Plenarprotokoll 8/46

Deutscher

Stenographischer Bericht

46. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977

Inhalt:

Absetzung zweier Punkte von der Tages- Hoppe FDP 3497 D ordnung 3469 A Dr. Friderichs, Bundesminister BMWi . . 3502 D Dr. Barzel CDU/CSU Aussprache über den von der Bundesregie- 3512 A rung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes Reuschenbach SPD 3521 C über die Feststellung des Bundeshaushalts- Dr. Graf Lambsdorff FDP ...... 3525 D plans für das Haushaltsjahr 1978 (Haus- haltsgesetz 1978) Dr. Apel, Bundesminister BMF 3532 D — Drucksache 8/950 — Haase (Kassel) CDU/CSU ...... 3539 D Löffler SPD 3543 D in Verbindung mit Gärtner FDP 3547 D Beratung des Finanzplans des Bundes 1977 bis 1981 Nächste Sitzung ...... 3551 C — Drucksache 8/951 — Strauß CDU/CSU 3469 B Anlage Dr. Ehmke SPD 3485 C Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 3553* A

Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3469

46. Sitzung

Bonn, den 5. Oktober 1977

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Carstens: Meine Damen und Herren, die Der Herr Bundesminister der Finanzen hat die Sitzung ist eröffnet. wirklichen Gründe der Krise — ich werde das Wort „Krise" noch erläutern — und damit die psychologi- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sollen schen und materiellen Voraussetzungen für ihre die Punkte 3 und 4 — zweite und dritte Beratung Überwindung überhaupt nicht deutlich gemacht. Das des Entwurfs eines Europawahlgesetzes und des Ent- ist ein Anzeichen dafür, daß er, wenn er sie er- wurfs eines Europaabgeordnetengesetzes — von der kannt hat, vor ihren Folgen bereits kapituliert hat, Tagesordnung abgesetzt werden. Ist das Haus da- und zwar offensichtlich kapituliert hat. Soweit bei mit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Wi- der Bundesregierung Erkenntnisse über Ursachen derspruch. Dann ist so beschlossen. und Zusammenhänge sporadisch — oder sagen wir: verstreut — bestehen, fehlt es an Mut, fehlt es an Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: der moralischen Entschlossenheit oder fehlt es an a) Aussprache über den von der Bundesregie- der politischen Kraft, diese Erkenntnisse in die rung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes Wirklichkeit, in konkludentes Handeln umzusetzen. über die Feststellung des Bundeshaushalts- plans für das Haushaltsjahr 1978 (Haushalts- Der Grund dafür liegt nicht in objektiv unüber- gesetz 1978) windbaren Hindernissen, die es dann und wann ge- ben mag, Hindernissen, die auch heute groß genug — Drucksache 8/950 — sind, sondern der wirkliche Grund liegt in dem Überweisungsvorsdhlag des Ältestenrates: eigenartigen, um nicht zu sagen: chaotischen Zu- Haushaltsaussdiuß stand der beiden Regierungsparteien, den man als b) Beratung des Finanzplans des Bundes 1977 fortgeschrittene Verfallserscheinung innerhalb ge- bis 1981 gensätzlicher, nur durch das gemeinsame Interesse der Macht- und Postenerhaltung zusammenkleben- — Drucksache 8/951 — der Parteifragmente bezeichnen kann. Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß (Beifall bei der CDU/CSU) Das Wort hat der Herr Abgeordnete Strauß. Das, was der Kanzler denkt, ist den Fraktionen ent- weder wunschgemäß nicht bekannt oder wird von ihnen nicht getragen. Was die Ressortminister wol- Strauß (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Damen len, ist von mehr als den natürlichen Gegensätzen und Herren! Die Rede zur Einbringung des Bundes- geprägt und wird vom Kanzler entweder nicht zur haushalts 1978 durch den Herrn Bundesminister der Kenntnis genommen oder nicht auf einen Nenner Finanzen gestern hatte ihre besondere Note. Sie gebracht. war im Gegensatz zu früheren Anlässen gleicher Art sicherlich durch eine gewisse Kürze gekennzeich- Was das Kabinett beschließt, muß sich entweder net. Aber wenn man den Begriff „Inhaltlosigkeit" auf dem niedrigsten Nenner der Oberflächlichkeit noch steigern könnte, dann wäre hier sicherlich ein des von der Linken beider Regierungsparteien ge- Rekord aufgestellt worden. duldeten Spielraumes begrenzen, oder es wird von den beiden Regierungsparteien demontiert. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Denn diese Rede war gekennzeichnet durch Ent- Diese Regierung lebt von dem Heiligenschein, den täuschung über die Erfahrungen und Ergebnisse sei- die Legende der Vergangenheit um den Kanzler ge- ner Amtsführung. Sie war gekennzeichnet durch Un- woben hat. sicherheit hinsichtlich der Richtigkeit der eigenen Der Kanzler merkt vielleicht nicht oder — wir Aussage. Sie war gekennzeichnet durch Ratlosigkeit halten ihn alle für intelligent — ahnt unter Um- hinsichtlich dessen, wohin die Reise führen werde ständen doch, daß er an der Grenze angelangt ist und was zu unternehmen sei. oder sie überschritten hat, jenseits derer der Ab- 3470 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Strauß glanz des großen Machers, des Allesbändigers oder Der Finanzminister leidet aber ganz offensichtlich Allesbewältigers, des Weltwirtschaftsökonomen nur unter dem Erbübel seiner Couleur, nämlich daß in noch schwindende Pracht ist, weil die graue Wirk- dieser Partei Vernunft, Erfahrung und Wirklichkeit lichkeit, der trostlose Zustand seiner eigenen Par- hinter Wunschträumen, Zukunftsversprechungen, tei, die Unvereinbarkeit von Versprechen und Er- Heilsverheißungen und ideologisch getarnten Uto- füllung, der unauflösliche Gegensatz von Anspruch pien zurückgestellt werden und beim Mißerfolg und Hilflosigkeit als Menetekel auch an die Wände dann entsprechend die Wirklichkeit beschuldigt des Kanzlerpalastes geschrieben sind. wird, sie habe sich nicht prognosegemäß oder er- (Beifall bei der CDU/CSU) wartungsgemäß verhalten. Wer diese Rede in Kenntnis der Vorgeschichte, (Beifall bei der CDU/CSU) in Bewertung der handelnden oder redenden Figu- Ich möchte zum Bundeshaushalt insgesamt nur ren, in nüchterner Einschätzung der Kräfteverhält- wenige sozusagen globale Bemerkungen machen, nisse auf einen wirklichkeitsbezogenen Nenner brin- weil es darüber ja auch noch eine Detaildebatte ge- gen will, kann nicht anders, als zu folgenden Fest- ben wird. Ein Kernstück der Konjunkturbelebung stellungen zu gelangen. — so haben wir gestern gehört — wird in der rie- Erstens. Diese Rede ist eine Abrechnung mit Per- sigen Ausgabensteigerung für nächstes Jahr um son und Methoden des Kanzlers durch einen Finanz- 10 °/o gesehen. Nun, ob das ein Verdienst ist, das minister, der die Niederlage im Umsatzsteuerstreit wird — wie auch in anderen Fällen — die Zukunft nicht verwinden kann. erweisen. Sie wollen aber dann 4 Milliarden DM Jahr für Jahr mehr ausgeben, als Sie in Ihrem letz- (Beifall bei der CDU/CSU) ten Finanzplan vorgesehen hatten. Hier erhebt sich Zweitens. Sie ist das Eingeständnis der Unfähig- die Frage: Was haben eigentlich Finanzpläne noch keit, mit den Problemen des modernen, sicherlich für einen Sinn, was hat eigentlich das Institut der komplizierten föderalistischen Staates fertig zu wer- sogenannten mehrjährigen Finanzplanung noch für den. Diese Probleme sind nicht neu. Sie sind von einen Zweck? Daß es eingeführt wurde, ging ja auf früheren Regierungen bewältigt worden, wenn auch einen Vorschlag des Kollegen Alex Möller seiner- nicht leicht, wie wir aus eigener Erfahrung wissen. zeit zurück. Es war sein großes Verdienst, und ich Wer aber den Ländern und Gemeinden durch eine war von der Richtigkeit dieses Vorschlages über- messianisch verbrämte Inflationspolitik immer zeugt. Wir haben es gemeinsam in der Großen Ko- neue finanzielle Bürden in Gestalt bombastischer alition getragen. Aber irgendwie muß doch eine Reformprogramme aufgeladen hat, der hat kein Vergleichbarkeit zwischen mehrjähriger Finanzpla- Recht, sich über die Folgen zu beklagen, mit denen nung und tatsächlichem Ergebnis bestehen. er jetzt nicht fertig wird. Sie haben in bezug auf Ihren letzten Finanzplan (Beifall bei der CDU/CSU) gesagt, damit solle zusätzliche Nachfrage geschaffen werden. Hier wird aber der Steuerzahler erneut ge- Drittens. Die Rede ist die Kapitulationserklärung täuscht. Was Sie gestern gesagt haben, stimmt doch vor den Folgen der selbstverschuldeten Fehlentwick- gar nicht. In Wirklichkeit wird mit den 4 Milliarden lung. Der Zielkonflikt zwischen Stabilität und Voll- DM nicht zusätzliche Nachfrage geschaffen, sondern beschäftigung ist von der Natur der Sache her nicht damit werden nur die Löcher gestopft, die als Folge unvermeidlich, wie wir am praktischen Beispiel be- der Inflationspolitik der Bundesregierung mit ihren wiesen haben. Aber er ist mutwillig heraufbeschwo- Rezessionswirkungen entstanden sind. ren und seit 1970 systematisch ausgebaut worden. (Beifall bei der CDU/CSU) (Sehr wahr! bei der CDU/CSU) Die SPD hat einmal erklärt, sie beanspruche die Die entscheidenden Mehrausgaben gegenüber geistige Führung in ihrem Lande. Was ihr Finanz- dem alten Finanzplan, die zusammen sogar mehr minister hier geboten hat, war eher das Klagelied als die 4 Milliarden DM ausmachen, fließen an zwei einer finanzpolitischen Hiobsfigur, die zwar nicht Bereiche, die immer mehr zum Faß ohne Boden wer- von Gott geschlagen, aber offensichtlich mehrfach den, nämlich an die Bundesbahn und an die Renten- vom Pferd getreten worden ist — versicherung. Das hat doch mit Nachfragebelebung nichts zu tun. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU)

eine Formulierung, die — wie Herr Apel weiß — Hier werden doch nur Nachfrageausfälle, die die von ihm selbst auf sich selber geprägt worden ist, wenig erfreulichen Ergebnisse einer siebenjährigen also nicht eine Entgleisung des Oppositionsredners oder nunmehr fast achtjährigen SPD/FDP-Regierung darstellt. Hier bieten sich hippologisch an: sind, ausgeglichen. Sie wollen doch, Herr Bundes- (Heiterkeit bei der CDU/CSU) finanzminister, dem Volk nicht weismachen wollen, Sie schafften damit zusätzliche Nachfrage, es sei einmal selbst — ich meine als aktiv denn, daß Sie allmählich an die berauschende Wir- Handelnder —, zweitens der öffentliche Unmut über kung oder an den tröstenden Effekt der von Ihnen die Politik dieser Regierung, drittens das Kollektiv hier in den Mund genommenen Worte glauben, so- — wenn man das als eine Contradictio in se ipso zusagen nach der Parole: Wer singt, fürchtet sich gebrauchen darf — des Kabinetts und viertens der nicht. Bund der wirtschaftspolitischen Prognostiker. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3471 Strauß Sie schieben doch nur Defizite hin und her, stopfen Wenn wir uns früher erlaubt haben, in aller Be- ein Loch, bezeichnen diese Tätigkeit als Belebung scheidenheit von der uns zugewiesenen Rolle der Nachfrage und reißen gleichzeitig ein weiteres schüchtern Gebrauch zu machen und darauf hinzu- Loch auf. weisen, daß hier die höchstderoselben Würdenträ- ger einem kleinen Irrtum unterlägen, Sie behaupten weiter, Sie würden die investiven Ausgaben gegenüber dem Finanzplan, der das Inve- (Heiterkeit bei der CDU/CSU) stitionsprogramm noch nicht enthielt, um 5,4 Mil- wenn sie glaubten, daß Inflation etwa eine Garan- liarden DM erhöhen, und zwar gegenüber dem tie für Vollbeschäftigung sei, sind wir als Miesma- laufenden Jahr. Auch das stimmt nicht. Ein Drittel cher, Pessimisten, Unker, berufsmäßige Kassandras, dieser angeblichen 4 Milliarden DM — in Wirk- Berufsdemagogen, Schreibtischtäter, Hetzer, Volks- lichkeit sind es mehr — beruht doch ausschließlich verführer oder was auch immer seinerzeit gebüh- darauf, daß Sie Ausgaben für Entwicklungshilfe und rend dem öffentlichen Zorn preisgegeben worden. für die Inanspruchnahme als Bürgschaften willkür- lich anders oder an anderer Stelle als im Vorjahr (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) buchen. Damit schrumpft natürlich von der an- Eine zweite Bemerkung. Ich zitiere den Herrn spruchsvollen Aussage — Nachfragebelebung, Inve- Bundesfinanzminister wieder wörtlich: stitionsausdehnung — vieles auf einen Kern zu- sammen, der keiner weiteren lobenden Erwähnung Manche der international verwendeten Argu- mente sind nicht zutreffend und vor allem nur bedarf. dazu da, eigene nationale Versäumnisse zu Lassen Sie mich zu Ihrer Rede im einzelnen kaschieren. einige Bemerkungen machen. Sie sagten: Man merkt, daß Sie die Rede — das möchte ich an- Eine Reihe von Ländern erkennend sagen — selbst geschrieben haben, daß Sie sich nicht auf Ihre Büchsenspanner, Ghostwriter — Sie meinten international, nicht Bundesländer — oder ähnliche Zubringer verlassen haben, wie es hat trotz intensiver Anstrengungen kaum Er- sonst bei den Regierungsmitgliedern mit ihren rie- folge bei ihrer Preisstabilisierungspolitik ge- sigen Schreiberstäben der Fall ist. Die lassen sonst habt; denn Inflation führt schlußendlich zur Ar- ja denken und schreiben, um dann die siebente Fas- beitslosigkeit. sung oder vielleicht auch die zwanzigste Fassung (Sehr gut! bei der CDU/CSU) nach oberhirtlicher Überarbeitung zu genehmigen. Dies hier ist echte Ausdrucksweise, so, wie Sie „Schlußendlich" haben Sie gesagt. Anfangsendlich sind, Sie — wohlverstanden — von der Hamburger haben wir gehört, Vorstadt und ich von der Münchener Vorstadt. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) (Heiterkeit bei der CDU/CSU) daß Inflation ein Mittel gegen die Arbeitslosigkeit Wenn Sie sagen, die Argumente seien nicht zu- sei. Es war Ihr heutiger Bundeskanzler, der damals treffend, gebe ich Ihnen weitgehend recht. Wenn sagte, Stabilität sei so ein Modewort, die Besorg- Sie sagen, die Argumente seien dazu da, nationale nis um die Stabilität bedränge ihn nicht persönlich, Versäumnisse zu kaschieren, so möchte ich Sie dar- (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) an erinnern, daß Bundeskanzler Schmidt vor weni- gen Tagen vor dem 12. Ordentlichen Gewerk- jedenfalls nicht so sehr wie andere — gesprochen schaftstag der IG Metall eine erstaunliche Aussage am 29. Oktober 1971 —, und der ein knappes Jahr gemacht hat. Angesichts der Fülle erstaunlicher später meinte — da schon, wenn ich mich recht erin- Aussagen ist eine solche Überlastung mit sensa- nere, in gehobener Position; denn Mißerfolge sind tionellen Phrasen eingetreten, daß einzelne Höchst- bis zu einem gewissen Grade in dieser Regierung leistungen gar nicht mehr gebührend gewürdigt eine Garantie für Beförderung—: werden. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Mir scheint, daß das deutsche Volk — zuge- Deshalb möchte ich hier eine dieser Höchstleistun- spitzt ausgedrückt natürlich — 5 % Preisan- gen dem staunenden Publikum preisgeben. Der stieg eher vertragen kann als 5 % Arbeits- Bundeskanzler sagte wörtlich — so steht es im losigkeit. Schon 3 % Arbeitslosigkeit wären regierungsamtlichen Bulletin —: für die Bundesrepublik unerträglich. Wir müssen seit der Ölkrise von 1973 gegen eine tiefgreifende Rezession, eine weltwirt- Damals hat er noch die Wunderdroge der Inflation schaftliche Krise ankämpfen, die wir nicht als ein Mittel gegen das Übel der Arbeitslosigkeit selbst gemacht haben. Wir waren am Krieg in oder die Krankheit der Beschäftigungslosigkeit an- Vietnam nicht beteiligt. Wir sind nicht schuld- gepriesen. Wie gesagt, das war anfangsendlich. haft beteiligt an der Weltinflation, die diesen Schlußendlich hat er sich auf der Londoner Konfe- Krieg so ausgeweitet hat. renz dem Kommuniqué angeschlossen, daß Infla- tion kein Mittel zur Verhinderung der Arbeitslosig- — Dieser Nebensatz ist unverständlich, es sei denn, keit sei, und noch schlußendlicher hat sein Finanz- es liegt ein Druckfehler vor. — minister verkündet: denn Inflation führt schluß- Wir sind nicht schuldhaft beteiligt an dem Ver- endlich zur Arbeitslosigkeit. trauensverlust (Heiterkeit bei der CDU/CSU) — Hoppla! — 3472 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Strauß von Konsumenten, Arbeitgebern, aber auch langsamer oder schneller, aber sicher die Wirt- Investoren und Unternehmen im Laufe dieser schaft ruinieren, mit oder ohne Helfershelfer. vier Jahre seither. Wir haben die Ölkrise nicht (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Böhme verschuldet. Wir haben den Krieg zwischen [Freiburg] [SPD] : Siehe Italien!) Israel und den arabischen Staaten nicht geführt, Drittens. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben — Meine Bemerkung: Da haben die beiden Glück Ihrer facettenreichen Legende der Genesis der Mehr- gehabt; wertsteuererhöhung hier etwas Neues hinzugefügt: (Heiterkeit bei der CDU/CSU) „Die Erhöhung der Mehrwertsteuer war notwendig Ratgeber gäbe es ja genug dafür. — wegen des fortlaufend wachsenden Anteils der di- rekten Steuern am gesamten Steueraufkommen und aus dem sie entstanden ist. Es ist das erste der gleichzeitigen Abnahme des Anteils der indirek- Mal, daß wir Deutsche unter Kriegen leiden ten Besteuerung. Es muß sich lohnen, zu arbeiten. Es müssen, an deren Anzettelung wir selbst nicht darf nicht so sein, daß ein kleiner Teil unserer Be- beteiligt gewesen sind. völkerung, ein gutes Drittel, zunehmend über die Herr Bundeskanzler, der letzte Satz, der ja eine Lohn- und Einkommensteuer die Finanzierung der Behauptung darstellt, ist eine reine Geschichts- öffentlichen Ausgaben übernimmt, die allen 60 Mil- fälschung oder eine Geschichtsklitterung. Dieser lionen deutschen Bürgern zugute kommen." Satz ist in seiner Oberflächlichkeit und in seiner Ich widerspreche Ihnen hier gar nicht. Aber das Kunst, Richtiges und Falsches, Wahres und Erfun- ist ein völlig neuer Ton. denes miteinander zu vermengen, atemberaubend. Ich möchte Ihnen jetzt nicht eine historische Lek- (Sehr wahr! bei der CDU/CSU) tion geben, daß es mehr Kriege in der Welt gege- Denn bisher haben wir gerade von Ihnen und Ihres- ben hat, an denen wir nicht beteiligt waren, obwohl gleichen immer gehört, daß die Erhöhung der indi- wir darunter gelitten haben. Ich möchte — ich rekten Steuern eine Begünstigung der Reichen, eine hoffe, das ist sogar in Ihrem Sinne — den pein- Benachteiligung der Ärmeren lichen Eindruck vermeiden, als ob der Vietnam- krieg der erste Glückszufall der Weltgeschichte (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ gewesen sei, nämlich ein Krieg, an dem wir nicht CSU) schuld gewesen seien. Auch das ist falsch. Ich habe und deshalb eine unsoziale Politik sei. Ich habe mich mir hinsichtlich der Schuld am Ersten Weltkrieg, dieser Argumentation im Laufe der weiteren Ent- nämlich der Schuld aller Großmächte, und hin- sichtlich der Alleinschuld der Hitlerschen Politik wicklung der Marktwirtschaft nicht mehr ange- am Zweiten Weltkrieg meine Meinung so oft zu schlossen, weil die Dinge in das Gegenteil umzu- sagen erlaubt, daß ich hier keine apologetischen schlagen begonnen haben, weil man ohne Zweifel Rechtfertigungsversuche mehr zu machen habe. den gehobenen Konsum stärker besteuern kann, während die direkte Besteuerung, die Lohn- und Herr Bundeskanzler, am 1. April 1977 haben Sie Einkommensteuer, in Verbindung mit den übrigen auf der Konferenz der sozialistischen Parteien und Abgaben zu einer Konfiskation des Arbeitseinkom- Gewerkschaften in Oslo Dinge gesagt, die Sie mens, zu einer Abnahme des Verfügungsanteils am eigentlich besser am 18. September erstmalig ge- ehrlich erworbenen eigenen Einkommen führt, wes- sagt oder zumindest wiederholt hätten. Sie sagten: halb man hier gegenüber früheren erstarrten Vor- stellungen ein Umdenken einleiten mußte. Ich bin der Ansicht, daß die derzeitige Rezes- sion zu weniger als 49 % wirtschaftliche, quan- (Beifall bei der CDU/CSU) titative Gründe und zu mehr als 51 % psycho- Aber bei Ihnen ist das eine neue Begründung, eine logische und politische Gründe hat. Industrie neue Erkenntnis. Sie haben doch ursprünglich er- und Unternehmer haben nicht genügend Ver- klärt, die Mehrwertsteuererhöhung sei notwendig, trauen, um zu investieren um die Staatsausgaben zu finanzieren, um den Haus- (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) halt zu konsolidieren, aber doch nicht, um ein ver- nünftigeres Verhältnis zwischen dem Ergebnis der oder ihre Kapazitäten zu erneuern, zu vergrö- direkten und dem der indirekten Besteuerung her- ßern oder zu modernisieren. beizuführen. Aber für Sie gilt eben, daß man Argu- (Demonstrativer Beifall bei der CDU/CSU) mente vertritt, wie andere sich die Füße vertreten. Gleichzeitig fehlt es an ausreichender Nachfra- Eine weitere Bemerkung zu Ihrer Rede. Sie sagten ge bei Verbrauchern und Arbeitnehmern. Der gestern: Grund ist meines Erachtens das mangelnde Die Deutsche Bundesbank hat in ihrem letzten Vertrauen in die Zukunft. Monatsbericht auf die wesentlichen Ursachen (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU) des Wachstumsverlustes hingewiesen, nämlich massive administrative und politische Verzö- Warum sind denn die Dinge so? Ich möchte hier gerungen bei privaten und öffentlichen Inve- keine tiefsinnige Analyse geben. Es gibt dafür eine stitionen bis zu einer Größenordnung von 25 ebenso tiefgreifende wie richtige und nicht an der Milliarden DM, ein schwach wachsender Welt- Oberfläche verharrende Erklärung: weil die So- handel und eine geringe private Investitions- zialisten überall, wo sie an der Regierung sind, neigung. Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3473 Strauß Ich stimme Ihnen darin weitgehend zu. Aber darf — entweder weil er wie ein Kind mit der Maschine ich mir erlauben, auf die von Ihnen genannten nicht umzugehen verstand, aber dauernd daran her- Gründe nur mit wenigen Bemerkungen einzugehen: umgebastelt hat, oder mutwillig aus Gründen der Haben denn nicht Bürokratie und Ideologie den In- Gesellschaftsveränderung — die Investitionsneigung vestoren durch eine Flut von Gesetzen, Rechtsver- der privaten Investoren gerade im Bereich der klei- ordnungen, Erlassen und Ausführungsbestimmungen nen und mittleren Wirtschaft bis zur Unerträglich- — nebst manchmal schikanöser, auch wirtschafts- keit, sowohl psychologisch wie materiell, in Mit- fremder oder -feindlicher Handhabung — den Mut leidenschaft gezogen? genommen zu investieren? Wer hat denn bei uns (Beifall bei der CDU/CSU — Haase [Kas im Laufe der letzten Jahre die beschäftigungsfeind- lichen, investitionshemmenden und wirtschaftsfrem- sel] [CDU/CSU] : Gelber-Punkt-Aktion!) den Bestimmungen vermehrt? Das waren doch die Regierungen und ihre Mehrheiten (Zuruf von der SPD: Welche?) seit dem Jahre 1969. Sie kommen daher, Herr Apel, und zählen Gründe auf und tun so, als ob Sie mit Wer war denn in der Bundesrepublik Deutschland diesen Gründen überhaupt nichts zu tun hätten. Das an der Regierung? Wer hat denn hier diese Boll- ist doch eine erweiterte Autobiographie, die Sie ge- werke gegen die Vernunft aufgebaut? Das waren schrieben haben, aber doch keine Fremdbiographie. doch die jetzige Regierung, ihre Vorgängerinnen und die sie tragenden oder schaukelnden — man Einen Grund haben Sie vorsorglich nicht erwähnt, kann auch sagen: ertragenden — Regierungspar- den die Bundesbank herausgestellt hat, nämlich den teien! Kostendruck von der Lohnseite her. Wenn Sie auf- (Beifall bei der CDU/CSU) zählen, dann müssen Sie die von der Bundesbank ge- nannten Gründe vollzählig aufzählen. Ich möchte Von wem stammen denn die Proteste nicht nur ge- Ihnen ersparen, den Wortlaut aus dem letzten Be- gen Kernkraftwerke, sondern auch gegen Kohle- richt der Bundesbank zu diesem Thema anhören zu kraftwerke oder Ölkraftwerke oder zum Teil Klär- müssen. Aber die Bundesbank weist ganz eindeutig anlagen oder gegen andere notwendige, der Energie- darauf hin, daß eine Wiederbelebung unserer Wirt- versorgung oder dem Wirtschaftswachstum die- schaft mit Erholung der Investitionen, mit Erzielung nende Einrichtungen? Die stammen doch nicht von der notwendigen Wachstumsrate, mit Wiedererrei- der Opposition. Wir haben Sie doch nie behindert, chung der Vollbeschäftigung in erster Linie von der wir haben Ihnen doch immer geholfen. Wo liegen Vernunft der Tarifparteien, d. h. von Lohnabschlüs- denn die Schwierigkeiten, wenn die Regierung heute sen oder überhaupt von der Gestaltung der Kosten- mit Sorge auf die notwendige Versorgung der deut- seite her, abhängig ist. Bei der Gestaltung der Ko- schen Wirtschaft mit Energie — - wird stenseite spielt die Lohnquote natürlich eine erheb- in seiner Rede später darauf eingehen — hinweist? liche Rolle. Wer ist der Regierung denn hier in den Arm gefal- len? Das kann man doch nicht damit abtun, wie es Ein weiterer Punkt Ihrer Rede: Sie sagten, Fi- ein Mitglied der Bundesregierung mir gegenüber nanzpolitik sei aber kein flinkes und wendiges getan hat, ich hätte mich hier als Feind der inner- Rennboot, das sofort auf Ruder und Maschine an- parteilichen Diskussion gezeigt. Wenn man an der spreche. Wenn ich an Ihre Mehrwertsteuererfahrun- Führung ist, hat man die Verantwortung. Da muß gen denke, kann ich Ihnen diesen Stoßseufzer durch- man die Probleme rechtzeitig erkennen, und wenn aus nachfühlen. Aber ich habe mir gestern schon in sie diskutiert werden müssen, so rechtzeitig disku- Form eines Zwischenrufes zu sagen erlaubt: Ihre tieren, daß nicht eine Verzögerung zu Gefahren Finanzpolitik ist noch nicht einmal ein Segelboot, mit dem man von den Zufällen des Wetters — we- für die Wirtschaft und für den Fortschritt in unserem Lande wird. nigstens noch einigermaßen berechenbar — abhän- gig ist, sie ist auch kein Schlauchboot, sondern Ihre (Beifall bei der CDU/CSU) Finanzpolitik ist eine Schwimmweste, und die hat Oder haben Sie etwa erwartet, daß unsere Han- noch Löcher. delspartner uns noch größere Exportüberschüsse er- (Heiterkeit bei der CDU/CSU) möglichen, als wir ohnehin schon erzielt haben? Dann sagten Sie gestern — ich stimme Ihnen zu Sie haben in Ihrer Rede auf das Musterland Bun- —, ein „stop and go" der Finanzpolitik sei weder desrepublik — das deutsche Modell heißt es jetzt ja möglich noch sinnvoll. Nun, auf die Verharmlosung nicht mehr — hingewiesen. Aber wissen Sie, daß der Inflation durch den heutigen Bundeskanzler habe dieses „Musterland" — ich mache mir diesen Aus- ich schon hingewiesen. Aber wer hat denn gegen druck weder sinngemäß noch wörtlich zu eigen; aber unsere Warnungen 1973 die Investitionen mit einer trotzdem sind wir in allen Schichten und Ständen Steuer bestraft und im Dezember 1974 mit Aufhe- unseres Volkes stolz auf unsere gemeinsame Lei- bung der Steuer eine Investitionszulage verbunden? stung — geschaffen worden ist durch die auch nicht in einigen Jahren zu zerstörende nachhaltige Wir- (Sehr gut! bei der CDU/CSU) kung der größten säkularen Reform, nämlich durch Das wir immer wieder — ich sage das gleich vorweg die Einführung der sozialen Marktwirtschaft? — als Opposition hier in einen Druck kommen, wis- (Beifall bei der CDU/CSU) sen Sie aus Ihrer eigenen Erfahrung. Wir müssen zwar soundsooft warnen, können aber trotzdem dann Ich frage Sie schließlich noch, wenn Sie sagen: nicht nein sagen, weil unser Nein angesichts der geringe private Investitionsneigung: Wer hat denn linken Verleumdungs- und Diffamierungspotentiale 3474 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Strauß in unserem Lande dann völlig anders ausgelegt wird, Kollege Bundesarbeitsminister vor der Bundespres- als es gemeint ist, sekonferenz angedeutet, er prüfe, ob künftig auch für das Weihnachtsgeld Sozialbeiträge gezahlt wer- (Beifall bei der CDU/CSU) den müssen. Das Ganze hat natürlich mit „stop and weshalb wir immer wieder an dieser schwierigen go" nichts zu tun. Grenze stehen. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) 1975 ist die Vermögensteuer massiv erhöht wor- Ein weiterer Punkt Ihrer Rede: „Ich möchte davor den. Herr Bundeskanzler, Sie werden sich erinnern, warnen", sagten Sie, „in den vor uns liegenden Mo- daß ich Ihnen in jener warmen Julinacht in Ihrem naten eine Debatte zu führen, die sich im wesent- Bundeskanzleramte nahegelegt habe, auf diese An- lichen darauf konzentriert, nach Sündenböcken zu hebung der Vermögensteuer zu verzichten, weil sie suchen. So einfach sind die Probleme nicht, daß man Gift, wie ich damals sagte, in der gegenwärtigen einfach nacheinander oder nebeneinander die Unter- Konjunktursituation sei. Die Warnung wurde in den nehmer und ihre Entscheidungen, die „Gewerkschaft Wind geschlagen. Jetzt ist die Vermögensteuer wie- und ihre Lohnforderungen, die finanzpolitischen For- der gesenkt worden, weil die ursprüngliche Ent- derungen gesellschaftlicher Gruppen für unsere scheidung falsch war. Schwierigkeiten verantwortlich machen könnte. Das Haben nicht viele Investoren in der deutschen Aufkleben von Etiketten hilft uns nicht weiter." Ich Wirtschaft auf Grund des gesunden Zinsniveaus, das stimme Ihnen auch hier zu. Nur: wer hat denn die wir über viele Jahre hinweg hatten, auch in den Suche nach Sündenböcken bis zur Stunde ohne Rück- Jahren 1968, 1969, bis 1970 hinein hatten, im Ver- sicht auf den inneren Frieden mit einer Flurschaden- trauen auf die Versprechungen der damaligen Re- wirkung ohnegleichen betrieben? gierung, daß Vernunft, Kontinuität und Stabilität die (Beifall bei der CDU/CSU) Leitsterne der Wirtschafts- und Finanzpolitik sein würden, Kredite aufgenommen und dann erlebt, daß Das waren doch Sie und Ihre Freunde! Nebenbei ge- sie kurze Zeit später für die zu 6 oder 7 °Io Zinsen sagt — Ich nehme es nicht übel —: auch Sie hier von aufgenommenen Kredite 12, 13, 14 °/o, bei nicht aus- dieser Stelle aus, als Sie einmal mir vorgeworfen reichender Sicherheitsleistung sogar bis zu 15, 16 °/o haben, ich wolle die Sozialleistungsgesetze aufhe- Zinsen zahlen mußten? Ist das nicht auch „stop and ben; siehe meine Rede vor dem Institut Finanzen go", nur in umgekehrter Richtung? und Steuern. Ich habe dort nur gesagt — wie auch anderswo, etwa vor dem Parteitag der CDU in Zum 1. Januar kommenden Jahres ist — auch mit Mannheim —, daß der Sozial- und Bildungsstaat unserer gütigen Mithilfe — eine Mehrwertsteuerer- seine Grenzen erreicht und zum Teil überschritten höhung beschlossen worden. Im September wurde habe und daß wir deshalb wieder das Mögliche mit beschlossen, durch Änderung des Grundfreibetrages dem, was wir wollen, in Einklang bringen müssen, bei der Lohn- und Einkommensteuer diese Erhöhung und das, was wir wollen, mit dem, was möglich ist, praktisch wieder rückgängig zu machen. Denn das, in Einklang bringen müssen. Sie haben es ja selber was eine vierköpfige Familie dann mehr auszugeben gemacht mit Ihren zahlreichen Basteleien und Flick- hat, kommt ihr jetzt — ich sage: Gott sei Dank, nur schustereien, die Sie nach der letzten Bundestags- ist es viel zu wenig, im Mittel falsch und in der Grö- wahl zur teilweisen temporären Sanierung des sozia- ßenordnung falsch — wieder zu. len Sicherungsnetzes vollzogen haben. Der Finanzminister stellt nunmehr in Aussicht, die Ich möchte Ihnen den Katalog derer vorführen, die Steuergesetze künftig sogar Jahr für Jahr neu zu als Sündenböcke jeweils abwechselnd herausgestellt fassen. worden sind; die Zeit verbietet es mir, das im ein- (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Etwa noch zelnen zu glossieren. Einmal haben Sie die Unter- Monat für Monat!) nehmer wegen der Inflation beschuldigt, weil sie die Preise festsetzen. Daß das für den Staat, für Bahn Da muß ich wirklich fragen: Wer hat Sie da getreten, und Post, auch gilt, ist selbstverständlich eine unge- Herr Apel, zu verlangen, daß die Steuergesetze rechte Erwähnung. Dann sei selbstverständlich auch künftig Jahr für Jahr nach konjunkturellen Erforder- die Opposition dafür verantwortlich — so sagte Herr nissen völlig neu gefaßt werden müssen? Da Sie sich Brandt —; denn an den Stellen, an denen die Preise der Schwierigkeit dieses Unternehmens bewußt sind, gemacht werden, sitzen die Herren Strauß, Stolten- haben Sie uns etwas angeboten -- wofür ich respekt- berg und Kohl. vollst meinen Dank vor der Obrigkeit zum Aus- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) druck bringe —, nämlich All-Parteien-Koalition als eine Art finanzpolitisches Krisenmanagement, weil Das ist eine wunderbare Erkenntnis: Da gibt es ohne die Opposition dieses Unternehmen nicht zu einen konspirativen Zirkel, der in der Bundesrepu- bewältigen ist, und zwar nicht deshalb, weil wir blik in unregelmäßigen Abständen zusammentritt. etwa im Bundesrat Widerstand leisten oder es zu Das sind diejenigen, die die Preise machen, zusam- Fall bringen, sondern deshalb, weil Sie innerhalb men mit den Oppositionspolitikern, und die Oppo- Ihrer eigenen Reihen die Mehrheiten für eine sol- sitionspolitiker hetzen dann die Unternehmer auf, che Steuerpolitik gar nicht aufbringen würden. keine Lohnzugeständnisse zu machen und die Preise möglichst hoch festzusetzen, um damit a) einen Ge- (Beifall bei der CDU/CSU) neralstreik herbeizuführen — das hat Herr Brandt Damit aber das Herz des Arbeitnehmers nicht zu schon einmal zurücknehmen müssen — und b) die fröhlich schlage ob künftiger Erleichterungen, hat der Inflation hochzutreiben und dabei natürlich neben- Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3475

