es ist mir braucherinnen und Verbraucher ausreichend zu infor- wichtig, dass wir in dieser Debatte auch über diese The- mieren. men reden, wenn wir wollen, dass alle Spielzeuge siche- rer werden. Es geht darum, präventiv, im Sinne des Vor- (Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Sondern?) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15905

Nicole Maisch (A) – Ich denke, man braucht etwas Besseres, zum Beispiel Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C) ein Portal – so etwas wie www.rückruf.de –, wo Infor- Das Wort hat jetzt die Kollegin Julia Klöckner für die mationen verbraucherfreundlich in unterschiedlichen CDU/CSU-Fraktion. Sprachen aufgearbeitet werden. Das wäre, glaube ich, besser als das, was RAPEX im Moment bietet. RAPEX (Beifall bei der CDU/CSU) ist eine gute Grundlage, aber man sollte weiter daran ar- beiten. Julia Klöckner (CDU/CSU): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung! Liebe Kolleginnen Auch das bisher völlig unzureichende CE-Kennzeichen und Kollegen! Frau Maisch, herzlichen Dank für die Be- – dazu wurde schon viel gesagt – ist als Sicherheitssiegel wertung, dass unser Antrag eine gute Grundlage ist. nicht geeignet; das will es ja auch nicht sein. Wenn es um die Sicherheit unserer Kinder geht, dann darf es kein Augenzudrücken und keine Ausnahmen geben. Nach 20 Jahren des Bestehens der Spielzeugrichtlinie Eines ist auch klar: Krebserregende und allergieerzeu- braucht es dringend neue Regelungen – vor allem zu den gende Stoffe haben nichts in Kinderspielzeug zu suchen. Giftstoffen in Spielzeugen. In diesem Zusammenhang Im Deutschen Bundestag geht es uns darum, klarzuma- sind allergene Duftstoffe – ich finde es sehr gut, dass Sie chen, dass diejenigen, die fahrlässig mit der Gesundheit im Koalitionsantrag auf die Duftstoffe eingehen –, aber unserer Kinder spielen, keine Entschuldigung verdient auch Weichmacher und andere Stoffe genannt worden. haben und dass wir sie hart sanktionieren. Von Kindern kann man nicht erwarten, dass sie Produkte sachgemäß anwenden. Kinder stecken Dinge in den (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Mund, die nicht dazu geeignet sind. Deshalb sind sehr FDP) strenge Qualitäts- und Sicherheitsvorschriften notwen- dig. Es ist in der Tat sehr erschreckend, welche Stoffe in Kinderspielzeug gefunden worden sind. Jeder meiner (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) fünf Vorredner hat zum Beispiel die RAPEX-Liste er- wähnt. Schauen wir einmal, welche Schlagzeilen und Bündnis 90/Die Grünen begrüßen das Engagement Presseartikel es zu diesem Thema in den vergangenen der Bundesregierung für das deutsche Sicherheitssiegel Monaten gab: Bleihaltige Farben in Spielzeugautos, ver- GS. Aber wir weisen auch darauf hin, dass insbesondere schluckbare Magnetteile an Plastikpuppen, gefährliche im Bereich der besonders sensiblen Verbraucherpro- Chemikalien in Bastelsets bestimmten leider allzu oft dukte, also der Produkte für Kinder, ein verbindliches diese Schlagzeilen. Schlagzeilen entstehen aber nur (B) Sicherheitssiegel angeordnet werden müsste. Wir for- dann, wenn etwas Neues bekannt geworden ist. Wenn (D) dern Sie auf, sich dafür auch auf europäischer Ebene zu sich jedoch etwas wiederholt, dann bekommen wir das engagieren. nicht mehr zu lesen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kollege Goldmann und Frau Drobinski-Weiß haben die Liste von RAPEX dabei. Es ist erschreckend, was in Wir weisen darauf hin, dass die mangelhafte Rück- dieser Liste steht: Bei insgesamt 55 Meldungen wird für verfolgbarkeit in Produktions- und Handelsketten ein 29 Produkte vor Verletzungs- und Erstickungsgefahr ge- Problem ist, das man angehen muss. Daran muss grenz- warnt. 11 Produkte bergen Vergiftungsgefahr in sich. Bei überschreitend gearbeitet werden. Die Öffentlichkeitsar- einigen Produkten wird aufgrund eines hohen Anteils an beit müsste – ich habe es schon im Kontext von RAPEX Chemikalien die Gesundheit beeinträchtigt und werden erwähnt – verbessert werden und verbraucherfreundli- sogar Hörschäden hervorgerufen. cher gestaltet werden. Es müsste schneller gehen. Das Beispiel der Lichterkette ist gut; Weihnachten ist jetzt Eines muss klar sein: Ganz gleich, wie viel Produkte vorbei. in Deutschland kosten, sie müssen sicher sein. (Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Steht ja gar (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nicht drauf!) neten der SPD) – Dann suchen Sie vielleicht noch einmal ganz genau. Darauf müssen sich die Verbraucherinnen und Verbrau- cher verlassen können. Selbst unter dem Aspekt „Geiz Wir möchten der Bundesregierung sagen: Sie haben ist geil“ und selbst wenn die Tatsache, dass Qualität ih- den Rückhalt des Parlaments, sich für mehr Spielzeugsi- ren Preis hat, unbestritten ist, muss klar sein: All das, cherheit einzusetzen. Wir haben weitere Vorschläge ge- was auf den deutschen Markt kommt, muss unbedenk- macht. Ich glaube, zusammen mit den Forderungen der lich sein. Unsere Bürgerinnen und Bürger müssen sich Grünen ist der Koalitionsantrag eine ganz gute Basis darauf verlassen können, dass wir, der Staat, die richti- (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das war nett!) gen Rahmenbedingungen setzen, damit sie in Ruhe und sorglos einkaufen können. Dieses Vertrauen – so muss für ein verbraucherfreundliches Paket für mehr Sicher- man ehrlich sagen – ist in den vergangenen Wochen und heit. Monaten verloren gegangen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sowie bei Abgeordneten der FDP) der SPD) 15906 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Julia Klöckner (A) Selbst zum Beispiel die Firma Mattel, ein Markenprodu- hören, riechen, schmecken und greifen. Was aber, wenn (C) zent, hat eine Rückrufaktion für über 20 Millionen Pup- die Spiele krankmachen? Was, wenn Eltern ihre Kinder pen, Figuren und andere Produkte gestartet. Mich er- nicht mehr sorglos dem Spiel überlassen können? schreckt, dass selbst Markenproduzenten, in die wir hohes Vertrauen hatten, Produkte zurückrufen mussten. Der Titel des Koalitionsantrags klingt wie eine Selbst- Mich erschreckt das, auch wenn diese Firmen nicht vor- verständlichkeit. Die Realität ist leider eine andere. Ein sätzlich gehandelt haben, amerikanischer Spielwarenhersteller hat im vergangenen Jahr 20 Millionen Produkte zurückrufen müssen, weil (Peter Bleser [CDU/CSU]: Die sind gelinkt sie Bestandteile enthielten, die für die Gesundheit der worden!) Kinder gefährlich sind. Schauen wir auf die RAPEX- sondern gelinkt worden sind. Wir haben erfahren, dass Warnliste im Internet, dann stellen wir fest, dass es wei- sowohl in Amerika als auch in Australien Kinder mit tere Beispiele gibt. Rund 80 Prozent des Spielzeugs auf hochgradigen Vergiftungen in Krankenhäuser eingelie- dem europäischen Markt werden aus Fernost importiert. fert werden mussten und einige sogar gestorben sind. China ist der Hauptlieferant. Damit darf man auf keinen Fall spielen, auch nicht, Die letzten Rückrufaktionen haben deutlich gemacht, wenn jemand ein Interesse daran hat, seine Marge zu er- dass das Spielzeug den heutigen Sicherheitsanforderun- höhen. Das muss klar sein. Das ist die Haltung der gen des europäischen Marktes nicht entspricht. Die häu- Union, der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, des BMELV figsten Gefahren für unsere Kinder sind: Verletzungen, und unserer Bundesregierung. Erstickungen, Vergiftungen und Hörschäden. Kurzum: (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Diesen Gefahren muss, wo immer es geht, begegnet wer- Hans-Michael Goldmann [FDP]) den. Eines möchte ich kritisch anmerken: Auffälligerweise Daher ist es gut, dass sich die EU mit der EU-Spiel- wurden über 80 Prozent der beanstandeten Produkte aus zeugrichtlinie dieses Themas endlich angenommen hat. China und anderen asiatischen Ländern importiert. Wa- Das ist ein richtiger Schritt, der zum Ziel hat, krebserre- rum hat man sie dort produzieren lassen? Natürlich, weil gende, erbgutschädigende oder fortpflanzungsgefähr- sie dort zu günstigeren Preisen produziert werden kön- dende Stoffe in Spielzeug zu verbieten. Die Richtlinie nen. Es gehört zur Wahrheit, dass Produkte, die günsti- legt jedoch nicht fest, dass das Spielzeug von diesen ger sind, weil sie unter anderen Umwelt-, Verbraucher- Stoffen frei sein muss. Daher legen wir einen Koalitions- schutz- und Sozialstandards hergestellt worden sind, antrag vor. Die SPD-Fraktion fordert: Diese Stoffe, die trotzdem ihren Preis haben. Die Gesundheit unserer Kin- unsere Kinder und deren Kinder gefährden können, ha- der ist ein Preis, der uns definitiv zu hoch ist. Nicht mit ben in Spielzeug nichts verloren. (B) (D) uns! (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Keine Grenzwerte, sondern null Toleranz. Das gilt Da sich meine Redezeit dem Ende zuneigt, möchte selbstverständlich auch für alle allergieerzeugenden ich abschließend das unterstützen, was meine Kollegin- Stoffe. nen und Kollegen zuvor bereits gesagt haben: Wir sind dafür, dass das GS-Zeichen, das für „geprüfte Sicher- In der Richtlinie bestehen aber auch an anderer Stelle heit“ steht, das besagt, dass eine präventive Prüfung Ungereimtheiten: Die Erziehungsberechtigten wissen stattgefunden hat, europaweit eingeführt wird. Es kann um die Unmöglichkeit, einem Baby oder Kleinkind be- nicht sein, dass wir das wegen der Harmonisierung in greiflich zu machen, dass das Lieblingsspielzeug nicht in Europa aufgeben müssen. Ich möchte nicht in einem Eu- den Mund zu nehmen ist. Wenn die Richtlinie kein Au- ropa leben, in dem die Gesundheit weniger zählt als die genmerk auf die Freisetzung der gefährlichen Stoffe im Harmonisierung. Mund legt, können die Auswirkungen fatal sein. Spiel- zeug aus Kunststoff ist deshalb mit Lebensmittelgegen- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des ständen gleichzusetzen. Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP]) (Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: [FDP]) Der Kollege Jürgen Kucharczyk hat jetzt das Wort für Was kompliziert klingt, heißt im Grunde: Spielen ist die SPD-Fraktion. für Kinder so essenziell wie Trinken und Essen. Daher (Beifall bei der SPD) gebührt dieser Handlung ein ebenbürtiger Schutz. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Jürgen Kucharczyk (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was hat es nun mit dem CE- und dem GS-Zeichen auf Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Volks- sich? Beides sind Zeichen für die Produktsicherheit nach mund sagt: Wenn Kinder spielen, sind sie gesund. Jedem geltenden Normen. Das GS-Zeichen an Spielzeug be- Kind sind die Neugier und die Lust, zu spielen, angebo- deutet, dass eine vom deutschen Staat autorisierte Prüf- ren. Ein Großteil der Entwicklung der kognitiven und stelle das Produkt Spielzeug nach geltenden Normen motorischen Fähigkeiten findet durch Spielen statt. Da- überprüft hat. Die CE-Kennzeichnung wird von Herstel- bei gehen unsere Kinder mit allen Sinnen vor: Sie sehen, lern in Eigenverantwortung angebracht. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15907

Jürgen Kucharczyk (A) Ich begrüße sehr, dass die Bundesregierung am Zei- (Erfurt) (C) chen „Geprüfte Sicherheit“ festhält und sich dafür ein- Otto Fricke setzt, es europaweit zur Geltung zu bringen. Eine Ab- Dr. Gesine Lötzsch schaffung dieses Zeichens würde nicht nur die Spielzeugsicherheit verschlechtern. Solange keine effi- zienten und nachhaltigen EU-Siegel existieren, müssen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die die nationalen Bestand haben. Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Unsere Forderung nach einer präventiven Prüfung al- ler Spielzeuge durch unabhängige Dritte folgt dieser Lo- Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen gik und ist die Konsequenz. Dafür bitte ich um breite Bernhard Brinkmann, SPD-Fraktion, das Wort. Unterstützung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Vizepräsident Dr. h. c. : Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der Ich schließe die Aussprache. Drucksache 16/5565 gibt es eine Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Fraktion Die Linke „Privatisierungs- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf folgen seriös bilanzieren – Privatisierungen aussetzen“. Drucksache 16/8496 an die in der Tagesordnung aufge- Wenn man sich das Abstimmungsverhalten in den Aus- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- schüssen anschaut, sowohl im federführenden Aus- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung schuss als auch in den mitberatenden Ausschüssen, dann so beschlossen. ist die Lage völlig klar: Dieser Antrag ist abzulehnen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Ich darf gleich am Beginn meiner Ausführungen zum Drucksache 16/7837 an die in der Tagesordnung aufge- Ausdruck bringen, dass wir diesen Antrag ablehnen wer- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist den. Ich will das auch begründen. jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der Man kann den Eindruck haben, als wäre das, was bis- SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirt- her privatisiert worden ist, nicht seriös bilanziert. Diesen schaft und Technologie. Die Fraktion Bündnis 90/Die Eindruck muss ich aber mit aller Entschiedenheit zu- Grünen wünscht Federführung beim Ausschuss für Er- rückweisen. Man sollte einmal einen Blick in die Bun- nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. (B) deshaushaltsordnung werfen und noch einmal Revue (D) Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der passieren lassen, was anschließend in Berichten zum Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen, also Feder- Ausdruck gebracht wird. In der Bundeshaushaltsord- führung beim Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft nung heißt es: und Verbraucherschutz. Wer stimmt für diesen Überwei- sungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun- Bei Aufstellung und Ausführung des Haushalts- gen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen plans sind die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der und Sparsamkeit zu beachten. Diese Grundsätze drei Oppositionsfraktionen abgelehnt. verpflichten zur Prüfung, inwieweit staatliche Auf- gaben oder öffentlichen Zwecken dienende wirt- Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der schaftliche Tätigkeiten durch Ausgliederung und Fraktionen der CDU/CSU und SPD abstimmen, also Fe- Entstaatlichung oder Privatisierung erfüllt werden derführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Techno- können. logie. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Überwei- Dies macht deutlich, dass der Antrag der Fraktion Die sungsvorschlag ist mit den gleichen Mehrheitsverhält- Linke schon allein aus diesem Grund völlig verfehlt ist nissen, aber unter umgekehrtem Vorzeichen angenom- und keine Zustimmung finden kann. men. Privatisierungspolitik muss auch ein ordnungspoli- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: tisch vorrangiges Ziel sein. Die Privatisierung muss kon- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- sequent weitergeführt werden. richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) Ich will jetzt einmal auf die Durchsichtigkeit des An- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Herbert trags der Linken eingehen. Wir kennen die Größenord- Schui, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weite- nung der Privatisierungserlöse aus den Jahren 2007 und rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE 2008. Als Beispiel nehme ich einmal die 9,2 Milliarden Privatisierungsfolgen seriös bilanzieren – Pri- Euro aus dem Jahr 2007. Wenn diese nicht in die Kasse vatisierungen aussetzen des Bundes fließen, stellt sich die Frage, welche Mög- lichkeiten es gibt, das auszugleichen. Es gibt nur zwei. – Drucksachen 16/3914, 16/5565 – Eine Möglichkeit wäre, die Einnahmen zu erhöhen. Berichterstattung: Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme (Otto Fricke [FDP]: Wie die Koalition!) 15908 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (A) Dazu gibt es durchaus unterschiedliche Auffassungen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (C) Im Hinblick auf die Mehrwertsteuererhöhung gibt es eine bestimmte Strategie der antragstellenden Fraktion. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Zum einen lehnt sie diese ab. Aber bei der Gegenfinan- zierung von Ausgabewünschen wird zum Teil ein be- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: stimmter Betrag der Einnahmen aus der Mehrwertsteuer- Das Wort hat nun Kollege Otto Fricke, FDP-Fraktion. erhöhung ins Spiel gebracht. Das ist wenig seriös und entspricht nicht einer soliden und nachvollziehbaren (Beifall bei der FDP) Haushaltspolitik. Otto Fricke (FDP): Die andere Möglichkeit wäre, in der gleichen Größen- ordnung auf der Ausgabenseite einzuschneiden. Da wi- Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- dersprechen Sie, die Linken, sich mit den Anträgen, die gen! Der Titel Ihres Antrags hört sich sehr schön an. Sie Sie allein zum Bundeshaushalt 2008 gestellt haben, fordern, die Privatisierungsfolgen zu bilanzieren. An selbst. Sie fordern nämlich ein Bündel von Ausgaben- diesem Punkt kann Ihnen die FDP ohne Weiteres zustim- steigerungen in einer Größenordnung von circa 150 Mil- men. Jede Bilanz, die zeigt, was Privatisierung gebracht liarden Euro. hat, ist eine gute Bilanz. Hier kann man ruhig mehr ins Detail gehen. Damit habe ich kein Problem. (Otto Fricke [FDP]: Das ist aber sehr freund- lich geschätzt!) Ich bin mir sicher – das gilt auch für meine Fraktion –, dass dann, wenn man eine solche Bilanz erstellen würde, Jährliche Mehrausgaben im Bundeshaushalt in Höhe von auch herauskommen würde, dass manches nicht gut ge- 150 Milliarden Euro bei einem Gesamtvolumen von laufen ist. Ich würde mir wünschen, dass auch Sie ein- roundabout 280 Milliarden Euro würden bedeuten, dass mal eine Bilanz der 40 Jahre DDR ziehen würden, und die Nettokreditaufnahme nicht bei rund 11 Milliarden zwar vollständig. Euro, sondern bei 160 Milliarden Euro liegen würde. Al- lein deshalb müssten weitere Ausgaben veranschlagt (Beifall bei der FDP) werden, die sich aus einer exorbitant ansteigenden Zins- Das tun Sie aber gerade nicht. Sie tun das, was Sie im- belastung ergeben würden. mer tun, und behaupten: Alles, was privat ist, ist des Wenn Sie einen solchen Antrag präsentieren, müssen Teufels und schlecht. Sie finden auch immer ein Argu- Sie auch Lösungsvorschläge unterbreiten. Ich bin ge- ment, warum jede Privatisierung letztlich doch schlecht spannt, was im Laufe der halbstündigen Debatte an Lö- war. (B) sungsvorschlägen vonseiten der Fraktion Die Linke un- Interessant ist der zweite Teil des Titels Ihres Antrags; (D) terbreitet werden wird. denn hier wird die Richtung, in die Sie wollen, schon Ich will auf einen weiteren Grund hinweisen, weshalb viel deutlicher. Dort heißt es: „Privatisierungen ausset- wir Privatisierungserlöse benötigen. Ich will diesbezüg- zen“. Sie wollen die Privatisierungen aussetzen, bis die lich nicht missverstanden werden. Aber es gab bis zur geforderte Bilanz vorgelegt worden ist. Wenn es nach Ih- Wiedervereinigung unseres Vaterlandes eine staatliche nen ginge, sollte man kommunale Krankenhäuser nicht gelenkte Planwirtschaft, in der der Staat alles geregelt mehr privatisieren, sondern sie lieber weiter Schulden hat und in der es keine Privatisierungen gab. Wohin das machen lassen und dafür sorgen, dass der Staat die Ver- geführt hat, ist deutlich geworden, als beim ersten ge- sorgung nicht mehr auf Dauer gewährleisten kann oder meinsamen Haushalt die Eröffnungsbilanz aufgestellt aber sie in der Weise sicherstellt, in der dies früher in der wurde. Es wird außerdem anhand der Sonderkosten der DDR geschehen ist: Man hat ein Krankenhaus, aber die deutschen Einheit deutlich, die unsere Volkswirtschaft Qualität ist mies. Hauptsache ist, das Krankenhaus ist in jedes Jahr durch ihre Leistung finanziert; man kann gar Staatshand. Was Sie wirklich wollen – das sagen auch nicht oft genug darauf hinweisen, dass wir darauf zu Ihre beiden großen Fraktionsvorsitzenden Lafontaine Recht stolz sein können. Das sind im Schnitt zwischen und Gysi immer wieder –, 50 und 60 Milliarden Euro, woraus eine Zinsbelastung (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Die sind doch eher resultiert, die aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht ge- klein!) ringer sein könnte, wenn wir diese Sonderlasten nicht tragen müssten. Ich füge hinzu: Wir tragen sie gern, und ist klar und deutlich: Sie wollen einen anderen Staat. wir sind die einzige Volkswirtschaft auf der Welt, die seit der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes Sonderkos- Ich habe mich gefragt: Wann ist eigentlich wieder ein- ten in dieser Größenordnung – sehr gerne – trägt. mal ein Jubiläum? Ich habe herausgefunden: In diesem Monat ist, wenn man die einzige sogenannte Volksab- Ich komme zum Schluss. Die Ausschussberatungen stimmung in der DDR von 1968 berücksichtigt, das 40- zu diesem Tagesordnungspunkt haben zu einem klaren jährige Jubiläum der Verfassung von 1968. Diese Verfas- Ergebnis geführt. Der Antrag wurde von allen Fraktio- sung ist in verschiedenen Büchlein, die man in diesem nen, bis auf die antragstellende Fraktion, abgelehnt. Ich Lande übrigens nicht heimlich kaufen muss, sondern öf- bitte Sie, heute entsprechend zu beschließen, weil die fentlich kaufen kann, nachzulesen. Ich möchte zitieren, Privatisierungsfolgen bisher seriös bilanziert worden was in der Verfassung der Deutschen Demokratischen sind und in den nächsten Jahren weitere Privatisierungs- Republik zum Thema Wirtschaft stand – das ist viel- erlöse für den Bundeshaushalt erzielt werden müssen. leicht auch für die Zuhörer interessant, damit sie erfah- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15909

Otto Fricke (A) ren, was diese Partei, von der angeblichen sozialen Ge- (Lachen der Abg. Dr. (C) rechtigkeit einmal abgesehen, eigentlich will –: [DIE LINKE]) Die Bodenschätze, die Bergwerke, Kraftwerke, Tal- – ich weiß, dass das nicht der Fall ist; das ist auch okay –, sperren und großen Gewässer, die Naturreichtümer welches Ziel würden Sie dann eigentlich dort, wo Sie des Festlandsockels, Industriebetriebe, Banken und Regierungsverantwortung übernommen haben, verfol- Versicherungseinrichtungen, die volkseigenen Gü- gen? Sehen Sie sich einmal an, was Ihre Partei in Meck- ter, die Verkehrswege, die Transportmittel der Ei- lenburg-Vorpommern oder in Berlin, wo Sie mit der SPD senbahn, der Seeschifffahrt sowie der Luftfahrt, die an der Regierung sind, getan hat: Selbst im Wohnungs- Post- und Fernmeldeanlagen sind Volkseigentum. bereich haben Sie privatisiert. Privateigentum daran ist unzulässig. Man kann also nur sagen: Ihr Antrag ist lächerlich. Es In Art. 14 Abs. 1 der DDR-Verfassung hieß es: geht Ihnen um einen anderen Staat, um einen Staat wie den, der zum Glück untergegangen ist. Meine Fraktion, Privatwirtschaftliche Vereinigungen zur Begrün- meine Partei, die Leute, die mich gewählt haben, meine dung wirtschaftlicher Macht sind nicht gestattet. Familie und ich wollen nicht in so einem Staat leben. Darum geht es Ihnen. Sie wollen alle Macht beim Herzlichen Dank. Staate. Ich kann für meine Fraktion nur sagen: Wir wol- len die Macht, die notwendig ist, beim Staate, und die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) übrige Macht bei den Bürgern. Darum geht es uns. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Jochen-Konrad Fromme, CDU/ Ich bin gespannt, was geschehen wird, wenn meine CSU-Fraktion. Fraktion demnächst einen Gesetzentwurf einbringt, der eine Änderung des Grundgesetzes vorsieht; denn ich Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): weiß, dass auch die Fraktion Die Linke hier etwas plant. Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- Im Grundgesetz ist immer noch Art. 15 enthalten, der gen! Mit dem Titel ihres Antrags – „Privatisierungsfol- Sozialisierungen ermöglicht. Dieser Artikel erlaubt dem gen seriös bilanzieren“ – will die Linke unterstellen, Staat, in enteignender Weise Einfluss auf die Industrie zu dass bisher unseriös privatisiert worden sei. nehmen. Ich bin gespannt, wie sich Union und SPD, aber auch die Grünen an dieser Stelle verhalten werden. Ich (Zuruf von der LINKEN: Richtig!) würde mich freuen, wenn wir diesen Artikel aus unserer Das muss ich entschieden zurückweisen. – Mit Ihrem Verfassung streichen würden, ohne dabei allerdings den (B) Zuruf bestätigen Sie meinen Eindruck. (D) Eigentumsartikel zu verändern. (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Genau!) (Widerspruch bei der LINKEN) Weiter heißt es im Titel des Antrags der Linken: „Pri- – Wie ich merke, sind Sie getroffen. Daran wird deut- vatisierungen aussetzen“. Sie wollen keine Privatisierun- lich: Das ist die Richtung, in die Sie wollen. gen, weil es Ihnen um Ideologie geht. Immer da, wo es Nun zur Frage: Wie sieht das eigentlich aus, wenn um Ideologie geht, sollte man das sagen, damit die Men- sich der Staat an der Industrie beteiligt? Wir haben vor- schen das erkennen. Für meine Fraktion ist Privatisie- hin kurz über die IKB diskutiert. Wollen Sie eigentlich rung keine Frage der Ideologie, sondern eine Frage der auch keine Privatisierung der IKB? Wollen Sie, dass der Arbeitsteilung. Denn es stellt sich doch die Frage, was Staat die IKB behält? Wollen Sie, dass er Steuermittel in zu den Aufgaben des Staates gehört und was nicht. In Milliardenhöhe, die dann nicht mehr für Hartz-IV-Emp- der Beantwortung dieser Frage unterscheiden wir uns fänger, für gesetzlich Krankenversicherte oder für Rent- fundamental: ner zur Verfügung stehen, weiter in die IKB hineinbut- (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Ja! tert? Genau!) (Dr. Herbert Schui [DIE LINKE]: Nein, nein, Die Sozialisten meinen, der Staat könne alles besser, die in die andere Richtung!) Gesellschaft wisse am besten, was für den Einzelnen gut Das wollen Sie sicherlich nicht. An dieser Stelle passt es ist. Ihnen wäre es am liebsten, wenn die Leute ihren Ihnen dann doch wieder nicht, wenn sich der Staat an Lohn zu 100 Prozent beim Finanzminister ablieferten Privateigentum beteiligt. Genau daran wird deutlich: und Sie ihn dann verteilten. Das, was Sie machen, ist Körnchenpicken. Sie wollen (Dr. Herbert Schui [DIE LINKE]: Ich hätte nur eine vermeintliche Gerechtigkeit. Tatsächlich gern 50 Prozent der Gewinne!) kommt es aber immer nur darauf an, was Ihnen gerade vor die Flinte kommt. Das stößt bei uns auf völliges Unverständnis. Sie haben aus der Geschichte offensichtlich nicht gelernt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Zurufe von der LINKEN) Ich frage mich: Wenn Sie es wirklich ernst meinen – Zur deutschen Einheit komme ich noch. – Wie war es würden und eine so starke Fraktion und Partei wären, denn unter dem Regime, als der Staat alles gemacht hat? wie Sie es immer vorgeben Der Staat ist zusammengebrochen, er hat sich ver- 15910 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Jochen-Konrad Fromme (A) schluckt, er kann sich eben nicht um alles kümmern. Es Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Die DKP (C) ist besser, wenn der Einzelne eigenverantwortlich ent- wurde von der DDR unterstützt!) scheidet. Dann muss man dem Einzelnen aber die Chance auf Eigentum, auf Erträge, auf Lohn lassen. Ich zum Beispiel komme aus Bayern, aus einem Land, in dem die Bayerische Landesbank gerade 1,9 Milliarden Damit für die Zuschauer deutlich wird, worüber wir Euro mit Immobilienfonds verzockt hat. uns unterhalten: Fraport AG, Expo 2000, Duisburger Ha- (Otto Fricke [FDP]: Eben: Hätte sich der Staat fen, Höhenklinik in Davos, Bergmannssiedlungsvermö- besser nicht daran beteiligt! Man sollte privati- gen, Gästehaus Petersberg – der Staat hat bzw. hatte, aus sieren!) welchen Gründen auch immer, viel Eigentum, das er ei- gentlich nicht braucht. Jetzt könnten Sie sagen: Das ist sozialistische Planwirt- schaft. Aber ich glaube, die Kollegen der CSU würden (Zuruf von der LINKEN: Die Deutsche Bahn!) heftig widersprechen. Deshalb ist es selbstverständlich, dass man die Bewirt- schaftung denen überlässt, die das besser können. Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Sie haben eben die deutsche Einheit angesprochen. Frau Kollegin, ich bin Ihnen sehr dankbar für die Natürlich müssen wir viel Geld aufwenden. Zwischenfrage. Sie geben mir nämlich Gelegenheit, auf Ihr Verhalten aufmerksam zu machen. (Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Infolge der (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: In Bay- SED!) ern?) Mit der Wiedervereinigung hat das aber nichts zu tun In Niedersachsen und Hamburg haben kürzlich Land- – die war ein Federstrich im Grundgesetz; das hat nichts tagswahlen stattgefunden. Mir ist eine Fernsehreportage gekostet –; das hat vielmehr damit etwas zu tun, dass wir erinnerlich, in der aus dem Wahlkampf berichtet wurde. mit 40 Jahren Sozialismus aufräumen müssen. Ich beantworte gerade Ihre Zwischenfrage. Bleiben (Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Die Altlast Sie bitte so lange stehen. Es geht nämlich zulasten mei- der SED!) ner Redezeit, wenn Sie sich setzen. Sie haben sich von Ihren Vorgängern, die einen Trüm- (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Nein, merhaufen hinterlassen haben, nicht distanziert. er beantwortet die Frage nicht!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- – Ich beantworte die Frage nach dem Verhalten der Lin- (B) neten der FDP) ken. (D) Dieses Regime war menschenverachtend, es hat eine ka- Sie haben DKP-Mitglieder in Ihre Listen aufgenom- putte Umwelt und eine marode Wirtschaft hinterlassen. men, weil Sie verhindern wollten, dass sich die Stimmen Die Beseitigung dieser Hinterlassenschaften ist es, die so für die Linken teilen. Als man Ihnen auf die Schliche ge- viel Geld kostet. Ich sage es noch einmal: Es war nicht kommen ist, haben Sie die betreffende Dame in Nieder- die Wiedervereinigung, sondern es ist das Aufräumen sachsen schnell aus der Fraktion geworfen. Sie führen von 40 Jahren Sozialismus, das uns diese Kosten be- die Menschen hinters Licht. Weil Sie sich so verhalten, schert. Und Sie scheinen aus der Geschichte nicht ge- sind Sie mit diesen in einen Topf zu werfen, auch wenn lernt zu haben. Sie nicht alle in der DDR geboren sind. Man muss nicht Was könnten wir alles Gutes anfangen, wenn wir die in der DDR geboren sein, um dieses Gedankengut zu ha- 43 Milliarden Euro Zinsen, die mindestens zur Hälfte ben. auf die Beseitigung dieser Trümmer zurückgehen, nicht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) aufwenden müssten! Dabei bleibe ich, solange Sie sich nicht von DKP-Ange- hörigen distanzieren. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Sie haben kein Programm veröffentlicht, damit man Kollegin Bulling-Schröter von der Linksfraktion? nicht dahinter kommt, dass Sie nach wie vor dieses Ge- dankengut pflegen. Machen Sie doch den Menschen nichts vor! Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Aber gerne. Warum sind Privatisierungen notwendig? Ich nenne das Beispiel Telekom. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): (Widerspruch bei der LINKEN) Sie haben über unsere Vergangenheit gesprochen. Ist Als die Telekom ein Staatsbetrieb war, gab es noch das Ihnen bekannt, dass über die Hälfte der Mitglieder der Dampftelefon in Schwarz mit Bakelit Fraktion Die Linke nicht in der DDR, sondern in den al- ten Bundesländern geboren ist? (Zuruf von der FDP: Mit Wählscheibe!) (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Die hätten und als Sonderausführung in Weiß. Man musste jede An- sich eine anständige Partei aussuchen sollen! – schlussdose extra beantragen. In der heutigen Zeit der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15911

Jochen-Konrad Fromme (A) IT-Kommunikation, in der es täglich neue Geräte gibt, Sie stellen einseitig den Arbeitsplatzabbau nach Pri- (C) ist das nicht mehr vorstellbar. vatisierungen in den Mittelpunkt der Betrachtung. Es ist zwar bitter, wenn Arbeitsplätze wegfallen, aber es ist (Otto Fricke [FDP]: Im Sozialismus gab es eine völlig normale Entwicklung, dass sich Altes über- nicht mal ein einziges Gerät!) lebt und durch Neues ersetzt werden muss. Insofern ist Weil wir die Telekom privatisiert und den Prozess dem jeder Strukturwandel mit einem Abbau verbunden. Ent- Markt übergeben haben, haben wir heute eine moderne scheidend ist, dass die Politik Impulse gibt, damit in grö- IT-Wirtschaft. ßerem Umfang Neues entsteht. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass der Staat nicht Man wird aber keinen volkswirtschaftlichen Fort- alles machen kann, sondern dass man es demjenigen schritt erreichen, wenn man sich an etwas festklammert. überlassen sollte, der es am besten kann. Das ist mal der Dann gerät man gegenüber anderen Volkswirtschaften Staat mit seinen hoheitlichen Aufgaben und mal die ins Hintertreffen. Das schadet letzten Endes allen. Denn Wirtschaft. nur eine leistungsfähige Volkswirtschaft kann die not- wendigen Mittel auch für Problemgruppen aufbringen. Insofern sollten Sie viel stärker berücksichtigen, wer Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: was besser kann. Das ist effektiv und kommt den Men- Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage schen zugute. des Kollegen Schui? Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung zu der Tatsa- Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): che, dass Sie es ablehnen, mit der SED gleichgesetzt zu Gerne. werden. Immerhin haben Sie Markus Wolf als Ehrenmit- glied in Ihre Partei aufgenommen. Sie haben alle frühe- (Zuruf von der LINKEN: Aber jetzt bitte be- ren DDR-Größen als Ehrenmitglied aufgenommen. antworten!) (Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Gysi war auch – Das müssen Sie schon mir überlassen. Es ist Ihr Ri- SED-Vorsitzender!) siko, wenn Sie meine Antwort nicht ertragen können. Das ist doch Ausdruck von Identität. Denn wenn man et- (Beifall bei der CDU/CSU) was anderes will, stellt man doch nicht das in den Fokus, was man ablehnt. Dr. Herbert Schui (DIE LINKE): Sie wollen den Menschen mit Ihrem Antrag etwas Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass der technische völlig anderes vorspiegeln, als Sie in Wahrheit wollen. (B) Fortschritt in den staatlichen Telefongesellschaften Sie wollen einen anderen Anschein erwecken. Sagen Sie (D) ebenso rasch erfolgt ist wie bei der privatisierten Deut- doch den Menschen, dass Sie für eine Staatswirtschaft schen Telekom? und für die Abschaffung des Eigentums sind! Das tun Sie aber nicht, weil Sie wissen, dass die Menschen Sie (Otto Fricke [FDP]: Das haben wir bis 1989 in dann nicht wählen werden. Weil Ihr Antrag eine ganz an- der DDR gesehen! – Klaus-Peter Willsch dere Politik verrät als das, was Sie den Menschen zeigen, [CDU/CSU]: Die Anschlussdaten in der DDR werden wir ihn ablehnen. waren beeindruckend!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Offensichtlich hat der technische Fortschritt nichts mit den Eigentumsverhältnissen zu tun. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Herbert Schui für die Fraktion Die Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Linke. Herr Kollege, ich darf Sie daran erinnern, dass nach der Wiedervereinigung 1990 in Erfurt immer noch die (Beifall bei der LINKEN) Telefonvermittlungsanlage aus den 20er-Jahren in Be- trieb war, Dr. Herbert Schui (DIE LINKE): (Iris Gleicke [SPD]: Die sind allerdings auch Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte in Berlin erst 1990 ausgebaut worden!) große Lust, all diese Reden zu kommentieren. (Otto Fricke [FDP]: Bitte!) während man in der Bundesrepublik schon drei Technik- generationen weiter war. Ich erinnere mich durchaus – Nein, ich habe meinen eigenen Text. Ich kann mir doch noch an die Zeiten der staatlichen Telekom, als vieles die Stichworte nicht von Ihnen geben lassen. Kann man nicht möglich war. In Amerika gab es in jedem Zimmer Art. 15 GG überhaupt ändern? ein Telefon; bei uns musste man 4 000 oder 5 000 Euro (Otto Fricke [FDP]: Ja! Schade, nicht wahr?) für eine Telefonvermittlungsanlage aufwenden, die in dieser Form gar nicht nötig war. Der rasante technische – In Ordnung, wir werden das später sehen. Fortschritt hat erst eingesetzt, seit die Telekom am Markt agiert. Meine Damen und Herren von der SPD, die gegen- wärtigen Probleme bei den öffentlichen Finanzen lassen (Dr. Herbert Schui [DIE LINKE]: Bei France sich nicht durch Privatisierung lösen; denn irgendwann Télécom?) gibt es nichts mehr zu privatisieren. Man muss an die 15912 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Dr. Herbert Schui (A) Steuergesetzgebung heran. Ich darf daran erinnern, dass Morgan Stanley beziffert den Verlust, der seit 2003 auf- (C) 1960 der effektive Steuersatz auf das Haushaltseinkom- gelaufen ist, auf 7 Milliarden Euro. Weiter: Für men aus Unternehmertätigkeit und Vermögen bei 5,5 Milliarden Euro kauft die Post das britische Logistik- 20 Prozent lag. Hätten wir jetzt 20 Prozent, hätten wir unternehmen Exel, um sich, wie es heißt, endgültig die 70 Milliarden steuerliche Mehreinnahmen. Spitzenposition unter den internationalen Logistikkon- zernen zu sichern. Die entscheidenden Fragen lauten: (Beifall bei der LINKEN) Wer trägt die Verluste? Wer finanziert die Übernahmen? Meine Damen und Herren von der FDP, Sie haben Wozu eigentlich ist die Post da? Muss sie eine internatio- völlig recht: Es geht darum, wie viel Staat wir tatsäch- nale Spitzenposition haben, oder reicht es aus, wenn sie lich brauchen. Wir sind der Meinung, dass wir ein ge- zuverlässig und preisgünstig Postgut befördert? mischtwirtschaftliches System brauchen. Die entschei- (Beifall bei der LINKEN) dende Frage ist, wie viel Staat genau wir nun brauchen. Der öffentliche Sektor, das öffentliche Unternehmen, ist Ich glaube, auf die Zustimmung der SPD können wir ein Instrument der Politik. mit unserem Antrag rechnen, was den zweiten Halbsatz seines Titels „Privatisierungen aussetzen“ angeht; denn (Beifall bei der LINKEN) mittlerweile hieß es auf dem Parteitag der SPD in Ham- Wer privatisiert, gibt Macht aus der Hand, verkauft sein burg zum Thema Bahnprivatisierung: Werkzeug. Das kann man auch folgendermaßen ausdrü- Private Investoren dürfen keinen Einfluss auf die cken: Privatisierung „schwächt die Demokratie, weil sie Unternehmenspolitik ausüben. der öffentlichen Hand unverzichtbare Gestaltungsmög- lichkeiten für das Gemeinwohl entzieht“. Das stammt (Zuruf des Abg. Bernhard Brinkmann aus dem Regierungsprogramm der SPD in Hessen. [Hildesheim] [SPD]) (Beifall bei der LINKEN – Klaus-Peter In ihrem Regierungsprogramm für Hamburg schreibt die Willsch [CDU/CSU]: Welche Regierung? – SPD, Herr Brinkmann: Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Eine Wir werden mit den Privatisierungen Schluss ma- Möchtegernregierung!) chen. Was hat Privatisierung bislang gebracht? Wir fordern (Beifall bei der LINKEN) in unserem Antrag, die Erfahrungen zu bilanzieren, die man über einen langen Zeitraum damit gemacht hat. Bei- Im Regierungsprogramm der SPD für Hessen heißt es: spiel Post: Von 1997 bis 2007 hat die Post die Zahl ihrer … Privatisierung öffentlicher Infrastrukturen liegt Annahmestellen von 15 300 auf 12 600 verringert. Nicht weder im Interesse der Allgemeinheit noch im lang- (B) (D) zuletzt deswegen – es gibt auch andere Gründe; manches fristigen Interesse der Kommunen. … Sie wird hat seine Ursache auch in der technologischen Entwick- teuer … und schwächt die Demokratie. lung – ist die Beschäftigung gesunken. Es gibt nun 130 000 Arbeitsplätze weniger. Die Dividende ist dage- (Beifall bei der LINKEN) gen von 2000 bis 2007 von 300 Millionen Euro auf rund Angesichts dieser Zitate: Schluss mit den Wortbrü- 1 Milliarde Euro angestiegen. Ebenfalls angestiegen ist chen, meine Damen und Herren! die Vergütung für Zumwinkel. (Otto Fricke [FDP]: Das war der, der den Min- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: destlohn wollte wie Sie!) Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss Ihrer Rede kommen. – Er wollte auch eine Höchststeuer; das war sein Pro- blem. Deswegen ist er jetzt ein medienwirksamer Schau- steller bei der Inszenierung sozialer Gerechtigkeit durch Dr. Herbert Schui (DIE LINKE): die Koalition. Danke. – Das sind die Einsichten von 84 Prozent der Bevölkerung: Schluss mit der Privatisierung. Ich kann (Beifall bei der LINKEN) mir nicht vorstellen, dass die Mehrheit des Bundestages Seine Bezüge sind von 1,7 Millionen Euro im Jahre die Auffassung von 16 Prozent der Bevölkerung, die für 2003 auf 4,24 Millionen Euro im Jahre 2007 gestiegen. weitere Privatisierungen sind, gutheißen wird. (Zuruf von der FDP: Da hat die Gewerkschaft Vielen Dank. mitgestimmt!) (Beifall bei der LINKEN – Jochen-Konrad – Stimmt, Zumwinkel war in der richtigen Gewerk- Fromme [CDU/CSU]: Ihr Problem ist, dass schaft. Deswegen hat das geklappt. Sie sich zu wenig vorstellen können!) (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das ist – Nein, Sie haben Probleme, ich habe keine. paritätische Mitbestimmung!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Gestiegen sind auch die Preise für Postdienstleistun- Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem gen. Was macht das Unternehmen mit den Gewinnen, Kollegen Otto Fricke. die im Unternehmen verbleiben? 2003 kauft Zumwinkel für 1 Milliarde Euro den US-Expressdienst Airborne. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Otto, sag Diese Beteiligung bringt bis heute keinen Gewinn. jetzt nichts Falsches!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15913

(A) Otto Fricke (FDP): Diesen Anspruch muss man an staatliches Handeln ins- (C) Herr Kollege Schui, während ich, als ich aus der Ver- gesamt stellen. fassung der Deutschen Demokratischen Republik vorge- lesen habe, einiges Nicken bei Ihnen und Ihrer Fraktion Sie zeichnen ein Schwarz-Weiß-Bild von Privatisie- festgestellt habe, haben Sie eine Nachfrage zu der für rungen und stellen sich nicht den notwendigen Differen- uns alle jetzt geltenden Verfassung, dem Grundgesetz, zierungen. Spannend wird es, wenn man das, was Sie gestellt. Ich möchte Sie schlicht darauf hinweisen, dass hier an gravierenden Auswirkungen für Arbeitsplätze der Art. 15 änderbar ist, da in Art. 79 Abs. 3 unseres und an glorreichen Arbeitsbedingungen für Mitarbeiter Grundgesetzes steht: öffentlicher Betriebe schildern, mit der Realität Berlins vergleicht. So manche Töne, die ich jetzt im Zusammen- Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche hang mit dem BVG-Streik höre, passen nicht zu der Be- die Gliederung des Bundes in Länder, die grund- schreibung der segensreichen Wirkungen der öffentli- sätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzge- chen Hand, die Sie hier gepredigt haben, Herr Professor bung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergeleg- Schui. ten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nicht 1 bis 20, wie Sie wahrscheinlich vermutet haben, und bei der CDU/CSU) sondern 1 und 20! Ich finde, wir müssen wieder eine ernsthafte Diskus- sion darüber führen, in welchem ordnungspolitischen Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Rahmen der Staat aktiv sein muss Wollen Sie darauf reagieren, Kollege Schui? – Er winkt ab. Dann erteile ich Kollegen Alexander Bonde, (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. und wann wir Überlegungen zur Privatisierung deshalb (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Der hätte entgegentreten müssen. Die Bahnprivatisierung ist of- sich wenigstens bedanken können!) fenkundig eine Privatisierung, der kein solches ord- nungspolitisches Konzept zugrunde liegt. Hier plant die Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bundesregierung die Verschleuderung von Staatsvermö- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gen, und die Bevölkerung hat wenig davon; sie wird hoffe, der Kollege Fricke gibt die Nebeneinkünfte aus vielmehr am Ende die Zeche zahlen. Aber Sie verschlie- Rechtsberatung der Linksfraktion ordnungsgemäß beim ßen sich in Ihrem Antrag einer derartigen differenzierten Bundestagspräsidium an. Betrachtung, wann eine Privatisierung sinnvoll ist und wann nicht. Insofern schwächen Sie eher die Position (B) (Otto Fricke [FDP]: Das ist karitativ!) derjenigen, die kritisch hinterfragen, an welcher Stelle (D) Nach dieser Debatte müssen wir sagen, dass ein Bei- Private und an welcher Stelle der Staat Aufgaben über- trag zu einer differenzierten Bewertung von Privatisie- nehmen sollen. rung und Outsourcing sowie von öffentlich-privater (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Partnerschaft hier nicht stattgefunden hat. Vielmehr ha- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) ben wir wieder einen ideologischen Kampf erlebt, bei dem man sich nicht die Mühe macht, die notwendigen Sie machen das bewusst; denn Sie kommen immer zu Differenzierungen vorzunehmen und zu fragen, was wir dem Ergebnis, dass der Staat der Akteur ist, der die Pro- heute an hoheitlichen Aufgaben brauchen, die der Staat bleme lösen kann. Ich glaube, Sie liegen da schief. Das ausübt, und was private Akteure und die Gesellschaft werden wir wahrscheinlich nicht mehr mit Ihnen klären besser als der Staat organisieren können. können. Sie haben noch einen harten Lernprozess vor sich, bevor Sie ähnliche Regierungsprogramme schrei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ben wie die, aus denen Sie gerade zitiert haben. sowie des Abg. Otto Fricke [FDP]) Sie lenken mit Ihrem Antrag allerdings von einem Sie haben hier auf eine eher an den Haaren herbeige- weiteren Problem ab, über das wir im Zusammenhang zogene Berichtsbitte verwiesen und eine Aussetzung mit der Privatisierung sprechen müssen. Eigentlich jeglicher Form dieser Projekte verlangt. Wenn ich mir müssten wir darüber diskutieren, ob die Bundesregie- den Beteiligungsbericht der Bundesregierung anschaue, rung eine klare Leitlinie beim Umgang mit der Privati- dann kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie ernsthaft der sierung hat. Die hat sie nicht. Sie hat sie weder bei der Auffassung sind, dass all das, was heute der Staat macht Bahnprivatisierung noch bei der Frage, was eigentlich – das geht bis hin zum bereits genannten Duisburger Ha- die zentralen Aufgaben staatlichen Handelns sind. Sie fen –, auch von Ihrer Fraktion ernsthaft als dringende benutzt Privatisierung vielmehr als Tarnkappe, sie ka- Staatsaufgabe angesehen wird. Ich mache es einmal an schiert mit den Privatisierungserlösen den Sachverhalt, einem platten Bild deutlich: Ich halte es für richtig, dass dass sie auch in guten Zeiten die strukturellen Defizite der Bundestag nicht selber kocht, sondern dass in unse- des Haushalts trotz Rekordeinnahmen bei den Steuern rer Kantine Menschen von Firmen stehen, die davon et- vergrößert. Die Privatisierungserlöse betrugen 2007 was verstehen. 4,5 Milliarden Euro, und trotzdem betrug das struktu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, relle Defizit 18,8 Milliarden Euro. Im Jahr 2008 werden bei der CDU/CSU und der FDP – Iris Gleicke die Privatisierungserlöse bei 10,7 Milliarden Euro lie- [SPD]: Na ja!) gen, aber trotzdem wächst das strukturelle Defizit um 15914 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Alexander Bonde (A) weitere 4 Milliarden Euro an. Darüber müssten wir ei- eine grundlegende Neuordnung des Chemikalienrechts (C) gentlich mit der Bundesregierung streiten. Ich bedaure, auf den Weg gebracht. REACH heißt die Verordnung, dass Ihr Antrag, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen die im Juni 2007 in Kraft getreten ist. REACH gilt für von der Linksfraktion, dazu keinen Beitrag geleistet hat. alle Mitgliedsländer der EU und ist nun Zug um Zug umzusetzen. Das Kürzel steht für Registrierung, Bewer- Herzlichen Dank. tung und Zulassung von Chemikalien, die in Europa her- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gestellt oder dorthin importiert werden. Die Anforderun- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) gen an die Information über diese chemischen Stoffe werden umso größer, je höher das Produktionsvolumen Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: der jeweiligen Chemikalie ist. Je höher das Risiko, das Ich schließe die Aussprache. bei einem Stoff erwartet wird, umso größer ist auch der Aufwand für Tests und für eine Bewertung. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Haushalts- ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit Besonders risikoreiche Stoffe müssen nun zugelassen dem Titel „Privatisierungsfolgen seriös bilanzieren – Pri- werden, auch wenn sie schon lange in Verkehr sind. Mit vatisierungen aussetzen“. Der Ausschuss empfiehlt in sei- diesem Ansatz erreichen wir einen komplett neuen Um- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5565, den gang mit Chemikalien. Der Umgang wird sicherer und Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3914 transparenter. Wir erhalten mehr Klarheit über die Risi- abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- ken, die von den einzelnen Chemikalien ausgehen kön- lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Be- nen. Auch in Deutschland wird der Schutz umfassender, schlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktion da künftig nicht nur neu entwickelte Chemikalien unter Die Linke, im Übrigen mit den Stimmen des Hauses an- die Verordnung fallen. Auch die sogenannten Altstoffe, genommen. die bereits seit Jahren am Markt gehandelt werden, wer- den nun von den neuen Regeln erfasst. Das ist ein ganz Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: wichtiger Unterschied zur heute geltenden Praxis; ge- – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- genwärtig werden nur neue Stoffe einer vergleichbar regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes strengen Prüfung unterzogen. Damit wird der Schutz der zur Durchführung der Verordnung (EG) menschlichen Gesundheit und der Umwelt deutlich ver- Nr. 1907/2006 (REACH-Anpassungsgesetz) bessert. – Drucksache 16/8307 – Der 1. Juni 2008 ist also ein wichtiger Stichtag bei der Umsetzung der neuen Verordnung. An diesem Tag star- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- tet der zentrale Mechanismus von REACH. Dann be- (B) (D) ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- ginnt die Registrierung, Bewertung und Zulassung in der heit (16. Ausschuss) Praxis. Die Unternehmen müssen nach einem vorgeleg- – Drucksache 16/8523 – ten Zeitplan alle Chemikalien anmelden, die in den Re- gelungsbereich von REACH fallen. In den Monaten seit Berichterstattung: Inkrafttreten der Verordnung – wir haben hier schon Abgeordnete Ingbert Liebing mehrfach darüber diskutiert – gab es noch viel Aufklä- Heinz Schmitt (Landau) rungsbedarf in einzelnen Branchen und bei einzelnen Michael Kauch Unternehmen. In diesem Implementierungsprozess konn- Eva Bulling-Schröter ten viele Fragen geklärt werden; es konnten auch Be- Sylvia Kotting-Uhl fürchtungen ausgeräumt werden. Mit Blick auf einige Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) beteiligte Unternehmen und auf deren im Vorfeld geäu- gemäß § 96 der Geschäftsordnung ßerte Horrorszenarien kann man sogar sagen – ich sage das gerne –: Aus Konfrontation ist Kooperation gewor- – Drucksache 16/8521 – den. Berichterstattung: Ich möchte an dieser Stelle allen Beteiligten – den zu- Abgeordnete Bernhard Schulte-Drüggelte ständigen Abteilungen und Referaten, den Stellen im Andreas Weigel Bundesumweltministerium und den zuständigen Bun- Ulrike Flach desbehörden – meinen Dank für die Zusammenarbeit in Michael Leutert den zurückliegenden Jahren aussprechen. Anna Lührmann (Beifall bei der SPD) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre Die zuständigen Fachleute haben sich vorbildlich und keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. nachhaltig für ein Gelingen von REACH eingesetzt. Un- ternehmen, die sich mit spezifischen Problemen an das Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Ministerium gewandt haben, haben dort geduldige und Heinz Schmitt, SPD-Fraktion, das Wort. konstruktive Unterstützung erfahren. Dies hat dazu bei- getragen, dass mittlerweile die Akzeptanz von REACH Heinz Schmitt (Landau) (SPD): bei den zunächst eher skeptisch eingestellten kleineren Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und und mittleren Unternehmen eindeutig gestiegen ist. Das Kollegen! Vor 15 Monaten hat die Europäische Union ist Grund genug, allen zu danken. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15915

Heinz Schmitt (Landau) (A) Der Hintergrund der heutigen Debatte ist das REACH- In wenigen Wochen wird die systematische Erfassung (C) Anpassungsgesetz. Zwar ist REACH bereits geltendes von mehr als 30 000 Chemikalien, die jetzt schon auf europäisches Recht; trotzdem müssen auch wir in dem Markt sind, beginnen. Wir werden in wenigen Jah- Deutschland das bisherige Chemikalienrecht an die ren mehr Informationen über die Eigenschaften und Ri- neuen Bestimmungen anpassen. Zum Beispiel müssen siken der chemischen Stoffe haben, die bei uns gehandelt etliche Vorschriften aus dem Chemikaliengesetz gestri- oder verwendet werden. chen werden, die aufgrund von REACH überflüssig und überholt sind. Nicht nur auf europäischer Ebene – REACH gilt für den europäischen Markt –, sondern auch auf internationa- Außerdem muss geregelt werden, welche Stellen die ler Ebene wird daran gearbeitet, bis zum Jahre 2020 einen neuen Aufgaben und Anforderungen gemäß der REACH- sicheren Schutz im Umgang mit Chemikalien zu errei- Verordnung übernehmen. Mit dem Umweltbundesamt, chen. Dies wurde auf dem Umweltgipfel im Jahre 2002 in dem Bundesinstitut für Risikobewertung sowie der Bun- Johannesburg beschlossen. Auf internationaler Ebene be- desanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin werden trachten viele die Umsetzung von REACH als mögliches die gleichen deutschen Stellen mit der Chemikalien- Vorbild für einen weltweiten Umgang mit Chemikalien. sicherheit betraut sein wie heute. Künftig kommt eine Ich weiß, dass viele kritisieren – das werden wir si- Bundesstelle für Chemikalien hinzu. Diese ist für die cherlich in den Folgereden noch hören –, es seien bei der Bewertung gemäß der Verordnung zuständig. Sie wirkt Umsetzung zu viele Kompromisse eingegangen worden; an der Einstufung und Kennzeichnung der Stoffe mit. ich kenne diese Debatte aus dem Ausschuss. Ich möchte Sie wird die Auskunftsstelle des Bundes für Fragen zu aber darauf hinweisen, dass es ein Kompromiss zwi- REACH sein. UBA, BfR, BAuA und die Bundesstelle schen Parlament und Rat war, der auf den letzten Metern für Chemikalien werden der Europäischen Chemikalien- noch hätte scheitern können. Ich denke, dass der gefun- agentur in Helsinki zuarbeiten und damit einen europa- dene Kompromiss ein guter Kompromiss ist. Er trägt weit einheitlichen Umgang mit Chemikalien sicherstel- beiden Seiten Rechnung, der Wirtschaft und den Anwen- len. dern, aber in besonderem Maße natürlich auch den Ver- Natürlich müssen wir bei all den neuen Aufgaben, die brauchern und dem Umweltschutz. Es wurde vieles auf- auf die zuständigen Behörden zukommen, auch dafür genommen, und dies bringt eindeutige Verbesserungen sorgen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ausrei- im Umgang mit Chemikalien mit sich. chender Zahl zur Verfügung stehen. Der zusätzliche Per- Eigentlich ist der heutige Tag ein guter Tag, und ich sonalbedarf wird auf ungefähr 117 Stellen im gehobenen freue mich sehr, dass wir in den letzten zwei bis drei Jah- und höheren Dienst geschätzt. ren – anfangs gegensätzlich, aber dann immer mehr ge- (B) Schließlich wird dafür gesorgt, dass die Verordnun- meinsam – zusammengearbeitet, viele Anforderungen (D) gen eingehalten werden: Abweichungen von den neuen und Einwände beachtet, eine gute Lösung gefunden und Rechtsnormen werden mit Strafen und Bußgeldern be- am Schluss zu REACH ein gutes Gesetz gemacht haben. legt. Das sollte aber die Ausnahme sein. Mit Strafen al- Ich bedanke mich herzlich für die Aufmerksamkeit. lein – das wissen wir aus vielen Bereichen – kann man eine Einhaltung nicht erreichen. Wir setzen vor allem auf (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) die Bewusstseinsbildung; die Strafen sollten das aller- letzte Mittel sein. Dennoch können drastische Bußgelder Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: verhängt werden, wenn gegen Abgabevorschriften der Das Wort hat nun Michael Kauch für die FDP-Frak- neuen Verordnung verstoßen wird. Das Bußgeld kann tion. bis zu 200 000 Euro betragen; so sieht es auch der Ände- rungsantrag der Koalitionsfraktionen zum REACH-An- (Beifall bei der FDP – Zuruf von der FDP: Jetzt passungsgesetz vor. Wer extrem gegen REACH verstößt, kommt zum guten Tag noch eine gute Rede!) muss gar mit einer Freiheitsstrafe rechnen: Es drohen bis zu 5 Jahre Freiheitsstrafe, wenn durch einen Verstoß das Michael Kauch (FDP): Leben oder die Gesundheit eines anderen oder fremde Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Sachen von bedeutendem Wert gefährdet werden. im Jahr 2006 beschlossenen REACH-Verordnung ist ein entscheidender Schritt für eine europaweite Chemi- Mit den Neuregelungen soll auch ein Beitrag zur Be- kalienpolitik gemacht worden. Die FDP-Fraktion hat kämpfung von Gefahren durch den Terrorismus geleistet das Anliegen von REACH immer unterstützt, nämlich werden. Sie alle werden sich sicherlich noch an die Ver- eine europäische Chemikalienpolitik zu schaffen, die haftung von drei jungen Männern im September letzten Umwelt und Gesundheit effektiv schützt. Jahres erinnern, die unter Verdacht stehen, Terror- anschläge geplant zu haben. Sie hatten zwölf Fässer mit Leider ist REACH nicht in dem Maße unbürokratisch 750 Kilogramm Chemikalien beschafft, aus denen man und mittelstandsfreundlich ausgestaltet worden, wie wir Sprengstoff hätte herstellen können. Die neuen Vor- uns das gewünscht hätten. schriften sollen also den Zugang zu Chemikalien, aus (Beifall bei der FDP) denen Gifte oder Sprengstoffe hergestellt werden kön- nen, erschweren. Auch die Händler werden in die Pflicht REACH ist eine enorme Herausforderung für die che- genommen, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um eine mische Industrie, aber auch für die nachgelagerten Wirt- unerlaubte Verwendung zu verhindern. schaftszweige. Die Vorgaben zur Registrierung, Risiko- 15916 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Michael Kauch (A) bewertung und Kommunikation in der Produktkette sind Insgesamt bewerten wir diesen Gesetzentwurf als not- (C) sehr komplex. 100 Seiten Verordnung und über wendig. Wir werden uns aber aufgrund der genannten 3 000 Seiten Leitlinien machen die Umsetzung von Kritikpunkte insbesondere hinsichtlich der strafrechtli- REACH zu einer Herkulesaufgabe für kleine und mitt- chen Vorschriften bei der Abstimmung enthalten. lere Unternehmen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass Vielen Dank. die nationalen Vorschriften die Betroffenen nicht noch weiter belasten, sondern möglichst entlasten. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Ingbert Liebing [CDU/CSU]) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Ingbert Liebing, CDU/CSU-Frak- Der vorliegende Entwurf eines REACH-Anpassungs- tion. gesetzes steht nach unserer Ansicht in grundsätzlichem Einklang mit den Vorgaben der REACH-Verordnung. Das (Beifall bei der CDU/CSU) Anpassungsgesetz ist auch notwendig, um die deutsche Rechtslage in diesem Bereich anzupassen. Allerdings be- Ingbert Liebing (CDU/CSU): stehen bei einigen Vorschriften begründete Zweifel, ob es Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen tatsächlich eine Eins-zu-eins-Anpassung ist. Diese Zwei- und Kollegen! Die Europäische Chemikalienverord- fel konnten auch durch die Änderungsanträge der Koali- nung REACH war eines der größten Gesetzgebungs- tion nicht ausgeräumt werden. vorhaben der EU in den vergangenen Jahren und schwierig genug zu einer gemeinsamen Lösung zu (Beifall bei der FDP) bringen. Dies ist aber vor zwei Jahren gelungen, nicht Die konkrete Ausgestaltung der nationalen Auskunfts- zuletzt dank des Einsatzes unserer Bundeskanzlerin stelle muss sich in der Praxis erst noch bewähren. Nach mit ihrem politischen Gewicht in Eu- dem Gesetzentwurf soll diese Funktion von der Bun- ropa. desstelle für Chemikalien übernommen werden. Sie soll (Beifall bei der CDU/CSU) Hersteller, Importeure und nachgeschaltete Anwender be- raten. Wichtig ist aus unserer Sicht, dass Wege gefunden REACH ist abgeschlossen. Jetzt geht es um die Anpas- werden, um bei der Ausgestaltung der Auskunftsstelle Er- sung des deutschen Chemikalienrechts an die Vorgaben fahrungen und Kompetenzen sowohl der Unternehmen der REACH-Verordnung. Einer Umsetzung von REACH als auch der Behörden gleichermaßen einzubeziehen; in deutsches Recht bedarf es nicht, da REACH als Verord- denn die Hilfe für Unternehmen bei der Umsetzung von nung unmittelbar wirkt. Jetzt geht es um die Anpassung (B) REACH kann die Auskunftsstelle nur leisten, wenn sie unseres nationalen Rechts. Dafür liegt mit dem REACH- (D) über ausreichenden Praxisbezug verfügt. Anpassungsgesetz ein guter Entwurf vor, den wir heute beschließen sollten. (Michael Brand [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Es geht im Wesentlichen um die Schaffung von Rege- Aus Sicht der FDP-Fraktion – das sage ich ganz deut- lungen, die bestimmen, welche Behörden für welche lich – ist die Durchführung dieses Gesetzgebungsverfah- nach der REACH-Verordnung zugewiesenen Aufgaben rens allerdings zu kritisieren. Die Koalitionsfraktionen zuständig sein sollen und wie der Informationsaustausch haben am Montag zahlreiche Vorschläge eingebracht, zwischen den Behörden geregelt werden soll. Ferner die umfangreiche Änderungen und Verschärfungen bei geht es um die Frage, welche Straf- und Bußgeldbeweh- Strafvorschriften und Ordnungswidrigkeiten vorsehen. rungen im Falle von Verstößen gegen REACH fällig Diese haben zunächst einmal nichts mit REACH zu tun. werden, und es geht um die Aufhebung überflüssiger Tatsächlich ist die Strafzumessung für die unterschiedli- Vorschriften des deutschen Chemikalienrechts. chen und zum Teil neuen Strafvorschriften für das Parla- Bei der Ausgestaltung dieser Regelungen müssen wir ment in so kurzer Zeit nicht wirklich zu überblicken. zuallererst dafür sorgen, dass die Umsetzung von REACH Dies gilt insbesondere für die Frage, ob die Höhe der in der Praxis so schlank wie möglich erfolgt. Strafzumessung in einem sinnvollen Verhältnis zu ande- ren Vorschriften und Strafhöhen des Strafrechts steht. (Beifall bei der CDU/CSU) Mal eben im Ausschuss auf Initiative des BMI Strafvor- REACH muss in Deutschland für unsere Unternehmen schriften zur Terrorismusabwehr vorzulegen, ist aus un- so praktikabel wie möglich umgesetzt werden, und bei serer Sicht mehr als fraglich. der Umsetzung von REACH muss der Aufwand für den (Beifall bei der FDP) reinen Verwaltungsvollzug so gering wie möglich gehal- ten werden. Wir dürfen in unserem eigenen Verantwor- Wenn der Innenminister Vorschriften im Chemikalienge- tungsbereich keine neuen und zusätzlichen Belastungen setz ändern will, weil er meint, dies sei zur Terrorabwehr für die Unternehmen, die REACH umzusetzen haben, sinnvoll, dann sollte er das in einem transparenten Ge- schaffen. Das allein ist schon schwer genug. Dieser Ziel- setzgebungsverfahren zur Terrorabwehr tun und nicht setzung ist die Bundesregierung bei der Erarbeitung des mal eben in der Umweltgesetzgebung zur Chemikalien- REACH-Anpassungsgesetzes gefolgt, und sie hat einen verordnung. gelungenen Entwurf vorgelegt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Der Gesetzentwurf garantiert, dass die Kernbereiche des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der REACH-Verordnung, die zum 1. Juni dieses Jahres Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15917

