Plenarprotokoll 17/42

Deutscher

Stenografischer Bericht

42. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

I n h a l t :

Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung ...... Zusatztagesordnungspunkt 2: 4125 A Antrag der Fraktion DIE LINKE: Kreditaus- fallversicherungen (CDS) und deren Han- del vollständig verbieten (Drucksache 17/1733) ...... Zusatztagesordnungspunkt 1: 4125 B Abgabe einer Regierungserklärung durch die Dr. , Bundeskanzlerin: zu den Maßnahmen zur Bundeskanzlerin ...... Stabilisierung des Euro ...... 4125 D 4125 B Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) ...... in Verbindung mit 4131 C Birgit Homburger (FDP) ...... 4135 A Dr. Barbara Hendricks (SPD) ...... Tagesordnungspunkt 1: 4139 C Erste Beratung des von den Fraktionen der Birgit Homburger (FDP) ...... CDU/CSU und der FDP eingebrachten Ent- 4140 B wurfs eines Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines euro- Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) ...... päischen Stabilisierungsmechanismus 4140 C (Drucksache 17/1685) ...... 4125 B (CDU/CSU) ...... 4142 B in Verbindung mit II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ Qualitätspakt für die Hochschullehre; DIE GRÜNEN) ...... Wettbewerbliche Vergabeverfahren bei 4144 C der Förderung qualitativer Lehre Antwort (CDU/CSU) ...... Dr. , Parl. Staatssekretär 4145 D BMBF ...... Dr. (FDP) ...... 4158 C 4147 A Zusatzfragen Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ Dr. (SPD) ...... DIE GRÜNEN) ...... 4158 D 4147 D

Carsten Schneider () (SPD) ...... Mündliche Frage 1 4148 A (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) ...... Zeichnung des revidierten Europäischen Übereinkommens über die Adoption von 4150 A Kindern (DIE LINKE) ...... Antwort 4152 B Dr. , Parl. Staatssekretär BMJ ...... (CDU/CSU) ...... 4159 C 4153 C Zusatzfragen Norbert Barthle (CDU/CSU) ...... Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ 4155 A DIE GRÜNEN) ...... 4159 D

Tagesordnungspunkt 3: Fragestunde Mündliche Frage 2 (Drucksachen 17/1694, 17/1738) ...... Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4157 B Bedingungen der vom Deutschen Bundes- tag beschlossenen Griechenlandhilfe Dringliche Frage 1 Antwort Dr. (BÜNDNIS 90/ Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär DIE GRÜNEN) BMF ...... Übernahme des britischen Verkehrskon- 4160 B zerns Arriva durch die Deutsche Bahn AG Zusatzfragen Antwort Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ , Parl. Staatssekretär DIE GRÜNEN) ...... BMVBS ...... (BÜNDNIS 90/ 4157 C DIE GRÜNEN) ...... 4160 C Zusatzfragen Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ 4161 B DIE GRÜNEN) ...... Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... Mündliche Fragen 5 und 6 4157 D Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) 4158 A Vorschlag von Bundesbankpräsident Axel Weber für den Vorsitz der Europäischen Dringliche Fragen 2 und 3 Zentralbank (SPD) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 III

Antwort Antwort Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär , Parl. Staatssekretär BMF ...... BMWi ...... 4161 D 4163 D Zusatzfragen Zusatzfrage Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ Manfred Nink (SPD) ...... DIE GRÜNEN) ...... 4164 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 4161 D Mündliche Frage 15 4162 B (SPD) Auswirkungen eines etwaigen Heraus- lösens von kleinen und mittelständischen Mündliche Frage 8 Unternehmen aus dem Verfahren des elek- Hans-Joachim Hacker (SPD) tronischen Entgeltnachweises (ELENA) Schaffung dauerhafter gerichtsfester Rege- Antwort lungen zu Ladenöffnungszeiten am Sonn- Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär tag vor dem Hintergrund des Urteils des BMWi ...... Oberverwaltungsgerichts Greifswald über 4164 B die Aufhebung der sogenannten Bäderre- gelung Zusatzfragen Antwort Doris Barnett (SPD) ...... Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär (SPD) ...... BMWi ...... 4164 C 4162 C 4165 A Zusatzfrage Hans-Joachim Hacker (SPD) ...... Mündliche Frage 16 4162 D Doris Barnett (SPD) Datenschutzrechtliche Vorkehrungen hin- Mündliche Frage 11 sichtlich der Datenübertragung und -ver- Manfred Nink (SPD) waltung von Arbeitnehmerdaten an Dritte und Möglichkeiten der Einsichtnahme Vorschläge und Konzepte hinsichtlich ei- durch die Arbeitnehmer ner stärkeren Koordinierung und Steue- Antwort rung der Wirtschaftspolitik zur Umsetzung Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär der für die EU beschlossenen Leitziele BMWi ...... Antwort 4165 B Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi ...... Zusatzfragen Doris Barnett (SPD) ...... 4163 B 4165 C Zusatzfrage Manfred Nink (SPD) ...... Mündliche Frage 17 4163 C (SPD) Gewährleistung der vollständigen Auszah- Mündliche Frage 12 lung der Umweltprämie Manfred Nink (SPD) Antwort Umsetzung der vom Europäischen Rat in Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär der neuen Strategie für die Europäische BMWi ...... Union beschlossenen Leitziele und Bewer- 4166 A tung der vorgeschlagenen Sanktionsmaß- Zusatzfragen nahmen bzw. Belohnungssysteme Garrelt Duin (SPD) ...... 4166 B IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

Mündliche Frage 19 Antwort Sevim Daðdelen (DIE LINKE) Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär BMVg ...... Berücksichtigung der Interessen der West- sahara in den Verhandlungen über eine 6169 B mögliche Verlängerung des Fischereipart- Zusatzfragen nerschaftsabkommens zwischen der EU und Marokko (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... Antwort (Bremen) (BÜNDNIS 90/ Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär DIE GRÜNEN) ...... BMWi ...... 6169 D 4166 C 4170 B Zusatzfragen Sevim Daðdelen (DIE LINKE) ...... 4166 D Mündliche Frage 36 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Mündliche Frage 22 Berücksichtigung von Barrierefreiheit bei Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ der Restaurierung sowjetischer Gedenk- DIE GRÜNEN) stätten in Berlin-Tiergarten und Berlin- Treptow Situation von Frauen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt im Vergleich zu Antwort Männern Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär Antwort BMFSFJ ...... Dr. , Parl. Staatssekretär 4171 A BMAS ...... Zusatzfragen 4167 D Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) ...... Zusatzfrage 4171 B Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 4168 A Mündliche Frage 37 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE)

Mündliche Frage 23 Regelungen hinsichtlich der Aufbewah- Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ rung sowie der Zugänglichkeit der Akten DIE GRÜNEN) und elektronischen Daten bei der Con- terganstiftung für behinderte Menschen Geschlechtsspezifisch differenzierte Erfas- sung der monatlichen Arbeitslosenzahl Antwort schwerbehinderter Menschen und Ausweis Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär im Arbeitsmarktbericht der Bundes- BMFSFJ ...... agentur für Arbeit 4171 D Antwort Zusatzfragen Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) ...... BMAS ...... 4172 A 4168 B Zusatzfragen Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ Mündliche Frage 42 DIE GRÜNEN) ...... (BÜNDNIS 90/ 4168 C DIE GRÜNEN) § 35 Abs. 1 Nr. 4 des Baugesetzbuchs als Auffangtatbestand für atypische Fälle Mündliche Frage 29 Antwort Katja Keul (BÜNDNIS 90/ Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär DIE GRÜNEN) BMVBS ...... Identifizierung der Opfer des Luftschlags 4172 C bei Kunduz/Afghanistan vom 4. September 2009 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 V 4175 C Zusatzfragen Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ Mündliche Fragen 58 und 59 DIE GRÜNEN) ...... (Leipzig) (SPD) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... Ausgestaltung des angekündigten Bil- 4172 D dungslotsenprogramms zur Betreuung von Hauptschülern 4173 B Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär Mündliche Frage 43 BMBF ...... Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ 4176 A DIE GRÜNEN) Sicherheitsbedenken gegen die Genehmi- Zusatzfragen gung von Sichtflügen Mitte April dieses Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) ...... Jahres durch die Flugaufsicht und Verant- Ute Kumpf (SPD) ...... wortung für Schadensfälle 4176 D Antwort 4177 B Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVBS ...... 4173 D Mündliche Frage 61 Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Zusatzfragen DIE GRÜNEN) Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... Abgabe von Zusicherungen zur Stärkung der Arbeit des Internationalen Strafge- 4174 A richtshofs im Rahmen der Konferenz zur Überprüfung etwaiger Änderungen des Mündliche Frage 48 Römischen Statuts Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ Antwort DIE GRÜNEN) , Staatsministerin AA ...... Aufhebung der Haushaltssperre für das 4178 B Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien zur Erhöhung des Anteils erneu- Zusatzfragen erbarer Energien beim Wärmebedarf bis Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ 2020 DIE GRÜNEN) ...... Antwort 4179 A , Parl. Staatssekretärin BMU ...... Zusatztagesordnungspunkt 3: 4174 C Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion Zusatzfragen der SPD: Unterschiedliche verfassungs- Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ rechtliche Auffassungen in der Bundesre- DIE GRÜNEN) ...... gierung zur Verlängerung von Atomkraft- 4174 D werkslaufzeiten (SPD) ...... 4179 D Mündliche Frage 49 Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister DIE GRÜNEN) BMU ...... Vorlage eines CCS-Gesetzes 4180 D Antwort Dorothée Menzner (DIE LINKE) ...... Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin 4182 D BMU ...... 4175 B (FDP) ...... 4183 D Zusatzfragen Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... DIE GRÜNEN) ...... VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

4184 D Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ ...... Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) ...... 4197 B 4185 D Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminis- Rolf Hempelmann (SPD) ...... ter BMVg ...... 4186 D 4197 C Klaus Breil (FDP) ...... Harald Koch (DIE LINKE) ...... 4187 D 4197 C Dr. Michael Paul (CDU/CSU) ...... Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminis- 4188 D ter BMVg ...... (SPD) ...... 4197 D 4189 D Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... Thomas Bareiß (CDU/CSU) ...... 4198 A 4191 A Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminis- Marco Bülow (SPD) ...... ter BMVg ...... 4192 B 4198 A Dr. (CDU/CSU) ...... (DIE LINKE) ...... 4193 C 4198 B

Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin Tagesordnungspunkt 2: BMFSFJ ...... Befragung der Bundesregierung: Gesetzent- 4198 B wurf zur Änderung wehr- und zivildienst- (SPD) ...... rechtlicher Vorschriften 4198 B Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminis- ter BMVg ...... Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminis- 4194 D ter BMVg ...... 4198 C Heidrun Dittrich (DIE LINKE) ...... 4195 D Dr. (DIE LINKE) ...... 4198 C Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ ...... Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin 4195 D BMFSFJ ...... 4198 D Dr. Hans-Peter Bartels (SPD) ...... 4196 B Sönke Rix (SPD) ...... 4199 A Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminis- ter BMVg ...... Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin 4196 B BMFSFJ ...... 4199 A (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminis- 4196 C ter BMVg ...... 4199 B Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ ...... Heidrun Dittrich (DIE LINKE) ...... 4196 D 4199 C

Markus Grübel (CDU/CSU) ...... Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin 4197 A BMFSFJ ...... 4199 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 VII 4203 D Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ Anlage 4 DIE GRÜNEN) ...... Mündliche Frage 7 4200 A Günter Gloser (SPD) Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin Höhe der Bundesmittel für die private Al- BMFSFJ ...... tersversorgung, insbesondere für die Ries- 4200 A ter-Rente, sowie zukünftige Ausgaben- entwicklung Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/ Antwort DIE GRÜNEN) ...... Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär 4200 B BMF ...... Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bundesminis- 4204 A ter BMVg ...... 4200 B Anlage 5 Sönke Rix (SPD) ...... Mündliche Frage 9 4200 D Heinz Paula (SPD) Maßnahmen und Projekte zur Unterstüt- Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin zung eines nachhaltigen und klimafreund- BMFSFJ ...... lichen Tourismus 4200 D Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär Nächste Sitzung ...... BMWi ...... 4201 C 4204 C

Anlage 1 Anlage 6 Liste der entschuldigten Abgeordneten ...... Mündliche Frage 10 4203 A Heinz Paula (SPD) Maßnahmen zur Bekämpfung des Sextou- Anlage 2 rismus und der Kinderprostitution auf na- tionaler und internationaler Ebene Mündliche Frage 3 Dr. Rolf Mützenich (SPD) Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär Bisher ergriffene Maßnahmen zur Regulie- BMWi ...... rung der Finanzmärkte auf internationaler 4205 B Ebene seit September 2009 Antwort Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär Anlage 7 BMF ...... Mündliche Frage 13 4203 B Michael Groß (SPD) Folgen der geplanten prioritären Ein- Anlage 3 stufung von Zink für zinkerzeugende und - verarbeitende mittelständische Betriebe Mündliche Frage 4 Dr. Rolf Mützenich (SPD) Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär Zeitpunkt der Information der Bundesre- BMWi ...... gierung und insbesondere des Bundes- ministers des Auswärtigen über die beim 4205 D Europäischen Rat am 7. Mai 2010 disku- tierten Maßnahmen zur Stabilisierung des Euro Anlage 8 Antwort Mündliche Frage 14 Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär Katja Keul (BÜNDNIS 90/ BMF ...... DIE GRÜNEN) VIII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

Verschärfung der Genehmigungspraxis Etwaige Nichtberücksichtigung von Kom- von Rüstungsexporten gegenüber finanziell munen mit beabsichtigter alleiniger Trä- angeschlagenen Staaten wie Griechenland gerschaft der Grundsicherung bei den Be- werbungen zum Modellprojekt Bür- Antwort gerarbeit Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi ...... Antwort 4205 D Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS ...... 4207 C Anlage 9 Mündliche Frage 18 Anlage 13 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 25 Sabine Zimmermann (DIE LINKE) Einigung bei den Nachrüstkosten im Zu- sammenhang mit Laufzeitverlängerungen Einordnung des Modellprojekts Bürgerar- von Atomkraftwerken sowie etwaige Gut- beit in die arbeitsmarktpolitischen Förder- achtervorschläge dazu instrumente des SGB II Antwort Antwort Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMWi ...... BMAS ...... 4206 A 4207 D

Anlage 10 Anlage 14 Mündliche Frage 20 Mündliche Frage 26 Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) Sabine Zimmermann (DIE LINKE) Einbeziehung der Tarifpartner sowie wei- Zusammensetzung der zwischen 2005 und terer Interessenverbände in die Weiterent- 2009 zur Anwendung gekommenen ar- wicklung der Eingliederungshilfe im Rah- beitsmarktpolitischen Förderinstrumente men der Bund-Länder-Arbeitsgruppe und Neuordnung für die Zukunft Antwort Antwort Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMAS ...... BMAS ...... 4206 B 4208 A

Anlage 11 Anlage 15 Mündliche Frage 21 Mündliche Frage 27 Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Teilnahme von Schulabgängern an Maß- nahmen zur Unterstützten Beschäftigung Regelungslücken und Änderung der Mel- nach § 38 a SGB IX und Gewährleistung depflichten angesichts der Verschleppung der Berufsbegleitung durch das Integra- von Informationen bei Dioxinfunden in Ei- tionsamt bei noch nicht ausgestelltem ern Schwerbehindertenausweis Antwort Antwort Julia Klöckner, Parl. Staatssekretärin Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMELV ...... BMAS ...... 4208 C 4206 C

Anlage 16 Anlage 12 Mündliche Frage 28 Mündliche Frage 24 Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 IX

Geplante Änderungen im Kontrollsystem Antwort für Futtermittelimporte Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ ...... Antwort Julia Klöckner, Parl. Staatssekretärin 4210 A BMELV ...... 4209 A Anlage 21 Mündliche Frage 35 Anlage 17 Christian Lange (Backnang) (SPD) Mündliche Frage 30 Einsparungen im Bereich der Kinderbe- Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ treuung; Betreuungsplatzgarantie für Kin- DIE GRÜNEN) der unter drei Jahren ab 2013 Befassung des Kabinetts mit rechtlichen Antwort Änderungen zur Verkürzung des Wehr- Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär und Zivildienstes BMFSFJ ...... Antwort 4210 B Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär BMVg ...... 4209 B Anlage 22 Mündliche Fragen 38 und 39 (CDU/CSU) Anlage 18 Missbrauchsfälle in Jugendwerkhöfen in Mündliche Frage 31 der Zeit der zweiten deutschen Diktatur so- Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ wie für diesen Themenbereich am runden DIE GRÜNEN) Tisch teilnehmende Sachverständige Optionale Verlängerung des Zivildienstes Antwort im Zuge der Neuregelungen zur Verkür- Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär zung des Wehr- und Zivildienstes BMFSFJ ...... Antwort 4210 D Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ ...... 4209 C Anlage 23 Mündliche Fragen 40 und 41 Dr. Marlies Volkmer (SPD) Anlage 19 Gesetzliche Verpflichtung der Kranken- Mündliche Frage 32 kassen zur Einrichtung von Spitzenverbän- (SPD) den in den einzelnen Bundesländern sowie Auswirkungen auf die Verwaltungsausga- Auswirkungen der vorgeschlagenen Neu- ben der Krankenkassen regelungen zur Novellierung des Jugend- medienschutz-Staatsvertrages Antwort Annette Widmann-Mauz, Parl. Staats- Antwort sekretärin BMG ...... Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ ...... 4211 A 4209 C Anlage 24 Anlage 20 Mündliche Frage 45 Michael Groß (SPD) Mündliche Fragen 33 und 34 Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ Einstufung von Zink als prioritär in der DIE GRÜNEN) EU-Wasserrahmenrichtlinie Überprüfung der finanziellen Ausstattung Antwort des Kita-Ausbaus sowie geplante Sparmaß- Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin nahmen im Bereich der Kinderbetreuung BMU ...... ab dem vollendeten ersten Lebensjahr X Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4211 D Anlage 25 Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin Mündliche Fragen 46 und 47 BMU ...... Ulrich Kelber (SPD) 4213 C Anzahl und Investitionsvolumen der beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhr- kontrolle vorliegenden und infolge der Anlage 29 Haushaltssperre nicht bearbeiteten An- träge auf Zuschuss zur Nutzung erneuer- Mündliche Fragen 55 und 56 barer Energien im Rahmen des Marktan- René Röspel (SPD) reizprogramms Förderung der Evaluierung von Open- Antwort Access-Veröffentlichungen und von Onli- Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin ne-zeitschriften sowie des Aufbaus und der BMU ...... Vernetzung von Repositorien 4212 B Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF ...... Anlage 26 4214 A Mündliche Fragen 50 und 51 Dr. (SPD) Anlage 30 Verbesserung der Netz- und Systeminte- gration von Windenergieanalagen durch Mündliche Frage 57 die neue Verordnung zu Systemdienstleis- Christian Lange (Backnang) (SPD) tungen durch Windenergieanlagen und die Erhöhung der Ausgaben für Schulen und entsprechende Regelung im Erneuerbare- Hochschulen auf 10 Prozent des Brutto- Energien-Gesetz sowie Stand der Umset- inlandsprodukts zung Antwort Antwort Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMU ...... BMBF ...... 4214 D 4212 D

Anlage 31 Anlage 27 Mündliche Frage 60 Mündliche Frage 52 (BÜNDNIS 90/ Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Bereitstellung der auf dem G-8-Gipfel 2006 Rechtliche Grundlage für die Einleitung von radioaktiven Abwässern in die Ostsee beschlossenen Hilfe zur weltweiten Be- kämpfung von Aids, Tuberkulose und Ma- am Standort Lubmin zwischen 1992 und laria sowie zur Stärkung der Gesundheits- 2009 systeme bis 2013 Antwort Antwort Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin BMU ...... BMZ ...... 4213 A 4214 D

Anlage 28 Anlage 32 Mündliche Fragen 53 und 54 Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ Mündliche Frage 62 Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Bedienung entstehender Schäden bei einem Dialog mit Äthiopien über die dortige Men- Reaktorunglück aus der Deckungsvor- schenrechtslage sorge, insbesondere Haftung für landwirt- schaftliche Ernteausfälle Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA ...... Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 XI 4215 A Anlage 33 Anlage 35 Mündliche Frage 63 Mündliche Frage 65 Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ Inge Höger (DIE LINKE) DIE GRÜNEN) Zugrunde liegendes Szenario der in Süd- Teilnahme an der Überprüfungskonferenz deutschland abgehaltenen gemeinsamen des Internationalen Strafgerichtshofs in Luftübung amerikanischer und israeli- Uganda vom 31. Mai bis 11. Juni 2010 und scher Streitkräfte und Einbindung deut- Abschluss eines „relocation agreement“ scher Behörden oder Institutionen Antwort Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA ...... Cornelia Pieper, Staatsministerin AA ...... 4215 B 4216 A

Anlage 34 Anlage 36 Mündliche Frage 64 Mündliche Frage 66 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ Sevim Daðdelen (DIE LINKE) DIE GRÜNEN) Wiederaufnahme der Ausbildungs- und Unter Beteiligung von Bundeswehrsoldaten Ausrüstungsmaßnahmen der KFOR im Jahr 2010 in Afghanistan festge- Antwort nommene und an US-Stellen übergebene Cornelia Pieper, Staatsministerin AA ...... Aufständische; Behandlung der Aufständi- schen in „Geheimgefängnissen“ von US- 4216 C Stellen Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA ...... 4215 D

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4125

42. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

Beginn: 9.01 Uhr

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Präsident Dr. : Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ich begrüße Sie herzlich. Die Sitzung ist eröffnet. , Michael Schlecht, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Fraktion DIE LINKE heutige Tagesordnung um eine Regierungserklä- rung der Bundeskanzlerin sowie den Antrag der Kreditausfallversicherungen (CDS) und deren Fraktion Die Linke für ein Verbot von Kreditausfall- Handel vollständig verbieten versicherungen zu erweitern. Beides soll jetzt – Drucksache 17/1733 – gleich, zusammen mit der ersten Lesung des Ge- Überweisungsvorschlag: setzentwurfs der Koalitionsfraktionen zur Über- Finanzausschuss (f) nahme von Gewährleistungen im Rahmen eines Ausschuss für Wirtschaft und Technologie europäischen Stabilisierungsmechanismus, auf- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind gerufen werden. Außerdem ist vorgesehen, nach für die Aussprache im Anschluss an die Regie- der Unterbrechung der Sitzung um 13 Uhr zu- rungserklärung zwei Stunden vorgesehen. – Ich nächst mit der Fragestunde zu beginnen, an- höre keinen Widerspruch. Dann können wir so ver- schließend die von der Fraktion der SPD verlangte fahren. Aktuelle Stunde zur Laufzeit von Atomkraftwerken aufzurufen und erst danach die Befragung der Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklä- Bundesregierung durchzuführen. Sind Sie mit die- rung hat die Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela sen Änderungen einverstanden? – Das ist offen- Merkel. sichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 sowie die Zusatzpunkte 1 und 2 auf: Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: ZP 1 Abgabe einer Regierungserklärung durch Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist die Bundeskanzlerin keine zwei Wochen her, dass der Deutsche Bun- zu den Maßnahmen zur Stabilisierung destag mit großer Mehrheit die Stabilisierungs- des Euro maßnahmen für Griechenland beschlossen hat. Mit dem am 7. Mai verabschiedeten Paket haben 1 Erste Beratung des von den Fraktionen der wir ökonomisch genauso wie politisch-rechtlich CDU/ CSU und der FDP eingebrachten deutlich gemacht: Wir helfen Griechenland, weil Entwurfs eines Gesetzes zur Übernahme wir so der Stabilität unserer gemeinsamen Wäh- von Gewährleistungen im Rahmen eines rung insgesamt helfen. Wir schützen das Geld der europäischen Stabilisie- Bürgerinnen und Bürger unseres Landes – nicht rungsmechanismus mehr und nicht weniger ist der Auftrag der Bundes- – Drucksache 17/1685 – regierung genauso wie des Hohen Hauses hier. Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Haushaltsausschuss (f) Innenausschuss Heute sind wir zusammengekommen, um eine Rechtsausschuss Entscheidung zu fällen, die für die Zukunft Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Deutschlands und Europas noch bedeutender ist; denn jeder von uns spürt: Die gegenwärtige Krise 4126 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 des Euro ist die größte Bewährungsprobe, die Eu- Dazu will ich, dass wir erstens gemeinsam mit un- ropa seit Jahrzehnten, ja wohl seit Unterzeichnung seren Partnern dafür sorgen, dass sich ganz Euro- der Römischen Verträge im Jahre 1957 zu beste- pa einer neuen Stabilitätskultur verschreibt, einer hen hat. Diese Bewährungsprobe ist existenziell, Stabilitätskultur, und ich füge hinzu: Sie muss bestanden werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Bringen wir es auf den Punkt. Der Euro, der zu- [SPD]: Dann fangen Sie sammen mit dem Binnenmarkt das Fundament für zu Hause damit an!) Wachstum und Wohlstand auch in Deutschland die für die Konsolidierung der Staatshaushalte und darstellt, ist in Gefahr. Wenden wir diese Gefahr für die langfristige Stabilität unserer gemeinsamen nicht ab, dann sind die Folgen für Europa unab- Währung sorgt. Ich will zweitens, dass wir über Eu- sehbar, und dann sind auch die Folgen über Euro- ropa hinaus gemeinsam mit allen G-20-Staaten pa hinaus unabsehbar. Eine Ahnung von dem, was durch die Regulierung der Finanzmärkte Vorsorge dann geschehen könnte, haben wir am Donners- dafür treffen, die Weltwirtschaft vor einer erneuten tagabend vor unserer Griechenland-Debatte mit Krise zu schützen. Ich will drittens, dass die Euro- den schon fast hysterisch anmutenden Turbulen- päische Union ihre eigenen strukturellen Schwä- zen auf den internationalen Märkten bekommen. chen schonungslos aufdeckt und sich dann auf die Was dort sichtbar wurde – Sie alle haben es großen Aufgaben konzentriert, um unsere gemein- mitverfolgt –, war dramatisch. Deshalb gab es zur same Zukunft zu gestalten. Sicherung der Stabilität des gesamten Euro- Herr Präsident, meine Damen und Herren, in Finanzsystems wenige Tage später keine vernünf- den Beratungen der Staats- und Regierungschefs tige Alternative. Die Ultima Ratio war erreicht; das am 7. Mai und der Finanzminister der Europäi- heißt nichts anderes, als dass der Euro insgesamt schen Union am 9. Mai bestand in Europa – zu- in Gefahr war. Aber das, was sich in jenen Tagen rückhaltend gesagt – nicht sofort Einigkeit darüber, abspielte, war nur die ökonomische Ahnung des- wie der Rettungsweg aus der aktuellen Krise aus- sen, was auf Deutschland, Europa und die Welt sehen könnte. Es wurden Vorschläge diskutiert, zukäme, wenn nicht oder falsch gehandelt würde. die ich als deutsche Bundeskanzlerin und die Bun- Die politischen Folgen dagegen sind noch nicht desregierung insgesamt nicht bereit waren mitzu- einmal in Gedanken vorstellbar. tragen. Konkret drohte der Weg zu einer Trans- Legen wir deshalb einen Moment die techni- ferunion, in der eine unmittelbare und verbindliche schen Eckdaten des vorliegenden Gesetzentwurfs Haftung aller für selbstverantwortete Entscheidun- beiseite: die Kredite in Höhe von 750 Milliarden gen einzelner Mitgliedstaaten eingeführt worden Euro, die notfalls zur Verfügung stehen, von denen wäre. Das galt es zu verhindern. 60 Milliarden Euro von der Europäischen Union (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gedeckt werden, für die die Euro-Staaten anteilig für bis zu 440 Milliarden Euro bürgen und Deutsch- Wäre das nicht gelungen, dann hätte Europa ei- land wiederum für 123 Milliarden Euro, gegebe- ne fatale Fehlentscheidung getroffen. Die Folgen nenfalls 20 Prozent mehr. Der Internationale Wäh- lägen auf der Hand: In einem solchen Modell wä- rungsfonds will zusätzlich einen Betrag von min- ren die Anreize für notwendige Eigenanstrengun- destens der Hälfte des europäischen Anteils tra- gen zur Haushaltskonsolidierung und zu Struktur- gen. Das wären bis zu 250 Milliarden Euro. Das reformen äußerst gering gewesen. Wirtschaftlich sind die Zahlen und Eckdaten. Aber legen wir sie erfolgreichere Mitgliedstaaten wären geschwächt kurz beiseite; denn wir wissen: Es geht um viel worden, ohne dass die schwächeren wirklich stär- mehr als um diese Zahlen; es geht um viel mehr ker geworden wären. Das aber wäre weder recht- als um eine Währung. Die Währungsunion ist ei- lich haltbar noch ökonomisch vernünftig gewesen. ne Schicksalsgemeinschaft. Es geht deshalb um Von daher wäre es politisch unverantwortlich ge- nicht mehr und nicht weniger als um die Be- wesen. Deshalb war ein solcher Weg mit Deutsch- wahrung und Bewährung der europäischen Idee. land zu keinem Zeitpunkt machbar, weder in der Frage Griechenland noch jetzt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der Preis für unsere Haltung war, als zögerlich Das ist unsere historische Aufgabe; denn scheitert oder langsam gescholten zu werden. Aber diesen der Euro, dann scheitert Europa. Wenden wir die- Preis, meine Damen und Herren, zahlt die Bundes- se Gefahr aber ab, dann werden der Euro und Eu- regierung gerne, wenn am Ende die richtigen Ent- ropa stärker als zuvor sein. scheidungen stehen. Wir müssen zweierlei schaffen: die Bewältigung (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der akuten Krisensituation zum einen und die Vor- sorge für die Zukunft zum anderen. Eine andere Entscheidung hätte nie wieder gut- gemacht werden können. Deutschland hätte seine ( [Heidelberg] [SPD]: Das muss Zustimmung – – man konkreter machen!) ( [Spandau] [SPD]: Ist ja albern! – Wei- tere Zurufe von der SPD) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4127

– Ich bin, ehrlich gesagt, baff. den. Aber wenn es gewünscht wird, werden wir Mittel und Wege finden, dass kein Geld fließt, be- (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Haben vor der Vertrag über die Zweckgesellschaft nicht Sie Freitag nichts gewusst? – Weitere Zu- bekannt ist. rufe von der SPD) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich kann mir, ehrlich gesagt, nicht vorstellen, dass NEN]: Und dann? – Weitere Zurufe von Sie, wenn Sie in einer solchen Lage gewesen wä- der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE ren, sehenden Auges etwas gemacht hätten, was GRÜNEN) rechtlich nicht akzeptabel ist und gleichzeitig uns alle ökonomisch nicht vorangebracht hätte. Das Parlament wird in die Entscheidungen ein- gebunden. Der Mechanismus für die Kredite der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Euro-Staaten ist somit so gestaltet, dass der Bud- Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gethoheit des Bundestages in vollem Umfang NEN]: Das haben Sie aber gemacht! – Rechnung getragen wird. Sigmar Gabriel [SPD]: Das haben Sie doch gemacht!) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das stimmt nicht! – Lothar Binding Insofern hat Deutschland seine Zustimmung [Heidelberg] [SPD]: Die Katze im Sack ist zum umfassenden Paket zur Wahrung der Finanz- das!) stabilität in Europa in der Nacht vom 9. auf den 10. Mai erst gegeben, als das Paket so gestaltet Grundlage und Voraussetzung für eine in Brüssel war, dass es unseren ökonomischen wie rechtli- einstimmig zu treffende Entscheidung über die chen Grundsätzen entspricht, und zwar nicht, weil Vergabe eines Kredits ist eine Einschätzung des wir überheblich geworden wären, sondern weil wir Internationalen Währungsfonds, der Europäischen überzeugt sind, dass es sich um Grundsätze han- Zentralbank und der Europäischen Kommission. delt, die der Sache dienen. Die Vergabe ist also an strenge Konditionen ge- knüpft. Diese Kredite der Euro-Staaten kommen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) aber erst zum Einsatz, wenn das neue Gemein- Da lautet der erste Grundsatz: Wir helfen unter schaftsinstrument nicht mehr ausreicht; denn für der Bedingung, dass sich der betroffene Staat zu Kredite im Umfang von insgesamt umfassenden Eigenanstrengungen verpflichtet. 60 Milliarden Euro bürgt die Europäische Union Damit leisten wir Hilfe zur Stabilisierung unserer selbst. Dabei handelt sie auf Grundlage des gemeinsamen Währung und nicht, um Defizitsün- Art. 122 des Vertrages über die Arbeitsweise der der aus der Pflicht zu nehmen. Durch die Einbin- Europäischen Union. Unionshandeln auf dieser dung des Internationalen Währungsfonds ist ge- Rechtsgrundlage ist jetzt möglich, weil einige Mit- währleistet, dass die Länder, die Kredite beantra- gliedstaaten von einer sich ausbreitenden Ketten- gen, ein wirkungsvolles Sanierungsprogramm an- reaktion und damit von außergewöhnlichen Ereig- wenden. Damit haben wir die beste Gewähr, dass nissen, die sich ihrer Kontrolle entziehen, ernstlich sie bei der Umsetzung effektiv überwacht werden. bedroht sind. Zweiter Grundsatz. Wir helfen unter der Bedin- gung, dass wir über jeden Einsatz der Mittel selbst Dritter Grundsatz. Wir helfen unter der Bedin- entscheiden, soweit es um bilaterale Mittel der gung, dass die beschlossenen Maßnahmen für Staaten geht. langfristige Stabilität sorgen. Deutschland tritt für (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: dauerhafte Stabilität in Europa ein. Das war so bei Aber nicht der Bundestag!) der Gründung der Wirtschafts- und Währungsuni- on, und das ist auch heute so und wird in Zukunft Es gibt keinen Automatismus europäischer Kredi- so sein. Niemandem in Europa werden wir das er- te. Für den größeren Teil des Rettungspaketes sparen. Ich sage: Im Kern der Auseinan- bürgen anteilig die Euro-Staaten. Sie behalten die volle Kontrolle. Die Kredite der Eurostaaten wer- dersetzung, die wir um jedes Detail führen, geht es um genau diese Stabilitätskultur. Ich glaube, es ist den über eine Zweckgesellschaft technisch abge- wichtig und richtig, dass wir darum kämpfen, dass wickelt. Die Eckpunkte dieser Zweckgesellschaft sich die Vorstellungen, die bei der Gründung des kennen Sie: einstimmige Entscheidungen, Befris- Euro angelegt waren, auch langfristig durchsetzen. tung, eine Gründung nach luxemburgischem Recht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dazu gehört natürlich auch die Verteidigung der Un- NEN]: Legen Sie doch den Vertrag vor! – abhängigkeit der Europäischen Zentralbank. Sie Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE wurde nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank GRÜNEN) geschaffen und garantiert seitdem erfolgreich die Preis- stabilität im Euro-Raum. Die Sicherung der Preisstabili- – An dem Vertrag – das wissen Sie; das haben wir tät ist und bleibt das oberste Gebot der Europäischen Ihnen in der Unterrichtung gesagt – wird gearbei- Zentralbank. Das macht den Kern ihrer Glaubwürdig- tet. Er konnte bis jetzt noch nicht fertiggestellt wer- 4128 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 keit aus. Ich habe daher keine Zweifel, dass sie diese nicht erst seit gestern, sondern seit über 40 Jahren – Aufgabe weiterhin mit derselben Konsequenz wie bis- mehr Schulden gemacht, als uns guttut. Auch wir leben her erfüllen wird. auf Pump. Mit unserem Paket zur Stabilisierung des Euro (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) (Zuruf des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) Aber wir haben die Kraft gefunden, diesen Kreis- lauf zu durchbrechen. und mit der Vereinbarung, die Staatsfinanzen ent- schlossen zu konsolidieren, erleichtern wir der Eu- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ropäischen Zentralbank ihre Rolle, NEN]: Wo das denn? – Sigmar Gabriel [SPD]: Wo denn?) (Lachen des Abg. Jürgen Trittin [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir haben die Schuldenbremse in die Verfassung aufgenommen. Genau das wird sich bei der Vorla- einen wichtigen Beitrag zur langfristigen Stabilität ge des Haushaltes für 2011 niederschlagen. des Euro-Raums zu leisten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist ja eine schöne Formulie- Sie wissen ja, dass die Haushaltsberatungen im rung dafür, dass Sie die an die Kette ge- Parlament jährlich im September stattfinden. Der legt haben! – Sigmar Gabriel [SPD]: Haushalt wird im Juni, Anfang Juli vorgelegt. Glauben Sie Ihre Rede eigentlich selber?) (Sigmar Gabriel [SPD]: Ich sage nur: Möven- Langfristige Stabilität ist ohne gesunde Staatsfi- pick!) nanzen undenkbar. So einfach ist das. Wir werden genau das beherzigen. Wir werden (Lachen bei Abgeordneten der SPD und der dann, wenn die Schuldenbremse umfassend wirkt, LINKEN) nur das ausgeben, was wir auch haben. Zugleich ist es so schwer; denn wir alle kennen die (Sigmar Gabriel [SPD]: Aber an die Falschen!) Realität unserer Länder. – Es ist wirklich komisch, Das bedeutet: Wir müssen von 2011 an sparen, wie schnell man in ein paar Monaten vergessen und zwar mit Verstand kann. (Joachim Poß [SPD]: Die Mövenpick-Steuer (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – wieder einsammeln!) Sigmar Gabriel [SPD]: Ja, weil Sie es an- ders machen!) und so, dass wir solide Finanzen haben und gleichzeitig die Zukunft unseres Landes gestalten – Hören Sie doch einfach einmal zu. können und Wachstum erzeugen. Das wird der Zu viele wettbewerbsschwache Mitglieder der Grundsatz sein, nach dem wir unsere Haushalts- Euro-Zone haben über ihre Verhältnisse gelebt beratungen führen. und sind damit den Weg in die Schuldenfalle ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab- gangen. Das ist die eigentliche Ursache des Prob- geordneten der FDP – Sigmar Gabriel lems. [SPD]: Mövenpick!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) All dies wird aber noch nicht ausreichen, um tat- Deshalb müssen wir das Problem bei den Wurzeln sächlich langfristige Stabilität zu sichern. packen. Auf meinen Vorschlag hin haben sich die (Sigmar Gabriel [SPD]: Der erste wahre Satz!) Staats- und Regierungschefs am 7. Mai 2010 dazu verpflichtet, ihre Haushalte im Rahmen des Stabili- Ohne Maßnahmen, mit denen wir Vorsorge für die tätspaktes beschleunigt zu konsolidieren. Spanien Zukunft treffen, werden wir keinen Erfolg haben. und haben dazu in der letzten Woche be- Mit solchen Maßnahmen wird der Euro nach der reits zusätzliche Maßnahmen vorgestellt. Ich be- Krise aber stärker sein als zuvor. grüße das, und ich ergänze, erstens: Das war un- Europa braucht eine neue Stabilitätskultur. Er- verzichtbar. Und zweitens: Die Maßnahmen müs- reichen werden wir sie aber nur, wenn wir die wirt- sen jetzt auch konsequent umgesetzt und über- schafts- und finanzpolitische Koordinierung und die prüft werden. gegenseitige Überwachung verbessern, und zwar Es ist meine feste Überzeugung: Alle Mitgliedstaaten für alle Mitgliedstaaten. Ich will noch einmal daran müssen die Konsolidierung der nationalen Haushalte erinnern, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt beschleunigen. Erst dann können die Rettungsversuche nicht nur für die Euro-Staaten gilt, sondern für alle wirken. Denn die Fortsetzung der Verschleierung der Mitgliedstaaten. Deshalb kommt der Verabschie- wahren Ursache der Krise würde Europa langfristig dung der Wachstumsstrategie EU 2020 im Juni nicht helfen. Das würde allen Mitgliedstaaten nur scha- dieses Jahres eine erhebliche Bedeutung zu. Es den. Damit muss Schluss sein. Ich will gar nicht darum wird darum gehen, dass wir an dieser Stelle deut- herumreden: Auch wir Deutschen haben – im Übrigen lich machen, wohin wir dieses Europa entwickeln Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4129 wollen. Es versteht sich von selbst, dass wir natür- Die Verschärfung der Spielregeln muss vor allem lich darauf achten werden, dass der Grundsatz der einem Ziel dienen: Die Mitgliedstaaten müssen ih- Stabilität erst einmal eingehalten wird. Deshalb rer Eigenverantwortung für eine solide Haushalts- finde ich die Vorschläge der Kommission, die eine führung gerecht werden. Das ist der Dreh- und frühzeitige Vorlage der Haushaltsentwürfe auch in Angelpunkt aller Anstrengungen und kann gar Brüssel vorsehen, richtig; denn das schränkt nicht nicht oft genug gesagt werden. Weil wir hier schon die Budgethoheit der nationalen Parlamente ein, ein wenig kontrovers diskutieren, will ich darauf gibt der Europäischen Kommission aber die Mög- hinweisen: Die Veränderung und Abschwächung lichkeit, Stellung zu nehmen. des Stabilitätspakts im Jahr 2004 war ein großer Fehler. Heute gilt es, auch das einmal zu sagen. Es bleibt unumgänglich: Wir müssen das nach- holen, und zwar endlich, was bislang versäumt (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU wurde, was weder mit dem Maastricht-Vertrag und der FDP – noch mit dem Lissabon-Vertrag geschafft wurde: [SPD]: Das war gerade der Schwerpunkt die notwendige wirtschaftliche Verzahnung der Ihrer Rede! – Sigmar Gabriel [SPD]: Europäischen Union. Sie muss der Währungs- Macht Sie das nicht nachdenklich, dass union folgen. Ohne sie wird die Währungsunion die nur dabei klatschen?) auf Dauer nicht bestehen können. Ich messe daher der Gruppe der Finanzminister unter (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dem Vorsitz von Präsident Van Rompuy große Bedeu- tung zu. Bundesminister Schäuble wird bereits am Frei- Wenn ich das feststelle, ergänze ich aber auch tag, bei der ersten Sitzung der Gruppe, umfangreiche unmissverständlich: Erfolgreich wird eine solche deutsche Vorschläge unterbreiten. Notwendig sind aus stärkere Verzahnung nur sein, wenn die Bedin- Sicht der Bundesregierung unter anderem folgende gungen für diese Verzahnung stimmen. Konkret: Maßnahmen: eine schnellere und straffere Anwendung Die Regeln dürfen sich nicht nach den Schwächs- von Sanktionen gegen Euro-Mitgliedstaaten, die ihren ten richten, sondern sie müssen sich nach den Verpflichtungen zur Senkung des Defizits nicht nach- Starken richten. Ich weiß, dass das eine harte Bot- kommen. Zu diesen Sanktionen zählt zum Beispiel, schaft ist. Ökonomisch ist sie aber ein absolutes Strukturmittel aus dem EU-Haushalt einzubehalten. Muss. Sonst kämen wir vom Regen in die Traufe. Notwendig sind auch zusätzliche Konsolidierungsan- Das wird auch Folgerungen für die Aufgaben der strengungen von Mitgliedstaaten mit hohen Schulden- Europäischen Union insgesamt haben. Ich glaube, ständen; denn diese bergen besondere Risiken für die wir werden weniger Richtlinien über den Salzge- Krisenanfälligkeit. Notwendig ist ein vorübergehender halt im Brot, die Umbenennung des Apfelweins Entzug des Stimmrechts von notorischen Defizitsün- oder die Obstverteilung in Schulen haben und uns dern, mehr mit einer vernünftigen Infrastruktur, mit For- schungspolitik und der Zukunftsfähigkeit des euro- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das päischen Kontinents insgesamt befassen. wird nie verabschiedet! Albern!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und vor allem notwendig ist die Entwicklung eines Verfahrens für eine geordnete staatliche Insol- Ich sage Ihnen voraus, dass es auch bei dieser venz. Damit würden wir einen wichtigen Anreiz für Frage am Anfang wieder wenige Unterstützer ge- die Euro-Mitgliedstaaten schaffen, ihre Haushalte ben wird und wir uns wieder hart einsetzen wer- in Ordnung zu halten. den. Doch weder kann noch wird das das Kriterium für die Bundesregierung sein, wenn es darum (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) geht, zu entscheiden, ob wir unseren Grundsätzen Wenn ich dies sage, bin ich mir natürlich be- folgen oder nicht. Dazu steht viel zu viel auf dem wusst: Wirkliche Reformen hin zu einer neuen Spiel, wie wir an der heutigen Debatte sehen. Stabilitätskultur in ganz Europa erfordern Ver- Es ist nicht zuletzt die Stabilitätskultur der Wäh- tragsänderungen. Der Weg dorthin wird – wie im- rung wie auch der Staatsfinanzen, die seit ihrer mer in Europa – nicht kurz sein; aber das kann Gründung immer zum Selbstverständnis der Bun- doch kein Argument sein, darauf zu verzichten, desrepublik Deutschland gehört hat und gehört. das Richtige zu tun. Deshalb wird sich die Bun- Das allein wäre aber noch kein ausreichendes Ar- desregierung weiter für Vertragsänderungen ein- gument. Viel wichtiger ist: Unsere Stabilitätskultur setzen. hat sich mehr als bewährt, und weil sie sich be- Meine Damen und Herren, bei all den Maßnah- währt hat, werde ich davon, so zäh, so mühsam, men und Prinzipien, die wir anwenden müssen, so langwierig und so zeitraubend die Debatten in geht es im Grundsatz noch um etwas anderes, um Brüssel auch immer sein mögen, kein Jota abwei- etwas viel Wichtigeres. Bankenkrise, Wirtschafts- chen. einbruch, Konjunkturprogramme und jetzt die Wäh- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) rungskrise, bei all dem geht es im Grunde um die Frage: Wie können wir das Primat der Politik Deshalb brauchen wir auch eine umfassende durchsetzen? Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts. 4130 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Lachen und Beifall bei der SPD und dem Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei SES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der Abgeordneten der LINKEN – Sigmar Gab- SPD: Ach? – Jürgen Trittin [BÜNDNIS riel [SPD]: Guten Morgen!) 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wenden Sie sich mehr Taten und entschlossenere Taten als bisher. plötzlich dieser Frage zu!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Wir sehen nach der Bankenkrise von 2008 erneut, der FDP) wie durch das Fehlen von Grenzen und Regeln ein durch bloßes Gewinnstreben geprägtes Verhalten Es ist wahr: Wir haben bereits einiges erreicht – auf den Finanzmärkten zerstörerisch sein kann, da auch Vertreter von Ihnen, die Sie jetzt in der wie es zu einer existenziellen Gefahr für die Fi- Opposition sind, dabei waren, würde ich das an Ih- nanzstabilität in Europa, ja weltweit werden kann. rer Stelle nicht diskreditieren –: Vergütungen im Finanzsektor werden künftig stärker am langfristi- (Thomas Oppermann [SPD]: Das wissen wir gen Erfolg des Unternehmens ausgerichtet. In schon länger!) Deutschland sind entsprechende Regelungen Der Markt allein – um das ganz klar zu sagen – schon seit dem vergangenen Jahr, zunächst durch wird diese Fehlentwicklungen nicht korrigieren. die Finanzaufsicht, vorgeschrieben. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bundestag und Bundesrat werden ihre Beratun- NEN]: Ach nein! Ich denke, bei Ihnen gilt: gen über den Gesetzentwurf der Bundesregierung „Privat vor Staat“!) vom Februar voraussichtlich im September ab- schließen. Ratingagenturen werden in Europa Es ist deshalb die Aufgabe der Politik – der Parla- künftig der Finanzaufsicht unterworfen. Es wird an mente und Regierungen –, einzugreifen, zu regeln, einer europäischen Finanzaufsicht gearbeitet. im Zweifel zu verbieten, um die Risiken beherrsch- Die Debatten finden im Augenblick im Europäi- bar zu halten. schen Parlament statt. Die Einlassungen des Eu- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ropäischen Parlaments widersprechen leider in manchem den Einlassungen der nationalen Par- Noch einmal: Die Ursachen für die Finanzie- lamente. Deshalb sind wir gefordert, hier schnell rungskrise liegen wahrlich nicht nur an den Fi- eine gemeinsame Regelung zu finden; denn die nanzmärkten; doch die Finanzmärkte haben wie Ratingagenturen können keiner Aufsicht unterstellt ein Brandbeschleuniger gewirkt. Um Schlimmeres werden, sofern nicht eine europäische Finanz- zu verhindern, um das Funktionieren unserer ar- marktaufsicht beschlossen ist. Das ist jetzt die beitsteiligen Wirtschaft zu sichern, mussten die Hauptaufgabe auf diesem Gebiet. Länder des Euro-Raums handeln. Nutznießer die- ses Handelns sind nicht nur die Bürgerinnen und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bürger, sondern alle Teilnehmer am Wirt- schaftsleben, also auch jene Finanzmarktakteure, die zur Verschärfung der Krise erst beigetragen Aber natürlich ist noch nicht genug erreicht. haben. Deshalb ist der wichtigste nächste Schritt die Vor- lage einer Richtlinie, mit der wir eine verstärkte Das mag ökonomisch alles erklärt werden kön- Transparenz und Beaufsichtigung der nen, für die Bürger ist es jedoch kaum nachvoll- Derivatemärkte erreichen und durch die die Rolle ziehbar. Sie wollen schlichtweg eines – ich finde, von Ratings und Ratingagenturen festgelegt wird. da haben sie recht –: Sie wollen, dass es gerecht Beim gestrigen Treffen des Finanzministerrats ist zugeht. Genau das, meine Damen und Herren, der Zeitplan dafür von der Kommission vorgelegt müssen wir erreichen. worden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und In den Bereichen, in denen ein nationaler Allein- der FDP) gang Deutschlands keinen Schaden hervorruft, Das macht den Geist und das Wesen der sozialen werden wir auch im nationalen Alleingang handeln. Marktwirtschaft aus: In der sozialen Marktwirtschaft Sie haben das daran gesehen, dass die BaFin ist der Staat seit jeher der Hüter der Ordnung, und durch eine Allgemeinverfügung seit heute Mitter- als solcher greift er ein. Deshalb verfolgen wir zwei nacht bestimmte Geschäfte verboten hat: unge- Ziele: erstens eine schärfere Regulierung und Auf- deckte Leerverkäufe in Aktien der zehn bedeu- sicht und zweitens eine verursachergerechte Las- tendsten deutschen Finanzunternehmen, tenteilung, die den Finanzsektor an den Kosten der (Sigmar Gabriel [SPD]: Nachdem Sie sie erst Krisenbewältigung beteiligt. einmal erlaubt hatten!) (Sigmar Gabriel [SPD]: Auf einmal!) ungedeckte Leerverkäufe von Staatsanleihen der Den Worten zur Finanzmarktregulierung müssen Euro-Zone, den Kauf von Credit Default Swaps auf Taten folgen, Staatsanleihen des Euro-Raums, sofern der Käu- fer kein begründetes Absicherungsinteresse hat. – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4131

Dies alles wird so lange in Kraft bleiben, bis an- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) derweitige Regelungen auf der europäischen Ebe- Wir wissen, dass es bei der Diskussion über die ne gefunden wurden. Finanzmarkttransaktionsteuer schon lange nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) mehr nur um die technischen Details der Steuer geht. Es geht den Menschen vielmehr um die Fra- Dort, wo wir national nicht handeln können, brauchen wir natürlich europäische oder internati- ge, wie hier im Hinblick auf diejenigen, die bei all diesen Exzessen auf den Märkten die großen Ge- onale Regelungen. Es ist gestern durch einen Be- winne gemacht haben, Gerechtigkeit erreicht wer- schluss des Ecofin-Rates gelungen, eine strengere Kontrolle und mehr Transparenz bei Hedgefonds den kann. festzulegen. Der Rat der EU-Finanzminister hat (Sigmar Gabriel [SPD]: Ja! – Thomas Oppermann den Durchbruch erzielt und den Weg für eine ra- [SPD]: Das ist der Punkt!) sche Einigung mit dem Europäischen Parlament Wenn die Menschen um ihren Arbeitsplatz ban- frei gemacht. Fondsmanager – nicht nur von gen, wenn sie Sorgen um die Stabilität der Wäh- Hedgefonds, sondern auch von Private-Equity- rung haben und wenn sie natürlich auch Spar- Gesellschaften – werden künftig einer Aufsicht un- maßnahmen ertragen müssen, terstellt und bestimmten Verhaltensvorschriften un- terliegen. Sie müssen vor allen Dingen ihre Anla- (Sigmar Gabriel [SPD]: Das haben wir Ihnen gestrategien offenlegen, was ein ganz wichtiger schon vor zehn Tagen gesagt!) Schritt ist. dann fragen sie sich, was wir tun, um wenigstens (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ein Stück Gerechtigkeit bei dieser Lastenteilung zu Außerdem müssen wir sicherstellen – auch da- erreichen. zu werden erste Überlegungen angestellt –, dass (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – eine Abwicklung und Restrukturierung von Sigmar Gabriel [SPD]: Ja! Das fragen sie Banken möglich wird. Damit schließen wir aus, zu Recht!) dass der Staat von großen Banken erpresst wer- den kann und der Steuerzahler in Zukunft wieder – Zu Recht fragen sie das, ganz genau. zur Kasse gebeten wird. Daneben brauchen wir (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das fällt natürlich auch eine Beteiligung an den Kosten. Ihnen spät ein!) Deshalb muss die Branche in Zukunft durch eige- ne risikobasierte Abgaben einen Fonds speisen, Es nützt aber nichts, dass sie das zu Recht fra- mit dem solche Restrukturierungen von Banken fi- gen. Vielmehr müssen wir auch etwas tun, damit nanziert werden können. Im März haben wir im daraus etwas wird. Deshalb werde ich mich und Kabinett in Anwesenheit auch der französischen wird sich die ganze Bundesregierung auf dem G- Finanzministerin zu beidem Eckpunkte verab- 20-Treffen dafür einsetzen, dass wir mit einer ge- schiedet. Der Gesetzentwurf wird folgen, und dann meinsamen europäischen Haltung zu der Finanz- können wir hier darüber debattieren. marktbesteuerung auftreten. Daher wurde die Fi- nanzmarkttransaktionsteuer gestern unter den Fi- Darüber hinaus müssen die Finanzinstitute nach nanzministern schon diskutiert. Wenn wir dort kei- unserer Auffassung zur Bewältigung der Kosten ne Einigung über eine internationale Steuer errei- der Krisenbewältigung beitragen. chen sollten – das wird nicht an Deutschland lie- (Thomas Oppermann [SPD]: Endlich!) gen –, dann werden wir in Europa diese Diskussi- on führen: Wie können wir den Beitrag der Finanz- Wir haben – ich hatte das schon dargestellt – den branche so gestalten, dass die Menschen dieses Internationalen Währungsfonds um Vorschläge Stück Gerechtigkeit auch empfinden? dazu bis zum nächsten Gipfel im Juni gebeten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich will hier nicht wieder, wie in der letzten De- batte, die Vorteile und Nachteile der Finanzaktivi- Meine Damen und Herren, ich habe an dieser tätsteuer und der Finanzmarkttransaktionsteuer Stelle vor nicht ganz zwei Wochen gesagt: Europa beleuchten; sie sind uns allen bekannt. Ich habe steht am Scheideweg. – Das gilt unverändert. Eu- aber den Auftrag der Koalitionsfraktionen sehr ropa steht am Scheideweg, und es liegt jetzt an wohl wahrgenommen, die sagen: Wir brauchen ei- uns, den richtigen Weg einzuschlagen, um die ne Besteuerung der Finanzmärkte, sei es durch existenzielle Bewährungsprobe zu bestehen, in der eine Finanzmarkttransaktionsteuer, sei es durch Europa sich befindet. Wir wissen, dass wir Europa eine Finanzaktivitätsteuer. brauchen, um die großen Zukunftsaufgaben, die wir als Mitgliedstaaten nicht alleine bewältigen (Zurufe von der SPD: Oh!) können, mit Erfolg anzugehen. Ein Weg zurück Für eine solche Besteuerung der Finanzmärkte aus Europa ist in Zeiten der Globalisierung kein werden wir uns europäisch und international ein- Weg. setzen. Das sage ich den Koalitionsfraktionen und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) hinsichtlich der Finanzmarkttransaktionsteuer auch den Oppositionsfraktionen zu. 4132 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

Die europäische Einigung war, ist und bleibt die haben vor zwei Wochen in diesem Hause gefor- bestechendste, die großartigste und die verhei- dert, ßungsvollste Idee, die Europa je gesehen hat. Sie (Rita Pawelski [CDU/CSU]: Was habt ihr davor ist das Vermächtnis der politischen Generationen gemacht?) vor uns. Der Auftrag unserer politischen Generati- on heute ist es, dieses Vermächtnis zu schützen dass die Bewältigung der Finanzkrise nicht allein und das 21. Jahrhundert zu Europas Jahrhundert auf den Schultern der kleinen Leute abgeladen zu machen. wird und dass die Finanzbranche einen substanzi- ellen Beitrag zur Bewältigung der Kosten zu leisten Unsere heutige Entscheidung ist ein weiterer hat. Sie haben uns von diesem Pult aus – und in unabdingbarer Schritt auf diesem Weg, auf dem den Tagen danach Ihre Matadore aus den Regie- Weg zu einer langfristig stabilen Europäischen rungsfraktionen – Naivität und auch Unverstand Union, die den Menschen nicht nur eine sichere vorgeworfen, Währung, sondern auch Wohlstand und Frieden garantieren kann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Herzlichen Dank. und heute, zwei Wochen später, tun Sie so, als (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der wären unsere Forderungen nahezu das Selbstver- FDP) ständlichste von der Welt. Ich ahne schon, dass Sie, wenn Sie am Freitag hier reden, am Ende so Präsident Dr. Norbert Lammert: tun werden, als wären sie von Ihnen erfunden Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort worden. dem Kollegen Dr. Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genauso ist es!) (Beifall bei der SPD) Das zieht einem die Schuhe aus, meine Damen und Herren. Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kollegin- 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- nen und Kollegen! Über einen Mangel an Regie- ten der LINKEN) rungserklärungen kann sich die Opposition in die- Nun könnte ich es mir als Vertreter der Opposi- sen Tagen nicht beklagen. tion leicht machen (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: An (Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Sie machen es Inhalten!) sich viel zu leicht!) Das Problem ist nur – da mögen sich Bundeskanz- und mit Blick auf das, was Sie eben zu den Fi- lerin und Vizekanzler in Blazer und Krawatte noch nanzmärkten und dem von ihnen zu leistenden so sorgfältig abstimmen –: Beitrag gesagt haben, sagen: Besser spät als nie. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Zuruf (Dr. [CDU/CSU]: Wir von der CDU/CSU: Was ist das für ein Ni- sind hier nicht auf dem Jahrmarkt!) veau?) – Ich weiß, dass das wehtut. – Aber was wir in den Hinterher weiß man nicht recht, was erklärt worden letzten sieben Monaten von dieser Regierung er- ist. Mir ist es jedenfalls nach der letzten Regie- lebt haben, lässt kaum jemanden in Deutschland rungserklärung, Frau Bundeskanzlerin, nicht ganz ruhig schlafen. Der Verdacht, den wir anfangs ge- klar geworden, an welcher Stelle Sie in Ihrer Re- äußert hatten, wird von Tag zu Tag zur Gewiss- gierungserklärung um die Mehrheit in diesem Hau- heit, nämlich dass diese Regierung weder Linie se geworben haben. noch Richtung und vor allen Dingen keinen Mut (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ hat. Das kann nicht so weitergehen in Deutsch- DIE GRÜNEN) land, nicht in dieser schwierigen Situation, in der wir sind. Heute bin ich mir bei manchen Passagen Ihrer Regierungserklärung vorgekommen wie im fal- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS schen Film. Ich kritisiere niemanden, der Einsicht 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- zeigt – auch wenn Sie die Regierungsfraktionen ten der LINKEN) bei der Frage, ob Lehren aus der Finanzkrise ge- Frau Bundeskanzlerin, aus den letzten Wochen zogen werden sollen, erst zum Beifall auffordern bleibt der Eindruck, dass auch Sie selbst bei jeder mussten –; der schwierigen Entscheidungen, die zu fällen wa- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ren, im Grunde genommen zum Jagen getragen DIE GRÜNEN) werden mussten, am Ende sogar, wie wir heute gemerkt haben, von der eigenen Partei. Das wirkt aber vielleicht können Sie nachvollziehen, dass ratlos; das wirkt kraftlos. Mitten in einer Krise, die das für die Opposition schwer auszuhalten ist: Wir Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4133 der Präsident der EZB vor kurzem als die größte rische Geschäftsführer der FDP-Fraktion unmittel- Krise seit dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet hat, bar vor der Abstimmung und voller gespielter Em- wirken Sie selbst eher wie eine Getriebene, wie ei- pörung, wie ich in Erinnerung habe – ich zitiere –: ne Getriebene der Märkte, wie eine Getriebene Es bleibt bei den 22,4 Milliarden Euro, die der von Europa, wie eine Getriebene von der FDP und Bundestag heute mit dem Gesetzentwurf be- am Ende sogar wie eine Getriebene von der eige- schließen wird. Es wird kein einziger Cent mehr. nen Partei. Das könnte einer Opposition egal sein. (Heiterkeit bei der SPD) Aber so kommen wir aus der Krise nicht heraus. Das ist dramatisch für unser Land. Sie haben recht gehabt: Es ist kein Cent mehr ge- worden. Allerdings sind 750 Milliarden Euro daraus (Beifall bei der SPD) geworden. Das ist die ganze Wahrheit. Wir kommen so nicht nur nicht heraus; das ist nicht (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten allein das Problem. Vielmehr haben wir in den letz- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ten Wochen gesehen, dass man auf diese Weise noch tiefer in die Krise hineingeraten kann. Herr Fricke, Sie wissen, dass ich Sie persönlich Herumlavieren, wie wir es erlebt haben – darüber schätze. Deshalb ein Wort dazu: Man muss vor- haben wir auch kritisch disku-tiert –, das Taktieren sichtig sein, wenn man sich in diesen bewegten mit Wahlterminen, mit dem in Nordrhein-Westfalen, Zeiten so festlegt, nur um kurzzeitig einmal Ap- das alles hat uns doch in Wahrheit in Europa ein plaus von der eigenen Fraktion zu bekommen. Stückchen tiefer in die Krise hineingetragen. Man gefährdet so aber das Vertrauen des ganzen Parlamentes. Vertrauen werden Sie von den Re- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gierungsfraktionen zukünftig dringender brauchen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) als in den vergangenen Monaten. Jeder Ökonom – auch der von Ihnen so sehr ge- (Beifall bei der SPD) schätzte IWF erst am letzten Wochenende – sagt Ihnen, früheres Handeln hätte ein Übergreifen der Krise auf die Nachbarstaaten verhindert. Sie ha- Wir reden uns hier im Parlament die Köpfe über ben seit fünf Wochen nichts getan, geleugnet und die 22 Milliarden Euro heiß. Sie beschimpfen uns, verschleppt. Das ist der Fehler, den wir Ihnen vor- als wir sagen, das werde nicht das Ende der Fah- werfen. nenstange sein. Fünf Stunden später, am Nachmit- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- tag desselben Tages, ist die Dimension der euro- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN päischen Rettungspakete dann 20-mal größer als – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- das, was wir vormittags hier verhandelt haben. NEN]: Fünf Wochen? Fünf Monate!) Vielleicht begreifen Sie – wir alle haben einmal hier auf unterschiedlichen Stühlen gesessen –, dass Am 22. März – ich darf das in Erinnerung rufen der Bundestag und vermutlich am Ende nicht nur –, drei Tage vor dem Grundsatzbeschluss der Eu- die Oppositionsfraktionen Vermutungen anstellen, ropäischen Union zur Griechenland-Hilfe, haben wer was gewusst und wer die Abgeordneten mög- Sie, Frau Bundeskanzlerin, öffentlich erklärt, dass licherweise bewusst im Unklaren gelassen hat. Ich es nicht um aktuelle Hilfen für Griechenland geht. will gar nichts unterstellen. Einen Tag vor der Sitzung des Rates erklärt der Parlamentarische Staatssekretär beim BMF, Herr (Widerspruch bei der CDU/CSU) Koschyk, hier im Parlament – ich zitiere –: – Passen Sie auf! – Ich will nicht unterstellen, dass Der Präsident des Europäischen Rates, Her- hier jemand bewusst die Unwahrheit gesagt hat; man Van Rompuy, hat das von Ihnen genann- aber die andere Variante, die dann allerdings te Thema nicht für die Tagesordnung des Eu- bleibt, ist nicht die schönere für die Koalitionsfrak- ropäischen Rates am 25./26. März 2010 vor- tionen und die Regierung. Die andere Variante ist gesehen. aus meiner Sicht die schlimmere. Es kam, wie wir alle wissen, völlig anders. Der (Zuruf von der SPD: Ja!) Grundsatzbeschluss für die Griechenland-Hilfe Vieles spricht doch in der Tat dafür, dass die Re- wurde just auf dieser Sitzung des Rates gefällt. Es gierung, die gesamte Mannschaft, nach Brüssel ist immer dasselbe Muster: Entscheidungen ver- gefahren ist, ohne zu wissen, was die Kommission schleppen, hier im Bundestag verschleiern, was möglicherweise im Verbund mit den Vertretern genau verhandelt wird. Keiner rückt mit der Spra- größerer Mitgliedstaaten bereits vorbereitet hatte. che wirklich heraus. Stattdessen wurde über Wo- Das müssen Sie sich einmal vorstellen: Die fun- chen der Boulevard munitioniert, mit den Folgen, damentale europäische Frage wird ohne Deutsch- die wir jetzt erleben. land vorbereitet, vielleicht sogar an Deutschland (Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD]) vorbei und am Ende gegen Deutschland. – Das hat sich in dieser Europäischen Union verändert, Den vorläufigen Höhepunkt haben wir in der vor- und das ist die Bilanz nach sieben Monaten Ihrer letzten Woche erlebt. Da erklärte der Parlamenta- Regierungszeit. 4134 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS DIE GRÜNEN) 90/ DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Solche Sprüche macht der, Damit wir uns richtig verstehen: Die Entschei- der Hartz IV erfunden hat! Sauber! Sie dungen, die am 8. oder 9. Mai gefallen sind – es haben Hartz IV erfunden!) waren weitreichende Entscheidungen zur Rettung des Euro –, waren richtig. Es war richtig und not- Die Realität, der Sie auf der Regierungsseite wendig, den Angriff der Spekulanten auf den Euro sich verweigern, ist eine ganz andere, und das abzuwehren; es war auch richtig, Tabus über Bord wissen die Menschen. Zum Zusammenbruch im zu werfen. Aber seien Sie, meine Damen und Her- September 2008 kam es nicht deshalb, ren, nicht zu stolz darauf. Diesen Mut haben ande- (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Furchtbar!) re in Europa gehabt, nicht die deutsche Bun- deskanzlerin und die deutsche Bundesregierung. weil wir über unsere Verhältnisse gelebt haben, Was ist aus der deutschen Führungsrolle in Eu- sondern weil die Akteure auf den Finanzmärkten in ropa geworden? Sie sind vom Führerstand in das Unvernunft und Verantwortungslosigkeit jedes Jahr Bremserhäuschen umgestiegen, aber das ist die das Rad noch ein Stückchen weitergedreht haben. falsche Richtung. Dabei sind sie vom Zeitgeist in den Wirtschaftsin- stituten unterstützt und getrieben worden. Das ist (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die ganze Wahrheit. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das wären schon Probleme genug. Etwas ande- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) res – das kann ich Ihnen nicht ersparen – finde ich noch empörender als das eben Beschriebene, Das ging so lange, bis es zum Knall kam und sich nämlich den Satz, der in einer öffentlichen Rede alle vom Acker gemacht haben, was dazu führt, der Frau Bundeskanzlerin gefallen ist: Wir haben dass die Kosten nun genau von denjenigen getra- über unsere Verhältnisse gelebt. – Frau Merkel, gen werden müssen, von denen Sie sagen, sie das ist ein verräterischer Satz, verräterisch des- hätten über ihre Verhältnisse gelebt. Das darf man halb, weil dieser Satz belegt, woran diese Koalition nicht machen. Man muss sagen, was ist. Damit täglich scheitert, nämlich an der Realität, fängt jede Verantwortung in der Politik an. Sie wol- len nicht sehen und nicht sagen, was ist. Das ist (Widerspruch bei der CDU/CSU) meine Bewertung Ihrer öffentlichen Reden aus den und zwar nicht nur, weil sie nicht nach den Erfor- letzten Tagen. dernissen der Realität handelt, sondern weil sie (Beifall bei der SPD) sich sogar weigert, sie zu benennen. Indem Sie sich dieser Realität verweigern, wer- (Birgit Homburger [FDP]: Elf Jahre SPD- fen Sie – das kann ich zumindest in Ihre Richtung Finanzminister!) sagen – gleich auch noch ein Stück eigene Regie- Frau Merkel – das sage ich auch Ihnen, Frau rungsgeschichte mit über Bord. Warum? Frau Homburger –, nicht wir alle haben über unsere Merkel, Sie hatten in der Großen Koalition einen Verhältnisse gelebt. Die Wahrheit ist: Diejenigen, Finanzminister, der die Konsolidierung des Haus- die über die Verhältnisse gelebt haben, wissen halts betrieben hat, was ihm ohne die Pleite von nicht einmal, wie die Verhältnisse für die Mehrzahl Lehman Brothers und das, was danach passierte, der Menschen in Deutschland sind. auch gelungen wäre. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Lachen bei der FDP) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ohne die Gier und die Maßlosigkeit auf den Fi- Aber im Ernst: Auch Sie wollen doch nicht sa- nanzmärkten hätte es keine wachsende Neuver- gen, dass der Wachmann, der jeden Morgen vor schuldung gegeben. Sie wissen das; Sie haben der Tür von Frau Merkel steht, mit seinen das doch mitgetragen. Warum beschweren Sie 1 200 Euro im Monat über seine Verhältnisse ge- sich also? lebt hat. Dasselbe gilt für die Verkäuferin in der (Widerspruch bei Abgeordneten der Bäckerei oder in der Fleischerei, in denen wir ein- CDU/CSU) kaufen, oder die bei Schlecker, Lidl oder Aldi. In anderen Zeiten haben Sie das gelobt. Eine Net- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wider- toneuverschuldung von null in 2011 wäre realis- spruch bei der CDU/CSU und der FDP) tisch gewesen. – Ich habe den Satz nicht gesagt. Damit müssen (Beifall bei der SPD) Sie zurechtkommen. Ich habe nicht gesagt, dass wir über unsere Verhältnisse gelebt haben. – Aber Dass es anders kam, werfe ich doch niemandem dass die über ihre Verhältnisse gelebt hätten, ist persönlich vor, auch der Bundeskanzlerin nicht. doch wirklich ein zynischer Satz. Man muss sich wirklich wundern, dass darüber nicht mehr Aufre- gung in diesem Lande herrscht. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4135

