Kommissionsprotokoll 2

Kommission von und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung

Stenografischer Bericht

2. Sitzung

Berlin, Freitag, den 28. November 2003

Inhalt:

Begrüßung durch den Vorsitzenden Franz Wilhelm Schmidt, MdB (SPD) ...... 28 B Müntefering...... 25 A Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (Berlin)...... 30 C Tagesordnungspunkt 1: Dr. Norbert Röttgen, MdB (CDU/CSU) . . . 31 D Berufung eines Sachverständigen . . . . . 25 B Vorsitzender Franz Müntefering ...... 34 C Vorsitzender Franz Müntefering ...... 25 B Rainder Steenblock, MdB (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 34 D

Tagesordnungspunkt 2: , MdB (FDP)...... 36 A Einsetzung der Arbeitsgruppen „Gesetz- Bundesministerin (BMJ) . . 37 A gebungskompetenzen und Mitwirkungs- Dr. Jürgen Rüttgers, MdL (Nordrhein- rechte“ und „Finanzbeziehungen“ Westfalen) (CDU/CSU) ...... 38 A Bestimmung von Sprechern/Koordi- Winfried Kretschmann, MdL (Baden-Würt- natoren ...... 25 B temberg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . 39 C Zusammensetzung, Arbeitsauftrag Sachverständiger Prof. Dr. Dieter Grimm . . 40 D und -struktur...... 25 B Staatsminister Dr. Thomas de Maizière Vorsitzender Franz Müntefering ...... 25 B (Sachsen) ...... 42 B Ministerpräsident Peer Steinbrück Tagesordnungspunkt 3 (Nordrhein-Westfalen) ...... 43 A Gesetzgebungskompetenzen und Mit- Prof. Dr. Hans-Günter Henneke, wirkungsrechte der Länder in der Bun- Deutscher Landkreistag ...... 44 B desgesetzgebung Staatsminister Jochen Riebel (Hessen) . . . . 45 B Einführung durch die Sprecher der Volker Kröning, MdB (SPD) ...... 45 D Arbeitsgruppe...... 26 A Jörg-Uwe Hahn, MdL (Hessen) (FDP) . . . . 46 C Aussprache...... 26 B Vorsitzender Franz Müntefering ...... 47 B Ministerpräsident Erwin Teufel (Baden-Württemberg) ...... 26 C Sachverständiger Prof. Dr. Joachim Wieland 47 C

Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung II 2. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. November 2003 – Stenografischer Bericht

Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber Vorsitzender Franz Müntefering ...... 49 D (Bayern)...... 48 C Vorsitzender Franz Müntefering ...... 49 A Tagesordnungspunkt 5: Terminplanung 2004...... 49 D Tagesordnungspunkt 4: Vorsitzender Franz Müntefering ...... 49 D Beschlussfassung über die Durchfüh- rung einer öffentlichen Anhörung am 12. Dezember 2003: „Zuordnung von Tagesordnungspunkt 6: Gesetzgebungszuständigkeiten auf Bund und Länder sowie Zuständigkeiten und Verschiedenes ...... 50 A Mitwirkungsrechte der Länder in der Vorsitzender Franz Müntefering ...... 50 A Bundesgesetzgebung, insbesondere vor dem Hintergrund der Weiterentwick- lung der Europäischen Union“...... 49 D Nächste Sitzung ...... 50 C

Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 2. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. November 2003 – Stenografischer Bericht III

Verzeichnis der anwesenden Kommissionsmitglieder

Vorsitz

Franz Müntefering

Ordentliche Mitglieder Stellvertreter

Bundestag

SPD

Hermann Bachmaier Ingrid Arndt-Brauer Hans-Joachim Hacker Volker Kröning Franz Müntefering Axel Schäfer Bernd Scheelen Wilhelm Schmidt Dr. Angelica Schwall-Düren Erika Simm Dr. Dieter Wiefelspütz

CDU/CSU Dr. Hans-Peter Friedrich Tanja Gönner Dr. Norbert Röttgen Heinz Seiffert

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rainder Steenblock

FDP Rainer Funke

Bundesrat

Baden-Württemberg Erwin Teufel, Ministerpräsident Rudolf Böhmler, Staatssekretär, Chef der Staatskanzlei

Bayern Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident

Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung IV 2. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. November 2003 – Stenografischer Bericht

Ordentliche Mitglieder Stellvertreter

Berlin Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister

Bremen Prof. Dr. Reinhard Hoffmann, Staatsrat, Chef der Senatskanzlei

Hamburg Dr. Volkmar Schön, Staatsrat, Chef der Senatskanzlei

Mecklenburg-Vorpommern Dr. Frank Tidick, Staatssekretär, Chef der Staatskanzlei

Niedersachsen Elisabeth Heister-Neumann, Justizministerin

Nordrhein-Westfalen Peer Steinbrück, Ministerpräsident Wolfgang Gerhards, Justizminister

Rheinland-Pfalz Herbert Mertin, Staatsminister, Minister der Justiz

Saarland Karl Rauber, Staatssekretär, Chef der Staatskanzlei

Sachsen Dr. Thomas de Maizière, Staatsminister der Justiz

Sachsen-Anhalt Prof. Dr. Wolfgang Böhmer, Ministerpräsident

Schleswig-Holstein Annemarie Lütkes, Ministerin für Justiz, Frauen, Jugend und Familie

Thüringen Dieter Althaus, Ministerpräsident Gerold Wucherpfennig, Staatssekretär, Chef der Staatskanzlei

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Ordentliche Mitglieder Stellvertreter

Bundesregierung , Staatsminister beim Bundeskanzler Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz Dr. Hansjörg Geiger, Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz Renate Künast, Bundesministerin für Verbrau- cherschutz, Ernährung und Landwirtschaft

Landtage

Schleswig-Holstein Heinz-Werner Arens (SPD), Präsident des Landtages

Sachsen-Anhalt Prof. Dr. Adolf Spotka (CDU), Präsident des Landtages

Nordrhein-Westfalen Schleswig-Holstein Dr. Jürgen Rüttgers (CDU) Martin Kayenburg (CDU)

Baden-Württemberg Wolfgang Drexler (SPD)

Hessen Jörg-Uwe Hahn (FDP)

Baden-Württemberg Berlin Winfried Kretschmann (BÜNDNIS 90/ Volker Ratzmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN)

Kommunale Spitzenverbände Dr. Stephan Articus, Deutscher Städtetag Prof. Dr. Hans-Günter Henneke, Deutscher Landkreistag Helmut Dedy, Deutscher Städte- und Gemeindebund

Sachverständige Prof. Dr. Arthur Benz, Fernuniversität - Gesamthochschule in Hagen Prof. Dr. Dieter Grimm, Wissenschaftskolleg Berlin Prof. Dr. Stefan Homburg, Universität Hannover Prof. Dr. Peter Huber, Ludwig-Maximilians-Universität München

Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung VI 2. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. November 2003 – Stenografischer Bericht

Ordentliche Mitglieder Stellvertreter

Prof. Dr. Ferdinand Kirchhof, Eberhard-Karls-Universität Tübingen Prof. Dr. Hans Meyer, Humboldt-Universität zu Berlin Prof. Dr. Dr. h.c. Rüdiger Pohl, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle Prof. Dr. Fritz W. Scharpf, Max-Planck-Institut für Gesellschafts- forschung, Köln Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Prof. Dr. Hans-Peter Schneider, Institut für Föderalismusforschung der Universität Hannover Prof. Dr. , Ludwig-Maximilians-Universität München Prof. Dr. Joachim Wieland, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main

Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 2. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. November 2003 – Stenografischer Bericht 25

(A) (C) Redetext

2. Sitzung

Berlin, Freitag, den 28. November 2003

Beginn: 15.03 Uhr

Vorsitzender Franz Müntefering: sollen dafür sorgen, dass die Arbeitsgruppen arbeitsfä- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe hig sind. Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie ganz herz- Als Koordinatoren für die Arbeitsgruppe 1 „Gesetz- lich zur zweiten Sitzung der Kommission „Moderni- gebungskompetenzen und Mitwirkungsrechte“ sind sierung der bundesstaatlichen Ordnung“. vorgeschlagen: Herr Hermann Bachmaier, SPD-Frak- Wir werden heute den organisatorischen Teil schnell tion, Herr Dr. Norbert Röttgen, CDU/CSU-Fraktion, abschließen und uns anschließend auf das erste wich- Herr Ministerpräsident Erwin Teufel, Baden-Württem- tige Thema konzentrieren, das zu diskutieren wir uns berg, und Herr Regierender Bürgermeister Klaus für heute vorgenommen haben: Gesetzgebungskompe- Wowereit, Berlin. tenzen und die Mitwirkungsrechte der Länder. Es ist Für die Arbeitsgruppe 2 „Finanzbeziehungen“ wur- gut, wenn wir nach der Phase der Organisation mit der den als Koordinatoren Herr Roland Koch, Ministerprä- Bearbeitung der konkreten Themen beginnen. sident des Landes Hessen, Herr Volker Kröning, SPD- (B) (D) Die Tagesordnung liegt Ihnen vor. Gibt es dazu Än- Bundestagsfraktion, Frau Antje Tillmann, CDU/CSU- derungswünsche? – Das ist nicht der Fall. Bundestagsfraktion, und Herr Matthias Platzeck, Mi- nisterpräsident des Landes Brandenburg, genannt. Dann rufe ich Tagesordnungspunkt 1 auf: Wir gehen davon aus, dass diese Arbeitsgruppen Berufung eines Sachverständigen nicht öffentlich tagen und für alle Mitglieder der Kom- Als zwölfter Sachverständiger wird Herr Professor mission teilnehmeroffen sind. Das heißt, dass neben Arthur Benz, Fernuniversität Hagen, vorgeschlagen. den ordentlichen Mitgliedern auch die beratenden Mit- Besteht darüber Einverständnis? – Das ist der Fall. So- glieder, die ständigen Gäste, die Stellvertreter und die mit begrüße ich Herrn Professor Benz als Sachverstän- Sachverständigen teilnehmen können. Unabhängig da- digen in unserer Kommission, gratuliere ihm zu seiner von besteht die Möglichkeit, das Interesse an einer Berufung und hoffe auf gute Zusammenarbeit. ständigen Mitarbeit in einer der Arbeitsgruppen aus- drücklich zu bekunden. Wir haben veranlasst, dass das Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Sekretariat Sie alle in den nächsten Tagen anschreibt Einsetzung der Arbeitsgruppen „Gesetzge- und um Mitteilung darüber bittet, in welcher dieser Ar- bungskompetenzen und Mitwirkungsrechte“ beitsgruppen Sie schwerpunktmäßig mitarbeiten und „Finanzbeziehungen“ möchten. Es wäre eine große Hilfestellung für die or- ganisatorische Arbeit, wenn wir dies wüssten. – Bestimmung von Sprechern/Koordinato- ren Wir sind uns auch einig, dass wir möglichst wenig Vorgaben hinsichtlich der Struktur der Arbeitsgruppen – Zusammensetzung, Arbeitsauftrag und machen wollen. Sie müssen selbst wissen, wie sie sich -struktur organisieren, ob sie beispielsweise Unterarbeitsgrup- pen oder Arbeitsteams einrichten. Wir sollten gar nicht In der Obleuterunde wurde der Vorschlag, diese bei- versuchen, dies jetzt hier bürokratisch zu organisieren. den Arbeitsgruppen einzurichten, konkretisiert. Die Obleute sind übereingekommen, dass für jede dieser Allerdings haben wir in Bezug auf die Arbeits- Arbeitsgruppen vier Koordinatoren – je einer aus dem gruppe 1 schon besprochen, dass es im Schwerpunkt Kreis der A- und der B-Seite von der Bundestags- und erstens um die Grundsatz- und Strukturfragen der Ge- der Bundesratsbank – benannt werden. Eine Sprecher- setzgebungskompetenzen, zweitens um die Überarbei- funktion ist damit nicht verbunden. Diese vier, „Klee- tung der Kompetenzkataloge und drittens um die Mit- blatt“ genannt – alles muss ja einen Namen haben –, wirkungsrechte der Länder in der Bundesgesetzgebung

Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 26 2. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. November 2003 – Stenografischer Bericht

Vorsitzender Franz Müntefering (A) gehen sollte. Darüber hinaus werden die Weiterent- richtig formuliert. Wir werden aber in Bezug auf die (C) wicklung der Europäischen Union und das Verhältnis zeitliche Limitierung nicht allzu streng sein. von Bund und Ländern zu den Institutionen der Euro- Da wir kein formalisiertes Verfahren zur Abgabe päischen Union eine wichtige Rolle spielen. Das wird von Wortmeldungen etablieren wollen, empfehle ich uns auch noch bei einem anderen Tagesordnungspunkt denjenigen, die sich noch an der Debatte beteiligen beschäftigen. möchten, sich einfach per Zettel oder Handaufheben Die Schwerpunkte für die Arbeitsgruppe 2 „Finanz- zu melden. beziehungen“ werden sehr bald zu diskutieren und Für heute liegen mir bereits Wortmeldungen von festzulegen sein. Das macht die Arbeitsgruppe aber am Herrn Teufel, von Herrn Schmidt, von Herrn besten selbst. Wowereit, von Herrn Röttgen, von Herrn Steenblock Darf ich davon ausgehen, dass Einverständnis da- und von Frau Zypries vor. Weitere Kolleginnen und rüber besteht, die beiden Arbeitsgruppen mit den ge- Kollegen können sich melden. Dann werden wir versu- nannten Titeln, den „Kleeblättern“ und der lockeren chen, diese Beiträge gerecht und fair, wie wir nun ein- Vorgabe für ihre Arbeitsweise zu bilden? – Dann ver- mal sind, in eine vernünftige Reihenfolge zu bringen. fahren wir so. Ich gehe davon aus, dass Herr Röttgen Zum Thema „Gesetzgebungskompetenzen und Mit- für die Arbeitsgruppe 1 und Herr Kröning für die wirkungsrechte der Länder“ hat Herr Teufel das Wort. Arbeitsgruppe 2 einladen werden. Einer muss den ers- – Bitte schön. ten Schritt tun, damit die Arbeit beginnen kann. Gibt es zum Tagesordnungspunkt 2 noch Anmer- Ministerpräsident Erwin Teufel (Baden- kungen? – Das ist nicht der Fall. Württemberg): Meine Herren Vorsitzende! Liebe Kolleginnen und Dann kommen wir zum zentralen Tagesordnungs- Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir haben so- punkt der heutigen Sitzung, dem Tagesordnungs- eben zwei Arbeitsgruppen eingesetzt und damit eine punkt 3: erste Arbeitsstruktur für die Kommission geschaffen. Gesetzgebungskompetenzen und Mitwir- Beiden Arbeitsgruppen ist ein anspruchsvolles Ar- kungsrechte der Länder in der Bundesge- beitsprogramm aufgegeben; wir werden es nur bewäl- setzgebung tigen, wenn die Sprecher der Arbeitsgruppen und die Vorsitzenden der Kommission eng und vertrauensvoll – Einführung durch die Sprecher der Ar- zusammenarbeiten. Dafür ist jede Bereitschaft vorhan- beitsgruppe (B) den. (D) – Aussprache Ich habe die Sprecherrolle für die unionsgeführten Es gibt einige Wortmeldungen, die ich Ihnen gleich Länder in der Arbeitsgruppe „Gesetzgebungskompe- zur Kenntnis geben und als Erste aufrufen werde. Ich tenzen und Mitwirkungsrechte“ gern übernommen, werde versuchen, Wortmeldungen von Bundesrat und weil ich zutiefst davon überzeugt bin, dass in der Neu- Bundestag sowie A- und B-Seite vernünftig und ge- abgrenzung der Kompetenzen und Mitwirkungsrechte recht zu berücksichtigen; wenn Herr Stoiber die Sit- zwischen Bund und Ländern der Schlüssel für den Er- zung leiten wird, wird dies sicherlich in vergleichbarer folg der gesamten Kommission liegt. Nur wenn es ge- Weise gehandhabt werden. Aber auch die Landesparla- lingt, ein substanzielles Maß an Gesetzgebungskompe- mente, die kommunalen Spitzenverbände, die Bundes- tenzen vom Bund auf die Länder zu übertragen, wird regierung und alle Gäste haben die Möglichkeit – das es möglich sein, Zug um Zug Zustimmungsrechte des will ich ausdrücklich sagen –, sich im Rahmen der Bundesrates einzuschränken. Beide Seiten müssen auf Zeitvorgaben für die jeweilige Veranstaltung in die De- verfassungsrechtliche Einflussmöglichkeiten verzich- batte einzuschalten. ten. Beide Seiten können dabei aber an politischer Handlungsfreiheit gewinnen; darin liegt unsere Die Sitzungen unserer Kommission sind terminiert. Chance. Das wird Ihnen noch schriftlich mitgeteilt werden, wie es beim letzten Mal bereits besprochen wurde. Nach Was sich im Grundsatz noch einfach anhört, ist in der heutigen Sitzung sind eine Anhörung am der konkreten Ausgestaltung und Abgrenzung umso 12. Dezember 2003 und eine Klausurtagung am schwieriger. Wir fangen aber nicht bei null an. Ich erin- 22. und 23. Januar 2004 vorgesehen. Die weiteren Sit- nere an die Leitlinien der Ministerpräsidentenkonfe- zungen werden überwiegend am Donnerstag vor den renz vom 27. März 2003, an die Lübecker Erklärung Sitzungen des Bundesrates stattfinden, zweimal aller- der Landtage vom 31. März 2003 und an das Positions- dings auch am Freitag, weil es anders nicht einzurich- papier der Bundesregierung vom 9. April 2003. Da- ten war. rüber hinaus gibt es eine große Zahl von Papieren mit substanziellen Vorschlägen, zum Beispiel den Bericht Ich gehe davon aus, dass wir in der Diskussion für der Gemeinsamen Verfassungskommission von 1993, den jeweiligen Beitrag etwa acht bis zehn Minuten den Bericht der Enquete-Kommission des Bayerischen vorsehen. Diese Zeit braucht man bekanntlich, um ei- Landtages von 2002 und das Programm der Kollegen nen Gedanken gut zu formulieren; mehr als ein Ge- Röttgen, de Maizière und Kirchhof. Die Aufgabe der danke muss in keinem Beitrag enthalten sein. Es ist Arbeitsgruppen wird es sein, aus dieser Fülle von Ma- schon anerkennenswert, wenn man einen Gedanken terial ein konsistentes Gesamtkonzept zu entwickeln,

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Ministerpräsident Erwin Teufel (Baden-Württemberg) (A) das über den Tag und über den kleinsten gemeinsamen Freigabebefugnis des Bundes nach Art. 72 Abs. 3 des (C) Nenner hinausreicht. Grundgesetzes durch eigenständige Rechte der Länder erweitern sollten. Mein Ziel ist es nicht, lang und breit aufzubereiten, was bereits x-mal aufbereitet wurde; mein Ziel sind Dreh- und Angelpunkt einer Gesamtverständigung konkrete Vorschläge für Verfassungsänderungen, über – das sehen die Länder sehr wohl – wird die künftige die Bundestag und Bundesrat dann rasch entscheiden Ausgestaltung der Mitwirkungsrechte des Bundesrates können. an der Bundesgesetzgebung sein. 50 bis 60 Prozent al- ler Bundesgesetze sind zustimmungspflichtig; in mehr Die Arbeitsgruppe „Kompetenzen“ muss sich mit als 50 Prozent der Fälle wird die Zustimmungspflicht Grundsatz- und Strukturfragen, mit der Zuordnung der durch die Verwaltungskompetenz des Bundes nach Einzelkompetenzen, mit den Mitwirkungsrechten des Art. 84 Abs. 1 des Grundgesetzes ausgelöst. Die meis- Bundesrates und mit den innerstaatlichen Fragen zur ten Vorschläge gehen nun in die gleiche Richtung. Es europäischen Rechtsetzung befassen. Lassen Sie mich soll vermieden werden, dass eine in die Kompetenz zu diesen Punkten einführend etwas sagen. des Bundes fallende, eigentlich zustimmungsfreie Ge- Ich möchte ein voraussetzungsloses und verfas- setzgebungsmaterie im Ganzen nur deshalb zustim- sungsunmittelbares Zugriffsrecht der Länder auf ein- mungspflichtig wird, weil der Bund nebenbei auch das zelne Gesetzgebungszuständigkeiten des Bundes nicht Verfahren oder die Zuständigkeit von Behörden regelt. ausschließen. Ich halte das Zugriffsrecht durchaus für Aus meiner Sicht ist eine völlige Abschaffung der ein geeignetes Instrument, um zu einer für Bund und Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Organi- Länder verträglichen Verteilung von politischen Ein- sations- und Verfahrensrecht nach Art. 84 und 85 flussmöglichkeiten zu kommen. Das Zugriffsrecht hilft Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes vorzugswürdig. Auch dem Bund, weil er weiterhin eine Orientierungsgesetz- ein Zugriffsrecht wäre insoweit denkbar. Von einer sol- gebung verantworten kann, es hilft kleineren Ländern, chen Lösung würden Bund und Länder gleichermaßen weil sie sich auf eine Auffanggesetzgebung des Bun- profitieren. Primär geht es aber darum, wie das bishe- des verlassen können, und es hilft den großen Ländern, rige Mitentscheidungsrecht der Länder bei den Kom- weil ihnen der dringend erforderliche Gestaltungswett- petenzen aufgewogen wird. Hier besteht ein Junktim, bewerb ermöglicht wird. Wir sollten das Zugriffsrecht das nur in einer Gesamtbetrachtung lösbar ist. aber nicht allzu sehr in den Vordergrund der Beratun- gen stellen. Es durchbricht in mancher Hinsicht unser Zwei ergänzende Bemerkungen seien mir insoweit bisheriges Verfassungsverständnis und wirft auch noch erlaubt: praktische Probleme auf. Im Sinne einer Entflechtung (D) (B) ist es in jedem Fall vorzuziehen, Kompetenzen klar Erstens. Die verwaltungsorganisatorische Zuord- und ausschließlich entweder dem Bund oder den Län- nung einer staatlichen Maßnahme kann für deren mate- dern zuzuordnen. riellen Wirkungsgehalt entscheidend sein. Die Zusam- menführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, über Ich schlage deshalb ein dreistufiges Verfahren vor: die wir derzeit im Vermittlungsausschuss diskutieren, In einer ersten Stufe sollten wir prüfen, welche Zustän- ist ein sehr präzises Beispiel dafür. digkeiten klar der einen oder der anderen Seite zuge- ordnet werden können. In einer zweiten Stufe können Zweitens. Ich halte es auch nicht für ausgeschlos- wir dann bei den streitig gebliebenen Bereichen über sen, neue Zustimmungserfordernisse zu schaffen. So das Zugriffsrecht reden. In einer dritten Stufe – verfas- könnte etwa in Fällen, in denen mit einem Bundesge- sungssystematisch und aus der Sicht der Länder die setz erhebliche Kostenfolgen für die Länder verbunden schlechteste Lösung – bliebe noch die Verankerung sind, ein Zustimmungsrecht der Länder auch der pro- entsprechend abgesicherter einfachgesetzlicher Öff- zeduralen Absicherung des Prinzips der Konnexität im nungsklauseln. Verhältnis zwischen dem Bund einerseits und den Län- dern und Kommunen andererseits dienen. Zur Absi- Die Rahmengesetzgebungskompetenz muss meiner cherung des Konnexitätsprinzips sind aber auch andere Meinung nach ganz abgeschafft werden. Eine mate- Lösungen denkbar, über die in der Arbeitsgruppe „Fi- rielle Abgrenzung von Kompetenzbereichen innerhalb nanzen“ beraten werden sollte. der gleichen Gesetzgebungsmaterie erscheint mir nicht zufriedenstellend möglich. Verschiedentlich wurde Schließlich gehören zum Arbeitsbereich der Ar- eine weitere Verschärfung der Voraussetzungen für die beitsgruppe die Kompetenzen und Mitwirkungsrechte Wahrnehmung der konkurrierenden Gesetzgebungs- der Länder in Europaangelegenheiten. Die Neufassung kompetenz durch den Bund gefordert. Hierbei habe ich des Art. 23 des Grundgesetzes vor mehr als zehn Jah- Zweifel, ob die bestehenden Abgrenzungsprobleme ren war aus der Sicht der Länder ein Erfolg. Wir stellen bei der Erforderlichkeitsprüfung durch eine andere von Länderseite allerdings fest, dass sich die rechtli- Fassung wirklich ausgeräumt werden können. Die chen Vorgaben in der Praxis nicht hundertprozentig be- Rückgabe von Gesetzgebungszuständigkeiten, die der währt haben. Meines Erachtens sollten wir eine klare Bund aus der konkurrierenden Gesetzgebung vollstän- Trennung der Zuständigkeiten von Bund und Ländern dig an sich gezogen hat, wäre die richtige Lösung. Bei bei der Wahrnehmung der Rechte der Bundesrepublik einer durchgreifenden Neuordnung der Kompetenzen Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union entschärft sich das Problem hoffentlich von selbst. Für herbeiführen. Wenn ausschließlich Länderkompeten- mich stellt sich eher noch die Frage, ob wir nicht die zen betroffen sind, könnte ein Ländervertreter die