Ingbert Liebing (A) in Kraft treten, in Deutschland in der Praxis umgesetzt rer Rede jedenfalls war das die einzige Begründung da- (C) werden können. Bestimmte Punkte können und müssen für, dass Sie nicht zustimmen wollen. vorläufig noch offen bleiben. Dies gilt für die Punkte, bei denen REACH erst später greift. Vonseiten der Län- Wir halten es, gerade vor dem Hintergrund der aktuel- der wurde vereinzelt kritisiert, dass der vorliegende Ent- len Situation, für richtig, den Aspekt der Straftatbestände wurf nicht dazu dient, REACH gleich vollständig umzu- im Sinne der Terrorismusbekämpfung mit einzubezie- setzen. Gerade mit Blick auf diese Kritik sage ich hen. Was jetzt im Zusammenhang mit dem REACH-An- ausdrücklich: Für uns ist das REACH-Anpassungsgesetz passungsgesetz machbar ist, das sollte man regeln. Lie- nur ein notwendiger, aber bedeutsamer Zwischenschritt ber Herr Kollege Kauch, die Tatsache, dass Sie sehr auf dem Weg zu einer vollständigen Anpassung des dezidiert das ablehnen, was das Bundesinnenministe- deutschen Rechts an europäisches Recht. Weitere An- rium initiiert hat, zeigt, dass es sehr wohl möglich war, passungen und Rechtsharmonisierungen werden und in diesen Tagen die eine Änderung, um die es geht, sach- müssen noch folgen. gerecht zu prüfen. Da die Grünen den Gesetzentwurf gleich sicherlich (Beifall bei der CDU/CSU – Michael Kauch noch kritisieren werden [FDP]: Haben Sie denn damit schon einen Ter- roristen gefangen?) (Michael Brand [CDU/CSU]: Glaube ich nicht!) Die bereits erwähnten Straftatbestände und Ordnungs- widrigkeiten, die sich direkt auf die REACH-Verord- – wir haben ja gestern im Ausschuss dazu einiges gehört, nung beziehen, bleiben von diesen Änderungsanträgen zum Beispiel, man müsse auch Regelungen zur Nano- völlig unberührt. technologie in dieses Gesetz aufnehmen –, möchte ich ausdrücklich feststellen: Diese Kritik geht am Thema Insgesamt handelt es sich bei dem vorliegenden Ge- völlig vorbei. setzentwurf um einen überzeugenden Wurf. Dieser Ein- schätzung haben sich im Übrigen auch die Länder in ihrer (Beifall bei der CDU/CSU) Stellungnahme zum REACH-Anpassungsgesetz ange- Beim REACH-Anpassungsgesetz geht es ausschließlich schlossen. Sie haben ausschließlich Änderungspunkte be- um Rechtsanpassungen, nicht um neue materielle Rege- nannt, denen die Bundesregierung in ihrer Gegenäuße- lungen. Die Änderungen, die bereits zum jetzigen Zeit- rung im Wesentlichen zugestimmt hat und die wir als punkt vollzogen werden, betreffen vor allem Regelungen Koalitionsfraktionen ebenfalls übernommen haben. Insge- bei den Zuständigkeiten, beim Vollzug und bei den samt gewährleistet das REACH-Anpassungsgesetz eine Sanktionen. Herr Kollege Schmitt hat dazu in der Sache möglichst schlanke und praxisnahe Umsetzung ins deut- (B) bereits einiges erläutert. Für mich ist entscheidend, dass sche Recht. (D) es neben der engen Abstimmung bei der Zuständigkeits- (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- regelung zwischen Bund und Ländern gleichzeitig im NEN]: Praxisnah und umweltfern!) Sinne einer pragmatischen und kooperativen Strategie darum geht, dass die betroffenen Betriebe ihre Erfahrun- Meine Damen und Herren, mit sehr viel größerer gen aus der täglichen Praxis mit in die Umsetzung ein- Sorge verfolge ich jedoch die Praxis der Umsetzung von fließen lassen können. REACH selber. Offensichtlich wird doch ein deutlich höherer Aufwand bei Bund, Ländern und Unternehmen Ein weiteres aus unserer Sicht zwingend notwendiges in der Praxis ausgelöst, als ursprünglich einkalkuliert Regelungsanliegen zum jetzigen Zeitpunkt stellen die war. Bei aller Wertschätzung für unseren Koalitionspart- Sanktionsnormen dar. Es ist gut, dass im Gegensatz zu ur- ner möchte ich dem Kollegen Schmitt gerne sagen: Bei sprünglichen Planungen in der überarbeiteten und jetzt mir kommen andere Rückmeldungen aus der Wirtschaft vorliegenden Fassung einige Straftatbestände durch Buß- und aus den Verbänden an, als Sie es dargestellt haben. gelder ersetzt wurden. Die Komplexität der REACH-Ver- ordnung stellt unsere Unternehmen vor allem zu Beginn Dies wird auch beim beabsichtigten Personalaufwand der Umsetzung vor eine gewaltige Herausforderung. Da deutlich, der bei Bundes- und Landesbehörden entsteht. wäre es aus unserer Sicht nicht gerechtfertigt, aus Fahrläs- Allein auf Bundesebene geht man derzeit davon aus, dass sigkeit begangene Fehler gleich mit übermäßiger Härte zu wegen REACH – nicht wegen des heute zu beschließen- verfolgen. den REACH-Anpassungsgesetzes, sondern wegen der eu- ropäischen Verordnung selbst – 116 zusätzliche Stellen Im Zusammenhang mit den Sanktionsnormen möchte benötigt werden, in den Ländern jeweils 7 bis 16, also ins- ich an dieser Stelle noch auf die Änderungsanträge der gesamt 250 bis 300 zusätzliche Stellen allein in den Be- Koalitionsfraktionen eingehen, die wir in dieser Woche hörden, die die Wirtschaft durch Gebühren bezahlen vorgelegt haben. Der Kollege Kauch hat sie zum Anlass muss. Hinzu kommt der zusätzliche Personalaufwand in genommen, anzukündigen, dass er dem Gesetzentwurf der Wirtschaft selber. nicht zustimmen, sondern sich der Stimme enthalten werde. Ich vermute einmal, lieber Herr Kollege Kauch, Das gleiche Bild ergibt sich auch bei der Europäi- Sie sind uns dankbar für diese Änderungsanträge. Damit schen Chemikalienagentur, die in Helsinki aufgebaut haben Sie jedenfalls einen Grund, unserem Gesetzent- werden soll. Auch hier scheint es so zu sein, dass der wurf nicht zustimmen zu müssen. Wenn wir nicht noch Personalbedarf deutlich höher liegt, als ursprünglich ver- diese Änderungsanträge geliefert hätten, hätten Sie of- anschlagt. Statt ursprünglich 50 bis 100 Stellen, von de- fenbar kein Negativargument in der Hand gehabt; in Ih- nen damals die Rede war, geht man heute von bis zu 15918 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Ingbert Liebing (A) 500 Stellen aus. Dabei wurde die Einrichtung der Agen- Er hat das Ganze heute noch getoppt, indem er den Er- (C) tur gerade damit begründet, auf nationaler Ebene den folg allein Frau Merkel zugeschoben hat. Ich denke, da Verwaltungsvollzug zu vereinfachen und Personal einzu- hat Herr Liebing nur zur Hälfte recht. Denn es war die sparen. Nun scheint der Personalbedarf auf europäischer, Handschrift der Chemiekonzerne, also die von Bayer, nationaler und regionaler Ebene zu explodieren. Schering oder anderer, Mit Bürokratieabbau hat das alles nichts mehr zu tun. (Michael Brand [CDU/CSU]: Die Bösen!) Dabei hätte alles aber noch viel schlimmer kommen kön- nen, wenn sich die EU-Kommission oder die damalige und nicht die der Verbraucherinnen und Verbraucher. rot-grüne Regierung mit ihren ursprünglichen Plänen (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Wie schön, durchgesetzt hätte. wenn man immer ein Feindbild hat!) (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch der Deutschland hat nicht nur daran mitgewirkt, sondern Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/ massiv Einfluss genommen. Herr Liebing, das haben Sie DIE GRÜNEN]) ja jetzt zugegeben. Die Union hat erfolgreich dafür gekämpft, den ursprüng- Aus einem weitgehend fortschrittlichen Verordnungs- lich vorgelegten REACH-Entwurf von völlig unprakti- entwurf der Europäischen Kommission ist im Brüsseler kablen Forderungen an die europäischen Unternehmen Gesetzgebungsverfahren ein im Wesentlichen an den In- zu befreien, übermäßige Belastungen abzubauen und teressen der Chemieindustrie ausgerichtetes Gesetz ge- den Aufwand verhältnismäßig zu gestalten. worden. Aktiv waren nicht nur die Konzernvertreter in (Zurufe der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE den Lobbygängen. LINKE]) (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Auf welchem Da können Sie krakeelen, soviel Sie wollen, Frau Gang waren Sie?) Bulling-Schröter: Die Änderungen halten wir für richtig. Mitgewirkt an der Verwässerung hat vor allem eine (Beifall bei der CDU/CSU) große Allianz von Vertretern der Bundesregierung und von EU-Spitzenbeamten aus Deutschland. Hinzu kamen Bei allen Erleichterungen, die wir im Interesse der eu- Abgeordnete von Union, SPD und FDP im EU-Parla- ropäischen Unternehmen im REACH-Gesetzgebungs- ment. Wer es nicht glaubt, der braucht nur die entspre- prozess durchgesetzt haben, ist dennoch zu sagen, dass chenden Unterlagen zu lesen. der Umfang und die Komplexität des neuen Chemikali- enrechts in der Praxis besonders für kleine und mittlere (Beifall bei der LINKEN) (B) Unternehmen eine gewaltige Hürde darstellen. In diesen Wie Sie wissen, befinden sich auf dem EU-Markt (D) Betrieben gibt es oftmals nur eine Person, die sich mit etwa 100 000 sogenannte Altstoffe, die vor 1981 auf den REACH befasst. Das kann dort nicht funktionieren. Markt kamen. Sie alle wurden nie vernünftig darauf ge- Ich möchte keine neue Grundsatzdebatte über REACH testet, welche Wirkung sie auf Gesundheit und Ökologie auslösen. Wir sollten aber auf jeden Fall die Umsetzungs- haben. Diesen Zustand sollte REACH beenden. Doch praxis von REACH genau im Auge behalten. Wir müs- mit der neuen Chemikalienverordnung müssen nun le- sen darauf achten, dass vereinbarte schlanke Verfahren diglich 12 000 der relevanten 30 000 Altstoffe mit mehr tatsächlich eingehalten werden – national sowieso, aber als einer Tonne Jahresproduktion gründlich überprüft auch in europäischer Verantwortung. werden. Das ist zwar besser als nichts; aber mit dem Rest läuft der Großversuch an Mensch und Umwelt ein- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. fach weiter. (Beifall bei der CDU/CSU) Zudem wird die Industrie eben nicht verpflichtet, alle gefährlichen Stoffe zu ersetzen. Selbst wenn Alternati- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ven vorhanden sind, können krebserregende, fortpflan- Das Wort hat Eva Bulling-Schröter, Fraktion Die zungsschädigende und andere gefährliche Chemikalien Linke. weiter vermarktet und in Alltagsprodukten verwendet werden. Lediglich langlebige, sich in der Natur anrei- (Beifall bei der LINKEN) chernde Chemikalien sollen ausgetauscht werden, sofern es für sie Alternativen gibt. Wir alle halten das für sehr Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): betrüblich. Auch für die Umsetzung von REACH sehen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wir hierbei Probleme. Herr Liebing von der Regierungskoalition hat in der ers- (Michael Brand [CDU/CSU]: Sagen Sie doch ten Lesung stolz verkündet, dass die verabschiedete EU- mal was über die Arbeitsplätze, die Sie ver- Chemikalienverordnung REACH nichten würden!) deutlich die Handschrift deutscher Interessen trägt Denn es müssen ja beispielsweise noch die Grenzwerte und deshalb von der CDU/CSU-Fraktion begrüßt für jene Stoffe festgelegt werden, die sich in der Umwelt wurde. und der Nahrungskette anreichern. An diesen entschei- (Michael Brand [CDU/CSU]: Es ist gut, das det sich, welche Stoffe in Zukunft verpflichtend ersetzt noch einmal zu hören!) werden müssen. Das Beispiel der aktuellen Pestizidstu- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15919

Eva Bulling-Schröter (A) die von Greenpeace zeigt jedoch, wie lax in Europa mit Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (C) Substanzen und Grenzwerten umgegangen wird. Ich erteile das Wort nun der Kollegin Sylvia Kotting- Uhl von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Was das Anpassungsgesetz selbst betrifft, so teilen wir die Bedenken des BUND. Insbesondere die Einbe- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ziehung der Nanostoffe ist unbefriedigend geregelt. Da- bei bleiben wir, und darüber müssen wir noch einmal Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): diskutieren. Herr Präsident! Liebe nicht streitende Kolleginnen (Beifall bei der LINKEN) und Kollegen! Wir entscheiden heute über ein Anpas- sungsgesetz, dessen Sinnhaftigkeit gar nicht bezweifelt Diese Stoffe sind kleiner als ein Millionstel Meter. Man werden kann und das der Debatte von daher eigentlich kann diese Stoffe mit einem optischen Mikroskop gar kaum wert ist. Aber das, woran wir anpassen, ist es: die nicht erkennen, so klein sind sie. Und sie sind extrem re- europäische Chemikalienverordnung. Deren Sinnhaftig- aktionsfreudig. Aus diesem Grund müssten natürlich keit ist zwar ebenfalls unbezweifelbar, aber sie erfüllt ih- Stoffe in ihrer nanoskaligen Erscheinungsweise – so ren eigenen Anspruch überhaupt nicht. Das ist sehr wohl nennt man das – extra überprüft werden. Dazu gibt es im noch einmal eine Debatte wert; zumal das Verfehlen die- Gesetz aber leider keine Regelungen. ses Anspruches nicht zuletzt dem deutschen Umweltmi- (Michael Brand [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen nister und der deutschen Kanzlerin anzulasten ist. das denn aufgeschrieben?) Willfährig die Kurzfristinteressen der chemischen In- dustrie einklagend, wurde vom damals gerade selbster- Überdies gibt es noch gar keine nanospezifischen Test- nannten Innovationsminister nicht nur der anvisierte verfahren. Schutz von Umwelt und Gesundheit geschmälert, son- (Michael Brand [CDU/CSU]: Sie können doch dern auch auf Innovationsdruck auf die Chemieindustrie noch nicht einmal mit Salz in der Werra umge- und langfristige Wirtschaftschancen, die in einer nach- hen!) haltigen Chemiewirtschaft lägen, verzichtet. Ein Moratorium des Einsatzes solcher Stoffe, wie es der „No data – no market“ sollte der Kernsatz von BUND fordert, wäre darum nur konsequent. Hier muss REACH sein. Entkernt könnte man die jetzt real existie- nachgebessert werden, spätestens im Zuge des UGB. rende Verordnung bezeichnen. Sozusagen als Entschädi- Dann können Sie zeigen, dass es Ihnen ernst ist. gung zur beabsichtigten Erfassung von Altstoffen wur- den die Anforderungen an die Zulassung von Neustoffen (B) (Beifall bei der LINKEN – Michael Brand [CDU/ dereguliert – ein hoher Preis, wenn man sich ansieht, (D) CSU]: Das ist doch nicht Ihr Ernst!) was aus der Registrierung von Altstoffen tatsächlich ge- worden ist. Aus diesen Gründen und aufgrund unserer grundsätz- lichen Kritik an REACH werden wir uns bei der Abstim- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mung über den Gesetzentwurf enthalten. Krebserregende, fruchtbarkeitsschädigende, hormonell Zum Schluss, meine Damen und Herren: Wir wollen wirksame Chemikalien werden wir weiterhin auf dem keine Arbeitsplätze vernichten. Wir wollen, dass in Markt finden, auch wenn sichere Alternativen existieren. Deutschland zukunftsfähige Arbeitsplätze entstehen. (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Was habt ihr (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Aber Sie tun es denn damals hingekriegt? Trittin hat bei dem doch!) Thema nichts hingekriegt!) – Das tun wir eben nicht. – Wer Giftstoffe herstellt, der Ursprünglich beabsichtigt war ein Zwang zur Substi- muss sich auch darum kümmern, wie es den Menschen tution – jetzt wird von den Produzenten nur noch eine geht, die in den Betrieben arbeiten. Das ist auch zu deren Erklärung verlangt, dass sie ihre Chemikalien „angemes- Nutzen. sen kontrollieren“ können. Wahrlich ein großer Fort- schritt! Aber selbst das, was der Industrie jetzt abver- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. langt wird, ist – auch wenn wir das anders sehen – Heinz Schmitt [Landau] [SPD] – Michael natürlich immer noch zu viel. Ich will hier klar sagen, Brand [CDU/CSU]: Keine Feindbilder! Keine dass ich nachvollziehen kann, wenn die Industrie jede Extrempositionen! – Weiterer Zuruf von der Chance und jeden Fürsprecher nutzt, um sich von An- CDU/CSU: Wie haben Sie es denn in Bitter- sprüchen finanzieller und bürokratischer Art zu entlas- feld gehalten?) ten. Was ich aber nicht verstehe, ist, dass sich ausgerech- net Umweltpolitiker zu diesen Fürsprechern machen – Sie bauen die Feindbilder auf. – Wir wollen eine ge- sunde Umwelt und zukunftsfähige Arbeitsplätze. Wir (Beifall des Abg. Hüseyin-Kenan Aydin [DIE wollen gesetzliche Mindestlöhne einführen. Dafür ste- LINKE]) hen wir. Und wir lassen uns nicht immer wieder von Ih- nen sagen, dass wir Arbeitsplätze vernichten wollen. und dass sie die Debatte um das Anpassungsgesetz nut- zen, um auf die Bürokratie hinzuweisen und schon ein- (Beifall bei der LINKEN) mal anzukündigen, dass man im Sinne von Bürokratie- 15920 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Sylvia Kotting-Uhl (A) abbau die Regelungen von REACH noch einmal sungsgesetzes. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und (C) überprüfen werde. Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8523, den Gesetzentwurf der Bundes- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- regierung auf Drucksache 16/8307 in der Ausschussfas- SES 90/DIE GRÜNEN – Michael Brand sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- [CDU/CSU]: Das gehört doch zusammen! entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um Ökonomie und Ökologie!) das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Verehrte Kollegen Umweltpolitiker, wer glaubt, eine sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung Gesellschaft, die sich mit 100 000 Chemikalien umgibt, mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung könne den Umgang damit durch ein paar Federstriche re- der Oppositionsfraktionen angenommen. geln, irrt nachhaltig. Der Regelungsbedarf wird aufgrund Dritte Beratung weiterer risikobehafteter Entwicklungen nicht unbedingt geringer; darauf können Sie sich schon einmal einstel- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem len. Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent- (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: So ist wurf ist damit mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen es!) wie in der zweiten Beratung angenommen. Ja, ich habe gestern im Umweltausschuss die Nano- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun den technologie erwähnt. Treffe ich auf Praktiker, die die Tagesordnungspunkt 12 auf: Nanotechnologie bereits anwenden, und frage sie, wie sie verantworten können, etwas auf den Markt zu brin- Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten gen, dessen Risiken noch nicht erforscht sind und das Dr. Thea Dückert, Dr. Gerhard Schick, Kerstin überhaupt noch nicht geregelt ist, dann verweisen sie auf Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion REACH. Entgegen Ihrer gestrigen Antwort, Frau Staats- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sekretärin, haben die Praktiker recht, Herr Liebing; denn Beschäftigungspotenziale bei den Dienstleis- im Bericht der Bundesregierung vom 30. August 2007 tungen zum Rechtsrahmen für Anwendungen der Nanotechno- logie heißt es: – Drucksachen 16/4817, 16/6746 – Grundsätzlich fällt auch die Regulierung von Nano- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die materialien unter REACH. Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten (B) Weiter heißt es: soll. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so be- (D) … für nanopartikuläre Substanzen besteht keine ge- schlossen. sonderte Anmeldepflicht, sofern die gröber struktu- Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Thea rierten oder gelösten Substanzen bereits registriert Dückert, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. sind. So geht es natürlich nicht; denn die Nanotechnologie Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): fußt ja gerade darauf, dass die Stoffe ihre Eigenschaften Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir bei Nanopartikelgröße verändern. sind davon überzeugt, dass in der Entwicklung der Be- schäftigungspotenziale im Dienstleistungsbereich eine Soll die Nanotechnologie über REACH geregelt wer- große Zukunft liegt. Die Regierung hätte aufgrund unse- den, dann wäre es das Mindeste, zusätzlich zur jetzigen rer Großen Anfrage die Chance gehabt, sich damit wirk- Mengenschwelle in REACH eine Partikelzahlschwelle lich konstruktiv auseinanderzusetzen und zum Beispiel für nanopartikuläre Substanzen einzuführen. Selbstver- als Erstes die Dienstleistungslücke, die wir in Deutsch- ständlich müssen alle nanopartikulären Substanzen an- land nachgewiesenermaßen haben, zu identifizieren. In gemeldet werden. Das hätte die Bundesregierung tun Ihrer Antwort leugnen Sie aber, dass es diese gibt. sollen, bevor sie uns diesen Entwurf eines Anpassungs- gesetzes vorgelegt hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) NEN]: Das ist wieder typisch!) Wir werden einem Gesetzentwurf, der eine Anpas- Sie hätten die Möglichkeit gehabt, zu sagen, wo und wie sung an eine von uns höchst kritisch bewertete Verord- wir in Deutschland die bestehende Dienstleistungslücke nung vorsieht, nicht zustimmen können. im Sinne einer positiven Entwicklung im Beschäfti- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gungsbereich schließen könnten. Aber auch da Fehlan- und bei Abgeordneten der LINKEN) zeige! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Sie erwähnen Fakten, zum Beispiel, dass sich die Er- werbstätigkeit seit 1970 in diesem Bereich verdoppelt Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundes- hat und dass mittlerweile 70 Prozent aller Beschäftigten regierung eingebrachten Entwurf eines REACH-Anpas- im Dienstleistungsbereich tätig sind. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15921

Dr. Thea Dückert (A) Man sollte sich aber auch damit auseinandersetzen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (C) dass wir im europäischen Vergleich nur im Mittelfeld Sie sagen selbst, dass der Umweltbereich ein Be- liegen. Frankreich, England, Luxemburg und andere schäftigungssektor par excellence ist. Wir haben bereits Länder liegen nämlich vor uns. Dieses Faktum allein 1,5 Millionen Beschäftigte im Umweltsektor. Das BMU müsste Grund genug sein, einen Aufbruch in Deutsch- verweist darauf, dass im Umweltsektor 950 000 Men- land in Angriff zu nehmen. Es gibt jedenfalls keinen schen im Dienstleistungsbereich beschäftigt sind und die Grund, sich, wie Sie das tun, selbst zu loben. Zahl der Arbeitsplätze im Bereich Umwelttechnik exor- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bitant steigen wird. Sie setzen sich aber nicht mit dem Problem auseinander, dass wir unsere Marktstellung nur Beim Export von Dienstleistungen gilt die gleiche halten können, wenn diese Umwelttechniken mit mo- Diagnose: Ja, unsere Exportzahlen sind gut; wir sind Ex- dernsten Dienstleistungen unterlegt werden. Wir werden portweltmeister. Gerade vor diesem Hintergrund ist es unsere Marktstellung in Europa nicht halten können, aber doch beschämend, dass unser Saldo im Bereich wenn wir in diesem Bereich weiter so selig schlafen, wie Dienstleistungen negativ ist: Hier importieren wir näm- das die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große lich mehr, als wir exportieren. Auf diesem Gebiet sind Anfrage tut. wir eine Schnecke in Europa. Ich hätte erwartet, dass die Bundesregierung sagt, wie wir von einer Schnecke zum Rennpferd für Europa werden können. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie schlagen Maßnahmen vor und verweisen dabei Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): auf Ihren Koalitionsvertrag. Wen wundert das? Er ent- Ich komme zum Schluss. – Es ist ein Jammer, dass die hält eine lange Liste von Maßnahmen. Genauso lang ist Dynamik, die dem Beschäftigungsfeld Dienstleistungen aber die Liste mit falschen Schwerpunktsetzungen. Ins- innewohnt, von Ihnen weder im Umweltbereich noch im gesamt ist das so zu beurteilen: Eine Liste, aber kein Pflege- oder Sozialbereich erkannt wird. Sie schreiben, Konzept. Sie geben nur ein Wundermittel an: Ihre High- dass Sie – – tech-Strategie. Wenn man sich diese Strategie einmal ge- nau anschaut, stellt man aber fest, dass von den 14 Mil- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: liarden Euro, die für die Hightech-Strategie vorgesehen Nicht mehr zitieren, Frau Kollegin. Sie müssen zum sind, gerade einmal 50 Millionen Euro für den Bereich Ende kommen. Dienstleistungen und Dienstleistungsforschung vorgese- hen sind. Das entspricht 0,36 Prozent. Das ist kein Wun- (B) Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (D) dermittel. Dieses Wundermittel ist ganz offensichtlich Ich zitiere nicht mehr und komme zum Ende, Herr ein Placebo. Präsident. – Wie gesagt, ich glaube, es ist deutlich ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) worden, dass es ein Jammer ist, dass Sie sich mit den neuen Entwicklungen nicht auseinandersetzen. Wir wer- Das ist schade; denn gerade an der Schnittstelle zwi- den Ihnen da auf die Sprünge helfen. Ich hoffe, hier zu schen technologischer Forschung und der Entwicklung diesem Thema zukünftig gute Debatten führen zu kön- wissensbasierter Dienstleistungen wäre noch viel zu tun; nen. hier liegen viele Beschäftigungspotenziale. Sie haben eine rückwärtsgewandte Sichtweise. Sie orientieren sich Vielen Dank, Herr Präsident. allein an technischen Lösungen und materiellen Produk- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ten. Es fehlt aber an Ideen für die Beantwortung der Frage, wie die Technik an die Frau und an den Mann ge- bracht werden kann. Der Dienstleistungsbereich bleibt Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: hier völlig außen vor. Im Übrigen fehlt auch eine Tech- Das Wort hat nun Kai Wegner für die CDU/CSU- nikfolgenabschätzung. Fraktion. Ich will Ihnen an dem Bereich „Energie/Klima“ zei- (Beifall bei der CDU/CSU) gen, wie rückwärtsgewandt Ihr Vorgehen ist und was Sie alles verschlafen. Sie sagen, dass Sie mit der Hightech- Kai Wegner (CDU/CSU): Strategie einen Schwerpunkt auf das Thema Energie/ Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Klima legen. Sie setzen sich aber nur mit herkömmli- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau chen Technologien auseinander. Es geht vor allen Din- Dückert, ich möchte mich zu Beginn meiner Rede ganz gen um Investitionen in fossilbefeuerte Kraftwerke. Ich herzlich bei Ihnen und Ihrer Fraktion, bei der Fraktion frage Sie: Gibt es einen Ansatz für Forschung in dem Bündnis 90/Die Grünen, dafür bedanken, dass sie diese Bereich zukunftsfähiger Kraftwerke? Virtuelle Kraft- Große Anfrage gestellt haben: werke zum Beispiel bieten die Möglichkeit, große Kraft- (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- werke zu ersetzen. Sie könnten das leisten, was wir in NEN]: Gerne!) Zukunft brauchen: eine dezentrale Energieversorgung. Das wäre auch wichtig, um in Sachen Klimaschutz vo- zum einen, weil Sie einen wichtigen Bereich der deut- ranzukommen. Aber: Fehlanzeige! Dabei wäre das eine schen Wirtschaft, nämlich den Dienstleistungssektor, der nach vorn gewandte Strategie. schon lange nicht mehr zentraler Gegenstand einer 15922 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Kai Wegner (A) Debatte in diesem Hause war, zum Thema machen, und Obwohl wir vor diesem Hintergrund mit der derzeiti- (C) zum anderen, weil Sie mir die Möglichkeit geben, die gen Situation zufrieden sein könnten, geben wir uns als eine oder andere Maßnahme, die die Bundesregierung Große Koalition mit dem bisher Erreichten nicht zufrie- positiv umgesetzt hat, zu erklären. den. Denn gerade in einem so dynamischen Bereich wie dem Dienstleistungssektor stehen wir vor großen Chan- (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- cen und Herausforderungen. Eine dieser Herausforderun- NEN]: Da sind wir aber gespannt!) gen stellt sich im Bereich von Bildung und Wissenschaft. Sie sind nicht nur die wichtigsten gesellschaftlichen Res- Liebe Frau Dückert, nachdem ich Ihre Rede gehört habe, sourcen für eine moderne Wirtschaft, sondern auch glaube ich, dass da auch noch ein bisschen Nachholbe- Grundlage wissensintensiver Dienstleistungen. Diese darf besteht. Deswegen will ich Ihnen einiges erklären. machen heute bereits, Frau Dückert, 30 Prozent unserer Ich teile Ihre Einschätzung, dass gerade der Dienst- Wertschöpfung aus und nehmen eine Schlüsselfunktion leistungssektor in Deutschland eine große Zukunft haben für Wirtschaft und Beschäftigung in unserem Land ein. wird. Folgerichtig reagieren die Große Koalition und Mit der Hightech-Strategie antwortet die Bundesre- insbesondere die Bundesregierung auf Ihre Große An- gierung auf diese zentrale Herausforderung. Sie bündelt frage mit Fakten. Ich hatte das Gefühl, dass Sie kritisiert nicht nur die Kräfte in unserer Gesellschaft für mehr Inno- haben, dass die Bundesregierung mit Fakten auf Ihre vationen, sondern fördert in einem eigenen Handlungs- Anfrage reagiert. Ich muss Ihnen sagen, dass ich es im- feld den Dienstleistungssektor. Ziel ist es, in der Dienst- mer sehr gut finde, wenn die Bundesregierung mit Fak- leistungswirtschaft und Dienstleistungsforschung die ten unterlegt, welche Maßnahmen sie erfolgreich umge- gleiche Exzellenz zu erreichen, die unsere Industrie be- setzt hat, liebe Frau Dückert. reits heute besitzt. Hierbei sind wir auf einem guten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wege. Schon heute liegt Deutschland, gemessen am An- neten der SPD – Dr. Martina Krogmann teil der gesamten Wertschöpfung, international auf ei- [CDU/CSU]: Vor allem der Staatssekretär!) nem der Spitzenplätze und deutlich über dem europäi- schen Niveau, Frau Dückert. Öffentliche und private Dienstleister erwirtschaften heute rund 70 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes Nicht nur bei Bildung und Forschung hat die Große und beschäftigen mehr als 72 Prozent aller Erwerbstäti- Koalition gemeinsam mit der Bundesregierung die Wei- gen in Deutschland. Der Dienstleistungssektor nimmt chen für die Zukunft gestellt, auch schlummernde Be- damit eine herausragende Stellung in unserer Volkswirt- schäftigungspotenziale wurden aktiviert. schaft ein. Als Berliner, liebe Frau Dückert, habe ich den Das Potenzial der Kulturwirtschaft ist in dieser Legis- (B) Strukturwandel quasi vor meiner Haustür erlebt. In den laturperiode erstmalig klar benannt worden. Damit sich (D) letzten Jahren sind zahlreiche neue Beschäftigungsver- unternehmerisches als auch künstlerisches Potenzial voll hältnisse im Dienstleistungsbereich entstanden. Leider entfalten kann, wurden die notwendigen Rahmenbedin- Gottes sind aber auch überproportional viele Beschäfti- gungen geschaffen. gungsverhältnisse in der Industrie weggefallen. Im Feld der sozialen Dienstleistungen haben wir mit Obwohl es zweifelsohne einige Länder gibt, die eine dem Ausbau der Kinderbetreuung in zweifacher Hin- noch höhere Beschäftigungsquote im Dienstleistungs- sicht Maßstäbe gesetzt. Zum einen entsteht infolge des sektor aufweisen, kann ich darin keine Schwäche unse- Ausbaus in diesem Bereich ein zusätzlicher Bedarf an rer Wirtschaft oder gar eine Dienstleistungslücke erken- – geschätzt – 65 000 Erzieherinnen und Erziehern sowie nen. Vielmehr zeigt dies doch, liebe Frau Dückert, eine 47 000 Tagespflegepersonen. Zum anderen schaffen wir unserer Stärken in der deutschen Wirtschaft. Denn dank durch neue Angebote der Kinderbetreuung die Voraus- unserer traditionell starken Industrie sind im internatio- setzung für eine Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit in nalen Vergleich überdurchschnittlich viele Menschen in unserem Land und leisten damit einen ganz wichtigen Deutschland im industriellen Bereich beschäftigt. Da- Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. rüber hinaus sollten wir allesamt nicht vergessen, dass die Industrie gerade auch für den Dienstleistungssektor (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ein ganz wichtiger Auftraggeber ist und bleiben muss. neten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Neben den sozialen Dienstleistungen sind an dieser neten der SPD) Stelle auch die haushaltsnahen Dienstleistungen zu nen- nen. Insbesondere bei Familien, bei älteren Menschen Daran wird nur zu deutlich, dass ein Mehr an Be- und bei Alleinstehenden besteht diesbezüglich ein wach- schäftigung im Dienstleistungssektor zu einem guten sender Bedarf. Die Bundesregierung hat durch eine Ver- Stück immer noch von einer guten Industriepolitik ab- besserung der steuer- und arbeitsmarktrechtlichen Rah- hängig ist. Wer also in der Stärke unserer Industrie ver- menbedingungen nicht nur die Privathaushalte entlastet, meintlich eine Schwäche des Dienstleistungssektors und sondern vor allem für einen signifikanten Beschäfti- unserer Volkswirtschaft sieht, zieht die falschen Schlüsse. gungsaufbau gesorgt. Das Unternehmen „Privathaus- Denn genau das Gegenteil ist der Fall. halt“ floriert in unserem Land. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) neten der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15923

Kai Wegner (A) Auch beim Tourismus sind wir auf einem guten Weg, Gudrun Kopp (FDP): (C) bestehende Potenziale dieser Branche verstärkt zu nut- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- zen. Gerade im Bereich der Gastronomie und der Hotel- ren! Ja, es ist richtig: Die Antworten auf die Große An- lerie wurde vieles unternommen, was sich heute bereits frage, die die Grünen initiiert haben, bringen sehr deut- in einem Zuwachs an Arbeitsplätzen widerspiegelt. lich zum Ausdruck, dass das Beschäftigungspotenzial gerade im Dienstleistungsbereich enorm ist, aber längst Auch beim Export von Dienstleistungen gehören wir nicht in dem Maße ausgeschöpft wird, in dem dies mög- in vielen Branchen zu den weltweit führenden Nationen. lich wäre. Infolge der europäischen Dienstleistungsrichtlinie wird sich die Position der deutschen Dienstleister nochmals Das beginnt schon damit, dass die Bundesregierung, verbessern. Der damit verbundene Ausbau des Binnen- als die Dienstleistungsrichtlinie auf EU-Ebene verhan- marktes für Dienstleistungen wird auch in Deutschland delt wurde, viel zu zögerlich und viel zu protektionis- zu neuen Wachstums- und damit zu neuen Beschäfti- tisch vorgegangen ist. Für diese Zögerlichkeit und diese gungschancen führen. Auf internationaler Ebene wird Ängstlichkeit, auch im Hinblick auf die Freizügigkeit diese Entwicklung zusätzlich durch den Abbau von Han- auf dem europäischen Markt, findet man in der Antwort delsbarrieren im Rahmen der WTO und von zwischen- auf die Große Anfrage wirklich Belege. Natürlich hat die staatlichen Handelsabkommen flankiert. Damit sind die Bundesregierung auch mit Daten und Fakten geantwor- Weichen für ein nachhaltiges Wachstum beim Export tet. Aber ihre Antworten sind zum Teil sehr mager. von Dienstleistungen gestellt. (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Das ist wahr!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch in die- Das Potenzial des Dienstleistungsbereichs ist enorm. sem Jahr können wir auf den Dienstleistungssektor als In diesem Sektor werden 70 Prozent des deutschen BIP Jobmotor in unserem Land zählen. So rechnet der Deut- erwirtschaftet. Angesichts dessen kann man sagen: Das sche Industrie- und Handelskammertag mit einem zu- ist wirklich ein Riesenpfund. Mit mehr Marktöffnung sätzlichen Beschäftigungsaufbau in der Größenordnung und weniger Marktabschottung könnte man hier noch von rund 200 000 Arbeitsplätzen. Das belegt, dass die eine ganze Menge erreichen. Große Koalition die richtigen Rahmenbedingungen für Eines finde ich erstaunlich: Die Bundesregierung hat den Dienstleistungssektor gesetzt hat. in ihrer Antwort zumindest an einer Stelle eingestanden, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dass es zwischen der Öffnung des europaweiten Handels neten der SPD) mit Gütern und der Öffnung des europaweiten Handels mit Dienstleistungen kaum Unterschiede gibt. In diesem Der eingeschlagene Weg muss jetzt konsequent wei- Bereich handelt die Bundesregierung aber zu wenig. tergegangen werden, um die Innovations- und Investi- (B) Selbstverständlich sind industrielle Arbeitsplätze ge- (D) tionsbereitschaft der Unternehmen zu fördern. Hierzu nauso wichtig wie Arbeitsplätze im Dienstleistungsbe- gehören vor allem ein weiterer Bürokratieabbau, eine reich; gar keine Frage. Im zuletzt genannten Sektor ist vernünftige Unternehmensteuerreform und geeignete allerdings viel mehr zu tun. Rahmenbedingungen für bessere Finanzierungsmöglich- keiten der mittelständischen Betriebe in Deutschland. Ich frage mich, warum die Bundesregierung nicht mehr Mut zu Freizügigkeit und Marktöffnung gezeigt (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hat. Ein Beispiel dafür sind die Regelungen zu Saison- NEN]: Die Unternehmensteuerreform hat In- arbeitern und Erntehelfern. Wir haben es hier mit einem novationen eher behindert!) Gesetz zu tun, das korrigiert worden ist. Die Quote der Helfer für die Ernte von Obst und Gemüse wurde auf Die Große Koalition wird in diesem Sinne und im Inte- 300 000 Arbeitnehmer gesenkt. Die restriktive Rege- resse der Menschen in unserem Land die Beschäfti- lung, dass osteuropäische Erntehelfer nur vier Monate gungspotenziale des Dienstleistungssektors weiterhin im Jahr in Deutschland arbeiten dürfen, entspricht nicht fördern und stärken. dem, was EU-weit üblich ist. Andere Länder wie die Liebe Frau Dückert, ich würde mich sehr freuen, Niederlande, Großbritannien, Irland und Spanien sind wenn wir aufgrund der besonderen Bedeutung dieses viel weiter vorgeprescht und haben die Öffnung des Bereichs das verwirklichen könnten, was Sie am Ende Marktes über das ganze Jahr hinweg vereinbart. Ihrer Rede angedeutet haben, nämlich gemeinsam für (Dr. Rainer Wend [SPD]: Aha! Da ist also das das Ziel von mehr Beschäftigung in diesem Bereich zu ganze Jahr lang Saison! Interessant!) kämpfen. Sie von den Grünen sind herzlich dazu einge- laden, die Große Koalition und die Bundesregierung auf Ich habe in meinem eigenen Wahlkreis erlebt, dass ihrem vernünftigen Weg zu unterstützen. Spargel- und Erdbeerfelder mittlerweile sogar plattge- pflügt werden, weil es einfach nicht genügend Erntehel- Herzlichen Dank! fer gibt, die den nötigen Ertrag gewährleisten könnten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Klaus Barthel [SPD]: Ja! Weil sie in Groß- britannien besser bezahlt werden!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: In diesem Bereich verlieren wir also auch Ertrags- und Das Wort hat nun Kollegin Gudrun Kopp, FDP-Frak- Beschäftigungspotenzial; das sei nur als ein Beispiel er- tion. wähnt. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) 15924 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Gudrun Kopp (A) Was tut die Bundesregierung stattdessen, und zwar Anfrage auf die Tagesordnung gebracht haben. Es zeigt (C) sehr ausgiebig? Die Bundesregierung konzentriert sich sich aber, Frau Dückert, dass Ihren Fragen ein System vor allem auf das Thema „gesetzliche Mindestlöhne“ fehlt: Bei 236 Fragen sehen Sie doch selber den Wald und sucht darin ihr Heil. vor lauter Bäumen nicht. Ein Drittel Ihrer Fragen er- übrigt sich, weil man die Antwort in Datenbanken nach- (Klaus Barthel [SPD]: Ja! Sehr vernünftig!) lesen kann, Passend zu unserer heutigen Debatte kam gestern eine (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Studie des Ifo-Instituts, NEN]: Herr Oberlehrer!) (Klaus Barthel [SPD]: Ach! Haben die also zum Beispiel beim Statistischen Bundesamt. Darüber hi- auch mal wieder zugeschlagen! Na ja!) naus muss man feststellen, dass Sie sich in Details ver- des Instituts der deutschen Wirtschaft, des HWWI und zetteln und nicht zum Kern der Probleme kommen. des DIW in Berlin auf den Markt, in der sehr deutlich Frau Dückert, Sie haben beklagt, dass die Bundes- zum Ausdruck kommt, dass eine gesetzliche Lohnunter- regierung zu Energiedienstleistungen nichts gesagt hat. grenze – in Deutschland wird eine Lohnuntergrenze von Wenn Ihnen dieser Bereich so wichtig ist, warum haben 7,50 Euro avisiert – für die Beschäftigung kontraproduk- Sie ihn dann nicht in einer Ihrer 236 Fragen angespro- tiv wäre. Die Institute haben nachgewiesen, dass dies chen? Sie haben sich ja auch sonst durch alle möglichen insbesondere im Dienstleistungsbereich ein enormes Be- Bereiche gearbeitet. Warum soll die Bundesregierung et- schäftigungspotenzial kosten würde, sollte die Bundes- was zu Energiedienstleistungen sagen, wenn danach regierung hier eine gesetzliche Lohnuntergrenze einzie- nicht gefragt wurde? hen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Durch die bewährten Transfers – dabei handelt es sich CDU/CSU) wohlgemerkt um staatliche Transfers – zur sozialen Ab- sicherung werden in Deutschland bereits heute Brutto- Sie haben nach der Zahl der Arbeitsplätze in den ein- stundenlöhne von 4 bis 5 Euro für Alleinstehende und zelnen Dienstleistungssektoren gefragt. Die Zahl ver- von bis zu 10 Euro für Verheiratete mit Kindern gezahlt. schleiert mehr, als sie aussagt. Sie fragen nicht, was das eigentlich für Arbeitsplätze sind – sozialversicherungs- Hinzu kommen Zusatzzahlungen zur Sicherung des so- pflichtige oder Minijobs, Teilzeit oder Vollzeit –, wie die zialen Existenzminimums für ALG-II-Bezieher. Arbeitsbedingungen aussehen und wie sich der jeweilige Wie Sie sehen, wäre es viel besser, wenn Sie sich an Bereich über die Zeit entwickelt hat. Das ist doch der dieser Stelle nicht auf die Diskussion über die Einfüh- Kern der Dienstleistungsdebatte, die wir zu Recht füh- (B) rung von Mindestlöhnen beschränken würden. Vielmehr ren. (D) sollten Sie dafür sorgen, dass Deutschland ein vernünfti- (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ges, gerechtes und einfaches Steuersystem bekommt. NEN]: Wenn Sie das interessiert, können Sie Gegenwärtig ist es so, dass der Konsum durch die Mehr- ja eine Anfrage an die Regierung richten!) wertsteuererhöhung und viele andere Ihrer Maßnahmen ausgebremst und dadurch die Schaffung von Arbeitsplät- Warum hinterfragen Sie nicht, zen behindert wird. (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Dr. Rainer Wend [SPD]: Ja, ja! Aber die Erb- NEN]: Fragen Sie doch selber! Wessen Bun- schaftsteuer sollen wir abschaffen!) desregierung ist das denn?) Sie sollten durch vereinfachte Regelungen, die eine warum das Arbeitsvolumen gesamtwirtschaftlich seit wirkliche Freizügigkeit und eine Öffnung des Marktes 1990 sinkt, während im Dienstleistungsbereich, in dem gewährleisten, für mehr Beschäftigung in Deutschland das Arbeitsvolumen leicht steigt, die Zahl der Beschäf- Sorge tragen. Das wäre den Beschäftigten in Deutsch- tigten überproportional, nämlich um 15 Prozent, zuge- land zuträglich. Es würde uns als Exportnation Nummer nommen hat? Es ist doch mit den Händen zu greifen, eins gut zu Gesicht stehen, wenn wir an dieser Stelle Frau Dückert! Doch es scheint Sie nicht zu interessieren voranschreiten würden, statt uns in Ängstlichkeit und – auch jetzt nicht –, dass der Dienstleistungssektor der Protektionismus zu ergehen. Ich wünschte mir von der Bereich ist, in dem sich Prekarität, Minijobs und Leih- Bundesregierung viel mehr Mut zur Veränderung. arbeit massiv ausbreiten. Danke sehr. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der FDP) Spannenderweise geschieht diese Prekarisierung und Marginalisierung, diese Entwicklung zu einem Niedrig- lohnsektor gerade nicht in den Bereichen, die sich dem Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: internationalen Wettbewerb stellen müssen, gerade nicht Das Wort hat nun Klaus Barthel, SPD-Fraktion. in den Bereichen, in denen es Druck durch die Globali- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sierung gibt. (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Klaus Barthel (SPD): NEN]: Wer ist es denn, der den Mindestlohn Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die nicht durchsetzt? Das sind Sie! Sie sind an der Grünen sind dafür gelobt worden, dass sie ihre Große Regierung!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15925

Klaus Barthel (A) – Hören Sie doch einmal zu, anstatt dazwischenzurufen! – (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE (C) In der industriellen Exportwirtschaft entwickeln sich die GRÜNEN]: Aha!) Arbeitsbedingungen relativ günstig. Die nicht verlager- baren Dienstleistungen – vom Friseur bis zu den Boden- Was den Export angeht, stoßen wir auf ein zentrales verkehrsdiensten an Flughäfen – sind es, die von Niedrig- Problem dieser Debatte, nämlich auf die fehlenden sta- lohnverhältnissen geprägt sind. tistischen Grundlagen zur Erfassung dessen, was wir heute diskutieren. Wenn heute ein deutsches Unterneh- (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- men eine Anlage oder eine Maschine ins Ausland ver- NEN]: Deswegen sollen Sie den Mindestlohn kauft, dann ist es vor allen Dingen deswegen erfolgreich, durchsetzen, Herr Kollege!) weil es unter anderem auch die Reparatur, Wartung, In- standhaltung, Nachrüstung und Beratung mitverkauft. Deswegen müssen wir heute einiges klären. Der Hin- Diese arbeitsintensiven und qualifizierten Dienstleistun- weis der Bundesregierung darauf, dass der hohe Anteil gen tauchen aber nicht in der Statistik auf, weil sie zu- der Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor sowie der mindest größtenteils mit dem Preis der Maschine ver- Anteil, den die Dienstleistungen an der Wertschöpfung rechnet werden. der Gesamtwirtschaft haben, nichts über eine mögliche Dienstleistungslücke aussagt, ist richtig. Internationale (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vergleiche, wie Sie sie wieder bemüht haben, sind ge- NEN]: Ist das jetzt ein Vorwurf an uns oder fährlich. Zum Beispiel hat die neoliberale Rosskur in vielleicht an Sie? – Christine Scheel [BÜND- den 80er- und 90er-Jahren in Großbritannien den Dienst- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das unser Problem leistungsanteil der dortigen Volkswirtschaft enorm ge- oder Ihres?) steigert. Der Grund dafür war aber nicht etwa eine er- Die Bundesregierung weist in ihren Antworten mehrfach folgreiche Expansion der Dienstleistungen, sondern der auf derartige Defizite in der Statistik hin und macht deut- beispiellose Niedergang der britischen Industrie, von lich, dass wir dabei sind, sie zu beheben. dem sich die britische Volkswirtschaft bis heute nicht er- holt hat. Diese statistischen Defizite führen – zusammen mit unserem männlich dominierten Arbeitsbegriff – dazu, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) dass die Bedeutung, die Dienstleistungen schon heute als In Großbritannien haben wir nach wie vor eine Mono- Voraussetzung für den ökonomischen Erfolg haben, sys- struktur von Finanzdienstleistungen und Erdöl. So konn- tematisch unterschätzt wird. Aufgrund dieser Tatsache ten wir seinerzeit beobachten, wie die Kneipen in der werfen viele Sachverständige – auch Frau Kopp von der Londoner City auf die Anschaffung von Spülmaschinen FDP hat sich heute leider ähnlich geäußert – immer noch (B) verzichtet haben, weil genügend Billigarbeitskräfte ver- die Dienstleistungen mit Jobs im Niedriglohnsektor bei (D) fügbar waren, die bereit waren, mit der Hand zu spülen. niedriger Produktivität und Qualifikation in einen Topf. Deindustrialisierung und Lohndumping, das kann nicht (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE die Vision von einer Dienstleistungsvolkswirtschaft sein. GRÜNEN]: Das haben Sie doch gerade ge- (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- macht!) NEN]: Das ist doch völlig klar!) Wenn Ihnen nichts anderes zur Dienstleistungswirt- schaft einfällt, als die Obstpflücker als Zukunftsthema Wir können und wollen in Zukunft nicht davon leben, zu diskutieren, dann haben Sie als Wirtschaftspartei ver- uns gegenseitig die Haare zu schneiden. Eine Gesell- sagt. schaft kann aber auch nicht davon leben, sich gegensei- tig Devisen, Versicherungsverträge, Aktien, Derivate (Beifall bei der SPD und der LINKEN) und Hypothekenpfandbriefe zu verkaufen. Notwendig ist in erster Linie, die Dienstleistungsfor- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) schung voranzutreiben, die Dienstleistungsstatistik zu verbessern Deswegen ist es notwendig, dass die Bundesrepublik ein starker Industriestandort bleibt. Trotz aller Erfahrungen (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE mit Siemens, Nokia und wie sie alle heißen eilen wir von GRÜNEN]: Das ist richtig!) Exportrekord zu Exportrekord. Wenn das Statistische Bundesamt im vorigen Jahr es nicht schwarz auf weiß und den Dienstleistungssektor als Innovationstreiber zu belegt hätte, dann hätte ich es selbst kaum geglaubt: Un- begreifen. sere Exportwirtschaft hat im vergangenen Jahrzehnt (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht nur immer mehr Waren ins Ausland verkauft, son- NEN]: Diese richtigen Erkenntnisse stehen dern auch die Zahl der Arbeitsplätze erhöht. 1995 waren aber leider nicht in der Antwort!) 5,9 Millionen Menschen in der Exportwirtschaft tätig; 2006 waren es bereits 8,3 Millionen. Es gibt eine Reihe von Beispielen wie Energiedienst- leistungen, Verkehr, Bildung und Betreuung, auf die ich Der Wert unserer Warenexporte stieg um das Dop- aus Zeitgründen nicht näher eingehen kann. pelte bzw. sechsmal so schnell wie die Binnennachfrage. Leider liegt der Warenexportweltmeister Deutschland (Gudrun Kopp [FDP]: Das ist alles Theorie, beim Dienstleistungsexport nur an dritter Stelle. aber die Praxis fehlt!) 15926 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Klaus Barthel (A) Die schrittweise Durchsetzung von Ganztagsschulen und Klaus Barthel (SPD): (C) Kinderbetreuung beweist die volkswirtschaftliche und Es ist völlig richtig, dass die Bundesregierung den gesellschaftliche Bedeutung einer solchen Innovation. Dienstleistungssektor in den Kontext ihrer Innovations- Bessere Bildung und Betreuung in Verbindung mit der politik und ihrer Hightech-Strategie für Deutschland ein- Teilnahmemöglichkeit von Frauen am Erwerbsleben ordnet, wie es in der Antwort auf die Frage 14 beschrie- sind Beispiele für einen solchen dienstleistungsgetriebe- ben wird, und dabei die Ziele Innovation, Qualität, nen sozialen Innovationsprozess, der gleichzeitig die Qualifikation und attraktive Arbeitsverhältnisse in den Voraussetzung für den Erfolg der Industrie und auch der Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stellt. technischen Innovation ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Auch zur Gesundheit und Pflege ließe sich viel aus- der CDU/CSU) führen. Wenn wir nichts gegen die Angst vor dem Alter und vor Hilfsbedürftigkeit tun und denjenigen nicht hel- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: fen, die in finanzieller und menschlicher Not leben, dann Das Wort hat nun Barbara Höll, Fraktion Die Linke. wird es nicht zu einer zukunftsorientierten und optimisti- schen Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft kommen, die auch den Kindern und Enkelkindern zu- Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): gute kommt. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Große Anfrage der Grünen zeugt nicht nur von lobens- Deswegen sind langfristig der Aufbau von Strukturen, werter Umsicht und viel Fleiß. Sie legt vor allem den die Qualifizierung von Menschen und die Schaffung von Finger auf wunde Punkte der gegenwärtigen Beschäfti- Arbeitsplätzen mit guten Arbeitsbedingungen in diesem gungs- und Arbeitsmarktpolitik. Leider haben Sie es ver- Bereich notwendig. säumt, in Ihrer Anfrage nach der Art der Jobs zu fragen, die in den letzten Jahren im Dienstleistungssektor ent- (Gudrun Kopp [FDP]: So viel Zeit haben wir standen sind und zum Wachstum der Beschäftigtenzah- aber nicht mehr!) len in diesem Bereich beigetragen haben, sowie nach de- Man darf also Dienstleistungen nicht als Abfallpro- ren sozialer Ausgestaltung. Dennoch wird wie in einem dukt und Restgröße der Industriegesellschaft begreifen, Brennglas in den Antworten der Bundesregierung deut- sondern muss sie als eigenen innovativen und innova- lich, welche erheblichen Defizite existieren: einerseits tionstreibenden Bereich sehen. nach wie vor und trotz des Aufschwungs eine hohe So- ckelarbeitslosigkeit und andererseits brachliegende Be- Die Dienstleistungen werden aber nur dann zum Job- schäftigungspotenziale, die zwar bekannt sind, bei denen (B) motor – damit komme ich zum letzten Punkt –, wenn sie die Politik aber nichts dafür tut, dass sie ausgeschöpft (D) im Bewusstsein und in der Qualität gezielt aufgewertet werden. werden. Dienstleistungsarbeit muss gute Arbeit sein und darf sich nicht zum Niedriglohnsektor weiterentwickeln. Mit Recht fragen die Abgeordneten der Grünen, warum die Bedeutung des Dienstleistungssektors in Deutschland (Gudrun Kopp [FDP]: Was ist gute Arbeit?) im europäischen Vergleich relativ gering ist, obwohl ge- rade hier beträchtliche Beschäftigungspotenziale für die Gerade deswegen braucht der Dienstleistungssektor ei- Zukunft liegen. Nimmt man allein die aus der demogra- nen Mindestlohn. Frau Kopp, darauf zu setzen, dass die fischen Entwicklung resultierenden neuen Herausforde- helfenden Berufe zum Beispiel nicht streikfähig sind und rungen, stellt man fest, dass hierin große Chancen für man deswegen mit Erzieherinnen, Krankenschwestern mehr Beschäftigung und gute Arbeit sowie ein besseres und Behindertenbetreuern machen kann, was man will, Leben stecken. Ein aus beschäftigungspolitischer Sicht ist schlicht zynisch. besonders zukunftsträchtiger und arbeitsintensiver Be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten reich sind zum Beispiel die häuslichen und stationären der LINKEN – Gudrun Kopp [FDP]: Sie set- Pflegedienstleistungen. Der demografische Wandel führt zen auf Mindestlohn!) zu einem steigenden Bedarf auf diesem Gebiet und da- mit zu mehr Beschäftigung. Die Bundesregierung und Zu einer tragfähigen Strategie und zur Sicherung gu- die Große Koalition verpassen es jedoch leider, das ter Löhne gehören in diesem Zusammenhang Qualifika- Potenzial, das in diesem Bereich liegt, auszuschöpfen. tion und eine gute Ausbildung. Für viele zukunftsträch- Einerseits betreibt die Bundesregierung durch die Priva- tige Berufe im Dienstleistungsbereich gibt es aber bisher tisierung von Pflegedienstleistungen passiven Arbeits- keine adäquaten Ausbildungen. Es besteht ein Dschun- platzabbau. Andererseits verhindert sie die Entstehung gel aus Sonderausbildungen schulischer Art. Das duale neuer Arbeitsplätze durch die Förderung und Subventio- System muss deswegen dahin gehend reformiert werden, nierung der Pflege innerhalb der Familie. Ein Blick auf dass für Dienstleistungsberufe gezielter und systemati- die skandinavischen Länder, vor allem auf Schweden, scher ausgebildet wird. Sie müssen in das duale System kann hier helfen. Dort wird eine aktivierende Arbeits- aufgenommen werden, solange es nicht um akademische marktpolitik betrieben. Der Staat übernimmt als Arbeit- Anforderungen geht. geber eine Schlüsselrolle bei der Produktion sozialer Dienstleistungen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Will man dieses Potenzial für den Arbeitsmarkt er- Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen. schließen, muss ein neues Denken in die Beschäfti- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15927

Dr. Barbara Höll (A) gungs- und Arbeitsmarktpolitik Einzug halten. Der Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 13 auf: (C) Markt kann es, wie man bereits heute sieht, nicht mehr richten. Zugegebenermaßen handelt es sich um kom- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- plexe gesellschaftliche Prozesse im Spannungsfeld zwi- schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans- schen Ausbildungs- und Weiterbildungsträgern, Unter- nehmen und öffentlichen Institutionen. Sie betreffen Joachim Fuchtel, , Norbert Barthle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion nicht nur die Ermittlung neuer Ausbildungs- und Weiter- der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Monika bildungsprofile und deren Umsetzung in entsprechende Lehrinhalte. Völlig neue Anforderungen ergeben sich für Griefahn, Lothar Mark, Dirk Becker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD eine an öffentlichen Interessen orientierte Arbeitsmarkt- politik mit relativ genauen qualitativen und quantitativen Erneuerbare Energien wie Solarenergie, Geo- Parametern, mit territorial zu berücksichtigenden Vertei- thermie, Wind- und Wasserkraft für die Ener- lungen von Arbeitskräften und mit neuen Finanzierungs- gieversorgung deutscher Einrichtungen im erfordernissen für die Sicherung von Weiterbildungspro- Ausland einsetzen – für Klimaschutz und zessen. Nachhaltigkeit Wichtig sind also Qualifizierung und Weiterbildung – Drucksachen 16/7489, 16/7910 – der im Dienstleistungssektor beschäftigten Personen. Berichterstattung: Doch gerade hier fehlt ein verstärktes Engagement der Abgeordnete Erich G. Fritz Bundesregierung. Sie äußert zwar den Willen, durch Monika Griefahn Qualifizierung der Beschäftigten niedrige Entlohnung und prekäre Arbeitsverhältnisse zu überwinden, jedoch Monika Knoche geht sie in ihren Antworten und in ihrer Politik nicht dar- Jürgen Trittin auf ein, wie dies geschehen soll. Mehr noch, sie schafft sogar prekäre Beschäftigungsverhältnisse, indem sie ge- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die ringfügige Beschäftigung als solche fördert. Frau Kopp Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre hat die Zahlen genannt. Es ist katastrophal, wenn man dazu keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. von seiner Hände Arbeit nicht leben kann und auf Trans- ferleistungen angewiesen ist. Deshalb ist ein gesetzlicher Ich eröffne die Aussprache und gebe Monika Griefahn für die SPD-Fraktion das Wort. Mindestlohn erforderlich.