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ FDP – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie DIE GRÜNEN) sind aber großzügig!) Die Selbstachtung des Parlaments verlangt es, Aber der von Peer Steinbrück beschrittene Pfad dass wir hier nicht nur Reden austauschen, son- wurde von denselben 82 Millionen Deutschen be- dern dass wir uns, wenn Sie wirklich die Erwartung schritten, von denen Sie heute sagen, sie hätten haben, etwa bei der Kontrolle der Finanzmärkte über ihre Verhältnisse gelebt. Da kann doch ir- und auch bei der finanziellen Beteiligung der Fi- gendetwas nicht stimmen. nanzmärkte annähern. Wir sollten uns darüber nicht nur in Reden austauschen, sondern wenn wir (Beifall bei der SPD) uns hinsichtlich einer effektiveren Aufsicht über die Es ist doch ganz offenbar, dass nicht dieses abs- Finanzmärkte, der Notwendigkeit einer Regulie- trakte „wir“, sondern nur einige, die wir benennen rung, der Einhegung der Hedgefonds, des Verbots können, die Verhältnisse ins Chaos gestürzt ha- schädlicher Finanzmarktprodukte sowie der Auf- ben. Deshalb bleibt nur ein einziger richtiger sicht über Ratingagenturen und erster Schritte hin Schluss: Diejenigen dürfen jetzt nicht ungeschoren zu europäischen Ratingagenturen bis hin zur Fra- davonkommen. Dafür müssen wir in diesem Hause ge der Finanzmarkttransaktionsteuer einig sein sorgen. sollten, dann sollte dies auch schwarz auf weiß in einem Text stehen; das ist geübtes parlamentari- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- sches Verfahren. Das ist keine Holschuld der Op- ten der LINKEN und des BÜNDNISSES position, das ist eine Bringschuld der Regierung. 90/DIE GRÜNEN) Ich fordere Sie auf, das zu erledigen. Zum Gesetzentwurf selbst und zu den Einzelhei- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS ten wird gleich noch ein paar 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- Worte sagen. Unser wichtigstes Anliegen – – ten der LINKEN) (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP) Sie können jedenfalls sicher sein – und das ab- – Wollen Sie unsere Zustimmung schließend –: Meine Fraktion weiß um die politi- sche Verantwortung für dieses Land wie für Euro- (Zuruf von der FDP: Nein! – Gegenrufe von pa. Wir wissen, dass es um riesige, fast unvor- der SPD: Ah!) stellbare Größenordnungen geht: um 750 Milliar- möglicherweise erwerben oder nicht? – den Euro, davon 500 Milliarden Euro von der EU, 440 Milliarden Euro von den Euro-Ländern. Wir ( [FDP]: Wir sind nicht käuf- wissen, dass es nicht nur um Kredit- lich!) ermächtigungen und Geld geht, sondern dass Die Geschäftsbedingungen haben wir in der vor- mehr auf dem Spiel steht: der künftige Weg Euro- vergangenen Woche geklärt. Das sind nicht nur pas und die Zukunft unserer Demokratie. Viel steht unsere. Sie wissen: Bei einer reinen Kreditermäch- auf dem Spiel. Entweder gelingt es uns tigung kann es nicht bleiben. Mit Blick auf die Re- gierungserklärung am heutigen Morgen sage ich: (Patrick Döring [FDP]: Ihr macht ja nicht mit!) Ich erkenne an, dass es in einigen Fragen offenbar – wartet ab –, die Verhältnisse wieder in Ordnung Bewegung gibt, vielleicht sogar die Bereitschaft, zu bringen, die Märkte neu zu ordnen und die Las- sich Anliegen zu eigen zu machen, die wir in der ten fair zu verteilen, oder wir untergraben in der vorletzten Woche hier vorgetragen haben. Aber Tat das Vertrauen in Europa und seine Mitglied- ebenso klar muss für die nächsten Tage bis zur staaten und auch das Vertrauen in die Politik und Abstimmung bleiben: Bloße Ankündigungen – die Demokratie. auch das ist das Ergebnis der letzten Woche und Weil am Ende sehr viel auf dem Spiel steht – wir des verloren gegangenen Vertrauens – werden wissen das –, erfordert das eine sehr sorgfältige nicht ausreichen. und ernsthafte Debatte hier im Hause. Wir werden (Beifall bei der SPD) klar entscheiden; verlassen Sie sich darauf. Aber wie wir uns entscheiden, hängt davon ab, ob die Der Bundestagspräsident hat erst vor wenigen heutigen Ankündigungen wirklich ernst gemeint Tagen an das Recht des Parlaments erinnert, Ge- sind und ob, wie Sie versprochen haben, den Wor- setzesvorschläge zu sehen und klare Erwartungen ten tatsächlich Taten folgen. Die Regierung hat an die Bundesregierung zu richten. Ein Verfahren wie das, das wir in der vorletzten Woche hatten das in der Hand. und in dieser Woche haben, mag mit Blick auf die Herzlichen Dank. Krise notwendig und unvermeidlich sein. Aber (Anhaltender Beifall bei der SPD) dass ein Verfahren wie dieses – das ist nicht nur die Auffassung der Opposition – am Selbstver- ständnis des Parlaments rührt, muss uns allen Präsident Dr. Norbert Lammert: doch klar sein. Das Wort hat nun die Kollegin Birgit Homburger für die FDP-Fraktion. 4136 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Es geht um die Sicherung und Stabilisierung der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: unserer Währung. Es geht um die Sicherung und Oh!) Stabilisierung des Wirtschaftsraums, und es geht um die Sicherung des Wohlstands. Darüber hinaus Birgit Homburger (FDP): hat die Politik die Bewährungsprobe zu bestehen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ob sie das Heft des Handelns zurückgewinnt. In Die Lage ist ernst. drei Bereichen müssen Maßnahmen durchgeführt werden: Erstens muss ein Sofortpaket geschnürt (Zurufe von der SPD: Oh!) werden, zweitens müssen Regulierungen am Fi- Es geht nicht um einzelne Länder. Es geht nicht nanzmarkt durchgeführt werden, drittens braucht um Griechenland, es geht auch nicht um Spanien Europa einen neuen Stabilitätspakt. oder Portugal. Es geht um Europa insgesamt. Es (Beifall bei Abgeordneten der FDP) geht um die EU und damit um die Basis unseres Friedens und unseres Wohlstands. Wenn heute ein Stabilitätspaket mit einem rie- sigen Umfang vorgelegt wird, dann wirkt dieses (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Paket wie ein Schutzschirm für den Euro und für der CDU/CSU) die Sparerinnen und Sparer. Wir handeln im Inte- Als wir vor zwei Wochen erstmals über ein resse der Bürgerinnen und Bürger unseres Lan- Hilfspaket für die Stabilität des Euro diskutierten, des. Ich sage ganz deutlich: Wir werden alles dafür hatten viele von uns große Sorgen, wie sich die tun, dass die Krise des Euro nicht zur Vertrauens- marode Haushaltssituation in vielen Ländern der krise im Hinblick auf das gesellschaftliche und das Europäischen Union auf Dauer entwickeln und politische System in Europa wird. auswirken würde. Wir haben deshalb klargemacht, (Beifall bei der FDP – [BÜND- dass man nicht bei einer Krisenbewältigung stehen NIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie es bleiben kann, sondern dass es zu einer Krisenprä- mal konkreter, bitte!) vention kommen muss. Wir haben in einem um- fangreichen Entschließungsantrag Vorschläge ge- Europa und der Euro sind eine Erfolgsgeschich- macht. te. Der gemeinsame Währungsraum hat für wirt- schaftlichen Erfolg und Stabilität gesorgt. Die Lage hat sich in bis dahin unvorstellbarer 63 Prozent unserer Exporte gehen in europäische rasanter Geschwindigkeit weiterentwickelt und Länder, hängen also von Europa ab. verschärft. Diese Lage stellt Europa vor die größte Herausforderung in seiner Geschichte. Es geht (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hier um Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die NEN]: Diese Rede hätten Sie vor vier gemeinsame Währung. Diese Glaubwürdigkeit und Jahren halten können, aber nicht heute!) dieses Vertrauen sind der Lebensnerv des Euro. Ein Viertel der Arbeitsplätze hängt vom Export ab. Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger darf Deshalb ist die Stabilisierung des Euro von her- nicht verspielt werden. Ich sage an dieser Stelle: ausragender Bedeutung, und deshalb haben wir Gegen das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger dieses Sofortpaket auf den Weg gebracht. Die darf nicht spekuliert werden. Bundeskanzlerin hat es beschrieben. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten NEN]: Sie wollten doch konkret werden!) der CDU/CSU) Ich glaube, es ist ein starkes Signal an die Märkte. Dafür werden wir sorgen. Wir haben darüber hinaus deutlich gemacht, Ich sage an dieser Stelle ebenfalls: Wir teilen dass es dieses Sofortpaket nicht ohne Bedingun- die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger, und wir gen gibt. Diese Bedingungen sind: dass die Hilfe nehmen sie ernst. Herr Steinmeier, Sie haben in kein Selbstläufer wird, Ihrer Rede eben hier Vorwürfe gemacht und All- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gemeinplätze verkündet, aber keinen einzigen Lö- Das ist doch keine Bedingung!) sungsvorschlag genannt. dass der IWF weiter eingebunden ist, dass es har- (Sigmar Gabriel [SPD]: Sie greifen doch ge- te Sparauflagen für diejenigen gibt, die die Hilfe in rade unsere Lösungsvorschläge auf!) Anspruch nehmen, Das, was Sie hier abgeliefert haben, Herr Stein- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- meier, war unterirdisch und der SPD schlicht nicht NEN]: Erzählen Sie uns lieber etwas über würdig. die Zukunft!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – dass Entscheidungen einstimmig getroffen werden Sigmar Gabriel [SPD]: Glauben Sie ei- müssen, dass die Existenz der Stabilitätsgesell- gentlich, was Sie da sagen?) schaft auf drei Jahre befristet ist, dass es keine gesamtschuldnerische Haftung gibt, dass es eine Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4137 klare Einbeziehung des Parlaments gibt und dass zungsgesetz war, Frau Homburger! – präventive Maßnahmen auf den Weg gebracht Klaus Ernst [DIE LINKE]: Haben Sie denn werden. Mit diesen Bedingungen gehen wir in die damals widersprochen oder zugestimmt?) Zukunft. Damit wird vermieden, dass es zukünftig Vor diesem Hintergrund sage ich ganz deutlich: erneut Situationen wie diese gibt. Ich begrüße die Entscheidung, die die BaFin ge- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten troffen hat, nämlich ungedeckte Leerverkäufe zu der CDU/CSU) verbieten. Wir sind bereit, das gesetzlich abzude- cken. Wir sind bereit, alles zu tun, was diese hoch- Es geht um die Regulierung der Finanzmärk- spekulativen Geschäfte verhindert. Was wir natio- te. Es geht darum, die Exzesse zu beseitigen. nal tun können, tun wir national. Jetzt geht es tat- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sächlich darum, endlich zu handeln. Und diese NEN]: Jetzt aber mal konkret!) Regierung handelt. Der Deutsche Bundestag hat in der letzten Woche (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten einen Entschließungsantrag beschlossen. Im der CDU/CSU) Raum stand die Frage, ob der Bundestag über- Gegen die Spekulation mit Staatsanleihen wer- haupt die Möglichkeit hat, Einfluss zu nehmen, und den allerdings nur europa- und weltweite Lösun- ob durch seine Einflussnahme überhaupt etwas gen helfen. bewegt würde. Ich stelle fest: Es hat sehr wohl et- was bewegt, dass wir, der Deutsche Bundestag, (Johannes Kahrs [SPD]: Ausreden!) mit Blick auf das Hilfspaket für Griechenland klar- Es ist ja angekündigt, dass die EU im Juli eine Re- gemacht haben, dass wir erwarten, dass in Europa gelung zu Leerverkäufen und zu Derivaten treffen weitere Schritte in Richtung einer entsprechenden wird. Regulierung der Finanzmärkte gegangen werden. Was uns unterscheidet, Herr Steinmeier, ist: Wir Gestern ist – die Bundeskanzlerin hat darüber haben in den letzten Wochen mehr erreicht als die berichtet – die europäische Richtlinie zur Regu- SPD in all den Jahren, in denen sie die Regierung lierung der Hedgefonds auf den Weg gebracht stellte. Das ist die Wahrheit, die Sie zur Kenntnis worden. Ich will Ihnen jetzt etwas zitieren: nehmen müssen. Hedgefonds sollen gegenüber herkömmlichen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Investmentfonds nicht mehr diskriminiert wer- Widerspruch bei der SPD – Johannes den. Kahrs [SPD]: Selber nichts hingekriegt Weiter: und jetzt hier Phrasen dreschen! – Sigmar Gabriel [SPD]: Das muss den Wählern in Private Anleger werden von höheren Renditen Nordrhein-Westfalen entgangen sein!) der Hedgefonds profitieren können. Es braucht weitere Schritte: eine Regulierung – Dies sagte, meine sehr verehrten Damen und des grauen Kapitalmarkts, die Gründung einer eu- Herren, am 6. März 2003 der damalige Bundesmi- ropäischen Ratingagentur und vor allen Dingen nister Eichel in einer Rede an der Goethe- auch eine Kontrolle der Ratingagenturen. Universität in Frankfurt. (Johannes Kahrs [SPD]: Ihnen ist gar (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Zurufe nichts eingefallen! Steuererhöhungen von der FDP: Aha!) standen bei Ihnen auch nicht im Pro- Er hat deutlich gemacht, dass man hier Hedge- gramm!) fonds zulassen will. Am 1. Januar 2004 ist unter Es braucht außerdem auch eine klare Finanz- rot-grüner Verantwortung das Investmentmoderni- marktaufsicht. Wir wollen, dass all das auf den sierungsgesetz in Kraft getreten. Weg gebracht und europaweit umgesetzt wird. Wir (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wi- erwarten auch, dass sich in Europa etwas bewegt. derspruch bei der SPD) Wir haben noch einen weiteren Punkt – den will – Sie brauchen sich überhaupt nicht aufzuregen. ich hier ganz klar ansprechen –, Sie versuchen draußen den Eindruck zu erwecken, (Sigmar Gabriel [SPD]: Endlich mal etwas Kla- dass es das alles, wenn es nach Ihnen gegangen res!) wäre, überhaupt nicht gegeben hätte, dass dann alles längst reguliert wäre. Das ist aber überhaupt nämlich die Beteiligung der Finanzmärkte an nicht der Fall. Es verhält sich doch ganz anders: den Kosten der Krise. Das ist aus unserer Sicht Sie tragen eine Mitverantwortung. Geben Sie das eine Gerechtigkeitsfrage. doch endlich zu! (Zurufe von der SPD: Oh!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wir haben seit langem deutlich gemacht: Wer in Sigmar Gabriel [SPD]: Sie haben gar der Hoffnung auf Absicherung der eigenen Ausfäl- nicht verstanden, dass das ein Begren- le durch die Steuerzahler spekuliert, muss an den 4138 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

Kosten der Krise beteiligt werden. Diese Forde- (Zuruf von der SPD: Seit wann? – Johan- rung setzen wir auch um. nes Kahrs [SPD]: Lesen Sie doch mal Ihr Wahlprogramm!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU – Sigmar Gabriel Wir haben eine Richtlinie umgesetzt, mit der wir [SPD]: Wird Ihnen bei Ihren Pirouetten dafür sorgen wollen, dass bei Managervergütun- nicht langsam schwindlig?) gen andere Maßstäbe angelegt werden, Im Übrigen werden wir dabei darauf achten, dass (Thomas Oppermann [SPD]: Jetzt aber nicht nicht die kleinen Sparer belastet werden, sondern durcheinanderkommen!) diejenigen, die tatsächlich Anteil an der Krise ha- dass mehr auf die Langfristigkeit geachtet wird ben. (Johannes Kahrs [SPD]: Was steht dazu denn (Johannes Kahrs [SPD]: Sie erhöhen jetzt die in Ihrem Wahlprogramm?) Steuern!) und dass nicht in jedem Fall Boni gezahlt werden Wir wollen ein Insolvenzrecht für Staaten. Das dürfen, bedeutet Umschuldung. Umschuldung wiederum bedeutet, dass zielgenau diejenigen zur Übernah- (Thomas Oppermann [SPD]: Sie sind ja eine me der Kosten herangezogen werden, die sie auch richtige Regulierungspartei!) hervorgerufen haben. Wir wollen uns in Europa sondern dass man auch mit einem Gehaltsab- und im Rahmen der G 20 für ein abgestimmtes schlag zur Verantwortung gezogen werden kann, Vorgehen bei der Beteiligung des Fi- wenn es schlecht läuft; nanzmarktsektors einsetzen. Auch das ist schon im Deutschen Bundestag beschlossen worden. Wir (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- haben die Einführung einer Bankenabgabe in NEN]: Dann müsste Ihr Gehalt jetzt aber Deutschland auf den Weg gebracht. Die SPD hat ganz schön stark gekürzt werden!) während ihrer Regierungszeit – auch das muss möglich sein. Wir werden darüber (Johannes Kahrs [SPD]: Den Haushalt konsolidiert, hinaus die zivilrechtlichen Verjährungsfristen ver- gnädige Frau, und Steuern gesenkt!) längern, da war im Übrigen die Finanzmarktkrise schon da, (Johannes Kahrs [SPD]: Sie fallen noch unter wenn Sie das einmal zur Kenntnis nehmen wollen, 5 Prozent, wenn Sie so weitermachen!) Herr Steinmeier – immer nur Konsequenzen ge- um zu erreichen, dass diejenigen, die Schuld ha- fordert. Wir dagegen ziehen die Konsequenzen ben, auch zur Verantwortung gezogen werden und handeln. Das ist der Unterschied. können. All das haben wir in kurzer Zeit auf den (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Weg gebracht, meine sehr verehrten Damen und der CDU/CSU) Herren. Wir brauchen eine neue Verantwortungsethik (Thomas Oppermann [SPD]: Ich bin beein- in der Wirtschaft und auch auf den Finanzmärk- druckt!) ten. Was in vielen Familienbetrieben, was im Mit- Daran wird deutlich, dass wir daran arbeiten, einen telstand Normalität ist, dass man nämlich für Ent- Rahmen zu setzen, der eine neue Verantwor- scheidungen, die man trifft, haftet, und zwar auch tungsethik in der Wirtschaft möglich macht. mit dem eigenen Vermögen, ist ein ethisches Fun- dament der sozialen Marktwirtschaft. Die Geltung (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- dieses Prinzips wollen wir auch auf den Finanz- ten der CDU/CSU – Johannes Kahrs märkten und bei Kapitalgesellschaften um- und [SPD]: Das glaubt ja nicht mal Ihre eigene durchsetzen. Es muss so sein, dass Unternehmen Fraktion!) und auch ihre Manager für die Folgen ihrer Ent- Jetzt ein Wort zur Finanzmarkttransaktions- scheidungen haften. Nur das sorgt für verantwortli- teuer. ches Handeln. Haftung und Risiko müssen zu- sammengebracht werden, Verantwortung muss (Zurufe von der LINKEN: Oh! Doch noch! – gestärkt werden. Wir wollen, dass das Bild eines Endlich!) ehrbaren Kaufmanns wieder Gültigkeit hat, Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, tra- (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Dann fan- gen dieses Thema wie eine Monstranz vor sich gen Sie damit doch einmal an! – Sigmar her. Gabriel [SPD]: Dann müssen Sie Ihren (Sigmar Gabriel [SPD]: Nein! Die CSU Vorsitzenden auswechseln!) macht das derzeit! – Thomas Oppermann auch im Wirtschaftsbereich und auf den Finanz- [SPD]: Wir? Ihr Koalitionspartner macht märkten. Wenn man das umsetzen will, dann muss das!) man klar handeln. Auch das haben wir getan. Das Einzige, was ich von Ihnen bisher zur Lösung der Probleme gehört habe, ist, dass man angeblich Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4139 eine solche Steuer braucht; das ist Ihre eierlegen- Nein, SPD-Finanzminister haben in den mehr als de Wollmilchsau. Wenn man diese Steuer einführ- elf Jahren, in denen sie Verantwortung hatten, te, dann sei alles in Ordnung. über ihre Verhältnisse gelebt. (Johannes Kahrs [SPD]: Lesen bildet, Denken (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – hilft!) Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist natürlich nicht so. Seit Wochen hören wir von Ihnen keinen vernünftigen Vorschlag. Ich sage Als der Euro eingeführt wurde, haben wir für den Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Stabilitäts- und Wachstumspakt gestritten. Wir Es ist ein Armutszeugnis, wie sich die SPD hier haben deshalb für ihn gestritten, weil wir wollten, darstellt. dass die Bürgerinnen und Bürger Vertrauen in die- se Währung haben. (Thomas Oppermann [SPD]: Und die CSU! – Sigmar Gabriel [SPD]: Wir zittern vor Angst!) (Johannes Kahrs [SPD]: Dann kam die FDP! – Thomas Oppermann [SPD]: Des- Sie sind zu einer Einthemenpartei verkommen. halb Mövenpick?) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- Dieser Stabilitäts- und Wachstumspakt ist im Jah- ten der CDU/CSU – Lachen bei der SPD re 2005 auf Betreiben der rot-grünen Bundesregie- sowie bei Abgeordneten der LINKEN und rung auf europäischer Ebene ausgehöhlt und ver- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schlechtert worden. Auch dies hat dazu beigetra- Sie machen ganz kleines Karo. Ich fordere Sie auf: gen, dass jetzt nicht rechtzeitig in Europa gehan- Kehren Sie endlich dazu zurück, Verantwortung in delt wurde und dass man die Situation der betrof- Deutschland zu übernehmen! fenen Staaten nicht in den Griff bekommen hat. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Wir NEN]: Das wird der Satz des Jahres! Sie haben mit demselben Stabilitätspakt sind ja ganz wild, Frau Homburger! Was Schulden abgebaut!) ist denn los? – Sigmar Gabriel [SPD]: Wir Dies müssen Sie, meine sehr verehrten Damen zittern schon richtig!) und Herren, schlicht und ergreifend einmal zur Dazu gehört eine klare Analyse der Ursachen. Kenntnis nehmen. Zur Analyse der Ursachen gehört auch Ehrlichkeit, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- Herr Steinmeier. ten der CDU/CSU – Johannes Kahrs (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: [SPD]: Wollen Sie etwa noch mehr Schul- Ja!) den machen?) Sie haben sich hier hingestellt und gesagt, verant- – Nein, es ist genau anders herum: Wir wollen wortlich seien die Finanzmärkte. nicht noch mehr Schulden machen; das, was Sie hier erzählen, ist doch völliger Unsinn. (Johannes Kahrs [SPD]: Ja! Und die FDP vielleicht noch! – Renate Künast [BÜND- (Johannes Kahrs [SPD]: Sie sind doch die NIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wollen Sie etwa Schuldenpartei! – Thomas Oppermann ein „Weiter so“?) [SPD]: Was ist denn mit Ihren Steuersen- kungen?) Verantwortlich für die Krise ist zuallererst die Tat- sache, Wir haben deutlich gemacht, dass Haushalts- konsolidierung eine der zentralen Notwendigkeiten (Sigmar Gabriel [SPD]: Dass Sie nichts getan dieser Legislaturperiode ist. haben!) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass Staaten über ihre Verhältnisse gelebt haben. NEN]: Und das von der FDP! Ich sage (Thomas Oppermann [SPD]: Sie wollten nur: 80 Milliarden Euro Schulden! – Rena- doch gerade erst noch mehr haben! – te Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Mövenpick!) NEN]: Sie wollten doch auch daran ver- Wir sind aber auch der Meinung, dass wir mit einer dienen!) klugen liberalen Wirtschaftpolitik Impulse für Zu dem, was Sie, Herr Steinmeier, vorhin ausge- Wachstum in diesem Land setzen müssen; auch führt haben, will ich Ihnen eines ganz klar sagen: dies gehört dazu. Nicht der Bäcker und der Polizist haben über ihre (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- Verhältnisse gelebt. ten der CDU/CSU – Renate Künast (Caren Marks [SPD]: Genau! – Johannes [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Geben Sie Kahrs [SPD]: Nein! Ihre Klientel!) mal das Geld für Mövenpick an den Bun- deshaushalt zurück!) 4140 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

Meine Damen und Herren, ich möchte noch ei- Dieses Parlament wird die Bundesregierung bei nige wenige Punkte nennen, der weiteren Arbeit, vor allen Dingen auf europäi- scher Ebene, intensiv begleiten. (Johannes Kahrs [SPD]: Etwa, wie Sie die Steuern erhöhen wollen?) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Nein, wird es nicht! Mit Ihrem Vor- die für uns auf dem Weg zu einer Stabilisierung schlag schalten Sie den Deutschen Bun- der Währungsunion von zentraler Bedeutung sind. destag aus!) Dazu gehört ein Frühwarnsystem. Falsche Anga- ben müssen früher erkannt werden. – Herr Trittin, der Deutsche Bundestag wird nicht ausgeschaltet. (Sigmar Gabriel [SPD]: Aha! Wie im Koali- tionsvertrag, ja? Da sind nämlich jede (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Menge falsche Angaben drin!) Natürlich!) Eurostat, das europäische Amt für Statistik, und Der Deutsche Bundestag wird die Arbeit intensiv der Europäische Rechnungshof müssen mehr begleiten. Kompetenzen bekommen. Die Zeit des Tricksens (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und Täuschens muss in Europa beendet werden. NEN]: Sie haben gegen die Verfassung (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – verstoßen, gnädige Frau!) Johannes Kahrs [SPD]: Das würde bei Die Tatsache, dass wir hier vor allen Dingen Be- der FDP schon reichen! – Renate Künast mühungen um eine Regulierung der Finanzmärkte [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann mal und einen Stabilisierungspakt gefordert haben, hat los, Frau Homburger! – Thomas Opper- zu einer erheblichen Bewegung geführt. Wir wer- mann [SPD]: Da sind Sie ja Experten!) den dafür sorgen, dass Druck auf Europa gemacht wird. Wir brauchen eine neue Stabilitätskultur in Europa. Diese Koalition wird alles dafür tun, dass Wir werden uns dafür einsetzen, dass Sanktio- das erreicht wird. nen zukünftig früher greifen, dass Defizitverfahren beschleunigt werden. Länder, die eine krisenhafte Vielen Dank. Überschuldung haben, müssen damit rechnen, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Sigmar dass man ihnen Vorgaben macht. Gabriel [SPD]: Gute Besserung!) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ja, zum Beispiel keine Steuersen- Präsident Dr. Norbert Lammert: kungen!) Zu einer Kurzintervention erhält die Kollegin Wir plädieren hier für einen EU- Hendricks das Wort. Sonderbeauftragten. (Zuruf von der FDP: Die Insolvenzverwalterin Wir wollen wirksamere Sanktionen einführen – der SPD!) auch das ist ein zentraler Punkt –: Entzug der Stimmrechte, Sperrung von EU-Direktzahlungen Dr. Barbara Hendricks (SPD): und automatische Sanktionen. Wir wollen eine In- Frau Kollegin Homburger, es ist in der Tat solvenzordnung für Staaten, sodass eine Um- schwierig, sich ernsthaft und sachlich mit Ihnen schuldung möglich ist und Hilfskräfte früher akti- auseinanderzusetzen. viert werden können. (Widerspruch bei Abgeordneten der FDP) Wir wollen, dass die Währungsunion nicht zu ei- Es gibt eine Vielzahl von Angriffspunkten, von de- ner Transferunion wird. Dafür hat die Bundesregie- nen ich im Rahmen einer Kurzintervention natür- rung mit Erfolg in Brüssel gestritten; aber wir müs- lich nicht alle ansprechen kann. sen daran weiterarbeiten. Es ist dringend notwen- dig, die Entstehung einer Transferunion zu verhin- (Dr. [CDU/CSU]: Ja, die Sün- dern. Meine sehr verehrten Damen und Herren denliste ist zu lang!) von der SPD, ich sage auch: Ihre Politik, nach der Ich muss aber bedauerlicherweise feststellen – man alles viel früher – ohne Sparzusagen der an- ich will das ganz bewusst zu Protokoll geben –: Sie deren – und umfassender hätte machen müssen, haben sich offenbar mit keinem Wort darum be- (Johannes Kahrs [SPD]: Nicht so viel Schul- müht, um die Gemeinsamkeit der Demokraten zu den!) werben. hätte uns längst in eine Transferunion geführt, zu- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- lasten der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei Abgeordneten der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4141

Jetzt will ich auf einen sachlichen Punkt einge- Frau Kollegin Hendricks, ich will Sie darauf auf- hen, den ich gerne richtigstellen möchte, zumal Sie merksam machen, dass Sie die für Kurzinterventi- sich bei der Unrichtigkeit Ihrer Behauptungen zu onen zulässige Zeit längst überschritten haben. diesem sachlichen Punkt mit der Fraktion der Lin- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) ken treffen: die Zulassung von Hedgefonds. Ich war in der Tat dabei; es geschah in der Verantwor- tung von Rot-Grün. Dr. Barbara Hendricks (SPD): Ich möchte nur noch einen Satz sagen. – Alle (Zurufe von der FDP: Ah!) Finanzmarktgesetze, die wir damals unter Rot- Es gibt da nichts zuzugeben: Hier geht es näm- Grün und auch in der Großen Koalition beschlos- lich nicht um einen Straftatbestand, sondern um sen haben, wurden von der FDP im Regelfall ab- ein normales Gesetzgebungsverfahren. Wir haben gelehnt, weil Ihnen die Regelungen zu streng wa- in der Tat – Sie haben das richtig zitiert – mit Wir- ren. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis! kung zum 1. Januar 2004 Hedgefonds in Deutsch- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ land zugelassen, streng reguliert. Dies hat bis heu- DIE GRÜNEN) te dazu geführt, dass sich in Deutschland 25 Hedgefonds angemeldet haben; sie müssen Präsident Dr. Norbert Lammert: sich nämlich anmelden und sind streng reguliert. In Zur Erwiderung, Frau Kollegin Homburger. diesen 25 Hedgefonds sind 2 Milliarden Euro ge- sammelt. Das ist viel Geld. (Johannes Kahrs [SPD]: Na, das kann ja was werden!) Zugleich ist aber in nichtregulierten Hedgefonds in London deutsches Geld in einem Volumen von etwa 90 Milliarden Euro gesammelt. Menschen Birgit Homburger (FDP): haben also ihr Geld dorthin gegeben, wo Hedge- Frau Kollegin Hendricks, zunächst bedanke ich fonds unreguliert sind. Sie wollen ihr Geld also mich bei Ihnen dafür, dass Sie meine Aussage be- nicht den in Deutschland zugelassenen regulierten stätigt haben. Hedgefonds geben; denn bei den unregulierten (Beifall bei der FDP – Lachen bei der SPD) Hedgefonds ist die Gewinnchance – natürlich auch das Risiko – selbstverständlich noch höher. – Es ist so. – Sie haben darauf hingewiesen, dass Hedgefonds in Deutschland streng reguliert wer- Das ist das Ergebnis der Regelung, die wir ge- den, aber nicht in Europa. troffen haben. Wären alle Hedgefonds in Europa und in der Welt so reguliert wie die deutschen, hät- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten wir weltweit kein Problem mit den Hedgefonds. NEN]: In England hat sie gesagt! Sie müssen zuhören!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der Ich mache darauf aufmerksam – Sie haben CDU/ CSU) selbst ausgeführt, dass Sie als Staatssekretärin dabei waren –, dass Sie über Jahre hinweg die Das, was gestern auf europäischer Ebene be- Möglichkeit gehabt hätten, eine solche Regulie- schlossen worden ist, erfüllt noch nicht einmal den rung auf europäischer Ebene auf den Weg zu Standard, der in Deutschland für Hedgefonds bringen. schon immer gilt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Das haben wir jetzt getan. Sie sagen nun, dass das immer noch nicht ausreicht. Man wird sich da- Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis und hören Sie rüber unterhalten müssen, ob man noch mehr tun auf, Rot-Grün – wie das die Linke ebenfalls macht muss oder mehr tun kann. In diesem Punkt finden – unter Verdacht zu stellen! Sie uns an Ihrer Seite. Aber Fakt ist, dass wir an ( [FDP]: Die Linke ist davon frei!) dieser Stelle klar handeln. Das kommt sehr deut- lich zum Ausdruck. Im Übrigen darf ich Ihnen aus dem Gesetzge- bungsverfahren berichten – ich war neun Jahre (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- lang Parlamentarische Staatssekretärin und habe ten der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] an jeder Sitzung des Finanzausschusses für die [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie Bundesregierung teilgenommen –: Bei diesem Ge- etwas zur Begründung!) setz, wie praktisch bei allen Finanzmarktgesetzen, Zum Schluss möchte ich sagen: Ich bedanke ging der FDP die Liberalisierung nicht weit genug. mich ausdrücklich für Ihre Wortmeldung und dafür, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dass Sie im Gegensatz zu Ihrem Fraktionsvorsit- DIE GRÜNEN) zenden, Herrn Steinmeier, der vorhin gesprochen hat, bereit waren, die Verantwortung der SPD an- zuerkennen. Es wäre gut gewesen, wenn das auch Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Steinmeier getan hätte. 4142 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) verhindert hat. Aber Sie haben wieder nichts aus Ihren alten Fehlern gelernt. Statt Konjunkturpro- Präsident Dr. Norbert Lammert: grammen verlangen Sie Kürzungsprogramme. Die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch ist die nächste Damit drosseln Sie die Binnennachfrage und Rednerin für die Fraktion Die Linke. schwächen Sie die Konjunktur in Europa. Das ist doch ökonomischer Wahnsinn! (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Schaut man sich die Entwicklung in Griechen- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen land an, dann weiß man, wie es in Portugal, Spa- und Herren! Immer mehr Menschen in Deutsch- nien, Frankreich, Italien und auch in Deutschland land kommen zu der Überzeugung, dass diese in den nächsten Monaten weitergeht. Darum sa- Bundesregierung nicht regierungsfähig ist, wir gen wir als gute Europäer: Solidarität mit diesen auch. Ländern ist auch Solidarität mit den Lohnabhängi- gen, Rentnern und Arbeitslosen bei uns in der (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Bundesrepublik Deutschland. neten der SPD) (Beifall bei der LINKEN) Regierungsfähig heißt, dass man in der Lage ist und den Willen hat, die Interessen der Menschen Frau Merkel, Sie wussten bereits vor der Wahl in einem Land mit demokratischen Mitteln in prak- in Nordrhein-Westfalen, dass Griechenland mit tische Politik umzusetzen. Doch Sie als Regierung diesen Auflagen komplett überfordert sein wird, kämpfen nur mit Ihrer inneren Zerrissenheit und und hofften, dass Sie mit dieser Strafaktion gegen Orientierungslosigkeit. Deshalb haben Banken, Griechenland bei den Wählerinnen und Wählern in Spekulanten und Lobbyisten auch so ein leichtes Nordrhein-Westfalen punkten könnten. Doch das Spiel, die Regierung vor sich herzutreiben und ihr ist Gott sei Dank gründlich misslungen. Gut, dass ihre Bedingungen zu diktieren. Ist das etwa Ihr diese Strategie nicht aufgegangen ist. Verständnis von Demokratie, Frau Merkel? (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Schon vor der Wahl war klar, dass die Griechen- Hinzu kommt, dass die Kanzlerin mit der FDP land-Krise eigentlich eine Euro-Krise ist. Sie haben die gleichen schrecklich teuren Fehler wiederholt, überhaupt keine Strategie zur Lösung dieser Euro- die sie bereits 2008 mit einem anderen Partner Krise. Sie mussten sich erst von den Vertretern der gemacht hat. anderen EU-Länder zwingen lassen, darüber et- was gründlicher nachzudenken. Erstes Beispiel. Der damalige SPD- Finanzminister ging davon aus, dass die Finanz- Das gleiche neoliberale Rezept, das Griechen- krise 2008 kein Problem Deutschlands, sondern land weiter in die Krise treibt, wurde jetzt Spanien der USA sei. Er tat erst einmal nichts, und das war und Portugal verschrieben. In Portugal wird das falsch. Die Kanzlerin ging 2010 davon aus, dass Rentenalter von 65 auf 67 Jahre sowie die Mehr- die Euro-Krise kein Problem Deutschlands, son- wert- und Einkommensteuer erhöht. Spanien wird dern ausschließlich Griechenlands sei. Sie tat erst seine Ausgaben bis zum Jahre 2011 um einmal nichts, und auch das war falsch. Innerhalb 15 Milliarden Euro kürzen. Dafür werden in diesem von zwei Jahren wurde zweimal der gleiche Fehler Jahr die Gehälter im öffentlichen Dienst um gemacht. Das zeugt von einer katastrophalen 5 Prozent gekürzt und im nächsten Jahr eingefro- Lernunfähigkeit, Frau Merkel. ren. Die Renten werden nicht erhöht. Die Entwick- lungshilfe wird abgesenkt und der sogenannte Ba- (Beifall bei der LINKEN) byscheck von 2 500 Euro pro Neugeborenen er- Zweites Beispiel. Der damalige Finanzminister satzlos gestrichen. Die öffentlichen Investitionen ging davon aus, dass die Finanzkrise 2008 auch werden heruntergefahren. Allerdings erklärt nie- ohne Konjunkturpaket zu lösen wäre. Erst auf mand den Spaniern und den Portugiesen, wie sie Druck der Linken und der realen Verhältnisse wur- auf diese Weise aus der Krise kommen sollen. An- de ein Konjunkturprogramm beschlossen, das al- geblich würden diese Kürzungen die Märkte beru- lerdings unsinnigerweise in diesem Jahr ausläuft. higen und Vertrauen bei Anlegern schaffen. Doch Die Kanzlerin ging 2010 davon aus, dass die Euro- wie soll – das soll mir einmal jemand erklären – Krise alleine mit einem zweiten Ban- durch diese Maßnahmen wieder Wachstum ent- kenrettungsschirm und ohne ein Konjunkturpaket stehen? gelöst werden könne. Das ist doch abenteuerlich! (Beifall bei der LINKEN) Sie, Frau Merkel, müssen sich einfach einmal Die Linke hat bereits vor der Wahl in Nordrhein- die Frage stellen, warum die Finanzkrise 2008 Westfalen darauf hingewiesen, dass die Kanzlerin nicht zum Kollaps der Realwirtschaft geführt hat. in Griechenland nur ihr neoliberales Waffenarsenal Es war doch die Kombination mit dem Konjunktur- testen wollte, um es dann in Deutschland einzu- programm, die den ökonomischen Totalschaden setzen. Bei Ihnen, meine Damen und Herren von Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4143

CDU/CSU und FDP, war damals die Empörung (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- groß. Doch kaum waren die Stimmen in Nordrhein- neten der SPD) Westfalen ausgezählt, startete Ministerpräsident Setzten wir sie um, dann hätten wir allein für Koch – der gehört ja wohl der CDU an – den ers- Deutschland 12 Milliarden Euro mehr pro Jahr in ten Angriff auf Kinder, Jugendliche und Familien. der Kasse; das ist mehr, als der Bund für Bildung Sein Schlachtruf lautete – der Kollege Steinmeier und Forschung im Jahr 2010 ausgeben wird. Ich ist auch schon darauf eingegangen –: „Wir leben frage Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen über unsere Verhältnisse!“ von der CDU/CSU-Fraktion: Warum ist Herr Koch Diesen Schlachtruf hören wir nun schon seit 20 eigentlich nicht auf die Idee gekommen, statt bei Jahren, und ich frage mich: Wer ist eigentlich der Bildung zu sparen, die Finanz- „wir“? Wer lebt hier über seine Verhältnisse? Das markttransaktionsteuer von der Kanzlerin zu for- sind doch nicht die Arbeitnehmer, Rentner, Fami- dern? Vielleicht sollten Sie einmal mit ihm darüber lien und Arbeitslosen. Diese Menschen, an denen diskutieren. die Bundesregierung überhaupt kein Interesse hat, (Beifall bei der LINKEN) leben nicht über ihre Verhältnisse. Es sind die Spekulanten, die Banker und auch diese Bundes- Die reale Gefahr besteht darin, dass für die Ret- regierung, die an diesen Menschen überhaupt kein tung des Euro jetzt alles aufgegeben werden soll, Interesse hat. was Europa nach dem Zweiten Weltkrieg erreicht hat. Wer jetzt mit drakonischen Kürzungsplänen (Beifall bei der LINKEN) den Arbeitnehmern, Familien und Rentnern die Herr Koch schlägt vor – das wird ja von der Luft zum Atmen nimmt, setzt nicht nur die konjunk- Bundesregierung wohlwollend geprüft –, weniger turelle Erholung aufs Spiel, sondern auch den so- Geld für Krippen und Kindergärten auszugeben. zialen Frieden in Europa. Wir als proeuropäische Das ist ein Frontalangriff auf die Generation, die Partei sagen: Wir wollen ein friedliches, gerechtes einmal die hohe Beamtenrente von Herrn Koch er- und soziales Europa. arbeiten soll. Das ist nicht nur moralisch verwerf- Vielen Dank. lich, sondern auch absolut ökonomischer Unsinn! (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Wir sollten hier nicht nur über die Regulierung Präsident Dr. Norbert Lammert: des Finanzmarkts und über die Euro-Stabilisierung Volker Kauder ist der nächste Redner für die reden, sondern uns vor allen Dingen auch die Fra- CDU/ CSU-Fraktion. ge stellen, wie hochverschuldete Länder aus der Finanz- und Wirtschaftskrise wieder herausgeführt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- werden können. Wir brauchen, um Staatsbankrotte neten der FDP) zu verhindern, jetzt keine drakonischen Kürzungs- pläne, sondern wir brauchen, wie es die Linke Volker Kauder (CDU/CSU): schon seit Jahren fordert, endlich ein euro- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- päisches Konjunkturprogramm, in dem sich je- gen! Ich glaube, es muss noch einmal auf das hin- der Staat verpflichtet, mindestens 2 Prozent des gewiesen werden, was heute und am Freitag die- Bruttosozialproduktes pro Jahr aufzuwenden, um ser Woche im Deutschen Bundestag geschieht. Es den wirtschaftlichen Niedergang zu bremsen. Für geht darum, dass wir in einer ernsten Situation dieses europäische Konjunkturprogramm sollten für unsere Währung und für Europa die richtigen Sie sich in Brüssel einsetzen und nicht für weitere Entscheidungen in diesem Haus zu treffen haben. drakonische Kürzungsmaßnahmen, Frau Merkel. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen sollten wir uns miteinander darauf be- (Beifall bei der LINKEN) sinnen, was notwendig ist und was gemacht wer- den muss. Ich finde – an die Kolleginnen und Kol- Ich gehe hier deshalb stark auf die ökonomische legen der SPD das Wort gerichtet –, Bewältigung der Krise ein, weil wir uns im Augen- blick – das ist richtig – um die Regulierung der Fi- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nanzmärkte kümmern. Wir müssen aber darüber NEN]: Fraktion, Herr Kauder!) hinaus auch darüber reden, wie wir die giganti- dass es darauf ankommt, was wir vorhaben, was schen Staatsschulden endlich loswerden und wie wir machen wollen. Wissen Sie, in einer Situation wir gleichzeitig die europäische Wirtschaft stärken wie der jetzigen ist es richtig, miteinander darüber können. Das ist unsere Aufgabe. zu reden, was wir machen müssen und können. Es Die Finanzmarkttransaktionsteuer wird ja nun kommt nicht darauf an, den Blick zurückzuwerfen augenscheinlich von allen unterstützt. Ich hoffe und kleinteilige Abrechnungen vornehmen zu wol- nur, dass sie auch endlich umgesetzt wird. len. Das führt uns überhaupt nicht weiter. 4144 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab- Der Euro ist nicht der Euro der Regierungskoaliti- geordneten der FDP – Joachim Poß on. Der Euro ist unsere Währung, und wir tragen [SPD]: Darum geht es doch gar nicht! Es miteinander Verantwortung dafür, dass dieser Eu- geht um die richtigen Lösungen!) ro stabil bleibt. Der Präsident der Europäischen Zentralbank hat (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – in mehreren dramatischen Sätzen darauf hinge- Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Werden wiesen, in welcher Situation wir sind. Ich finde, wir Sie Ihrer Verantwortung gerecht!) sollten in der Debatte darüber und bei der Antwort Es gibt Situationen in unserem Land, wo auch darauf dieser dramatischen Situation gerecht wer- aus der Opposition heraus Verantwortung über- den. nommen werden muss. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab- (Joachim Poß [SPD]: Machen wir! – Jür- geordneten der FDP – Joachim Poß gen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: [SPD]: Das wird Zeit!) Fragen Sie mal Herrn Fricke! – Britta Jetzt reden wir einmal darüber, was ansteht. Wir Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- haben in der letzten Sitzungswoche am Freitag NEN]: Sagen Sie das der Kanzlerin!) über ein Rettungsprogramm für den Euro und da- Wir haben in der Opposition, wenn es um Schick- mit auch für die Stabilität des Euro und für die salsfragen unseres Landes ging, beispielsweise Sparguthaben der Menschen in unserem Land beim Einsatz der Bundeswehr, aus der Opposition entschieden. heraus die Regierung unterstützt und diese Maß- Es geht jetzt doch gar nicht um abstrakte Diskus- nahmen mitgetragen. Ich würde mir wünschen, sionen. Alles hat einen konkreten Hintergrund. So dass jetzt auch die SPD-Bundestagsfraktion diese wie damals, in der Zeit der Großen Koalition, als Verantwortung wahrnehmen würde. von der Regierung der Satz gesagt wurde: „Wir ga- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und rantieren die Spareinlagen der Menschen in unse- der FDP) rem Land“, Wir wissen, dass dieses Programm ein ambitio- (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Da gab es noch ei- niertes Programm ist, und man kann natürlich da- nen ordentlichen Finanzminister!) rüber reden, ob es eine Alternative dazu gibt. Aber so geht es auch jetzt darum, Zukunftschancen für wir sind felsenfest davon überzeugt, dass eine Al- unser Land und die Menschen in unserem Land zu ternative zu dem, was wir heute vorschlagen, eine garantieren. Um nicht mehr, aber auch um nicht schlechtere Lösung wäre. Herr Kollege Steinmeier, weniger geht es. Ihrer Rede habe ich entnommen, dass Sie diese Aussage mittragen, dass auch Sie der Auffassung (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab- sind, dass das, was hier gemacht wird, richtig ist geordneten der FDP – Swen Schulz und Sie nur um Zustimmung ringen, weil Sie er- [Spandau] [SPD]: Da hatten Sie noch die warten, dass das eine oder andere von der Regie- SPD! Und jetzt stehen Sie da mit Ihrem rung klar und deutlich zugesagt wird. Ich sage Ih- Wunschkoalitionspartner!) nen noch einmal, was ich am Freitag der letzten Wir können in dieser schwierigen Situation tat- Sitzungswoche schon einmal gesagt habe: Wir sächlich handeln. werden Ihnen klar sagen, was wir machen. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Machen Sie ( [SPD]: Da warten wir doch mal!) drauf!) Die Bundesregierung hat klar und deutlich gesagt, Ich sage Ihnen aber auch: Wenn ich der Meinung was sie tun wird. Die Regierungskoalition unter- bin, dass das, was jetzt vorgeschlagen wird, richtig stützt die Bundesregierung. Ich würde mich natür- ist, dann muss ich doch unabhängig von anderen lich darüber freuen, wenn dieses Parlament in ei- Fragen die Zustimmung dazu geben. Wenn etwas ner so schwierigen Situation – der Präsident der richtig ist, dann ist es richtig, dann muss man auch EZB, Trichet, sagt, es sei die schwierigste Situati- Ja sagen, Herr Steinmeier, und Sie haben gesagt: on nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland – Es ist richtig. zeigen könnte, dass es gemeinsam die Herausfor- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- derung annimmt. neten der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wir wollen natürlich auch, dass die Bürgerinnen Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und Bürger in unserem Land wissen, dass nicht NEN]: Das ist ja unverschämt! Wir treiben ausschließlich der Staat und die Steuerzahler mit Sie schon seit Wochen und Monaten! – Bürgschaften für die Stabilität eintreten, sondern Joachim Poß [SPD]: Wenn die Voraus- auch diejenigen an den Kosten beteiligt werden, setzungen gegeben sind!) die als Spekulanten mit dazu beigetragen haben, dass die Situation so schwierig geworden ist. Des- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4145 halb sagen wir: Wir fordern die Bundesregierung ten Schutzschirme für die Sparerinnen und Sparer, auf, dass sie europaweit, am besten global eine für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Finanzmarktsteuer einführt. Wir sagen: Die für die mittelständische Wirtschaft aufspannen. Ich Transaktionsteuer oder die Finanzaktivitätsteuer, kann nur sagen: Am Aufspannen dieser Schutz- eine von beiden muss neben der von uns bereits schirme war die SPD in der Großen Koalition be- beschlossenen Bankenabgabe kommen. teiligt. Die neue Koalition hat richtige Maßnahmen ergriffen und fortgeführt. Wir haben dadurch ver- ( [SPD]: Welche? – Jür- hindert, dass aus Kurzarbeit Arbeitslosigkeit wird. gen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind besser durch die Krise gekommen als vie- Welche denn nun?) le andere in Europa. Dafür hat sich der Einsatz Herr Kollege Steinmeier, die Bundeskanzlerin dieser Mittel gelohnt. hat an diesem Rednerpult ausdrücklich gesagt, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dass sie sich dafür einsetzen wird, dass dieses auch so geschieht, der Bundesfinanzminister hat Jetzt geht es darum, die Konsolidierung das ebenfalls zugesagt. Die Bundesregierung hat durchzuführen. Das wird kein einfacher Weg. Wir eine klare Zusage gemacht; dafür sagen wir herzli- müssen den Menschen sagen, dass wir für die Zu- chen Dank. kunftsfähigkeit unseres Landes, für die Zukunft der jungen Generation die Konsolidierung durchführen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- müssen. Die Botschaft muss sein – auch an viele neten der FDP) draußen in der Welt, die uns manches gar nicht Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir mehr zutrauen –, dass wir es organisieren können dürfen aber nicht übersehen – ich glaube, da sind und werden, dass auch in einer älter werdenden wir uns alle einig –, dass die Ursache für diese Gesellschaft jugendliche Dynamik steckt. Das schwierige Situation nicht die Spekulanten sind. muss erreicht werden. Aber die Spekulanten haben an der Schraube ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) dreht. Deswegen müssen auch sie herangezogen werden, deswegen brauchen wir Kontrollen, des- Deswegen bleiben Forschung, Bildung und Inno- wegen muss die Regulierung bei Hedgefonds in- vation trotz Konsolidierung des Haushalts zentrale tensiver und dichter werden als bisher. Man kann Themen. Wolfgang Schäuble nur dafür danken, dass es ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- lungen ist, über das Votum der Briten hinweg zu neten der FDP) erreichen, dass auch Hedgefonds reguliert wer- den. Das ist ein großartiger Erfolg. Wir werden im weltweiten Wettbewerb getrie- ben von Staaten wie China und Indien. Diesen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Wettbewerb werden wir bestehen. Wir brauchen der FDP) dazu eine qualifiziert ausgebildete junge Generati- Es ist auch richtig – und zeigt im Übrigen die on. Wir brauchen dazu jeden, der in diesem Land Handlungsfähigkeit dieser Regierung –, dass die lebt. Deswegen geht es bei Bildung auch um Integ- Leerverkäufe seit Mitternacht verboten sind und ration. Wir haben in der Integration noch nicht das damit ein Teil der Spekulationsmöglichkeiten ab- erreicht, was notwendig ist; aber wir werden dies geschafft worden ist. Diese Regierung und diese mit unseren Maßnahmen für Bildung, Innovation Koalition handeln, sie machen genau das, was in und Forschung vorantreiben. der konkreten Situation richtig und möglich ist. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Was sagt Herr Koch dazu?) der FDP) Die Bundeskanzlerin hat zu Recht darauf hin- Durch die Entscheidung, die wir in dieser Woche gewiesen, dass wir mit diesen ganzen Maßnah- fällen, wird viel über die Zukunftsfähigkeit in die- men, die von den Summen her nicht nur den Men- sem Land ausgesagt werden. Wir wissen, dass schen in diesem Land, sondern auch uns gigan- diese für uns alle nicht einfach ist, und wir wissen, tisch erscheinen, nur dann Erfolg haben werden, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern auch erklä- wenn wir das Übel an der Wurzel packen: Das ist ren müssen, warum wir so handeln. Wir können die hohe Staatsverschuldung, die wir überall ha- das erklären: Es geht um die Stabilität unserer ben. Währung, unserer Grundlage und unserer Zukunft (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und auch um den Erhalt Europas. Auch wir in der Bundesrepublik Deutschland ha- Ich gehöre einer Generation an, die nach einem ben mit der Neuverschuldung von über grässlichen Krieg und einer verbrecherischen Dik- 80 Milliarden Euro, die wir in diesem Jahr zu ver- tatur in Deutschland zum ersten Mal in Frieden antworten haben, ein schweres Paket zu tragen. aufwachsen durfte. Ich habe allen Grund, diesem Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen Europa jenseits von Angebot und Nachfrage, jen- doch alle, warum wir das getan haben: Wir muss- seits von Cent und Euro, Dank dafür zu sagen, 4146 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 dass dieses Europa die größte Friedenssicherung Warum erst seit gestern? Warum haben Sie diese nach dem Zweiten Weltkrieg geworden ist. in unserem Land überhaupt wieder zugelassen? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Deshalb sollten wir alle miteinander Interesse da- ran haben, dieses Europa trotz der Schwierigkei- Seit gestern liegt ein Regelungsvorschlag des ten, die wir jetzt überwinden müssen, in eine gute Rates zur Regelung von Hedgefonds vor, der mit Zukunft zu führen. Mehrheit im Rat beschlossen wurde. Warum erst seit gestern? Die Mehrheit, die es dafür gab, gab Es mag banal klingen, aber trotzdem ist es eine es auch schon vorher. Aber bisher war Deutsch- ganz einfache Aussage: Jede Generation ist in ei- land nicht bereit, sich an dieser Mehrheit zu betei- ne bestimmte Aufgabe hineingestellt. – Wir haben ligen. Das ist die Wahrheit. jetzt die Aufgabe, den Euro zu stabilisieren und zu retten und die Zukunft Europas zu gestalten. An (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Bewältigung dieser Aufgabe sollten wir alle in und bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ diesem Haus uns beteiligen. CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Das ist falsch!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Eine Rede der Ver- Frau Bundeskanzlerin, ich wäre an Ihrer Stelle legenheit! Ausdruck der Verlegenheit und vorsichtig mit einem Zwischenruf, in dem jemand Unklarheit in dieser Koalition! Keine kon- der Unwahrheit geziehen wird. Sie müssten dem kreten Angebote!) Hohen Haus dann auch erklären, worin in der Fra- ge einer europäischen Finanzmarktaufsicht die Präsident Dr. Norbert Lammert: Differenz besteht. Warum kommen der Rat, also Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin die Regierung, und das Europäische Parlament für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. hier nicht zu einer gemeinsamen Schlussfolge- rung? Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es gibt viele Gründe. Ein Grund soll aber sein, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe dass die deutsche Bundesregierung im Rat Maß- Frau Bundeskanzlerin, hinsichtlich eines Befundes nahmen der europäischen Finanzaufsicht gegen- will ich Ihnen zustimmen. Sie haben gesagt, die über deutschen Behörden ablehnt. Das wäre aber gegenwärtige Krise des Euro sei die größte Be- eine zahnlose Finanzaufsicht. Deswegen sollten währungsprobe, die Europa seit Jahrzehnten zu Sie sich an die eigene Nase fassen, bevor Sie in bestehen habe. – Das ist richtig. Ich kann Ihnen dieser Frage auf das Europäische Parlament ver- deshalb aber eine einfache Frage nicht ersparen: weisen. Warum musste erst der US-Präsident Barack (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Obama am 7. Mai 2010 bei Ihnen anrufen, damit wie bei Abgeordneten der SPD) Sie diese Krise bemerken? Das Ganze hat zu einem beispiellosen Schlin- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gerkurs geführt. Noch am 9. Mai haben Sie per- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten sönlich in diesem Hause in namentlicher Abstim- der LINKEN – Norbert Barthle mung alle Anträge der Grünen, der SPD und der [CDU/CSU]: So ein Unsinn!) Linken für die Einführung einer Finanzmarkt- Es wäre leicht, an dieser Stelle zu sagen, es transaktionsteuer abgelehnt. Zwei Tage später habe vielleicht an der NRW-Wahl gelegen. Das haben Sie in Brüssel einem Ratsbeschluss zuge- wäre auch richtig, aber der andere Teil der Wahr- stimmt, in dem es heißt, die Möglichkeiten einer heit ist: Obama hat auch bei Nicolas Sarkozy an- globalen Transaktionsteuer sollten nun geprüft gerufen. – Deswegen stehen wir vor einem, wie ich werden. Heute legt uns die Koalition einen Ge- finde, erschreckenden Befund. Wir sind nicht nur in setzentwurf vor, der besagt: Wir wissen nicht recht, einer großen Krise dieses Europas, sondern wir ob wir eine neue Umsatzsteuer oder Einkommen- haben auch den Ausfall der klassischen Füh- steuer einführen wollen, aber wir schreiben ir- rungsmächte dieses Europas zu konstatieren: den gendwas hinein. – Das ist das Gegenteil von Füh- Ausfall Deutschlands und den Ausfall Frankreichs. rung und Handeln. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wie bei Abgeordneten der SPD) und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Was hätte es denn geheißen, dieser Krise ent- gegenzuwirken? Sie hätten all das machen müs- Wenn Sie diese Krise bekämpfen wollen, dann sen, wofür Sie sich jetzt, Frau Homburger, Herr brauchen Sie eine Finanzmarkttransaktionsteuer. Kauder, beginnen, auf die Schulter zu klopfen. Sie ist zielgenau, und anders als die Aktivitätsteuer ist sie auch in der Lage, die Volumina zu generie- Seit gestern Nacht sind ungedeckte Leerverkäu- ren, die Sie brauchen, um endlich mit solchen Kri- fe von Staatsanleihen in Deutschland verboten. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4147 sen fertig zu werden. Hören Sie auf, mit Peanuts den anderen Mitgliedstaaten Europa gestalten und auf Krisenfragen zu antworten! aus der Ecke der Bockigkeit herauskommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und sowie bei Abgeordneten der SPD und der bei der SPD) LINKEN) Mag sein, dass Sie das nicht gerne von Grünen Präsident Dr. Norbert Lammert: hören. Aber Sie sind nicht einmal mehr in der ei- Herr Kollege Trittin, gestatten Sie eine Zwi- genen konservativen Parteienfamilie wirklich in der schenfrage des Kollegen Barthle? Mehrheit. Hören Sie doch auf Magister Josef Pröll, den österreichischen Finanzminister, der sich für Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): eine europäische Finanzmarkttransaktionsteuer Bitte. einsetzt! (Dr. h. c. [CDU/CSU]: Welt- Norbert Barthle (CDU/CSU): weit!) Herr Kollege Trittin, Sie haben gerade mehrfach die CDU/CSU-FDP-geführte Bundesregierung an- – Nein, er möchte eine europäische, und zwar klar gegriffen, zuerst mit der Aussage, dass eine Kon- und deutlich. trolle der Finanzen durch die Europäische Kom- Hören Sie doch auf Ihren christdemokratischen mission von der Regierung nicht zugelassen wer- Parteifreund Jean-Claude Juncker, der als Vorsit- de, danach sind Sie auf die europäischen Stan- zender der Euro-Zone sagt: Wir brauchen diese dards eingegangen. Gestehen Sie mir zu, dass die europäische Finanzmarkttransaktionsteuer, weil Bundesregierung im Auftrag dieses Parlaments ohne sie international nichts geht! Fangen Sie also handelt und dass dieser Auftrag schon in den ver- an, in Europa zu handeln, damit sich auch interna- gangenen Legislaturperioden an die Regierung ge- tional endlich etwas bewegt! Das ist die richtige richtet wurde? Reihenfolge. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Lieber Herr Kollege Barthle, mir kommt es fast und bei der SPD sowie bei Abgeordneten vor, als hätten Sie den weiteren Verlauf meiner der LINKEN) Rede antizipativ vorweggenommen. Das freut mich Hören Sie auf, Deutschland permanent in eine für Sie. Aber es wird für Sie am Ende außerordent- Sonderrolle zu drängen! Da sind wir nämlich inzwi- lich unangenehm. schen. Fragen Sie sich doch einmal, warum aus (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh! Europa 2020 nichts wird! Daraus wird nichts, weil Oh!) diese Bundesregierung europäische Bildungsstan- dards europaweit blockiert. Das kann ich verste- Denn Sie haben Deutschland mittlerweile nicht nur hen, wenn ich Herrn Koch in meinen Reihen habe. in der europäischen Politik in die Isolation geführt. Aber es ist nicht europäisch, und es ist nicht zu- Die Bundesregierung hat mit dem Vorgehen, das kunftsgewandt. sie an dieser Stelle praktiziert hat, nichts anderes gemacht, als gegen das Grundgesetz zu versto- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ßen. sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Alles deutsche Interessen!) Es ist diese Bundesregierung, die bei Euro- pa 2020 europäische Standards bei der Armutsbe- – Lieber Herr Kollege, das Grundgesetz steht nie kämpfung blockiert. Auch das kann ich verstehen, im Widerspruch zu deutschen Interessen. Es ist wenn ich Menschen wie die in der FDP in meinen die Grundlage deutscher Interessen, wenn ich mir Reihen habe, denen die Hoteliers wichtiger sind diese Bemerkung erlauben darf. als die Armen in diesem Lande. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der SPD und der LINKEN) sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf Sie haben einfachgesetzliches Recht gebro- von der FDP: Frechheit!) chen, und Sie haben sich auf eine Vertragsrege- Aber eine vernünftige europäische Politik ist das lung der Europäischen Union berufen, auf die Sie nicht. Mit dieser Haltung haben Sie sich mittlerwei- sich nicht hätten berufen dürfen. Ich will Ihnen das le in dieselbe Situation gebracht wie ein Kind, das gerne durchbuchstabieren, wenn Sie wollen. bockig in der Ecke sitzt und regelmäßig dazu ge- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ein bisschen bracht werden muss, mitzuspielen. Ich finde, das mehr Bescheidenheit!) ist der größten Nation, dem größten Mitgliedsland innerhalb der Europäischen Union nicht angemes- Ich verweise auf Art. 23 des Grundgesetzes. – sen. Wir müssen endlich wieder gemeinsam mit Herr Kollege Barthle, ich bin noch immer bei der Beantwortung Ihrer Frage. Sie haben gesagt, die 4148 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