Strauß bei den Unternehmen kräftige Profite zuzuschanzen. Dann wurde das Ausland schlechthin genannt, das Und solche Leute haben das Instrument unserer zusammen mit den angeblich regierungsfeindlichen Wirtschaft jahrelang in der Hand gehabt und miß- Unternehmern an allen wirtschafts-, finanz- und so- braucht! zialpolitischen Fehlentwicklungen in der Bundesre- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) publik die Schuld trägt. So haben Sie einen Katalog von zwölf Schuldigen Die Warner vor der Inflation sind eines verbreche- gefunden, in dem die Gemeinden natürlich bei den rischen Verhaltens bezichtigt worden. Sogar der Ländern mit einbezogen sind. Ihrer Partei, der SPD, zugehörende Professor Neu- mark, hochverdienter Wissenschaftler und Vorsit- Ein weiterer Punkt Ihrer Rede: Wir haben uns zender des Wissenschaftlichen Beirats des Finanz- selbst eine globale Minderausgabe von 2 Milliarden ministeriums, der das selbstverständlich auch schon DM verordnet. Aber man höre wie: weil man die zu meiner Zeit gewesen und geblieben ist, hat sich Schätzansätze von Kindergeld, Ausbildungsförde- damals in einem Leserbrief in der „Frankfurter All- rung, Kriegsopferversorgung usw. äußerst knapp gemeinen Zeitung" energisch gegen diesen Vorwurf kalkuliert habe. verwahrt, weil auch er selbst zu diesen Warnern (Heiterkeit bei der CDU/CSU) gehöre. Das durfte doch wahrlich nicht wahr sein. Ich habe Dann wurde natürlich der kritische Teil der Presse es noch einmal nachgelesen, weil ich glaubte, nicht vorsichtshalber gleich als Schreibtischtäter gekenn- richtig gehört zu haben; denn ob Sie die Schätzan- zeichnet. Das ist natürlich keine Etikette? sätze hoch ansetzen, um sich Milliarden für eine schwarze Kasse zu sichern, deren Inhalt Sie dann Die multinationalen Konzerne durften natürlich verfassungswidrig ausgeben, oder ob Sie die Sätze nicht in dem Konzert fehlen. zu niedrig ansetzen, um damit den Schein der Spar- samkeit und der knappen Mittelbewirtschaftung zu Es folgte eine bunte Palette einzelner Bevölke- erwecken, ist doch belanglos gegenüber der Tat- rungsgruppen: z. B. Makler, Hausbesitzer, Ärzte, sache, daß das hier gesetzlich gebundene Ausgaben Zahnärzte, Handel. Eine besonders zu erwähnende sind, die Sie in voller Höhe tätigen müssen, gleich- Gruppe sind die Sparer schlechthin — die „Totspa- gültig, was Sie in den Haushaltsplan hineinschrei- rer" sind sie genannt worden —, ben. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) die in ihrem Sparwahn der Regierung nur Schwie- Das sind doch kosmetische Korrekturen, Herr Apel. rigkeiten machen und die Konjunkturbelebung bös- Das ist genauso, wie wenn jemand in einem kalten artig verhindern. Zimmer ein Streichholz unter das Thermometer hält, Dann kamen sämtliche Gewerbetreibende in der nach fünf Minuten die Temperatur abliest und den Aktion „Gelber Punkt". Herr Apel, ist der Gelbe frierenden Insassen sagt, wie warm es ihnen eigent- Punkt keine Etikette? lich sein müßte. Dann gibt es das Helfershelferhandbuch der SPD, (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) herausgegeben vom jetzigen Ministerpräsidenten Zu einem weiteren Punkt Ihrer Rede, nämlich „ob Börner. Das war ein Kahlschlag; wir die Frage der Finanzausstattung des Zentralstaa- (Heiterkeit bei der CDU/CSU) tes und seiner innen- und außenpolitischen Hand- lungsfähigkeit einer Art Kuhhandel zwischen den denn da sind nahezu alle Nicht-Lobredner der Bon- Ministerpräsidenten von elf Bundesländern und dem ner Regierung als böse Geister, Unheilspropheten, Herrn Bundeskanzler überlassen wollen. Dies kann destruktive Elemente, Helfershelfer der Opposition doch nicht in unserem Interesse liegen." Nachfühlen hingestellt worden. kann ich es Ihnen ja. Das ist aber eine massive Kri- Neulich hat Herr Kollege eine Be- tik an der Verhandlungsführung des Kanzlers wie an merkung über die kritischen Geister gemacht, die an dem Verhalten der Ministerpräsidenten aller Län- man nicht zu den Sympathisanten zählen dürfe. Da der, nicht nur der unionsregierten. Die Kritik an hat er völlig recht, nur hat er sich in der Adresse allen Ministerpräsidenten und Landesfinanzmini- geirrt: Die kritischen Geister sind wir, die wir uns stern, die Sie gestern geäußert haben, kann man in nicht meinungsmäßig und lobhudeleimäßig haben die Formel fassen — ich meine das humorvoll —: mit der Welle gleichschalten lassen, die im Jahre Die Schurken denken nur an sich, und ich bin der 1969 ausgebrochen war. einzige, der an mich denkt. (Beifall bei der CDU/CSU) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Jetzt kommen die Bundesländer, die einmal zuviel Eine weitere Bemerkung. Sie sagten: „Die Finan- ausgeben und die Inflation hochtreiben, das andere zen der Rentenversicherung sind in Ordnung... Mal zuwenig ausgeben und dadurch die Wirtschafts- Jeder, der etwas anderes sagt, weiß, daß er die Un- belebung verhindern, und zwar ohne Unterschied wahrheit spricht; er will nur aus der Angst der von Parteifarbe. alten Menschen politisches Kapital schlagen, und das ist schäbig." Sie sagten weiter, auch in Zukunft In der Palette durften die USA wegen ihres Kriegs werde es noch Rentensteigerungen geben. in Vietnam nicht fehlen. Das ist ein hilfreicher Bei- trag des Ordensträgers des Pentagon und Bundes- (Heiterkeit und Hört! Hört! bei der CDU/ genossen Helmut Schmidt in dem Zusammenhang. CSU) 3476 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Strauß Wenn ich daran denke, mit welcher Präzision, auch Wunderparteien, die zugleich auf zwei Planeten an- mit welcher Leidenschaftlichkeit und Verantwor- gesiedelt sind. tungstiefe wir uns zu Beginn der Großen Koalition (Heiterkeit bei der CDU/CSU) über die Frage „Brutto- oder Netto-Rentenformel?" aus dem Druck der Sache und aus der sozialen Eine letzte Bemerkung zu einer Passage Ihrer Verpflichtung heraus unterhalten haben, dann ist Rede. Sie sagten, der Bundeshaushalt 1978 erhöhe die Aussage, es werde auch in Zukunft noch Ren- die Nettokreditaufnahme. Die Nettokreditaufnahme tensteigerungen geben, schlechterdings, Herr Apel, halten wir „finanzpolitisch für geboten und auch für eine Unverfrorenheit. finanzierbar. Hier gibt es keine neuen Inflations- (Katzer [CDU/CSU]: Sehr wahr!) spielräume. Es bleibt genügend Investitionskapital für Private wie für Unternehmungen." Diese Netto- Denn das wird dem Ernst der Materie und vor allen kreditaufnahme stellt ohne jeden Zweifel ein erneut Dingen der Glaubwürdigkeit der von Ihnen jahre- virulentes, wenn auch nur latentes Inflationspoten- lang abgegebenen Versprechungen doch in keiner tial dar. In der Zeit, in der unsere Wirtschaft auf Weise gerecht. Höchsttouren lief, in der wir große Wachstumsraten (Beifall bei der CDU/CSU) hatten, sowohl netto als auch noch höher brutto wegen der schleichenden oder trabenden Inflation, Sie können doch nicht einfach sagen: Die Finan- in der Zeit, in der die Einnahmen für die staatlichen zen der Rentenversicherung sind in Ordnung. Da Kassen nur so gesprudelt sind, haben Sie eine Fi- läuft es einem ja kalt den Rücken runter. Da Sie zu- nanzpolitik betrieben, in der Sie leider den gesun- geben müssen, daß Ihre wirtschaftlichen Prognosen den Grundsatz, daß man in der Zeit der Fülle für die nicht stimmen, stimmen doch schon die ganzen Zeit der Not etwas zurücklegen müsse, gröblich darauf aufgebauten Schlußfolgerungen für die Si- mißachtet haben. cherheit des sozialen Netzes nicht mehr. Darum muß der Bundeshaushalt, d. h. der Steuerzahler, oder der (Beifall bei der CDU/CSU) Bundeshaushalt mit Kreditaufnahme ersatzweise Sie haben die Kreditaufnahme deshalb schon sehr einspringen. früh hochtreiben müssen und haben damit dem Kre- Unsere Rentenfinanzen werden unter zwei Vor- dit seine konjunkturpolitische Funktion weitgehend aussetzungen wieder in Ordnung kommen: Die eine genommen. Das ist auch für diesen Haushalt zu ist, daß sich bei uns das Verhältnis zwischen Men- sagen. Ich beschuldige Sie gar nicht wegen der schen im Rentenalter und Menschen im produktiven Höhe dieser Kreditaufnahme. Ich weiß, daß Sie an- Arbeitsleben wieder normal gestaltet, ders gar nicht können. Aber wäre die Vorgeschichte (Beifall bei der CDU/CSU) anders gewesen, dann könnte heute auch dieser Haushalt anders aussehen. Wir können nicht die Re- d. h., daß wieder so viele Kinder nachwachsen, daß gierung immer von Jahr zu Jahr nach punktuell die heute arbeitende Generation weiß, daß sie für sich einstellenden Erkenntnissen beurteilen, sondern ihre Beiträge die Rente nach der heute noch gel- nur nach der Logik, der Sachgerechtigkeit, der Kon- tenden Rentenformel bekommt. Da gäbe es manches tinuität und der Langfristigkeit ihres Denkens, ihres zu sagen, was an anderer Stelle gesagt werden muß. Planens und ihres Handelns. Die andere Voraussetzung ist, daß die Marktwirt- schaft wieder voll funktionsfähig wird und wieder (Beifall bei der CDU/CSU) ihre volle Leistungskraft beweisen kann. Nur dann Sie sagen: „Es bleibt genügend Investitionskapital sind die Renten in Ordnung, aber doch nicht auf für Private wie für Unternehmungen." Geld ist schon Grund dieser Phrase: Unsere Rentenfinanzen sind da, aber die Frage ist, wo. Es ist bei der Großwirt- in Ordnung. Es gibt eine normative Kraft des Fakti- schaft in wesentlich größerem Umfang — ich meine schen, habe ich hier schon gesagt; aber es gibt keine das auch relativ gesehen — als bei der kleinen und faktenersetzende Kraft des Phraseologischen, auch mittleren Wirtschaft vorhanden. Es ist genug Geld wenn es aus Regierungsmund kommt. Das kann ich bei den Banken da; siehe die Maßnahmen der Bun- in diesem Zusammenhang wiederholen. desbank. Die Pferde saufen aber nicht. Herr Bieden- (Beifall bei der CDU/CSU) kopf sagte einmal: weil sie der Brühe nicht trauen; oder weil sie früher einmal gebrannt worden sind. Zu einem weiteren Punkt Ihrer Rede. Sie sagten, Wer soll sich denn in der Unsicherheit der gesell- daß „die wirtschaftliche und politische Zukunft un- schaftspolitischen Gesamtentwicklung — darüber seres Landes nicht nur von dem Wohlergehen der wird heute und anderswo noch zu reden sein — und Bundesrepublik und bei unseren Partnerländern ab- angesichts der geschrumpften Erträge, angesichts hängt, sondern von dem Wohl und Wehe der gesam- einer Stop-and-go-Wirtschafts- und Finanzpolitik ten Welt. Dies ist ein Planet, auf dem wir leben." noch langfristig mit Krediten belasten, die nied- — Der Meinung war nach Geographie- und Astrono- rigere Renditen erwirtschaften, als er selbst an Zin- mieunterricht in der Schule auch ich. Seit ich die sen zu zahlen hat? Wer soll sich denn mit Krediten Entwicklung der Regierungsparteien hier aus näch- belasten, die die Gefahr des Risikos und damit des ster Nähe und im Land verfolgt habe, glaube ich, daß Verlustes auch seines Eigenkapitals bei weiteren wir auf zwei Planeten leben. Auf einem Planet leben Investitionen mit sich bringen? Hier liegen doch die nämlich die, die sich von Erfahrung, Vernunft und Probleme. Ob das Geld da ist oder nicht — was Sie Wirklichkeit leiten lassen. Auf dem anderen Plane- machen, ist eine geldkapitalmäßige Globalrechnung. ten leben die ideologischen Schwärmer, Gesell- Aber gerade die geldkapitalmäßige Globalrechnung schaftsveränderer und Utopisten. SPD und FDP sind ist alles andere als gerecht oder sozial. Wenn näm- Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3477 Strauß lich zwei miteinander 100 Millionen DM haben, Aufschwung. Sie wissen doch selbst, wie morsch dann kann der eine 99 900 000 DM haben und der dieses Fundament ist. Kein halbes Jahr nach den andere 100 000 DM; dann haben beide statistisch großen Sprüchen hat die Regierung das mittlerweile gesehen 50 Millionen DM und sind große Kapitali- neunte Konjunkturprogramm seit 1973 beschlossen. sten. Darum ist diese Art der Rechnung, gerade Wenn man so wie einige Redner der SPD/FDP wenn sie aus einem sozialdemokratischen Mund auch die Steueränderungen einbezieht, dann ist es kommt, einfach unzulässig. das elfte Konjunkturprogramm. Damals hätte man einmal, zweimal kräftig zulangen sollen, „Klotzen Herr Bundeskanzler, Sie haben ein großes Rezept statt Kleckern", hätte, als die Inlandsnachfrage gegeben. Sie haben neulich bei der Besprechung mit nachzulassen begann, unseren von mir an dieser den Präsidenten, den Vizepräsidenten, den Haupt- Stelle vertretenen Vorschlag, durch Steuerermäßi- geschäftsführern usw. der kommunalen Spitzenver- gungen die Investitionslust und die Kaufkraft zu bände gesagt: Investiert doch! Wenn ihr kein Geld beleben, annehmen sollen. Statt dessen hat man uns habt, nehmt doch Kredite auf! Als Sie den Hinweis höhnisch überfahren und voller Spott niedergebü- bekommen haben, daß die Kommunalaufsicht der gelt. Lesen Sie die Reden nach, die damals von Landesbehörden die Kreditaufnahme beschränke, Ihrer Seite, auch von Herrn Mischnick, gehalten wor- waren Sie der Meinung, man sollte denen einmal den sind! Dann werden Sie heute begreifen, daß wir, den Marsch blasen, damit die Bestimmungen für die wenn wir ernst sprechen, in keiner Weise zornig kommunale Kreditaufnahme von den Landesauf- sprechen, allen Grund haben, diese Leichtfertigkeit sichtsbehörden entsprechend geändert und gelockert und Oberflächlichkeit, mit der man in den Tag hin- würden. So redet kein sorgsamer Kaufmann. einlebt, ohne auch nur ein Jahr vorauszublicken, mit (Beifall bei der CDU/CSU) allem Recht und allem Ernst heute unter kritischen Beschuß zu nehmen. So redet kein ehrlicher, sparsamer Verwalter der (Beifall bei der CDU/CSU) öffentlichen Finanzen. Das ist ein Appell an den Leichtsinn, das ist ein Appell an die finanzpolitische Meine sehr verehrten Damen und Herren, bis vor Schlamperei, das ist ein Appell an die wirtschaft- wenigen Monaten sagte uns die Regierung ein liche Liederlichkeit der Haushaltsführung in den Ge- Wachstum in diesem Jahr von 5 % und einen, wenn meinden, aber nicht ein Appell zur Belebung der auch bescheidenen Abbau der Arbeitslosigkeit vor- Konjunktur. her. Nun, ich weiß es, auch ich habe die heutige (Beifall bei der CDU/CSU) Morgenpresse gelesen und möchte das jetzt aus der In diesem Zusammenhang — ich habe das Thema Tasche heraus weder dramatisieren noch bagatelli- Vertrauen hier angeschnitten — kann man einfach sieren, aber eine Schwalbe macht noch keinen nicht daran vorbeigehen, daß ein gewaltiger Ver- Sommer. Wenn es von einer Größenordnung von trauensschwund bei den Bürgern eingetreten ist. Ich 960 000 auf 911 000 heruntergeht — und das bei bin nicht so egoistisch oder so einseitig oder so gleichzeitigem Anstieg der Zahl der Kurzarbeiter —, halbblind, etwa zu sagen, der Vertrauensschwund so sagt das — es ist der Auguststand, im September habe die SPD und FDP erfaßt und sei spurlos an der gemessen — noch nicht aus, daß hier etwa auch nur CDU/CSU vorbeigegangen. Ganz im Gegenteil, er der Ansatz zu einer nachhaltigen Wende erfolgt führt dazu, daß das System der politischen Parteien sei. Jeder, der die seit drei Jahren mit der Mono- und ihre einzelnen Träger von den Bürgern heute tonie einer tibetanischen Gebetsmühle wiederholten viel kritischer betrachtet und behandelt werden, als Versprechungen des baldigen Daueraufschwungs es noch vor einigen Jahren der Fall war. Das, was und eines baldigen Abbaus der kostspieligen Ar- ich dafür als Nutzanwendung für die Oppositions- beitslosigkeit zu bezweifeln wagte, wurde in jeder parteien aus meiner Sicht zu sagen hatte, habe ich nur möglichen Form verketzert und der Schwarz- an entsprechender Stelle gesagt; aber den Löwen- malerei bezichtigt. Unabhängige Wissenschaftler anteil an dem, wovon wir miterfaßt werden, tragen sahen und sehen sich massiven Einschüchterungs- die Regierungsparteien. versuchen ausgesetzt. Mitglieder des Sachverstän- digenrates haben wiederholt darauf hingewiesen, Es gibt einen Katalog, man könnte beinahe sagen, daß die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen. einen ganzen Band falscher Prophezeiungen, Herr Sie reichen auch nicht aus. Warum folgen Sie uns Bundeskanzler: „Im Frühjahr 1975 werden wir sicht- nicht mit dem zehnprozentigen Konjunkturnachlaß? bar über den Berg sein", 13. Dezember 1974. „Heute Warum folgen Sie uns nicht mit einer befristeten in zwölf Monaten wird es anders und besser aus- 10 %igen Steuersenkung? sehen", 31. Dezember 1974. „Aus einer Weltrezes- sion haben wir einen Weltaufschwung zustande ge- (Beifall bei der CDU/CSU) bracht", 19. August 1976. „Zwei Drittel der Rezes- sion sind überwunden", 29. September 1976. „Die Sie werden es bereuen. Wenn ich so wäre, wie mich Bundesrepublik war bei der Abwehr der Wirt- Ihre Propaganda hinstellt, würde ich sagen: Laßt schaftskrise erfolgreich", Regierungserklärung vom sie doch reinlaufen, dann kann ich hernach sagen: 16. Dezember 1976. Wir haben recht gehabt. Heute sagen wir Ihnen noch: Machen Sie es doch in letzter Minute, kürzen Ich darf ein Wort über die gesamtwirtschaftliche Sie doch die Lohn-, Einkommen- und Körperschaft- Ausgangslage des Haushalts 1978 sagen. Der Haus- steuer für ein Jahr um 10 °/o, setzen Sie wirksam da halt 1977, Herr Finanzminister, ist im Gegensatz zu an, wo es hilft, wo der Arbeitsmarkt entlastet wird, Ihrer Meinung kein sicheres Fundament für den wo Wachstum gefördert wird, statt daß Sie die Flick- 3478 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Strauß schusterei fortsetzen, die wir seit Jahren als Steuer- entgegengeschlagen hat. Nun, das ist das Schicksal politik erleben! jedes Redners. Aber daß es so schnell zurückschlägt, habe noch nicht einmal ich verdient. (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ CSU) (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Eine erste Quittung hat die Regierung auf der Als Sachverständige im August 1977 eine solche Währungskonferenz in Washington erhalten, weil Feststellung trafen, mußten sie erleben, daß im SPD- sie kritisiert worden ist: Ja, wo bleibt denn euer Pressedienst der Vorwurf kam, der Sachverständi- Aufschwung mit den 5 °/o, die Belebung eurer Nach- genrat spiele eine zunehmend fragwürdige Rolle, frage auf den Weltmärkten? Und bezeichnend für betreibe Interessenpolitik, und Mitglieder des Sach- den verbal-optischen Stil der Regierung, die immer verständigenrates betätigten sich als öffentlichkeits- Wort mit Tat verwechselt, hat der Herr Bundes- wirksame Trommler der Unionsparteien. So das Mit- finanzminister seinen Noch-Kollegen Bundeswirt- glied des Deutschen Bundestages, der Abgeordnete schaftsminister heftig angegriffen, daß er in der Of- Dr. Dieter Spöri im SPD-Pressedienst vom 16. August fentlichkeit nur mehr an 3 % Wachstum glaube; 1977. Ist das Ihr Respekt vor der Unabhängigkeit nicht, weil er, Herr Apel, der Meinung ist, das sei solcher Gremien, ist das Ihr Respekt vor dem Geist, falsch, sondern weil ihm das Schwierigkeiten bei der von dessen Beteuerung Ihr Parteivorsitzender Konferenz des Internationalen Währungsfonds ein- dauernd trieft und tropft, wenn er mit halb tränen- bringe. Das ist genau derselbe Maßstab: Geheim ist, erstickter Stimme von der Rolle des Geistes spricht was der SPD schadet, vertraulich bleiben muß, was und von unserer Unfähigkeit, die Rolle des Geistes die Regierung in Schwierigkeiten bringt. Das ist zu begreifen? Muß denn jeder, der einmal etwas be- stätigt, was wir sagen, gleich menschlich angegrif- doch bei allem Verständnis für verbale Darstellungs- künste nicht die Aufgabe der Regierung, national fen, politisch verleumdet und in seiner wissenschaft- und international ihren Kredit zu verspielen. lichen Ehre herabgesetzt werden, bloß weil er im Augenblick nicht ins Konzept paßt? Im übrigen hat damals der Nachfolger des Herrn (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) Bundeswirtschaftsministers, Herr Graf Lambsdorff — dem ich gleich heute alles Gute für seine Erbschaft Aber Lügen haben kurze Beine. Jetzt hat der noch wünschen darf —, erklärt, auch aus seiner Sicht — amtierende Wirtschaftsminister zugeben müssen, daß ich habe seine Brille nicht geprüft, er die meine nicht das Wachstum nicht die vom Bundeskanzler in der — seien 5 % Wachstum ohne weiteres erreichbar. Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976 ange- Wir haben in den letzten Stunden ja wieder einen kündigten 5 bis 6 °/o oder die in dem vom Wirt- Blick hinter die — nun, wie sagte Tacitus? — arcana schaftsminister zu verantwortenden Jahreswirt- imperii, die Geheimnisse der Macht, die Kulissen schaftsbericht angestrebten 5 °/o, sondern nur knapp der Macht getan. Der Vorhang ist etwas gelüftet 3 °/o erreichen werde. Nun, Prozente hin, Prozente worden. Der Finanzminister hat uns überzeugen wol- her, ein Prozent bedeutet rund 100 000 Arbeitslose len, wie wirksam die von der Regierung beschlos- mehr oder weniger. Und jetzt wird sogar vom noch senen Maßnahmen seien. Aber der Wirtschaftsmini- amtierenden Wirtschaftsminister das Eingeständnis ster teil die Überzeugung nicht. Er hat das Handtuch gehört, daß er die amtlichen Zielprojektionen schon geworfen. Auch wenn er heute — aus welchen Grün- von Anfang an für unerfüllbar gehalten habe; den auch immer — noch eine letzte Pflichtübung als (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) amtierender Minister machen sollte, so bleibt doch so „Frankfurter Rundschau" vom 16. September 1977. seine Flucht vor der Fahne in einer wirtschaftspoli- Das heißt, die auch in diesem Jahre ständig wieder- tisch so kritischen Zeit das durch Wortakrobatik holten Aufschwungparolen können nur als Verhöh- nicht wegzudiskutierende Eingeständnis, daß er sich nung der Bürger angesehen werden. Ohne Rücksicht nicht mehr in der Lage sieht, seine Überzeugungen auf die Auffassung des eigenen Wirtschaftsministers in dieser politischen Umgebung in die Wirklichkeit oder dessen Hintergrundgeheimerkenntnisse hat der umzusetzen, sei es im Kabinett, sei es in der Partei, Kanzler auf der Londoner Wirtschaftskonferenz, dem sei es in der Koalition. berühmten Londoner Gipfel, am 8. Mai 1977 die von (Beifall bei der CDU/CSU) den Partnern als bindend empfundene Zusage ge- Ich habe in meiner Parteitagsrede, Herr Friderichs, geben, in diesem Jahr für 5 % Wachstum zu sorgen. gesagt, nicht der Ruf des großen Geldes, wie es so Nicht nur unsere Bürger, auch unsere Partner im da oder dort stand, sondern etwas anderes habe Sie Ausland müssen sich doch jetzt als zum Narren ge- weggetrieben — ich habe es ein bißchen unfreundlich halten vorkommen. gesagt: weil Sie die Rolle des Clowns satt sind —, Und lesen Sie bitte nach, was ich an dieser Stelle nämlich die Tatsache, auf Sonntagsreden für die als Sprecher der Fraktion der CDU/CSU am 12. Mai Regierung werbemäßig — sozusagen als Conféren- 1977 auf eine Frage gesagt habe, auf die ich keine cier — Dinge versprechen zu müssen, die Sie selbst Antwort bekommen habe. Ich habe nämlich gefragt am Kabinettstisch und in Ihrer eigenen politischen — ich wiederhole aus dem Gedächtnis —: Herr Bun- Umgebung nicht durchsetzen können. Das ist doch deskanzler, wie wollen Sie diese Zusage einhalten? der eigentliche Grund für Ihren Rücktritt. Es spricht doch alles dafür, daß sie nicht einhaltbar (Beifall bei der CDU/CSU) ist. Und was werden Sie tun, wenn Sie diese Zusage nicht einhalten können? — So war doch damals die Darum gibt es Verwirrung in der Partei, Beklem- Front. Ich weiß noch, wie besserwissendes -Geläch- mung in der Koalition, Krise in der Regierung und ter, höhnische Überlegenheit, spöttische Kritik mir einen schlechten Eindruck in der Öffentlichkeit. Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3479