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Ministerpräsident Erwin Teufel (Baden-Württemberg) (A) Rechte der Bundesrepublik wahrnehmen – das ist ja durch verwirrt und enttäuscht und empfindet das mög- (C) auch schon der Fall –; wenn ausschließlich Bundes- licherweise auch als Belastung. kompetenzen betroffen sind, könnte dies ein Vertreter des Bundes tun. Im Bereich der konkurrierenden Ge- Eine pauschale Betrachtung ergibt nach meiner Ein- setzgebung wäre eine gemeinsame Vertretung denkbar. schätzung, dass der Bundesgesetzgeber seit In-Kraft- Die Arbeitsgruppe sollte über diesen Vorschlag disku- Treten des Grundgesetzes seine Kompetenzen – insbe- tieren. sondere bei der konkurrierenden Gesetzgebung – weit- gehend ausgeschöpft und den Länderparlamenten we- Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Konstitu- nig Raum für eigene Legislativaktivitäten gelassen hat. ierung der Arbeitsgruppen beginnt die Arbeit der Im Gegenzug wurde die Zahl der Mitwirkungsrechte Kommission konkret zu werden. Dennoch sollten wir des Bundesrates versechsfacht. uns auch während der Kommissionsarbeit immer wie- der vergewissern, worum es uns allen gemeinsam ei- Bei sachgemäßer Auslegung der einschlägigen Ver- gentlich geht; denn es könnte sehr schnell eine Situa- fassungsbestimmungen, auf die ich ansonsten in die- tion eintreten, in der für manche der Rechenschieber sem ersten Statement nicht näher eingehen kann, ins- zum wichtigsten Instrument der Beratungen wird. Die besondere aber der Art. 30, 50, 83, 84 und 85 des Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung ist ein Grundgesetzes, liegt das Schwergewicht der Gesetzge- hohes Ziel. Wir können dieses Ziel aber niemals errei- bung beim Bund, das der Gesetzesausführung bei den chen, meine ich, wenn wir im Geiste von Buchhaltern Ländern. Keineswegs war ursprünglich an eine derart vorgehen. Es geht um die Zukunftsfähigkeit unseres umfangreiche und gewichtige Form des Einflusses des Landes. Bundesrates bei der Gesetzgebung gedacht. Wegen der von den Ländern wahrzunehmenden Umsetzung der Ich danke Ihnen sehr. Gesetze ist es aber natürlich konsequent, dass der Bun- desrat als Ländervertretung an der Gesetzgebung mit- Vorsitzender Franz Müntefering: wirkt. Vielen Dank, Herr Teufel. – Dass es jetzt keinen Dass Art. 84 des Grundgesetzes jedoch in einem Beifall gibt, liegt daran, dass wir schon beim letzten derartigen Ausmaß zum Tragen kommen würde, wie Mal vereinbart haben, auf Beifall zu verzichten. es jetzt aus der aktuellen Praxis heraus Gegenstand Ich gebe Herrn Schmidt das Wort. – Bitte schön. vielfältiger Kritik ist, entspricht nicht dem Ursprungs- gedanken dieser Vorschrift. Sie ist im Übrigen seit Be- stehen des Grundgesetzes nicht in ihrem Inhalt, son- Wilhelm Schmidt, MdB (SPD): dern nur in ihrer Auslegung und Wahrnehmung (D) (B) Meine Herren Vorsitzende! Liebe Kolleginnen und verändert worden. Als Auswuchs ist die Folge der Ver- Kollegen! Dass wir Gesetzgebungskompetenzen und fassungsgerichtsrechtsprechung zu werten, nach der Mitwirkungsrechte der Länder in der Bundesgesetzge- eine Vorschrift immer dann in ihrem gesamten Umfang bung an den Anfang unserer Sachdebatte stellen, ist, und für alle Zeiten der Zustimmungspflicht des Bun- wie ich finde, außerordentlich richtig und wichtig. desrates unterliegt, wenn auch nur ein Teilbereich die- Deswegen begrüße ich dies für unsere Seite außeror- ser Pflicht unterliegt. Nach unserer Überzeugung ist dentlich. In den vergangenen Jahren, eigentlich sogar Art. 84 also, wenn ich es so flapsig sagen darf, ein in den vergangenen Jahrzehnten haben zahllose Analy- Knackpunkt unserer Besprechungen. Von daher sollten sen beschrieben, dass die Entwicklung der Gesetzge- wir uns ihm in besonderer Weise zuwenden. bung in unserem Lande zu einem tief greifenden Hemmnis geworden ist und die parlamentarischen Darüber hinaus sollten wir die Zustimmungspflich- Strukturen, zum Teil auch die gesellschaftlichen Ent- ten durchleuchten, die im Laufe vieler Jahre ausgehan- wicklungen belastet hat. Eine aktuelle Darstellung hat delt und vom Verfassungsgesetzgeber in das Grundge- Verfassungsgerichtspräsident Papier gerade gestern in setz aufgenommen wurden. Dies reicht bis hin zu einem Beitrag in der „FAZ“ hinzugefügt, in dem er un- Art. 132 Abs. 4 und anderen Artikeln des Grundgeset- ter anderem vom Dickicht der föderativen Beziehun- zes, sodass wir uns, wie ich meine, einer umfangrei- gen spricht und meint: chen Materie zuwenden müssen. Dasselbe gilt für die Bundesauftragsverwaltung gemäß Art. 85, den ich Am auffälligsten ist der Machtzuwachs des Bun- schon erwähnt habe, aber auch für den Erlass von desrats und dessen Wandel zu einer Art „Ersatz-“ Rechtsverordnungen nach Art. 80 des Grundgesetzes. oder „Zweitopposition“. Ohne die Kritik am Bundesrat und seinem vor die- Sie sehen es mir nach, dass ich aus der Sicht des Bun- sem rechtlichen Hintergrund durchaus angemessenen desparlaments dieses Zitat herausgegriffen habe. und richtigen Vorgehen zu scharf formulieren zu wol- In der „Süddeutschen Zeitung“ hat Prantl in diesen len, will ich aus meiner fünfjährigen Erfahrung als Tagen von verwischten Verantwortlichkeiten – ich Sprecher im Vermittlungsausschuss hier wenigstens halte das für einen weiteren Aspekt, der nicht ganz un- ansatzweise etwas zum Ausdruck bringen. Man wun- bedeutend ist und Erwähnung finden sollte – gespro- dert sich schon darüber, dass es zu Mitwirkungsbe- chen. Dies ist tatsächlich ein misslicher Zustand; denn stimmungen doch eine ganze Reihe von Vermittlungs- wenn der Bürger bei der Wahl Kandidaten und Parteien verfahren gab. Eigentlich war die Anrufung des ein Mandat zum Regieren gibt und anschließend nicht Vermittlungsausschusses, von der so exzessiv Ge- mehr weiß, wer eigentlich zuständig ist, dann ist er da- brauch gemacht wird, als Ausnahme gedacht. Warum

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Wilhelm Schmidt, MdB (A) musste zum Beispiel das Gesetz zur Zusammenlegung lungskompetenzen nicht selten exzessiv wahrgenom- (C) der Banken des Bundes, das Förderbankenneustruktu- men hat, nicht nur im Bereich der konkurrierenden Ge- rierungsgesetz, in das Vermittlungsverfahren? Man- setzgebung, sondern manchmal auch an anderen cher erinnert sich noch an das, was wir kurz vor der Stellen und darüber hinaus beim Erlass von Verord- Sommerpause in quälenden Prozessen zu regeln ver- nungen. Manche haben angesichts dessen von Rege- suchten. Oder warum hat das Gesetz zur Anpassung lungswut oder einem hohen Maß an Regelungsdichte von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht heute zu ei- gesprochen. In diesem Zusammenhang fordere ich uns nem Einspruch geführt, sodass der Bundestag diesen auf, die Gelegenheit zu nutzen, dies als einen Teilas- mit entsprechender Mehrheit erst wieder zurückweisen pekt der draußen immer wieder geäußerten Forderung muss? Ebenso waren die Umsetzung von EU-Recht bei nach Bürokratieabbau zu berücksichtigen, wenn wir der Beseitigung tierischer Abfälle, eine Änderung des denn an die Rahmengesetzgebung und an die konkur- Verfütterungsverbotsgesetzes, die Sicherheit von tech- rierende Gesetzgebung herangehen. Allerdings müssen nischen Arbeitsmitteln und eine Änderung der Tier- wir die Maßstäbe dafür, ob die Länder in diesem oder schutz-Nutztierhaltungsverordnung Gegenstand der jenem Teil originär zuständig sein sollen, sehr sorgfäl- heutigen Tagesordnung des Bundesrates. Mit Verlaub, tig miteinander besprechen; denn wir werden vermut- es gibt schon eine ganze Reihe von Anrufungen des lich einige Schwierigkeiten bei der Frage bekommen, Vermittlungsausschusses, bei denen sich der Beobach- was der Maßstab einer originären Landesgesetzgebung ter – auch mancher Beobachter aus dem Parlament – sein kann. wundert. Herr Teufel, zumindest ein Satz zu dem, was Sie ge- Ein ganz besonders prägnantes Beispiel des Wild- rade hinsichtlich der direkten Zugriffsrechte der Län- wuchses im politischen Raum – den will ich nicht un- der angesprochen haben: Das wäre die Umkehrung un- erwähnt lassen – erlebten wir in diesen Tagen – heute seres derzeitigen Prinzips der konkurrierenden Morgen erhielten wir es auch schriftlich –: die Verkün- Gesetzgebung. Dagegen haben wir einige Bedenken; dung des Generalsekretärs der CDU, dass die Mitglie- das ist Ihnen bei den Diskussionen der vergangenen der seiner Partei im Bundesrat sowohl den Bundes- Monate nicht verborgen geblieben. Dennoch wollen haushalt als auch die Rentengesetze ablehnen werden. wir uns auch einer solchen ernsthaften Prüfung nicht Wenn die Parteizentralen die Instrumente „Bundesrat“ verschließen. Ich betone das, weil dies meiner Mei- und „Vermittlungsausschuss“ nun schon auf diese nung nach ausdrücklich zu der Arbeit gehört, die wir Weise pflegen und hegen und zum Ausdruck bringen, zu leisten haben. dass sie genutzt werden sollen, dann ist das Ganze tat- sächlich an einem Punkt gelandet, den wir alle mit gro- (Ministerpräsident Erwin Teufel [Baden- (B) ßer Sorge, so finde ich, untersuchen sollten. Mehr Württemberg]: Die zweite Priorität!) (D) möchte ich an dieser Stelle dazu gar nicht sagen. – So habe ich es auch verstanden. Ich wollte trotzdem (Unruhe) mit einem Satz darauf eingehen, damit das nicht ganz unkommentiert auf einmal in die erste Priorität hinein- – Ich merke schon, das ruft mit Recht Unruhe hervor. rutscht – wenn Sie erlauben, dass ich das so bezeichne. Wir wollen uns hier aber nicht nur in schönen Worten Insofern gehört dies ebenfalls zu dem Bereich, der uns ergehen. Wir haben Arbeit zu leisten und solche Dinge sehr umfangreich beschäftigen muss. entsprechend aufzuarbeiten; über das, was angemessen zu sein scheint, kann man sich mit Zweidrittelmehrheit Sie wissen, dass es schon erste Reaktionen gibt. Als verständigen. die Überlegung aufkam, die Rahmengesetzgebung auf- zugeben, haben sich gleich die Lobbyisten im Lande Wir haben also gerade in Bezug auf Art. 84, aber gemeldet, die natürlich die Bündelungsfunktion wahr- auch hinsichtlich der Art. 85 und 80 des Grundgesetzes zunehmen und damit vielleicht auch die Ansprüche ih- etwas Adäquates zu tun. Professor Grimm, der wahr- rer Verbände und Organisationen als gesellschaftliche scheinlich noch selbst das Wort nehmen wird, hat dazu Gruppen in diesem Lande zu sichern gedenken. Ich vor einiger Zeit den Vorschlag gemacht, Art. 84 Abs. 1 will das hier nicht weiter ausführen. Auch das wird uns zu ergänzen; ich will das jetzt nicht im Einzelnen vor- dann in concreto natürlich sehr intensiv beschäftigen. tragen. Auch die Bundesjustizministerin hat sich Ich empfinde es als recht spannend, wie auf einmal hierzu verdienstvollerweise geäußert und eine Art Öff- das, was häufig mit hehren Worten wie Abbau von Bü- nungsklausel als Möglichkeit genannt, damit umzuge- rokratie und Entflechtung begleitet worden ist, in der hen. Der leider viel zu früh verstorbene stellvertre- Praxis oftmals in die Niederungen ganz schlichter Zu- tende Direktor des Bundesrates Dästner hat sich vor wendungspolitik oder ähnlicher Dinge gerät. wenigen Jahren ebenfalls in einem, wie ich finde, be- merkenswerten Beitrag dazu geäußert. Auch ihn habe Ich will einen Satz zu den Landtagen sagen, weil ich ich hier erwähnt, um ihn unserer Aufmerksamkeit zu glaube, dass eine Folge dieses Bemühens ganz direkt empfehlen. auch die Erstarkung der Landtage sein soll. Ich be- kenne mich ausdrücklich dazu – ich bitte auch die Mit- Herr Teufel hat völlig Recht damit, dass auch die im glieder des Bundesrats, dies in gleicher Weise zu sagen; Grundgesetz niedergelegten Gesetzgebungskompeten- Herr Teufel hat das bereits angedeutet –, weil ich davon zen sehr deutlich zu überarbeiten sind. Dies ist schon überzeugt bin, dass es automatisch eine Wiedererstar- deswegen notwendig – das sage ich selbstkritisch aus kung der Landtage bedeutet, wenn wir Gesetzgebung der Sicht des Bundes –, weil der Bund seine Rege- von der Bundesebene auf die Länderebene übertragen;

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Wilhelm Schmidt, MdB (A) denn die Kompetenz kann nicht bei den Landesregie- Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (C) rungen landen – um auch dies öffentlich deutlich zu sa- (Berlin): gen. Ich halte es also für nicht ganz unwichtig, dass wir Herr Müntefering! Herr Stoiber! Meine sehr verehr- diese Auseinandersetzungen hier miteinander austra- ten Damen und Herren! Die Erwartungen an diese gen. Kommission sind bei den einen sehr gering und bei den anderen sehr hoch. Die einen sagen, angesichts der Eines ist mir bei der Vorbereitung der Arbeit dieser Größe der Kommission und ihrer Aufgabe sowie des Kommission sehr häufig begegnet, gerade im Kontakt engen Zeitrahmens könne nichts herauskommen. Die- mit den Vertreterinnen und Vertretern der Landtage: jenigen mit einer hohen Erwartungshaltung meinen, Manchmal wurden Auseinandersetzungen auf unsere der Handlungsbedarf sei so groß, dass etwas heraus- Ebene transportiert, die eigentlich zwischen Landesre- kommen müsse. Vor dem Hintergrund dieser Band- gierung und Landtag hätten ausgetragen werden sol- breite von Erwartungen werden wir unsere Arbeit leis- len. Ich bringe dies hier mit allem Respekt gegenüber ten. Es ist eben auch schon deutlich geworden, dass den Vertretern beider Seiten der Länder zum Aus- sowohl die Erwartungshaltung als auch die Herange- druck. Wenn beklagt wird, man habe als Landtag auf hensweise durchaus sehr unterschiedlich sein können, das Verhalten der jeweils von der Mehrheit des Land- je nachdem von welcher Seite man die Materie be- tags gestellten Regierung im Bundesrat keinen Ein- trachtet. Die Tatsache, dass wir hier so zahlreich zu- fluss, dann kann man das auch ändern, um das einmal sammengekommen sind, zeigt aber auch, dass ein so freundlich zu sagen, und zwar auf der Landesebene. großer Leidensdruck vorhanden ist, dass sich etwas än- Damit müssen wir uns hier nicht befassen. Diese dern muss. kleine Anmerkung soll in diesem Zusammenhang ge- Im Bundesrat gab es heute Debatten zum Beispiel nügen. zu Legehennen oder zu Säuen im Bett. Eine weitere Anmerkung will ich Ihnen nicht erspa- (Widerspruch) ren, und zwar zum Verhältnis zu den Kommunen. Ich halte es für richtig, dass wir – zum ersten Mal in der – Es waren Schweine, aber Schweine können natürlich Verfassungsgeschichte in Deutschland – die Kommu- auch Säue sein; diese Fantasie kann weiter ausgemalt nen in angemessener Form direkt an der Arbeit unserer werden. – Der Bürger fragt sich: Warum müssen so Kommission beteiligt haben. Nach unser aller Verfas- viele Instanzen und Gremien beteiligt werden, um Ent- sungsverständnis sind die Kommunen der Obhut der scheidungen zu treffen? Hier spielen auch Aspekte wie Länder übereignet; das halte ich auch für richtig. Wir Blockaden sowie unterschiedliche Mehrheitsverhält- nisse eine Rolle. Natürlich sind die Interessenlagen der (B) Vertreter des Bundes wollen uns ausdrücklich nicht vor (D) der Mitverantwortung drücken. Aber die aktuelle De- Länder automatisch andere als die des Bundes. Schön ist, dass manche die Seite wechseln oder Erfahrungen batte um die Gemeindefinanzreform verdeutlicht, dass auf beiden Ebenen haben. Leider stellt man in solchen jeder versucht, sich um die Ecke zu verdrücken. Das Fällen immer ganz schnell fest: Das Sein prägt das Be- geht nicht. Ich betone: Zuerst sind die Länder gefragt. wusstsein. In Windeseile vergisst man all das, was man Sie müssen bei allen zu lösenden Problemen ein ganz vorher einmal gefordert hat. gehöriges Maß an Mitverantwortung zeigen. Nach meiner Überzeugung werden wir bei der Beantwortung Ich halte es für richtig und notwendig, dass auch die der Frage, wie die Kommunen in unsere Arbeit und Kommunen mit am Tisch sitzen, weil sie natürlich vor allen Dingen in die Gesetzgebungskompetenz ein- ebenfalls zur bundesstaatlichen Ordnung gehören. zubinden sind, in erster Linie auf die Seite der Länder Eine solche Verfassungsdiskussion kann nicht gänzlich sehen müssen, die nach unserer Überzeugung dafür an den Kommunen vorbei geführt werden. Man kann nun einmal originär zuständig sind. es sich nicht so einfach machen, zu sagen, das sei Län- dersache und deshalb habe diese Thematik hier nichts Aus den Entwicklungen schließen wir, dass wir eine zu suchen. Der Sachverstand der Kommunen muss ganze Menge von Aufgaben zu lösen haben. Wir müs- hier eingebracht werden, weil viele Auswirkungen der sen zu einem Teil der ursprünglichen Prinzipien des Gesetzgebungskompetenz – egal ob sie beim Bund Grundgesetzes zurückkehren, die sich im Laufe von oder bei den Ländern liegt – die Kommunen direkt be- mehr als 50 Jahren gegenüber dem Ausgangszustand treffen und dementsprechend auch erörtert werden teilweise erheblich verkehrt haben. Für uns heißt das müssen. konkret, Gesetzgebungs- und Mitwirkungsrechte in ih- Wir werden in dem Diskussionsprozess nur weiter- rer Bund-Länder-Verbindung zu entflechten, dadurch kommen, wenn wir uns von der Örtlichkeit, in der wir Gesetzgebungsverfahren zu beschleunigen, Kosten uns jeweils befinden, oder der Mentalität frei machen und Bürokratie abzubauen und letztlich auch den de- und überlegen, wie die Gesetzgebungskompetenzen mokratischen Organen Verantwortlichkeiten klar zuzu- und Mitwirkungsrechte sinnvoll geregelt sein könnten ordnen. In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine und müssten, vor allen Dingen vor dem Hintergrund fruchtbare Zusammenarbeit. des Bewusstseins eines potenziellen Seiten- und Mehr- heitswechsels. Auch das könnte mithelfen, zu sinnvol- Vorsitzender Franz Müntefering: len Lösungen zu kommen. Vielen Dank. – Ich gebe das Wort Herrn Wowereit, Aus meiner Sicht werden wir in sehr vielen Punkten dem Regierenden Bürgermeister von Berlin. nicht nur eine Diskussion über die reine Lehre führen