(Beifall bei der LINKEN) Monika Griefahn (SPD): (B) Frau Präsidentin! Meine lieben verbliebenen Kolle- (D) Nicht zuletzt geht es um wichtige soziale Aspekte, für ginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir heute die es gesellschaftliche Orientierungen geben muss. In eine Initiative beschließen können, mit der wir viel mehr den vergangenen zwei Jahren ist deutlich geworden, erreichen, als vielleicht offensichtlich wird. Mit unserem dass der wirtschaftliche Aufschwung gerade im Dienst- Koalitionsantrag wollen wir dazu beitragen, dass zu- leistungssektor zu einer hohen Zahl prekärer Arbeitsver- künftig erneuerbare Energien für die Energieversorgung hältnisse geführt hat. So sind fast 50 Prozent der Gebäu- der deutschen Vertretungen im Ausland stärker einge- dereiniger Minijobber, die zusätzlich auf Hartz IV setzt werden. Das kann Solarenergie oder Geothermie angewiesen sind. Der Minijob als Sprungbrett zu sozial- sein; wir setzen auch auf mehr Wind- und Wasserkraft versicherungspflichtiger Beschäftigung hat sich als sowie – das ist besonders wichtig – auf Maßnahmen zur Illusion erwiesen. Häufig ist es umgekehrt: Sozialversi- Energieeffizienz wie Kraft-Wärme-Kopplung oder Kraft- cherungspflichtige Stellen werden in Minijobs umge- Kälte-Kopplung. wandelt. Wir fordern nicht nur Botschaften und Konsulate, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: sondern auch Mittlerorganisationen wie das Goethe- Institut oder deutsche Schulen auf, bei Neubauten oder Frau Höll, kommen Sie bitte zum Schluss. Sanierungen erneuerbare Energien einzuplanen und zu nutzen. Besonderen Wert legen wir darauf, dass Archi- Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): tekten bei ihren Planungen darüber nachdenken, wie Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. – Um die Ar- man das ganze Gebäude energietechnisch sinnvoll ge- beitsbedingungen im Dienstleistungssektor ist es häufig stalten kann. Zu diesem Zweck sollen zwei Programme schlecht bestellt. Wir brauchen hier eine neue Politik, die mit den entsprechenden Geldern zur Verfügung stehen. die gegebenen Möglichkeiten ausnutzt. Dafür brauchen Das ist zum einen das Sanierungsprogramm für deutsche wir aber auch einen entsprechenden Wechsel. Vertretungen im Ausland, zum anderen das 120-Millio- nen-Euro-Programm der Bundesregierung zur energeti- Ich danke Ihnen. schen Sanierung von Bundesliegenschaften. (Beifall bei der LINKEN) Wenn ich sage, dass wir mit dieser Initiative viel mehr erreichen, als vielleicht offensichtlich wird, dann meine ich damit Folgendes: Dieser Beitrag zum Umweltschutz Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: im Ausland ist ebenso wichtig wie das, was wir bei uns Ich schließe die Aussprache. in Deutschland machen. Allerdings hat es den Nachteil, 15928 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Monika Griefahn (A) dass es im eigenen Land weitaus weniger wahrgenom- eine halbe Million Wohnungen hier in Deutschland ge- (C) men und deshalb leicht vernachlässigt wird. Dabei gibt fördert wurden. es viele Länder, in denen Klimaschutz durch alternative Energien besonders leicht möglich ist. Ägypten zum Das, was wir hier im Inland für den Klimaschutz leis- Beispiel hat rund 300 Sonnentage im Jahr. Ich brauche ten, sollten wir auch bei unseren eigenen Gebäuden im Ihnen nicht zu erzählen, wie ertragreich dort eine Solar- Ausland tun. Dazu gehört die energetische Gebäudesa- anlage sein kann. Angesichts der zahlreichen sichtbaren nierung genauso wie die Nutzung erneuerbarer Energien, Zeichen, die der Klimawandel bereits jetzt überall auf zum Beispiel durch Solardächer auf Goethe-Instituten. der Welt hinterlässt, dürfen wir als Deutsche unsere Wie gesagt: Es gibt etliche Länder, die geografisch viel Möglichkeiten im Ausland nicht ungenutzt lassen. bessere Ausgangssituationen für die Nutzung erneuerba- rer Energien haben als wir. Zusammen mit meinem Kollegen Hans-Joachim Fuchtel habe ich auf unseren letzten Reisen als Mitglied Ich bin deshalb so überzeugt, dass wir in diesen Be- der Interparlamentarischen Union und natürlich auch in reich viel Geld und Herzblut investieren sollten, weil wir den Fachausschüssen die Notwendigkeit dieses umwelt- mit regenerativen Energien und der entsprechenden politischen Engagements sehr deutlich erfahren. Technik viel erreichen können. Ist nicht die Tatsache, Ich erwähnte eben Ägypten. Anlässlich einer Konfe- dass man mit Solarenergie nicht nur heizen, sondern renz, die wir im Rahmen unserer auswärtigen Kultur- auch kühlen kann, besonders vielversprechend? Schließ- politik in Kairo veranstaltet haben, besuchten wir das lich nutzen auf der Welt viele Leute jede Menge Energie Goethe-Institut, das gerade einen Neubau plant. Auf die für Klimaanlagen und andere Kühlvorrichtungen. Fach- Frage, ob denn dort auch eine Solarenergieanlage ge- leute sagen, dass effiziente solarthermische Kühlsysteme plant sei, wurde geantwortet, das sei nicht der Fall, da helfen, die Stromkosten um bis zu 70 Prozent zu redu- Strom in Ägypten subventioniert werde und der Bau zieren. Das sollte jeden Zweifler überzeugen. Neben sol- ohne Solaranlage somit günstiger sei. Das ist ein falscher chen Anlagen ist es ebenso wichtig, bereits bei der Kon- und kurzsichtiger Weg. zeption eine energiesparende und effiziente Bauweise im Blick zu haben. Es ist eine Herausforderung für Archi- (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Sehr tekten, Ästhetik und Energieeffizienz zusammenzubrin- richtig!) gen. Auch das gehört dazu; denn nicht immer hilft nur Wir fordern mit unserer Initiative das nötige Umdenken, das dem Klimaschutz, was man auf den ersten Blick se- auch von den deutschen Einrichtungen im Ausland und hen kann. damit auch vom Bundesrechnungshof, der immer die Der zweite Grund für die Initiative ist die Vorbild- billigste Bauvariante fordert. Nein, die deutschen Ein- (B) funktion, die wir auch in anderen Ländern mit einer sol- (D) richtungen im Ausland sollten gar nicht anders handeln chen Initiative haben werden. Die Vertretungen Deutsch- dürfen, als sich für erneuerbare Energien zu entscheiden. Deshalb müssen wir als Parlament den Ministerien Auf- lands im Ausland sind immer auch ein Symbol und lagen in dieser Hinsicht machen. Referenzobjekt für unser Land, unsere Kultur, unsere Werte und unsere Vorstellungen. Sie sind stark von Men- Es geht uns mit dem Programm nicht in erster Linie schen frequentiert, die für Neues offen sind, die sich für um die Energiesituation in den einzelnen Ländern. Viel- Deutschland interessieren und alles, was sie erfahren, in- mehr sollen die Planer wissen, dass wir von ihnen eine ternational weitergeben. Wenn Gäste in ein Goethe-Insti- besonders nachhaltige und energetische Bauweise er- tut kommen, dann stoßen sie in der Bibliothek auf deut- warten, egal wie billig zurzeit der Strom vor Ort ist. Das sche Literatur, in den Sprachkursen auf deutsche kann sich ganz schnell ändern. Auch dafür gibt es genug Sprache und in den Gesprächsrunden und Veranstaltun- Beispiele. gen auf deutsche Kultur. Wir wollen, dass diese Gäste In meinen Augen sprechen drei grundlegende auch sehen, dass wir in Deutschland für einen guten und Gründe ganz klar für diese Initiative: erstens der Klima- nachhaltigen Umgang mit der Umwelt eintreten. Wir schutz, zweitens unsere Vorbildfunktion – wenn wir uns können und sollten vor Ort zeigen, dass es für jeden ganz auf G-8-Treffen und europäischen Gipfeln immer für verschiedene Möglichkeiten gibt, sich für die effizien- den Klimaschutz einsetzen, dann müssen wir überall auf tere Nutzung von Energie einzusetzen. Das ist eben auch der Welt zeigen, dass wir es ernst meinen – und drittens ein Teil der deutschen Gesellschaft und Kultur, die un- der Aspekt der Wirtschaftsförderung. Der erste Grund, sere Gäste kennenlernen können. Nicht umsonst wun- der Klimaschutz, ist der wichtigste. Klimaschutz bedeu- dern sich viele Besucher, die wir in Deutschland haben, tet Schutz des eigenen Lebens und der eigenen Gesund- oftmals über unsere penible Art, Müll zu trennen oder heit. Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee hat vor we- das Licht auszuschalten, wenn wir nicht im Raum sind, nigen Tagen gerade in Deutschland die zweite Phase der was in anderen Ländern noch nicht so üblich ist. Um ge- Informationskampagne zur Finanzierung der CO2-Ge- nau das weiterzugeben, ist es uns auch wichtig gewesen, bäudesanierung gestartet. Viele haben sicherlich schon bei den zu installierenden Anlagen gleich die Möglich- am Hauptbahnhof die Litfaßsäulen mit den lustigen ro- keiten der Besichtigung und Vorführung zu berücksichti- ten Strickmützen gesehen, die auf die Möglichkeiten der gen. Besucher der Botschaften sollen mehr über die So- Energieeinsparung bei der Sanierung von Wohnraum laranlage auf dem Dach der Botschaft erfahren können, aufmerksam machen. Ich finde, das ist ein ganz tolles sie inspizieren und die Vorteile der Technik auch selber Förderprogramm, mit dem inzwischen schon weit über sehen können. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15929

Monika Griefahn (A) Damit bin ich beim dritten Grund unserer Initiative: (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (C) die Werbung für unsere Wirtschaft. Deutschland gehört zu den führenden Nationen, wenn es um Umweltschutz, Ich kann vollkommen nachvollziehen, dass man dafür Energieeffizienz, erneuerbare Energien und die damit Zeichen setzen will, erst recht, dass wir mit deutschem verbundene Technik geht. Das sollten wir auch in unse- Know-how für uns und für deutsche Unternehmen wer- ren Auslandsvertretungen in aller Welt zeigen. Damit ben wollen. machen wir ein Stück weit Werbung für diesen wichti- Trotzdem muss man sich doch allen Ernstes die Frage gen Wirtschaftszweig. Immerhin arbeitet in Deutschland stellen, ob mit diesem Antrag wirklich die richtigen schon eine Viertelmillion Menschen in diesem Bereich; Schwerpunkte gesetzt werden. Es gibt, wie wir alle wis- sie haben einen sicheren Arbeitsplatz. Bis 2020 sollen sen, bei den deutschen Einrichtungen im Ausland eine 100 000 zusätzliche Stellen geschaffen werden. Reihe ernsthafter Strukturprobleme, insbesondere im Ich glaube, wir sind mit dieser Initiative auf einem Bereich der personellen, der räumlichen und der materi- guten Weg. Jetzt kommt es nur darauf an, dass die Ver- ellen Ausstattung. Diese Probleme gefährden vielerorts tretungen vor Ort von der Möglichkeit Gebrauch ma- die Leistungsfähigkeit unseres diplomatischen Dienstes, chen, die diese Neuregelung bietet. Ich bitte Sie ganz mit allen damit zusammenhängenden negativen Auswir- herzlich: Machen Sie auf Ihren Reisen in den Schulen, in kungen auf die Serviceleistungen für deutsche Bürger im den Botschaften und bei den Partnerorganisationen auf Ausland. diese Möglichkeit des Klimaschutzes aufmerksam und (Beifall bei der FDP) werben Sie dafür! Zudem schwächen sie die Fähigkeit, unsere Interessen in In diesem Jahr haben wir eine große Initiative für den der Welt durchzusetzen. Ausbau des Netzes der deutschen Schulen gestartet. Die Zahl der Partnerschulen soll auf 1 000 erhöht werden. Wir, die FDP-Fraktion, haben im Auswärtigen Aus- Dafür stehen 40 Millionen Euro extra zur Verfügung. Ich schuss schon mehrfach den Antrag gestellt, endlich die hoffe, dass wir immer, wenn wir vor Ort über entspre- pauschalen Stellenkürzungen im Bereich des Auswärti- chende Projekte reden, wenn Gebäudesanierungen an- gen Amtes zu beenden. Minister Steinmeier beziffert die stehen bzw. Gebäude neu angemietet oder gebaut wer- dadurch entstehenden zusätzlichen Kosten mit 1,6 Mil- den sollen, dafür werben, dabei die richtige Technik zu lionen Euro pro Jahr. Leider lehnt die Koalition unsere nutzen. Damit können wir in diesen Ländern sehr viel Vorschläge immer wieder ab. für diesen Bereich tun. (Zuruf von der FDP: Völlig unverständlich!) Jeder von Ihnen – jeder von uns – kann im Rahmen (B) seiner Reichweite und Möglichkeiten für mehr Anlagen Heute werden Sie allen Ernstes einen Antrag annehmen, (D) zur Gewinnung erneuerbarer Energien auf deutschen der im Bundeshaushalt ein Vielfaches der Kosten verur- Gebäuden im Ausland werben. Nicht nur im Parlament, sachen, aber in der Sache der erwähnten Strukturpro- sondern auch beim Klimaschutz ist oft viel detaillierte bleme zu keiner Verbesserung führen wird. Kleinarbeit nötig. Wenn aber jeder einen kleinen Teil (Beifall bei Abgeordneten der FDP) beiträgt, dann schaffen wir zusammen etwas wirklich Großes. Ich freue mich, dass wir heute diesen Antrag Ich bin mir nicht sicher, ob es Absicht gewesen ist, verabschieden können. dass der Haushaltsausschuss bei diesem Antrag gar nicht erst mitberaten hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Herzlichen Dank für die Unterstützung. der Koalition, Sie fordern in Ihrem Antrag, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) … bei allen Gebäuden des Bundes im Ausland wie Botschaften, Konsulaten, deutschen Schulen, Goethe- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Instituten, EZ-Büros und anderen höchste Stan- Der Kollege Harald Leibrecht hat jetzt das Wort für dards der Energieeffizienz umzusetzen und bei die FDP. Wärme-/Kälte- und Stromerzeugung regenerative Energien zu nutzen. (Beifall bei der FDP) Wir sprechen also über nicht weniger als mindestens Harald Leibrecht (FDP): 228 deutsche Auslandsvertretungen, 147 Goethe-Insti- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! tute, 117 Auslandsschulen; hinzu kommt das, was im In dem von der Koalition vorgelegten Antrag stehen Antrag als „andere“ bezeichnet wird. viele wichtige und richtige Dinge. Keine Frage: Der Kli- Wenn das wirklich umgesetzt würde, wäre man ganz mawandel ist eine der zentralen Herausforderungen für schnell im dreistelligen Millionenbereich plus Folgekos- die globale Entwicklung des 21. Jahrhunderts, und zwar ten, ohne dass hierdurch die Effizienz und Effektivität nicht nur in ökologischer, sondern auch in gesellschaftli- der Arbeit unserer Auslandsvertretungen verbessert cher, wirtschaftlicher und möglicherweise auch in si- würde. Man muss ernsthaft die Frage stellen, ob dies die cherheitspolitischer Hinsicht. Ja, Deutschland soll, wie richtige Schwerpunktsetzung ist, ob es nicht dringendere alle hochindustrialisierten Länder, an der Spitze jener Probleme gibt. stehen, die sich für Klimaschutz einsetzen. Dazu gehö- ren natürlich auch der Einsatz regenerativer Energien Dabei kann man bei den deutschen Einrichtungen im und Fortschritte bei der Energieeffizienz. Ausland durchaus auch über bauliche Fragen sprechen. 15930 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Harald Leibrecht (A) Jeder von uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, kennt wir im Bereich der Energietechnologien führend sind. (C) deutsche Auslandsvertretungen und deren Probleme. Wenn wir das sind, dann sollten wir es mehr zeigen. Hier einige Beispiele: In der deutschen Botschaft in (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Accra gib es zurzeit keine getrennten Damen- und Her- neten der SPD und der Abg. Dr. Uschi Eid rentoiletten mehr, weil einer der Räume als Computer- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) raum genutzt werden muss; das ist der einzige klimati- sierte Raum dort. Oder nehmen Sie die Visastelle in Deswegen sage ich Ihnen: Jede Auslandsvertretung und Moskau! Dort sind seit Jahren Großraumbüros in engen jede Botschaft soll eine Energiebotschaft werden. Wohncontainern untergebracht, weil das Kanzleige- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oi, bäude asbestverseucht ist. Im Sommer ist es unerträglich oi, oi!) heiß und im Winter bitterkalt. Stünde die deutsche Vertre- tung in Belgrad in Deutschland, wäre sie wegen fehlenden Die Grundidee ist exzellent. Alle sind dafür – sogar Tageslichts, lausiger Beleuchtung, völlig unzureichen- die Grünen. der Brandschutzmaßnahmen und Arbeitssicherheitsmän- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der geln längst geschlossen. SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE Es gibt noch mehr Beispiele. Wir wissen um die Defi- GRÜNEN) zite bei der Erdbebensicherheit einer Reihe von deut- Sie hätten auch schon auf die Idee kommen können, als schen Auslandseinrichtungen in entsprechend gefährde- wir einen grünen Außenminister hatten. ten Regionen. In deutschen Auslandsschulen können viele bauliche Verbesserungen nur durch massives priva- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. tes Engagement der Eltern bewerkstelligt werden. Monika Knoche [DIE LINKE] – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: So sind die nicht!) Ob es angesichts solcher Zustände wirklich das rich- tige Zeichen ist, wenn wir einen – durchaus sinnvollen – So müssen wir es machen. dritten und vierten Schritt vor dem ersten machen, da Der FDP sage ich: Weil sie gerade keinen Außenmi- habe ich meine Zweifel. nister stellt, würde sie mit der Idee gern noch ein biss- (Beifall bei der FDP) chen warten, bis sie den Außenminister mal wieder stellt. Aber so lange können wir mit dem Thema nicht Zudem bin ich schon heute darauf gespannt, mit wel- warten. chen konkreten Vorschlägen zur Umsetzung dieses An- trags die Bundesregierung bei den nächsten Haushalts- Und wenn ich sage, dass die Grundidee exzellent ist, (B) verhandlungen auf uns zukommen wird. dann darf ich hinzufügen: Sie stammt von mir. (D) Ich danke Ihnen. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Heiterkeit bei der SPD und dem BÜND- (Beifall bei der FDP) NIS 90/DIE GRÜNEN – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ich habe das geahnt!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Feinschliff stammt allerdings von der Kollegin Der Kollege Hans-Joachim Fuchtel hat jetzt das Wort Griefahn und den Umweltpolitikern. Sie haben sich ein für die CDU/CSU-Fraktion. bisschen über das Thema unterhalten, bis sie erkannt ha- (Beifall bei der CDU/CSU) ben, dass man dafür Geld in die Hand nehmen muss. Wir haben uns aber, wie üblich in dieser Koalition, zusam- Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU): mengerauft und sind zu einem guten Ergebnis gekom- men. Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- legen! Ich möchte zunächst einmal den Kollegen Wenn der Klimawandel die zentrale Herausforderung Leibrecht beruhigen, der gesagt hat, dass der Haushalts- des 21. Jahrhunderts ist, dann liegt es doch auf der Hand, ausschuss nicht vertreten sei: Er steht hier, vertreten dass man erneuerbare Energien wie Solarenergie, Geo- durch mich, vor Ihnen. thermie, Wind- und Wasserkraft für die Energieversor- gung deutscher Einrichtungen im Ausland einsetzt und (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – damit ihre Priorität unterstreicht. Harald Leibrecht [FDP]: Ja, aber vorher nicht! – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: In ganzer Die Plattformen dafür sind die deutschen Einrichtun- Pracht!) gen im Ausland. Ich sage sehr ernst: Die Bundesrepublik Deutschland muss und wird durch ein klares Bekenntnis Ich sage Ihnen auch, dass wir diesen Antrag gerade zur Klimaschonung und zu Effizienzkriterien beim Bau aus Gründen der Effizienz befürworten. Er kann im Üb- und beim Umbau von deutschen Vertretungen im Aus- rigen zwei Schicksale erleiden: Entweder landet er in der land effektvoll für den Klimaschutz werben. Das ist die Registratur, oder es wird wirklich etwas gemacht. Wir Idee. Jetzt wird mit dem Antrag begonnen. Die 228 Bot- von der Koalition werden gemeinsam dafür sorgen, dass schaften und Generalkonsulate, die wir haben, sind aus etwas gemacht wird. unserer Sicht 228 Chancen, mit denen wir diese Situa- Deutschland ist ein Hightechland. Wir alle wissen, tion durch positive Beispiele und durch die Demonstra- dass der Klimaschutz ein wichtiges Thema ist und dass tion der heutigen Möglichkeiten verbessern können. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15931

Hans-Joachim Fuchtel (A) Lieber Herr Staatsminister, Sie müssen zuhören und Tat. Solch eine Maßnahme bringt natürlich auch weitere (C) sollten nicht nur in den Akten lesen. Anforderungen mit sich. Künftig muss es zu den Grund- kenntnissen eines Diplomaten gehören, dass er auch ein (Heiterkeit) paar Worte zum Klimaschutz sagen kann. Das ist gar Wir beauftragen die Bundesregierung hiermit, eine nicht so falsch, wenn das damit intendiert wird. größtmögliche Zahl an Gebäuden des Bundes im Aus- Wir erwarten, dass die Energiekonzepte auch für Be- land mit modernen Anlagen auszustatten. Die dafür zu- sucher sichtbar dargestellt werden. Das ist bereits gesagt ständigen Minister werden gebeten – sagen Sie das bitte worden. Wir erwarten, dass in den Eingangsbereichen den nicht anwesenden Kollegen! –, dies nicht im stillen der Botschaften und Residenzen Modelle aufgestellt Kämmerchen zu tun, Sie werden gebeten, dies nicht als werden und dass es auch Führungen für das Publikum geheime Staatsaktion durchzuführen, und Sie werden ge- gibt. Wir erwarten, dass für unsere deutschen Technolo- beten, daraus keine Doktorarbeiten zu machen, sondern gieanbieter Fachveranstaltungen in neuer Dimension er- sichtbar zu handeln. möglicht werden. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Hier (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. wird das Ganze auch greifbarer. Monika Griefahn [SPD]) Vielleicht können wir uns doch noch verständigen. Wir wollen nicht nur bessere Bedingungen schaffen, Sie haben sich im Ausschuss ja auch nicht dagegen aus- sondern wir wollen mit dieser Maßnahme einen völlig gesprochen, sondern sich nur enthalten. neuen Dialog eröffnen. Das haben Sie bisher vergessen. Sie haben hier ein bisschen flach gespielt. Jetzt kommt (Monika Griefahn [SPD]: Ach, flirte nicht im- der Überbau dieser Maßnahme. mer mit der FDP!) (Harald Leibrecht [FDP]: Sie kennen doch Ich habe gemerkt, dass Sie im Prinzip auch dafür sind, auch die Situation!) dass Sie als Opposition aber ein bisschen dagegen sein müssen. Wir wollen, dass auf diese Weise die Klimaschutzziele auf völlig neue und anschauliche Weise in die Welt hi- Meine Damen und Herren, das Thema kann auch in nausgetragen werden. Das ist das Ziel. Wir erwarten also einer neuen Dimension als Botschaft herausgearbeitet Demonstrations- und Referenzbeispiele. werden. Vor diesem Hintergrund sage ich nochmals: Jede Botschaft muss eine Energiebotschaft werden. (Harald Leibrecht [FDP]: Das interessiert die Leute nicht!) Dem Auswärtigen Amt sage ich Folgendes: Wir ha- (B) ben erst kürzlich über den Rechnungsprüfungsausschuss (D) – Ich werde das Mittelständlern erzählen, denen gegen- und andere Gremien neue Handlungsmöglichkeiten für über Sie immer behaupten, dass Sie Mittelstandspolitik Baumaßnahmen eröffnet und dem Auswärtigen Amt machen, wenn Sie hier sagen, das interessiere nieman- mehr Kompetenzen gegeben. Mit der heutigen Initiative den. Ich kenne viele Mittelständler, die sich um Aufträge geben wir dem Auswärtigen Amt neue Handlungsmög- im Ausland bemühen. Wir werden sie alle mit diesen lichkeiten für ein Anliegen, hinter dem inzwischen na- Maßnahmen unterstützen. hezu das ganze Haus steht. Angesichts dessen wird das Auswärtige Amt auch verstehen, dass hier gehandelt (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) werden muss. Wenn das ganze Haus hinter der Sache Das sagt ein Vertreter der FDP. Das hätte ich zu dieser steht, scheitert es auch nicht an den Finanzen. Es kann Stunde nicht erwartet. zum einen auf das ohnehin bestehende Sanierungspro- gramm zurückgegriffen werden; zum anderen steht ein Wir erwarten also Demonstrations- und Referenzbei- Programm mit 120 Millionen Euro zur energetischen Sa- spiele. Wir wollen damit auch die bereits geschaffene nierung von Bundesliegenschaften bereit. Ich bin mir si- Exportinitiative Erneuerbare Energien des Bundeswirt- cher, dass weitere erforderliche Mittel und Wege für schaftsministers unterstützen, und wir möchten, dass die diese Investitionsmaßnahme gefunden werden, wenn wir deutsche Wirtschaft auf dem Gebiet der regenerativen das in diesem Haus wollen. und alternativen Energiegewinnungssysteme durch diese Maßnahme eine konkrete Unterstützung erfährt. In deut- Wir erwarten von der Bundesregierung eine schnelle schen Botschaften können künftig Planer, Architekten Umsetzung. So wie man in Berlin einmal die Gropius- und Ingenieure zusammengeführt werden, um sie auf bauten und die Siemensstadt zum Vorzeigen geschaffen neue Technologien und deren Anwendungsmöglichkei- hat, so müssen wir jetzt draußen in der Welt etwas auf ten aufmerksam zu machen. Ich denke dabei nicht unbe- diesem neuen Sektor schaffen. Wir erwarten ein flexi- dingt an Hightechländer in Europa, aber an Länder in bles Vorgehen durch intelligente Vergabekonzepte für Afrika, in Asien oder an Staaten auf dem Gebiet der frü- die Wirtschaft. Ein solches Vorgehen wird der Bedeu- heren Sowjetunion. Dort sind solche Beispiele sicher tung dieses Anliegens gerecht. Jede Botschaft kann eine sehr wichtig und können ungeheuer viel bewirken. In Energiebotschaft werden. Das ist gut für Deutschland diese Richtung müssen wir gehen. und gut für die Welt. Es können Foren des Machbaren entstehen; denn was (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie nicht zur Tat wird – auch das ist wichtig –, das hat kei- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ nen Wert. Hier wird etwas durch konkrete Beispiele zur DIE GRÜNEN) 15932 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: vationen, die für ein neues Energiezeitalter erforderlich (C) Monika Knoche spricht jetzt für die Fraktion Die sind, überhaupt bewerkstelligen zu können. Linke. In Ihrem kleinmütigen Antrag verwenden Sie groß- (Beifall bei der LINKEN) mundige Worte: Deutschland versteht sich als Vorreiter im Klima- Monika Knoche (DIE LINKE): schutz. Frau Präsidentin! Gestatten Sie, Herr Fuchtel, dass ich Ihnen Folgendes sage: Mir hat Ihr Hinweis auf das Verstehe ich das richtig? Hat nicht Frau Bundeskanzlerin Wirken des ersten grünen Außenministers in seinem Merkel gerade erst für das größte Klimakillerkraftwerk Amt sehr gut gefallen. Auch ich hatte den Eindruck, dass Deutschlands in Neurath den Grundstein gelegt? Ist es ihm dieses Thema sozusagen schnurzegal war. nicht die Bundeskanzlerin gewesen, die in der EU daran mitgewirkt hat, dass keine verbindliche Reduktion des (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Traurig, CO2-Ausstoßes für Autos verabschiedet wurde? traurig!) (Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Wenn Sie in Zu- Gemessen an den immensen Herausforderungen des sammenhängen denken würden, würden Sie Klimawandels, meine Damen und Herren, nimmt sich einen solchen Unsinn nicht erzählen!) dieser Antrag dann aber doch recht bescheiden aus. Sie müssen keine Sorge haben: Wir sagen nicht Nein dazu. All das muss man erwähnen, da Sie in Ihrem Antrag Ich frage aber: Wieso müssen wir heute überhaupt darüber schreiben: reden, wo doch seit 2007 eine neue Energieeinsparverord- Handeln überzeugt oft mehr als Worte. nung gilt, für die 120 Millionen Euro bereitgestellt wor- den sind? Gerne sind wir den Regierungsfraktionen als Diese Regierung hat, was die eigene Praxis angeht, nicht Opposition behilflich, diese Mittel aufzustocken; da ha- das geleistet, was für den Klimaschutz erforderlich ist. ben Sie unsere volle Unterstützung. Noch ein Wort zu den Botschaften und Residenzen; (Beifall bei der LINKEN) ich kenne einige alte und neue. Für künftige Gebäude muss gelten: Die berühmtesten Architekten auszuwäh- Sie haben recht: Deutschland soll im Ausland ein gu- len, kann nicht das maßgebliche Kriterium sein. Viel- tes Beispiel geben. Wenn man aber im Ausland überzeu- mehr muss sich die Architektur des 21. Jahrhunderts zei- gen will, muss man auch im Inland ein gutes Beispiel ge- gen: Diese kann nur eine Ausrichtung auf Null-Energie- ben, auch im Rahmen der deutschen Außenpolitik. Der Bauten sein. Da geht der Weg lang. (B) Klimafrage angemessen wäre es, Sie würden sich erstens (D) zum Beispiel bei der Weltbank konsequent für eine (Beifall bei der LINKEN) Energiewende einsetzen. Die Weltbank, in der unsere Übrigens: Manches Bauen im Ausland könnte an die Regierung mitbestimmt, hat aber gerade in den letzten traditionsreiche Architektur angelehnt werden, die ent- Jahren ihre Investitionen in Projekte mit fossiler Energie stand, als es noch keine Klimaanlagen gab. In vielen enorm gesteigert, während die Investitionen in regenera- Kulturen wurde eine funktionale, repräsentative und äs- tive, erneuerbare Energien stagnieren. Bei der Weltbank thetisch hochstehende Architektur geschaffen, die sich in muss Deutschland also für einen Politikwechsel sorgen, die Umweltgegebenheiten ökologisch einfügt. Daraus damit sich in den Schwellenländern eine nachhaltig öko- könnte man lernen. logische Entwicklung vollziehen kann. Nach dieser Debatte hoffe ich sehr, dass Leute in der Überzeugend wäre zweitens, in der deutschen Ent- Jury des Auswärtigen Amtes oder wo auch immer sitzen, wicklungszusammenarbeit nicht die falsche Infrastruktur die der Bedeutung der Ökologie bei Architekturwettbe- und Verkehrspolitik auf der Basis von Ölverbrauch zu werben den ersten Platz einräumen. fördern. Vernünftig wäre es drittens, in Deutschland kei- nes der 26 geplanten neuen Kohlekraftwerke zu bauen Danke schön. und den ÖPNV massiv auszubauen; das ist notwendig. (Beifall bei der LINKEN) All das trägt dazu bei, dem Klimawandel im eigenen Haus zu begegnen. Denn 60 Prozent der Ölimporte ge- hen in den Verkehr. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat die Kollegin Uschi Eid für Bündnis 90/Die (Beifall bei der LINKEN) Grünen das Wort. Probleme sind hier zu lösen; es darf nicht stattdessen auf die anderen Länder verwiesen werden. Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Um es (Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gleich vorwegzusagen: Meine Fraktion stimmt dem An- Das hat ja niemand gemacht!) trag der Koalition zum Einsatz erneuerbarer Energien in Klimaziele können nur erreicht werden, wenn man in deutschen Einrichtungen im Ausland zu. Genau das – und der Energie- und Verkehrspolitik Abschied nimmt vom nicht erneuerbare Energien in Deutschland – ist das Wettbewerb, der nichts in ökologische Bahnen lenken Thema, Frau Knoche. Ich glaube, Sie haben das Thema kann. Wir brauchen einen lenkenden Staat, um die Inno- verfehlt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15933

Dr. Uschi Eid (A) (Monika Knoche [DIE LINKE]: Ich habe das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (C) Thema richtig gewählt! Sehr richtig!) Gerade in vielen afrikanischen Staaten ist man der Ich freue mich, dass nun auch die Koalitionsfraktio- Ansicht, sich nur dann an das Industriezeitalter annähern nen in ihrem Antrag feststellen, dass der Klimawandel zu können, wenn man in Großkraftwerke mit fossilen die Herausforderung des 21. Jahrhunderts ist. Brennstoffen oder sogar in Atomkraft investiert, wie es zum Beispiel gerade Namibia tut. Wir müssen durch den (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Das sagt Einsatz regenerativer Energien – je nach örtlichen Gege- die Kanzlerin schon die ganze Zeit!) benheiten – zeigen, dass Gewinnung und Einsatz erneu- Konsequenterweise sind wir gefordert, umfassende und erbarer Energien modern, zukunftsträchtig und auf tech- nachhaltige Maßnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen, nologischem Spitzenniveau sind und sich darüber hinaus und zwar im Inland und auch im Ausland. auch rechnen; denn sie sind billiger als das immer teurer werdende Importöl. Deutschland ist einer der größten Energieverbraucher weltweit und gleichzeitig eines der bedeutendsten Indus- Wichtig ist auch, dass die in dem Antrag angespro- trieländer. Wir stehen in der Verantwortung, Vorreiter ei- chenen Projekte einen Bezug zu den Verhältnissen in den ner klimagerechten Lebens- und Wirtschaftsweise zu jeweiligen Ländern haben. Nur so haben sie auch einen sein. Denn wir können nicht von anderen Ländern ra- Demonstrationseffekt. Stellen Sie sich vor, der deutsche sches Handeln für den Klimaschutz einfordern und ver- Botschafter in Burkina Faso weiht am 3. Oktober, unse- langen, dass sie internationale Klimaschutzabkommen rem Nationalfeiertag, die Solaranlage auf dem Dach sei- erfüllen, ohne selbst mit gutem Beispiel voranzugehen – ner Residenz ein und erklärt, wie viel Kosten er im Ver- und zwar zu Hause, aber auch im Ausland, wo auch im- gleich zu seiner Ölheizung langfristig spart. Oder der mer deutsche Vertretungen und Institutionen angesiedelt GTZ-Experte serviert bei einem Seminar für Bauern im sind. Norden Vietnams ein Essen, das mithilfe einer Biogas- anlage auf dem GTZ-Gelände – das Biogas wurde aus (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tierischen Fäkalien aus der Umgebung gewonnen – ge- und bei der SPD) kocht wurde. Seit Rot-Grün nimmt Deutschland mit seiner Erneu- (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: erbare-Energien-Politik im Ausland eine wichtige Vor- Das geht alles, wenn man es will!) bildfunktion ein. Die Wachstumsraten der letzten Jahre haben dem gesamten Sektor zu einem einzigartigen wirt- – Genau so ist es. schaftlichen Aufschwung verholfen. Die deutsche Wind- (B) und Solarindustrie ist weltweit führend. Oder die DEDlerin hat jeden Abend Licht in ihrer (D) Stube weit draußen in den Steppen der Mongolei und ( [SPD]: Richtig!) kann dank ihres Solar-Home-Systems fernsehen und bü- geln. Oder stellen Sie sich vor, die nun neu zu eröffnen- Diese Tatsache muss sich auch bei unseren eigenen Aus- den Goethe-Institute in Angola oder Tansania würden als landseinrichtungen widerspiegeln. Niedrigenergiehäuser konzipiert. Das alles, Frau Präsi- (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Sehr dentin, ist möglich. Deswegen ist dieser Koalitionsan- richtig!) trag der richtige Schritt in die richtige Richtung. Die Nutzung regenerativer Energien in allen Gebäu- Danke schön. den des Bundes im Ausland ist unerlässlich. Solaranla- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, gen auf den Dächern von deutschen Botschaften, Konsu- bei der CDU/CSU und der SPD) laten, deutschen Schulen, Goethe-Instituten, GTZ- und DED-Büros sind energieeffizent und stellen darüber hi- naus Demonstrationsobjekte deutscher technologischer Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Errungenschaften dar. Vielen Dank. Ich habe es jetzt auch verstanden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich schließe die Aussprache. und bei der SPD) Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswär- Ein modernes Deutschlandbild lässt sich nämlich tigen Ausschusses zum Antrag der Fraktionen von nicht nur durch außenkulturpolitische Instrumente wie CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Erneuerbare Ener- Dialogforen, Kunstkooperationen oder die Förderung gien, wie Solarenergie, Geothermie, Wind- und Wasser- der deutschen Sprache vermitteln, sondern gerade auch kraft, für die Energieversorgung deutscher Einrichtun- durch den Einsatz moderner Umwelttechnologien in ei- gen im Ausland einsetzen – für Klimaschutz und genen Gebäuden. Wir sind nicht glaubwürdig, wenn wir Nachhaltigkeit“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern er- schlussempfehlung auf Drucksache 16/7910, den An- neuerbare Energien anpreisen, unsere Botschaften, GTZ- trag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf Druck- Büros und Goethe-Institute vor Ort aber keinerlei Vor- sache 16/7489 anzunehmen. Wer stimmt für diese bildwirkung durch die Nutzung von Solarenergie, Geo- Beschlussempfehlung? – Die Gegenstimmen! – Enthal- thermie, Wind- oder Wasserkraft oder Kraft-Wärme- tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- Kopplung haben. men von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und 15934 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) der Linken bei Enthaltung der FDP-Fraktion ohne Ge- Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 15 auf: (C) genstimmen angenommen. Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu- auf: regelung des Verbots der Vereinbarung von Erfolgshonoraren a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Rainer – Drucksache 16/8384 – Brüderle, Martin Zeil, Gudrun Kopp, weiteren Überweisungsvorschlag: Abgeordneten und der Fraktion der FDP einge- Rechtsausschuss brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung Hier haben die Kolleginnen und Kollegen Gehb, des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkun- Strässer, Dyckmans, Nešković, Wieland und Hartenbach gen ihre Reden zu Protokoll gegeben.2) – Drucksache 16/8405 – Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur- Überweisungsvorschlag: fes auf Drucksache 16/8384 an den Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 sowie Zusatz- punkt 5 auf: nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge- ordneten Rainer Brüderle, Martin Zeil, Gudrun 16 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Kopp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales der FDP (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Kornelia Möller, Dr. Barbara Mehr Dynamik und mehr Wettbewerb für die Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion deutsche Volkswirtschaft – Entflechtungsrege- DIE LINKE lung in das Gesetz gegen Wettbewerbsbe- Innovative Arbeitsförderung ermöglichen – schränkungen und europäisches Recht inte- Projektförderung nach § 10 SGB III zulassen grieren – Drucksachen 16/3889, 16/5167 – – Drucksachen 16/4065, 16/5946 – Berichterstattung: (B) Berichterstattung: Abgeordneter Klaus Brandner (D) Abgeordneter (Weiden) ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Markus Kurth und der Fraktion BÜND- Zu Protokoll gegeben haben ihre Reden die Kollegin- NIS 90/DIE GRÜNEN nen und Kollegen Nüßlein, Hempelmann, Zeil, Lötzer und Dückert.1) Lokale Entscheidungsspielräume und passge- naue Hilfen für Arbeitsuchende sichern Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- – Drucksache 16/8524 – wurfs auf Drucksache 16/8405 an den Ausschuss für Überweisungsvorschlag: Wirtschaft und Technologie vorgeschlagen. Gibt es dazu Ausschuss für Arbeit und Soziales weitere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Hier geben die Kolleginnen und Kollegen Peter Rauen, Gabriele Lösekrug-Möller, Jörg Rohde, Katja Damit kommen wir zur Beschlussempfehlung des Kipping und Brigitte Pothmer ihre Reden zu Protokoll.3) Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Der Ausschuss Drucksache 16/5946 zu dem Antrag der Fraktion der für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschluss- FDP mit dem Titel „Mehr Dynamik und mehr Wettbe- empfehlung auf Drucksache 16/5167, den Antrag der werb für die deutsche Volkswirtschaft – Entflechtungsre- Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3889 abzulehnen. gelung in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkun- Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen- gen und europäisches Recht integrieren“. Der Ausschuss stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, den Antrag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der FDP-Fraktion auf Drucksache 16/4065 abzulehnen. der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Ent- Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Ge- haltung der FDP angenommen. genstimmen! – Enthaltungen? – Damit ist die Beschluss- Zusatzpunkt 5. Interfraktionell wird Überweisung der empfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen Vorlage auf Drucksache 16/8524 an den Ausschuss für gegen die Stimmen von FDP und Bündnis 90/ Arbeit und Soziales vorgeschlagen. Sie sind damit ein- Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ange- verstanden? – Dann ist so beschlossen. nommen. 2) Anlage 4 1) Anlage 3 3) Anlage 5 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15935

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf: men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit (C) den Stimmen der Koalition, des Bündnisses 90/Die Grü- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- nen und der Linken gegen die Stimmen der FDP ange- richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- nommen. schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf: Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla DIE GRÜNEN Lötzer, Hans-Kurt Hill, Dr. Barbara Höll, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Einfuhrverbot für den gentechnisch veränder- ten Mais MON810 anordnen und den Verkauf Eon-Netz in die öffentliche Hand übernehmen von MON810-Saatgut stoppen – Drucksache 16/8494 – – Drucksachen 16/7835, 16/8399 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Berichterstattung: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Abgeordnete Dr. Max Lehmer Haushaltsausschuss Elvira Drobinski-Weiß Dr. Christel Happach-Kasan Es ist hier vereinbart, die Reden der Kolleginnen und Dr. Kirsten Tackmann Kollegen Dr. Joachim Pfeiffer, Rolf Hempelmann, Ulrike Höfken Gudrun Kopp, Ulla Lötzer und Kerstin Andreae zu Pro- tokoll zu geben.3) Hier haben Dr. Max Lehmer, Elvira Drobinski-Weiß, Dr. Christel Happach-Kasan, Dr. Kirsten Tackmann und Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf Ulrike Höfken ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Drucksache 16/8494 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse zu überweisen. Damit sind Sie ein- Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Er- verstanden? – Dann ist die Überweisung so beschlossen. nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz emp- fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- Ich komme zu Tagesordnungspunkt 20: sache 16/8399, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Beratung des Antrags der Abgeordneten Bettina Die Grünen auf Drucksache 16/7835 abzulehnen. Wer Herlitzius, Markus Kurth, Cornelia Behm, weite- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- men? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfeh- NIS 90/DIE GRÜNEN (B) lung mit den Stimmen der Koalition und der FDP gegen (D) die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Lin- Erwerbsarmut verhindern – Einkommen stär- ken angenommen. ken – Wohngeld jetzt verbessern Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf: – Drucksache 16/8053 – Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Überweisungsvorschlag: richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Finanzausschuss nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge- Ausschuss für Arbeit und Soziales ordneten Rainer Brüderle, Jens Ackermann, Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend , weiterer Abgeordneter und Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit der Fraktion der FDP Haushaltsausschuss Mahnungen des Sachverständigenrates ernst Hierzu haben die Kolleginnen und Kollegen Gero nehmen – Mehr Freiheit wagen Storjohann, Sören Bartol, Patrick Döring, Heidrun Bluhm und Bettina Herlitzius ihre Reden zu Protokoll – Drucksachen 16/7112, 16/8263 – gegeben.4) Berichterstattung: Es ist verabredet, die Vorlage auf Drucksache 16/8053 Abgeordneter Laurenz Meyer (Hamm) an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu Es ist vereinbart, die Reden der Kollegen Dr. Michael überweisen. – Damit sind Sie ebenfalls einverstanden. Fuchs, Reinhard Schultz, Rainer Brüderle, Dr. Herbert Dann ist das so beschlossen. Schui und der Kollegin Kerstin Andreae zu Protokoll zu Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf: geben.2) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Elke Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Der Ausschuss Hoff, Birgit Homburger, Dr. Rainer Stinner, wei- für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Be- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP schlussempfehlung auf Drucksache 16/8263, den Antrag der FDP auf Drucksache 16/7112 abzulehnen. Wer Medizinische Versorgung der Bundeswehr an stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim- die Einsatzrealitäten anpassen – Kompetenz-

1) Anlage 6 3) Anlage 8 2) Anlage 7 4) Anlage 9 15936 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) zentrum für posttraumatische Belastungsstö- Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ (C) rungen einrichten DIE GRÜNEN – Drucksache 16/7176 – Keine EU-Exportsubventionen für Schweine- Überweisungsvorschlag: fleisch in Entwicklungsländer Verteidigungsausschuss – Drucksache 16/8404 – b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Paul Überweisungsvorschlag: Schäfer (Köln), Inge Höger, Monika Knoche, Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Entwicklung (f) LINKE Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Adäquate Behandlungs- und Betreuungskapa- Verbraucherschutz zitäten für an posttraumatischen Belastungs- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union störungen erkrankte Angehörige der Bundes- Zu Protokoll gegangen sind die Reden der Kollegin- wehr nen und Kollegen Anette Hübinger, Dr. Sascha Raabe, – Drucksache 16/8383 – Manfred Zöllmer, Hellmut Königshaus, Heike Hänsel 2) Überweisungsvorschlag: und Thilo Hoppe. Verteidigungsausschuss (f) Rechtsausschuss Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Ausschuss für Gesundheit Drucksache 16/8404 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie of- Bereits zu Protokoll gegeben haben ihre Reden die fensichtlich einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Kolleginnen Monika Brüning, Petra Heß, Elke Hoff, Inge Höger und der Kollege Winfried Nachtwei.1) Wir sind jetzt am Ende der heutigen Tagesordnung. Hierzu ist ebenfalls verabredet, die Vorlagen, die auf Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- den Drucksachen 16/7176 und 16/8383 zu finden sind, destages auf morgen, Freitag, den 14. März 2008, 9 Uhr, an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu ein. überweisen. – Damit sind Sie wiederum einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Genießen Sie die gewonnenen Einsichten und den restlichen Abend. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Die Sitzung ist geschlossen. Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo (B) Hoppe, Ute Koczy, Ulrike Höfken, weiterer (Schluss: 19.36 Uhr) (D)

1) Anlage 10 2) Anlage 11 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15937

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Ackermann, Jens FDP 13.03.2008 Steinbach, Erika CDU/CSU 13.03.2008

Bülow, Marco SPD 13.03.2008 Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 13.03.2008

Caspers-Merk, Marion SPD 13.03.2008 Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 13.03.2008*

Dr. Däubler-Gmelin, SPD 13.03.2008* Herta * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates Dreibus, Werner DIE LINKE 13.03.2008

Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 13.03.2008 Anlage 2 Golze, Diana DIE LINKE 13.03.2008 Zu Protokoll gegebene Rede Groneberg, Gabriele SPD 13.03.2008 zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Großmann, Achim SPD 13.03.2008 Berichts: Entwicklungs- und Schwellenländer verstärkt beim Aufbau und bei Reformen von Günther (Plauen), FDP 13.03.2008 sozialen Sicherungssystemen unterstützen und Joachim soziale Sicherung als Schwerpunkt der deut- (B) schen Entwicklungszusammenarbeit implemen- (D) Hintze, Peter CDU/CSU 13.03.2008 tieren (Tagesordnungspunkt 6) Hochbaum, Robert CDU/CSU 13.03.2008 Dr. Karl Addicks (FDP): Bei der Abstimmung über Dr. Lauterbach, Karl SPD 13.03.2008 den Antrag der Koalition werden wir uns heute der Stimme enthalten. Mehr ist nicht drin, wir wollen damit Lintner, Eduard CDU/CSU 13.03.2008* auch nur signalisieren, dass wir die Aufgabe erkannt ha- ben, aber Ihrem Antrag nicht folgen mögen. Dieser An- Nitzsche, Henry fraktionslos 13.03.2008 trag enthält viel Wunschdenken, viele richtige Erkennt- nisse, aber so gut wie keine Folgerungen, wie es denn Paula, Heinz SPD 13.03.2008 nun wirklich gehen soll. Immerhin haben Sie, Herr Riester, in Ihrer letzten Rede dazu keinen Zweifel offen Pflug, Johannes SPD 13.03.2008 gelassen über die Riesigkeit der Aufgabe, eine Aufgabe, die nach Ihren Worten das bisherige Verständnis von Piltz, Gisela FDP 13.03.2008 Entwicklungspolitik überschreitet. Da kann ich Ihnen nur zustimmen. Aber dennoch muss ja irgendwann ir- Polenz, Ruprecht CDU/CSU 13.03.2008 gendwie angefangen werden. Raidel, Hans CDU/CSU 13.03.2008 Damit wir uns da richtig verstehen: Ich spreche hier nicht von den Schwellenländern, in denen zum Teil ein- Roth (Esslingen), Karin SPD 13.03.2008 fache Systeme der sozialen Sicherung, wenn auch nur für erlauchte Kreise, bereits existieren. Ich spreche hier Schily, Otto SPD 13.03.2008 und heute von der Riesenaufgabe, in den afrikanischen Subsahara-Entwicklungsländern eine existenzielle Basis- Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 13.03.2008 absicherung einzuführen. Ich kann mir aber ehrlich ge- sagt nicht vorstellen, wie das im derzeitigen Kongo, Schmidt (Eisleben), SPD 13.03.2008 Guinea, Niger, Burkina, Tschad, Sudan und vielen ande- Silvia ren funktionieren soll. Das sind Gesellschaften, in denen es am Solidargedanken noch fehlt, von den Finanzen Schultz (Everswinkel), SPD 13.03.2008 ganz zu schweigen. Ihr Antrag gibt darauf überhaupt Reinhard keine Antworten. Die Forderungen, die Sie erheben, sind 15938 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

(A) nichts als Allgemeinplätze, da kann man sich anschlie- Anlage 3 (C) ßen. Zu Protokoll gegebene Reden Haben Sie denn mal eine Anhaltszahl, was es kosten zur Beratung: würde, zum Beispiel im Niger mit 13 Millionen Einwoh- nern und einem Haushaltsvolumen von circa 700 Millio- – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des nen Dollar eine Minimalabsicherung einzuführen? Und Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit welchen Leistungen? – Antrag: Mehr Dynamik und mehr Wettbe- werb für die deutsche Volkswirtschaft – Ent- Sie schreiben in Ihrem Antrag, es sei bisher in der flechtungsregelung in das Gesetz gegen Entwicklungszusammenarbeit zu viel Wert auf die wirt- Wettbewerbsbeschränkungen und europäi- schaftliche Entwicklung dieser Länder gelegt worden. sches Recht integrieren Also, ich möchte davor warnen, nun die wirtschaftliche Entwicklung zugunsten der sozialen Systeme zu dros- (Tagesordnungspunkt 8 a und b) seln. Die ist doch meistens sowieso schon zu gering. Und die wollen Sie noch weiter zurückfahren? Das wäre Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Werte Abgeordnete ein ganz großer Fehler. Im Grunde kann der Aufbau von der FDP, „Mehr Dynamik und mehr Wettbewerb für die Solidarsystemen einzig und allein synchron erfolgen wie deutsche Volkswirtschaft“ überschrieben Sie ihren letz- alle anderen Fördermaßnahmen auch, dann wird ein ten Antrag zum Thema Entflechtung. Lassen Sie mich Schuh draus. Wobei natürlich eine stärkere Wirtschafts- eines klarstellen – hier liegen wir auf einer Linie –: Auch entwicklung am ehesten eine Finanzierung von einfa- die CDU/CSU tritt ein für freien und fairen Wettbewerb. chen Sozialsystemen ermöglichen wird. Wettbewerb ist gut, Wettbewerb sichert den Wohlstand, die Kreativität, die Innovation und letztlich den Erfolg Mit dieser Erkenntnis stehen wir auch nicht allein, das der deutschen Marktwirtschaft. sehen andere genauso wie wir, zum Beispiel die UN. Ausgehend von kleinsten Ansätzen muss der Aufbau Zunächst eine grundsätzliche Anmerkung: Wir be- dieser Systeme mit der Wirtschaftsentwicklung Hand in trachten die Vorteile von Wettbewerb immer zu einseitig Hand gehen. Und damit muss tatsächlich bald angefan- aus Verbrauchersicht. In vielen Bereichen haben sich gen werden. Die Aufgabe wird durch Zuwarten nicht aber inzwischen Markt- und Machtstrukturen ergeben, kleiner, sondern größer. Aids, Malaria, Tuberkulose und die aus Sicht des Verbrauchers vielleicht noch akzepta- die anderen Epidemien warten nicht, bis da etwas pas- bel sind, keinesfalls aber aus Sicht der Zulieferer. Neh- siert ist. men Sie zum Beispiel den Lebensmittelsektor. Gewiss, (B) gemessen am Einkommen sind die Ausgaben für Le- (D) Wir werden in den nächsten Jahren, wenn wir unsere bensmittel in Deutschland nicht hoch. Die Konzentration ODA-Quote erfüllen wollen, einen kräftigen Aufwuchs hat hier – noch – keine auffälligen Nachteile für den Ver- an Mitteln haben, aber auch der wird nur ein Tropfen auf braucher. Die Lieferanten sind die Leidtragenden. Der den heißen Stein gegenüber der immensen Größe der Mittelstand blutet aus. Der Preisdruck verschlechtert die Aufgabe sein. Wenn Sie davon 60 Prozent Budgethilfe Qualität und erhöht die Risiken. Das alles haben wir vergeben wollen, dann, das kann ich Ihnen jetzt schon über Jahrzehnte nicht im Blick gehabt und haben eigent- sagen, wird für eine existenzielle Solidarabsicherung lich vergessen, was Ludwig Erhard mit „Wohlstand für kaum mehr was übrig bleiben. Aber wir wollen jetzt alle“ im Blick hatte. Auch das ist eine Entwicklung, über nicht schon wieder über Budgethilfe streiten. Ich gebe die wir nachdenken müssen. das nur zu bedenken. Gerne will ich mich hier – wie die Antragsteller – auf den Energiesektor konzentrieren. Hohe Energiepreise Und wie soll das gehen mit dem informellen Sektor, belasten die Verbraucherinnen und Verbraucher und ge- der in manchen Ländern 80 oder sogar 90 Prozent der fährden die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft. Wirtschaft ausmacht? Wie soll denn ein soziales Siche- Der Bundeswirtschaftsminister hat das rungssystem aufgebaut werden in Ländern, wo der klar erkannt, mutig thematisiert und ist das Problem ent- größte Teil der Bevölkerung nicht einmal einen Geburts- schlossen angegangen. Der Weg zum funktionierenden schein oder Ausweispapiere oder irgendeine sonstige Wettbewerb muss ein wohl durchdachter sein. Eine er- Legitimation hat? zwungene Eigentumsentflechtung ist derzeit keine prak- tikable Lösung. Dazu zwei Gründe: Soll das zuerst nur für Arbeitsplatzinhaber gelten oder von Anfang an auch für den informellen Sektor? Ich Erstens. Eine verordnete Entflechtung ist ein unver- kann mir nicht vorstellen, dass das für alle gleichzeitig hältnismäßiger Eingriff in die Eigentumsverhältnisse der machbar ist. Auf der anderen Seite könnte auch niemand Stromversorger: Mit großer Sicherheit hätte eine derart ausgeschlossen werden. drastische Maßnahme langwierige und harte juristische Auseinandersetzungen zur Folge, die sich leicht über Dass man da das deutsche System nicht einfach über- mehrere Jahre hinziehen könnten. Die sich daraus erge- tragen kann, das ergibt sich eigentlich von selbst. Aber bene Rechtsunsicherheit würde nicht nur im Bereich der die Kollegin Pfeiffer hielt unser System in ihrer letzten Stromproduktionen zu einem Investitionsstau führen – Rede noch für einen Exportschlager. Also, da habe ich so gerade in den dringend notwendigen Netzausbau würde meine Bedenken. wohl kaum ein großes Unternehmen mehr investieren. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15939