Strauß Wenn das bisher vielleicht noch Vermutung, der was in dieser Partei erarbeitet, auf den Tisch gelegt Wahrheit nachempfundene Vermutung war, dann hat wird — jetzt auch für den kommenden Parteitag —, Ihre mutige Rede — aber wenn man geht, ist es im- ein wesentliches Element der politischen Willensbil- mer leichter, als wenn man anfängt oder bleiben dung, auch der kritischen Urteilsfindung? Dann müs- muß — auf der gestrigen Mitgliederversammlung des sen die Mitglieder dieser Partei, wenn sie hohe Re- Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie dies gierungsämter haben, hier dazu Stellung nehmen, bestätigt, in der Sie gesagt haben, es gehe nicht an, weil es dann kein esoterisches Parteiselbstvergnü- daß die Demoskopie letztlich die Politik bestimme. gen, Selbstbeschäftigungsprogramm mehr ist, son- Stimmt, das ist eine Auffassung, die ich intra und dern weil es dann Schicksal von Volk und Staat ist. extra muros immer vertreten habe. Sie sagten wei- So müssen Sie z. B. Stellung nehmen, wenn ein ter: Demokratie ist zutiefst ein Führungsproblem. Ja, Strukturrat der öffentlichen Hand verlangt wird. Gut, auch das stimmt. Und Sie sagten: Wenn es nicht der bisherige Konjunkturrat der öffentlichen Hand geht, heißt es, die Konsequenzen zu ziehen. soll unter Erweiterung seiner Aufgabe ein Struktur- (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Sehr rat der öffentlichen Hand werden. Dabei wird das richtig!) Wort Struktur ziemlich mißbraucht. d. h. von vielen angewandt, die es kaum schreiben können, ihm Ich kann Ihnen zu dieser Rede nur sagen, daß wir aber trotzdem verschiedene Inhalte zu geben vermö- Ihnen — jetzt nicht aus propagandistischen oder gen. Dann kommt der Strukturrat der sozialen Grup- parteipolitischen Gründen — hier zustimmen. pen. Da wird verlangt, die Konzertierte Aktion zu (Zurufe von der SPD: Na, na!) einer Art überbetrieblichem Mitbestimmungsorgan auszudehnen und daraus einen Strukturrat der so- Nein, das haben wir immer gesagt. Wer hören und zialen Gruppen zu schaffen. Was heißt denn das? lesen konnte, der konnte in der Diskussion der letz- Das bedeutet doch die Entmachtung der Institutio- ten Jahre und Monate genau das gleiche hören, was nen der parlamentarischen Demokratie. ich heute hier sage. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Das wäre doch die Einführung eines Verbands-Räte- Deshalb muß man die Sonde auch noch etwas tie- Systems. fer ansetzen. Es geht jetzt nicht darum, daß Regie- (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) rungsmitglieder ein Bekenntnis zur Marktwirtschaft ablegen, sowie sie Marktwirtschaft verstehen. Es Da sagten Sie, Herr Apel — ich muß mich natür- geht nicht darum, daß man das Bekenntnis zur lich auf Pressemeldungen verlassen, weil ich nicht Marktwirtschaft wie eine Fahne mit auswechsel- an allen Ihren Veranstaltungen fröhlich teilnehmen - baren Farben vor sich herträgt. Das Wort „Markt kann oder darf —, der Vorschlag, Strukturräte zu wirtschaft" ist eine Art Wieselwort geworden. Der schaffen, sei ein Bekenntnis zur Marktwirtschaft. bekannte Nationalökonom Fritz Machlup — bei dem (Heiterkeit bei der CDU/CSU) habe ich es einmal nachgelesen — hat den Begriff Jetzt verstehe ich auch, daß man einen Würgegriff erläutert: Die Wiesel sind Tiere, die Eier austrinken unter Umständen als Halsmassage bezeichnen kann. können, ohne die Schale zu zerbrechen. Das heißt, es bleiben leere Schalen übrig, die man dann mit be (Große Heiterkeit und Beifall bei der CDU/ liebigen Begriffen füllen kann. So wird der Begriff CSU) „soziale Marktwirtschaft" heute von manchen auch Was sollen wir denn noch alles kriegen, Investi- verwendet: Die Worthülse bleibt übrig, dahinter tionsräte, Strukturräte, Räte zur Planung des gesell- wird etwas ganz anderes verstanden und ein ganz schaftlichen Bedarfs, das sind dann Produktionsräte anderer Inhalt dann eingefüllt, und Verbrauchsräte? Der Markt wird durch Räte er- (Beifall bei der CDU/CSU) setzt. Das heißt, der Markt wird durch Manipulatio- nen der Funktionäre ersetzt. Das steckt doch hinter zumindest so lange, bis der gutgläubige Bürger so diesen Vorstellungen. weit gebracht ist, daß er über die Hürde gezogen werden kann. Denn bis dahin muß er ja bei gutem (Beifall bei der CDU/CSU) Glauben erhalten werden. Dann kommen noch Einführung der vollen paritäti- Wenn ich an die systemverändernden Vorschläge schen Mitbestimmung, das nostalgische Klagelied des SPD-Parteivorstandes denke — ich verstehe Ihre gegenüber der heutigen Koalition, der Leitantrag zur schwierige Lage, Herr Bundesfinanzminister; zwi- Energiepolitik. Ich kann nur sagen: Nichts verges- schen uns gibt es manchmal vielleicht sogar mehr sen und nichts dazugelernt! Gemeinsamkeiten in der sachlichen Auffassung, als (Beifall bei der CDU/CSU) Sie zugeben können oder ich zuzugeben brauche —, so möchte ich Sie fragen, Herr Bundesfinanzminister: Die SPD schlägt genau die Mittel zur Krisenlösung Warum reden Sie denn hier nicht über diese Dinge? vor, die die Krise entscheidend mitherbeigeführt Ist denn Ihre Partei ein Nichts? Ist Ihre Partei eine haben. leere Geschwätzkulisse, ein hohldröhnender Theater- (Beifall bei der CDU/CSU) haufen? Können die reden und sagen, was sie wol- Können Sie sich denn nie aus dem Teufelskreis len? Wenn dem so ist, dann ist es eigentlich schade darum, daß so viele Mitglieder, so viele Wähler marxistischer Spätvorstellungen lösen? diese Partei überhaupt ernst nehmen. Oder ist das, (Widerspruch bei der SPD) 3480 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Strauß Können Sie sich denn nie von der Wahnidee lösen, Wachstum, sechstens Widerstands- und Leistungs- daß die Vergesellschaftung der Produktionsmittel — fähigkeit des sozialen Sicherungssystems, siebtens Sie nennen es nur anders — der Weg zu weniger Freiheit und Würde der Menschen im Wirtschafts- Freiheit, zu weniger Wohlstand, zu weniger Ge- . prozeß, achtens sinnvolle Funktion der Gewerk- rechtigkeit, zu weniger Gleichheit ist und nicht der schaften — man muß ja erschrecken, wenn man Weg zu Heil, Gerechtigkeit und Glück auf Erden? liest, was auf dem Kongreß der IG Metall von ein- Nehmen Sie doch bitte einmal Verstand und Ver- zelnen hochmögenden Rednern gesagt worden ist —, nunft an. neuntens genügend Arbeitsplätze und Bildungsmög- (Beifall bei der CDU/CSU) lichkeiten für die Jugend, zehntens Wettbewerb, Hier nützt auch die Berufung auf das Ausland elftens wissenschaftlich-technischen Fortschritt und nichts. Ich könnte nachweisen, Herr Bundeskanzler, nicht zuletzt zwölftens außenpolitische Durchset- daß Ihre Behauptung über die Wirkung des Viet- zungsfähigkeit. namkrieges auf die Weltwährungszusammenhänge Ich möchte hier — ich wollte, man könnte darauf und das amerikanische Zahlungsbilanzdefizit ein- verzichten — auch mit aller Offenheit darauf hin- fach nicht stimmt. Herr Bundeskanzler, ich könnte weisen, daß dieselbe Entwicklung innerhalb der FDP Ihnen nachweisen, daß wir nur durch den Umfang Platz gegriffen hat. Die beiden Papiere der Fride- des Exports gerettet worden sind. Dieser Export richs-Kommission und der Baum-Kommission sind machte von Jahr zu Jahr — mit einer Ausnahme — doch nur durch magische, wortreiche Schlangenbe- einen höheren Anteil des Sozialprodukts aus, we- schwörerkünste nur oberflächlich auf einen halb- sentlicher höher, als es Willy Brandt bei seiner ersten wegs gemeinsamen Nenner zu bringen. Das stimmt Regierungserklärung überhaupt national für trag- doch einfach nicht. Graf Lambsdorff, machen Sie sich bar erklärt hat. Dieser Export ist ein Loblied auf den doch dabei nichts vor! Sie erleben doch jetzt, wie deutschen Arbeiter, auf den deutschen Unternehmer, die Dinge in Ihrer Partei aufbrechen. Ich habe von ihre Qualität, ihre Präzision und ihre Pünktlichkeit, dieser Stelle aus gesagt: Ihre Judos sind noch ge- aber nicht auf die Qualität der Regierung, sondern fährlicher als die Jusos; denn das ist die Playboy- auf die Qualität der Leistung; und das ist ein Ge- Variante der jungen Marxisten geworden. Da haben gensatz. die Väter nur mehr Geld. (Beifall bei der CDU/CSU) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Nur der Export hat uns davor gerettet, noch eine zweite Million Arbeitslose als Dauererscheinung in Die Ergebnisse der Perspektivkommission „Ak- Kauf nehmen zu müssen. tuelle Perspektiven des sozialen Liberalismus", Lei- tung Staatssekretär Baum, und die Erkenntnisse der (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Kommission „Grundzüge liberaler Wirtschaftspoli- Wenn Sie das SPD-Diskussionspapier „Grundwerte tik", Leitung Bundesminister Friderichs: das sind in einer gefährdeten Gesellschaft" sehen, dann be- doch Programmpapiere zweier völlig verschiedener ginnt das mit der Forderung nach Einkommensnivel- Parteien. Ich messe einer Partei nicht die Aufgabe lierung, mit der Forderung nach bürokratischer Ver- zu, eine uniforme Marschkolonne zu sein, eine gei- teilung des Arbeitsvolumens. Wir wollen jedem stige Uniformierungsschmiede etwa zu sein. Aber mehr Einkommen verschaffen. Aber wir halten gar jede Partei muß noch ein gewisses gemeinsames nichts von der Gleichmacherei auf diesem Gebiet, Wertordnungssystem haben, wenn sie nicht bloß weil sie nur weniger an Wohlstand bringt, weil sie eine Begriffshülse aus einigen Buchstaben ist, deren weniger an Freiheit bringt, weil sie weniger an Ge- Maschinerie in Wahlen auftritt, um Mandate zu er- rechtigkeit bringt, weil sie weniger an Selbstver- werben und ihre Funktionäre in Posten und Pfründe wirklichung bringt, weil sie weniger an Humanität zu hieven. Eine Partei muß doch etwas sein, was bringt. für den Bürger eine bestimmte Marke darstellt. Was er dann von der Marke hält, ist eine andere Frage. Soziale Marktwirtschaft schließt — das muß man Darum haben wir ja Pluralismus und geistige Frei- zugeben — auch Ungleichheit der Einkommen ein. heit, damit er sich zwischen verschiedenen Parteien Wesentlich ist nicht der neiderfüllte Blick nach dem, entscheiden kann. Aber zur geistigen Freiheit gehört der mehr verdient, sondern der beruhigte, befriedig- auch die Sicherheit des Bürgers vor der verbalen te Blick auf das Ergebnis der eigenen Leistung, der Täuschung, die mit solchen Programmen verbunden Blick auf die Situation, in denen unsere Väter als ist. arbeitende Menschen mit ihren Familienangehöri- gen gelebt haben, und die Situation, in der wir heute (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) leben können. Das ist der Unterschied. Es darf nicht Meine sehr verehrten Damen und Herren, das- um den Neid gegenüber dem anderen gehen, dem selbe gilt ja auch — ich habe es vorhin in anderem der Schrei nach der Gleichmacherei folgt. Zusammenhang erwähnt, und unser Fraktionsvorsit- Nehmen Sie unsere Überzeugung zur Kenntnis: zender wird sich damit noch eingehender befassen — Nur die Soziale Marktwirtschaft, die wir nicht ihres (Zuruf von der SPD: Geht das? — Dr. Ehmke Begriffsinhalts berauben und entleeren lassen, ga- [SPD] : Wer?) rantiert erstens Vollbeschäftigung, zweitens hohe Arbeitsproduktivität, drittens gerechtes Verhältnis für die Frage der Energiepolitik, der Kernkraft- zwischen Lohn und Leistung, viertens ausreichende werke. Was Helmut Schmidt in Nürnberg anläßlich Investitionen auf allen Gebieten — Ersatz, Erweite- des Jubiläums der Arbeitsverwaltung sagte, das rung und Modernisierung —, fünftens angemessenes müssen doch Sie sich hinter Ihren Spiegel stecken. Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3481 Strauß Hier sagte er doch, daß Zehntausende von Arbeits- — Ich habe nicht solche Ausdrücke wie einer Ihrer plätzen auf dem Spiel stehen, und zwar akut wegen Freunde im Zusammenhang mit dem Fall Schleyer der Auftragssperre und auf lange Sicht wegen der gebraucht. Wenn Herr Friderichs aber im Hinblick Energieversorgung. auf die Vorschläge der Baum-Kommission gesagt Wo liegen denn die Schwierigkeiten dieser Regie- hat: nur über meine Leiche!, so ist doch sein Ent- rung? Jetzt platzt doch der ganze Schwindel von der schluß — ich tadele ihn nicht wegen dieses Ent- obstruktiven Opposition. Wir haben immer und schlusses; ich verstehe ihn ja — als Ausweg zu ver- überall Solidarität geübt, wo es die Sache erfordert stehen, weil er mit den Inkompatibilitäten, Unver- hat. Wir lassen uns aber nicht unter dem Stichwort einbarkeiten und Gegensätzlichkeiten der Entwick- „Solidarität" einen Maulkorb umhängen und damit lung innerhalb seiner eigenen, von ihm wahr- alles unter einen Teppich kehren, auf den wir dann lich geförderten politischen Partei nicht mehr zu- gemeinsam treten sollen. Das ist der Unterschied rechtkommen kann. Unterstellen Sie mir nicht einen zwischen falscher Solidarität und echter Verantwor- Sinn, den ich meinen Worten nie gegeben habe. tung. (Widerspruch bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich kann noch Deutsch, andere vielleicht nicht Wir können einfach nicht damit einverstanden mehr! sein, daß die Steuerung durch den Markt durch kol- (Beifall bei der CDU/CSU) lektive Entscheidungen von Gremien mit anonymer Eines der größten Probleme ist die heute schlei- Verantwortung und ohne persönliches Risiko der chende oder trabende, vielleicht morgen in Galopp Herren Räte ersetzt werden soll. Wir können das, verfallende Tendenz des Vertrauenschwundes der was in dem einen Papier der FDP betont wird, nicht Bürger. Hervorgerufen haben diesen Vertrauens- anerkennen, nämlich daß im Rahmen der gegenwär- schwund die ideologischen Gaukler und Wolken- tig bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsord- schieber in unserem Land, die unfähig und unwil- nung der Staat seine planende und gestaltende Tä- lig sind, Ursachen und Zusammenhänge der Pro- tigkeit nicht ausreichend zur Geltung bringen kann. bleme zu erkennen und offen auszusprechen. Wir Was ist denn übriggeblieben vom Erbe Ludwig müssen mit der parteipolitisch selbstgefälligen Heu- Erhards? Hat nicht Herr Genscher betont: Wir ha- chelei Schluß machen. Das gilt für jedermann. Wir ben zum Erfolg verholfen! Jawohl, müssen den Dingen auf den Grund gehen und dem das stimmt. Wir hatten damals nicht die ausrei- Bürger gegenüber die Dinge so darstellen, wie wir chende Mehrheit. Ich war damals Abgeordneter im es auf Grund unserer Kenntnisse — ohne ideolo- Wirtschaftsrat der Christlich-Sozialen Union und der gische Scheuklappen — zu tun vermögen. gemeinsamen Fraktion. Wir hatten eine ganz hauch- dünne Mehrheit. Hut ab vor jener FDP, die damals Darum kann ich nur die beschwörende Mahnung den Mut hatte, wider den Zeitgeist mit uns gemein- aussprechen: Kehren Sie doch zurück zur wirt- sam hinter Ludwig Erhard die große Reform durch- schaftspolitischen Vernunft und zur finanzpolitischen zuführen! Solidarität und Solidität! Machen Sie doch Schluß (Beifall bei der CDU/CSU) mit der finanzpolitischen Leichtbauweise! Herr Apel, Sie sind ein finanzpolitischer Hollywoodarchitekt, Was ist denn daraus geworden, wenn man diese der finanzpolitische Wolkenschlösser und Filmbur- politische Entwicklung, wie sie seit Jahren allmäh- gen gebaut hat. Schluß mit den sozialpolitischen lich demontiert wird, als eine „Strategie der autoritä- Täuschungsschlössern, Schluß mit den falschen Ali- ren Restauration", als eine „Strategie der sozialen Po- bis, Schluß auch mit der Suche nach den falschen larisierung" bezeichnet? Diese Ausdrücke haben Sündenböcken! doch mit dem liberalen Gedanken- und Geistesgut nichts mehr zu tun. Das sind doch Leihgaben aus Begonnen hat das Unheil — das war nicht nur bei dem Arsenal, aus der Mottenkiste marxistischer uns so — mit der Ü berforderung des Sozialprodukts, Klassenkämpfer, aber nicht Begriffe, wie sie inte- mit Umverteilungswünschen, die mehr umverteilen grierende Liberale verwenden. wollten, als überhaupt an Substanz insgesamt er- zeugt worden ist. Wohin die Verteilung führt, was (Beifall bei der CDU/CSU) sie ergeben soll, muß dann der Kampf der gesell- Warum hat denn Frau Schuchardt, eine liebenswür- schaftlichen Gruppen, mit legalen Mitteln ausgetra- dige Kollegin gen, ergeben. Deshalb haben wir ja die Tarifauto- (Heiterkeit bei der CDU/CSU) nomie, die wir erhalten wollen. Seien Sie sich aber über folgendes im klaren: Wer ein verfassungsmä- — in anderer Umgebung sehe ich sie durchaus ßig verankertes Recht nur auf einen Arbeitsplatz gerne —, verlangt — eine sehr bescheidene Forderung, die (Erneute Heiterkeit bei der CDU/CSU) ein Arbeitsdienststaat, er mag braun oder rot sein, die Friderichs-Kommission verlassen? Wahrschein- jederzeit erfüllen kann —, muß auch die Tarifauto- lich aus Zeitmangel. Oder stimmt es, daß Herr Fri- nomie aufgeben. Dann kann man jedem einen Ar- derichs im Hinblick auf die Vorschläge der Baum- beitsplatz zuweisen. Welchen Arbeitsplatz und was Kommission gesagt hat: Nur über meine Leiche? er dafür bekommt, ist eine andere Frage. Die Leiche heißt — horribile dictu — Abmarsch zur (Beifall bei der CDU/CSU) . Es ist doch seit dem Herbst 1969 — die ganzen (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU — Jahre hindurch — kein Fehler vermieden worden. Zuruf von der SPD: Pfui! Volksverhetzer!) Bei inflationärer Erwärmung eine kräftige Aufblä- 3482 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977