Bundesregierung handele im Auftrag des Bundes- Ich wünsche mir auch aufseiten der Regierung tages. Parlamentarier, die sich dies nicht vorstellen kön- nen. Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Kollege Trittin, da Sie freundlicherweise da- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten rauf hingewiesen hatten, dass das ohnehin ein Be- der LINKEN) standteil Ihrer sorgfältig vorbereiteten Rede ist, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Parlament ernst zu nehmen, hieße, dies zu- setze ich das Einvernehmen des Plenums voraus, sammen mit dem Deutschen Bundestag zu ma- dass sich der Kollege Barthle setzen darf und Sie chen, anstatt mit einem solchen Verfahren weiter im Rahmen Ihrer Redezeit Ihre Ausführungen ver- fortzuschreiten. vollständigen. Ich erwarte von Ihnen auch, dass bei der Frei- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) gabe der einzelnen Mittel ein Missstand beseitigt wird, der geradezu absurd ist. Wenn Sie das Recht Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der Beteiligung des Bundestages ernst nehmen, Der Kollege Barthle geht also wieder in den Sitz- dann kann der Deutsche Bundestag zu jeder Kre- streik, okay. ditermächtigung über die 60 Milliarden Euro EU- Art. 23 des Grundgesetzes ist völlig eindeutig. Mittel künftig einen Vorbehalt einlegen. Das haben Vor dem Setzen von Rechtsakten im Rat ist der wir gemeinsam so geregelt. Aber zu den Deutsche Bundestag zu befassen. Dies ist bei der 148 Milliarden Euro werden wir lediglich unterrich- infrage stehenden Rechtsverordnung nicht ge- tet, wenn nichts anderes dem entgegensteht. Alle schehen. Die nachträgliche Unterrichtung der Vierteljahre darf dann Alex Bonde prüfen, ob Sie Fraktionsvorsitzenden ist keine Befassung des das Ganze ordentlich rechnungsmäßig verbucht Deutschen Bundestages. haben. Das, was Sie uns mit diesem Vorschlag un- terbreiten, ist eine Brüskierung des Bundestages. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Diese Brüskierung des Bundestages kann auch und bei der SPD sowie bei Abgeordneten von Ihnen nicht ernsthaft akzeptiert werden. der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Daher sage ich Ihnen: Sie haben das Recht und und bei der SPD sowie bei Abgeordneten die Verfassung mit Ihrem Vorgehen gebrochen. der LINKEN) Sicherlich musste man schnell handeln. Ich bin be- reit, mit Ihnen darüber zu diskutieren, wie man Meine Damen und Herren, wenn Sie das tun künftig mit solchen Fällen umgehen soll. Ich bin wollen, was die Bundeskanzlerin zu Recht gesagt hier für jedes Gespräch zu haben. Aber es geht hat, nämlich dass Sie dieses Verfahren durchfüh- nicht, dass Sie, nachdem Sie diesen Rechtsbruch ren und dabei der Budgethoheit des Bundestages begangen haben, dieses Hohe Haus, den Deut- in vollem Umfang Rechnung tragen wollen – so ist schen Bundestag, mit weiteren Zumutungen beläs- das gesagt worden –, dann müssen Sie erstens tigen. Sie erwarten von uns, dass wir eine Kredit- dafür sorgen, dass uns vor der Entscheidung hier ermächtigung in Höhe von über 148 Milliarden Eu- im Bundestag dieser Vertrag vorgelegt wird, und ro erteilen. Das entspricht fast dem Volumen eines Sie müssen zweitens dafür sorgen, dass der Bun- halben Bundeshaushaltes. Auf die Frage, wie die- destag künftig entscheiden kann und nicht nur un- ses Geld ausgegeben werden soll, haben wir ges- terrichtet wird. tern vom Bundesfinanzminister ein Term Sheet als (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Antwort bekommen, ein einseitiges Blatt Papier mit SES 90/DIE GRÜNEN) den geplanten Konditionen. Das ist nichts anderes Erzählen Sie uns hier nicht, das sei wegen der Eil- als eine unverbindliche Absichtserklärung, in der darauf verwiesen wird, dass man eine Zweckge- bedürftigkeit nicht machbar. Erstens. Die 60 Milliarden Euro stehen schon jetzt zur Verfü- sellschaft nach luxemburgischem Recht gründen gung. Zweitens. Ohne Zweckgesellschaft fließt möchte. Ich bin froh, dass es wenigstens keine Liechtensteiner Stiftung ist. sowieso kein Geld. Welchen Grund gibt es also, uns, bevor dieser Vertrag vorliegt, zu nötigen, hier (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen Gesetzentwurf zu verabschieden? Einen und bei der SPD sowie bei Abgeordneten solchen Grund vermag ich nicht zu erkennen. Des- der LINKEN) wegen sage ich Ihnen: Ändern Sie das, tun Sie et- Aber ganz im Ernst – das sage ich besonders an was in dieser Richtung! die Adresse der Parlamentarier auf der Regie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rungsseite –: Können Sie sich ernsthaft vorstellen, und bei der SPD sowie bei Abgeordneten 148 Milliarden Euro auszugeben, ohne dass Sie der LINKEN) das Vertragswerk kennen und geprüft haben? Ich kann mir das als Parlamentarier nicht vorstellen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4149

Meine Damen und Herren, Europa muss zu- Deswegen können Sie sich, Herr Kollege Trittin, sammenstehen. Die überschuldeten Staaten müs- zwar in Ihrem Klein-Klein verlieren; Sie können sen eine Chance für eine nachhaltige und sozial aber die Verantwortung der Grünen nicht loswer- ausgewogene Konsolidierung bekommen. Ja, wir den. brauchen Konsolidierung, wir brauchen auch eine (Günter Gloser [SPD]: Eine Lachnummer ist Koordinierung der Wirtschaftspolitik in Europa, wir das!) brauchen streng regulierte Finanzmärkte, wir brau- chen eine Finanztransaktionsteuer. Wir müssen Herr Kollege Trittin, nicht nur an dieser Stelle konsolidieren, koordinieren und regulieren, wollen war auf Sie kein Verlass. Als wir früh erkannt ha- wir aus dieser Krise heraus. Das geht aber nur mit ben, dass wir eine neue Schuldenregel brauchen, dem Deutschen Bundestag und nicht gegen den und die Verfassung entsprechend geändert haben, Deutschen Bundestag. haben die Grünen nicht mitgestimmt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Zu Recht!) wie bei Abgeordneten der SPD) Herr Steinmeier hat heute gesagt, er kritisiere nie- manden, der Einsicht zeige. Es stünde den Grünen Vizepräsident Dr. : gut an, einsichtig zu sein. Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kolle- gen Volker Wissing das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU – Zurufe von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Oh! – Günter Gloser Dr. Volker Wissing (FDP): [SPD]: Die FDP bleibt kraftlos, saftlos wie Herr Kollege Trittin, Sie haben viel gesagt, Sie immer!) haben viel Klein-Klein gesagt, Sie haben auch über die Finanztransaktionsteuer gesprochen, aber leider haben Sie nichts über die Ursache der ge- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: genwärtigen Krise gesagt. Zur Beantwortung Kollege Trittin. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): NEN]: Hat Ihnen Frau Homburger die Re- Meine Damen und Herren! Lieber Herr Wissing, dezeit gestohlen?) Sie haben völlig richtig zitiert. Wenn Sie sich selbst Diese Krise ist nämlich im Kern eine Schuldenkri- gegenüber ehrlich sind, dann sind auch Sie ganz se. Ich will Ihnen etwas über die Ursache dieser froh darüber, dass wir damals so entschieden ha- Schuldenkrise sagen, was Sie ruhig hätten an- ben. Denn wo wären Sie heute im Konflikt mit der sprechen können. Ich will aus einem Antrag der Europäischen Kommission bei einem Etat, der mit Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die 80 Milliarden Euro plus ungefähr 50 Milliarden Eu- Grünen aus dem Jahr 2004 auf Drucksa- ro verdeckten Schulden in Sondervermögen der che 15/3957 zitieren. Darin haben Sie damals BaFin finanziert ist? Ich finde, dass man, bei aller festgestellt, dass die Erfahrung mit der Anwendung Ernsthaftigkeit, nicht den Weg der Verschuldung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zeige, dass gehen kann, wie es in Griechenland, Portugal und eine Anwendung der finanzpolitischen Regeln zu anderswo – auch, füge ich hinzu, in Deutschland – starr auf die kurzfristige Einhaltung quantitativer geschehen ist. Dagegen haben Sie von mir eben Vorgaben ausgerichtet sei. nichts gehört. (Joachim Poß [SPD]: Vernünftig! – Aber es gibt einen weiteren Punkt, in dem der Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Entschließungsantrag richtig ist Hört! Hört!) (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das Das war der Bruch des Stabilitäts- und Wachs- war immer falsch!) tumspaktes. und bei dem wir immer noch nicht weiter sind. In (Joachim Poß [SPD]: Nein, das war eine ver- einer gemeinsamen Währungsunion kann es nicht nünftige Entscheidung!) unterschiedliche Wirtschaftspolitiken geben. Das ist der Kern. Sie können doch nicht ernsthaft glau- Hätten wir eine Finanztransaktionsteuer gehabt, ben, Deutschland könne auf Dauer in Saus und wir stünden genau da, wo wir heute stehen. Braus leben (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Zuruf von der SPD) NEN]: Ihr wollt sie doch nicht!) – ja, so will auch ich es nicht formulieren –, davon Hätten wir diesen politischen Sündenfall von Rot- profitieren, dass es Güter in Länder verkauft, in Grün nicht gehabt, wir hätten keine Euro-Krise. denen eine überbordende Nachfrage kreditfinan- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- ziert vorhanden ist. Das war jahrelang der Fall. Wir ten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: brauchen also nicht nur eine Kultur der Stabilität, Quatsch mit Soße!) sondern wir brauchen auch eine veränderte Wirt- schaftspolitik in Europa. Wir müssen endlich da- 4150 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 hin kommen, dass die Ungleichgewichte in Europa die werbend war. Die FDP hat klar gesagt, sie wol- abgebaut werden. Das wird nicht allein mit bloßem le keine Zustimmung der Opposition. Ich kann mir Sparen gelingen – auch das ist notwendig –, son- gut vorstellen, warum. Weil sie sich nicht im Rah- dern es wird nur gelingen, wenn zum Beispiel auch men eines Entschließungsantrages an die Frage die viel zu niedrige Binnennachfrage in Deutsch- binden will, wer die Zeche für die hohen Schulden, land endlich behoben wird, indem Geringverdiener die wir jetzt aufnehmen müssen, zahlt, einen gesetzlichen Mindestlohn bekommen wie im (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Rest Europas, nämlich die Spekulanten über die Finanztransak- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tionsteuer. Das will sie nicht. Deshalb scheint sie und bei der SPD sowie bei Abgeordneten unser Angebot nicht annehmen zu wollen. der LINKEN) (Beifall bei der SPD) und dafür gesorgt wird, dass die Kaufkraft hier ge- stärkt wird. Das ist das beste Konsolidierungspro- Man kann kein Vertrauen zu einer Regierung gramm, das ich mir vorstellen kann. Es spart näm- haben, die heute hü und morgen hott sagt. Auf lich Steuern. dem DGB-Bundeskongress am Sonntag haben Sie gesagt: Wenn der DGB die Finanztransaktionsteu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei er durchsetzt, dann werde ich mich dem nicht ent- der SPD – Widerspruch bei der FDP) gegenstellen. – Zwei Tage später haben Sie ge- sagt: Ich werde natürlich dafür kämpfen. – Das ist Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: doch nicht ernst zu nehmen. Das Wort hat der Kollege Carsten Schneider von der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD – Jürgen Trittin Unser Fraktionsvorsitzender Frank-Walter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Carsten Steinmeier hat auf zwei Varianten hingewiesen, Schneider ist auch bei der Koalition!) was das Geschehen am Freitag, als es um Grie- chenland ging, betrifft: Entweder haben Sie nicht Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): gewusst, was in Brüssel passiert, und Herr Sarko- zy hat die Agenda in Europa bestimmt, oder Sie Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! haben es gewusst und uns nicht die Wahrheit ge- Wir reden heute hier über ein sehr ernstes Thema. sagt. Welche Variante schlimmer ist, sei einmal Ich hätte mir gewünscht, dass die Bundeskanzlerin dahingestellt. zu Beginn ihrer Regierungserklärung gesagt hätte, welche Erkenntnisse sie am Freitag vorletzter Wo- Ich hätte aber schon erwartet, dass Sie darüber che vor der Abstimmung über die Griechenland- aufklären. Es ist richtig, dass es bei solch großen Hilfe hatte, die dazu geführt haben, dass am Frei- politischen Entscheidungen gut ist, wenn man eine tagnachmittag die Staats- und Regierungschefs breite Mehrheit im Parlament hat. Aber eine breite das Paket, das wir in dieser Woche beschließen Mehrheit bedeutet, dass man die Ideen der Oppo- sollen, vorgelegt haben. Denn Sie haben nicht am sition einbindet. Dies bedeutet, dass wir Vertrauen Freitagmorgen im Bundestag das Wort ergriffen zu Ihrem Regierungshandeln im Europäischen und uns an diesen Erkenntnissen teilhaben lassen. Rat, im Ecofin haben müssen. Ich muss Ihnen Im Gegenteil, es war sogar so, dass Herr Fricke ganz klar sagen: Ich habe kein Vertrauen zu hier öffentlich der Vermutung, dass es eventuell mündlichen Zusagen, sondern nur zu Dingen, die mehr sein könne, widersprochen hat – maximal schwarz auf weiß auf dem Tisch liegen. 22,4 Milliarden Euro und kein Cent mehr, hat er (Beifall bei der SPD) gesagt –, und Herr Bundesminister Schäuble in der Pressekonferenz am Donnerstag, nachdem die Das ist bisher nicht der Fall. Steuerschätzung veröffentlicht worden war, mich Ich sage Ihnen ganz klar: Wir stehen zur Verfü- mehr oder weniger als vaterlandslosen Gesellen gung, wenn Sie sich dazu bekennen, schriftlich mit hingestellt hat, weil ich das infrage gestellt habe. uns festzulegen, dass es neben dem Rettungs- Frau Bundeskanzlerin, es geht bei diesem Ge- schirm für die Staaten auch ein klares Bekenntnis setz um die Euro-Stabilisierung. Das hat viel mit dafür gibt, wer die Zeche zahlt, nämlich die Speku- Vertrauen zu tun. Vertrauen entsteht, glaube ich, lanten über eine Finanztransaktionsteuer. Es nur, wenn die Regierung klar sagt, was ist, uns an darf kein Oder und kein Ausweichen geben. Nur ihren Erkenntnissen teilhaben lässt und auch klare dann sind wir bereit, mitzumachen. Anderenfalls ist Lösungsvorschläge macht. das nicht zu akzeptieren. (Abg. Otto Fricke [FDP] verlässt seinen Platz – Zuru- (Beifall bei der SPD) fe von der SPD: Hierbleiben!) Herr Kauder hat vorhin gesagt, es sollte nicht so All dies ist bisher nicht geschehen, im Gegenteil. viel Nabelschau und rückwärtsgewandte Diskussi- onen geben. Das hat die FDP die ganze Zeit ge- Wir haben hier viele Reden gehört. Die von macht. Herr Wissing hat in diesem Zusammen- Herrn Kauder war die einzige seitens der Koalition, Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4151 hang ein Argument vorgebracht, das den Stabili- ner betraf den Bundeshaushalt 2010. Da haben tätspakt betrifft. Nicht nur, dass Sie den heute mit Sie eine Rekordneuverschuldung beschlossen. Die einer Rekordneuverschuldung von 80 Milliarden hätte 10 Milliarden Euro niedriger sein können, Euro brechen würden. (Bettina Hagedorn [SPD]: Richtig!) (Birgit Homburger [FDP]: Ich wäre ruhig an Ih- wenn Sie nicht Ihr Wachstumsbeschleunigungsge- rer Stelle! Die haben Sie verursacht!) setz, Ihr Klientelgeschenkegesetz, beschlossen Ihre Position bei der Einführung der Schulden- hätten. Das ist Fakt, und deswegen brauchen Sie bremse im vorigen Jahr war: Nullverschuldung. sich gegenüber anderen Ländern nicht als Sitten- Was würden Sie denn eigentlich tun, wenn Sie wächter, was die Haushaltspolitik betrifft, aufzu- sich mit Ihrer Position der Nullverschuldung durch- spielen. Sie sind das Gegenteil. gesetzt hätten? Hätten Sie dann den Rentenzu- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schuss auf null gesetzt und die Beiträge zur Sozi- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) alversicherung auf 30 Prozent erhöht? Das ist die Wirtschaftspolitik der FDP. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich will auf ein weiteres Thema zu sprechen kommen. Kollege Trittin hat, wenn ich ihn richtig Ich bin froh, dass wir damals im Rahmen des verstanden habe, vorgeschlagen, die Mittel in Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu einer anti- Höhe von 148 Milliarden Euro zu sperren. Wenn zyklischen Vorgehensweise gekommen sind. Die- Herr Schäuble in der heutigen Ausgabe der FAZ ser bildet im Übrigen sehr genau die Schulden- richtig wiedergegeben ist, dann hat auch er sich bremse ab, der Sie zugestimmt haben und die im auf europäischer Ebene dafür eingesetzt, dass der Grundgesetz verankert wurde. Es ist von Folgen- Bundestag bei jeder Entscheidung ein Vetorecht dem auszugehen: „close to balance or surplus“, bekommt. Ich greife diesen Vorschlag sehr gern das heißt, in guten Zeiten einen ausgeglichenen auf. Ich halte die jetzige Veranschlagung nämlich Haushalt zu schaffen und Überschüsse zu erwirt- für nicht etatreif, weil die Grundlage und die Be- schaften. Das ist europäisches Recht, das wir als stimmtheit dieser Gewährleistung nicht geklärt Sozialdemokraten gemeinsam mit den Grünen sind. durchgesetzt haben. So funktioniert in etwa die Schuldenbremse in Deutschland. Ist Ihnen das ei- Es ist unverantwortlich, dieses Geld jetzt blanko gentlich bekannt, oder geht es Ihnen nur darum, zu verteilen. Das geht meines Erachtens nicht. die Schuld für Ihre Positionen einer fatalen Finanz- Deswegen schlage ich Ihnen vor: Lassen Sie uns und Steuerpolitik in den vergangenen Jahren bei diese Mittel heute im Haushaltsausschuss sperren. anderen zu suchen? Sobald das Vehikel steht, sobald die Verträge da sind und sobald die ersten Anfragen vorliegen, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sind wir bereit, die Mittel binnen 24 Stunden frei- Ich finde, den Staaten an sich die Verantwor- zugeben; auch bei dem Vorgehen, das Sie vor- tung für die Finanzkrise und die Euro-Schwäche in schlagen, wären wir nicht schneller. Dann hätte die Schuhe zu schieben, ist falsch. der Bundestag ein Mitbestimmungsrecht. Das hiel- te ich für richtig. (Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!) (Beifall bei der SPD) Man muss sich die Frage stellen: Warum ist es überhaupt dazu gekommen? Wir hatten 2008 kei- Ich will auf meinen letzten Punkt zu sprechen nen überschuldeten Haushalt in Deutschland. Wir kommen: auf die Verunsicherung der Märkte hin- hatten einen ausgeglichenen Staatshaushalt. Ha- sichtlich des Euro. Retten wir hiermit eigentlich den ben Sie das vergessen? Euro? Ich bin da sehr skeptisch. Wie wir wissen, ist der Wert des Euro in den letzten Wochen und (Beifall bei der SPD) Tagen gesunken. Ich glaube, dass das Paket zwar Wir haben eine Krise der Staatsfinanzen, weil wir eine Beruhigungswirkung hat, dass es aber einen uns bereit erklärt haben, antizyklisch zu investie- fatalen Fehler beinhaltet: den realen Angriff auf die ren, gegen die Wirtschaftkrise nicht anzusparen Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank. und auf dem Finanzmarkt dafür zu sorgen, dass Ich finde es bemerkenswert, dass die deutschen Stabilität herrscht und nicht einzelne Banken zu- Vertreter dort, sowohl Herr Weber als auch Herr sammenbrechen. Das haben wir gemeinsam – im Stark, überstimmt worden sind. Ich finde es auch Übrigen zusammen mit Ihnen – beschlossen. bemerkenswert, dass das Ihnen, Frau Bundes- kanzlerin, kein Wort wert war. Ich denke, Sie als Jetzt geht es darum, wieder langsam davon deutsche Bundeskanzlerin hätten am Freitag und herunterzukommen. Ich finde es besonders dreist, am Sonntag letzter Woche auftreten und die Un- dass Sie sich hier als Hort der Stabilität darstellen. abhängigkeit der Europäischen Zentralbank vor (Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!) dem Zugriff durch Präsidenten anderer großer Länder schützen müssen. Das ist offenbar nicht Was an Gesetzentwürfen haben Sie bis jetzt im Bundestag vorgelegt? Es waren vier oder fünf. Ei- gelungen. Das ist bedauerlich. 4152 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

(Beifall bei Abgeordneten der SPD) genommen haben. Deswegen konnten wir nicht zustimmen. Wenn es um Fragen der Stabilität geht, auf die Sie sich ja gern berufen, ist das geradezu grotesk. Ich (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg van fordere Sie auf: Sorgen Sie dafür, dass kein euro- Essen [FDP]: Die Sozialisten mal wieder!) päischer Nationalstaat Einfluss auf die Unabhän- Meine Damen und Herren, ich glaube, wenn gigkeit der Europäischen Zentralbank ausübt! man hört, was die Experten an den Finanzmärkten Denn dann wäre der Inflation Tür und Tor geöffnet. und in den Zentralbanken sagen, kann man ohne Vielen Dank. Übertreibung sagen: Vor zwölf Tagen stand Euro- pa, vielleicht die ganze Welt, vor einer zweiten Fi- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- nanzmarktkrise. Als an dem Freitag, als wir im ten der LINKEN – Johannes Kahrs [SPD]: Bundestag über die Rettung Griechenlands bzw. Gute Rede! – Volker Kauder [CDU/CSU]: über das Griechenland-Paket diskutiert haben, die Der richtige Satz kam ganz zum Schluss! Börsen in den USA geöffnet haben, hat sich her- Immerhin!) ausgestellt, dass in Europa plötzlich keine Anlei- hen der europäischen Nachbarländer mehr gekauft Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: wurden und dass es erste Störungen im Handel Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Hans-Peter zwischen den Banken gab, also genau das, was Friedrich von der CDU/CSU-Fraktion. wir nach der Pleite von Lehman Brothers im Jah- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- re 2008 erlebt haben. Es gab erste Symptome, die neten der FDP) selbst nach Südamerika übergegriffen und darauf hingewiesen haben, dass über diese Finanzmarkt- Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): krise hinaus möglicherweise ein völliger Zusam- menbruch der Finanzmärkte in Europa bevorsteht. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen Deswegen war es notwendig, dass Europa han- und Herren! Ich möchte als Allererstes klarstellen: delt, und Europa hat gehandelt. Herr Trittin, zwei Behauptungen, die Sie hier auf- gestellt haben, entsprechen nicht den Tatsachen. Nun wurde gesagt – Herr Steinmeier hat es vor- hin in seiner Rede angesprochen –: Noch als wir Erstens haben Sie behauptet, die Verordnung hier im Parlament waren, wurden draußen Dinge in der Europäischen Union gemäß Art. 122 sei ohne die Wege geleitet. Es wurde gefragt, was wir da- die Zustimmung und Beteiligung des Deutschen von gewusst haben, ob es einen Zusammenhang Bundestages in Kraft gesetzt worden. Das ist nicht gab zwischen den Entscheidungen zu Griechen- wahr. Am letzten Wochenende sind die Einzelhei- land und dem, was die Märkte draußen gemacht ten dieser Verordnung besprochen und konzipiert haben. Ja, ich glaube, dass es einen solchen Zu- worden. sammenhang gibt. Unsere Antwort auf die über (Lachen des Abg. Jürgen Trittin [BÜND- Wochen und Monate betriebenen Versuche der NIS 90/DIE GRÜNEN]) Spekulanten, Griechenland aus dem Euro-Raum Sie persönlich, Herr Trittin, wurden am Montag- herauszubrechen, war: Wir Europäer lassen es nicht zu, dass ein Land – das schwächste – nachmittag über Einzelheiten dieser Verordnung in Kenntnis gesetzt. herausgebrochen wird. Das war eines der wesent- lichen Argumente: Wenn wir Griechenland jetzt (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nicht helfen, dann werden die Märkte als Nächstes Jetzt bestätigen Sie es ja noch!) gegen Portugal, Spanien und andere vorgehen. Es Erst am Dienstag ist diese Verordnung in Kraft ge- hat sich bestätigt, dass es richtig war, klarzuma- treten. Ich kann mich nicht erinnern, dass einer der chen, dass Europa, die Euro-Zone, nicht bereit ist, Partei- oder Fraktionsvorsitzenden bei der Erörte- die schwächeren Mitglieder auf der Strecke zu las- rung dieser Verordnung oder bei der Besprechung sen und den Finanzmärkten auszusetzen. von Einzelheiten dieser Verordnung widersprochen Dann haben die Finanzmärkte etwas gemacht, hat. was aus ihrer Sicht logisch und konsequent war: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sie haben Europa insgesamt – den gesamten Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Verbund – angegriffen. Das nahm am Freitag sei- NEN]: Wir haben es sogar schriftlich, Herr nen Anfang und hätte am Montag zur Katastrophe Kollege!) geführt, wenn Europa nicht geantwortet hätte. Eu- ropa hat geantwortet. Die Antwort lautet: Wir stel- Zweitens haben Sie behauptet, die deutsche len euch Spekulanten den kompletten Block der Regierung habe die Hedgefonds-Richtlinie auf eu- volkswirtschaftlichen Kraft Europas entgegen. Die- ropäischer Ebene verschoben, behindert und ver- se Antwort findet ihren Ausdruck im geplanten zögert. Auch dies entspricht nicht den Tatsachen. 750-Milliarden-Euro-Schutzschirm. Es ist die richti- Tatsache ist, dass die britischen Sozialisten zu- ge Antwort auf die Versuche der Spekulanten. sammen mit den spanischen Sozialisten diese Richtlinie von der Tagesordnung des Ecofin-Rates (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4153

Meine Damen und Herren, jetzt ist es wichtig, Jeder weiß: Wer Schulden macht, macht sich dass wir gemeinsam die Antwort geben: Wir sind von denjenigen abhängig, die das Geld verleihen. bereit, unsere Währung, den Euro, zu verteidigen. Man macht sich von Geldgebern abhängig, die Wir dürfen dabei die Grundprinzipien der Wäh- Bedingungen stellen. Das ist das Problem, vor rungsunion, die und mit dem wir stehen. Die Geldgeber, die Finanzmärkte, dem Stabilitätspakt konzipiert haben, nicht aufs stellen den Staaten jetzt Bedingungen, so wie je- Spiel setzen. Es gehört zu den Grundprinzipien, der Geldgeber seinem Schuldner Bedingungen mithilfe der Kriterien der Nettoneuverschuldung im stellt. Deswegen ändern wir als europäische Staa- Laufe eines Haushaltsjahres und der Gesamtver- ten die Bedingungen und machen deutlich: Wir schuldung die Stabilität unserer Volkswirtschaften geben euch als europäischen Partnern Kredite, die insgesamt und die Seriosität der öffentlichen euch die Finanzmärkte zu unzumutbaren Bedin- Haushalte im Euro-Raum zu sichern. gungen geben würden, aber wir knüpfen das an politische Bedingungen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Was sind diese politischen Bedingungen? Ers- Wir stellen fest, dass der Stabilitätspakt zwar tens. Wir wollen, dass der IWF – der weiß, wie auch in seinen Einzelheiten richtig ist, aber bei der man mit Staaten umgeht, wenn ein Staat Geld Frage der Durchsetzung der einzelnen Aspekte braucht – ein Sanierungsprogramm vorlegt, das noch keine ausreichend scharfen Regelungen ge- auch durchgesetzt wird. Kredite dürfen nur dann troffen sind. Das wird nachgeholt; diesen Auftrag Zug um Zug bereitgestellt werden, wenn es Fort- hat die Bundesregierung auf den Weg nach Brüs- schritte bei der Sanierung gibt. Lassen Sie mich sel mitbekommen. Dort wird daran gearbeitet, die ein Beispiel vom Wochenende nennen. Spanien Überwachung durch Eurostat und die europäi- und Portugal wurde deutlich gemacht: Sie müssen schen Aufsichtsbehörden zu verbessern sowie ein sofort handeln, sonst kommen sie nicht unter den Frühwarnsystem einzuführen. Zudem wird ein au- Schirm. Was war das Ergebnis? Die Spanier ha- tomatisches Defizitverfahren auf den Weg ge- ben sofort gehandelt und ein Sanierungsprogramm bracht, das es unmöglich macht, dass politisch in Höhe von 15 Milliarden Euro auf den Weg ge- Einfluss genommen wird und Sanktionen abge- bracht. Ich habe großen Respekt vor den Regie- wendet werden – das ist 2005 unter rot-grüner Re- rungen, die diese Maßnahmen durchsetzen müs- gie geschehen; das muss in Zukunft vermieden sen. Wir sollten sie in diesem Punkt unterstützen. werden –, wenn ein Defizitsünder in Brüssel auf die Anklagebank gesetzt wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Wir brauchen Sanktionen, die schon im Vorfeld – nicht erst, wenn das Land schon völlig über- Wir brauchen einen Sonderbeauftragten für je- schuldet ist – wirksam sind: Aussetzung von des Land, das Kredite in Anspruch nimmt. Er muss Stimmrechten oder Sperrung bestimmter europäi- den nationalen Parlamenten, uns und auch dem scher Mittel und Zuschüsse, wenn sich ein Land Haushaltsausschuss über den Fortschritt berich- nicht ordentlich verhält. ten, der in den jeweiligen Regionen erreicht wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Warum machen wir das? Warum zwingen wir neten der FDP) insbesondere unsere südeuropäischen Nachbarn dazu, Sanierungen durchzuführen? Warum zwin- Wir haben in diesem Haus mit der Unterstüt- gen wir sie zur Einhaltung der Stabilitätskriterien? zung der SPD und der FDP unter Federführung Doch nicht nur, weil wir unsere Kredite, falls sie in der Koalitionsfraktion der CDU/CSU die Schul- Anspruch genommen werden, zurückgezahlt be- denbremse ins Grundgesetz geschrieben. Mit die- kommen wollen, sondern weil die Leis- ser Schuldenbremse haben wir per Verfassung tungsfähigkeit jeder einzelnen Volkswirtschaft in das Haushaltsrecht künftiger Parlamente auf Seri- Europa – der griechischen, spanischen, italieni- osität beschränkt. Das war ohne Frage ein sehr schen usw. – den Wert unserer Währung, des Eu- weitgehender Schritt, der sich auf die strukturelle ro, bestimmt. Deswegen müssen wir gemeinsam Verschuldung richtet und zugleich Möglichkeiten die betroffenen Länder stabilisieren. Das ist unsere lässt, konjunkturell zu reagieren. Der Mechanis- Aufgabe. Das macht diese Bundesregierung. mus, der jetzt im Grundgesetz steht – Herr Poß, er wurde von uns gemeinsam vereinbart –, nimmt die Meine Damen und Herren, es wird viel über die Kriterien des europäischen Stabilitätspakts in un- Einbeziehung der Finanzmärkte gesprochen, ser Grundgesetz auf. Deswegen ist die deutsche weil die Akteure auf den Finanzmärkten durch eine Schuldenbremse sofort, unverzüglich auf andere undurchsichtige Verschleierung von Risiken dazu Länder in Europa übertragbar. Ich denke, das ist beigetragen haben, dass 2008 die Finanzmarktkri- ein wichtiges Thema, über das wir reden müssen; se mit allen Konsequenzen für die Realwirtschaft denn – es wurde hier mehrfach angesprochen – eintreten konnte. Deswegen muss man auf den Fi- das Grundübel, mit dem wir es zu tun haben, ist nanzmärkten für Ordnung sorgen. Man muss den doch die Verschuldung der öffentlichen Haushalte internationalen Finanzmärkten die Ordnung geben, in ganz Europa und darüber hinaus. die auf nationalen Märkten vorhanden ist. Dieser Aufgabe stellen wir uns. Die Ratingrichtlinie und 4154 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 die Derivaterichtlinie sind bereits auf dem Weg. Wir spannen einen Euroschutzschirm über un- Europa handelt also auch in dieser Hinsicht. sere Währung, Wir haben in Deutschland beschlossen, eine (Joachim Poß [SPD]: Was wollen Sie jetzt Bankenabgabe zu erheben. konkret? Wollen Sie die Steuer, oder wol- len Sie sie nicht in Europa?) (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Be- schlossen ist sie noch nicht! – Joachim aber auch über unsere Arbeitsplätze in Deutsch- Poß [SPD]: Vage Eckpunkte, nicht mehr!) land. Diese Regierung ist dabei, eine dauerhafte Stabilität unseres Euros sicherzustellen. Sie dient dazu, insolvente Banken zu sanieren und künftig dafür zu sorgen, dass durch Sanierungs- (Joachim Poß [SPD]: Eiern Sie nicht weiter so programme eine Systemgefährdung vermieden rum!) werden kann. Dafür wollen wir keine Steuermittel Darüber hinaus werden wir die Verschuldung in verwenden, sondern Geld, das die Banken vorher Deutschland und in Europa beenden. in einen Fonds einzahlen. Ich halte das für die rich- tige Maßnahme. Vielen Dank. Es ist wichtig, dass wir uns überlegen, wie wir (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – auf internationaler Ebene den Risikohunger der Joachim Poß [SPD]: Sagen Sie klar, was Spekulanten eindämmen können. Was passiert? Sie wollen!) Es gibt dort Derivate im Wert von mehreren Hun- dert Milliarden Euro, die mit relativ geringen Rendi- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: ten von einem Kontinent zum anderen überwiesen Das Wort hat der Kollege Klaus Ernst von der werden: von den USA nach Asien, von Asien nach Fraktion Die Linke. Afrika, von Afrika nach Südamerika und wieder zu- rück an die Wall Street. Wenn wir nur eine mi- (Beifall bei der LINKEN) nimale Transaktionsteuer für diesen Transfer von Hunderten von Milliarden Euro erheben, dann ha- Klaus Ernst (DIE LINKE): ben wir den Risikohunger gehemmt, weil bereits Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen ein minimaler Steuersatz ausreichen würde, all und Herren! Ein wenig reibe ich mir bei dieser De- diese Transaktionen unrentabel zu machen. batte die Augen. Am 17. Mai 2010 sagte unser Bundestagspräsident: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab- geordneten der SPD, der FDP, der LIN- Spätestens vor anderthalb Jahren haben wir KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE beim drohenden Kollaps der internationalen GRÜNEN – Bettina Hagedorn [SPD]: Er- Finanzmärkte erkannt, dass wir Regelungen kenntnisgewinn! – Joachim Poß [SPD]: für zulässige internationale Finanzgeschäfte Aber hallo!) durchsetzen müssen. Aber hören Sie bitte auf, den Menschen in unse- „Vor anderthalb Jahren haben wir … erkannt“! rem Lande weismachen zu wollen, dass wir mit Wen meint der Präsident des Deutschen Bundes- dieser Steuer deutsche Steuerkassen füllen könn- tages mit „wir“? Offensichtlich nicht Sie von der ten. Koalition, denn Sie haben es nicht erkannt, (Beifall bei der LINKEN) Die Transaktionen von der Wall Street nach To- sonst hätten wir heute nicht die Situation, dass wir kio, Südamerika und sonst wohin finden doch nicht immer noch darüber reden: Gibt es jetzt eine Fi- in Deutschland statt. Erzählen Sie also den Leuten nanzmarkttransaktionsteuer oder nicht? Müssen nicht, dass sich bei uns die Kassen füllen. Wir wir regeln oder nicht? – Die FDP würde am liebs- müssen versuchen, die Finanzhaie und die Speku- ten überhaupt nicht regeln. Die schwimmt ja nur lanten einzudämmen, und dürfen den Leuten nicht mit dem allgemeinen Mainstream mit. Das ist doch erzählen, dass dort die eierlegende Wollmilchsau die Realität. gefunden wäre, die man anzapfen könnte, sodass Herr Köhler sagte am 29. April: dann alle Probleme gelöst wären. Die Politik muss ihr Primat über die Finanz- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim märkte zurückgewinnen. Sie hat den Interes- Poß [SPD]: Sie waren jetzt halb gut!) sen der Finanzmarktakteure zu viel Raum oh- ne Regeln überlassen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Als das an diesem Tisch vor zwei Jahren gesagt hat, hat sich hier keine Hand gerührt. Sie haben darüber nur den Kopf geschüt- Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): telt. Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4155

Ich reibe mir auch deshalb die Augen, weil vor Das Ganze hätte nur funktioniert, wenn die Löh- zwölf Jahren der Rücktritt von Lafontaine auch ne bei uns mit der wirtschaftlichen Entwicklung damit zusammenhing, dass nicht einmal seine ei- mitgehalten hätten und wir aufgrund dieser Tatsa- gene Partei die Regulierung der Finanzmärkte che zum Beispiel mehr griechischen Wein, spani- mitmachen wollte. Das ist die Realität! Und jetzt sche Oliven oder portugiesische Sardinen gekauft diskutieren wir endlich über das, was notwendig hätten, wenn wir also tatsächlich dazu beigetragen ist. hätten, mit unserer Kaufkraft Importe zu fördern. Das konnten wir nicht. Ihre Lohnsenkungspolitik in (Beifall bei der LINKEN) der Bundesrepublik Deutschland ist eine Ursache Herr Friedrich, ich stimme Ihnen ausdrücklich dafür. zu. Am 12. Mai haben Sie in der Süddeutschen (Beifall bei der LINKEN) Zeitung gesagt: Die sinkenden Löhne sind verantwortlich für die Wir verlangen harte und umgehende Konse- Ungleichgewichte in Europa. Die deutschen Ar- quenzen für die Regulierung der Finanzmärk- beitnehmer, die deutschen Rentner, die deutschen te. Studenten und auch die deutschen Arbeitslosen Da stimmen wir Ihnen zu. Aber Sie sind eine haben letztendlich das finanziert, was bei den Ex- Regierung und keine Appellierung. Sie müssen porteuren, bei den Unternehmen gelandet ist. Das handeln und nicht nur immer fordern, was die an- ist unter anderem die Ursache für die Ungleichge- deren zu tun haben. wichte in Europa. (Beifall bei der LINKEN) Was machen Sie jetzt? Jetzt schlagen Sie vor, dass die Länder bitte schön mehr sparen sollen als Vollkommen zu kurz in dieser Debatte kommt bisher. Wie sollen die das machen? Jeder weiß, die Frage nach den Ursachen für diese Krise. Da dass die Maßnahmen, die Griechenland ergreifen wird natürlich von den Finanzmärkten gesprochen. muss, zusammen mit unseren Forderungen dazu Aber ich sage Ihnen: Die eigentlichen Probleme führen, dass das Wachstum in Griechenland ab- haben wir als Bundesrepublik Deutschland zum stürzen wird. Jeder weiß, dass das, was wir von großen Teil mitverursacht. Wir haben ein Gesetz Portugal und von Spanien fordern, dazu führen zur Förderung der Stabilität und des Wachstums wird, dass das Wirtschaftswachstum dort abstür- der Wirtschaft von 1967. In diesem Gesetz steht, zen wird. Ebenso weiß jeder, dass das, was Sie dass wir Maßnahmen zur Erhaltung des ge- den Griechen, den Portugiesen und den Spaniern samtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu organisie- zumuten, auch bei uns in der Bundesrepublik ge- ren haben, vor allem der Bund und die Länder. plant ist. Auch bei uns wollen Sie die Sanierung Dort heißt es: letztendlich auf diese Art und Weise durchsetzen. Die Maßnahmen sind so zu treffen, daß sie im (Beifall bei der LINKEN) Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu Deshalb fordere ich an dieser Stelle von der einem hohen Beschäftigungsstand und au- Bundesregierung eine ganz klare Aussage zu fol- ßenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei steti- gendem Punkt: Geben Sie eine Garantie ab, dass gem und angemessenem Wirtschaftswachs- die Milliarden von Geldern, die wir für die Rettung tum beitragen. des Euro bereitstellen, nicht durch Kürzungen bei den Sozialhaushalten in der Bundesrepublik Wo ist eigentlich das „außenwirtschaftliche Deutschland finanziert werden. Gleichgewicht“? Ist Ihnen entgangen, dass wir von 2000 bis 2008 Außenhandelsüberschüsse von (Beifall bei der LINKEN) circa 1,3 Billionen Euro gegenüber anderen Län- Diese Garantie fordern wir von Ihnen. Geben Sie dern angehäuft haben? Was heißt das? Das heißt, die Garantie nicht ab, dann wird offensichtlich das wir verkaufen viel mehr, als wir importieren. Das zur Realität, was einige von Ihnen – zumindest bedeutet natürlich, dass den Ländern, die bei uns sind sie ehrlich – schon sagen. Herr Seehofer in kaufen, irgendwann das Geld ausgeht, wenn sie Bayern sagt zum Beispiel, eine Kürzung der Haus- nicht gleichzeitig ihre Waren oder Dienstleistungen halte um 10 Prozent sei gar nicht so schlecht. Herr an uns verkaufen können. Warum können sie nicht Koch sagt: Gehen wir halt an die Bildung oder an an uns verkaufen? Weil Sie diese Außenhandels- die Anzahl der Plätze in Kindertagesstätten. Wenn orientierung damit durchgesetzt haben, dass Sie Sie diese Garantie nicht abgeben, heißt das, dass bei uns permanent die Löhne gedrückt haben, die Bürger Deutschlands zweimal für die Ungleich- dass Sie bei uns permanent die Arbeitsbedingun- gewichte, die wir in Europa haben, zahlen. Sie gen so verschlechtert haben, dass die Löhne billi- zahlen zum einen durch sinkende Löhne, durch ger wurden. Im Ergebnis ist die bundes- sinkende Renten, durch sinkende Transferein- republikanische Nachfrage natürlich nicht mehr so kommen, und sie zahlen zum anderen durch die hoch, um die Importe entsprechend gewährleisten Zerstörung ihres Sozialstaates. Da werden wir Lin- zu können. Das ist unser Problem. Das nehmen ken nicht mitspielen. Sie nicht einmal zur Kenntnis. 4156 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

(Beifall bei der LINKEN – Ernst Hinsken weise wieder geradegerückt werden. Damit fangen [CDU/CSU]: War es das jetzt? Um Gottes wir auf nationaler Ebene an. willen! Es ist gut, dass er aufgehört hat!) Hier geht es um die Frage, wo die Ursachen für die Euro-Schwäche und für die Angriffe auf den Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Euro liegen. Sie liegen im Grunde in der unsoliden Das Wort hat jetzt der Kollege Leo Dautzenberg Haushaltspolitik vieler, fast aller Euro-Staaten. Das von der CDU/CSU-Fraktion. ist die eigentliche Ursache. Unsicherheiten sind (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- auf den Finanzmärkten natürlich als Beschleuniger neten der FDP) der Krise genutzt worden. Das ist aber nicht die ei- gentliche Ursache. Im Zuge der Ursachenbe- kämpfung müssen wir natürlich auch darangehen, Leo Dautzenberg (CDU/CSU): den Finanzmarkt stärker zu regulieren. Hierzu hat Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit es in der Vergangenheit durch die Große Koalition dem Entwurf eines Gesetzes zur Übernahme von Maßnahmen gegeben. Diese Arbeit haben wir im Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen letzten halben Jahr in der christlich-liberalen Koali- Stabilisierungsmechanismus leisten wir den not- tion fortgesetzt. wendigen Beitrag, den Euro zu stabilisieren und vor allen Dingen auch ein klares Signal zu senden, (Joachim Poß [SPD]: Was denn? Angedacht! dass die Euro-Länder gemeinsam mit der EZB den Nichts gemacht! Nur angedacht!) Euro gegen Angriffe verteidigen und bereit sind, – Sie müssen unser Eckpunktepapier zur Ban- den Euro zu stabilisieren; denn er ist eine wichtige kenregulierung, zur Aufsicht, zur Bankenabgabe Grundlage gerade für uns in Europa und für die und zur Restrukturierung von Banken betrachten. europäische Zusammenarbeit. (Joachim Poß [SPD]: Alles Diskussions- Was die haushaltsmäßigen Implikationen anbe- papiere!) langt, ist schon vieles gesagt worden. Deshalb möchte ich mich auf einige Bereiche des Finanz- – Kollege Poß, Sie werden sehen, dass Mitte des marktes, auf die Regulierung des Finanzmarktes Jahres schnellstmöglich die Gesetzentwürfe dazu und die Regulierung von Finanzprodukten kon- vorliegen und dann auch umgesetzt werden. zentrieren. Herr Kollege Trittin, das, was Sie eben (Joachim Poß [SPD]: Wann denn?) zum Verbot von Leerverkäufen ausgeführt haben, stimmt natürlich nicht. Die BaFin hat ungedeckte Das ist das Handeln dieser Regierung und dieser Leerverkäufe in Aktien bei einigen wenigen Fi- Koalition. nanzinstituten im DAX verboten. Bisher hat es kein (Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß Verbot von Leerverkäufen für Staatspapiere gege- [SPD]: Am Sankt-Nimmerleins-Tag!) ben. Dies ist jetzt mit der Veranlassung durch die BaFin seit Mitternacht im Grunde zum ersten Mal Es war ein Erfolg unseres Finanzministers – Sie auf den Weg gebracht worden, weil man erkannt haben immer nur darüber geredet –, bei den Ver- hat, dass die Hebelwirkung in diesem Bereich ge- handlungen in Brüssel am Montag einen Be- rade durch Leerverkäufe Druck auf den Euro aus- schluss des Ecofin-Rates zur Regulierung von geübt hat. Das war die erste wichtige Maßnahme, Hedgefonds zu erreichen. die, getragen von den Bundestagsfraktionen, (Joachim Poß [SPD]: Das war das Verdienst durch das Finanzministerium veranlasst worden von Juncker, nicht von Schäuble!) ist. Frau Kollegin Hendricks, Ihr Beitrag war der schla- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gende Beweis dafür. Sie haben natürlich recht, der FDP) dass wir in Deutschland enge Normen haben. Wir Von daher geht Ihr Vorwurf fehl, dass es falsch haben das damals gemeinsam getragen. Aber Sie war, dies aufzuheben. Die Aufhebung hing damals sehen daran auch, dass Alleingänge nicht zum Er- ausschließlich mit wenigen DAX-Werten von Fi- folg führen, weil diese Umsätze jetzt in London nanzinstituten zusammen und stand nicht mit dem gemacht werden. in Zusammenhang, was wir jetzt betrachten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Es ist unser Grundsatz, dass innerhalb der sozi- neten der FDP) alen Marktwirtschaft Finanzmärkte und Finanzpro- Wir müssen zumindest dahin kommen, dass diese dukte eine dienende Funktion für die Wirtschaft, für Regulierungsmaßnahmen auf europäischer Ebene die Volkswirtschaft und damit für die Menschen stattfinden. haben müssen. Auf diesen Ursprung müssen wir vieles von dem zurückführen, was wir in der jünge- (Johannes Kahrs [SPD]: Vorher gibt es kein ren Vergangenheit an angelsächsischen Finan- Geld!) zierungskulturen und Finanzprodukten manchmal Es war ein erster Erfolg unseres Finanzministers, unreflektiert übernommen haben. Das muss teil- dass er gestern erreicht hat, dass die Hedgefondsregelung von der Kommission jetzt im Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4157

Grunde für alle europäischen Staaten auf den Weg (Johannes Kahrs [SPD]: Sie verteidigen den gebracht wird. Sündenfall auch noch!) Gleichzeitig hat er erreicht, dass die ursprüngli- Was jetzt über den Ankauf von Staatsanleihen che Absicht der Kommission, bezüglich der CDS- vom sogenannten Sekundärmarkt bei der EZB Produkte auf europäischer Ebene erst im Herbst vollzogen wird, schafft zunächst einmal mehr Li- Vorschläge zu unterbreiten, überdacht wurde und quidität auf dieser Ebene. Auf der anderen Seite das Vorhaben auf Juni vorgezogen wird. Auch bei schöpft die EZB diese Liquidität durch die Ausgabe diesen Finanzprodukten, bei dieser Problematik von Papieren wieder ab, sodass der inflationäre dürfen wir das Kind natürlich nicht mit dem Bade Effekt, der hier vielleicht unterstellt wird, im Grunde ausschütten, sondern wir müssen sehen, dass die gar nicht entsteht. Volumina, die rein spekulativ sind und keine Be- (Johannes Kahrs [SPD]: Aber die Bonität der ziehung mehr zum Grundgeschäft haben, einge- EZB ist in Gefahr!) dämmt werden. Von daher kann das, was der Koa- litionsausschuss gestern beschlossen hat, der Auf- Wir haben mit diesem Gesetzentwurf eine trag an die Bundesregierung, sich jetzt auch auf Grundlage, um den Euro kurzfristig zu stabilisie- europäischer und internationaler Ebene für Fi- ren. nanzmarktsteuern auszusprechen, durchaus ein (Johannes Kahrs [SPD]: Und ihn langfristig zu sinnvoller Beitrag sein. ruinieren!) (Joachim Poß [SPD]: Das hat aber lange Zu dieser Verantwortung müssen wir stehen. Auf gedauert! Das hätten wir schon vor drei, der anderen Seite haben wir unsere Regierung vier Monaten haben können!) aufgefordert, Maßnahmen, die auf dem Gesetzes- Es geht darum, dass wir keine nationalen Allein- weg direkt umsetzbar sind, jetzt umzusetzen. Von gänge machen. Das muss zumindest im europäi- daher haben wir entscheidende Grundlagen, um schen Konzert abgestimmt werden; denn sonst diesem Gesetzentwurf nach unseren Beratungen haben Sie wiederum in allen Bereichen Verwer- zuzustimmen und damit einen wesentlichen Bei- fungen, die uns keinen sinnvollen Weg in die Zu- trag zur Stabilisierung von Europa zu leisten. kunft zeigen. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- und der FDP – Bettina Hagedorn [SPD]: neten der FDP) Es geht vor allem darum, dass sich die EU an die Spitze der Bewegung setzt!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vieles befindet sich also schon in der Pipeline. Jetzt erteile ich dem Kollegen Norbert Barthle Was Ratingagenturen anbelangt, haben wir von- von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. seiten der Union die Umsetzung der Richtlinie in der letzten Sitzungswoche beschlossen. Das ist (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ein erster Baustein, von der europäischen Ebene der FDP) aus Regulierung von Ratingagenturen zu betrei- ben. Von daher sage ich: Viele Punkte, die hier kri- Norbert Barthle (CDU/CSU): tisch angemerkt worden sind, haben wir schon Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen umgesetzt. und Herren! Wir haben in der letzten Sitzungswo- che an dieser Stelle über das Rettungspaket für Griechenland gesprochen und darüber abge- Was den gesamten Bereich der Regulierung – stimmt. Die Koalitionsfraktionen haben dem natür- auch das, was noch international abzustimmen ist lich zugestimmt. Angeschlossen haben sich die – angeht, so kam eben der Vorwurf, mit diesen Grünen; das ist aller Ehren wert. Die SPD konnte Maßnahmen würden wir die Unabhängigkeit der sich nicht entscheiden, ob sie dem zustimmen EZB gefährden; das sei ein Angriff auf die EZB. oder es ablehnen sollte; sie hat sich, wahr- scheinlich mangels Führung, enthalten. Ich hoffe, (Johannes Kahrs [SPD]: So ist das!) am Ende dieser Debatte kommt eine klare Rich- Das Gegenteil ist der Fall: Wenn Sie das ge- tung heraus. schichtlich sehen, werden Sie feststellen, dass es, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) als jedes Land eine eigene Währung und eine ei- gene Notenbank hatte, grundsätzliches Prinzip Ich habe damals gesagt: Wenn wir dem Ret- war, dass Angriffe, die auf das Land gerichtet wa- tungspaket für Griechenland nicht zustimmten, ren, immer auch mit Notenbankpolitik abgewehrt würden wir an dieser Stelle schon bald über Hilfs- wurden. Deshalb ist es selbstverständlich, dass maßnahmen mit noch viel größeren Volumina zu auch die EZB den eigenen Währungsraum mit ei- entscheiden haben. Keiner von uns hat geahnt, genen Maßnahmen verteidigt. Das ist kein Sün- dass trotz der Zustimmung zum Rettungspaket für denfall. Griechenland dieser Fall schon kurze Zeit später eintreten würde. 4158 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

(Johannes Kahrs [SPD]: Wir sind uns nicht so (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sicher, ob das keiner geahnt hat!) neten der FDP) Wir diskutieren über eine Kreditlinie von insgesamt Wie im sonstigen Leben auch zeigen sich die Qua- 440 Milliarden Euro, mit einem deutschen Gewähr- lität einer Beziehung und ihre wahre Stärke ge- leistungsanteil von maximal 123 Milliarden Euro. rade in schlechten Zeiten und in Zeiten der Bedro- Nur im Worst Case, Herr Trittin, kann sich der hung von außen. Eine solche Bedrohung von au- deutsche Anteil auf 148 Milliarden Euro erhöhen: ßen erleben wir derzeit. Deshalb gilt es, die Reihen wenn – darauf wird in § 1 Abs. 5 des Gesetzent- zu schließen und sich entschlossen gegen Speku- wurfs verwiesen – ein unvorhergesehener und un- lanten und Zockerwetten zur Wehr zu setzen, mit abweisbarer Bedarf besteht. Erforderlich ist dann denen weltweit auf den Untergang des Euro ge- aber die Einwilligung des Haushaltsausschusses setzt wird. des Deutschen Bundestages. Eines ist dabei – mir jedenfalls – sonnenklar: Wir haben am Ende dieser Debatte darauf zu Entweder schaffen wir es gemeinsam oder gar achten, dass wir nicht zu viel über die Finanzmärk- nicht. Dabei kann sich Deutschland nicht einfach te reden. Das würde die Kausalitäten auf den Kopf ausnehmen. Wir sind keine Insel der Seligen, son- stellen, und damit würden wir auch die Prioritäten dern wir leben in dieser Wertegemeinschaft. Durch nicht richtig setzen. Ich denke, es geht bei dieser einen Alleingang Deutschlands würden wir letztlich Debatte um die Finanzstabilität der Währungsuni- selbst getroffen werden. Deshalb wäre das der völ- on als Ganzes und damit im Kern um Europa als lig falsche Weg. Ganzes. Wir müssen in dieser Debatte in den Vor- (Beifall bei der CDU/CSU) dergrund rücken, dass der Grundgedanke der eu- ropäischen Integration auf dem Spiel steht. Aufgrund der Höhe unseres Beitrags sind wir si- cher einer der zentralen Träger dieses Schutz- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) schirmes. Wenn wir diesen Schutzschirm jetzt Wesentliche Triebkräfte für die europäische Eini- aber loslassen und wegwerfen würden, dann stün- gung waren immer die Zugehörigkeit zu einer Wer- den wir selbst im Regen. Im Übrigen: Wir beklagen tegemeinschaft, Friedenssicherung, Stärkung der doch immer wieder die starke Vereinzelung auf al- nachbarschaftlichen Beziehungen, mehr Einfluss len gesellschaftlichen Ebenen, die in der Außenpolitik, mehr Einfluss in der Sicher- Partikularisierung der Gesellschaft und den Ego- heitspolitik. Das sind die Grundkomponenten. Die ismus, und wir kritisieren das Zockertum und die europäische Gemeinschaftswährung sollte dann einseitig ausgerichtete Gewinnmaximierung. Ge- der krönende Abschluss des gemeinsamen Mark- rade hier und jetzt, bei diesem Thema, stehen wir tes sein. selbst vor der Nagelprobe. Wenn wir jetzt aus dem Rettungspaket für den Euro aussteigen würden, Hier und heute entscheiden wir über nicht mehr, dann verhielten wir uns im Grunde genau so, wie aber auch nicht weniger als genau über die Frage, wir es den Spekulanten vorwerfen. Dieses Bild darf ob wir diese Grundidee von Europa aufgeben oder Deutschland nicht abgeben. ob wir sie mit aller Entschlusskraft verteidigen wol- len. (Beifall bei der CDU/CSU – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wollen Sie bei Bildung (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- und Familie kürzen?) neten der FDP) Selbstverständlich weiß ich, dass Deutschland Ich denke, Europa und unsere gemeinsame Wäh- derzeit schon vorgeworfen wird, dass wir mit unse- rung sind es wert, mit aller Kraft verteidigt zu wer- ren Exportüberschüssen quasi auf Kosten ande- den. rer Euro-Länder leben würden, weil wir eben durch Der Euro ist neben dem US-Dollar die wichtigste unsere wirtschaftliche Stärke in der entsprechen- Währung der Welt. Der Euro bedeutet die Vollen- den Lage sind. Herr Kollege Ernst, diese Betrach- dung des europäischen Binnenmarktes, und dank tung ist aber ausgesprochen eindimensional und des Euro hat sich auch der Handel innerhalb der vor allem auch interessengesteuert. Euro-Zone bis zum Jahr 2007 um nahezu 15 Pro- (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Er hat noch zent gesteigert. Der Euro ist also die Hauptquelle nichts vom Binnenmarkt gehört!) ökonomischen Wachstums – und das auch bei uns; denn wir als Exportnation profitieren in erster Wahr ist: Wir müssen uns zu dieser Wertegemein- Linie davon: 60 Prozent unserer Exporte gehen in schaft der Europäischen Union insgesamt beken- den Euro-Raum. nen – auch in schwierigen Zeiten. Die europäische Wertegemeinschaft bedeutet eben auch Stärkung Was wäre die europäische Integration wert, der nachbarschaftlichen Beziehungen, Lösung wenn wir jetzt, bei der ersten wirklich grundlegen- grenzüberschreitender Probleme und letztendlich den, risikoreichen Debatte und den Problemen, so- auch Solidarität. fort die Flinte ins Korn werfen und alles hin- schmeißen würden? Das kann nicht sein. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4159

Die Kollegin Künast hat noch vor zwei Wochen Die gesamtschuldnerische Haftung konnte ver- an dieser Stelle das Hohelied der internationalen hindert werden. Das halte ich für ganz essenziell. Solidarität gesungen. IWF und EZB sind mit im Boot. Auch das ist aus meiner Sicht ausgesprochen wichtig. Außerdem (Jörg van Essen [FDP]: Ja, sie kennt das aus wird bei der Übernahme der Gewährleistungen der Vergangenheit!) immer Voraussetzung sein, dass ein Konsolidie- Ich hoffe, sie erinnert sich auch am Freitag noch rungsprogramm des jeweiligen zahlungsunfähigen daran; denn es ist jetzt eben Solidarität nicht nur Landes realisiert wird. Das ist als Kondition daran durch Worte, sondern auch durch Taten gefordert. geknüpft. Um es mit den Worten unseres Fraktionsvorsit- (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Was ist zenden Volker Kauder zu formulieren: Wir handeln mit Konsolidierung in Deutschland? – mit Verstand und mit Herz – oder mit Herz und Gegenruf des Abg. Volker Kauder Verstand. [CDU/CSU]: Haben Sie nicht zugehört? – (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Gegenruf des Abg. Swen Schulz [Span- neten der FDP) dau] [SPD]: Er ist der haushaltspolitische Sprecher! Er könnte ja auch eine andere Eines ist doch sicher: Europa war und ist ein Meinung haben!) Kernprojekt der Union. Wir dürfen dieses Kernpro- jekt nicht infrage stellen. – Darauf komme ich noch zurück. – Außerdem wird der Haushaltsausschuss des Deutschen Bun- (Jörg van Essen [FDP]: Für uns auch!) destages bei jeder Gewährleistungsübernahme in – Auch der FDP; das gestehe ich selbstverständ- die Entscheidung eingebunden. lich zu. Ich will noch einmal betonen, was schon aus- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und führlich zur Sprache kam: Die Bundesregierung der FDP) hat sich bereit erklärt, sich für eine Finanzmarkt- steuer einzusetzen. Damit werden auch die Fi- Eines ist auch klar: Diesem Kernprojekt haben wir nanzakteure, die an den Spekulationen mitverdient nicht zuletzt auch die deutsche Wiedervereini- haben, zur Kasse gebeten. Sie werden an den gung zu verdanken. Um es mit Wolfgang Schäub- Kosten dieses Rettungspaketes beteiligt. Auch das le zu formulieren: Nach der Wiedervereinigung gibt ist eine überzeugende Botschaft, die ihre Wirkung es für uns nichts Besseres, als in die Europäische nicht verfehlt. Gemeinschaft eingebunden zu sein. – Das ist wahr. Selbstverständlich werden wir schon in den nächsten Wochen und Monaten die Beratungen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- des Bundeshaushalts 2011 und die Finanzplanung neten der FDP) bis 2014 auf die Tagesordnung setzen. In den letzten Wochen haben wir einige Er- (Johannes Kahrs [SPD]: Da bin ich mal ge- kenntnisse gewonnen, sodass wir nun entspre- spannt!) chende Maßnahmen umsetzen. Das bedeutet zu- nächst eine umfassende Neustrukturierung der Ich bin überzeugt, dass nicht nur in die europäi- Finanzkoordination in der Europäischen Gemein- schen Nachbarländer hinein, sondern auch für uns schaft. Dabei gilt es einiges nachzuholen, was bei selber eine positive Wirkung von diesen Ereignis- Grundlegung dieser Gemeinschaft offensichtlich sen ausgeht. Die Schuldenbremse wird einzuhal- versäumt worden ist. Es gilt auch, ein deutliches ten sein. Wir begeben uns auf den Weg, dies auch Zeichen in die Welt zu senden, dass die Euro- umzusetzen. Länder miteinander im Verbund bereit sind, den (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wie denn?) Euro zu stützen. Das ist die Grundlage, um den Spekulationen an den Märkten die Basis zu ent- Deshalb hoffe ich, dass nicht nur in dieser Frage, ziehen. Diese Botschaft wird ausgesandt, wenn wir sondern auch in der Frage der Rettung unserer dieses Paket am Freitag abschließend beraten. Währung alle Fraktionen dieses Hauses die Debat- te zustimmend begleiten. Wer seine Zustimmung (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – in dieser Debatte an Bedingungen knüpft, bringt Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Was ist damit zum Ausdruck, dass er bei Nichteinhaltung mit den Kürzungen bei Bildung und Fami- dieser Bedingungen bereit wäre, den Euro aufs lie?) Spiel zu setzen. Das Paket enthält einige Wirkmechanismen, (Bettina Hagedorn [SPD]: Das ist ja ab- die wir der erfolgreichen Verhandlung unserer surd! – Johannes Kahrs [SPD]: Das ist Bundeskanzlerin und unseres Bundesfinanzminis- doch nicht alternativlos, was Sie hier sa- ters verdanken. Das will ich hervorheben. Bei der gen! Das ist fantasielos!) Übernahme einer Gewährleistung in jedem Einzel- fall entscheiden die Euro-Staaten einstimmig. Das Ich bitte darum, diesen Mechanismus in der SPD- heißt, Deutschland hat immer ein Vetorecht. Fraktion noch einmal ausführlich zu beraten. 4160 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