(A) Möchten Sie wirklich den Zerfall der deutschen Energie- Um den Wettbewerb weiter zu stärken, wurde kürz- (C) versorgung verantworten müssen? Noch sind wir Welt- lich ein weiteres Maßnahmenpaket umgesetzt. Es setzt meister in Sachen Versorgungssicherheit. an drei Punkten an: den Netzen, der Stromversorgung und der Preismissbrauchsaufsicht. Die am 6. November Zweitens. Keine deutschen Alleingänge in Europa: Es 2007 in Kraft getretene Anreizregulierungsverordnung muss eine für alle gangbare Lösung für ganz Europa ge- wird schon sehr bald für mehr Effizienz beim Betrieb der funden werden. EU-Kommissionspräsident Barroso be- Strom- und Gasnetze sorgen. Bislang wurden die harrt auch weiterhin auf der von ihm geforderten eigen- Netzentgelte auf der Grundlage der Kosten der Betriebs- tumsrechtlichen Aufspaltung in getrennte Unternehmen führung ermittelt. Ab dem 1. Januar 2009 werden den für Produktion und Netzbetrieb. Wir müssen einer EU- Netzbetreibern Obergrenzen für ihre Erlöse vorgegeben. Entscheidung jetzt nicht zuvorkommen. Wenn Deutsch- Bleiben die Netzbetreiber mit ihren Kosten unter diesen land voreilig und im Alleingang dem deutschen Kartell- Obergrenzen, können sie die Differenz als Gewinn ein- amt die Möglichkeit gibt, marktbeherrschende deutsche behalten. So werden mit der Anreizregulierung im Mo- Unternehmen zu entflechten, hätte dies wohl fatale Aus- nopolbereich der Netze vergleichbare Bedingungen wie wirkungen auf die Positionierung der deutschen Strom- im echten Wettbewerb geschaffen. Faire Netzentgelte wirtschaft gegenüber der europäischen Konkurrenz. So- werden die Folge sein. lange es keine europäische Regelung gibt, würden Investitionen abwandern und sowohl Produktionskapazi- Die Kraftwerks-Netzanschlussverordnung ist am täten als auch Arbeitsplätze in Deutschland verloren ge- 30. Juni 2007 in Kraft getreten. Sie räumt Investitions- hindernisse im Bereich der Stromproduktion beiseite, in- hen. Internationale Konzerne würden ihren Strom zu- dem sie den diskriminierungsfreien Anschluss neuer künftig in den Grenzregionen um Deutschland herum Kraftwerke ans Stromnetz nicht nur garantiert, sondern produzieren, um diesen später in Deutschland teuer zu auch beschleunigt und erleichtert. Die eben erläuterten verkaufen. Bei Betreibern von Kernkraftwerken ist diese Maßnahmen entfalten erst mittelfristig ihre volle Wir- Tendenz durch eine verstärkte Bautätigkeit in Grenzre- kung. Solange der Wettbewerb noch nicht wie ge- gionen – wenn auch aus anderen Gründen – bereits heute wünscht funktioniert, bedarf es eines schärferen Kartell- zu belegen. rechts. Die im November letzten Jahres vom Bundestag Fazit: Erst wenn alle anderen Maßnahmen gescheitert beschlossene Novelle zum Gesetz gegen Wettbewerbs- sind, darf der Staat es wagen, in das Eigentumsrecht der beschränkungen erleichtert es den Kartellbehörden, Bürger einzugreifen, um den Wettbewerb zu sichern – marktbeherrschenden Energieversorgungsunternehmen missbräuchlich überhöhte Strom- und Gaspreise nachzu- als Ultima Ratio also. Davon kann jedoch heute nicht die weisen. Diese verstärkte Aufsicht gegen Preismiss- Rede sein. Vielmehr befinden wir uns – nicht zuletzt (B) brauch wurde bis zum Jahr 2012 befristet. (D) dank des Einsatzes unseres Bundesministers Glos – auf dem richtigen Weg. Wir arbeiten derzeit an der Umset- Eon denkt unter dem Druck nationaler und europäi- zung eines konzeptionell durchdachten Gesamtkonzepts, scher Politik darüber nach, die Netze zu verkaufen und er- das Ihnen allen bekannt sein dürfte. Auch gegen den hebliche Produktionskapazitäten abzugeben. Ich sage aber massiven Widerstand so mancher Konzerne wird dieses auch, dass wir uns um die Sicherheit der Netzversorgung Paket Schritt für Schritt umgesetzt: Der Netzzugang und kümmern müssen. Die hohe Versorgungssicherheit in die- der Netzanschluss sind gesetzlich gewährleistet und kön- sem Bereich darf nicht aufs Spiel gesetzt werden. Hier nen durch Entscheidungen der Bundesnetzagentur und sollte aber der Verkäufer Eon ein entsprechendes Eigenin- vor Gericht durchgesetzt werden. Infolge der Regulie- teresse haben. Ohne funktionierende Netze lässt sich näm- rung der Netzentgelte sind die Netzkosten durch Verfü- lich kein Strom verkaufen. Gott sei Dank sind hier auch gungen der Bundesnetzagentur um bis zu 20 Prozent ab- die Interessen vernetzt. gesenkt worden. Wir sollten also die Instrumente wirken lassen, ab- Auch haben wir bereits heute eine Form der Entflech- warten, was die eingeleiteten Maßnahmen bewirken, und tung im Energiebereich durchgesetzt. Energieversor- nicht, wie von der FDP gefordert, den letzten Schritt gungsunternehmen, die sowohl Netze als natürliche Mo- ganz am Anfang tun. nopole betreiben als auch in den Wettbewerbsbereichen Erzeugung und Vertrieb tätig sind, unterliegen bereits Rolf Hempelmann (SPD): Die FDP konfrontiert uns heute den Vorgaben zur organisatorischen Entflechtung. heute mit einem Gesetzentwurf bzw. einem Antrag, mit Dabei muss der Netzbetrieb in einer separaten Gesell- dem das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, das schaft erfolgen, bei der die Entscheidungsgewalt über das GWB, um eine Entflechtungsregelung ergänzt werden Netzgeschäft, das Rechnungswesen, die Netz- und Netz- soll. Ganz offenkundig hat die FDP dabei insbesondere nutzerinformationen sowie die Buchhaltung getrennt von den Stromerzeugungsmarkt in Deutschland im Blick. Sie den Wettbewerbssparten ist. Mit der Niederspannungs- geht davon aus, dass ein bestehendes Oligopol von vier und Niederdruckanschlussverordnung sowie der Strom- Unternehmen Preiswettbewerb blockiere und letztlich und der Gasgrundversorgungsverordnung hat das Ministe- überhöhte Verbraucherpreise verursache. Deshalb – so rium den Wechsel des Strom- und Gasversorgers für der Lösungsansatz der FDP – müsse das Kartellamt als Haushaltskunden wesentlich erleichtert. Jetzt können Ver- Ultima Ratio die Möglichkeit erhalten, marktbeherr- braucher selbst gegen überhöhte Preise vorgehen, indem schende Unternehmen entweder zum Verkauf oder zu- sie zu einem günstigeren Anbieter wechseln. mindest zur rechtlichen und organisatorischen Abspal- 15940 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

(A) tung von Vermögensteilen zwingen zu können. Konkret GWB-Novelle ist ein Behelfsinstrument, das wir nur so (C) sollen dabei „von der Ausgliederung einzelner assets bis lange brauchen, bis unsere strukturellen, eher mittelfris- zur Abspaltung ganzer Unternehmens- bzw. Konzern- tig angelegten Maßnahmen zur Intensivierung des Wett- teile alle Maßnahmen, die zur Belebung des Wettbe- bewerbs wirken. Hier nun noch weitere Verschärfungen werbs geeignet erscheinen, möglich sein“. vorzunehmen und den Wettbewerbsrahmen schon wie- der umzugestalten, macht daher keinen Sinn. Auch die Richtig an der Einschätzung der FDP ist, dass wir im Unternehmen, von denen wir an anderer Stelle zu Recht Stromerzeugungsmarkt mit einer oligopolistischen dringend benötigte Investitionen einfordern, haben ein Marktsituation konfrontiert sind. Dies haben wir erkannt Anrecht auf ein Mindestmaß an Planungssicherheit. und daher mit einer ganzen Reihe von Instrumenten – ich nenne nur die Netzregulierung, die Kraftswerksan- Gegen den Vorschlag der FDP spricht ein Zweites: schlussverordnung oder die bereits erfolgte Verschär- seine mangelnde Praktikabilität. Bereits in der ersten Be- fung des Kartellrechts – Rahmenbedingungen für eine ratung des Antrags ist auf die ganz erheblichen Rechts- Intensivierung des Wettbewerbs gesetzt. Maßnahmen, streitigkeiten hingewiesen worden, die eine Umsetzung wie sie nun von der FDP vorgeschlagen werden, lehnen der FDP-Forderung geradezu zwangsläufig nach sich wir hingegen ab. Sie sind im Übrigen auch nicht sonder- ziehen müsste. Vor dem Hintergrund der Eigentumsga- lich originell, sondern wiederholen lediglich Forderun- rantie des Grundgesetzes würde wohl kaum ein Unter- gen, mit denen sich schon der hessische Wirtschafts- nehmen einen solch tief greifenden, bis zu einer Zer- minister Riehl aus guten Gründen nicht durchsetzen schlagung reichenden, Eingriff in sein Eigentum klaglos kann. Diese Ideen werden auch durch Wiederholung hinnehmen. Wir würden also sehenden Auges in eine nicht richtiger, vielmehr dürfte ihre Umsetzung weit Klagewelle hineinlaufen und insofern eine Art Beschäf- mehr Schaden als Nutzen anrichten. tigungsprogramm für Verfassungsjuristen auflegen – der Sache dient dies nicht. Denn während der zu erwarten- Wir haben gerade Ende vergangenen Jahres hier im den langwierigen Auseinandersetzungen wäre mit Haus eine Novelle des GWB verabschiedet und damit Sicherheit keines der von einer Zersplitterung bedrohten den Wettbewerbsrahmen neu justiert. Dabei ist gerade Unternehmen bereit, auch nur einen Cent am Standort für den Energiesektor eine wesentliche Stärkung der kar- Deutschland zu investieren. Viel eher würden die ent- tellrechtlichen Missbrauchsaufsicht durchgesetzt wor- sprechenden Investments und die mit ihnen verbundenen den. Ein Schlüsselelement der Novelle war die vorge- Impulse für Wertschöpfung und Beschäftigung an uns nommene Umkehr der Beweislast. Liegt der Preis eines vorbeigehen oder auf die lange Bank geschoben werden. Energieversorgers deutlich über dem eines Vergleichsun- Auf die rechtlichen Probleme derartiger Vorschläge hat ternehmens, so ist es nun, anders als in der Vergangen- übrigens auch Herr Heitzer, der Präsident des Bundes- (B) heit, an dem Unternehmen, diese Preisdifferenz gegen- kartellamtes, mehrfach hingewiesen. Mit anderen Wor- (D) über den Kartellbehörden sachlich zu rechtfertigen. Auf ten: Ausgerechnet der Chef jener Behörde, die Sie mit diese Weise dürfte eine effektive Missbrauchskontrolle ihrem Gesetzentwurf zu stärken vorgeben, hält nichts sichergestellt sein und mehr noch: Wir erhoffen uns von von dieser Idee. Das sollte Ihnen zu denken geben. der Verschärfung des GWB auch eine präventive Wir- kung auf die zukünftige Preisgestaltung der Energieun- Aber selbst wenn wir diese, in der Tat schwerwiegen- ternehmen. den, juristischen Bedenken einmal beiseitelassen, sage ich Ihnen: Ihr Antrag passt nicht in die aktuelle (energie) Inzwischen entfaltet die Novelle erste konkrete Wir- wirtschaftspolitische Debatte. Sämtliche Ideen, die auf kungen. Gerade in der vergangenen Woche hat das Bun- eine Zerschlagung von Unternehmen oder auch auf Zu- deskartellamt auf der Basis des neuen § 29 GWB Miss- baumoratorien für große Konzerne abzielen, weisen in brauchsverfahren gegen rund 35 Gasversorger wegen die Irre. Jedenfalls in der Rhetorik sind Sie mit uns einig, des Verdachts missbräuchlich überhöhter Gaspreise für dass wir unsere Energiepolitik an der Zieltrias von Um- Haushalts- und Gewerbekunden eingeleitet. Hintergrund weltverträglichkeit, Versorgungssicherheit und Wirt- ist, dass das Kartellamt in einer vorangegangenen bun- schaftlichkeit ausrichten wollen. Diese Ziele aber wer- desweiten Untersuchung der Gaspreise teilweise erhebli- den wir auf der Grundlage von Zerschlagungsfantasien che Preisabweichungen von 25 bis 40 Prozent festge- nicht erreichen können. Im Gegenteil: Wir brauchen, wie stellt hat. Vor diesem Hintergrund rate ich sehr dazu, das uns übrigens neutrale Institutionen wie das schon er- Kartellamt nun seine Arbeit tun zu lassen und die end- wähnte Bundeskartellamt oder die Bundesnetzagentur gültigen Ergebnisse der Missbrauchsverfahren abzuwar- bestätigen, dringend Investitionen in leistungsfähige ten, ehe bereits nach weiteren Instrumenten gerufen Netze, aber auch in neue Erzeugungskapazitäten. Und wird. dafür sollten wir alle, die zu investieren bereit sind, herz- Wichtig ist nämlich auch an dieser Stelle eines noch lich willkommen heißen – sehr gerne die neuen Anbie- einmal ganz deutlich zu unterstreichen: Wir waren uns ter, aber eben auch die Etablierten, ohne deren Finanz- bereits im Rahmen der letztjährigen GWB-Novelle einig kraft wir die vor uns liegenden Herausforderungen nicht und sind auch durch die Öffentliche Anhörung in der werden stemmen können. Auffassung bestärkt worden, dass die GWB-Novelle Ich will das Gesagte präzisieren: kein Allheilmittel ist. Sie ist vielmehr ein Übergangsin- strument, das lediglich eine Brückenfunktion bis zur Erstens. Wir brauchen Investitionen in neue und effi- Entwicklung eines vollständig funktionierenden Wettbe- ziente Erzeugungskapazitäten, um unsere ambitionierten werbs übernehmen kann. Oder anders ausgedrückt: Die Klimaschutzziele zu erreichen. Wenn die CO2-Emissio- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15941

(A) nen in Deutschland wie geplant um 40 Prozent bis 2020 kenden Energiepreisen – „ist lang und holprig“, so der (C) abgesenkt werden sollen, dann muss das oberste Gebot Präsident der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth. Einen sein, die ältesten und schmutzigsten Kraftwerke mög- ersten Stein wollen wir mit dem von der FDP Fraktion lichst bald abzuschalten. Das aber geht nur, wenn ent- vorgelegten Gesetzentwurf und mit unserem Antrag aus sprechende Ersatzinvestitionen in klimaverträglichere dem Weg räumen. Kraftwerke möglich sind und nicht aufgrund neu ge- Monopolkommission und Bundeskartellamt haben schaffener Kartellrechtstatbestände verhindert werden. immer wieder festgestellt, dass im deutschen Energie- Hier gilt: Wer Investitionen in moderne, möglichst auf sektor Monopol- und Oligopolstrukturen vorliegen, die KWK-Basis angelegte Kraftwerke mit deutlich höheren einen Wettbewerb verhindern und für die hohen Preise Wirkungsgraden bzw. deutlich geringeren Emissionen mitverantwortlich sind. Ein Blick auf die Zahlen unter- behindert, der tut dem Klima einen Bärendienst. mauert dies: In Deutschland kontrollieren die großen Zweitens. Wir brauchen Investitionen aber auch zur Auf- Energieversorger rund 80 Prozent der Kraftwerkskapazi- rechterhaltung unserer Versorgungssicherheit. Deutschland tät. Dazu verfügen die vier großen Stromkonzerne neben ist heute Stromexportland und soll dies auch bleiben. Um der Kraftwerkskapazität über fast 100 Prozent des aber die entsprechende Wertschöpfung und genauso die Stromnetzes. Das ist einer der größten Hemmschuhe für Sicherheit unserer Energieversorgung aufrecht zu erhal- mehr Wettbewerb auf dem deutschen Strommarkt. Ne- ten, werden in den kommenden Jahren – über alle Effi- ben dem Staat als Preistreiber ist diese Wettbewerbssitua- zienzanstrengungen hinaus – Investitionen in einer Er- tion eine der Hauptursachen für die im europäischen zeugungskapazität von 35 000 MW benötigt. Auch vor Vergleich immer noch hohen Endkundenpreise für diesem Hintergrund dürfen wir kein Unternehmen a priori Strom. Daran haben weder die rot-grüne noch die von Investitionen ausschließen. schwarz-rote Bundesregierung etwas geändert. Drittens. Und last, but not least sind Investitionen in Es war eher das Gegenteil der Fall: Zum Beispiel sind neue Kapazitäten auch aus Gründen der Wirtschaftlich- die monopolistischen Strukturen im Postsektor von der keit dringend erforderlich. Die Diskussion um die stei- Koalition aus CDU, CSU und SPD offenbar politisch ge- genden Strompreise – angemessener wäre eine Debatte wollt. In den netzgebundenen Märkten setzt der Wettbe- über die Energiepreise insgesamt – ist uns allen bekannt, werb aber eine Konkurrenz der Infrastrukturen voraus, und sie wird auch zu Recht geführt. Wir brauchen wett- und so sind für die Märkte für Strom, Gas oder auch die bewerbsverträgliche Energiepreise insbesondere wenn Eisenbahn andere Konzepte gefragt. wir die energieverbrauchende Industrie über den Tag hi- Die EU-Kommission hat verschiedentlich Initiativen naus am Standort Deutschland halten wollen. Nun aber für mehr Wettbewerb auf den Energiemärkten vorgelegt, (B) ausgerechnet durch eine Unternehmenszerschlagung wie zum Beispiel die Verordnung des Europäischen Par- (D) preissenkende Impulse zu erwarten, ist eine naive Vor- laments und des Rates zur Änderung über die Netzzu- stellung. Ich frage mich, woher die FDP diese Annahme gangsbedingungen für den grenzüberschreitenden nimmt. Ist es nicht vielmehr so, dass die FDP-Vor- Stromhandel, die Verordnung des Europäischen Parla- schläge, indem sie Investitionen jedenfalls der großen ments und des Rates zur Einrichtung einer Agentur für Unternehmen blockieren, eine bestehende Knappheitssi- die Kooperation der Energieregulatoren oder die aktuel- tuation verstetigen? Und ist es nicht so, dass in einem len Pläne, Stromnetz und Stromproduktion strikt zu tren- Markt, der „short“ ist, mit Sicherheit keine preissenken- nen. den Impulse zu erwarten sind? Ich meine: Genau dies wird passieren, und daher sollten wir alle sehr, sehr vor- Die Bundesregierung hat daran zwar im Einzelnen sichtig sein, wenn dieser Tage Vorschläge wie der uns Kritik geübt, ohne aber eine eigene Strategie oder Kon- vorliegende unterbreitet werden. zeption zu entwickeln. Bundeswirtschaftsminister Glos hat als einzigen Beitrag eine kleine GWB-Novelle be- Wir befinden uns derzeit in einer Situation, in der züglich der Preiskontrolle im Energiebereich vorgelegt dringend notwendige Investitionen in neue Kraftwerke, und als großartige Lösung der Wettbewerbsprobleme ge- aber auch in neue Leitungen, mitunter sehr schwierig priesen. Nun ist das Gesetz in Kraft, und es gibt – wie von durchzusetzen sind. Das liegt bei manchem Unterneh- uns und den meisten Sachverständigen vorausgesagt – men an der explodierenden Entwicklung der Kraftwerks- keine nennenswerten Tendenzen hin zu mehr Wettbe- preise, nicht selten sind es aber auch lokale Widerstände, werb oder günstigeren Energiepreisen. Hinzu kommt, die die Realisierung von Investitionen verhindern. Wir dass das Bundeswirtschaftsministerium mit dafür verant- alle hätten sicherlich genug zu tun, hier gemeinsam wortlich war, dass wichtige Elemente wie die Anreizre- durch Aufklärung und Kommunikation dabei mitzuhel- gulierung immer wieder verschoben wurden. fen, dass wieder ein etwas investitionsfreundlicheres Am morgigen Freitag debattiert der Bundesrat über Klima entsteht. Was wir aber mit Sicherheit nicht tun den Antrag des Landes Hessen zum Entwurf eines Geset- sollten, ist, die ohnehin schwierige Lage durch neue ge- zes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbe- setzliche Regelungen weiter zu verkomplizieren. In die- schränkungen. Die FDP hat der Union die Arbeit abge- sem Sinne wäre auch die FDP gut beraten, ihren Gesetz- nommen und einen nahezu identischen Gesetzentwurf, entwurf noch einmal gründlich zu überdenken. den wir heute debattieren, in den Deutschen Bundestag eingebracht. Damit muss insbesondere die Union end- Martin Zeil (FDP): Der Weg zu mehr Konkurrenz im lich Farbe bekennen. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn Energiemarkt – und damit auf Dauer auch wieder zu sin- das nicht rot, die Farbe der Monopole und der Staats- 15942 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

(A) wirtschaft, sondern gelb, die Farbe der Freiheit und des „Insbesondere auf dem Elektrizitätsmarkt wäre die (C) Wettbewerbs, wäre. vollständige Trennung der Erzeugerstufe von den Netzen ideal, um mehr Wettbewerb in den einzel- Die FDP tritt damit der Konzeptionslosigkeit der nen Ländern und auf dem europäischen Markt zu Bundesregierung auf dem Gebiet des Kartellrechts ent- erreichen.“ gegen. Wir schaffen mit dem Instrument der Entflech- tung als Ultima Ratio sozusagen ein Gegenstück zur Mi- Und weiter: nistererlaubnis und wollen mit dem vorgelegten Gesetzentwurf dem Bundeskartellamt die Möglichkeit „Bis dato ermöglichen die Leistungsmonopole den geben, marktbeherrschende Unternehmen zum Verkauf Stromkonzernen, die Konkurrenz klein und die oder zumindest zur organisatorischen und rechtlichen Preise hoch zu halten.“ Abtrennung von Vermögensteilen zu zwingen. Insgesamt stehen wir vor einer einfachen Rechnung: Mit unserem Gesetz wird auch ausgeschlossen, dass Ein Netzbetreiber, der keinen Strom produziert, hat kein andere Oligopolisten auf dem Markt oder sogar konzern- Interesse, Kapazitäten zurückzuhalten, um Wettbewer- eigene Unternehmen als Käufer auftreten. Wir wollen ber zu benachteiligen. Letztendlich wird sich dies positiv nichts über das Knie brechen, sondern dem betroffenen auf den Strompreis auswirken. Ein reiner Netzbetreiber Unternehmen zwei, in besonderen Fällen sogar mehrere wird das Netz effizienter ausbauen. Die meisten Energie- Jahre für die Entflechtung einräumen. Mit dieser parla- experten sind sich deshalb einig: Die Grundvorsausset- mentarischen Initiative würden wir die Elemente des zung, dass zwischen den Stromerzeugern überhaupt Kartellrechts endlich zeitgemäß fortentwickeln. Es ist Wettbewerb entstehen kann, ist die Trennung von Netz zudem eine alte Tradition im amerikanischen Recht, die und Produktion. wir hier aufgreifen. So gibt es beispielsweise den Sher- Letztendlich bekommen wir sinkende Preise, da sich man Antitrust Act in den Vereinigten Staaten bereits seit erstens der Wettbewerb intensivieren wird und da zwei- 1890. tens die Kosten für die sogenannte Regelenergie sinken, Einzelne deutsche Energiekonzerne gehen bereits die- welche derzeit lediglich innerhalb des Einzugsbereichs sen Weg. Damit rächt sich die Tatenlosigkeit der Bun- eines der großen Energieversorger abgerechnet wird. Ein desregierung. Da sie selbst kein Konzept hat, läuft sie Beispiel: Wenn in meiner Heimat Bayern ein Stromüber- der aktuellen Debatte in Deutschland und Europa hinter- schuss besteht, im Norden der Republik aber ein Defizit, her. dann zahlen die Verbraucher sowohl im Norden als auch im Süden einen Regelaufschlag, der auf die Netzkosten Es wird von vielen Seiten seit Jahren immer wieder umgelegt wird, und das, obwohl der Nettostromüber- (B) ins Feld geführt, dass eine eigentumsrechtliche Entflech- schuss null ist. (D) tung einer Enteignung der etablierten Energieunterneh- men gleichkomme. An diesem Argument ist sicherlich Ein weiteres, häufig vorgebrachtes Argument gegen richtig, dass diese Option in die Eigentumsrechte der die Trennung von Netz und Erzeugung bzw. Vertrieb ist Konzerne eingreift. Wir betonen aber auch die Vorraus- die Gefährdung der Sicherheit der Energieversorgung. setzungen, die für eine solche Entflechtung von Unter- Dieses Argument überzeugt ebenfalls nicht. Verschiede- nehmen gegeben sein müssen: Es muss sich erstens um nen Studien der EU-Kommission ist zu entnehmen, dass einen Markt mit gesamtwirtschaftlicher Bedeutung han- es in Europa eine Vielzahl von Ländern gibt, in denen deln. Dies betrifft vor allem Märkte mit Gütern, an de- die Trennung von Erzeugung und Netz längst Realität nen ein erhebliches versorgungs- und strukturpolitisches ist. Im Stromsektor ist dies beispielsweise in elf von Interesse besteht, zum Beispiel den Energiemarkt. Zu- 27 EU-Staaten der Fall, im Gassektor in mindestens sie- dem muss zweitens das betroffene Unternehmen eine ben Ländern. Es gibt aber kein einziges erkennbares Zei- marktbeherrschende Stellung innehaben. Drittens darf chen, dass die Versorgungssicherheit in diesen Ländern zugleich auf diesem Markt auf absehbare Zeit kein we- gelitten hat. Deshalb gibt es auch bei der EU-Kommis- sentlicher Wettbewerb zu erwarten sein. sion keine Bedenken, die eigentumsrechtliche Entflech- tung auf europäischer Ebene durchzusetzen. In Ländern Wir sagen aber auch, dass eine Entflechtung, also die wie Großbritannien und den Niederlanden, wo es bereits eigentumsrechtliche Trennung von Energieproduktion die Trennung von Stromerzeugung und Netz gibt, ist die und -verteilung, erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt Aufteilung auch relativ konfliktfrei vonstattengegangen. sind und auch nur dann, wenn auf andere Weise kein we- sentlicher Wettbewerb zu erreichen ist, als politische Lö- Kurz- bis mittelfristig ist nicht mit einem Abbau der sung angewandt werden soll. Das ist auch etwas anderes Marktzutrittsschranken und damit auch nicht mit mehr als eine Enteignung im klassischen Sinne. Denn zum ei- Wettbewerb zu rechnen. Deshalb müssen die verkruste- nen schaffen wir die Möglichkeit, dass das betroffene ten Marktstrukturen im Energiesektor aufgebrochen Unternehmen die Entflechtung maßgeblich mitgestalten werden. Wir brauchen endlich einen sich selbst tragen- kann, indem es Vorschläge für eine Unternehmensumge- den, dauerhaften Wettbewerb im Energiemarkt. Aus die- staltung unterbreitet. Zum anderen stehen diejenigen, die sem Grunde müssen endliche alle Elemente, von der An- für einen solchen Schritt plädieren, auch nicht im Ver- reizregulierung bis zum Ausbau der Grenzkuppelstellen, dacht, radikale Enteignungsfanatiker zu sein. So forderte ausgeschöpft werden. Wenn das alles nichts bewirkt, die Deutsche Bank in einer aktuellen Studie die eigen- dann ist „die vollständige Trennung … die sauberste tumsrechtliche Entflechtung. Die DB Research stellt in Lösung“ so der Energiemarktexperte Christian von dieser Studie fest: Hirschhausen in der aktuellen Wirtschaftswoche. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15943

(A) Es geht letztlich um eine Urforderung der sozialen zu groß. Die Ministererlaubnis muss abgeschafft wer- (C) Marktwirtschaft, nämlich dass Wettbewerb gewährleistet den. werden muss. Eine Entflechtungsnorm als Ultima Ratio ins GWB aufzunehmen, wäre kein Akt der Verstaatli- Insofern geht auch ihre Forderung nach Eingriffsmög- chung, sondern ein Mittel, um der freien Marktwirtschaft lichkeiten des Wirtschaftsministeriums gegenüber Ent- zum Durchbruch zu verhelfen. In diesen Bereichen muss flechtung, wenn es um Global Player auf internationalen die Bundesregierung ihre Hausaufgaben machen und Märkten und die Auswirkungen auf ihre Stellung geht, endlich ein schlüssiges Konzept vorlegen. Die Union in die völlig falsche Richtung. Stattdessen sind hier auch steht vor einer Richtungsentscheidung, da die von ihr ge- auf europäischer und internationaler Ebene Schritte ge- führten Regierungen in Hessen und Schleswig-Holstein gen die Macht der Global Player notwendig. in dieser Debatte schon wesentlich weiter sind als die Dabei ist es wichtig – und das fehlt bei Ihnen völlig – Bundesregierung. das Kartellrecht vom reinen Wettbewerbsrecht auf den Verbraucherschutz auszuweiten. Die Folgen des Miss- Ulla Lötzer (DIE LINKE): Eon vermeldet eine Stei- brauchs der Marktmacht tragen ja nicht nur die Konkur- gerung des Konzerngewinns für 2007 um 27 Prozent auf renten am Markt, sondern meist auch die Verbraucherin- 7,7 Milliarden Euro. RWE steigert sein Betriebsergebnis nen und Verbraucher. Deren Rechte müssen gestärkt um 15 Prozent auf 6,5 Milliarden Euro, obwohl der Kon- werden. Beim Eingreifen des Bundeskartellamtes wegen zern 2007 eine halbe Million Kunden verloren hat. Diese der Einpreisung der CO2-Zertifikate haben nur andere Gewinne haben wir alle bezahlt, mit unserer monatli- Unternehmen eine Entschädigung erhalten. Die Verbrau- chen Strom- und Gasrechnung. Der Energiemarkt ist ein cherinnen und Verbraucher, die die Preise letztlich be- Paradebeispiel für vermachtete Strukturen und den Miss- zahlt haben, sind leer ausgegangen. brauch von Marktmacht. Die Folge sind überteuerte Deshalb, Kolleginnen und Kollegen der FDP: Den Preise und eine Energieversorgung, die auf große um- Ansatz teilen wir, über die Ausführungen müssen wir weltschädliche Kohle- und Atomkraftwerke setzt. noch streiten, wenn Entflechtung zu mehr Demokratie in der Wirtschaft führen soll. Die Diskussion um diesen Missbrauch hat zu dem hessischen Gesetzentwurf geführt, den Sie, von der FDP nun hier parallel in den Bundestag einbringen. Ja, es ist Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ein eindeutiges Defizit der deutschen Gesetzgebung, Wir begrüßen den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung dass sie keine Entflechtung kennt. Der vorliegende des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen der Gesetzentwurf bietet eine Diskussionsgrundlage, krankt FDP, wie wir bereits den Antrag „Mehr Dynamik und mehr Wettbewerb für die deutsche Volkswirtschaft – (B) aber noch an folgenden Stellen: (D) Entflechtungsregelung in das GWB und europäische Sie sagen, Marktmacht und Missbrauch reichten nicht Recht integrieren“, Drucksache 16/4065, positiv gesehen für Entflechtungsregeln aus. Sie sind der Auffassung, es haben. Ich möchte kurz daran erinnern, dass das Thema sei nur in Erwägung zu ziehen, wenn der Wettbewerb Entflechtung von marktbeherrschenden Unternehmen durch ein Übermass an Martkmacht beschränkt wird und schon verschiedentlich im Bundestag durch die SPD in mit herkömmlichen Mitteln nicht nachhaltig beseitigt der zehnten Wahlperiode und die Grünen in der werden könne. Das halten wir für eine zu hohe Hürde. 13. Wahlperiode eingebracht worden ist. Das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung muss selbst Grund genug sein, ein Entflechtungsverfahren ein- Damit sind wir beim Thema! Für einen dynamischen leiten zu können. Es muss dann Sache des Unterneh- Wettbewerb fehlt im deutschen Gesetz gegen die Wett- mens sein nachzuweisen, dass kein Missbrauch vorliegt. bewerbsbeschränkung noch ein Instrument für eine ak- tive Wettbewerbspolitik. In den angelsächsischen Län- Ein Aspekt fehlt ihnen völlig: Während Sie und das dern wurden mit dem Instrument der Entflechtung von Kartellrecht im Wesentlichen nur auf den Wettbewerb Unternehmen sowohl für Unternehmen, die horizontal abzielen, haben wir einen umfassenden demokratiepoli- eine marktbeherrschende Stellung hatten, als auch für tischen Zugang zu dem Thema. Ziel einer Entflechtungs- Unternehmen, die vertikal integriert waren und deshalb regelung muss auch sein, wirtschaftliche Macht zu ver- eine marktbeherrschende Stellung hatten, gute Erfahrun- hindern. Wirtschaftliche Macht ist auch politische Macht gen gemacht. Der Wettbewerb auf den jeweiligen Märk- und gefährdet demokratische Entscheidungsprozesse. ten konnte wieder belebt und Innovationen befördert Wir alle erleben doch ständig die Einflussnahme einiger werden. Stichworte sind AT&T Fernmeldemonopolist in weniger transnationaler Konzerne bis hin zur Erpressung den USA oder Standard Oil in den USA. Ökonomen der Politik. Neben der von uns bereits viel diskutierten kommen zu der Erkenntnis, dass die aktive struktur- Macht der Energiekonzerne gilt das insbesondere auch orientierte Wettbewerbspolitik positiv zu bewerten ist. für die Medien, weil es dort um Macht über Meinungs- Zur Schaffung wettbewerblicher Bedingungen auf Infra- bildung und politische Willensbildung geht. strukturmärkten oder in Netzökonomien ist eine aktive Wettbewerbspolitik notwendig. Denn die vorhandenen Der Ministerdispens geht ebenfalls in die falsche Marktstrukturen, beispielsweise in den Energiemärkten, Richtung. Wir haben beim Eon/Ruhrgas Verfahren führen zur Beeinträchtigung des Wettbewerbs. Um hier exemplarisch gesehen, wie die Ministererlaubnis miss- die Wettbewerbsintensität zu steigern, ist eine Entflech- braucht wird. Die Verflechtungen zwischen Wirtschaft tung der marktbeherrschenden Unternehmen oder Mo- und Politik, gerade auch im Energiesektor, sind einfach nopolisten geboten. Wenn es in Deutschland dieses In- 15944 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

(A) strument im GWB schon eher gegeben hätte, dann wäre schaftlichen Verhältnisse das Risiko, im Misserfolgsfall (C) das Ziel der Europäischen Kommission, einen europäi- mit den Kosten qualifizierter anwaltlicher Unterstützung schen Energiebinnenmarkt zu schaffen, in Deutschland belastet zu bleiben, nicht oder zumindest nicht vollstän- einfacher umzusetzen gewesen. dig zu tragen vermöge, und ihn dies von der Verfolgung seiner Rechte abhalte. Das Bundesverfassungsgericht Dabei ist die Entflechtung von marktbeherrschenden hat insoweit trotz der bestehenden Institute der Prozess- Unternehmen in der Regel ein einmaliger Akt, um den kostenhilfe und der Beratungshilfe zugunsten unbemit- Wettbewerb auf verkrusteten oder vermachteten Märk- telter Rechtsuchender eine Lücke gesehen, die es zu ten wieder zu beleben. Deshalb ist es nur ein ergänzen- schließen gelte. Wir wollen diese Lücke allerdings mit des Instrument im GWB zu den anderen verankerten Augenmaß und möglichst eng begrenzt an den vom Bun- Wettbewerbsinstrumenten, wie das Verbot wettbewerbs- desverfassungsgericht gemachten Vorgaben schließen. beschränkender Verhaltensweisen oder die Missbrauchs- aufsicht. Das Instrument der Entflechtung ist aber auch In den USA haben die Erfolgshonorare für Anwälte, in Fusionsverfahren relevant, um von vornherein die Contingency Fees, die ursprünglich zur Unterstützung Entstehung von Marktmacht zu verhindern. Dieser vermögensloser Kläger gedacht waren, ganz erheblich Aspekt ist auf europäischer Ebene in Art. 81 und 82 be- zur Etablierung einer Anwaltsindustrie beigetragen. In reits verankert. Trotzdem gehen wir an dieser Stelle mit den USA sind inzwischen Schadensersatzprozesse nicht unseren Forderungen über den Gesetzesentwurf der FDP selten Investitionen hochspezialisierter Anwaltskanz- hinaus und fordern – wie bereits in unserem Gesetzes- leien, die zunächst in eigener Regie nach haftungsrele- entwurf zur Änderung des GWB, Drucksache 16/365 vanten und lukrativen Sachverhalten suchen, um sich von Januar 2006 – die Abschaffung der Ministererlaub- erst nach erfolgter Recherche und Kalkulation quasi als nis § 42 GWB. letztem Schritt auch noch nach passenden Klägern umse- hen. Die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Wirt- schaft und die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie das Bei Erfolgshonoraren, die bis zu 40 Prozent der ins- Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher an preis- gesamt zugesprochenen Summe eines Vergleichs oder werten, ökologischen und qualitativ hochwertigen Gütern Urteils betragen können, ist dies wahrlich eine unter- werden am ehesten durch einen wettbewerblichen Ord- nehmerische Investition in die Zukunft, leider mit ein nungsrahmen gewährleistet. In der Vergangenheit wurde paar unerwünschten Schattenseiten. Mehr als nötig die Ministererlaubnis häufig mit dem Argument, Ein- agiert in diesem System der Anwalt wie ein freier Un- schränkungen des Wettbewerbs waren durch die Schaf- ternehmer, dessen betriebswirtschaftliche Interessen fung multinationaler Konzerne mit Sitz in Deutschland zu mir doch zu sehr an erster Stelle stehen. All dies sind (B) rechtfertigen, begründet. An dieser Idee hält die FDP mit Entwicklungen und Erscheinungen, die nach meiner (D) dem Ministerdispens gemäß § 42 a fest. Wir sind der Mei- festen Überzeugung nicht zu unserer bewährten deut- nung, dass der eigentliche Bezugsrahmen der europäische schen Rechtstradition passen und die wir tunlichst mei- Binnenmarkt ist und nicht die Schaffung nationaler den sollten. Amerikanische Verhältnisse – ich habe das Champions! Eine dynamische und innovative Volkswirt- immer wieder betont – wollen wir jedenfalls nicht. schaft lebt von ihrer Vielfalt, auch von ihrer Vielfalt an Unternehmen, die einen fairen Wettbewerb benötigen. Ich bin dem Bundesverfassungsgericht deshalb außer- ordentlich dankbar, dass es in seiner Entscheidung den dem Verbot der Vereinbarung von Erfolgshonoraren zu- Anlage 4 grunde liegenden gesetzgeberischen Erwägungen sozu- sagen seinen verfassungsgerichtlichen Segen erteilt hat. Zu Protokoll gegebene Reden Der Schutz der anwaltlichen Unabhängigkeit, das Ver- trauen der Bevölkerung in die Integrität der Anwalt- zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur schaft und der Schutz der Rechtsuchenden vor einer Neuregelung des Verbots der Vereinbarung von Übervorteilung durch überhöhte Gebührensätze sind Erfolgshonoraren (Tagesordnungspunkt 15) vom Gericht ausdrücklich als legitime Ziele, die eine Einschränkung der Berufsfreiheit rechtfertigen, bewertet Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): Wir beraten heute in worden. erster Lesung den Entwurf des Gesetzes zur Neuregelung des Verbots der Vereinbarung von Erfolgshonoraren. Es Der vorliegende Gesetzentwurf beruht auf Vorschlägen handelt sich dabei um ein Gesetzgebungsvorhaben, das der Bundesrechtsanwaltskammer und des Deutschen An- aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsge- waltsvereins. Während der DAV – wie schon im Verfah- richts notwendig geworden ist. Das Bundesverfassungs- ren vor dem Bundesverfassungsgericht – für einen weitge- gericht hat mit Beschluss vom 12. Dezember das gegen- henden Entfall des Verbots von Erfolgshonoraren plädiert wärtig in der Bundesrechtsanwaltsordnung enthaltene hatte, war die BRAK für eine strikt an der vom Bundes- Verbot der Vereinbarung von Erfolgshonoraren zwar im verfassungsgericht verlangten Ausnahmeregelung orien- Grundsatz bestätigt. Es hat allerdings unter dem Gesichts- tierte Umsetzung eingetreten. Der Gesetzentwurf be- punkt der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG für eine schreitet einen Mittelweg. Er geht allerdings insoweit über bestimmte Fallkonstellation Ausnahmen gefordert. die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hinaus, als er die dort geforderte Ausnahme vom grundsätzlichen Eine Lockerung dieses Verbots soll dann erforderlich Verbot von erfolgsabhängigen Vergütungen nur als Regel- sein, wenn ein Rechtsuchender aufgrund seiner wirt- beispiel beschreibt. Bundesrat und BRAK befürchten da- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15945

(A) her, dass auf diese Weise weitere Möglichkeiten für Er- anwalt nicht zum Gesellschafter einer Partei im Rechts- (C) folgshonorare eröffnet werden. streit herabwürdigen.“ Ganz so drastisch möchte ich es nicht ausdrücken, aber eine gebotene kritische Distanz, Da das Bundesverfassungsgericht in seiner Ent- die gewahrt bleiben muss, ist eine unverzichtbare Vo- scheidung allerdings auch die Möglichkeit eröffnet raussetzung für eine funktionierende Rechtspflege. Da- hatte, das Verbot von Erfolgshonoraren gänzlich entfal- neben muss die Regelung so ausgestaltet sein, dass sie len zu lassen, lässt der Gesetzentwurf auch in Fällen, in den Rechtsuchenden vor einer Übervorteilung durch denen die Rechtsverfolgung für den Rechtsuchenden überhöhte Vergütungssätze schützt und die prozessuale mit erheblichen finanziellen Risiken verbunden ist, sol- Waffengleichheit im Auge behält, da der Beklagte im che Vereinbarungen zu. Wir werden im weiteren Ver- Prozess nicht über die Möglichkeit verfügt, sein Kosten- lauf der Gesetzesberatungen sehr genau prüfen, ob risiko ähnlich zu verlagern. Zudem schützen geregelte diese im Regierungsentwurf vorgesehene etwas weitere Vergütungssätze, darunter auch gesetzliche Mindestge- Öffnung der Zulässigkeit der Vereinbarung von Er- bühren, dass Dumpingpreise die Qualität des Rechtsrats folgshonoraren mit unserem Kernanliegen einer engen mindern. Begrenzung auf das verfassungsrechtlich Unabding- bare vereinbar ist. Ein gänzliches Verbot einer erfolgsbasierten Vergü- tung kann aber gleichermaßen zu unbilligen Ergebnissen Da das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber führen, hat zu Recht das Bundesverfassungsgericht ent- aufgegeben hat, bis zum 30. Juni 2008 eine Regelung zu schieden. Es sind eben nicht nur Fälle vorstellbar, in de- treffen, ist höchste Eile geboten. Wir werden deshalb im nen das Verbot von Erfolgshonoraren eine qualifizierte Rechtssausschuss nach Ostern ein erweitertes Berichter- Rechtsberatung und -durchsetzung garantiert. Es ist auch stattergespräch durchführen und im Lichte der dort ge- denkbar, dass durch ein solches ausnahmsloses Verbot wonnenen Erkenntnisse zu einem baldigen Abschluss Rechtsverfolgung erschwert oder gar unmöglich ge- des Gesetzgebungsvorhabens kommen. macht wird. Bisher ließ das Gesetz keine Ausnahmen des Grundsatzes vom Verbot von Erfolgshonoraren zu. Christoph Strässer (SPD): Ein deutsches Sprich- Damit soll und muss Schluss sein. Bis zum 30. Juni 2008 wort besagt: Recht haben und Recht bekommen sind haben wir eine Neuregelung dieses Problems zu be- zwei verschiedene Dinge. – Die Rechtsweggarantie, also schließen. der Anspruch eines jeden Bürgers, gerichtliche Hilfe zur Durchsetzung vermeintlicher Rechtspositionen wahr- Welche Fälle sind denkbar, in denen Ausnahmen nehmen zu können, ist in einem Rechtsstaat ein hohes vom Grundsatz des Verbots von Erfolgshonoraren Sinn Gut – manchmal auch ein teures. Sein Recht zu bekom- machen? Das kann für Fälle zutreffen, in denen um Rechte gestritten wird, die einen wesentlichen Vermö- (B) men, darf aber in einem Rechtsstaat jedenfalls nicht da- (D) ran scheitern, dass der Rechtsuchende seinen vermeintli- gensbestandteil eines Rechtsuchenden ausmachen wie chen Rechtsanspruch deshalb nicht geltend macht, weil zum Beispiel bei einem Prozess um einen Erbteil oder er es sich nicht leisten kann. Daher gibt es aus guten einen Entschädigungsbetrag. Auch hohe, aber streitige Gründen die Prozesskostenhilfe; und das soll in vollem Schmerzensgeldforderungen könnten in bestimmten Umfang auch so bleiben. Es kann aber Fälle geben, in Fällen wirtschaftlich nur durchsetzbar sein, wenn der denen für Rechtsuchende, die wegen ihrer Einkommens- Geschädigte die Gewissheit hat, im Verlustfall zumin- und Vermögensverhältnisse keine Prozesskosten- oder dest neben den Kosten des Verfahrens und der gegneri- Beratungshilfe mehr in Anspruch nehmen können, eine schen Anwaltskosten nicht auch noch die Kosten des Rechtsverfolgung zum Beispiel ein so großes finanziel- eigenen Anwalts tragen zu müssen. Ähnliches kann für les Risiko darstellt, dass sie davon absehen. Deshalb mittelständische Unternehmen gelten, die vor der Frage kann es Sinn machen, Erfolgshonorare für Anwälte in stehen, ob sie einen riskanten Bauprozess führen sol- Ausnahmefällen zuzulassen. Damit würde für Kläger len, der mit erheblichen finanziellen Risiken verbunden das finanzielle Risiko sinken, einen Prozess zu führen. ist. Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung wird Dass Bedarf an einer moderaten Liberalisierung be- deshalb das bislang geltende Verbot von Erfolgshonora- steht, wird jedenfalls deutlich. Studien haben gezeigt, ren gelockert und es Anwälten und Mandanten künftig dass eine Mehrheit der Anwaltschaft sich für eine Öff- erlaubt, eine erfolgsabhängige Vergütung im Einzelfall nung ausspricht und Erfolgshonorare befürwortet. In ei- zu vereinbaren, wenn der Rechtsuchende ansonsten da- ner Befragung gab sogar eine ganze Reihe von Anwälten von absehen würde oder, schlimmer noch, müsste, seine an, bereits verbindlich oder unverbindlich schon einmal Rechte wahrzunehmen. Erfolgshonorare vereinbart zu haben. Ein Großteil der Anwaltschaft sei zudem schon von Mandanten auf die Mit diesem Entwurf wird aber gleichzeitig klarge- Möglichkeit von erfolgshonorierter Mandatsübernahme stellt, dass eine „Amerikanisierung“ unserer Rechts- angesprochen worden. Auch im Hinblick auf die interna- ordnung nicht befürchtet werden muss. Eine gesunde tionale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Anwalt- Portion Skepsis gegenüber amerikanischen Erfolgshono- schaft ist eine Liberalisierung zu begrüßen. Denn in raren für Rechtsanwälte bleibt durchaus berechtigt. Europa gibt es sehr wohl einen allgemeinen Trend zum Denn es gibt sehr wohl gute Gründe für einen zurückhal- Erfolgshonorar. In vielen europäischen Nachbarländern tenden Umgang mit Erfolgshonoraren. Ein Kommentar sind Erfolgshonorare bereits zulässig oder sind derartige zur Rechtsanwaltsordnung von 1920 drückt es noch so Bestrebungen im Gange. Der Gesetzentwurf trägt auch aus: „Als Organ der Rechtspflege darf sich der Rechts- dieser Entwicklung Rechnung. 15946 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

(A) Er erfüllt die Vorgaben des BVerfG und den Wunsch frage zu stellen. Es ist für uns Liberale wichtig, dass bei (C) der Anwaltschaft, ohne das grundsätzliche Verbot der dieser Diskussion nicht allein Aspekte des Wettbewerbs Vereinbarung von Erfolgshonoraren in Frage zu stellen. ausschlaggebend sind. Das Berufsrecht und damit auch Die Möglichkeit einer vollständigen Freigabe wäre unter die Gebührenordnung muss auch im Lichte der Interes- bestimmten Voraussetzungen nach der Entscheidung des sen der Verbraucher und im vorliegenden Fall im Inte- BVerfG zwar durchaus verfassungskonform gewesen. resse der Wahrung einer geordneten Rechtspflege gese- Aber wie ich meine, aus guten und genannten Gründen hen werden. sieht der Gesetzentwurf davon ab und beschreitet einen Mittelweg, indem er zwar geringfügig über das vom In Abwägung der genannten Gemeinwohlziele BVerfG vorgegebene Minimum hinausgeht, aber vom kommt für uns schon aus diesen Gründen eine vollstän- Maximum der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten dige Freigabe von Erfolgshonoraren nicht in Betracht. keinen Gebrauch macht und die Zweckmäßigkeit der Mit der Bundesregierung sind wir der Auffassung, dass bisherigen Regelung nicht grundsätzlich in Frage stellt. sich unser bisheriges System bewährt hat. Wir brauchen keine Erfolgshonorare nach amerikanischem Vorbild. Für den Fall der Vereinbarung von Erfolgshonoraren Die Entscheidung zur Übernahme einer Rechtssache sollen in Zukunft zum Schutz der Rechtsuchenden Auf- darf nicht primär eine kaufmännisch zu beurteilende In- klärungs- und Hinweispflichten normiert werden. So vestitionsentscheidung sein. Zwar werden amerikani- wird sichergestellt, dass der Rechtsuchende aufgrund ei- sche Verhältnisse nicht alleine durch die teilweise ner asymmetrischen Informationsverteilung nicht über- Ermöglichung von Erfolgshonoraren entstehen, da exor- stürzt und unüberlegt eine Entscheidung trifft, deren bitante Schadensersatzforderungen und exorbitante An- wirtschaftliche Risiken er nicht abschätzen kann. waltshonorare in den USA auf das gesamte US-amerika- nische Rechtssystem zurückzuführen sind. Wir sollten Während der Gesetzentwurf in der Anwaltschaft doch ganz grundsätzlich auf Zustimmung stößt, gibt es hin- aber den Anfängen wehren und uns nicht schrittweise sichtlich einiger dieser formalen Vorschriften im Detail dem amerikanischen Rechtssystem annähern. Ich ver- gleichwohl noch Gesprächsbedarf. Einige der Regelun- weise in diesem Zusammenhang nur auf die europäi- gen gingen zu weit und würden unverhältnismäßig in be- schen Bestrebungen zur Einführung von Sammelklagen. stehende Praktiken eingreifen. In Stellungnahmen unter Wir brauchen eine Regelung, die es Rechtsuchenden anderem des Bundesrates, des Deutschen Anwaltvereins ermöglicht, durch die Vereinbarung einer erfolgsbasier- und der Bundesrechtsanwaltskammer wurden einige Be- ten Vergütung das finanzielle Risiko einer Klage zumin- denken vorgetragen. Die Bundesregierung ist in ihrer dest teilweise auf den Rechtsanwalt zu verlagern, wenn Gegenäußerung bereits auf eine ganze Reihe von Punk- sie sonst insbesondere aufgrund ihrer Einkommens- und (B) ten, auch zustimmend, eingegangen. In den anstehenden Vermögensverhältnisse davon absehen würden, ihre (D) Beratungsgesprächen werden wir diese Fragen noch ein- Rechte geltend zu machen. Daher begrüßen wir es, dass mal vertiefen. Aber ich bin mir schon jetzt sicher, dass die Bundesregierung eine Regelung vorschlägt, wonach wir ein Gesetz mit Augenmaß verabschieden werden, auch in Zukunft die Vereinbarung von Erfolgshonoraren ein Gesetz, das vor allen den Belangen der Rechtsuchen- grundsätzlich die Ausnahme sein wird. Der Gesetzent- den, aber auch der Anwaltschaft Rechnung trägt. wurf ist im Wesentlichen auch bei den beteiligten Krei- sen auf Zustimmung gestoßen. Zum Teil wird allerdings Mechthild Dyckmans (FDP): Die Bundesregierung gefordert, dass ausschließlich die wirtschaftlichen Ver- hat dargestellt, welche Rahmenbedingungen das hältnisse des Mandanten Voraussetzung für die Zulässig- Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber zur Neu- keit der Vereinbarung von Erfolgshonoraren sein sollen. regelung der Erfolgshonorare vorgegeben hat. Das Der Gesetzentwurf geht hier etwas weiter, wenn er an ausnahmslose Verbot der Erfolgshonorare ist verfas- die „besonderen Umstände der konkreten Angelegen- sungswidrig. Wir können das Verbot vollständig aufhe- heit“ anknüpft und die wirtschaftlichen Verhältnisse nur ben oder müssen, wenn wir dies nicht wollen, zumindest als einen – wenn auch wichtigen – Umstand ansieht. In Ausnahmen von dem Verbot zulassen. unseren Beratungen im Rechtsausschuss werden wir si- cherstellen müssen, dass damit nicht ein Einfallstor für Für die FDP sage ich ganz klar: Für uns haben die die generelle Vereinbarung von Erfolgshonoraren ge- vom Gesetzgeber mit dem Verbot verfolgten Gemein- schaffen werden soll. wohlziele – Wahrung der Unabhängigkeit des Anwalts, Schutz der Rechtsuchenden vor Übervorteilung und Her- Das Gesetz sieht bei der Vereinbarung von Erfolgsho- stellung der prozessualen Waffengleichheit vor Gericht – noraren zum Schutze der Mandanten auch besondere In- ein hohes Gewicht. Diese Gemeinwohlziele müssen wir formations- und Belehrungspflichten vor. So sind im Ge- auch bei einer eventuell in naher Zukunft aus Europa auf setzentwurf zum Beispiel Informationspflichten zu uns zukommenden Debatte über Gebührenordnungen finden hinsichtlich einer kurzen Darstellung der wesent- der freien Berufe – also auch der Anwälte – im Auge be- lichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen, auf halten. Zwar hat der EuGH erst im vergangenen Dezem- denen die Einschätzung der Erfolgsaussichten beruht, ber zum Fall „Cipolla“ entschieden, dass die mitglied- der Bedingung, bei deren Eintritt die Vergütung verdient staatlichen Anwalts-Gebührenregelungen mit dem sein soll, und eines Hinweises, dass der Mandant im europäischen Wettbewerbsrecht vereinbar sind. Trotz- Falle des Unterliegens gegebenenfalls die Gerichtskos- dem sind auf europäischer Ebene weiterhin Bestrebun- ten und die gegnerischen Kosten zu tragen habe. Die gen im Gange, die nationalen Gebührenordnungen in- Bundesregierung hat sich bereits bereit erklärt, die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15947

(A) Pflicht zur Angaben der voraussichtlichen gesetzlichen So klar sah man das einmal, und so klar sieht es (C) Vergütung und erfolgsunabhängigen vertraglichen Ver- meine Fraktion auch heute noch. Wir meinen, das Gute gütung noch einmal zu überarbeiten. am vorgelegten Entwurf ist, dass man im Justizministe- rium der Versuchung widerstanden hat, die vom Bundes- Unnötige Bürokratie wollen wir mit diesem Gesetz verfassungsgericht leicht geöffnete Tür zum Erfolgsho- nicht schaffen; nur die wirklich sinnvollen und für die norar voll aufzustoßen. Der Regierungsentwurf wählte Entscheidung beider Seiten notwendigen Informations- eine andere Lösung. Sie besteht darin, zu dem grundsätz- und Belehrungspflichten sollten Eingang in das Gesetz lichen Verbot einen Ausnahmetatbestand zu schaffen, finden. Abschließend müssen wir uns auch über die An- der insbesondere sozial schwachen Rechtsuchenden nüt- wendungsbereiche der geplanten Regelung klar werden: zen soll. Künftig soll es nicht nur möglich sein, Erfolgshonorare bei den klassischen zivilrechtlichen Konstellationen zu Der Ausnahmetatbestand lässt sich allerdings auch vereinbaren. Erfolgshonorare sollen – zumindest theore- auf eine ganze Reihe von anderen Konstellationen bezie- tisch – auch bei Familienangelegenheiten, öffentlich- hen. In denen müsste es allerdings nicht zwingend um rechtlichen Streitigkeiten und – dies möchte ich an die- soziale Fragen gehen. Wir werden im Rechtsauschuss ser Stelle deutlich machen – im Strafrecht vereinbart bei den anstehenden Beratungen also darauf Acht geben, werden können. Das Bundesverfassungsgericht hat sich dass sich der Ausnahmetatbestand im Entwurf nicht auch mit diesem Aspekt der Erfolgshonorare befasst. Es plötzlich in eine allgemeine Öffnungsklausel verwan- hat uns in deutlichen Worten darauf hingewiesen, dass delt. Eine Frage bleibt im Entwurf der Regierung aller- auf dem Gebiet des Familien- und Strafrechts, aber auch dings völlig unbehandelt. Das ist die wichtige Frage in weiten Bereichen des öffentlichen Rechts keine Ver- nach dem Zusammenhang von Erfolgshonorar und Pro- mögenswerte generiert werden, die den Mandanten in zesskostenhilfe. Diesen Zusammenhang greift auch das die Lage versetzen, die Anwaltskosten aufzubringen. Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung, die Auch wir sollten uns mit dieser Frage beschäftigen. dem aktuellen Vorhaben zugrunde liegt, auf. Ich zitiere: Wichtig ist mir hier insbesondere der Umstand, dass Die Möglichkeit, mit einem Rechtsanwalt ein Erfolgs- nach dem Gesetzentwurf in der Vereinbarung mit dem honorar zu vereinbaren, kann das Institut der Prozess- Mandanten auch die wesentlichen tatsächlichen Um- kostenhilfe nicht ersetzen. Der mittellose Rechtsuchende stände anzugeben sind, auf denen die Einschätzung der darf durch Versagung der Prozesskostenhilfe nicht fak- Erfolgsaussichten beruht. Es ist hier jedoch zu beachten, tisch dazu gezwungen werden, eine Erfolgshonorarver- dass einem Angeklagten nicht einerseits das Recht zum einbarung abzuschließen. Sie sehen also, wie genau das Schweigen eingeräumt werden kann und andererseits der Gericht aktuelle Tendenzen in der Politik beobachtet und Zwang ausgeübt wird, den Sachverhalt korrekt in der (B) welche Warnungen es für erforderlich hält. Sie wissen (D) Vergütungsvereinbarung darstellen zu müssen. Hierüber auch, dass im Rechtsauschuss ein Entwurf des Bundes- müssen wir reden. rates zur Begrenzung der Prozesskostenhilfe bereits vor- Ob Schriftformerfordernisse, Informationspflichten liegt. Es ist aber zu allererst Sache des Staates, nicht der oder Prognoseentscheidungen – wir haben noch etwas Anwaltschaft, mittellosen oder einkommensschwachen Zeit für unsere Beratungen bis zum Ablauf der Frist, die Personen die Wahrnehmung ihrer Rechtsangelegenhei- uns das Bundesverfassungsgericht gesetzt hat. Lassen ten zu ermöglichen. Ein Erfolgshonorar kann diese Sie uns diese sinnvoll nutzen. Pflicht sinnvoll ergänzen, keinesfalls ersetzen. Wer die- sen Ersatz gleichwohl betreibt, der führt eine Privatisie- rung staatlicher Fürsorgepflichten auf dem Rücken der Wolfgang Nešković (DIE LINKE): Wir beraten Rechtsuchenden durch. Das ist nicht hinnehmbar und heute einen Gesetzesantrag, weil das Bundesverfas- wird auf unseren heftigen Widerstand stoßen. Sozial- sungsgericht die rechtspolitische Entscheidung, Erfolgs- demokratische Unterstützung ist uns hierbei willkom- honorare ausnahmslos zu verbieten, verfassungsrecht- men. lich beanstandet hat. Das Gericht hat damit nicht die rechtspolitische Entscheidung für ein grundsätzliches Verbot von Erfolgshonoraren bemängelt, sondern nur die Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Striktheit dieser Entscheidung gerügt. Daraus ergibt sich Um es gleich vorwegzunehmen. Ich bin kein Freund da- die Aufgabenstellung, auf die wir uns beschränken soll- von, die Bezahlung von Rechtsbeistand vom späteren ten. Dafür gibt es gute Gründe. Erfolg abhängig zu machen. Als allgemeines Modell der Anwaltsvergütung taugt es nicht. Wenn jedoch Lücken Ich erinnere an die Motivlage bei Einführung des ge- beim Zugang zur Rechtsverfolgung bestehen, müssen setzlichen Verbotes für Erfolgshonorare im Jahre 1994. wir sie schließen. Unsere Maxime dabei ist aber: Das In der Gesetzesbegründung heißt es: darf nur in begründeten Einzelfällen und nur dann pas- sieren, wenn der Mandant aus wirtschaftlichen Gründen Bei dem Verbot, ein Erfolgshonorar zu vereinbaren, von einer ordentlichen Vertretung seiner Interessen ab- steht die Frage der Unabhängigkeit des Anwaltes geschnitten wäre. Dass es solche Fälle gibt, zeigt uns die im Vordergrund. Sie ist gefährdet, wenn bei der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Für sol- Führung der Sache wirtschaftliche Erwägungen den che Fallkonstellationen brauchen wir eine neue Rege- Ausschlag geben könnten. lung und wir brauchen Rechtssicherheit. 15948 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

(A) Das Bundesjustizministerium hat dazu einen Entwurf tersuchung des Sachverhalts und eingehender rechtlicher (C) vorgelegt, der in die richtige Richtung zielt. Vieles sehen Prüfung erweisen. Dies gleich am Anfang von den An- wir ähnlich. An der Rechtssicherheit muss aber noch ein wälten zu verlangen, setzt zu früh an. Im Zweifel müsste wenig gefeilt werden. Wir würden die Regelung gern en- ein Anwalt vor Abschluss der Vereinbarung eine kosten- ger formuliert wissen. Sie wollen das Erfolgshonorar un- lose Vorprüfung übernehmen, um eine sichere Prognose ter „besonderen Umständen“ ermöglichen. Das scheint abgeben zu können. Das kann es nicht sein, was Sie mit uns zu weit zu gehen. Andere als wirtschaftliche Gründe ihrem Gesetzesentwurf wollen. können die Inanspruchnahme von Rechtsbeistand legiti- merweise nicht behindern. Wer Einkommen und Vermö- Nicht vollständig schlüssig erscheinen mir auch die gen hat, muss dies auf das Risiko einer Niederlage hin vorgeschlagenen Rechtsfolgen für eine nichtige Gebüh- einsetzen. Das sollte die Regel sein. Nur wenn diese Vo- renvereinbarung. Hier müsste unterschieden werden, ob raussetzungen fehlen, sollen Mandant und Anwalt aus- der Anwalt oder der Mandant das Scheitern zu verant- nahmsweise eine Sondervereinbarung treffen dürfen. worten hat. Ist Letzteres der Fall, weil dieser beispiels- Mit der jetzigen Formulierung kommt dieser Ausnahme- weise über seine Vermögensverhältnisse getäuscht hat, charakter des Erfolgshonorars zu wenig zum Ausdruck. sollte im Erfolgsfall weiterhin die vereinbarte Vergütung Dies könnte eine Hintertür öffnen, durch die auch solche zu zahlen sein. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Mandanten schlüpfen, die sich sonst einen Anwalt leis- Mandanten, die es später bereuen, ihren Anwalt an der ten können. Was ist zum Beispiel bei hochriskanten Fäl- Streitsumme beteiligt zu haben, die Vereinbarung künst- len? Sind es dann auch besondere Umstände, wenn der lich platzen lassen. Das alles sind Fragen, über die wir Anwalt zum Beispiel wegen einer ungewöhnlich hohen uns im Rechtsausschuss noch verständigen werden. Aus Leistungsklage bereit ist, sich am Risiko einer Klage ins unserer Sicht muss auch noch über weitere Detailrege- Blaue hinein zu beteiligen? Ich meine, hier sollten wir lungen gesprochen werden. So muss meines Erachtens etwas mehr Rechtsklarheit in das Gesetz bringen und uns darüber nachgedacht werden, was in den nicht seltenen an den Gedanken der Prozesskostenhilfe orientieren. Fällen geschuldet wird, in denen ein Anwalt einen Teil- erfolg erzielt. Klarzustellen ist weiterhin, dass eine Ver- Auch sollten wir darüber nachdenken, ob man den gütungsvereinbarung auch zur Abwehr von Angriffen Anwendungsbereich nicht allein Verbrauchern vorbehal- und nicht nur zur Geltendmachung von Ansprüchen ge- ten sollte. Wer Unternehmer ist, der hat schon jetzt über troffen werden kann. In der Tendenz aber liegen unsere Prozesskostenfinanzierer und Versicherer die Möglich- Einschätzungen nah beieinander und deshalb sehe ich keit, seine Interessen durchzusetzen. Der Zugang zum den kommenden Erörterungen mit Zuversicht entgegen. Recht scheint mir hier ausreichend gewährleistet zu sein.