Strauß hung der Staatsausgaben, massive, volkswirtschaft- — dies ist am 12. September 1977 erschienen; lich unvernünftige Erhöhung der Lohn- und Lohn- wenn man hier ein mißbilligendes Wort ausspricht, nebenkosten, Nachfragedruck, Kostendruck haben müßte man es wohl in diesem Zusammenhang sa- bewirkt, daß die Inflation zu greifen begann. Der gen — Nachfragedruck aus dem Inland hat umgeschlagen. wonach die Löhne zu hoch, die Gewinne zu Nur der Nachfragedruck aus dem Ausland hat uns niedrig, die Entwicklung der Lohnkosten der vor einer Massenarbeitslosigkeit von zwei Millio- Schlüsselfaktor der wirtschaftlichen Entwicklung nen Menschen bewahrt. Der Kostendruck aber ist seien. weiter gestiegen. Investitionsbereitschaft und Inve- stitionsfähigkeit sind entscheidend angeschlagen Loderer hat den Arbeitgebern auf dem Kongreß der worden. Zu den Fehlern gehört auch der Unfug, daß IG Metall dann noch psychologische Kriegführung man Stabilitätspolitik zunächst nur mit monetären vorgeworfen. Er sagte, die Arbeitgeber mißbrauch- Maßnahmen betrieben hat, daß man auch die ten die Arbeitslosigkeit zur Disziplinierung der Ar- Steuern nicht richtig eingesetzt hat und den Haus- beitnehmer. halt über Jahre hinweg überhaupt nicht herangezo- Ich sage ausdrücklich: Lohnpolitik ist nicht allein gen hat. Dadurch ist die Fehlentwicklung erheblich eine Sache der Gewerkschaften. Wenn wir Mahnun- beschleunigt und begünstigt worden. Dann kam die gen oder Vorwürfe an die Adresse der Tarifpartner Ablenkungspolitik durch Herausstellung staatlich richten, dann meinen wir beide Seiten. Wer aber anerkannter, parteipolitisch diffamierter, manchmal über den Faktor Arbeit verfügt, hat eine mächtige sogar gewerkschaftspolitisch vorgeschlagener Sün- Waffe in der Hand. Es ist einfach entweder grobe denböcke. Das Ziel waren Tarnung auf der einen Unkenntnis der Arbeitswelt, die ein Gewerkschafts- Seite und Entlastung der wirklich Schuldigen auf vorsitzender nicht haben darf, oder Irreführung, der anderen Seite. wenn er sagt, die Alleinherrschaft der Unternehmer habe diese Dinge, die er so bitter beanstandet, her- Zu dem, was in diesen Tagen zu lesen ist, möchte beigeführt. Damit darf ich wohl die Frage verbinden: ich — hier geht es nicht darum, irgendeine Gruppe Wann werden die hohen Funktionäre endlich be- anzugreifen oder sich selbst in das rechte Licht greifen, daß sie für die arbeitenden Menschen da zu rücken — ein Wort sagen, das ehrlich gemeint -sind und nicht Entschuldigungs-, Beschwichtigungs ist und das nicht mißverstanden und nicht mißdeutet und Ablenkungsautomaten für die SPD-Regierung werden darf. Wir bejahen die Daseinsberechtigung, und ihre Verhaltensweisen sind? Funktion und Aufgabenstellung der Gewerkschaf- (Beifall bei der CDU/CSU) ten in vollem Umfang. Niemand kann aber von uns verlangen, daß alles das, was hochmögende DGB- Leider ist es so, daß die Führungsschicht soziali- Funktionäre an Urteilen abgeben und Forderungen stischer Parteien und der Massengewerkschaften aufstellen, von uns im Sinne von bindenden Kom- mehr und mehr von Akademikern besetzt und ge- mandos gehorsam übernommen wird. steuert werden, die mit dem eigentlichen Anliegen der Arbeiterschaft, das wir ernst nehmen und dem (Beifall bei der CDU/CSU) wir uns verpflichtet fühlen, wenig oder nichts zu Der DGB-Vorsitzende Vetter schreibt in seinem tun haben. Brief von Anfang September: Arbeitslosigkeit, (Beifall bei der CDU/CSU) Kurzarbeit, Leistungsdruck, Jugendliche ohne Aus- Sie sind ihr intellektuell entfremdet. Zur Tarnung gibt bildung — das sind die Ergebnisse unternehme- man sich dann vulgär-radikal. Ein Soziologe unserer rischer Alleinherrschaft. — Hier haben Sie die Zeit sagte einmal, der Arbeiter ist nur noch der zentralen Themen, Herr Kollege Apel, die Ihre aus- theoretische Vorwand für die Verfechtung radikaler ländischen Partner nicht verstehen. Sie haben doch Ziele; er ist nicht mehr als arbeitender Mensch Aus- gestern hier erklärt, im Ausland verstehe es kein gangspunkt und Ziel der sozialistischen Überlegun- Mensch, daß es hier in der Bundesrepublik zentrale gen, sondern er ist ein unmündiges Instrument oder Diskussionsthemen gebe, weil bei uns dank der ein Vehikel der Revolutionierung für manche ge- Weisheit und Unfehlbarkeit unserer Regierung alles worden, d. h. Verbrauchsmaterial für die Änderung so glänzend geordnet sei. Nun hören wir auf ein- der Gesellschaft. Ich warne — ich sage es hier — mal von Ihrem Parteifreund Vetter, immerhin dem vor einer Allianz von ideologiefreien opportunisti- obersten Mann der deutschen Gewerkschaften: Ar- schen Technokraten, intellektuellen Schwärmern, beitslosigkeit, Kurzarbeit, Leistungsdruck, Jugend- akademischen Systemveränderern und politischen liche ohne Ausbildung. Seine Schlußfolgerungen: Pietisten, die zusammen nicht nur mit dem Segen Folgen unternehmerischer Alleinherrschaft. der aus dem Geleise der Liberalität geratenen Play- Der Vorsitzende der IG Metall, Herr Loderer, boy-Marxisten, den Judos, sondern auch älterer ent- sagt: gleister Teile des liberalen Lagers, des liberalen Arbeitslosigkeit gehört zur langfristigen Stra- Zuges einen bürokratisch-sozialistischen Macchia- tegie der Unternehmer. Die Reservearmee von vellismus erzeugen, dem auch Helmut Schmidt trotz Arbeitslosen ist das Kernstück ihrer Macht- gelegentlicher Stoßseufzer mangels echter Wert- masse nicht völlig fremd — vielleicht aber jedenfalls politik. hilflos — gegenübersteht. Der Vorsitzende der IG Druck und Papier sagt: Zuerst macht man die soziale Marktwirtschaft Zu den unternehmerischen Heucheleien zählen funktionsunfähig, dann verlangt man ihre staatliche auch die Ver-Schleyerungen, Kontrolle, ihre Bevormundung, ihre Planung, ihre Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3483 Strauß Steuerung, ihre Lenkung, um dann festzustellen, daß politik, meine Damen und Herren von der SPD, wie ihre Reste beseitigt, daß sie durch eine andere Wirt- Herrn Nipperdey, wie Herrn Schwan und viele schaftsordnung ersetzt werden müsse. Hier liegt der andere, die als Mitglieder Ihrer Partei, zum Teil seit Kern der Probleme. Von diesem Kern lassen wir Jahrzehnten, auch heute noch dieser Partei treu uns nicht abbringen. Das ist der zentrale Gegenstand bleiben wollen, mit denen wir uns aber in der der Auseinandersetzung. Unsere Bürger haben einen Sorge — ich darf sagen — nahtlos verbunden füh- Anspruch darauf, mündig, wie sie sind, Herr Brandt len. Das ist keine Polemik, das ist keine Schlag- — siehe Regierungserklärung —, von den Parteien wortauseinandersetzung, hier geht es um die letzten zu hören, wie sie zu diesem Thema stehen und was Problemwurzeln unserer menschlichen, politi- sie hierzu Echtes auszusagen haben. schen Existenz, die einmal geklärt werden müssen (Beifall bei der CDU/CSU) und nicht durch den Schaum und die Phraseologie der Funktionäre und ihrer akademischen Spinner Lassen Sie mich daraus eine Schlußfolgerung zie- verwischt und verwoben werden dürfen. hen. Der Bürger spürt, daß das System der politi- schen Willensbildung in der Bundesrepublik Deutsch- (Beifall bei der CDU/CSU) land nicht mehr in Ordnung ist. Warum? Es gibt Warum bemühen sich denn marxistische Bil- keine Regierung mehr, die mit ihrer Mehrheit regie- dungspolitiker, die Völker von einem kontinuier- ren kann. Dafür gibt es aber statt zwei vier Regie- lichen Geschichtsbewußtsein zu trennen? Warum rungsparteien: SPD zwei, FDP zwei. Es geht jetzt denn? Weil der Marxismus keine Geschichtslehre, hier nicht um die Frage, die wir nicht nur im Wahl- sondern Irrlehre ist, weil, wer Geschichte kennt, kampf, sondern auch anderswo, und zwar aus Über- sich den Marxismus nicht zu eigen machen kann. zeugung, in den Raum gestellt haben — auch als Der Marxismus ist unbrauchbar als Geschichtsdeu- Ausrufezeichen —: Freiheit oder Sozialismus. Die tung, unbrauchbar als politische Ökonomie, un- SPD hat ohne jeden Zweifel eine marxistische Kom- brauchbar als soziologische Disziplin, unbrauchbar ponente; die FDP hat eine liberal-sozialistische als politische Philosophie. Und der Marxismus ist Komponente. Die Verhältnisse sind schlaglichtartig auch unbrauchbar für die Anwendung im täglichen beleuchtet, erhellt worden durch die Abstimmung Leben. Er ist auch als philosophische Lehre un- über das Kontaktsperrengesetz, sind vorher auch brauchbar. Er ist eine profanierte Religion, mehr angedeutet worden durch die Diskussion über die als ein wirtschaftswissenschaftliches System. Wie vor einigen Monaten beschlossenen Steuererleichte- allen profanierten Religionen hängt ihm deshalb rungen. der Fanatismus an, der Fanatismus bis zur Predigt (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Das war und Anwendung der offenen Gewalt in den entfern- entlarvend!) ten Ablegern, die sich gebildet haben. Damit möchte ich auch einer vergiftenden Deutung, dieser Die SPD hat — das ist eine Feststellung, keine öffentlichen Lüge widersprechen. Wenn es bei uns Unterstellung — ihr Verhältnis zum Marxismus nie eine rechte Fememordorganisation gäbe, wie es sie geklärt. Sie hat sich nie von ihm lossagen können, in der Weimarer Republik einmal gegeben hat, Sie weil sie befürchtet, wesentliche Teile zu verlie- können überzeugt sein, daß ich hier mit derselben ren. Ich wollte, es gäbe einen demokratischen So- Schonungslosigkeit und Offenheit gegen diese zialismus als klar definierbaren Begriff; auch das ist menschenverachtende, Gesundheit, Leben und Frei- ein „Wieselwort", eine Utopie. Kennzeichnend ist heit zynisch mit Füßen tretende Würdelosigkeit doch die Linksgerechtigkeit der Nivellierung statt und Brutalität zu Felde ziehen würde. der Sachgerechtigkeit der Leistung, die Unverein- barkeit des Gegensatzes zwischen Erwartung und (Beifall bei der CDU/CSU) Verheißung einerseits, Erfüllung und Verwirk- Aber hier haben wir heute kein Recht mehr, die lichung andererseits, Gleichheit statt Gerechtig- Hintergründe zu verwischen, die Ursprünge zu keit, Freiheit der Gesellschaft statt Freiheit des ein- leugnen oder parteipolitische Süppchen zu zelnen. Damit wird die Einheit aufgelöst, die für kochen oder opportunistische Vernebelungsmanö- uns heißt: parlamentarische Demokratie, demokra- ver irgendwelcher Art zu machen. tischer Rechtsstaat und Soziale Marktwirtschaft. Sozialistische Analysen sind unfähig zur Selbst- Wer die Untat begeht, den Konflikt als einzige kritik. Darum ist das Wort von Willy Brandt so Wahrheit der Geschichte und der Gesellschaft zu töricht, wenn er sagt: „Kritische Geister dürfen predigen, der darf sich nicht wundern, wenn die nicht als Sympathisanten der Terroristen identifi- Saat in der nächsten Generation, wenn sie erwach- ziert werden." Wir sind bestimmt keine Sympathi- sen ist, aufgeht. santen der Terroristen. W i r sind die kritischen (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) Geister, die sich gegen den „Zeitgeist" in diesem Lande gestellt haben. Unsere Geschichte, die unsere Kinder lernen sol- len, darf sich nicht in Konfliktlehre erschöpfen. Der (Beifall bei der CDU/CSU) Konflikt ohne Konsensus zerstört menschliches Kritische Geister sind doch nicht nur diejenigen, Glück und staatliche Gemeinschaft. die in den großen Lobgesang „Te Deum laudamus" (Beifall bei der CDU/CSU) etwa für die Regierung ab 1969 eingestimmt haben. Kritische Geister sind wir, die wir uns nicht von den Warum versuchen denn Marxisten, ihre Ziele in Phrasen haben benebeln lassen, die mit Lebensquali- der Bildungspolitik durchzusetzen? Ich sage nicht: tät und mit Gerechtigkeit und Glückseligkeit und Sozialdemokraten. Ich kenne viele in der Bildungs- Menschlichkeit usw. in die Welt gesetzt worden 3484 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Strauß sind, wie alle Ideologen den Himmel auf Erden ver- Aber das sind doch die Dinge, die uns bewegen. sprechen und in Wirklichkeit den Weg zur Hölle Wenn Sie einerseits Benneter ausschließen — ein mit den Steinen ihrer Ideologie pflastern. großes Ablenkungsmanöver, aber ein Kompensa- (Beifall bei der CDU/CSU) tionsmanöver —, wenn andererseits in Berlin-Zeh- lendorf zwei alte Sozialdemokraten ausgeschlossen Die einzige Kritik, zu der sozialistische Kritiker werden, weil sie als Mitglieder der Notgemeinschaft fähig sind, ist die Kritik an der bürgerlichen Gesell- für die Freie Universität das Volksfrontbündnis so- schaft, an der liberal-bürgerlich-parlamentarisch- zialdemokratischer und kommunistischer Studenten demokratischen Gesellschaft, unfähig zur Kritik sich in der Offentlichkeit angegriffen haben, muß ich selbst gegenüber und ihrem eigenen System gegen- doch fragen: Seit wann klagt man diejenigen an, die über. Dabei braucht man nur die Augen aufzu- einen Mißstand offenlegen, statt derjenigen, die den machen, um das erbärmliche Fiasko der marxisti- Mißstand zu verantworten und zu verschulden schen Wirklichkeit gegenüber einer an Erfahrung, haben? Vernunft und geschichtlicher Wirklichkeit und (Beifall bei der CDU/CSU) Lehre aufgebauten staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung zu sehen. Sie wissen, was Professor Schwan in seinem Auf- satz in der „Deutschen Zeitung" geschrieben hat — Das Unglaubliche ist die psychologische Anfällig- er ist Ihr Parteifreund, nicht der unsrige —: keit gewisser Kreise für marxistische Denkansätze. Die Revolution ist kein Arbeiterproblem. Sie ist ein Ich meine, daß es jetzt auf eine Klarstellung an- Intellektuellenproblem. kommt, welchen Weg die SPD in unserer par- lamentarischen Demokratie eigentlich gehen will (Breidbach [CDU/CSU]: Sehr gut!) und ob ihr die Grundsätze des Godesberger Pro- Das wird verschlimmert, wenn freischwebende In- gramms noch etwas bedeuten. Die Linke ist telligenz keine unmittelbare Verantwortung in der ohne Zweifel in dieser Partei im Vormarsch. Praxis hat, der tatsächlichen Erfahrung ermangelt Er fährt dann fort: und wenn sie Verneinung mit Kritik verwechselt. Die Warner werden durch scheinsoziologischen Die SPD hat eine große Programmgeschichte. Aber Intellektualismus, durch marxistisches Partei- ihre ganze Programmgeschichte stand immer unter chinesisch und am meisten durch eine kalt- dem Zwang, Marx zu tarnen, statt sich endlich von schnäuzige Kadertaktik vergrault. ihm zu trennen. Siehe die Zielvorstellungen einer marxistisch-sozialistischen Gesellschaftsänderung, Das schreibt ein sozialdemokratischer Professor. die immer wieder, selbst im Schlußkapitel des Go- Ich erinnere auch an das, was Professor Nipperdey, desberger Programms durchleuchten. Sie erwähnen Mitglied Ihrer Partei, zu diesem Thema geäußert hat. Marx namentlich nicht. Aber was ich heute an Pro- Warum schließen Sie Herrn Kronawitter nicht aus, grammen zitiert habe — ich habe es sorgfältig ge- immerhin Münchner Oberbürgermeister, der heute lesen —, das ist nichts anderes, als Marx schritt- nur mit Hilfe der CSU in München noch regieren weise und unter Verbergung der letzten Ziele in die kann? Er hat doch in einem Brief an Willy Brandt politische Wirklichkeit umzusetzen. erklärt: Stamokap, das sind Kommunistenfreunde, (Beifall bei der CDU/CSU) Stamokap-Leute sind Verfassungsfeinde. Trennen Hier muß einmal Klarheit in unserem Lande ge- Sie sich von allen Stamokap-Leuten, nicht bloß von einem, ich würde sagen, Oberschwammerl, der an schaffen werden. ihrer Spitze steht. Warum sage ich das, meine Damen und Herren? (Heiterkeit bei der CDU/CSU) (Porzner [SPD] : Rechnen Sie damit, daß der Schließen Sie alle Ihre Stamokap-Leute aus! Präsident diesen Teil zur Haushaltsrede des Finanzministers durch die Mittagspause (Beifall bei der CDU/CSU) unterbricht? — Gegenrufe von der CDU/ Er sagt: CSU) Stamokap-Leute sind Verfassungsfeinde, die — Der Präsident braucht meine Rede nicht durch die überhaupt nicht zum öffentlichen Dienst zuge- Mittagspause zu unterbrechen. Aber gerade Sie tä- lassen werden dürfen. ten gut daran, Herr Porzner, mich hier nicht zu un- Herr Rothemund, Landesvorsitzender, mein Kol- terbrechen; ich komme gleich zum Schluß. lege nach dem Abtritt von Hans-Jochen Vogel, sagt, (Lachen und Zurufe von der SPD) man sehe keinen Anlaß, gegen Herrn Kronawitter ein Parteischiedsverfahren zu unternehmen. Wie steht es denn damit, daß in Kreisen der Jungsozia- Präsident Carstens: Herr Abgeordneter, ich werde listen oder der Jungdemokraten in Berlin, Augs- Ihre Redezeit im Hinblick auf die Bedeutung des burg, München dieser schändliche Buback-Nachruf Gegenstandes gemäß § 39 der Geschäftsordnung mit der heuchlerischen Begründung nachgedruckt nicht begrenzen, und ich werde bei den folgenden wird, es handle sich hier um die Erfüllung eines Rednern ebenso verfahren. Informationsbedürfnisses. Man kann Dinge lange Zeit durch körperliches Gewicht oder verbale Be- (Beifall bei der CDU/CSU) schwichtigungsmanöver zudecken. Aber auf die Dauer lassen sich diese Dinge nicht mehr künstlich Strauß (CDU/CSU) : Ich komme gleich zum Ende. den Augen der Offentlichkeit entziehen. Wie ist Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3485

Strauß es denn Herrn Genscher ergangen? Warum werden tung vor den demokratischen Linken und habe sie die Berliner Jungdemokraten nicht ausgeschlossen? immer gehabt: ich respektiere sie. Ich kann mir Hier ist die Scheidelinie. Das ist in einem demokra- unter demokratischem Sozialismus nichts mehr vor- tischen Staat mit einem demokratischen Parteien stellen. system nicht mehr erträglich. Was wir als Bürger und als die Erbauer dieses (Beifall bei der CDU/CSU) Staates gemeinsam, Sie und wir, verlangen müssen, Und hier liegen die Ansätze, die Gefahren für die sind endlich die geistige Klärung und die politische Zukunft. Schlußfolgerung aus dieser Klärung, damit wir wie- der ehrlich und offen zusammenstehen, der Gefah- Darum habe ich mich — ich sage das auch hier ren uns erwehren und die Aufgaben bewältigen ganz offen — darüber empört, daß der Parteivorsit- können. zende der SPD im Juli einen Brief schreibt, diesen noch im August veröffentlicht und die Regierung, (Langanhaltender lebhafter Beifall bei der Sie, Herr Bundeskanzler, die Garnitur, die hier auf CDU/CSU) den beiden Bänken sitzt, ermahnt, Sie sollten mehr gegen die Gefahren rechtsradikaler Umtriebe unter- Präsident Carstens: Meine Damen und Herren! nehmen. Zum weiteren Verlauf der Debatte möchte ich fol- (Dr. Marx [CDU/CSU] : Das ganze Ausland gendes bemerken. Gemäß § 39 Abs. 2 unserer Ge- schreibt es!) schäftsordnung soll der Präsident die dort vorgese- henen Redezeiten verlängern, „wenn der Gegen- Ich bin der Meinung, man soll auf beiden Augen stand oder Verlauf der Aussprache dies nahelegt". wachsam sein, aber man braucht nicht mit zwei Au- Ich mache von dieser Ermächtigung Gebrauch und gen in die falsche Richtung zu schauen, verlängere auch die Redezeit der folgenden Red- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) ner. wenn aus der anderen, der richtigen Richtung die Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ehmke. Gefahr kommt. Weiß Willy Brandt denn nicht, welchen Bären- Dr. Ehmke (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen dienst er damit Deutschland, dem Ansehen des deut- und Herren! Wir sind Herrn Kollegen Strauß für schen Volkes, unseren demokratischen Parteien er- seine 100-Minuten-Rede aus einem Grund dankbar: wiesen hat? weil sie enthüllt hat, (Beifall bei der CDU/CSU — Rawe [CDU/ (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU] : Wie es CSU] : Das Schlimme ist, er weiß das wirk wirklich ist! — Beifall bei der CDU/CSU) - lich! — Dr. Marx [CDU/CSU]: Er weiß es!' daß es sich bei der Aktion, die Herr Kollege Kohl — Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Er hat das etwas euphorisch unter dem Titel „Herbstoffensive absichtlich gemacht!) der Opposition" angekündigt hat, nur um eine wei- Ich habe die Wirkung persönlich erlebt — nicht an tere Aktion „Nebelwerfer" handelt. mir selbst —, weil ich in dieser Zeit in den USA und (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. in Kanada war, in der der Brief in der Zeitungsdis- Ritz [CDU/CSU]: Ach, Herr Ehmke!) kussion, in der öffentlichen Diskussion eine große Rolle spielte, als ob in Deutschland nun mehr Hit- Herr Kollege Strauß, Sie haben heute wieder viel ler ante portas wäre. Helmut Schmidt hat darauf Nebel verbreitet, vernünftig reagiert; er hat das Ganze für blühenden (Dr. Ritz [CDU/CSU] : Da klatschen noch Blödsinn erklärt. Aber was ist das für eine Partei: nicht einmal Ihre eigenen Leute!) Der Parteichef warnt vor der großen Gefahr des um die Konturen der politischen Landschaft in die- Rechtsradikalismus, die letzte Säule der SPD — der sem Land zu verwischen. Dichter sagt: „Auch diese schon geborsten, kann stürzen über Nacht" ; (Dr. Ritz [CDU/CSU]: Wir verstehen ja, daß Sie es schwer haben!) (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Ich frage mich, Herr Strauß, wie Sie eigentlich selbst aber wir wünschen es ihm nicht einmal —, er sagt: einmal aus dem dichten Nebel herauskommen wer- Das ist reiner Unsinn. Wenn man erlebt, was in den den, den Sie nun schon seit vielen Jahren verbrei- letzten Wochen und Tagen, nicht zuletzt mit der ten. Kappler-Entführung, an deutschfeinlicher Haßkam- (Beifall bei der SPD und der FDP — Schrö pagne in der Welt inszeniert worden ist, nicht der [Lüneburg] [CDU/CSU] : Wo sind die 50 spontan entstanden ist, wenn man liest, was „Le Mille?) Monde" geschrieben hat, wenn man liest, daß un- sere Polizeibeamten in Holland von namhaften Zei- Meine Phantasie reicht nicht aus — und die von tungen als SD-Beamte herabgesetzt werden, wenn Herrn Kohl vermutlich auch nicht —, sich das vor- man liest, daß sich Herr Croissant für die sozia- zustellen. Aber vielleicht geht das dann so, Herr listisch-kommunistische Revolution einsetzt, wenn Strauß, daß Sie sich eines Abends auf die Zinnen man das alles wahrnimmt — die Bilder des armen von Neuschwanstein stellen, sich magisch anleuch- Schleyer, Rote Armee Fraktion, die Grüße der ten lassen, und während unten im Nebel noch die „Rote Armee Japans" —, kann man doch nicht sa- Blaskapelle Wagner spielt, reißen Sie mit einem gen: Das hat mit links nichts zu tun. Ich habe Ach Ruck die Nebeldecke von unserem Land weg, um 3486 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Dr. Ehmke dann — wie Sie es neulich in Amberg so eindrucks- Strukturpolitisch signalisiert dieser Entwurf mit voll formuliert haben — „in den Wirren dieser der Steigerung der Investitionsausgaben um ein Zeit in Deutschland und von Bayern aus die Wende Sechstel eine verstärkte Anstrengung, mit der Hilfe herbeizuführen". öffentlicher Investitionen humanes Wachstum auch (Beifall bei der SPD und der FDP) in der Zukunft möglich zu machen. Diese Doppel- funktion des Haushalts, konjunkturpolitisch auf der Herr Strauß, da wir und andere nicht so recht wis- einen, strukturpolitisch auf der anderen Seite, fin- sen, was - Sie mit uns in diesem Nebel vorhaben, det ihre Entsprechung auf der Einnahmenseite: Dem möchte ich versuchen, diesen Nebel, den Sie heute Einnahmeverzicht zur Stimulierung der Nachfrage verbreitet haben, wieder zu zerteilen, und zwar zu- nach Verbrauchs- wie nach Investitionsgütern steht nächst, was den Haushaltsentwurf der Bundesregie- eine zeitliche Streckung der Konsolidierung der rung betrifft. Haushalte, d. h. eine Ausdehnung der Kreditauf- Dieser Haushaltsentwurf wird in einem Moment nahme zur Deckung des Haushaltsdefizits, gegen- vorgelegt, in dem auf Grund der weltwirtschaftli- über. chen Entwicklung unsere wirtschaftlichen Sorgen si- cher nicht abgenommen haben. Es ist inzwischen Die Sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist klar, daß das Wirtschaftswachstum in der Bundes- sich bei ihrer Zustimmung zu diesem Haushaltsent- republik hinter der Zielprojektion der Bundesregie- wurf natürlich bewußt, daß wir mit diesem Pro- rung zurückbleiben wird. Zugleich hat das Bewußt- gramm unsere Abhängigkeit von der Weltwirtschaft, sein dafür zugenommen, daß — da im Augenblick von dem, was in anderen Teilen der Welt geschieht, die Produktivität schneller steigt als die Produk- was andere Regierungen tun oder aber unterlassen, tion — Wachstum zwar eine unverzichtbare, aber nicht ändern können. Tatsache ist, wir durchleben keine alleine ausreichende Voraussetzung für Voll- eine Krise weltwirtschaftlichen Strukturwandels, beschäftigung ist. die „Rezession" zu nennen man sich angewöhnt hat, ohne damit die Tatsache von 15 Millionen Ar- Das Hohe Haus steht daher in der Diskussion des beitslosen allein in den OECD-Ländern beseitigen zu Haushaltsentwurfs vor der Aufgabe, zu prüfen, ob können. Diese Krise, meine Damen und Herren von der Entwurf und das mit ihm verbundene Programm der Opposition, stellt eine Herausforderung für uns für die Förderung von Wachstum und Beschäftigung alle dar. Sie kann nicht durch Parteipolemik be- konjunkturpolitisch-kurzfristig und strukturpoli- standen werden. tisch-mittelfristig geeignet sind, wirtschaftliches Wachstum anzuregen und uns der Vollbeschäfti- Der Zusammenhang zwischen der Weltwirtschafts- gung, dem obersten Ziel unserer Wirtschaftspolitik, krise und unseren wirtschaftlichen Schwierigkei- wieder näherzubringen. Die Bundestagsfraktion der ten liegt auf der Hand. Der Einbruch der Welt- SPD beantwortet diese Frage mit Ja. Konjunkturpo- rezession im Übergang der Jahre 1974 auf 1975 spie- litisch signalisiert der Bundeshaushalt mit seiner gelt sich in folgenden Zahlen: Der Auftragseingang zweistelligen Steigerungsrate den Übergang zu einer aus dem Ausland sank drastisch, nämlich real um wieder expansiven Haushaltspolitik. Das ist aber 22 %. Dies führte zu einem Rückgang der Export- nur dadurch möglich geworden, meine Damen und quote um 1,5 %, was einem Ausfall von 15 Milliar- Herren, daß wir die Inflationsrate unter 4 % ge- den DM am Bruttosozialprodukt entsprach. Gleich- drückt haben. Herr Strauß, ich weiß wirklich nicht, zeitig stieg die Arbeitslosigkeit um eine halbe warum Sie angesichts der Tatsache, daß dieses Land Million auf über eine Million. Sicher kamen auch eine der niedrigsten Inflationsquoten in der Welt binnenwirtschaftliche Gründe hinzu, z. B. die Sätti- hat, immer noch meinen, uns hier etwas vorwer- gung bestimmter Märkte für langlebige Konsum- fen, uns in diesem Punkt belehren zu müssen. güter. Deswegen darf man aber nicht einfach die (Beifall bei der SPD und der FDP — Unruhe) zentrale Bedeutung des Auslandseinflusses bestrei- ten, wie Herr Strauß es heute erneut getan hat.