Lassen Sie mich abschließend noch ein Bild aus Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim der griechischen Mythologie in Erinnerung rufen, Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadt- bei dem es um den Ursprung Europas geht. Eu- entwicklung: ropa war demnach eine phönizische Prinzessin, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen die von dem in Liebe entbrannten Zeus in Gestalt und Herren! Ich beantworte die dringliche Frage eines Stieres verführt wurde. Im Börsengeschäft des Kollegen Hofreiter wie folgt: steht der Stier auch für Hausse, also für steigende Der Vorstand der Deutschen Bahn AG bzw. der Aktienkurse. Lassen Sie uns aus Europa eine DB Mobility Logistics AG hat zur Vorbereitung der wehrhafte Amazone machen, die den Stier bei den Entscheidung der Aufsichtsräte von DB AG und Hörnern packt und ihm zeigt, wo es langgeht. DB ML AG über das Übernahmeangebot für Arriva Danke. eine umfangreiche und detaillierte schriftliche Un- terlage über die Chancen und Risiken des Kaufs (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) vorgelegt. In diese Unterlage gingen auch mündli- che Informationen des Arriva-Managements ein. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Weiterhin wurden die Aktienoptionsprogramme für Ich schließe die Aussprache. das Management dargestellt. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen Auf der Grundlage dieser Informationen haben auf den Drucksachen 17/1685 und 17/1733 an die die Kontrollgremien die Offerte gründlich diskutiert, in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse und sie haben die Unternehmensbewertung durch vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – ein unabhängiges Wertgutachten einer Bank über- Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so prüfen lassen. In die Unternehmensbewertung sind beschlossen. auch die oben angegebenen Bonusprogramme Ich unterbreche nun die Sitzung bis 13 Uhr. Der eingeflossen. Wiederbeginn der Sitzung wird rechtzeitig durch Vor dem Hintergrund all dieser Informationen ein Klingelsignal bekannt gegeben. haben die Aufsichtsräte der DB AG und der DB ML Die Sitzung ist unterbrochen. AG am 21. April 2010 dem Übernahmeangebot für Arriva zugestimmt. Sollte es zu einer Übernahme (Unterbrechung von 11.58 bis 13.00 Uhr) von Arriva durch die DB AG kommen, haftet die DB AG bzw. die DB ML AG als Alleineigentümerin für mögliche Verluste im Zusammenhang mit der Vizepräsident Dr. h. c. : Arriva-Übernahme. Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: Kollege Hofreiter, Gelegenheit zur Nachfrage. Fragestunde – Drucksachen 17/1694, 17/1738 – Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß NEN): Nr. 10 der Richtlinien für die Fragestunde die Bei einem Übernahmeangebot in der Form dringlichen Fragen auf. Wir kommen zusätzlich zur muss auch eine Prüfung nach § 65 Bundeshaus- dringlichen Frage 1 des Kollegen Anton Hofreiter: haltsordnung stattfinden. Meine Frage dazu lautet: Hat diese Prüfung vor dem Beschluss des Auf- Inwieweit kann die Bundesregierung bestätigen, dass die dem Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG am sichtsrats oder nach dem Beschluss des Aufsichts- 21. April 2010 bei der Entscheidung für die Übernahme rats stattgefunden? des britischen Verkehrskonzerns Arriva vorgelegten In- formationen zu einem Großteil nur auf mündlichen Aus- sagen des Managements basierten, dass die Arriva- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Führung gleich mit drei Bonusprogrammen ausgestattet Bitte schön, Herr Staatssekretär. ist und der Vorstand das Recht hat, nach Belieben zu kündigen, wie auch Bonuszahlungen zu bestätigen, beispielsweise allein für den Unternehmenschef David Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Martin 8,6 Millionen Euro (vergleiche Spiegel Online Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadt- vom 16. Mai 2010), und inwieweit haftet der Bund für entwicklung: mögliche Verluste aus der Arriva-Übernahme? Die Frage beantworte ich wie folgt: Da es sich Die dringliche Frage fällt in den Geschäftsbe- um ein privatrechtlich geführtes Unternehmen reich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau handelt, ist eine solche Prüfung nicht erforderlich. und Stadtentwicklung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Enak Ferlemann Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zur Verfügung. Bitte schön, Herr Staatssekretär. NEN): Herr Staatssekretär, ich an Ihrer Stelle wäre sehr vorsichtig mit dieser Antwort. Mir liegen näm- lich Informationen darüber vor, dass es diese Prü- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4161 fung in Ihrem Ministerium, in der Fachabteilung, dann das einzig Wahrheitsgemäße! Also, durchaus gegeben hat und dass massiver Druck wir bekommen diesen Bericht!) auf die Fachbeamten ausgeübt worden ist – na- mentlich durch die Staatssekretäre Scheurle und Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Beus –, dem zuzustimmen. Außerdem liegen mir Herr Beck, Sie stellen fest, dass der Bericht Informationen darüber vor, dass diese Prüfung kommt. nach der Aufsichtsratsentscheidung stattgefunden hat und das Prüfungsergebnis unter massivem (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Druck zustande gekommen ist. Deswegen wäre NEN]: Ja!) ich an Ihrer Stelle sehr vorsichtig; ich würde mir die Herr Staatssekretär? Antwort noch einmal gut überlegen. Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadt- Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung: entwicklung: Das habe ich hiermit zugesagt. Sehr geehrter Herr Kollege, herzlichen Dank für die freundlichen Hinweise. – Es ist mir nicht be- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: kannt, dass es bei uns im Hause Diskussionen ge- Dann ist es in Ordnung. – Gibt es weitere Nach- geben hat, die auf Druck oder Ähnliches hinausge- fragen dazu? – Das ist nicht der Fall. laufen wären. Dass sich die Staatssekretäre, die für uns die Beteiligungen steuern, natürlich vorbe- Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des reiten und beraten lassen – im Vorfeld der Auf- Bundesministeriums für Bildung und Forschung. sichtsratssitzung und auch in der Nachbereitung –, Zur Beantwortung steht der Parlamentarische ist überhaupt keine Frage; das ist ein übliches Ver- Staatssekretär Helge Braun zur Verfügung. fahren. Ich rufe die dringlichen Fragen 2 und 3 der Kol- legin Dagmar Ziegler auf: Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wie sieht das Konzept der Bundesregierung zu ei- Kollege Beck, bitte. nem Qualitätspakt für die Hochschullehre – insbeson- dere hinsichtlich der erstmals genannten Rolle „Stiftun- gen“ und einer zu schaffenden „Akademie für die Lehre“ Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- als Förderinstitution – konkret aus, über das die Bun- NEN): desministerin Dr. auf der gestrigen Herr Staatssekretär, wenn Sie sagen, es sei Ih- Nationalen Bologna-Konferenz laut Pressemitteilung nen nicht bekannt, frage ich Sie: Sind Sie bereit, vom 17. Mai 2010 (siehe auch dpa-Meldung vom dem Hohen Hause in schriftlicher Form eine um- 17. Mai 2010) die Öffentlichkeit informierte, fassende und wahrheitsgemäße Auskunft darüber zu dem die Bundesregierung aber in der zuzuleiten, ob und, wenn ja, wann diese Prüfung Fragestunde vom 21. April 2010 noch keine stattgefunden hat und was die näheren Umstände Angaben machen konnte? gewesen sind? Ich möchte Sie darauf hinweisen, Aus welchen Überlegungen heraus setzt die Bun- dass Sie dem Parlament zu wahrheitsgemäßer desregierung – wie den Pressemeldungen zu entneh- men ist und entgegen den Forderungen der Hochschu- und umfassender Auskunft verpflichtet sind. Das len und vieler Länder – hierbei weiterhin allein auf wett- ist der Sinn der Fragestunde. Hier kontrollieren wir bewerbliche Vergabeverfahren bei der Förderung quali- die Regierung. Wenn Sie Auskünfte verweigern, tativer Lehre? dann beschränken Sie unser Interpellationsrecht. Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Herr Staatssekretär, bitte. Bundesministerin für Bildung und Forschung: Ich beantworte die Fragen wie folgt: Auf Vor- Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim schlag der Bundesministerin Schavan beraten Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadt- Bund und Länder in der Gemeinsamen Wissen- entwicklung: schaftskonferenz derzeit über die Erweiterung des Sehr geehrter Herr Kollege, herzlichen Dank für Hochschulpakts um eine dritte Säule für bessere diese freundlichen Hinweise. Wenn das Hohe Studienbedingungen und mehr Qualität in der Leh- Haus einen schriftlichen Bericht wünscht, dann re. Gefördert werden sollen insbesondere eine werden wir selbstverständlich einen solchen lie- bessere Personalausstattung der Hochschulen für fern. Das ist für uns überhaupt keine Frage. Aber die Lehre, für die Beratung und für die Betreuung dass wir nicht wahrheitsgemäß antworten, weise der Studierenden sowie Maßnahmen zur Qualifi- ich natürlich mit aller Schärfe zurück. zierung des Lehrpersonals. In diesem Zusammen- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE hang wird die Gemeinsame Wissenschaftskonfe- GRÜNEN]: Dass Sie nichts wissen, ist renz auch den Vorschlag der Einrichtung einer Akademie für die Lehre als Einrichtung der Hoch- schulen erörtern. Die Beratungen über die weitere 4162 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

Ausgestaltung der dritten Säule des Hoch- Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der schulpakts dauern derzeit noch an. Ein Ergebnis Bundesministerin für Bildung und Forschung: soll zur Besprechung der Regierungschefs von Auch das wird Gegenstand der Diskussion über Bund und Ländern am 10. Juni vorliegen. die konkrete Ausgestaltung der Akademie sein. Wir befinden uns in intensiven Gesprächen mit den Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ländern. Beide Lösungen sind heute noch denk- Bitte schön, Frau Kollegin. Haben Sie Nachfra- bar. gen? – Das scheint nicht der Fall zu sein. Halten Sie auch Ihre zweite dringliche Frage für beantwor- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: tet? – Gut, dann hat Kollege Rossmann eine Nach- Danke schön. – Weitere Nachfragen hierzu gibt frage. es nicht. Damit sind die dringlichen Fragen aufge- rufen und beantwortet. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Wir kommen nun zu den Fragen auf Drucksache Herr Staatssekretär, die Ministerin hat anklingen 17/1694 in der üblichen Reihenfolge. Es geht los lassen, dass speziell das Projekt einer Akademie mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeri- in Stiftungsform oder in einer anderen Form im ums der Justiz. Zur Beantwortung steht der Parla- Rahmen einer 90/10-Finanzierung von Bund und mentarische Staatssekretär Max Stadler zur Ver- Ländern gestaltet werden soll. Darf man aufgrund fügung. dessen annehmen, dass sich dieser 90/10- Schlüssel auf den gesamten Pakt für die Lehre be- Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Volker Beck zieht und dass Sie, obwohl der Wissenschaftsrat auf: 1,3 Milliarden Euro jährlich gefordert hat, für Bund Wann beabsichtigt die Bundesregierung die Zeich- und Länder zusammen rund 230 Millionen Euro nung des revidierten Europäischen Übereinkommens über die Adoption von Kindern vom 27. November 2008 jährlich für eine gute Lehre für notwendig erach- – SEV 202 –, und wie begründet die Bundesregierung, ten? dass eine Zeichnung anderthalb Jahre nach Auflegung noch immer nicht erfolgt ist? Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bitte schön, Herr Staatssekretär. Bundesministerin für Bildung und Forschung: Nein, das können Sie daraus nicht schlussfol- Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der gern. Dass der Bund bereit ist, über zehn Jahre Bundesministerin der Justiz: jährlich 200 Millionen Euro, also insgesamt Herr Kollege Beck, die Bundesregierung prüft 2 Milliarden Euro, in die Hand zu nehmen, ist die die Zeichnung des revidierten Europäischen größte Offensive seitens des Bundes für die Ver- Übereinkommens über die Adoption von Kindern. besserung der Qualität der Lehre, die es jemals in Für die Zeichnung sind ein Beschluss des Bun- Deutschland gegeben hat. Die Frage nach der Be- deskabinetts sowie eine Abstimmung mit der teiligung der Länder ist momentan Gegenstand der Ständigen Vertragskommission der Länder erfor- Diskussion im Vorfeld der Konferenz der Re- derlich. Die Prüfungen der Bundesregierung sind gierungschefs. Wir wünschen natürlich, dass jeder noch nicht abgeschlossen. Euro, den der Bund an dieser Stelle investiert, eine entsprechend hohe Finanzierung der Länder zur Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Folge hat. Aber den Ergebnissen des Gipfels der Eine Nachfrage? – Bitte. Regierungschefs wollen wir nicht vorgreifen. Ge- nau darüber wird dort verhandelt. Vorfestlegungen, wie Sie sie gerade genannt haben, gibt es nicht. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Können Sie mir erklären, warum bereits Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: 14 Länder dieses Übereinkommen unterzeichnet Eine weitere Nachfrage? – Bitte schön, Herr haben, aber die Bundesrepublik Deutschland nicht, Kollege. obwohl wir eines der Länder waren, die – damals war Frau Zypries Bundesjustizministerin – den An- Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): stoß zur Überarbeitung dieser Konvention gege- Bisher war – nicht zuletzt durch den Wissen- ben haben, damit wir die alte Forderung der FDP, schaftsrat – die Einrichtung von hochschuldidakti- die auch wir immer erhoben haben, die gemein- schen Zentren als Unterstützung der Lehre an schaftliche Adoption von Lebenspartnerschaften mehreren Standorten in der Diskussion. Muss man zu ermöglichen, ohne die Konvention zu verlassen, die Äußerungen der Ministerin so verstehen, dass endlich hinbekommen? Ich bin ganz erstaunt, dass das alternativ ist, oder verfolgt die Regierung wei- das Engagement Ihres Hauses in Ihrer Eingangs- ter eine Strategie, die darauf abzielt, hoch- antwort so zurückhaltend formuliert war. schuldidaktische Zentren in intensiver Weise mit aufzubauen, zu unterstützen und zu finanzieren? Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4163

Herr Kollege Beck, wie Sie wissen, dauerte die Rahmen der am 7. Mai 2010 vom Deutschen Bundes- Regierungszeit der früheren Bundesregierung tag beschlossenen „Griechenlandhilfe“ bis zum 19. Mai 2010 ausgezahlt werden, und warum stehen diese Kre- noch fast ein Jahr an, nachdem im Europarat die- dite im Rang nicht vor den bisherigen Krediten privater ses Übereinkommen beschlossen worden war. Ich Gläubiger? bin natürlich nicht in der Lage, Auskunft darüber zu Bitte schön, Herr Staatssekretär. geben, warum die Große Koalition die Zeichnung dieses Übereinkommens nicht veranlasst hat. Seit der Bildung der christlich-liberalen Koalition ist Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim nunmehr etwas mehr als ein halbes Jahr vergan- Bundesminister der Finanzen: gen. Wie ich schon erwähnt habe, dauern die Prü- Die Frage des Kollegen Ströbele möchte ich gerne wie fungen innerhalb der Bundesregierung, ob man folgt beantworten: Am 18. Mai wurde die erste Tranche das Übereinkommen zeichnet und, wenn ja, gege- des finanziellen Hilfsprogramms für Griechenland von- benenfalls wann, noch an. seiten der Euro-Mitgliedstaaten mit einem Nennbetrag von 14,5 Milliarden Euro ausgezahlt. Auf Deutschland, Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: für das die Kreditanstalt für Wiederaufbau die Ausrei- Eine weitere Nachfrage? – Bitte schön. chung vornimmt, entfällt ein Betrag von 4,43 Milliarden Euro. Generell wurden für jedes Jahr als Zinstermine Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der 15. März, der 15. Juni, der 15. September und der NEN): 15. Dezember festgelegt. Der Zinssatz wird generell auf Gibt es denn in der Bundesregierung Überle- der Grundlage des Drei-Monats-EURIBOR ermittelt. gungen und, wenn ja, von welcher Seite, der Kon- Das ist der Zinssatz, zu dem die Banken sich unterei- vention womöglich nicht beizutreten? nander innerhalb der Euro-Zone Kredite gewähren. Für die erste sogenannte unterbrochene Zinsperiode, die den Zeitraum vom Auszahlungsdatum, also dem 18. Mai, Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der bis zum 15. Juni, dem ersten regulären Zinstermin, um- Bundesministerin der Justiz: fasst, wurde hiervon abweichend der Ein-Monats- Herr Kollege Beck, Ihnen ist sicherlich der Koali- EURIBOR vom 14. Mai 2010 als maßgeblicher Zinssatz tionsvertrag zwischen CDU/CSU und FDP be- bestimmt. Dazu kommt ein Aufschlag von kannt. 300 Basispunkten. Dies ergibt einen Zinssatz von (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 3,42 Prozent. NEN]: Darin steht nichts zur Adoption!) Darüber hinaus wird vom Auszahlungsbetrag Darin sind eine Reihe von Verbesserungen für eine Verwaltungsgebühr von einem halben Pro- eingetragene Lebenspartnerschaften vereinbart. zent für die beim Kreditgeber anfallenden Kosten Es sind übrigens auch Verbesserungen im Jahres- einbehalten. Die Zinszahlungen werden anteilig an steuergesetz hinsichtlich der Erbschaftsteuer und die beteiligten Darlehensgeber verteilt. Nach einer der Grunderwerbsteuer vereinbart. tilgungsfreien Zeit von drei Jahren, Herr Kollege Ströbele, wird das Darlehen in acht vierteljährli- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chen Zahlungen in Höhe von jeweils NEN]: Es geht jetzt aber um die Konvention!) 1,8125 Milliarden Euro getilgt. Die erste Tilgung Das ist also eine Thematik, mit der wir sehr wohl wird zum 15. Juni 2013 erfolgen, die letzte zum 15. befasst sind. Ihnen ist aber auch geläufig, dass März 2015. Das heißt, dass die Tilgung in einem genau zu der Frage, die Sie gestellt haben, der Zeitraum von weniger als zwei Jahren nach Ablauf Bundesregierung im Koalitionsvertrag kein Auftrag der tilgungsfreien Zeit erfolgen wird. erteilt worden ist.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Laut Darlehensvertrag begründet jedes Darle- GRÜNEN]: Das finde ich erstaunlich an- hen eine ungedeckte, direkte, bedingungslose, gesichts der FDP-Position!) nicht nachrangige und allgemeine Verbindlich- keitserklärung des Darlehensnehmers und ist min- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: destens gleichgestellt mit allen anderen gegenwär- Danke schön. tigen und zukünftigen ungedeckten und nicht nach- Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des rangigen Darlehen und Verbindlichkeiten des Dar- Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwor- lehensnehmers. tung steht Herr Staatssekretär Steffen Kampeter Die Darlehensgeber im Rahmen des finanziellen zur Verfügung. Hilfsprogramms für Griechenland sind untereinan- Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Hans- der gleichrangig. Lediglich die Darlehen des Inter- Christian Ströbele auf: nationalen Währungsfonds haben eine vorrangige Sicherung. Dies entspricht dem seit Gründung des Welche Angaben macht die Bundesregierung über die Höhe und die konkreten Bedingungen – Zinshöhe, Internationalen Währungsfonds weltweit üblichen Rückzahlung und deren Rang – der durch staatliche Verfahren bei ähnlichen Unterstützungen durch deutsche Garantien abgesicherten Kredite, die im den Internationalen Währungsfonds. Dieser bevor- 4164 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 rechtigte Gläubigerstatus wird Einzelstaaten oder Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE einer Gruppe von Einzelstaaten in der bisherigen GRÜNEN): Rechts- und Kreditpraxis globaler Finanzierungen Da kann ich Ihnen immer noch nicht folgen. Sie nicht zugesprochen. haben selber gesagt, es gebe durchaus vorrangig zu bedienende Gläubiger; Sie haben den IWF er- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: wähnt. Können Sie sagen, warum der IWF vorran- Kollege Ströbele, bitte. gig bedient wird und der deutsche, der niederlän- dische oder der französische Steuerzahler nicht? Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim Danke, Herr Präsident. – Das leuchtet mir nicht Bundesminister der Finanzen: so ganz ein, Herr Staatssekretär. Die Situation ist Herr Kollege Ströbele, um noch einige ergän- doch folgende: Griechenland ist pleite, könnte also zende Hinweise zum Verständnis des Sachver- die Gläubiger, insbesondere die Großbanken – die halts zu geben: Grundsätzlich gilt, dass alle Gläu- deutschen sollen mit über 30 Milliarden Euro betei- biger gleich bedient werden. ligt sein –, nicht bedienen. Wenn die Kredite jetzt (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE also nicht fließen würden, würden sie nichts bzw. GRÜNEN]: Ja! Das sagten Sie bereits!) im Falle eines Insolvenzverfahrens das bekom- men, was noch im Korb ist: 20, 40 oder Das ist eine Regelung, die ausgehandelt wurde 50 Prozent. Jetzt springt, nachdem das Parlament und Bestandteil des Kreditvertrags ist. Das heißt, das so beschlossen hat, der deutsche Steuerzah- wir als europäische Beteiligte zahlen den Kredit ler ein, und die Bundesregierung reicht das Geld gemeinsam mit dem IWF aus, und die Rückzah- aus. Dann werden wiederum die Großbanken be- lung dieses bei der Europäischen Union gepoolten dient, mit Rückzahlungen bzw. mit Zinsen, mögli- Kredits erfolgt entsprechend der Einzahlung. Wenn cherweise mit Boni oder was auch immer da ver- Sie den Prozess der regulären Bedienung des einbart wurde. Halten Sie das für eine gegenüber Kredites betrachten, werden Sie feststellen, dass dem Steuerzahler zu rechtfertigende Lösung? Der es zu keiner Benachteiligung des deutschen Steu- Steuerzahler hat ja eigentlich mit der ganzen Ge- erzahlers gegenüber den Leistungen, die der In- schichte nichts zu tun. Er will auch keine Geschäf- ternationale Währungsfonds erhält, kommt. te mit Griechenland machen. Eigentlich hätte er, wenn überhaupt, das Geld lieber für andere Zwe- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: cke in Deutschland ausgegeben. Nun wird er in die Kollegin Paus, Sie wollten eine Nachfrage stel- Position eines Gläubigers gebracht und ins Obligo len. genommen; aber die Großbanken, die volles Risi- ko gefahren sind und möglicherweise viel Geld Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): damit verdient haben, werden nicht entsprechend Herr Staatssekretär Kampeter, Sie haben ge- zur Verantwortung gezogen. sagt, die Bundesregierung habe in Bezug auf die Kosten für den deutschen Steuerzahler Alternati- Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim ven abgewogen. Außerdem haben Sie implizit an- Bundesminister der Finanzen: gedeutet, dass die Kosten, wenn deutsche Banken Herr Kollege Ströbele, die Bundesregierung ist betroffen wären, eventuell höher hätten ausfallen der Auffassung, dass der hier gewählte Weg die können. Ich nehme an, Sie rekurrieren darauf, für den Steuerzahler angemessene Lösung ist, dass es den SoFFin gibt und dass betroffene deut- weil es vermutlich die preiswerteste Möglichkeit sche Banken die Möglichkeit hätten, den SoFFin in der Stabilisierung der Euro-Zone insgesamt ist. Anspruch zu nehmen. Gibt es konkrete, bezifferba- Der von Ihnen angesprochene Alternativweg, näm- re Zahlen, die Sie in der Bundesregierung erörtert lich die Staatsinsolvenz Griechenlands und damit haben, was möglicherweise auf den SoFFin zuge- Vergleichsverhandlungen über die Ver- kommen wäre, wäre es zu einem Staatsbankrott bindlichkeiten gegenüber der hellenischen Repub- Griechenlands gekommen? lik, würde über die beteiligten Banken, von denen einige unmittelbar oder indirekt in staatlichem Be- Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim sitz sind, zu unmittelbaren Nachschusspflichten für Bundesminister der Finanzen: den Steuerzahler und die Steuerzahlerin bzw. zur Frau Kollegin, nach Ermittlungen der BaFin Bilanzbereinigung führen. Die Behauptung, dass würden im Rahmen einer Staatsinsolvenz, was die die Staatsinsolvenz Griechenlands eine im Ver- Verbindlichkeiten deutscher Banken und Versiche- gleich zum gewählten Weg für den Steuerzahler rungen gegenüber Griechenland betrifft, ungefähr vertretbare Lösung ist, teilt die Bundesregierung 41 bis 42 Milliarden Euro streitig gestellt. Die direk- nach Abwägung aller Sachargumente nicht. ten finanziellen Folgerungen lassen sich nicht be- ziffern, und zwar deswegen, weil für eine Staatsin- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: solvenz innerhalb der Währungsunion keine Ver- Herr Kollege, bitte schön. gleichswerte vorliegen. Darüber hinaus kann man Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4165 keine Angaben machen, auf welcher Vergleichs- Von daher kann ich Ihnen keine näheren Erkennt- quote etwas gemacht werden könnte. Das maxi- nisse über den Inhalt der Recherche des von Ih- male Risiko ist mit der Obergrenze beschrieben. nen genannten Publikationsorgans geben. Richtig Wir gehen davon aus, dass bei einer ordnungsge- ist, dass in den deutschen Medien zweifelsohne mäßen Bedienung des Kredits in dem von mir be- eine informelle Diskussion über die Nachfolge schriebenen Tilgungszyklus für den deutschen stattfindet. Aber die Bundesregierung beabsichtigt Steuerzahler keine Nachteile entstehen. nicht, sich an dieser Nachfolgediskussion öffentlich zu beteiligen. Wir werden zu einem gegebenen (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Zeitpunkt – der jetzige wäre zu früh – unsere Ge- GRÜNEN]: Ja, wenn! Aber wenn nicht?) danken über die Nachfolge und gegebenenfalls auch unsere Vorschläge zur Nachfolge des derzei- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: tigen Präsidenten der Europäischen Zentralbank Danke schön. – Die beide nächsten Fragen, die einbringen. Fragen 3 und 4 des Kollegen Rolf Mützenich, wer- den schriftlich beantwortet. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Damit kommen wir zu den Fragen 5 und 6 der Haben Sie eine weitere Nachfrage? – Bitte Kollegin Lisa Paus: schön, Kollegin Paus. Beabsichtigt die Bundesregierung, den Bundes- bankpräsidenten Axel Weber als Nachfolger für Jean- Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Claude Trichet für den Vorsitz der Europäischen Zent- ralbank vorzuschlagen, und hat sie dazu bereits Ab- Habe ich Sie richtig verstanden, dass es an die- sprachen mit anderen europäischen Staaten getroffen? sem Wochenende keine Nebenabsprachen der Wie schätzt die Bundesregierung die Eignung von Bundesregierung gegeben hat? Axel Weber als Präsident der Europäischen Zentral- bank ein angesichts der Tatsache, dass er als Präsi- dent der Bundesbank im Rahmen der laufenden Auf- Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim sicht nicht verhindert hat, dass die deutschen Landes- Bundesminister der Finanzen: banken zu den weltweit größten Abnehmern von dritt- Frau Kollegin, ich war zwar nicht dabei; aber mir klassigen Verbriefungsprodukten gehörten und im Zuge sind keine Nebenabsprachen bekannt bzw. be- der Krise daher HSH Nordbank, SachsenLB, LBBW und Bayern LB nur mithilfe staatlicher Unterstützungen kannt gemacht worden. überleben konnten? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Kollege Beck, bitte. Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kollegin Paus, die Bundesregierung möchte Ihre NEN): erste Frage wie folgt beantworten: Die Amtszeit Ich muss unangenehmerweise nachfassen. Es des Präsidenten der Europäischen Zentralbank ist uns in Fragestunden hin und wieder aufgefallen, läuft noch bis Oktober 2011. Aus Sicht der Bun- dass den Staatssekretären manches nicht bekannt desregierung ist es jetzt viel zu früh für eine Nach- ist. Können Sie der Kollegin Paus im Nachgang folgediskussion. Dies gebietet auch der Respekt schriftlich mitteilen, ob es tatsächlich keine Ge- gegenüber dem Amtsinhaber und seiner erfolgrei- spräche der Bundesregierung mit anderen Staaten chen Arbeit. Wir schätzen Jean-Claude Trichet der Europäischen Union über eine Nachfolgerege- sehr. lung gegeben hat? Können Sie, falls, wie es die Kollegin in ihrer Frage formuliert, „bereits Ab- sprachen mit anderen europäischen Staaten ge- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: troffen“ wurden, schriftlich mitteilen, welche Ge- Wenn Sie Nachfragen haben, bitte. spräche dazu mit welchem Staat, bei welcher Ge- legenheit und mit welchem Ergebnis geführt wur- Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): den? Herr Kampeter, wie erklärt sich die Bundesre- gierung dann die Berichterstattung im Handelsblatt Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim vom 12. Mai 2010, nach der dies der Preis der Zu- Bundesminister der Finanzen: stimmung zum Euro-Rettungsschirm seitens der Herr Kollege Beck, ich glaube, dass die Bundes- deutschen Bundesregierung gewesen sein soll? regierung in umfassender Art und Weise auf die Frage geantwortet hat. Ich will mich selbstver- Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim ständlich gerne bemühen, der Kollegin Paus in Bundesminister der Finanzen: schriftlicher Form ergänzende Hinweise zu geben. Frau Kollegin Paus, manchmal wundert sich auch die Regierung, was deutsche Zeitungen über (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Regierung schreiben. NEN]: Wahrheitsgemäß und umfassend!) (Vereinzelt Heiterkeit) – Wahrheitsgemäß und umfassend. Im Übrigen können Sie mich alles fragen, was Sie wollen; ich 4166 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 freue mich jederzeit, Sie zu sehen und zu spre- (Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär: Das chen. denke ich!) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Meine Frage richtete sich eigentlich darauf, ob die GRÜNEN]: Dass wir alles fragen dürfen, Bundesregierung im Sinne des Mittelstandes, der ist uns schon aufgefallen!) gerade für den Bereich der Tourismuswirtschaft prägend ist, einen Aktionsplan entwickeln könnte. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Vor dem Hintergrund eines sich breitmachenden Danke schön, Herr Staatssekretär. – Die Frage Wettbewerbsföderalismus in der Tourismusbran- 7 des Abgeordneten Günter Gloser wird schriftlich che leite ich daraus folgende Frage ab: Wie will die beantwortet. Bundesregierung darauf Einfluss nehmen, dass es bei Fortbestehen unterschiedlicher Regelungen zu Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des den Sonntags-Ladenöffnungszeiten, der so- Bundesministeriums für Wirtschaft und Technolo- genannten Bäderregelung, zu keinen weiteren gie. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Ländern Staatssekretär Ernst Burgbacher zur Verfügung. kommt, unter denen insbesondere kleinere Ge- Wir kommen zur Frage 8 des Kollegen Hans- werbetreibende zu leiden hätten? Joachim Hacker: Ich stelle die Frage, weil die Bundesregierung in Beabsichtigt die Bundesregierung nach dem Urteil der Vergangenheit und auch gegenwärtig in ande- des Oberverwaltungsgerichts Greifswald über die Auf- ren Bereichen eine Koordinierungsfunktion über- hebung der „Bäderregelung“ zur Sonntags- Ladenöffnung in Mecklenburg-Vorpommern ein konzer- nommen hat. Ich nenne nur das Thema DZT, wo tiertes Vorgehen mit den Ländern, um im Interesse der klare verfassungsrechtliche Regelungen bestehen, Tourismusbranche und der Beschäftigten dauerhafte aber trotzdem seitens der Bundesregierung Hand- gerichtsfeste Regelungen zu schaffen? lungsbedarf gesehen wird. Herr Staatssekretär, ein Bitte schön, Herr Staatssekretär. solcher Handlungsbedarf müsste doch eigentlich auch hier bestehen. Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technolo- Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim gie: Bundesminister für Wirtschaft und Technolo- Sehr geehrter Herr Kollege Hacker, mit dem In- gie: krafttreten der Föderalismusreform zum Sehr geehrter Herr Kollege Hacker, bei der DZT 1. September 2006 haben die Länder die aus- liegt der Sachverhalt anders. Dort wurde versucht, schließliche Gesetzgebungskompetenz für das ein gemeinsames Marketing der Länder einzufüh- Ladenschlussrecht erhalten. Die Länder können ren, das von den Ländern getragen wird. Dies daher jetzt die gesetzlichen Ladenöffnungszeiten wurde damals eingerichtet. Die Regelung der von in eigener Zuständigkeit regeln. Dies umfasst auch Ihnen angesprochenen Frage basiert auf der Fö- die Frage der Sonntagsöffnungen. Die Länder und deralismusreform. In diesem Hause bestand brei- Kommunen können unter Berücksichtigung des ter Konsens darüber, hier zu mehr Wettbewerb zu vom Bundesverfassungsgericht mit seiner Ent- kommen. Das Recht zur Regelung der Öffnungs- scheidung vom 1. Dezember 2009 gesetzten zeiten wurde ausdrücklich den Ländern über- Rahmens in eigener Verantwortung entscheiden, geben. Deshalb müssen die Länder dies regeln. wie sie das gesetzliche Schutzkonzept zur Ge- Sie beklagen, dass hier ein Wettbewerb besteht, währleistung der Sonn- und Feiertagsruhe erfüllen. unter dem kleine und mittlere Unternehmen leiden. Der Bund hält es für richtig, diesen Handlungs- Wenn Sie daran etwas ändern wollen, müssen Sie spielraum in vollem Umfang bei den Ländern zu auf die Landesregierung zugehen; entsprechende belassen. Regelungen müssen in den Ländern getroffen werden. Der Bund hält es für falsch, hier von sich Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: aus Vorgaben zu machen. Herr Kollege, haben Sie eine Nachfrage?

Hans-Joachim Hacker (SPD): Ja. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Eine weitere Nachfrage? – Das ist nicht der Fall. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Die Fragen 9 und 10 des Kollegen Heinz Paula Bitte schön. werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zur Frage 11 des Kollegen Manf- Hans-Joachim Hacker (SPD): red Nink: Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Burgbacher, Welche Vorschläge und Konzepte hat die Bundes- die verfassungsrechtlichen Grundlagen waren mir regierung hinsichtlich einer stärkeren Koordinierung und natürlich bekannt, als ich die Frage stellte. Steuerung der Wirtschaftspolitik zur Umsetzung der vom Europäischen Rat in der neuen Strategie für die Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4167

Europäische Union beschlossenen Leitziele, und wann Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, beabsichtigt sie, mit der Umsetzung ihres Konzeptes zu die Mitgliedstaaten der EU zur Umsetzung der Leitziele beginnen? zu bewegen, und wie bewertet sie die von EU- Ratspräsident Herman Van Rompuy vorgeschlagenen Bitte schön, Herr Staatssekretär. Sanktionsmaßnahmen bei Zielverfehlung bzw. Beloh- nungssysteme bei Zielerreichung? Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bitte schön. Bundesminister für Wirtschaft und Technolo- gie: Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Herr Kollege Nink, die Antwort auf die Frage 11 Bundesminister für Wirtschaft und Technolo- lautet: Die Bundesregierung hat sich bereits seit gie: Beginn des Diskussionsprozesses zur Lissabon- Herr Kollege Nink, die Antwort auf diese Frage Nachfolgestrategie für eine stärkere Rolle des Eu- ist: Die stärkere Rolle des Europäischen Rates zur ropäischen Rates zur stärkeren Koordinierung und stärkeren Koordinierung und Steuerung zielt da- Steuerung der Wirtschaftspolitik eingesetzt. Dazu rauf ab, die erfolgreiche Umsetzung der Ziele der liegt eine entsprechende Beschlussfassung – Sie neuen Strategie zu befördern. Die Bundesregie- kennen sie sicher – des Europäischen Rates vom rung hält sowohl Sanktionsmaßnahmen bei Ziel- 25./26. März dieses Jahres vor. verfehlungen als auch Belohnungs-systeme bei Er- Die Bundesregierung wird bei den anstehenden reichung der quantitativen Oberziele der Strategie Treffen des Europäischen Rates – das nächste Europa 2020 für ungeeignet, da sie dem Charakter findet am 17./18. Juni 2010 statt – ihren Beitrag des partnerschaftlichen Dialoges zwischen den zur Ausfüllung der dem Europäischen Rat zuge- Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission wiesenen wichtigen Rolle leisten. Die Bundesre- widersprechen. gierung hält es darüber hinaus für dringlich, Ge- wicht und die politische Sichtbarkeit der Überwa- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: chung von strukturpolitischen Fehlentwicklungen Herr Kollege, bitte schön. durch ein eigenständiges Verfahren zu erhöhen. Die EU-Kommission hat hierzu in ihrer Mitteilung Manfred Nink (SPD): vom 12. Mai 2010 erste Vorschläge gemacht. Sie Sehen Sie keinen Widerspruch darin, dass wir werden intensiv zu diskutieren und weiter auszu- jetzt beim Schnüren des neuen Finanzpaketes bauen sein. Wir haben schon in der Debatte am doch Sanktionen verhängen wollen? Freitag und auch heute wieder erlebt, dass wir über genau diese Dinge sehr intensiv diskutieren. Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technolo- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: gie: Herr Kollege, bitte schön. Herr Kollege, wir wollen Sanktionen dann ver- hängen, wenn Länder den Stabilitäts- und Wachs- Manfred Nink (SPD): tumspakt verletzen. Wir arbeiten darauf hin, ihn Herr Staatssekretär, ich habe noch eine Nach- eventuell neu zu formulieren. Das ist aber etwas frage. Wie sehen Sie die zukünftige Beteiligung anderes als die Strategie 2020, bei der wir erst da- des Parlamentes an der Meinungsfindung und an bei sind, quantitative Ziele zu formulieren. der Umsetzung der Ziele? Es geht zum Beispiel darum, welchen Prozent- satz die Bildungsausgaben am Haushalt ausma- Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim chen oder wie hoch der Beschäftigungsgrad der Bundesminister für Wirtschaft und Technolo- Personen zwischen 20 und 65 Jahren sein muss. gie: Hierbei können Sie schlecht mit Sanktionen oder Wir müssen zwei Ebenen unterscheiden. Belohnungen arbeiten. Das wäre ein Stück weit Selbstverständlich muss der deutsche Bundestag Aufgabe unserer Politik und widerspräche, wie ge- in alle Schritte weiter eingebunden werden. Wir sagt, dem partnerschaftlichen Ansatz, den wir in wollen keine europäische Wirtschaftspolitik mit der Union verfolgen. Kompetenzen bei der EU, sondern wir wollen, wie ich das ausgeführt habe, eine stärkere Koordinie- (Manfred Nink [SPD]: Danke!) rung, teilweise auch Steuerung. Selbstverständlich aber bleibt Wirtschaftspolitik mit allen Rechten und Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Pflichten des Parlaments in nationaler Kompetenz. Eine weitere Nachfrage? Eine ganz andere Frage, über die wir heute aber nicht reden, ist natürlich die Beteiligung des Euro- Manfred Nink (SPD): päischen Parlaments. Nein, danke.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wir kommen zur Frage 12 des Kollegen Nink: Das ist nicht der Fall. 4168 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

Die Frage 13 des Kollegen Michael Groß und BMJ, BMAS und BMI –, ob es weitere Möglichkei- die Frage 14 der Kollegin Katja Keul werden ten gibt. Wir befinden uns noch in der Prüfung. schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 15 der Kollegin Doris Barnett Doris Barnett (SPD): auf: Ich habe noch eine Verständnisfrage. Sie haben In welchem Rahmen plant die Bundesregierung be- gesagt, dass Sie ELENA auf mögliche daten- züglich des gerade eingeführten Gesetzes über das schutzrechtliche Probleme prüfen. Habe ich Sie Verfahren des elektronischen Entgeltnachweises, ELE- richtig verstanden, dass Sie das hingegen nicht NA, kleine und mittelständische Unternehmen, KMU, zu prüfen, wenn es um die Massenübermittlung von bevorzugen und von der Meldeverpflichtung zu entbin- den, und welche Auswirkungen hätte das Herauslösen Daten an die sozialen Sicherungssysteme und an von KMU aus dem ELENA-Verfahren auf das System das Finanzamt geht? insgesamt? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technolo- Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim gie: Bundesminister für Wirtschaft und Technolo- Nein, wir haben nicht über das Datenschutz- gie: recht, sondern ich habe über das System ELENA Frau Kollegin Barnett, ich beantworte die Frage gesprochen. Darüber diskutieren wir. Wir prüfen, 15 wie folgt: Die Bundesregierung wird eine mögli- ob man kleine und mittlere Unternehmen von der che Belastung von Kleinst- und Kleinunternehmen Übermittlung von Daten an die zentrale Speicher- durch das ELENA-Verfahren sowie gegebenenfalls stelle ausnehmen kann. geeignete Maßnahmen zur Abhilfe prüfen. Die rechtlichen und faktischen Prüfungen, insbesonde- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: re der Auswirkungen auf das Gesamtverfahren, Es gibt eine Nachfrage der Kollegin Zypries. Bit- sind hierzu noch nicht abgeschlossen. Ich bitte Sie te schön. um Verständnis, dass ich das Ergebnis der Prü- fung nicht vorwegnehmen kann, zumal an dem Brigitte Zypries (SPD): Verfahren drei Häuser beteiligt sind und es da- Herr Burgbacher, mich würde interessieren, was durch ein Stück komplizierter ist. genau Sie in diesem Zusammenhang prüfen. Mir scheint es so zu sein, dass es vor allen Dingen ei- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ner politischen Entscheidung bedarf, ob man klei- Nachfrage? – Bitte. ne und mittlere Unternehmen von der Meldepflicht entbindet. Doris Barnett (SPD): Bedenken Sie bei Ihren Prüfungen, dass die Da- Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim tenübertragung an die anderen sozialen Siche- Bundesminister für Wirtschaft und Technolo- rungssysteme bis hin zur Finanzverwaltung mögli- gie: cherweise ebenfalls betroffen sein könnte? Wären Frau Kollegin Zypries, Sie wissen sicherlich, sie ebenfalls aus dem Verfahren herausgelöst, dass es aufgrund des Urteils des Bundesverfas- dann müsste das finanziell in irgendeiner Weise sungsgerichts eine juristische Bewertung hinsicht- abgegolten werden, weil die Daten benötigt wer- lich des Datenschutzes geben muss. Wir prüfen den. ernsthafte Einwendungen verschiedener Unter- nehmen, die darauf aufmerksam gemacht haben, Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim dass sie mit der derzeitigen Regelung nicht klar- Bundesminister für Wirtschaft und Technolo- kommen. Sie müssen beachten, dass die Über- gie: mittlung für große Unternehmen in der Regel kein Frau Kollegin, wir sprechen ausschließlich über Problem ist, weil sie die Software haben, um die das ELENA-Verfahren. Wir haben das schon im- Daten per Knopfdruck zu übermitteln. Aber viele mer isoliert, also ausdrücklich von anderen Verfah- kleine und mittlere Unternehmen teilen uns mit, ren losgelöst, durchgeführt. Das scheint mir auch dass die Übermittlung der Daten ein hoher Kosten- unter datenschutzrechtlichen Bestimmung sehr faktor für sie ist, weil sie es selbst nicht machen wichtig zu sein. Wir übertragen Daten an eine können, sondern einen Steuerberater einschalten zentrale Speichereinheit zur Erstellung der Nach- müssen. Ihre Kosten steigen deshalb. weise. Darum geht es. Ich als Mittelstandsbeauftragter der Bundesre- Wir wissen – im Ausschuss haben wir das mehr- gierung nehme das besonders ernst. Wir prüfen, fach diskutiert –, dass es im Augenblick gerade bei wie sich das auf das gesamte System auswirken kleinen und mittleren Unternehmen große Proble- würde. Das kann man nicht ohne Weiteres vorher- me gibt. Wir beide bekommen wahrscheinlich eine sehen. Ich kann Ihnen so viel sagen: Ich habe mit Menge Briefe zu diesem Thema. Wir prüfen zu- meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern darüber sammen mit den anderen beteiligten Häusern – gesprochen, dass es einige Probleme gibt. Ich bit- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4169 te Sie um Verständnis; denn es macht nicht viel Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Sinn, während eines Prüfungsprozesses Zwi- Bundesminister für Wirtschaft und Technolo- schenergebnisse herauszugeben, die es im Übri- gie: gen auch noch nicht gibt. Frau Kollegin Barnett, in Ihrer Frage liegt eigent- lich schon ein Teil der Antwort. Dadurch, dass die Brigitte Zypries (SPD): kleinen Unternehmen Daten an den Steuerberater Gibt es einen Zeithorizont? geben, der diese aufarbeitet, wird deutlich, dass dies andere Daten mit einem anderen Informati- onsgehalt sind. Es sind ja nicht diese Daten, die Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim weitergeleitet werden, sondern die vom Steuerbe- Bundesminister für Wirtschaft und Technolo- rater aufgearbeiteten werden an ELENA weiterge- gie: leitet. Deshalb macht es keinen Sinn, das zu über- Das Gesetz ist zum 1. Januar in Kraft getreten. tragen. Daten werden bereits übermittelt. Das alles wurde vor unserer Zeit verabschiedet. Zum Thema Büro- Wir haben – eigentlich müsste man sagen: Sie kratieabbau muss man deutlich sagen: Bei kleine- haben – für ELENA ein sehr striktes Datenregime ren Unternehmen zeigt sich keine entsprechende beschlossen. Für alle anderen Datenübertragun- Wirkung. Wir werden das Herauslösen von KMU gen gibt es das Bundesdatenschutzgesetz mit all so schnell wie möglich prüfen, aber der Vorgang seinen Auswirkungen. Wenn es da Bereiche gibt, muss mit weiteren Häusern abgestimmt werden. mit denen Sie nicht einverstanden sind, dann müs- sen die ganz konkret benannt und dann muss das Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Bundesdatenschutzgesetz geändert werden. Ich rufe die Frage 16 der Kollegin Barnett auf: Welcher datenschutzrechtlichen Vorkehrungen be- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: darf es hinsichtlich der Übertragung und Verwaltung Eine weitere Nachfrage. von Arbeitnehmerdaten an Dritte, die die Datenverwal- tung für den Arbeitgeber übernommen haben – zum Beispiel Steuerbüros –, und in welchem Umfang kön- Doris Barnett (SPD): nen Arbeitnehmer eine Dateneinsicht dort vornehmen? Die Frage bezüglich der Arbeitnehmer haben Sie immer noch nicht beantwortet. Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technolo- Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim gie: Bundesminister für Wirtschaft und Technolo- Der Arbeitgeber hat bei der Übermittlung von gie: Arbeitnehmerdaten an Dritte, zum Beispiel – ich Ich glaube, ab 1. Januar 2012 – das kann ich habe es eben ausgeführt – an seinen Steuerbera- Ihnen aber gerne noch genauer sagen – hat der ter, unterschiedliche datenschutzrechtliche Anfor- Arbeitnehmer im Rahmen von ELENA das Recht, derungen zu erfüllen. Sofern im konkreten Einzel- auf seine Daten zuzugreifen. Was die anderen Da- fall keine bereichsspezifischen Da- tenübermittlungen angeht, so gilt das Bundesda- tenschutzvorschriften anzuwenden sind, kommen tenschutzgesetz, nicht das strengere Regime von die Anforderungen des Bundesdatenschutzgeset- ELENA. zes zur Anwendung. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass es sich hierbei Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: um keine spezifisch das ELENA-Verfahren betref- Es gibt keine weiteren Nachfragen dazu. fende Datenübermittlung handelt. Dann kommen wir zur Frage 17 des Kollegen Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Garrelt Duin: Ihre Nachfrage, bitte. Sind Medienberichte zutreffend, dass bis Ende April 2010 mehr als 206 Millionen Euro für rund 75 000 Prä- mienberechtigte der Umweltprämie noch nicht ausge- Doris Barnett (SPD): zahlt worden sind, obwohl der Fördertopf seit Septem- Aber Sie geben mir doch Recht, Herr Staatssek- ber 2009 leer ist, und wie will die Bundesregierung eine ordnungsgemäße Abwicklung im Hinblick auf die Vor- retär, dass die Daten, die an ELENA übermittelt gabe der entsprechenden Richtlinie, dass die Frist für werden, die gleichen sind wie die, die an die Steu- die Einreichung der vollständigen Unterlagen am 31. erberaterbüros übermittelt werden, die dann die Juli 2010 endet, sicherstellen? Daten wieder herausrücken müssen? Darüber hinaus haben Sie noch nicht die Frage Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim beantwortet, wie die Arbeitnehmer, anders als bei Bundesminister für Wirtschaft und Technolo- ELENA, wenn die Daten einmal abgespeichert gie: sind, Einsicht nehmen können, was alles beim Herr Kollege Duin, Sie bezweifeln, dass das Steuerberater abgespeichert ist. Geld reicht, um die Umweltprämie komplett auszu- zahlen. Die Antwort: Medienberichte sind zutref- fend, wonach das Bundesamt für Wirtschaft und 4170 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

Ausfuhrkontrolle zum 7. Mai 2010 gut (Garrelt Duin [SPD]: Alles klar! Danke!) 1,92 Millionen Anträge auf Erhalt einer Umwelt- prämie bearbeitet und die Prämie ausgezahlt hat. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ein Großteil dieser Anträge wurde nach dem zu- Die Frage 18 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl letzt gültigen zweistufigen Reservierungsverfahren wird schriftlich beantwortet. administriert. Hierbei haben Antragsteller ab Erhalt der Reservierungszusage eine neunmonatige Frist Wir kommen damit zur Frage 19 der Kollegin für die Zulassung des Neufahrzeugs und die Ver- Sevim Daðdelen: schrottung des Altfahrzeugs. Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregie- rung zu, dass die European Free Trade Association – Seit 3. September 2009 nimmt das Bundesamt europäische Freihandelszone, EFTA – im Gegensatz für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle keine neuen zur EU erneut klargestellt hat, dass Produkte aus den besetzten Gebieten der Westsahara nicht unter das Anträge auf Erhalt einer Umweltprämie mehr ent- Freihandelsabkommen zwischen der EFTA und Marok- gegen, weil alle Finanzmittel für zuvor beantragte ko fallen, www.wsrw.org, und inwieweit wird sich die Umweltprämien gebunden sind. Fahrzeuge müs- Bundesregierung für eine entsprechende Klarstellung in sen spätestens bis zum 30. Juni 2010 zugelassen den Verhandlungen über eine mögliche Verlängerung des laufenden Fischereipartnerschaftsabkommens zwi- werden. Die Frist für die Einreichung der vollstän- schen der EU und dem Königreich Marokko einsetzen? digen Unterlagen endet am 31. Juli 2010. Auszah- lungszeitpunkt und Ende der gesamten Maßnah- Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim me hängen nunmehr wesentlich vom Rücklauf der Bundesminister für Wirtschaft und Technolo- Reservierungen und damit dem Verhalten der An- gie: tragsteller, den Lieferfristen der Hersteller und Liebe Kollegin Daðdelen, Deutschland ist nicht Ähnlichem ab. Dem BAFA liegt somit der korrekte Mitglied der europäischen Freihandelszone. Daher Umfang gebundener Finanzmittel vor, um die ver- sind solche Klarstellungen in Verträgen, die die bleibende Anzahl von unter 80 000 Antragstellern EFTA abschließt, hier nicht bekannt. fristgerecht bis spätestens 31. Juli 2010 zu bedie- nen. Zur Frage einer entsprechenden Klarstellung im Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Zusammenhang mit möglichen Verhandlungen Nachfrage bitte. über eine Verlängerung des Fischereiabkommens der EU mit Marokko ist darauf hinzuweisen, dass Garrelt Duin (SPD): Handelsfragen nicht Gegenstand des Fischerei- Vom Verständnis her, Herr Staatssekretär: Wir partnerschaftsabkommens sind. Außerdem gilt das können also davon ausgehen, es liegt nicht daran, bestehende Fischereiabkommen bis zum dass es beim BAFA sozusagen eine Überlastung 27. Februar 2011 und verlängert sich automatisch gibt, sondern dass dort alles seinen geregelten bü- um vier Jahre, wenn es nicht vorher gekündigt rokratischen Gang läuft? wird. Es bezieht sich auf das Gebiet Marokkos und die Gebiete unter der Gerichtsbarkeit Marokkos. Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Es enthält keine Definition des Rechtsstatus der Bundesminister für Wirtschaft und Technolo- Meeresgewässer der Westsahara und greift einer gie: Festlegung des Status somit nicht vor. Es läuft alles seinen geregelten Gang. Darüber hinaus verweise ich auf die Antwort der Bundesregierung, übermittelt am 22. April dieses Garrelt Duin (SPD): Jahres, auf die Kleine Anfrage, die Sie und Kolle- Gut. ginnen und Kollegen Ihrer Fraktion auf Bundes- Haben Sie Erkenntnisse darüber, dass eines der tagsdrucksache 17/1329 gestellt haben. Probleme darin besteht, dass die Verwertung des Altautos nicht nachgewiesen wird, wenn zum Bei- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: spiel Unterlagen nicht vollständig eingereicht wor- Nachfrage? – Bitte schön. den sind? Oder ist der Grund dafür, dass es zu dieser Verzögerung kommt, in der Tat nur der Lie- Sevim Daðdelen (DIE LINKE): ferzeitpunkt der bestellten Neufahrzeuge? Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich habe natür- lich ein paar Nachfragen. Sie sagten, dass die Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Handelsfragen nicht Bestandteil des Fischereiab- Bundesminister für Wirtschaft und Technolo- kommens sind. Es geht doch hier um Folgendes: gie: Marokko plündert seit Jahren die fischreichen Herr Kollege Duin, nach meinen augenblickli- Fanggründe vor der Westsahara. Nicht nur die Eu- chen Informationen ist tatsächlich der Lieferzeit- ropean Free Trade Association ist der Auffassung, punkt der neuen Autos das Problem. Aber es ist dass die Produkte aus den besetzten Gebieten der selbstverständlich gewährleistet, dass bei allen Westsahara nicht unter dieses Freihandelsab- genehmigten Anträgen eine Auszahlung erfolgt. kommen fallen, das als Begründung für das Fi- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4171 schereiabkommen herangezogen wird, sondern nicht garantiert werden, dass sie missachtet wer- auch der UNO-Rechtsberater Hans Corell hat fest- den? Nehmen Sie das zur Kenntnis, und was ist gestellt, dass dieses Fischereiabkommen eigent- die Schlussfolgerung der Bundesregierung? lich rechtswidrig ist. Meine Frage ist: Es geht bei diesem Fischerei- Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim abkommen darum, dass jegliche Nutzung von Bundesminister für Wirtschaft und Technolo- Ressourcen im Einverständnis mit dem Volk der gie: Westsahara und zu dessen Nutzen erfolgen muss. Frau Daðdelen, ich nehme das so nicht zur Das Einverständnis hat die Polisario bisher nicht Kenntnis, sondern bitte Sie, zur Kenntnis zu neh- gegeben. Inwieweit sieht die Bundesregierung hier men, dass in der Antwort auf Ihre Kleine Anfrage einen Nutzen für die Bevölkerung im völkerrechts- deutlich wird, worauf das basiert; Sie haben das ja widrig besetzten Teil der Westsahara? Teilt sie so- gelesen. Sie greifen jetzt einen Punkt heraus. Ich zusagen die Auffassung der Marokkanerinnen und habe Ihnen gegenteilige Äußerungen gerade Marokkaner, dass es hier einen Nutzen gibt und schon genannt. damit eine Verlängerung dieses Fischereiabkom- mens ab Februar 2011 eine Option darstellt? Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bun- Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim desministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Be- Bundesminister für Wirtschaft und Technolo- antwortung steht der Parlamentarische Staatssek- gie: retär Ralf Brauksiepe zur Verfügung. Frau Kollegin Daðdelen, in der Kleinen Anfrage, Die Fragen 20 und 21 der Kollegin Silvia die ich erwähnt haben, haben Sie dieselben Fra- Schmidt werden schriftlich beantwortet. gen gestellt. Diese wurden ausführlich beantwor- tet. Wir alle hoffen, dass es eine Lösung des Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Markus Kurth Westsahara-Konfliktes geben wird. In der Antwort auf: wurde auch geschrieben, dass in dem Gutachten Inwiefern erkennt die Bundesregierung an, dass die des Europäischen Parlaments die Auffassung ver- Situation von Frauen mit Behinderungen auf dem Ar- beitsmarkt im Vergleich zur Situation von Männern mit treten wird, dass Aktivitäten zur Ausbeutung natür- Behinderungen – sowohl bezüglich der Arbeitslosen- licher Ressourcen in Gebieten ohne Selbstregie- als auch bezüglich der Erwerbsquote – schlechter ist, rung nur dann im Einklang mit dem Völkerrecht und inwiefern widerspricht die Bundesregierung den In- stehen, wenn diese Aktivitäten zum Wohle der formationen der Bundesagentur für Arbeit, BA, die ebendiesen Umstand verneint (siehe Informationen für Einwohner dieser Gebiete führen oder in Konsulta- den Ausschuss für Arbeit und Soziales, Ausschuss- tionen mit ihren Vertretern unternommen werden. drucksache 17[11]148 zu 17[11]118)? In diesem Zusammenhang haben wir eine Antwort Bitte schön. der Europäischen Kommission auf die Frage der Abgeordneten des Europäischen Parlaments Isa- bella Lövin zitiert, in der steht, dass dies der Fall Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei ist. der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Vielen Dank. – Herr Kollege Kurth, ich beant- Sie haben ausführliche Antworten bekommen. worte Ihre Frage wie folgt: Die aktuellsten verfüg- Wir sind mit allen Stellen ständig im Gespräch. Die baren Daten zur Erwerbsquote von Menschen mit Europäische Union ist im Gespräch. Das Abkom- Behinderungen ergeben sich aus den Erhebungen men gilt, wie ich Ihnen gesagt habe, bis 2011. des Mikrozensus 2005. Danach liegt, bezogen auf die Altersgruppe der 15- bis 65-Jährigen, die Er- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: werbsquote der Frauen mit Behinderungen bei Haben Sie eine weitere Nachfrage? 45,9 Prozent. Die vergleichbare Erwerbsquote der Männer mit Behinderungen liegt bei 53,3 Prozent. Sevim Daðdelen (DIE LINKE): Dies spiegelt im Wesentlichen die generelle ge- Ja, das habe ich. – Sie erklärten in den Antwor- schlechterungleiche Verteilung zur Erwerbstätig- ten auf meine Kleine Anfrage, die im Gegensatz zu keit wider. Bei nichtbehinderten Menschen liegt die Ihrer Behauptung meiner Ansicht nach völlig unzu- vergleichbare Erwerbsquote der Frauen nach den reichend sind, dass Deutschland und die EU da- Daten des Mikrozensus 2005 bei 68,6 Prozent und rauf achten, dass die unveräußerlichen Rechte der die Erwerbsquote der Männer bei 83,2 Prozent. Völker der Gebiete ohne Selbstregierung auf ihre Setzt man die geschlechtsspezifischen Quoten zu- natürlichen Ressourcen durch die Abkommen ge- einander in Relation, so fällt die Erwerbsquote von sichert und garantiert sind. Deshalb möchte ich Sie Frauen mit Behinderungen gegenüber der von jetzt fragen: Haben Sie zur Kenntnis genommen, Männern mit Behinderungen weniger stark ab, als dass der Juristische Dienst des Europaparlaments dies bei den Nichtbehinderten der Fall ist. Sie er- dem widersprochen hat und die Auffassung vertritt, reicht bei Frauen mit Behinderungen eine Größe dass die unveräußerlichen Rechte der Völker der von 86,1 Prozent der Erwerbsquote der männli- Gebiete ohne Selbstregierung, also der Sahrauis, chen Bezugsgruppe. Bei Nichtbehinderten liegt der Wert bei 82,5 Prozent. 4172 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

Zur Arbeitslosenquote von Frauen mit Behinde- Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei rungen ist festzustellen, dass nach den aktuellen der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Daten der Bundesagentur für Arbeit schwerbehin- Herr Kollege Kurth, ich antworte Ihnen wie folgt: derte Frauen im April 2010 einen Anteil von Die derzeit von der Bundesagentur für Arbeit erho- 39,9 Prozent an allen schwerbehinderten Arbeits- benen Daten zur Arbeitsmarktsituation schwerbe- losen ausmachten. Das entspricht nach den Daten hinderter Menschen bieten eine differenzierte, ge- des Mikrozensus 2005 dem Anteil weiblicher Er- schlechtsspezifische Datenbasis zur beruflichen werbspersonen mit Behinderungen an allen Er- Lage der Betroffenen und eine gute Informations- werbspersonen zwischen 15 und 65 Jahren mit grundlage für Maßnahmen zur Verbesserung der Behinderungen. Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeits- leben. Damit wird auch den Forderungen aus Nach diesem Datenvergleich ergibt sich für Art. 6 und Art. 31 der UN-Behindertenrechts- Frauen mit Behinderungen eine gleiche Betroffen- konvention entsprochen. heit von Arbeitslosigkeit wie für Männer mit Behin- derungen unter Berücksichtigung der jeweiligen Unabhängig davon wird die Bundesregierung Erwerbsbeteiligung. Eine strukturell schlechtere Si- bei der Entwicklung des Nationalen Aktionsplans tuation im Vergleich zu Männern besteht insoweit und unter Einbeziehung der Verbände von Behin- nicht. derten und für behinderte Menschen prüfen, wel- che Maßnahmen zu einer weitergehenden, noch Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: umfassenderen Umsetzung der Art. 6 und 31 der Bitte schön, Herr Kollege Kurth. UN-Behindertenrechtskonvention ergriffen werden können. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundesagentur für Arbeit berichtet monat- Sind der Bundesregierung denn auch neuere lich über die Arbeitslosigkeit von schwerbehinder- Zahlen als die aus dem Mikrozensus 2005 be- ten Menschen in verschiedenen Berichten und kannt? Und wie bewertet die Bundesregierung die Statistikheften. Der monatliche Bericht über den Aussage der Bundesagentur für Arbeit? Ich habe Arbeits- und Ausbildungsmarkt in Deutschland ori- Sie ja auch diesbezüglich nach Ihrer Einschätzung entiert sich an dem Berichtsziel, die allgemeine gefragt. Entwicklung des Arbeits- und Ausbildungsmarktes darzustellen. Gruppenspezifische Analysen und Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei Daten zur Arbeitsmarktlage werden in er- der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: gänzenden Berichten und Statistikheften angebo- Herr Kollege Kurth, ich habe darauf hingewie- ten. Angaben zu schwerbehinderten Arbeitslosen sen, dass ich Ihnen die aktuellsten verfügbaren nach Geschlecht finden sich zum Beispiel in dem Daten vorgetragen habe. Anhand dieser Daten Statistikheft „Frauen und Männer“, das monatlich habe ich deutlich gemacht, dass die Bundesregie- für das Bundesgebiet, für die Länder und die Krei- rung Ihre Darstellung der Situation – Sie weisen se im Internet angeboten wird. darauf hin, dass ein Widerspruch zu den Daten der Bundesagentur für Arbeit besteht – nicht teilt. Von Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: daher gibt es auch keinen Widerspruch zwischen Bitte schön. der Position der Bundesregierung und dem, was die Bundesagentur für Arbeit an Informationen he- Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): rausgegeben hat. Hält die Bundesregierung es für notwendig, ge- schlechtsspezifische Daten, etwa zum Zugang zu Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Arbeitsmarktinstrumenten, zu erfassen? Eine weitere Frage? – Das ist nicht der Fall. In der Anhörung zum Bericht der Bundesregie- Dann kommen wir zur nächsten Frage, zur Fra- rung zur Lage der Menschen mit Behinderungen in ge 23 des Kollegen Kurth: Deutschland hat eine Sachverständige festgestellt, Inwiefern sieht die Bundesregierung durch Art. 6 in dass Frauen mit Behinderung weitaus seltener Zu- Verbindung mit Art. 31 der UN- gang zu hochwertigen Qualifizierungen haben und Behindertenrechtskonvention eine Chance, die ge- auch beim Zugang zu anderen Instrumenten der schlechtsspezifische Differenzierung der Statistikdaten nicht mehr als unnötige Bürokratie (siehe Antworten der aktiven Arbeitsmarktpolitik gegenüber Männern Bundesregierung auf die mündliche Frage 25 von Mar- benachteiligt sind. Diesen gesamten Komplex kus Kurth am 25. November 2009), sondern als Umset- greift auch die UN-Behindertenrechtskonvention zung der Konvention in nationales Recht zu betrachten, auf. und inwiefern wird die Bundesregierung darauf hinwir- ken, dass die monatliche geschlechtsspezifische Ar- Insofern frage ich: Besteht nicht das Interesse beitslosenzahl schwerbehinderter Menschen, die von der BA erhoben wird (siehe Informationen für den Aus- der Bundesregierung, diese Zusammenhänge schuss für Arbeit und Soziales, Ausschussdrucksache durch eine entsprechende statistische Erfassung 17[11]148 zu 17[11]118), auch im aktuellen monatli- besser zu beleuchten, auch um im Sinne von chen Arbeitsmarktbericht der BA Niederschlag findet? Good Governance bessere Maßnahmen ergreifen zu können? Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4173

Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei 4. September 2009 schnell und unbürokratisch zu der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: helfen. Herr Kollege Kurth, ich habe darauf hingewie- In Abstimmung mit den örtlichen afghanischen sen, dass geschlechtsspezifische Daten sehr wohl Autoritäten gliedern sich die rechtlich freiwilligen erhoben und auch veröffentlicht werden. Sie wis- Unterstützungsleistungen in zwei Stufen, und zwar sen, dass wir – unter Beteiligung aller zuständigen in eine bereits im Februar 2010 geleistete Winter- Verbände – mit der Erstellung des Nationalen Ak- soforthilfe und sodann in mittel- und langfristige tionsplanes beschäftigt sind. In diesem Zusam- Maßnahmen. Da sich Wiederaufbau- und Entwick- menhang wird zu prüfen sein, ob die statistische lungsprojekte in der Region derzeit aufgrund der Berichterstattung noch umfassender sein sollte. Sicherheitslage nicht zügig umsetzen lassen, wird Den Ergebnissen dieses Abstimmungsprozesses Opfern und Hinterbliebenen flankierend durch lan- kann und will ich an dieser Stelle nicht vorgreifen. destypische Geld- und Sachleistungen geholfen. Nach unseren Informationen sind bereits vor eini- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ger Zeit von afghanischer Seite Entschädigungs- Eine Nachfrage. leistungen an Einzelpersonen – nach unserer Kenntnis allerdings nicht an die gesamte Zahl der Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): möglicherweise Betroffenen – geleistet worden. Wann könnte eine solche Prüfung abgeschlos- Die Einbindung der örtlichen Autoritäten und un- sen sein, bzw. wann erwartet die Bundesregierung abhängiger afghanischer Organisationen stellt si- Ergebnisse? cher, dass die flankierenden Leistungen in die rich- tigen Hände kommen und nicht zu Unfrieden füh- Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei ren. der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Bei der Feststellung des Kreises der Betroffe- Der Abstimmungsprozess zum Nationalen Akti- nen, die unsere Leistungen in Anspruch nehmen onsplan soll im Herbst dieses Jahres stattfinden. wollen, ist es zu unterschiedlichen Daten gekom- Entsprechend ist mit Ergebnissen zu rechnen. men; dies hat sich im Laufe der letzten Monate von einer bloßen Vermutung zu einer Vermutung mit Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD): hoher Wahrscheinlichkeit entwickelt. Das hat uns Danke schön. dazu veranlasst, in der von Ihnen in der Frage an- gesprochenen Schura eine Identifizierung sowohl Die Frage 24 der Kollegin Pothmer wird schrift- der Maßnahmen als auch der betroffenen Perso- lich beantwortet, ebenso die Fragen 25 und 26 der nen vorzunehmen. Kollegin Zimmermann. Wir sind damit beim Geschäftsbereich des Bun- desministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Frau Kollegin, ich darf darauf hinweisen, dass Verbraucherschutz. Auch die beiden Fragen der wir auch aus Kreisen des Parlaments in unseren Kollegin Ulrike Höfken – Frage 27 und 28 – wer- Zweifeln, ob wir über die Daten umfassend infor- den schriftlich beantwortet. miert wurden, bestärkt worden sind. Ich selbst hat- te vor wenigen Wochen die Möglichkeit, mit dem Damit sind wir beim Geschäftsbereich des Bun- desministeriums der Verteidigung. Zur Beantwor- stellvertretenden Leiter des unabhängigen afgha- nischen Komitees für Menschenrechte ein Ge- tung steht der Parlamentarische Staatssekretär spräch zu führen, wodurch wir letztendlich den Ab- Christian Schmidt zur Verfügung. gleich der Listen in dieser Schura vorbereiten Wir kommen zur Frage 29 der Kollegin Katja konnten. Diese Schura hat wiederum gezeigt, dass Keul: das ein durchaus delikates und sehr schwieriges Warum sieht sich die Bundesregierung erst jetzt und Unterfangen ist. Man konnte den Eindruck haben, nicht direkt nach dem Luftschlag vom 4. September dass eine Parallelveranstaltung eines zeitweise mit 2009 dazu in der Lage, dessen Opfer und Verletzte der Vertretung einiger der Betroffenen mandatier- gemeinsam mit einer Versammlung der Dorfältesten zu identifizieren, um im Anschluss deren Angehörige zu ten Anwalts stattfinden sollte. entschädigen (vergleiche Spiegel Online vom 8. Mai 2010)? Nachdem diese Probleme gelöst werden konn- ten, wurden, so glaube ich, in der Schura aufgrund Bitte schön, Herr Staatssekretär. der vereinbarten bzw. angekündigten Regelungen sowohl hinsichtlich der längerfristigen Leistungen Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim als auch der individuellen Ex-gratia-Leistungen alle Bundesminister der Verteidigung: wesentlichen Fragen beantwortet. Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin Keul, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Bun- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: desregierung hat nie einen Zweifel daran gelas- Nachfrage? – Bitte schön, Frau Kollegin. sen, aus Anlass des Luftangriffs der NATO vom Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 4174 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, nun ist es ja Danke schön. – Eine Nachfrage der Kollegin so, dass die Betroffenen, die Opfer und die Ange- Beck. hörigen, in den letzten neun Monaten von ver- schiedensten Seiten – von afghanischen Stellen, Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE von Nichtregierungsorganisationen und auch vom GRÜNEN): Roten Kreuz – immer wieder befragt worden sind. Herr Staatssekretär, es ist in dieser langen Arie Verspricht sich die Bundesregierung durch diese immer wieder hin- und hergegangen, ob die Betrof- nochmalige Befragung nach über neun Monaten fenen vor Ort Geldleistungen oder Projekte begrü- neue Erkenntnisse hinsichtlich der Identifizierung ßen würden. Konnte diese Frage in der Schura mit der Toten und Verletzten? den Betroffenen und ihren Vertretern geklärt wer- den? Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Wir haben sehr viel Hilfe und Unterstützung bei Bundesminister der Verteidigung: der Identifizierung sowohl der Toten und Verletzten Die Abstimmung über die geplanten Verfahren als auch ihrer Angehörigen und bei der Aufklärung wird in einer Fortsetzung der Schura am 22. Mai der Hintergründe der Betroffenen erhalten. Aller- stattfinden. Soweit es sich bisher abzeichnet, geht dings wurde die Identifizierung durch die Vielzahl es dabei sowohl um individuelle Ex-gratia- der Informationen in der Tat teilweise erschwert. Zahlungen und -Leistungen als auch um mittel- Ich sage nicht kritisierend, sondern feststellend und langfristige Projekte, die dann in der Bundes- und eher beschreibend, dass wohl nicht alle Listen regierung unter Federführung des Bundes- übereingestimmt haben. Deswegen war es unsere ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit Intention, sowohl anhand der Listen des IKRK als und Entwicklung und des Auswärtigen Amtes an- auch anhand der Listen des AIHRC, des unabhän- gesiedelt sein sollen. Beides soll das Ziel sein. gigen Menschenrechtskomitees, eine Revision Wir legen nach all den Erfahrungen, die wir in durchzuführen, wenn Sie so wollen, um zu sehen, den letzten neun Monaten sammeln konnten, gro- inwieweit wir zielgerichtet an die richtigen Betroffe- ßen Wert darauf, dass die lokalen afghanischen nen herangetreten sind. Dabei ging es uns vor al- Autoritäten mit einbezogen werden. Das ist auch lem um die Betroffenen, die bei den Intentionen, Gegenstand der Beratungen in der Schura gewe- die mit der Zivilbevölkerung nichts zu tun haben, sen. Die individuellen Zahlungen werden allerdings nicht berücksichtigt wurden. auf Wunsch der Betroffenen teilweise in direkter Abwicklung ohne Einschaltung afghanischer Auto- Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ritäten erfolgen. Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, ich möchte Sie abschließend fragen, ob Sie mir recht geben, Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: dass es, wenn diese Befragung seitens der Bun- Weitere Nachfrage. desregierung zeitnah nach dem Vorfall erfolgt wä- re, möglicherweise einfacher gewesen wäre, zu- Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE verlässige Listen zu erstellen und die Toten zu GRÜNEN): identifizieren. Herr Staatssekretär, ich würde außerdem gerne wissen, ob es auch eine Kooperation mit IOM ge- Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim ben wird, die familienbezogene Sachleistungen an Bundesminister der Verteidigung: betroffene Familien liefert. Frau Kollegin, eine zeitnahe Entscheidung ist immer die beste. Mir liegt aber doch daran, deut- Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim lich zu machen, dass das kein schuldhaftes Ver- Bundesminister der Verteidigung: säumnis war. Daran ist gedacht. Die IOM ist in die Schura mit Unter Bezugnahme – wenn Sie das gestatten – einbezogen gewesen. Das halten wir für einen auf Ihre und meine Profession als Anwalt sage ich, Weg, der Zielsicherheit gewährleistet, damit die dass der Umstand, dass anwaltliche Vertretungen Leistungen auch diejenigen erreichen, für die sie mit eingeschaltet sind, nicht immer zu einer Be- gedacht sind. Das ist ein sehr großes Pfund, mit schleunigung von Entscheidungen führt; ich lasse dem wir wuchern könnten und sollten. Über die diese allgemeine Beobachtung einmal so im Rau- genaue Ausgestaltung ließe sich, wie gesagt, erst me stehen. nach dem 22. Mai berichten. Wir hatten auch mit Fragen zu kämpfen, die Herr Präsident, wenn es gestattet ist, möchte nicht unmittelbar mit der Identifizierung der Einzel- ich, ohne eine Zusatzfrage zu beantworten, die nen zu tun hatten. Gelegenheit wahrnehmen, mich für das sehr inten- sive Engagement von Frau Kollegin Beck in der Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Verfolgung dieser Angelegenheit, die uns in der Tat vor manche ungeahnten Schwierigkeiten ge- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4175 stellt hat, zu bedanken. Das ist eine dem Haus, desregierung nicht unmittelbar Einfluss, auch nicht dem Parlament und der Bundesregierung und da- darauf, inwieweit die beiden hier in Rede stehen- mit auch unserem Lande sehr förderliche Tätigkeit den Denkmale für das Publikum zugänglich sind. gewesen. Ich sage Ihnen allerdings zu, Herr Kollege Seifert, dass wir das zum Anlass nehmen werden, bei der nächsten Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE Bund-Länder-Besprechung zur Kriegsgräberfinanzie- GRÜNEN): rung das Thema „Barrierefreiheit bei Kriegsgräberge- Herr Präsident, darf ich kurz antworten, dass ich denkstätten und Ehrenmalen“ als eigenen Tagesord- zwar nicht für dieses Lob in die Fragestunde ge- nungspunkt vorzusehen. kommen bin, mich aber trotzdem bedanke. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Nachfrage? – Bitte, Kollege Seifert. Das nehmen wir mit Fassung hin. Damit ist dieser Geschäftsbereich beendet. Die Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Frage 30 des Kollegen Kai Gehring wird schriftlich Herr Staatssekretär, erst einmal vielen Dank für beantwortet. die Zusage. Ich würde mich freuen, wenn daraus auch Schlussfolgerungen gezogen würden. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bun- desministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Ich danke Ihnen übrigens besonders dafür, dass Jugend. Die Frage 31 des Kollegen Kai Gehring, Sie im Namen der Bundesregierung antworten. Ich die Frage 32 der Kollegin Caren Marks, die Fragen habe nämlich vermutet, dass das Thema in den 33 und 34 der Kollegin Britta Haßelmann und die Geschäftsbereich des Beauftragten der Bundesre- Frage 35 des Kollegen Christian Lange werden gierung für Kultur und Medien fällt und dass dieser schriftlich beantwortet. antwortet. Damit kommen wir zu Frage 36 des Kollegen Ilja Da Sie nun namens der Bundesregierung ant- Seifert: worten, möchte ich Sie fragen, wie das denn sein Warum hat die Bundesregierung nicht dafür gesorgt, kann; denn auch nach Landesbaurecht ist dass mit der mit Bundesmitteln erfolgten Restaurierung Barrierefreiheit vorgeschrieben. Wir brauchen von sowjetischer Gedenkstätten in Berlin-Tiergarten und hier aus nur fünf Minuten bis zum Sowjetischen Berlin-Treptow gleichzeitig Barrierefreiheit geschaffen Ehrenmal. Zum 65. Jahrestag der Befreiung vom wurde (siehe Antworten der Bundesregierung zu mei- nen schriftlichen Fragen 103 und 104 auf Bundestags- Faschismus am 7. Mai dieses Jahres wurden dort drucksache 17/1645), und was wird die Bundesregie- wieder Kränze niedergelegt. Auch ich hätte gern rung tun, um in diesen und gegebenenfalls weiteren eine Blume niedergelegt. Ich konnte das nicht tun, sowjetischen Gedenkstätten in Deutschland künftig weil dort Treppen sind. Leider war kein einziges auch Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen, den für die Befreiung Deutschlands vom Faschismus Mitglied der Bundesregierung dort, das die fehlen- gefallenen Sowjetsoldaten zu gedenken? de Barrierefreiheit hätte feststellen können. Bitte schön, Herr Staatssekretär Kues. Ich finde schon, dass die Antwort auf meine vorhergehende Frage – Sie sagten, das sei sozu- Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei sagen nicht nötig – anders hätte ausfallen können. der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei Die Errichtung und Pflege von Gedenkstätten der Bundesministerin für Familie, Senioren, und Denkmalen fallen in die Kulturhoheit der Bun- Frauen und Jugend: desländer. In Art. 18 des deutsch-sowjetischen Ich kann nur wiederholen: Wir stehen ausdrück- Nachbarschaftsvertrages vom 9. November 1990 lich dazu, dass diese Gedenkstätten in besonderer ist allerdings vereinbart worden, dass die auf deut- Weise auch in der Verantwortung des Bundes schem Boden errichteten Denkmale, die den sow- sind. Aber es ist so, dass das jeweilige Bundes- jetischen Opfern des Krieges und der Gewaltherr- land – in diesem Fall das Bundesland Berlin – für schaft gewidmet sind, geachtet, erhalten und ge- die Umgestaltung zuständig und verantwortlich ist. pflegt werden. Auch wenn das primär eine Auf- Ich sage ausdrücklich zu, dass wir das bei der gabe der Bundesländer ist, ist in diesem Fall we- nächsten Sitzung ansprechen werden. Ich nehme gen der herausragenden Bedeutung dieser Eh- an, dass das Thema nicht richtig berücksichtigt renmale in der deutschen Hauptstadt der Bund für worden ist. Anders kann ich mir das nicht erklären. die bauliche Grundsanierung der Gedenkstätten Berlin-Treptow und Berlin-Tiergarten verantwortlich Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): und hat hierfür auch Fördergelder zur Verfügung Darf ich, Herr Staatssekretär, wenn Sie das an- gestellt. Diese Baumaßnahmen werden allerdings sprechen, davon ausgehen, dass das dann auch von Berlin nach Landesbaurecht und unter Be- für alle weiteren Ehrenmale und Gedenkstätten für rücksichtigung der denkmalpflegerischen Aspekte die Alliierten des Zweiten Weltkrieges gilt? geplant und durchgeführt. Darauf nimmt die Bun- 4176 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei zurzeit noch einer rechtlichen Prüfung. Die Überwa- der Bundesministerin für Familie, Senioren, chung der Einhaltung datenschutzrechtlicher Anforde- Frauen und Jugend: rungen erfolgt durch den Datenschutzbeauftragten der Ich kann Ihnen nur zusagen, dass wir es an- Stiftung. sprechen werden. Ich kann Ihnen nicht zusagen, dass das auch eingehalten wird, weil nicht wir es Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: konkret sind, die dafür verantwortlich sind. Insofern Nachfrage? – Bitte. würde ich Ihnen etwas versprechen, was ich Ihnen gar nicht versprechen kann. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE):

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Erst einmal vielen Dank für die Antwort. – Ich will die Wir kommen zur Frage 37 – sie wird auch vom Frage der Vorstandsprotokolle jetzt einmal außer Acht Kollegen Seifert gestellt –: lassen. Mir geht es insbesondere um die persönlichen bzw. personenbezogenen Daten zu Behinderungen oder Welche Regelungen gibt es hinsichtlich der Aufbe- wahrung sowie der Zugänglichkeit der Akten und elekt- Krankheiten der einzelnen betroffenen Conterganopfer. ronischen Daten von/über Contergangeschädigte sowie Es ist sehr stark zu vermuten, dass die Firma Grünenthal der Stiftung selbst bei der Conterganstiftung für die Be- bzw. eine Tochter- oder eine Nachfolgefirma und deren troffenen, die Mitglieder von Gremien der Stiftung sowie Wissenschaftler Zugang zu den personenbezogenen Da- für die Firma Grünenthal GmbH? ten haben oder zumindest hatten; ich meine nicht nur Bitte schön, Herr Staatssekretär. die elektronisch verfügbaren Daten, sondern auch das, was früher auf Papier festgehalten wurde. Können Sie Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei das ausschließen? der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Ich will darauf gern antworten. – Der Stiftungs- Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei vorstand hat bereits im Jahr 2006 Richtlinien zur der Bundesministerin für Familie, Senioren, Aufbewahrung von Akten und sonstigem Schriftgut Frauen und Jugend: der Conterganstiftung beschlossen. Man hat also Ich kann das grundsätzlich ausschließen, was Regelungen vereinbart. Sie gelten auch für die die Firma Grünenthal angeht. Ich habe eben ge- elektronischen Datenbestände. Sie orientieren sich sagt, wer aus welchen Gründen Zugriff hat: Behör- im Wesentlichen am Bundesdatenschutzgesetz. den, bestimmte Einrichtungen, der Bundesrech- Bislang wurden noch keine Unterlagen vernich- nungshof und natürlich die medizinische Kommis- tet. Unterlagen, die die Stiftung selbst betreffen, sion, die sich gegebenenfalls personenbezogene zum Beispiel zur Errichtung der Stiftung, Vor- Daten ansehen muss, weil sie zu entscheiden hat. stands- und Stiftungsprotokolle usw., werden ohne Die Firma Grünenthal hat – das sage ich ausdrück- Frist aufbewahrt. lich – keinen Zugang zu diesen Daten. Der Zugang zu den Akten und zu den elektroni- schen Daten ist reglementiert. Zunächst einmal hat Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): jeder Leistungsberechtigte das Recht auf Einsicht Ist es auch garantiert, dass niemand von der in seine eigene Akte. Außerdem haben Aktenzu- Firma Grünenthal in der medizinischen Kommissi- griff sowohl das Familienministerium im Rahmen on sitzt? der Rechtsaufsicht als auch der Bundesrech- nungshof im Rahmen von Prüfungen. Auf Akten Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei und Daten Leistungsberechtigter haben Mitarbeiter der Bundesministerin für Familie, Senioren, der Geschäftsstelle sowie mit der Verwahrung be- Frauen und Jugend: auftragte Personen Zugriff. Weiterhin erhält der Herr Kollege Seifert, Informationen, die an einen Vorstand im Rahmen seiner Geschäftsführung begrenzten Personenkreis gegeben werden, unter- personenbezogene Informationen. Im Fall von liegen natürlich der Vertraulichkeit. Ich gehe davon Neu- und Revisionsanträgen erhält die medizini- aus, dass die Vertraulichkeit eingehalten wird. sche Kommission auch personenbezogene Infor- Wenn Sie anderer Auffassung sind, müsste man mationen. Sofern Unterlagen von Antragstellern das an geeigneter Stelle thematisieren. Prinzipiell oder Leistungsberechtigten aus dem Ausland zu ist die Firma Grünenthal davon ausgeschlossen. übersetzen sind, werden diese Dokumente an den Sprachendienst der KfW gegeben. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Die Firma Grünenthal hat weder zu den Akten Danke schön. noch zu den elektronischen Daten Zugang. Die Fragen 38 und 39 der Kollegin Erika Stein- Die Protokolle der Sitzungen des Stiftungsrats sind für bach werden schriftlich beantwortet, genauso wie die Gremienmitglieder zugänglich und, soweit kein an- die Fragen 40 und 41 der Kollegin Marlies Volkmer derer Beschluss des Stiftungsrats vorliegt, grundsätzlich zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für öffentlich. Der Status der Vorstandsprotokolle unterliegt Gesundheit. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4177

Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Das beantworte ich wie folgt: Wir sehen dieses Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadt- Geschehen nicht gelassen. Wir beobachten das entwicklung. Zur Beantwortung steht der Parla- sehr genau und sehen auch die Probleme, die mentarische Staatssekretär Enak Ferlemann zur damit verbunden sind. Allerdings ist die Recht- Verfügung. sprechung in dieser Frage bisher sehr eindeutig. In der juristischen Fachliteratur wird das sehr diffe- Ich rufe die Frage 42 des Kollegen Friedrich renziert gesehen, wie Sie sicherlich wissen. Die Ostendorff auf: entscheidende Frage ist, wann die Gerichte gege- Ist es richtig, dass es sich bei § 35 Abs. 1 Nr. 4 des benenfalls ihre Rechtsprechung verändern. Derzeit Baugesetzbuchs, BauGB, um einen Auffangtatbestand für atypische Fälle handelt, die in § 35 Abs. 1 Nr. 1 ist es obergerichtlich so entschieden. Wir sehen BauGB nicht erfasst sind? das Ganze aber mit einer gewissen Sorge und be- obachten sehr genau. Bitte, Herr Staatssekretär.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Eine weitere Nachfrage. Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und Herren! Geschätzter Kollege Ostendorff, Ihre NEN): Frage nach der Privilegierung gemäß § 35 und da- Dies können wir nun abschließen; denn dazu nach, ob es sich dabei um einen Auffangtatbe- haben wir eine Gesetzesnovelle in das Hohe Haus stand für atypische Fälle handelt, beantworte ich eingebracht, über die wir beraten werden. wie folgt: Anders als die Privilegierungstatbestände Meine zweite Nachfrage lautet: Wie schätzt die nach Nrn. 1 bis 3 und 5 bis 7 des § 35 Abs. 1 des Bundesregierung es ein, dass diese neuen „Mas- Baugesetzbuches, in denen jeweils eine bestimm- sentierhaltungsstallungen“, die in der Praxis übli- te Funktion des Vorhabens bezeichnet wird, zum cherweise mit Sondergenehmigungen errichtet Beispiel einem land- oder forstwirtschaftlichen Be- werden, sehr häufig weit weg von den eigentlichen trieb oder der energetischen Nutzung von Biomas- landwirtschaftlichen Betrieben im Außenbereich, se dienend, stellt Nr. 4 darauf ab, ob die Verwirkli- mitten in der Landschaft – 500 bis 1 000 Meter chung des Vorhabens im Außenbereich geboten sind keine Seltenheit –, stehen? Wird auch dieses ist. Im Hinblick auf das gesetzgeberische Ziel des Geschehen von Ihnen mit Sorge beobachtet? § 35 des Baugesetzbuches, den Außenbereich vor einer unangemessenen Inanspruchnahme zu Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim schützen, ist Nr. 4 nach der Rechtsprechung des Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadt- Bundesverwaltungsgerichts eher eng auszulegen. entwicklung: Das kann ich bestätigen. Auch das sehen wir Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: so. Allerdings haben wir mit der letzten Novellie- Herr Kollege. rung des Baugesetzbuches Tatbestände einge- führt, die den Gemeinden Handlungsfreiheit ge- Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ben. Das heißt: Über die Erstellung von Fläche- NEN): nnutzungsplänen kann man sogenannte besonde- Angesichts von 62 000 schweinehaltenden Be- re Gebiete ausweisen, in denen solche Stallanla- trieben und 9 000 Geflügelmastbetrieben, die die gen möglich sind, die den Ausschlusscharakter für Statistik 2007 ausweist, stellt sich die Frage: Was alle anderen Gebiete in der Gemeindefläche ha- heißt „eng auszulegen“, wenn 80 Prozent der Ge- ben. Damit haben die Kommunen nach unserer flügelmastbetriebe nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 – das ist Auffassung – das kam damals in der Gesetzesbe- der Auffangtatbestand für atypische Fälle – ge- ratung zum Ausdruck – eine gute Steuerungsmög- nehmigt werden, und zwar gerade in den westli- lichkeit erhalten. Gleichwohl ist uns bekannt, dass chen Bundesländern? Ich darf das eben erklären: viele Kommunen trotzdem Schwierigkeiten haben, Es geht um die Flächenknappheit der Betriebe. das anzuwenden. Wir werden das bei der neuen Normalerweise gilt eine Flächenbindung in der Novelle des Baugesetzbuches beraten und über- Tierhaltung. Aber in den westlichen Bundeslän- prüfen. dern, in denen Flächen eher knapp sind, geneh- migt man sehr häufig nach § 35 Abs. 1 Nr. 4. Wie Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: bewertet die Bundesregierung das? Beobachten Gibt es noch eine Nachfrage? – Bitte schön. Sie das mit Sorge, oder sehen Sie dieses Ge- schehen gelassen? Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist oft so, dass diese Betriebe nicht von den Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Kommunen gewollt werden. Ich kann das von mei- Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadt- nem Wahlkreis sagen. Es sind landwirtschaftliche entwicklung: Betriebe, die dort bauen. Ich bitte Sie um eine kla- 4178 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 re Auskunft darüber, wie Sie die Entwicklung zu Die Verantwortung für die sichere Durchführung steuern gedenken, gerade weil die Kommunen des Fluges sowie die Einhaltung der Sicherheits- diese Entwicklung nicht befördern. mindesthöhen bzw. der Mindesthöhe bei Überland- flügen nach Sichtflugregeln trägt nach § 6 der Luft- Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim verkehrs-Ordnung der Luftfahrzeugführer bzw. der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadt- Pilot. entwicklung: Gegenüber einem Dritten haftet im konkreten Natürlich bauen die Kommunen nicht die Stal- Schadensfall grundsätzlich der Halter des Luftfahr- lungen. Es wäre ein tolles Ding, wenn die Kommu- zeugs gemäß §§ 33 ff. Luftverkehrsgesetz für den nen in der Landwirtschaft aktiv werden würden. angerichteten Schaden. Für Personen und Sachen Die Kommunen können über die Bauleitplanung an Bord des Luftfahrzeugs haftet der jeweilige Luft- steuern. Das Baugesetzbuch bietet die Möglich- frachtführer gemäß §§ 44 ff. Luftverkehrsgesetz. keit, bestimmte Flächen für eine solche intensive Halter und Luftfrachtführer sind zumeist eine Per- Nutzung festzusetzen, die dann Aus- son. Sie können jedoch auch auseinanderfallen. schlusscharakter für den Rest des Gemeindege- Regelmäßig ist es aber das Luftfahrtunternehmen, bietes haben. Die Kommunen tun sich naturgemäß das für den Schaden einzutreten hat. Ein mögli- schwer, bestimmte Flächen dafür festzusetzen, cher Regress des Luftfahrtunternehmens gegen- was dazu führt, dass es keinen Ausschlusscharak- über dem Luftfahrzeugführer bzw. dem Piloten un- ter gibt. Damit hat man praktisch die Privilegierung. terliegt keinen besonderen gesetzlichen Regelun- Dann wird nach dem Bundes- gen. Immissionsschutzgesetz und anderen rechtlichen Regelungen entschieden. Ein Anspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die Zulassung von Das Problem ist uns bekannt, übrigens auch mir Sichtflugverkehr für Luftfahrzeuge mit Strahltrieb- selber aus meinem eigenen Wahlkreis. Deswegen werken in niedrigen Flughöhen käme nur dann in werden wir bei der Novellierung des Baugesetzbu- Betracht, wenn hierin eine Amtspflichtverletzung ches auch prüfen, ob wir hier die rechtlichen Rah- nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 des menbedingungen ändern müssen; denn auch wir Grundgesetzes zu sehen wäre. sehen diese Entwicklung mit Sorge. Uns sind die Berichte nicht unbekannt, die besagen, wie in ein- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: zelnen Gemeinden zum Teil die gesamte Dorfge- Nachfrage? meinschaft über die Frage gespalten wird, ob, wie und wo man ansiedeln soll. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Vielen Dank, Herr Präsident. Vielen Dank, Herr Danke. – Wir kommen damit zur Frage 43 des Staatssekretär, für die Beantwortung. – Meine ers- Kollegen Anton Hofreiter: te Nachfrage ist: Wie kam es während des Aus- Wie beurteilt die Bundesregierung die von der DFS stoßes der Vulkanasche oder der Verunreinigung Deutschen Flugsicherung GmbH wie auch von Piloten der Lufthansa geäußerten erheblichen Sicherheitsbe- im Luftraum, wie auch immer man es nennen mag, denken gegen die Genehmigung von Sichtflügen Mitte zu der massenhaften Genehmigung von Sichtflü- April dieses Jahres durch die Flugaufsicht, und wer gen? Wer hat da jeweils die Verantwortung über- trägt die Verantwortung für Schadensfälle bei den ge- nommen? nehmigten Sichtflügen, beispielsweise aufgrund sehr geringer Flughöhen? Herr Staatssekretär. Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung: Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Ich habe in meiner Antwort auf Ihre Frage be- Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadt- reits auf die Verantwortlichkeiten hingewiesen. entwicklung: Wenn der Luftraum so weit frei ist, dass Flüge ve- Herr Kollege Hofreiter, ich beantworte Ihre Fra- rantwortbar sind, dann sagt unsere Luftverkehrs- ge wie folgt: Flüge nach Sichtflugregeln sind behörde, dass sie zulässig sind. Die Entscheidung grundsätzlich zulässig. Sie setzen jedoch voraus, darüber, ob geflogen wird, treffen aber letztendlich dass die Bestimmungen der Luftverkehrs-Ordnung nicht unsere Behörden, sondern unter anderem hinsichtlich der Sichtflugbedingungen, der Einhal- der Pilot. tung der Sicherheitsmindestflughöhen und der an- zuwendenden Betriebsvorschriften der EU-OPS 1 Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- eingehalten sind. Sichtflüge im kontrollierten Luft- raum setzen daher gute Sichtverhältnisse sowie NEN): eine geringe Inanspruchnahme des Luftraums vo- Meine Frage war vielleicht nicht präzise genug. raus. Sollte die Verkehrssituation es nicht zulas- Wer hat letztendlich die Verantwortung für die sen, kann die Flugsicherung Freigaben für ent- Ausnahmegenehmigungen übernommen? Es ist ja sprechende Flüge verweigern. eine große Anzahl gewerblicher Flugzeuge über Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4179

14 Tonnen unterwegs gewesen, für die eine Sicht- Stopp des Marktanreizprogramms im Moment still- fluggenehmigung nicht erteilt werden durfte; dafür steht. Nach meinen Informationen aus der Branche ist eine Ausnahmegenehmigung erforderlich. und auch von Antragstellern gibt es praktisch keine Investitionen mehr in diesem Bereich, weil nie- Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim mand weiß, ob die Förderung irgendwann fortge- Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadt- führt wird oder ob sie dauerhaft eingestellt ist. Mei- entwicklung: ne Frage ist: Was tun Sie, um diese – ich glaube, Das ist mir so im Einzelnen nicht bekannt. Ich das ist völlig unstrittig – missliche Situation in ir- würde die Frage gerne schriftlich beantworten, um gendeiner Weise aufzulösen, damit hier nicht eine die Antwort korrekt geben zu können. komplette Branche vor die Wand gefahren wird?

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Danke schön. – Die Frage 44 des Kollegen Hof- Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und reiter wurde zurückgezogen. Reaktorsicherheit: Wir werben nach wie vor beim Bundesfinanzmi- Damit sind wir beim Geschäftsbereich des Bun- nisterium darum, die Mittel zu entsperren, weil wir desministeriums für Umwelt, Naturschutz und Re- in der Tat der Auffassung sind, dass das Pro- aktorsicherheit. Zur Beantwortung steht Kollegin gramm sehr erfolgreich ist. Beim BAFA wurden Parlamentarische Staatssekretärin Katherina Rei- mittlerweile 22 000 Anträge eingereicht, die wir che zur Verfügung. momentan nicht bedienen können. Weil wir davon Die Frage 45 des Kollegen Michael Groß und überzeugt sind, dass das Marktanreizprogramm die Fragen 46 und 47 des Kollegen Ulrich Kelber das Herzstück unserer Strategie für erneuerbare werden schriftlich beantwortet. Wärme ist, werden wir unsere Verhandlungen mit dem Bundesfinanzministerium fortsetzen. Damit sind wir bei den Fragen des Kollegen Oli- ver Krischer. Ich rufe die Frage 48 auf: Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Befürwortet die Bundesregierung die Forderungen vom Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Re- Eine weitere Nachfrage? – Bitte schön. aktorsicherheit, Dr. Norbert Röttgen, und dem Vizevor- sitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dr. Christian Ruck – die letzte Woche in der Presse zu lesen waren – zur Aufhebung der Haushaltssperre für Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei diesen Ver- das Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien, handlungen im Sinne der Sache, damit wir da zu und, falls nicht, mit welchen alternativen Instrumenten einem Ergebnis kommen. – Sie sprachen eben will sie das im IEKP – Integriertes Energie- und Kli- von alternativen Finanzierungsinstrumenten, über maprogramm – formulierte Ziel erreichen, bis zum Jahr 2020 14 Prozent des Wärmebedarfs aus erneuerbaren die nachgedacht werde für den Fall, dass man mit Energien zu decken? den Einnahmen aus dem Emissionshandel nicht vorankommt. Welche Instrumente könnten das Bitte schön, Frau Staatssekretärin. sein?

Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Reaktorsicherheit: Danke, Herr Präsident! – Herr Kollege Krischer, Ich habe nichts von alternativen Finanzierungs- das Bundesumweltministerium hat am 26. April elementen gesagt. Klar ist, dass wir das dieses Jahres beim Bundesministerium der Finan- Marktanreizprogramm aus den Einnahmen des zen einen Antrag auf Entsperrung der Haushalts- Zertifikatehandels finanzieren. Das ist unsere Ein- mittel gestellt. Die dafür im Rahmen der parlamen- nahmequelle. Die Mittel sind im Vergleich zum tarischen Beratungen zum Haushalt 2010 formu- Vorjahr zurückgegangen. Gleichwohl sind wir lierte Voraussetzung, wonach die erwarteten Ein- überzeugt, dass das Programm ausfinanziert wer- nahmen des Bundes aus dem Handel mit CO2- den muss. Deshalb sind wir in Verhandlungen mit Emissionszertifikaten realisierbar sein müssen, dem Bundesfinanzministerium und werden von liegt derzeit nicht vor. Überlegungen zu alternati- Fachpolitikern – weit über die Kreise der Koalition ven Instrumenten zur Erhöhung des Anteils erneu- hinaus; da können Sie unbesorgt sein – unter- erbarer Energien im Wärmemarkt existieren derzeit stützt. nicht.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, bitte. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wir kommen damit zur Frage 49 des Kollegen Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oliver Krischer: Die Situation ist ja so, dass der gesamte Bereich Wann plant die Bundesregierung, ein CCS-Gesetz – Carbon Dioxide Capture and Storage – im Kabinett zu erneuerbarer Wärme durch den vollständigen beschließen bzw. in den Bundestag einzubringen, und 4180 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

handelt es sich dabei um ein Gesetz für einzelne De- Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): monstrationsprojekte – bitte aufschlüsseln nach Anla- Treffen Informationen, die ich der Presse ent- gen – oder um einen allgemeinen gesetzlichen Rahmen für den Einsatz von CCS? nommen habe, zu, dass die Bundesregierung plant, um die Akzeptanz in betroffenen Regionen Bitte schön. und Ländern zu erhöhen, dort Ausgleichszahlun- gen, in welcher Form auch immer, zu leisten? Ist Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim das Gegenstand der Diskussionen innerhalb der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Bundesregierung im Rahmen der Erarbeitung die- Reaktorsicherheit: ses Gesetzentwurfes? Herr Kollege Krischer, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Bundesregierung plant, das Gesetz- Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim gebungsverfahren im Hinblick auf ein Gesetz zur Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Regelung von Abscheidung, Transport und dauer- Reaktorsicherheit: hafter Speicherung von Kohlendioxid, kurz CCS- Da wir uns mitten in der Erarbeitung des Ge- Gesetz, noch in diesem Jahr abzuschließen. setzentwurfes befinden, kann ich Ihnen nicht kon- kret sagen, ob diese Frage überhaupt und, wenn Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ja, wie sie beantwortet werden kann. Fakt ist aber Eine Nachfrage? – Bitte. – das entnehme ich Ihrer Frage –, dass wir ein derartiges Vorhaben nicht ohne die Akzeptanz vor Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ort umsetzen können; in diesem Fall bedeutet Sie sagten gerade: noch in diesem Jahr abzu- „wir“ nicht die Bundesregierung oder das Parla- schließen. Ich hatte Sie allerdings nach der Ein- ment, sondern Unternehmen, die ein solches Vor- bringung gefragt. Wann können wir mit einem Ka- haben planen. binettsbeschluss bzw. einem in der Bundesregie- Insofern ist es wichtig, mit größtmöglicher rung abgestimmten Gesetzentwurf rechnen? Ich Transparenz vorzugehen und das Vorhaben zu er- entnehme der Presse, dass es entsprechende Ge- klären. Dieser Beitrag kann und muss insbesonde- spräche und Diskussionen gibt. Die Verab- re seitens der Politik geleistet werden, aber nicht schiedung eines solchen Gesetzentwurfes wäre nur. Dazu müssen auch die Unternehmen, die da- Sache dieses Hauses. Vor diesem Hintergrund ran Interesse haben – das sind nicht nur Energie- wiederhole ich meine Frage: Wann können wir mit versorger, sondern auch Unternehmen des produ- der Einbringung eines solches Gesetzentwurfes zierenden Gewerbes –, ihren Beitrag leisten. Wir bzw. mit einer Beschlussfassung im Kabinett rech- sind sehr froh, dass auch die wissenschaftlichen nen? Erkenntnisse, die im Geoforschungszentrum in Ketzin gewonnen werden, einen Beitrag leisten, Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Fragen, die die Bürgerinnen und Bürger haben, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und wissenschaftlich fundiert zu beantworten. Reaktorsicherheit: Sie haben völlig richtig dargestellt, dass zurzeit Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Gespräche zwischen den beiden federführenden Danke schön. Ressorts, dem Bundesumweltministerium und dem Bundeswirtschaftsministerium, stattfinden. Wir wol- Die Fragen 50 und 51 des Hollegen Hermann len allerdings sorgfältig vorgehen, weil wir in der Scheer werden schriftlich beantwortet, ebenso die letzten Legislaturperiode die Erfahrung gemacht Frage 52 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl und auch haben, dass unser Gesetzentwurf nicht die not- die Fragen 53 und 54 des Kollegen Hans-Josef wendige Akzeptanz in der Bevölkerung gefunden Fell. hat und dass Fragen offengeblieben sind. Deshalb Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des nehmen wir uns jetzt die notwendige Zeit. Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Wir wissen allerdings auch, dass wir die EU- Der Parlamentarische Staatssekretär Helge Braun Richtlinie in einem bestimmten Zeitrahmen umset- steht für die Beantwortung der Fragen zur Verfü- zen müssen. Deshalb wollen wir zügig, aber sorg- gung. fältig vorgehen. Dazu zählt, dass wir alle einzelnen Die Fragen 55 und 56 des Kollegen René Schritte – die Frage, wann sie im Kabinett behan- Röspel werden schriftlich beantwortet, ebenso die delt werden, kann ich Ihnen jetzt seriöserweise Frage 57 des Kollegen Christian Lange. nicht beantworten – noch in diesem Jahr abschlie- ßen. Dabei den Deutschen Bundestag ein- Damit kommen wir zur Frage 58 der Kollegin zubeziehen, heißt auch, dass man Fristen beach- Daniela Kolbe: ten muss. Insofern wissen wir, dass wir zügig ar- Wie viele Hauptschüler/-innen plant die Bundesre- beiten müssen. Das tun wir auch. gierung in ihrem angekündigten Bildungslotsenpro- gramm einem einzelnen ehrenamtlich tätigen Lotsen zur Betreuung anheimzugeben? Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Bitte schön, Herr Staatssekretär. Bitte schön. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4181

Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Für die ehrenamtlichen Tätigkeiten wird insbe- Bundesministerin für Bildung und Forschung: sondere eine lange Erfahrung mit der gewerblich- Sehr geehrte Frau Kollegin Kolbe, neben dem technischen Wirtschaft erwartet. Hier sind Meister Einsatz hauptamtlicher, pädagogisch qualifizierter und Ingenieure aus Handwerks- und Industrieun- Mitarbeiter ist im Zuge dieser Initiative auch vorge- ternehmen besonders zu berücksichtigen. Die eh- sehen, weitere 1 000 sogenannter Senior Experts renamtlich Tätigen werden allerdings zunächst im zur Betreuung einzusetzen. Diese sind bedarfsori- Rahmen einer Weiterbildung mit einem spezifisch entiert insbesondere zur Betreuung von Jugendli- auf die Aufgabe ausgerichteten Curriculum gezielt chen, die in eine Ausbildung übergegangen sind, für die Mentorenaufgabe geschult. vorgesehen, und zwar mit dem Ziel einer Stabili- sierung des Ausbildungsverhältnisses, wenn die- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ses bedroht sein sollte. Vorgesehen ist hier ein Be- Bitte schön, Frau Kollegin. treuungsschlüssel von eins zu eins. Ich diesem Zusammenhang würde ich gerne Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD): auch die Frage 59 der Kollegin Kolbe beantworten. Vielen Dank für die Beantwortung der Frage. – Zunächst einmal möchte ich sagen: Ich begrüße Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: es sehr, dass die Bundesregierung diese Schritte Dann rufe ich auch die Frage 59 der Kollegin macht. Insbesondere halte ich das Betreuungsver- Daniela Kolbe auf: hältnis von eins zu eins bei den Ehrenamtlichen für Welche pädagogischen Anforderungen sollen der bemerkenswert. Wenn ich Sie richtig verstehe, be- Bundesregierung zufolge die angekündigten Bildungs- deutet das: Jeder Ehrenamtliche betreut eine Per- lotsen erfüllen, um zur Betreuung von Hauptschülern/- son. schülerinnen zugelassen zu werden? Sie haben konkrete Zahlen dazu genannt, wie Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der viele junge Menschen Sie insgesamt betreuen las- sen wollen. Das Betreuungsverhältnis bei den Eh- Bundesministerin für Bildung und Forschung: renamtlichen hat natürlich Auswirkungen auf das Die Voraussetzung für den Erfolg von Berufsein- Betreuungsverhältnis bei den Hauptamtlichen. stiegsbegleitung ist fachlich qualifiziertes Personal. Können Sie Aussagen dazu machen, wie viele Be- Unsere Berufseinstiegsbegleiter sollten daher fest rufseinsteiger ein hauptamtlich Tätiger zu betreuen angestellte Arbeitnehmer sein, die aufgrund ihrer hat und wie die Zusammenarbeit ablaufen soll? Berufs- und Lebenserfahrung für die Begleitung förderungsbedürftiger Jugendlicher besonders ge- eignet sind. Für den Berufseinstiegsbegleiter sollte Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der ein Berufs- oder Studienabschluss erforderlich Bundesministerin für Bildung und Forschung: sein. Deshalb kämen insbesondere folgende Per- Bei den hauptamtlichen Betreuern gehen wir sonengruppen in Betracht: derzeit von einem Betreuungsschlüssel von etwa eins zu zwanzig aus. Die Arbeit soll so aussehen, Erstens Personen, die eine Qualifikation als dass es quasi vom Abschluss der Schule bis zu Meister, Techniker oder Fachwirt mit Ausbildereig- einem stabilen, funktionierenden Ausbildungsver- nungsprüfung ausweisen und innerhalb der letzten hältnis zu regelmäßigen Kontakten zwischen dem fünf Jahre über eine mindestens zweijährige Be- zu Betreuenden und dem Betreuer und zu rufserfahrung in der Arbeit mit Jugendlichen verfü- Sachstandsabfragen kommt. gen. Darüber hinaus muss innerhalb der letzten fünf Jahre eine praktische Erfahrung in den dualen Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ausbildungsberufen und eine mindestens einjähri- Weitere Nachfrage dazu? ge Führungserfahrung bzw. Ausbildungserfahrung nachgewiesen werden. Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD): Zweitens Personen, die eine Qualifikation als Ja. Sozialpädagoge bzw. ein abgeschlossenes Studi- um der Sozialpädagogik oder der Sozialarbeit Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: nachweisen und innerhalb der letzten fünf Jahre Bitte. über eine mindestens einjährige Berufserfahrung mit der Zielgruppe verfügen. Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD): Drittens Fach- und Führungskräfte, die aufgrund Können Sie vielleicht sagen, wie Sie es schaffen ihrer Berufserfahrung, ihrer guten Kontakte zur re- wollen, 1 000 Ehrenamtliche zu gewinnen? Die re- gionalen Wirtschaft und ihrer langjährigen Erfah- gionale Verteilung der 1 000 Ehrenamtlichen wird rungen mit der ehrenamtlichen Arbeit mit Jugendli- Sie vor eine logistische Herausforderung stellen; chen besonders geeignet erscheinen, im Einver- denn es gibt mehr als 1 000 Hauptschüler, die eine nehmen mit dem Auftraggeber solch eine Aufgabe solche Betreuung nötig hätten. Wie wollen Sie also wahrzunehmen. eine gerechte Verteilung der Ehrenamtlichen im Bundesgebiet sicherstellen? Wie wollen Sie dafür 4182 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 sorgen, dass die Ehrenamtlichen entsprechend Abschluss zu erringen und eine entsprechende geschult werden können? Ausbildungsreife zu erhalten, möglichst klein ist. Aber da es diese Gruppe gibt, ist es unsere Aufgabe, ihr Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der mit einem wirksamen Instrument zu helfen. Insofern Bundesministerin für Bildung und Forschung: soll auf keinen Fall der Eindruck entstehen, dass Bil- Wir haben dazu intensive Gespräche mit den dungslotsen die ganze Last des Bildungssystems zu tra- Kammern und verschiedenen Einrichtungen ge- gen haben. Vielmehr befindet sich ihre Aufgabe in ei- führt. Dabei haben wir aus den Bereichen, wo sol- nem guten Kontext mit anderen Maßnahmen. Es ist so – che Dinge schon modellhaft angeboten werden, das merke ich auch in den Diskussionen, die ich führe –, gehört, dass es gerade bei pensionierten Hand- dass die Anerkennung und die Wertschätzung der Bil- werksmeistern und bei den übrigen gerade von mir dungslotsen sowie die Bedeutung des Themas, junge angesprochenen Personengruppen eine große Be- Menschen erfolgreich in Ausbildung zu bringen, stei- reitschaft und ein großes Interesse gibt, so etwas gen. umzusetzen. Uns ist von den betreffenden Kam- mern signalisiert worden, dass sie davon ausge- In den letzten Jahren gab es zum Teil einen hen, dass sie Betreuer in dieser Anzahl, vielleicht Mangel an Ausbildungsplätzen. Wir haben festge- stellt, dass im letzten Jahr die Jugendarbeitslosig- sogar noch mehr, relativ leicht rekrutieren können. Da wir hier auf Strukturen zurückgreifen, die bun- keit in Deutschland trotz der Wirtschaftskrise um 11 Prozent gesunken ist. Das heißt, der demogra- desweit vorhanden sind, sollte uns das flächende- ckend gelingen. fische Wandel führt dazu, dass wir in Zukunft kei- nen Mangel an Ausbildungsplätzen haben, son- dern dass es eher einen hohen Bedarf an Bewer- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: bern geben wird. Deshalb hoffe ich, dass alle Be- Die Kollegin Kumpf hat dazu noch eine Nach- teiligten, einschließlich der öffentlichen Hand, und frage. die gesamte Zivilgesellschaft ein gemeinsames In- teresse daran haben, möglichst allen Jugendlichen Ute Kumpf (SPD): zu einem entsprechendem Ausbildungsplatz zu Die Projekte mit Bildungslotsen sind keine neu- verhelfen. Jeder, der sich dieser Aufgabe ver- en Projekte. In meinem Wahlkreis, der sehr von schreibt – insbesondere diejenigen, die das ehren- Migranten geprägt ist – 39 Prozent der Menschen amtlich tun –, verdient hohe Wertschätzung. haben einen Migrationshintergrund –, gibt es diese Form der Begleitung, vor allem beim Übergang Ute Kumpf (SPD): von der Hauptschule in den Beruf, schon lange. In der Schule würde man sagen: Thema ver- Ich habe aus vielen Gesprächen mit den Bildungs- fehlt! Ich habe gefragt, wie die Ehrenamtlichen, al- lotsen erfahren, dass sie manchmal sehr frustriert so diejenigen, die das gerne tun – ich erlebe viele sind, weil ihre Arbeit von den hauptamtlichen Mit- Betriebsräte, die ihre Kompetenz an junge Men- arbeitern und vor allem von der Kultusbürokratie schen, die vielleicht einen anderen Bildungshinter- nicht die Wertschätzung erfährt, die sie sich wün- grund haben, weitergeben wollen –, in dieser Bera- schen würden. tungskette durch die Institutionen die Wertschät- Haben Sie sichergestellt, dass vonseiten der zuständigen zung erfahren, die sie brauchen. Die Menschen Kultusministerien diese Arbeit positiv begleitet wird – haben keine Lust, Ausfallbürgen für eine verfehlte ich kann Ihnen den Briefwechsel mit Herrn Kultus- Bildungspolitik zu werden. Darum geht es. minister Rau aus Baden-Württemberg zukommen lassen Ich bin Mitglied des Unterausschusses „Bürgerschaft- – und zugleich die Anregungen und die Kritik der Bil- liches Engagement“. Alle Parteien haben in der Debatte dungslotsen, die nicht die Ausputzer für eine verfehlte immer darauf geachtet, dass dieses Engagement aus der Bildungspolitik sein wollen, in die politische Debatte Bürgerschaft die notwendige Anerkennung findet. vor Ort einfließen? Wichtig ist auch, dass es eine Rückmeldung des ent- sprechenden Institutes oder des Ministeriums gibt, und Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der zwar nicht nur in Form von warmen Worten. Die struk- Bundesministerin für Bildung und Forschung: turellen Erfordernisse von Projekten müssen mitberück- Frau Kollegin, das Thema Bildungslotsen ist in sichtigt werden. Ein Schulterklopfen für die Ehrenamt- dem Programm „Bildungsketten“, das wir als Bun- lichen reicht nicht, sondern hier müssen auch die Wei- desregierung auf den Weg bringen, nur ein Bau- terbildung und die finanziellen Ausstattungen eine Rolle stein. Unsere Vorstellung ist nicht, dass die Bil- spielen. dungslotsen alle Probleme im Bildungssystem und Die Menschen wollen, dass ihr Engagement bei den Bildungsbiografien von Benachteiligten lö- richtig wahrgenommen wird und dass ihre Arbeit, sen. Vielmehr wollen wir bereits im Grundschulal- vor allem wenn es um die Vermittlung geht, wert- ter mit den lokalen Bildungsbündnissen beginnen. geschätzt wird. Wie wollen Sie das sicherstellen? Wir wollen durch eine Potenzialanalyse in der 7. Klasse und eine Berufsorientierung in der 8. Klasse viele Maßnahmen vorschalten, sodass die Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Gruppe derer, die Schwierigkeiten haben, einen Bundesministerin für Bildung und Forschung: Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4183

Wir legen Wert darauf – das habe ich gerade 11. Juni 2010 in Kampala, Uganda, abzugeben, und gesagt –, dass eine entsprechende Aus- und Wei- beabsichtigt die Bundesregierung, die EU bei der Erar- beitung und Abgabe einer oder mehrerer Zusicherun- terbildung der Bildungslotsen erfolgt. Wir wollen gen – Pledges – zu unterstützen? die Menschen mit Berufserfahrung, die aber eine solche Tätigkeit noch nicht ausgeübt haben, nicht Die Frage wird durch Staatsministerin Cornelia einfach alleine lassen, sondern weiterbilden. Pieper beantwortet. Bitte schön.

Ich habe auch deutlich gemacht – insofern habe Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswär- ich das Thema doch ganz gut getroffen –, dass tigen Amt: gesellschaftliche Wertschätzung von der Bundes- Vielen Dank, Herr Präsident! – Sehr geehrter regierung nicht per Gesetz beschlossen werden Herr Abgeordneter, die Bundesregierung unter- kann. Deshalb ist es unsere Aufgabe, klarzuma- stützt die Pledges, welche die EU auf der Überprü- chen, dass die Bildungslotsen hier eine wichtige fungskonferenz von Kampala einbringen will. Da- Funktion erfüllen. Ich sehe, dass dieses Instrument bei geht es um folgende Punkte: seitens der Kultusministerien, seitens der Kam- mern und seitens aller Akteure im Bereich der be- Erstens. Die EU will ihre Bemühungen fortset- ruflichen Bildung unglaublich positiv aufgenommen zen, die Universalität des Römischen Statuts zu wird. Aus meiner Sicht bekommen die Bildungslot- fördern und seine Integrität zu bewahren. Hierzu sen diese Wertschätzung, weil ihre Bedeutung gehören beispielsweise EU-Demarchen, um in immens hoch ist. Ich kann es nicht verordnen, aber Drittstaaten für den Beitritt zum Römischen Statut ich kann von meiner Seite aus damit beginnen, zu werben. diese Wertschätzung zu bezeugen. Zweitens. Die EU will in ihren Abkommen mit Drittstaaten Klauseln zum Internationalen Strafge- richtshof aufnehmen. Damit bekennen sich die EU- Ute Kumpf (SPD): Partner auch in ihren vertraglichen Beziehungen Dürfte ich kurz noch die Empfehlung ausspre- nach außen zum Kampf gegen die Straflosigkeit chen, sich mit dem Nationalen Forum für Engage- bei schwersten Verbrechen, welche die internatio- ment und Partizipation in Verbindung zu setzen? nale Gemeinschaft als Ganzes berühren. Dort gibt es einen Arbeitskreis zum Thema Bildung Drittens. Die EU will ihre finanzielle Unterstüt- und ehrenamtliches Engagement. Es wäre gut, zung für diejenigen Zivilgesellschaften und Dritt- wenn Ihr Haus eine einheitliche Strategie im Sinne staaten fortsetzen, die Hilfestellung beim Beitritt der ehrenamtlich und bürgerschaftlich Engagierten zum Römischen Statut oder bei seiner Umsetzung entwickelt würde. wünschen. Viertens. Die Europäische Union will ihre Instru- Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der mente zur Unterstützung des Internationalen Bundesministerin für Bildung und Forschung: Strafgerichtshofs auf eventuellen Anpassungsbe- Die Bundesregierung bedankt sich wie immer darf überprüfen. Dies betrifft in erster Linie den für Hinweise dieser Art. Gemeinsamen Standpunkt zum Internationalen Strafgerichtshof aus dem Jahre 2003 sowie den Ute Kumpf (SPD): Aktionsplan aus dem Jahre 2004. Danke schön. Zusätzlich zu den Zusicherungen der EU wird Deutschland auf der Überprüfungskonferenz fol- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: gende Zusagen machen: Erstens. Deutschland Ist damit die Frage 59 erledigt? – Das ist der wird an den Opferschutzfonds des Internationalen Fall. Strafgerichtshofs im Jahre 2010 einen freiwilligen Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bun- Beitrag in Höhe von 300 000 Euro leisten. Zwei- desministeriums für wirtschaftliche Zusammenar- tens. Deutschland wird in den Jahren 2010 und beit und Entwicklung. 2011 die Stelle einer juristischen Fachkraft beim Opferschutzfonds des Internationalen Straf- Die Frage 60 des Kollegen Uwe Kekeritz wird gerichtshofs finanzieren. Drittens. Deutschland schriftlich beantwortet. plant, im Haushaltsjahr 2010 Mittel in Höhe von Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des 250 000 Euro für Projekte zur Förderung des Bei- Auswärtigen Amts. tritts zum Römischen Statut und seiner Umsetzung bereitzustellen. Ich rufe die Frage 61 des Kollegen Volker Beck auf: Die Bundesregierung ist davon überzeugt, dass Welche Zusicherungen – Pledges –, in denen sie von diesen Zusagen ein deutliches Signal der konkrete Aktionen zur Stärkung der Arbeit des Interna- Stärkung des Internationalen Strafgerichtshofs und tionalen Strafgerichtshofs, IStGH, in Aussicht stellen seiner Arbeit ausgeht. wird, beabsichtigt die Bundesregierung im Rahmen der Überprüfungskonferenz zur Prüfung etwaiger Änderun- gen des Römischen Statuts des IStGH vom 31. Mai bis Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: 4184 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

Bitte schön, Kollege Beck. Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswär- tigen Amt: Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herr Abgeordneter, ich bin darauf nicht einge- NEN): gangen, weil das nicht der Hintergrund Ihrer ur- Ich bin etwas erstaunt, dass Sie ein Thema nicht sprünglichen Fragestellung war. angesprochen haben. Das zentrale Thema in (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Kampala wird sein, ob der Tatbestand des Agg- GRÜNEN]: Das stimmt nicht! Sie haben ressionsverbrechens anerkannt wird. Er ist im Sta- dann die Frage nicht vollständig verstan- tut eigentlich enthalten, wurde aber mit dem Hin- den!) weis, dass sich die Vertragsstaaten noch auf eine Definition verständigen müssen, außer Kraft ge- Die ursprüngliche Frage war eine andere als die, setzt. Dazu haben Sie nichts gesagt. Im Men- die Sie gestellt haben. schenrechtsausschuss hatten wir in der letzten Sie können davon ausgehen, dass der Men- Woche eine Anhörung. Die Sachverständigen ha- schenrechtsbeauftragte, Herr Löning, der die Lei- ben sich durch die Bank dafür ausgesprochen, tung der Delegation hat, die Vorschläge des Men- dass man diesen Schritt endlich machen soll. Des- schenrechtsausschusses mitnehmen und dort zur halb frage ich Sie, ob die Bundesregierung hier Sprache bringen wird. entsprechend tätig geworden ist und solche Forde- rungen für die Konferenz in Kampala vorbereitet Was die Position des Ausschusses anbelangt, hat. bin ich gerne bereit, auch die Position unseres Hauses nachzuliefern. Ich sagte ja schon, dass ich an der Diskussion leider nicht teilnehmen konnte. Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswär- Im Moment kann ich sie auch nicht nachvollziehen. tigen Amt: Zunächst können Sie davon ausgehen, dass die Bundesregierung dieser Überprüfungskonferenz Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- grundsätzlich große Bedeutung beimisst. Wenn NEN): das Thema in der Sitzung des Menschenrechts- Dieser Punkt ist der zentrale Gegenstand in ausschusses, an der ich nicht teilnehmen konnte, Kampala. Dass Sie darüber nicht Bescheid wissen! behandelt worden ist, dann wird die Bundesregie- rung sicher die Vorschläge der Abgeordneten be- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: rücksichtigen. Danke schön. Darüber hinaus wissen Sie, dass die Bundesre- Die Fragen 62 und 63 des Kollegen Tom Koe- gierung kein Relocation Agreement mit dem Inter- nigs, die Frage 64 des Kollegen Ströbele, die Fra- nationalen Strafgerichtshof in Bezug auf den Op- ge 65 der Kollegin Höger und die Frage 66 der fer- und Zeugenschutz abgeschlossen hat, weil sie Kollegin Daðdelen werden schriftlich beantwortet. der Auffassung ist, dass sie den Opferschutz der- Damit sind wir am Schluss unserer Fragestun- zeit ohne ein solches Abkommen gewährleisten de. Da der Beginn der Aktuellen Stunde für 15.00 kann, sodass sich diese Frage nicht stellt. Uhr angesetzt ist und noch nicht alle Kollegen ein- getroffen sind, unterbreche ich bis dahin die Sit- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zung. NEN): Sie haben mich verwirrt, weil Sie einen Sprech- (Unterbrechung von 14.52 bis 15.02 Uhr) zettel zum falschen Thema vorgelesen haben. Wenn Sie darüber nicht Bescheid wissen, dann können Sie die Antwort ja im Nachgang der Frage- Vizepräsidentin : stunde liefern. Wir hatten es heute schon ein paar Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Mal, dass die Staatssekretäre – in dem Fall die Staatsministerin – bekennen mussten, dass sie Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf: nicht wissen, was ihr Haus vertritt. Aktuelle Stunde Ich frage Sie, ob sich die Bundesregierung aktiv auf Verlangen der Fraktion der SPD dafür einsetzt – das wird wahrscheinlich für länge- Unterschiedliche verfassungsrechtliche Auf- re Zeit die letzte Gelegenheit sein; dann schließt fassungen in der Bundesregierung zur Verlän- sich wahrscheinlich das Zeitfenster dafür –, dass gerung von Atomkraftwerkslaufzeiten der Tatbestand des Aggressionsverbrechens künf- tig der Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafge- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der richtshofs unterliegen wird, wie es bei der Verab- Kollege Ulrich Kelber für die SPD-Fraktion. schiedung des Statuts beabsichtigt war, aber nicht (Beifall bei der SPD) erreicht worden ist. Ulrich Kelber (SPD): Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4185

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen er habe gar keine Zweifel, dass die Nichtbeteili- und Herren! Wieder wird Lobbyistenbedienung gung des Bundesrates in dieser Frage machbar zum Zentralgestirn schwarz-gelber Politik: sei. Eine Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen ändert also Ihre Auffassung darüber, was verfas- (Lachen des Abg. Michael Kauch [FDP]) sungsgemäß ist. Auch das ist bezeichnend für Ihre zu Beginn das sogenannte Mövenpick-Gesetz, Politik. Herr Kauch, jetzt der Versuch, Milliardengeschen- Über die Frage, ob leichtfertig mit der Verfas- ke an die Atomlobby zu verteilen, sogar indem sung umgegangen wird, hinaus hat das Ganze zu- man windige, verfassungswidrige Konstruktionen sätzliche Implikationen. Sie haben zugesichert, Sie in den Gesetzen anstrebt, und das trotz klar er- würden eine Verlängerung der Laufzeiten nur unter kannter negativer wirtschaftlicher Effekte auf große höchsten Sicherheitsanforderungen anstreben, al- Teile der restlichen Energiewirtschaft. so unter der Voraussetzung, dass die Atomkraft- (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das zumin- werke entsprechend nachgerüstet werden. Sie dest ist falsch!) wissen genau, dass in dem Augenblick, wo der Bund zusätzliche Sicherheitsanforderungen stellt, Die Liebe zu den Lobbyisten geht so weit, dass die Atomaufsicht der Länder berührt ist und damit aus den Reihen der Union, aus den Reihen der die Zustimmungspflicht gilt. Das heißt, wer die Zu- CDU, sogar der eigene Umweltminister zum Rück- stimmungspflicht umgehen will, muss auf Sicher- tritt aufgefordert wird, weil er der Atomlobby nur heitsauflagen für die Atomkraftwerke verzichten. einen zweistelligen Milliardenbetrag anstatt eines Das ist Wortbruch Nummer eins, den Sie planen. dreistelligen Milliardenbetrages schenken möchte. So weit ist die Verbrüderung an der Stelle schon Wortbruch Nummer zwei. Sie haben gesagt, Sie gegangen. werden die Gewinne, die die Atomkonzerne ma- chen, zum größten Teil – andere sagen: zur Hälfte Minister Pofalla hat öffentlich verkündet, er – abschöpfen. Wir sind gespannt darauf, wie Ihr möchte die Gesetzgebung zur Verlängerung der Vorschlag aussehen wird – wenn Sie sich am En- Laufzeiten von Atomkraftwerken ohne eine Beteili- de noch trauen. In dem Augenblick, in dem Sie das gung des Bundesrates machen, also eine windige gesetzlich regeln, sind aber wieder die Länder be- verfassungsrechtliche Konstruktion zur troffen, sodass Sie über den Bundesrat gehen Lobbyistenbedienung finden; so kann man das müssten. Wenn Sie darauf verzichten wollen, kön- Ganze auch nennen. Heute erfahren wir per nen Sie nur eine freiwillige Vereinbarung mit den Tickermeldung, dass die Bundeskanzlerin sich ge- Konzernen machen. Das Vorgehen, zu sagen: „Ich genüber der CDU/CSU-Fraktion geäußert hat. Man mache ein Gesetz zu deinem Vorteil, wenn du mir will dazu jetzt doch bis zum 4. Juni eine Rechtsex- vorher Geld gibst“, nennt man außerhalb dieses di- pertise von Umweltministerium, Justizministerium rekten Zusammenhangs Korruption und nicht Ge- und Innenministerium einholen. Da frage ich mich: setzgebung. Hat sich der Minister im Kanzleramt, Pofalla, erst einmal eine Meinung gebildet, und will er sich jetzt (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: He, he, he!) die dazu passende Rechtsexpertise einholen? Hat – Sie haben es ja noch nicht gemacht. Vermeiden er das also ohne Rechtsexpertise gemacht? Ist die Sie doch, dass es am Ende als Korruption be- Tatsache, dass Herr Pofalla Jurist ist, vielleicht zeichnet werden kann! keine ausreichende Qualifikation mehr, wenn es um entsprechende Gesetzesvorhaben geht? Damit das auch klar ist: Bundesminister Röttgen ist in dieser Frage keine grüne Lichtgestalt, son- Man muss gar nicht die Opposition oder die Me- dern allerhöchstens das beste Fußballteam Grön- dien zu diesem Vorgehen der schwarz-gelben lands: Auch er will eine windige, verfassungswidri- Koalition befragen, sondern nur die eigenen Leute: ge Konstruktion, auch er versucht den Bundesrat Die Ministerpräsidentin von Thüringen nennt den zu umgehen, auch er will den Lobbyisten Milliar- Vorschlag Pofallas ein – Zitat – „Mogelgesetz“. Die den schenken, auch er will Schrottreaktoren wie schleswig-holsteinische Regierung – schwarz-gelb Biblis A länger laufen lassen, ohne zusätzliche – sagt, dass das so nicht geht. Die saarländische Sicherheitsmaßnahmen zur Auflage zu machen. Regierung, auch mit Schwarzen und Gelben in der Regierung, widerspricht; Niedersachsen ebenso. Sie müssen die Wahrheit sagen, Herr Röttgen: Die abgewählte schwarz-gelbe Landesregierung in Auch eine um „nur“ acht Jahre längere Laufzeit Nordrhein-Westfalen widerspricht, und am 30. bedeutet mehr Atommüll. Die Zwischenlager an September 2009, also drei Tage nach der Bundes- den Reaktoren sind aber nur für die Menge Atom- tagswahl, schrieben der damalige baden- müll, die der im Atomkonsens vereinbarten Rest- württembergische Ministerpräsident Oettinger und laufzeit entspricht, zugelassen. Für eine neue der hessische Ministerpräsident Koch Bundes- atomrechtliche Genehmigung dieser Zwi- kanzlerin Merkel einen Brief, in dem sie darauf schenlager bräuchten Sie die Bundesländer. Wenn verwiesen, dass eine Nichtbeteiligung des Bundes- Sie das umgehen wollen, wollen Sie in diesen acht rates an dieser Stelle höchst strittig ist. Das ist üb- Jahren zusätzliche Atommülltransporte quer durch rigens derselbe Herr Koch, der gestern gesagt hat, 4186 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