(B) Ein Erfolgshonorar sollte zudem nicht in jeder belie- Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der (D) bigen Höhe vereinbar sein. Es setzt Fehlanreize zum Bundesministerin der Justiz: Mit dem Entwurf eines Ge- übermäßigen Prozessieren, wenn die Höhe des Honorars setzes zur Neuregelung des Verbots der Vereinbarung nicht in einem angemessenen Verhältnis zur wirtschaftli- von Erfolgshonoraren tragen wir geänderten Gegeben- chen Bedeutung der Sache und zu seinem Risiko steht. heiten des Rechtsberatungsmarktes Rechnung. Denkbar wäre es auch – da sind wir selbst noch in der Diskussion – ob nicht eine Vervielfachung der gesetzli- Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber chen Gebühren in diesen Fällen ausreichend wäre. Die aufgegeben, bis Mitte dieses Jahres, 30. Juni 2008, eine Großzügigkeit, die Sie eingangs walten lassen, wäre da- Neuregelung zu treffen, nach der Erfolgshonorare zu- für an anderer Stelle angebracht. Bei der Frage, wie die mindest dann zugelassen werden müssen, wenn „der Regelung abgeschlossen wird und welche Informations- Rechtsanwalt mit der Vereinbarung einer erfolgsbasier- pflichten den Rechtsanwalt treffen, lassen Sie leider zu ten Vergütung besonderen Umständen in der Person des viel Bürokratie zu. Die Neuregelung muss aber, wenn sie Auftraggebers Rechnung trägt, die diesen sonst davon funktionieren soll, praktikabel sein. Das ist sie bisher abhielten, seine Rechte zu verfolgen“; Beschluss vom nicht ausreichend. 12.12.2006 – 1 BvR 2576/04, Tz. 97. Erfolgshonorare müssen daher zugelassen werden zugunsten von Bürge- Für eine Gebührenvereinbarung verlangen sie die rinnen und Bürgern, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Schriftform, also eine Unterschrift. Zur Arbeitserleichte- Verhältnisse ansonsten ihre Rechte nicht verfolgen könn- rung sollte jedoch die Textform genügen. E-Mails und ten. Das Bundesverfassungsgericht hat aber zugleich be- Faxe dürften ausreichen, um die Vereinbarung in Kraft sonders betont, dass es Aufgabe des Gesetzgebers ist, zu setzen. Am Anfang des Mandats muss selbstverständ- darüber zu entscheiden, ob er an einem weitestgehenden lich eine Belehrung über die voraussichtliche gesetzliche Verbot von Erfolgshonoraren festhalten möchte oder ob Vergütung bzw. die erfolgsunabhängige vertragliche er das Verbot – so ausdrücklich das Gericht – „völlig Vergütung, die Höhe des Erfolgszuschlages, die Erfolgs- aufgeben oder an ihm nur noch unter engen Vorausset- bedingungen, die zum Eintritt des Anspruchs auf ein Er- zungen, wie etwa im Fall unzulänglicher Aufklärung des folgshonorar führen, erfolgen. Auch muss auf die Kos- Mandanten, festhalten“ möchte; Tz. 110. tentragungspflichten im Unterliegensfall sowie die Gerichtskosten hingewiesen werden. Über die Erfolgs- Die Gegebenheiten des Rechtsberatungsmarktes spre- aussichten dagegen kann vernünftigerweise zu diesem chen dafür, Erfolgshonorare in – etwas – weiterem Um- frühen Zeitpunkt noch nicht aufgeklärt werden. Wie fang zuzulassen, als es durch das Verfassungsrecht zwin- wahrscheinlich ein Obsiegen ist, muss sich erst nach Un- gend gefordert ist. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15949

(A) Es gibt viele Hinweise dafür, dass für Erfolgshono- rücksichtigen zu können. Damit passen wir das anwalt- (C) rare ein Bedarf existiert. Obwohl Erfolgshonorare abso- liche Berufsrecht an die Erfordernisse und Gegebenheiten lut verboten sind, haben nach eine Studie des Soldan- des Rechtsberatungsmarktes an. Instituts 8 Prozent der befragten Anwältinnen und An- wälte eingeräumt, Erfolgshonorare fallweise zu verein- baren; AnwBI. 2006, 50. Zwar haben sich 45 Prozent der Anlage 5 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in einer Befra- Zu Protokoll gegebene Reden gung dafür ausgesprochen, dass Erfolgshonorare nur in dem vom Bundesverfassungsgericht geforderten Aus- zur Beratung der Anträge: nahmefall – Bedürftigkeit des Mandanten – erlaubt wer- den. 55 Prozent sprechen sich aber für eine weitere Öff- – Innovative Arbeitsförderung ermöglichen – nung aus, 42 Prozent sogar für eine völlige Aufhebung Projektförderung nach § 10 SGB III zulas- des Verbots; Hommerich/Kilian, Brennpunkte des an- sen waltlichen Berufsrechts – Das Soldan Berufsrechtsbaro- – Lokale Entscheidungsspielräume und pass- meter, NJW 2007, 2308, 2314. Auch der Blick über die genaue Hilfen für Arbeitssuchende sichern Grenzen bestätigt, dass anwaltliche Erfolgshonorare als Vergütungsform bei uns anerkannt werden sollten: Welt- (Tagesordnungspunkt 16 und Zusatztagesord- weit stellen wir fest, dass erfolgsbasierte Anwaltsvergü- nungspunkt 5) tungen zunehmend zugelassen werden. Peter Rauen (CDU/CSU): Heute erleben wir wieder Die Gegebenheiten des Rechtsberatungsmarktes strei- einmal – was zumindest den Antrag der Linken betrifft – ten daher dafür, einen Mittelweg zu gehen, so wie es den zwanghaften Versuch, den prosperierenden Arbeits- auch der Deutsche Anwaltverein vorgeschlagen hat. Ein markt mit fruchtlosen Beschäftigungsmaßnahmen über- Erfolgshonorar sollte nicht nur dann vereinbart werden ziehen zu wollen. Dieser Versuch bezeugt wirtschaftli- dürfen, wenn ein Rechtsuchender aufgrund seiner wirt- che Unkenntnis und politische Unvernunft: Wir reden schaftlichen Verhältnisse darauf angewiesen ist, eine er- heute zum wiederholten Mal über das Projekt „Teilzeit folgsbasierte Vergütung zu vereinbaren, um anwaltliche Plus“, das in den Jahren 2002 bis 2004 unter anderem in Hilfe zu erhalten. Auch Rechtsuchende, für die die Dresden veranstaltet und vor über vier Jahren – zu Recht – Rechtsverfolgung mit erheblichen finanziellen Risiken beendet wurde. verbunden ist – etwa ein mittelständischer Unternehmer, In diesem Projekt sollten Unternehmen bei mangel- der vor der Frage steht, ob er einen riskanten Bauprozess hafter Auftragslage ihre Mitarbeiter in einer 50:50 Lö- führt – sollten die Möglichkeit erhalten, mit der Verein- (B) sung an öffentliche Vereine im Rahmen einer ABM-Lö- (D) barung eines Erfolgshonorars ihr Kostenrisiko zu be- sung ausleihen dürfen, um diese damit im laufenden grenzen. Arbeitsverhältnis halten zu können. Die Anwaltschaft wendet sich heute dagegen, bei der Nach Aussage der örtlichen Arbeitsagentur war die- Vereinbarung von Erfolgshonoraren zum Schutz der ses Projekt von vornherein lediglich gedacht für Kleinst- Rechtsuchenden Informationspflichten zu begründen. betriebe, wie zum Beispiel Projektierungsbüros, und Dies überrascht. Die ersten Reaktionen auf die Entschei- selbst dies sollte in einem überschaubaren Rahmen statt- dung des Bundesverfassungsgerichts waren noch anders. finden. Von flächendeckender Wirtschaftsförderung war Eine Neuregelung, so eine Pressemeldung des DAV, insofern keineswegs die Rede. Hintergedanke war zu- „müsse ... auch umfangreiche Informationspflichten des dem, in öffentlich geförderten Projekten unabgerufene Anwalts vorsehen“; Pressemeldung DAV Nr. 13/07. Fachkräfte zu platzieren, um dort deren Fachwissen ge- zielt einbringen zu können. Schnell wurde bei dieser Die Möglichkeit, ein Erfolgshonorar zu vereinbaren, Maßnahme allerdings offenkundig, dass für einen sinn- eröffnet für alle Vertragsbeteiligten Chancen und Verant- vollen Ablauf des Modells eine bezahlte Koordinations- wortung. Der Regierungsentwurf verlangt daher, dass „die stelle unabdingbar gewesen wäre, was wiederum die wesentlichen tatsächlichen Umstände und rechtlichen Er- Kosten in die Höhe getrieben hätte. wägungen kurz darzustellen [sind], auf denen die Ein- schätzung der Erfolgsaussichten beruht“; § 4 a Abs. 3 Satz Letzten Endes trug sich das ganze Projekt auch orga- 1 RVG-E. Die Rechtsuchenden – übrigens auch der An- nisatorisch nicht und hätte einer dauerhaften Fremd- walt – erhalten damit Klarheit. Dabei braucht nur das fest- finanzierung bedurft. Somit blieb es beim Versuch. Da- gehalten zu werden, was im Zeitpunkt des Vertragsschlus- raus nun ein Erfolgsmodell linker Denkart machen zu ses bekannt ist. Ermittlungs- und Prüfungspflichten des wollen, ist schon erschreckend realitätsfern. Unverfroren Anwalts vor Vertragsschluss werden nicht begründet. Für hingegen ist, dass die Linken uns vorgaukeln wollen, eine Befürchtung, Anwältinnen und Anwälte könnten dass sie sich um die Belange des Mittelstandes kümmern durch unverhältnismäßige Informationspflichten belastet könnten. Weiß doch nun wirklich jeder, wie zutiefst ab- werden, besteht also kein Anlass. lehnend gerade die Linken dem Mittelstand und mittel- ständischem Unternehmergeist entgegentreten. Nicht Erfolgshonorare sollen und werden keine „Regelform“ ohne bewußte Zielsetzung wurden deshalb mittelständi- der Anwaltsvergütung sein. Aber die Vertragsbeteiligten sche Unternehmungen gerade im gelebten Sozialismus sollen Spielraum erhalten, um die Besonderheiten ihres – also in ihrer DDR – drangsaliert und letztendlich ab individuellen Falles bei ihrer Vergütungsvereinbarung be- 1972 Stück für Stück verboten. Das Endergebnis dieser 15950 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

(A) sozialistischen Wahnvorstellung ist allgemein bekannt: mit am Leben zu erhalten. Die dadurch entstehenden (C) Völliger wirtschaftlicher Zusammenbruch! Wettbewerbsverzerrungen werden billigend, wenn nicht sogar bewusst, in Kauf genommen. Die offensichtliche Tatsache, dass sich seit dem Jahre 2005 die Rahmenbedingungen des Arbeitsmarktes und Das bedeutet kurz gesagt: Dort, wo zwei halbe Stellen der deutschen Wirtschaft erheblich geändert haben, wird für Tischler vom Amt finanziert werden, wird zugleich von ihrer, der linken Seite ebenso gänzlich ignoriert. Ich ein bis dahin regulär angestellter Tischler arbeitslos. Das meine sogar, die arbeitsmarktpolitischen Rahmenbedin- kann nun wirklich nicht Sinn der Sache sein. Dabei ist gungen haben sich nicht nur ein Jahr nach Beendigung die diesbezügliche Sperrklausel im Gesetz – § 10 SGB des Projektes, sondern eben wegen Beendigung solcher III, Absatz 1, Satz 3 – eindeutig geregelt und keinesfalls Projekte eindeutig positiv verändert. Doch bei den Lin- zu übersehen: ken gilt weiterhin das Motto, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Bei Leistungen an Arbeitgeber ist darauf zu achten, Wettbewerbsverfälschungen zu vermeiden. Zur Auffrischung Ihres Gedächtnisses hier nur kurz wenige Fakten: Die Zahl der sozialversicherungspflich- Aus gutem Grund hat deshalb auch der Bundesrech- tig Beschäftigten stieg in den letzten zwei Jahren – De- nungshof zuvor ausufernde Praktiken im Zusammen- zember 2005 bis Dezember 2007 – um über eine Mil- hang mit der Freien Förderung erfolgreich angemahnt: lion, während sie in den vier Jahren zuvor – also in der Die Agenturen förderten die Projekte unabhängig Zeit der Teilzeit Plus-Projekte – um 1,655 Millionen zu- vom Eingliederungserfolg und schufen zumeist nur rückgegangen war. Die Bruttolöhne sind in den vergan- befristete Beschäftigungen. Förderaufwand und genen zwei Jahren um 43 Milliarden Euro gestiegen, nachhaltige Eingliederung standen in keinem ange- netto 17 Milliarden Euro, in den vier Jahren zuvor messenen Verhältnis. Die BA gab nur unzureichend gerade einmal um 24 Milliarden Euro, netto 12,7 Mil- vor, wie die Projekte zu gestalten waren. … Die liarden Euro. Die Rücklagen der Rentenversicherung stie- Bundesagentur für Arbeit hat … die Projektförde- gen in den zwei Jahren unserer Regierung von 1,7 Milliar- rung ausgesetzt und wird die Freie Förderung auf den Euro auf 11,5 Milliarden Euro. Individualhilfen beschränken Zur Erinnerung: Im Oktober 2005 musste der Finanz- so der Ergebnisbericht des Bundesrechnungshofs 2006. minister der Rentenversicherung einen Kredit gewähren, um die Renten überhaupt auszahlen zu können. Tatsäch- Dieser Bericht läßt an Klarheit wenig zu wünschen lich konnten wir zu Anfang 2008 den Gesamtsozialversi- übrig, und es war im wahrsten Sinne des Wortes eine cherungsbeitrag auf unter 40 Prozent senken. Eine Maß- „weise“ Entscheidung der Bundesagentur, darauf zu rea- (B) (D) nahme, die nicht nur Monat für Monat Geld in die gieren. Taschen der Bürger bringt, sondern auch gleichzeitig Ar- Auch von der Bundesagentur sind die Anweisungen beitsplätze schafft, Arbeitsplätze, die an keinem Tropf klar und deutlich: öffentlicher Mittel hängen. Mit diesen Fakten wird un- zweifelhaft klar, dass sich die Umstände seit Ende des Die freien Leistungen dürfen weder in ihrer Ausge- Modellversuches in Dresden grundlegend geändert ha- staltung und Ausrichtung an die Stelle der Regel- ben. Doch die Antragsteller leben offensichtlich noch in leistungen treten noch die dort getroffenen Voraus- einer illusionären Welt, wie es diese heute gar nicht setzungen aushebeln. Sie dürfen auch gesetzliche mehr gibt. Leistungen nicht aufstocken. Es ist unzulässig, im Rahmen eines Programms, mit der freien Förde- Gleichwohl war und ist die seit 1998 nach § 10 SGB III rung eine regionale Regelleistung zu schaffen. geregelte Freie Förderung ein bedeutsamer Schritt in Richtung Dezentralisierung und Regionalisierung der Wenn also die Linken nun behaupten, die Freie För- aktiven Arbeitsmarktpolitik. Die Arbeitsämter hatten derung sei durch „Anweisung von oben“ generell abge- und haben immer noch die Möglichkeit, in konkreten schafft worden, ist dies schlichtweg falsch. Sie wurde le- Fällen und zeitlich begrenzt, bis zu zehn Prozent ihres diglich auf ein sinnvolles, zielführendes und konkretes örtlichen Eingliederungstitels für Neuansätze, Modell- Maß beschränkt. Waren 2003 insgesamt 17 116 Perso- versuche und das Schließen von Regelungslücken zu nen in der Freien Förderung, wurden im Jahr 2006 zu- verwenden. Im Übrigen wurde auf eine Rechtsverord- sammen 25 340 Personen durch die Freie Förderung un- nung, die es der Bundesregierung erlauben würde, Ein- terstützt. Das ist ein Drittel mehr als zuvor! Streuen Sie fluss auf die Ausgestaltung der Maßnahmen und die Ent- also den Menschen keinen Sand in die Augen, indem sie scheidung über die Vergabe der Mittel zu nehmen, so tun, als gäbe es dieses Instrument gar nicht mehr. bewusst verzichtet. An dieser Stelle, so meine ich, sollten wir die Gele- Dies kann allerdings keine generelle Aufforderung genheit nutzen und dem Vorstandschef der Bundesagen- zur Umverteilung von Fördermitteln darstellen, so wie tur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, und seinen Mitstrei- dies laut Antrag der Linken geschehen soll: Gelder, die tern dafür danken, dass sie durch erfolgreiche Arbeit die durch die Beitragszahler der Arbeitslosenversicherung Effizienz und die Finanzen der Agentur in eine gute Ord- aufgebracht wurden, sollen nach dieser Vorstellung ver- nung gebracht haben. Die seinerzeit eingeleitete Umge- teilt werden, um damit einen künstlichen – nicht lebens- staltung des Arbeitsamtes als eine 100 000 Mitarbeiter- fähigen – Arbeitsmarkt „am staatlichen Tropf“ und so- Behörde hin zur BA heutiger Erscheinung ermöglichte Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15951

(A) uns unter anderem die Senkung der Arbeitslosenversi- diesem Jahr bis Februar 2008 schon über 11 000 Fälle. (C) cherungsbeiträge auf nunmehr 3,3 Prozent. Offenkundig braucht weder das Parlament noch die Agentur für Arbeit ihren Antrag. Ich begrüße ausdrück- Ein kurzes Wort noch zum Antrag der Grünen und zum lich, dass die BA klugerweise auch die Förderung von Instrument der „Weiteren Leistungen“: Ich kann die Argu- Projekten in dem gesetzlich gegebenen Rahmen wieder mentation des Baden-Württembergischen Ministeriums nutzt, zum Beispiel im Rahmen präventiver Förderung für Arbeit und Soziales, wie diese in der Ausschussdruck- in Schulen, um neue Wege zu erproben. sache 938 ausgeführt ist, durchaus nachvollziehen, geht es hier doch gerade darum, mit maßgeschneiderten Hilfen Meine Damen und Herren von den Linken, seit Ein- – vor Ort – Menschen, die lange arbeitslos sein mussten, bringung Ihres Antrages hat sich der Arbeitsmarkt weiter wieder in eine vernünftige Stellung zu bringen. Hier gut entwickelt. War schon damals das genannte Projekt sehe ich noch ausgiebigen Diskussionsbedarf und er- „Teilzeit plus“ in Dresden nicht mehr arbeitsmarktkon- warte im Ausschuss eine zielgerichtete und praktikable form, so trifft diese Kritik heute noch deutlicher. Lösung für die Menschen, die unserer Unterstützung be- dürfen. Schon deutlich mehr auf der Höhe der Zeit ist da die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Sie ist sogar so zeit- Insofern muss uns allen eine Tatsache bewusst sein: nah, dass ihr Antrag erst gestern auf unsere Tische flat- Die Wirtschaft ist natürlich kein Selbstzweck. Der terte. Aber schnell ist nicht immer auch richtig. Was ha- Mensch steht und bleibt im Mittelpunkt des Wirtschaf- ben Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von den tens. Es ist aber unsere Aufgabe, den Unternehmen, die Grünen, gemacht? Sie haben einen unbestritten vorhan- Arbeitsplätze zur Verfügung stellen, die freie Ausübung denen Klarstellungsbedarf in der Anwendung des § 16 ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten zu gewährleisten. Erst Absatz 2 SGB II genutzt und sich vehement auf die Seite dort – und nur dort –, wo selbst das potentielle Markt- der Kritiker und Bedenkenträger gestellt. Das kennen ergebnis nicht akzeptabel sein kann, dürfen wir eingrei- wir von Ihnen. Das ist nicht mutig, sondern nur einfach. fen, um Fehlentwicklungen zu verhindern. Das Verteilen Aber genau das ist ein Privileg der Opposition. von Geldern der Beitragszahler im Gießkannenprinzip Wir können und wollen es uns nicht ganz so einfach ist jedenfalls keine sinnvolle Lösung. machen. Was haben wir getan? Zunächst haben wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass es tatsächlich die Finan- Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Zunächst wende zierung von Maßnahmen auf der Grundlage des § 16 ich mich dem Antrag der Linken zu, der fordert, die Pro- Abs. 2 SGB II gegeben hat, die eine andere Finanzie- jektförderung nach § 10 SGB III zuzulassen. Ich könnte rungsquelle hätten haben müssen. Das hat der Bundes- es mir einfach machen und meine Rede vom 29. März rechnungshof zu Recht gerügt. Dennoch wären von einer (B) 2007 vortragen. Damals beschäftigte sich der Bundestag restriktiven Auslegung des § 16 Abs. 2, weitere Einglie- (D) bereits mit ihrem Anliegen. Hätte er seinerzeit zur Ab- derungsleistungen, erfolgreiche, innovative und bereits stimmung gestanden, wäre ihr Antrag abgelehnt worden. ausgezeichnete Projekte betroffen. Dies will auch die Mittlerweile wurde er im Fachausschuss beraten, hat SPD-Bundestagsfraktion so nicht hinnehmen. Deshalb dort die Mehrheit nicht überzeugt – und so wird es heute haben wir uns unverzüglich an das Ministerium gewandt auch sein. Denn die Begründung ist nicht richtiger ge- und sind, so bewerte ich die Konsultation, in einem kon- worden und die Forderung geht auch ein Jahr später in struktiven Gespräch, um Lösungen zu erarbeiten. Was ist die falsche Richtung. uns dabei besonders wichtig? Wenn für ein Politikfeld der Begriff „innovativ“ zu Wir wollen auch weiterhin jungen Menschen eine Recht verwendet werden kann, dann ist es das Feld der Perspektive auf einen Hauptschulabschluss eröffnen, Arbeitsmarktpolitik. Seit 2003 hat es eine Fülle neuer In- auch wenn eine anschließende Ausbildung noch nicht strumente gegeben, ja sogar so viele, dass wir nunmehr „in trockenen Tüchern“ ist. Da stimmen wir mit ihnen viele gute Gründe dafür haben, den „Instrumentenkas- überein. Optimistischer als Sie sehe ich jedoch, wie zü- ten“ aufzuräumen, zu bündeln und uns statt auf viele auf gig wir die bereits erwähnte „Instrumentendebatte“ ab- einige erfolgreiche konzentrieren zu wollen. Dafür fin- schließen werden. Aber Sie brauchen ja diese Zweifel, den wir nicht nur im Parlament große Zustimmung, ge- um Ihre aktuelle Kritik anbringen zu können. Sicher rade die Praktiker vor Ort halten das für richtig. werden Sie die überarbeiteten Förderinstrumente noch in diesem Jahr würdigen können. Die von ihnen angesprochene Projektförderung ist ein Unterfall der freien Förderung. Welcher gesetzlichen Re- Sie werden feststellen, dass sie so ausgestaltet sein gelung unterliegt sie? Die Agenturen für Arbeit können werden, dass die Instrumente grundsätzlich flexibler und bis zu 10 Prozent der im Eingliederungstitel enthaltenen passgenauer angewendet werden können, dass sie die so- Mittel für Ermessenleistungen der aktiven Arbeitsmarkt- zialintegrativen Ansätze des SGB II berücksichtigen und förderung einsetzen, um die Möglichkeiten der gesetz- den individuellen Erfordernissen von Arbeitsuchenden lich geregelten, aktiven Arbeitsmarktförderung durch gerechter werden. freie Leistungen der aktiven Arbeitsförderung zu erwei- tern. Wenn ich damit den Punkt vier Ihrer Forderungen zi- tiere, was sie hoffentlich erkannt haben, dann signali- Schauen wir auf die Zahl der Förderfälle, stellen wir siere ich Ihnen damit, dass wir bereits bevor Sie diesen fest: Das Instrument wird genutzt. 2005 hatten wir etwa Antrag gestellt haben eine kluge Weiterentwicklung un- 80 000 Förderfälle, 2006 bereits über 100 000 und in serer Arbeitsmarktpolitik in Gang gesetzt haben. 15952 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

(A) Bleibt mir abschließend noch der Hinweis, dass in Projektförderung aber nur dann, wenn die Kommunen (C) den Fragen der finanziellen Rückforderung für rechts- mit der Jobvermittlung vertraut werden. Denn niemand widrig erbrachte Leistungen nach § 16 Abs. 2 Satz 1 kennt seine Kunden – gleich ob Arbeitgeber oder Jobsu- SGB II zumindest in Teilen auf Rückerstattung verzich- cher – besser als die Kommune. Die Bundesagentur und tet wurde. Aber gerade weil wir eine rechtskonforme die Argen werden hier immer hinterherhinken, weil sie Leistungsgewährung weder hier noch an anderer Stelle letztlich viel zu weit vom Kunden und seinen individuel- infrage stellen, legen wir als SPD-Bundestagsfraktion len Bedürfnissen entfernt sind. viel Wert darauf, dass am Ende der Instrumentendebatte klare Strukturen, einfache Instrumente und individuelle Eine leistungsstarke Jobvermittlung ist die eine Seite Lösungen stehen, dass so viel Standardisierung wie der Medaille, wir dürfen aber die andere Seite nicht ver- möglich, aber auch so viel individueller Entscheidungs- gessen: Nämlich die der Arbeitgeber. spielraum wie nötig eröffnet wird. Wir wollen eindeutige Jede Jobvermittlung kann nur erfolgreich sein, wenn Verantwortlichkeit bei der Erreichung der Ziele und eine die Arbeitgeber, also vor allem die mittelständischen Un- bessere Vernetzung von SGB III und SGB II. ternehmen, wirtschaftlich auf sicherem Boden stehen, ver- Qualität ist das Schlüsselwort für die von uns ge- lässliche Rahmenbedingungen haben und auch die nöti- wünschten Änderungen. Daran werden wir jeden Vor- gen Spielräume für neue Investitionen – und damit neue schlag messen. Jobs – haben. Wir brauchen ein einfaches und gerechtes Steuersystem, mehr Flexibilität im Kündigungsschutz, bessere schulische und berufliche Bildung sowie einen Jörg Rohde (FDP): Mit Ihrem heute zur Abstim- flexiblen Übergang vom Erwerbsleben in die Rente. Wenn mung vorliegenden Antrag liegen Sie, werte Kollegin- wir diese positiven Rahmenbedingungen schaffen, be- nen und Kollegen der Linken in einem Punkt richtig. Es kommen wir auch die Sockelarbeitslosigkeit in den Griff ist zweifellos richtig, dass die freie Förderung im und werden viel weniger auf Förderinstrumente in der Ar- SGB III ausgeweitet werden sollte. Denn in der freien beitsmarktpolitik angewiesen sein. Förderung liegen die Chancen für passgenaue, individu- elle und flexible Projekte zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Wir sind uns auch einig darin, dass Katja Kipping (DIE LINKE): Wollen wir eine Ar- die Vermittlung Langzeitarbeitsloser in Arbeit nur regio- beitsförderung, die auch den Regionen und regionalen nal und dezentral sowie mit innovativen, flexiblen In- Akteuren am Arbeitsmarkt einen Spielraum für innova- strumenten gelingen kann. Vor diesem Hintergrund ist es tive Projekte ermöglicht? Wenn ja, dann wäre der § 10 in der Tat nicht nachzuvollziehen, dass die Bundesagen- des Ditten Buches Sozialgesetzbuch geeignet. Er ermög- licht genau diesen Spielraum. Er ermöglicht die Umset- (B) tur für Arbeit die Projektförderung auf Eis gelegt hat. So (D) gesehen würden wir dem vorliegenden Antrag heute zung kreativer und innovativer Ideen, die sich an den gerne zustimmen, können dies im Ergebnis aus mehre- konkreten Bedingungen der Region orientieren. ren Gründen jedoch nicht, sondern werden uns darum Dies wird zum Beispiel durch das Projekt „Teilzeit enthalten. Wir können nicht zustimmen, weil Ihr Antrag Plus“ in Dresden belegt, das von 2002 bis 2004 von der zwar in die richtige Richtung zielt, aber auf bestenfalls Arbeitsagentur finanziell unterstützt wurde. Mit diesem halbem Wege stehen bleibt, nämlich allein bei der Pro- Projekt wurden zwar keine neuen Arbeitsplätze geschaf- jektförderung. Letztlich wollen Sie von den Linken an fen, aber immerhin die Beschäftigten in Handwerksbe- einem System herumdoktern, das einfach nur abge- trieben vor der Erwerbslosigkeit bewahrt. Das Projekt schafft gehört. Ich meine die Bundesagentur für Arbeit. „Teilzeit Plus“ wurde in Zusammenarbeit der Kreishand- In ihrer jetzigen Form hat sich die Mammutbehörde werkerschaft, eines Umweltzentrums und der Arbeits- BA nicht bewährt. Hier werden unzählige Aufgaben agentur durchgeführt. Es waren 200 Mitarbeiterinnen mehr schlecht als recht verwaltet, die viel besser von den und Mitarbeiter aus 38 Handwerksbetrieben und 48 Ver- Kreisen und Kommunen übernommen werden sollten. eine beteiligt. Das Ziel des Projekts war es, die Abfede- Die FDP im Deutschen Bundestag fordert deshalb seit rung von betrieblichen Auftragsschwankungen mit der langem die Abschaffung der Bundesagentur für Arbeit Ausführung gesellschaftlich sinnvoller Arbeiten zu ver- und eine grundlegende Neuorganisation und Kommuna- binden. Wenn in den Handwerksbetrieben die Auftrags- lisierung der Jobvermittlung. lage zurückging, arbeiteten die Beschäftigten für eine gewisse Zeit nur noch verkürzt für ihre Firma und in der Jeder Arbeitgeber, jeder Arbeitsuchende und jeder lo- restlichen Zeit für einen gemeinnützigen Verein. Die Ar- kale und regionale Arbeitsmarkt in Deutschland ist an- beitsagentur hat für die Zeit, die die Beschäftigten für ders. Deshalb müssen sich auch die Jobvermittlungsstra- die Vereine arbeiteten, die Lohnzahlung übernommen. tegien unterscheiden und müssen auf diese Unterschiede Für die Betriebe und die dort Beschäftigten hatte dieses eingehen. Was in der Stadt München funktioniert, muss Projekt den Vorteil, dass trotz konjunktureller Schwan- noch lange nicht im ländlichen Raum Frankens klappen. kungen keine Entlassungen vorgenommen werden muss- Hier wie dort müssen ganz unterschiedliche Brücken ten und der Betrieb weiter existieren konnte. Die Vereine zwischen Arbeitsuchenden und Arbeitgebern gebaut konnten auf qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbei- werden. Die Projektförderung kann dabei eine konstruk- ter zurückgreifen, die für sie gemeinnützige Arbeiten tive Rolle spielen und sollte von der BA nicht nur umge- erledigten. Darüber hinaus wurden Wettbewerbsverzer- hend wieder in Kraft gesetzt werden, sondern auch aus- rungen vermieden, da die Kreishandwerkerschaft das geweitet werden. Erfolgreich entfalten kann sich Projekt selbst mit verwaltete und sowohl die Unbedenk- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15953

(A) lichkeitsbescheinigungen für die Gemeinnützigkeit und Sozialgesetzbuches II durch die Bundesregierung. Die (C) Zusätzlichkeit der Arbeiten in den Vereinen ausstellte als bisher vorhandene Möglichkeit, flexibel und vor Ort auf auch die Auftragslage der Handwerksbetriebe im Blick die spezifischen Problemlagen bestimmter Zielgruppen hatte. und Hilfebedürftiger einzugehen, wird so zunichtege- macht. Wird die Bundesregierung nicht gestoppt, stehen „Teilzeit Plus“ wird von allen Beteiligten sehr positiv viele erfolgreiche Integrationsansätze für besonders beurteilt und musste trotzdem aufgrund einer Geschäfts- schwer integrierbare Zielgruppen vor dem Aus. Das sind anweisung der Bundesagentur für Arbeit eingestellt wer- beispielsweise: kombinierte Beschäftigungs- und Qualifi- den, da sie die Möglichkeit der Projektförderung zu- zierungsmaßnahmen für Migranten, sozialpädagogisch gunsten von Individualförderungen ab 2003 ausgesetzt betreute berufliche Orientierungshilfen für Jugendliche, hat. Obwohl die Projektförderung sowohl für die Be- Maßnahmen zum Nachholen von Schulabschlüssen für triebe als auch die Beschäftigten wie beschrieben posi- junge Erwachsene, kombinierte Ausbildungs- und Kin- tive Effekte haben kann, findet sie seitdem nicht mehr statt. Die Win-win-Situation für alle Beteiligten wird derbetreuungsangebote für alleinerziehende junge Müt- durch eine Geschäftsanweisung der Bundesagentur un- ter, sozialpädagogische Begleitungen oder aufsuchende terbunden. Wir fordern, dass die Bundesregierung sich Angebote der Jugendberufshilfe zur Verhinderung von aktiv in der Selbstverwaltung der Bundesagentur für Ar- Verwahrlosung und Verarmung. beit dafür einsetzt, dass die Aussetzung der Möglichkeit Die Begrenzung der „weiteren Leistungen“ auf Ein- der innovativen Projektförderung nach § 10 des SGB III zelfallhilfen bedeutet, dass diese Fördermaßnahmen be- umgehend zurückgenommen wird. endet werden müssen. Kofinanzierte Angebote, die zum Was wir brauchen ist eine innovative Arbeitsförde- Beispiel gemeinsam mit der Jugendhilfe konzipiert und rung, die sich an den Erfordernissen und Möglichkeiten finanziert wurden, sind ebenfalls nicht mehr ohne Weite- der Akteure auf dem Arbeitsmarkt orientiert. Grundsätz- res möglich. Gewachsene Strukturen und Kooperationen lich aber brauchen wir eine Arbeitsförderung, die nicht werden zerstört. auf Abschreckung der Erwerbslosen durch Repressionen zielt, sondern die Erwerbslose ermutigt, eigene Arbeits- Die Bundesregierung begründet ihre Vorgehensweise förderungsprojekte zu entwickeln oder sich selbst einen mit der missbräuchlichen Nutzung der „weiteren Leis- Arbeitsplatz in Arbeitsförderungsprojekten auszusu- tungen“, die sie zukünftig verhindern will. Dabei schießt chen. Für diesen innovativen Ansatz gibt es einen sie jedoch weit übers Ziel hinaus. Im Ergebnis blockiert Namen: Arbeitsmarkt von unten. Er orientiert auf die die Bundesregierung eine dezentrale und zielgruppen- verstärkte Teilhabe und Selbstbestimmung der Erwerbs- orientierte Integrationspolitik und damit den ganzheitli- chen Hilfeansatz, der gerade Ziel und Aufgabe des SGB II (B) losen, setzt auf deren soziale und berufliche Kompetenzen (D) statt auf schikanöse Repressionen, wie sie bei Hartz IV an ist. der Tagesordnung sind. Die Bundesregierung muss ihren restriktiven Katalog für erlaubte „weitere Leistungen“ sofort wieder zurück- Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ziehen, damit die passgenauen Hilfen für Arbeit- Immer wenn es darum geht, dezentrale Strukturen und suchende nicht eingestellt werden müssen. Die von der lokale Kompetenzen zu stärken, hat die schwarzrote Bundesregierung in Aussicht gestellte mögliche Über- Koalition offensichtlich ein Problem. Das belegen die nahme besonders innovativer Ansätze im Zuge der Re- beiden hier vorliegenden Anträge. Sie wurden im Ab- form des arbeitsmarktpolitischen Instrumentenkastens stand von ungefähr einem Jahr gestellt und zeugen von reicht nicht. Bis diese Reform kommt, sind die aufge- denselben Problemen: Der Angst der Bundesregierung bauten Strukturen und Kooperationen längst zerstört. vor Kontrollverlust und ihrem Misstrauen gegenüber denjenigen, die vor Ort mit den Arbeitslosen arbeiten Ich hoffe sehr, dass sich diese Haltung in den Aus- und das Ziel haben, für sie neue Perspektiven zu eröff- schussberatungen durchsetzen wird. Denn nicht nur wir nen. Grünen, die Träger der Grundsicherung, die Kommunen, die Länder, die Wohlfahrtsverbände und zahlreiche andere Dabei geht es zunächst um die freie Förderung des Träger sind dieser Meinung. Auch die arbeitsmarktpoliti- SGB III. Dieses von Rotgrün eingeführte innovative In- sche Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Andrea strument zieht immer dann, wenn neue Ansätze und Pro- Nahles ist auf unserer Seite. In einem Schreiben an Bun- jekte erprobt oder Regelungslücken gefüllt werden sollen. desarbeitsminister Scholz vom Januar schlug sie vor „zu Seit dem 1. März 2007 ist nach einer Geschäftsanweisung prüfen, ob eine geänderte Rechtsauslegung … zum jetzi- der Bundesagentur für Arbeit die Möglichkeit der Projekt- gen Zeitpunkt notwendig und sinnvoll ist. Vielmehr soll- förderung ausgesetzt worden. Das gilt nach wie vor, auch ten wir die Überlegungen hier in den größeren Kontext im wenn im Ausschuss alle Fraktionen das hohe Lied der Rahmen des geplanten Gesetzes zur Straffung des Instru- Projekte gesungen haben. Im Ergebnis ist die Projektför- mentenkastens stellen. … Eine anderslautende Regelung derung zwar gesetzlich verankert, aber faktisch nicht jetzt und heute im SGB II könnte so verstanden werden, möglich. Das ist ein Unding und Drückebergerei der ver- dass die rechte Hand nicht weiß, was die linke tut. Viel antwortlichen Bundesregierung, die mit einer Rechtsver- ordnung einen Rahmen setzen könnte. spricht für das Argument, dass die Arbeitsuchenden im SGB II aufgrund ihrer besonderen Situation andere Hilfen Ungleich schwerwiegender ist aber nun die rigorose benötigen als Personen, die gerade erst arbeitslos gewor- Beschränkung der sogenannten weiteren Leistungen des den sind …“ 15954 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

(A) Frau Kollegin Nahles, in dieser Sache passt kein Blatt gesundheitliche und ökologische Risiken im Zusammen- (C) Papier zwischen uns und ich setze sehr auf Ihr Engage- hang mit dem Anbau von MON810 belegen sollen. ment im Ausschuss. Gemeinsam werden wir die Bun- Diese sind jedoch nach den Ergebnissen intensiver Re- desregierung sicherlich zum Umdenken bringen. cherchen und erneuter, mehrfacher Überprüfung der ein- schlägigen wissenschaftlichen Untersuchungen, insbe- sondere der EFSA und des BVL, nicht bestätigt. Zudem Anlage 6 sind während der zehnjährigen Anbauzeit von MON810 keinerlei Schäden an Mensch, Tier oder der Umwelt Zu Protokoll gegebene Reden festgestellt worden. Dieses entspricht de facto einem zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Langzeitexperiment. Berichts: Einfuhrverbot für den gentechnisch Dem vorliegenden Antrag kann aus diesen genannten veränderten Mais MON810 anordnen und den Gründen nicht zugestimmt werden. Verkauf von MON810-Saatgut stoppen (Tages- ordnungspunkt 17) Ausdrücklich möchte ich feststellen, dass Zulassun- gen ausschließlich nach den festgelegten, wissenschafts- basierten Sicherheits- und Anwendungsvorschriften aus- Dr. Max Lehmer (CDU/CSU): Der Ausschuss für gesprochen werden sollen. Ich stimme damit der Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat Forderung von Bundesminister Seehofer zu, den politi- sich bereits mehrfach mit den in dem Antrag geforderten schen Entscheidungsprozess in den EU-Gremien zu ver- Maßnahmen zu dem gentechnisch veränderten Mais einfachen und auf eine objektive, wissenschaftliche MON810 beschäftigt. Die Antragsteller fordern wieder- Grundlage zu stellen. Es ist nicht hinnehmbar, dass in holt ein Einfuhrverbot sowie ein Verkaufsverbot für diesem Bereich nach Mehrheiten und aktuellen Stim- MON810-Saatgut. Als Begründung wird immer wieder mungen entschieden wird. Zielgerichtete, erfolgsorien- angeführt, es gäbe neue wissenschaftliche Studien, die tierte Forschung verlangt verlässliche Rahmenbedingun- Zweifel an der gesundheitlichen und ökologischen Un- gen. Dies gilt insbesondere auch für die Grüne bedenklichkeit belegen sollen. Gentechnik, die hinsichtlich der absehbaren Herausfor- Ausdrücklich stelle ich wiederholt fest: Das oberste derungen bei der Erzeugung von Pflanzen als Lebens- Gebot einer Zulassung gilt uneingeschränkt, nach der die mittel und Pflanzen für die stoffliche und energetische Sicherheit für Mensch, Tier und Umwelt gewährleistet Verwertung enorme Potenziale birgt. Diese Chancen sein muss. Unter dieser Zielsetzung hat das BVL mit Be- nicht zu nutzen, wäre gerade für den Hightechstandort scheid vom 27. April 2007 das teilweise Ruhen der Ge- Deutschland verhängnisvoll. (B) nehmigung zum Inverkehrbringen von MON810 ange- (D) ordnet. Danach durfte Saatgut von MON810 erst dann Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Wir haben bereits wieder zu kommerziellen Zwecken abgegeben werden, gefordert, den Anbau von MON810 auszusetzen. Diese wenn der Inhaber der Genehmigung dem BVL einen den Forderung wiederhole ich hiermit; denn seit Bekannt- aktuellen Anforderungen entsprechenden Beobachtungs- werden des Monitoringplans von Monsanto bzw. der ge- plan für MON810 vorgelegt hat. Hintergrund für den Er- naueren Umstände dieses Monitorings hat sich eine neue lass war, dass aus Sicht des BMELV noch nicht alle Sachlage ergeben: Der Plan scheint das Papier nicht Zweifel endgültig ausgeräumt wurden, dass der Anbau wert, auf dem er steht. von MON810 keine Gefahr für die Umwelt bedeuten kann. Um solche eventuellen Gefahren frühzeitig entde- Wir haben uns gemeinsam mit unserem Koalitions- cken zu können, wurde die eingehendere Beobachtung partner zum Schutz von Mensch und Umwelt als obers- gefordert. tes Ziel des Gentechnikrechts verpflichtet. Gemeinsam haben wir gemäß diesem Ziel das Gentechnikrecht no- Derzeit lagen und liegen keine Belege dafür vor, dass velliert – im Bestreben, den Bestand der gentechnik- von MON810 tatsächlich Gefahren für die Umwelt aus- freien Landwirtschaft zu schützen und gleichzeitig den gehen. Der Erlass der Maßnahme war also allein vom Anbau von solchen GVO-Pflanzen, deren Unbedenk- Vorsorgegedanken geprägt. Vom Zulassungsinhaber lichkeit für Gesundheit und Umwelt bewiesen ist, zu er- wurde anordnungsgemäß ein Plan zur Überwachung des leichtern. Anbaues von MON810 vorgelegt, der nach Einschät- zung des BMELV den gestellten Anforderungen ent- Bei MON810 ist zweifelhaft, ob diese Voraussetzun- spricht. Zusätzliche Prüfbitten des Bundesamtes für Na- gen erfüllt sind. Der von Monsanto vorgelegte Monito- turschutz, die in dem vorliegenden Plan nicht abgedeckt ringplan ist nicht geeignet, für eine aussagekräftige und werden konnten, werden im Zuge einer überwachungs- auswertbare Beobachtung der Umweltauswirkungen zu begleitenden Forschung vonseiten des BVL abgedeckt. sorgen. MON810 ist weder auf Basis der aktuellen wis- Hierbei handelt es sich vor allem um die Beobachtung senschaftlichen Erkenntnisse noch auf Grundlage der von Langzeiteffekten auf Bodenorganismen und Nicht- derzeit geltenden rechtlichen Bestimmungen bewertet Ziel-Tiere. Damit wurde die Schutzmaßnahme gegen- worden. Neben Frankreich haben auch Ungarn, Grie- standslos und Saatgut der Linie MON810 kann seit De- chenland, Österreich und Polen nationale Einfuhr- bzw. zember 2007 in Deutschland wieder vertrieben werden. Anbauverbote für MON810-Mais erlassen. Sie berufen sich dabei auf die Schutzklausel des Art. 23 der EU-Frei- Von den Antragstellern wird und wurde bereits mehr- setzungsrichtlinie 2001/18/EG. Die Schutzklausel er- fach auf neue Erkenntnisse hingewiesen, die besondere möglicht den Mitgliedstaaten ein vorübergehendes Ver- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15955

(A) bot des Einsatzes eines bestimmten GVO, wenn neue Der vorgelegte Monitoringplan sieht keine fallspezifi- (C) oder zusätzliche Informationen über diesen GVO vorlie- sche, sondern nur eine allgemeine Beobachtung vor. Um gen, die zum Zeitpunkt der Zulassung noch nicht vorla- dem „berechtigten Grund zu der Annahme, dass der An- gen. Im Falle von MON810 liegt die Zulassung auf EU- bau von MON810 eine Gefahr für die Umwelt darstellt“ Ebene bereits zehn Jahre zurück. Die lange Liste der nachzugehen und die Auflagen des BVL-Schreibens Studien, die seitdem neue Erkenntnisse ergeben haben, vom 27. April 2007 zu erfüllen, ist aber eine fallspezifi- lässt sich dem Schreiben des BVL vom 27. April 2007 sche Beobachtung nötig. Studien belegen die schädliche an Monsanto entnehmen. Diese Liste ist nicht komplett. Wirkung des Gen-Maises auf Schmetterlingslarven; So gibt es auch neue Untersuchungen zum Bt-Toxin- mögliche negative Auswirkungen auf die Umwelt kön- Gehalt von MON810-Pflanzen, die neben drastischen nen nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen Schwankungen feststellen, dass die vom Anbieter ange- werden. Laut BfN sollten als Minimum gezielte Beob- gebenen Werte nicht mit den tatsächlich auf dem Acker achtungen hinsichtlich der Auswirkungen des Gen-Mai- produzierten Mengen übereinstimmen. ses auf Schmetterlinge, aquatische Organismen wie Kö- cherfliegenlarven und die Exposition und den Verbleib Die Freisetzungsrichtlinie 90/220/EWG, nach der des von dem Gen-Mais produzierten Gifts in die Umwelt MON810 damals zugelassen wurde, ist inzwischen durchgeführt werden. Für die Überwachung der Um- durch die neue Richtlinie 2001/18/EG abgelöst worden. weltwirkungen sieht der Plan die Abfrage bereits beste- Sie schreibt einen Plan zur Beobachtung der Umweltaus- hender Monitoringprojekte wie das Tagfaltermonitoring, wirkungen vor. Die Überwachung der Umweltauswirkun- das Brutvogelmonitoring oder das Bienenmonitoring gen wird bisher nicht in geeigneter Weise durchgeführt. vor. Monsanto will diese Daten auswerten und dem BVL Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebens- zur Kenntnis geben. mittelsicherheit, BVL, hatte mit Verfügung vom 27. April 2007 das Ruhen der Inverkehrbringensgeneh- Diese Projekte werden mit öffentlichen Geldern fi- migung angeordnet. Dort hieß es: nanziert, teilweise wird die Arbeit durch Ehrenamtliche geleistet. Bisher wurden die Beteiligten nicht von Mon- Der Genehmigungsinhaber lässt Landwirte, die santo darüber informiert, dass ihre Projekte nun Teil des MON 810 anbauen, einen Fragebogen ausfüllen, in Monitoringplans werden sollen. Auch eine Beteiligung dem allgemeine Anbaudaten sowie verschiedene an der Finanzierung der Projekte scheint nicht geplant zu Parameter abgefragt werden. Diese Fragebögen sein. Offen ist auch, wie die teilweise in nicht gentech- sind ein nützliches Instrument für eine rein visuelle nikspezifischen Projekten und durch Laien gesammelten Erfassung agronomisch relevanter Aspekte der An- Daten standardisiert werden können, damit sie überhaupt baufläche. Sie sind aber nicht geeignet, statistisch für GVO-Monitoring aussagekräftig sind und verglichen (B) auswertbare Daten zu Umweltauswirkungen auf und bewertet werden können. Nach Meldungen des (D) Agrarflächen und in der Umgebung, zum Beispiel Spiegel von dieser Woche ist eine Bereitstellung dieser auf Nichtzielorganismen, zu liefern. Fragebögen Daten mit den im Monitoringplan aufgeführten stellen somit ein ergänzendes Element dar, können Beobachtungsnetzwerken wie dem Deutschen Jagd- aber ein Monitoring nach der Richtlinie 2001/18/EG schutzverband, dem Dachverband Deutscher Avifaunis- nicht ersetzen. ten oder dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, UFZ, überhaupt nicht vereinbart worden. Da die UFZ Aufgrund von neuen Informationen und zusätzlichen nicht einmal Beobachtungsräume im Umfeld von wissenschaftlichen Erkenntnissen bezüglich der Nicht- MON810-Anbauflächen hat, ist es gar nicht möglich, für zielorganismen und der Neubewertung bereits vorliegen- das MON810-Monitoring relevante Daten zu erheben. der Informationen sah das BVL „berechtigten Grund zu Es gibt viele Gründe, die für eine Aussetzung des An- der Annahme, dass der Anbau von MON810 eine Gefahr baus von MON810 sprechen. Der Anbau muss untersagt für die Umwelt darstellt“. Auch wenn Monsanto inzwi- werden, bis die genannten Voraussetzungen erfüllt sind, schen einen Monitoringplan vorgelegt hat, hat sich an und das muss schnell gehen. Deshalb stimmen wir dem dieser Situation nichts geändert. Dennoch hat das BVL am Antrag der Grünen nicht zu. Die Prüfung neuer Informa- 6. Dezember 2007 das Inverkehrbringen von MON810 tionen über ein mögliches Gefährdungspotenzial dauert wieder zugelassen. uns zu lange. Der Anbaustopp muss noch vor der Aus- Zentraler Teil des aktuellen Monitoringplans von saat erfolgen. Es kann den Landwirten nicht zugemutet Monsanto sind jene Fragebögen, von denen es im BVL- werden, dass ihnen erst nach wochen- oder monatelan- Schreiben vom 27. April 2007 heißt, dass sie zur Daten- gem Prüfungs- und Diskussionsprozess dann im laufen- sammlung über Umweltauswirkungen ungeeignet seien. den Anbau die Vermarktung von MON810 untersagt Das Bundesamt für Naturschutz, BfN, hat den Beobach- wird. tungsplan stark kritisiert und sieht die Auflagen des BVL nicht bzw. nur unzureichend erfüllt. Laut Anordnung des Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Der Schutz BVL sollte der Plan mehrere für die Risikoeinschätzung von Mensch und Umwelt hat auf allen Ebenen Vorrang. relevante Prüfpunkte berücksichtigen wie den Verbleib Daher ist es völlig unverständlich, wenn die Grünen des von MON810 produzierten Gifts im Boden sowie heute ein Einfuhrverbot für den gentechnisch veränder- dessen Auswirkungen auf Bodenorganismen und Boden- ten Mais der Sorte MON810 sowie ein Verkaufsverbot funktion als auch Auswirkungen des Gifts auf Nichtziel- für das Saatgut fordern. Diese Sorte wurde zehn Jahre organismen. lang weltweit ohne jegliche Beanstandung angebaut. Die 15956 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

(A) Grünen nennen in ihrem Antrag kein einziges Beispiel benannt, deren Monitoringsysteme genutzt werden soll- (C) für eine Gefährdung von Umwelt oder der Gesundheit ten. Drei Monate später teilt das dort genannte Helm- von Menschen oder Tieren durch Anbau oder Verzehr holtz-Zentrum für Umweltforschung mit, dass Monsanto dieser Sorte. Warum also sollte diese Sorte verboten noch keinen Kontakt aufgenommen habe. Ein derartig werden? Es seien Zweifel an der Unbedenklichkeit auf- laxer Umgang mit der Vereinbarung zum Umweltmoni- gekommen, heißt es im Antrag. Aber diese Zweifel wer- toring ist eine Missachtung der zuständigen Behörden, den nicht benannt. Die Grünen nehmen sie offensichtlich der gesetzlichen Vorschriften und der Institutionen, de- nicht einmal so ernst, dass sie ausführen, worin die ren Dienstleistungen Monsanto nutzen wollte. Vor die- Zweifel begründet liegen. Sie nennen stattdessen Län- sem Hintergrund sollte Monsanto alternative Überlegun- der, die MON810 verboten haben. Doch bevor man sich gen für sein Umweltmonitoring anstellen. Institutionen, Verboten anschließt, sollte man zumindest deren Grund- die auf ehrenamtliche Mitarbeit angewiesen sind, wer- lage prüfen. Gerade angesichts der zehnjährigen positi- den ihren ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitar- ven Erfahrung mit dieser Sorte ist eine solche Prüfung beitern nicht zumuten wollen, mittelbar für ein Unter- – wenn es um die Sache geht – selbstverständlich. Neh- nehmen zu arbeiten, das es nicht einmal für nötig men wir als ein Beispiel den Forschungsbericht des Bun- befunden hat, die Institutionen darüber zu informieren. desumweltamtes von Österreich, erschienen im Dezem- ber 2007. Es ist kein Forschungsbericht, sondern eine Das Unternehmen Monsanto wird weltweit wegen Literaturstudie. Auf 31 Seiten erfolgt eine dürftige Zu- seines Umgangs mit der Öffentlichkeit sowie mit Ver- sammenfassung der Literatur. Die Literaturstudie ent- tragspartnern scharf kritisiert. Es hätte guten Grund, in spricht inhaltlich der Risikobewertung von MON810, Deutschland einen auf gegenseitigen Respekt angelegten die im Juni 2006 das Bundesamt für Naturschutz erstellt Umgang zu zeigen. Das vorliegende Beispiel zeigt, dass hatte. Das Bundesamt für Verbraucherschutz hatte im dies nicht der Fall ist. Die FDP unterscheidet anders als selben Monat Kernaussagen der Stellungnahme ein- andere politische Mitbewerber zwischen dem Vorgehen drucksvoll widerlegt mit dem Fazit: „Das BVL kann aus von Monsanto und der Züchtungsmethode Grüne Gen- den bisherigen Publikationen keine spezifischen (schäd- technik. Wie Patrick Moore, der Mitbegründer von lichen) Wirkungen des MON810-Mais auf die Umwelt Greenpeace und deren langjähriger Präsident es darge- erkennen.“ stellt hat, stehen den rein theoretischen Risiken der Züch- tungsmethode Grüne Gentechnik zahlreiche praktische Angesichts dieser klaren Aussage ist verständlich, Vorteile gegenüber. Die FDP will diese nutzen. Wir haben dass der sogenannte BVL-Erlass vom 27. April 2007 in unserem Antrag „Biotechnologische Innovationen im vom Minister gegen die Fachmeinung des BVL durchge- Interesse von Verbrauchern und Landwirten weltweit nut- setzt wurde. In diesem Erlass wurde nach der Aussaat zen – Biotechnologie ein Instrument zur Bekämpfung (B) von MON810 ein Verkaufsverbot für MON810 verfügt. von Armut und Hunger in den Entwicklungsländern“ (D) Die FDP hat dies scharf kritisiert, weil völlig unbegrün- zahlreiche Beispiele genannt für die Vorteile der Züch- det die Bevölkerung geängstigt wurde. Der damalige tungsmethode und deren Möglichkeiten, gerade in Län- Präsident des BVL ist für seine Unterschrift unter den dern der Dritten Welt die Armut zu lindern und die Er- Erlass mit einer Abteilungsleiterstelle im Ministerium nährungssituation zum Beispiel durch den Goldenen belohnt worden. Der Erlass wurde im Dezember, da er- Reis zu verbessern. Auch in Deutschland bieten die BT- kennbar unbegründet, aufgehoben. Es gibt somit keinen Mais-Sorten die Chance, zugleich mit der Bekämpfung nachvollziehbaren, sachlichen Grund für ein Verbot der des Maiszünslers auch die Futterqualität zu verbessern, Sorte MON810. Der Antrag der Grünen ist daher als weil Sekundärinfektionen durch Pilze vermieden wer- Dienstleistung für ihre Klientel zu werten. Er steht in ei- den, der Gehalt an kanzerogenen Pilzgiften vermindert ner Linie mit ihrer üblichen Verbotspolitik. Sie fordern wird. Der Anbau von BT-Mais ist naturverträglicher als ein Verbot für ein Produkt, das sich über zehn Jahre be- die Bekämpfung des Maiszünslers durch chemischen währt hat. Die FDP lehnt den Verbotsantrag ab. Pflanzenschutz. Es muss auch in Deutschland möglich sein, die Vorteile und Chancen der Züchtungsmethode Gleichzeitig kritisieren wir das Vorgehen von Mon- Grüne Gentechnik zu nutzen. santo bei der Organisation des Umweltmonitoring. Die behördliche Auflage, ein Umweltmonitoring durchzu- führen, muss erfüllt werden. Die Umweltbeobachtung Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Diese Woche des Anbaus von MON810 muss entsprechend der Richt- schrieb : „Genmais ohne Überwachung?“ linie 2001/18/EG sowie der ergänzenden Leitlinie und Damit war nicht die fehlende parlamentarische Kontrolle der Leitlinie der EFSA erfolgen. Nach unserer fachli- gemeint. Um diese kümmert sich die Fraktion Die Linke chen Einschätzung ist es sinnvoll, dafür bestehende Mo- schon! Nein, die Meldung spielte auf den von Monsanto nitoringsysteme zu nutzen. Es ist jedoch eine selbstver- vorgelegten Monitoringplan zur Umweltbeobachtung ständliche Pflicht des Unternehmens Monsanto, die des Genmais MON810 an. Der Plan sei lückenhaft und einzelnen Verbände und Institutionen, die bisher schon zur Überwachung der Umweltwirkungen des Genmais unter unterschiedlichen Gesichtspunkten ein Umwelt- völlig ungenügend. Das kritisieren Umwelt- und Ver- monitoring betreiben, von Anfang an in die Überlegun- braucherschutzorganisationen schon seit Wochen. Der gen zum geforderten Umweltmonitoring einzubeziehen. Monitoringplan basiert auf Daten von bestehenden Um- Bereits am 6. Dezember des letzten Jahres hatte Mon- weltbeobachtungen. In diesen werden Tagfalter, Wild- santo dem Bundesamt für Verbraucherschutz einen Mo- tiere, Bienen und Brutvögel beobachtet. Übrigens größ- nitoringplan vorgelegt und fünf deutsche Institutionen tenteils ehrenamtlich! Natürlich sind das keine Studien, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15957