Präsident Carstens: Meine Damen und Herren, ich Die Experten der OECD sind 1976 hinsichtlich der bitte Sie, Platz zu nehmen. Ich bitte auch den Herrn Wirtschaftsentwicklung in der Bundesrepublik zu Kollegen Picard, Platz zu nehmen, und um Ihre Auf- dem Schluß gekommen, „daß die Rezession, die die merksamkeit für den Redner. Bundesrepublik 1975 erlebte, zu einem großen Teil ,importiert' war". Im Gegensatz zu diesem Urteil internationaler Fachleute hat Herr Strauß heute Dr. Ehmke (SPD) : Herr Strauß, ich billige durch- erneut seine Propagandathese vertreten, unsere aus das, was Sie zu dem Problem des „stop and go" wirtschaftlichen Schwierigkeiten entsprängen gar gesagt haben. Aber daß die Empfehlungen mit dem nicht der weltwirtschaftlichen Entwicklung. Das Konjunkturverlauf wechseln, das ist ja nun nicht sei nur, so hat Herr Strauß kürzlich auf dem CSU- etwas, was nur für Regierungsmitglieder gilt. Herr Parteitag formuliert, eine „grandiose Ausrede", ein Apel hat es gestern für den Sachverständigenbeirat „Schwindel, der auch aus Kanzlermunde produziert und für wirtschaftliche Institute vorgeführt. Auch nicht wahrer" werde. Läßt man diesen Schimpf- Sie selbst, Herr Strauß, und die Herren von der schwall einmal fort, so reduziert sich, Herr Strauß, Union haben ja vor zwei Jahren noch den finanziel- Ihre These auf die Behauptung, an dem mangelnden len Staatsbankrott angekündigt und wollen heute Wirtschaftswachstum und der Arbeitslosigkeit in auf 15 Milliarden DM Steuern verzichten. der Bundesrepublik sei die Regierung und nicht die (Beifall bei der SPD und der FDP) Weltwirtschaftskrise schuld. Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3487 Dr. Ehmke Nur ist Herr Strauß dabei nicht ganz konsequent. Puerto Rico und London waren erste Ansätze zu Angesichts der engen Verflechtung der Bundes- einer internationalen wirtschaftspolitischen Koope- republik mit der Weltwirtschaft — wir exportie- ration, die ausgebaut, vertieft und schließlich insti- ren bekanntlich etwa ein Viertel unseres Brutto- tutionalisiert werden muß. Sicher, auch die Welt- sozialprodukts — müßte Herr Strauß eigentlich be- wirtschaftsgipfel der westlichen Industriestaaten haupten, die Sozialdemokraten und die sozial- können keine Patentrezepte anbieten. Sie haben liberale Koalition seien überhaupt an der ganzen aber immerhin die Rückkehr in einen Protektionis- Weltwirtschaftskrise schuld. Wir hätten die Welt mus verhindert, der die Wirtschaftskrise nur noch angesteckt und nicht die Welt uns. Wir und nicht vertiefen würde. der Vietnamkrieg seien für die Währungskrise und Es liegt auch auf der Hand, daß die Europäische die weltweite Inflation verantwortlich. Wir und Wirtschaftsgemeinschaft durch diese Krise in ihrer nicht das Preiskartell der OPEC-Staaten hätten die Entwicklung gehemmt worden ist. Das eigentlich Energie- und die Rohstoffmärkte durcheinanderge- Bemerkenswerte, verehrte Kollegen, scheint mir bracht. Wir und nicht die lange wirtschaftliche und aber zu sein, daß und wie die EG diese Krise über- politische Geschichte des Nord-Süd-Verhältnisses haupt überstanden hat. Die Verdienste, die sich seien daran schuld, daß heute der eine Teil der Bundeskanzler Helmut Schmidt auf diesem Felde er- Welt im Elend lebt, während der andere Teil an worben hat, sind unter ernsthaften Leuten unbestrit- mangelnder Kapazitätsauslastung leidet. ten. (Beifall bei der SPD und der FDP) (Beifall bei der SPD und der FDP) Herr Strauß müßte weiter behaupten, wir und Die Opposition kann aber auch das nur schlecht- nicht der weltweite Strukturwandel seien schuld an machen. der weltweit hohen Arbeitslosigkeit. Die Tatsache, Die Bundesregierung ist auch im übrigen welt- daß sich die Bundesrepublik in dieser Weltwirt- wirtschaftlich nicht untätig geblieben. Herr Bun- schaftskrise bisher am besten geschlagen hat — mit desfinanzminister Apel hat das in seiner Rede vom einer der niedrigsten Inflationsquoten und im inter- 27. September vor dem Gouverneursrat des Inter- nationalen Vergleich einer immer noch geringen nationalen Währungsfonds im einzelnen darge- Arbeitslosenquote — müßte Herr Strauß dann als legt. Wir Sozialdemokraten begrüßen die Teil- Zufall ausgeben, falls er sie nicht überhaupt als nahme der Bundesrepublik an der Stärkung der in- Erfolg seiner fulminanten wirtschaftspolitischen ternationalen Wirtschaftsorganisationen, die deren Oppositionsreden ausgeben will. Fähigkeit, zur Entwicklung der Dritten Welt bei- (Beifall bei der SPD) zutragen, entscheidend verbessern sollen. Herr Strauß unterschätzt auch hier wieder einmal (Beifall bei der SPD) die Intelligenz unserer Bürger. Der gesunde Men- Wir Sozialdemokraten danken in diesem Zusam- schenverstand sagt den Bürgern draußen, daß die menhang auch Herrn Bundesaußenminister Gen- These von Herrn Strauß, nicht die Weltwirtschafts- scher für seine große Rede zum Nord-Süd-Konflikt krise, sondern die Regierung sei schuld an unseren vor den Vereinten Nationen. wirtschaftlichen Schwierigkeiten, trotz des Wort- (Beifall bei der SPD und der FDP) schwalls, in den er diese Behauptung jeweils zu kleiden pflegt, einfach Unsinn ist. Wir Sozialdemokraten begrüßen außerdem die über die Anhebung der internationalen Mittel weit (Beifall bei der SPD und der FDP) hinausgehende Steigerung des Ansatzes für den Herr Strauß, aus Ihnen spricht der Geist, der stets Einzelplan 23, die mit 22 % der doppelten Steige- verneint. rungsrate des Gesamthaushalts entspricht. Unseren (Beifall bei der SPD) Bürgern erscheint Entwicklungshilfe oft immer noch so, als ob ihr sauer verdientes Geld an andere, fer- Ich hielte es für sinnvoller, wir würden gemein- ne Länder verschenkt würde. Unseren Bürgern sei sam von der Tatsache der Weltwirtschaftskrise aus- noch einmal gesagt, daß diese Hilfe zur Selbsthilfe gehen, deren binnenwirtschaftliche Aspekte analy- für die Dritte Welt im Kreislauf der Weltwirtschaft sieren — zu denen übrigens auch die von den gerade uns als exportabhängigem Land wieder zu- Unionsparteien verhinderte rechtzeitige Anpassung gute kommt. des D-Mark-Wechselkurses gehörte — (Beifall bei der SPD und der FDP) (Beifall bei der SPD und der FDP) Wir handeln hier im wohlverstandenen Eigeninter- und würden uns dann darüber streiten, ob die Bun- esse. Aufträge von draußen sind Arbeitsplätze drin- desregierung die richtigen Maßnahmen ergriffen hat nen. Aus den Reihen der Opposition aber erleben und ob das, was sie vorschlägt, zusätzlich Nutzen wir den Versuch, gegen die Entwicklungshilfe Vor- bringen kann. Gehen wir diese Maßnahmen der urteile zu schüren. Bundesregierung doch einmal durch. Hinsichtlich der übernationalen Maßnahmen zur Die Situation, in der wir uns heute befinden, un- Ankurbelung der Wirtschaft möchte ich für meine terscheidet sich von der Weltwirtschaftskrise der Fraktion schließlich den von seiten der SPD gemach- dreißiger Jahre, die zum Zusammenbruch der ersten ten Vorschlag unterstützen, ein Solidaritätspro- deutschen Demokratie führte, politisch vor allem gramm für Südeuropa aufzulegen. Ein solches Pro- durch die Tatsache einer engen politischen Abstim- gramm soll der Tatsache Rechnung tragen, daß mit mung zur Überwindung dieser Krise. Rambouillet, der politisch notwendigen Aufnahme der drei vom 3488 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Dr. Ehmke Faschismus befreiten Länder Südeuropas — Grie- Herr Strauß, gestatten Sie mir eine Bemerkung zu chenland, Portugal und Spanien — die EG aus einem dem, was Sie dem Herrn Kollegen Friderichs gesagt Club von Industriestaaten zu einer Gemeinschaft haben. Wenn in dieser Situation ein Mann vom von Industrie- und Entwicklungsländern werden Kaliber von Herrn Friderichs auf den Posten geht, wird. Ein solches Programm für Südeuropa müßte den vorher der von Terroristen erschossene Jürgen eng mit der EG-Mittelmeerpolitik abgestimmt wer- Ponto innegehabt hat, dann halte ich es für unwür- den und könnte durch ein spezielles Programm für dig, diesen Mann hier vor dem Hohen Haus der die Türkei ergänzt werden. politischen Fahnenflucht zu beschuldigen. Hinsichtlich der Finanzierung eines solchen Pro- (Beifall bei der SPD und der FDP) gramms scheint uns ein vom Direktor der Hambur- Was das Mittelstandsprogramm betrifft, so hat ger Landesbank, Herrn Fahning, für den Verband Kollege Friderichs vor kurzem in den „Bonner Per- der Öffentlichen Banken gemachter Vorschlag be- spektiven" mit Recht darauf hingewiesen, daß das, sondere Aufmerksamkeit zu verdienen. Er sieht vor, was Sie als Mittelstandsgesetzentwurf vorgelegt ha- Teile der Währungsreserven der wohlhabenden ben, meine Herren von den Unionsparteien, doch Länder über einen bei der Europäischen Investi- nur der Versuch ist, das zu kopieren, was wir im tionsbank zu bildenden Fonds für Zwecke der Wirt- Mittelstandsprogramm praktisch bereits gemacht ha- schaftsbelebung zu mobilisieren. So etwas diskutie- ben. ren die Oppositionsparteien natürlich nicht. Ihnen (Beifall bei der SPD und der FDP) fällt immer nur eins ein: die staatliche Verantwor- tung für die Wirtschaft abzubauen. Nun kann man sich in aller Ruhe darüber unter- halten, daß es in der Tat große Schwierigkeiten für (Beifall bei der SPD und der FDP) die mittelständische Wirtschaft gibt, vor allen Din- Damit komme ich zu den binnenwirtschaftlich gen im Vergleich mit den Großunternehmen. Herr strukturpolitischen Aspekten des Haushaltsentwurfs Strauß, ich stimme Ihnen zu: Das gilt vor allem auch und des mit ihm verbundenen Programms zur Förde- für die Kreditmöglichkeiten. Aber das hat viele rung von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Gründe. Bei uns im Württembergischen ist z. B. einer Zum 16-Milliarden-Programm für den Ausbau einer der Gründe, daß wir viele Betriebe haben, die im modernen Infrastruktur will ich hier nicht noch ein- Familienmanagement geführt werden, obwohl das mal Stellung nehmen. Derartige mehrjährige Sonder- nicht mehr ausreicht — nicht deshalb, weil die Leute programme für Investitionen können zu einer Ver- schlecht sein müssen, sondern deshalb, weil die Be- stetigung der öffentlichen Investitionstätigkeit füh- triebe in den Jahren des wirtschaftlichen Wachstums ren, die sonst zu leicht Opfer des Auf und Ab der nach dem Krieg über die Größe hinausgewachsen Konjunktur und auch der Konjunkturpolitik wird. sind, die noch im Familienmanagement geführt wer- Nach anfänglichen Schwierigkeiten hat- das Pro- den kann. Jede Bank in Baden-Württemberg erzählt gramm zu laufen begonnen. Das entbindet uns aller- Ihnen, welche Probleme es da gibt. Dann haben Sie dings nicht von der Notwendigkeit, die Gründe der das Problem, daß nicht genügend Sicherheiten da anfänglichen Verzögerungen aufzuspüren, die offen- sind. Weiter haben Sie das Problem, das wir durch bar in einer föderativen Überbürokratisierung lie- Beratung zu lösen suchen, daß nämlich keine Uber- gen, zum Teil jedenfalls, und diese Gründe zu be- sicht da ist, jedenfalls nicht so wie bei den Großen. seitigen. Der Haushaltsentwurf 1978 bringt darüber Nur eines müssen Sie doch zugeben, meine Damen hinaus eine wesentliche Steigerung der Investitio- und Herren von der Opposition: Das sind Folgen nen des Bundes einschließlich der Investitionen der des Marktes. Es ist in unserer vermachteten Wirt- Bundespost. Wir appellieren von hier aus eindring- schaft eben nicht so, daß Tüchtigkeit und Leistung lich an Länder und Gemeinden, dem Beispiel des automatisch honoriert werden. Das ist eben nicht Bundes zu folgen und nicht durch Attentismus den der Fall! Und ich sage Ihnen: Wer das korrigieren Erfolg dieses Programms zu gefährden. will, darf nicht gleichzeitig den Markt, einschließlich seiner Ungerechtigkeiten, für tabu erklären. (Beifall bei der SPD und der FDP) (Beifall bei der SPD) Der Haushaltsentwurf sieht auch erhebliche zu- sätzliche Mittel für besondere Investitionspro - Hier bestehen auf seiten der Unionsparteien Dop- gramme vor. Das gilt z. B. für das Sozial- und Re- pelzüngigkeiten, die sich der Mittelstand genauer gionalprogramm des sozialen Wohnungsbaus wie anschauen sollte. für den Schiffbau. Es gilt für die Förderung des Das gilt auch in folgendem Zusammenhang: Wer Energiesparens (Wärmedämmung, Wärmepumpen, den vielfältigen staatlichen Förderungs- und Investi- Sonnenkollektoren), wie für die Förderung der pri- tionsprogrammen zustimmt, kann nicht gleichzeitig, vatwirtschaftlichen Forschung. Außerdem sollen die wie Herr Strauß es tut, die Vorschläge der Sozial- ERP-Mittel für das Existenzgründungsprogramm für demokraten für eine besser abgestimmte Beeinflus- Selbständige verdoppelt werden. sung der Investitionen durch eine gesamtwirtschaft- Die zuletzt genannte Tatsache ist neben vielen liche Rahmenplanung, durch regionale und sektorale bereits beschlossenen Maßnahmen in den Bereichen Strukturpolitik für verwerflich erklären. Warum des Kartellrechts, des Steuerrechts, der Forschung, können wir uns in diesem Hause nicht einmal in der Beratung und der direkten Hilfe ein weiterer Ruhe über die Probleme unserer Industrie- und Baustein im Mittelstandsprogramm der soziallibera- Wirtschaftsstruktur unterhalten, auch wenn wir len Koalition, um das sich der scheidende Kollege nachher vielleicht zu verschiedenen Lösungsvor- Friderichs besondere Verdienste erworben hat. schlägen kommen? Herr Strauß, Ihre wirtschafts- Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3489