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Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (Berlin) (A) können. Das wird mir aus vielen Briefen und Hinwei- Punkt in die Debatte einbringen: Wir sollten uns durch- (C) sen sehr deutlich, die ich bekommen habe. Ich nenne aus die eine oder andere Minute Zeit nehmen, um über ein Beispiel: In Bezug auf die Kompetenzen bei der die Verankerung der Hauptstadt in der Verfassung und Hochschulbaufinanzierung kann man natürlich ganz die entsprechende Mentalität zu sprechen. Wir sollten schnell die Frage stellen, warum dies bundesweit gere- darüber diskutieren, ob das für die Kommission eine gelt werden müsse und warum es nicht die Länder re- Rolle spielt und ob Änderungen in der Verfassung not- geln sollten. Merkwürdigerweise wird gerade aus der wendig sind, um den Status und die Bedeutung der Wissenschaftslandschaft die Forderung erhoben, dass Hauptstadt für eine föderale Republik deutlicher her- es zentral geregelt werden solle, weil damit gute Erfah- auszustellen. Dabei ist für mich nicht automatisch die rungen gemacht worden seien. – Einige schütteln Frage der Finanzierung das Wichtigste; vielmehr soll- schon wieder den Kopf. ten wir diesen Aspekt insgesamt noch einmal in die Diskussion einspielen. Wenn man im Sinne von Herrn Teufel nur darauf achtet, welches Land unter dem Strich mehr erhält, so- Insofern glaube ich, dass wir genug Themen haben. fern eine Aufgabe dezentralisiert wird und in die Kom- Es ist richtig, dass die beiden Untergruppen sich petenz der Länder übergeht, dann gerät man genau in schnell konstituieren und ihre Arbeit aufnehmen. Es die Falle, vor der man sich hüten muss. gibt auch genügend Querverbindungen zwischen der Gruppe „Finanzbeziehungen“ und der Gruppe „Ge- (Ministerpräsident Erwin Teufel [Baden- setzgebungskompetenzen und Mitwirkungsrechte“. Württemberg]: Exakt!) Man wird die Themen nicht ganz sauber trennen kön- In solchen Fällen darf man nicht nur die reine Lehre nen; deshalb ist eine enge Kooperation zwischen der vertreten und zu simplen Antworten kommen, sondern Arbeit der einen und der anderen Gruppe notwendig; muss man natürlich auch überlegen, welche Auswir- aber das werden die Vorsitzenden hinbekommen. Das kungen eine systematische Herangehensweise hätte Zeitbudget ist relativ eng. Ich glaube, wir haben eine und ob sie, gesamtstaatlich gesehen, für die Bundesre- Chance; aber wir müssen sie auch nutzen. publik Deutschland und für die Bereiche, die wir nach vorn bringen wollen, sinnvoll wäre. Außerdem muss Vorsitzender Franz Müntefering: man sich die Frage stellen, ob es auch darüber hinaus- Vielen Dank. – Wir waren uns schon darüber im gehende sachliche Kriterien gibt, die doch wieder eine Klaren, dass alles mit allem zu tun hat und dass man andere Lösung ermöglichen oder gar aufdrängen, dass den Aspekt der Kompetenzen nicht sauber von dem eine andere Lösung gefunden wird. Dies wird im De- der Finanzbeziehungen trennen kann. Trotzdem wollen tail sicherlich sehr schwierig werden. Aber wenn man (B) wir das in diesen beiden Arbeitsgruppen so angehen. (D) mit einer gewissen Offenheit und Sachorientierung da- Wir werden dann im weiteren Verlauf irgendwann zu rangeht, dann wird auch etwas zu bewegen sein. Wir entscheiden haben, wo wir das zusammenführen; denn alle haben es miteinander in der Hand, die Skeptiker man kann es nicht idealtypisch nebeneinander stellen davon zu überzeugen, dass etwas Vernünftiges dabei und zum guten Schluss darüber abstimmen; vielmehr herauskommen kann. wird es eine enge Verzahnung geben. Die Kommission hat sich mit dem Arbeitsauftrag Es gab, Herr Wowereit, auch schon zwei, drei An- natürlich selbst gebunden. Bestimmte Themen – das merkungen zu Berlin und zur Rolle der Hauptstadt. haben wir in der letzten Sitzung erlebt – sind sofort au- Das wird im weiteren Verlauf der Diskussion, die wir ßen vor gelassen worden, beispielsweise die Frage von zu führen haben, sicherlich noch eine Rolle spielen. Länderfusionen. Ich kann mich gut an die Rede des Kollegen Scherf erinnern, der als Erstes deutlich ge- Damit alle wissen, wie es weitergeht, nenne ich die macht hat: Bremen bleibt immer allein. Namen derjenigen, die sich bisher zu Redebeiträgen gemeldet haben: Als Nächster spricht Herr (Vereinzelt Heiterkeit) Dr. Röttgen, anschließend Herr Steenblock, Herr Funke, Frau Zypries, Herr Rüttgers, Herr Ob das richtig oder falsch ist, weiß ich nicht. Zumin- Kretschmann, Herr Professor Grimm und Herr dest für Berlin und Brandenburg werden wir ein Zu- de Maizière. – Herr Röttgen hat das Wort. sammengehen trotzdem noch probieren; ob es gelingt, werden wir dann sehen. Dr. Norbert Röttgen, MdB (CDU/CSU): Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts hat in Sehr geehrte Herren Vorsitzende! Meine Damen einem Artikel in der gestrigen Ausgabe der „FAZ“ den und Herren! Der Sinn dieser Sitzung besteht darin, die gesamten Bundesrat infrage gestellt und den Vorschlag Konkretisierung in der Sache etwas voranzutreiben. unterbreitet, einen Senat zu schaffen. Das ist eine inter- Ich versuche das, indem ich zu den Kompetenzen auf essante Ansicht. Aus diesem sehr umfangreichen Arti- der einen Seite und zu den Instrumenten, mit denen wir kel, den man in der Tat einmal lesen sollte, kann sich dann die Kompetenzen wahrnehmen wollen, auf der jeder etwas heraussuchen. Sicherlich sind Denkmo- anderen Seite etwas sage. delle in viele Richtungen diskussionswürdig, die zu vernünftigen Ergebnissen führen können. Zunächst zu den Kompetenzen: Die Subsidiarität ist angesprochen worden. Subsidiarität heißt nicht nur, Ich möchte hier keine langen Ausführungen ma- dass es Länder geben soll; vielmehr muss es einen Sinn chen, allerdings aus egoistischer Sicht noch einen machen, dass es Länder gibt. Es macht aber nur Sinn,

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Dr. Norbert Röttgen, MdB (A) wenn sie auch substanzielle Gestaltungsmöglichkeiten sem Bereich zu stärken, zumal mit der Schule ohnehin (C) haben. Sonst wäre Föderalismus eine leere Hülse. An- eine der verbliebenen Gesetzgebungskompetenzen der gesichts der Legislativkompetenzen der Länder sind Länder angesprochen wird. Es spricht demnach vieles wir nicht weit von der leeren Hülse entfernt; es gibt dafür, ihn zu komplettieren. Es muss darüber diskutiert – das ist eigentlich unbestritten – den Befund einer werden, inwieweit die Hochschule ein Feld darstellt, in sehr starken legislativen Auszehrung der Landtage. dem Wettbewerb funktionieren kann. Dann gibt es Also ist die Frage zu stellen: Welche Kompetenzen eben unterschiedliche Hochschulrechte und Hoch- und Kompetenzbereiche sind bei den Ländern anzusie- schulorganisationen und die Studenten werden eine deln? Das darf aber nicht nur aus Sympathie gesche- Auswahl treffen. Hier kann ein Wettbewerb unter- hen; vielmehr braucht man dafür gute Gründe. schiedlicher Modelle, ein Wettbewerb zwischen den Ländern funktionieren. Ich bin keiner, der sozusagen Im Übrigen, Herr Wowereit, werden Sie die guten konzeptionell von Wettbewerbsföderalismus spricht, Gründe niemals von den Lobbyverbänden erfahren; sie weil es eben beide Elemente gibt: Wettbewerb und So- sind immer für die Zentralkompetenz, ob es die Jäger, lidarität. Aber im Hochschulbereich gibt es ein ver- die Beamten oder die Forscher sind. Das hängt mit nünftiges Feld für Wettbewerb. Darum wäre neben Folgendem zusammen: Wenn man dezentralisiert, wer- dem staatlichen Eigenbereich die Zuständigkeit für den nebenbei auch die Machtverhältnisse in den Lob- Schule und Hochschule, für Bildung und Forschungs- byverbänden dezentralisiert. Da man Lobbyarbeit zen- förderung das zweite Markenzeichen der Länder; dies tral viel einfacher leisten kann, als wenn man wäre ein Bereich, in dem man substanziell Politik ma- 16 Adressaten hat, sind die Lobbyverbände wahr- chen kann. scheinlich nicht die richtigen Ansprechpartner, wenn man nach den guten Gründen für Gesetzgebungskomp- Der dritte Bereich, sicherlich auch ein Gegenstand etenzen auf der Ebene der Länder fragt. der Diskussion, betrifft eine Länderzuständigkeit, die Ich möchte jetzt nicht den ganzen Katalog durchde- deshalb Sinn macht, weil hier die örtliche Kompetenz klinieren, sondern lediglich drei Bereiche nennen, von der Länder zu aktivieren ist: An der sozialen Daseins- denen ich glaube, dass man fragen muss, inwieweit sie vorsorge und -fürsorge sind die Länder näher dran. Die sinnvolle Bereiche von Ländereigenstaatlichkeit und Strukturen in Bremen und Bayern, in Baden-Württem- eigener politischer Gestaltungsmöglichkeit der Länder berg und Mecklenburg-Vorpommern sind sehr unter- darstellen und ob diese Materie dort nicht besser unter- schiedlich. Warum muss das alles über einen Kamm gebracht ist; denn das muss der Maßstab sein. Die drei geschoren werden? Muss man nicht die Situation einer Bereiche, die ich nennen will, bilden keine abschlie- Stadt berücksichtigen, was die Ausgestaltung von So- (B) ßende Aufzählung. zialhilfe anbelangt? Muss es nicht in Bezug auf das (D) Sachleistungsprinzip bzw. das Geldleistungsprinzip, Der erste Bereich betrifft die Regelung des staatli- auf die Zumutbarkeit und andere Dinge im Sinne der chen Eigenbereichs. Damit fängt es eigentlich an: Gerechtigkeit geradezu unterschiedliche Regelungen Wenn wir die Länder ernst nehmen wollen, müssen wir geben, eben weil die Sachverhalte und die Strukturen sie in ihrem Charakter der Eigenstaatlichkeit ernst neh- unterschiedlich sind? Die Zuständigkeit der Länder für men. Das hat Konsequenzen. Wenn wir sagen, sie sol- die soziale Daseinsfürsorge kraft näherer örtlicher len ihre Eigenstaatlichkeit selber organisieren und re- Kompetenz ist also der dritte Bereich. Sie sind näher geln, dann ist nicht einsehbar, warum über das Recht am Menschen dran, um es einmal etwas weniger juris- des öffentlichen Dienstes, das Recht der Landesbeam- tisch zu formulieren; darum sollten sie auch zuständig ten, in Berlin entschieden werden muss. Warum muss sein. über das Recht der baden-württembergischen Landes- beamten in Berlin entschieden werden? Es ist eine ur- Ich spreche nur einen Gesichtspunkt an, der die eigene Aufgabe der Bundesländer, das Recht ihrer Kompetenzen des Bundes berührt. Es mag den einen Staatsdiener selber zu regeln und es nicht zentral ande- oder anderen Bereich geben, bei dem es sinnvoll ist, ren zu überlassen. Das ist ein sehr weit gehender Be- dass der Bund eine stärkere Kompetenz erhält; ich reich; der öffentliche Dienst macht im Schnitt glaube aber, diese sind nicht von substanziellem Ge- 40 Prozent der Landeshaushalte aus. Ich glaube, wenn halt. Ich möchte sozusagen nur eine negative Äuße- man konsequent ist, fängt es damit an. rung machen. Sie betrifft den Vorschlag im Hinblick auf die Zuständigkeit für die Umsetzung von EU- Außerdem hat dies Auswirkungen auf den Bereich Recht. Es ist in der Diskussion, dass die Haftung des der Verwaltung. Das, was man im Zusammenhang mit Bundes gegenüber der Europäischen Union für die den Zustimmungsrechten diskutiert – Art. 84 und 85 Pflicht zur Umsetzung von EU-Recht die Gesetzge- des Grundgesetzes –, eine relativ weit gehende Mög- bungszuständigkeit des Bundes begründen soll. Frau lichkeit des Bundes, den Ländern Verwaltungsverfah- Bundesministerin Zypries hat dies in Interviews ange- ren bis hin zur Einrichtung von Verwaltungsbehörden vorzuschreiben, unterminiert die Länder in ihrer eigen- sprochen. Dies halte ich wirklich für falsch. Dann ständigen Kompetenz, in ihrem Hausgut, dem Vollzug könnte man diese Kommission unter dem Gesichts- von Gesetzen. Also bedarf es einer größeren Gestal- punkt der Subsidiarität sofort wieder aufheben; denn tungsmöglichkeit bei der Verwaltung. angesichts der Masse an Gesetzen, die einen europäi- schen Ursprung haben – das betrifft wahrscheinlich im Der zweite Bereich umfasst die Schulen und Hoch- Durchschnitt jedes zweite, im Wirtschaftsrecht sind es schulen. Es spricht sehr vieles dafür, die Länder in die- um die 70 bis 80 Prozent –, hätten wir das Gegenteil

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Dr. Norbert Röttgen, MdB (A) der Zielsetzung dieser Kommission erreicht, wenn un- stimme Herrn Ministerpräsident Teufel ausdrücklich (C) abhängig von der innerstaatlichen Gesetzgebungszu- zu, dass die klare Zuordnung von Kompetenzen die ständigkeit immer dann, wenn eine europäische Richt- beste Lösung ist; denn unsere Leitlinien sind Subsidia- linie umzusetzen wäre, der Bund zuständig wäre. Dann rität, Transparenz und Entflechtung. Die klare Zuord- wäre die absolute Dominanz des Bundes in der Gesetz- nung von Kompetenzen ist ein Gebot der Transparenz. gebung institutionalisiert. Unsere Position ist: Bei der Darum müssen wir als Erstes versuchen, Kompetenzen Umsetzung von EU-Recht muss es bei der innerstaatli- klar zuzuordnen. Unsere derzeitigen Kompetenztitel chen Kompetenzordnung bleiben. müssen nicht so bleiben, wie sie sind. Vielleicht sagen wir beim Hochschulrecht: Das soll im Grunde und an Nun etwas zu den Instrumenten, zuerst zur Typolo- sich Landeskompetenz sein; aber wir schneiden ein gie der Gesetzgebung; darüber müssen wir reden. Jetzt Stückchen aus dem bisherigen Puzzle heraus und re- haben wir konkurrierende, ausschließliche und Rah- geln, dass der Bund die Grundsätze des Zugangs und mengesetzgebung. Ich will zwei, drei Gedanken zur des Abschlusses festlegen soll. Damit will ich Folgen- Rahmengesetzgebung äußern; man ist ja auf wenige des sagen: Wir können uns auch vorstellen, dass ein- Gesichtspunkte zum jeweiligen Thema reduziert. zelne Kompetenztitel neu geschnitten werden, dass Erstens. Weil von vielen der Vorschlag gemacht man sie enger oder weiter fassen kann. Wir sind nicht wird, die Rahmengesetzgebung abzuschaffen, will ich an den jetzigen Zuschnitt gebunden. diesen Vorschlag hier noch einmal mit Fragen verse- Zum Zugriffsrecht: Auch ich schließe überhaupt hen, die wir erörtern müssen: Ist es wirklich richtig, nicht aus, dass man am Ende auf dem Wege des Kom- sich von diesem Typus kooperativer Gesetzgebung zu promisses oder der Erkenntnis zu dem Ergebnis verabschieden, oder gibt es nicht Bereiche, in Bezug kommt, dass es Gegenstände gibt, die sinnvollerweise auf die wir sagen müssen, dass es bestimmte nationale als Zugriffsrechte begründet werden. Dennoch nutze Standards geben soll, dass aber, weil nicht alles natio- ich die Gelegenheit, grundsätzliche Bedenken zu arti- nal geregelt werden muss, auch Raum für länderspezi- kulieren, selbstverständlich nicht in dem Sinne, dass fische Ausgestaltungen bleiben soll? Schütten wir dort dieser Vorschlag damit dem Kompromiss entzogen ist; nicht das Kind mit dem Bade aus, wenn wir diese aber man muss wissen, was man tut. Wenn wir so et- Form der kooperativen Gesetzgebung streichen wol- was regeln, dann wird das wahrscheinlich ein paar len? Jahrzehnte im Grundgesetz stehen bleiben; man muss Zweitens glaube ich, die Diskussion leidet ein biss- es sich also überlegen. Ich nenne drei Bedenken gegen chen darunter und der Vorschlag wird dadurch moti- Zugriffsrechte: viert, dass man immer nur an die Gegenstände denkt, Erstens. Der Vorschlag in Bezug auf Zugriffsrechte (D) (B) die da jetzt geregelt sind. Gibt es nicht vielleicht an- ist ein politischer Kompromiss zwischen den Starken dere Bereiche, die jetzt durch die konkurrierende Ge- und den Schwachen. Die Starken sagen, wir können; setzgebung des Bundes geregelt werden und die man die Schwachen sagen, wir können es eigentlich nicht. sinnvollerweise in eine Rahmengesetzgebung überfüh- Bei Letzteren soll dann noch mehr Bundesrecht gelten ren könnte, wodurch ein Stück mehr Föderalisierung als bislang. Führt das nicht zu einem Zweiklassenföde- einträte? Man muss hier also folgende Fragen unter- ralismus? Führt das nicht dazu, dass wir Starke und scheiden: Wollen wir uns vom Typus Rahmengesetz- Schwache haben und den Starken mehr Regulierung gebung verabschieden? Sind die bisherigen Gegen- zugestanden wird, während der Bund für die Schwa- stände der Rahmengesetzgebung die richtigen? Es chen gleich alles reguliert? Bedeutet es nicht eine qua- scheint mir problematisch zu sein, sich von diesem Ty- litative Veränderung des Föderalismus, zwei Gruppen pus zu verabschieden. von Ländern zu haben, die starken und die schwachen? Der dritte Aspekt zu diesem Thema: Die Rahmen- gesetzgebung muss fallen, wenn man nicht sicherstel- Gegen die Bedenken, dies verändere den Föderalis- len kann, dass das, was der Bund macht, effektiv be- mus, könnte man einwenden, so sei es halt, derjenige, grenzbar und am Ende auch justiziabel begrenzbar ist. der wolle, könne auch; das betreffe sozusagen nicht Das Wort von Roman Herzog ist bekannt: Der Rahmen Stark und Schwach, sondern eine Option. Verändert ist so groß, man sieht kein Bild mehr. Kann man also aber diese optionale Struktur nicht den Föderalismus, den Bund in justiziabler Weise normativ veranlassen, unseren Bundesstaat, unsere Verfassung von einem ob- den Rahmen schmaler zu halten? Gibt es so etwas wie jektiven Ordnungssystem, in dem die Länder dann, eine Grundsatzgesetzgebung, bei der der Bund die wenn sie etwas regeln können, es auch regeln müssen, Grundsätze in bestimmten Bereichen vorgibt? Dadurch zu einem System subjektiver Rechte? Ist das ein Fort- würde der Bund in seiner Gesetzgebung effektiv und schritt? Ich glaube, nein; die Verfassung muss eine ob- justiziabel begrenzt, damit ein Spielraum für die Län- jektive Ordnung und darf keine Angebotsordnung sein. der bleibt; es bliebe dann jedoch auch die Möglichkeit Dies ist der erste, grundlegende Einwand: Wir bewe- der Kooperation. Wir sollten bei allen Gedanken des gen uns und verändern den Gedanken der Subsidiari- Wettbewerbs und der Subsidiarität die Notwendigkeit tät, wie er schon jetzt in der Verfassung steht; denn einer Kooperation von Bund und Ländern nicht außer dort, wo ein Zugriffsrecht begründet wird, sagt der Acht lassen. Verfassungsgeber, die Länder können es machen. Das ist damit implizit gesagt. Wenn es ein Zugriffsrecht Ich komme zu den Zugriffsrechten, der klaren Kom- gibt, dann sagt man: Diese Materie ist für Landesge- petenzverteilung und den Öffnungsklauseln. Ich setzgebung geeignet. Gleichzeitig wird, obwohl die