Deutschland von jedem der 17 Reaktoren. Das Frage ist, deren Beantwortung wir von Experten müssen Sie hier sagen. entgegennehmen, sondern das Parlament muss sich sein Urteil auch selber bilden. Sie können nicht Sonntagsredenminister sein. Sie sind noch nicht einmal Alltagsminister. In die- Es geht darum, dass das Atomgesetz in einer ser Frage sind Sie wirklich ein Trauerstundenmi- besonderen Form durch die Länder vollzogen wird, nister. und zwar nicht in der Normalform der Landesei- genverwaltung – das ist die normale Form, in der Vielen Dank. die Länder Bundesgesetze vollziehen –, sondern (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten in der Sonderform der sogenannten Bundesauf- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tragsverwaltung. Durch diese Bun- desauftragsverwaltung erfolgt ein besonderer Ein- Vizepräsidentin Petra Pau: griff des Bundes in die Vollzugshoheit bzw. die Das Wort hat Bundesminister Dr. Norbert Rött- Staatshoheit der Länder, weil dem Bund, dem zu- gen. ständigen Minister, ein Weisungsrecht gegenüber den Landesministern und den Ländern beim Voll- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zug von Bundesgesetzen eingeräumt wird. Es ist also ein Eingriff in die Staatshoheit bzw. Staats- Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Um- qualität der Länder. welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Das Atomgesetz bedurfte bei seiner Verab- schiedung der Zustimmung des Bundesrates, weil Kollegen! Ich möchte mich zunächst bei der SPD- Fraktion für die Beantragung der Aktuellen Stunde mit diesem Atomgesetz und der Aufgabe, Kern- kraftwerke zu beaufsichtigen, dieser Eingriff des bedanken; sie gibt nämlich die Gelegenheit zu ei- ner Versachlichung der Debatte. Dass der erste Bundes in die Verwaltungszuständigkeit der Län- der verbunden war. Darum bedurfte der Ausstieg Redner der SPD diese Chance nicht voll ergriffen aus dieser Aufgabe nach meiner Auffassung kon- hat, ist bedauerlich; aber es gibt ja auch noch Redner der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion, die sequenterweise auch nicht der Zustimmung des Bundesrates, weil der Eingriff ja gerade beendet die Chance, die Sie eröffnet haben, dann auch nutzen. wurde. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn Herr Mappus?) Richtig!) Jetzt stellt sich die Frage, ob eine Zustim- Ich will zunächst einmal auf das Thema der Ak- tuellen Stunde eingehen; es liegt ja nicht so fern, mungsbedürftigkeit dadurch ausgelöst wird, dass der Eingriff durch eine Laufzeitverlängerung fort- dass man auf das Thema der Debatte eingeht. Die verfassungsrechtliche Frage, um die es geht, lau- gesetzt, zumindest aber verlängert wird, weil ja ein an sich schon beendeter Eingriff verlängert und tet: Benötigt eine Bundesgesetzgebung – dass der Bundesgesetzgeber zuständig ist, ist unstrittig – zu quasi neu begründet wird. Diese verfassungsrecht- liche Frage stellt sich. Wir sollten sie so gut wir einer Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwer- können beantworten, und zwar nicht politisch, ken die Zustimmung des Bundesrates? sondern verfassungsrechtlich, weil vom Verfas- Meine erste Anmerkung dazu ist: Das ist eine sungsgericht keine politischen Vorstellungen und rein verfassungsrechtliche Frage. Nicht nur als Mi- Argumente gewichtet werden. nister, auch als Abgeordneter des Deutschen Bun- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – destages, das heißt, als Teil des Gesetzgebers, plädiere ich ausdrücklich dafür, dass wir diese Dr. Hermann Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Verfassungspolitische Antwort!) Frage rein verfassungsrechtlich, so gut wir können, beantworten und sie nicht politisieren. Wir alle ha- – Das ist unser Selbstverständnis. Ich rate als Ju- ben keinen Vorteil davon, verfassungsrechtliche rist, aber auch als Parlamentarier dazu, bei verfas- Fragen zu politisieren. Unser Selbstverständnis als sungsrechtlichen Fragen nicht zu eifern und zu Gesetzgeber muss sein, verfassungskonforme geifern, sondern sie nach bestem Gewissen und Gesetzgebung zu machen, nicht aber, Risiken ein- Wissen zu beantworten. Das ist mein Rat dafür, zugehen und dann zu warten, ob man von wie wir mit verfassungsrechtlichen Fragen umge- Karlsruhe korrigiert wird. Unser Selbstverständnis hen sollten. muss sein, die verfassungsrechtliche Frage korrekt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zu beantworten. Die Bundesregierung wird das tun. Sie haben Darum will ich hier auch darlegen, was über- darauf hingewiesen: Die Verfassungsressorts und haupt der inhaltliche Gesichtspunkt in diesem Zu- die beteiligten Fachressorts werden ihre Auffas- sammenhang ist. Warum könnte überhaupt eine sung dazu bis Anfang des nächsten Monats darle- Zustimmungsbedürftigkeit der Länder, des Bun- gen. Dann ist die Position der Bundesregierung desrates, vorliegen? Darüber muss man dann klar. doch auch hier debattieren, weil das nicht nur eine Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4187

Das war meine verfassungsrechtliche Anmer- ihnen bieten, weil das Maß an Unsicherheit, das kung zu dem Thema. Ich möchte aber auch noch wir auch durch verfassungsrechtliche Risiken pro- zwei politische Anmerkungen machen: duzieren, zu einer Investitionszurückhaltung der Energiewirtschaft führen würde. Erste politische Anmerkung. Die Energiepolitik wird in Zukunft noch mehr, als das in der Vergan- (Rolf Hempelmann [SPD]: Seit neun Mona- genheit auch schon der Fall war, nur dann erfolg- ten!) reich sein können, wenn eine enge Abstimmung Die können wir uns nicht leisten. Darum werden zwischen dem Bund und den Ländern erfolgt. Der wir als Koalition diese Klarheit schaffen, damit die Umbau von der bisherigen Energieversorgung zur Energieversorgungswirtschaft das bekommt, was Energieversorgung mittels erneuerbarer Energien sie in jedem Fall berechtigterweise erwartet: Klar- mit den dazu notwendigen Veränderungen – ich heit der politischen Entscheidungen, damit Investi- nenne nur einmal den Netzausbau – bedarf einer tionen erfolgen. engen Abstimmung und auch einer Kongruenz von Bund und Ländern. Darum ist der faire Umgang Wir brauchen in jedem Fall Investitionen. Un- zwischen dem Bund und den Ländern an dieser klarheit, auch die Belastung mit verfassungsrecht- Stelle Voraussetzung für den Erfolg der Energiepo- lichen Risiken, bedeutet Investitionszurückhaltung, litik für Deutschland. die sich Deutschland nicht leisten kann. Deshalb lege ich Wert darauf, dass wir die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Energiepolitik gemeinsam mit den Ländern gestal- Ulrich Kelber [SPD]: Bei einer Bundes- ten, und zwar, wenn es nach mir geht, auch über tagswahl ist das so! – Rolf Hempelmann parteipolitische Grenzen hinweg, weil es eine [SPD]: Ich hoffe, das war als Selbstkritik grundlegende Aufgabe in Bezug auf die Infrastruk- gemeint!) tur und entscheidend für die Zukunft unseres Lan- Sie werden die Klarheit bekommen, und zwar in des ist, die Energieversorgung sicher, klimaver- dem verfassungsrechtlichen Bemühen, diese her- träglich und wettbewerbsfähig zu realisieren. Wir zustellen. sollten uns diesen Konsens und das Bemühen da- rum erhalten, bei einigen wichtigen Zukunftsfragen Eine letzte Bemerkung: Nach meinem Urteil dis- dieses Landes über Parteigrenzen hinweg kon- kutieren wir zu viel über Ausstieg und zu wenig sensfähig zu bleiben. über Einstieg. Das ist das Thema. Ich möchte noch einmal betonen, was der Koalitionsvertrag an die- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ser Stelle sagt. Das Ziel ist eindeutig definiert. Er- Zweite politische Anmerkung. Die Energiewirt- neuerbare Energien sind die Energieversorgung schaft hat durchaus unterschiedliche Interessen – der Zukunft: weder atomare noch fossile, sondern legitimerweise übrigens. Die kommunalen Unter- erneuerbare Energien. Die wollen wir. nehmen suchen ihre Chance im Markt und sagen: (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Durch eine Laufzeitverlängerung wird eine Wett- bewerbssituation zementiert, in der wir keine Wir wollen sie auch aus einer immanenten Not- Chance haben. – Andere sagen: Wir stehen gera- wendigkeit, die gar nicht bestritten wird. In dem de vor dem Markteintritt und hätten mit Laufzeitver- Zeitraum von 40 Jahren – das ist der Zeitraum, längerungen die Chance, so viel Gewinne wie den wir betrachten – muss das Ziel am Ende in ei- noch nie zuvor zu machen. – Andererseits besteht ner zukunftsfähigen Energieversorgung für die die Notwendigkeit, auf die Energieversorgung mit- nächsten Generationen bestehen. Die Entschei- tels erneuerbarer Energien umzusteuern bzw. um- dungen dafür müssen aber heute getroffen wer- zuschalten. den; denn wir, auch diese Koalition, haben ent- schieden: Es wird keine neuen Atomkraftwerke Das heißt, in der Energiewirtschaft, die hinsicht- geben. Im Koalitionsvertrag steht: Das Verbot, lich der erneuerbaren Energien eine mittelständi- neue Atomkraftwerke zu bauen und zu betreiben, sche Branche und hinsichtlich der traditionellen wird aufrechterhalten. Energieträger oligopolistisch geprägt ist – daneben wird es zu einem Wettbewerbseintritt der kommu- (Beifall des Abg. Michael Kauch [FDP] – Ulrich nalen Unternehmen kommen –, gibt es eine sehr Kelber [SPD]: Da klatscht nur einer!) heterogene Interessenlage. Es gibt aber ein ge- Wir können zwar über Laufzeitverlängerung re- meinsames Interesse der gesamten Energiewirt- den, es wird aber kein neues Kernkraftwerk geben. schaft. Das ist das Interesse an Klarheit durch die Darum ist Kernenergieversorgung keine Option der Politik. Zukunft. Das ist ausdrücklich Inhalt des Koalitions- vertrages. (Rolf Hempelmann [SPD]: Die hatten wir ge- Des Weiteren wird – das habe ich schon mehr- schaffen!) fach dargelegt – aus klimapolitischen Gründen je- des Indus-trieland und damit auch Deutschland im Die Energiewirtschaft hat ein berechtigtes Inte- Interesse der eigenen Zukunftsfähigkeit und Ent- resse an Klarheit und Sicherheit. Diese müssen wir wicklungsfähigkeit CO2-Emissionen um 80 bis 4188 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

95 Prozent reduzieren müssen. Weil wir ein Indust- nismäßig starke Kürzung der Förderung durch das rieland sind und dies, wenn es nach dieser Koaliti- EEG hilfreich war. on geht, auch bleiben wollen, heißt das, wir müs- (Beifall bei der LINKEN) sen das kleine Budget an CO2-Emissionen für in- dustrielle CO2-Emissionen reservieren und deshalb Insgesamt kann man nur feststellen: Die Koaliti- die Energieversorgung praktisch CO2-frei machen. on arbeitet zielstrebig an der nächsten Wahlnieder- lage. Alle Umfragen belegen: Die Mehrheit der Aus diesen beiden Gründen – weil wir alle ge- Bürgerinnen und Bürger ist gegen eine Laufzeit- meinsam politisch entschieden haben, dass Kern- verlängerung. Es sind nicht nur die Wählerinnen kraftwerke keine Option für die Zukunft sind und und Wähler der Parteien, die jetzt in der Oppositi- weil fossile Energieversorgung wegen der CO - 2 on sind; auch 52 Prozent der Wählerinnen und Emissionen nicht zukunftsfähig ist – können wir Wähler von CDU und CSU sowie 54 Prozent der schon heute die Knappheit erkennen, die in 30 bis FDP-Wählerinnen und -Wähler sind gegen längere 40 Jahren eintreten wird. Sie ist eindeutig. Unsere Laufzeiten. Verantwortung besteht nicht darin, abzuwarten, bis die Knappheit eintritt – dann können wir nämlich (Ulrich Kelber [SPD]: So viele haben die gar nicht mehr handeln –, sondern wir müssen die nicht!) Knappheit gewissermaßen antizipieren, vorweg- Wir kennen das. Diese Koalition macht ja in vie- nehmen und schon heute in eine Wachstumsstra- len Bereichen Politik gegen die Mehrheit der Be- tegie integrieren. völkerung. Das ist nicht nur beim Atomausstieg so. Wir müssen es schaffen, die Weichen für den Ich erinnere nur an die Themen „Rente erst mit Umstieg von den traditionellen Energieversor- 67“, „Mindestlohn“ oder auch „Kriegseinsatz in Af- gungsquellen über einen sich dynamisch verän- ghanistan“. Ich weiß nicht, wie Sie das auf Dauer dernden Energiemix hin zu den Erneuerbaren zu durchstehen wollen, aber das soll dann Ihr Prob- stellen. Das ist die entscheidende Aufgabe. lem sein. (Ulrich Kelber [SPD]: Sie reden Die Kritik von uns als damals noch PDS an dem 70 Prozent Ihrer Rede am Thema vorbei! sogenannten Atomkonsens war, dass er nicht un- Das Thema der Aktuellen Stunde scheint umkehrbar ist – das ist das Problem, das wir jetzt Ihnen wirklich unangenehm zu sein!) haben – und dass große Zugeständnisse an die Konzerne gemacht wurden. Es war ja nicht so, Darum sollten wir über die Frage des Einstiegs re- dass die Konzerne ohne Gegenleistung verzichtet den. Ich möchte diese Koalition damit qualifizieren, und der Laufzeitbegrenzung zugestimmt haben. diesen Einstieg zu schaffen, weil er die Bedingung Ihnen sind zum Beispiel sicherheitstechnische für Zukunftsfähigkeit ist und weil er mit neuen Nachrüstungen erlassen worden. Sie haben bes- Technologien, Märkten und weltweiten Absatz- sere Standards für die steuerfreien Rückstellungen chancen verbunden ist. Das ist die Wachstums- bekommen. Weiterhin wurde eine und Sicherheitsstrategie, die diese Koalition ver- Eignungshöffigkeit von Gorleben attestiert. folgt. Jetzt haben wir das Problem. Die Mehrheiten haben sich (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) geändert, und die Konzerne hoffen, dass ihnen – ähnlich wie anderen Sparten oder Konzernen oder Bereichen – Vizepräsidentin Petra Pau: Zugeständnisse gemacht werden. Das Wort hat die Kollegin Dorothée Menzner für die Fraktion Die Linke. Die Laufzeitverlängerung ist nach übereinstim- mender Meinung vieler juristischer Gutachten ohne (Beifall bei der LINKEN) eine Zustimmung des Bundesrates nicht möglich, weil die Länder im Vollzug des Atomgesetzes ganz Dorothée Menzner (DIE LINKE): andere und viel umfangreichere Aufgaben haben Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen! Werte Kol- würden als jetzt. Aber kurz nach der Nordrhein- legen! Sehr geehrter Herr Minister, ich fand es be- Westfalen-Wahl, als die Mehrheit im Bundesrat zeichnend, dass Sie den Mut hatten, von Klarheit dahin war, hörten wir andere Stimmen aus der Ko- der Politik in Bezug auf Energiepolitik zu reden. alition. Merkwürdigerweise sagen genau die Län- Was wir seit Monaten erleben und was die Bürge- der, die seinerzeit beim Atomkonsens der Meinung rinnen und Bürger wahrnehmen, sind ein Schlin- waren, es sei eine Bundesratszustimmung nötig, gerkurs, Chaos und große Verunsicherung. Nicht jetzt, es sei keine Bundesratszustimmung nötig. umsonst machen auch Menschen gegen die Lauf- Beim Atomkonsens damals haben Baden- zeitverlängerung Stimmung, die dies bisher nicht Württemberg, Bayern und Hessen darauf ge- so deutlich getan haben. Ich erinnere nur an den drängt, dass der Bundesrat zustimmen müsse. Deutschen Städtetag und an die Stadtwerke. Jetzt, wo es in eine Richtung geht, die ihnen ge- fällt, die sie befürworten, sagen sie: Das interes- Wenn Sie den Einstieg in die Erneuerbaren siert den Bundesrat gar nicht. ernst meinen, dann müssen Sie sich an dieser Stelle die Frage gefallen lassen, ob die unverhält- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4189

(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] weil sich eine Abgeordnete Ihrer Partei in NRW [CDU/CSU]: Das nennt man „Wahrneh- nicht dazu durchringen kann, zu sagen, dass die mung von Länderinteressen“!) Diktatur Ihrer Vorgängerpartei Unrecht war. Das ist doch die Wahrheit. Deshalb sollten Sie hier Da scheinen Länder das Grundgesetz irgendwie schweigen. nach Lage der Dinge auszulegen. Sie scheinen das Grundgesetz nicht als gemeinsame Grundlage (Beifall bei Abgeordneten der FDP und und Basis des gesellschaftlichen Zusammenle- der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Sie bens zu begreifen, das auch in allen Fällen anzu- haben doch mit der Blockpartei fusio- wenden ist, sondern wollen es nach Lage der Din- niert!) ge und politischer Opportunität auslegen. – Herr Kelber, Sie sind für solche Fragen eigentlich Das muss man noch einmal Revue passieren ungeeignet. lassen: Schon drei Tage nach der Wahl kam – üb- Ich komme zur SPD, die uns ein verfassungs- rigens aus Ministerien genau der Länder Hessen rechtliches Seminar halten will. Ich weise darauf und Baden-Württemberg – das Papier, das der hin, dass die SPD an Regierungen beteiligt war, Kanzlerin deutlich machte: Es geht ohne den Bun- denen vom Bundesverfassungsgericht bescheinigt desrat. – Ich frage mich: Wieso produzieren Lan- wurde, dass das Gesetz zur Pendlerpauschale desumweltministerien Papiere für die Bundesregie- verfassungswidrig ist, dass das Gesetz zum Ab- rung, machen Rechtsgutachten und erstellen ein schuss von Passagierflugzeugen verfas- Strategie- und Schrittfolgepapier, um der Kanzlerin sungswidrig ist, dass die Hartz-IV-Kinderregelsätze zu sagen, welchen Weg sie zu gehen hat? Das ist verfassungswidrig sind und dass die Vorratsdaten- meiner Ansicht nach eine deutliche Überschreitung speicherung verfassungswidrig ist. Wir, die FDP, ihrer Kompetenz. brauchen von der SPD, die in den letzten elf Jah- (Beifall bei der LINKEN) ren Schindluder mit der Verfassung getrieben hat, keine Nachhilfe, wie man verfassungsfeste Geset- Wie dreist muss man eigentlich sein, wenn man ze macht. in diesem Papier eine Laufzeitverlängerung, die weitere Vermehrung von Atommüll, Milliardenprofi- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- te der Konzerne und die Sicherheitsrisiken gegen- ten der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: über den Menschen als „Signalwirkung Atomaus- Sind Sie nicht aus dem gleichen Landes- stieg“ benennt? Das kann ich nur als Wählerinnen- verband wie Innenminister Wolf?) und Wählerverdummung begreifen, und genau so Die Botschaft lautet klar: Die FDP wird dafür verstehen die Menschen das auch. Genau dage- sorgen, dass es eine verfassungsfeste Lösung bei gen wehren sie sich – zu Recht laut, bunt und viel- den Laufzeiten von Kernkraftwerken geben wird. fältig. Das werden wir weiterhin unterstützen. Mit Das ist unsere Maßgabe. Das wird diese Bundes- dem Vorhaben werden Sie nicht durchkommen. regierung sicherstellen, meine Damen und Herren Wenn die Konzerne jetzt den Atomkompromiss von der SPD. Die Verlängerung der Laufzeiten ist von damals aufkündigen, dann brauchen Sie nicht keineswegs – das suggerieren Sie mit dem Titel zu glauben, dass die Antiatombewegung nicht zu dieser Aktuellen Stunde – nicht verfas- der alten Forderung zurückkommt: Sofortiger sungsgemäß. Der Bund hat die Gesetzgebungs- Atomausstieg! kompetenz. Das Einzige, worüber man diskutieren Ich danke. muss – das ist in der Tat eine komplexe juristische Frage –, ist die Zustimmungsbedürftigkeit durch (Beifall bei der LINKEN) den Bundesrat. Wir wollen festhalten: Keiner hat eine klare Mehrheit im Bundesrat, weder Sie noch Vizepräsidentin Petra Pau: wir. Deshalb müssen wir uns anschauen, wie es Das Wort hat der Kollege Michael Kauch für die verfassungsmäßig aussieht. FDP-Fraktion. (Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der FDP) DIE GRÜNEN])

Michael Kauch (FDP): – Herr Trittin, ich wüsste nicht, dass die Grünen die Mehrheit im Bundesrat haben. Das wäre eine Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es spannende Interpretation. ist schon bemerkenswert, wenn sich hier eine Ver- treterin der Linken als Hüterin der Verfassung auf- (Ulrich Kelber [SPD]: Was hat die Mehrheit mit spielt – eine Vertreterin der Partei, deren Land- der Verfassung zu tun?) tagsabgeordnete in NRW vom Verfassungsschutz Wir sollten hier nicht nach politischer Opportuni- überprüft werden, weil sie genau diese verfas- tät argumentieren. sungsmäßige Ordnung abschaffen wollen, (Lachen bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 4190 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

Sie führen die Diskussion über die Verfassungs- Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun mäßigkeit erst, nachdem klar ist, dass wir keine ei- die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl das Wort. gene Mehrheit für ein zustimmungspflichtiges Ge- setz im Bundesrat mehr haben.

(Ulrich Kelber [SPD]: Weil Sie auf einmal Ihre Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Meinung ändern!) NEN): – Herr Kelber, wir haben unsere Meinung überhaupt Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- nicht geändert. – Wir gehen nicht mit verfassungsmäßi- gen! Herr Umweltminister, Herr Kauch, wenn ein gen Einschätzungen an die Öffentlichkeit. Die FDP wird Atomkraftwerk zwei Jahre stillsteht, ist das im All- diese Frage seriös prüfen. Dafür ist beispielsweise das gemeinen kein Anlass für die Atomaufsicht, sich Bundesministerium der Justiz zuständig. Sabine Leu- ins Bett zu legen; ganz im Gegenteil: Es hat meis- theusser-Schnarrenberger ist dafür bekannt, dass sie die tens seine Gründe, wenn ein Atomkraftwerk still- Verfassung verteidigt. Sie hat oft genug gegen Ihre Ge- steht. Die NRW-Wahl ist vorbei. Man merkt, wie sie setze erfolgreich geklagt, Herr Kelber. schmerzt. Schwarz-Gelb ist abgewählt worden, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Zuruf von der CDU/CSU: Rot-Grün hat keine Lauschangriff!) Mehrheit!) Wie gesagt, es handelt sich hier um eine kom- und Ministerpräsident Mappus von Baden- plexe juristische Frage. Ich sage insbesondere an Württemberg eröffnet schon einmal den Wahl- die Adresse der sogenannten Südländer: Eine rei- kampf in Baden-Württemberg, indem er glaubt, er ne Umkehrung der Argumentation – da es damals könnte das Rezept von Herrn Röttgen fortführen: zustimmungsfrei war, gilt das auch für die Lauf- Du verlierst einen Wahlkampf dadurch am besten, zeitverlängerung – reicht als Begründung nicht indem du die Defizite der Bundesregierung auf- aus. Es gilt aber auch nicht die Logik, dass es sich zeigst. Das ist besonders sinnvoll, wenn sie deine um ein zustimmungspflichtiges Gesetz handelt, eigene Regierung ist. – sobald ein bisschen Verwaltungsarbeit auf die Län- (Ulrich Kelber [SPD]: Das war aber Rüttgers der zukommt. Beide Argumentationen sind eindeu- und nicht Röttgen in diesem Fall!) tig nicht tragfähig, wie die Gutachten zeigen, die beispielsweise vom Wissenschaftlichen Dienst des – Entschuldigung, NRW und das R haben mich Bundestages erstellt worden sind. Dementspre- verwirrt. Was nicht ist, kann noch werden. – Es chend liegt es an der Ausgestaltung des Gesetzes, muss jetzt nicht meine Sorge sein, wie man nach ob eine Zustimmungspflicht ausgelöst wird. Meinung von Herrn Mappus am besten eine Wahl verlieren kann. Ich möchte Ihnen deutlich machen, dass ein Reststrommengenansatz geradezu ungeeignet ist, (Zuruf von der CDU/CSU: Warten wir es ab!) Ihre juristische Position zu unterstützen, Herr Kel- Es muss auch nicht meine Sorge sein, wenn Minis- ber; denn wenn Reststrommengen gesetzlich vor- terpräsidenten plötzlich nichts Besseres zu tun ha- gegeben sind, weiß man nicht genau, wie lange ben, als sich mächtig dafür ins Zeug zu legen, ein Land seine Verwaltungstätigkeit ausüben dass man die Zustimmungspflicht der Länder be- muss. Ein Kernkraftwerk kann beispielsweise zwei schneidet. Ich bin aber schon besorgt, wenn ich Jahre stillstehen, weil es abgeschaltet wurde; das Argumentationen wie die von Herrn Pofalla höre, ist in der Vergangenheit vorgekommen. Vor die- die rot-grüne Regierung unter Kanzler Schröder sem Hintergrund bedeutet eine Erhöhung der habe den Ausstieg ohne den Bundesrat be- Reststrommenge nicht automatisch eine Verlänge- schlossen und daher sei eine Verlängerung der rung der Verwaltungstätigkeit der Länder. Herr Laufzeiten jetzt auch nicht an die Zustimmung der Kelber, es ist alles nicht so einfach, wie Sie es der Länder gebunden. Das ist, als würde ich eine Au- deutschen Öffentlichkeit weismachen wollen. tobahnausfahrt nehmen, mich dann entschließen, Wir begrüßen, dass die Bundesregierung be- wieder auf die Autobahn zu fahren, und über die- schlossen hat, eine einheitliche Haltung herbeizu- selbe Ausfahrt wieder auf die Autobahn fahren. führen, und zwar zusammen mit den Ministerien, Was dabei herauskommt, wissen wir: Geisterfahr- die für die Verfassung zuständig sind, nämlich dem ten. Justiz- und dem Innenministerium. Das ist der rich- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tige Weg und nicht die populistische Debatte, die sowie bei Abgeordneten der SPD und der Sie heute im Deutschen Bundestag anzetteln. LINKEN) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Kommen wir zum eigentlichen Thema, zur Auf- Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tragsverwaltung der Länder. Diejenigen, die jetzt NEN]: Schön, dass Sie uns das alles so glauben, es gäbe keine Zustimmungspflicht der erklären, Herr Kauch!) Länder, gehen davon aus, dass die Auftragsver- waltung lediglich verlängert wird und keine neuen Vizepräsidentin Petra Pau: Aufgaben entstehen. Das funktioniert aber nur, Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4191 wenn man außer Acht lässt, was zumindest Herr Vizepräsidentin Petra Pau: Röttgen immer betont hat, nämlich dass es Lauf- Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege zeitverlängerungen nur unter massiven Sicher- Dr. Georg Nüßlein. heitsauflagen gibt. Diese Sicherheitsauflagen brin- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gen durchaus neue Aufgaben für die Atomaufsicht und damit für die Länder mit sich. Schon daraus ergibt sich, dass eine Zustimmungspflicht der Län- Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): der zwingend ist; denn sie werden belastet wer- Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! den, wenn die Sicherheitsauflagen ernst gemeint Zunächst einmal möchte ich festhalten: Es ist legi- sind. tim, sich die Frage zu stellen, ob eine so wichtige Entscheidung mit oder ohne Zustimmung des Man darf inzwischen wieder zweifeln, wenn man Bundesrates erfolgen kann. Das sagt erst einmal die neuesten Botschaften hört. Ob sich die Sum- nichts über die politische Umsetzung aus. men für die Sicherheitsauflagen eher bei 11 Milliarden Euro, wie Herr Brüderle meint, oder Wenn Sie heute einen Juristen fragen, wie die bei bis zu 50 Milliarden Euro bewegen, wie Herr Rechtslage ist, dann wird er Ihnen entweder be- Röttgen meint, ist ungewiss. Ich zumindest habe schreiben, wie es grundsätzlich ist, oder er wird bisher noch nicht gehört, dass man davon aus- sagen: Es kommt darauf an. Auf dieses „Es kommt geht, dass man gar keine Sicherheitsauflagen darauf an“ kommt es an dieser Stelle ausnahms- braucht. Wir können gespannt sein, wie weit sie weise wirklich an. Die Mehrheit der Gutachten, die reduziert werden. Eine Möglichkeit, den Bundesrat mir vorliegen, unter anderem eines des Wissen- zu umgehen, besteht darin, dass man die eventu- schaftlichen Dienstes, das ich selber in Auftrag ellen Mehrkosten von Bundesseite aus kompen- gegeben habe, spricht ganz klar von Gestaltungs- siert. Ich rate nicht, diesen Weg zu gehen. Ich spielräumen. glaube, auf diese öffentliche und auch par- (Ulrich Kelber [SPD]: Zitieren Sie mal!) lamentarische Debatte kann sich die Opposition freuen. Sie sollten sie eher scheuen. Es kommt also auf die Ausgestaltung durch den Deutschen Bundestag an, ob die Zustimmung des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bundesrates erforderlich ist oder nicht. Herr Röttgen, Sie sagten vorhin, es gehe um ei- (Ulrich Kelber [SPD]: Vollständig zitieren!) ne rein verfassungsrechtliche Frage, die man nicht politisieren sollte. Ich zitiere die Bundeskanzlerin, Mehr sagt das zunächst einmal nicht aus. die sagte: Wir werden unsere politische Überzeu- (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött gung durchsetzen. – Das wird als klare Ansage in- [CDU/CSU]) terpretiert, dass es zu einer Verlängerung kommen werde. Da frage ich mich: Ist es egal, wie die Wir müssen also überlegen, wie wir damit umge- Rechtslage aussieht? Sie scheint in diesem Fall hen. Für den Bundestag ist es zunächst eine wich- nicht ganz mit Ihnen übereinzustimmen. Aber die tige Botschaft, dass es Gestaltungsspielräume Klärung ist ja innerhalb der Koalitionsfraktionen gibt. und vor allem innerhalb der Union auf der Tages- Da der Kollege Kelber von windigen Konstrukti- ordnung. onen sprach, obwohl er noch gar nicht weiß, was Nichtsdestoweniger – ich will Sie, Herr Umwelt- da im Raum steht, sage ich Ihnen einmal, was eine minister Röttgen, nicht in Schutz nehmen – wollen windige Konstruktion ist, nämlich das, was in dem auch Sie die Laufzeiten verlängern. Die Frage, ob Zusammenhang im Nordrhein-Westfalen- es acht Jahre, zwölf Jahre oder 28 Jahre sind, ist Wahlkampf gelaufen ist. Da ist Folgendes passiert: eigentlich nachrangig. Wir wissen, dass es für den Da hat doch tatsächlich ein Sekretär unseres Um- Klimaschutz, den Aufbau einer neuen Energie- weltausschusses unter dem Label des Wis- struktur und den Umbau hin zu den erneuerbaren senschaftlichen Dienstes – was ein Skandal an Energien wichtig ist, dass es beim Atomausstieg sich ist – publiziert, diese Entscheidung sei zu- bleibt. Deswegen möchte ich noch einmal ein Zitat stimmungspflichtig. Das hat er gemeinsam mit ei- von Ihnen, Herr Röttgen, aufgreifen. Sie sagten ner Rechtsreferendarin gemacht, und es sieht aus vorhin: Die Konzerne sehnen sich nach Klarheit. – wie ein Gutachten des Wissenschaftlichen Diens- Ich rate Ihnen: Geben Sie den Konzernen die tes. Nun wurde es natürlich fleißig von den Grünen Klarheit zurück. Hören Sie auf, sich mit der Lauf- im Wahlkampf instrumentalisiert. Das ist windig. zeitverlängerung ein Verliererthema ans Bein zu (Michael Kauch [FDP]: Genau! Und welcher binden, das Ihnen weiterhin Ärger mit den Länder- Partei gehört er an?) regierungen einbringen wird! Bleiben Sie beim Atomausstieg! Dieses Gesetz war gut und richtig. – Das muss man noch dazusagen: Der Sekretär des Umweltausschusses hat für die SPD im Bun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und destag kandidiert, allerdings erfolglos, darum ist er bei der SPD) jetzt immer noch Sekretär. 4192 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE Ich erspare Ihnen nicht das übliche ceterum GRÜNEN]: Was ist das denn für ein censeo an dieser Stelle: Die Grünen haben von Schauermärchen?) Anfang an immer gesagt, Kernenergie sei unver- antwortlich, Diese Parteizugehörigkeit macht deutlich, dass meine Worte keine leeren Worte sind, sondern (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass es sich tatsächlich um eine Instrumentalisie- NEN]: Richtig!) rung des Themas handelt. Das werden wir auch eine brandgefährliche Technologie, und man müs- noch – da gibt mir der Kollege Kauch sicher recht se sofort aussteigen. Aber was haben Sie im – thematisieren. Jahr 2000 gemacht? Sie haben die Laufzeit dieser (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – „unverantwortlichen Technologie“ um 20 Jahre ver- Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE längert. Das ist unverantwortliche und inkonse- GRÜNEN]: Die CDU muss ja wissen, wie quente Politik, meine Damen und Herren. Das Instrumentalisierung funktioniert!) müssen Sie sich hier noch lange, lange vorhalten lassen. Es bringt nichts, in einer Aktuellen Stunde in- nerhalb weniger Minuten in einen Gutachterstreit Vielen herzlichen Dank. einzutreten und Juristisches taktisch gegeneinan- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – der abzuwägen. Wir müssen uns Folgendes vor Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE Augen halten: GRÜNEN]: Machen Sie es schneller! – Erstens ist es richtig, dass unser Energiekon- Ulrich Kelber [SPD]: Das war in der Tat zept deutlich macht, wie wir das Energiethema grundfalsch, was Sie gesagt haben! Rich- ökonomisch und ökologisch sinnvoll gestalten wol- tig!) len. Zweitens ist es richtig, dass der Vorrang erneu- Vizepräsidentin Petra Pau: erbarer Energien im Gesetz steht. Damit ist es Der Kollege Rolf Hempelmann spricht nun für falsch, wenn hier behauptet wird, mögliche Lauf- die SPD-Fraktion. zeitverlängerungen gingen zulasten der erneuer- (Beifall bei der SPD) baren Energien. Das ist falsch; denn es steht et- was anderes im Gesetz. Rolf Hempelmann (SPD): (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ulrich Kelber [SPD]: Das Gesetz ist aber Herr Kollege Nüßlein, jetzt habe ich Ihre Logik, wa- nicht die Realität!) rum dieses Mal, genau wie im Jahre 2000, keine Länderbeteiligung notwendig ist, endlich verstan- – Wenn Sie sagen, das Gesetz sei nicht die Reali- den: weil wir, wie Sie gerade gesagt haben, schon tät, dann sage ich Ihnen ganz offen: Bei uns sind damals eine Verlängerung der Laufzeit um die Gesetze, die wir machen, durchaus Realität. 20 Jahre beschlossen haben. (Ulrich Kelber [SPD]: Vor allem in Bayern! (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Bayerisches Landrecht!) Zumindest wenn man in Ihrer Logik bleibt, ist das Wenn Sie das anders sehen, dann tut es mir leid. nachvollziehbar. Sie gestatten uns aber, dass wir Drittens ist richtig, dass mit Blick auf das Thema das ein bisschen anders sehen. Klimaschutz der Aufwuchs der erneuerbaren (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Gegenüber der Energien zuerst die Energiequellen ersetzt, die Forderung der Grünen ist das aber richtig!) CO2 produzieren, und erst danach die Kernener- gie. Es macht Sinn, so vorzugehen. Das war mit Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wenn man Blick auf den Klimaschutz erforderlich. sich anschaut, was im letzten guten halben Jahr im Bereich der Energiepolitik dieser Regierungskoali- Weil Sie vorhin immer von Klientelpolitik und tion passiert ist, dann fällt einem eigentlich nur ei- Lobbyismus gesprochen haben, sage ich: Das ist nes auf, nämlich die Ankündigung eines Energie- falsch. Wir wollen im Falle einer Laufzeitverlänge- konzeptes für den Herbst 2010. Das Einzige, was rung eine Ökodividende abschöpfen und das Geld, darüber hinaus konkret gesagt worden ist, lautet: das hier zusätzlich generiert wird, in die dringend Wir wollen die Verlängerung der Laufzeit von notwendige Erforschung erneuerbarer Energien Atomkraftwerken. – Ansonsten: Funkstille. stecken. Das hat nichts mit Klientelpolitik zu tun. Ganz im Gegenteil: Wir bringen das Thema voran; (Ulrich Kelber [SPD]: Und eine Kürzung bei das halte ich für ganz entscheidend. den Erneuerbaren!) Grundfalsch ist, Ideologie vor Realität zu stellen. Wenn man sich die Praxis ansieht, also das, was zwischenzeitlich passiert ist, dann stellt man (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- fest: All das, was erfolgreich durchgeführt worden neten der FDP) ist, ist mittlerweile in Gefahr. Beispielsweise läuft Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4193 das erfolgreiche Marktanreizprogramm für erneu- dann würde mich wirklich interessieren, wie diese erbare Energien im Wärmebereich jetzt aus; der Dissonanzen tatsächlich zu erklären sind. Finanzminister ist in einem heftigen Streit mit dem Umweltminister. Die Mittel für das CO2- Gebäudesanierungsprogramm werden nur bis et- Ich will es Ihnen sagen: Es ist nicht nur eine ver- wa Mitte dieses Jahres ausreichen; anschließend fassungsrechtliche, sondern durchaus auch eine wird auch dieses Programm, jedenfalls zunächst moralische Frage, ob man die Länder, die eindeu- einmal, unterbrochen. Das bedeutet, die Struktu- tig betroffen sind, beteiligt. Experten sagen sogar: ren, die aufgebaut worden sind, die Märkte und Wenn nur Unklarheit besteht, ob es Konsequenzen Arbeitsplätze, die entstanden sind, werden wieder für die Länder gibt – zum Beispiel finanzielle Fol- verloren gehen. Tolle Bilanz nach einem halben gen –, löst das automatisch eine Zustimmungs- Jahr! pflicht aus. Orientieren Sie sich bitte an diesem Grundsatz! Am besten aber: Kommen Sie von ei- (Beifall bei der SPD) ner falschen Energiepolitik ab! Versuchen Sie, Was das Thema Laufzeitverlängerung angeht, wieder in der Kontinuität dessen zu handeln, was hat es von Anfang an innerhalb der Union und in- in den elf Jahren zuvor aufgebaut worden ist! nerhalb der Koalition eine Dissonanz der Stimmen Vielen Dank. gegeben. Es hat immer wieder Stimmen gegeben, die darauf aufmerksam gemacht haben, welche (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Folgen man sich damit eigentlich einkauft. Es wur- DIE GRÜNEN) den, zum Beispiel von den neuen Energieanbie- tern, Gutachten in Auftrag gegeben, in denen da- Vizepräsidentin Petra Pau: rauf hingewiesen wurde, dass schon getätigte In- Das Wort hat der Kollege Klaus Breil für die vestitionen gefährdet sind und geplante Investitio- FDP-Fraktion. nen zurückgestellt werden, dass also genau das, was Sie, Herr Minister, eingefordert haben, näm- (Beifall bei der FDP) lich Planbarkeit und Zuverlässigkeit, verloren ge- gangen ist und deshalb Investitionen, die dringend Klaus Breil (FDP): notwendig sind, zurzeit unterbleiben und vermut- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und lich auch in der Perspektive nicht getätigt werden. Kollegen! Diese Aktuelle Stunde ist fehl am Platze, weil sie nicht aktuell ist, sondern gezielt irrefüh- In den Gutachten wurden auch die wettbewerb- rend. lichen Folgen einer Laufzeitverlängerung themati- siert. Hier werden Strukturen zementiert, die wir (Ulrich Kelber [SPD]: Am Samstag hat der eigentlich zurückbauen wollen. Wir werden näm- Staatsminister das angekündigt!) lich erleben, dass insbesondere die großen Vier Sie führt in die Irre, weil dabei bewusst mit fal- gestärkt werden, weil sie die Kernkraftwerke ha- schen Begriffen hantiert wird. Wenn überhaupt, ben, und die anderen ihre Marktposition letztlich können wir über eine Normalisierung der Laufzei- nicht werden ausbauen können. Vor diesem Hin- ten reden. tergrund und insbesondere in Anbetracht der Ziele, die Sie gerade selbst genannt haben – Klarheit (Lachen bei Abgeordneten der SPD – Ul- und Investitionssicherheit –, kann man nur an Sie rich Kelber [SPD]: Wann ist denn Ihre appellieren: Rücken Sie von diesem Kurs ab, der Rede geschrieben worden?) auch in Ihren eigenen Reihen höchst umstritten ist. Es handelt sich um eine Normalisierung, weil es (Beifall bei der SPD) hier um international übliche Normen geht, um weltweit Normales und Anerkanntes. Das Tüpfelchen auf dem i ist die Frage der Län- derbeteiligung. Natürlich kann man hier einen Vor- (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE trag halten, wie es der Minister gerade getan hat, GRÜNEN]: Sie sind international nicht und suggerieren, dass jetzt alles sauber und er- ganz auf der Höhe!) gebnisoffen geprüft wird. Nur, wie wollen Sie dann Ich will Ihnen das einmal bildlich erklären; dann erklären, was zurzeit in Ihren eigenen Reihen öf- ist es für Sie einfacher zu verstehen. Vor einigen fentlich geschieht? Erklären Sie doch dann einmal Jahren hat ein rot-grünes Ehepaar noch in den Flit- die Äußerungen der Ministerpräsidenten, in deren terwochen dem ungeliebten Stiefkind Leonie aus Ländern Kernkraftwerke stehen, gleichen Sie diese Missmut das Taschengeld gekürzt. Heute, nach- Aussagen mit den Äußerungen der Ministerpräsi- dem die rot-grüne Ehe erfolgreich geschieden ist, denten ab, die auch betroffen sind, in deren Ve- will Leonie das Taschengeld natürlich wieder in rantwortungsbereich es aber keine Kernkraftwerke gewohnter Höhe erhalten, und zwar so, wie es alle gibt, und kommentieren Sie dann die unterschied- Geschwister schon immer bekommen haben. Die lichen Äußerungen auch von Teilen der Bundesre- Stiefmutter ist ja weg. So weit ist es einleuchtend. gierung. Wenn das alles so harmlos ist, wenn es hier nur um eine ergebnisoffene Prüfung geht, (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nee! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/ 4194 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

DIE GRÜNEN]: Solche Familienverhält- technologien, um regenerative Energie zwischen- nisse gibt es bei den Grünen nicht! – Ul- zulagern, bis sie gebraucht wird. rich Kelber [SPD]: Das mit dem Geld ist Bei diesem Drahtseilakt bilden unsere Kernkraft- ein gutes Beispiel!) werke das Netz, das uns absichert, bis der Wandel Doch auf einmal soll nun Leonie alle ihre Tanten erfolgreich abgeschlossen ist. und Onkel um Zustimmung für ein vernünftiges An- (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- liegen bitten, und das, obwohl die Familie bei der NEN]: Wie bitte?) Kürzung gar nicht gefragt wurde. Erst wenn die regenerativen Energien genauso (Lachen der Abg. Dorothea Steiner [BÜNDNIS verlässlich Strom liefern wie heute die konventio- 90/DIE GRÜNEN]) nellen Energieträger, können wir auf Kernenergie Diese Logik ist mehr als schräg; sie ist widersinnig. und Kohle verzichten. Alles andere ist gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern nicht zu verantwor- Ihre Kollegin, die Sozialdemokratin und rhein- ten. land-pfälzische Umweltministerin Margit Conrad, hat dies eingesehen: Vor drei Monaten beschied Vielen Dank. ihr Ministerium, dass die Neuordnung der Laufzei- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ten keiner Zustimmung des Bundesrates bedürfe. der CDU/CSU) Natürlich muss man das genau prüfen. Ich zitiere aus der Zusammenfassung eines Vizepräsidentin Petra Pau: Gutachtens des Wissenschaftlichen Dienstes vom Das Wort hat der Kollege Dr. Michael Paul für 5. Mai dieses Jahres: die Unionsfraktion. Es liegt weitgehend beim Bundestag, ein Ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab- setz so zu beschließen, dass die Zustimmung geordneten der FDP – Ulrich Kelber des Bundesrates nicht erforderlich ist. [SPD]: Schon wieder ein Taschengeld- (Ulrich Kelber [SPD]: Zitieren Sie mal den Satz vergleich?) davor auch noch!) Dr. Michael Paul (CDU/CSU): Mit deutlicher Mehrheit haben sich die Wähle- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! rinnen und Wähler bei der Bundestagswahl für ei- Gestatten Sie mir, dass ich zur Sache spreche, ne sinnvolle und kontrollierte Harmonisierung der nämlich zum Thema der Aktuellen Stunde: Ist ein Laufzeiten von Kernkraftwerken entschieden. Gesetz zustimmungspflichtig, in dem die Laufzei- (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE ten der Kernkraftwerke verlängert werden? GRÜNEN]: Das haben sie aber bekannt- Das hängt natürlich davon ab, was der genaue lich am 9. Mai in NRW korrigiert!) Inhalt des Gesetzes ist. Wer von vornherein sagt: Sie haben sich so entschieden, weil ein weiterer „Ein solches Gesetz ist immer zustimmungspflich- Betrieb der nach internationalem Standard sicher- tig“, der liegt genauso falsch wie jemand, der sagt: sten Kernkraftwerke unsere ökonomisch und öko- „Ein solches Gesetz ist nie zustimmungsbedürftig“. logisch sinnvollste Option ist. – Auf den Inhalt kommt es an. Mit einer Normalisierung der Laufzeiten schaffen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wir die Voraussetzung für den in der Geschichte Das sieht im Übrigen auch das Bundesverfas- Deutschlands größten Umbau der Energieversor- sungsgericht so. Wie sieht es bei einem Gesetz gung: Wir werden die regenerativen Energien in aus, das eine reine Laufzeitverlängerung beinhal- Deutschland zum tragenden Pfeiler unserer Ener- tet? Beim Atomrecht führen die Bundesländer das gieversorgung machen. Gesetz im Auftrag des Bundes aus. Es handelt (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der sich also um eine Bundesauftragsverwaltung; Nor- CDU/CSU) bert Röttgen hat bereits darauf hingewiesen. In diesem Bereich der Bundesauftragsverwaltung un- In diesem Wandlungsprozess entsteht in Deutsch- terscheidet das Bundesverfassungsgericht drei land eine gewaltige Großbaustelle in Sachen Fälle von Gesetzen. Energieinfrastruktur, ein energetischer Eurotunnel in Richtung Zukunft. Im ersten Fall ist ein Gesetz zustimmungsbe- dürftig, wenn der Bund darin den Ländern erstmals Das bedeutet 1 000 Kilometer neue Energieau- eine neue Aufgabe überträgt. Eine neue Aufgabe tobahnen, die den Strom großer Windanlagen von wird den Ländern aber bei einer Laufzeitverlänge- der Küste quer durch ganz Deutschland transpor- rung sicherlich nicht übertragen. Schließlich üben tieren. Investitionsbedarf hier: 40 Milliarden Euro. sie bereits seit Beginn der Nutzung der Kernener- Das bedeutet die Bereitstellung intelligenter Netze, gie in Deutschland die Aufgabe aus, den Betrieb die Stromeinspeisung und Stromverbrauch intelli- der Kernkraftwerke zu beaufsichtigen. Das wird gent regeln. Das bedeutet innovative Speicher- auch in der Zukunft so sein. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4195

Im zweiten Fall ist ein Gesetz zustimmungsbe- nicht zustimmen; das haben Sie von SPD und dürftig, wenn dadurch den Aufgaben der Landes- Grünen gesagt. Dabei wurden dort nicht nur die behörden „eine wesentlich andere Bedeutung und Reststrommengen geregelt. Vielmehr haben Sie Tragweite“ verliehen wird, so das Bundesverfas- neue Pflichten eingeführt, auch bei den Sicher- sungsgericht. Bei einer Laufzeitverlängerung än- heitsauflagen. Jetzt bin ich bei Ihnen, Frau Kotting- dern sich die Aufgaben der Behörden aber nicht. Uhl. Sie haben festgeschrieben, dass Kernkraft- Schon gar nicht bekommen die Aufgaben eine an- werksbetreiber eine periodische Sicherheitsüber- dere Bedeutung oder Tragweite. Vielmehr beauf- prüfung verbindlich durchführen müssen und diese sichtigen die Landesbehörden die Kernkraftwerke den Landesaufsichtsbehörden vorzulegen sind. auch in der Zukunft so, wie sie es bereits schon (Michael Kauch [FDP]: Hört! Hört!) heute tun müssen. Die Behörden müssen zusätzlich zu ihren bisheri- (Ulrich Kelber [SPD]: Das wissen Sie gen Aufgaben genau dies prüfen. schon vor der Rechtsexpertise? – Doro- thea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das heißt, all das ist doch viel eher eine Ände- NEN]: Können wir das schriftlich haben?) rung von Vorschriften, durch die die Qualität der Aufgabe verändert wird, als es bei einer bloßen Sie beaufsichtigen die Kraftwerke zwar zeitlich Laufzeitverlängerung sein würde. Trotzdem haben länger; das ist richtig. Diese zusätzliche Dauer der Sie damals erklärt, das Gesetz sei nicht zustim- Verwaltungstätigkeit ist aber rein quantitativ und mungsbedürftig. Heute dagegen sagen Sie, ein hat keine neue Qualität. Das Bundesverfassungs- Gesetz mit einer reinen Laufzeitverlängerung müs- gericht hat schon festgelegt, dass eine solche rein se auf jeden Fall zustimmungsbedürftig sein. Das quantitative Mehrung von Verwaltungsaufgaben nimmt Ihnen nun wirklich niemand ab. gerade nicht zur Zustimmungsbedürftigkeit führt. (Beifall bei der CDU/CSU – Ulrich Kelber (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- [SPD]: Haben Sie eigentlich Ihrem Minis- NEN]: Sicherheitsauflagen!) ter vorhin zugehört? Oder war Ihre Rede – Zu Ihrem Einwand mit den Sicherheitsanforde- schon fertig geschrieben?) rungen, Frau Kotting-Uhl, komme ich gleich. – Ich habe sehr genau zugehört. Ich sehe auch (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- keinen Widerspruch. NEN]: Gut, ich bin gespannt!) Das Grundgesetz gibt nicht vor, dass Laufzeiten Es handelt sich bei einem Gesetz, in dem die in jedem Fall nur mit Zustimmung des Bundesrates bloße Laufzeitverlängerung geregelt wird, vielmehr verlängert werden können. Ob die konkreten Re- um den dritten Fall. Hier werden keine neuen Auf- gelungen eines vorzulegenden Gesetzes zustim- gaben übertragen oder bereits übertragene Aufga- mungsbedürftig sind, wird die Bundesregierung ben qualitativ verändert. Die Verlängerung der sehr genau prüfen. Unabhängig davon, ob der Laufzeiten, also, um es präzise zu sagen, die Er- Bundesrat zustimmen muss oder nicht, gilt: Auch höhung der Reststrommengen, verändert bloß den in Zukunft werden wir in Deutschland die weltweit Zeitraum, in dem die Landesbehörden die Aufsicht strengsten Sicherheitsstandards für Kernkraft- führen müssen. Ein solches reines Laufzeitverlän- werke haben. Bei der Sicherheit von Kernkraftwer- gerungsgesetz ist nach diesen Kriterien des Bun- ken wird es keine Kompromisse geben. desverfassungsgerichts deshalb nicht zustim- Vielen Dank. mungsbedürftig. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn Sie darauf nun entgegnen, dass sich die Länder darauf eingestellt hätten, die Aufgaben nur zeitlich befristet auszuüben, so kann ich dem Kol- Vizepräsidentin Petra Pau: legen Kauch an dieser Stelle nur zustimmen: Auch Das Wort hat die Kollegin Christine Lambrecht bisher konnten sich die Länder gerade nicht auf für die SPD-Fraktion. ein bestimmtes Enddatum einstellen, an dem die (Beifall bei der SPD) Kraftwerke vom Netz gehen. Sie, die Damen und Herren von SPD und Grünen, haben doch in Ihrer Christine Lambrecht (SPD): Regierungszeit im Jahr 2002 beschlossen, dass Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! die Betriebszeiten nicht befristet, also mit einem Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Rede meines festen Enddatum versehen werden, sondern dass Vorredners im Zusammenhang mit der Rede des eine Reststrommenge abhängig vom Betrieb der Ministers gesehen, zeigt wunderbar die Unstim- Anlage aufgebraucht werden darf. Damit stand für migkeiten auf, die bezüglich der Einschätzung der die Länder nicht fest, wann ihre Aufgabe, nämlich hier anstehenden Frage herrschen. Herr Röttgen über den Betrieb der Kernkraftwerke die Aufsicht sagt, tendenziell müsse man die Länder beteiligen. auszuüben, endet. „Tendenziell“ – das ist für mich ein neuer Rechts- Da ich schon beim Ausstiegsgesetz von 2002 begriff. Sie sagen: Das ist völlig unproblematisch, bin: Damals musste der Bundesrat dem Gesetz man muss die Länder nicht beteiligen. Ich glaube, 4196 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 das zeigt deutlich, was für ein Tohuwabohu bei Ih- Dafür hat er mir gedankt. Die Klarheit besteht also nen in der Koalition herrscht. Ich finde, das sollten längst, und zwar durch den Atomkompromiss. Die- Sie einmal klären. se Klarheit heben Sie durch das derzeit von Ihnen veranstaltete Tohuwabohu auf. Wenn Sie Klarheit (Beifall bei der SPD) wollen, dann machen Sie endlich Schluss mit den Herr Röttgen, Sie haben uns aufgefordert, diese Debatten über die Verlängerung der Laufzeiten Frage verfassungsrechtlich und nicht politisch zu von Atomkraftwerken. Dann haben die Kraftwerks- prüfen. Man muss sich überlegen, wie Sie auf die- betreiber endlich wieder die Planungssicherheit, se für mich als Juristin hochspannende Frage ge- die sie vorher schon hatten. kommen sind. Haben Sie innerhalb der Koalition (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ein rechtspolitisches Seminar besucht und sich des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) diese Frage vorgenommen? Das war es doch wohl nicht. Ich glaube, die Frage, ob der Bundesrat an Sie haben uns aufgefordert, dass wir bitte nicht der Entscheidung zu Laufzeitverlängerungen betei- geifern sollen. Ich glaube, Sie haben nicht uns ligt werden soll, wird erst seit einem politischen Er- gemeint. Das ging eher in eine andere Richtung. eignis intensiv diskutiert, nämlich ab dem Moment, Sie haben wohl den CDU-Ministerpräsidenten von ab dem Sie durch die Wahlschlappe in NRW die Baden-Württemberg gemeint, der Sie zum Rück- Mehrheit im Bundesrat verloren haben. Das ist der tritt aufgefordert hat. Ich kann mir vorstellen, dass Hintergrund und nicht Ihr Interesse am Verfas- er der Adressat war. Leider sitzt er nicht hier. Er sungsrecht. hat sich wahrscheinlich nicht getraut, an der De- batte teilzunehmen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich muss Ihnen sagen: Das ist schon ein un- Es ist sehr wohl eine politische Fragestellung. glaublicher Vorgang. Ich bin seit elf Jahren in die- Sie sagen, wir alle müssten ein Interesse daran sem Parlament. Aber damit, dass ein CDU- haben, dass eine Laufzeitverlängerung verfas- Ministerpräsident einen CDU-Umweltminister zum sungskonform beschlossen werden muss, um Rücktritt auffordert, weil dieser in einer Angele- nicht angreifbar zu sein. Ich sage Ihnen: Daran genheit, die die Länder betrifft, die Länder gerne haben wir kein Interesse. mit beteiligen möchte, haben Sie zwar keine Ver- fassungsgeschichte, aber wenigstens Geschichte (Beifall bei Abgeordneten der SPD) geschrieben. Das ist schon ein toller Vorgang. Ich Wir haben weder ein Interesse daran, dass eine muss sagen: Respekt! Laufzeitverlängerung mit Beteiligung des Bundes- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ rates beschlossen wird, noch haben wir ein Inte- DIE GRÜNEN) resse an dem Beschluss einer Laufzeitverlänge- rung ohne Beteiligung des Bundesrates. Wir wol- Man könnte sich in der Opposition eigentlich zu- len überhaupt keine Laufzeitverlängerung in die- rücklehnen und zuschauen, wie Sie sich zerflei- sem Bundestag beschließen. schen. Aber das wäre unverantwortlich; denn es geht nicht darum, irgendetwas komisch zu finden – (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ das ist es nämlich schon lange nicht mehr –, son- DIE GRÜNEN) dern es geht unter anderem um das Sicherheits- Sie haben gesagt: Die Konzerne brauchen Klar- bedürfnis der Menschen. Ich habe bereits gesagt, heit. Das zeigt, dass Sie noch nicht lange in die- dass in meinem Wahlkreis das Atomkraftwerk Bi- sem Ressort tätig sind. Ich komme aus dem Wahl- blis steht. Das ist einer der ältesten Meiler. Die kreis Bergstraße. In der Nähe liegt das Kernkraft- Menschen dort haben sehr große Befürchtungen, werk Biblis. Es gibt regelmäßig Gespräche über was die Sicherheit angeht. die Kernkraft. Für mich als bekennende AKW- (Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Gegnerin sind das nicht immer vergnü- Aber sie sind mehrheitlich dafür!) gungsteuerpflichtige Veranstaltungen gewesen. Als wir im Deutschen Bundestag den Atomkom- Darüber hinaus besteht ein großes Problem in Be- promiss verabschiedet haben, war ich dort zu zug auf Terrorangriffe. Auch das ist aufgrund der Gast. Ich habe mich auf einiges eingestellt und Dicke der Betondecke mittlerweile festgestellt. Dort mich gefragt, was wohl kommen wird. Herr Rött- sehen die Menschen die Verlängerung der Lauf- gen, wissen Sie, was passiert ist? Ein Kraftwerks- zeiten ganz anders. Bei der Großdemonstration betreiber hat mir sehr zur Überraschung einiger am 24. April waren mehr als 20 000 Menschen auf quer durch den ganzen Saal ausdrücklich dafür den Beinen, nicht weil sie eine Verlängerung der gedankt – hören Sie gut zu, das können Sie über- Laufzeiten wollen, sondern weil sie wollen, dass all nachlesen –, dass jetzt endlich Klarheit darüber dieser alte Meiler endlich abgeschaltet wird und herrsche, wie es mit den Kraftwerken weitergehe, nicht noch länger am Netz bleibt, weil diese Unsi- dass sie endlich Planungssicherheit hätten. cherheit nicht noch länger zu akzeptieren ist. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Was?) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4197

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Ulrich Kelber [SPD]: Meinen Sie eigentlich DIE GRÜNEN) Asse?) Ich finde es unglaublich, mit welcher Arroganz 70 Prozent – es wurden ja schon viele Umfragen Sie über die Interessen der Menschen vor Ort hin- zitiert – der Menschen sagen, dass sie davon weggehen und sie einfach nicht wahrnehmen. überzeugt sind, dass wir auch in den nächsten Aber das ist anscheinend Ihre Politik. Sie haben zehn Jahren Kernenergie in Deutschland brau- aus der Schlappe bei der Wahl in NRW am 9. Mai chen. nichts gelernt. Sie regieren an den Interessen der (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Menschen vorbei. Dafür werden Sie auch auf Bun- Das ist überhaupt nicht wahr!) desebene die Quittung bekommen. Und mehr als die Hälfte der Menschen in Deutsch- Vielen Dank. land sagt, dass wir es ohne Kernenergie gar nicht (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schaffen, den Beschluss, den Sie vor acht Jahren DIE GRÜNEN) gefasst haben, umzusetzen. (Ulrich Kelber [SPD]: Quelle benennen! Vizepräsidentin Petra Pau: Das ist eine Umfrage des Atomforums! Das Wort hat der Kollege Thomas Bareiß für die Sie zitieren Lobbyisten! Peinlich!) Unionsfraktion. Ich meine, dass wir Ihre ideologischen Be- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schlüsse, die Sie vor acht Jahren gefasst und die keine realistische Grundlage haben, in den nächs- Thomas Bareiß (CDU/CSU): ten Monaten prüfen müssen. Auf einer sachlichen Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen Grundlage werden wir im Herbst ein Energiekon- und Herren! Erlauben Sie mir eine kurze Vorbe- zept vorlegen, das mit dem Thema Laufzeitverlän- merkung: Wir diskutieren bereits eine Stunde lang gerung der Kernkraftwerke objektiv umgeht und über die Mitbestimmung des Bundesrates. Der die Kernenergie als Brücke zu einem Zeitalter der Bundesrat scheint aber gar kein Interesse daran regenerativen Energie sieht. zu haben. Es ist kein Vertreter eines Landes außer (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- von Baden-Württemberg da, und Baden- NEN]: Das schon da ist!) Württembergs Meinung ist ja bekannt. Insofern ist dies ein klares Signal des heutigen Tages. Hier sind noch viele Fragen offen. (Ulrich Kelber [SPD]: Wo sind der Herr (Beifall bei der CDU/CSU) Mappus, der Herr Seehofer und der Herr An dieser Stelle sage ich klar und deutlich: Die Koch? Die haben doch eine klare Mei- Kernenergie hat für uns keinen Selbstzweck, son- nung dazu! – Weitere Zurufe von der dern sie ist dazu da, die Brücke zu einer bezahlba- SPD) ren, sauberen und sicheren Energieversorgung für Nächster Punkt – das passt gut zu Ihren Einlas- die nächsten Jahrzehnte zu bauen. sungen –: Die Debatte, die Sie heute führen, und (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Aktuelle Stunde, die Sie beantragt haben, zei- NEN]: Sauber und sicher?) gen nichts anderes, als dass Sie sich in Ihre ideo- logischen Schützengräben der letzten Jahre zu- Darum sollte es auch in den nächsten Monaten rückgezogen haben und nicht an einer sachlichen gehen: Wir müssen die Debatte versachlichen. Diskussion interessiert sind. Uns geht es auf alle Fälle um die Sache. Es ist richtig und wichtig, dass wir in den nächsten zwei (Ulrich Kelber [SPD]: Ganz im Gegensatz zu Wochen noch einmal die fachliche und rechtliche Ihnen natürlich!) Grundlage überprüfen, damit in zwei Wochen Ein Ziel der nächsten Monate sollte sein, dass wir Klarheit herrscht, wenn es geht, auch über die über dieses Thema sachlich diskutieren. Genauso Handlungsfähigkeit des Bundes und der Bundesre- wenig wie vor einem Jahr, als Ihr damaliger Um- gierung, gerade bezüglich der Frage, wie wir die weltminister Sigmar Gabriel mit seinem gelben Energieversorgung nicht der nächsten zwei, drei Bauhelm in jede Kamera gelächelt und versucht Jahre, sondern der nächsten 40 Jahre sicherstel- hat, das Thema hochzuziehen len wollen. Das ist, glaube ich, ein Thema, das uns allen sehr wichtig sein sollte, weil wir große Ziele (Ulrich Kelber [SPD]: Welches Thema?) haben. Wir haben das Ziel, dass wir in den nächs- – das Thema Kernenergie – und die Menschen zu ten zehn Jahren 30 Prozent der Energie aus rege- verunsichern, werden Sie es heute schaffen, die nerativen Energien erzeugen wollen. Menschen zu verunsichern; denn die Menschen (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sind schon viel weiter und sehen dieses Thema NEN]: Wahnsinnig ambitioniert!) schon viel pragmatischer. Dazu gehört auch, dass wir in den nächsten Jahren die Grundlast sicherstellen müssen. Die 4198 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

Kollegen, die vor mir gesprochen haben, haben es (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE schon dargelegt: Wir brauchen nach wie vor eine GRÜNEN]: Ja, ja, das sehen wir dann Grundlast, die sicher ist. mal! Im Moment wird überall abgebaut! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Großbritannien hat sich schon wie- NEN]: Meine Güte!) der davon verabschiedet!) Wir haben einen enormen Anstieg der Energieer- In diesem Sinne werden wir ohne große Ideologie zeugung mit fluktuierenden Energieträgern, zum und ohne große Verunsicherung in den nächsten Beispiel Wind. Wir brauchen – das ist ebenfalls ei- Monaten Energiepolitik aus einem Guss machen ne große Herausforderung – erneuerbare Energie, und an dem Thema weiter arbeiten. die grundlastfähig ist. Herzlichen Dank. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Erneuerbaren sind schon (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) lange grundlastfähig!) Auch das ist ein Punkt, den wir noch gemeinsam Vizepräsidentin Petra Pau: besprechen müssen. Wir werden trotzdem auf Der Kollege Marco Bülow hat nun für die SPD- grundlastfähige Großkraftwerke nicht verzichten Fraktion das Wort. können. (Beifall bei der SPD) Deshalb müssen wir die Frage stellen, wie wir die ambitionierten Klimaschutzziele, die wir uns für Marco Bülow (SPD): die nächsten zehn Jahre vorgenommen haben, er- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! reichen wollen. Eine Reduktion der CO2- Herr Röttgen ruft zur Versachlichung der Diskussi- Emissionen um 40 Prozent ist ein Ziel, das sogar on auf, und auch mein Vorredner aus Baden- Ihre Erwartungen bei weitem übertrifft. Das können Württemberg macht das. Ich finde das gut, aber wir nur dann schaffen, wenn wir die nächsten Jah- dann fangen Sie doch einmal in der Union mit der re auf Kernenergie bauen und damit zu CO2- sachlichen Diskussion an. Ich finde es komisch, es Minderungen beitragen. sachlich zu nennen, dass ein Unionsmi- nisterpräsident einen Unionsumweltminister zum (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Rücktritt auffordert. Wenn das eine sachliche Dis- neten der FDP) kussion ist, dann können wir gern auf dem Niveau Alles andere wäre aus meiner Sicht ein klimapoliti- weiterdiskutieren. scher Irrflug. (Beifall bei der SPD – [CDU/ Letzter Punkt. Beim Thema Kernenergie ist die CSU]: Meinungsfreiheit, Herr Kollege!) Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands entscheidend. Herr Mappus möchte in die Fußstapfen von Franz Ich glaube, die Debatten, die wir heute Morgen Josef Strauß steigen. Da braucht man natürlich ei- hier im Hohen Hause geführt haben, haben ge- ne gewisse Rabulistik; das kann ich gut verstehen. zeigt, dass es im Kern um die Frage geht, wie wir Ich glaube aber, dass es der Debatte insgesamt in den nächsten Jahren nicht nur in Deutschland, nicht weiterhilft. sondern auch in Europa die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft sicherstellen, wie wir Wohlstand Schauen wir uns das Demokratieverständnis und Wachstum sowie Arbeitsplätze generieren einmal genauer an. Es gibt drei Bundesländer, die können. alles tun, damit sie selbst nicht mehr mitreden können, damit sie selbst keinen Einfluss mehr auf (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: eine Diskussion haben können. Das heißt, sie wol- Ja, wie machen wir das denn zurzeit?) len sich selbst entmachten. Das ist im Augenblick Auch in diesem Kontext ist die Energiepolitik ein das Demokratieverständnis von Bayern, Hessen entscheidender Baustein. Es geht darum, den und Baden-Württemberg; diese Landes- Übergang zu regenerativen Energien sicherzustel- regierungen sind unionsdominiert. Ausgerechnet len, aber auch darum, bezahlbare und saubere diese drei Länder entdecken auf einmal, dass sie Grundlast für die Zukunft zu gewährleisten. zu dem Thema eigentlich nichts mehr sagen wol- len und sich da heraushalten wollen. Gut, wenn sie (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: das wollen, dann können sie sich insgesamt gern Atomstrom ist nicht sauber!) aus der Diskussion zurückziehen und auch in Zu- Ich kann Ihnen nur raten, einmal Ihre Kollegen kunft über alle Angelegenheiten, die mit Atom- in Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden energie zu tun haben, schweigen. Ich glaube, und Skandinavien zu fragen. All diese Länder bau- wenn sie das bereits früher getan hätten, dann wä- en die Kernenergie in den nächsten Jahren sogar ren wir in der gesamten Diskussion schon einen aus und generieren daraus entsprechende Wett- Schritt weiter. bewerbsfähigkeit. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sylvia Kotting- Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4199