Dr. Ehmke politischen Reden sind doch gespenstisch! Sie ver- ralismus mit der katholischen Soziallehre vereinbar breiten hier seit Monaten Lehrbuchweisheiten über sei. Leistungswillen, Investitionen, Steuersenkung, über (Beifall bei der SPD und der FDP) die angeblich wundersame Heilswirkung einer nie- Herr Kohl, Sie machen ein so schmerzverzerrtes Ge- drigen Staats- und Sozialquote. Aber auf das, was sicht. unsere Wirtschaftslage seit dem Einbruch der Welt- (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Es ist bestürzend, daß wirtschaftskrise kennzeichnet, nämlich die starken ein Professor so einen politischen Unsinn Unterschiede in der Branchenentwicklung, gehen Sie daherredet!) nie mit einem Wort ein. Ich darf Ihnen einmal einen Ratschlag geben: Sie (Beifall bei der SPD und der FDP) können diese Grundwertediskussion in der CDU Tatsache ist aber: Die Automobilindustrie ist im schnell beenden, wenn Sie einmal die päpstlichen Boom, während die Stahlindustrie unten ist. Tat- Enzykliken lesen. sache ist: Die Uhrenindustrie ist in der Krise, zum (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Ausgerechnet Teil deshalb, weil sie manches an elektronischer Sie! Haben Sie die überhaupt schon einmal Innovation verpaßt hat. Die Elektronik entwickelt gelesen?) sich ihrerseits gut, bringt aber mit den Mikroprozes- Aus denen ergibt sich nämlich, daß Ordoliberalis- soren große Beschäftigungsprobleme für die Geräte- mus und katholische Soziallehre nicht miteinander und Maschinenbau-Industrie mit sich. Was sollen vereinbar sind. denn da Ihre Verallgemeinerungen! Die haben mit dem, was in diesem Lande wirtschaftlich vor sich (Beifall bei der SPD und der FDP) geht, überhaupt nichts zu tun. Meine Damen und Herren, die Strukturfragen sind (Beifall bei der SPD und der FDP) kein Spielfeld der SPD, wie Herr Strauß das darstel- len will. Die Bundesrepublik wird sich mit ihnen viel- Sie sind denn ja auch eigentümlich widersprüchlich: mehr besonders beschäftigen müssen, weil bei uns der Auf der einen Seite beklagen Sie die hohen Lohn- Anteil des Industriesektors mit am höchsten in der kosten. Die sind sehr hoch. In einem Land mit einem Welt ist. Wir werden daher von dem Strukturwan- hohen Lebensstandard kann das auch nicht anders del, der in der Welt vor sich geht, besonders betrof- sein. Wir brauchen auch eine maßvolle Lohnpolitik. fen sein. Dann muß man die Gewerkschaften aber auch so behandeln, daß man sie dazu ermutigt, auf dem bis- Die Unsicherheit der Unternehmer beruht heute herigen Wege fortzufahren, und darf man nicht das im wesentlichen auf der Unsicherheit über die Ent- tun, was Sie hier heute gemacht haben. Wenn die wicklung der Weltmärkte. - Löhne seit langem zu hoch wären, wie Sie offenbar (Zuruf des Abg. Dr. Barzel [CDU/CSU]) unterstellen, wie erklären Sie dann den Erfolg unse- rer Exportindustrie, den Sie gerade herausgestellt Es gibt natürlich auch Unternehmer, die von Herrn haben? Strauß verunsichert sind. Aber meiner Hochachtung (Beifall bei der SPD und der FDP) vor deutschen Unternehmern entspricht es, daß ich diesen Faktor hier statistisch vernachlässige. Und was heißt denn: Die Liquidität sei nicht am rich- tigen Platz? Im März haben Sie uns hier erzählt, das (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der Problem bestehe darin, daß die Unternehmen Geld FDP) aus den Betrieben herausnähmen, um es ins Anla- Es besteht Unsicherheit über die Rohstoff- und Ener- gengeschäft zu stecken, weil die Rendite für festver- giemärkte, über die Absatzmärkte, über das Ausmaß zinsliche Wertpapiere höher sei als die Kapitalren- und die Richtung zukünftiger Bedarfs- und Nach- dite. Was ist denn nun eigentlich wahr? Oder geht frageentwicklungen. Anders als diejenigen, die aus das immer nur so, wie es Ihnen in Ihre Argumen- der Marktwirtschaft eine Ideologie machen, sind tation paßt? Unternehmer und Investoren deshalb an allem inter- (Beifall bei der SPD und der FDP) essiert, was ihnen die Einschätzung künftiger Märkte und künftiger Entwicklungen erleichtern könnte. Die Ich bin also der Meinung, wir sollten über die Bundesregierung hat aus diesem Grund mit Recht Strukturfrage — da hat ja niemand die Weisheit in der Regierungserklärung vom Herbst 1976 die mit Löffeln gegessen — in Ruhe reden. Das im Auf- Notwendigkeit der Strukturpolitik und des Ausbaus trag der Bundesregierung und der niedersächsischen des strukturpolitischen Instrumentariums unterstri- Landesregierung erstellte Prognos-Gutachten über chen. Vor- und Nachteile von Steuerungsinstrumenten in Strukturkrisen wäre dafür z. B. ein guter Ansatz- In diesem Rahmen, Herr Strauß, ist auch unser punkt. Vorschlag zu sehen, zur Erörterung strukturpoliti- scher Fragen die autonomen Gruppen und die öffent- Herr Strauß, Sie haben vorhin gesagt, es wäre lichen Hände an einen Tisch zu bringen. ganz schlimm: auch die FDP diskutiere nun diese Probleme. Das ist eben eine offene Partei. Wir dis- Ich bin bestürzt, daß Sie Ihren lieben CDU-Kolle- kutieren doch nur Probleme, die auch bestehen. Wir gen Kiep des Spätmarxismus bezichtigt haben. Als können doch nichts dafür, daß die CDU nach 30 Jah- Sie vorhin so gegen die Strukturräte donnerten, habe ren in Berlin nun glücklich wieder bei der Grund- ich nämlich gedacht, Sie hätten die heutige Mel satzdiskussion darüber gelandet ist, ob der Ordolibe dung der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vor 3490 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Dr. Ehmke Augen, die da heißt: „Kiep fordert einen Struktur- ster das erste Energiesparprogramm in diesem Hau- rat." se eingebracht habe. Das zweite ist, daß wir uns auf (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der die Entwicklung von Alternativenergien konzentrie- FDP) ren müssen. Die Kernenergie bleibt umstritten. Das ist eben ein sehr vernünftiger Mann, der Herr (Zuruf von der CDU/CSU: Bei wem? — Dr. Kiep. Kohl [CDU/CSU]: Dann sagen Sie doch ja (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Über diese Argumen zur Kernenergie!) tation kann man nur lachen!) — Aber Sie müssen doch nicht reden. Sie sind doch — Da kann man nicht lachen! Sie lachen nur, weil auch hier wieder eine Partei, die alles bietet, Herr Sie weder uns noch Herrn Kiep gelesen haben, Herr Kohl: Strauß auf der einen Seite und Gruhl auf der Kohl. anderen Seite. (Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. (Beifall bei der SPD — Dr. Kohl [CDU/CSU] : Kohl [CDU/CSU] : Über so billige Verfäl Dann sagen Sie doch ja zur Kernenergie! schungen kann man nur lachen!) Sie sind doch zu feige dazu!) Herr Strauß, ich gebe natürlich zu, daß nicht jede Wir sagen zunächst einmal, daß in diesem Bereich Sitzung solcher Beratungsgremien zu zusätzlicher der Kernenergie, in den Milliarden von Forschungs- Erleuchtung führt. Das haben solche Beratungsgre- geldern gegangen sind und der die Zukunft folgen- mien mit Direktionsetagen gemeinsam. Sicher brau- der Generationen mitbestimmen wird, nach der ei- chen wir daher auch einen Ausbau unserer Analyse- nen wie nach der anderen Seite, wohl eines als und Prognosekapazität. Aber die gemeinsame Be- Grundsatz klar sein muß, nämlich daß in diesem Be- ratung — und da stimme ich Herrn Kiep zu — könn- reich die Investitionen der Politik und nicht die Po- te sowohl für das Finden als auch für das gemein- litik den Investitionen zu folgen hat. same Tragen einer Strukturpolitik von großer Be- (Beifall bei der SPD) deutung sein. Streiten wir doch um die beste Politik! Herr Kohl, haben nicht zuletzt wegen dieses Ge- (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Machen Sie doch dankens der demokratischen Teilhabe an den das mal Politik!) gemeinsame Leben bestimmenden Entscheidungen alle drei Fraktionen dieses Hohen Hauses dem Mit- — Damit, daß Sie reden, ist noch keine Politik ge- bestimmungsgesetz zugestimmt? Und haben wir macht. nicht mit dieser Zustimmung dem alten kapitalisti- (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Aber daß Sie reden! schen Grundsatz, daß Kapitalbesitz allein wirt- Sie sind doch zu feige, ja zur Kernenergie schaftliche Entscheidungs- und Verfügungsgewalt - zu sagen! — Weitere Zurufe von der CDU/ legitimieren könne, eine im sozialen Verständnis CSU) der Demokratie begründete Absage erteilt? — Ich freue mich ja, Herr Kohl, daß Sie sich auf (Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf diese Frage vorbereitet haben und darum jetzt auf- des Abg. Dr. Barzel [CDU/CSU]) wachen. Aber nur mit der Ruhe! Lassen Sie mich Die Klage von Wirtschaftsverbänden und Groß- doch einmal ausreden! Wir sagen bis jetzt folgendes unternehmen gegen das Mitbestimmungsgesetz ist in dieser Angelegenheit — — kurzsichtig und verantwortungslos. (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Sagen Sie doch ja!) (Beifall bei der SPD und der FDP) Wir sagen, daß das, was an Kernkraftwerken da ist, Wir stellen dem unsere Überzeugung entgegen, daß fortgeführt werden soll — wenn Sie den PV-Be- die demokratischen Industriestaaten ohne eine Aus- schluß meinen —, und daß das, was im Bau ist, zu dehnung der demokratischen Teilhabe, und zwar Ende gebaut werden soll. sowohl an den Gütern — einschließlich der Beteili- (Dr. Barzel [CDU/CSU] : Was ist denn PV? gung am Produktivvermögen — als auch an der Sagen Sie das doch in deutsch!) wirtschaftlichen Entscheidungs- und Verfügungsge- — Sie fragten mich doch nach der Meinung der So- walt, schon mittelfristig nicht mehr regierbar sein zialdemokratischen Partei, verehrter Herr Kollege werden. Barzel? (Beifall bei der SPD) (Dr. Barzel [CDU/CSU] : Was ist PV?) Ich selbst bin übrigens der Meinung, daß das lang- — Der Parteivorstand. Herr Barzel, ich freue mich, fristig auch für die Industriestaaten des Ostens gel- daß ich Sie habe belehren können. ten wird. (Dr. Barzel [CDU/CSU]: Na, na!) Das, was im Bau ist, soll zu Ende gebaut werden, wenn die Entsorgung vertraglich gesichert ist. Herr Kollege Strauß, Sie haben in diesem Zusam- menhang — völlig zu Recht — auch die Energie- Jetzt sagen wir zu der dritten Frage — nun hö- frage angeschnitten. In der Energiepolitik haben wir ren Sie gut zu —: Bevor wir neue Kernkraftwerke große Fortschritte gemacht, denn statt einfach Zu- genehmigen — das ist auch die Politik der Bundes- wachsraten blind fortzuschreiben, sind wir uns in- regierung —, soll die Entsorgungsfrage geklärt wer- zwischen über zwei große Aufgaben einig. Das erste den. Da sagen wir: Hier wollen wir die erste Teil- ist das Energiesparen. Ich weiß noch, wie Sie ge- rechtsgenehmigung für das integrierte Entsorgungs- guckt haben, als ich seinerzeit als Forschungsmini- zentrum. Sie sagen, das sei ein Widerspruch zu der Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3491 Dr. Ehmke Regierung. Da sage ich nur: Das wird sich ja noch heit, Sicherheit im nuklearen Bereich, Flugsicherung herausstellen. sowie Bundeswehr-Krankenhäuser und -Hochschulen (Lachen bei der CDU/CSU — Dr. Kohl vor. Hinzu kommt die Personalaufstockung in der [CDU/CSU] : Ja, das ist wahr!) Bundesanstalt für Arbeit um 1 600 Stellen für Berufs- berater und -vermittler. — Nein, Herr Kohl, so leicht kommen Sie da nicht heraus. Was hier als Bedingung gefordert wird, ist Wir bitten Länder und Gemeinden dringend, in ja kein Moratorium. ihren Bereichen, d. h. in den Bereichen der inneren Sicherheit, der Schulen — vor allem der berufs- (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Doch!) bildenden Schulen — und der sozialen Dienste für Das ist eine Sicherstellung der Entsorgung. Wie junge, alte und behinderte Menschen, dieser Perso- lange das dauert, hat nur einer in der Hand: der nalpolitik des Bundes zu folgen. CDU-Ministerpräsident von Niedersachsen. (Beifall bei der SPD und der FDP) (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe Fragen der Verkürzung der Arbeitszeit sind zu- von der CDU/CSU) sammen mit der Regelung von Lohn- und Urlaubs- — Ja, ich kenne das. Ihre Doppelzüngigkeit — von fragen Sache der Tarifvertragsparteien. Arbeitszeit- Strauß bis Gruhl — setzt sich hier fort: Auf der verkürzungen werden schon angesichts der Steige- einen Seite treten Sie als die großen Verfechter der rungsrate der Produktivität auch in Zukunft sowohl Kernenergie auf; das ist dann ja vielleicht auch ganz möglich als auch notwendig sein. Meine Damen und gut für die Wahlkampfkasse. Aber auf der anderen Herren, stellen wir uns doch einmal vor, wie unser Seite wagen Sie es doch nicht, in Gorleben Ent- Arbeitsmarkt heute aussähe, wenn wir seit Kriegs- scheidungen zu treffen, bevor die Kommunalwahl ende die Arbeitszeit nicht in mehreren Schritten von stattgefunden hat. Das ist doch das eigentliche Pro- 48 'Stunden auf 40 Stunden zurückgeführt hätten. blem. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD — Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Der Kanzler hat doch Sorgen Andererseits ist aber zu bedenken, daß wir schon mit Ihnen!) wegen der Erwartungen, die andere ärmere Völker an uns stellen, nur schrittweise vorgehen können Kümmern Sie sich doch darum, erst einmal zu einer und daß dieses Vorgehen auch nur in großer Flexi- eigenen Linie zu kommen, statt sich unsere Sorgen bilität erfolgen kann, weil die Wirtschafts- und Be- zu machen. Wir werden mit unseren Sorgen schon schäftigungslage in verschiedenen Branchen ganz allein fertig. unterschiedlich ist und ja auch die Struktur der Ar- (Beifall bei der SPD) - beitssuchenden eine sehr große Konpliziertheit und Ich sage als jemand, der glaubt, daß wir jetzt nicht Differenziertheit aufweist. auf Kernenergie verzichten können, noch eines: Man Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik werden die muß die Sorge der Menschen draußen ernst nehmen. speziellen Arbeitsbeschaffungs- und Ausbildungs- (Beifall bei der SPD) programme mit verstärkten Mitteln fortgeführt, Wenn hier Regierungspolitik und Bürger aneinan- und zwar vor allem für jugendliche Arbeitslose. Wir dergeraten, kann man diesen Konflikt nicht frei begrüßen es, daß für Jugendliche ohne Ausbildungs- nach Brecht lösen, indem man sagt: Wenn Regie- oder Arbeitsplatz nach dem gerade vorgelegten Be- richt der Bund-Länder-Kommission für Bildungs- rung und Volk aufeinanderstoßen, muß man das planung im Jahre 1977/78 100 000 Plätze bereitstehen Volk auflösen. werden. Der Bund hat seinerzeit den Ausbau der Be- (Zuruf von der CDU/CSU: Die Regierung!) rufsschulen durch die Bereitstellung von 650 Mil- lionen DM gefördert. Von den Unternehmern erwar- So geht das nicht. Ich sage Ihnen: Sie reden doch ten wir, daß sie ihr zwecks Vermeidung der Aus- nur Papier. Es muß aber eine Politik gemacht wer- bildungsplatzabgabe gegebenes Versprechen, zu- den, in der man auch dafür sorgt, daß psychologisch sätzliche Arbeitsplätze zu schaffen, voll erfüllen. in diesem Lande keine weiteren Barrieren aufge- baut werden, damit nicht auf jedem Bauplatz das (Beifall bei der SPD) passiert, was in Kalkar geschehen ist, so daß dann Umgekehrt macht der Bund nicht nur Anstrengun- überhaupt nichts mehr auf diesem Gebiet zu machen gen im eigenen Bereich, sondern er fährt auch fort, ist. den Unternehmen und den Privathaushalten zu hel- (Beifall bei der SPD) fen. Was die Steuererleichterungen für Unternehmer Im übrigen setzt die Überwindung der Krise nicht angeht, so habe ich vorhin bereits auf die konjunk- nur voraus, daß wir mit dem Wandel der Industrie- tur- als auch strukturpolitisch motivierten besonde- und der Energiestruktur fertigwerden, sondern mit ren Investitionszulagen hingewiesen. Außerdem ist dem der Wirtschaftsstruktur insgesamt und das hier die Steuerfreiheit der Ausbildungsplatzabgabe heißt auch mit der sich verschiebenden Relation zu nennen, die die Schaffung zusätzlicher Ausbil- zwischen Industriesektor und Dienstleistungssektor. dungsplätze fördern soll. In der allgemeinen Steuer- Der öffentlichen Hand kommt auf dem komplexen politik treten neben das Carry-back, die Anhebung Dienstleistungssektor besondere Verantwortung zu. der Gewerbesteuerfreibeträge und die Senkung der Vermögensteuer die Verbesserung der Abschreibe- Der Haushaltsentwurf 1978 sieht Personalverstär- bedingungen durch die Anhebung der degressiven kungen des Bundes in den Bereichen Innere Sicher AfA. Soweit dies gezielt erfolgt — wie z. B. bei der 3492 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Dr. Ehmke Wiedereinführung der degressiven Gebäudeabschrei- unumwunden zu, daß die Instrumentalisierung der bung —, scheint mir dies konjunkturpolitisch über- Steuerpolitik für Zwecke der Konjunkturpolitik im zeugender zu sein als eine allgemeine Maßnahme. Laufe der Jahre — nicht nur in den Jahren, in denen wir regieren — die Konsistenz der Steuerpolitik Strukturpolitisch wird man die Frage der Steuer- sicher nicht erhöht hat. Dieses Problem sehe auch entlastung der Unternehmen allerdings auch unter ich. Dies ist aber ein Problem, für das noch keiner dem Gesichtspunkt des Standortwettbewerbs in Eu- von uns eine Lösung hat. ropa sehen müssen. Dies erfordert einen komplexen Vergleich der Standort-Vor- und -Nachteile. Die Bun- Das Steuerpaket stellt, sozial gesehen, meines desrepublik muß jedenfalls als Industriestandort Erachtens eine gerechte Regelung und eine erheb- attraktiv bleiben. Im europäischen Rahmen muß da- liche Steuerentlastung für die Arbeitnehmer dar. für gesorgt werden, daß im Standortwettbewerb der Wer das bestreitet, Herr Strauß, zeigt nur, daß ei EG-Staaten nicht Unsitten einreißen — wie Steuer- sich nicht recht darüber klar ist, was solche Beträge erleichterungen, Minderungen des Umweltschutzes für einen Arbeitnehmerhaushalt bedeuten. Mich usw. —, wie wir sie binnenwirtschaftlich aus der wundert es allerdings nicht, daß dies bestritten wird, Konkurrenz von Gemeinden bei der Industrieansied- nachdem ich neulich gelesen habe, daß Sie, Herr lung hinreichend kennen. Strauß, in Ihrer Parteitagsrede in München gesagt haben, Sie seien sowieso der Meinung, soziales Für die treten neben die bereits Privathaushalte Wohlbefinden sei — so wörtlich — „nur eine UNO- beschlossene Erhöhung der Sonderausgaben-Höchst- Phrase". beträge ab 1. Januar 1978 und die Erhöhung des Kin- dergeldes schon zu Weihnachten dieses Jahres — Insgesamt komme ich zu dem Ergebnis, daß der nach unserem Willen jedenfalls — die Erhöhung des Haushaltsentwurf finanzpolitisch solide und daß er Weihnachtsfreibetrages von 100 auf 400 DM sowie konjunktur-, struktur- und beschäftigungspolitisch eine nicht unwesentliche Anhebung des Grundfrei- ein vernünftig koordiniertes Maßnahmenbündel zur betrages. Diese Anhebung des Grundfreibetrages, Bekämpfung der Wirtschaftskrise und der Arbeits- die Sie nicht mitmachen wollen, so daß das Steuer- losigkeit darstellt. Meine Damen und Herren, eine paket und die Steuerentlastung für den Bürger auf- solch nüchterne Politik verdient mehr Vertrauen als gehalten werden, der demagogische Versuch des Ausschlachtens einer (Zustimmung bei der SPD) Weltwirtschaftskrise für eigensüchtige Machtinter- essen. ist konjunkturpolitisch das einzig Vernünftige, weil (Beifall bei der SPD) sie nämlich Kaufkraft dort stärkt, wo Bedarf besteht, nicht aber bei den Einkommensgruppen, die die Ich komme jetzt zu einem Einzelposten des höchsten Sparquoten aufweisen. Haushaltsentwurfs, hinter dem eines der uns heute (Beifall bei der SPD) am meisten bedrückenden Probleme steht. Die Arbeitslosigkeit ist ja nicht das einzige Problem, Wenn Sie sich dagegen wehren, so hat dies doch das uns bedrückt, der Terrorismus ist genauso be- nichts mit Konjunkturpolitik, sondern nur etwas mit drückend. Die Bundestagsfraktion der SPD hat der Tatsache zu tun, daß Ihnen die Bedienung Ihrer nach dem Kölner Terroranschlag erklärt, daß sie eigenen Klientel wichtiger ist als die Konjunktur- parteipolitische Polemik in einer solchen Situation politik. für würdelos hält. Wir haben unsere Ansicht nicht (Beifall bei der SPD) geändert. Wir werden auch weiterhin die Selbst- Herr Strauß, ich möchte Sie, obgleich Sie gerade ein disziplin üben, die die Lage gebietet. Die Menschen Telefongespräch führen, hier ansprechen. Sie haben in unserem Lande wollen nach Meinung der SPD in gesagt, das, was in dem Papier der SPD-Orientie- dieser Frage nicht einen Sieg der Opposition über rungsrahmen-Kommission im Hinblick auf die Pri- die Regierung oder der Regierung über die Oppo- märeinkommen vorgeschlagen worden sei, sei ein sition, sie wollen vielmehr einen Sieg des demo- Nivellieren. Meine Damen und Herren von der CDU kratischen Rechtsstaats über den Terrorismus. und CSU, erklären Sie mir einmal, wie Sie dann, (Beifall bei der SPD und der FDP) wenn wir nicht zu einer größeren Gerechtigkeit — keineswegs zu einer Gleichheit, wohl aber zu einer Der Einzelplan des Bundesministers des Innern größeren Gerechtigkeit im Sinne der Anhebung der sieht eine weitere technische und personale Ver- unteren Einkommen — bei der Verteilung der Pri- stärkung der Sicherheitsorgane vor. Der Ansatz märeinkommen kommen, Ihre Vorstellungen auf so- 1978 sieht 150 Millionen DM zusätzlich vor. Der zialstaatlichem Gebiet verwirklichen wollen. Haushaltsentwurf setzt damit die von der sozial- (Beifall bei der SPD) liberalen Koalition 1969 begonnene Politik des Wir können Ausgleichsleistungen für zu geringes Ausbaus unserer Sicherheitsorgane fort, ohne die Primäreinkommen doch nicht einfach unterlassen und schon die 1972 erfolgte Zerschlagung der ersten ter- die Leute ihrem Schicksal überlassen. Wir sind viel- roristischen Organisation gar nicht möglich gewe- mehr dafür, daß man die Primäreinkommen so ver- sen wäre. teilt, daß ein Teil der Menschen, die heute auf staat- Terroristenbekämpfung ist allerdings auch im liche Leistungen angewiesen sind, von ihrem Ein- kriminalpolitischen Bereich nicht alleine eine Sache kommen aus eigener Kraft leben können. der finanziellen Mittel, sondern vor allem eine (Beifall bei der SPD) Sache der Verbesserung der Organisation. Fahn- Daß dieses Steuerpaket die Tarifkorrektur nicht er- dungspannen zeigen, daß wir mehr zentrale Lei- setzt, liegt auf der Hand. Herr Strauß, ich gebe auch tungs- und Weisungsbefugnisse und daß wir eine Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3493 Dr. Ehmke Straffung des Informationssystems dringend brau- Dann gebe ich Ihnen einmal einen Ratschlag: Un- chen. Das gilt gerade auch im Verhältnis von Bun- ser Kollege ist von den Nationalsozia- des- und Landesbehörden. listen ins Zuchthaus geworfen worden. Vielleicht unterhalten Sie sich einmal mit Egon Franke, bevor Wir haben 1972 den einen Fehler gemacht — auf wir weiter darüber reden, was er von der Effektivi- den anderen, den politischen, komme ich noch —, tät einer Überwachung solcher Gespräche hält. Bei die Zentralisierung der Fahndung, die gegenüber ihm haben nicht irgendwelche mit der Sache nicht den Terroristen zum Erfolg geführt hatte, wieder vertrauten Gerichtsassessoren gesessen, sondern ge- rückgängig zu machen. Wir sollten diesen Fehler schulte Gestapo-Beamte. nicht wiederholen, nachdem wir nach dem Kölner Terroranschlag die Fahndung wieder zentralisiert (Abg. Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] meldet haben. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion sich zu einer Zwischenfrage) bittet daher die Oppositionsparteien dieses Hauses — Nein, ich möchte fortfahren, Herr Kollege Vogel. sehr herzlich, ihre Vorschläge zur Verstärkung der Aufgaben und Befugnisse des Bundeskriminalamts (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Unerträglich!) und des Bundesgrenzschutzes sowie zur Vereinheit- — Es ist gar nicht unerträglich. lichung des technischen Polizeiapparates unvorein- (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Hier einen Vergleich genommen zu prüfen. Wir sind erstaunt darüber, mit der Gestapo einzuführen, ist doch un daß in den umfangreichen Vorschlagskatalogen der erträglich, Herr Ehmke!) CDU/CSU keine Vorschläge auf diesem für die Ef- fektivität der Fahndung zentralen Gebiet enthalten — Herr Kohl, ich kann ja nichts dafür, daß Sie von sind. Wir hoffen, aus einer skeptischen Bemerkung den Dingen nichts verstehen. in dem Papier Ihrer Fraktion vom 29. September (Beifall bei der SPD — Dr. Kohl [CDU/CSU]: 1977 nicht auf eine grundlegend ablehnende Haltung Was Sie hier machen, ist ein Skandal!) schließen zu müssen. — Sie sind nicht in der Lage, überhaupt nur den Weitere Versäumnisse in diesem zentralen Be- Gedanken nachzuvollziehen. Ein Skandal? Überle- reich der Fahndung können durch stramme Haltung gen Sie erst einmal, was Sie gesagt haben. im Bereich des Strafrechts nicht ersetzt werden. (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Ihre eigene Regie (Beifall bei der SPD und der FDP) rung macht diesen Vorschlag, und Sie zie Zumal auf strafrechtlichem Gebiet nach den vielen, hen den Vergleich mit der Gestapo! Uner vielen Gesetzen — Luftpiraterie, terroristische Ver- träglich!) einigung, erpresserischer Menschenraub, Geisel- Ich sage, da saßen Leute, die geschult waren, und nahme usf. —, die wir in den letzten sechs- Jahren man konnte sie trotzdem überspielen. Sie sollten auf diesem Gebiet erlassen haben, zwar durchaus sich erst einmal mit der Sache vertraut machen, statt noch einiges, aber nicht mehr sehr viel zu tun ist. dazwischenzuschreien. Alle Vorschläge müssen daraufhin geprüft werden, (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe ob sie für die Bekämpfung des Terrorismus kriminal- von der CDU/CSU) politisch zweckmäßig und rechtspolitisch vertretbar — Wir werden darüber ja noch ausgiebig reden. sind. Ich bin andererseits der Meinung, daß sowohl das Für Zwecke der Fahndung ist auch wichtig, das Gesetz über die Kontaktsperre, das das Hohe Haus Kommunikationssystem zu stören und nach Mög- in der vergangenen Woche verabschiedet hat, als lichkeit zu zerstören, das Terroristen über konspi- auch der von der Bundesregierung vorgelegte Ge- rative Anwälte aus den Gefängnissen heraus ge- setzentwurf über den Ausschluß von Verteidigern knüpft haben. Eine Ü berwachung des mündlichen diesem Ziel durchaus dient. ist allerdings nach meiner Mei- Verteidigerverkehrs Meine Fraktion bekräftigt heute erneut ihre Be- nung, verehrte Kollegen, für diesen Zweck gänzlich reitschaft, über alle diese Fragen interfraktionelle ungeeignet. Gespräche zu führen. Nur, Herr Strauß — damit (Strauß [CDU/CSU]: Und Ihre Regierung?) komme ich auf den letzten Teil Ihrer Rede —, so geht es nun auch nicht: auf der einen Seite Ge- — Herr Kollege Strauß, da Sie mich unterbrechen, meinsamkeit in der Sache zu verlangen und dann darf ich Ihnen folgendes zu überlegen geben: eine so zu argumentieren, wie Sie es getan haben. Das solche Regelung müßte zunächst einmal beinhalten, wird nicht gutgehen. daß in einem Fall der mündlichen Überwachung weder eine Fremdsprache noch ein Dialekt gespro- (Beifall bei der SPD und der FDP) chen werden darf, weil ja derjenige, der in der Mitte Zunächst einmal möchte ich aber, da Sie das an- sitzt, nicht unbedingt irgendeiner anderen als der gesprochen haben, auf die Abstimmung in der ver deutschen Sprache mächtig zu sein braucht. gangenen Woche zurückkommen. (Zurufe von der CDU/CSU) (Dr. Barzel [CDU/CSU]: Sehr interessant!) — Ich weiß, Sie haben wenig praktische Phantasie. — Sehr interessant: Herr Barzel, da wir beide zäh- (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Das hat doch Ihre len können, wissen Sie, daß die sozial-liberale Ko- eigene Regierung vorgeschlagen! Tun Sie alition in der vergangenen Woche für dieses Gesetz, doch nicht so!) wenn alle anwesenden CDU/CSU-Abgeordneten, die 3494 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Dr. Ehmke mit Ja gestimmt haben, mit Nein gestimmt hätten, Die Entstehungsgeschichte des Terrorismus reicht immer noch eine gute Mehrheit gehabt hätte. bis in die Studentenbewegung zurück. Offen- (Beifall bei der SPD und der FDP — Winde bar ist das so lange her, daß inzwischen vergessen len [CDU/CSU] : Dann weiß ich gar nicht, worden ist, daß die Auseinandersetzung mit den warum sich Herr Wehner so erregt hat!) protestierenden Studenten damals im wesentlichen von Sozialdemokraten und im weitesten Sinne Libe- Ich gebe zu, das haben wir mehr den Mängeln in ralen geführt worden ist. Ich bin damals von Uni Ihrer Fraktionsführung zu verdanken; aber so war zu Uni und von Veranstaltung zu Veranstaltung ge- es. zogen. Ich muß Ihnen heute in aller Ruhe sagen: (Zuruf von der CDU/CSU) Von den Leuten, die uns heute vorwerfen, die Aus- — Entweder meinen wir das mit der Gemeinsamkeit einandersetzung mit der studentischen Jugend ver- säumt zu haben, habe ich in APO-Zeiten an deut- ehrlich — und ich meine es ehrlich — oder das sind schen Universitäten nichts gesehen. nur Worte. Wenn wir es aber ehrlich meinen, will ich Ihnen sagen, wie ich das sehe. (Beifall bei der SPD und der FDP) (Pfeifer [CDU/CSU] : Jetzt argumentieren Sie Das erklärt auch vielleicht, daß es Ihnen inzwischen böse! — Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Sie ar wieder entfallen ist, daß die Repräsentanten aller gumentieren überhaupt nicht, Sie beschimp Parteien — schon damals bestand darin Gemeinsam- fen nur! — Weiterer Zuruf von der CDU/ keit — Gewalt abgelehnt haben. CSU: Ausgerechnet Sie!) Stellvertretend für die Sozialdemokratie zitiere — Sehen Sie, ich bemühe mich um Gemeinsamkeit, ich Willy Brandt — 19. April 1968 —: während Sie schon wieder so schlau sind und rufen: Wir brauchen einen eindeutigen Stopp von Ge- Ausgerechnet Sie. Das habe ich noch nicht einmal walttätigkeiten, wir brauchen den eindeutigen zu Herrn Strauß gesagt. Respekt vor dem Gesetz. (Zurufe von der CDU/CSU) Oder im April 1968: — Ich weiß, Ihnen ist das Christliche besonders nah. Gewalttat aber ist gemeines Unrecht und eine Dummheit obendrein. Ich sage also, daß wir zunächst einmal vor einem Problem stehen: Sind wir uns einig darüber, daß die Und im Januar 1969: Auseinandersetzung mit der terroristischen Gefahr Eine letzte Grenze wird da erreicht, wo man Gemeinsamkeit der demokratischen Kräfte erfor- übergeht zur Gewalttat. Das wird kein Staat dert? Die Antwort meiner Fraktion ist: Ja. jemals zulassen können. (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Nein!) - Ich selbst habe im März 1968 auf dem SPD-Partei- tag in Nürnberg den radikalen Flügel der APO so — Ich wundere mich, daß Sie jetzt nein sagen, Herr beschrieben: Kohl, aber draußen vor jedem Fernsehschirm nur die Gemeinsamkeit beschwören. Dann sagen Sie Da einerseits eine demokratische Reform der doch mal hier, was Sie wirklich meinen! Gesellschaft diffamiert wird, andererseits die gesellschaftliche Situation aber keineswegs re- (Beifall bei der SPD) volutionär ist, wird mit ebenso romantischen Wir meinen das, was wir sagen. Und wir sagen wie kostenlosen Anleihen bei der revolutionä- außerdem: wir nehmen an, daß Sie wie wir daran ren Situation der Entwicklungsländer und ihren interessiert sind, trotz dieser Gemeinsamkeit nicht Guerillas eine blind-liberale „Action directe" die Verantwortung von Regierung und Opposition gepredigt zu verwischen. (Dr. Barzel [CDU/CSU] : Blind-liberal?!) (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Wer sagt das denn?) — blind-antiliberal, Entschuldigung, Herr Barzel, Ihr Zwischenruf hat mich vor einem schlimmen Lapsus — Schön, wenn wir uns darin einig sind, heißt das bewahrt —, also — und darüber sind wir uns doch klar —, daß das beim nächsten Mal so gründlich vorbereitet wer- (Lachen bei der CDU/CSU) den muß, daß die Verantwortlichkeiten klar bleiben. eine blind-antiliberale „Action directe" gepre- Das ging diesmal etwas unter Zeitdruck. Aber daß digt. Soweit sie Diskussionen sprengt, Vorle- Sie nun, weil in dieser Situation Leute Bedenken sungen stört, Zeitungen verbrennt und Fenster- geltend gemacht haben, das als Zeichen zu deuten scheiben einschlägt, verdient sie durchaus als suchen, man wolle nicht gemeinsam zusammenste- pseudolinker Faschismus bezeichnet zu wer- hen, das halte ich für billig. den. (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Das hat doch (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Und dann habt Herr Wehner gesagt!) ihr amnestiert!) Doch nun ein Wort zur politisch geistigen Aus- Ein Jahr später habe ich die Haltung meiner Par- einandersetzung, nicht mit den Terroristen — denn tei zu Gewalttaten von APO-Gruppen auf einem da gibt es nichts mehr, womit man sich auseinander- rechtspolitischen Kongreß so umrissen: setzen könnte —, wohl aber mit den Ursachen des (Windelen [CDU/CSU] : Jetzt suchen Sie alle Terrorismus. Alibis!) Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3495 Dr. Ehmke — Wir suchen kein Alibi, wir treten Verleumdun- Viele Ausländer sehen den Terrorismus in der gen entgegen. Und wir versuchen Sie zu erinnern, Kontinuität eines deutschen Irrationalismus, sozu- daß, wer Gemeinsamkeit sagt, auch nicht die Ge- sagen von Nietzsche bis Heidegger, von Hitler bis zu schichte verfälschen darf; sonst macht er sich näm- den Terroristen. Am Kölner Terroranschlag hat lich zum Helfershelfer der Terroristen. draußen vor allem die Mischung von Brutalität und (Beifall bei der SPD — Lachen bei der Präzision erschreckt. Mancher draußen — Herr CDU/CSU — Zurufe von der CDU/CSU) Strauß hat es in München auch schon angesprochen — sieht daher eine neue deutsche Krankheit sich Ich habe damals gesagt: ausbreiten. Ich bin dagegen mit einem so kühl den- Gerade wer Kritik als ein Lebenselement der kenden und sensiblen Kopf wie François Mitterrand Demokratie versteht, hat mit dafür zu sorgen, der Meinung, daß es sich um eine Krankheit unserer daß die Grenze zwischen Kritik und Protest auf gesamten Zivilisation handelt — der Terror ist heute der einen, Rechtsbruch und Gewalt auf der an- weltweit —, auch wenn diese Krankheit bei uns ge- deren Seite nicht verwischt und verschoben wisse deutsche Züge trägt. wird. Wer zum Rechtsbruch, zur Gewaltanwen- Ein auffallender Faktor ist die soziale Herkunft dung aufruft oder sie begeht, ist nach den Ge- der Terroristen aus dem gehobenen Bürgertum, aus setzen — und mögen diese noch so unvollkom- der „Kaviarschicht der Gesellschaft", wie es Herr men sein — sine ira et studio zur Verantwor- Strauß nach einer Zeitungsnotiz gesagt haben soll. tung zu ziehen. Den „geistesgestörten Rand der nicht arbeitenden Das erfordert der Respekt vor unseren selbst- Klasse" hat eine englische Autorin die Terroristen gegebenen Gesetzen, der zum Selbstrespekt genannt. Und in der Tat scheint neben der Her- unserer Demokratie gehört. Sicher gehört dazu kunft aus gehobenem Milieu psychische Labilität auch Augenmaß und eine sichere Hand. Den oder Krankheit nicht nur für die aus dem Hei- demokratischen Institutionen kann an einer Es- delberger Patientenkollektiv stammenden Terrori- kalation des Konflikts nicht gelegen sein. Man sten ein weiteres Merkmal zu sein. darf sich nur andererseits nicht der Illusion hin- Nach dem Elternhaus ist dann das „linke Umfeld", geben, diese Eskalation wäre zu vermeiden, wie Sie es nennen, der Universitätsjahre zu nennen. wenn eine außer sich geratene Minderheit un- Die Behauptung allerdings, Herr Strauß, der Terro- serer Gesellschaft diesen Konflikt aufzwingen rismus habe seine geistigen Wurzeln im Marxismus, will. ist schlicht falsch. Marxismus und Anarchismus Ich habe diesen vor über acht Jahren gemachten schließen sich aus, wie nicht nur der Streit zwischen Ausführungen heute nur die eine Bemerkung hin- Marx und Bakunin belegt hat. Die Sozialdemokraten zuzufügen: daß damals keiner von uns vorausge- haben sogar die Anarchisten ausgeschlossen, die sehen hat, daß die damals beginnende Gewaltan- nicht für Gewaltanwendung eintraten. Die einhellige wendung schließlich in terroristischem Mord enden Verurteilung der Terroristen durch die kommunisti- würde. schen Parteien in Ost und West, die Sie sonst so gerne zitieren, ist nicht taktisch bedingt, sondern Wir haben allerdings — damit komme ich auf die ideologisch begründet. Fehler zurück — meines Erachtens einen großen Feh- ler gemacht; ich meine jetzt diejenigen, die sich da- Herr Strauß, was wollen Sie eigentlich mit diesem mals mit der APO auseinandergesetzt haben. Wir Versuch? Wollen Sie alle, die sich an der Gesell- haben, nachdem die Auseinandersetzung mit der schaftsanalyse von Marx ganz oder teilweise orien- APO politisch gewonnen und die kriminell geworde- tieren, in das Lager des Terrorismus schieben? Was nen Restbestände des Studentenaufstands mit der soll das eigentlich? Sie bringen die Stamokap-Theo- kriminalpolizeilichen Zerschlagung der ersten Ter- rie in diesen Zusammenhang. Ich habe schon vor roristenorganisation scheinbar aufgelöst waren, die Jahren, lange bevor Sie sich darüber aufgeregt ha- Auseinandersetzung mit der nachfolgenden Genera- ben, meine Meinung dazu gesagt; aber daß die tion nicht mit der Energie geführt, wie wir sie mit Stamokap-Theorie etwas mit individuellem Terror der APO geführt hatten. zu tun hätte, ist eine weitere Erfindung Ihrerseits. (Beifall bei der SPD) Genauso abwegig ist die Behauptung — das sage ich als jemand, der früher an einer deutschen Uni- Meine Herren von der Opposition, das werfen wir versität gelehrt hat —, die kritische Theorie, die uns selber vor. Wir lassen uns das aber nicht von Frankfurter Schule, sei schuld am Terrorismus. Was Leuten vorwerfen, die damals der Auseinanderset- immer man auch sonst an dieser Schule zu kritisie- zung mit der rebellischen Studentenschaft überhaupt ren haben mag, den Terrorismus hat sie abgelehnt. ausgewichen sind. Adorno wurde von den rebellischen Studenten in (Beifall bei der SPD und der FDP) seinen Vorlesungen gestört, Jürgen Habermas war einer der ersten, der gegen die Gewaltanwendung Wem es, Herr Strauß, um eine wirkliche Ur- gesprochen und geschrieben hat, sachenanalyse geht — eine solche ist zur politischen Bekämpfung des Terrorismus notwendig —, der (Sehr gut! bei der SPD) muß auf billige Rechts-Links-Etiketten verzichten; und auch Marcuse, mit dessen Thesen ich mich in denn die Ursachen sind viel komplexer. Ich nenne APO-Zeiten oft hart auseinandergesetzt habe und nur einige Faktoren, die wir zu berücksichtigen den ich nicht von jeder Schuld an dem freispreche, haben. was an elitärer Arroganz und Realitätsblindheit in 3496 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Dr. Ehmke Teilen der studentischen Jugend damals gewachsen Das gleiche gilt übrigens für das Bewußtsein von ist, hat sich eindeutig gegen Gewalt ausgesprochen, der notwendigen Änderung gesellschaftlicher Ver- als Gewaltanwendung angefangen hat. Was soll das hältnisse, die die liberale Bewegung von jeher eigentlich, Herr Strauß, die Fronten zu verwischen, ebenso durchdrungen hat wie die Arbeiterbewe- statt den gemeinsamen Gegner zu stellen? gung und die ja selbst in den christdemokratischen Reihen dieses Landes glücklicherweise noch nicht (Beifall bei der SPD und der FDP) ganz abgestorben ist, was sich am Beispiel Ihrer Im übrigen muß ich Ihnen nun auch in aller Zustimmung zum Mitbestimmungsgesetz gezeigt Freundschaft folgendes sagen. Ich war ja auch nicht hat. Denn mit dieser Zustimmung haben Sie Gesell- in allen Punkten ein großer Anhänger der hessi- schaft in Deutschland verändert, und zwar in die schen Rahmenrichtlinien. richtige Richtung. Wir finden es gut, daß wir das (Zuruf von der CDU/CSU: Aha!) zusammen gemacht haben. --- Dazu habe ich hier mal im Bundestag gespro- (Beifall bei der SPD und der FDP) chen. Sie brauchen nicht „Aha" zu sagen. Dazu habe Nein, meine Damen und Herren der Opposition: ich mich vor diesem Haus geäußert. — Aller berech- Die Frage, die wir beantworten müssen, lautet nicht, tigter und unberechtigter Zorn zusammen über diese wie man dazu kommt, eine Änderung der Gesell- hessischen Rahmenrichtlinien kann aber doch z. B. schaft für notwendig zu halten; denn dafür gibt es kaum die Tatsache erklären, daß eine so beängsti- viele gute Gründe. Sie lautet vielmehr, wie man gend hohe Zahl von Leuten, die heute Terroristen dazu kommt, Mord und Totschlag als legitimes Mit- sind, gar nicht aus Hessen, sondern z. B. aus Baden tel der Politik anzusehen. Württemberg kommt, also aus einem Land, das eine Die Terroristen selbst berufen sich mit Vorliebe konservative Schulpolitik macht. auf das Vorbild der südamerikanischen Stadtgueril- (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Auch diese las und der Befreiungskämpfe der Dritten Welt. Das These noch! — Weitere Zurufe von der kann von Rechtfertigungsbedürfnis, aber ebenso- CDU/CSU) gut auch von Verlogenheit oder krankhaftem Reali- tätsverlust zeugen. Unsere Gesellschaft ist sicher — Ich sage doch nur: es ist ebenso unsinnig, zu nicht vollkommen. Aber keiner ihrer Fehler kann behaupten, am Terrorismus seien die hessischen Mord, Totschlag oder Menschenraub rechtfertigen. Rahmenrichtlinien schuld, wie das Argument unsin- nig wäre, an ihm sei die konservative Schulpolitik, Ich muß in diesem Zusammenhang allerdings z. B. in Baden-Württemberg, schuld. auch kritisch bemerken, daß diejenigen, die umge- kehrt versuchen, eine Parallele zwischen den Be- (Beifall bei der SPD und der FDP) freiungsbewegungen in Südafrika und den deutschen Herr Strauß, nun komme ich zu einem- Punkt, der Terroristen herzustellen, in einem Arbeitsgang so- in Ihren Vorhaltungen vielleicht der ernsthafteste wohl den deutschen Terroristen als auch der men- war und der auch in die Stellungnahmen beider Kir- schenverachtenden Politik der Apartheid Hilfestel- chen Eingang gefunden hat: zur Frage der Konflikt- lung leisten. theorie. (Beifall bei der SPD und der FDP) Solange man sagt, eine Überbetonung der Kon- In Wahrheit haben die Terroristen gar keine poli- flikte sei schädlich, ist das hinzunehmen. Ich warne tische Theorie, wie sie ja auch kein politisches Ge- aber, in einem Volk, dessen Abrutschen in den Na- staltungsziel haben. Ihre geistige Heimat ist nicht tionalsozialismus nicht durch das Anerkennen von — bei dem einen oder anderen von ihnen vielleicht Konflikten, sondern durch eine Ideologie der Volks- nicht mehr — links. Das Problem der Terroristen gemeinschaft begründet wurde, das Kind mit dem ist, daß sie keine geistige Heimat haben. Sie sind Bad auszuschütten. auf Zerstörung programmiert. (Beifall bei der SPD und der FDP) Wir müssen dabei einen weiteren, durch die Ge- Die Demokratie beruht nicht nur auf der Gemein- schichte des Terrorismus hinreichend belegten samkeit in den Grundwerten und den Grundrechten. Aspekt im Auge behalten, nämlich die Ablösung Sie beruht auch — da sind wir uns doch hoffentlich des Terrors von den Anlässen und Bewegungen, einig — auf der offenen Austragung sozialer und aus denen er jeweils entstand. Terror ist ein Ver- politischer Konflikte. such, in die Nervenstränge einer sozialen Einheit, in ihre Kommunikation und in ihren Willensbildungs- (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Das ist doch nicht prozeß einzudringen, um diese erst zu lähmen und unser Problem in der Bundesrepublik!) dann für die eigenen Zwecke zu mißbrauchen. In Die demokratische Verfassung stellt für die fried- dieser Hinsicht bestehen zwischen dem Terror der liche Lösung solcher Konflikte Verfahren bereit. mittelalterlichen Hexenprozesse, des französischen Gewalt schließt sie dagegen aus. Revolutionstribunals, der Moskauer Säuberungspro- zesse und der Prozesse vor dem Volksgerichtshof (Beifall bei der SPD und der FDP) viele strukturelle und psychologische Gemeinsam- Nicht die Betonung von Konflikten, Herr Strauß, keiten. Die Wahrheit ist: Terror ist austauschbar, sondern die Anwendung von Gewalt ist daher die für beliebige Zwecke verwendbar. Grenze der Demokratie. So liegt — Herr Strauß, da stimme ich Ihnen völ- (Beifall bei der SPD und der FDP) lig zu — die Parallele zwischen der menschenver- Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3497 Dr. Ehmke achtenden Brutalität der Terroristen und der Gesta- Aber, meine Damen und Herren, auch etwas an- po-Mentalität auf der Hand. Es nimmt auch nicht deres wird im geschichtlichen Vergleich deutlich: Wunder, daß der Mord an Generalbundesanwalt daß nämlich Terrorismus nicht nur sinnlos, sondern Buback kürzlich auch in einem neonazistischen Blatt auch erfolglos ist. Der Terrorismus hat in der Welt- als „befreiende Tat" begrüßt worden ist. Man habe geschichte, wie viele Untersuchungen zeigen, keine zwar mit den „Roten" nichts gemein, aber man habe verbleibenden Veränderungen der Gesellschaft be- auch nichts gemein mit Buback und dem von ihm wirkt. Er hat meistens nur im Gang befindliche hi- vertretenen Staat, der an gleicher Stelle als „Juden- storische Prozesse aufgehalten. „Gewalt, einerlei, staat" beschimpft wird. von wem sie angewandt wird", hat der erste Reichs- präsident einmal gesagt, „ist immer reaktionär." So Herr Strauß, wenn wir uns über die Gleichheit mag auch der heutige Terrorismus zwar noch viele der Erscheinungssymptome einig sind, auch wenn Bluttaten begehen und Opfer fordern, aber er kann sich die Dinge aus verschiedenen Anlässen entwik- unsere Demokratie nicht zerstören — wenn wir so- kelt haben, dann habe ich eine herzliche Bitte an wohl in der kriminalpolitischen und strafrechtlichen Sie. Auf das, was Sie über Willy Brandt gesagt ha- Diskussion wie in der politischen Ursachenfor- ben, brauche ich hier nicht einzugehen, denn darauf schung kühlen Kopf behalten. hat vor kurzem Helmut Schmidt die gebührende Antwort gegeben. Aber ich möchte Sie herzlich dar- Das Stichwort „kühler Kopf" ist für mich Anlaß, um bitten, nicht zu unterschätzen, mit welch kriti- namens der SPD-Fraktion Bundeskanzler Helmut schen Augen das Ausland eben doch Fälle wie Schmidt für die staatsmännische Entschlußkraft und Kappler oder die Hitler-Nostalgiewelle oder jetzt Besonnenheit zu danken, die er in den letzten die schlimmen Dinge bei der Bundeswehr in Mün- Wochen erneut unter Beweis gestellt hat. chen betrachtet. Wir wissen, daß ist klein, aber ich (Beifall bei der SPD und der FDP) sage Ihnen noch einmal — — Es ist für mich zugleich Anlaß, Sie alle herzlich zu (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Würden Sie bitte ein bitten — bei aller Auseinandersetzung im einzelnen, mal sagen, wo es in diesem Lande eine die bleiben wird — im Kampf gegen diese Heraus- Hitler-Nostalgiewelle gibt?) forderung zusammenzustehen, um unser gemeinsa- — Es hat wohl keinen Zweck bei Ihnen: Lassen Sie mes humanistisches Erbe zu verteidigen und eine sich vielleicht von einem Ihrer — — gemeinsame Zukunft im Sinne dieses Erbes zu ge- (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Sagen Sie es kon stalten. kret!) (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und bei der FDP) — Lassen Sie sich einmal über die Wirkung- von Fests Hitler-Film aufklären. Schauen Sie in die Illu- strierten, was im Augenblick dort alles abgehandelt Vizepräsident Frau Funke: Das Wort hat der Ab- wird, von Goebbels Tagebüchern bis — — geordnete Hoppe. (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Das ist doch lach haft!) Hoppe (FDP) : Frau Präsidentin! Meine Damen und — Das ist lachhaft? Gehen Sie zu Ihren Freunden Herren! Für die Opposition hat der Kollege Franz ins Ausland und lassen Sie sich einmal sagen, wie Josef Strauß — niemand konnte anderes von ihm das draußen wirkt, statt hier dummes Zeug zu reden! erwarten — das markige Verdammungsurteil ge- sprochen. Die CDU/CSU-Fraktion bleibt damit auf (Beifall bei der SPD und der FDP) diesem Felde der Politik offensichtlich auf der Linie „Opposition total". Das ist ja keineswegs mehr so Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, gestat- selbstverständlich, denn in der Außen- wie in der ten Sie eine Zwischenfrage? Innenpolitik versucht die Opposition ihren Rück- stand aufzuholen. Dort ist sie auf den Regierungs- zug aufgesprungen und will nun an der erfolgver- Dr. Ehmke (SPD) : Nein. — Ich war bei. Herrn sprechenden Politik partizipieren. Ich nenne in die- Strauß stehengeblieben. Herr Strauß, da wir uns sem Zusammenhang nur das Stichwort KSZE. Herr hinsichtlich der Gleichheit der Brutalität von Ge- Kollege Strauß aber ist bei der alten Strategie ge- stapo und Terroristen einig sind, möchte ich Sie sehr blieben und hat dafür offenbar gute Gründe. Ab- herzlich bitten — wir verzerren die Dinge nicht —, lehnende Kritik ist immer noch der beste Kitt für diese Dinge nicht einfach wegzuwischen. Die Ge- jede oppositionelle Betätigung. Beifall und Geschlos- fahr ist, daß sich draußen diese Dinge und der Terro- senheit sind auf diesem Wege am leichtesten zu rismus — ich sage es noch einmal — zu der Vor- ernten. Der Kollege Franz Josef Strauß fährt mit die- stellung eines kontinuierlichen deutschen Irrationa- ser Methode alles in die Scheuern ein, was nur auf lismus verbinden. Und wir sind uns doch darin einig, eine Forke draufgeht. daß wir Gewalt aus keiner Richtung dulden werden. Dabei war der Zusammenschnitt seiner Kritik hat völlig recht: Terror ist we- teilweise wieder hörenswert, und manches davon der rechts noch links beheimatet. Er will keine an- war durchaus bedenkenswert. Aber alles in allem dere, er will überhaupt keine Politik. Er will Zer- fehlt es an einem Ansatz für den konstruktiven Dia- störung. log. Abrechnung bleibt bei ihm Trumpf. Aber so wer-