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Dr. Norbert Röttgen, MdB (A) Verfassung das sagt, eine Bundeskompetenz begrün- dass sich der Bundestag mit seiner demokratischen (C) det. Das ist ein enormer verfassungstheoretischer, kon- Mehrheit durchsetzen kann. zeptioneller Rückbau unserer derzeitigen Subsidiari- tätsverfassung. Ist das eigentlich mit unserer Danke sehr. Zielsetzung vereinbar? Vorsitzender Franz Müntefering: Der zweite Einwand ist finanzverfassungsrechtli- Vielen Dank. – Sie haben eine Fragestellung aufge- cher Art. Wir diskutieren über die Zusammenlegung griffen, zu der ich einige Sätze sagen möchte. Wenn von Aufgaben- und Ausgabenverantwortung. Das Pro- man schon ein Mikrofon hat, sollte man davon auch blem des Föderalismus ist nicht nur, dass er vermischt, Gebrauch machen; das stammt von Tucholsky, glaube was getrennt gehört; vielmehr trennt er auch, was zu- ich. sammengehört. Ich bin der Auffassung, Verantwortung für die Entscheidung und für die Finanzierung der Ent- Es geht um die Frage, ob wir die Art und Weise, wie scheidung gehört zusammen. Mit einem Zugriffsrecht wir unsere Demokratie organisieren, zum entscheiden- können Sie dieses so genannte Konnexitätsprinzip den Gegenstand unserer Debatte machen oder ob wir nicht mehr in Übereinstimmung bringen. Das heißt, uns Gedanken darüber machen, welche gesellschafts- diese finanzverfassungsrechtliche Veränderung des Fö- politischen Herausforderungen wie am besten organi- deralismus kann man mit unserer Kompetenzregelung siert werden können. Darauf werden wir immer sto- nicht in Übereinstimmung bringen; jedenfalls gibt es ßen; dies ist klar geworden, als Sie über die Fragen der Probleme. Bildung und der Forschung gesprochen haben. Man könnte andere Politikbereiche hinzunehmen, etwa die Meine nächste Bemerkung ist eine pragmatische: Mobilität im Lande und die Wirtschaftsförderung. Wir Wir diskutieren, die Rahmengesetzgebung abzuschaf- müssen dabei aber sehr aufpassen, dass wir bei einer fen, weil man zwischen Bund und Ländern nicht mehr Neuaufteilung nicht nach Zuschnitten suchen, die zwar abgrenzen kann. Wird bei der Zugriffsgesetzgebung scheinbar ideal sind, möglicherweise aber in dem ei- nicht das Gleiche passieren? Wie viel Zugriff ist mög- nen oder anderen Politikbereich große Probleme bei lich? Verträgt sich die Landesregelung mit der Bundes- der Umsetzung hervorrufen. Dies zeigt nur, wie kom- regelung? Das werden Gerichte auslegen. Gibt es da- pliziert die Angelegenheit ist. bei Friktionen? Ist das eine konsistente Regelung? Was geschieht, wenn ein Land zu 60 Prozent von der Mög- Ich glaube nicht, dass wir in dieser Kommission in lichkeit, zu regulieren, Gebrauch macht? Ist der Rest der Lage sein werden, eine Debatte darüber zu führen, eine Lücke, eine gewollte Lücke? Wie ist das zu inter- wie idealerweise in Deutschland oder gar in Europa die (B) pretieren? Greift der Bund ein? Führt uns das also Forschungs-, Bildungs-, Verkehrs- oder Wirtschafts- (D) nicht in das gleiche Elend, von dem wir uns gerade förderungspolitik demnächst organisiert sein soll. durch den Abschied von der Rahmengesetzgebung be- Gleichwohl muss dies eine Rolle bei dem spielen, wor- freien wollen? über wir uns hier Gedanken machen. Eine letzte kurze Bemerkung zu den Zustimmungs- Ich habe keine Antwort auf diese Fragen und will rechten: Ich kann mich nur Herrn Ministerpräsidenten nur deutlich machen, dass man bei dem Punkt, den Sie, Teufel und dem Kollegen Wilhelm Schmidt anschlie- Herr Röttgen, im Zusammenhang mit Bildung und ßen. Ich halte es für dringend geboten, die Ingerenz- Forschung angesprochen haben, über die idealtypische möglichkeiten der Art. 84 und 85 des Grundgesetzes Organisation der Demokratie sprechen kann. Aller- zu beschneiden. Es gibt ja für Fälle, in denen es ange- dings könnte man das Thema auch über die Frage an- bracht ist, speziell geregelte Möglichkeiten des Bun- gehen, wie man die Ziele, die man aus nationalen desvollzuges. Aber die Regelung in den Art. 84 und 85 Gründen verfolgt, etwa das der gleichwertigen Lebens- des Grundgesetzes ist für rund die Hälfte der Fälle ver- verhältnisse in Deutschland, am besten erreichen kann. antwortlich, in denen Bundesgesetze zustimmungsbe- Herr Steenblock, dann Herr Funke. dürftig sind. Weil der Bund das Verwaltungsverfahren und die Einrichtung von Verwaltungsbehörden regelt, löst dies die Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzes Rainder Steenblock, MdB (BÜNDNIS 90/DIE aus, und zwar nach der Rechtsprechung des Bundes- GRÜNEN): verfassungsgerichts für das gesamte Gesetz. Meine Herren Vorsitzenden! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Wowereit hat am Anfang sei- Dies bedeutet erstens, dass die Länder in ihrem ner Ausführungen deutlich gemacht, dass es in diesem Hausgut, selbst zu verwalten, durch den Bund bevor- Kreise sehr unterschiedliche subjektive Erwartungen mundet werden. Warum eigentlich und mit welchem gibt. Auf der anderen Seite ist uns wohl allen die ob- Recht? Zweitens ist dies für die hohe Zahl der Zustim- jektive Bedeutung der Arbeit klar, die wir hier zu leis- mungsrechte des Bundesrates verantwortlich. Wenn ten haben. Der deutsche Föderalismus organisiert wir hier entweder zu einem Streichen dieser Möglich- keine moderne bundesstaatliche Ordnung mehr, son- keit oder zumindest dazu kommen, dass der Bund nur dern er läuft Gefahr, einen zähen, intransparenten ausnahmsweise die Möglichkeit hat, Verwaltungsver- Staatsapparat mit sich gegenseitig blockierenden poli- fahren und die Einrichtung von Behörden der Länder tischen Ebenen zu erzeugen. Dies merken die Men- zu regeln, wäre dies ein erheblicher Fortschritt für den schen in unserem Lande. Wenn man mit ihnen spricht, Wettbewerb im Vollzug von Bundesrecht sowie dafür, stellt man fest, dass sie nicht zufrieden sind; vor allen

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Rainder Steenblock, MdB (A) Dingen sind sie überhaupt nicht zufrieden, wenn das Das erste Problem ist das gravierendste, weil hier (C) Ganze bei den Politikern in eine Gemeinschaftsauf- politische und gesetzgeberische Lösungen am wenigs- gabe „Gegenseitige Schuldzuweisung“ mündet. ten leicht sind: die Strategiebildung in der Umsetzung von Politik in Europa. Wir haben nach meiner Auffas- Im Verlauf des Arbeitsprozesses, den wir hier orga- sung ein Defizit – ich mache es nicht parteipolitisch nisieren, müssen wir in der Lage sein, uns von den fest – in der Wahrnehmung nationaler Interessen in eu- Bänken zu lösen, von denen man uns hierher delegiert ropäischen Zusammenhängen. Dies hat etwas mit un- hat. Wenn wir uns jeweils nur als Lobbyisten einer seren Strukturen, aber auch mit dem Verständnis unse- Landesregierung, des Bundestages, der Bundesregie- rer Strukturen zu tun. Der Europäische Rat wird noch rung oder eines Landesparlaments verstehen, dann in diesem Jahr über die europäische Wachstumsinitia- können wir diesen Prozess sofort aufgeben, dann wer- tive entscheiden, ein Milliardenprojekt, bei dem es um den wir hier nicht den Erfolg haben, den unser Land Verkehrsinfrastruktur und Energienetze, aber auch um objektiv braucht. Wir alle wissen, wie schwierig Lö- die Wissensgesellschaft, also um Mittel für Bildung sungen für die gegenwärtige politische Situation sind. und Forschung, und um Technologieprojekte wie Wir sind uns auch sehr einig, dass eine Entflechtung Breitbandkabel geht, die von zentraler Bedeutung für und die eindeutige Zuordnung von Aufgaben – dies unser Land sind. An dieser Stelle müssen wir uns über wurde auch schon von meinen Vorrednern dargestellt – Parteigrenzen hinweg in die Lage versetzen, unsere In- notwendig sind. teressen in diesem großen Europa, in dem eine Interes- Ich füge noch zwei für mich wichtige Sekundärtu- senvertretung schwieriger sein wird, wirkungsvoll zu genden hinzu, die wir in diesem Prozess nicht verges- vertreten. Wir bekämen in Deutschland ein riesiges Le- sen sollten: Erstens geht es um Effizienz. Wir brauchen gitimationsproblem, wenn uns dies nicht gelänge. Da- als Ergebnis also einen Staat, der seine Aufgaben her müssen wir bei der Neuverteilung der Aufgaben schneller und effizienter erledigen kann. Zweitens zwischen Bund und Ländern auch bedenken, was dies strebe ich angesichts der Haushalte, die wir alle auf für die Zukunft unserer Gesellschaft bedeutet. Bundes- und Landesebene zu verantworten haben, eine Das Zweite: Wir haben durch die europäische Ver- Struktur an, die kostengünstiger oder zumindest nicht fassung die Aufgabe der Subsidiaritätskontrolle. Dafür kostspieliger ist. Auch darum sollten wir uns dabei haben sich die Länder sehr eingesetzt; es ist ein Erfolg, kümmern. dass diese Kontrolle in die europäische Verfassung Eine der Kernfragen, die wir zu beantworten haben, aufgenommen werden soll. Diese Kontrolle muss aber ist folgende: Die Länder und deren Parlamente brau- innerhalb von sechs Wochen in den nationalen Parla- chen mehr Spielraum, um die an die Bedingungen ih- menten erfolgen. Angesichts unserer staatlichen Struk- (D) (B) rer Region angepassten Lösungsansätze entwickeln zu turen auf Bundes- und Länderebene können wir dieses können. Auch darf die in den Ländern vorhandene po- Recht, das wir uns erkämpft haben, aber überhaupt litische Innovationskraft nicht weiter blockiert werden. nicht wahrnehmen, weil ein Widerspruch in diesen Jeder, der in einem Landtag sitzt, weiß ja, wie groß die sechs Wochen – jedenfalls so, wie es bisher läuft – Frustration der Landtagsabgeordneten darüber ist, dass nicht realisiert werden könnte. Auch dies müssen wir – sicherlich auch aufgrund der finanziellen Situation – bedenken, wenn es darum geht, vonseiten des Bundes nur relativ wenige Gestaltungsspielräume gegeben oder der Länder auf die europäische Gesetzgebung sind. Wir brauchen wieder originäre Zuständigkeiten Einfluss zu nehmen, die uns sehr stark beeinflusst. in den Ländern, die ihnen auch einen politischen Ge- Der dritte Bereich ist die Umsetzung dieser Gesetze staltungsraum geben. Deshalb ist der Gestaltungsföde- auf Bundes- und Landesebene. Deutschland belegt in ralismus eine der zentralen Aufgaben, an die wir hier den Ranglisten der EU für die Umsetzung europäi- herangehen müssen. schen Rechts nicht gerade einen der ersten Plätze. Das Aber wir brauchen auch einen fairen Wettbewerb hat etwas mit unserer föderalen Struktur zu tun, wenn um Qualität in der Politik, um die richtige Aufgaben- auch nicht allein; denn Frankreich steht in diesen Lis- wahrnehmung. Das bedeutet im Ergebnis, dass struk- ten zumeist noch hinter uns. Trotzdem müssen wir ei- turschwache Regionen in der Lage bleiben müssen, ih- nen Prozess organisieren, in dem diese Umsetzung von ren Aufgaben verantwortungsvoll nachkommen zu europäischer Gesetzgebung zwischen Bund und Län- können, und dass der Wettbewerb, der in bestimmten dern so koordiniert wird, dass es zum einen natürlich Politikbereichen zu organisieren ist – ich wiederhole transparent ist, zum anderen aber effizienter als bisher nicht, was dazu bereits gesagt wurde –, nicht ohne So- geschieht. Ich spreche dies als ein Problem an, ohne lidarität möglich ist. Der Ellbogen darf also nicht das hier den Versuch zu unternehmen, es parteipolitisch zu wichtigste Instrument des Wettbewerbsföderalismus bewerten. Für dieses Problem müssen wir eine Lösung sein. Vielmehr geht es um Solidarität; dazu hat Herr finden, zumal hierfür Ressourcen in unseren Verwal- Kollege Röttgen bereits Richtiges gesagt. tungen, wie ich meine, bislang vergeudet werden. Ich möchte einen Punkt vertiefen, der aus meiner Zum Schluss möchte ich noch einen Gedanken zur Sicht bisher ein bisschen zu kurz gekommen ist. Wir Subsidiarität vortragen. Subsidiarität ist ein Begriff, den können nicht über die Neuordnung der Beziehungen wir gern in Sonntagsreden verwenden – insbesondere zwischen Bund und Ländern sprechen, ohne die Ein- dann, wenn wir uns auf kommunaler Ebene mit den flüsse Europas mit zu bedenken und zu besprechen. Bürgerinnen und Bürgern unterhalten – und der häufig Ich mache dies an drei Beispielen deutlich. so verstanden wird, dass die untere Ebene möglichst

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Rainder Steenblock, MdB (A) viele Kompetenzen haben soll. Wenn wir mit diesem Konkurrenz willen, sondern zur Optimierung staatli- (C) Begriff ehrlicher umgehen wollen, dann müssen wir zu chen Handelns im Interesse der Menschen, zur Moder- einer problemadäquaten Lösungsstrategie kommen. nisierung der einzelnen Länder, für politische und öko- Wir müssen die Entscheidungskompetenz und die Zu- nomische Innovation sowie natürlich für ortsnahe ständigkeit dort organisieren, wo eine problemadäquate Problemlösungen. Lösung am besten gelingt. Das ist nach meinen Erfah- Die Neuverteilung der Gesetzgebungskompetenzen rungen – ich kenne die politischen Strukturen zumin- muss auf der anderen Seite so sinnvoll gestaltet werden, dest von der Gemeinde über den Kreis und das Land bis dass hinsichtlich der Zuständigkeiten kein Flicken- hin zum Bund – nicht immer die untere Ebene; sie ist teppich entsteht; sie müssen dort angesiedelt werden, auch nicht immer die bürgerfreundlichste Ebene. Dazu wo sie hingehören. Wir wollen nicht zurück zu der Zeit gehört aber, dass man unter dem Subsidiaritätsbegriff des Norddeutschen Bundes oder gar in die Zeit davor, auch diskutieren muss, welche Ebene demokratisch am also vor 1856. Dabei kann auf die Figur der konkurrie- besten legitimiert ist, um die Entscheidung zu treffen. renden Gesetzgebung nicht verzichtet werden. Dies zusammenzuführen ist eine der großen Aufgaben, denen wir gerecht werden müssen. Dabei wünsche ich Eine Durchsicht der entsprechenden Artikel im uns viel Erfolg. Grundgesetz verdeutlicht auch, dass eine Übertragung der einzelnen Materien in Art. 74 auf die Länder nicht Vorsitzender Franz Müntefering: losgelöst von der notwendigen Neuordnung der Fi- Vielen Dank, Herr Steenblock. – Herr Funke. nanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern zu be- werkstelligen ist. Die Rückgabe von Kompetenzen des Bundes an die Länder führt zwar zur Stärkung deren Rainer Funke, MdB (FDP): Eigenständigkeit, ist aber auch mit erweiterter finanzi- Meine Herren Vorsitzenden! Meine Damen und eller Verantwortung verbunden, da die mit den Kom- Herren! Herr Kollege Dr. Röttgen hat zu Recht darauf petenzen verbundenen Aufgaben aus eigener Kraft, aufmerksam gemacht, dass seit einiger Zeit die Trans- also ohne finanzielle Hilfe des Bundes oder anderer parenz und die Effektivität politischen Handelns auf Länder, zu erfüllen sind. Eine sinnvolle Ausgestaltung dem Prüfstand der öffentlichen Wahrnehmung stehen. von Gesetzgebungskompetenzen kann in diesem Zu- Der verfassungsmäßige Grundgedanke des Föderalis- sammenhang nur mit der Wahrung des Konnexitäts- mus in Deutschland muss daher neu überdacht werden; prinzips bei der Kostenverteilung erfolgen. das ist die Aufgabe dieser Kommission. Auch die Rahmenkompetenz in Art. 75 des Grund- Das im Grundgesetz festgelegte Verhältnis zwi- gesetzes sollte für einzelne Sachgebiete – darauf hat (B) schen dem Bund und den Ländern bedarf dieser Föde- Herr Kollege Dr. Röttgen zu Recht aufmerksam ge- (D) ralismusreform. Dies gilt insbesondere für die Zustän- macht – nicht gänzlich abgeschafft werden, um einer digkeit im Bereich der Gesetzgebung. Es muss eine zu großen Rechtszersplitterung entgegenzuwirken. klar strukturierte Trennung und Neuverteilung der Ge- Rahmengesetze sollten sich aber tatsächlich darauf be- setzgebungskompetenz erfolgen. Die Kompetenzver- schränken, nur den äußeren Handlungsrahmen festzu- teilung muss nach der strikten Maßgabe des Subsidia- legen. Wo Einheitlichkeit wirklich unabdingbar ist, ge- ritätsprinzips neu geordnet werden, auch wenn Sie, nügt in vielen Fällen eine Rahmengesetzgebung des Herr Steenblock, das eben etwas relativiert haben. Nur Bundes, die sich auf die vereinheitlichungsbedürftigen so können wir die Eigenstaatlichkeit der Länder wah- Aspekte beschränkt und nicht alle Einzelheiten zentral ren. Nach dem Gedanken des Grundgesetzes sollen die regelt. Auf vielen Gebieten ist einheitliches Bundes- Länder grundsätzlich das Recht der Gesetzgebung in- recht nicht erforderlich; vielmehr verhindert es ein den nehaben, soweit nicht das Grundgesetz dem Bund Ge- öffentlichen Verhältnissen angepasstes, wirksames und setzgebungskompetenz verleiht. Faktisch ist es heute flexibles Landesrecht. jedoch gerade umgekehrt; das ist schon mehrfach er- wähnt worden. Mit der Stärkung der Gesetzgebungszuständigkeit der Länder muss ein Rückzug der Länder auch aus ihrer Es bestehen natürlich Verflechtungen, die politi- Mitgestaltung von Bundesrecht über den Bundesrat ver- sches Handeln in zunehmendem Maße einschränken. bunden sein. Die Länder sind durch die Zustimmungs- Ziel ist es, die Bereiche der Gesetzgebung klar trenn- gesetze immer mehr in der Lage, Entscheidungen des bar dem Bund oder den Ländern zuzuweisen. Es geht Bundestages zu verzögern und zu beeinträchtigen. Da- nicht darum, Kompetenzen der einen oder der anderen her muss der hohe Anteil der zustimmungsbedürftigen Seite zu beschneiden, sondern darum, die Kompeten- Gesetze so gemindert werden, dass sich die Zustim- zen dort neu zuzuweisen, wo die jeweils infrage ste- mungsbedürftigkeit nach Art. 84 Abs. 1 des Grundge- hende Materie im Interesse der größtmöglichen Effek- setzes nur auf diejenigen Teile von Bundesgesetzen be- tivität am besten geregelt werden kann. Dabei geht es zieht, die die Interessen der Länder tatsächlich nicht um die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse, berühren. wie es häufig und gern gesagt wird, sondern um eine regional bezogene Vielgestaltigkeit bzw. Unterschied- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. lichkeit der Lebensverhältnisse gemäß den Präferenzen der jeweiligen Bevölkerung und sonstiger Beteiligter, Vorsitzender Franz Müntefering: beispielsweise der Wirtschaft. Ziel ist eine Konkurrenz Vielen Dank, Herr Funke. – Frau Ministerin der Länder als staatliche Teileinheiten nicht um der Zypries, danach Herr Rüttgers.