(A) die den spezifischen Anforderungen an Überwachungs- Übrigens gibt es bei MON810 nicht nur Probleme mit (C) untersuchungen für Risiken im Zusammenhang mit dem der gentechnikfreien Landwirtschaft oder der Imkerei. kommerziellen Anbau von genetisch veränderten Pflan- Leider hat die Koalition es versäumt, bei der Novellie- zen genügen. Laut Aussagen der Expertinnen und Ex- rung des Gentechnikgesetzes am Anfang dieses Jahres perten, die in diesen Monitoringprogrammen arbeiten, den Schutz von ökologisch sensiblen Gebieten zu verbes- liegen nicht mal Genmaisfelder in der Nähe der Be- sern. Eine Studie des brandenburgischen Landwirt- obachtungsflächen! Da frage ich mich: Wie soll etwas schaftsministeriums hat kürzlich ergeben, dass der trans- effektiv überwacht werden, wenn im Umkreis kilometer- gene Maispollen durchaus einen Effekt auf Schutzgebiete weit keine Beobachtungen stattfinden? Oder wenn die und die darin lebenden Tiere und Pflanzen hat. Es wird Untersuchungen überhaupt nicht dazu geeignet sind, die empfohlen, mindestens 1 000 Meter Abstand einzuhalten Wirkung des transgenen Maispollens zum Beispiel auf um die geschützten Tiere nicht zu gefährden. Da man sich das Bodenleben zu erfassen? Ein ernst gemeintes, wirk- dabei nicht auf die Bundesregierung verlassen kann, wird sames Monitoring sieht ganz anders aus. Zur Heilung das brandenburgische Landwirtschaftsministerium aktiv der Defizite im Monsanto-Überwachungsprogramm, und verabredet mit den Genbauern freiwillige Sicher- wird nun von der Bundesregierung eine anbaubeglei- heitsabstände zu den ökologisch sensiblen Gebieten. Da- tende Forschung beauftragt. Die Linke sagt dagegen: mit entgehen die Landwirte auch dem Problem, dass Un- Wenn Monsanto keinen wirksamen Überwachungsplan tere Naturschutzbehörden den Umbruch des Genmais vorlegen kann, darf auch kein MON810 ausgesät wer- anordnen könnten – wie im vergangenen Jahr geschehen. den! Schon deshalb, weil es sich hier ja nicht mal um Ich finde das Engagement des Brandenburger Ministe- Forschungsanbau handelt, sondern um kommerziellen riums – übrigens SPD-geführt – sinnvoll, auch wenn wir Anbau. Linke eine gesetzliche Regelung gefordert hatten. Die Linke hat zu dieser Problematik am Mittwoch Anscheinend sieht nicht nur Die Linke den Anbau eine Kleine Anfrage gestellt. Ich bin gespannt, was die von MON810 kritisch: Drei Fraktionen in diesem Haus Bundesregierung antworten wird. Wir wollen wissen, lehnen MON810 ab. Die Grünen beschreiben ihre warum das Bundesamt für Verbraucherschutz und Le- Gründe im vorliegenden Antrag. Auch die SPD-Fraktion bensmittelsicherheit (BVL) den Verkauf von MON810- meldet sich regelmäßig kritisch zu Wort. Der stellvertre- Saatgut wieder zugelassen hat. Die vom BVL vorge- tende Fraktionsvorsitzende Ulrich Kelber sagte vor vier brachte Begründung für diese Entscheidung überzeugt Wochen – Zitat: „Wir erwarten von Landwirtschaftsmi- nämlich nicht nur mich nicht. Der vom US-Multi vorge- nister Seehofer, dass er MON 810 verbietet.“ Zitat Ende. legte Monitoringplan ist mit dem Vorsorgeprinzip nicht Die Gentechnikexpertin der Sozialdemokraten Elvira vereinbar und darf daher nicht als Grundlage für den Drobinski-Weiß mahnte diese Woche zur Eile – Zitat: (B) kommerziellen Anbau dieser Risikotechnologie genutzt „Der Anbaustopp muss noch vor der Aussaat erfolgen.“ (D) werden! Zitat Ende. MON810 ist eine „never ending story“: Der Genmais Gut: Ich nehme Sie beim Wort, liebe Kolleginnen und ist schon seit Jahren in der Kritik. Er schafft Unfrieden Kollegen der SPD-Fraktion. Haben Sie Mut und verlas- in den Dörfern, gefährdet die gentechnikfreie Landwirt- sen Sie ihre großkoalitionäre Zwangsjacke zugunsten ei- schaft und bietet keine Lösungen für die durchaus aner- nes längst überfälligen Moratoriums! Die Linke stimmt kannten agrartechnischen Probleme. Unsere Aufgabe als dem Antrag jedenfalls zu. Gesetzgeber ist nicht, die Interessen der Saatgutmultis durchzusetzen. Wir müssen Schaden von der Gesell- Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der schaft abwenden! Es führt aus Sicht der Linken in die Genmais MON810 geht in diesem Jahr – wenn auch auf Irre, wenn die landwirtschaftliche Zukunft Deutsch- sehr wenigen Flächen – bereits in die dritte Anbau- lands konzernfreundlich von genetisch veränderten saison, und das ist Landwirtschaftsminister Seehofer zu Pflanzen abhängig gemacht wird. Dieses Jahr sind circa „verdanken“. 4 423 Hektar mit Genmais bestellte Äcker beim BVL angemeldet worden. Das sind 0,03 Prozent der landwirt- Zunehmend bedenkliche Studien belegen das Risiko schaftlichen Nutzfläche. Also fast nichts. Oft werden der Gensaat: kanadische und französische Studien, aber viele der angemeldeten Flächen gar nicht genutzt. Aber genauso eine aktuelle Untersuchung des Landesumwelt- ob ein Anbau überhaupt stattfinden darf, hängt auch von amtes . Die Ergebnisse der Studie im Natur- uns ab. park Märkische Schweiz, die im Februar veröffentlicht wurde, belegen, dass sich die Maispollen sehr viel weiter Findet der vorliegende Antrag auf ein vorläufiges verbreiten als bisher vorausgesetzt. Ein Abstand von Verbot des Anbaus eine Mehrheit, dann kann rechtzeitig mindestens 1 000 Metern dürfe an keiner Stelle unter- vor der Aussaat die Notbremse gezogen werden. Die na- schritten werden, um die Schmetterlinge und andere ge- tionale Schutzklausel basierend auf Art. 23 der Freiset- fährdete Arten zu schützen. Andere Laboruntersuchun- zungsrichtlinie bietet die Möglichkeit für solche vorläu- gen zum Beispiel zum Genmais BT 176 zeigen auf, dass figen Verbote. Vielleicht sollte sich Minister Seehofer bereits äußerst geringe Pollenkonzentrationen des Gen- mal mit dem ebenfalls konservativen französischen Prä- mais genügen, um den Tod der Schmetterlinge herbeizu- sidenten Nicolas Sarkozy ernsthaft austauschen. Der hat führen. sich bereits klar gegen eine weitere Nutzung des Gen- mais MON810 ausgesprochen und die nationale Schutz- Vor diesem Hintergrund ist der Umgang von Minister klausel genutzt. Lernen Sie Französisch, Herr Minister! Seehofer mit der Zulassung von MON810 ein Akt der 15958 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

(A) Willkür zugunsten von Monsanto. Aufgrund des öffent- zur Grünen Woche: „Da schrillen bei mir alle Alarm- (C) lichen Druckes der Grünen wurde vom zuständigen Bun- glocken!“ Er forderte in diesem Zusammenhang eine desamt für Verbraucherschutz der Verkauf des Genmais Sonderrolle Deutschlands und hat vor einem zunehmen- im Frühjahr 2007 gestoppt, weil der Genmais „ein Ri- den Gentechnikanbau in Deutschland aus wirtschaftli- siko für die Umwelt“ darstellt: nach der erfolgten Aus- chen Zwängen gewarnt. Den Reden müssen dann auch saat, versteht sich. Und im Dezember 2007 unter skanda- die Taten folgen. lösen Umständen vor der neuen Aussaat im April wieder zugelassen. Bedingung für diese Wiederzulas- Wir fordern die Bundesregierung auf: den Verkauf sung war nach Angaben des BVL die Vorlage eines Mo- von MON810-Saatgut zu stoppen, aufgrund der neuen nitoringplans durch Monsanto. Doch statt eines eigenen und zusätzlichen Informationen im Hinblick auf die Ge- Monitoring-Plans gab Monsanto die Untersuchungen ah- fährdung von Menschen oder der Umwelt ein Ruhen der nungsloser Umwelt- und Jagdverbände an. Diese (Deut- Inverkehrbringensregelung für Produkte aus MON810 sches Bienenmonitoring des ImkerBundes, Tagfaltermo- entsprechend Art. 23 der RL 2001/18/EG einzuleiten, nitoring der Umweltverbände, das Monitoring des sich auf EU-Ebene gegen eine Neuzulassung von Dachverbandes Deutscher Avifaunisten und des Deut- MON810 einzusetzen, sich für eine Verbesserung des schen Jagdschutzverbandes) empören sich darüber, dass EU-Zulassungsverfahrens für gentechnisch veränderte sie von der Industrie nicht einmal in Kenntnis gesetzt Pflanzen einzusetzen wie unter anderem dafür, dass die wurden und ihre Untersuchungen nicht im Mindesten für Verfahren für die Öffentlichkeit transparenter werden ein Gentechnik-Monitoring geeignet seien. Der Präsi- und dass wissenschaftliche Bedenken nationaler Behör- dent des konservativen Jagdschutzverbandes, der ehe- den der EU-Länder und unabhängiger Experten stärker malige Landwirtschaftsminister Borchert, CDU-MdB als bisher berücksichtigt und einbezogen werden. schreibt: „… dass unser Verband zu keinem Zeitpunkt von Monsanto in der Angelegenheit kontaktiert bzw. über das geplante Vorhaben in Kenntnis gesetzt worden Anlage 7 ist. Insofern ist unser WILD-Projekt in dem Monitoring- Zu Protokoll gegebene Reden plan ohne unser Wissen oder gar Einverständnis benannt worden.“ Des Weiteren schreibt er, dass „in keinem un- zur Beratung der Beschlussempfehlung und des serer jährlich publizierten WILD-Berichte das Thema Berichts: Mahnungen des Sachverständigen- GVO (gentechnisch veränderte Organismen) erwähnt rates ernst nehmen – Mehr Freiheit wagen wurde“. Der Jagdschutzverband verlangt wie die ande- (Tagesordnungspunkt 18) ren Verbände vom Bundesminister eine Auskunft darü- ber, aufgrund welcher Erkenntnisse das BVL zu seinen (B) Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Im traurigen Mo- (D) Schlussfolgerungen gelangt sei und ob überhaupt eine nat November war’s – da haben Sie, liebe Kollegen von Eignungsprüfung der fünf benutzten Monitorings für ein der FDP, uns diesen Antrag vorgelegt. Darin fordern Sie GVO Monitoring vorliege. die Bundesregierung auf, die Mahnungen des Sachver- Auch ohne diese Antwort der Bundesregierung zu ständigenrates ernst zu nehmen und mehr Freiheit zu wa- kennen: Diese Art der einseitigen Vertretung der Gen- gen. Nach der Debatte und den Beratungen in den betei- tech-Konzerninteressen verträgt sich nicht mit Rechts- ligten Ausschüssen liegt nun die Beschlussempfehlung staatlichkeit und Verfassung. Dort heißt es in Art. 20 a: des federführenden Wirtschaftsausschuss vor, der dazu „Der Staat schützt in Verantwortung für die kommenden rät, diesen Antrag abzulehnen. Um es kurz zu machen: Generationen (auch) die natürlichen Lebensgrundlagen Dem ist nur wenig hinzuzufügen. und die Tiere (…)“. Die Menschen, die sich um Umwelt Natürlich nehmen wir den Bericht des Sachverständi- und Gesundheit berechtigt sorgen, fühlen sich durch die genrates ernst und ignorieren ihn nicht; das ist schon mal Verschlechterung des Gentechnikgesetzes und die omi- ein grundlegender Irrtum. Darum stimmen im Übrigen nöse Wiederzulassung mehr und mehr in die Ohnmacht auch die Aussagen des Sachverständigenrates zur Ent- getrieben. So wird Minister Seehofer auch zu verantwor- wicklung der Wachstumsraten mit denen der Bundes- ten haben, wenn sich dieses Gefühl in den Protestaktio- regierung überein. Die Regierung hat von Anfang an nen entlädt. Eine solche Situation darf nicht entstehen. sehr moderate Schätzungen vorgelegt. Wir lassen uns Inzwischen kommen wie in Bayern mehr als 700 Men- eben lieber von einer positiven Entwicklung überra- schen – auch die Bauern im Deutschen Bauernverband – schen, statt beständig nach unten korrigieren zu müssen. zu den Gentechnikwiderstandsveranstaltungen und grün- den gentechnikfreie Regionen. Das Gutachten ist auch ein Beleg für den Erfolg die- ser Großen Koalition: eine Million weniger Arbeitslose In der dreisten, die Meinung der Bevölkerung und die als noch im Herbst 2005 nach sieben Jahren Rot-Grün; Risiken ignorierenden Vorgehensweise der Bundesregie- eine Million mehr Menschen, die wieder einer Beschäf- rung und Minister Seehofers liegt die Erklärung für den tigung nachgehen. Darüber hinaus liegt die Zahl der Er- Absturz der CSU bei den letzten Wahlen, nicht beim werbstätigen insgesamt bei über 40 Millionen – ein his- Nichtraucherschutz. Wenn die Bundesregierung einen torischer Wert. Zudem sinkt die Staatsquote auf etwa Rest an Glaubwürdigkeit behalten will, muss der Anbau 45 Prozent, und die Neuverschuldung geht kontinuier- des Genmais MON810 umgehend vor der Aussaat ge- lich gen null. Insgesamt können wir also auf eine sehr stoppt werden. Was sagte Seehofer noch im Januar 2008 gute Bilanz für die erste Halbzeit der Koalition blicken. auf der ersten internationalen Agrarministerkonferenz Die Sachverständigen bestärken uns in unserem Handeln Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15959

(A) und fordern uns auf, den eingeschlagenen Weg der Re- ist die Zahl der Arbeitslosen von 76 000 auf das Dop- (C) formen weiterzugehen. Das ist eine Aufforderung, der pelte, nämlich auf 147 000 Arbeitslose, angestiegen. – wir gerne nachkommen, und darum können Sie sicher Obendrein haben Sie die Bezirksregierungen abgeschafft sein, dass wir das auch tun werden. und sich lieber gegen eine bürgerfreundliche, ortsnahe Verwaltung und für eine bürokratische, zentralistische Ein großer Teil der Forderungen, die Sie, liebe Kolle- Neuorganisation entschieden. – Das nenne ich „Er- gen von der FDP, stellen, hat sich erledigt; denn wir ha- folge“. ben sie bereits in die Tat umgesetzt. Der andere Teil Ihrer Forderungen ist schlichtweg abzulehnen; denn er würde Vielleicht sollten Sie aber auch einfach etwas gründli- uns klar vom Kurs abbringen, also weg von unserem Re- cher lesen: Der Sachverständigenrat schreibt, dass es formweg, und damit würden wir nicht zuletzt auch den aufgrund der Krise an den Finanzmärkten zu einer Ver- Rat der Sachverständigen ignorieren. Das kann ja auch langsamung des Aufschwungs gekommen ist und wir nicht in Ihrem Interesse liegen. deshalb für das kommende Jahr mit einem Wirtschafts- wachstum von nur 1,9 Prozent rechnen können. Dann Lassen Sie mich Ihnen ein prägnantes Beispiel geben. aber kommt die eigentliche Aussage: Sie fordern, dass die Beitragsmittel der BA nicht in den Bundeshaushalt „verschoben“ werden sollen. Da darf Diese Abschwächung ist aber kein Indiz dafür, dass ich Sie beruhigen: Natürlich werden diese Gelder nicht der Aufschwung zum Erliegen kommt oder gar eine hin- und hergeschoben. Die Überschüsse der BA gehö- Rezession bevorsteht. ren dahin, wo sie hergekommen sind, nämlich zurück in Man sollte Zitate eben nicht aus dem Zusammenhang die Taschen der Beitragszahler. Darum entlasten wir Ar- reißen, um ihren Inhalt damit zu verfälschen. beitgeber und Arbeitnehmer, und darum haben wir den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung noch einmal von Wir können, denke ich, stolz sein auf das, was wir 4,2 Prozent auf nun 3,3 Prozent abgesenkt. An dieser bisher erreicht haben. Dies ist für uns aber noch lange Stelle möchte ich auch darauf hinweisen, dass aufgrund kein Grund, uns auf unseren Lorbeeren auszuruhen. Wir der positiven Lage eine weitere Absenkung des Beitrags- werden weiter alles dafür tun, damit der Aufschwung satzes möglich ist; vielleicht gelingt es uns sogar, unter sich verfestigt und die positive Entwicklung für die die 3-Prozent-Grenze zu kommen. Zudem haben wir da- Menschen in diesem Land weiter anhält. Das ist der Auf- mit unser Ziel, die Lohnnebenkosten endlich wieder un- trag, den wir mit der Wahl angenommen haben, und den ter die 40-Prozent-Marke zu senken, erreicht. Damit werden wir auch ausführen. machen wir Arbeit günstiger und ermöglichen die Schaf- fung weiterer Arbeitsplätze. Mit der Senkung der Bei- Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Die FDP (B) träge zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf zuerst folgt frommen Bräuchen und hat sich kollektiv eine Ent- (D) 4,2 Prozent und nun um weitere 0,9 Prozent haben wir giftungskur gegönnt. Das Heilfasten wurde eingeleitet übrigens die stärkste Absenkung der Lohnnebenkosten mit einem Fasteneinlauf. Der Erfolg war durchschla- vorgenommen, die jemals von einer Bundesregierung gend: Alles, was die FDP in den letzten Jahren an neoli- beschlossen worden ist. beralen Giften im Fettgewebe und in den Knochen ange- lagert hatte, wurde mobilisiert. Alles Gift muss raus. Das Wichtigste aber bleibt für uns die damit erzielte tatsächliche Nettoentlastung der Arbeitnehmerinnen und Und was sich da alles findet: Der Schutz von Unter- Arbeitnehmer; denn ihnen bleibt nun mehr netto von ih- nehmen mit strategischer Bedeutung vor Staatsfonds rem Lohn in der Geldbörse. Konkret bedeutet das für ei- wird abgelehnt. Freie Fahrt für Staatsfonds. – Ein neuer nen durchschnittlich verdienenden Arbeitnehmer eine Akzent im Freiheitsbegriff der FDP. Ablehnung von Entlastung von mehr als 270 Euro im Jahr. Mindestlöhnen. Freie Fahrt für Lohndumping. Freiheit vom existenzsichernden Einkommen als FDP-Pro- Dagegen sieht Ihre Bilanz ja nicht ganz so rosig aus, gramm. Kein Staatsanteil an der Bundesdruckerei, weil wenn ich beispielsweise an die Zeit der gelb-roten Koali- die Sicherheitsphilosophie des Unternehmens, das fäl- tion in meiner Heimat denke. In Rheinland-Pfalz können schungssichere Personalausweise druckt, natürlich Pri- Sie mit Herrn Beck gemeinsam auf eine „glanzvolle vatsache ist. Bilanz“ ordnungspolitischer Arbeit zurückschauen. Ich habe hier einige Höhepunkte für Sie: Im gesamten Zeit- Natürlich kommt auch Angedautes zum Vorschein, raum von 1947 bis 1990, also inklusive Wiederaufbau wie das berühmte „einfache und gerechte Steuersystem“ nach dem Zweiten Weltkrieg, hat das Land Rheinland- oder die „kapitalgedeckte Pflegeversicherung“. So ist Pfalz insgesamt 10 Milliarden Euro Schulden gemacht. das bei Einläufen. In den 13 Jahren Ihrer Regierungszeit, also von 1991 bis Alles in allem: Das Gift ist raus. Die FDP fühlt sich 2003, haben Sie diese Schulden lässig verdoppelt und es erleichtert. Wir lehnen ab und spülen runter. in den 13 Jahren auf traurige 24 Milliarden Euro ge- bracht. – Bis Ende 2005 wurde ein Schuldenstand von Nachdem die Herren Westerwelle und Pinkwart sich rund 6 350 Euro je Einwohner erreicht. Das ist bundes- offen für neue Berührungsflächen in der Parteienland- weit beispiellos. Dies bedeutet seit Ende 1991 – hier lag schaft zeigen, ist es nur konsequent, zu entschlacken und der Schuldenstand bei 2 954 Euro pro Kopf – einen Zu- Ballast abzuwerfen. Mal sehen, was kommt. wachs um 3 396 Euro. Das sind 115 Prozent in 14 Jah- ren, das sind insgesamt 14,509 Milliarden Euro Schul- Rainer Brüderle (FDP): Der Sachverständigenrat den. – Solange Sie im Landtag in Mainz gesessen haben, zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwick- 15960 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

(A) lung soll die Bundesregierung wissenschaftlich fun- und Investitionen unterstützen und nicht unterbinden. (C) diert beraten und deren Urteilsbildung bei wirtschafts- Wir brauchen Wettbewerb und keine Monopole. Was die politischen Fragestellungen erleichtern. Die derzeitige Regierung bei der Post veranstaltet, ist eine Politik ge- schwarz-rote Bundesregierung schlägt bei ihrer Mei- gen Wachstum und gegen Arbeitsplätze. Das Umsatz- nungsbildung die Mahnungen der Wirtschaftsweisen steuerprivileg der Deutschen Post AG verzerrt den Wett- aber offenkundig einfach in den Wind. bewerb. Es gehört abgeschafft. Mit den Mindestlöhnen zementiert die Regierung das Postmonopol dauerhaft. Das gute Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre Das garantiert keinen Arbeitsplatz, das vernichtet Ar- hat mittlerweile zu mehr Beschäftigung und zu einer ver- beitsplätze im großen Stil. Die entlassenen Briefträger besserten Haushaltslage geführt. Grundlage für diese po- der Post-Konkurrenten können sich für ihre Kündigung sitive Entwicklung waren die boomende Weltwirtschaft, bei der Bundesregierung bedanken. moderate Lohn- und Tarifabschlüsse in den vergangenen Jahren, erhebliche Umstrukturierungen der deutschen Wir müssen die Arbeitsmärkte flexibler machen und Unternehmen und letztlich auch die Arbeitsmarktrefor- dürfen nicht mit Mindestlöhnen zusätzlich in den Markt- men der vergangenen Legislaturperiode. Statt diesen prozess eingreifen. Es darf gerade nicht das Ziel sein, Weg fortzusetzen, dreht die Große Koalition das Rad den Staatseinfluss in der Wirtschaft zu vergrößern. Über- jetzt wieder zurück. all dort, wo der Staat seine Finger im Spiel hat, geht es in Die Verlängerung der Arbeitslosengeldzahlungen für der Wirtschaft schief. Die Krise der IKB ist dabei nur Ältere ist nur vermeintlich sozial. Tatsächlich senkt eine das aktuellste Stichwort. solche Maßnahme die Wiederbeschäftigungschancen äl- Der politische Zickzackkurs der Bundesregierung ist terer Menschen, wenn sie arbeitslos geworden sind. Und das Gegenteil einer solchen abgestimmten Reformpoli- dass Arbeitgeber solche Regelungen gern für Frühver- tik. Deutschland braucht endlich wieder eine politische rentungen nutzen, ist uns allen hinlänglich bekannt. Die Führungsverantwortung, für die „mehr Freiheit wagen“ meisten Unternehmen haben ihre Hausaufgaben besser nicht nur ein gebrochenes Wahlversprechen ist. gemacht als die Regierung. Sie haben ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit in den vergangenen Jahren gefes- tigt oder zurückgewonnen, trotz des starken Euro. Dr. Herbert Schui (DIE LINKE): Mit ihrem Antrag fordert die FDP die Bundesregierung auf, die Mahnung Um unseren Wohlstand langfristig zu sichern, reicht des Sachverständigenrats ernst zu nehmen. Diese Mah- es aber nicht, wenn unsere Produkte auf den Märkten nung lautet: „Das Erreichte nicht verspielen.“ dieser Welt erfolgreich sind. Deutschland muss auch im internationalen Standortwettbewerb Erfolg haben. Wenn Es stellt sich die Frage: Was haben wir erreicht? Das (B) Kapital und gut ausgebildete Menschen aus Deutschland Wirtschaftswachstum hat in den letzten beiden Jahren (D) in andere Länder abwandern, muss uns das zu denken deutliche zugenommen, nach einer langen Phase der geben. Diese Abwanderung zu verhindern, sollte die Stagnation. Auf den Abschwung folgte ein Aufschwung. Aufgabe der Bundesregierung sein. Langfristig entschei- Ist das eine Errungenschaft, die man bewahren könnte? det die Attraktivität Deutschlands als Wirtschaftsstand- Nur dann, wenn man davon ausgeht, dass es sich nicht ort über unseren Wohlstand. Langfristig nützt uns eine um eine zyklische Erholung handelt, sondern um einen von der Weltwirtschaft geborgte konjunkturbedingt boo- anhaltenden Wachstumsschub. Ich habe da meine Zwei- mende Exportnachfrage nicht viel, wenn die Weltkon- fel. junktur wieder schwächer wird. Der Aufschwung führte zu mehr Beschäftigung und Alle Wachstumsprognosen für dieses Jahr liegen zu weniger Arbeitslosigkeit. Auch dies ist nicht unge- deutlich unter dem des vergangenen Jahres. Die Bundes- wöhnlich. Die entscheidende Frage ist: Wie stark steigt regierung geht in ihrer offiziellen Prognose jetzt von die Zahl der Beschäftigten im Aufschwung, und wie 1,7 Prozent aus und liegt damit noch am oberen Rand stark fällt sie im folgenden Abschwung? Aktuell stieg die der Vorhersagen. Den privaten Konsum, auf den die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung um 716 000. Bundesregierung ihre Hoffnung gesetzt hatte, hat sie mit Im vergangenen Aufschwung waren es 645 000. Es ent- der Mehrwertsteuererhöhung selbst ausgebremst. Stei- stehen also nicht mehr Arbeitsplätze, als es in einem gende Steuern und Sozialabgaben und eine relativ hohe Wirtschaftsaufschwung üblich ist. Die Agenda 2010 hat Inflation von mehr als 3 Prozent am Jahresende 2007 kein Beschäftigungswunder ausgelöst. Man darf sich und immer noch 2,8 Prozent in diesem Januar haben die nicht davon blenden lassen, dass die Arbeitslosigkeit wirtschaftliche Situation durchschnittlich Verdienender deutlich stärker zurückgegangen ist. Dies erklärt sich weiter getrübt. Die Mehrwertsteuererhöhung nützt nur nicht aus einem Mehr an Beschäftigung, sondern aus ei- den neuen Ausgabenwünschen der Regierung; den Bür- nem Weniger an Erwerbspersonen. Langfristig geht die gern und der Wirtschaft schadet sie. Entwicklung in die falsche Richtung: Im Abschwung nach dem Jahr 2000 sind mehr Arbeitsplätze vernichtet Deshalb braucht Deutschland endlich wieder eine worden, als jetzt geschaffen wurden. konsistente wirtschaftspolitische Reformagenda, die auf Wettbewerb und Subsidiarität setzt, mehr unternehmeri- Will man die erreichte Beschäftigung nicht verspie- sche und persönliche Freiheit unterstützt und die sozia- len, muss man sie sichern. Das würde bedeuten: den len Sicherungssysteme zukunftsfähig macht. Wir brau- Kündigungsschutz stärken, Leiharbeit und geringfügige chen keinen Protektionismus in Deutschland. Das Beschäftigung in gute Arbeit umwandeln, also in unbe- Außenwirtschaftsgesetz muss internationalen Handel fristetete, sozialversicherungspflichtige, tariflich ent- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15961

(A) lohnte Arbeitsverhältnisse. Dies ist natürlich nicht die Vorhaben wie der Gesundheitsfonds. Zugleich warnen (C) Form von Freiheit, die die FDP in ihrem Antrag wagen die Sachverständigen vor einem neuen Protektionismus, will. der ausländische Investoren abschreckt. Deutschland braucht mehr, nicht weniger Finanzströme. Wer gehört zu den Gewinnern des Aufschwungs? Die Beschäftigten sind es nicht. Ihre Nettolöhne sind in die- Der Bundesregierung muss jetzt zu einer wirtschafts- sem Aufschwung real um 1,5 Prozent gesunken. Das ist politisch begründeten Gesamtstrategie umsteuern und sehr ungewöhnlich. Im Aufschwung davor waren sie die Strukturreformen in allen sozialen Sicherungssyste- noch um 8 Prozent gestiegen. Noch dramatischer ist die men fortsetzen, um sie für die Erfordernisse der Zukunft Entwicklung bei den Rentnerinnen und Rentnern und bei fit zu machen und zu einer dauerhaft stabilen Senkung anderen Sozialeinkommensbeziehern. Die Sozialleistun- der Lohnnebenkosten zu kommen. Besonders drängend gen wurden insgesamt um fast 6 Prozent gekürzt. Wenn ist eine gezielte und spürbare Absenkung der Lohnne- im Aufschwung Löhne und Sozialleistungen zurückge- benkosten im unteren Einkommensbereich durch das hen, müssen die Gewinn- und Vermögenseinkommen grüne Progressivmodell, durch das wesentliche Beschäf- dramatisch steigen. Das sind sie auch, real um 25 Pro- tigungseffekte generiert werden können. zent. Erreicht wurde, mit den Worten des Deutschen In- Zugleich muss das Gutachten des Sachverständigen- stituts für Wirtschaftsforschung, eine „dauerhafte Polari- rates differenziert bewertet werden. Es reicht nicht aus, sierung der verfügbaren Einkommen“. Ist das die die durchgesetzten Reformen beizubehalten oder – wie Errungenschaft, die es nicht zu verspielen gilt? die FDP in ihrem Antrag – einfach die Forderungen des Der Aufschwung ist labil. Die FDP sorgt sich zu Sachverständigenrates eins zu eins zu übernehmen. Die Recht. Er ist fast ausschließlich vom Export getragen, erfolgten Reformschritte müssen ausgewertet werden, zyklische Ersatzinvestitionen kamen hinzu. Beim Kon- um Nachsteuerungsbedarfe zu erkennen. Eine Neujustie- sum hat kein Aufschwung stattgefunden. Das konnte er rung der Arbeitsmarktreformen darf nicht einfach die auch nicht. Es besteht nun mal ein Zusammenhang zwi- Uhren zurückdrehen, sondern muss Lösungen für neue schen Einkommensverteilung und Konsumentwicklung, Herausforderungen bieten. Dazu gehört auch die Defini- den weder der Sachverständigenrat noch die FDP zur tion von verbindlichen Standards wie Mindestlöhnen. Kenntnis nehmen wollen. Für die meisten Menschen Viele Wirtschaftsexperten weisen darüber hinaus zu geht es nicht darum das Erreichte nicht zu verspielen, Recht auf die deutlichen Beschäftigungs- und nachhalti- sondern das Verlorene zurückzugewinnen. gen Wachstumspotenziale hin, die eine ökologische Neuausrichtung des Wirtschaftens verspricht. Das igno- Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In riert die FDP, und diese Blickweise zählt auch nicht zu (B) seinem Gutachten mit dem Titel „Das Erreichte nicht den Stärken des Sachverständigenrates. (D) verspielen“ warnt der Sachverständigenrat zur Begut- achtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vor der Die FDP nimmt mit ihrem Antrag pauschal positiv Absage an oder der Verschiebung von Reformen in den auf das Jahresgutachten Bezug und leitet hieraus ihre be- Sozialversicherungssystemen und vor einer Aufgabe des kannten politischen Forderungen ab. So fordert sie unter Ziels der Haushaltskonsolidierung. Nach dem Herbst- anderem eine Reduzierung der arbeitsmarktpolitischen gutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute ist dies der Maßnahmen, eine Flexibilisierung des Kündigungs- zweite dringende Appell der maßgeblichen Wirtschafts- schutzes und eine allgemeine Absage an Mindestlöhne. experten an die Bundesregierung, die Reformziele nicht Der Antrag der FDP verbleibt weitestgehend in pro- aus den Augen zu verlieren. grammatischen Allgemeinplätzen. Die Kritik an der Bundesregierung ist in weiten Bereichen nicht falsch, Der Höhepunkt des Konjunkturaufschwungs ist mit kann dann aber nicht in Plattitüden wie „mehr Freiheit der mäßigen Wachstumsprognose von 1,9 Prozent für wagen“ zusammengefasst und mit dem Abbau von Ar- 2008 im Vergleich zu der erwarteten Wachstumspro- beitnehmerrechten garniert werden. Es ist einfach falsch gnose für 2007 von 2,6 Prozent laut Sachverständigenrat und fahrlässig, so undifferenziert zu argumentieren. bereits überschritten. Der Börsencrash vom 21. Januar hat deutlich gemacht, dass die Politik nicht weiter mit Mittlerweile sind nicht nur 74 Prozent der Bürgerin- Aufschwungszenarien planen kann. Die anhaltende nen und Bürger für die Einführung von Mindestlöhnen, Phase des konjunkturellen Aufschwungs muss konse- sondern auch 68 Prozent der FDP-Wähler. Und das aus quent zur Haushaltskonsolidierung genutzt werden, weil gutem Grund: Schließlich müssen wirtschaftliche Fort- sonst im nächsten Abschwung der Konjunktur eine dra- schritte auch bei den Menschen ankommen. Niemandem matische Finanzsituation für die öffentliche Hand ent- ist geholfen, wenn wir ein Heer von schlecht bezahlten steht. Diese Hinweise müssen wir sehr ernst nehmen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern haben, die dann noch ergänzende staatliche Leistungen beziehen müssen, Der Sachverständigenrat weist zu Recht auf die Re- um über die Runden zu kommen. Deswegen ist auch die formdividende hin, die wesentlich auf die strukturellen platte Forderung nach Flexibilisierung des Kündigungs- Reformen während der Regierungsjahre der rot-grünen schutzes falsch. Alle Gutachten zum Thema sagen uns: Koalition zwischen 1998 und 2005 zurückzuführen ist. Es lässt sich weder eine negative Auswirkung des Kün- Der Sachverständigenrat lehnt deshalb richtigerweise digungsschutzes auf die Wirtschaft nachweisen noch po- das Vorhaben der Großen Koalition ab, die Bezugszeit sitive Auswirkungen, wenn wir ihn runterfahren. Aber des Arbeitslosengeldes I wieder zu verlängern und die das Signal an die Menschen ist fatal: Heuern und Feuern – Rentenreform abzuschwächen. Kritisiert werden auch und Arbeiten zu Dumpinglöhnen. 15962 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

(A) Daher kann die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen den Bereich eingeschränkt, wo die Mechanismen des (C) diesem Antrag nicht zustimmen. Wir teilen die Einschät- Marktes versagt haben. Dazu gehört der natürliche Mo- zung, dass wir uns intensiv mit den Forderungen des nopolbereich der Netze, nicht aber die Erzeugung oder Sachverständigenrates auseinandersetzen müssen. Das der Vertrieb. Und das Netz bleibt ein Monopol, egal ob versäumt die Bundesregierung und lässt viele gute und in staatlicher oder privater Hand. Deshalb bleibt uns wichtige Vorschläge der Experten in der Schublade ver- durch den Vorschlag der Linken kein Stück weit die Re- stauben. Uns ist aber auch nicht geholfen, wenn wir mit gulierung erspart. Dem Wettbewerb ist durch eine staat- dem Holzhammer auf Arbeitnehmerrechte einschlagen liche Übernahme der Netze nicht geholfen. und die Menschen zu miesen Bedingungen beschäftigen. Eine Wirtschaftspolitik, bei der nichts ankommt bei den Wir brauchen eine Regulierung, die diesem natürli- Menschen führt zu guter Rendite, aber zu einer Gesell- chen Monopol entsprechende Rahmenbedingungen setzt schaft, die immer weiter auseinanderdriftet. Spätestens und einen Als-ob-Wettbewerb darstellt. Hier haben wir nach Nokia sollte die FDP gemerkt haben, dass ein plat- gehandelt und sind den Weg des regulierten Netzzugan- ter Neoliberalismus heute weder hilfreich ist noch die ges gegangen. Die Ex-ante- und die Anreizregulierung Menschen überzeugt. sind Markenzeichen des Paradigmenwechsels. Damit wurde klar der Pfad zu mehr Wettbewerb betreten. Das ist zukunftsweisend und trägt bereits erste Früchte: Die Netznutzungsentgelte für normale Haushaltskunden sind Anlage 8 im letzten Jahr um 1 Cent pro Kilowattstunde – von Zu Protokoll gegebene Reden 7,7 Cent auf 6,7 Cent – gesunken. Der Anteil der Netz- nutzungsentgelte an den Stromkosten ist von über zur Beratung des Antrags: E.ON-Netz in die öf- 38 Prozent auf 32 Prozent zurückgegangen. Wir haben fentliche Hand übernehmen (Tagesordnungs- für den Wettbewerb noch weitere Dinge getan: Erstens. punkt 19) Private Stromverbraucher können ihren Lieferanten so einfach wie ihr Bankkonto wechseln. Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Der Antrag der Linken ist keine große Überraschung. Auf jedes Ereignis Zweitens. Wir schaffen mehr Wettbewerb bei der in Politik und Wirtschaft kommt bei den Linken der re- Stromerzeugung. Denn wir brauchen neue Kraftwerke flexartige Ruf nach dem Staat. Zur Erinnerung an die und vor allem solche von neuen Anbietern. Schulzeit: Ein Reflex ist die Reaktion eines Organismus Drittens. Der Netzbetreiber muss sich künftig an sei- auf einen bestimmten Reiz ohne Einschaltung des Ge- nen effizientesten Wettbewerbern messen lassen. Das hirns. Aber was ist denn auch von einer Partei zu erwar- schaffen wir durch die so genannte Anreizregulierung. (B) ten, die einmal einen Staat trug, der bis unter die Bettde- Damit haben wir die Weichen gestellt, dass weitere Effi- (D) cken seiner Bürger herumgeschnüffelt hat? Was Sie hier zienzpotenziale bei den Netzen gehoben werden. fordern, ist nichts anderes, als das Rad der Geschichte wieder zurückzudrehen. Davor kann ich nur warnen. Viertens. Solange der Wettbewerb jedoch noch nicht wie gewünscht funktioniert, brauchen wir kurzfristig Ich möchte noch einmal daran erinnern, wo wir ei- eine Schärfung der kartellrechtlichen Missbrauchsauf- gentlich herkommen. Seit 1998 wächst der Energiemarkt sicht. Daher hat das BMWi eine Novelle des Gesetzes sukzessive zu einem Binnenmarkt zusammen. Die Vor- gegen Wettbewerbsbeschränkungen, GWB, auf den Weg teile, die den Verbrauchern durch den EU-weiten Wett- gebracht, die am ersten Januar 2008 in Kraft getreten ist. bewerb bei anderen Produkten und Dienstleistungen Das Kartellamt hat seinen neuen Handlungsspielraum schon lange zugute kamen, sollten sich auch für Strom direkt genutzt und Verfahren gegen 35 Gasversorger ein- und Gas umsetzen. Leider ist insbesondere Deutschland geleitet. Das ist im Sinne Ludwig Erhards, der einen unter der damaligen rot-grünen Regierung mit angezoge- starken Staat dort wollte, wo er den Wettbewerb stützt. ner Handbremse gestartet. Zwar sind bis 2001/2002 die Nun müssen die marktbeherrschenden Energiekonzerne Strompreise gesunken, aber das war eher ein Marktberei- nachweisen, dass ihre Strom- und Gaspreise gerechtfer- nigungseffekt der großen vier Erzeuger als wirklicher tigt sind. Wettbewerb. Der verhandelte Netzzugang hemmte jede Entwicklung, vom Gassektor will ich gar nicht erst re- Natürlich haben wir auch noch ein Stück Weg vor den. uns. Die staatlich administrierten Abgaben und Belastun- gen sind mit über 40 Prozent des Haushaltsstrompreises Mit der EnWG-Novelle im Jahr 2005 haben wir einen noch deutlich zu hoch. Zudem müssen die bisher einge- Paradigmenwechsel im Energiemarkt eingeläutet. Der führten Anreiz- und Steuerinstrumente besser aufeinan- Union ist es im Vermittlungsverfahren durch Regulie- der abgestimmt werden. Schließlich wollen wir nicht ein rung der Netze und ein vereinfachtes Marktmodell im gesetzgeberisches Dickicht schaffen, das ähnlich un- Gasbereich gelungen, dem Wettbewerb mit dem Gesetz durchdringlich und ineffizient ist wie das Steuerrecht. wichtige Impulse zu geben. Seit November 2005 ist die Schon heute werden zu viele Stellen im Namen des Kli- Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommuni- maschutzes parallel gefordert und gefördert, belohnt und kation, Post und Eisenbahnen, kurz Bundesnetzagentur, bestraft. Dazu ist der Emissionshandel als zentrales In- BNetzA, per Gesetz der neutrale Schiedsrichter, der die strument des Klimaschutzes zu stärken. Netzentgelte vorab anhand eines präzisen Kostenkata- logs genehmigt und für einen fairen Zugang zu den Net- Das sind komplexe Maßnahmen, die nicht immer ein- zen sorgt. Das heißt, staatliche Regulierung wurde auf fach zu verstehen sind. Dazu braucht man Gehirn. Aber Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15963

(A) nur durch mehr Wettbewerb sind optimal die Potenziale gehalten werden. Gleichzeitig ist das Stromnetz eine der (C) zu nutzen, die in der Wirtschaft stecken. Die Linken Hauptschlagadern Deutschlands. Wenn dies nicht funk- wollen mit ein paar Beamten das leisten, wozu Tausende tioniert, gehen die Lichter aus. Darum hat Deutschland motiviere Marktteilnehmer bereitstehen. Sie wollen den ein vitales Interesse daran wer das Netz besitzt. Hier set- Staatshaushalt mit zusätzlichen Geldern belasten. Im- zen wir uns für eine Ergänzung des Außenwirtschaftsge- merhin würde der Kauf des deutschen Stromnetzes über setzes ein, damit Mitsprache- und Einspruchmöglichkei- 100 Milliarden Euro kosten. Nicht damit eingerechnet ten entstehen, sobald 25 Prozent und mehr Anteile am sind mehrere Milliarden Euro, die dringend in das Stromnetz den Besitzer wechseln. Auch das gehört zu Stromnetz investiert werden müssen. Dieses Geld will den Rahmenbedingungen. Aber es sind nur Rahmenbe- die Linke den Kommunen aufbürden. Das ist ein verant- dingungen, die der Staat setzt, damit sich der Markt in wortungsloser Umgang mit Steuergeldern und eine un- die richtige Richtung entfaltet. Es sind keine Fesseln, die geheuerliche Belastung für die nächsten Generationen. das Stromnetz an den Staat binden und zu einer sozialis- Und nicht einmal der Strom wird dadurch billiger. Dort tischen Steuerung führen. Natürlich kontrolliert der Staat wo sich das Stromnetz in öffentlichen Händen befindet, das Stromnetz nicht zu 100 Prozent. Das dies einer Par- sind die höchsten Strompreise zu zahlen. Die Beispiele tei, die 40 Jahre lang jede Bewegung ihrer Bürger zu Schiene und Autobahn zeigen auch, wozu staatliche Be- 100 Prozent kontrolliert hat, nicht passt, ist klar. teiligung führt: zu Investitionsstau. Die CDU ist die Partei der sozialen Marktwirtschaft. Nein, für die Union ist eindeutig: Wir schaffen An- Sie hat mit Ludwig Erhard die soziale Marktwirtschaft in reize, dass mehr Anbieter in das Netz einspeisen können der Nachkriegszeit gegen vielfache Widerstände durch- und damit mehr Wettbewerb entsteht. Denn bei der Er- gesetzt und die Bundesrepublik Deutschland mit ihr er- zeugung ist das eigentlich preistreibende Oligopol, das folgreich gemacht. Die CDU lehnt sozialistische und an- unbedingt geknackt werden muss. Die Entscheidung von dere Formen des Kollektivismus ab. Darum haben wir Eon, seine Stromnetze zu verkaufen, ist eine reine Unter- auch begonnen den Energiemarkt in Deutschland so zu nehmensentscheidung. Wenn sich ein Versorger freiwil- formen, dass auch auf ihm die soziale Marktwirtschaft lig von seinem Netz trennen will, wird er nicht aufgehal- gilt. Nur so ist eine konkurrenzfähige und sozialverträg- ten. Der Vorschlag der EU-Kommission geht aber weit liche Energieversorgung auf Dauer zu erreichen. darüber hinaus. Brüssel will eine zwangsweise Abtren- Der Antrag der Linken ist nicht marktwirtschaftlich nung der Netze. Diesen Schritt lehnt die Bundesregie- und schon gar nicht sozial und wird deshalb von der rung ab und hat auf EU-Ebene mit dem „dritten Weg“ ei- CDU/CSU-Bundestagsfraktion abgelehnt. nen vernünftigen Vorschlag unterbreitet. Sie hat dabei die volle Unterstützung der Union. (B) Rolf Hempelmann (SPD): Wir haben es heute mit (D) Die von der EU-Kommission erwünschten Effekte einem sehr aktuellen Thema zu tun: dem vom Eon-Kon- sind empirisch nicht belegbar. In Großbritannien etwa, zern angekündigten Verkauf seines Netzbetriebs. Diese wo die Übertragungsnetze längst abgetrennt wurden, lie- Nachricht hat insbesondere im Blätterwald einige Aufre- gen die Großhandelspreise für Strom seit Monaten konti- gung und auch Erstaunen ausgelöst. Ich denke aber, dass nuierlich über den deutschen. Briten und Niederländer sich die Überraschung über diese Entscheidung jeden- konnten die Abtrennung der Verteilnetze vergleichs- falls bei allen, die die aktuelle Diskussion genau verfol- weise leicht durchsetzen, befanden sich diese doch in der gen, in Grenzen gehalten haben dürfte. Wir wissen, dass öffentlichen Hand. In Deutschland dagegen ist ein sol- die Unternehmen derzeit eine Reihe von Optionen prü- cher Schritt verfassungsrechtlich außerordentlich be- fen, wie zukünftig mit dem Netzgeschäft umzugehen ist. denklich. Und dazu gehört selbstverständlich auch die Möglichkeit eines Verkaufs. Art. 14 des Grundgesetzes – Schutz des Eigentums – bildet einen hohen Schutzwall um die Netze. Ich be- Diese Überlegungen haben mehrere Ursachen. Eine fürchte eine tiefgreifende Entflechtung verzögert die Li- davon ist sicherlich die 2005 durch die Novelle des beralisierung erheblich. Jahrelanger Rechtsstreit ist vor- Energiewirtschaftsgesetzes bzw. die Einrichtung der programmiert. Rechtsunsicherheit behindert notwendige Bundesnetzagentur, BNetzA, ausgelöste Kontrolle der Investitionen. Sie würden auch kein neues Auto kaufen, Netznutzungsentgelte. Dieses Regulierungsinstrument wenn sie wüssten, dass der Staat es ihnen in einem hal- funktioniert; gerade im Strombereich haben wir bereits ben Jahr abnimmt. Bevor wir europaweit nun zum in der ersten Entgeltgenehmigungsrunde Absenkungen nächsten Sprung ansetzen, sollten wir lieber erstmal der beantragten Netzentgelte in einer Höhe von rund schauen, ob der zweite Schritt vollständig getan wurde. 2,5 Milliarden Euro erlebt. Mindestens für den Bereich Das Zweite EU-Binnenmarktpaket ist noch gar nicht in der Übertragungsnetzbetreiber hat die BNetzA mit ihren allen Mitgliedstaaten umgesetzt worden. In vielen Nach- Entscheidungen vom Januar dieses Jahres deutlich ge- barländern, beispielsweise in Frankreich oder Spanien, macht, dass sie willens ist, den eingeschlagenen Weg existieren merkwürdige Konstrukte, um die Strompreise fortzusetzen. Kürzungen von bis zu 29 Prozent gegen- etwa für die Industrie staatlich zu senken. Hier entstehen über den Anträgen sprechen, so denke ich, eine sehr Wettbewerbsverzerrungen, die nicht vereinbar sind mit deutliche Sprache. einem liberalen Markt. Wir befinden uns also erkennbar in einer Situation, in Deutschland hat in Europa die größte Netzstabilität der die Zeiten der Monopolrenditen offenkundig vorbei und die wenigsten Ausfallzeiten. Dieser Standard muss sind. Man könnte auch sagen: Politik und Regulierungs- 15964 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

(A) behörden sind in ihrem Bestreben, Kostensenkungs- Ganz ähnlich sieht es übrigens auch bei den Netz- (C) potenziale im Netzbereich zu erschließen, erfolgreich. investitionen aus. Die Kommission geht hier – analog Dass damit umgekehrt für die großen, aber auch für die zur Frage der Preise – davon aus, dass eine Eigentums- kleinen Netzbetreiber die Attraktivität des Netzgeschäfts entflechtung günstige Auswirkungen auf die Investi- nicht eben zunimmt, dürfte auf der Hand liegen und ei- tionstätigkeit der Netzbetreiber und damit auf die Netz- nen wesentlichen Einfluss auf Entscheidungen wie die sicherheit insgesamt haben würde. Ein Gutachten der heute zu diskutierende haben. Unternehmensberatung A. T. Kearny, das diese Frage genauer analysiert, kommt zu anderen Ergebnissen: Mit Darüber hinaus haben wir alle mitbekommen, dass Ausnahme von National Grid in Großbritannien ist keine die Eon-Entscheidung zum Netzverkauf in erheblichem Korrelation zwischen der gewählten Entflechtungs- Umfang durch Prozesse auf europäischer Ebene beför- variante und der Investitionstätigkeit der Netzbetreiber dert oder zumindest beschleunigt worden ist. Da war zu erkennen. zum einen das seit längerem laufende EU-Kartellverfah- ren gegen Eon, das die Kommission im Falle eines Netz- Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass verkaufs offenbar einzustellen bereit ist. Ich meine, dass sich die Frage der Netzinvestitionen noch verschärfen es schon berechtigt ist, an dieser Stelle einmal nachzu- würde, wenn die Kommission ihre Forderung nach einer fragen, ob es denn wirklich opportun ist, wenn hier Eigentumsentflechtung ohne die Aufnahme einer etwai- Dinge, die eigentlich nur sehr wenig miteinander zu tun gen dritten Option gegen die Unternehmen durchsetzen haben, von der Kommission zur Durchsetzung ihrer In- würde. Die Folge wären möglicherweise langwierige ju- teressen instrumentalisiert werden. ristische Auseinandersetzungen, während derer wohl kaum ein Netzbetreiber noch ausreichend in den Ausbau Da war zum anderen die Debatte um eine eigentums- und Erhalt seines Netzes investieren würde. Demgegen- rechtliche Entflechtung vertikal integrierter Energiekon- über hätten Modelle wie die aktuell diskutierte Variante zerne, wie sie von der Kommission in ihrem im September einer Netz AG, in die die verschiedenen Übertragungs- letzten Jahres vorgestellten Energiebinnenmarktpaket netzbetreiber ihre Netze einbringen würden und die auch gefordert worden ist. Diese Debatte hat in den zurücklie- weitere Kapitalgeber umfassen würde, sicherlich den genden Wochen noch einmal deutlich an Fahrt aufge- Vorteil, dass sie auf freiwilliger Basis erfolgen und die nommen, auch durch die Tatsache, dass acht Mitglied- Gefahr eines Investitionsattentismus verringern würden. staaten – darunter Deutschland und Frankreich – ein Alternativkonzept, einen dritten Weg, vorgestellt haben. Im Unterschied zu den Antragstellern von der Linken Dieses Alternativmodell, das den bestehenden Regulie- bin ich fest davon überzeugt, dass eine solche privatwirt- rungsrahmen verschärfen und insbesondere organisatori- schaftliche Organisation der Netzgesellschaft erhebliche (B) sche Maßnahmen zur Steigerung der Unabhängigkeit der Vorteile gegenüber einer Verstaatlichung hätte. Alle Er- (D) Netzgesellschaften sowie konkrete Vorgaben für den Be- fahrung zeigt doch, dass der Staat, wo immer er in eine reich der Netzinvestitionen umfassen würde, hätte zu- quasi-unternehmerische Rolle geschlüpft ist, nicht eben gleich den Vorteil, ohne tief greifende Eingriffe in beste- erfolgreich gewesen ist. Unternehmen in öffentlicher hende Eigentumsstrukturen auszukommen. Hand haben sich nicht dadurch ausgezeichnet, dass sie besonders kosteneffizient agieren und sich privaten Un- In dieser Auseinandersetzung hat die Eon-Entschei- ternehmen gegenüber als überlegen erweisen. Im Gegen- dung die Position der Kommission sicherlich nicht gerade teil. Weil das so ist, sage ich an die Adresse der Linken: geschwächt. Dennoch: Bis heute ist uns die Kommission Schuster bleib bei deinem Leisten. Wir in der Politik den Nachweis schuldig geblieben, dass die Eigentum- sollten, wie wir das im Rahmen der Netzregulierung ja sentflechtung tatsächlich Vorteile im Sinne der Verbrau- auch erfolgreich tun, in der Tat klare Rahmenbedingun- cher mit sich bringt. Jedenfalls im Blick auf die bislang gen setzen. Das operative Geschäft aber sollten wir doch vorliegenden empirischen Daten ist eher vom Gegenteil denjenigen überlassen, die über die notwendige unter- auszugehen. Nimmt man etwa einen seriösen Vergleich nehmerische Kompetenz verfügen. der Strompreise vor, dann ergibt sich folgendes Bild: Diese Präferenz für eine privatwirtschaftliche Lösung 2006 lag der Strompreis ohne Steuern und Abgaben im ei- macht übrigens nicht nur vor dem Hintergrund der Frage gentumsrechtlich entflochtenen Italien bei 16,7 Cent/ der Kosteneffizienz einigen Sinn. Ich glaube vielmehr, kWh, und exakt derselbe Preis war auch im oft zitierten dass auch unser aller Interesse an einer auch weiterhin Musterland des energiewirtschaftlichen Wettbewerbs, im hohen Netzqualität und -sicherheit am ehesten auf dieser Großbritannien, zu entrichten. In Deutschland dagegen Basis erfüllt werden kann. Wir benötigen in den kom- lag der Preis auf der Grundlage einer informatorischen menden Jahren massive Investitionen in den Ausbau un- und operationellen, aber eben nicht eigentumsrechtlichen serer Netze. Diese Investitionen wird es nicht geben Entflechtung bei 11,8 Cent und damit beinahe ein Drittel ohne Investoren, die bereit sind, Milliardenbeträge in die unter dem von Italien und Großbritannien. Selbst wenn Hand zu nehmen. Anders als Die Linke bin ich davon man in Rechnung stellt, dass es auch Staaten mit Eigen- überzeugt, dass sich diese Mittel am ehesten von einem tumsentflechtung gibt, in denen die Preise wie zum Bei- privatwirtschaftlich organisierten Netzbetreiber und spiel in Dänemark oder Schweden geringfügig unterhalb eben nicht von der öffentlichen Hand werden aufbringen des deutschen Niveaus liegen, geht kein Weg an der Er- und effizient einsetzen lassen. kenntnis vorbei, dass die Unterstellung eines Kausalzu- sammenhangs von Eigentumsentflechtung und Preisen Das allerdings hat auch zur Voraussetzung, und zwar schlechterdings nicht aufrechtzuerhalten ist. unabhängig davon, ob eine etwaige Netzgesellschaft pri- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15965