(Beifall bei der SPD und der FDP) den wir die Frontstellung in der Wirtschafts - und 3498 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Hoppe Finanzpolitik nicht überwinden. Genau dies aber Es ist gewiß nicht leicht, den Prozeß der Struktur- müßte geschehen, denn gerade hier brauchen wir im verbesserung der öffentlichen Haushalte zu unter- Augenblick mehr Konsens. Denn nur damit ist das brechen. Schließlich war es gemeinsame Auffassung notwendige Vertrauensklima für zukunftsorientierte aller, daß es dringend geboten sei, die Verschul- Wirtschaftsentscheidungen zu erreichen. Das für In- dungsgrenze drastisch herabzusetzen, um die Hand- vestitionen notwendige Klima der Zuversicht wird lungsfreiheit für politische Sachentscheidungen nach sich so lange nicht einstellen, wie die Kumulation reinen Prioritätsgesichtspunkten wieder zurückzu- von wirtschaftlicher und existenzieller Unsicherheit gewinnen. Es ging und geht immer noch darum, die andauert. Hier liegt die Verantwortung der Parteien, Solidität der Staatsfinanzen zu sichern. Wenn wir und zwar der Regierungs- und der Oppositionspar- diesen Kurs nicht mehr konsequent steuern können, teien gleichermaßen. Daß Franz Josef Strauß aus wird — und da ist dem Sachverständigenrat sicher dieser Sicht heraus argumentiert hätte, vermag ich recht zu geben — das Vertrauen in die Finanzpoli- leider nicht festzustellen. tik auf eine harte Probe gestellt. Aber auch der Sachverständigenrat sieht angesichts der wirtschafts- Auch die Beschreibung der Koalitionsparteien war politischen Entwicklung in der Bundesrepublik denn bajuwarisch derb. Für die FDP habe ich dazu Deutschland unter Berücksichtigung ihrer internatio- anzumerken: ich fühle mich in meiner politischen nalen Verflechtungen keine Möglichkeit, dem Zwang Gemeinschaft gerade deshalb so wohl, weil ich auch der Verhältnisse auszuweichen. Auch nach seiner künftig auf Liberalität und Toleranz vertrauen kön- Auffassung ist eine vorübergehende Kursänderung nen muß. nötig. Wir sollten das Ziel der Konsolidierung der (Beifall bei der FPD und der SPD) öffentlichen Haushalte aber nicht aus den Augen Über die politische Grundhaltung der Freien Demo- verlieren und wir dürfen uns den Weg dahin unter kraten braucht sich die Opposition wahrlich nicht zu gar keinen Umständen verbauen lassen. sorgen. Die Kontroverse um die Ausfüllung unserer (Sehr wahr! bei der SPD) Grundsätze werden wir offen und fair austragen. Unser Parteitag wird allerdings auch künftig kein Mit Recht warnt der Sachverständigenrat in sei- geschlossener Gesangverein sein. nem an den Bundeskanzler gerichteten Schreiben vom 7. September 1977 hier vor möglichen Fehlent- (Beifall bei der FDP) wicklungen. Es ist nur zu verständlich, daß er in Wir Freien Demokraten haben um Freiburg gerun- diesem Zusammenhang empfiehlt, nur solche Aus- gen. Wir werden diese Aufgabe auch in Kiel be- gaben in die fiskalpolitische Programmatik aufzu- wältigen. nehmen, deren Struktur- und wachstumspolitische (Beifall bei der FDP) Bedeutung besonders dringlich ist. Und ganz sicher müssen wir uns davor bewahren, allein der Faszi- Auch um unseren Parteivorsitzenden braucht sich nation der großen Zahlen zu erliegen. Ein bedin- der Kollege Strauß keine großen Sorgen zu machen. gungslos und massiv aufgeblähter Haushalt würde Ihm ist es nämlich so ergangen, daß das Parteiprä- eine äußerst bedenkliche Entwicklung einleiten. Die sidium seinem Antrag einmütig gefolgt ist. Aber die konjunktur- und beschäftigungspolitische Misere Entscheidungen ergehen bei uns dann im rechts- soll mit den Mitteln der Haushaltspolitik verbessert staatlichen Verfahren; denn dem Rechtsstaatsprinzip werden. Aber wir dürfen die Lage nicht durch einen sind schließlich auch die politischen Parteien ver- maßlos überforderten Haushalt verschlimmern, der pflichtet. Den einsamen Rausschmiß gibt es bei den die vertretbare Verschuldensgrenze mißachtet. Wer Freien Demokraten jedenfalls nicht. trotz dieser Bedenken und wider bessere Einsicht (Beifall bei der FDP) dennoch so verfahren will, läuft Gefahr, daß der fis- Die Schelte des Kollegen Strauß braucht uns denn kalpolitische Teil des volkswirtschaftlichen Kreis- auch nicht allzusehr zu schrecken. Wer sich daran laufs sehr schnell kollabiert. Auch wenn uns die Ar- erinnert, wie er mit seinen Freunden in der CSU um- beitsmarktprobleme mit den hohen Arbeitslosen- springt und die „Nordlichter" in der Union beutelt, zahlen noch so sehr unter den Nägeln brennen, wir kann insoweit Nachsicht mit ihm üben. Für Liberale können hier den Teufel nicht mit Beelzebub aus- bleibt auch das Modell „Strauß 1977" absolut un- treiben. brauchbar. Wie sehr der Haushalt die Grenzen der Belastbar- (Beifall bei der FDP und der SPD) keit erreicht hat, wird durch die Daten der mittel- Haushaltsberatungen sind nun einmal Anlaß für fristigen Finanzplanung deutlich. Die Finanzierungs- defizite werden im ganzen Zeitraum kräftig höher das große politische Streitgespräch. Deshalb darf niemand der Opposition verwehren, daß sie hier sein als zunächst geplant. Dies ist unvermeidbar und — wie der Zentralbankrat der Deutschen Bun- heute in die Vollen geht. Und doch sollte der Ge- desbank festgestellt hat — unter den gegebenen Um- genstand der Tagesordnung nicht völlig aus den Au- ständen auch vertretbar. Aber es muß uns bewußt gen verloren werden, dies um so weniger, als es sein, daß wir die angespannte Situation des Haus- sich immerhin um fast 190 Millarden DM handelt, halts, in die wir durch die konjunkturelle Flaute ge- über die es auf der Einnahme- und Ausgabeseite des raten sind, nicht noch weiter verschärfen dürfen. Haushalts 1978 zu befinden gilt. Der Haushalt wird Eine leichtfertige oder unnötige Ausgabenproduk- mit einer expansiven Ausgabepolitik bewußt in den tion gilt es deshalb in jedem Fall zu vermeiden. Dienst eines wachstumspolitischen Programms ge- stellt. Er ist damit zum Packesel der Konjunkturpo- Wie angespannt die Lage tatsächlich ist, erhellt die litik geworden. Feststellung des Bundesfinanzministers in seiner Ka- Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3499 Hoppe binettsvorlage vom 12. September, in der auf Grund ein zusätzlicher Personalbedarf nachgewiesen wer- der Haushaltsdaten 1978 für den Zeitraum des Fi- den kann. Dies ist nicht nur auf den Bereich der nanzplans lapidar festgestellt wird, daß wegen des inneren und äußeren Sicherheit beschränkt. Aber mittelfristigen Ziels der Konsolidierung des Bundes- andererseits wollen wir die bitteren Lehren der Ver- haushalts eine höhere Steigerungsrate der Ausgaben gangenheit nicht völlig außer acht lassen. Unter als 6 v. H. jährlich nicht vertretbar und zur notwen- dem hohen Personalkostenanteil sind die öffent- digen Aufgabenerfüllung ausreichend ist. Nun ist es lichen Haushalte sehr kurzatmig geworden. Die bei der sehr hohen Markierung für die Netto- Angehörigen des öffentlichen Dienstes haben dann kreditaufnahme dieses Jahres schon sehr gewagt, häufig zu Unrecht die Unmutsreaktionen dafür zu überhaupt noch von dem mittelfristigen Ziel der spüren bekommen. Niemand aber kann ernsthaft Konsolidierung zu sprechen. Auf die vom Haushalt leugnen, daß die Personalkosten zu einer drücken- übernommenen Leistungen für die Sozialversiche- den Last geworden sind. Wir würden uns keinen rungsträger und die sich daraus ergebenden Konse- Gefallen tun, wenn wir trotz der Alarmsignale aus quenzen muß in diesem Zusammenhang besonders der Vergangenheit aus Nachgiebigkeit gegenüber hingewiesen werden. den Forderungen des Tages Dauerschäden in un- Aber selbst wenn man sich dem Ziel der Konso- sere Haushaltspolitik einarbeiten würden. lidierung nur noch im Schneckentempo nähern woll- (Beifall bei der FDP und der SPD) te, darf sich jeder einmal die Frage vorlegen, was Jede neue Stelle bedarf daher der sorgfältigen mit dem Haushalt passiert, wenn die unserer Volks- Prüfung. Blinder Eifer ist hier fehl am Platze. wirtschaft gestellten Aufgaben eben doch nicht in- nerhalb einer Steigerungsrate von 6 % erfüllt wer- Bei den anstehenden Entscheidungen wird sich am den können. Meine Damen und Herren, nach den Er- besten jeder auf seinen Verantwortungsbereich be- fahrungen dieser Tage, die wir am Krankenbett der schränken. Er sollte sich davor hüten, anderen laut- Konjunktur machen mußten, ist eine solche Ent- hals Empfehlungen zu geben. Schon die Äußerung wicklung doch nicht völlig unmöglich. Hier wird des Bundesfinanzministers, seine Kollegen in den nicht Undenkbares gedacht, vielmehr muß auch Ländern könnten wegen ihrer geringeren Finanzie- diese wenig erfreuliche Perspektive ins Auge ge- rungsdefizite mehr in der Personalpolitik tun, ging faßt werden. Meine Damen und Herren, dies gilt mir deshalb zu weit. Wir dürfen nicht übersehen, auch dann, wenn, was wir erwarten, die nationalen daß gerade die Länder mit ihren hohen Personalko- und internationalen Maßnahmen zur Belebung der stenquoten relativ schlechter dran sind als wir mit Konjunktur greifen und sich der Erholungsprozeß dem Bundeshaushalt. Wenn wir uns selbst aus gu- wieder beschleunigt. ten Gründen Zurückhaltung auferlegen, dann soll- ten wir den Ländern nicht Unzumutbares zumuten, 1978 aber muß der Haushalt, unabhängig von dies auch dann nicht, wenn Gewerkschaften, Bil- allen spekulativen Erörterungen, seinen Anteil am dungs- und Sozialpolitiker das noch so lautstark notwendigen Anstieg der Gesamtnachfrage erbrin- von uns fordern. gen. (Beifall bei der FDP und der SPD) Meine Damen und Herren, sofern wir unsere fi- Denn nur mit einem sorgfältig aufeinander abge- nanziellen Möglichkeiten überschreiten und die Lei- stimmten Maßnahmenkatalog steuerlicher, haus- stungsfähigkeit des Haushalts über Gebühr stra- haltspolitischer und arbeitsmarktpolitischer Art ist pazieren, kann sehr wohl der Augenblick kom- jenes Wirtschaftswachstum von mindestens 4 1/2 % men, wo das wirtschaftspolitisch Wünschenswerte zu erzielen, mit dem eine Verbesserung der Be- finanziell nicht mehr machbar ist. Wenn es dann schäftigungslage erreicht werden kann. mit dem „Esel streck dich" nicht mehr geht, kommt nach dem guten alten Märchen der Knüppel aus Der Haushalt wird seine Tischlein-deck-dich- dem Sack. Dies bedeutet dann in der Sprache der Funktion am ehesten dann erfüllen, wenn er sich Haushaltspolitiker: Das nächste Haushaltsstruktur- primär auf die Verstärkung der investiven Aus- gesetz kommt bestimmt. gaben konzentriert. Denn hier steckt ein Effekt mit Dauerwirkung für die Volkswirtschaft drin. Wenn Nun gehört es im Augenblick fast schon zum gu- die schwierige haushaltspolitische Operation zur ten Ton, sich über das Haushaltsstrukturgesetz des Bewältigung unserer wirtschaftspolitischen Pro- Jahres 1975 zu mokieren. In einem Augenblick ex- bleme dazu führt, daß die in diesem Jahr eingelei- pansiver Haushaltspolitik muten die Erinnerungen tete, aber nur sehr zaghaft begonnene Umschichtung an den Kraftakt des Haushaltsstrukturgesetzes in vom konsumtiven zum investiven Teil der Ausgaben der Tat fast wie ein Alptraum an. Viele empfinden kräftig vorangetrieben wird, wäre wenigstens inso- den Vorgang als fiskalpolitischen Aberwitz: gestern weit ein Stück Haushaltsstrukturverbesserung mit noch sparen um jeden Preis, sparen um den Preis geerntet worden. Dann hätten wir, gewissermaßen, überschäumender Kritik und einer Verärgerung in aus der Not eine Tugend gemacht. allen Ressorts und bei den betroffenen Gruppen und Gerade weil der Finanzminister und das Parlament Verbänden; heute das große Geldausgeben, die Su- nicht über einen Dukatenesel verfügen, müssen wir che nach wohlfeilen Ideen, für die man Zustimmung mit dem, was der Haushalt vermehrt leisten soll gewinnt und mit denen man Freude verbreiten kann. und leisten kann, sehr sorgfältig zu Werke gehen. Für dieses vermeintliche Durcheinander müssen Die kritische Sonde wird insbesondere bei den Per- dann selbstverständlich die bösen Fiskalisten her- sonalanforderungen anzulegen sein. Unbestreitbar halten. Meine Damen und Herren, es darf aber dar- gibt es Bereiche des öffentlichen Dienstes, in denen an erinnert werden, daß das Haushaltsstrukturgesetz 3500 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Hoppe mit einer steifen Brise vom Brahmsee nach Bonn ge- gehend gedeckt haben. Von daher kann die Nach- weht wurde. Anders als viele, die diesen schmerz- frage nur noch sehr bedingt angeregt werden. haften Eingriff ausgedacht haben, stehen die Haus Im übrigen ist im privaten Bereich die Alterna- haltspolitiker aber auch heute noch zu dieser Ent- tive „Sparen oder Geldausgeben" so simpel nicht zu scheidung; denn sie war richtig. stellen. Wir würden den wichtigen Anteil der Ver- (Beifall bei der FDP und der SPD) mögenspolitik — im Sinne einer gerechten Vermö- gensverteilung mit eigenverantwortlicher Vorsorge Ohne die damals getroffenen Maßnahmen wäre und Vermögensbildung — selbst vollends negieren, nämlich nicht der finanzielle Bewegungsspielraum wenn wir das wirtschaftspolitische Verhalten des gewonnen worden, den wir im laufenden Haushalt einzelnen auf das schlichte Entweder-Oder reduzie- — und jetzt vermehrt 1978 — nutzen können, um ren wollten. Auch wenn die Probleme in der Ver- mit dem Problem unserer Konjunktur- und Arbeits- mögensbildung erst noch zu lösen sind, so haben marktsituation fertigzuwerden. Es ist also ganz ver- die Bemühungen der Parteien doch schon zu gewis- fehlt, die Maßnahmen des Haushaltsstrukturgeset- sen Verhaltensweisen geführt, die wir in unsere zes als finanzpolitischen Irrtum abtun zu wollen. politischen Überlegungen nun bitte aber auch mit einbeziehen müssen. Der Mensch sei aufgefordert, Geradezu fatal wäre es aber, sollte sich jetzt die intelligent zu sparen und nicht ohne echtes Be- Meinung breitmachen, die Ausgaben des Haushalts dürfnis zu konsumieren. Diese Mahnung hat Papst brauchten nur richtig in die Höhe gejubelt zu wer- Paul VI. an die Gläubigen der Welt zum Tag des den, und schon würde die Konjunktur laufen und die Umweltschutzes gerichtet. Er hat damit zwar einen Arbeitslosigkeit verschwinden. Eine solche Menta- anderen Aspekt von Sparen und Verbrauchen ge- lität würde uns mit Sicherheit ganz schnell wieder meint; aber auch hier werden wir uns darüber im ein neues Haushaltssicherungsgesetz bescheren. klaren sein müssen, daß so fein nicht unterschieden Nein, meine Damen und Herren, es kommt doch wird, wie es mancher Wirtschaftspolitiker im Augen- nicht nur darauf an, ein bestimmtes Ausgabevolu- blick der Flaute gern wünschte. men zu beschließen, große Zahlen aufs Papier zu bringen, um sich an sensationellen prozentualen Meine Damen und Herren, ich sage es noch ein- Steigerungsraten zu berauschen. Diese Zahlen wer- mal: Der Haushalt 1978 muß und wird das Seine den zwar Teil des volkswirtschaftlichen Gesamt- zur Belebung unserer wirtschaftlichen Konjunktur datenkranzes und damit auch bestimmend für die tun. Wunderdinge sind von ihm nicht zu erwarten. Aussage über das Wirtschaftswachstum und die Sorgen wir dafür, daß das, was vom Haushalt an Entwicklung am Arbeitsmarkt. Ihre volle Wirksam- positiven Impulsen ausgehen kann, auch voll wirk- keit für den tatsächlichen Wirtschaftsablauf erlan- sam eingesetzt wird. Eine am rein Sachlichen orien- gen sie aber doch nur dann, wenn sie auch in den tierte Betrachtungsweise kann im Augenblick am Wirtschaftskreislauf voll eingespeist werden- kön- ehesten die Voraussetzungen für eine Zusammen- nen. Daß dies im Sinne des volkswirtschaftlichen arbeit aller Bürger und Gruppen in diesem Staat Nutzens erfolgen muß, sei noch einmal unterstri- schaffen. Diesen Konsens brauchen wir, um mit den chen. Schwierigkeiten der Gegenwart fertig zu werden. Arbeitgeber und Arbeitnehmer können diese Auf- Allerdings gehören die Klagen über die vielen gabe nur gemeinsam lösen. Regierung und Parla- Investitionshemmnisse nun schon zum täglichen ment sowie die politischen Parteien haben dafür im Morgengebet. Hüten wir uns also davor, Abwei- Dialog das nötige politische Klima zu schaffen, das chungen von den eigenen wirtschaftspolitischen ein vertrauensvolles Zusammenwirken aller Kräfte Zielprojektionen dadurch selbst noch zu produzie- in diesem Staat möglich macht. ren, daß wir Haushaltsmittel veranschlagen, die Die Bedingungen für ein kooperatives Verhalten dann doch überhaupt nicht ausgegeben werden kön- der Parteien, Verbände und Gruppen in unserem nen. Die Haushaltsreste mögen dem Finanzminister Staat sind aber nicht gerade besonders günstig. Freude bereiten; für die volkswirtschaftliche Ge- Zwischen den Parteien scheinen Polarisation und samtrechnung sind sie ein Ärgernis, meine Damen Konfliktstrategie zu triumphieren, sie verdrängen und Herren. den ernsthaften Versuch, zu angemessenen Lösungen (Beifall bei der FDP) auf gemeinsamer Grundlage zu kommen. Nur müh- Die antizyklische Fiskalpolitik kann keine Wun- sam können die Emotionen noch gezügelt werden. der vollbringen, deshalb nicht, weil die bürokra- Am Ende der gegenwärtigen Phase, die durch die tischen Hemmnisse keineswegs dazu angetan sind, niederträchtigen Morde und die Entführung Hanns die flexible Handhabung des fiskalpolitischen In- Martin Schleyers geprägt ist, droht eine Eruption strumentariums zu begünstigen. innenpolitischer Konfliktladung. Nicht der Staat ist in Stellung gegangen und hat sich eingegraben; mir Wie im öffentlichen Haushalt wird es auch im scheint aber, die Parteien sind drauf und dran, in privaten Bereich schwer sein, antizyklische Verhal- die innenpolitischen Gräben der 50er Jahre zurück- tensweisen zu mobilisieren. Die Bürger in diesem zukehren. Lande werden sich kaum auf Knopfdruck vom Spar- (Beifall bei der FDP) schwein zum Konsumtiger umfunktionieren lassen. Das liegt einmal an einer sehr ausgewogenen Ge- Wenn wir das nicht verhindern, wird das parlamen- mengelage des Bewußtseins unserer Bürger, zum tarische System Schaden nehmen. Die kritische Aus- anderen natürlich daran, daß wir in der Vergangen- einandersetzung muß sein, auch der Vorwurf der heit doch in vielen Bereichen unseren Bedarf weit Versäumnisse muß ertragen werden, aber jeder Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3501