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(A) Bundesministerin Brigitte Zypries (BMJ): nicht ausschließen, die kleinen Länder brauchten es (C) Herr Vorsitzender! Herr Co-Vorsitzender! Meine nicht, sie könnten das Gesetz des Bundes übernehmen, Damen und Herren! Es ist jetzt schon vieles gesagt aber die großen Länder müssten eigene Gesetze ma- worden. Deshalb stelle ich meine Grundsatzerwägun- chen können. Dies entspricht nicht dem Föderalismus, gen hintan und beziehe mich auf den Redebeitrag von wie er uns vorschwebt, es sei denn, wir zielten à la Herrn Schmidt, der im Wesentlichen das gesagt hat, longue auf eine andere Struktur ab. Das heißt ja doch was auch die Grundposition der Bundesregierung ist. nichts anderes, als dass diese kleinen Länder als An- Ich will also lediglich einige Anmerkungen machen. hängsel des Bundes fungieren, während sich die gro- ßen Länder vollkommen anders aufbauen. Daher emp- Zunächst zu Art. 84 und der Frage, wie die Zahl der fehle ich, dem Gedanken des Zugriffsrechts, den Herr zustimmungsbedürftigen Gesetze zurückzuführen ist. Teufel auch nur an die zweite Stelle gestellt hat, eine Ich habe dazu bereits in der konstituierenden Sitzung Absage zu erteilen, und weise darauf hin, dass es aus etwas gesagt und wiederhole hier einen Gesichtspunkt. Sicht der Bundesregierung sehr viel besser wäre, eine Henning Scherf hatte bei dieser Sitzung den Vorschlag klare Zuordnung von Kompetenzen zu finden und ein gemacht, die jetzt bestehende Zustimmungspflicht verfassungsgemäßes Zugriffsrecht allenfalls als Option durch andere Kriterien zu ersetzen. Beispielsweise zu diskutieren. sollten die Länder immer dann zur Zustimmung aufge- Zu der Variante, dass man, wie Herr Teufel vorge- rufen sein – so sagte er damals, wenn ich es richtig in schlagen hat, Art. 72 Abs. 3 ergänzt, sage ich: Wir soll- Erinnerung habe –, wenn sie in irgendeiner Weise fi- ten erst einmal mit dem anfangen, was bis jetzt in der nanziell belastet werden bzw. wenn es um Infrastruk- Verfassung steht. Nach meiner Kenntnis liegt der Ge- turmaßnahmen geht. Davor warne ich. Nach meiner setzentwurf, den Bayern seinerzeit zur Änderung des Auffassung brauchen wir in der Tat eine Zurückfüh- Art. 72 Abs. 3 eingebracht hat, nach wie vor im Bun- rung auf die Punkte, bei denen es um die Verwaltungs- desrat und wird nicht weiter behandelt. Es gibt also verfahren bzw. die Einrichtung von Behörden geht. – zumindest bisher – keine Einigkeit unter den Län- Die Idee, die hinter dieser Verfassungsnorm steckt, ist dern, wo denn die Notwendigkeit einer eigenen Ge- doch richtig: Der Bund macht die Gesetze und die Län- setzgebungskompetenz gesehen wird. der führen sie aus, weil man keine Bundesverwaltung haben wollte. Wenn wir uns über diesen Grundsatz Mich stört immer ein bisschen – dies klingt jetzt nach wie vor einig sind – darüber können wir ja disku- vielleicht an –, dass das Reden über mehr Gesetzge- tieren –, dann muss es auch dabei bleiben, dass die bungskompetenzen und das Ausüben derselben nicht Länder hier zustimmen sollten, soweit sie betroffen unbedingt immer kongruent ist. Wenn wir uns unter sind, sonst aber nicht. Insoweit halte ich die Idee, jetzt der Überschrift „mehr Wahrheit und Klarheit durch (D) (B) ein anderes Kriterium einzuführen, nicht für richtig. Änderung der Verfassung“ zusammentun, dann sollten wir auch in unserer Diskussion dieser Wahrheit und Ein anderer Gesichtspunkt, den ich ansprechen Klarheit zum Durchbruch verhelfen. Ich will ja nicht möchte, ist hier schon mehrfach genannt worden. Viele sagen, dass man es nicht auch ändern kann, wenn man meiner Vorredner haben die Bereitschaft der Länder sich in die Hand verspricht, es in Zukunft ändern zu zur Schaffung von abweichenden Gesetzen und eigen- wollen. Aber die Optionen, die die letzte Verfassungs- ständigen Regelungsnormen sehr hoch gelobt. Ich er- änderung den Ländern insoweit gegeben hat, sind bis- laube mir, ein bisschen Wasser in den Wein zu gießen, her überhaupt nicht ausgenutzt worden. Darüber soll- und bringe den Gesichtspunkt in die Debatte ein, dass ten wir dann auch einmal reden. eine eigene Gesetzgebungskompetenz der Länder nach meinem Dafürhalten dann nicht richtig ist, wenn fest- Hinsichtlich der Frage der EU-Tauglichkeit sollten zustellen ist, dass sie sich im Wesentlichen auf Muster- wir uns in diesem Kreise darauf verständigen, eine Be- gesetzentwürfe verständigen und die Gesetzgebung in standsaufnahme zu machen, ob sich die Teilhabe der gleicher Weise vornehmen. Hier stellt sich die Frage, Länder an der Außenvertretung in Brüssel aufgrund woraus sich das Bedürfnis nach einer Länderkompe- des neuen Art. 23 tatsächlich bewährt hat und wie die tenz ergibt, wenn sozusagen dasselbe in Grün heraus- Abstimmung zwischen den Ländern in Europaangele- kommt, was man ansonsten durch ein Bundesgesetz genheiten funktioniert. Ich muss gestehen, dass ich erreicht, zumal ein höherer Aufwand erforderlich ist, darüber zu wenig weiß; ich weiß nur, wie es im Rah- wenn sich 16 Länder miteinander abstimmen, um sich men der Innenministerkonferenz funktioniert. Daher auf einen Mustergesetzentwurf zu verständigen. Dafür hielte ich es für vernünftig, wenn die diesbezüglichen gibt es viele Beispiele, die ich jetzt nicht alle im Ein- Aktivitäten einmal evaluiert würden, damit wir hier zelnen aufzählen will. Daher sollte die Überlegung in wissen, worüber wir reden. Ich rege an, dass die Vorsit- den Vordergrund gerückt werden, den so genannten zenden einen solchen Auftrag erteilen; denn für die Wettbewerbsföderalismus in einem guten Sinne zu Frage, wie man die Vertretung Deutschlands in Brüssel stärken und zu sagen, es müsse möglich sein, eigen- organisiert, ist es wichtig, zu wissen, was es jetzt schon ständige Gesetze zu verabschieden. gibt. Damit komme ich zu einem zweiten Gesichtspunkt, Vielen Dank. den Herr Teufel in seinen Eingangsworten angespro- chen hat, nämlich zum Zugriffsrecht und zu der Bedeu- Vorsitzender Franz Müntefering: tung der kleinen und der großen Länder. Herr Teufel Auch ich danke Ihnen. – Das Wort hat jetzt Herr hat gesagt, er möchte das Zugriffsrecht der Länder Rüttgers. Bitte schön.

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(A) Dr. Jürgen Rüttgers, MdL (Nordrhein-Westfalen) Herr Müntefering, ich nehme eine Zwischenbemer- (C) (CDU): kung von Ihnen auf: Natürlich ist es nicht Aufgabe die- Meine Herren Vorsitzenden! Werte Kolleginnen und ser Kommission, die Welt neu zu ordnen und alle Fra- Kollegen! Der Deutsche Bundestag und der Bundesrat gen dieser Welt neu zu regeln. Aber ich glaube, es ist haben diese Kommission eingesetzt. Haben sie das ge- etwas zu wenig – Frau Zypries, das gilt auch für Ihre tan, um über irgendwelche Marginalien im Verhältnis Anmerkungen –, nur zu sagen: Wir schauen einmal, ob von Bund und Ländern zu reden? Oder ist es nicht wir eine bestimmte Kleinigkeit von A nach B oder von Aufgabe dieser Kommission, darüber nachzudenken, B nach A schieben können und ob dies unter dem wie die Probleme, die viele Menschen in diesem Land Strich austariert ist. Vielmehr gilt es, inhaltliche Fra- sehen, besser gelöst werden? Viele Menschen – so gen zu beantworten. Ich kenne niemanden in der Poli- sehe ich es zumindest – haben das Gefühl, dass es un- tik, der nicht abends auf Veranstaltungen oder in Inter- klare Zuständigkeiten von Bund und Ländern gibt und views darüber philosophiert, dass wir in einer dass sich vieles in unserem Staat in einem System or- Zeitenwende leben, dass sich ungeheuer viel ändert ganisierter Unverantwortlichkeit abspielt. Das bedeu- und dass unser System inzwischen offensichtlich an tet, dass viele bei allem mitreden, es aber für den Bür- der einen oder anderen Stelle Defizite hat, zum Bei- ger ungeheuer schwer ist, festzustellen, wer eigentlich spiel bei der Reaktionsgeschwindigkeit, also in der die Verantwortung trägt. Es geht nicht um Marginalien, Frage, ob wir auf Veränderungen zeitnah reagieren sondern im Kern darum, dass die Bürger wieder erken- können. Dies gilt auch für die von mir eben angespro- nen können, wer für welche Entscheidung die Verant- chene Frage, wer die Verantwortung trägt. Angesichts wortung trägt. Das ist eine Frage der Zukunft und Ak- dessen muss man natürlich pragmatisch an das Thema zeptanz der Demokratie und des Vertrauens der herangehen und wissen, dass es unterschiedliche Auf- Menschen in die Politik und die Parteien. fassungen gibt. Ich mache mir nicht die These, die eben schon einmal eine Rolle gespielt hat, zu Eigen, Als jemand aus einem Landtag, der in dieser Kom- dass das Sein das Bewusstsein bestimmt; vielmehr ist mission mitarbeiten darf, habe ich mir natürlich auch es unser Job, dafür zu sorgen, dass das Bewusstsein die Frage gestellt, was ich hier zusammen mit den Kol- das Sein bestimmt. Wenn wir nämlich wissen, dass es leginnen und Kollegen erreichen möchte. Es geht – das besser werden muss, dann müssen wir es auch besser ist mehrfach angesprochen worden – um die Entflech- machen; anderenfalls versagen wir. tung von Zuständigkeiten, um den Abbau von Mischfi- nanzierungen und um die Zurückführung von Gemein- Eben ist von der Bundesjustizministerin über das schaftsaufgaben. Aus meiner Sicht geht es auch darum Thema Zugriffsrecht gesprochen worden; andere haben – das sage ich zu dem, was Herr Kollege Schmidt eben dies ebenfalls aufgenommen. Ich habe zur Kenntnis ge- (B) im Hinblick auf die Landtage ausgeführt hat –, dass die nommen, dass zum Beispiel die Ministerpräsidenten (D) Rechte, nicht zuletzt die Mitwirkungsrechte, der Land- bei ihren Erörterungen in der Ministerpräsidentenkon- tage gestärkt werden. Das ist keine Aufgabe, die nur in ferenz gesagt haben, dies könne ein Kompromiss zwi- die Auseinandersetzung zwischen dem jeweiligen schen den unterschiedlichen Auffassungen sein. Ich Landtag und der Landesregierung gehört; denn die habe zur Kenntnis genommen, dass die Vertreterin der Wahrheit ist einfach folgende: Wenn es keine Kompe- Bundesregierung hier erklärt hat, sie sei anderer Auf- tenzen gibt, kann man sich auch nicht darüber streiten, fassung und spreche sich dagegen aus. Von anderen ob die Kompetenzen mehr von der Regierung oder habe ich, weil man darüber in sachlicher Weise disku- mehr vom Parlament wahrzunehmen sind. Insofern tieren will, Anfragen gehört, welche Konsequenzen geht es schon um mehr, wie ja etwa auch die Auseinan- dies habe. dersetzung der Länder über Europa und die Einführung des Art. 23, die eben vom Herrn Vorsitzenden ange- Im Konkreten beziehe ich mich jetzt darauf, dass sprochen worden ist, wieder zu unseren Themen ge- eine Lösung einer solchen Frage auch in Folgendem zu hört; dies zeigt die erneute Diskussion. sehen sein kann: Wenn es richtig ist, dass wir alle eine Entflechtung der Zuständigkeiten von Bund und Län- Nun habe ich den Eindruck, dass nicht nur hier, son- dern wollen, dann sollten wir darüber nachdenken, ob dern auch mit Blick auf die öffentliche Diskussion Fol- man direkt auf das Zugriffsrecht springen muss oder gendes gilt: Je allgemeiner die Formulierung ist, desto ob man nicht zunächst einmal dazu kommen sollte, zu mehr Konsens gibt es und je konkreter man wird, desto sagen: Das Beste wäre es, wenn die Zuständigkeiten mehr Dissens gibt es. Vielleicht hat dies einfach etwas im Sinne einer ausschließlichen Gesetzgebung klar mit Politik zu tun, weil es hier nicht darum geht, ir- und eindeutig zugeordnet wären. Also wäre eine Dis- gendwelche Gutachten zu schreiben oder Kommentare kussion über die Frage zu führen, ob es Möglichkeiten zum bestehenden oder zukünftigen Grundgesetz oder gibt, mehr Gesetze, die heute Gegenstand der konkur- zum Verhältnis von Bund, Ländern und Europa unter rierenden Gesetzgebung und der Rahmengesetzgebung Einbeziehung der Interessen der Kommunen abzuge- sind, der ausschließlichen Zuständigkeit von Bund ben, sondern weil es in Wahrheit auch um Machtfragen oder Ländern zuzuordnen, was zu den bekannten Kon- geht. Es geht um die Frage, ob irgendjemand bereit ist, sequenzen hinsichtlich der Finanzen führen würde, etwas abzugeben, und irgendjemand anderer bereit ist, wozu ich jetzt nicht im Einzelnen Stellung nehme. etwas anzunehmen; denn die Übernahme von Verant- wortung ist nicht immer nur angenehm, sondern kostet Ein zweiter Punkt: Jeder, der hier dazu gesprochen vielleicht auch Geld. Insofern ist das, was hier ge- hat, aber auch viele in der Literatur sagen, eines der schieht, hoch politisch. großen Probleme sei, dass immer dann, wenn in einem

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Dr. Jürgen Rüttgers, MdL (Nordrhein-Westfalen) (CDU) (A) Bundesgesetz irgendeine Verwaltungsregelung steht, der nehmen, wenn man in die Materie hineingeht, wo- (C) sofort eine Zustimmungspflichtigkeit gegeben ist. Nun durch man einen weiteren Schritt nach vorn kommt. habe ich selber – es war zugegebenermaßen schon im letzten Jahrtausend – einige Jahre Gelegenheit gehabt, Eine abschließende Bemerkung: Ich bin hierher ge- in der Bundesregierung Gesetze zu entwerfen und den kommen, weil ich mich einbringen und etwas bewegen Versuch zu unternehmen, sie sowohl im Bundestag als will; das geht sicherlich allen so. Deshalb habe ich auch im Bundesrat mehrheitsfähig zu machen. Ich sage auch keine Probleme damit, wegen des Zeitdrucks jetzt nichts zu dem, was Herr Kollege Schmidt zu der häufiger zu kommen und viel zu arbeiten; im Gegen- Diskussion in der heutigen Bundesratssitzung gesagt teil, ich freue mich darauf. Ich habe auch mit Freude hat, weil ich nicht glaube, dass dies sehr hilfreich war. zur Kenntnis genommen, dass zwei Arbeitsgruppen Ich erinnere mich an eine Zeit – wie gesagt, im letzten eingesetzt und „Kleeblätter“, Obleute, Sprecher, Koor- Jahrtausend –, als dies auch schon andersherum disku- dinatoren usw. installiert worden sind. Ich möchte nur anmerken, Herr Vorsitzender, dass ich mir vorbehalte, tiert worden ist. falls ich den Überblick verlieren sollte, gegebenenfalls Wenn es richtig ist, dass es in den Ministerien des noch eine Arbeitsgruppe zur Koordinierung der Ar- Bundes – dies bestätige ich Ihnen als Bundesminister beitsgruppen ins Leben zu rufen, damit die Zuständig- a. D. – eine Tendenz gibt, möglichst in allen Einzelhei- keiten auch in diesem Gremium klar und transparent ten zu regeln, wie die Gesetze umgesetzt, also adminis- sind. triert werden müssen, dann liegt dort ein Schlüssel für Vielen herzlichen Dank. die materielle Entflechtung von Bund und Ländern. Wenn es uns gelingt, zu akzeptieren, dass man ein Bundesgesetz verabschiedet, aber den Ländern über- Vorsitzender Franz Müntefering: lässt, wie sie es umsetzen, und auch zu akzeptieren, Ich nehme das zur Kenntnis, Herr Rüttgers; wir ken- dass dies in Bremen anders gehandhabt wird als in nen uns ja. Bayern – das ist in vielen Bereichen so –, dann werden wir viele Probleme schon gelöst haben. Erster Schritt: Jetzt hat Herr Kretschmann das Wort. – Bitte schön. ausschließliche Gesetzgebung, zweiter Schritt: die Frage, ob man Art. 83 ff. auseinander nehmen kann. Winfried Kretschmann, MdL (Baden-Württem- berg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann wird es immer noch Bereiche geben, über die Meine Herren Vorsitzenden! Liebe Kolleginnen und man sich nicht verständigen kann. In diesen Fällen Kollegen! Wir Länder wollen mehr Kompetenzen. Wir über Zugriff oder andere Konfliktlösungsmechanismen (B) brauchen sie auch dringend, da die Länder sonst ir- (D) zu reden ist etwas anderes. Es ist dann nicht mehr der gendwann in Legitimationsschwierigkeiten kommen Versuch, so zu tun, als sei dies der Königsweg zur Be- werden und gefragt werden wird, warum es sie über- seitigung aller Probleme. Aus meiner Sicht der Dinge haupt noch gibt. Wenn wir erfolgreich sein wollen und ist es immer nur die zweitbeste Lösung. Es ist also den Gedanken der Subsidiarität ernst nehmen, dann möglich, hier zu einer Lösung zu kommen, wenn man müssen wir, glaube ich, von unten nach oben denken. versucht, die Fragestellungen etwas konkreter zu fas- Das heißt, die obere Ebene muss begründen, warum sie sen und bestimmte Fragen abzuschichten. Kompetenzen an sich zieht. Nicht wir müssen begrün- Dies gilt übrigens auch für den Fall, dass es bei ei- den, warum wir über die Kompetenzen erst einmal ver- ner Materie verschiedene Interessen gibt. Hier stellt fügen sollten. So war eigentlich die Architektur der sich die Frage, ob man sie dadurch klären kann, dass konkurrierenden Gesetzgebung in unserem Grundge- setzes gedacht. man das, was man regeln will, statt mit allgemeinen Begriffen wie „Rahmengesetz“ präzise benennt. Eben Wenn ich dies jetzt auf die Zugriffsgesetzgebung ist schon einmal ein Beispiel genannt worden. Hoch- anwende, dann, Frau Bundesministerin Zypries, gilt schulen sind Ländersache. Aber natürlich muss je- Folgendes: Wir Länder müssen ja entscheiden, ob ein mand, der in Passau lebt und in Hamburg studieren solcher Zugriff für uns gut ist oder nicht. Der Bundese- will, wissen, unter welchen Bedingungen er sich an ei- bene kann dies erst einmal gleichgültig sein, es sei ner Hamburger Hochschule immatrikulieren kann. Da- denn, sie kann das Argument dagegensetzen, die bei muss allerdings klar sein – darüber braucht man Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Deutsch- sich ebenfalls nicht zu unterhalten –, dass wir jetzt, land werde dadurch gefährdet. Natürlich wünschen wir nachdem wir nach einem heldenhaften Kampf und fünf uns eine möglichst weit gehende Entflechtung der Jahre andauernden Umsetzungsproblemen in den Kompetenzkataloge von Art. 74 und Art. 75. Ich ma- Hochschulen den Bachelor- und Masterabschluss ein- che dies beispielhaft am Bereich der Bildung deutlich, geführt haben, diese Frage nicht in die Hände der der ja in die Zuständigkeit der Länder fällt. Im Prozess 16 Länder legen können, damit sie über die Abschlüsse von Geben und Nehmen kommt es sicherlich darauf in Deutschland selbst entscheiden. Das würde interna- an, ob wir in diesem Gestaltungsbereich – Fragen des tional niemand verstehen. Wenn dies auf nationaler Notariatswesens oder Ähnliches stellen keinen wirkli- Ebene geregelt werden muss, dann wird es eben dort chen Gestaltungsbereich dar; den brauchen wir auf den geregelt. Aber das bedeutet noch immer nicht, dass der Feldern Schulen, Hochschulen und Forschung – origi- Bund dann den inneren Aufbau einer Hochschule, die näre Kompetenzen bekommen und ob wir sie vollstän- ZVS usw. regeln muss. Man kann auch das auseinan- dig bekommen, wofür ich zunächst plädiere.

Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 40 2. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. November 2003 – Stenografischer Bericht

Winfried Kretschmann, MdL (Baden-Württemberg) (A) Dabei tauchen sofort Probleme auf: Wie löst man den meisten Regelungsbereichen europäische Richtli- (C) etwa die schon angesprochenen Probleme der Mobili- nien gibt. tät von Studierenden, wie sichert man, dass Abschlüsse Zum Schluss noch eine Bemerkung zu den Mitwir- anerkannt werden und freier Zugang herrscht? Natio- kungsrechten der Länderparlamente. Der Präsident des nale Bildungsstandards und die nationale Anerken- Bundesverfassungsgerichts Papier hat bezweifelt, dass nung von Abschlüssen sind nach meiner Auffassung unser Vorhaben, den Exekutivföderalismus zu stutzen, im Übrigen nicht ausreichend, weil wir sie heute min- große Aussicht auf Erfolg hat, und uns gefragt, ob destens auf europäischer Ebene brauchen. Der Prozess nicht das Senatsmodell in den USA der richtige Weg von Bologna hin zum Bachelor- und Masterabschluss wäre. Ich nehme an, dass diese Anregung in diesem hat gezeigt, dass wir so etwas in Bälde auf europäi- Gremium keine Aussicht hat umgesetzt zu werden. scher Ebene haben werden. Die Frage lautet also, ob Aber die Frage ist doch ernsthaft, ob es nicht darunter wir die Festlegung solcher Standards und der gleichen noch Möglichkeiten gibt, wo die Landesparlamente Abschlüsse erreichen, ohne eine Bundesbehörde und Mitwirkungsrechte bekommen, zum Beispiel indem eine Bundesgesetzgebung zu brauchen. Der PISA-Pro- sie die Bundesratsmitglieder wählen und damit legiti- zess hat gezeigt, dass dies möglich ist. Es hat ja gerade mieren. Es gäbe dann zwar ein Problem mit dem ein- ein internationales Gremium die Frage der Bildungs- heitlichen Abstimmungsverhalten der Länder. Aber standards in unsere Diskussion gebracht; es war nicht brauchen wir diese Einheitlichkeit wirklich? Wäre es irgendeine Bundesbehörde, die uns darauf aufmerksam nicht besser, sie aufzuheben, statt dass sich wegen der machen musste. vielen Koalitionsvereinbarungen heute immer beinahe ein Drittel der Länder der Stimme enthalten muss und Es wurde schon darauf hingewiesen, dass vielleicht damit gar nicht aktiv in Entscheidungsprozesse ein- eine nationale Bildungsagentur solche Standards fest- greift? Es wäre durchaus ernsthaft zu überlegen, ob wir legen und Vorschläge für die Standards von Abschlüs- uns nicht auch Art. 51 dahin gehend vornehmen soll- sen machen kann, sodass es einer bundesstaatlichen ten, dass die Landesparlamente auf das Handeln ihrer Regelung nicht mehr bedarf. Dann können die Länder Exekutiven in relevanter Weise Einfluss nehmen kön- diese Kompetenz ganz wahrnehmen. Wenn wir das nen. Anderenfalls entstehen auf Dauer Legitimations- nicht über eine halbstaatliche oder zivilgesellschaftli- defizite. che Organisation hinbekommen, dann wird man nach wie vor eine Rahmen- oder Grundsatzgesetzgebung Vielen Dank. brauchen. Sie ist jetzt von den meisten erst einmal ver- worfen worden; sie soll zugunsten der konkurrierenden Vorsitzender Franz Müntefering: (B) Gesetzgebung ganz abgeschafft werden. Aber dies ist Ich bedanke mich auch. (D) beispielsweise unter dem Gesichtspunkt der Mobilität ganz schwierig. Als Nächster hat Herr Professor Grimm das Wort, danach Herr de Maizière, Herr Steinbrück, Herr Wenn wir eine Rahmengesetzgebung beibehalten Henneke, Herr Riebel, Herr Kröning und Herr Hahn. – dies hat der Kollege Röttgen schon gut ausgeführt –, Wenn all diese Wortmeldungen abgearbeitet sein wer- dann ist die entscheidende Frage, ob wir verfassungs- den, werden wir der Arbeitsgruppe genug in den Tor- rechtliche Formulierungen finden, die den Bund dazu nister gepackt haben. Daher stelle ich die Frage, ob ich zwingen, sich wirklich auf den Rahmen, auf Grund- die Rednerliste für heute schließen kann. – Dagegen sätze zu beschränken. Unsere bisherige Erfahrung erhebt sich kein Widerspruch. zeigt ja, dass der Bund aus Rahmengesetzen regelmä- Nun Herr Professor Grimm, bitte. ßig Vollgesetze gemacht hat. Beschränkte sich der Bund in wichtigen Rechtsmaterien tatsächlich auf ei- nen Rahmen, hätten wir in den Ländern eine erhebli- Sachverständiger Prof. Dr. Dieter Grimm: che Gestaltungskompetenz und zugleich wären Pro- Meine Damen und Herren! Wenn man in den letzten bleme der Überschneidung von europäischer, Bundes- Wochen und Monaten die Verfassungsreformdiskus- und Länderebene berücksichtigt. Wir sollten noch ein- sion verfolgt hat, konnte man manchmal den Eindruck mal ernsthaft darüber diskutieren, ob es solche verfas- gewinnen, dass das Grundgesetz über Nacht von der sungsrechtlichen Schranken gibt, die es ermöglichen, besten Verfassung, die Deutschland je hatte, zu der die schlechten Erfahrungen zu überwinden, die wir schlechtesten geworden ist. Das ist, wie ich glaube, bisher mit der Rahmengesetzgebung gemacht haben. völlig überzogen. Es gibt auch im Bereich der bundes- Fänden wir diese Schranken, wäre es aus Sicht der staatlichen Ordnung keine Notwendigkeit für Radikal- Bank der Landesparlamente viel besser, mehr Materien kuren, aber sehr wohl eine Notwendigkeit für die Kor- der konkurrierenden Gesetzgebung in die Rahmenge- rektur einiger Fehlentwicklungen. setzgebung zu überführen; denn wenn sich der Bund Zu den Fehlentwicklungen gehört insbesondere die auf den Rahmen beschränkte, hätten wir in sehr viel Überverflechtung von Bund und Ländern. Sie hat ver- mehr Regelungsbereichen eigene Gestaltungsspiel- schiedene Wurzeln. Die kräftigste Wurzel ist sicherlich räume, ohne dass die Gleichwertigkeit der Lebensver- das Zustimmungsrecht des Bundesrates. Es ist mehr- hältnisse gefährdet wäre. In diesem Zusammenhang fach erwähnt worden, welches Ausmaß es über die weise ich darauf hin, dass man vor einer Rechtszer- Zeit angenommen hat. Darin liegt der Grund dafür, splitterung keine großen Ängste haben muss, da es in dass die jeweilige gewählte Mehrheit keine Reform

Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung 2. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. November 2003 – Stenografischer Bericht 41

Sachverständiger Prof. Dr. Dieter Grimm (A) von einigem Gewicht mehr durchsetzen kann, wenn – das ist heute mehrfach angeklungen –, Behördenor- (C) sie nicht das Plazet der Opposition findet – mit allem, ganisation und Verwaltungsverfahren der Länder zu re- was daraus folgt: langwierige und intransparente Ent- geln? Der Bund hat im Prinzip ein legitimes Interesse scheidungsprozesse sowie unbefriedigende Lösungen, an solchen Regelungen – das Ausmaß ist eine ganz an- die in dieser Form niemand gewollt hat. dere Frage –; denn es sind seine Gesetze, die die Län- der ausführen. Die meisten dieser Zustimmungsrechte gehen auf Verfassungsänderungen zurück. Das heißt, viele Zu diesem Punkt, der vielleicht eine Rolle spielen könnte man aus der Welt schaffen, indem man Verfas- wird, schließe ich eine weitere Überlegung an: Nach sungsänderungen aus früherer Zeit wieder rückgängig meinem Eindruck nehmen die Regelungsmaterien zu, machte. Zum Beispiel ließen sich Gesetzgebungskom- die sich so schnell entwickeln oder im Moment der Re- petenzen zurückübertragen – die Beamtenbesoldung gelung so unübersichtlich oder so neuartig sind, dass ist als Beispiel mehrfach genannt worden – und die es schwierig ist, schon materielle Normen dafür zu for- Gemeinschaftsaufgaben abschaffen oder zumindest re- mulieren. Sehr häufig werden in solchen Gesetzen als duzieren. Ausweg anstelle der materiellen Normen, für die man noch nicht genügend Erfahrungen hat, Verfahrenslö- Der allergrößte Anteil der Zustimmungsgesetze sungen eingesetzt. Aber das sind Verfahrenslösungen, aber – das ist bereits erwähnt worden – geht auf das die der Sache nach Stellvertreterrollen für materielle Konto einer Verfassungsnorm, die von Anfang an im Regelungen wahrnehmen. Grundgesetz stand: des Art. 84, der zudem noch vom Bundesverfassungsgericht sehr extensiv ausgelegt Vierte Möglichkeit: Soll man dem Art. 84 eine Art worden ist. Nicht nur die Organisations- und Verfah- Bedürfnisklausel nach dem Muster des Art. 72 anhän- rensvorschriften, die das Zustimmungsrecht auslösen, gen? Soll man also sagen, dass Behördenorganisation sind zustimmungspflichtig, sondern das gesamte Ge- und Verwaltungsverfahren nur geregelt werden dürfen, setz. Dies lädt natürlich zu einer Zweckentfremdung wenn dafür ein Bedürfnis besteht? Wir alle wissen, des Zustimmungsrechts ein: Die Existenz von Verfah- welche Schwierigkeiten der klaren, trennscharfen Ab- rens- oder Organisationsregeln wird dazu benutzt, ma- grenzung und der gerichtlichen Behandlung Art. 72 teriell-rechtliche Regelungen zu Fall zu bringen, die bietet. Man sollte diese Schwierigkeiten nach meiner eigentlich gar keine Zustimmungspflicht auslösen. Auffassung nicht erhöhen, solange klarere Lösungen möglich sind. Ich werde mich daher auf die Frage konzentrieren, Dazu müssten die Zustimmungsrechte auf ihren ei- wie man damit umgeht: Soll man der Radikallösung gentlichen Zweck zurückgeführt werden. Der Zweck folgen, die – auch dies ist schon erwähnt worden – Herr (B) ist, dass die Länder dort gesteigerte Mitwirkungsrechte (D) Papier gestern vorgeschlagen hat, und den Bundesrat bekommen, wo der Bundesgesetzgeber Aufgaben be- abschaffen und nach amerikanischem Vorbild durch ei- rührt, die ihnen vom Grundgesetz zugewiesen sind. nen Senat ersetzen? Solche Anleihen bei fremden Dazu bedürfte es an sich nur einer Korrektur der er- Rechtsordnungen sind immer sehr problematisch, wenn wähnten Rechtsprechung des Bundesverfassungsge- man nicht auch etwas zum Kontext sagt. Der amerika- richts. Aber es ist ungewiss, ob das Bundesverfas- nische Föderalismus ist ein anderer Föderalismus als sungsgericht erstens dazu Gelegenheit bekommt und unserer. In Amerika führt der Bund seine Gesetze aus zweitens, wenn es Gelegenheit bekommen sollte, diese und die Einzelstaaten führen ihre Gesetze aus. Es ist ein Gelegenheit auch wahrnimmt. Deswegen wäre es an viel stärkerer Trennungsföderalismus. Bei uns macht diesem Platz angebracht, das Zustimmungserfordernis der Bund die meisten Gesetze, aber die meisten davon – diese Änderung erschiene mir von allen Möglichkei- führen die Länder aus. Wenn dies so bleibt, dann ist es ten als die beste – auf diejenigen Vorschriften eines sinnvoll und sogar konstruktiv notwendig, dass man ein Gesetzes zu beschränken, die das Zustimmungsrecht Scharnier, ein Gelenk, zwischen diesen beiden Ebenen des Bundesrates auslösen. hat. Dann ist es auch sinnvoll – entgegen dem, was Herr Kretschmann eben gesagt hat –, dass in diesem Gelen- Was heißt das? Es wird natürlich weiterhin im Bun- korgan die Länderexekutiven sitzen, ganz abgesehen destag und im Bundesrat über ein Bundesgesetz ein- davon, dass ein gewählter Senat das Problem der Blok- heitlich abgestimmt. Aber stimmt der Bundesrat gegen kademöglichkeiten nicht reduzierte; denn auch da ist das Gesetz, dann wirkt sich die Ablehnung in Bezug nicht gesichert, dass die Mehrheitsverhältnisse immer auf die materiell-rechtlichen Normen als Einspruch und übereinstimmen. in Bezug auf die Organisations- und Verfahrensvor- schriften als Zustimmungsverweigerung aus. Der Ein- Soll man – das wäre eine zweite Möglichkeit – das spruch kann vom Bundestag mit entsprechender Mehr- Zustimmungsrecht des Bundesrates abschaffen und heit überwunden werden, die Organisations- und nur noch das suspensive Veto übrig behalten? Dagegen Verfahrensvorschriften gehen in den Vermittlungsaus- spricht dieselbe Überlegung: Wenn der Bundesgesetz- schuss. – Dieser Vorschlag hat einen ganz wesentlichen geber in Angelegenheiten, die vom Grundgesetz im Vorteil: Es entfällt die Versuchung, Gesetze aus Grün- Prinzip den Ländern zugewiesen sind, hineinregieren den scheitern zu lassen, die nichts mit Länderinteressen darf, dann ist es auch sinnvoll, dass die Länder inso- zu tun haben, sondern nur mit Oppositionsinteressen. weit gesteigerte Mitwirkungsrechte bekommen. Dieser Vorschlag hat keine parteipolitische Schlag- Eine dritte Möglichkeit wäre, das Verhältnis umzu- seite. Ich füge dies deswegen hinzu, weil ich in man- kehren: Soll man dem Bundesgesetzgeber untersagen chen Gesprächen gehört habe, die Vorschläge, die hier

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Sachverständiger Prof. Dr. Dieter Grimm (A) zur Verfassungsänderung gemacht würden, müssten sich beanspruchen will, dafür zwingend Verfahrens- (C) darauf geprüft werden, ob sie aus sozialdemokrati- rechte der Länder als Korrektiv im Bundesratsverfah- schem oder aus christdemokratischem oder aus wel- ren bekommt, da Verfassungsfragen auch Machtfragen chem Geist auch immer kommen. Nein, das ist bei der sind. Auf der anderen Seite müssen die Länder aber Verfassung gerade der falsche Weg. Bei der Verfassung auch darauf verzichten – hier hat Frau Zypries völlig verbietet es sich, danach zu fragen, ob ein Änderungs- Recht –, dass die Fachbrüder sofort eine Musterbau- vorschlag einen christdemokratischen oder einen so- ordnung und Ähnliches entwerfen, wenn sie eine Lan- zialdemokratischen Geist atmet. Das mag bei der Ge- deszuständigkeit bekommen. setzgebung berechtigt sein. Die Gesetzgebung ist dazu da, dass mit diesem Mittel die gewählte Mehrheit ihr Nun zu Art. 84 des Grundgesetzes. Ich bin froh, Konzept – jedenfalls auf Zeit – durchsetzen kann. Aber dass darüber diskutiert wird. Herr Schmidt hat zu die Verfassung ist die von den verschiedenen politi- Recht gesagt, dies sei ein Knackpunkt der Debatte. Die schen Richtungen unabhängige gemeinsame Basis die- vielen Papiere, die es gibt, beschäftigen sich sehr stark ser verschiedenen politischen Richtungen. Sie soll es mit der Gesetzgebungszuständigkeit und weniger mit ermöglichen, dass demokratisch gewählte Mehrheiten dieser Frage. Nun ist besonders interessant, dass diese – selbstverständlich in den Grenzen von Rechtsstaat Vorschrift seit ihrem Beginn keine Änderung erfahren und Grundrechten – effektiv regieren können, egal, hat. Die Praxis hat sich aber verändert, sodass eine Lö- welche Partei gerade die Mehrheit stellt. Weil man in sung dieses Problems nur durch eine Änderung der der Demokratie nicht weiß, ob man morgen die Regie- Verfassung herbeigeführt werden kann. Dafür, dass rung bildet oder ob man übermorgen schon wieder in sich Menschen anders verhalten, spricht wenig; Herr der Opposition ist, muss man sich bei Verfassungsän- Röttgen hat dazu etwas vorgetragen. derungen im eigenen Interesse auf einen überparteili- chen Standpunkt stellen und nach der besten Lösung Woran liegt es, dass es mit dem Art. 84 nicht klappt? für das Land suchen. Das gilt nicht nur bei den Zustim- Es liegt daran – das ist schon erwähnt worden –, dass mungsrechten des Bundesrates, sondern überall dort, der Bund außer bei der Bundeswehr und dem Zoll wo es um Verfassungsänderungen geht. keine eigene Verwaltung hat. Nun gibt es dafür denklo- gisch eigentlich nur wenige Lösungsmöglichkeiten. Vorsitzender Franz Müntefering: Die erste Möglichkeit ist eine Doppelverwaltung: Der Bund baut seine eigene Verwaltung auf und die Länder Vielen Dank, Herr Professor Grimm. – Herr bauen ihre eigenen Verwaltungen auf. Dass das nie- de Maizière. mand bezahlen kann und will, ist klar. Es gibt dennoch Ansätze dafür, weil in einer früheren Phase der Bun- (B) Staatsminister Dr. Thomas de Maizière (Sach- desfinanzminister einmal die Frage aufgeworfen hat, (D) sen): wie es denn wäre, wenn der Bund die Finanzverwal- Herr Vorsitzender! Liebe Kollegen! Die Regie der tung übernähme. Wortmeldungen passt gut, weil ich an dem Beispiel von Professor Grimm einen Unterschied markieren Die zweite Lösungsmöglichkeit ist, dass wir das möchte. Ich stelle die Frage, ob ein Verfahrensrecht ei- fortsetzen, wie es jetzt ist: Der Bund betrachtet die gentlich ein Äquivalent für ein Zuständigkeitsrecht ist. Verwaltungen der Länder faktisch als eigene Verwal- Die Antwort ist Nein, denn ein Verfahrensrecht ist im- tung. Das muss jedoch beendet werden und dazu müs- mer kollektiv und betrifft die Gesamtheit der Länder; sen wir wohl an den Verfassungstext herangehen. Die eine Zuständigkeit ist dagegen individuell auf ein Land Länder würden ansonsten zu Regierungsbezirken de- bezogen. Wir sollten also auch sprachlich zwischen ei- generieren. Dies führt dann unter anderem zu Art. 84 ner Länderzuständigkeit – Bundesrat – und einer Lan- Abs. 2: deszuständigkeit, also dem, was ein Land selbst macht, trennen. Die Bundesregierung kann mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften Die Länderzuständigkeit, also auch die kollektiven erlassen. Verfahrensrechte, führen zu Entscheidungsverzögerun- gen und zu der Parteipolitisierung. – Der jetzige Gene- Nun weiß jeder Jurist im Raum, dass das, was 1949 da- ralsekretär der CDU hat ja die Parteipolitisierung des mit gemeint war, etwas ganz anderes war als das, was Bundesrates nicht erfunden, sondern das ist wahr- man heute mit Verwaltungsvorschriften bezeichnet. scheinlich am 24. Mai 1949 losgegangen. – Vor allen Die dritte Möglichkeit wäre – dazu hat Norbert Dingen haben Verfahrensrechte, die kollektiv ausgeübt werden müssen, immer die Tendenz zum kleinsten ge- Röttgen schon etwas gesagt –, den Ländern zu sagen, meinsamen Nenner, was im Zweifel auch nicht sach- dies sei ihre Organisationshoheit, sie hätten die Bun- adäquat ist. Wenn wir also weniger Mitwirkungsrechte desgesetze bitte eigenverantwortlich auszuführen. im Bundesrat installieren – auf welcher Ebene auch Dann muss aber der Bund, wenn ihm das nicht passt immer; dazu will ich mich jetzt nicht äußern –, dann – nach Art. 84 Abs. 3 wird es ihm niemand in Abrede bedeutet dies mehr Landeszuständigkeit und nicht stellen –, seine Aufsicht darüber ausüben und im Ein- mehr Länderzuständigkeit. zelfall sagen, er wolle, dass es so oder so gemacht wird. Dann ist die Hemmschwelle viel höher, es gibt Umgekehrt darf sich der Bund aber nicht wundern, ein bilaterales Verhältnis zwischen dem Bund und dem dass er dann, wenn er im Ergebnis mehr Rechte für jeweiligen Land, das das Bundesgesetz nicht richtig

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Staatsminister Dr. Thomas de Maizière (Sachsen) (A) ausführt, und die Organisationshoheit der Länder gesetzliche Öffnungsklauseln angeht, die sich letztlich (C) bleibt gewahrt. auf dieselben materiellen Regelungstatbestände bezie- hen sollen. Das heißt, wenn wir in Bezug auf die Verwaltung et- was tun wollen – das scheint hier Konsens zu sein; das Deshalb bin ich nicht weit entfernt von Herrn Teufel betrifft auch einen Großteil dessen, was im Bundes- und anderen, die ähnliche Einlassungen gemacht ha- ratsverfahren praktiziert wird –, dann würde ich – an- ben, was die nähere Untersuchung eines verfassungs- ders als Sie, Herr Grimm – jetzt nicht ein neues kollek- rechtlich verankerten Zugriffsrechts der Länder be- tives Verfahrensrechtshindernis schaffen, sondern trifft. Die bisherige Abwehrhaltung des Bundes kann durch Änderung des Art. 84 des Grundgesetzes einen ich nicht so ganz verstehen; denn ich glaube, es könnte Riegel einbauen, damit es zu einer möglichst großen eine Win-win-Position sein. Man könnte in diesem Zu- Trennung kommt, also zu einem Wettbewerb in der sammenhang nämlich verabreden, dass die Länder Ausführung der Bundesgesetze – ich füge in Klam- durch ein solches verfassungsrechtlich verankertes Zu- mern hinzu: mit Aufsichtsrecht – und nicht zu einer griffsrecht sehr viel weiter gehende Möglichkeiten er- Verbrüderung durch Verwaltungsausführungsgesetzge- halten, von vorhandenen bundesrechtlichen Regelun- bung. Das scheint mir der beste Weg zu sein. gen abzuweichen. Im Gegenzug könnte die Position des Bundes gestärkt werden, indem die Länder parallel Das gilt übrigens auch für Art. 80 Abs. 2 des Grund- dazu auf Zustimmungsrechte in den bisherigen Verfah- gesetzes. Ich weiß nicht, warum die Länder zustimmen ren verzichten; denn dort, wo die Länder ein Zugriffs- müssen, wenn die Post die Gebühren für Briefe erhö- recht haben, müssen sie kein Recht auf Zustimmung zu hen soll. Dafür soll der Bund dann bitte auch alleine den entsprechenden Bundesgesetzen mehr reklamie- die Verantwortung haben. Damit würden wir eine ren, weil sie von vornherein die Möglichkeit hätten, ganze Reihe von Problemen lösen. von diesen abzuweichen. Auf diese Weise könnte das Zur Frage der Zuständigkeiten bei der Gesetzge- Verfahren meiner Ansicht nach in einer Vielzahl von bung will ich mich jetzt nicht mehr äußern. Fällen durchaus vereinfacht werden. Ich glaube, dass in diesem Zusammenhang auch die Vorsitzender Franz Müntefering: Rahmengesetzgebung des Bundes aufgelöst werden Vielen Dank. – Herr Steinbrück. könnte und dass stattdessen so etwas entstehen könnte wie die Befugnis des Bundes zu einer Vollregelung Ministerpräsident Peer Steinbrück (Nordrhein- oder zumindest zu einer Detailregelung, sodass er also Westfalen): zu weit mehr befugt wäre, als nur eine Rahmengesetz- (B) Bei der Bestandsaufnahme des Föderalismus befin- gebung zu vollziehen, immer unter der Voraussetzung, (D) den wir uns in enger Übereinstimmung, sei es was die dass die Länder über ein entsprechendes Zugriffsrecht Überfrachtung im Verhältnis von Bundestag und Bun- die Möglichkeit hätten, hiervon abzuweichen. desrat einschließlich Vermittlungsausschuss angeht, Ich weiß, es steht der Vorwurf im Raum, dass es sei es in Bezug auf die Intransparenz, den Mischmasch darüber zu einer Rechtszersplitterung kommen könnte. von Zuständigkeiten, sei es bezüglich der – in meinen Ich sehe dieses Risiko nicht; denn all das, was zur Ver- Augen geringer werdenden – Gestaltungsmöglichkei- meidung von Rechtszersplitterung einheitlich geregelt ten der Landtage, sei es angesichts des sehr langwieri- werden muss, kann meiner Auffassung nach heute oh- gen zweistufigen Verfahrens der Umsetzung von EU- nehin weitgehend nur europaweit geregelt werden. Recht in nationales Recht, sei es angesichts der Fragen Kein Landesvertreter hält ein Plädoyer dafür, dass die- der Subsidiarität oder sei es ganz generell in Bezug auf ser europarechtlich vorgegebene Rahmen unterlaufen die Frage, mit welcher Geschwindigkeit wir in dieser werden sollte, indem ein Landesgesetzgeber von dem föderalen Ordnung mit dem zu tun haben, was um uns Zugriffsrecht Gebrauch macht. Man kommt vielleicht herum geschieht. zu dem Ergebnis, dass es an manchen Stellen keine eu- Ich bin mir nicht sicher, ob man bei der Bewälti- roparechtlichen Vorgaben gibt, auf die sich gleichwohl gung dieser Probleme wirklich ohne die Einführung ei- Zugriffsrechte der Länder erstrecken sollen. Auch ner neuen Gesetzeskategorie auskommt. Ich bin auf- diesbezüglich halte ich die Befürchtung, dass es im grund dessen, was hier angeregt worden ist, sehr Rechts- und Wirtschaftsraum Bundesrepublik neugierig zum Beispiel darauf, ob ein Trennmodell Deutschland quasi zu einer Atomisierung kommt, für eine erste Stufe sein könnte, die untersucht werden wenig realistisch; denn ich glaube, die meisten Länder soll. Das hat Kollege Teufel zu Beginn seiner Ausfüh- haben nach wie vor ein großes Interesse an einer rungen dargelegt. Rechts- und Wirtschaftseinheit in Deutschland. Was die bisherigen inoffiziellen Vorstellungen auf Umgekehrt kann ich mir aber vorstellen, dass wir Bundesseite angeht – Frau Zypries kann offenbar nicht vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Länder mit mehr dabei sein –, nach denen vielleicht eher das Pres- die größten Arbeitgeber sind, insbesondere beim sewesen, das Jagdwesen, der Freizeitlärm und ähnliche Dienstrecht oder beim Besoldungsrecht doch ein gro- Dinge den Ländern zufallen sollen, so muss ich sagen: ßes Interesse daran haben, nicht jeweils den Weg über Das kann man mit Blick auf die notwendige Stärkung Bundestag und Bundesrat gehen zu müssen. Ich denke der Kompetenzen der Länderparlamente getrost ver- zum Beispiel an den Fall, dass wir an das Urlaubsgeld gessen. Dieselbe Einschätzung habe ich, was einfach- oder an die Sonderzuwendungen, die die 330 000