(A) vat oder öffentlich organisiert wäre, dass wir auch Dies allein zeigt schon, dass eine Verstaatlichung der (C) zukünftig Rahmenbedingungen gestalten, die angemes- Übertragungsnetze uns wettbewerbspolitisch keinen sene, aber eben auch auskömmliche Renditen ermögli- Schritt weiterbringen würde. Dafür entstünde aber eine chen. Ein „race to the bottom“, das früher oder später ganze Reihe neuer Probleme: zwangsläufig zulasten der Netzqualität gehen müsste, kann in niemandes Interesse liegen. Im Gegenteil: Wir So müsste zunächst einmal ein Enteignungsverfahren alle wissen, dass die Ansprüche an die Netze aufgrund durchgeführt werden für diejenigen Netze, die nicht frei- einer immer dezentraleren Struktur der Stromeinspei- willig veräußert werden. Dafür sieht unser Grundgesetz sung, aber auch wegen des zunehmenden internationalen zu Recht hohe Hürden vor, die zu überschreiten vermut- Stromhandels in den nächsten Jahren erheblich steigen lich Jahre in Anspruch nehmen würde, in denen kein werden. Dafür brauchen wir leistungsfähige und investi- Cent in den dringend notwendigen Ausbau der Netze in- tionsstarke Netzbetreiber. Die Verstaatlichung der Netze, vestiert würde. Auch bleibt unbeantwortet, woher das wie sie der Linken vorschwebt, ist kaum der geeignete Geld für eine solche Transaktion kommen soll. Soll der Weg, um den vor uns liegenden Herausforderungen ge- Bund, der noch immer aufgrund einer verfehlten Haus- recht zu werden. haltspolitik jedes Jahr neue Schulden aufnimmt, die Steuern erhöhen, um diese Milliardenbeträge zusam- menzubringen? Und wenn ja, welche Steuern wollen Sie Gudrun Kopp (FDP): „Um es gleich vorweg zu sa- erhöhen? gen: Die FDP-Bundestagsfraktion lehnt den hier und heute zu beratenden Antrag der Fraktion Die Linke Darüber hinaus bringen öffentliche Unternehmen im- „Eon-Netz in die öffentliche Hand übernehmen“ ab. Wir mer ganz spezifische Probleme mit sich, die jeder von lehnen ihn ab, weil er ökonomisch falsch ist; offenbart, uns von seinen örtlichen Sparkassen oder Unternehmen dass die Linkspartei aus der Geschichte nichts gelernt wie der Deutschen Post AG oder Telekom kennt. Zu- hat; einen Anschlag auf die soziale Marktwirtschaft dar- nächst einmal werden diese Betriebe – das ist im kom- stellt.“ munalen Bereich deutlich zu erkennen – allzu gern be- nutzt als Versorgungsposten für verdiente Parteifreunde, Vom Titel des Antrags abgesehen sind diese ersten die nach Parteienproporz eingesetzt werden – nicht im- Zeilen meiner heutigen Rede identisch mit dem, was ich mer zum Vorteil der Unternehmen. Ferner werden diese in der vorletzten Woche zu einem anderen Antrag der Unternehmen nicht selten mit sachfremden Aufgaben Fraktion Die Linke hier im Hohen Hause vorgetragen überfrachtet. habe. Dies zeigt, dass die Linkspartei offenbar nicht in der Lage ist, sich aus den Fesseln der Vergangenheit zu Unter dem Strich bleibt festzuhalten: Liebe Kollegen (B) lösen. Es nutzt aber weder den Menschen in Deutschland und Kolleginnen von der Linkspartei, lassen Sie sich (D) noch irgendwelchen abstrakten Verteilungsphantasien, doch einmal was Neues einfallen. Jedes erdenkliche Pro- wenn Sie, liebe Kollegen und Kolleginnen von der Lin- blem immer gleich mit Steuererhöhungen, Verstaatli- ken, hier jede Woche zu jedem Thema die immergleiche chung und Regulierung zu beantworten, mag zwar ihre Lösung vortragen: nämlich die Verstaatlichung der Pro- Kommunistenfreunde in Westdeutschland erfreuen, ein duktionsmittel! Was bei Marx schon falsch war und im Beitrag zur Lösung energiewirtschaftlicher Probleme ist vergangenen Jahrhundert Hunderte von Millionen Men- das nicht. schen in den ökonomischen Abgrund und – das sollte nicht vergessen werden – den millionenfachen Tod ge- Ulla Lötzer (DIE LINKE): Jahrelang hat die Eon AG trieben hat, das kann kein Rezept für die Zukunft sein. gemeinsam mit den anderen Stromkonzernen die Bun- Solange Sie Ihren Sozialismusphantasien zur Verskla- desregierung vorgeschickt, in Brüssel gegen eine Ent- vung der Menschheit anhängen, können Sie nicht auf die flechtung von Stromproduktion und Transport zu kämp- Zustimmung der FDP rechnen. fen. Pünktlich zum Energierat, an dem genau über diese Frage verhandelt werden sollte, kam der Paukenschlag: Eine Verstaatlichung von Energienetzen – sei es im Ohne vorher mit der Bundesregierung gesprochen zu ha- Übertragungsnetzbereich, im Verteilnetzbereich oder in ben, kündigt Eon an, sich von seinem Übertragungsnetz beiden – löst nicht ein einziges Problem, das wir heute zu trennen. Eon tanzt der Bundesregierung auf der Nase auf den Energiemärkten haben, es schafft lediglich neue. herum und macht sie in Brüssel lächerlich. Die Energienetzwirtschaft kennt so gut wie keinen paral- lelen Netzbau, weshalb dieser Sektor zu Recht als natür- Bis zu 8 Milliarden Euro, das ist die Strafe, die Eon liches Monopol bezeichnet wird. Natürliche Monopole laut Medienberichten droht – wegen illegaler Preisab- tendieren immer dazu, Kosten zu produzieren, völlig un- sprachen und Behinderung des Wettbewerbs. Die bei abhängig davon, wer dieses Monopol betreibt. Das wäre Eon von der EU-Kommission beschlagnahmten Akten auch und gerade bei einem öffentlichen Unternehmen enthalten offenbar hinreichende Beweise für den Markt- nicht anders. Und genau deshalb ist es unabdingbar, dass machtmissbrauch. Und nun die Absprache zwischen der diese Monopole staatlich reguliert werden. Dies ge- EU-Kommission und Eon: Brüssel verzichtet auf die schieht in Deutschland seit 2005 durch die Bundesnetz- Strafe, wenn sich Eon von seinem Übertragungsnetz und agentur, die ihre Sache nach unserer Meinung ganz aus- von Kraftwerkskapazitäten in Höhe von 4 800 Megawatt gezeichnet macht. Dafür meinen herzlichen Dank an trennt. Das ist ein fauler Deal; in dieser Hinsicht stimme Herrn Kurth und seine Mitarbeiter, die diese schwierige ich mit Minister Glos völlig überein. Eon darf nicht mit Aufgabe übernommen haben. einem politischen Kuhhandel aus der Verantwortung ent- 15966 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

(A) lassen werden. Wer die Stromkundinnen und Stromkun- Energieriesen die hohen Gewinne und ihr Kapital un- (C) den betrügt, muss bestraft werden. rechtmäßig mit Monopolrenditen erwirtschaftet haben. Damit haben sie ihre Entschädigung für die Enteignung Was soll nun aber mit den Netzen passieren? Sie wur- schon vorab kassiert. Deshalb: Lassen Sie uns jetzt die den in der Vergangenheit heruntergewirtschaftet. Der Chance nutzen und das Netz der Eon AG in die öffentli- Blackout im November 2005, der auf dem Gebiet der che Hand überführen. RWE passierte, war nur eine Vorwarnung. Die Netze sind völlig veraltet. Ihre übliche Nutzungsdauer wird auf 50 Jahre angesetzt. Laut Bundesnetzagentur haben die Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 220 KV-Masten im Durchschnitt das Alter von 50 Jah- Von Wettbewerb auf dem Energiemarkt können wir ren, manche sind sogar 80 bis 85 Jahre alt. Die Strom- ernsthaft nicht reden. 90 Prozent der Stromerzeugung konzerne haben fleißig überhöhte Netznutzungsgebüh- wird durch die großen Vier – Eon, EnBW, Vattenfall und ren kassiert, aber kaum in die Netze investiert. Dies RWE – abgedeckt, und sie halten das ganze Übertra- gefährdet die Versorgungssicherheit und behindert den gungsnetz. Die Wettbewerber klagen über Hindernisse Ausbau regenerativer Energien. Es ist doch im Sinne des beim Netzanschluss. Der Bundesnetzagentur und dem Klimaschutzes unerträglich, dass bei starkem Wind, also Bundeskartellamt fehlen Mittel und Personal. Die Ver- genau dann, wenn viel Windstrom produziert werden braucherinnen und Verbraucher klagen über steigende könnte, die Windanlagen abgeschaltet werden müssen, Energiepreise. weil das Netz von Eon den Strom nicht aufnehmen kann. Ownership Unbundling: Die Trennung von Netz und Jahrelang haben sie den Ausbau der Netze in die Regio- Energieerzeugung ist dringend geboten, damit die Neuen nen, in denen regenerativer Strom produziert wird, – insbesondere auch die Anbieter von Strom aus regene- verzögert. Und warum? Weil der saubere Strom eine un- rativen Energiequellen – auf dem Strommarkt eine angenehme Konkurrenz für die Atom- und Kohlever- Chance haben und die Hindernisse aus dem Weg ge- stromer wie Eon ist. räumt werden, die die Großen gesetzt haben. Wir müs- Der Betrieb der Netzinfrastruktur muss gesamtgesell- sen auch das Oligopol der Großen bei der Energieerzeu- schaftlichen Zielen dienen. Aufgabe ist eine möglichst gung brechen. Bündnis 90/Die Grünen fordert, sie so sichere, bezahlbare, umweltverträgliche, verbraucher- lange zum Verkauf von Kraftwerken zu zwingen, bis freundliche und effiziente Versorgung der Allgemein- ihre Übermacht abgebaut ist. heit. Das Beispiel Eon zeigt, dass diese Ziele mit einem Die EU fordert den Wettbewerb massiv ein und dringt privatwirtschaftlichen Netzbetrieb nicht zu erreichen auf Ownership Unbundling. Was macht die Bundesre- sind: Die Netze sind überaltert, die Durchleitungsgebüh- gierung? Statt die Interessen der Verbraucherinnen und (B) ren viel zu hoch, der Einsatz regenerativer Energien wird Verbraucher zu vertreten und den Wettbewerb zu stär- (D) behindert und bezahlen müssen dies alles die Verbrau- ken, kämpft Minister Glos auf totem Gleis weiter in cher und Verbraucherinnen mit völlig überteuerten Brüssel für seinen dritten Weg. Dabei hat sich seit eini- Strompreisen. Auch dieses Jahr vermeldet Eon wieder gen Tagen die Lage völlig verändert. Eon fällt dem Wirt- eine Gewinnsteigerung von 27 Prozent auf 7,7 Milliar- schaftsminister in den Rücken. Um sich vor drohenden den Euro. Hauptursache: die hohen Strompreise. Kartellverfahren zu schützen, geht Eon in die Offensive und bietet seinerseits an, sein Übertragungsnetz zu ver- Aufgrund des überragenden Allgemeinwohlinteresses kaufen. Das wirft ohne Zweifel die Frage auf, ob hier ein darf das Übertragungsnetz von Eon weder in die Hände fauler Deal vorliegt. Nichtsdestotrotz öffnen sich da- privater Finanzspekulanten noch anderer privater Inves- durch aber neue Chancen für den Wettbewerb. Auch toren fallen. Auch diese würden nur versuchen, mög- Vattenfall denkt laut nach, wie es weitergehen soll und lichst hohe Profite mit dem Netz zu erzielen. Die Strom- ob das eigene Netz an den Markt gebracht werden soll. netze gehören – genauso wie die Straßen und das Schienennetz – in die öffentliche Hand. Diese ist dafür Diese Entwicklung ist absolut positiv zu bewerten. am besten geeignet. Sie kann die Ziele, der sicheren und Damit – und mit einem weiteren Unbundling-Engage- effizienten Stromversorgung mit den Zielen der sauberen ment der EU – kommt Bewegung in den starren Energie- und bezahlbaren Versorgung am besten vereinigen. Die markt. Jetzt gilt es, Konzepte zu entwickeln, um den Investitionsmittel für den nötigen Ausbau und der Er- Energiemarkt neu zu ordnen. neuerung der Netze können weiterhin über die Nut- zungsentgelte refinanziert werden. Die öffentliche Hand Der Antrag der Linken zur Verstaatlichung des Eon- muss aber keine höchstmögliche Rendite mit den Netzen netzes bringt in der Sache gar nichts. Im Klartext: Eon erzielen. Sie kann deshalb die Preise senken. Und was bewegt sich zögerlich, darum wird sein Netz enteignet. am wichtigsten ist: Sie kann den Netzbetrieb auf die Was ist mit RWE, mit Vattenfall, mit EnBW? Da energiepolitischen Ziele von Klimaschutz und Atomaus- schweigt sich die Linksfraktion aus. Was würde das stieg ausrichten. Bundesverfassungsgesetz zu einer Lex Eon sagen? Eine Sozialisierung lässt sich nicht aus dem Ärmel schütteln, Eon hat die Verpflichtungen, die mit dem Netzbetrieb sondern muss gut begründet werden. Auch der Gleich- verbunden sind, nicht in ausreichendem Maße erfüllt. heitsgrundsatz kann hier nicht einfach missachtet wer- Dies ist ein Missbrauch der Netzinfrastruktur, der eine den. Aber selbst bei einer Enteignung aller Netze wird Enteignung oder Vergesellschaftung im Sinne des nicht von heute auf morgen alles gut. Vermutlich wären Grundgesetzes rechtfertigt. Zur Entschädigungsfrage jahrelange Prozesse die Folge, während derer dann nie- stellt die Deutsche Bank völlig zu Recht fest, dass die mand mehr ins Netz investiert, weil die Lage unklar ist. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15967

(A) So einfach darf man es sich auch nicht machen, dass ein Ziel, das Wohngeldrecht fortzuentwickeln und im Voll- (C) VEB Netze dann alles gut werden lassen würde. zug zu vereinfachen. Hintergrund ist, dass die sogenann- ten Transferleistungsempfänger, also unter anderem die Die Netze reichen nicht, wie sie sind. Wir brauchen Empfänger von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe, seit Investitionen: an den Grenzkuppelstellen, bei den Wind- dem 1. Januar 2005 vom Bezug von Wohngeld ausge- parks, bei neuen umweltfreundlichen Kraftwerken. Dazu schlossen sind. Die Kosten für die Unterkunft dieses brauchen wir Know-how, Geld und Verantwortungsbe- Personenkreises werden seitdem im Rahmen der jeweili- wusstsein. Das Know-how gibt es jetzt schon bei den gen Transferleistung berücksichtigt. Netzabteilungen der Großen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lassen sich in neue Strukturen einbinden. In- Seit Januar 2005 hat deswegen die Zahl der Wohn- vestoren fürs Netz sind gesucht. Die müssen wir moti- geldempfänger deutlich abgenommen. Im Jahr 2006 ha- vieren – und mit klaren Regeln dafür sorgen, dass keine ben knapp 666 000 Haushalte Wohngeld erhalten. 2004, einseitige Dominanz besteht. Deshalb müssen die gro- vor der Reform, lag die Zahl noch bei knapp 2,3 Millio- ßen Vier ihre Netze abgeben. Ziel muss sein, die Netze nen Haushalten. Die finanziellen Aufwendungen für das in eine gesamtdeutsche Netzgesellschaft zu integrieren. Wohngeld sind von 5,1 Millionen Euro im Jahre 2004 Dabei muss der Staat die Regeln setzen. Das heißt aber auf 1,1 Millionen Euro im Jahre 2006 zurückgegangen. nicht, bis ins letzte Unternehmensglied die Verwaltungs- Zugleich hat aber die Zahl derjenigen Haushalte zuge- struktur des öffentlichen Dienstes umzusetzen. Wir müs- nommen, die ergänzend Arbeitslosengeld II in Form der sen klare Entscheidungen für einen wettbewerbsgerech- sogenannten Kosten der Unterkunft beziehen. Diese ten Netzausbau auf der Zielebene der Netzgesellschaft Leistungen sind im Vergleich zum Wohngeld vielfach umsetzen. Dafür brauchen wir einen ordnungspolitisch höher. Weil jedoch die Kosten für die Unterkunft eine starken Staat, der vernünftig mit den Investoren zusam- kommunale Leistung darstellen, findet derzeit eine Kos- menarbeitet. tenverlagerung auf die Kommunen statt. Von dieser Kos- Die Probleme sind klar, auch die Anforderungen der tenverlagerung profitieren der Bund und die Länder. EU. Mit platten Anträgen für der einer Lex Eon ist nie- Deshalb ist eine Erhöhung des Wohngeldes auch im ur- mandem geholfen. Wir brauchen jetzt vernünftige Pläne eigenen Interesse unserer Kommunen; denn so stärken für eine deutsche Netzgesellschaft, und wir brauchen wir deren Finanzkraft und deren politische Handlungsfä- eine Bundesregierung, die im Bereich Energie, Wettbe- higkeit. werb und Verbraucherschutz endlich ihrer ordnungspoli- Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick- tischen Verantwortung gerecht wird. lung des Deutschen Bundestages hat am 12. Dezember 2007 eine umfangreiche Expertenanhörung durchge- (B) führt. Eine Bewertung der Ergebnisse dieser Anhörung (D) Anlage 9 ist vom Ausschuss zwischenzeitlich noch nicht vorge- Zu Protokoll gegebene Reden nommen worden. Dafür bedarf es angesichts der umfas- senden Stellungnahmen der Experten auch noch einiger zur Beratung des Antrags: Erwerbsarmut ver- Zeit. Wir wollen eine Gesetzesnovelle, die in erster Linie hindern – Einkommen stärken – Wohngeld jetzt den Empfängern des Wohngeldes nützt und ihnen ge- verbessern (Tagesordnungspunkt 20) recht wird. Schnellschüsse lehnen wir von der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion in diesem Zusammenhang ab. Gero Storjohann (CDU/CSU): Wir diskutieren Sicherlich ist es die Aufgabe einer Oppositionsfrak- heute einen Antrag der Fraktion von Bündnis 90/Die tion, die Arbeit der Bundesregierung kritisch zu beglei- Grünen, den diese Fraktion am 13. Februar 2008, also ten. Wenn allerdings von den Grünen in dem heute zu erst kürzlich, in den Deutschen Bundestag eingebracht diskutierenden Antrag formuliert wird, der von der Bun- hat. Der Antrag der Grünen hat zum Ziel, das Wohngeld desregierung vorgelegte Entwurf des Gesetzes zur Ände- für die Bezieher geringerer Einkommen zu erhöhen. rung des Wohngeldrechts ziele lediglich auf eine Verein- Nun ist die Reform des Wohngeldrechts in den letzten fachung von Verwaltungsabläufen ab und sei mangels Monaten bereits verstärkt in den Fokus parlamentari- einer Leistungsnovelle nicht geeignet, das Wohngeld als scher Beratungen gelangt. Im Koalitionsvertrag vom ein den Leistungen des SGB II vorgelagertes System zu 11. November 2005 hatten CDU, CSU und SPD das Ziel stärken, so muss dies schon verwundern. formuliert, das Wohngeldrecht durch Bund und Länder zügig mit dem Ziel einer deutlichen Vereinfachung zu Bereits am 17. Januar 2008, also rund einen Monat überprüfen. Im Mittelpunkt hierbei stand die Prämisse, vor Einreichung des Antrages der Grünen, haben mein das Wohngeld werde weiterhin der sozialen Absicherung Kollege Dirk Fischer und ich erklärt, dass eine Wohn- des Wohnens dienen. Wohngeld sei keine Subvention, gelderhöhung auf der Tagesordnung steht und die CDU/ sondern eine Fürsorgeleistung. So steht es im Koali- CSU-Fraktion dem offen gegenübersteht. Wir haben da- tionsvertrag und daran halten wir auch fest. mit bereits kurz nach dem Jahreswechsel die von den Grünen jetzt erst geforderte Leistungsnovelle beim In Umsetzung der Ziele dieses Vertrages hat die Bun- Wohngeldrecht zusammen mit unserem Koalitionspart- desregierung im September vergangenen Jahres den Ent- ner angeschoben. Wir hielten es also schon früh für wurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Wohngeld- gerechtfertigt, die im Ausschuss beratene Wohngeldno- rechts und zur Änderung anderer wohnungsrechtlicher velle um eine weitere Leistungskomponente zu ergän- Vorschriften vorgelegt. Dieser Gesetzentwurf hat zum zen. Nachzulesen ist dies in unserer Presseerklärung 15968 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

(A) vom 17. Januar. Die Grünen scheinen hier ein wenig die Mittel- und langfristig haben wir mit dem CO2-Gebäu- (C) Zeit verschlafen zu haben; anders ist der heute hier in desanierungsprogramm und der Einführung des Energie- Rede stehende Antrag nicht zu deuten. ausweises eine adäquate und nachhaltige Antwort auf das Problem der steigenden Energiekosten gefunden. Er- Das Konzept der Bundesregierung zur Erhöhung des gänzend dazu brauchen wir jetzt eine Erweiterung des Wohngeldes liegt bereits seit dem 22. Februar auf dem Wohngeldes, um Geringverdiener und Rentner zu unter- Tisch. Im Mittelpunkt dieses Konzepts steht die Entlas- stützen, für die hohe Nebenkostenabrechnungen ein Ar- tung der Hauptbezieher von Wohngeld. Dies sind seit mutsrisiko bedeuten. Maßstab dabei muss deshalb die Einführung des Arbeitslosengeldes II nunmehr in erster Warmmiete sein. Hierbei gilt es, eine Lösung zu finden, Linie viele Arbeitnehmer mit geringem Einkommen so- die sowohl sozial- als auch energiepolitisch sinnvoll ist. wie Rentner. Seit 2001 sind die Mieten um 7 Prozent, die Das von Bundesminister Tiefensee vorgestellte auf drei kalten Betriebskosten um 7 Prozent und die warmen Be- Säulen basierende Konzept wird beidem gerecht. Dazu triebskosten um 32 Prozent angestiegen. Die Mietbelas- sieht es – wie unter anderem auch im vorliegenden An- tung bei Haushalten mit niedrigem Einkommen liegt trag gefordert – die Umstellung des Wohngeldsystems heute durchschnittlich bei 35 Prozent des Gesamtein- von einem Bruttokaltmieten- auf ein Warmmietenkon- kommens und damit deutlich über der Mietbelastung im zept vor. Damit werden die Heizkosten in die berück- Bundesdurchschnitt, die bei etwa 25 Prozent liegt. Wir sichtigungsfähige Miete einbezogen. Anreize zum Ener- werden deshalb geringverdienende Arbeitnehmer und giesparen bleiben trotzdem bestehen, da immer nur ein Rentner bei der Bewältigung dieses Kostenanstiegs an- Teil der Warmmiete erstattet wird. Zudem werden die gemessen unterstützen. Miethöchstbeträge um 10 Prozent angehoben. Diese An- Das Konzept der Bundesregierung sieht hierzu eine hebung ermöglicht die Berücksichtigung höherer Mieten Erhöhung des Wohngeldes um insgesamt 520 Millionen bei der Wohngeldberechnung; das ist eine bei der Um- Euro vor. Von der Verbesserung werden ab 2009 rund stellung auf Warmmieten notwendige flankierende Maß- 850 000 Haushalte profitieren. Eine Familie mit zwei nahme, da sonst die Einbeziehung der Nebenkosten bei Kindern könnte dann rund 80 Euro mehr im Monat er- mehr als 60 Prozent der Empfänger ins Leere laufen halten. Das bedeutet eine Steigerung gegenüber jetzt um würde. Drittens ist eine Anhebung der Wohngeldtabel- etwa 70 Prozent. Insgesamt wird das Wohngeld im lenwerte um 10 Prozent vorgesehen. Hinzu kommt die Durchschnitt von 90 auf 150 Euro steigen. Dies zeigt: Zusammenfassung der Höchstbeträge für Miete in einer Die von der Großen Koalition geplante Wohngelderhö- Kategorie auf Neubauniveau. Der Wegfall der Baual- hung hilft Haushalten mit geringem Einkommen. Die tersklassen bedeutet für rund zwei Drittel der Haushalte, CDU/CSU-Fraktion begrüßt daher das geplante Gesetz- die Wohngeld empfangen, eine finanzielle Verbesserung. gebungsvorhaben. (B) Das von Bundesminister Tiefensee vorgestellte Kon- (D) Über den Antrag der Grünen werden wir in den Aus- zept entspricht sowohl dem Ergebnis der Sachverständi- schussberatungen zu befinden haben. genanhörung zum Wohngeldänderungsgesetz vom 12. Dezember 2007 als auch den Forderungen der Bau- Sören Bartol (SPD): In Ihrem Antrag fordern die und Wohnungspolitiker der SPD-Bundestagsfraktion, Grünen die Bundesregierung auf, das Wohngeld jetzt zu die in der Debatte um die Novelle des Wohngeldgesetzes verbessern – eine richtige Forderung. Darüber herrscht klargestellt hatten, dass der im Gesetzentwurf zum Konsens in diesem Haus. Das wollen wir alle. Aktuell Wohngeldänderungsgesetz zentralen Verwaltungsverein- aber ist diese Forderung Ihres Antrags vom 13. Februar fachung eine deutliche Leistungsverbesserung folgen 2008 nicht mehr. Am 22. Februar hat Bundesminister muss. Die in der Anhörung geäußerten Bedenken bezüg- Tiefensee sein Konzept für eine Wohngelderhöhung vor- lich des erweiterten Haushaltsbegriffs und der gesamt- gestellt. Nach der Einigung der Fraktionsspitzen von schuldnerischen Haftung wurden im BMVBS ebenfalls CDU/CSU und SPD auf der Klausurtagung vom berücksichtigt, die entsprechenden Änderungen im Ge- 26./27. Februar wird das Konzept zur Wohngelderhö- setzentwurf vorgenommen. hung nun vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ausgearbeitet. Für die Wohngeldempfängerinnen und -empfänger bedeuten die vorgesehen Änderungen eine durchschnitt- Das Konzept sieht eine Erhöhung um insgesamt liche Erhöhung ihrer Wohngeldleistung um bis zu zwei 520 Millionen Euro vor. Für die Empfängerinnen und Drittel. Eine Familie mit zwei Kindern würde rund Empfänger bedeutet das eine durchschnittliche Erhö- 80 Euro mehr erhalten, eine Rentnerin 42 Euro mehr. hung ihrer Wohngeldleistung um rund zwei Drittel. Eine Insgesamt wird das Wohngeld im Schnitt von 90 auf Familie mit zwei Kindern würde rund 80 Euro mehr er- 150 Euro steigen. Finanziert wird die Erhöhung zu je halten, eine Rentnerin ca. 42 Euro mehr. Insgesamt wird 200 Millionen von Bund und Ländern. Hinzu kommen das Wohngeld im Schnitt von 90 auf 150 Euro steigen. die im laufenden Verfahren zur Wohngeldvereinfachung Eine Leistungsverbesserung des seit 2001 nicht mehr er- vereinbarten 120 Millionen. Die Länder haben bereits ihre höhten Wohngeldes war nicht zuletzt vor dem Hinter- Zustimmung signalisiert. Damit wird sichergestellt, dass grund des im Wohngeld- und Mietenbericht 2006 der das Wohngeld seiner Intention, einkommensschwachen Bundesregierung konstatierten Mietanstiegs von Haushalten ein familiengerechtes und angemessenes 10 Prozent, vor allem aber aufgrund der in diesem Zeit- Wohnen zu ermöglichen, auch weiterhin gerecht wird. raum mit mehr als 30 Prozent überproportional gestie- Insbesondere Geringverdiener und Rentnerinnen und genen Energiepreise dringend erforderlich geworden. Rentner, die angesichts der gestiegenen Miet- und Ener- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15969

(A) giekosten bei der derzeitigen Gesetzeslage, die eine Be- Zum Wohngeld: Viele Anregungen im vorliegenden (C) zuschussung der Heizkosten ausschließt, an ihre Gren- Antrag zur Novellierung des Wohngeldgesetzes sind zen stoßen, werden so entlastet. Davon profitieren vor richtig und werden von mir und meiner Fraktion aus- allem strukturschwache Regionen im Osten, wo der An- drücklich geteilt. Dazu zählt insbesondere die Anhebung teil der im Jahr 2006 bundesweit 691 119 Wohngeld- des Wohngeldes. Der Zweck des Wohngeldgesetzes ist haushalte an Privathaushalten mit 2,9 Prozent fast dop- es, Menschen mit geringen Einkommen so zu unterstüt- pelt so hoch ist wie im Westen mit l,5 Prozent. zen, dass sie mit ihrem Einkommen und dem Wohngeld als Zuschuss ihren Lebensunterhalt finanzieren können. Wohngeld ist ein zielgenaues sozialpolitisches Instru- Mit diesem Ziel wurde zuletzt zum 1. Januar 2001 das ment. Seine Stärkung ist so wichtig wie folgerichtig: Wir Wohngeld angehoben. Bislang erfolgt die Zahlung von brauchen starke, dem Transfersystem vorgelagerte Leis- Wohngeld als Zuschuss allein auf die Kaltmiete. tungen, wenn wir wieder mehr Menschen aus dem ALG-II- In den letzten Jahren hat sich die Struktur der Miet- Bezug herausholen wollen. Auch im Hinblick auf die zahlungen aber drastisch verändert. Zum einen sind die sogenannten Aufstocker, die ergänzend zu ihrem Ein- Kaltmieten gestiegen. Da liegt aber nicht das ganz große kommen Hartz-IV-Leistungen beziehen müssen, ist ein Problem für viele Haushalte. Ganz deutliche Zusatzbe- attraktives, um die genannten Punkte erweitertes Wohn- lastungen sind durch die Kostenexplosion bei den Ener- geld zentral. Das Problem: Leistungen zu den Kosten der giepreisen eingetreten, an denen auch die Grünen in ih- Unterkunft sind heute in vielen Fällen finanziell attrakti- rer Zeit in der Bundesregierung mitgewirkt haben. ver als Wohngeld. Bei einer Wohngeldreform muss es Natürlich haben auch andere Belastungen der letzten und deshalb auch darum gehen, die bestehende Gerechtig- der aktuellen Bundesregierung, wie beispielsweise die keitslücke zu ALG-II-Empfängern, bei denen die Kosten Erhöhung der Mehrwertsteuer, dazu geführt, dass es nun der Unterkunft komplett übernommen werden, zu schlie- Menschen gibt, die es nicht wagen, die Heizung anzu- ßen. Die Erhöhung des Wohngeldes muss außerdem so stellen, weil sie Angst haben, die Rechnung nicht bezah- gestaltet sein, dass Erwerbstätige mit niedrigem Ein- len zu können. Daher ist es angesichts dieser neuen kommen nicht mehr als Aufstocker unter das SGB II fal- zusätzlichen Belastungen nicht nur erforderlich, das len. Derzeit erhalten 274 000 Haushalte nach dem Wohngeld insgesamt anzuheben, sondern in die Berech- SGB II ausschließlich Unterkunftskosten. Um das zu än- nungsgrundlage – mit Deckelung – auch die Heizkosten dern, brauchen wir Leistungen, die dem staatlichen und Kosten für Warmwasser einzubeziehen. Transfersystem vorgelagert sind. Eine davon ist das Es sind auch viele andere Punkte zu diskutieren, da- Wohngeld. Doch ich möchte an dieser Stelle auf eine runter der wohngeldrechtliche Haushaltsbegriff und die weitere zu sprechen kommen: Noch immer bedeuten gesamtschuldnerische Haftung für zu viel gezahltes (B) (D) Kinder in Deutschland ein Armutsrisiko, insbesondere Wohngeld. Mit dem jetzigen Vorschlag zum Wohngeld- für Menschen mit geringem Einkommen. Es ist daher gesetz belastet die Bundesregierung das Wohnen in Stu- vorgesehen, neben dem Wohngeld auch den Kinderzu- denten-WGs oder sogenannten Alten-WGs mit einem schlag auszubauen. Künftig sollen mehr Personen mit Haftungsrisiko, das die Bereitschaft zum Wohnen in ei- geringem Einkommen von ihm profitieren. Die Pläne ner WG sinken lassen wird. Diejenigen, die es können, der Familienministerin von der Leyen sehen vor, dass nehmen sich dann lieber eine eigene Wohnung. Dass da- weitere 150 000 Kinder von Familien mit geringem Ein- durch insgesamt erheblich mehr Wohngeld zu zahlen kommen den Kinderzuschlag erhalten sollen. Dazu soll sein würde, ist die logische Konsequenz. die Mindesteinkommensgrenze gesenkt werden. Mit der Neuregelung würden dann insgesamt 250 000 Kinder er- Man wird – ohne zu übertreiben – dem bisherigen reicht. Der Zuschlag in der Höhe von 140 Euro monat- Entwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des lich pro Kind soll verhindern, dass Familien nur wegen Wohngeldrechts attestieren dürfen, dass er völlig an der der Ausgaben für ihre Kinder unter Hartz IV fallen. Zu- Realität vorbeigeht und, da er keine Erhöhung des sammen mit einem erhöhten Kinderzuschlag kann das Wohngeldes vorsieht, nicht geeignet ist, die Ziele des Wohngeld dazu beitragen, Geringverdiener wieder aus Wohngeldes zu erreichen. Denn um ein angemessenes und familiengerechtes Wohnen sicherzustellen, sind Er- dem ALG-II-Bezug herauszuholen. Die Einführung ei- höhungen erforderlich. Dass der zuständige Minister nes flächendeckenden Mindestlohns ist und bleibt ein dies inzwischen auch so sieht, freut die Liberalen. weiteres zentrales Element zur Verhinderung von Er- werbsarmut in Deutschland. Wir werden daher, wenn die Ankündigungen zutref- fen, ja auch schon bald einen – hoffentlich stark – über- Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt das Konzept arbeiteten Entwurf der Bundesregierung diskutieren dür- zur Wohngeldverbesserung von Bundesminister Tiefensee. fen. Unser Ziel ist, dass die Wohngelderhöhung am 1. Januar 2009 in Kraft tritt. Aus Sicht der FDP-Fraktion muss klar sein – und da- rauf werden wir in der kommenden Debatten immer wie- der hinweisen: Es ist nicht richtig, wenn inzwischen in Patrick Döring (FDP): Um es vorweg zu nehmen: vielen Fällen und nicht nur als Ausnahme die Summe Die FDP-Fraktion wird den Antrag der Grünen ableh- aus Arbeitslosengeld II und den Kosten der Unterkunft nen; dies nicht in erster Linie wegen der wohngeldrecht- mehr beträgt als die Summe aus einem geringen Ein- lichen Aspekte, sondern vor allem wegen der Forderung kommen und Wohngeld oder einem geringen Arbeitslo- nach der Einführung von Mindestlöhnen. sengeld I und Wohngeld. Das setzt die falschen Anreize. 15970 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

(A) Daher fordert die FDP-Fraktion schon seit langem eine Die Linke begrüßt dabei die Ankündigung des Bundes- (C) Erhöhung des Wohngeldes. ministers Wolfgang Tiefensee, das Wohngeld durch- schnittlich um 70 Prozent bzw. 60 bis 80 Euro im Monat So gut meine Fraktion und ich den meisten wohn- zu erhöhen. Die Ankündigung von Bundesbauminister geldrechtlichen Forderungen der Grünen zustimmen Tiefensee erfüllt eine wesentliche Forderung der Linken können, so wenig teilen wir ihre Position zum Mindest- nach einer deutlichen Erhöhung des Wohngeldes. lohn – das werden Sie erwartet haben. Gesetz ist die Ankündigung damit aber noch lange Gleich drei Mal haben die Antragsteller die wenig nicht, und noch liegt dem Parlament keine neue Wohn- glückliche Verknüpfung zwischen Mindestlohn und geldnovelle vor. Wie so oft werden wir uns also auf quä- Wohngeld in ihrem Antrag verankert. Darüber können lende und lange Auseinandersetzungen mit – und ich wir nicht hinwegsehen. Die FDP-Fraktion hat immer denke auch innerhalb – der Großen Koalition einstellen wieder deutlich gemacht, warum Mindestlöhne der fal- müssen. Wir warnen allerdings die Bundesregierung vor sche Weg sind: Liegen die Mindestlöhne unter dem einer Rolle rückwärts. Sollten sich die Ankündigungen Marktniveau, sind sie wirkungslos. Liegen sie darüber, vom Vorabend der Hamburg-Wahl als Wahlkampfge- kosten sie Arbeitsplätze. Treffen sie genau das Maß, sind klingel herausstellen, lassen Ihnen die Betroffenen und sie nutzlose Regulierung. auch wir das nicht durchgehen. Wenn wir annehmen dürfen – und sonst macht die Damit das Wohngeld wieder einen verlässlichen und ganze Debatte darüber keinen Sinn –, dass die Befürwor- wirksamen Beitrag zur Entlastung einkommensschwa- ter des Mindestlohns einen Mindestlohn weit über dem cher Haushalte leisten kann, hält die Linke ihre Forde- Marktpreis anstreben, muss man feststellen, dass Sie rungen nach vollständiger Anerkennung der Kosten für sich wieder einmal aktiv für die Vernichtung von Ar- Heizung und Warmwasser als Bestandteil der Miete bei beitsplätzen in Deutschland einsetzen und vielen Men- der Berechnung des Wohngeldes, nach regelmäßiger An- schen die Möglichkeit zur Teilhabe am Arbeitsmarkt passung des Wohngeldes an die Mieten- und Lohnent- nehmen. So haben wir es gerade erst im Postsektor er- wicklung – Dynamisierung – und nach Erhöhung der lebt. Einkommensgrenzen der Wohngeldberechtigten auf- recht. Das würde die Zahl der Wohngeldberechtigten er- Den Menschen, die aufgrund der Einführung eines höhen und die Aufstockerhaushalte, die heute durch die Mindestlohns ihren Arbeitsplatz verloren haben, hilft Argen und Optionskommunen betreut werden, reduzie- dann auch die Erhöhung und Verbesserung des Wohn- ren oder zumindest begrenzen. Mit ihren Niedriglöhnen geldes nur noch während der Zeit, in der ein Anspruch können diese nicht mehr ihre Miete bezahlen und müs- auf Arbeitslosengeld I besteht. Danach bleibt nur das sen ergänzend Kosten der Unterkunft beantragen, eine (B) ALG II. Und das bedeutet: Das Ziel bei der Erneuerung Entwicklung, für die auch Bündnis 90/Die Grünen mit (D) und Verbesserung des Wohngeldrechts, nämlich dass Ihrer Zustimmung zu Hartz IV Verantwortung tragen. weniger Menschen auf die Zahlung von Arbeitslosen- Wenn Bündnis 90/Die Grünen uns durch neue Einsich- geld II angewiesen sind, das konterkarieren die Grünen ten dabei helfen wollen, die Wirkung der Hartz-Gesetze in ihrem Antrag durch die Forderung nach der Einfüh- zu überwinden, dann stehen wir beide zumindest in die- rung von Mindestlöhnen. Das entwertet die erwähnten ser Frage auf der gleichen Seite. Wir stehen dem Antrag guten Ansätze zum Wohngeldgesetz völlig und findet daher positiv gegenüber und signalisieren Zustimmung daher auch nicht die Zustimmung der FDP-Fraktion. zu diesem Antrag, der für uns im ersten Schritt in die richtige Richtung weist.

Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Circa 700 000 Wohn- Die Linke geht in ihren Forderungen jedoch weiter, geldempfängerinnen und Wohngeldempfänger in der wie ich soeben bereits zum Ausdruck gebracht habe. Wir Bundesrepublik Deutschland erhalten gegenwärtig auf- werden bei Vorlage der Wohngeldnovelle durch die Bun- grund ihres geringen Familieneinkommens einen Zu- desregierung – das sei hier schon angekündigt – einen schuss zur Kaltmiete. Dieser ist trotz nachweislich ge- entsprechenden Entschließungsantrag einbringen. Res- sortübergreifend ist dabei darauf zu achten, dass die stiegener Steuern und Abgaben sowie Reallohnverlusten positiven Veränderungen im Wohngeld auch mit den be- seit 2001 nicht mehr dynamisiert worden, obwohl so- absichtigten Kindergeldzuschlägen und anderen sozial- wohl die Mieten als auch die Nebenkosten, vor allem die politischen Maßnahmen der Bundesregierung abge- warmen Betriebskosten, förmlich explodiert sind. stimmt werden. Die Linke hat immer wieder eine Anpassung gefor- dert und kritisiert, dass die ursprüngliche Wohngeld- Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): novelle an der Realität und der Lage der Betroffenen Mehrfach hat Bundesminister Wolfgang Tiefensee die vollkommen vorbeigeht. Deshalb hatte die Opposition Erhöhung des Wohngelds angekündigt. Angeblich haben auch eine Anhörung gefordert. Dort verrissen selbst die sich die Koalitionsfraktionen und Ministerien ja auch von der Großen Koalition bestellten Gutachter den Ge- schon auf ein Konzept geeinigt. Eine Ergänzung oder ein setzentwurf, der keinerlei Verbesserung für die Wohn- neuer Entwurf des Wohngeldgesetzes liegt bisher aber geldempfänger vorsah. Lediglich die Verwaltung konnte noch nicht vor. Bei den Ankündigungen zur Erhöhung von einigen bürokratischen Verbesserungen profitieren. des Wohngelds handelt es sich also nur um leere Ver- sprechen! Herr Bundesminister Tiefensee hat nun im Ergebnis der Wohngeldanhörung einen neuen Entwurf der Wohn- Wir wollen nach den vielen Worten endlich Taten se- geldnovelle seitens der Bundesregierung angekündigt. hen, damit sich die Situation der Geringverdiener und Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15971

(A) vieler Rentner schnellstmöglich bessert. Man darf Men- – Adäquate Behandlungs- und Betreuungska- (C) schen, die jeden Cent umdrehen und jede Ausgabe genau pazitäten für an posttraumatischen Belas- planen müssen, nicht länger warten lassen. Deshalb be- tungsstörungen erkrankte Angehörige der antragen wir, das Wohngeld jetzt zu verbessern. Wir for- Bundeswehr dern eine unverzügliche Erhöhung des Wohngeldes und die Einbettung der Wohngeldreform in eine Gesamtstra- (Tagesordnungspunkt 21 a und b) tegie zur Vermeidung von Erwerbsarmut. Denn nur so können wir sicherstellen, dass möglichst viele Men- Monika Brüning (CDU/CSU): Wir beraten heute schen, die von ihrer Arbeit nicht leben können, künftig über zwei Anträge, welche sich mit der Thematik der nicht mehr auf ergänzende staatliche Fürsorgeleistungen Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen angewiesen sind. Wir brauchen eine Gesamtstrategie – PTBS – bei Soldatinnen und Soldaten beschäftigen. zur Vermeidung von Erwerbsarbeit mit Mindestlöhnen und mit progressiv gestaffelten Sozialabgaben. Die ge- Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten eine hervor- ringen Einkommen müssen entlastet werden. ragende Arbeit. Die Einsätze der Bundeswehr in den verschiedensten Kriegs- und Krisenregebieten der Welt Bündnis 90/Die Grünen fordern, das Wohngeld dyna- nehmen zu. Hierbei sieht sie sich ständig neuen Einsatz- misch an die Mieten- und Einkommensentwicklung an- realitäten gegenüber, Einsatzrealitäten, die insbesondere zupassen und zu erhöhen, damit es seine Entlastungswir- eine gesteigerte Gefährdungslage mit sich bringen. Dies kung wieder erfüllen kann. Die sogenannte zweite Miete wird uns derzeit besonders in Afghanistan vor Augen ge- – Warmwasser- und Heizkosten – muss in die Berech- führt. nung des Wohngeldanspruchs einbezogen und anteilig erstattet werden. Vor dem Hintergrund des Klimawan- Mit der Zunahme der Auslandseinsätze und den damit dels und drastisch steigender Energiepreise setzen wir verbundenen besonderen Anforderungen an die Soldatin- uns für kostenlose Energieberatungen und ein Bonussys- nen und Soldaten gehen häufig psychische Belastungen tem ein. So wird ein zusätzlicher Anreiz zum Energie- einher. Die extremen Belastungssituationen über Ver- sparen geschaffen und Haushalte mit besonders gerin- kehrs- und Minenunfälle bis hin zu Terroranschlägen, mit gem Energieverbrauch werden belohnt. denen die meist jungen Menschen in Einsätzen im Aus- land konfrontiert werden, dürfen nicht unterschätzt wer- Keiner weiß, ob es sich bei den Ankündigungen von den. Bisher wurden bereits rund 700 Soldaten in Bundes- Bundesminister Wolfgang Tiefensee nur um wahltakti- wehrkrankenhäusern wegen einer posttraumatischen sche Luftbuchungen vor den Wahlen in Hessen, Nieder- Belastungsstörung behandelt. Das entspricht etwa einem sachsen und Hamburg gehandelt hat. Die Versprechungen Prozent aller Soldaten, die im Ausland waren. Feldstu- (B) des Verkehrsministers gefährden die Planungssicherheit dien von Streitkräften anderer Nationen – USA, Nieder- (D) für die Kommunen. Denn die Höhe des von Bund und lande, Skandinavien – haben jedoch gezeigt, dass circa Ländern zu zahlenden Wohngeldes hat erheblichen Ein- 4 bis 5 Prozent aller Soldaten im Einsatz von PTBS be- fluss auf die kommunalen Ausgaben für die Kosten der troffen sind. Für die Bundeswehr, eine „Einsatzarmee im Unterkunft bei Hartz-IV-Empfängerinnen und „Aufsto- Werden“, fehlen noch entsprechende Erhebungen. Da- ckern“. Die Kommunen werden durch die steigende rüber hinaus sind die langfristigen Folgen dieser Erkran- Zahl der Hartz-IV-„Aufstocker“ finanziell übermäßig kung im Zusammenhang mit Auslandseinsätzen der stark belastet, da sie den Löwenanteil der Unterkunfts- Bundeswehr noch nicht hinreichend erforscht. kosten tragen. Die finanziellen Spielräume für andere kommunale und soziale Aufgaben schrumpfen zusam- Bei der posttraumatischen Belastungsstörung handelt men. Hier gilt es die Kommunen zu entlasten. es sich um eine verzögerte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine außergewöhnliche Bedrohung. Nach Herr Minister Tiefensee, machen Sie ihre Ankündi- den beiden Weltkriegen sagte man über Soldaten, die zit- gung wahr! Folgen Sie der Einschätzung der Sachver- terten, nicht schlafen konnten und sprachlos am Tisch ständigen aus der Anhörung im Verkehrsausschuss! Eine saßen, sie hätten das „Kriegszittern“ oder eine „Schüt- Anpassung des Wohngelds an das heutige Mieten- und zengrabenneurose“. Seit dem Vietnam-Krieg ist die Be- Einkommensniveau sowie an die gestiegenen Lebens- zeichnung „Posttraumatische Belastungsstörung“ ein haltungskosten ist dringend notwendig. Lassen Sie die feststehender Begriff und meint, dass ein Mensch nach Menschen nicht länger warten! Erhöhen Sie das Wohn- einem extrem belastenden Ereignis psychisch erkrankt. geld jetzt! Die Symptome von PTBS sind vielfältig. Nicht immer reagiert die Psyche sofort. Manche Soldaten merken erst Jahre nach dem Einsatz, dass sie traumatisiert sind. Anlage 10 Nicht jeder, dem ein potenziell traumatisches Ereignis Zu Protokoll gegebene Reden widerfährt, entwickelt eine posttraumatische Belastungs- störung. Die PTBS entsteht nicht aufgrund erhöhter psy- zur Beratung der Anträge: chischer Labilität des Betroffenen. Auch psychisch voll- kommen gesunde und in sich gefestigte Persönlichkeiten – Medizinische Versorgung der Bundeswehr können eine PTBS entwickeln. Nichtsdestotrotz nimmt an die Einsatzrealitäten anpassen – Kompe- die Anzahl der Soldaten, die an einer PTBS erkranken, tenzzentrum für posttraumatische Belas- zu. Viele Soldaten sind betroffen, lassen sich jedoch aus tungsstörungen einrichten den verschiedensten Gründen nicht behandeln. Auch der 15972 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

(A) Wehrbeauftragte hat diesen nicht unerheblichen Aspekt handlung sogenannter posttraumatischer Belastungsstö- (C) in seinen Jahresbericht aufgenommen. So berichtet er, rungen. Während sich die FDP bei der Begründung ihrer dass Wehrpsychologen davon ausgehen: „Viele Soldaten Forderung relativ nüchtern an die Fakten hält, nimmt fühlen sich nach wie vor stigmatisiert, wenn sie sich be- Die Linke ihren Antrag erneut zum Anlass, ihre grund- handeln lassen.“ sätzliche Ablehnung einer deutschen Armee, der deut- schen Außen- und Sicherheitspolitik und der Politik der Die Bundeswehr bereitet ihre Soldaten auf die Ein- NATO zum Ausdruck zu bringen. sätze in den Krisenregionen sehr sorgfältig vor. Bei der Vorbereitung verfügt sie auch über ein medizinisch-psy- Davon einmal abgesehen, liegen die Forderungen der chologisches Stresskonzept, durch dessen Hilfe sich die beiden Anträge relativ nah beieinander. Im Wesentlichen Soldaten darauf vorbereiten, mit Stress und psychischer werden folgende Maßnahmen gefordert: erstens die fort- Belastung umzugehen. Bei auftretenden PTBS wird die laufende Anpassung der medizinischen und vor allem Behandlung schwerpunktmäßig im Bundeswehrkran- der psychologischen Betreuungs- und Behandlungskapa- kenhaus Hamburg durchgeführt, wo 33 Betten in der zitäten an den tatsächlichen Bedarf, zweitens die Ein- Abteilung Psychiatrie zur Verfügung stehen. Darüber hi- richtung einer anonymen Beratung und Betreuung von naus stehen im Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz Betroffenen und deren Familien durch Errichtung von weitere 27 Betten und in den Bundeswehrkrankenhäu- Hotlines und eines 24-Stunden-Bereitschaftsdienstes, sern Ulm und Berlin 25 bzw. 30 Betten bereit. Dies drittens die Errichtung eines Kompetenz- und For- reicht jedoch nicht aus. Um den Betroffenen umfassend schungszentrums zur Behandlung von PTBS an einem helfen zu können, besteht weiterhin großer Handlungs- oder mehreren Bundeswehrkrankenhäusern und den re- bedarf insbesondere bei der Sensibilisierung und Be- gelmäßigen fachmedizinischen Erfahrungsaustausch mit wusstseinsbildung für das Krankheitsbild PTBS, ausrei- zivilen Stellen und den entsprechenden Sanitätseinrich- chenden und umfassenden Behandlungskapazitäten und tungen der anderen alliierten Streitkräfte, viertens Aus- -konzepten und der Erforschung des Krankheitsbildes im bildung und Schulung von Bundeswehrmedizinern zur besonderen Kontext der Auslandseinsätze der Bundes- Erkennung von PTBS und zur zeitnahen Hilfe und Aus- wehr. bildung sogenannter Peers als Ansprechpartner im Ein- satz, damit zeitnah Hilfe bei psychischen Problemen er- In den uns vorliegenden Anträgen werden viele rich- folgen kann, fünftens bessere Vorbereitung der tige Fakten erörtert. Unter anderem wird die Schaffung Soldatinnen und Soldaten auf mögliche Stresssituationen eines Kompetenzzentrums angedacht. Dies wäre ein im Einsatz und deren Bewältigung, sechstens die Ver- möglicher Ansatz. Ich denke jedoch, dass wir keine vor- besserung der Nachsorge durch a) Ausweiten der Frage- schnellen Maßnahmen ergreifen, sondern zunächst eine bögen – psychische Belastung –, b) Erfassen auch der (B) umfassende Analyse der Problematik und erforderlichen ausscheidenden Soldaten, der freiwillig länger Dienen- (D) Maßnahmen vornehmen sollten. den etc., c) Gewähren von mehrtägigen Erholungspha- Einen guten Schritt in die richtige Richtung haben wir sen nach dem Einsatz und vor allem d) zeitnahe Durch- im vergangenen Jahr im Bereich der Versorgung mit der führung der Einsatznachbereitung und siebtens zeitnah Verabschiedung des Einsatzweiterverwendungsgesetzes die notwendigen Maßnahmen wie Erhebungen und Be- gemacht. Mit dem Gesetz wurden Regelungen für eine fragungen durchführen, um die Behandlung für PTBS Wiedereinstellung in den Fällen vorgesehen, in denen geschädigte Soldatinnen und Soldaten fortlaufend ver- die gesundheitliche Schädigung durch eine Auslandsver- bessern und den Einsatzbedingungen anpassen zu kön- wendung erst nach Beendigung des Dienstverhältnisses nen. erkannt wird. Der PTBS wird hier also bereits weitge- Auch der Bericht des Wehrbeauftragten für das Jahr hend Rechnung getragen. 2007 sieht in der angemessenen Behandlung der zuneh- menden Zahl von Soldatinnen und Soldaten, die an einer Eine PTBS belastet nicht nur die Betroffenen, sondern PTBS leiden, eine Herausforderung, die zeitnah ange- hat auch erhebliche Auswirkungen auf das familiäre Um- nommen werden muss. Problematisch beurteilt der Be- feld. Wir dürfen unsere Soldaten und ihre Angehörigen richt vor allem die Tatsache, dass viele Soldatinnen und nicht damit alleinlassen. Wir müssen uns deshalb vorran- Soldaten sich durch einen Besuch beim Psychologen gig der Problematik psychischer Belastungen durch die nach wie vor stigmatisiert sehen und auch Nachteile in neuen Einsatzrealitäten der Bundeswehr annehmen. Dies ihrer Laufbahnentwicklung befürchten. Der Ausbau der sollte auf einer soliden und umfassenden Analyse basie- Erforschung und Behandlung von Traumata innerhalb ren. der Bundeswehr und die zügige Ermittlung und, falls Die CDU/CSU-Fraktion empfiehlt deshalb die Über- notwendig, Anpassung der Kapazitäten werden ebenfalls weisung beider Anträge an die federführenden Aus- in dem Bericht angemahnt. schüsse. Damit steht die Frage im Raum: Wird nicht genug für die im Einsatz befindlichen und aus dem Einsatz zurück- Petra Heß (SPD): Die Fraktionen der FDP und der kehrenden Soldatinnen und Soldaten und deren Familien Linken fordern – wenn auch aus unterschiedlichen Moti- getan, und was muss verbessert werden, um eine gelin- ven und mit unterschiedlichen Herleitungen – die An- gende Wiedereingliederung der Soldatinnen und Solda- passung der medizinischen Versorgung innerhalb der ten in ihren Alltag zu erreichen? Und hier reicht ein Bundeswehr an die Einsatzrealitäten und die Einrichtung nüchterner Blick auf die Faktenlage, um festzustellen, von Kompetenzzentren für die Erforschung und die Be- die geforderten Maßnahmen sind im Aufbau befindlich Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15973

(A) oder existieren bereits, werden laufend fortentwickelt den Kameraden stigmatisiert. Stigmatisierungsängste (C) und verbessert und damit den „Erfordernissen der Ein- und die Angst vor einem Karriereknick müssen hierbei sätze immer wieder angepasst“. noch stärker fokussiert werden, damit jeder Soldat und jede Soldatin die angebotene Hilfe in jedem Fall in An- Dabei konzentrieren sich die einsatzvorbereitenden spruch nimmt. Hier bedarf es tatsächlich weiterer An- Maßnahmen vor allem auf den Aspekt der Prävention: strengungen, da absehbar ist, dass die Belastungen, de- Eine möglichst realitätsnahe Ausbildung soll die Solda- nen unsere Soldatinnen und Soldaten in Zukunft tinnen und Soldaten mit dem vertraut machen, was sie ausgesetzt sein werden, eher zu als abnehmen werden. im Einsatz erwartet, alle möglichen Gefahrenlagen und Maßnahmen zum Selbstschutz werden dabei genaues- Probleme einer umfassenden Einsatznachsorge sind tens erörtert. Hier wird jeder Soldat auf die besonderen aber nicht nur Stigmatisierungsängste, sondern auch die Anforderungen seines Einsatzdienstpostens vorbereitet, Erfassung aller Zeitsoldaten, Reservisten und Wehr- die er oder sie im Einklang mit den Einsatzregeln – Rules pflichtigen, falls diese nach dem Einsatz unmittelbar zu of Engagement – zu erfüllen hat. Jeder Soldat, der in den ihrer Ausbildung oder Arbeitsstelle zurück müssen. Tre- Einsatz geht, wird darüber hinaus über seine Möglich- ten trotz der genannten Maßnahmen bei Soldatinnen und keiten zur persönlichen Gesundheitsvorsorge und den Soldaten posttraumatische Belastungsstörungen auf, so Umgang mit Stress informiert. Ganz wesentlich ist in ist eine qualitativ hochwertige und effektive Behandlung diesem Zusammenhang natürlich auch das Lernen von ambulant oder stationär an Bundeswehreinrichtungen Stressbewältigungstechniken. oder an zivilen Einrichtungen möglich. Dabei sind die Kapazitäten für Diagnostik und Therapie derzeit ausrei- Zahlreiche Soldaten werden darüber hinaus am Zen- chend vorhanden und nicht in vollem Umfang ausge- trum für Innere Führung in Stressbewältigung geschult schöpft. Auch die Kooperation und die Forschung auf und sollen als Multiplikatoren – Peers – wirken. Hier dem Gebiet der PTBS werden intensiv betrieben und ge- sorgt die Bundeswehr also gleich von zwei Seiten vor, lebt. indem sie zum einen aufklärt, zum anderen zahlreiche Soldaten speziell für den Umgang mit Stress im Einsatz Es findet hier ein reger Erfahrungsaustausch mit zivi- schult, die dann vor Ort den Kameraden als Ansprech- len Einrichtungen und Krankenhäusern statt, und jeder partner zur Seite stehen. außerhalb einer Bundeswehreinrichtung behandelte Pa- tient erweitert das Wissen der Bundeswehr, indem seine Im Einsatz steht die psychische Stabilisierung der Therapie am Ende der Behandlung von der Bundeswehr Soldatinnen und Soldaten dann an erster Stelle. Zeigt ein von der zivilen Einrichtung erfragt, erfasst und für die Soldat während des Einsatzes Verhaltensauffälligkeiten, eigenen Arbeit ausgewertet wird. Auch der internatio- so sollen diese sogenannten Multiplikatoren erste Hilfe (B) nale Erfahrungsaustausch wird gepflegt, und Ergebnisse (D) leisten und den Betroffenen über weitere Hilfsangebote anderer Behandlungsmethoden werden laufend berück- bereits im Einsatz informieren. Hier stehen dem Solda- sichtigt. ten Gespräche mit einem Seelsorger oder Arzt, der eben- falls in der Erkennung und Beurteilung von Belastungs- Abschließend lassen Sie mich noch ein paar Worte zu störungen geschult ist, respektive einem Truppen- der immer wieder erwogenen Errichtung eines For- psychologen offen. Die Einsatznachbereitung ergänzt schungszentrums sagen: Die Prüfung zur Einrichtung ei- den präventiven Ansatz der Einsatzvorbereitung, indem nes Forschungszentrums ist zu begrüßen, allerdings darf sie ein weiteres Bündel an Maßnahmen bereithält, um je- nicht nur einer Krankenhausabteilung ein Name überge- dem einzelnen Soldaten und jeder einzelnen Soldatin stülpt werden. Die Errichtung eines Forschungszentrums eine möglichst gelungene Rückkehr in den Alltag zu er- wäre nur mit einer erheblichen Aufstockung des Perso- möglichen. nals und der Stellen machbar, da nicht in bestehende Strukturen immer mehr Aufgaben hineinprojiziert wer- Die Maßnahmen reichen von einsatznaher Erholung den können. Deshalb bin ich gespannt auf das Ergebnis von besonders belasteten Soldaten und präventiven Ku- einer Prüfung und stehe dem Ansinnen grundsätzlich po- ren – „Kolbow“-Kur – nach besonders belastenden Er- sitiv gegenüber. eignissen bis hin zu einem Pflichtbesuch an einem zwei- bis dreitägigen Einsatznachbereitungsseminar, das hel- fen soll, die Eindrücke aus dem Einsatz zu verarbeiten Elke Hoff (FDP): Ich bin froh, dass dieser Antrag der und diesen innerlich abzuschließen. FDP-Bundestagsfraktion so schnell den Weg in den Deutschen Bundestag gefunden hat und damit auch zü- Selbstverständlich sind wir uns da einig, meine sehr gig im Verteidigungsausschuss behandelt werden kann. verehrten Damen und Herren von der Opposition, dass Denn das Thema Posttraumatische Belastungsstörungen eine erfolgreiche Einsatznachsorge jeden Soldaten und – PTBS – gewinnt an Bedeutung. Daher bin ich auch jede Soldatin erfassen und vor den möglichen negativen froh, dass der Wehrbeauftragte in seinem in der letzten Nachwirkungen eines Einsatzes so weit als möglich be- Woche vorgestellten Bericht dem Thema einen promi- wahren muss. nenten Platz einräumt. Der Bericht hat eine zentrale For- derung unseres Antrages aufgegriffen, nämlich die Auch muss in diesem Zusammenhang dafür Sorge ge- Schaffung eines Kompetenzzentrums an einem der Bun- tragen werden, dass eine aus psychischen Gründen not- deswehrkrankenhäuser. wendige vorzeitige Rückkehr aus dem Einsatz dem be- troffenen Soldaten oder der betroffenen Soldatin nicht Die Ursache für die zunehmende Bedeutung von zum Schaden in seiner Laufbahn gereicht oder ihn vor PTBS liegt auf der Hand: Immer mehr Soldaten werden 15974 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