Die Lobbyisten haben es geschafft – sie haben natürlich mitentscheiden und mitbestimmen; wir in diesem Bereich ganze Arbeit geleistet –, dass diskutieren öffentlich darüber, wie mit der Laufzeit es sogar so weit kommt, dass sich diese drei Län- verfahren werden soll und was mit den Gewinnen der zurückziehen wollen. Ich frage mich allerdings, und der Gewinnabschöpfung geschehen soll. warum diese drei Länder – sie haben immer noch Wenn Sie das gemacht hätten – einige aus der die gleichen Regierungskonstellationen – gefordert Union wollen das anscheinend –, hätten Sie unse- haben, dass sie bei der Atomgesetzgebung, bei re Zustimmung zwar trotzdem nicht bekommen, der Verlängerung der Laufzeiten im Bundesrat aber Sie hätten die Chance auf eine sachliche Dis- mitbestimmen wollen. Das können Sie sich auf kussion gehabt und zumindest eine Minderheit in Drucksache 7/1/02 genau anschauen. Diese drei diesem Land mitnehmen können. Länder wollten vor acht Jahren genau das Gegen- So aber werden Sie genau das Gegenteil von teil von dem, was sie im Augenblick vorbringen. dem erreichen, was wir durch den Konsens er- Schauen Sie von der Union sich diese Drucksache reicht haben. Wir haben eine Befriedung dieser einmal genauer an. Dann erklären Sie uns bitte, Republik erreicht. Die Menschen waren unglaub- wie es zu diesem Sinneswandel gekommen ist. lich aufgestachelt, bevor es den Atomkonsens gab. Meine Kollegin Frau Lambrecht hat darauf hinge- wiesen, dass es nur daran liegen kann, dass man (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Wer hat sie nach der NRW-Wahl festgestellt hat, dass das denn aufgestachelt?) nicht mehr so einfach wird im Bundesrat und man Sie stacheln die Leute wieder auf. Die Leute wer- deswegen auf einmal eine andere politische Dis- den noch öfter, als das in den letzten Monaten der kussion herbeiführen und den Bundesrat nicht Fall war, auf die Straße gehen. Den Konflikt wer- mehr beteiligen möchte. Aber so einfach wird das den Sie in dieser Republik sehen. Sie sind dafür nicht sein. Dafür werden wir schon sorgen. verantwortlich, dass er da ist. Wir werden politisch (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Sie haben es oh- alles tun, damit Sie die Laufzeitverlängerung we- ne Bundesrat gemacht!) der über den Bundesrat noch hier im Bundestag durchsetzen können. Diese Kampfansage können Zu den Gutachten – korrigieren Sie mich gege- Sie von uns heute bekommen. benenfalls –: Wir haben zwei Gutachten des Wis- senschaftlichen Dienstes. Scherzhaft könnte man Sie von der CDU haben vor der NRW-Wahl ge- sagen, dass wir noch ein drittes Gutachten ma- sagt: Das ist auch eine Probeabstimmung über die chen könnten. Wir könnten den Wissenschaftli- Atompolitik. Die Bürgerinnen und Bürger haben chen Dienst beauftragen, zu sondieren, was die sich am Sonntag, den 9. Mai 2010, entschieden, Union überhaupt will. der Atomenergie keine Zukunft zu geben. Das wird Sie auch im Bund ereilen, wenn Sie nicht umden- (Beifall der Abg. Christine Lambrecht [SPD]) ken. Das ist mir auch in der Diskussion heute nicht klar Vielen Dank. geworden. Vielleicht sollte man den Wissenschaft- lichen Dienst auch da einmal dransetzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des – Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Wie viel BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Prozent hat die SPD denn mehr in Im Prinzip geht es Ihnen wie bei allen Diskussi- Nordrhein-Westfalen? – Gegenruf des onen, die wir in den letzten Jahren hier über Atom- Abg. Ulrich Kelber [SPD]: 6 Prozent seit politik geführt haben, nur um Tricksen, Täuschen der letzten Bundestagwahl, Herr Kollege, und Tarnen. Wie bei Gorleben geht es auch bei wenn Sie rechnen können! – Gegenruf der Laufzeitverlängerung nur darum: Augen zu und des Abg. Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Jetzt schnell durch, damit Sie Ihre Laufzeitverlängerung müssen Sie sich schon auf die Bundes- bekommen und der Atommüll möglichst schnell tagwahl beziehen, weil das andere zu weg ist, egal was danach passiert, egal was die peinlich ist!) nächsten Generationen aufgrund Ihrer Politik aus- baden müssen. Darum geht es Ihnen. Sie wollen Vizepräsidentin Petra Pau: das Ganze gegen die Interessen der Menschen Der Kollege Thomas Gebhart hat nun für die durchsetzen. Sie wollen das möglichst intranspa- Unionsfraktion das Wort. rent haben und jetzt auch noch ohne Mitbestim- mung und Einmischung der Länder. (Beifall bei der CDU/CSU)

Ich sage Ihnen: Man kann sich ja darüber strei- Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): ten und zu unterschiedlichen Auffassungen kom- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu men, aber Sie hätten die Chance gehabt, zumin- Beginn will ich ganz offen sagen: Manche Äuße- dest die Minderheit der Bevölkerung auf eine seri- rung, die ich in den letzten Tagen in den Zeitungen öse Art und Weise mitzunehmen. Sie hätten fernab gelesen habe, hat mich nicht begeistert. von juristischen Entscheidungen sagen können: Wir machen das transparent; wir lassen die Länder (Christine Lambrecht [SPD]: Herr Mappus?) 4200 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

Ich sage auch: Dieser Streit, den die Opposition Zweiter Punkt. Wir werden weiterhin auf For- jetzt zu schüren versucht – das ist völlig klar –, schung und Entwicklung setzen. Forschung und Entwicklung sind der Schlüssel zur Lösung der (Rolf Hempelmann [SPD]: Den brauchen wir Probleme. Wir müssen insbesondere auf Speicher- nun wahrlich nicht zu schüren!) technologien setzen, wenn wir die Erneuerbaren ist in dieser Form überflüssig und bringt uns in der voranbringen wollen. Auch im Hinblick auf die Sache am Ende nicht weiter. Elektromobilität müssen wir bei den Spei- chertechnologien entscheidend vorankommen. (Ulrich Kelber [SPD]: Doch! Wir fordern den Rücktritt von Mappus und Röttgen!) (Ulrich Kelber [SPD]: Deswegen hat Nor- bert Röttgen das Speichergesetz 2008 zu Lassen Sie uns lieber über die Sache diskutieren. Fall gebracht!) Lassen Sie uns über die eigentlich wichtige Sache diskutieren, nämlich über die Frage, wie es mit der Mein dritter Punkt hängt mit den ersten beiden Energieversorgung in unserem Land weitergeht. eng zusammen: Wir wollen und werden die erneu- Wie schaffen wir es, die erneuerbaren Energien erbaren Energien voranbringen. Wir wollen, dass voranzubringen? Wie geht es weiter, und was der Anteil der erneuerbaren Energien Schritt für macht Sinn im Hinblick auf die Frage der Kern- Schritt ausgebaut wird. Zu dieser Politik stehen energie? wir, und dies werden wir auch umsetzen. Wenn es um diese Fragen geht, haben wir eine (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) klare Zielsetzung. Wir haben ein ganz klares Leit- Aber auch hier gilt: Lassen Sie uns mit ökonomi- bild: Uns geht es um eine nachhaltige Entwicklung. scher Vernunft an die Sache herangehen; denn Wir wollen eine Politik betreiben, die über den Tag auch beim Ausbau der erneuerbaren Energien gilt hinausgeht. Wir wollen Umweltschutz, die wirt- es auf die Effizienz zu achten. schaftlichen Ziele und die sozialen Aspekte in Ein- klang bringen. Das ist die große Herausforderung. Ich komme zu meinem vierten Punkt. Es macht Darum geht es. Zugleich ist das eine große Chan- aus unserer Sicht keinen Sinn, wenn wir bei uns ce für unser Land. Kernkraftwerke abschalten und den Strom, den diese Kernkraftwerke erzeugt haben, durch Impor- (Beifall bei der CDU/CSU – Rolf te ersetzen oder ihn in zusätzlichen Kohlekraftwer- Hempelmann [SPD]: Deswegen müsst ihr ken erzeugen. Ihr Parteichef Gabriel hat noch vor euch doch nicht so streiten!) einem Jahr überall gesagt: Wenn wir aus der Ich will an dieser Stelle ausdrücklich hinzufügen: Kernkraft jetzt aussteigen, brauchen wir als Ersatz Wir können froh sein, dass wir mit Norbert Röttgen acht bis zwölf neue Kohlekraftwerke. einen Umweltminister haben, der diese Themen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – richtig anpackt und nach vorne bringt. Die Politik, Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die dieser Minister betreibt und verantwortet, NEN]: Deutschland ist Stromexportland! – schafft am Ende ein gutes Stück Zukunft für unser Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE Land, und darum geht es. GRÜNEN]: Wir haben sogar Strom expor- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU tiert, als sieben AKWs nicht am Netz wa- und der FDP – Sylvia Kotting-Uhl ren!) [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das müs- Meine Damen und Herren, das macht keinen Sinn, sen Sie woanders erzählen!) das wäre ein Rückschritt, und zwar in jeder Hin- Wir werden in diesem Jahr ein Energiekonzept sicht. Wir würden die Klimaschutzziele in unserem vorlegen. Es wird darum gehen, eine Energiever- Land mit Sicherheit nicht erreichen. sorgung zu schaffen, die verlässlich ist, die sauber (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE ist, die aber auch bezahlbar bleibt. Dies dürfen wir GRÜNEN]: Lesen Sie einmal das Gutach- nie vergessen. ten Ihres eigenen Sachverständigenra- tes!) (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Deswegen sagen wir ganz klar: Die Kernkraft NEN]: Es fehlt das Wort „Sicherheit“!) hat eine Brückenfunktion, sie ist eine Brücke hin zu den erneuerbaren Energien. Wir sind uns in dieser Ich will an dieser Stelle nur ganz kurz wenige, Frage völlig einig; das ist im Koalitionsvertrag ent- aber wichtige Eckpunkte nennen, um die es am sprechend verankert. Wir brauchen die Kernkraft, Ende geht: bis sie verlässlich durch erneuerbare Energien er- Erster Punkt. Wir werden weiterhin auf Energie- setzt werden kann. Das ist unser Ziel. Das ist, effizienz setzen; das ist völlig klar. denke ich, insgesamt ein vernünftiger Weg, we- sentlich vernünftiger als das, was ich hier an man- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: chen Stellen von Ihnen gehört habe. Fangen Sie erst einmal an damit!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4201

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Die getroffene Regelung gilt erstmals für Wehr- der FDP) und Zivildienstleistende, die ihren Dienst ab dem 1. Juli 2010 antreten werden. Deswegen brauchen wir eine Laufzeitverlänge- rung. Wir müssen die Laufzeiten um ein paar Jah- Von Beginn an habe ich deutlich gemacht, dass re verlängern. die Verkürzung des Wehrdienstes nicht als Ein- stieg in den Ausstieg aus der Wehrpflicht missver- (Zuruf: Wie lange denn?) standen werden darf. Vielmehr geht es darum, die Klar ist – auch dies wurde deutlich gesagt –: Die Wehrpflicht zu erhalten und angemessen fortzu- Sicherheit hat dabei Priorität. entwickeln. Die Anforderungen der Streitkräfte und die berechtigten Bedürfnisse der jungen Wehr- (Rolf Hempelmann [SPD]: Die Verlängerung pflichtigen waren hier zu einem Ausgleich zu brin- hat bei euch Priorität!) gen, und gleichzeitig war der Zivildienst mit seinen Wenn es uns am Ende gelingt, die Laufzeiten zu Besonderheiten zu berücksichtigen. verlängern und gleichzeitig einen guten Teil der Wir haben unser Konzept daher von Anfang an Zusatzerlöse in die Forschung und in erneuerbare eng und vertrauensvoll mit dem Familienministeri- Energien zu stecken, haben am Ende alle gewon- um abgestimmt, und mit dem Gesetzentwurf liegt nen; denn dann können wir den Weg zu einer nun ein tragfähiges Konzept zur Ausgestaltung des neuen, nachhaltigen Energieversorgung mit einem kürzeren Wehrdienstes vor, das auch die Anliegen hohen Anteil Erneuerbarer schneller gehen. Das, des Zivildienstes berücksichtigt. Damit haben wir meine Damen und Herren, macht insgesamt Sinn insgesamt eine gute, eine zielführende Lösung ge- und ist Teil einer verantwortbaren nachhaltigen Po- funden, eine Lösung, zu der ich sagen kann, dass litik. Dies ist und bleibt unser Maßstab. es mich freut, dass wir hinsichtlich des Vorhabens Danke schön. des Familienministeriums, die Möglichkeit der frei- willigen Verlängerung des Zivildienstes zu schaf- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- fen, zu einem abgestimmten Vorgehen gelangt neten der FDP) sind. Wir tragen damit auch dem Gedanken Rech- nung, dass sich die Struktur der Wehrpflicht auch Vizepräsidentin Petra Pau: beim Zivildienst widerspiegeln soll. Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich will, dass dieser Wehrdienst der Zukunft als Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Angebot verstanden wird. Die jungen Männer von Befragung der Bundesregierung heute sollen die Zeit bei der Bundeswehr in kom- pakter Form als eine sinnvolle, eine fordernde und Die Bundesregierung hat als Thema der heuti- damit auch eine attraktive Zeit erleben. Gleichzei- gen Kabinettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf tig stellt der Wehrdienst der Zukunft ein Angebot zur Änderung wehr- und zivildienstrechtlicher dar, noch schneller ins Berufsleben, ins Studium Vorschriften. oder in die weiterführende Ausbildung zu gehen Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Be- bzw. zurückzukehren. Er soll zum einen zur Ver- richt hat der Bundesminister der Verteidigung, Herr klammerung zwischen der Bundeswehr und der Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg. Bitte, Gesellschaft beitragen und zum anderen den in Herr Minister. der Gesellschaft vorhandenen breiten Konsens über die allgemeine Wehrpflicht bekräftigen. Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bun- Bei der Ausplanung habe ich mich von folgen- desminister der Verteidigung: den Überlegungen leiten lassen: Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kollegin- nen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Mit Zum Ersten wird es flexible Einberufungstermine der heutigen Beschlussfassung des Kabinetts zum geben, acht pro Jahr. Dadurch wird die Möglichkeit Wehrrechtsänderungsgesetz 2010 haben wir einen geschaffen, die vorhandene Infrastruktur ohne zu- wichtigen Schritt zu dem im Koalitionsvertrag fest- sätzlichen finanziellen Aufwand zu nutzen und gehaltenen Ziel, den Wehrdienst und in der Folge besser auf die individuelle Lebensplanung einzu- auch den Zivildienst bis zum 1. Januar 2011 auf gehen. sechs Monate zu verkürzen, umgesetzt. Zum Zweiten. Die Möglichkeit der flexiblen An- (Abg. Agnes Malczak [BÜNDNIS 90/DIE passung der allgemeinen Grundausbildung hat das GRÜNEN] meldet sich zu einer Frage) Ziel, zivilberufliche Qualifikationen zu nutzen und die Grundwehrdienstleistenden bis zu vier Monate – Für Befragungen stehe ich gerne zur Verfügung. auf Funktionsdienstposten einzusetzen. Für Fragen, die mit dem Zivildienst im Zusammen- hang stehen mögen, ist die Frau Kollegin Schröder Drittens muss sichergestellt sein, dass jederzeit zugegen; auch sie ist gerne bereit, entsprechende ein problemloser Statuswechsel zum freiwilligen Fragen zu beantworten. zusätzlichen Wehrdienst Leistenden oder Soldaten auf Zeit möglich ist. 4202 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

Viertens. Mit einem Grundumfang von 25 000 um den Zivildienst zu begründen. Der Zivildienst ist Grundwehrdienstleistenden erreichen wir durch die nichts anderes als Wehrersatzdienst. Verkürzung eine höhere Einberufungsquote – zu- Die von Ihnen angesprochene Arbeitsmarktneut- künftig werden 50 000 Grundwehrdienstleistende ralität wird vom Bundesamt für den Zivildienst akri- im Jahr anstatt 40 000 wie derzeit bei W 9 einberu- bisch überprüft. Jede Stelle, die als Zivildienstträ- fen – und eine Erhöhung der Ausschöpfungsquote, ger anerkannt werden will, wird sehr genau auf Ar- und wir können den Bedarf über 2012 hinaus de- beitsmarktneutralität überprüft, um sicherzustellen, cken. Bei einem Umfang von 30 000 Grund- dass keine bestehende Arbeitsstelle ersetzt wird wehrdienstleistenden aufgrund der demografi- oder wegfällt und kein Einsatz dort stattfindet, wo schen Entwicklung und der Zahl heranziehbarer es sonst eine Arbeitsstelle gäbe. Das wird nicht junger Männer wäre das andernfalls nicht möglich. nur am Anfang, sondern durch Außendienst- Wir schaffen damit wesentliche Voraussetzungen für mitarbeiter des Bundesamtes für den Zivildienst die Umsetzung des verkürzten Wehrdienstes der Zu- immer wieder überprüft. In Fällen, wo das nicht kunft. Dieser muss den sicherheitspolitischen Erforder- gegeben ist, wird die Anerkennung als Zivildienst- nissen und den Interessen der Bundesrepublik gerecht träger aberkannt. werden und im Einklang mit der zunehmenden Einsatz- Dass es trotzdem Klagen der Zivildienstträger orientierung der Bundeswehr sein. Mit dem Wehr- rechtsänderungsgesetz wird der Rahmen gesetzt, und es darüber gibt, dass der Zivildienst de facto um ein kommt nun darauf an, dass die Teilstreitkräfte, die Or- Drittel verkürzt wird, zeigt, dass die Zivildienstleis- ganisationsbereiche und die Vorgesetzten vor Ort ihren tenden in den Einsatzstellen eine wichtige Funkti- Handlungsspielraum mit Kreativität und Engagement on haben; denn sie leisten die Dinge, für die sonst im Sinne des genannten Ziels umsetzen. nicht immer Zeit ist, und werden unterstützend tä- tig. Insofern zeigt es die Bedeutung des Zivildiens- Eine frühzeitige Planungssicherheit ist für die tes, aber es ändert nichts an dem Charakter des Streitkräfte genauso wichtig wie für die von der Wehrersatzdienstes und der Arbeitsmarkt- Wehrpflicht betroffenen jungen Männer. Deshalb neutralität. werbe ich um Ihre Zustimmung zu dem vorliegen- den Gesetzentwurf der Bundesregierung. Vizepräsidentin Petra Pau: Herzlichen Dank. Ein kurzer Hinweis, bevor ich die nächste Frage auf- rufe: Wie Sie alle erkannt haben, stehen aufgrund der Vizepräsidentin Petra Pau: Thematik Ministerin Schröder und Minister zu Gutten- Danke, Herr Minister. – Die erste Frage stellt die berg zur Beantwortung der Fragen zu diesem Gegen- Kollegin Heidrun Dittrich. stand der heutigen Kabinettsitzung zur Verfügung. Das Wort zur nächsten Frage hat der Kollege Heidrun Dittrich (DIE LINKE): Dr. Hans-Peter Bartels. Sehr geehrter Herr Minister, da ich zum Zivil- dienst frage, möchte ich mich an die Familienmi- Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): nisterin Frau Schröder wenden. Diese Frage richtet sich an den Minister. Sie Hat Ihrer Auffassung nach der Zivildienst die haben ausgeführt, dass in Zukunft auf Funktion eines Ersatzdienstes für den Wehrdienst, 25 000 Dienstposten W 6 die Möglichkeit der Ein- oder könnte der Zivildienst auch einen Versor- berufung von 50 000 Wehr-pflichtigen besteht. Das gungsauftrag im Sozialbereich beinhalten? Denn sind 10 000 Wehrpflichtige mehr als nach dem al- aufgrund der zahlreichen Klagen der Sozialver- ten Modell der 30 000 Dienstposten W 9 mit bände über bevorstehende Engpässe im Gesund- 40 000 Einberufungsmöglichkeiten. Das heißt heits- und Pflegebereich muss sich die Regierung aber, dass Sie in der Struktur der Bundeswehr mit fragen, ob der Zivildienst wirklich ar- 252 000 Uniformierten 5 000 Dienstposten nicht beitsmarktneutral eingesetzt wurde oder Arbeits- mehr besetzt haben. Es gibt nicht mehr 30 000, plätze vernichtet hat. sondern nur noch 25 000 Dienstposten für Grund- wehrdienstleistende. Vizepräsidentin Petra Pau: Soll das kompensiert werden? Wird an anderer Bitte, Frau Ministerin. Stelle in diesem Umfang Kapazität aufgebaut? Oder ist das der Einstieg in die Verringerung des Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Umfangs der Bundeswehr aus Haushaltsgründen? Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Frau Kollegin, das ist eindeutig geregelt: Der Zi- Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bun- vildienst ist Wehrersatzdienst. All das, was wir über desminister der Verteidigung: die große Bedeutung des Zivildienstes für die Trä- ger wie auch für die Betreuten in den verschiede- Herr Kollege Dr. Bartels, Haushaltsgründe dürfen nicht nen Einrichtungen wissen, ist nicht ausreichend, maßgeblich sein, um eine Entscheidung dieser Tragwei- te zu treffen. Diese Entscheidung hat andere Gründe, die Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4203 ich auch versucht habe darzulegen. Es ist richtig, dass Verlängerung ergreifen würden. Wir haben unter- wir im Rahmen einer solchen Zahl etwas aufzufangen schiedliche Umfragen gemacht. Bei diesen Umfra- haben. Da geht der erste Versuch – das ist auch der na- gen haben sogar 50 Prozent der Zivil- heliegendste – zunächst einmal dahin, dass wir dies über dienstleistenden erklärt, an einer solchen freiwilli- jene, die ihren Dienst freiwillig länger leisten, bzw. über gen Verlängerung interessiert zu sein. Aber da es Soldaten auf Zeit aufzufangen wissen. Es hat wiederum doch immer einen Unterschied zwischen Absicht haushalterische Auswirkungen, wenn man dann einen und Praxis gibt, halten wir den Wert von gewissen Betrag auffangen muss. Das ist in einigen Be- 30 Prozent für eine ganz realistische Grundlage. reichen auch unzweifelhaft teurer. Derzeit findet noch eine genaue Überprüfung statt, in welchen Bereichen Woher kommt das Geld? Durch die Verkürzung das über einen gewissen Dienstpostenansatz hinaus dar- des Zivildienstes fallen zunächst einmal zustellen ist. 180 Millionen Euro weniger an Kosten an. Da- durch, dass die Zivildienstzeit ein Drittel kürzer Es sind aber keine haushalterischen Gründe. wird, fallen entsprechend weniger Kosten an, näm- Vielmehr muss es aufgefangen werden, und es lich 180 Millionen Euro weniger. Die freiwillige Ver- wird aufgefangen werden. Gleichzeitig befasst längerung würde, wenn sich ein Drittel dazu ent- sich, wie wir wissen, in diesem Jahr eine Struktur- schließt, rund 75 Millionen Euro kosten. Diese Mit- kommission mit den künftigen Strukturen der Bun- tel würden wir gern in den Haushalt einstellen. Es deswehr. Sie hat den Gesetzentwurf zur Verringe- ist dann die Entscheidung des Haushaltsgesetz- rung der Wehrpflicht auf sechs Monate zur Grund- gebers, ob er sie uns auch gewährt. Also: lage und kann sicherlich im Hinblick darauf noch 180 Millionen Euro weniger an Kosten, davon an der einen oder anderen Stelle daran feilen. 75 Millionen für die freiwillige Verlängerung. Wir sind uns einig, dass es einer Stärkung der Vizepräsidentin Petra Pau: Freiwilligendienste bedarf; denn um den Wegfall Die nächste Frage stellt der Kollege Kai Geh- an Zivildienstzeit aufzufangen, bedarf es schon ring. zweierlei, einerseits der Möglichkeit der freiwilligen Verlängerung des Zivildienstes und andererseits Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der Stärkung der Freiwilligendienste. Deswegen Danke, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, ich sagen wir, dass mindestens die Mittel, die durch würde Ihnen gerne eine Frage zur optionalen Ver- die Streichung des § 14 c Abs. 4 ZDG frei werden, längerung des Zivildienstes stellen, die wir politisch den Freiwilligendiensten direkt zur Verfügung ge- und fachlich für falsch, für zustimmungspflichtig im stellt werden sollten. Wir sind uns einig, dass es Bundesrat und verfassungsrechtlich sehr fragwür- darüber hinaus noch einer Stärkung bedarf. Des- dig erachten. Dazu wären meine Fragen: Welche halb wird Mitte Juni ein Konzept zur Stärkung der Kosten werden durch die optionale Verlängerung Freiwilligendienste vorgelegt. konkret anfallen – es ist die Rede von rund 75 Mil- lionen Euro im Haushalt –, an welcher Stelle im Vizepräsidentin Petra Pau: Familienhaushalt wollen Sie diese Mittel einsparen Die nächste Frage stellt der Kollege Markus – das muss ja sozusagen gegenfinanziert werden Grübel. –, und woher sollen angesichts der aktuellen Haushaltslage die Haushaltsmittel für den Ausbau der Freiwilligendienste kommen, den Sie und an- Markus Grübel (CDU/CSU): dere Regierungsmitglieder seit Monaten ankündi- Frau Bundesministerin, können Sie uns sagen, gen? wie die großen Träger des Zivildienstes – Caritas, Diakonie, Parität, Deutsches Rotes Kreuz – auf die geplante freiwillige Verlängerung, so wie sie jetzt im Gesetzentwurf ausgestaltet ist, reagiert haben? Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Dann noch eine Frage zu den Übergangsrege- Familie, Senioren, Frauen und Jugend: lungen, die viele interessieren. Ich weiß nicht, ob Herr Kollege Gehring, zunächst eine Bemerkung die Bundeswehr zum 1. Mai einberufen hat, aber zu Ihrer Aussage, unsere freiwillige Verlängerung zum Zivildienst wurde zum 1. Mai einberufen. Was sei verfassungswidrig, weil der Bund gar nicht zu- passiert mit denen, die am 1. Mai ihren Dienst be- ständig sei. Der Bund ist zuständig für die Vertei- gonnen haben, mit denen, die am 1. Juni, am 1. digung, damit für die Wehrpflicht und damit auch Juli oder am 1. August ihren Dienst beginnen wer- für den Zivildienst. Der Bund ist auch dann zustän- den? Können Sie, Herr Bundesminister zu Gutten- dig, wenn es um ein öffentlich-rechtliches Dienst- berg, oder Sie, Frau Bundesministerin Schröder, verhältnis des Bundes geht. Beides ist hier der diese Frage kurz beantworten? Fall. Zu den Kosten; Sie haben den Betrag von 75 Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Millionen Euro angesprochen. Das ist eine Schät- Familie, Senioren, Frauen und Jugend: zung. Sie geht davon aus, dass 30 Prozent der Zi- Zunächst zur Reaktion der Träger des Zivil- vildienstleistenden die Möglichkeit einer freiwilligen dienstes. Sie haben fast ausnahmslos positiv rea- 4204 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 giert. Sie haben uns in den letzten Monaten auch wehrersatzämtern und den verschiedenen Trup- sehr deutlich gemacht, dass die Möglichkeit der penteilen zu verbessern. Auf Funktionsdienstpos- freiwilligen Verlängerung ihnen ein großes und ten und in bestimmten Teilbereichen gereicht eine wichtiges Anliegen ist. Deswegen war die Reaktion gewisse Vorausbildung zum Nutzen beider Seiten, von Caritas, Diakonie und Parität gestern auch un- sowohl zum Nutzen der Bundeswehr als auch zum eingeschränkt positiv. Nutzen des jungen Menschen, der entsprechend seinen Fähigkeiten eingesetzt wird; das ist ein we- Zur Frage der Übergangsregelungen. Zunächst sentlicher Punkt. Das ist ein sehr sinnvoller An- gilt ganz klar: Wer ab dem 1. Januar 2011 seinen satz; denn damit kann einer gewissen Neigung zur Zivildienst antritt, hat nur noch ein halbes Jahr ab- Willkür entgegengewirkt und eine entsprechende zuleisten. Der Zivildienst von jemandem, der zum Begabung genutzt werden. 31. Dezember 2010 im Minimum sechs Monate abgeleistet hat, endet auch. Das heißt: Wer zum Da Sie auch auf die Wehrgerechtigkeit abgeho- 1. Mai anfängt, hat noch acht Monate Zivildienst zu ben haben, möchte ich ergänzend hinzufügen: Ich leisten. Zum 1. Juni sind es entsprechend sieben erinnere daran, dass sich das Prinzip des Wehr- Monate, und zum 1. Juli sind es sechs Monate, die dienstes und der Wehrpflicht in Deutschland nicht noch abzuleisten sind. auf dem Gedanken der Wehrgerechtigkeit gründet, wiewohl wir bei der Ausschöpfungsquote durch Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bun- das jetzige Konzept ein wenig weiterkommen. desminister der Verteidigung: Das gilt – große Überraschung – analog auch Vizepräsidentin Petra Pau: für die Bundeswehr. Zum 1. Mai ist allerdings nicht Die nächste Frage stellt die Kollegin Agnes eingezogen worden. Malczak. Aber um noch einmal den Grundgedanken zu erläutern: Der 1. Januar 2011 ist der Stichtag. Es Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): soll gewährleistet werden, dass jemand, der am Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Herr Minister, 1. Juli einberufen wird, sechs Monate abzuleisten der Wehrdienst stellt einen sehr extremen Eingriff hat. Wir mussten seitens der Bundeswehr genau in das Leben und die Lebensplanung junger Män- überprüfen, ob das leistbar ist; denn man ist in den ner dar und muss eigentlich immer wieder legiti- Planungen noch von einem drei Monate längeren miert werden. Deshalb möchte ich Sie gern mit ei- Grundwehrdienst ausgegangen. Diese Verkürzung nem Zitat von Roman Herzog konfrontieren: ist aber zu handhaben und abzufedern. Insofern Die Wehrpflicht ist ein so tiefer Eingriff in die können wir mit dem 1. Juli gut leben. individuelle Freiheit des jungen Bürgers, dass ihn der demokratische Rechtsstaat nur fordern Vizepräsidentin Petra Pau: darf, wenn es die äußere Sicherheit des Staa- Das Wort für die nächste Frage hat der Kollege tes wirklich gebietet. … Ihre Beibehaltung, Harald Koch. Aussetzung oder Abschaffung und ebenso die Dauer des Grundwehrdienstes müssen Harald Koch (DIE LINKE): sicherheitspolitisch begründet werden können. Meine Frage richtet sich an den Herrn Verteidi- Ich habe in den Monaten, in denen über diese Re- gungsminister. Die Bundesregierung begründet die form intensiv diskutiert wurde, eine fundierte Notwendigkeit dieser Gesetzesreform damit, dass sicherheitspolitische Begründung vermisst. Viel- die Wehrgerechtigkeit verbessert, der Wehrdienst leicht können Sie mir heute eine geben. – Vielen sinnvoller ausgestaltet und die zivile Qualifikation Dank. der Wehrpflichtigen besser genutzt werden sollen. Wie soll eine bessere Berücksichtigung der zivilen Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bun- Qualifikationen der Wehrpflichtigen gewährleistet desminister der Verteidigung: werden? – Danke schön. Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Zu einer sicherheitspolitischen Begründung zählt natürlich Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bun- weiterhin die Funktionsfähigkeit der Armee, auch desminister der Verteidigung: im Hinblick auf die Betriebs- und Schutzfunktionen Vielen Dank für die Frage, Kollege Koch. – In im Inland. Das ist Grundvoraussetzung dafür, dass den letzten Jahren und Jahrzehnten gab es dies- Einsätze auch im Ausland funktionieren. Um diese bezüglich Defizite. Man hat manchmal nicht aus- Funktionsfähigkeit zu gewährleisten, sind wir wei- reichend nach den zivilen Fähigkeiten und der terhin darauf angewiesen, zielgerichtet auf Wehr- Ausbildung der jungen Menschen gefragt, um sie pflichtige zurückzugreifen. Das passt sehr wohl in der Bundeswehr zielgerichtet einzusetzen. Die zum großen Bogen der sicherheitspolitischen Her- erste Möglichkeit, nach Fähigkeiten und Qualifika- ausforderungen und damit zur Begründung. tionen zu fragen sowie die Dienstposten entspre- chend einzuteilen, haben die Kreiswehrersatzäm- Vizepräsidentin Petra Pau: ter. Dafür ist das Wechselspiel zwischen Kreis- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4205

Die nächste Frage stellt der Kollege Ralph in der Pflege gezahlt wird, nämlich 7,50 Euro im Lenkert. Osten und 8,50 Euro im Westen?

Ralph Lenkert (DIE LINKE): Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Frau Ministerin Schröder, die Bezahlung, die fi- Familie, Senioren, Frauen und Jugend: nanzielle Entschädigung der Zivildienstleistenden Der Vergleich mit dem Mindestlohn in der Pflege ist nicht unbedingt üppig. Wenn ein Zivildienstleis- führt insofern vollkommen in die Irre, weil er sug- tender freiwillig seinen Zivildienst verlängert, kann geriert, es gehe hier um normale Pflegekräfte. Es er dann wenigstens mit Kündigungsschutz für die- ist gerade das Wesen des Zivildienstes, dass er se Zeit rechnen? kein Ersatz für normale Pflegekräfte ist, sondern dass er arbeitsmarktneutral ist und dass keine re- Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für gulären Arbeitsverhältnisse ersetzt werden. Familie, Senioren, Frauen und Jugend: (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ja, denn es handelt sich um ein öffentlich- 1,12 Euro ist ein bisschen wenig!) rechtliches Dienstverhältnis des Bundes. Hier gel- ten die gleichen Kündigungsvorschriften. Ich kann Ihnen keine Gegenfrage stellen, aber ich kann rhetorisch fragen, ob Sie auf die Idee kom- men würden, zu fordern, dass auch bei Freiwilli- Vizepräsidentin Petra Pau: gendiensten, beispielsweise beim Freiwilligen So- Die nächste Frage stellt der Kollege Rainer Ar- zialen Jahr, ein Mindestlohn gezahlt wird. nold. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die fordern bei al- Rainer Arnold (SPD): lem den Mindestlohn!) Herr Minister, Sie sprachen vorhin von der Re- Vielleicht fordern Sie auch dies. Das zeigt aber duzierung der Zahl der Dienstposten bei den doch, dass es um eine andere Kategorie geht und Wehrpflichtigen auf 25 000. Können Sie uns den es deswegen ein Systemfehler wäre, beides Gesamtumfang der Bundeswehr nennen und sa- gleichzusetzen. Insofern führt dieser Vergleich in gen, wie er sich in Wehrpflichtige, freiwillig länger die Irre. Wehrdienst Leistende und Zeit- und Berufssolda- ten aufgliedert? Können Sie uns die Kosten in di- Vizepräsidentin Petra Pau: rekte Kosten und die notwendige Erhöhung der Gut, das lässt sich durch weitere Nachfragen Regiekosten durch die Erhöhung der Einberu- noch auflösen, wenn gewünscht. fungstermine aufgliedern? Jetzt hat der Kollege Sönke Rix zu einer Frage Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bun- das Wort. desminister der Verteidigung: Das ist eine fordernde Frage. Herr Kollege Ar- Sönke Rix (SPD): nold, ich habe die Zahlen jetzt hier nicht vorliegen. Frau Ministerin, schönen Dank, dass auch Sie Wenn es machbar ist, würde ich die Zahlen gerne zur Verfügung stehen, um Fragen zu beantworten. schriftlich nachreichen. Ich will nur sagen: Die Zahl – Ich möchte an das anknüpfen, was Frau Enkel- unserer Soldatinnen und Soldaten beträgt weiter- mann gesagt hat. Sie haben vorhin klargestellt, hin 250 000. Die entsprechende Aufgliederung dass der Zivildienst ein Wehrersatzdienst ist. Aber lasse ich Ihnen gerne zukommen, auch mit Blick bei einer freiwilligen Verlängerung ist er eigentlich auf diese Gestaltung und mit Blick auf die künftig kein Wehrersatzdienst mehr, weil er dem Wehr- neu einzuberufenden Wehrdienstleistenden. dienst nicht mehr entspricht. Es handelt sich viel- mehr um ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis. Vizepräsidentin Petra Pau: Daher stellt sich schon die Frage, warum nur Wir halten fest: Die Angaben erfolgen schriftlich. 3,50 Euro für eine Tätigkeit gezahlt werden. Die nächste Frage stellt die Kollegin Dagmar Wenn er tatsächlich ein anderer Dienst ist, dann Enkelmann. stellt sich auch die Frage, was mit dem Zivildienst als Lerndienst in dieser Zeit geschieht. Gibt es Bil- Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): dungsangebote auch für die Zeit der Verlängerung, oder sind solche Angebote nur für sechs Monate Meine Frage geht an die Kollegin Schröder. Es vorgesehen? geht um die Möglichkeit der freiwilligen Verlänge- rung des Zivildienstes. Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, dass Menschen, die sich bereit erklä- Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für ren, freiwillig den Zivildienst zu verlängern, statt ei- Familie, Senioren, Frauen und Jugend: nes Stundenlohns von 1,12 Euro, die sie in dem Was den besonderen Charakter der freiwilligen halben Jahr bekommen, in der Verlängerung we- Verlängerung angeht: In der Tat ist der Dienst bei nigstens den Mindestlohn bekommen sollten, der einer freiwilligen Verlängerung kein Wehrersatz- dienst, sondern es ist ein öffentlich-rechtliches 4206 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

Dienstverhältnis eigener Art, wie wir es übrigens Heidrun Dittrich (DIE LINKE): auch bei der freiwilligen Verlängerung des Wehr- Frau Ministerin, ich habe noch eine Frage zur dienstes haben. Klarstellung. Sie haben erklärt, es handele sich um ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis. Welchen (Sönke Rix [SPD]: Nein!) Status haben denn die Zivildienstleistenden nach Auch das ist kein Wehrdienst mehr. ihren sechs Pflichtmonaten? Besteht nach der freiwilligen Verlängerung des Zivildienstes weiter- (Sönke Rix [SPD]: Das sind Soldaten!) hin die Möglichkeit einer Disziplinarstrafe bei un- Was die Frage des Zivildienstes als Lerndienst entschuldigtem Fernbleiben? Nach § 43 Zivil- angeht, will ich erst einmal grundsätzlich sagen, dienstgesetz hat die Dienststelle die Möglichkeit, dass auch durch die Verkürzung der Dauer des Zi- einen Zivildienstleistenden bei Krankheit zu entlas- vildienstes der Zivildienst als Lerndienst unberührt sen. Insofern hat er keinen Kündigungsschutz; den bleibt. Wir wollen die Seminarangebote, die es im gibt es nur bei Arbeitnehmern in einem tariflichen Rahmen des Zivildienstes als Lerndienst gibt, voll- und gesetzlichen Arbeitsverhältnis. Soll der Zivil- kommen beibehalten, jedoch mit einer einzigen dienstleistende also seine Zivildienstzeit freiwillig Ausnahme, nämlich dass wir die Teilnahme an den verlängern, oder wollen Sie ein neues öffentlich- Seminaren zur Sozialkompetenz, die 2011 ange- rechtliches Arbeitsverhältnis schaffen, das aber boten werden sollten, nicht mehr obligatorisch, genauso strukturiert ist wie die Zivildienstzeit, und sondern freiwillig machen wollen. Aber es besteht soll dieses neue öffentlich-rechtliche Arbeitsver- ein Rechtsanspruch auf diese Seminare. Ansons- hältnis vielleicht später auch auf die Ju- ten bleibt der Zivildienst als Lerndienst unberührt. gendfreiwilligendienste, das Freiwillige Soziale Entsprechend wird es auch bei einer freiwilligen Jahr, wo auch junge Frauen arbeiten, übertragen Verlängerung die Möglichkeit geben, solche Semi- werden können? narangebote wahrzunehmen. Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Wir haben uns bemüht, die freiwillige Verlänge- Vizepräsidentin Petra Pau: Bevor wir zu weiteren Nachfragen kommen, rung des Zivildienstes möglichst unbürokratisch und einfach zu gestalten. Aus unserer Sicht ist es kommen wir zurück zur Frage des Kollegen Rainer Arnold. Der Herr Bundesminister kann jetzt die am besten, wenn die äußeren Rahmenbedingun- gen in Bezug auf die Vergütung und die sozialver- Zahlen vortragen. So sind sie dann Bestandteil des Protokolls unserer heutigen Sitzung und damit für sicherungsrechtliche Absicherung für den Zivil- dienstleistenden, der freiwillig verlängert, weitest- alle nachzulesen. gehend beibehalten werden. Es ist wichtig, das Bitte, Herr Minister. niedrigschwellig zu gestalten. Aber sozusagen die besonderen Zwangsmaßnahmen, die Sie ange- Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bun- sprochen haben, die mit dem Zivildienst als desminister der Verteidigung: Pflichtdienst verknüpft sind, laufen selbstverständ- Herr Kollege Arnold, das Haus arbeitet schnell. lich nicht weiter. Klar ist: Es handelt sich um ein öf- Ich freue mich, Ihnen die Zahlen vortragen zu dür- fentlich-rechtliches Dienstverhältnis, und deshalb fen. gilt das Disziplinarrecht wie in jedem öffentlich- rechtlichen Dienstverhältnis. Das ist quasi das Zunächst zu den Zahlen nach dem Personal- Pendant zur Privatwirtschaft, wo es entsprechend strukturmodell 2010: Berufssoldaten: 57 725, Sol- Konventionalstrafen gibt. Aber der besondere daten auf Zeit: 137 275, freiwillig länger Dienende: Zwangscharakter ist bei der freiwilligen Verlänge- 25 000, Grundwehrdienstleistende: 30 000 – das rung selbstverständlich nicht mehr vorhanden. ist bekannt –; in der Summe: 250 000. Der zweite Unterschied zum Zivildienst ist, dass Die Iststärke Stand April sieht folgendermaßen die freiwillige Verlängerung jederzeit abgebrochen aus: Berufssoldaten: 55 973, Soldaten auf Zeit: werden kann. Aufgrund persönlicher, beruflicher 132 524, freiwillig länger Dienende: 27 940, oder anderer Gründe kann jederzeit ein Antrag auf Grundwehrdienstleistende: 37 729; in der Summe: Entlassung gestellt werden. Diese Gründe werden 254 166. explizit nicht nachgeprüft. Das heißt de facto, die Jetzt kommen wir zur Planung; das war ja der freiwillige Verlängerung des Zivildienstes kann je- wesentliche Punkt: Berufssoldaten: 57 725, Solda- derzeit beendet werden. ten auf Zeit: 139 633, freiwillig länger Dienende: 27 000, Grundwehrdienstleistende, wie bereits ge- Vizepräsidentin Petra Pau: sagt: 25 000; in der Summe sind das 249 358. Die nächste Frage stellt der Kollege Kai Geh- ring. Vizepräsidentin Petra Pau: Danke. – Die nächste Frage stellt die Kollegin Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heidrun Dittrich. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4207

Vielen Dank. – Frau Ministerin, ich würde Sie als vor und ist die Grundlage, auf der wir, die wir Re- Kabinettskollegin von Herrn Minister zu Guttenberg gierungsverantwortung tragen, zu arbeiten haben. gerne fragen, wie Ihre Auffassung war, als der Mi- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nister laut darüber nachgedacht hat, künftig auch NEN]: Da steht die freiwillige Verlänge- Frauen in die Wehrpflicht einzubeziehen. Das war rung aber nicht drin!) ja ein Vorschlag, der offen in den Raum gestellt wurde. Wie ist dazu Ihre Auffassung als Kabinetts- Wir haben die Entscheidung so umzusetzen, wie kollegin? sie getroffen wurde. Ich möchte außerdem explizit nachfragen: Zu Ihrer ersten Frage. Es wäre letztlich natürlich Stimmen Sie mir zu, dass, wenn es sich tatsäch- fatal, wenn keine Einsatzfähigkeit gewährleistet lich um ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis wäre und wenn auch die Möglichkeit des Einset- handelt, eine Zustimmungspflichtigkeit im Bundes- zens auf dem jeweiligen Dienstposten nicht darge- rat besteht? Wenn das der Fall ist, was meinen stellt würde. Wäre das der Fall, hätte man das so Sie, wann sich der Bundesrat damit beschäftigen nicht umsetzen können. Das ist eine Aufgabe der wird? Ausplanung, allerdings in den jeweiligen Truppen- teilen. Die jeweiligen Truppenteile und Teilstreit- Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für kräfte haben deutlich gemacht, dass das möglich Familie, Senioren, Frauen und Jugend: ist und dass ihnen die Flexibilität sogar entgegen- Zum Ersten. Da der Kollege zu Guttenberg, wie kommt. Die Flexibilität der Einberufungstermine er mir gegenüber sehr überzeugend bekundet hat, ermöglicht nämlich, in gewissen Bereichen, in de- gar nicht laut darüber nachgedacht hat, auch nen teilweise auch starre Defizite herrschen, ge- Frauen in die Wehrpflicht einzubeziehen, kann ich zielt etwas mehr vorzuhalten und somit Möglichkei- mich dazu leider nicht äußern. ten zu haben, auf den Funktionsdienstposten an der einen oder anderen Stelle Lücken zu schlie- Zum Zweiten. Wir gehen davon aus, dass keine ßen, die man bislang nicht schließen konnte. Zustimmungspflichtigkeit vorliegt, sodass eine Antwort entsprechend entfällt. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort zu einer weiteren Nachfrage hat der Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Sönke Rix. Die nächste Frage stellt die Kollegin Agnes Malczak. Sönke Rix (SPD): Frau Ministerin, Sie gehen davon aus, dass Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wohl ein Drittel der Zivildienstleistenden freiwillig Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Die Bundes- verlängert. Meine Fragen: Wie kommen Sie auf wehr muss eine Menge leisten; denken wir zum dieses Drittel, und wie gehen wir in der weiteren Beispiel an den Transformationsprozess und an Haushaltsplanung damit um? Woher sollen die Mit- die Anforderungen in den Einsätzen. Deshalb tel dafür kommen, da die Tendenz jetzt doch eher möchte ich die Frage stellen, wie gewährleistet dahin geht, Dinge einzusparen? wird, dass die Verkürzung des Wehrdienstes und die Flexibilität bei den Einberufungsterminen nicht Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für zu einer Belastung der Einsatzfähigkeit führen. Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Außerdem würde mich interessieren, warum Wir haben Befragungen von Zivildienstleisten- dieser Punkt aus dem Koalitionsvertrag, der im den durchgeführt. Wir haben sie gefragt, ob sie Hinblick auf die Struktur der Bundeswehr meiner sich, wenn sie eine solche Möglichkeit hätten, vor- Meinung nach essenziell ist, schon im Vorfeld be- stellen könnten, den Dienst freiwillig zu verlängern. schlossen wurde und nicht Teil der Arbeit der Bun- Teilweise haben sogar bis zu 50 Prozent der Be- deswehrstrukturkommission ist, die evaluieren soll. fragten geantwortet, sie könnten sich das vorstel- len. Da man aber mit Sicherheit davon ausgehen Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bun- kann, dass es einen Unterschied zwischen „sich desminister der Verteidigung: etwas vorstellen können“ und „etwas tatsächlich Vielen Dank, Frau Kollegin. – Die Strukturkom- tun“ gibt, halten wir 30 Prozent für realistisch. Ga- mission wird, wie ich vorhin schon angedeutet ha- rantieren können wir das natürlich nicht. Denn das be, auf der Entscheidung, den Wehrdienst zu ver- sind nun einmal keine Erfahrungswerte, die wir kürzen, aufbauen. Sie wird diese Entscheidung in haben, sondern diese Zahlen basieren auf Studi- ihre eigenen Überlegungen aufnehmen. Das traue en. ich dieser Strukturkommission aufgrund ihrer Zu- Was die Haushaltsmittel angeht, habe ich be- sammensetzung auch zu. Das ist etwas, was sie reits ausgeführt, dass die Verkürzung des Zivil- tatsächlich tun wird. dienstes zunächst einmal dazu führt, dass Die Entscheidung des Koalitionsvertrages wurde 180 Millionen Euro Haushaltsmittel weniger benö- so getroffen, wie sie getroffen wurde. Sie liegt uns tigt werden. Wir gehen davon aus, dass die freiwil- 4208 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 lige Verlängerung eines Drittels der Zivil- aus Fragen an die Bundesregierung? – Das ist dienstleistenden 75 Millionen Euro kosten wird. In- auch nicht der Fall. sofern würden wir vorschlagen, wenn der Haus- Wir sind damit am Schluss unserer heutigen haltsgesetzgeber dem zustimmt – er hat das letzte Tagesordnung. Wort –, 75 der 180 Millionen Euro für die freiwillige Verlängerung zu verwenden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, zu beachten: Entgegen der Amtlichen Mitteilung beru- Vizepräsidentin Petra Pau: fe ich die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- Danke, Frau Ministerin und Herr Minister. tages auf morgen, Donnerstag, den 20. Mai 2010, 9 Uhr, ein. Gibt es weitere Fragen zur heutigen Kabinettsit- zung? – Das ist nicht der Fall. Gibt es darüber hin- Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 16.55 Uhr) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4209

(A) (C) Anlagen zum Stenografischen Bericht

und Regulierungsinitiativen auf die Agenda zu set- zen. Anlage 1 So hat das Bundesfinanzministerium seine Prio- Liste der entschuldigten Abgeordneten ritäten zur Reform der Finanzmarktregulierung fest entschuldigt in der G-20-Agenda verankert. Hierzu gehören Abgeordnete(r) bis Verbesserung des Eigenkapital- und Liquiditätsre- einschließlich gimes, Lösung des „too-big-to-fail“-Problems, Ver- besserung der Vergütungssysteme, Stärkung der Bender, Birgitt BÜNDNIS 90/ 19.05.2010 Aufsicht und Regulierung über OTC- DIE GRÜNEN Derivatemärkte, Hedgefonds und Ratingagenturen Binder, Karin sowie Kampf gegen nicht kooperative DIE LINKE 19.05.2010 Jurisdiktionen. Die morgige internationale Finanz- Bollmann, Gerd SPD 19.05.2010 marktkonferenz auf Einladung von Bundesfinanz- Bosbach, Wolfgang CDU/CSU 19.05.2010 minister Dr. Schäuble wird dazu beitragen, die Dis- Fischer (Karlsruhe- CDU/CSU 19.05.2010* kussion zu aktuellen Themen der Finanzmarktregu- Land), Axel E. lierung weiter voranzubringen. Mit deutschen Initia- Glos, Michael CDU/CSU 19.05.2010 tiven hat die Bundesregierung die internationale Goldmann, Hans- FDP 19.05.2010 Diskussion maßgeblich beeinflusst. Michael Innerhalb der Bundesregierung finden zur Vorbereitung Groth, Annette DIE LINKE 19.05.2010 der G-20-Gipfel sowie der Treffen der G-20- Heinen-Esser, Ursula CDU/CSU 19.05.2010 Finanzminister und Notenbankgouverneure, einschließ- Hintze, Peter CDU/CSU 19.05.2010 lich der Fragen der Finanzmarktregulierung, eine regel- Kühn, Stephan BÜNDNIS 90/ 19.05.2010 mäßige und enge Abstimmung statt. DIE GRÜNEN Pflug, Johannes SPD 19.05.2010 Reichenbach, Gerold SPD 19.05.2010 Anlage 3 Schmidt (Eisleben), SPD 19.05.2010 (B) Silvia Antwort (D) Steinbach, Erika CDU/CSU 19.05.2010 des Parl. Staatssekretärs Steffen Kampeter auf die Süßmair, Alexander DIE LINKE 19.05.2010 Frage des Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich (SPD) (Drucksache 17/1694, Frage 4):

* Seit wann wusste die Bundesregierung, dass beim für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamenta- Europäischen Rat in Brüssel am 7. Mai 2010 weitrei- rischen Versammlung des Europarates chende Finanzmaßnahmen zur Stabilisierung des Euro debattiert werden, und zu welchem Zeitpunkt war der Bundesminister des Auswärtigen in dieses Wissen ein- Anlage 2 bezogen? Antwort Die Bundesregierung hatte bereits im Vorfeld des Treffens der Staats- und Regierungschefs der des Parl. Staatssekretärs Steffen Kampeter auf die Mitgliedstaaten des Euro-Raumes am 7. Mai 2010 Frage des Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich auf Fortschritte bei den Arbeiten zur dauerhaften (SPD) (Drucksache 17/1694, Frage 3): Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion, Welche Maßnahmen und Initiativen hat die Bundes- insbesondere im Rahmen der Arbeitsgruppe des regierung auf der internationalen Ebene zur wirksamen Präsidenten des Europäischen Rates Van Regulierung der Finanzmärkte seit dem G-20-Gipfel im Rompuy, gedrungen. September 2009 ergriffen, und welche Ressorts waren hieran beteiligt? Die Beratung zusätzlicher Maßnahmen zur un- Die Bundesregierung hat über ihre Mitglied- mittelbaren Sicherung der Finanzstabilität des Eu- schaft in den G 20 sowie anderen relevanten inter- ro-Raumes wurde insbesondere auf der Basis des nationalen Gremien, insbesondere dem Financial Vortrags des Präsidenten der Europäischen Zent- Stability Board (FSB), die wirksame Regulierung ralbank über die aktuelle Lage bzw. Risiken für die der Finanzmärkte seit dem G-20-Gipfel in Euro-Zone bei dem Treffen selbst erforderlich. Pittsburgh im September 2009 aktiv vorangetrie- In Bezug auf die Griechenland-Krise und die ben. Mit zahlreichen Initiativen hat die Bundesre- weiteren Bemühungen zur Stabilisierung der Euro- gierung dabei dazu beigetragen, das Momentum Zone steht der Bundesminister des Auswärtigen der Reform aufrechtzuerhalten und neue Aufsichts- mit der Bundeskanzlerin und dem Bundesminister 4210 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

(A) der Finanzen seit Ausbruch der Krise in ständigem ses „Steuerschätzungen“ vom 4. bis 6. Mai 2010 (C) Kontakt. steigen die auszuzahlenden Zulagen bis zum Jahr 2013 auf circa 4 Milliarden Euro.