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Ministerpräsident Peer Steinbrück (Nordrhein-Westfalen) (A) Landesbediensteten in Nordrhein-Westfalen zu Weih- Sie diskutieren aus der Sicht von Länder- und Bun- (C) nachten erhalten, herankommen wollen. Im Augen- desparlamentariern und -regierungen über zwei Lö- blick bin ich dazu genötigt. sungsmöglichkeiten, indem Sie sagen: Entweder füh- ren wir die Zustimmungserfordernisse zurück oder wir Ich könnte mir vorstellen, dass sich diese Win-win- schränken die Verfahrensregelungen des Bundes ein. Position für Bund und Länder auch dadurch verbessern Dem kommunalen Bereich wäre unter diesem Aspekt ließe, dass das Konzept der Einräumung von Zugriffs- nur geholfen, wenn die Verfahrensregelungen einge- rechten für die Länder nicht nur hinsichtlich des Erlas- schränkt würden, das heißt die Kommunen nicht vom ses materieller Regelungen zur Anwendung käme, Bund zu Aufgabenträgern bestimmt würden. Dann sondern auch hinsichtlich der Verfahrensregelungen. Da bin ich sehr dicht bei dem, was der Kollege de Mai- müsste die Aufgabenbestimmung durch die Länder er- zière ausgeführt hat; denn da geht es meiner Ansicht folgen und es griffen die Finanzierungsabsicherungen nach im Kern um eine Modifizierung von Art. 84 des über die Landesverfassungen. Insofern haben wir in Grundgesetzes. Die Zustimmungspflicht resultiert Bezug auf Art. 84 des Grundgesetzes auch ein Schutz- nämlich auch nach meiner Erfahrung in den meisten und Änderungsinteresse, das bei der Aufgabenübertra- Fällen nicht aus der Inanspruchnahme der materiellen gung und Finanzierungsabsicherung zum Ausdruck Gesetzgebung des Bundes, sondern aus dem Umstand, kommt. dass in den entsprechenden Bundesgesetzen Verfah- Wenn der Bund auf die Kommunen durchgreifen rensregelungen enthalten sind, die ein Gesetz nach darf – möglicherweise sogar noch mit reduzierten Zu- Art. 84 Abs. 1 des Grundgesetzes automatisch zustim- stimmungspflichten des Bundesrates –, dann kann die mungspflichtig machen. Das betrifft 60 Prozent der Lösung für den kommunalen Bereich nur darin liegen, Gesetze, mit denen wir es im Bundesrat zu tun haben. dass eine Konnexitätsregelung im Grundgesetz ge- An dieser Stelle gibt es meiner Ansicht nach einen schaffen wird, damit der unmittelbare Durchgriff, ge- wichtigen Hebel, der zu einer „Entkrampfung“ führen rade was materielle Regelungen angeht, nicht noch könnte, jedenfalls zu einer entsprechenden Entfrach- weiter intensiviert wird. Aus kommunaler Sicht ist tung, wie ich eingangs gesagt habe. Damit könnte dies Art. 84 des Grundgesetzes unter dem Gesichtspunkt sowohl im Interesse des Bundes als auch im Interesse der Aufgabenübertragung und der Finanzierung die der Länder sein. zentrale Vorschrift mit Änderungsbedarf. Das ist ein Die Frage, ob dies eher zulasten kleinerer Länder Aspekt zusätzlich zu dem, was heute Nachmittag dis- gehen könnte, verstehe ich nicht ganz; denn es besteht kutiert worden ist. keine Verpflichtung, von diesem Zugriffsrecht Ge- brauch zu machen. Vielmehr handelt es sich um eine Dann möchte ich etwas zum Stichwort „Zugriffs- (B) Kann-Regelung, sodass die einzelnen Länder selbst rechte“ sagen. Das verstehen wir gut unter dem Ge- (D) entscheiden können, wie sie damit umgehen. sichtspunkt der Flexibilisierung. Allerdings möchte ich zu dem, was Herr Röttgen und Frau Zypries angespro- Fazit: Ich bin sehr daran interessiert, dass die Ein- chen haben, aus kommunaler Sicht Folgendes deutlich führung einer neuen Rechts- oder Gesetzgebungskate- hervorheben: Aus unserer Sicht darf sich die Verant- gorie weiterhin Gegenstand unserer Gespräche bleibt. wortung für die Übertragung von Aufgaben auf die ausführende Kommune nicht verflüchtigen. Es muss Vorsitzender Franz Müntefering: deutlich sein, wer die auszuführende Aufgabe über- Vielen Dank, Herr Steinbrück. – Herr Henneke vom trägt und wer die Standards bestimmt. Insofern spielt Landkreistag. die Frage des Zugriffsrechts nicht nur für die Gesetz- gebung eine Rolle, sondern insbesondere auch für die Prof. Dr. Hans-Günter Henneke, Deutscher Gesetzesausführung. Wenn der Konnexitätsgedanke Landkreistag: richtig ist, dann werden Lösungen – ich will das vor- Das Wort „Kommunen“ ist heute zweimal erwähnt sichtig formulieren – bei der Einräumung von Zu- worden, nämlich von Herrn Schmidt und von Herrn griffsrechten für uns sehr viel komplizierter. Wir schaf- Wowereit. Deshalb will ich anhand von vier Punkten fen ein Folgeproblem, das wir nicht hätten, wenn wir noch einmal die kommunalspezifische Betroffenheit zu klaren Zuordnungen, insbesondere zu klaren Zu- bei dem, was wir hier besprochen haben, deutlich ma- ständigkeiten der Länder für die Gesetzgebung kämen; chen. Im Kern will auch ich auf Art. 84 des Grundge- denn dann wäre die Frage der Zuordnung klar. setzes eingehen. Ich möchte dann etwas zur sozialen Sicherung sa- Die Kommunen sind die Hauptausführungsebene gen – das hat Herr Röttgen bereits angesprochen –: Wir sowohl der Gesetzgebung des Bundes als auch der Ge- haben bei der Zuordnung von Gesetzgebungsmaterien setzgebung der Länder. Insofern ist Art. 84 des Grund- möglicherweise neu zuzuordnende Lebenssachver- gesetzes, so wie er gehandhabt wird, immer auch das halte. Das Stichwort „PISA“ hat hier heute oft eine Einfallstor des Bundes, um Aufgaben direkt auf den Rolle gespielt. Bei der Frage, ob etwas Jugendhilfe- kommunalen Bereich zu übertragen. Das heißt, auch recht, Betreuung oder Schule ist, handelt es sich um ei- wir sehen insoweit einen Änderungsbedarf, damit die- nen einheitlichen Lebenssachverhalt, den wir im kom- ses Durchreichen von Aufgaben direkt an die Kommu- munalen Bereich organisieren, für den wir weitgehend nen, ohne dass der Bund unmittelbar für die Finanzie- auch die Finanzierungspflicht haben. Ordnen wir die rung einzustehen hat, wie es nach geltendem Recht der Aufgabe dem Jugendhilfebereich zu, gilt der Grund- Fall ist, so nicht fortgesetzt werden kann. satz: Bund regelt; Kommunen finanzieren. Ordnen wir

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Prof. Dr. Hans-Günter Henneke, Deutscher Landkreistag (A) dasselbe dem Schulrecht zu, heißt die verfassungs- weise ansetzt, eine Reihe der Fragen, die jetzt rheto- (C) rechtliche Antwort: Länder regeln und Länder finan- risch oder tatsächlich aufgeworfen worden sind, ei- zieren. Bei der Frage, ob wir dem Bildungsauftrag oder gentlich im Spiegel des Herrenchiemseer Entwurfs und einem subsidiären Angebot bei der Betreuung von des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutsch- Fünfjährigen bzw. bei der Nachmittagsbetreuung von land beantworten kann. Schülern oder in der Nachmittagsschule Rechnung tra- Ein zweites Anliegen ist, daran zu erinnern, dass gen wollen, dürfen nicht nur die Begrifflichkeiten eine nicht der Bund gegründet worden ist, der dann seiner- Rolle spielen, sondern es bedarf auch einer inhaltli- seits 16 Länder gegründet hat, sondern dass es gerade chen Lösung. umgekehrt gewesen ist, dass sich 16 Einzelstaaten zu Insofern stellt sich für uns die Frage, ob man bei der dem zusammengefunden haben, was wir heute Bund Neuzuordnung von Gesetzgebungskompetenzen je- oder Bundesrepublik Deutschland nennen, sodass die denfalls solche einheitlich gewordenen Lebenssach- eigentliche staatliche Zuständigkeit auf der Ebene der verhalte mit umfangreichen Konsequenzen sowohl für Länder und nicht auf der Ebene des Bundes liegt. Ver- die Gesetzgebung des Bundes und der Länder als auch stehen Sie es bitte richtig, wenn ich augenzwinkernd für die Finanzierungszuständigkeit der Länder oder sage: Eigentlich liegt die staatliche Kompetenz sowohl Kommunen anfassen muss. für die Eingriffsverwaltung als auch für alle anderen Verwaltungstypen bei den Ländern und nicht beim Herr Schmidt, Sie haben die Finanzierungsobhut Bund. der Länder für die Kommunen angesprochen. Das lau- fende Vermittlungsverfahren macht uns deutlich: Im Grundgesetz ist dieses Prinzip vernünftigerweise Kommunale Finanzhoheit ist insbesondere Gestal- dadurch eingeschränkt worden, dass – um es an zwei tungsfreiheit. Gestaltungsfreiheit erreichen wir nicht Parametern deutlich zu machen – gesagt worden ist: über den kommunalen Finanzausgleich, sondern Ge- Das, was aus bundesstaatlicher Sicht als Exekutive, als staltungsfreiheit erhalten wir über die Komponente Eingriffsverwaltung vernünftigerweise nur bundes- Kommunalsteuern. Die Gesetzgebungszuständigkeit staatlich geregelt werden kann – beispielsweise Bun- für Kommunalsteuern liegt nach Art. 105 Abs. 2 des deswehr, Verteidigung, auswärtiger Dienst –, ist Auf- Grundgesetzes – bis auf die örtlichen Verbrauch- und gabe des Bundes. Gleichzeitig ist die vernünftige Aufwandsteuern – allein beim Bund. Deshalb haben Vorschrift hinzugefügt worden, dass es Aufgabe und wir zu der Frage der Verantwortung – Länder oder Auftrag des Verfassungsgesetzgebers ist, gleiche Le- Bund – immer gesagt: Sie spielen ein Schwarzer-Peter- bensverhältnisse zu schaffen. Spiel. Man schiebt das hin und her. Die originäre Aus- Aber schon für die Vorschrift, dass gleiche Lebens- stattung der Kommunen mit Steuern ist – jedenfalls verhältnisse zu schaffen sind, hat der Verfassungsge- (B) nach der bisherigen Verteilung der Zuständigkeiten bei (D) setzgeber nicht die bundesstaatliche Ordnung zustän- der Gesetzgebung – Angelegenheit des Bundes. Nur dig gemacht, sondern das ist ein Gesetzesbefehl hier können wir die kommunalen Selbstgestaltungs- sowohl an den Bund als auch an die Länder. Er hat als rechte im Bereich des Steuerrechts stärken. Insofern ist das ein Punkt, den wir in der Arbeitsgruppe 2 „Kom- Korrektiv dafür, dass einmal der eine und einmal der munalfinanzen“ deutlich mit behandelt wissen wollen. andere zuständig ist, den Länderfinanzausgleich einge- führt. Unsere Hoffnung ist, Herr Steinbrück, dass die Win- win-Situation, die sich für Bund und Länder ergeben Daher bin ich prinzipiell der Meinung, dass die Auf- möge, nicht zulasten der Kommunen geht, was die gabe, die wir uns hier gestellt haben oder die uns ge- Verlagerung von Verantwortung betrifft. Wir streben stellt worden ist, relativ einfach zu erledigen wäre, in- einen deutlichen Zugewinn an Klarheit hinsichtlich der dem wir drei Spalten machen. In einer ersten Spalte Verantwortung an, um die kommunale Position bei der wäre das aufzulisten, was zwingend Aufgabe für den Durchführung von Aufgaben, aber auch bei der Steuer- Bund ist, und in einer zweiten Spalte, was zwingend gestaltung zu erweitern. Länderaufgabe ist. In einer dritten Spalte wäre das auf- zuführen, was sich im Laufe der letzten 58 Jahre durch Danke schön. unterschiedliche politische Setzungen gemischt entwi- ckelt hat und was wieder in den Bereich der Länder Vorsitzender Franz Müntefering: oder des Bundes zurückzuführen wäre. Ich glaube, für Win-win bekommen wir eine Zwei- Dass einer wie ich natürlich dafür plädiert, den drittelmehrheit. – Herr Riebel (Hessen). größten Teil dessen, was sich im Laufe der Zeit auf Bundesebene entwickelt hat, auf die Länder zurückzu- Minister Jochen Riebel (Hessen): führen, ergibt sich aus der Tatsache, dass ich das Land Meine Herren Vorsitzenden! Meine Damen und Hessen hier zu vertreten die Ehre habe. Herren! Ich möchte – in einem aus meiner Sicht sehr kurzen Beitrag – Ihren Blick auf einen anderen Zusam- Vorsitzender Franz Müntefering: menhang lenken, von dem ich glaube, dass er bisher noch nicht angesprochen worden ist, nämlich auf die Vielen Dank. – Herr Kröning. Tatsache, dass das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland aus dem so genannten Herrenchiemseer Volker Kröning, MdB (SPD): Entwurf heraus entwickelt worden ist und dass man, Meine Herren Vorsitzenden! Jeder Beitrag hätte es zumindest wenn man diese historische Betrachtungs- verdient, heute schon beantwortet zu werden. Aber da

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Volker Kröning, MdB (A) wir uns in der Anberatungsphase beider Schwer- neu zu stellen. Wir müssen die Frage so stellen, dass (C) punktthemen befinden, verbietet sich das. Ich möchte klar wird, wie wir das gesamte öffentliche Handeln für mich jedoch – ich glaube, ich darf das für alle Kolle- legitimierbar halten. ginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages sa- gen – für jeden Beitrag und die darin enthaltenen Anre- Lassen Sie mich noch etwas zur Organisation sagen. gungen bedanken. Es ist dem, was der Vorsitzende gesagt hat, Folgendes hinzuzufügen: Jeder ist eingeladen, wird sogar gebe- Ich möchte noch einige Worte zum Fortgang der Ar- ten, sich einer der beiden Arbeitsgruppen zuzuordnen. beit sagen. Nach diesem viel versprechenden Auftakt Die Arbeitsgruppen sollen sich bald konstituieren. Das will ich Ihr besonderes Interesse auf das nächste ist sehr wichtig. Ich wäre sogar dankbar, wenn man – Thema lenken, bei dem wir Gelegenheit haben, die ge- bis hin zur schriftlichen Verbindlichkeit – dort auch samte Debatte, die sehr stark von innen und von unten Aufträge oder Teilaufträge übernehmen würde, die zur bestimmt war, auch von außen anzusetzen. Sie war von Meinungs- und Willensbildung beitragen. innen, nämlich aus dem wechselseitigen Verhältnis Ich danke Ihnen herzlich dafür, Herr Vorsitzender, von Bund und Ländern bestimmt und sie war natürlich dass Sie mich haben zu Wort kommen lassen. davon bestimmt, dass wir im engeren und weiteren Sinne Volksvertreter, Amtsinhaber und Mandatsträger sind und dass das Volk hier nicht mit am Tisch sitzt. Vorsitzender Franz Müntefering: Aber es ist ganz wichtig, dass wir nicht nur diese Sei- Das war in Bezug auf Europa schon ein kleiner Vor- ten, sondern auch die Außenseite in den Blick nehmen griff auf die nächste Veranstaltung; aber das ist in Ord- – mit demselben erkenntnistheoretischen Problem, das nung. sich dahinter verbirgt. Jetzt habe ich noch drei Wortmeldungen. Herr Darum sollten wir die Aufgabenstellung für die Hahn, bitte. nächste Sitzung noch zuspitzen. Dazu möchte ich ei- nen Widerspruch zu Herrn Teufel anmelden, der fast Jörg-Uwe Hahn, MdL (Hessen) (FDP): wie selbstverständlich insinuierte, dass Länderangele- Meine Herren Vorsitzenden! Meine Kolleginnen genheiten von den Ländern in Europa vertreten werden und Kollegen! Ich möchte zuerst einmal – das tue ich und der Bund die Bundesrepublik Deutschland nur in überhaupt nicht mit Hintergedanken – Dank dafür sa- Bundesangelegenheiten vertritt. Wir müssen über die gen, dass die Länderparlamente hier vertreten sind. Es Frage nachdenken, wie wir unseren Gesamtstaat in Eu- hat eine intensive Diskussion stattgefunden. Ich weiß ropa regierungsfähig machen; ich sage bewusst „ma- um die Probleme, die sowohl im Bundesrat als auch im (B) chen“ und nicht nur „halten“. Darum möchte ich von Bundestag über die Partei- und Fraktionsgrenzen hin- (D) vornherein das Zusammenwirken der beiden Ebenen, weg vorhanden gewesen sind. Es ist für die Arbeit in nämlich der gliedstaatlichen Ebene – natürlich auch diesem Gremium sehr wichtig, dass diejenigen, um die der einzelnen Gliedstaaten, Herr de Maizière – und der es, was die Neuverteilung von Aufgaben betrifft, ei- gesamtstaatlichen Ebene, betonen. Da das virtuelle gentlich geht und die mehr Aufgaben bekommen sol- Größen sind, kommt es auf das Zusammenwirken der len, hier auch vertreten sind. Ich möchte, damit kein Länder und des Bundes bei dieser Aufgabenstellung Missverständnis über irgendeine Organisationsstruk- an. Das ist möglicherweise sogar juristisch noch nicht tur in diesem Gremium entsteht, darum bitten, dass die abschließend durchleuchtet, rechtspolitisch längst noch Mitglieder und die beratenden Mitglieder in der glei- nicht. chen Art und Weise behandelt werden, und sei es auch nur bei der Sitzordnung. Das zweite Problem, das sehr deutlich geworden ist, ist die Demokratiefähigkeit des gesamten öffentlichen Wir sind nicht hier, weil wir uns über juristische, Gebildes inklusive und nicht exklusive der öffentli- akademische Dinge in professoraler, politischer oder chen Ebene, die mit Europa entstanden ist. Wir haben sonstiger Art unterhalten wollen, sondern weil das po- es also mit vier Ebenen, zwei staatlichen, der europäi- litische Establishment in diesem Lande verstanden hat, schen und der kommunalen Ebene, zu tun. Der Bürger dass es so mit der wechselseitigen Blockiererei nicht nimmt alles, was da stattfindet, als öffentliches, als po- mehr weitergeht. Jeder von uns hat es in den verschie- litisches Handeln wahr und schmeißt vieles davon ein- denen Fraktionen in den letzten sechs, sieben Jahren fach in einen Topf, am liebsten mithilfe der „Bild“-Zei- erlebt, dass das, was auf Bundesebene gemacht werden tung. sollte, nicht umgesetzt werden konnte, weil im Bun- desrat eine andere Mehrheit vorhanden war. Der Kol- Ich will trotz aller Beschwörung der Gründungssitu- lege Schmidt hat das vorhin nur auf die aktuelle Situa- ation von 1949 daran erinnern, dass das eine gelungene tion bezogen. Ich kann mich daran erinnern, dass Herr Gründung in einem Bewusstseinszustand, in einem Lafontaine, Herr Eichel und andere das auch schon ge- moralischen Zustand war, den wir tiefer in der deut- übt haben. Wir alle wissen, wie es geht, und wir alle schen Geschichte nicht erlebt haben. Zum Glück reden wissen, wie schlecht es ist. Wir alle wissen, dass der wir heute zwar nicht über ein Demokratiedefizit. Aber Reformstau in diesem Lande so groß ist, weil es so wir haben die verdammte Aufgabe, nach der Doppele- schlecht ist. Da wir alle wissen, dass der Reformstau poche, die hinter uns liegt – der Gründung der kleinen aufgelöst werden muss, müssen wir einen Weg finden, Bundesrepublik und der Wiedergründung einer großen um etwas daran zu ändern, was Ursache für den Re- Bundesrepublik – die Demokratiefrage noch einmal formstau in diesem Lande ist.