(A) im Rahmen der Auslandseinsätze mit Situationen kon- dien aus den USA, den Niederlanden und den skandina- (C) frontiert, die tiefe Spuren hinterlassen können. Insbe- vischen Ländern belegen. Daher kann eine hohe sondere die Einsätze in Afghanistan haben die Truppe Dunkelziffer an PTBS-Betroffenen unter den Bundes- stark verändert. So mussten laut General Viereck, Be- wehrsoldaten angenommen werden. Gründe für ein Ver- fehlshaber des Einsatzführungskommandos, allein schweigen der Erkrankung können unter anderem die 200 Soldaten jährlich aufgrund des psychischen Drucks, Furcht der betroffenen Soldaten vor Stigmatisierung und vor allem durch die andauernde Terrorgefahr, vorzeitig Laufbahnnachteilen sein. Daher ist es in Zukunft wich- nach Hause geschickt werden. tig, Verfahren zu etablieren, durch die den Betroffenen auch rasche anonyme Hilfe gewährleistet werden kann. Die mittel- und langfristigen Folgen solcher Extrem- situationen, mit denen die Soldatinnen und Soldaten nach Daher fordern wir die Bundesregierung auf, Bera- ihrem Einsatz zu kämpfen haben, sind Depressionen, Ge- tungsangebote einzurichten, die von PTBS-Betroffenen reiztheit und Suchtprobleme. Bei besonders belastenden anonym in Anspruch genommen werden können. Dazu Vorfällen, wie beispielsweise einer Geiselnahme oder dem sollte aus unserer Sicht eine 24-Stunden-Hotline und ein Tod von Kameraden, können Posttraumatische Belas- anonymer 24-stündiger psychologischer Bereitschafts- tungsstörungen auftreten. Dabei handelt es sich in aller dienst für die Soldatinnen und Soldaten gehören. Regel um eine verzögerte Reaktion auf ein sehr belasten- Die Vermeidung und Behandlung von PTBS-Erkran- des Ereignis oder eine Situation von außergewöhnlicher kungen wird zukünftig einen wichtigen Bereich der mili- Bedrohung. Sie werden auch als „Rückkehrer-Trauma“ tärisch-medizinischen Versorgung unserer Soldatinnen bezeichnet. und Soldaten im Auslandseinsatz darstellen. Daher sollte Die Zahl der Soldatinnen und Soldaten der Bundes- ein „Kompetenzzentrum“ für PTBS an einem der Bundes- wehr, die an PTBS in der Folge eines Auslandseinsatzes wehrkrankenhäuser eingerichtet werden, in dem Aufklä- erkranken, hat in den vergangenen Jahren stetig zuge- rungs- und Forschungsarbeit zusammenlaufen können. nommen. In den Jahren 2004/2005 hat sich die Zahl der Dies könnte auch den Wissenstransfer und Erfahrungsaus- PTBS-betroffenen Soldaten gegenüber den Vorjahren tausch zwischen deutschen Bundeswehrärzten und Medi- nahezu verdreifacht. Besonders bei Soldatinnen und Sol- zinern aus anderen internationalen Streitkräfteverbänden daten aus dem ISAF-Kontingent treten vermehrt PTBS- verbessern. Ohne Zweifel haben insbesondere unsere Erkrankungen auf. Die aktuellen Zahlen für die Jahre amerikanischen Partner langjährige und schmerzhafte Er- 2006 und 2007 wurden bislang noch nicht veröffentlicht. fahrungen in diesem Bereich sammeln können, die wir Es ist aber aufgrund der verschärften Sicherheitslage in nutzen sollten. Ferner besteht so die Möglichkeit, dass Afghanistan anzunehmen, dass die Zahl der PTBS-Er- dort Ausbildungs- und Fortbildungsmaßnahmen für Kom- (B) krankungen weiter steigen wird. mandeure, Einheitsführer und Betriebsärzte besser gebün- (D) delt und veranstaltet werden können. An PTBS erkrankte Soldatinnen und Soldaten werden schwerpunktmäßig im Bundeswehrkrankenhaus Ham- Die medizinisch-psychische Versorgung für die Sol- burg behandelt. Dort stehen für die circa 7 600 Soldaten, datinnen und Soldaten muss den neuen Einsatzrealitäten die sich derzeit im Auslandseinsatz befinden, lediglich angepasst werden. Die Erfüllung der Fürsorgepflicht er- 33 Betten in der Abteilung Psychiatrie zur Verfügung. fordert ein umfassendes Gesamtkonzept hinsichtlich der Dieses Kontingent muss für eine stationäre Behandlung Vorsorge, Behandlung und Nachsorge von Posttraumati- sowohl von PTBS als auch anderer stressbedingter psy- schen Belastungsstörungen. Die hier bestehenden Defi- chischer Erkrankungen ausreichen. Ergänzend hierzu zite müssen durch die Bundesregierung schnellstmöglich stehen im Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz noch ausgeräumt werden. Daher bitten wir um Unterstützung einmal 27 Betten und in den Bundeswehrkrankenhäu- unseres Antrages zum Wohle unserer Soldatinnen und sern Ulm und Berlin 25 bzw. 30 Betten bereit. Das Soldaten. scheint mir langfristig nicht auszureichen. Die Zahl der stationären Behandlungskapazitäten für psychische Er- Inge Höger (DIE LINKE): Die Mehrheiten im Bun- krankungen darf nicht länger auf Basis des Streitkräfte- destag haben sich seit Anfang der 1990er-Jahre dafür umfangs geplant werden. Da dieser in den letzten Jahren entschieden, aus der Bundeswehr eine „Armee im Ein- sinkt, sind die Behandlungskapazitäten nach dem Rasen- satz“ zu machen. Wer Soldatinnen und Soldaten in mehr mäherprinzip in allen Fachbereichen der Bundeswehr- Regionen und in immer gefährlicheren Situationen ein- krankenhäuser reduziert worden. Die Bundesregierung setzt, der kalkuliert auch Opfer ein: Opfer unter der Zi- lässt hier eine bedarfsgerechte Schwerpunktsetzung ver- vilbevölkerung im Einsatzgebiet, aber auch Opfer bei missen. Denn die Bedeutung psychischer Erkrankungen den Bundeswehrangehörigen. Neben Toten und Men- innerhalb der Bundeswehr ist trotz sinkenden Streitkräf- schen mit physischen Verletzungen gibt es vermehrt teumfangs deutlich gestiegen. Daher muss die Bundesre- auch psychische Schäden. Seit den Auslandseinsätzen in gierung den wirklichen Bedarf ermitteln und die Be- den 90er-Jahren traten immer mehr Posttraumatische handlungskapazitäten dementsprechend anpassen. Belastungsstörungen – PTBS – auf. Ferner liegt die Zahl der gemeldeten und statistisch Seelische Verletzungen und psychologische Erkran- erfassten PTBS-Erkrankungen in den deutschen Streit- kungen gefährden und belasten zurückkehrende Solda- kräften bei circa 1 Prozent und damit auffällig niedrig. tinnen und Soldaten, deren Angehörige und ihre soziale Mit circa 4 bis 5 Prozent liegt dieser Wert in den Streit- Umgebung. Obwohl dieses Problem aus anderen Län- kräfteverbänden anderer Staaten weitaus höher, wie Stu- dern längst bekannt ist und spätestens seit den Balkan- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15975

(A) einsätzen auch in Deutschland nicht mehr zu übersehen tinnen als erhebliche, manchmal extreme Belastung er- (C) war, wurde es dennoch weitgehend ignoriert. lebt. Soldaten und Soldatinnen müssen mit diesen Belas- tungen umgehen und sie bewältigen können. Leider unterblieb bisher die Entwicklung eines umfas- senden Betreuungs- und Rehabilitationskonzepts für ein- Die erste Unterstützung dabei muss von der jeweili- satzbedingte psychische Erkrankungen. Die Probleme gen soldatischen Einheit und den unmittelbaren mili- der Soldaten und Soldatinnen nach der Rückkehr aus tärischen Vorgesetzen kommen: ein Gruppenklima von dem Auslandseinsatz wurden nicht in ausreichendem Solidarität und Offenheit, das Rückhalt gerade in Kon- Maße ernst genommen. Der Fokus beim Umgang mit fliktsituationen gibt und wo Probleme, Ängste und psy- PTBS lag bis jetzt meist auf der Sicherstellung der Erfül- chische Belastungen nicht als Schwächen abgekanzelt lung des militärischen Auftrags. Wegen PTBS wurden in werden. Das Notwendige ist aber längst nicht hinrei- den Jahren von 1995 bis 2006 rund 640 Soldaten in Bun- chend. Es braucht genauso eine angemessene Ausbil- deswehrkrankenhäusern behandelt. Das ist ungefähr 1 Pro- dung in Stressbewältigungsstrategien und ein Netz zur zent der Soldatinnen und Soldaten, die im Ausland wa- psychosozialen Betreuung, Begleitung und Beratung. ren. Experten schätzen die Zahl behandlungsbedürftiger Deshalb ist es richtig, dass in den vergangenen Jahren psychischer Störungen bei den Rückkehrerinnen und die Einsatzvorbereitung, -begleitung und -nachberei- Rückkehrern auf 10 bis 20 Prozent. Diese Größenord- tung sukzessive ausgebaut und verbessert wurde. Auch nungen sind auch aus anderen Staaten mit Truppen in die verbesserten Reintegrationsangebote für Soldaten vergleichbaren Einsätzen bekannt, wie etwa in den Nie- und Soldatinnen sowie ihre Angehörigen nach der Rück- derlanden oder Schweden. kehr aus dem Einsatzland sind positiv. Um bessere Hilfe und Vorbeugung zu ermöglichen Im Bereich Prävention ist bereits Vieles geschehen. fordert Die Linke unter anderem eine umfassende Be- Das reicht aber längst nicht aus. Gerade im Zusammen- darfsermittlung für Betreuungs- und Behandlungskapazi- hang mit posttraumatischen Belastungsstörungen müs- täten. Direkt Hilfe für Betroffene und Angehörige kann sen wir endlich vorankommen. Mit der Verschärfung der eine Hotline bieten. Dieses Modell hat sich bei den nie- Einsatzbedingungen kommen zunehmend mehr Soldaten derländischen Streitkräften bereits bewährt. Auch aus- und Soldatinnen mit psychischen Problemen aus Aus- scheidende und bereits ausgeschiedene freiwillige Wehr- landseinsätzen zurück. Die Zahl der Soldaten und Solda- dienstleistende genauso wie Soldatinnen und Soldaten tinnen mit posttraumatischen Belastungsstörungen hat auf Zeit und Berufssoldatinnen und -soldaten müssen in sich in den vergangen Jahren nahezu verdreifacht. Waren die Hilfen einbezogen werden. In allen Bundeswehrkran- 2003 noch 48 Soldaten und Soldatinnen mit PTBS in Be- kenhäusern sollen Psychotraumazentren für die statio- handlung, so waren es 2005 bereits 146 Fälle. Insgesamt sind laut jüngstem Bericht des Wehrbeauftragten bisher (B) näre Behandlung mit ausreichender Bettenzahl einge- (D) richtet werden. Grundsätzlich gilt jedoch: Solange sich rund 700 Soldaten und Soldatinnen mit der Diagnose die Bundeswehr weiterhin an militärischen Interventio- „PTBS“ nach einem Auslandseinsatz behandelt worden. nen beteiligt, wird es trotz aller Präventionsmaßnahmen Das verbreitetste Symptom sind Flashbacks, plötzliche, weiter zu PTBS bei Soldatinnen und Soldaten kommen. quälend echte Erinnerungen an das traumatisierende Geschehen. Sie können sich verschieden äußern. Die Be- Den Forderungen des FDP-Antrages kann ich mich troffenen leiden unter Schlafstörungen und Konzentra- weitgehend anschließen. Im Gegensatz zur FDP sieht tionsschwierigkeiten. Sie sind oft reizbar und neigen zu Die Linke in den Auslandseinsätzen jedoch keine we- Wut-, manchmal auch zu Gewaltausbrüchen. Depressio- sentliche strategische Aufgabe der Bundeswehr. Der An- nen, Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenmissbrauch trag der Fraktion Die Linke verbindet die Forderung können die Folge sein. Ursache des Traumas sind drama- nach einer umfassenden Hilfe und Vorbeugung von tische Erlebnisse, die Konfrontation mit Tod und Ver- PTBS-Erkrankungen mit einer klaren Ablehnung von wundung, das Gefühl von Angst und Hilflosigkeit, Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Für diesen Antrag Situationen, wie sie in den internationalen Einsätzen der bitten wir – auch im Interesse der Soldatinnen und Sol- Bundeswehr zur Friedenssicherung immer häufiger vor- daten sowie der Angehörigen – um Unterstützung. kommen. Trotz des Anstieges an posttraumatischen Belastungs- Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): störungen hat das Verteidigungsministerium den Ernst Die Auslandseinsätze der Bundeswehr dienen alle der der Lage noch nicht hinreichend erkannt. Man beruhigt Kriegs- und Gewalteindämmung im Auftrag der Verein- sich damit, dass die bisherigen 700 Betroffenen nicht ten Nationen. Die völkerrechtliche Legalität und sicher- einmal ein Prozent der zurückgekehrten Soldaten und heitspolitische Notwendigkeit solcher Einsätze gegen Soldatinnen darstellen. Im Vergleich zu den US-ameri- den Krieg ändert nichts daran, dass sie mit erheblichen kanischen oder britischen Streitkräften ist diese Zahl tat- physischen und psychischen Belastungen für die Solda- sächlich vergleichsweise gering. Die Dunkelziffer für tinnen und Soldaten einhergehen. Im Einsatz müssen sie die Bundeswehr liegt laut Expertenmeinung jedoch um mit der Gefahr von Anschlägen und Minen leben, im ein Mehrfaches höher. Auch der Wehrbeauftragte geht schlimmsten Fall gar mit Tod oder Verwundung rechnen, davon aus, dass die Anzahl der Bundeswehrsoldaten und aber auch die ständige soziale Kontrolle oder die feh- -soldatinnen mit posttraumatischen Belastungsstörungen lende Intimsphäre im Einsatz sowie die Trennung von vier Mal so hoch ist. Das liegt zum einen daran, dass die der Familie, Probleme mit den Kindern oder dem Partner Statistik weder die Reservisten noch die freiwillig Län- bzw. der Partnerin werden von den Soldaten und Solda- gerwehrdienstleistenden erfasst, die nach Ende des Aus- 15976 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

(A) landseinsatzes aus der Bundeswehr ausgeschieden sind. setzt ist, aus dem Blick verlieren. Sie sind durch Krieg, (C) Es liegt zum anderen auch daran, dass die Symptome oft Vertreibung und massive Menschenrechtsverletzungen erst mit deutlicher Zeitverzögerung nach Monaten oder meist selbst schwer belastet und traumatisiert. Wer vor manchmal gar nach Jahren auftreten oder aber sich die Ort in Krisenregionen war, weiß nur allzu gut, dass es Betroffenen aus Angst vor Stigmatisierung und Karriere- ohne eine Stärkung der Zivilgesellschaft, ohne Wahr- nachteilen, wenn überhaupt, dann erst sehr spät melden. heitsfindung, Versöhnung und soziale Neuordnung kei- nen nachhaltigen Frieden geben kann. Entscheidend ist Der Zunahme an PTBS-Fällen nach Auslandseinsät- dafür auch die Integration ehemaliger Soldaten und zen stehen die zu geringe Anzahl hauptamtlicher Trup- Kriegsveteranen. Auch sie müssen mit ihren Erfahrun- penpsychologen sowie ärztlicher Psychotherapeuten ge- gen und Erlebnissen einen entsprechenden Ort in den genüber. Das ist nicht hinnehmbar. Der Wehrbeauftragte Gesellschaften finden können. Sonst bleibt das Gewalt- fordert zu Recht, dass zur Erkennung und Behandlung potenzial enorm. Im Bereich der Versöhnungsarbeit leis- von PTBS qualifiziertes Personal bereits vor Ort im Ein- ten gerade kleine, aber wichtige Projekte des Zivilen satz notwendig ist. Eine schnelle Reaktion auf extreme Friedensdienstes – ZFD – mit wenig Personal und Mit- Grenz- und Gewalterfahrungen kann dazu beitragen, teln Enormes. Deshalb ist es ausgesprochen kurzsichtig psychische Belastungen abzumildern. So genannte Peers und unklug, wenn solche Ansätze und Projekte nur in sind als Ansprech- und Gesprächspartner deshalb hilf- der Dimension „Tropfen auf dem heißen Stein“ gefördert reich und notwendig. Sie sind aber ebenso wenig wie die werden. Und ausgesprochen destruktiv ist, dass be- Truppenpsychologen für die Behandlung ausgebildet. währte ZFD-Projekte zur Integration ehemaliger Kämp- Das können nur Mediziner und Medizinerinnen mit ent- fer in Serbien und Bosnien-Herzegowina seitens der sprechender Ausbildung in der Psycho-Traumatologie. Bundesregierung keine Unterstützung mehr bekommen Hier muss viel mehr getan werden. Mit der bisherigen sollen. In Zeiten der viel beschworenen „vernetzten geringen Anzahl an Dienstposten für ärztliche Psycho- Sicherheit“ ist das in keiner Weise nachvollziehbar. therapeuten an den Bundeswehrkrankenhäusern ist das nicht zu machen. Sie fehlen dort bereits jetzt. Deshalb halte ich viele Forderungen in den Anträgen der FDP Anlage 11 und der Linken, wie den Ausbau der Betreuungs- und Behandlungskapazitäten für PTBS-Betroffene oder auch Zu Protokoll gegebene Reden die Einrichtung eines Kompetenz- und Forschungszen- trums zur Behandlung von PTBS, für richtig und not- zur Beratung des Antrags: Keine EU-Export- wendig. Ein gemeinsamer Antrag der Fraktionen hätte subventionen für Schweinefleisch in Entwick- diesen Forderungen mehr Gewicht verleihen können. Im lungsländer (Tagesordnungspunkt 22) (B) Laufe der weiteren parlamentarischen Beratungen be- (D) steht aber immer noch die Möglichkeit, zu einem frak- Anette Hübinger (CDU/CSU): Seit dem 30. Novem- tionsübergreifenden Beschluss zu kommen. Im Sinne ber 2007 werden von der Europäischen Union wieder Ex- der betroffenen Menschen wäre das wünschenswert. Un- porterstattungen für Schweinefleischteile – zu welchen abhängig davon wäre aber auf jeden Fall die Bildung ei- beispielsweise Schlachthälften, Teilstücke und Schweine- ner Berichterstattergruppe des Verteidigungsausschusses bäuche zu zählen sind – gewährt. Diese Verordnung geht zur PTBS-Problematik angebracht. auf eine Initiative der Europäischen Kommission zurück Abschließend möchte ich einen weiteren wichtigen und wurde im zuständigen Verwaltungsausschuss von den Aspekt im Zusammenhang mit traumatischen Erfahrun- EU-Mitgliedstaaten Ende vergangenen Jahres beschlos- gen ansprechen: Als erstes stehen Politiker und Parla- sen. Seit dem Inkrafttreten dieser Verordnung können ment in der Verantwortung, jeden Einsatz von Streitkräf- Ausfuhren von Schweinefleisch in alle Staaten außer- ten sorgsam abzuwägen. Die Soldatinnen und Soldaten halb der EU mit bis zu 54 Euro pro 100 Kilogramm sub- müssen dem Auftraggeber Politik begründet vertrauen ventioniert werden. Eine Entscheidung, die kurz vor können. Das ist eine entscheidende Voraussetzung dafür, Abschluss der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwi- Einsatzbelastungen bewältigen zu können. schen der EU und den AKP-Staaten getroffen wurde, die aus entwicklungspolitischer Sicht und den damit verbun- Wenn die Politik Soldatinnen und Soldaten in gefähr- denen Bemühungen, Agrarsubventionen abzubauen, auf liche Einsätze schickt, dann müssen wir uns auch über den ersten Blick befremdlich und kontraproduktiv er- die Konsequenzen im Klaren sein. Nicht zuletzt geht es scheint. dabei immer auch um so zentrale Fragen wie die nach den Auswirkungen von Einsatzerfahrungen auf die Sol- Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert im vor- datinnen und Soldaten und wie sie sich mit diesen nach gelegten Antrag einerseits, die Festsetzung von Export- der Rückkehr aus dem Einsatz in unserer Gesellschaft erstattungen für Schweinefleisch rückgängig zu machen, wieder integrieren können. Diejenigen, die im Sinne des und andererseits, auf Exportsubventionen für Agrarpro- Friedensauftrages des Grundgesetzes einen wichtigen dukte in Entwicklungsländer grundsätzlich zu verzich- Beitrag zur kollektiven Friedenssicherung leisten, haben ten. Ein Petitum der Entwicklungsländer, mit dem sich daher jedes Recht auf entsprechende Präventions- und die WTO seit längerem auseinandersetzt. In meinen Au- Unterstützungsmaßnahmen. Das ist politische Maßgabe. gen sprechen Sie in Ihrem Antrag, sehr geehrte Kolle- ginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, auf Ebenso wenig dürfen wir jedoch die Menschen in den der einen Seite richtigerweise die entwicklungspolitische Ländern und Regionen, in denen die Bundeswehr einge- Relevanz der Wiedereinführung von Exporterstattungen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15977

(A) für Schweinefleisch an, auf der anderen Seite ignorieren Die EU hat im Laufe der Verhandlungen deutlich ihre (C) Sie aber weitgehend die agrar- bzw. außenhandelspoliti- Kompromissbereitschaft zum Ausdruck gebracht, und sche Dimension dieser Entscheidung. Es wird deutlich, mit Blick auf eine Einigung bin ich optimistisch, dass dass Sie die vorliegende Problematik zu einseitig be- sich ein tragfähiger Kompromiss auf Basis des Vor- trachten, und dies wird einer umfassenden Analyse zur schlags von Botschafter Falconer durchsetzen wird. Bis Notwendigkeit bzw. zu den Auswirkungen der Export- die WTO-Verhandlungen abgeschlossen sind und die subventionierung von Schweinefleisch nicht gerecht. dann international geltenden Regelungen angewendet Unstrittig ist, dass in der EU eine schwierige Marktlage werden können, müssen nach meiner Ansicht andere und ein damit verbundener Preisdruck auf Schweine- Wege gefunden werden, um die Interessen der europäi- fleisch zu konstatieren ist. Dieser Entwicklung entge- schen Agrar- bzw. Außenhandelspolitik mit den Forde- genzuwirken, war unausweichlich. Die zuvor einge- rungen der Entwicklungspolitik in Einklang zu bringen. führte Regelung zur privaten Lagerhaltung war der erste In Europa haben wir uns für den Weg entschieden, in Schritt. Im Rahmen dieser Maßnahme werden für die den WTO-konformen Wirtschaftspartnerschaftsabkom- private Lagerhaltung je nach Teilstück und nach Mona- men – EPAs – und Interimsabkommen die Zusammen- ten gestaffelte Zahlungen gewährt, um das Missverhält- arbeit mit AKP-Staaten in Handelsfragen neu zu gestalten. nis von zyklusbedingten niedrigen Schweinefleischprei- Die abgeschlossenen EPAs beinhalten dabei zwingend sen und steigenden Futtermittelkosten auszugleichen. Regelungen, welche Exportsubventionen vonseiten der EU – auch in Bezug auf Schweinefleisch – ausschließen. Diese bis Ende Juni 2008 verlängerte Maßnahme hat Auch einige abgeschlossene Interimsabkommen be- maßgeblich dazu beigetragen, den Markt zu entlasten. inhalten diese Regelung, wenn deren Aufnahme ge- Sie reicht jedoch allein nicht aus, um die schwierige wünscht wurde. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, Marktlage zu bereinigen. Die Wiedereinführung der Ex- Schweinefleisch als sensibles Produkt zu klassifizieren. porterstattungen ist somit als weiterführende Maßnahme Somit greifen die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen anzusehen, um die nicht zu verleugnenden Martkschwie- zwischen der EU und den AKP-Staaten schon jetzt Re- rigkeiten in Bezug auf Schweinefleisch zu bewältigen. gelungen auf, die für den im Rahmen der WTO abge- stimmten Welthandel noch in weiter Zukunft liegen und Weiterhin darf in diesem Zusammenhang nicht ver- machen die Schutzdimensionen der so oft gescholtenen gessen werden, dass sich die europäischen Bauern im in- EPAs deutlich. ternationalen Agrarmarkt bewegen. So ist Deutschland nach den USA, Frankreich und den Niederlanden viert- Lassen Sie mich am Beispiel Afrikas verdeutlichen, größter Agrarexporteur der Welt. Im Bereich Schweine- um welche Größenordnungen es sich beim subventio- fleisch ist Deutschland sogar europaweit führend. Der nierten Schweinefleischexport handelt. 1999 lag der (B) (D) starke Rückgang des US-Dollars bzw. der steigende subventionierte Export bei 50 Prozent. Bis heute ist er Wert des Euros in den vergangenen Monaten hatte aller- auf 5 Prozent zurückgegangen. Exporte nach Afrika dings zur Folge, dass die europäischen Schweinefleisch- – Hauptabnehmer sind dabei Angola und Südafrika – exporteure gegenüber ihren internationalen Konkurren- machen circa 3 Prozent aller EU-Exporte aus. Zudem ten – zum Beispiel Brasilien, Kanada und den USA – importiert Südafrika hauptsächlich gefrorenes Fleisch mehr und mehr an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Auch und Angola vor allen Dingen Würste. Die neu eingeführ- als Reaktion auf diese Problematik war die Wiederein- ten Exporterstattungen von 0,31 Euro pro Kilo beziehen führung der Exporterstattungen für Schweinefleisch not- sich aber auf unverarbeitetes Schweinefleisch. Der ma- wendig. Nicht zuletzt deuten die erzielten Exporterfolge ximale Erstattungsbetrag von 0,54 Euro pro Kilo gilt da- nach Russland oder China darauf hin, dass das Instru- gegen für gesalzene und getrocknete Ware – zum Bei- ment der Exportförderung greift und solange die interna- spiel Parma- und Serranoschinken – und besteht schon seit längerer Zeit. Die befürchtete Marktverdrängung tionalen Hauptkonkurrenten im Bereich des Agrarsek- einheimischer Kleinproduzentinnen und Kleinproduzen- tors mit Subventionen arbeiten, wäre es vonseiten der ten kann nicht dadurch verhindert werden, dass sich die EU fahrlässig, die europäischen Schweinefleischprodu- EU einseitig weltweit geltende Wettbewerbsbeschrän- zenten mit ungleichen Mitteln auf dem internationalen kungen auferlegt und die Konkurrenten wie Brasilien Agrarmarkt antreten zu lassen. Im Hinblick auf die ent- und die USA weiterhin diese Märkte bedienen. Vielmehr wicklungspolitische Dimension muss die Thematik äu- muss die Entwicklungspolitik bis zu einer WTO-Rege- ßerst differenziert betrachtet werden. Grundsätzlich ist lung dafür Sorge tragen, die Wettbewerbsnachteile klein- festzuhalten, dass der Beschluss zur Wiedereinführung bäuerlicher Schweineproduktion in Afrika als Folge von Exportsubventionen für Schweinefleisch in alle fehlender Investitionen in die notwendigen Vermark- Länder außerhalb der EU WTO-rechtlich im Rahmen tungstrukturen vor Ort aufzuarbeiten. An diesem Punkt der erlaubten Möglichkeiten liegt. Die WTO-Ministerin- anzusetzen ist in meinen Augen erfolgversprechender, nen und -Minister einigten sich zwar 2005 in Hongkong als ein europäisches Verbot von Exporterstattungen in auf eine Abschaffung der Exportsubventionen bis Ende Entwicklungsländer zu fordern, welches über die bereits 2013, allerdings tritt dieser Beschluss erst infolge eines eingegangenen und noch einzugehenden Verpflichtun- Endergebnisses der Doha-Welthandelsrunde in Kraft. gen in den EPAs hinausgeht. Seit Herbst 2007 wird – im Besonderen im Agrarbereich – fieberhaft nach Kompromissen gesucht, die auch den Die Zusage der EU gegenüber den 78 AKP-Staaten Abbau jeglicher Formen von Exportunterstützung be- bis 2013 alle Formen von Agrarsubventionen auslaufen treffen. zu lassen, gilt weiterhin. Die Bundesregierung und die 15978 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

(A) Mitgliedstaaten der EU werden sich im Rahmen der nau anschaut. So gesehen ist der Grünen-Antrag zu- (C) WTO-Verhandlungen für eine schnelle Einigung einset- nächst einmal ein dankenswerter Beitrag. Wir müssen zen, die auch eine internationale Abschaffung jeglicher jetzt darauf achten, dass die Schweinefleischsubventio- Formen von Exporterstattungen beinhaltet. Ohne die nierung nicht lediglich der Auftakt für weitere Stützun- gleichen Spielregeln im internationalen Agrarmarkt ist gen auch in anderen Bereichen ist und so ein erfolgrei- es heute jedoch noch nicht möglich – auch im Interesse cher Abschluss der Doha-Runde gefährdet wird. Wir der europäischen Bauern – gänzlich auf Exportsubven- werden also Herrn Seehofer und seinen europäischen tionen für Agrarprodukte zu verzichten. Zumal die Ziel- Kollegen genau auf die Finger schauen. richtung der Maßnahme vor allem auf den russischen Markt ausgerichtet ist. Beim Schweinefleisch werden wir Minister Seehofer beim Wort nehmen, wenn er sagt, dass die Exporterstat- Dieser Aspekt, sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- tungen lediglich der Überbrückung der aktuell schwieri- gen von Bündnis 90/Die Grünen, fehlt in Ihrem Antrag gen Lage dienen sollen. Es kann jedenfalls nicht sein, gänzlich. Des Weiteren verkennen Sie in Ihrem Antrag, dass das, was in zähen Verhandlungen 2005 durchgesetzt dass für die AKP-Staaten mit den EPAs bzw. Interimsab- worden ist, jetzt wieder infrage stehen soll. Der Be- kommen Möglichkeiten vorliegen, schon jetzt – unab- schluss von Hongkong, die Exportsubventionen bis 2013 hängig von den zukünftigen Ergebnisse der Doha-Welt- zu beenden, war ein Erfolg und hat uns dem Ziel, den handelsrunde – Handelbeziehungen zur EU aufzubauen, Welthandel gerechter zu gestalten, ein kleines Stückchen welche Exporterstattungen vonseiten der EU ausschlie- näher gebracht. Sicher hätte man sich einen früheren ßen. Ausstieg aus dem europäischen Subventionswahnsinn Aus diesen Gründen lehnt die CDU/CSU-Fraktion gewünscht. Das war aber leider nicht durchzusetzen. den Antrag der Bündnis 90/Die Grünen ab. Es wird also noch eine Weile dauern, bis die Export- subventionen auslaufen, aber immerhin ist ein Ende in Dr. Sascha Raabe (SPD): Der Antrag der Grünen Sicht. Dann werden hoffentlich die zahllosen Negativbei- geht dem Grunde nach in die richtige Richtung. 2005 spiele für die schlimmen Folgen europäischer Agrarex- hatte die EU im Rahmen der WTO-Welthandelsrunde in portsubventionen Geschichte sein. So bedroht beispiels- Hongkong zugesichert, ihre Exportsubventionen bis weise nach wie vor in Burkina Faso subventioniertes 2013 abzubauen. Wenn die EU jetzt im November ver- Milchpulver aus Europa die Existenz vieler Milchbauern, gangenen Jahres die Wiedereinführung von Exporterstat- die gegen die Dumpingpreise nicht konkurrieren können. tungen für unverarbeitetes Schweinefleisch beschlossen Europäisches Milchpulver ist dort pro Liter weniger als hat, dann kann man nicht sagen, dass das mit der in halb so teuer wie ein Liter einheimische Frischmilch. Den (B) Hongkong eingeschlagenen Richtung in Einklang zu Luxus, das heimische Produkt zu kaufen, wird sich in (D) bringen wäre. Bei allem Verständnis für die schwierige Burkina Faso kaum jemand leisten können. Ähnliches Lage auf dem Schweinefleischmarkt, die offenbar Hilfe- gilt für den Geflügelmarkt. Hähnchenteile, die sich in Eu- leistungen seitens der EU erforderlich gemacht hat, ropa nicht verkaufen lassen, werden tiefgefroren nach Af- bleibt doch festzuhalten, dass der Griff in die Subventi- rika verschifft. Dort werden sie – Subventionen sei dank – onsschatulle der falsche Weg ist. zu Schleuderpreisen unters Volk gebracht. Viele Fami- Nun ist es beim Schweinefleisch so, dass die subven- lien, die von der Hühnerhaltung gelebt haben, haben so tionierten Exporte zu weiten Teilen nach Russland, Ja- ihre Existenz verloren. Wohlgemerkt sind es beim Hühn- pan und Osteuropa und nur in äußerst geringem Maße in chenfleisch nicht die Exportsubventionen, sondern die in- Entwicklungsländer gehen. Allein auf Russland entfal- ternen Stützungen des Getreides und somit des Hühner- len 32 Prozent der gesamten EU-Schweinefleischex- futters, die neben dem europäischem Konsumverhalten porte. Der Anteil des nach Afrika exportierten Schwei- für diese Verzerrungen verantwortlich sind. nefleisches beträgt dagegen weniger als 3 Prozent der Wir sehen die Folgen dieser verqueren Subventions- gesamten Exportmenge. Davon geht das meiste Fleisch politik nicht nur im Nahrungsmittelsektor, sondern auch nach Angola, ein kleiner Rest überwiegend nach Süd- in anderen Bereichen und mit anderen Protagonisten. In afrika. Europa exportiert somit mehr Schweinefleisch Westafrika hängt das Leben von 15 Millionen Kleinbau- nach Kroatien als insgesamt in Entwicklungsländer. In- ern von der Baumwollproduktion ab. In den USA hinge- sofern würde ich auch die Lage bei den Exporterstattun- gen gibt es nur ein paar Tausend Baumwollfarmer. gen für Schweinefleisch nicht ganz so schwarzsehen, Trotzdem erhalten diese paar Tausend Farmer 5 Milliar- wie das im Antrag der Grünen dargestellt wird. Die Aus- den US-Dollar an Subventionen pro Jahr. In den USA wirkungen für die Bauern in Afrika werden voraussicht- wird jedes Kilo Baumwolle allein mit 50 Cent subven- lich kaum spürbar, Märkte in Entwicklungsländern so tioniert, während in Benin ein Farmer ein Kilo Baum- gut wie nicht beeinträchtigt sein. Zudem kann man die wolle überhaupt nur für 40 Cent verkaufen kann. Diese Hoffnung haben, dass sich der saisonal schwankende Schweinefleischmarkt in Europa wieder erholt und die Bauern haben kaum eine Chance, ihre Ware auf dem Exporterstattungen schnell wieder zurückgefahren wer- Weltmarkt zu fairen Bedingungen zu verkaufen. Ebenso den können. wie Europa müssen also auch die USA ihre Subventions- politik dringend überprüfen. Die OECD-Staaten haben Dennoch halte ich es für richtig, dass man sich jede im vergangenen Jahr 349 Milliarden US-Dollar an Subvention, die entgegen der Aussagen von Hongkong Subventionen im Agrarsektor ausgezahlt. Das ist verhee- heimlich durch die Hintertür wieder eingeführt wird, ge- rend. Im Vergleich dazu beträgt übrigens die gesamte öf- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15979

(A) fentliche Entwicklungszusammenarbeit aller OECD-Län- sollte von den Marktteilnehmern auch entsprechend ge- (C) der zusammen nicht einmal ein Drittel dieser Summe. nutzt werden. Für die AKP-Staaten sind die noch immer laufenden Zusätzlich wurde von der Kommission beschlossen, EPA-Verhandlungen ein Hoffnungsschimmer. In den Ab- Exporterstattungen für unverarbeitetes Schweinefleisch kommen wird festgeschrieben, dass für die Produkte, die in Höhe von 31,10 Euro je 100 kg einzuführen. Nach liberalisiert werden, keine Exportsubventionen mehr ge- den geltenden WTO-Regeln kann die EU pro Jahr insge- zahlt werden. Man kann also nur hoffen, dass die bislang samt 588 000 Tonnen Schweinefleisch mit Exporterstat- abgeschlossenen Interimsabkommen schnellstmöglich in tungen exportieren. Bisher wurde die Quote zu rund eine endgültige, nachhaltig entwicklungsorientierte Form 40 Prozent ausgenutzt. gebracht werden. Zahlreiche Exportstützungen könnten Diese Exportsubventionen sind staatliche Leistungen dann bereits vor dem Endzeitpunkt 2013 zumindest in mit dem Ziel, preisgünstigere Exporte zu ermöglichen. diesen Regionen als erledigt betrachtet werden. Die Exporteure erhalten dadurch einen Wettbewerbsvor- Wir brauchen wirkliche Wirtschaftspartnerschaftsab- teil gegenüber Anbietern aus anderen Ländern. Export- kommen zwischen der EU und den AKP-Staaten. Die subventionen sind seit langer Zeit heftig umstritten. Sie Betonung liegt hier eindeutig auf dem Begriff „Partner- verzerren internationale Preisrelationen und haben häu- schaft“. Nachdem Ende vergangenen Jahres nicht zuletzt fig schädliche Auswirkungen für lokale Erzeugermärkte. durch die Art der Verhandlungsführung auf europäischer Eine ganze Reihe von Entwicklungsländern haben sich Seite einiges an Porzellan zerbrochen wurde, müssen die zu Recht über die negativen Auswirkungen von Export- Verhandlungen nun auf Augenhöhe und im gegenseiti- erstattungen beklagt. Es gibt viele Beispiele dafür, dass gen Einverständnis weitergeführt werden, um verloren lokale Märkte, besonders in Afrika, nachhaltig beschä- gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Von einem digt wurden. Die Auswirkungen für die lokalen Erzeuger fairen Welthandel, von einer gerechten Gestaltung der und die Nahrungsmittelversorgung waren teilweise ex- Globalisierung werden wir alle profitieren. Wir werden trem negativ, sinkende Einkommen und steigende Armut uns daher weiter dafür einsetzen, der unsinnigen Sub- häufig die Folge. ventionspolitik ein Ende zu bereiten. Das, was Ende No- Die EU hat deshalb bei den WTO-Verhandlungen in vember in Brüssel für den Export von Schweinfleisch Hongkong im Rahmen der laufenden Doha-Runde die entschieden wurde, ist Politik von gestern. Abschaffung aller handelsverzerrenden Exportsubven- tionen für landwirtschaftliche Güter bis 2013 angeboten. Manfred Zöllmer (SPD): Die Lage auf dem Markt Dieses Angebot war verbunden mit der Forderung, par- allel alle Exportförderinstrumente, auch durch Staats- (B) für Schweinefleisch ist weiterhin sehr angespannt. Die (D) Preise sind in den letzten Wochen zwar leicht gestiegen, handelsunternehmen, sowie die Nahrungsmittelhilfe zur sie decken aber nicht die bei der Produktion entstande- Überschussbeseitigung abzuschaffen. Ziel war es, den nen Kosten. Am stärksten betroffen sind die Ferkeler- Entwicklungsländern im Rahmen der Doha-Entwick- zeuger. Die Ferkelpreise bewegen sich schon seit gerau- lungsrunde entgegenzukommen und faire Handelsbedin- mer Zeit auf einem sehr niedrigen Niveau. Ursächlich gungen für landwirtschaftliche Produkte zu schaffen. für diese Entwicklung sind die stark gestiegenen Futter- Das jetzt zusätzlich angewandte Instrument der Ex- mittelpreise und das, was in der ökonomischen Theorie porterstattung für Schweinefleisch ist deshalb ein Rück- zutreffend als „Schweinezyklus“ bezeichnet wird. fall in längst überwunden geglaubte Zeiten handelsver- Die deutsche Schweinewirtschaft ist für die Landwirt- zerrender Praktiken. Das Versprechen der EU bei den schaft insgesamt von großer Bedeutung. Deutschland ist Verhandlungen in Hongkong muss eingehalten werden. vom Nettoimporteur von Schweinefleisch zu einem Net- Dies gilt auch dann, wenn die Exporte von Schweine- fleisch in Entwicklungsländer, insbesondere in afrikani- toexporteur geworden. Unsere Zielsetzung bleibt auch sche Länder, sich auch jetzt auf einem niedrigen Niveau weiterhin eine Stärkung des Veredelungsstandortes bewegen. Es bleibt ein falsches Signal. Deutschland. Von daher darf uns diese Entwicklung nicht gleichgültig lassen. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen formuliert zu Recht Kritik am Verhalten der Kommission. Es gibt Al- Die Strategie der Bundesregierung, den Absatz für die ternativen zu diesem Instrument. Eine verstärkte Export- Erzeugung im stärkeren Maße im Export zu finden, ist förderung ohne Exporterstattungen ist möglich; das hat grundsätzlich richtig. Die verbesserte Marktöffnung in die Bundesregierung mit ihren Initiativen in Richtung Richtung Russland und China hat zu einer Entlastung Russland, China, Japan und Südkorea gezeigt. Der An- auf den Märkten beigetragen. Die Exportmöglichkeiten trag der Grünen beschränkt sich allerdings nicht auf Ex- nach Japan und Südkorea zu verbessern, ist ein Schritt porterstattungen. In der Antragsbegründung wird ein un- in die richtige Richtung. Wir unterstützen die Bundesre- qualifizierter Rundumschlag gegen die Produktion von gierung nachdrücklich bei diesen Bemühungen. Schweinefleisch in Deutschland gestartet. Dies hat mit Die von der EU eingeleitete Maßnahme, in Deutsch- dem eigentlichen Sachverhalt nichts zu tun. Wir werden land bis zu 13 000 Tonnen Schweinefleisch im Rahmen deshalb den Antrag ablehnen. der privaten Lagerhaltung vom Markt zu nehmen, ist richtig. Dies trägt zu einer deutlichen Entlastung auf Hellmut Königshaus (FDP): Es ist sehr bedauer- dem Markt für Schweinefleisch bei. Dieses Instrument lich, dass wir dieses wichtige Thema erst zu so später 15980 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

(A) Stunde im Parlament debattieren können. Es ist schade, dere weil diese zu massiven Handelsverzerrungen vor al- (C) dass der Koalitionsmehrheit in diesem Hause augen- lem gegenüber Entwicklungsländern führen. Darunter scheinlich die Sensibilität für dieses wichtige Thema leiden dort insbesondere deren Landbevölkerung und die fehlt. Das Thema der EU-Exportsubventionierungen ist kleinbäuerlichen Betriebe, die auf den Export von agra- von grundsätzlicher Bedeutung für die Verbraucher in rischen Rohstoffen und den damit verbundenen Einnah- Europa, vor allem aber auch für die Produzenten in Ent- men besonders angewiesen sind. Freier Handel ist fairer wicklungsländern. Handel. Von einem freien Handel profitieren vor allem die Entwicklungsländer und die kleinbäuerliche Land- Überhaupt: Es mutet schon merkwürdig an, dass wir wirtschaft. Deshalb ist es aus agrar- und entwicklungs- über das Thema „EU-Exportsubventionen für Schweine- politischer Sicht wichtig und notwendig, dass die lau- fleisch“ in Zeiten von steigenden Nahrungsmittelpreisen fende WTO-Runde zu einem weiteren Abbau des noch diskutieren müssen. Subventionen sind schon an sich ein Übel. Aber diese Subventionen sind in Zeiten Agrarprotektionismus in allen beteiligten Ländern führt. steigender Nahrungsmittelpreise nun wirklich völlig Flankierend müssen die kleinbäuerlichen Betriebe in den überholt. Entwicklungsländern über die verschiedenen Entwick- lungshilfeorganisationen besonders unterstützt werden. Milch, Brot, Fleisch – alles wird bei uns teurer. Und Es ist also vollkommen klar, dass wir auch in diesem dazu trägt die EU mit ihrer Förderpolitik auch noch bei, Einzelfall – der EU-Exportsubventionen für Schweine- indem sie mit viel Geld in Europa hergestellte Lebens- fleisch – bei unserer Haltung bleiben werden: wir lehnen mittel auf dem Weltmarkt geradezu verschleudert. Die sie ab. Insofern sind wir mit dem Grundtenor des An- Hälfte des EU-Haushalts geht für Agrarsubventionen trags von Bündnis 90/Die Grünen einverstanden. drauf. Jedes Jahr werden mehr als 900 Millionen Euro nur dafür ausgegeben, dass zum Beispiel Milch, Ge- Schwieriger wird es da schon mit der Forderung, die treide, Geflügel, Schweine- und Rindfleisch zu billigsten Exporterstattungen für Schweinefleisch rückgängig zu Preisen außerhalb der EU abgesetzt werden. Allein für machen. Darüber werden wir im Ausschuss noch disku- Getreide plant die EU-Kommission 62 Millionen Euro tieren müssen, wie so etwas funktionieren soll. Aber es Fördermittel ein. Und für Zucker sollen noch einmal sei schon jetzt angemerkt, dass wir Rechtssicherheit und 440 Millionen Euro dazu kommen. Für Milch und Verlässlichkeit nicht nur von den Regierungen der Ent- Milcherzeugnisse sind es 276 Millionen, für Geflügel wicklungsländer verlangen dürfen, sondern dies vor 91 Millionen Euro. Und die Liste geht noch weiter. Die allem auch selbst praktizieren müssen. Eine Rückab- Verbraucher zahlen dabei doppelt: Erst mit den Steuern wicklung staatlicher Fehlleistungen zulasten der daran für die Subventionen und dann an der Kasse für überteu- unschuldigen Landwirte lehnen wir ab. erte Lebensmittel. Die Welthandelsorganisation sagt, (B) (D) dass EU-Exportsubventionen den Weltmarkt kaputtma- Um die Krise am Schweinemarkt zu beheben, sind chen und verhindern, dass ärmere Länder am Markt be- aus unserer Sicht marktwirtschaftliche Instrumente ge- stehen können. Zu Recht. Mit den niedrigen Preisen kön- eigneter. Dazu sind insbesondere die „hausgemachten“ nen die Produzenten in den Entwicklungsländern nicht Probleme, die mit der Setzung falscher Rahmenbedin- mithalten. Aus Verantwortung gegenüber den Verbrau- gungen durch die Bundesregierung zu tun haben, zu än- chern und Solidarität mit den Ländern der Dritten Welt dern. Insbesondere die Kostentreiberei durch die Wettbe- gehören die Exportsubventionen für Lebensmittel abge- werbsverzerrungen der Schweinehaltungsverordnung schafft. und den geplanten „Tierschutz-TÜV“ sind hier zu nen- nen. Wer wie die Bundesregierung eine innovations- Wir haben schon früh Vorschläge gemacht, diese dop- feindliche Politik zulasten der Landwirtschaft und der pelte Verschwendung und Marktverzerrung zu beseiti- Biotechnologie in Deutschland und Europa betreibt, darf gen. Unser Modell der Kulturlandschaftsprämie wurde sich auch nicht über teurere Futtermittel beklagen. Denn schon auf dem FDP-Bundesparteitag 2001 einstimmig in den Hauptwettbewerbsländern der EU sind die Kosten beschlossen. Kernpunkt des Modells ist die Stärkung der für Futtermittel auch wegen der Nutzung neuer GVO- unternehmerischen Landwirtschaft durch eine Entkoppe- Sorten deutlich niedriger. Dieser Kostenvorteil für Land- lung der Prämien von der Produktion. Landwirte sollen wirte in den USA, Kanada und Brasilien wird durch die für ihre Leistungen zur Pflege und für den Erhalt der zögerliche Genehmigungspolitik der EU mit Unterstüt- Kulturlandschaft honoriert werden. Landwirte produzie- zung der Bundesregierung verstärkt und macht bis zu ren für die nachfragenden Märkte unter Einhaltung der 50 Euro je Tonne Futter aus, also ungefähr den Betrag, Fachgesetze im Tier-, Umwelt- und Verbraucherschutz. mit dem die EU mit Subventionen den Exportpreis Dadurch würde Bürokratie abgebaut, Überschüsse wür- drückt. den verringert und notwendige entwicklungs- und han- delspolitische Korrekturen vorgenommen sowie der EU- Es ist bedauerlich, dass die Fraktion Die Grünen ihren Haushalt deutlich entlastet. Das FDP-Modell einer Kul- ansonsten sehr vernünftigen Antrag ideologisch über- turlandschaftsprämie wurde mit der Umsetzung der EU- frachtet, indem sie erneut moderne Tierhaltung diskredi- Agrarreform 2005 in Deutschland und der Europäischen tiert, die ihrem Ideal vom „ökologischen Landbau“ nicht Union verwirklicht. Damit hat die FDP mit ihrem Mo- entspricht. dell den Grundstein für eine marktwirtschaftlichere Aus- richtung der Gemeinsamen Agrarpolitik gelegt. Die Wir werden uns also im Ausschuss beraten müssen, FDP-Fraktion setzt sich vor diesem Hintergrund für die ob wir in dieser Frage zu einer gemeinsamen Position Abschaffung der EU-Exportsubventionen ein, insbeson- kommen können. Ausschließen möchte ich das nicht, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008 15981

(A) denn dem Grundgedanken des Antrags stimmen wir zu: auch den Kollegen und Kolleginnen von den Koalitions- (C) EU-Exportsubventionen gehören abgeschafft. fraktionen zugegangen sein dürfte, aufzeigt. Bereits vor der Wiedereinführung der Subventionen verdrängen die Heike Hänsel (DIE LINKE): Es ist nicht akzeptabel, Schweinefleischimporte aus der EU in Afrika im großen dass die Europäische Union mit Zustimmung der Bun- Stil lokale Produzenten und nehmen ihnen die Existenz- desregierung ihre hausgemachten Probleme in alle Welt grundlage. Dazu kommt: Auch in Russland führen die exportiert. Die Bundesregierung hat im EU-Verwal- EU-Exportsubventionen zu Marktverzerrungen und zu tungsrat der Wiedereinführung der Ausfuhrerstattungen Verdrängung zuungunsten lokaler Produzenten. für den Export von unbehandeltem Schweinefleisch zu- Zweitens ist diese Art der „Problemlösung“ durch die gestimmt. Das ist ökologisch unsinnig und entwick- EU kurzsichtig und ökologisch irrsinnig: Die Überpro- lungspolitisch unverantwortlich. duktion an Schweinefleisch und der damit verbundene Die Schriftliche Frage unserer Fraktion, ob die Zu- Preisnachlass sind ja nicht „höhere Gewalt“, sonder Er- stimmung der deutschen Delegation im EU-Verwal- gebnis einer falschen Politik. Ich nenne nur die Vereinfa- tungsrat mit dem BMZ abgestimmt war, hat uns das fe- chung der Genehmigungsverfahren für Schweinemast- derführende Landwirtschaftsministerium schlicht nicht anlagen und die Aufhebung der Flächenbindung der beantwortet. Deswegen frage ich Frau Wieczorek-Zeul Tierhaltung in der Agrarinvestitionsförderung. hier ganz direkt: War die Zustimmung der deutschen De- legation zur Wiedereinführung der Ausfuhrerstattungen Immer neue Großanlagen wie zum Beispiel die für Schweinefleischexporte mit Ihrem Haus koordiniert? Schweinemastanlage in Hassleben mit 80 000 Stallplät- Und wenn ja: Haben Sie die kritischen Stimmen von ent- zen werden gefördert und erhöhen den Fleischberg, den wicklungspolitischen Organisationen gehört? Wie stel- hierzulande keiner will. Wir wollen auch nicht, dass in len Sie sich dazu? Das BMELV hat uns auch die Frage Deutschland Schweine mit gentechnisch verändertem nach der Entwicklungsverträglichkeit dieser Maßnahme Importsoja aus Brasilien gefüttert werden, um sie nach nur sehr ausweichend beantwortet: mit dem lapidaren Asien zu exportieren. Exportsubventionen nach Russ- Verweis darauf, dass die Exporte ja nur zu einem sehr land oder in andere Teile der Welt lösen keine Probleme kleinen Teil nach Afrika, zu einem wesentlich größeren sondern bilden Anreize für zusätzliche Produktion und Teil jedoch zum Beispiel nach Russland gingen. So ig- Überschüsse. Und die Gülle, die dabei anfällt, bleibt norant kann man nicht mit existenziellen Ängsten in den hier und stellt mittlerweile eines der größten ökologi- Abnehmerländern und mit der fundierten Kritik von schen Probleme der Agrarwirtschaft hierzulande dar. Fachleuten umgehen. Dabei müssten wir viel grundsätz- Deshalb unterstützen wir den hier vorliegenden Antrag licher über die Ordnung der Landwirtschaft in der EU (B) der Grünen, die Agrarexportsubventionen für Schweine- (D) und des Agrarhandels weltweit diskutieren: fleisch zurückzunehmen und grundsätzlich die Ausfuhr Europäische Landwirte müssen in Europa die Mög- in Entwicklungsländer von der Subventionierung auszu- lichkeit haben, ihre Märkte zu finden und die Preise zu nehmen. Die Perspektive muss weiterhin und vor allem erzielen, die sie benötigen, um ihre Existenz zu sichern. glaubwürdig auf die Abschaffung der Agrarexportsub- Von den Ausfuhrerstattungen profitieren nur die Fleisch- ventionen gerichtet sein. exporteure, die offensichtlich in der Lage sind, mit ihren Lobbyisten die Politik zu bestimmen. Unter dem Preis- Zur Erinnerung: Die Bundesregierung hat den UN- verfall, der durch das Anheizen der Überschussproduk- Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Men- tion ausgelöst wird, leiden aber vor allem die kleinen schenrechte ratifiziert, mit dem sie in Art. 11 das Men- und mittleren Betriebe, die für die lokalen und regiona- schenrecht auf angemessene Nahrung völkerrechtlich len Märkte in der EU produzieren. verbindlich anerkennt, und auch die freiwilligen Leitli- nien der FAO zum Menschenrecht auf Nahrung unter- Das ist auch ein entwicklungspolitischer Irrsinn. Auf stützt. Diese fordern in Teil III: „Internationale Maßnah- dem WTO-Ministertreffen in Hongkong Ende 2005 hatte men, Aktionen und Verpflichtungen“ alle Staaten unter die EU den Abbau ihrer Agrarexportsubventionen bis anderem dringend dazu auf, ihre Anstrengungen zur Re- 2013 angekündigt. Darauf haben sich die Verhandlungs- duzierung – mit dem Ziel des Abbaus – sämtlicher For- partner in den Ländern des Südens und viele entwick- men von Exportsubventionen zu verstärken. Mit ihrer lungspolitische Organisationen verlassen. Die Wieder- Verteidigung der Exportsubventionen für Schweine- einführung der Ausfuhrerstattungen für Schweinefleisch fleisch verstößt die Bundesregierung demnach gegen ihre widerspricht streng genommen nicht den Zusagen von völkerrechtlichen Verpflichtungen zum Schutz des Men- Hongkong, aber sie ist ein Signal, das vollkommen in die schenrechtes auf Nahrung. falsche Richtung geht: eine kurzfristige Maßnahme, selbstverschuldete eigene Probleme auf Kosten Schwä- cherer zu lösen. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Frage, welche Auswirkungen Subventionen in der Land- Erstens können auch Exportvolumen, die aus der Per- wirtschaft und dabei gerade Exportsubventionen auf spektive des Exportweltmeisters klein erscheinen, als Im- Entwicklungsländer haben, beschäftigt die Politik schon porte in Afrika gewaltigen Schaden anrichten, das wissen mehr als 20 Jahre. Schon in den 80er-Jahren haben uns wir aus vielen Bereichen des Agrarhandels zwischen der Wissenschaftler und Nichtregierungsorganisationen en EU und Afrika. Zudem nehmen die Schweinefleischex- detail im Einzelfall nachgewiesen, wie Märkte insbeson- porte nach Afrika zu, wie der EED in einem Brief, der dere in afrikanischen Ländern negativ von einer unsinni- 15982 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. März 2008

(A) gen, unfairen europäischen Subventionspolitik massiv Im vorliegenden Antrag nun wird diese Fehlentwick- (C) geschädigt werden. lung beschrieben am Beispiel der EU-Exportsubventio- nen für Schweinefleisch. Auch für diese gilt einmal mehr: Und nach all den Erfahrungen fragt man sich wirk- Die Wiedereinführung von Schweinefleischexportsub- lich: Warum gelingt es nicht, andere Formen der Unter- ventionen durch die EU ist aus entwicklungspolitischer, stützung der Landwirtschaft zu finden und auch ohne in- handelspolitischer und agrarpolitischer Sicht völlig un- ternationales Abkommen und neue WTO-Regeln auf sinnig. Exportsubventionen in AKP-Länder, vor allem Subventionen zu verzichten, die neben den erwähnten nach Afrika, sind besonders schädlich. Viele Staaten dort Nachteilen für Kleinbäuerinnen und Kleinbauern auch verfügen nicht über ausreichende Kapazitäten, um die einen nicht hinnehmbaren Umgang mit Steuermitteln Auswirkungen subventionierter Exporte zu kontrollieren mit sich bringt? Und auch der Blick auf die Profiteure und handelspolitische Gegenmaßnahmen einzusetzen. dieser Form der Subventionierung wird uns nicht leicht gemacht. Politische Initiativen unserer Fraktion, transpa- Schon durchschnittliche Preise der EU-Exporte liegen rent zu machen, wer besonderes Interesse an diesen Sub- mit 0,44 Euro pro Kilo weit unter den Kosten, zu denen ventionen hat, wird mit Verweis auf den Datenschutz ab- einheimische Mäster in Westafrika und Zentralafrika gelehnt. produzieren können, so hat es uns der Evangelische Ent- wicklungsdienst anhand von Zahlen der FAO vorgerech- Ob subventionierte Rindfleischexporte nach Süd- net. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation afrika oder Tomatenmark und Reis nach Ghana, das Mus- der Vereinten Nationen geht beispielsweise von durch- ter ist immer das Gleiche. Eine Politik, die die Bedin- schnittlichen Produktionskosten von 1,72 Euro pro Kilo gungen für die lokale Landwirtschaft verschlechtert. Wer aus. sich mit Entwicklungspolitik beschäftigt, hat nie wirk- lich einsehen können, wieso eine Bäuerin in der Nähe ei- Die EU hat in der laufenden Welthandelsrunde ange- ner afrikanischen Stadt, sagen wir in Mosambik, nicht in boten, die Exportsubventionen auslaufen zu lassen. Nun der Lage ist, mit Produkten zu konkurrieren, die in diese wissen wir alle, dass es noch kein Abkommen in der lau- Stadt aus Europa importiert werden. Dass afrikanische fenden Welthandelsrunde gibt. Im Jargon der Bürokratie Regierungen im Einzelfall nicht von den Möglichkeiten wird nun darauf verwiesen, dass die Ministererklärung Gebrauch machen, gegen diese „Dumping-Exporte“ vor- von Hongkong eine Abschaffung der Exporterstattungen zugehen, erschwert die Situation. Auch dort ist das Inte- erst bis Ende 2013 festlegt. Bis dahin bestünde weiter die resse, „günstige Lebensmittel“ gerade in den städtischen Möglichkeit, bei Bedarf das „marktsteuernde Instrument Räumen anzubieten, gelegentlich höher als eine gezielte der Exporterstattungen“ anzuwenden. Eine zutreffende Politik zur Förderung der eigenen Landwirtschaft. Beschreibung für eine falsche Politik. Eine Politik, die sich die EU von 2006 bis 2007 rund 273,6 Millionen (D) (B) All dies fällt zusammen mit der nicht zu bestreitenden Euro hat kosten lassen, in Form von Ausgaben für Erstat- Tatsache, dass auch heute zwischen 60 und 70 Prozent tungen. Dies betrifft sowohl die Ausfuhr in Industrie- als der Bevölkerung in Subsahara-Afrika von der Landwirt- auch in Entwicklungsländer. schaft und dem daraus zu erzielenden – kargen – Ein- In Beschlüssen zur Exportsubventionierung und der kommen abhängig sind. Die Weltbank hat in ihrem fortgesetzten Praxis zeigt sich, dass die EU kein aufrech- Weltentwicklungsbericht die Bedeutung der ländlichen ter Makler ist. Sie setzt ein falsches Signal und beschä- Entwicklung und der Landwirtschaft wiederentdeckt. digt die Märkte in Entwicklungsländern. Dort heißt es unter anderem: „Im 21. Jahrhundert bleibt die Landwirtschaft fundamental für eine nachhaltige Diese Form der Unterstützung für die Großproduzen- Entwicklung und die Armutsbekämpfung. Drei von vier ten fördert eine widersinnige Agrarpolitik, die zum Bau Menschen in Entwicklungsländern leben in ländlichen von riesigen Tierfabriken führt. Sie orientieren sich of- Regionen –; 2,1 Milliarden Menschen leben von weniger fensichtlich nicht an der Marktnachfrage, der Absatz ih- als zwei Dollar am Tag und 880 Millionen Menschen rer Produkte lässt sich offensichtlich nur durch Dumping- von weniger als 1 Dollar am Tag – für die Mehrzahl die- preise sicherstellen. Gerade in einer Zeit, in der die Preise ser Menschen hängt das Leben von der Landwirtschaft für viele Agrargüter auf hohem Niveau sind, gehören Ex- ab.“ Die internationale Gebergemeinschaft räumt mitt- portsubventionen zu den Interventionen, die besser heute lerweile ein, dass sie zu lange die Entwicklung des länd- als morgen beendet werden müssen. Zustimmende Ent- lichen Raums zu wenig befördert und unterstützt hat. wicklungspolitikerinnen und Politiker finden sich schnell Die EU verfolgt ihrem Selbstverständnis nach das Ziel für solch eine Forderung. Doch bislang haben es nicht nur einer kohärenten Politik zwischen den verschiedenen in Frankreich, sondern auch bei uns einflussreiche Agrar- Politikfeldern. Sie hat einen ersten Kohärenzbericht vor- lobbyisten immer noch verstanden, ihren Interessen Ge- gelegt, in dem auf die Probleme hingewiesen wird zwi- hör zu verschaffen. Agrarexportsubventionen gehören schen der Handels-, Agrar- und Entwicklungspolitik. ohne Wenn und Aber abgeschafft.

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