Anlage 4 Anlage 5 Antwort Antwort des Parl. Staatssekretärs Steffen Kampeter auf die Frage des Abgeordneten Günter Gloser (SPD) des Parl. Staatssekretärs Ernst Burgbacher auf die (Drucksache 17/1694, Frage 7): Frage des Abgeordneten Heinz Paula (SPD) (Drucksache 17/ 1694, Frage 9): Wie viele Mittel aus dem Bundeshaushalt fließen jährlich in die Unterstützung bzw. Kofinanzierung der Welche Maßnahmen und Projekte plant die Bundes- privaten Altersversorgung im Allgemeinen und für die regierung, um einen nachhaltigen und klimafreundlichen Riester-Rente im Besonderen, und wie wird sich diese Tourismus zu unterstützen, und auf welche Anregungen Belastung des Bundeshaushaltes aus Sicht der Bundes- der Internationalen Messe für anderes Reisen, die im regierung in den nächsten Jahren entwickeln? April 2010 in Berlin stattfand, greift sie dabei zurück? Im Bundeshaushalt gibt es keinen Ausgabetitel Die Bundesregierung verfolgt entsprechend des mit der Zweckbestimmung „Förderung der privaten UN-Übereinkommens über die biologische Vielfalt Altersvorsorge“. und der EU-Charta für einen nachhaltigen Touris- mus seit vielen Jahren kontinuierlich die Ziele eines Bei der sogenannten Riester-Rente handelt es nachhaltigen und klimafreundlichen Tourismus und sich um eine steuerlich geförderte Altersvorsorge. wird an dieser Entwicklung festhalten. Diese besteht insbesondere aus einem entspre- chenden Sonderausgabenabzug bzw. einer Seit 2006 unterstützt die Bundesregierung die Zulagengewährung. Die Zulagen fungieren als Vo- von ihr initiierte Beratungsstelle für Tourismus und rauszahlung auf die sich aus dem Sonderausga- Biologische Vielfalt bei der Welttourismusorganisa- benabzug ergebenden Steuervorteile. Ergibt sich tion, UNWTO, mit Sitz in (siehe Antwort der im Rahmen einer Günstigerprüfung, dass der Son- Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von Bünd- derausgabenabzug für den Steuerpflichtigen güns- nis 90/Die Grünen vom 18. Dezember 2009 – Bun- tiger ist als die Zulage, dann erhält der Steuer- destagsdrucksache 17/341). Standen zunächst pflichtige im Rahmen seiner Einkommensteuerver- Projekte im Rahmen der Tsunami-Hilfe im Vorder- anlagung noch den über die Zulage hinausgehen- grund, stehen das Know-how und die bisher ge- den Steuervorteil. Die bereits gewährte Zulage wird sammelten Erfahrungen nun allen UNWTO- (B) (D) insoweit gegengerechnet. Mitgliedstaaten zur Verfügung. Die Zulagen sind nicht im Bundeshaushalt ver- Derzeit werden durch die Bundesregierung meh- anschlagt, sondern werden von der Zentralen rere Projekte zum nachhaltigen Tourismus in Zulagenstelle für Altersvermögen, ZfA, aus dem Deutschland durchgeführt. Dazu gehört das Ent- Lohnsteueraufkommen an die Förderberechtigten wicklungs- und Erprobungsvorhaben „Erlebnis ausgezahlt. Somit tragen der Bund 42,5 Prozent, Grünes Band“, das beispielhaft in drei Modellregio- die Länder 42,5 Prozent und die Gemeinden 15 nen Elbe-Altmark-Wendland, Harz sowie Thüringer Prozent gemäß dem Einkommensteuer- Schiefergebirge/Frankenwald unter anderem die Verteilungsschlüssel. naturverträgliche Erschließung und Entwicklung von touristischen Destinationen entlang des Grü- Die Höhe der ausgezahlten Zulagen betrug im nen Bandes zeigen will. Jahr 2008 1,3 Milliarden Euro und im Jahr 2009 2,4 Milliarden Euro. Das laufende Projekt „Nationalpark-Partner“ hat zum Ziel, Unternehmen in den Nationalparks als Die über die Zulage hinausgehende Steuerer- Partner der Schutzgebiete zu gewinnen, die eng sparnis aus dem Sonderausgabenabzug wird im mit den Schutzgebietsverwaltungen zusammenar- Rahmen der Einkommensteuerveranlagung ermit- beiten, die Gäste besser informieren und für Natur- telt. Über die Steuer-ersparnis können daher erst schutzbelange sensibilisieren sowie ihr Angebot nach Abschluss der Einkommensteuerveranlagun- entsprechend bundesweit einheitlicher Qualitäts- gen statistische Angaben erhoben und aufbereitet und Umweltstandards gestalten. Noch in diesem werden. Die aktuellste Datenbasis ist daher der Jahr soll ein Forschungsvorhaben starten, das in Veranlagungszeitraum 2005. Die in diesem Veran- einem partizipativen Prozess die Grundlagen für lagungsjahr über die Zulagenförderung hinausge- eine umwelt- und naturverträgliche räumliche Pla- hende steuerliche Förderung betrug nach Angaben nung touristischer Destinationen in Deutschland des statistischen Bundesamtes circa 141 Millionen zur Anpassung an den Klimawandel und entspre- Euro. chend den Anforderungen an den Erhalt der biolo- In den nächsten Jahren ist von einer weiteren gischen Vielfalt entwickelt. Zunahme der Altersvorsorgezulagen auszugehen. Im Rahmen der Erarbeitung des Aktionsplans Auf der Grundlage der Ergebnisse des Arbeitskrei- „Anpassung an den Klimawandel“ der Bundesre- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4211

(A) gierung werden in einem Forschungsvorhaben zur- In Umsetzung der Koalitionsvereinbarung wird (C) zeit konkrete Handlungsmöglichkeiten und Maß- die Bundesregierung den Aktionsplan zum Schutz nahmen unter anderen für den Sektor Tourismus von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt evaluiert. Dabei soll insbesondere geklärt werden, und Ausbeutung zügig weiterentwickeln. Damit sol- welche Anforderungen unter volkswirtschaftlichen len Maßnahmen umgesetzt werden, die insbeson- Aspekten an eine Maßnahmenauswahl zu stellen dere in Nachfolge des III. Weltkongresses gegen sind (Priorisierung, Kriterienkatalog, Kosten- sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendli- Nutzen-Analyse). chen im November 2008 in Rio de Janeiro entwi- ckelt wurden. Entsprechende nationale und inter- Die Bundesregierung unterstützt einen nachhal- nationale Nachfolgekonferenzen fanden in tigen und klimafreundlichen Tourismus auch im Deutschland 2009 statt. Rahmen ihrer entwicklungspolitischen Arbeit. Die entwicklungspolitischen Vorhaben im Bereich Tou- Die Weiterentwicklung des Aktionsplans II erfolgt rismus und nachhaltige Entwicklung tragen dazu als ein Gesamtkonzept, das mit den Nichtregie- bei, dass die Potenziale des Tourismus zur Ar- rungsorganisationen, dem Privatsektor und den mutsbekämpfung, zur Herstellung von sozialer Ge- Verbänden abgestimmt wird. Der Aktionsplan wird rechtigkeit, zur Ressourcensicherung und zum Kli- eine systematische Grundlage zur Bekämpfung der maschutz, Milleniums-Entwicklungsziele 1, 3 und 7, sexuellen Gewalt und Ausbeutung von Kindern und mobilisiert und ökologische und soziokulturelle Jugendlichen bilden. Er wird sich auf folgende Schäden vermieden bzw. minimiert werden. Eine Schwerpunkte konzentrieren: Hauptaufgabe des Sektorvorhabens liegt in der Un- – Prävention terstützung eines breiten Dialogs zur Rolle von Tourismus für nachhaltige Entwicklung in enger – Intervention Zusammenarbeit mit anderen deutschen und inter- – Sexualisierte Gewalt und Ausbeutung in den digita- nationalen Organisationen der Entwicklungszu- len Medien sammenarbeit, mit der Tourismuswirtschaft, wis- senschaftlichen Institutionen, Nichtregierungsorga- – Bekämpfung des Handels mit Kindern und Jugendli- nisationen sowie VN-Organisationen, insbesondere chen zum Zweck der sexuellen Ausbeutung im In- UNWTO, IJNEP, UNDP). Kooperationen mit der und Ausland Tourismuswirtschaft in Form von Entwicklungs- – Bekämpfung von sexueller Ausbeutung von Kindern partnerschaften, develoPPP-Vorhaben, haben sich und Jugendlichen durch reisende Sexualtäter bewährt und werden fortgeführt. – Wissen genieren, Lücken schließen (B) Die Bundesregierung bringt die Themen des (D) nachhaltigen und klimafreundlichen Tourismus – Internationale Kooperation stärken auch aktiv bei internationalen Messen und Veran- Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor staltungen ein, ITB Berlin, CMT Stuttgart, World sexueller Ausbeutung im Tourismus wird also Travel Market London etc. Bei der angesprochenen Schwerpunktthema des Aktionsplans II sein. „Messe für Anderes Reisen“ – Reisepavillon im Ap- ril 2010 in Berlin hat die Bundesregierung wie be- Im Rahmen der Mitgliedschaft Deutschlands in reits seit vielen Jahren das „Tourismus Forum In- der Welttourismusorganisation (UNWTO) beteiligt ternational“ organisiert und setzt nicht nur die dort sich die Bundesregierung an der Arbeit der erhaltenen Anregungen um, sondern ist selbst der UNWTO-Task Force zum Schutz von Kindern im wichtigste Initiator der dortigen entwicklungslän- Tourismus, die sich ebenfalls insbesondere der derbezogenen Veranstaltungen und Foren, von Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kin- denen diese Anregungen ausgehen. Jüngste Bei- dern im Tourismus verschrieben hat. spiele sind das Aufgreifen von Themen wie Klima- wandel, Fischerei und Management von Meeres- ressourcen im Tourismus, Jagdtourismus etc. im Anlage 7 April in Berlin. Antwort des Parl. Staatssekretärs Ernst Burgbacher auf die Anlage 6 Frage des Abgeordneten Michael Groß (SPD) (Drucksache 17/1694, Frage 13): Antwort Was wird die Bundesregierung tun, um die Situation des Parl. Staatssekretärs Ernst Burgbacher auf die mittelständisch geprägter zinkerzeugender und - verarbeitender Betriebe am Industriestandort Deutsch- Frage des Abgeordneten Heinz Paula (SPD) land zu verbessern, die durch die voraussichtliche Ein- (Drucksache 17/ 1694, Frage 10): stufung von Zink als prioritär nach der EU- Welche Schritte wird die Bundesregierung einleiten, Wasserrahmenrichtlinie mit schwerwiegenden wirt- um dem Sextourismus und der Kinderprostitution in är- schaftlichen Folgen, wie zum Beispiel dem Verlust von meren Ländern zu begegnen, und welche konkreten Aufträgen und damit verbunden dem Verlust von Ar- Präventionsmaßnahmen auf nationaler und internatio- beitsplätzen, konfrontiert werden? naler Ebene plant bzw. unterstützt die Bundesregie- rung? 4212 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

(A) Es ist derzeit noch nicht entschieden, ob Zink als regierung zu den Annahmen derzeit nicht Stellung (C) prioritärer Stoff eingestuft wird. nehmen. Sie haben dazu eine weitere Frage gestellt, die ausführlich durch das BMU beantwortet wird. Ich Anlage 10 möchte dem nicht vorgreifen. Deshalb hier nur so viel: In jedem Fall wird die Bundesregierung sich Antwort für eine ausgewogene Entscheidung einsetzen, die des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die berechtigten wirtschaftlichen Interessen der die Frage der Abgeordneten Silvia Schmidt (Eis- zinkverarbeitenden Industrie angemessen berück- leben) (SPD) (Drucksache 17/1694, Frage 20): sichtigt. Wurden Verbände bzw. Vertreter der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer in die Verbändebeteiligung im Rahmen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe und ihrer Un- Anlage 8 terarbeitsgruppen zur Weiterentwicklung der Eingliede- rungshilfe einbezogen, und auf die Abstimmung mit Antwort welchen Verbänden legt die Bundesregierung besonde- ren Wert, um einen möglichst breiten Konsens für eine des Parl. Staatssekretärs Ernst Burgbacher auf die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe insbesondere Frage der Abgeordneten Katja Keul (BÜ NDNIS hinsichtlich der beruflichen Teilhabe herbeizuführen? 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/1694, Frage Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Weiterentwick- 14): lung der Eingliederungshilfe“ hat frühzeitig im Vor- Beabsichtigt die Bundesregierung, bestehende Rüs- feld der Ausarbeitung des Eckpunktepapiers für die tungsexportgenehmigungen, die Rüstungsexporte an Griechenland erlauben, zu überprüfen und zu widerru- ASMK 2009 umfassend Sozialverbände, Wohl- fen bzw. zukünftig die Genehmigungspraxis gegenüber fahrtsverbände und Verbände behinderter Men- Griechenland sowie anderen finanziell angeschlagenen schen beteiligt und ihre Vorstellungen in die Eck- Staaten restriktiver als bisher zu handhaben, um einer punkte für eine Reform der Eingliederungshilfe ein- weiteren Verschärfung ihrer finanziellen Notlage vorzu- beugen? fließen lassen. Auch in die aktuellen Beratungen zur Umsetzung der im vergangenen Jahr von der Die Bundesregierung trifft ihre Entscheidungen Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Weiterentwicklung der für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Eingliederungshilfe“ erarbeiteten und von der Ar- Rüstungsgütern nach den Politischen Grundsätzen beits- und Sozialministerkonferenz 2009 gebilligten der Bundesregierung aus dem Jahr 2000. Danach „Eckpunkte“ werden die mit der Sachmaterie unmit- ist der Export in NATO-Länder grundsätzlich nicht telbar befassten Verbände gleichgewichtig einbe- (B) zu beschränken. Exportkontrollpolitische Entschei- zogen. Dabei sollen die Verbände ihre berechtigten (D) dungen zu diesen Partnerstaaten haben sich an Anliegen zur Geltung bringen können, um den von den sicherheitspolitischen Interessen im Rahmen der Bundesregierung angestrebten breiten Kon- des Bündnisses zu orientieren. sens als Voraussetzung für eine Gesetzesinitiative des Bundes in dieser Legislaturperiode zu ermögli- chen. Anlage 9 Verbände der Arbeitgeber und Arbeitnehmer Antwort zählen für die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Weiter- des Parl. Staatssekretärs Ernst Burgbacher auf die entwicklung der Eingliederungshilfe“ zu dem erwei- Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜ terten Kreis der Ansprechpartner in Fragen der NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/1694, Eingliederungshilfe. Aus Gründen der Arbeitsöko- Frage 18): nomie wird die Mitarbeit in Arbeitsgruppen oder Welche Gutachtervorschläge zu Nachrüstkosten im Workshops zur Ausarbeitung des Eckpunktepa- Zusammenhang mit der Verlängerung der Laufzeit von piers auf Sozialverbände, Wohlfahrtsverbände und Atomkraftwerken lagen der Bundesregierung bis Mitte Verbände behinderter Menschen beschränkt. Eine April 2010 vor – bitte insbesondere mit Angabe der Ver- Beteiligung von Verbänden der Arbeitgeber und fasser und der von ihnen vorgeschlagenen oder prog- nostizierten Kostenhöhe –, und welche Einigung zu den Arbeitnehmer wurde erst zu einem noch nicht fest- Nachrüstkosten wurde Mitte April 2010 zwischen Bun- stehenden späteren Zeitpunkt in Aussicht gestellt. deskanzleramt, Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie und Bundesministerium für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit auf Leitungsebene – bitte mit Angabe des genauen Datums, an dem die Einigung Anlage 11 erzielt wurde – erzielt? Antwort Wie bereits in der Antwort auf die Schriftliche des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf Frage mit der Arbeitsnummer 5/53 – Frage vom 6. die Frage der Abgeordneten Silvia Schmidt (Eis- Mai 2010 – erläutert, sind die Bundesregierung und leben) (SPD) (Drucksache 17/1694, Frage 21): die begutachtenden Institute über die zugrunde lie- Wie bewertet die Bundesregierung das Ergebnis der genden Annahmen in einem fortlaufenden Aus- Mitgliederbefragung der Bundesarbeitsgemeinschaft tausch, der nach wie vor andauert. Angesichts die- Unterstützte Beschäftigung, nach der nur 8,3 Prozent ses laufenden Arbeitsprozesses wird die Bundes- der Teilnehmer an Maßnahmen zur Unterstützten Be- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4213

(A) schäftigung gemäß § 38 a des Neunten Buches Sozial- Das Gleiche gilt für diejenigen behinderten Men- (C) gesetzbuch, SGB IX, aus dem Personenkreis der schen, die vor Beginn der Unterstützten Beschäfti- Schulabgänger kommen, und kann in allen Fällen davon ausgegangen werden, dass die Berufsbegleitung durch gung eine berufsvorbereitende Maßnahme durch- das Integrationsamt auch dann gewährleistet sein wird, laufen haben, 22 Prozent. Auch diese gehören zur wenn noch kein Schwerbehindertenausweis für den Zielgruppe der Unterstützten Beschäftigung, wenn Teilnehmer ausgestellt wurde? sich zeigt, dass an die berufsvorbereitende Maß- Die Bundesregierung nimmt in einem ersten nahme aufgrund der Behinderung keine Berufs- Schritt zu dem Ergebnis der Mitgliederbefragung ausbildung anschließen kann. der Bundesarbeitsgemeinschaft Unterstützte Be- Unter „Sonstiges“, 9,8 Prozent, sind nach Anga- schäftigung Stellung: ben der BAG UB insbesondere Teilnehmerinnen Die Bundesarbeitsgemeinschaft Unterstützte und Teilnehmer an der Maßnahme „Diagnose der Beschäftigung, BAG UB, hat in ihrer Mitgliederbe- Arbeitsmarktfähigkeit besonders betroffener behin- fragung unter anderem nach der „letzten Berufs- derter Menschen, DIA-AM“ enthalten. Auch diese /Schulsituation der Teilnehmenden vor Eintritt in gehören zur Zielgruppe der Unterstützten Beschäf- die Maßnahme UB“ gefragt. In ihrer Auswertung tigung. Denn Ziel der Maßnahme DIA-AM ist es ja hat die BAG UB festgehalten, dass bei 8,3 Prozent gerade festzustellen, ob die Unterstützte Beschäf- der Teilnehmenden Schulbesuch, bei 3,8 Prozent tigung oder eine Werkstatt für behinderte Men- eine Ausbildung, bei 0,3 Prozent ein Studium vo- schen der richtige Weg ist. rausging. Eine sozialversicherungspflichtige Tätig- Schließlich dürften sich auch in der Rubrik „In- keit übten 0,5 Prozent aus, während 44,5 Prozent formationen liegen nicht vor“, 10,3 Prozent, noch der Teilnehmenden arbeitslos waren und dabei junge Menschen in einer der oben genannten Situ- SGB-II- oder SGB-III-Leistungen bezogen. 0,8 Pro- ationen verbergen. zent waren in einer Werkstatt für behinderte Men- schen und 22 Prozent in berufsvorbereitenden In diesem Licht betrachtet legt die Erhebung der Maßnahmen. 9,8 Pro-zent wurden in der Kategorie BAG UB eher den Schluss nahe, dass die Ziel- „Sonstiges“ benannt. Zu 10,3 Prozent der Teilneh- gruppe in einem hohen Maße erreicht wird. Dass menden liegen keine Informationen vor. die Auswertung der BAG UB dennoch zu einem gegenteiligen Ergebnis kommt, ist bedauerlich. Da nach der letzten Situation vor Eintritt in die Dies gilt umso mehr, als die Ergebnisse nicht re- Maßnahme gefragt worden war, beziehen sich die präsentativ sind, da die Erhebung nach eigenen in der Frage genannten 8,3 Prozent auf behinderte Angaben der BAG UB nur 12 der 16 Länder und Menschen, die nahtlos von der Schule in die Un- nur rund 20 Prozent der Fälle umfasst. (B) terstützte Beschäftigung gewechselt sind. Aus die- (D) ser Feststellung kann jedoch nicht der Schluss ge- Die Bundesregierung nimmt in einem zweiten zogen werden, die Unterstützte Beschäftigung, die Schritt zu den Leistungen der Integrationsämter in erster Linie als Angebot für die Abgängerinnen Stellung: und Abgänger von Förderschulen gedacht war, Ein Schwerbehindertenausweis wird erteilt, verfehle in der Praxis die Zielgruppe. Denn auch wenn der Grad der Behinderung wenigstens 50 hinter den anderen genannten Situationen stehen Prozent beträgt. Die für die Leistungen der Berufs- in der Regel Schulabgängerinnen und Schulab- begleitung im Rahmen der Unterstützten Beschäf- gänger: tigung zuständigen Integrationsämter erbringen die Bei jungen behinderten Menschen, die zuvor in Leistungen nicht nur für schwerbehinderte Men- einer Ausbildung waren, 3,8 Prozent, hat sich ver- schen, Grad der Behinderung von wenigstens 50, mutlich erwiesen, dass sie den Anforderungen der sondern auch für andere behinderte Menschen, Ausbildung nicht gerecht werden konnten. Sie ge- wenn diese schwerbehinderten Menschen gleich- hören dann zur Zielgruppe der Unterstützten Be- gestellt sind. Die Gleichstellung erfolgt durch die schäftigung. Bundesagentur für Arbeit, wenn sie anderenfalls einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder Schulabgängerinnen und Schulabgänger sind nicht behalten können. auch in der Gruppe derjenigen enthalten, die un- mittelbar vor Eintritt in die Maßnahme arbeitslos gemeldet waren, 44,5 Prozent. Hier sind nämlich Anlage 12 auch diejenigen behinderten Jugendlichen erfasst, die sich nach Ende der Schulzeit arbeitslos mel- Antwort den, um die Zeit bis zum Beginn des folgenden des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf Ausbildungsabschnitts zu überbrücken und hier- die Frage der Abgeordneten Brigitte Pothmer (BÜ durch auch Ansprüche auf Leistungen, etwa auf NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/1694, Kindergeld, zu sichern. Auch diese Personengrup- Frage 24): pe ist sachlich dem Personenkreis der Schulab- Beabsichtigt die Bundesregierung, Kommunen, die gängerinnen und Schulabgänger zuzurechnen, bei zum 1. Januar 2012 die Grundsicherung in alleiniger denen die Maßnahme Unterstützte Beschäftigung Trägerschaft wahrnehmen wollen, bzw. Grundsiche- die erste Station der beruflichen Teilhabe ist. rungsstellen, die aufgrund einer Kreisgebietsreform zum 4214 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

(A) 1. Januar 2011 zur Option übergehen, bei der Auswahl um im SGB II und somit beispielsweise auf Arbeitsge- (C) der Bewerbungen zum Modellprojekt „Bürgerarbeit“ legenheiten mit Mehraufwandsentschädigung zurück- nicht zu berücksichtigen und damit den Überlegungen des Fachkonzepts „Bürgerarbeit“, Grobkonzept, der greifen können. Aus Sicht der Bundesregierung kann Bundesagentur für Arbeit zu folgen, und wie begründet dies jedoch nicht für den Beschäftigungszuschuss im die Bundesregierung ihre Entscheidung? Rahmen der Leistungen zur Beschäftigungsförderung Der Aufruf zur Interessenbekundung vom 19. gemäß § 16 e SGB II, JobPerspektive, gelten, da dieser April 2010 richtet sich bundesweit an alle Grundsi- auf eine dauerhafte Förderung ausgerichtet ist. Aufgrund cherungsstellen. Die Auswahl der eingereichten der gesetzlichen Regelungen im § 16 e SGB II hinsicht- Konzepte geschieht unabhängig davon, ob eine lich der zu fördernden Personengruppe ist nicht davon auszugehen, dass es nennenswerte Überschneidungen in Kommune zukünftig die Grundsicherung in alleini- der Zielgruppe geben wird. ger Trägerschaft wahrnehmen will oder ob eine Grundsicherungsstelle aufgrund einer Kreisgebiets- reform zum 1. Januar 2011 zur Option übergehen Anlage 14 wird. Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf Anlage 13 die Frage der Abgeordneten Sabine Zimmermann Antwort (DIE LINKE ) (Drucksache 17/1694, Frage 26): des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf Wie stellt sich die Bundesregierung zukünftig den Einsatz der insgesamt im Bereich des SGB II zur Verfü- die Frage der Abgeordneten Sabine Zimmermann gung stehenden verschiedenen arbeitsmarktpolitischen (DIE LINKE ) (Drucksache 17/1694, Frage 25): Förderinstrumente vor, bezogen auf die jeweiligen Teil- Wie ist das Modellprojekt „Bürgerarbeit“ bzw. die da- nehmerzahlen und die Verteilung der Mittel, und wie rin enthaltene Beschäftigungsphase gemäß der Be- stellte sich die anteilige Zusammensetzung der insge- kanntmachung des Interessenbekundungsverfahrens samt im Bereich des SGB II zur Anwendung gekomme- des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom nen arbeitsmarktpolitischen Förderinstrumente in den 19. April 2010 in das bestehende arbeitsmarktpolitische Jahren 2005 bis 2009 dar, nach jeweiligen Teilnehmer- Förderinstrumentarium des SGB II einzuordnen, insbe- zahlen und ausgegebenen Mitteln? sondere hinsichtlich der Zielgruppe des Instrumentes in Die Grundsicherung für Arbeitsuchende ist da- Abgrenzung zu anderen Fördermöglichkeiten wie Ar- beitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung rauf ausgerichtet, den erwerbsfähigen Hilfebedürf- und Beschäftigungszuschuss? tigen – unter Berücksichtigung der jeweiligen loka- len und regionalen Rahmenbedingungen – eine an Das Modellprojekt „Bürgerarbeit“ beschreibt ei- ihren individuellen Bedürfnissen orientierte Aktivie- (B) nen Prozess aus den Komponenten Bera- (D) rungs- und Eingliederungsstrategie anzubieten. tung/Standortbestimmung, Vermittlungsaktivitäten, Entscheidungen dazu können nur vom jeweiligen Qualifizierung/Förderung und der eigentlichen Fallmanager vor Ort getroffen werden. Das SGB II „Bürgerarbeit“ einer sozialversicherungspflichtigen sieht deshalb in den §§ 3 Abs. 1 und 14 vor, dass Beschäftigung, ohne Arbeitslosenversicherungs- die Erbringung der aktivierenden Leistungen je- pflicht. Es soll erreicht werden, einen möglichst ho- weils an den konkreten Bedarfen und Gegebenhei- hen Anteil der arbeitslosen erwerbsfähigen Hilfe- ten im Einzelfall auszurichten ist. Vor diesem fach- bedürftigen durch qualitativ gute und konsequente lichen Hintergrund steht den Grundsicherungsstel- Aktivierung, Mindestdauer sechs Monate, in den len das gesetzliche Instrumentarium zur Verfü- allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren und nur gung; dieses wird ergänzt durch zeitlich begrenzte die arbeitslosen erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Sonderprogramme des Bundesministeriums für Ar- Bürgerarbeit zu beschäftigen, deren Integration in beit und Soziales. Darüber hinaus macht das Bun- den allgemeinen Arbeitsmarkt während der Aktivie- desministerium für Arbeit und Soziales keine Vor- rungsphase nicht gelingt oder in absehbarer Zeit gaben zu Teilnehmerzahlen und Mittelverwendung nicht möglich erscheint. Das Modellprojekt „Bür- mit Blick auf die Anwendung der gesetzlich gere- gerarbeit“ bietet erstmals den Rahmen für eine um- gelten Eingliederungsleistungen im SGB II. fängliche Evaluation, die aufzeigen soll, welche Wirkungen sich durch konsequente Umsetzung Angaben zu den Teilnehmerzahlen und ausge- des Grundsatzes „Fördern und Fordern“ ergeben. gebenen Mitteln für arbeitsmarktpolitische Instru- mente in den Jahren 2005 bis 2008 können den Dem Aufruf zur Interessenbekundung zufolge Eingliederungsbilanzen der Bundesagentur für Ar- sollen arbeitslose erwerbsfähige Hilfebedürftige, beit entnommen werden. Eingliederungsbilanzen die Leistungen nach dem SGB II beziehen, in das für 2009 sind derzeit noch nicht verfügbar. Modellprojekt „Bürgerarbeit“ einbezogen werden. Darüber hinaus gibt es seitens des BMAS keine Von 2005 bis 2008 haben sich die Ist-Ausgaben weiteren zielgruppenspezifischen Vorgaben; gege- für Eingliederungsleistungen von rund 2,6 Milliar- benenfalls ergeben sich regionale Besonderheiten den Euro auf gut 4,8 Milliarden Euro erhöht. Der aus den eingereichten Konzepten. Anteil beschäftigungsbegleitender Maßnahmen, wie zum Beispiel Eingliederungszuschüsse, hat Im Rahmen der Aktivierungsphase sollen die Grundsi- sich in diesem Zeitraum von 11,5 auf 17,7 Prozent cherungsstellen auch auf das bestehende Instrumentari- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4215

(A) erhöht, während gleichzeitig das Gewicht Beschäf- der Parl. Staatssekretärin Julia Klöckner auf die (C) tigung schaffender, im wesentlichen auf den zwei- Frage der Abgeordneten Ulrike Höfken (BÜ ten Arbeitsmarkt zielender Maßnahmen abnahm, NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/1694, von 57,3 auf 38,6 Prozent. Die vollständigen Ein- Frage 28): gliederungsbilanzen lassen sich im Onlinestatistik- Welche Änderungen im Kontrollsystem für Futtermit- angebot der Bundesagentur für Arbeit abrufen. Be- telimporte plant die Bundesregierung angesichts der sonders interessierende Tabellen daraus können, Problematik belasteter Importe auch bei Einzelfuttermit- teln, und welche Strategie verfolgt die Bundesregierung falls gewünscht, schriftlich nachgereicht werden. insgesamt zur Vermeidung von Lebens- und Futtermit- telkontaminationen mit Dioxin?

Anlage 15 Das Importkontrollsystem bei Lebensmitteln und Futtermitteln ist im Gemeinschaftsrecht verankert. Antwort Auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. der Parl. Staatssekretärin Julia Klöckner auf die 882/2004 sind die Mitgliedstaaten angehalten, risi- Frage der Abgeordneten Ulrike Höfken (BÜ koorientierte Einfuhruntersuchungen bei der Ein- NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/1694, fuhr dieser Erzeugnisse aus Drittstaaten durchzu- Frage 27): führen. Sofern es aufgrund bekannter oder neu auftretender Risiken bei bestimmten Lebensmitteln Welche Regelungslücken sieht die Bundesregierung angesichts der Verschleppung von Informationen bei oder Futtermitteln nicht tierischen Ursprungs gebo- den aktuell bekannt gewordenen Dioxinfunden in Eiern, ten erscheint, kann die Europäische Kommission und welche konkreten Änderungen wird die Bundesre- diese Erzeugnisse durch Aufnahme in den Anhang gierung bei den Meldepflichtigen vornehmen? I der Verordnung (EG) Nr. 669/2009 einer verstärk- Die Bundesregierung sieht bei den aktuell be- ten Überwachung unterwerfen. kannt gewordenen Dioxinfunden in Eiern keine Re- Zur Vermeidung von Lebensmittelkontaminatio- gelungslücken im Hinblick auf eine Unterrichtung nen mit Dioxinen gelten entsprechend der Verord- der zuständigen Behörden. Art. 19 und 20 der Ver- nung (EG) Nr. 1881/2006 EU-weit Höchstgehalte ordnung (EG) Nr. 178/2002 legen dem Lebensmit- seit 2002 für Dioxine und seit 2006 zudem Höchst- tel- oder Futtermittelunternehmer spezifische Mel- gehalte für die Summe von Dioxinen und depflichten auf. Erkennt hiernach ein Unternehmer dioxinähnlichen polychlorierten Biphenylen, PCB, oder hat er Grund zu der Annahme, dass ein von in verschiedenen Lebensmitteln. ihm eingeführtes, erzeugtes, verarbeitetes, herge- stelltes oder vertriebenes Lebensmittel oder Fut- Die Bundesregierung sieht zurzeit keine Veran- (B) termittel die Anforderungen an die Lebensmittel- lassung aufgrund des vorliegenden Ereignisses, (D) oder Futtermittelsicherheit nicht erfüllt, hat er un- die Europäische Kommission zu Änderungen die- verzüglich Verfahren einzuleiten, um das betref- ser Regelungen aufzufordern. fende Lebens- oder Futtermittel vom Markt zu nehmen. Ferner ist eine Unterrichtung der zustän- digen Behörden hiervon erforderlich. Anlage 17 Kann zudem ein von einem Unternehmer in den Antwort Verkehr gebrachtes Lebensmittel möglicherweise des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die die Gesundheit schädigen oder entspricht ein von Frage des Abgeordneten Kai Gehring (BÜ NDNIS einem Unternehmer in den Verkehr gebrachtes 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/1694, Frage Futtermittel möglicherweise nicht den Anforderun- 30): gen an die Futtermittelsicherheit, so muss der Un- Inwiefern und mit welchem Ergebnis hat sich das ternehmer unverzüglich dies den zuständigen Be- Kabinett mit rechtlichen Änderungen zur Verkürzung hörden mitteilen und diese Behörden über die von des Wehr- und Zivildienstes befasst? ihm getroffenen Maßnahmen zur Risikoabwehr un- Die rechtlichen Änderungen zur Verkürzung des terrichten. Wehr- und Zivildienstes sowie die damit im Zu- Die Bundesregierung sieht keine Veranlassung, sammenhang stehenden weiter notwendigen ge- die Europäische Kommission zu einer Änderung setzlichen Änderungen sind im Entwurf eines dieser Regelungen aufzufordern. Sofern es zu ei- Wehrrechtsänderungsgesetzes 2010 zusammen- ner Verschleppung von Informationen durch den gefasst. Unternehmer kommt, ist es Aufgabe der zuständi- Das Bundeskabinett hat am 19. Mai 2010 dem gen Überwachungsbehörde, dies festzustellen und Entwurf des Wehrrechtsänderungsgesetzes 2010 zu sanktionieren. Für Zuwiderhandlungen sieht das zugestimmt. Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch eine Geldbuße bis zu 10 000 Euro vor. Anlage 18 Anlage 16 Antwort Antwort 4216 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

(A) des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf technischen Standards für deren Auslesbarkeit (für (C) die Frage des Abgeordneten Kai Gehring (BÜ Jugendschutzprogramme) fest. NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/1694, Darüber hinaus trifft der geltende Jugendmedi- Frage 31): enschutz-Staatsvertrag Vorkehrungen, um eine In welcher Form plant die Bundesregierung im Zuge einheitliche Beurteilungspraxis in der Sache zu der Neuregelungen zur Verkürzung des Wehr- und Zi- vildienstes auch eine optionale Verlängerung des Zivil- gewährleisten. Dazu gehören die Anforderungen dienstes zu regeln? an Unabhängigkeit, Qualifikation, Organisation und Anbieterrepräsentanz der Selbstkontrolleinrichtun- Entsprechend der Einigung innerhalb der Regie- gen (§ 19 Abs. 3 JMStV) wie auch das Abstim- rungskoalition sollen Zivildienstleistende künftig im mungserfordernis der Selbstkontrolleinrichtungen Einvernehmen mit ihrer Dienststelle im Rahmen ei- untereinander über die einheitliche Anwendung des nes öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses einen Staatsvertrags (§ 19 Abs. 6 JMStV). freiwilligen zusätzlichen Zivildienst von mindestens drei Monaten und höchstens sechs Monaten leis- ten können. Dieser soll frühestens zwei Monate Anlage 20 nach Beginn des Zivildienstes beantragt werden können. Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Fragen der Abgeordneten Britta Haßelmann Anlage 19 (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache Antwort 17/1694, Fragen 33 und 34): des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf Plant die Bundesregierung, die finanzielle Ausstat- tung des Kita-Ausbaus zu überprüfen? die Frage der Abgeordneten Caren Marks (SPD) Plant die Bundesregierung Sparmaßnahmen, die (Drucksache 17/1694, Frage 32): den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem voll- Wie bewertet die Bundesregierung die Befürchtung endeten ersten Lebensjahr betreffen, der 2013 in Kraft der „Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle“, USK, wo- treten soll? nach die vorgeschlagenen Neuregelungen zur Novellie- rung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages dazu Zu Frage 33: führen, dass unterschiedliche Alterskennzeichnungen im Internet zum Einsatz kommen und dadurch mögli- Nein. Die Bundesregierung steht zu den Verein- cherweise ein wirksamer Jugendmedienschutz unterlau- fen wird? barungen des sogenannten Krippengipfels vom 2. April 2007 und der Bund-Länder-Arbeitsgruppe (B) Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass der zum Betreuungsausbau vom 28. August 2007. Der (D) Vierzehnte Rundfunkänderungsstaatsvertrag, der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für die Novellierung des Jugendmedienschutz- Kinder vom vollendeten ersten bis zum dritten Le- Staatsvertrages beinhaltet, noch nicht einmal un- bensjahr ist mit dem unter Zustimmung des Bun- terzeichnet ist. Die Unterzeichnung ist in der Minis- desrates zustande gekommenen Kinderförde- terpräsidentenkonferenz am 10. Juni 2010 geplant. rungsgesetz (KiföG) bereits erlassen und tritt zum Danach ist der Durchlauf durch die Länderparla- 1. August 2013 in Kraft. mente vorgesehen. Eine Prognose, wie ein Rege- lungswerk – das erst in mehr als 7 Monaten in Kraft Zu Frage 34: treten soll – in der Praxis ausgestaltet wird, ist schon dem Grunde nach überaus schwierig. Fest- Nein. Die Bundesregierung steht zu den Verein- gestellt werden kann jedenfalls, dass der Staats- barungen des sogenannten Krippengipfels und der vertragsentwurf in § 12 Satz 2 die Festlegung auf Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum Betreuungsaus- ein einheitliches Kennzeichen ausdrücklich vor- bau. Sie unterstützt den Ausbau der Betreuungs- sieht. angebote bis 2013 mit insgesamt 4 Milliarden Euro für Investitions- und Betriebskosten, ab 2014 dann Nach dieser Vorschrift legen: mit jährlich 770 Millionen Euro für zusätzliche Be- – die anerkannten Einrichtungen der Freiwilligen triebskosten. Selbstkontrolle, In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuwei- – die Kommission für Jugendmedienschutz, sen, dass der Bund den Ländern zur Bewältigung der Herausforderungen der Wirtschafts- und Fi- – die in der ARD zusammengeschlossenen Landes- nanzkrise mit dem Konjunkturpaket II insgesamt rundfunkanstalten, 6,5 Milliarden Euro für Investitionen in die Bildungs- – das ZDF und infrastruktur zur Verfügung gestellt hat. Diese kön- nen ausdrücklich auch für die frühkindliche Infra- – das Deutschlandradio struktur eingesetzt werden. im Benehmen mit den obersten Landesjugendbe- hörden einheitliche Kennzeichen und auch die Anlage 21 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4217

(A) Antwort Aus offiziellen Statistiken, verpflichtenden Mel- (C) dungen oder repräsentativen Studien liegen der des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf Bundesregierung keine Erkenntnisse über Miss- die Frage des Abgeordneten Christian Lange brauchsfälle in Jugendwerkhöfen der DDR vor. (Backnang) (SPD) (Drucksache 17/1694, Frage 35): Zu Frage 39: Plant die Bundesregierung Einsparungen im Bereich der Kinderbetreuung und hält die Bundesregierung an Jungen Menschen ist in Einrichtungen in der der Garantie eines Betreuungsplatzes für Kinder unter DDR unsägliches Leid angetan worden. Mit dieser drei Jahren ab 2013 noch fest? schrecklichen Erkenntnis wird sich auch der Runde Nein, die Bundesregierung plant keine Einspa- Tisch gegen sexuellen Missbrauch auseinander- rungen im Bereich der Kinderbetreuung. Sie steht setzen. zu den Vereinbarungen von Bund, Ländern und Für uns gilt: Das Leid der Opfer ist unteilbar. kommunalen Spitzenverbänden auf dem soge- nannten Krippengipfel am 2. April 2007 und der Obwohl die Auswirkungen des Unterdrückungs- Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum Betreuungsaus- systems der DDR bereits Gegenstand umfangrei- bau vom 28. August 2007. cher materieller und immaterieller Rehabilitie- rungsmaßnahmen sind, wird es Aufgabe des Run- Die Bundesregierung unterstützt den Ausbau den Tisches sein, zu überlegen, ob mehr zu tun ist. der Betreuungsangebote bis 2013 mit insgesamt 4 Milliarden Euro für Investitions- und Betriebskos- Ausgangspunkt bei der Auswahl der Teilneh- ten, ab 2014 dann mit jährlich 770 Millionen Euro menden des Rundes Tisches war es, alle gesell- für zusätzliche Betriebskosten. schaftlichen Gruppen zu Wort kommen zu lassen. Daher spielte in unseren Überlegungen die Seite In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuwei- der Opfer von Anfang an eine große Rolle. sen, dass der Bund den Ländern zur Bewältigung der Herausforderungen der Wirtschafts- und Fi- Wir haben uns entschlossen, zentrale Kinder- nanzkrise mit dem Konjunkturpaket II insgesamt schutzverbände und -organisationen und bundes- 6,5 Milliarden Euro für Investitionen in die Bildungs- weite Zusammenschlüsse von Beratungseinrich- infrastruktur zur Verfügung gestellt hat. Diese kön- tungen für Opfer sexueller Gewalt einzuladen. Sie nen ausdrücklich auch für die frühkindliche Infra- und andere bringen mit ihren Beratungsstellen struktur eingesetzt werden. nicht nur eine große Expertise mit ein, sondern leisten auch eine unverzichtbare Arbeit. Ja. Die Bundesregierung steht zu den Vereinba- (B) rungen von Bund, Ländern und kommunalen Spit- Ferner sind Vertreterinnen und Vertreter von (D) zenverbänden auf dem sogenannten Krippengipfel Familienverbänden, Schul- und Internatsträgern, am 2. April 2007 und der Bund-Länder- der freien Wohlfahrtspflege, und der beiden großen Arbeitsgruppe zum Betreuungsausbau vom 28. christlichen Kirchen, des Rechtswesens, der Politik August 2007. Der Rechtsanspruch auf einen Be- und aus Bund, Ländern und Kommunen geladen. treuungsplatz für Kinder vom vollendeten ersten bis In der jetzigen Zusammensetzung finden einer- zum dritten Lebensjahr ist mit dem unter Zustim- seits alle relevanten Gruppen und Positionen Ge- mung des Bundesrates zustande gekommenen hör, andererseits ist die Arbeitsfähigkeit des Run- Kinderförderungsgesetz (KiföG) bereits erlassen den Tisches sicher gestellt. In den Arbeitsgruppen und tritt zum 1. August 2013 in Kraft. haben wir die Möglichkeit, weitere Expertinnen und Experten hinzuzuziehen und mit ihnen ins Ge- spräch zu kommen. Anlage 22 Antwort Anlage 23 des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Fragen der Abgeordneten Erika Steinbach Antwort (CDU/CSU) (Drucksache 17/1694, Fragen 38 und der Parl. Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz 39): auf die Fragen der Abgeordneten Dr. Marlies Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über Volkmer (SPD) (Drucksache 17/1694, Fragen 40 Missbrauchsfälle in Jugendwerkhöfen in der Zeit der zweiten deutschen Diktatur, etwa in der Einrichtung in und 41): Torgau? Wie beurteilt die Bundesregierung die Initiative der Welche Sachverständigen nehmen für den Themen- Länder Sachsen und Bremen, die Krankenkassen in bereich sexueller Missbrauch im Bereich der Jugend- den Bundesländern gesetzlich zur Einrichtung von Spit- werkhöfe am Runden Tisch gegen sexuellen Miss- zenverbänden auf Landesebene zu verpflichten, die als brauch teil? Rechtsperson verantwortlich die Aufgaben der Kran- kenkassen im jeweiligen Land übernehmen? Zu Frage 38: Welche Auswirkungen hätte die Einrichtung von 16 neuen Krankenkassenverbänden für die Verwaltungs- ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen? 4218 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

(A) Zu Frage 40: waltungskosten nicht näher beziffern. Anhand der (C) bisherigen Erfahrungen ist jedoch zu erwarten, Der Vorschlag ist aus der Sicht der Bundesre- dass Spitzenverbände in allen 16 Bundesländern in gierung insbesondere aus folgenden Gründen ab- der Summe zu jährlichen Verwaltungsausgaben in zulehnen: dreistelliger Millionenhöhe führen können, wenn ih- Aus der Sicht der Bundesregierung gehört zu ei- re organisatorische Ausgestaltung dem GKV- nem funktionsfähigen Kassenwettbewerb auch, Spitzenverband auf Bundes-ebene entspricht. dass die im Wettbewerb stehenden Krankenkassen eigenverantwortlich entscheiden können, wie sie die zur Verfügung stehenden organisationsrechtli- Anlage 24 chen Möglichkeiten nutzen. Gesetzliche Regelun- Antwort gen im Bereich des Organisationsrechts sollten daher nur dann erfolgen, wenn dies erforderlich ist, der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die um die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs zu er- Frage des Abgeordneten Michael Groß (SPD) halten oder zu verbessern. Bei dem vorgenannten (Drucksache 17/1694, Frage 45): Vorschlag ist jedoch nicht ersichtlich, inwieweit er Teilt die Bundesregierung die Ansicht der EU- zu einer Verbesserung der Aufgabenwahrnehmung Kommission zur EU-Wasserrahmenrichtlinie, die vor- auf Landesebene führen könnte. Außerdem würde sieht, den Stoff Zink als prioritär einzustufen, vor dem Hintergrund der bereits vorhandenen Risikobewertung, er zu einem erheblichen Bürokratieaufbau führen, darunter die Empfehlung der EU-Kommission für Risi- da alle bundesweit tätigen Krankenkassen Mitglied kobegrenzungsmaßnahmen für Zink, 2008/464/EG, und in 16 Spitzenverbänden auf Landesebene sein wie bewertet sie aktuelle, vom neutralen INERIS-Institut müssten. überprüfte und ausgewertete Daten zu Zink aus den Mitgliedstaaten der EU, die ausdrücklich gegen eine Dies ist den Ländern auch bekannt. Zur Vermei- solche Einstufung sprechen? dung des mit der Bildung eines Spitzenverbandes Entsprechend Art. 16 Abs. 4 der Wasserrahmen- „Land der Krankenkassen“ verbundenen erhebli- richtlinie überprüft derzeit die Kommission turnus- chen bürokratischen Aufwands hat die Amtschef- gemäß die Liste der prioritären Stoffe und die auf- konferenz daher am 5./6. Mai 2010 einstimmig be- grund der Vorschläge des Europäischen Parla- schlossen, den Ministerinnen und Ministern, Sena- ments in die Umweltqualitätsnormenrichtlinie torinnen und Senatoren für Gesundheit der Länder 2008/105/EG aufgenommenen elf Stoffe in Anhang als Alternative eine gesetzliche Verpflichtung der III hinsichtlich einer möglichen Einstufung als priori- Krankenkassen zu empfehlen, wonach diese für täre Stoffe. Die Kommission muss entsprechend (B) jede Kassenart einen Bevollmächtigten zu bestim- den Regelungen dieser Richtlinie dem Europäi- (D) men haben, der mit Abschlussbefugnis für gemein- schen Parlament und dem Rat bis zum 13. Januar sam und einheitlich zu treffende Entscheidungen 2011 über das Ergebnis der Überprüfung berichten und Verträge auf Landesebene verantwortlich ist. und einen Vorschlag für eine entsprechende Richt- Die Bevollmächtigten sollen eine Landesarbeits- linie vorlegen. gemeinschaft bilden, die der Länderaufsicht unter- liegt. Zur Überprüfung der Liste der prioritären Stoffe hat die EU-Kommission eine Kommissionsarbeits- Nach Auffassung der Bundesregierung ist je- gruppe eingesetzt, in der die Mitgliedstaaten und doch nicht erkennbar, inwieweit dieser Vorschlag, NGOs und unter anderem der Europäische Metall- der der bestehenden Regelung für die Bevollmäch- verband, Eurometaux, vertreten sind, um die vor- tigung der Ersatzkassen nach § 212 Abs. 5 Satz 4 handenen Informationen zusammenzustellen. des Fünftes Buches Sozialgesetzbuch, SGB V, nachgebildet ist und dieses Modell auf die anderen Die Auswertung erfolgt durch ein Prioritätenset- Kassenarten überträgt, zu einer Verbesserung der zungsverfahren, in das alle NGOs von Anfang an Aufgabenwahrnehmung auf Landes-ebene führen eng eingebunden sind. In einem wissenschaftlich kann. Vielmehr reichen die insoweit bestehenden fundierten Verfahren sollen diejenigen Stoffe her- organisationsrechtlichen Strukturen aus. ausgefiltert werden, bei denen aus wasserwirt- schaftlicher Sicht ein europaweiter Handlungsbe- Zu Frage 41: darf besteht, das heißt wenn in mindestens vier Mitgliedstaaten ein Stoff als relevant angesehen Die Bundes- und Landesverbände der Kranken- wird. Bislang ist aus einer Zusammenstellung der kassen sind im Wesentlichen umlagefinanziert. Die europaweit verfügbaren Gewässerkonzentrationen Verbandsumlagen für den GKV-Spitzenverband von Stoffen eine Kandidatenliste von 41 Stoffen für und der Verbände der Kassenarten auf Landes- eine vertiefte Prioritätensetzung erarbeitet worden. ebene sind Teil der Verwaltungsausgaben der Mit- Auf dieser Kandidatenliste befindet sich auch Zink. gliedskrankenkassen. Da weder die genaue Zu- sammensetzung und Funktion der vorgeschlage- Im weiteren Verfahren der Kommission geht es nen Spitzenverbände auf Landesebene feststeht zunächst um die Erstellung von Stoffdossiers auf noch ihr genauer Aufgabenumfang, lassen sich die einer vergleichbaren Informationsbasis für die ver- mit dem Vorschlag verbundenen zusätzlichen Ver- bleibenden Kandidaten der Prüfliste. Selbstver- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4219

(A) ständlich werden, wie von der Wasserrahmen- Antrag auf Aufhebung der Haushaltsperre beim (C) richtlinie gefordert, die Risikobewertungen nach Bundesministerium der Finanzen gestellt. dem Chemikalien-, Pflanzenschutz- und Biozidrecht herangezogen und die Auswertungen des von der Kommission beauftragten INERIS- Anlage 26 Instituts berücksichtigt. Diese Informationen stellen Antwort eine sehr wichtige, aber nicht die ausschließliche Informationsquelle dar. der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Hermann Scheer Es ist davon auszugehen, dass nach Abschluss (SPD) (Drucksache 17/1694, Fragen 50 und 51): des Verfahrens etwa 10 bis 15 Stoffe von der Welche Bedeutung hat nach Einschätzung der Bun- Kommission für die Erarbeitung eines Vorschlags desregierung die Einführung der Verordnung zu Sys- für eine Richtlinie, der Anfang 2011 zu erwarten ist, temdienstleistungen durch Windenergieanlagen, ausgewählt werden. Die Entscheidung, welche SDLWindV, und der entsprechenden Regelung im Er- Stoffe in die Liste der prioritären Stoffe aufgenom- neuerbare-Energien-Gesetz, EEG, für bestehende wie auch neue Anlagen für die verbesserte Netz- und Sys- men werden, erfolgt im europäischen Rechtset- temintegration von Windenergieanlagen – wie zum Bei- zungsverfahren. Auf der Grundlage der dann zur spiel die Aufrechterhaltung der Netzstabilität durch Verfügung stehenden Informationen wird auch die Windkraftanlagen –, und wie ist nach Einschätzung der Bundesregierung ihr Votum abgeben. Bundesregierung der aktuelle Stand der Umsetzung der SDLWindV bei Herstellern, Gutachtern und Zertifizierern? Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass Anlage 25 möglichst viele bestehende Windkraftanlagen hinsicht- Antwort lich der Vorgaben der SDLWindV umgerüstet werden, um somit die Systemstabilität des deutschen Stromnet- der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die zes zu erhöhen, und wie bewertet sie dahin gehend ei- ne mögliche Fristverlängerung der Regelung in § 66 Fragen des Abgeordneten Ulrich Kelber (SPD) Abs. 1 Nr. 6 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, EEG (Drucksache 17/1694, Fragen 46 und 47): 2009, für Bestandsanlagen? Wie viele Anträge auf Zuschuss im Rahmen des Marktanreizprogrammes zur Nutzung erneuerbarer Zu Frage 50: Energien im Wärmebereich, bitte aufgeschlüsselt nach den einzelnen Fördertatbeständen, liegen derzeit beim Mit der Einführung der Verordnung zu System- Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle vor, die dienstleistungen durch Windenergieanlagen, zurzeit aufgrund der Haushaltssperre nicht bearbeitet SDLWindV, sowie der Übergangsregelung nach werden, und um welches Fördervolumen handelt es (B) sich dabei ungefähr? § 66 Abs. 1 Nr. 6 Erneuerbare-Energien-Gesetz (D) Wie hoch sind nach Einschätzung der Bundesregie- sollte für Windenergieanlagen ein Mindeststandard rung die privaten Investitionen, die aufgrund dieser für die verbesserte Netzintegration und an das Haushaltssperre nicht getätigt werden können, und Verhalten im Fehlerfall geschaffen werden. Mit den wann wird das Bundesministerium für Umwelt, Natur- verbesserten Netzeigenschaften von neuen und al- schutz und Reaktorsicherheit einen Antrag auf Entsperrung der Mittel stellen? ten Windenergieanlagen soll die Systemsicherheit unterstützt werden. Zu Frage 46: Derzeit sind die Hersteller von Windenergiean- Vor dem Programmstopp am 3. Mai 2010 wur- lagen wegen der begrenzten Anzahl von zugelas- den überschlägig rund 22 000 Anträge beim BAFA senen Zertifizierern und Verzögerungen bei der Er- eingereicht, die aufgrund der Haushaltssperre aus stellung der Richtlinien für die Zertifizierung nicht in Mitteln des Haushaltsjahres 2010 nicht mehr posi- der Lage, bis zum Stichtag 30. Juni 2010 sicher tiv beschieden werden könnten. Deren potenzieller nachzuweisen, dass die Anforderungen der Haushaltsmittelbedarf liegt bei circa 47 Millionen SDLWindV am Netzverknüpfungspunkt erfüllt wer- Euro. Eine Angabe, wie sich dieser Bestand nach den. Technologien aufschlüsselt, ist derzeit aus bearbei- Die Bundesregierung will daher durch eine Ver- tungstechnischen Gründen noch nicht möglich. längerung der Stichtagsregelung im Rahmen einer Änderung der SDLWindV vermeiden, dass es zu Zu Frage 47: einem faktischen Ausbaustopp der Windenergie in Derzeit werden monatlich 12 000 Förderanträge der zweiten Hälfte 2010 kommen könnte. für Investitionen gestellt, die ein Investitionsvolu- men von überschlägig 180 Millionen Euro umfas- Zu Frage 51: sen. Der Bundesregierung liegen keine Informatio- Bis zum 31. Dezember 2010 können Bestands- nen darüber vor, wie hoch der Anteil der ohne För- anlagen freiwillig nachgerüstet werden. Bei Nach- derung nicht getätigten Investitionen sein wird. weis der Erfüllung der in der SDLWindV vorge- Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz schriebenen Netzeigenschaften für Bestandanla- und Reaktorsicherheit hat am 26. April 2010 einen gen erhalten die Betreiber einen Bonus von 0,7 ct/kWh über einen Zeitraum von fünf Jahren. 4220 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

(A) Ab dem 1. Januar 2011 ist eine Aufrüstung nicht Wie ist geregelt, in welcher Reihenfolge Schäden (C) mehr bonusfähig. Die Netzbetreiber halten eine aus der Deckungsvorsorge bedient würden, sollte es in Deutschland zu einem Reaktorunglück kommen? Verlängerung der Frist grundsätzlich für sinnvoll. Wer würde im Falle eines Reaktorunglücks für die Die Bundesregierung steht dem Vorschlag aufge- Kosten für landwirtschaftliche Ernteausfälle haften, soll- schlossen gegenüber. ten die Deckungsvorsorge sowie das Vermögen des be- troffenen Atomkraftwerksbetreibers und der Unterneh- mensmutter dafür nicht ausreichen, und für wie viele Anlage 27 Jahre gilt dies? Antwort Zu Frage 53: der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Eine Deckungsvorsorge gewährleistet die Erfül- Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜ lung berechtigter Haftungsansprüche von Geschä- NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/1694, digten gegenüber dem Haftungsgegner und dem Frage 52): Deckungsvorsorgepflichtigen. Daher stellt sich Auf Grundlage welcher Genehmigungen wurden im grundsätzlich nicht die Frage, in welcher Reihen- Zeitraum 1992 bis 2009 radioaktive Abwässer am folge Schäden aus der Deckungsvorsorge bedient Standort Lubmin – Atomkraftwerk Greifswald und Zwi- werden, sondern in welcher Reihenfolge mehrere schenlager Nord – in die Ostsee eingeleitet – bitte mit Angabe des Datums der Genehmigung –, und welche Haftungsansprüche vom Haftungsgegner reguliert maximalen Abwassermengen, die jährlich abgeleitet werden müssen, deren Erfüllung ihrerseits von ei- werden dürfen, sind in diesen Genehmigungen jeweils ner Deckungsvorsorge gewährleistet sind. festgelegt? Ein Bedürfnis für eine Festlegung der Reihenfol- Das Kernkraftwerk Greifswald ist seit Dezember ge der auszugleichenden Schäden ergibt sich in 1990 außer Betrieb. Bis zur Erteilung der Stillle- diesem Fall nur dann, wenn die Schadensersatz- gungsgenehmigung am 30. Juni 1995 galt die ur- verpflichtungen aus einem Schadensereignis die sprüngliche Dauerbetriebsgenehmigung für das zur Erfüllung der Schadensersatzverpflichtungen Kernkraftwerk Greifswald gemäß dem Einigungs- zur Verfügung stehenden Mittel übersteigen. Für vertrag fort. diesen Fall sieht § 35 des Atomgesetzes vor, dass Für die Ableitung mit dem Abwasser aus dem die Verteilung der Mittel durch Gesetz bis zum Er- Kernkraftwerk Greifswald waren im Zeitraum von lass eines solchen Gesetzes durch Rechtsverord- 1992 bis 30. Juni 1995 für sonstige radioaktive nung geregelt wird. 11 13 Stoffe 1,85 x 10 Bq und für Tritium 7,4 x 10 Bq Der deutsche Gesetzgeber hat außerdem in § (B) als Abgabegrenzwerte genehmigt. 15 des Atomgesetzes für bestimmte Schadensfälle (D) Für die Ableitung mit dem Abwasser aus dem in eine nachrangige Befriedigung aus der vorhande- Stilllegung befindlichen Kernkraftwerk wurden ab nen Deckungsvorsorge angeordnet. Das gilt dann, dem 30. Juni 1995 für sonstige radioaktive Stoffe wenn der haftpflichtige Inhaber der Kernanlage und 4,0 x 109 Bq und für Tritium 7,4 x 011 Bq durch das der Geschädigte Konzernunternehmen desselben Umweltministerium Mecklenburg-Vorpommern ge- Konzerns sind. In diesem Fall darf die Deckungs- nehmigt. vorsorge zur Befriedigung von Ansprüchen des ge- schädigten Konzernunternehmens nur herangezo- Für die Ableitung mit dem Abwasser aus dem gen werden, wenn dadurch die Ansprüche kon- Zwischenlager Nord, ZLN, wurden ab dem 20. Feb- zernunabhängiger Geschädigter nicht beeinträch- ruar 1998 durch das Umweltministerium Mecklen- tigt werden. Es gilt ferner auch dann, wenn der burg-Vorpommern für sonstige radioaktive Stoffe 7 10 Schaden an einer industriellen Anlage in der Nähe 8,0 x 0 Bq und für Tritium 7,0 x 0 Bq genehmigt. der Kernanlage entstanden ist, sofern sich die ge- In den vorgenannten Genehmigungen sind somit schädigte Industrieanlage nur deshalb an diesem Ableitungsgrenzwerte für die mit dem Abwasser Standort befindet, um aus der Kernanlage stam- abzuleitende Aktivität enthalten, die Abwasser- mende Energie für Produktionsprozesse zu nutzen. menge selbst ist nicht begrenzt. Die Überwachung der Einhaltung der Grenzwerte obliegt der hierfür zuständigen Landesbehörde.

Anlage 28 Antwort der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Fragen des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜ NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/1694, Fragen 53 und 54): Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4221

(A) Zu Frage 54: Zu Frage 56: (C) Für Drittschäden, die durch ein nukleares Ereig- Die von Bund und Ländern institutionell geför- nis verursacht werden, haftet ausschließlich der derte Deutsche Forschungsgemeinschaft, DFG, Betreiber des Reaktors gemäß dem Pariser Atom- hat im Bereich Wissenschaftliche Literaturversor- haftungsübereinkommen in Verbindung mit §§ 25 gungs- und Informationssytem, LIS, innerhalb des ff. des Atomgesetzes. Die Verjährungsfrist für Er- Förderprogramms Elektronische Publikationen im satzansprüche beträgt drei Jahre ab Kenntnis oder wissenschaftlichen Literatur- und Informationsan- Kennenmüssen des Schadens und des Ersatz- gebot ein eigenes Segment zur Förderung von Pro- pflichtigen, unabhängig davon 30 Jahre. jekten im Bereich Open Access. Unter den geför- derten Projekten befinden sich unter anderem Bei der gesetzlichen Regelung nach § 35 Abs. 1 Open-Access-Zeitschriften und Open-Access- des Atomgesetzes bleibt es dem Gesetzgeber un- Repositoren. benommen, zusätzlich Beträge der öffentlichen Hand zur Deckung der Schäden im Rahmen des Die Forschungseinrichtungen, die sich in der Open- Verteilungsverfahrens vorzusehen. Auch außerhalb Access-Initiative über die Allianz organisiert haben, be- des Verteilungsverfahrens kann die öffentliche treiben aus deren Grundfinanzierung finanzierte Reposi- Hand aus Billigkeitserwägungen weitere Mittel ein- torien für die von ihren jeweiligen Gremien beschlosse- setzen. nen Zwecke. Eine direkte Förderung durch die Bundes- regierung findet derzeit nicht statt. Das Bundesministerium für Bildung und For- Anlage 29 schung fördert vor allem bei der Deutschen Natio- Antwort nalbibliothek und weiteren Partnern Verbundvorha- ben zur Langzeitarchivierung und Langzeitverfüg- des Parl. Staatssekretärs Dr. Helge Braun auf die barkeit digitaler Dokumente. Dazu gehörte die Fragen des Abgeordneten René Röspel (SPD) Entwicklung dauerhafter elektronischer Standorte (Drucksache 17/ 1694, Fragen 55 und 56): von digitalen Dokumenten, sogenannte persistente Mit welchen Maßnahmen fördert die Bundesregie- Identifier, im Projekt „EPICUR“, dessen Ergebnisse rung die Evaluierung von Open-Access- Veröffentlichungen und von Onlinezeitschriften mit dem heute Grundlage der dauerhaften Speicherung di- Ziel der Erhaltung der Standards wissenschaftlicher gitaler Werke bei der Deutschen Nationalbibliothek Qualitätssicherung und guter wissenschaftlicher Praxis? sind. Außerdem wurden sowohl technische Lösun- Mit welchen Maßnahmen oder Projekten fördert die gen zur Langzeitarchivierung digitaler Werke un- Bundesregierung den Aufbau und die Vernetzung von tersucht als auch ein Kompetenznetzwerk aufge- (B) Repositorien? (D) baut. Die Entwicklung neuartiger technischer Mög- Zu Frage 55: lichkeiten für Repositorien wird derzeit unter ande- rem im Verbundprojekt „WIKINGER“ gefördert. Die deutschen Wissenschaftsorganisationen stehen den Bemühungen um Transparenz des Wissenschaftsbetriebs und insbesondere dem Ziel Anlage 30 der Open-Access-Bewegung, wissenschaftliche Li- teratur und wissenschaftliche Materialien für alle Antwort Nutzerinnen und Nutzer kostenlos im Internet zu- des Parl. Staatssekretärs Dr. Helge Braun auf die gänglich zu machen, sehr aufgeschlossen gegen- Frage des Abgeordneten Christian Lange (Back- über. Die Allianz der deutschen Wissenschaftsor- nang) (SPD) (Drucksache 17/1694, Frage 57): ganisationen hat 2008 dazu die Schwerpunktinitia- Plant die Bundesregierung, den Zeitrahmen für das tive „Digitale Information“ gestartet. Beim Open Ac- zwischen Bund und Ländern gesteckte Ziel zu verlän- cess bezieht diese Initiative sowohl die Nachnut- gern, 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Schulen zung von Verlagsprodukten als auch die Online- und Hochschulen auszugeben? publikation auf der Grundlage neuer Geschäftsmo- Die Bundeskanzlerin sowie die Regierungsche- delle ein. Ein wesentliches Element dieser Initiative fin und Regierungschefs der Länder haben bei ih- sind digitale Zugänge zu Inhalten, die durch einen rem Treffen am 16. Dezember 2009 das Ziel des Peer-Review-Prozess qualitätsgesichert sind und Qualifizierungsgipfels vom 22. Oktober 2008 be- den Standards guter wissenschaftlicher Praxis un- kräftigt, bis zum Jahr 2015 in Deutschland die In- abhängig von der Publikationsform entsprechen. vestitionen in Bildung und Forschung auf 10 Pro- Solange die Qualität von Publikationen durch zent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern. Die geeignete Indizes und Metriken aus der Wissen- Bundesregierung plant keine Verschiebung der schaft selbst fortlaufend bewertet wird, ist eine Frist zur Erfüllung des 10-Prozent-Ziels. Evaluation sowohl konventioneller wissenschaftli- cher Verlage als auch von Open-Access- Veröffentlichungen bzw. von Onlinezeitschriften zur Anlage 31 Bemessung ihrer Qualität aus Sicht die Bundesre- gierung nicht erforderlich. Antwort 4222 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

(A) der Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp auf die Die EU hat im Rahmen des politischen Dialogs (C) Frage des Abgeordneten Uwe Kekeritz (BÜ Menschen- und Bürgerrechtsfragen gegenüber NDNIS 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/1694, Premierminister Meles Zenawi immer wieder, zu- Frage 60): letzt am 29. März 2010, angesprochen. Die EU- Wie wird die Bundesregierung den auf dem G-8- Bemühungen haben unter anderem dazu geführt, Gipfel im Jahr 2008 gefassten Beschluss umsetzen, in- dass verschiedentlich Inhaftierte freigelassen wur- nerhalb von fünf Jahren, also bis 2013, 60 Milliarden den. US-Dollar zur weltweiten Bekämpfung von Aids, Tuber- kulose und Malaria sowie zur Stärkung der Gesund- heitssysteme bereitzustellen, und wie wird sie dazu ih- ren nach dem G-8-Gipfel im Jahr 2007 aufgestellten Anlage 33 Zeitplan anpassen, der vorsieht, den deutschen Anteil von 4 Milliarden Euro bis 2015 zu leisten? Antwort Bei dem G-8-Gipfel in Heiligendamm im Jahr der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage 2007 wurden für den Kampf gegen Infektions- des Abgeordneten Tom Koenigs (BÜ NDNIS krankheiten und die Stärkung von Gesundheitssys- 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/1694, Frage temen 60 Milliarden US-Dollar zugesagt. Die Bun- 63): desregierung verpflichtete sich daraufhin, bis 2015 Wie rechtfertigt die Bundesregierung die Tatsache, jährlich 500 Millionen Euro zur Verfügung zu stel- dass die Delegation der Bundesrepublik Deutschland len, das heißt insgesamt 4 Milliarden Euro. Erst bei bei der Überprüfungskonferenz des Internationalen Strafgerichtshofs in Kampala, Uganda, vom 31. Mai bis dem G-8-Gipfel in Toyako wurde ein Zeitziel – fünf zum 11. Juni 2010 nicht durch hochrangige Regie- Jahre – eingeführt. rungsmitglieder vertreten ist, obwohl dies in Anbetracht der notwendigen Unterstützung für den Internationalen Nach derzeitigem Stand besteht kein Anlass zu Zwei- Strafgerichtshof und die internationale Strafgerichtsbar- feln, dass das gemeinsame G-8-Ziel, 60 Milliarden US- keit erforderlich ist, und hat die Bundesregierung ein Dollar bis Ende 2012 zur Bekämpfung von Infektions- „Relocation Agreement“ mit dem Internationalen Straf- krankheiten und für die Stärkung von Gesundheitssys- gerichtshof in Bezug auf den Opfer- und Zeugenschutz abgeschlossen? temen zur Verfügung zu stellen, erreicht werden kann. Die tatsächlichen deutschen Zusagen lagen 2007 bei 590 Die Bundesregierung misst der Überprüfungs- Millionen Euro und 2008 bei 737 Millionen Euro. konferenz des Internationalen Strafgerichtshofs, die vom 31. Mai bis 11. Juni 2010 in Kampala statt- findet, große Bedeutung bei. Anlage 32 Die Leitung der deutschen Delegation liegt beim (B) Antwort Beauftragten der Bundesregierung für Menschen- (D) rechtspolitik und Humanitäre Hilfe, Markus Löning. der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage Damit unterstreicht die Bundesregierung ihr bereits des Abgeordneten Tom Koenigs (BÜ NDNIS im Koalitionsvertrag niedergelegtes Verständnis 90/DIE GRÜ NEN ) (Drucksache 17/1694, Frage vom Internationalen Strafgerichtshof als „unent- 62): behrliches Instrument im Kampf gegen Menschen- Wie beurteilt die Bundesregierung die Menschen- rechtsverletzungen“. rechtslage in Äthiopien vor den Wahlen, insbesondere die Rechte Oppositioneller, von Journalistinnen und Zum zweiten Teil der Frage: Journalisten und Menschenrechtsverteidigerinnen und - verteidigern, und in welcher Form und mit welchen In- Nein, die Bundesregierung hat bisher kein sol- halten findet zwischen der Bundesregierung und Äthio- ches „Relocation Agreement“ mit dem Internationa- pien ein Dialog über konkrete Menschenrechtsfragen len Strafgerichtshof in Bezug auf den Opfer- und statt? Zeugenschutz abgeschlossen. Der Abschluss ei- Die Bundesregierung verfolgt mit großer Auf- nes solchen Abkommens erfordert ein aufwendiges merksamkeit die innenpolitische Entwicklung in Verfahren unter Einschluss der Länder. Dem ste- Äthiopien. Sie setzt sich gemeinsam mit ihren eu- hen bisher nur relativ wenige Verfahren vor dem In- ropäischen Partnern konsequent dafür ein, dass ternationalen Strafgerichtshof gegenüber. das Land auf dem Weg zu einem demokratischen Die Pflicht Deutschlands zur Zusammenarbeit mit dem Rechtsstaat voranschreitet. Internationalen Strafgerichtshof ergibt sich unmittelbar Die Vorbereitungen für die nächsten Parla- aus dem Römischen Statut. Ersuchen des Gerichtshofs mentswahlen am 23. Mai 2010 sind nach Kenntnis um Zeugen- oder Opferschutz können jederzeit auch oh- der Bundesregierung auf technischer Ebene zu- ne ein solches Abkommen erledigt werden. friedenstellend verlaufen. Die Opposition klagt je- Die Bundesregierung behält sich aber vor, die doch über Behinderung ihrer Anhänger. Einer EU- Frage eines solchen Abkommens zu gegebener Wahlbeobachtung hat die äthiopische Regierung Zeit im Lichte der gemachten Erfahrungen erneut zugestimmt. Die Bundesregierung wird den Bericht zu prüfen. sehr sorgfältig analysieren und prüfen, welche Schlüsse daraus zu ziehen sind. Anlage 34 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010 4223

(A) Antwort stehende Kosovo Security Force unter Beteiligung des (C) deutschen KFOR-Kontingentes zu einer Mischung aus der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage Katastrophenschutzeinheit und Armee des Kosovo auf- des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele gebaut werden soll, wieder aufgenommen, nachdem sie ausgesetzt wurden, weil sich die Kosovo Security Force (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Drucksache bewaffnet an einer Gedenkveranstaltung für die UCK 17/1694, Frage 64): beteiligt hat, und ist die Bundeswehr auch weiterhin hie- Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über ran beteiligt? die Anzahl der Aufständischen, die bisher im Jahr 2010 unter Beteiligung von Soldaten der Bundeswehr oder Die Kosovo-Truppe, KFOR, hat die Zusammen- mit deren Unterstützung festgenommen, festgehalten arbeit mit der Kosovo Sicherheitstruppe, KSF, am oder in Gewahrsam genommen und an US-Stellen 6. März 2010 ausgesetzt und am 10. März 2010 übergeben oder überlassen wurden, und deren weiteres wieder aufgenommen. Schicksal, und welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus, dass ganz offensichtlich in Af- Die Bundeswehr ist im Rahmen ihres vom Deut- ghanistan und insbesondere in Bagram neben einem schen Bundestag verabschiedeten Mandats und im neuen US-Gefängnis, das als vorbildlich ausländischen Besuchern präsentiert wird, nach wie vor „Geheimge- Rahmen der im Bündnis vereinbarten Aufgaben vor fängnisse“ von US-Stellen unterhalten werden, in denen Ort daran beteiligt. Gefangene, die verdächtigt werden, Aufständische zu sein, unmenschlicher Behandlung ausgesetzt werden, wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz jetzt gegenüber dem britischen Sender BBC bestätigte (Spiegel Online vom 11. Mai 2010)? Die Bundeswehr hat keine Aufständischen an US-amerikanische Stellen übergeben. Der Bundesregierung liegen über die angebliche Unterhaltung von „Geheimgefängnissen“ durch US- Stellen keine Erkenntnisse vor.

Anlage 35 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der Abgeordneten Inge Höger (DIE LINKE) (B) (Drucksache 17/1694, Frage 65): (D) Welches Szenario liegt der laut Medienberichten in der vergangenen Woche in Süddeutschland abgehalte- nen gemeinsamen Luftübung amerikanischer und israe- lischer Streitkräfte zugrunde, und in welcher Weise wa- ren deutsche Behörden oder Institutionen eingebunden? Im Zeitraum vom 1. bis zum 7. Mai 2010 nahmen zwei Angehörige der israelischen Streitkräfte an einer Hubschrauberausbildung in Einrichtungen der in Deutschland stationierten US-Streitkräfte in Hohenfels und Grafenwöhr teil. Wie in solchen Fällen üblich, erging der hierzu erforderliche Antrag der hiesigen US-Botschaft über das Bundesministerium der Verteidigung an das Auswärtige Amt zur Prüfung in stationierungs- rechtlicher und politischer Hinsicht.

Anlage 36 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der Abgeordneten Sevim Daðdelen (DIE LINKE) (Drucksache 17/1694, Frage 66): Inwieweit wurden die Ausbildungs- und Ausrüs- tungsmaßnahmen der Kosovo Force – NATO- Sicherheitstruppe Kosovo Force, KFOR –, mittels derer die unter dem Kommando des ehemaligen UCK- Kämpfers Sylejman Selimi befindliche und ganz über- wiegend ebenfalls aus ehemaligen UCK-Kämpfern be- 4224 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 42. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 19. Mai 2010

(A) (C)

(B) (D)