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Jörg-Uwe Hahn, MdL (Hessen) (A) Kollege Rüttgers hat völlig Recht, wenn er sagt, es gab bei der Vorbereitung eine intensive Diskussion (C) gehe um eine Machtfrage. Ich verstehe manche Bei- darüber, ob es nicht überhaupt zu viele Beteiligte sind, träge nicht so ganz. Ich sage das auch ein bisschen ob man in einem Gremium mit 100 Personen eine Art selbstkritisch, weil ich selbst schon in Lübeck und an- Redaktionskonferenz und -stimmung überhaupt hinbe- derswo zu dem Thema sehr intelligent und überhaupt kommen kann. Natürlich kann man sich immer strei- gesprochen habe, was wir auch jetzt tun. ten. Es führen verschiedene Wege nach Rom; das wis- sen wir. Aber ich glaube, dass die Art und Weise, wie (Heiterkeit) wir es jetzt machen, dass wir hier die Ideen sammeln, – Das war ein Lob an alle, die vor mir geredet haben. – die vorgetragen werden, sie auch akzentuieren und den Aber wir müssen uns doch eigentlich, bevor wir an die Arbeitsgruppen sagen: „Verdichtet das und kommt da- Arbeit gehen, darüber klar werden, was wir letztlich mit wieder in die Kommission zurück“ – so ist das ja wollen. Respice finem! Das ist der Sinn meines Beitra- gedacht –, ein möglicher Weg ist. Für ihn haben wir ges. Was wollen wir, die Kommission, denn am Ende uns nun entschieden. erreichen? Ist es hilfreich, dafür jetzt Arbeitsgruppen Ich habe den Punkt 2 vorhin auch schnell abgehan- in Kleeblattfunktion einzurichten? Ist es hilfreich und delt; es ist nicht mehr lange diskutiert worden. Ich bin klug, dass wir all die Papiere, die die Ministerpräsiden- ganz froh, dass das alle miteinander beschlossen ha- ten schon einmal zusammengestellt haben, die die ben. Jetzt lasst uns das auch so machen. Es ist schon Bundesregierung schon einmal zusammengestellt hat, ein ganz vernünftiger Weg, den wir da eingeschlagen die die Fraktionen für mindestens fünf Fraktionsvorsit- haben. zendenkonferenzen zusammengestellt haben, noch ein- mal diskutieren, einfach so? Ist es nicht klüger, dass Aber im Ernst: Ich glaube nicht, dass wir in der dieses Gremium, bevor die Arbeitsgruppen beginnen, Lage wären, jetzt mit einer Zweidrittelmehrheit zu ent- sagt, wohin die Reise zu gehen hat? Oder aber ist hier scheiden, wie es sein soll, und zu sagen: „Nun arbeitet der Arbeitsstil erwünscht – ich finde ihn ausgespro- ihr das einmal aus!“ – Denn das wäre die Vorweg- chen suboptimal –, dass man zunächst arbeiten lässt – nahme des Ergebnisses. wir lassen Staatssekretäre, Direktoren, Ministerialräte und was nicht alles arbeiten – und wir uns erst am Damit soll es gut sein. Ende überlegen, wie wir denn die Macht neu verteilen Jetzt hat Herr Wieland das Wort. wollen? Ich halte das für eine Zeitvernichtung, und zwar auf hohem Niveau. Sachverständiger Prof. Dr. Joachim Wieland: Ich meine, bevor man in die Arbeitsgruppen geht, (B) muss man den Arbeitsgruppen einen Auftrag erteilen. Meine Herren Vorsitzenden! Meine Damen und (D) Der Auftrag muss sehr konkret sein. Der Auftrag muss Herren! Ich möchte gern eine kurze Bemerkung zu der letztlich heißen: Wir wollen soundso viel Prozent we- Frage der Neuverteilung von Gesetzgebungskompe- niger Zustimmungspflicht im Bundesrat. Auf der ande- tenzen machen. Das scheint mir einer der Kernpunkte ren Seite wollen wir, dass soundso viel Prozent mehr unserer Arbeit zu sein; denn wenn wir den Bundesstaat ausschließliche – oder wie auch immer man das nennt modernisieren wollen, müssen auf beiden Seiten Opfer – Gesetzgebungskompetenz auf die Länder übertragen gebracht werden und es müssen auch Zugewinne zu wird. – Dann sollen die Fachleute das ausfüllen. Aber verzeichnen sein. Anders wird es – wenn ich das als jetzt darüber zu diskutieren, wie wir uns das rein theo- Wissenschaftler sagen darf – vermutlich nicht funktio- retisch vorstellen könnten, bringt nach meiner Auffas- nieren. sung keinen Erfolg. Hier ist ein Punkt, an dem eine Möglichkeit be- Aus diesem Grunde meine ich, dass der gewählte stünde, die Position der Länder und der Landesparla- Weg verfeinerungsfähig ist. Zunächst sollten wir unter mente zu stärken. Es gibt dabei aber ein Problem. uns Klarheit darüber schaffen, was wir konkret wollen, Nicht erst seit kurzem, sondern schon seit längerer Zeit wie wir die Balance der Macht neu ausjustieren wol- – eigentlich schon viel länger, als es das Grundgesetz len. Dann erst sollten wir den Arbeitsauftrag erteilen, gibt – ist die Tendenz zu beobachten, dass Aufgaben im Detail festzulegen, wie es denn gemacht wird. Wir höher gezont werden. Das hat es schon in Weimar ge- sollten nicht den umgekehrten Weg wählen, so wie er geben. Das scheint mir auch nicht zufällig zu sein. Es jetzt offensichtlich vorgesehen ist. wäre eine Illusion, zu glauben, es würde funktionieren, wenn wir jetzt sagen würden: Diesen Prozess kehren wir um. – Das wird man nicht vollständig machen kön- Vorsitzender Franz Müntefering: nen. Es gibt einen starken Drang gerade der Wirtschaft Ich möchte kurz darauf eingehen. Wir haben unter hin zu einer einheitlichen rechtlichen Ordnung eines Tagesordnungspunkt 2 vorhin beschlossen, dass wir einheitlichen Wirtschaftsraums. Das erklärt überhaupt die Arbeitsgruppen einrichten – wir haben das vordis- viele europäische Gesetze, aber auch die Tendenz hin kutiert – mit der Zielsetzung, dass aus der Kommis- zu einheitlichen bundesrechtlichen Regelungen. sion, aus den jeweiligen Plenarsitzungen heraus Anre- gungen gegeben werden, dass aber auch aus den Es gibt auch ganz offenbar ein Bedürfnis bei Bürge- Arbeitsgruppen wieder Anregungen in die Kommis- rinnen und Bürgern hin zu einer gewissen Einheitlich- sion kommen. Wir haben bis Mitte nächsten Jahres keit von Regelungen, die für ihr Leben von Bedeutung noch etwa acht Sitzungen – das ist nicht sehr viel –, bei sind. Man will sich – das ist durchaus gewünscht – mo- denen wir in dieser großen Runde zusammensitzen. Es bil zeigen können in Deutschland, ohne dass man auf

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Sachverständiger Prof. Dr. Joachim Wieland (A) so unterschiedliche Regelungen stößt, dass mit der zum Experiment zu geben und darauf zu vertrauen, dass (C) Mobilität gravierende Nachteile verbunden sind. wegen der vorhin beschriebenen äußeren Zwänge der Drang zur Harmonisierung sehr stark ist. Wenn das so ist, dann ist die Tendenz zur Unitarisie- rung des Bundesstaats, die Konrad Hesse vor über Vielen Dank. 40 Jahren herausgearbeitet hat, wahrscheinlich etwas, was man hinnehmen muss. Sie hat dazu geführt, dass Vorsitzender Franz Müntefering: die Gesetzgebungskompetenz des Bundes verstärkt worden ist und dass die Länder als Ausgleich verlangt Vielen Dank, Herr Wieland. – Herr Stoiber. haben, an der Bundesgesetzgebung beteiligt zu werden. Das wiederum hat zu Verflechtung, Intransparenz und Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bay- dazu geführt, dass die Verantwortlichkeiten nicht mehr ern): klar sind. Insoweit sind wir uns, glaube ich, einig. Ich möchte eine kurze Anmerkung zu den Beiträgen Jetzt ist die Frage: Was ist Maßstab dafür, was der Kollegen Schmidt, Röttgen, Steinbrück und Teufel könnte Maßstab dafür sein, Gesetzgebungskompeten- machen, die sich im Besonderen mit der Frage der zen neu zu verteilen? Es klang nach meinem Eindruck Trennung der Kompetenzen und vor allen Dingen des in manchem der Beiträge hier zu sehr die Vorstellung Zugriffsrechts befasst haben. Was Sie jetzt gesagt ha- an, dass es eigentlich nur dort sinnvoll ist, Gesetzge- ben, Herr Professor Wieland, verkürzt meinen Beitrag bungskompetenzen neu zu verteilen, wo wir auf Dauer noch mehr; denn ich kann Ihnen voll und ganz zustim- Vielfalt haben wollen. Ich glaube, das ist der falsche men: Wir müssen ein Stück weit Differenziertheit, Un- Weg. Meines Erachtens kann bundesstaatliche Vielfalt terschiede und Wettbewerb in der Politik haben. Das heute nur in zeitlicher Perspektive gesehen werden, erleben wir ja auch in Europa. Wir haben auch in weil es einen starken Drang zur Harmonisierung, zur Europa einen Wettbewerb zwischen den Politiken der Vereinheitlichung gibt. Wir stellen immer wieder fest, einzelnen Hauptstädte. Natürlich bedeutet Föderalis- dass Regelungen sich angleichen. mus auch Wettbewerb zwischen den Politiken der ein- zelnen Landeshauptstädte. Sie haben das sehr griffig Der Vorteil des Bundesstaates scheint mir zu sein, herausgearbeitet. dass es die Möglichkeit des Experiments gibt. Das heißt, wenn Ländern Gesetzgebungskompetenzen zu- Ich möchte eine pragmatische Anmerkung machen. gewiesen werden, dann ist es meines Erachtens im Sie haben große Zweifel geäußert, Herr Kollege Prinzip unschädlich, wenn sich Länder auf Musterge- Schmidt, was das Zugriffsrecht oder die Zugriffskom- setze einigen und sagen: Das wollen wir einheitlich petenz angeht. Ich sage Ihnen voraus – einfach auf- (B) machen. – Denn sie haben die Möglichkeit, abzuwei- grund der Diskussionen, die wir in den letzten Jahren, (D) chen; das ist ein wichtiger Punkt. Das ist etwas, was es um nicht zu sagen: Jahrzehnten geführt haben –: Sie eher in der ökonomischen Theorie gibt. Das sind die werden sich sehr schwer tun, wirklich eine substanzi- Gesetze des Marktes. Ein Land kann sagen – das wer- elle Trennung hinsichtlich der Kompetenzen von Bund den tendenziell eher die stärkeren, größeren Länder und Ländern zu erreichen. Es wäre schön, aber Sie sein –: Ich probiere Folgendes. – Wenn das Experiment werden es nicht erreichen. Ich bin gespannt darauf, ob erfolgreich ist, werden die anderen Länder nachfolgen. ich da widerlegt werde. Ich glaube, dass das nicht ge- Dann haben wir wieder die Einheitlichkeit. Aber diese hen wird. Das wird sich in Marginalien, wie Herr Einheitlichkeit ist auf Landesebene hergestellt worden Steinbrück es angesprochen hat, erschöpfen. und nicht durch den Bund. Deswegen wird man, wenn man eine Neuordnung Das wäre meines Erachtens eine Möglichkeit zur haben will, um die Möglichkeit des Zugriffsrechts mei- Modernisierung des Bundesstaates, durch die die Län- nes Erachtens nicht herumkommen. Wenn wir hin- der und insbesondere die Landesparlamente gestärkt sichtlich des Zugriffsrechts hier keine größere Einig- würden und durch die es, bezogen auf die Zeitschiene, keit erzielen, dann werden wir, was die Kompetenzen trotzdem einheitliche Regelungen gäbe. Entweder das anbelangt, substanziell nicht weiterkommen. Aber wir Experiment des Landes, das sich vorgewagt hat, ist er- müssen bei den Kompetenzen weiterkommen, weil wir folgreich – dann werden die anderen häufig folgen – sonst das Problem des Art. 84 nicht lösen. oder das Experiment ist nicht erfolgreich; dann werden die anderen nicht folgen. Ich will, weil Sie sich sehr kritisch geäußert haben – dagegen gibt es sehr viele Einwendungen; das ist gar Dass es dabei unterschiedliche Akteure geben wird, keine Frage –, noch eine pragmatische Äußerung dazu dass große Länder das eher machen werden als kleinere, machen, was am Ende wohl überhaupt möglich sein scheint mir einfach darin begründet zu sein, dass wir wird, und zwar unabhängig davon, woher man kommt. unterschiedliche Länder haben und dass die Neugliede- Ich glaube, dass man sich das Zugriffsrecht – auch die- rung – meines Erachtens zu Recht – nicht auf unserer jenigen, die sehr große Bedenken haben – noch einmal Agenda steht. Dass sich 16 Länder vielleicht koordinie- in aller Ruhe ansehen muss. Dieses Zugriffsrecht ist ren, das sind Kosten des Bundesstaates. Damit muss meines Erachtens die einzige Möglichkeit, eine Diffe- man ein Stück weit leben. Das ist der Preis, den man für renzierung zwischen dem Bund und den Ländern her- Vielfalt zahlt. Darum würde ich dafür plädieren, gerade beizuführen, ohne die kleinen Länder, die vielleicht auch aufseiten des Bundes Mut zu haben und nicht zu Angst vor einer Pflicht zur Gesetzgebung haben, zu sagen: „Hier können wir keine Vielfalt ertragen“, son- überfordern. Eine Differenzierung werden wir immer dern den Ländern in der Gesetzgebung die Möglichkeit haben. Ich glaube, wir müssen in Deutschland auch den

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Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (Bayern) (A) Mut haben, eine Differenzierung zu akzeptieren, trotz sie zulaufen. Wir werden dann am 12. Dezember in (C) der Einheitlichkeit oder der Gleichwertigkeit – wir ha- Form einer Anhörung im Bundesrat tagen. Herr Hahn, ben den Begriff ja geändert – der Lebensverhältnisse. da gibt es eine andere Bestuhlung. Da sitzen alle wie- der „gleicher“ als heute; das bekommen wir hin. Da- Ich will Ihnen auch sagen: Bitte hängen Sie den rauf achten wir im Rahmen dessen, was zu tun uns Grundsatz der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse möglich ist, natürlich auch. nicht so hoch. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhält- nisse ist auch in den europäischen Konventionen ver- Die Arbeitsgrupp 1 wird den Auftrag haben, die ankert. Ideen von heute – ich fand, es gab eine ganze Menge – zu sortieren und im Sinne dessen abzugleichen, was Es ist sowieso eine interessante Frage, welche Herr Teufel zu Beginn sauber aufgeführt hat, nämlich Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse eigentlich klar zu machen: Erstens. Welche Dinge sollten in der Vorrang hat. Hat die Gleichwertigkeit der Lebensver- hältnisse in Europa Vorrang vor der Gleichwertigkeit Zuständigkeit des Bundes und welche Dinge in der Zu- der Lebensverhältnisse in Deutschland? Denn diese ständigkeit der Länder liegen? Was sind die klaren stehen in Konkurrenz zueinander. Aufgrund des euro- Dinge? Worauf kann man sich dabei relativ schnell ver- päischen Rechts hat natürlich die Gleichwertigkeit der ständigen? Zweite Kategorie: Was sind die strittigen? – Lebensverhältnisse in Europa Vorrang. Dass sie Vor- Ich weiß nicht, welche dieser Listen länger sein wird. rang hat, erleben wir an allen möglichen Stellen. So Dabei müssen wir im Blick behalten, dass es nicht werden die Möglichkeiten zur Gewährung von Beihil- sinnvoll ist, alles nach Bund und Ländern aufzuteilen, fen immer stärker eingeschränkt und Ähnliches. Des- sondern dass es durchaus sinnvoll sein kann und wahr- halb sollten wir – bei aller Wertschätzung, was die scheinlich auch sein wird, dass Aspekte in erheblichem Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse angeht – Umfang Bund-Länder-orientiert bleiben werden, von durchaus den Mut haben, auch ein Stück mehr Diffe- beiden bedacht und in der Gesetzgebung dann auch be- renziertheit hier in unserem Lande zuzulassen. Wir be- treut werden müssen. kommen es über Europa sowieso. Bis zu unserer Klausurtagung im Januar werden beide Arbeitsgruppen gearbeitet haben, die eine, die Vorsitzender Franz Müntefering: sich mit dem heute diskutierten Thema befasst, und die Vielen Dank, Herr Stoiber. – Ich denke, dass die für Finanzen. Das wird mindestens genauso spannend; Chance des Bundesstaates immer darin gelegen hat ab und zu ist es schon ein bisschen durchgeschimmert. und nach wie vor darin liegt, dass einzelne Länder in Auf der Klausurtagung werden wir beides auf der Ta- bestimmten Politikbereichen so etwas wie Avantgarde gesordnung haben. (B) sein können und das auch zu sein versuchen. Diese (D) Möglichkeit muss weiterhin gegeben sein. Das ist das Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 4 auf: positive Element, das wir im Föderalismus in Deutsch- Beschlussfassung über die Durchführung ei- land bisher gehabt haben und das uns gut getan hat. Ich ner öffentlichen Anhörung am 12. Dezem- glaube, dass zu unterschiedlichen Zeiten aus unter- ber 2003: „Zuordnung von Gesetzgebungs- schiedlichen Ländern immer wieder Ideen zu unter- zuständigkeiten auf Bund und Länder sowie schiedlichen Themen gekommen sind und neue For- Zuständigkeiten und Mitwirkungsrechte der men von Politik entwickelt worden sind, die uns Länder in der Bundesgesetzgebung, insbe- allgemein gut getan haben, weil die anderen mitwoll- sondere vor dem Hintergrund der Weiterent- ten und mitgezogen haben. wicklung der Europäischen Union“ Diese Idee ist, glaube ich, bei uns unbestritten. Die Wir wollen uns auf eine Anhörung am 12. Dezember Frage ist, wie sich diese Idee zum Wettbewerbsfödera- vorbereiten, bei der das heutige Thema insbesondere lismus, zu der Frage verhält: Was ist mit gleichen vor dem Hintergrund der Weiterentwicklung der Euro- Chancen der Länder, die unterschiedlich groß, unter- päischen Union vertieft beraten werden soll. Die Anhö- schiedlich stark sind? Was muss man tun, damit aus rung wird durch einen Fragenkatalog vorbereitet, den dieser Idee, dass Länder Avantgarde sein können, nicht wir in den nächsten Tagen insbesondere an die Sach- der Gedanke entsteht, dass Länder abgeschnitten und verständigen in unserer Kommission geben werden. abgesprengt sein werden, weil sie zu schwach sind? Die Vorsitzenden werden sich dazu in den nächsten Ta- Dies wird deshalb ein bisschen oder vielleicht auch gen bei Ihnen melden. – Kann ich dann davon ausge- viel komplizierter, weil wir auch daran denken müssen, hen, dass damit der Tagesordnungspunkt 4 beschlossen wie diese Länder – die Länder miteinander als ist? – Das ist der Fall; ich bedanke mich. Deutschland, national – ihre Interessen in Europa, so Wir kommen dann zu Tagesordnungspunkt 5: wie es sich entwickelt, wahrnehmen können. Das ist, glaube ich, eine neue Dimension, die man vor Terminplanung 2004 50 Jahren so noch nicht gesehen hat, auch nicht sehen konnte. Zur Terminplanung hatte ich schon etwas vorgetra- gen – ich wusste gar nicht, dass es dazu einen eigenen Das zuletzt Erwähnte wird Thema unserer Anhö- Tagesordnungspunkt gibt –, ich habe keine Widersprü- rung sein. Noch einmal zur Arbeitsweise: Dazu gibt es che dazu gehört. Die Termine bis Mitte nächsten Jahres einen Fragenkatalog. Er richtet sich vor allen Dingen sind dort aufgelistet. Bis dahin werden wir wissen, ob an die sachverständigen Mitglieder, Professoren unse- wir zu etwas Gutem kommen oder nicht. Ich glaube rer Kommission; das wird in den nächsten Tagen auf immer noch, dass das möglich ist.

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(A) Dann kommen wir zu Tagesordnungspunkt 6: Dann bedanke ich mich und wünsche Ihnen alles (C) Gute. Wir sehen uns wieder zur Anhörung am Verschiedenes 12. Dezember 2003. Hierzu liegen keine Wortmeldungen vor. (Schluss: 17.41 Uhr)

(B) (D)

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