Hoppe Disput ist besser zu ertragen, wenn er nicht von den wir fast mutwillig einen Streit pflegen, mit dem Schreiern bestimmt wird. wir der Sache Konjunktur überhaupt keinen Dienst (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten leisten. Dennoch werden die seltsamen Scheingefech- der SPD) te aufgeführt. (Beifall bei der FDP) Zeigen wir Selbstbewußtsein. Praktizieren wir Man darf doch wohl feststellen, daß die finanziellen unsere freiheitliche rechtsstaatliche Ordnung erst Auswirkungen der unterschiedlichen Lösungsmo- und vor allem im Umgang mit uns selbst. Es ist aus- delle, die angeboten werden, für den einzelnen in schlaggebend für das menschliche Klima in unserem der finanziellen Auswirkung weitgehend gleichge- Land und prägend für das Bild, das sich unsere euro- wichtig sind. Alle Freibetragsmodelle gehen in die päischen Nachbarn von uns machen. Wir haben um gleiche — richtige — Richtung. Für die konjunktur- die Lösung der akuten Probleme der inneren Sicher- politische Dimension bleibt der Streit verhältnis- heit hart zu ringen. Tun wir dies aber bitte inner- mäßig bedeutungslos. halb des Wertsystems, das wir mit unserer Rechts- und Verfassungsordnung geschaffen haben. Wer an Wichtig ist, daß gehandelt wird. Zeigen wir des- den Anfang der Diskussion die Forderung nach einer halb die Fähigkeit zum Kompromiß. In dieser Stun- Grundrechtsänderung stellt, darf sich nicht wundern, de sind nicht die Taktiker gefragt. Wir sollten auf- wenn er Ablehnung provoziert. Der kritische Dis- einander zugehen, und wir sollten den ernsthaften put verträgt keine Holzhammermethode. Versuch machen, noch eine Lösung in diesem Bun- destag zustande zu bringen. Es wäre jedenfalls be- Meine Damen und Herren, auch der soziale Friede denklich, würden wir weiter in Selbstmitleid ver- ist bei uns ins Gerede gekommen. Die Leistungsfä- harren. Wir müssen aus diesem Zustand der Lethar- higkeit unseres Staates, seine Wirtschaftskraft und gie heraus. seine Stabilität beruhen nicht zuletzt auf dem hohen Maß an sozialer Sicherheit und sozialem Frieden. Lassen Sie mich nun im Vorgriff auf die Bera- Seit die Arbeitgeber in Sachen Mitbestimmung nach tungen noch drei Einzelthemen behandeln, die die Karlsruhe gegangen sind, ist das Verhältnis ge- Gesamtdiskussion immer wieder maßgeblich beein- stört. Die Kommentare und das Verhalten der Ge- flussen. Wenn es einen Bereich gibt, in dem nach werkschaften sind drastisch. Klageerhebung und einer Tendenzwende im Haushalt 1977 jetzt im Reaktion darauf schaffen ein gereiztes Klima, wie Haushalt 1978 von einem echten Qualitätssprung zu wir es gerade in diesem Augenblick eigentlich nicht sprechen ist, dann ist es die Entwicklungspolitik. gebrauchen können. Auch hier sollte die Kampf- Sie ist mit einer erfreulich hohen Steigerungsrate stellung aufgegeben werden. Unsere pluralistische aus ihrem bisherigen Schattendasein herausgetre- Gesellschaft muß sich gerade in der Auseinander- ten. Ich halte allerdings nicht soviel davon, die Ent- setzung über elementare Streitpunkte bewähren.- Es wicklungspolitik in einen zu engen Zusammenhang sollte deshalb mit einer gewissen Gelassenheit auf zur Konjunkturpolitik zu bringen. Falls die beschäf- die Entscheidung des angerufenen Bundesverfas tigungspolitische Diskussion des Augenblicks mit- sungsgerichts gewartet werden können. geholfen haben sollte, den Schritt nach vorn zu be- günstigen, so kann man das zwar hinnehmen. Aber Ein Wort zum Maßnahmenkatalog der Bundesre- der Zyklus der Entwicklungshilfe mit Projektabstim- gierung, der gemeinsam mit dem Haushalt 1978 vor- mung, Projektplanung und Projektdurchführung gelegt wurde. Er ist ein konzentriertes Bündel viel- eignet sich, wie die Erfahrung vieler Jahre ge- fältig wirkender therapeutischer Stärkungsmittel für lehrt hat, nun wirklich nicht für konjunktur- und die wirtschaftliche Konjunktur. Auch der steuer- beschäftigungspolitische Maßnahmen. Die Entwick- politische Teil hat mehr Zustimmung als kritische lungspolitik braucht einen langen Atem, konjunk- Ablehnung erfahren. Sieht man bei den Äußerungen turpolitische Maßnahmen werden vom Augenblick des Wind- und Meinungsmachers der Opposition, diktiert. Ließe man diese Erfahrung unberücksich- Franz Josef Strauß, einmal von der obligatorischen tigt, liefe man Gefahr, das Entwicklungshilferessort Begleitmusik ab, so ist doch auch aus den Reihen erneut zu einer Schatzkammer für den Bundes- der Opposition prinzipielle Zustimmung bei Ab- finanzminister zu machen. Mit Unbehagen denken schreibungsverbesserungen und Weihnachtsfreibe- wir doch wohl noch alle an jene Zeit, als die Haus- trag zu konstatieren. haltsreste in diesem Ressort Spitzenwerte erreichten. Die Forderung der Opposition, den Grundfreibe- Zu einer international anerkannten und von brei- trag durch einen Konjunkturabschlag zu ersetzen, ten Kreisen unserer Bevölkerung unterstützten Ent- mag im Hinblick auf die Steuerrechtssystematik und wicklungspolitik werden wir am ehesten dann kom- eine möglichst reibungslose Überleitung zu den drin- men, wenn deutlich wird, daß unsere Maßnahmen gend notwendigen Korrekturen des Steuertarifs in bester Weise zu einem Interessenausgleich der durchaus verständlich sein. Aber nicht einmal diese Partnerländer führen. Das ist dann wirkliche Hilfe Alternative wird so absolut im Lager der Opposi- auf Gegenseitigkeit und keine fragwürdige Sozial- tion vertreten, sondern selbst dazu hört man auch politik im internationalen Maßstab. andere Vorstellungen, die sich in den Vorstellungen von Mischlösungen bewegen. Anders als in der Entwicklungspolitik, wo unbe- streitbar positive Aspekte zu verzeichnen sind, ist (Franke [CDU/CSU] : In Sachen Einigkeit bei dem von mir in der dritten Lesung des Haus- seid ihr nicht zu überbieten!) halts 1977 gleichfalls angepackten Thema der Sa- — Verehrter Herr Kollege Franke, ich möchte in nierung der Deutschen Bundesbahn leider eine nega- diesem Augenblick einmal deutlich machen, wie sehr tive Festellung zu treffen. Die Milliardenhilfe aus 3502 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Hoppe dem laufenden Haushalt hat den Weg zu einer falls streng an den tatsächlichen Erfordernissen aus- Grundsanierung hier eben nicht ebnen können. Eine richten. längst erkannte, aber wegen anderer Prioritäten Keinesfalls aber darf es bei den Stellenvermehrun- 1977 vertagte Aufgabe muß weiterhin ungelöst gen um die Verbesserung des Stellenkegels und die bleiben. Trotz erneut hoher Zuschüsse aus dem Bun- Erhöhung der Beförderungschancen gehen. Ich sage deshaushalt ist die Situation der Bundesbahn pro- dies, weil unser Beförderungsmechanismus, der durch blemgeladen, ja sie verschärft sich in bedenklicher Stellenkegeltechnik und Obergrenzenarithmetik zu- Weise. Wir werden uns auf Sicht keinen Gefallen stande gekommen ist, ein tiefes Unbehagen hervor- tun, wenn wir die längst überfällige Grundsanierung gerufen hat. Alle, die sich über Aversionen wundern, weiterhin dilatorisch behandeln und nach sehr zwei- die gegenüber dem öffentlichen Dienst bestehen, felhafter Vogel-Strauß-Manier den Kopf weiter in den Sand stecken. Ein Unternehmen, das nicht mehr müssen auch einmal bereit sein, die Ursache dafür in der Lage ist, die eigenen Personalkosten zu er- zu durchleuchten. Dabei wird sich dann wohl zeigen, wirtschaften, ist eigentlich am Ende. daß die Reform des öffentlichen Dienstrechts wirk- lich überfällig ist. Die Bundesbahn wird kaum allein mit ihren Sor- Der Etat 1978 geht nun in die Beratungen des gen fertig werden. Eine politische Entscheidung ist Haushaltsausschusses. Damit er zur zweiten und hier gefordert. Die Bundesregierung und die Frak- dritten Lesung im Januar 1978 dem Plenum recht- tionen müssen sich dieser Frage endlich stellen und zeitig vorgelegt werden kann, ist wieder ein Mam- können ihr nicht länger ausweichen. Die exemplari- mutprogramm zu bewältigen. In so kurzer Zeit eine sche Not der Bundesbahn, die drauf und dran ist, Finanzmasse von knapp 190 Milliarden DM mit im Meer ihrer Personalkosten zu versinken, sollte einem Anspruch auf Ernsthaftigkeit zu prüfen ist dem Bundestag und den Mitgliedern des Haushalts- aber wohl kaum möglich. Aus dieser Form von Eil- ausschusses bei jeder Entscheidung über Stellenver- beratung, die mit Zügigkeit nichts mehr zu tun hat, mehrungen stets vor Augen sein. sondern zur Oberflächlichkeit zwingt, müssen wir Diese Pflicht zur kritischen Prüfung gilt auch für endlich herauskommen. Es wäre zu wünschen, daß so sensible Bereiche wie den der inneren Sicherheit. mit der Verabschiedung Ides Haushalts 1978 auch Es gibt keine Meinungsverschiedenheit darüber, daß diese Phase fragwürdiger Verfahrenstechnik endlich die wirksame Bekämpfung des Terrors nicht an not- der Vergangenheit angehören würde. wendiger Verstärkung personeller und sachlicher Zum Inhalt ides vorgelegten Entwurfs stelle ich für Ausstattung scheitern darf. Richtig ist aber auch die die Fraktion der Freien Demokratischen Partei noch Feststellung, daß Personalvermehrungen allein nicht einmal fest, daß er eine finanzpolitisch angemessene schon mehr Sicherheit und Schutz vor Bandenkri- Antwort auf die 1978 anstehenden Fragen gibt. Wir minalität gewährleisten. Nach jeder Gewalttat- wird werden uns bemühen, einen konstruktiven Beitrag nämlich versucht, kraftvolles Handeln zu demon- zu dem Dialog über das uns unterbreitete Zahlen- strieren. Da der Zugriff auf die Täter und die Ab- werk zu leisten. urteilung der Tat auf sich warten lassen, müssen (Beifall bei der FDP und der SPD) dazu große Worte herhalten. Dabei bietet sich die Forderung nach neuen Planstellen zur besseren Verbrechensbekämpfung häufig als angenehmer Vizepräsident Frau Funcke: Wir treten jetzt in die Ausweg an. Eine solche Methode begünstigt weder Mittagspause ein und werden die Beratungen um einen organischen Aufbau der Sicherheitsein- 14 Uhr fortsetzen. richtungen, noch schafft sie die Voraussetzungen für Die Sitzung ist unterbrochen. eine sachgerechte Beratung. Ein Parlament, das von (Unterbrechung von 12.37 bis 14.00 Uhr) Terroranschlag zu Terroranschlag unter Hinweis auf die dramatische Lage um Stellenvermehrung ange- Wir fahren in den Be- gangen wird, gerät unversehens in den Zustand der Vizepräsident Frau Renger: ratungen fort. Das Wort hat der Herr Bundesmini- Hilflosigkeit und damit der Entscheidungsunfähig- ster Dr. Friderichs. keit. Dies sollten sich aber die Beteiligten ersparen.

Es war deshalb sicher berechtigt, daß der Haus- Dr. Friderichs, Bundesminister für Wirtschaft: haltsausschuß bei der Beratung des Etats 1977 eine Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen! Meine Her- Vorlage über den endgültigen Ausbau des Sicher- ren! Ich möchte die heute vormittag begonnene heitsbereichs unter optimalen Bedingungen verlangt Grundsatzaussprache anläßlich des Haushalts gern hat. Denn nur eine Lösung, die nicht jeweils am fortsetzen und Sie bitten, nach den grundsätzlichen Schrecken eines neuen Terroranschlags orientiert politischen Reden am Vormittag einen kleinen ist, wird uns vor Fehlentscheidungen bewahren. So Augenblick lang darauf zu schauen, wie die Lage ist es denn zu begrüßen, daß nun ein in sich ge- im Moment ist, und auf dieser Basis über eine schlossenes Konzept für den Bereich der inneren kurze Ursachenanalyse den Versuch zu machen, Sicherheit vorgelegt worden ist. Ob das Ziel einer auch für die Zukunft Erfahrungen zu sammeln. reibungslos und wirksam greifenden Ermittlung und Es trifft zu, daß die konjunkturelle Erholung und Strafverfolgung tatsächlich nur mit den geforderten damit das Wirtschaftswachstum im ersten Halbjahr Zahlen erreicht wenden kann oder ob hier weniger des laufenden Jahres hinter unseren Erwartungen vielleicht mehr schaffen würde, muß jetzt nüchtern zurückgeblieben ist. Das Sozialprodukt ist gegen- geprüft werden. Die Entscheidung muß sich jeden über dem Vorjahr um 3 % gestiegen; 5 % waren an- Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3503

Bundesminister Dr. Friderichs gepeilt. Im Jahresverlauf kam es über eine deut- Ich will nicht verhehlen, daß — aber damit will liche Wachstumsverlangsamung im ersten Quartal ich mich noch auseinandersetzen — auch ein Inve- sogar zu einer Stagnation im zweiten Quartal. stitionsstau eine Rolle gespielt hat, der in bestimm- ten Sektoren unserer Volkswirtschaft festzustellen Wo liegen nun die Schwachstellen im einzelnen? ist. Ich nenne bewußt, meine Damen und Herren, Ich finde, man sollte sie gleich der Jahresprojek- nicht nur die Kraftwerke. Es sind Kernkraftwerke, es tion gegenüberstellen; denn hier ist gar nichts zu sind Kohlekraftwerke — ich glaube, zusammen han- vertuschen. delt es sich um ein Auftragsvolumen von etwa Die Warenausfuhr war mit plus 8 bis 10 % pro- 15 Milliarden DM —, aber es sind auch Straßen nicht jiziert. Tatsächlich waren es im ersten Halbjahr gebaut worden, die fest projektiert, eingeplant und plus 6,9 %. Damit stellt sich sofort die Frage: Sind durchfinanziert waren. Ja, man muß sogar hinzufü- wir weniger wettbewerbsfähig geworden? Woran gen: Es sind auch Umweltschutzanlagen, z. B. Klär- liegt das? anlagen, nicht gebaut worden, weil auch gegen sie, sei es mit Protest, sei es mit Prozeß, erfolgreich Es ist anzumerken, daß der Welthandel insgesamt vorgegangen worden ist. weniger gewachsen ist, als er von der OECD prognostiziert war. Hinzu kommt, daß wir einen Es wäre nicht vollständig, an dieser Stelle nicht überproportionalen Anteil an Export in jene Länder auch ein Wort zu den Tarifabschlüssen zu sagen. Die haben, die im ersten Halbjahr unter besonderen Tarifabschlüsse, meine Damen und Herren, lagen, Wachstumsschwierigkeiten zu leiden hatten. Wir gemessen an der Jahresprojektion, noch eben in- exportieren mehr als 40 % nach Europa. Außer uns nerhalb der Projektion, aber ganz deutlich an der sind die einzigen Länder mit deutlichem Wachs- Obergrenze, und zwar im Durchschnitt: einzelne dar- tum Japan und die USA. Das bedeutet: Es kommt über, einzelne darunter. Aber diese projizierte Ober- nicht nur auf die Warenstruktur, sondern auch auf grenze bei den Löhnen hat sich im nachhinein — den Bestimmungsort an, um hier die Zahlen richtig ich betone ausdrücklich: im nachhinein — als zu zu werten. hoch erwiesen; denn sie war projiziert auf ein rea- les Wachstum von 5 % und nicht auf eines von 3 Der private Verbrauch war mit real plus 4,5 % oder 31/2 %. Das muß man sehen. Durch das nied- projiziert. De facto lag er nur bei plus 2,5 %. Das rigere Wachstum sind die Lohnstückkosten in die- liegt sicher nicht daran, daß die erforderlichen sem ersten Halbjahr also wieder gestiegen, d. h., Bruttoeinkommen nicht zur Verfügung standen. der Kostendruck von dieser Seite aus hat zugenom- Denn sie sind gestiegen, und zwar nominal und real. men. Verstärkt gehen damit normalerweise Ratio- Sie sind aber ganz offensichtlich bisher nicht im nalisierungsinvestitionen einher. erwarteten Ausmaß in den Konsum eingegangen. Ich glaube, im zweiten Halbjahr ist beim Aggregat Aber es hat ja gar keinen Zweck, dies so zu behan- „privater Verbrauch" eher mit einer dynamischeren deln, wie es öffentlich leider oft getan wird, nämlich: Entwicklung zu rechnen. jeder mache möglichst laute Vorwürfe an die Ge- genseite; sondern bei einer so wichtigen Debatte Der Staatsverbrauch war mit real plus 2 % pro- wie der Haushaltsdebatte ist doch wohl eine Frage jiziert. Tatsächlich liegt er bei plus/minus null. Das erlaubt: Stehen wir hier nicht vor einem wirklichen bedeutet: Über das Aggregat „Staatsverbrauch" hat Dauerproblem in der Projektion? Ich würde die Fra- es keinen Beitrag zur konjunkturellen Entwicklung ge mit Ja beantworten, denn wir, die jeweils am- gegeben. Nun wissen Sie, wie der Anteil des Bun- -tierende Regierung, sind nach dem Stabilitäts-und des an den öffentlichen Ausgaben ist, Sie wissen, Wachstums-Gesetz gezwungen, eine Projektion vor- wie hoch der Anteil der Länder und der Gemeinden zulegen und in dieser Projektion auch etwas über ist. Ich will hier nicht abrechnen im Sinn von rich- die Einkommenshöhe — übrigens ebenso wie über ten. Aber eines steht fest: Der Staatsverbrauch ins- die erwartete Preissteigerungsrate — zu sagen. Es gesamt hat nicht nur keinen positiven Beitrag ge- bleibt doch nicht aus, daß sich andere, die die Pro- leistet, sondern, gemessen an der tatsächlichen jektion ernst nehmen, in ihren autonomen Entschei- Wachstumsrate, eher einen negativen. dungsbereichen mindestens mit der Projektion be- schäftigen, vielleicht hin und wieder sich sogar nach Die Unternehmensinvestitionen haben real um 6,1 % zugenommen. Sie waren mit 8 % projiziert. ihr richten. Wenn sie aber tatsächlich nicht eintritt, dann sind im nachhinein auch diejenigen Entschei- Fazit: An diesen Daten zeigt sich, daß wir an dungen nicht mehr von der Projektion gedeckt, die keinem Punkt einen dramatischen Einbruch haben, sich ursprünglich nach ihr gerichtet haben. der das Weniger an Wachstum verursacht hat. Viel- mehr sind alle Aggregate mehr oder weniger hinter Vor diesem Dilemma des Stabilitäts-und-Wachs- der Projektion zurückgeblieben — wie übrigens tums-Gesetzes, meine Damen und Herren, steht diese auch in einer Reihe anderer Länder. Bundesregierung schon in Kürze wieder. Sie wird je- des Jahr davor stehen. Nach fünf Jahren Erfahrungen Einige Worte zu den Ursachen. sollte man auch zu den negativen Dingen ein Wort Der Welthandel hat im ersten Halbjahr mit 5 % sagen. Ich glaube, es ist wirklich an der Zeit, daß real — bei einer deutschen Warenausfuhr von plus wir miteinander überlegen, ob hier nicht in dem Ge- 6,9 %— langsamer zugenommen, als unterstellt wor- setzesauftrag ein — ich hätte beinahe gesagt: insti- den war. Ich habe schon darauf hingewiesen. Ich tutionalisierter — Fehler eingebaut ist, nämlich hin- muß auch noch einmal die Entwicklung in den wich- sichtlich der Angabe einer Einkommens- und Preis- tigsten Abnehmerländern unterstreichen. steigerungsrate, die doch auch in die Diskussion au- 3504 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Bundesminister Dr. Friderichs tonomer Gruppen eingeht. Kurzum: Ich glaube, wir zur Zeit der Vorlage des Jahreswirtschaftsberichts sollten darüber nachdenken, ob man entweder die wie immer von den letzten verfügbaren Daten aus. Jahresprojektion mit Alternativen versieht. Ich hal- Das sind die Daten vom Ende des Jahres 1976 ge- te das nicht für unproblematisch; denn der Abgeord- wesen. Zu dem Zeitpunkt, zu dem wir den Jahres- nete Dr. Strauß würde, wäre er hier, dann sicher wirtschaftsbericht im Kabinett verabschiedeten, näm- sagen, das sei die perfekte Vernebelungstaktik. lich im Januar, lauteten die Voten der Institute wie folgt. Das Mehrheitsvotum der Gemeinschaftsdia- (Zurufe von der CDU/CSU: Er ist doch da! gnose lautete auf 5 1/2 % Wachstum. Ich gebe zu, das — Da steht er doch!) Essener Institut sagte nur 3 bis 4 % voraus, das WSI — Ich bitte um Entschuldigung. Ich habe ihn so weit 6 %, IW 5½%; die Sachverständigenprognose lau- rechts nicht vermutet; das werden Sie verstehen. tete auf 4 1/2°A, aber mit zusätzlichem Programm auf (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) 5 bis 51/2 %. In dieser Lage hat die Regierung gesagt: 5 %. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, daß die Gemein- Die Frage ist also: Soll man Alternativen formu- schaftsdiagnose über dem von der Regierung proji- lieren, oder — wir kommen zu einem anderen zierten Wert lag, wobei Projektion und Prognose Punkt — muß sich die Einkommensverteilung am nicht zu verwechseln sind. Wir müssen ja sagen, Beginn des Jahres in niedrigeren Grenzen bewegen, welches Ziel wir erstreben, wir können nicht sagen, aber konsequenterweise dann mit der Möglichkeit welches Ziel eo ipso eintritt. Glauben Sie wirklich, oder gar Notwendigkeit, im nachhinein den Aus- eine Regierung könne oder sollte sich hinstellen und gleich den tatsächlichen Verhältnissen anzupassen? sagen: Die Institute sagen uns zwar 5 1/2 % voraus; Das kann über eine anschließende vermögenspoliti- die wollen wir aber nicht; wir wollen nur 4 1/2 % sche Maßnahme geschehen, es kann über klassisches oder irgend etwas darunter? Offensichtlich haben Nachverhandeln im Bereich des Tarifvertrages sein. also auch andere die Projektion für erfüllbar gehal- Je weniger sicher wir jedenfalls projizieren können ten, und zwar berechtigterweise, wie ich glaube, — bei einem so hohen Ausfuhranteil, wie wir ihn Herr Dr. Strauß. Das Wachstum des vierten Quartals haben, werden wir auch in den nächsten Jahren 1976 lag nämlich um 6 %, d. h. in dem Augenblick, nicht mit hoher Sicherheit Voraussagen treffen kön- in dem wir projizierten, hatten wir ein Wachstum, nen —, desto mehr müssen wir uns darauf einrich- das höher lag als das, was wir selbst projiziert hat- ten, gesetzte Daten korrigieren zu können, und desto ten. Richtig ist, daß dann im ersten Quartal die Auf- mehr müssen wir darauf achten, daß sich Voraus- tragseingänge zurückgegangen sind und sich an- entscheidungen nicht an Extremen ausrichten. Dies schließend der Anstieg nicht so fortgesetzt hat, wie wollte ich zu diesem Teil doch hinzugefügt haben. prognostiziert war. Ich glaube, daß wir im zweiten Halbjahr durch hö- Herr Dr. Strauß, ich will eines gern zugeben. Ich here Rentenzahlungen, Freiwerden von Spargeldern, habe schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt gesagt, Wirksamwerden der im Frühsommer eingeleiteten- daß mir die 5 % als ein ehrgeiziges Ziel vorkämen. Programme eher ein etwas beschleunigtes Wachstum Ich habe aber auch immer dazu gesagt, daß die Da- haben werden — die jüngsten Zahlen scheinen übri- ten, die zur Verfügung stehen, auf diese 5 % hin- gens in diese Richtung zu gehen — als im ersten weisen. Der Bundestag hat ja wohl einen Anspruch Halbjahr. Auch meine ich, daß die Beschlüsse der darauf, mit verfügbaren Daten und nicht mit subjek- Bundesregierung vom 14. September 1977 mit dem tiven Gefühlen oder Empfindungen einzelner be- dort beschlossenen Maßnahmebündel der tatsächli- dient zu werden. Als wir ein Jahr zuvor die Projek- chen Lage besser gerecht werden als die einfache tion vorlegten, sagten Sie, es werde sehr viel weni- Anwendung des Stabilitäts- und Wachstums-Geset- ger. Am Ende wurde es noch mehr, als wir ange- zes durch einen Abschlag von x % von der Lohn nommen hatten. Daran erinnern wir uns sehr wohl. Einkommen- und Körperschaftsteuer. Dies habe ich auch unumwunden vor der Bundes- (Beifall bei der FDP und der SPD) pressekonferenz zugegeben. Ich hätte gewünscht, Sie hätten das Protokoll der Bundespressekonferenz und Ich bin der Meinung, daß sie einmal feiner dosiert nicht eine Zeitung gelesen. In dem Protokoll können sind und daß zum anderen mit diesem Maßnahmen- Sie wörtlich nachlesen, was ich dazu gesagt habe. bündel, wenn es Gesetz wird — das liegt ja nun an Ich habe mich zu dieser Projektion bekannt. Sie war Ihnen und am Bundesrat —, auch für die nachfolgen- damals gerechtfertigt. Es sind anschließend Daten den Tarifverhandlungen die Rahmenbedingungen eingetreten, die darunter lagen. verbessert werden und wir auch von dieser Seite für das nächste Jahr einen sinnvollen Beitrag erwarten Dann wurde unter Anspielung auf die Investitions- können. Mehr sollte man öffentlich zu diesem Teil steuer des Jahres 1973 und die Investitionszulage nicht sagen. des Jahres 1974 die Frage der Konjunkturpolitik und des Stop-and-go angesprochen. Erlauben Sie hier Herr Dr. Strauß hat heute morgen die „Frankfurter doch mal einen ganz kurzen Rückblick. Heute mor- Rundschau" zitiert, wohl nach einer Pressekonferenz gen ist ein bißchen zu kurz gekommen, wo wir im geschrieben, die ich über die Frage gegeben habe: Vergleich mit vergleichbaren Nationen stehen. War die ich glaube, ich zitiere Sie Projektion — Die Bundesrepublik hat zusammen mit Japan und sinngemäß richtig — von Anfang an eigentlich nicht den USA im Jahr 1975/76 mit einem Wachstum von erfüllbar, und warum habt ihr das, wenn es so war, 5,7 % aus der Rezession herausgefunden. Wir sollten nicht gesagt? nicht unterschätzen, wie auch in der internationalen Meine Damen und Herren, lassen Sie es mich be- Diskussion beobachtet wird, ob wir uns dazu beken- gründen, warum sie so formuliert wurde. Wir gingen nen, daß wir zusammen mit den beiden anderen im Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode - 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3505 Bundesminister Dr. Friderichs letzten Jahr im Gegensatz zu den Defizitländern aus es ja: Die, die die Dinge damals haben schleifen der Rezession herausgefunden haben. Man muß sich lassen, standen danach vor schwierigsten Vertei- doch wirklich mal fragen, wie es eigentlich kommt, lungskämpfen in der schlechtesten Situation, in der daß wir 1975 begonnen haben, aus der Rezession man sie sich denken konnte, nämlich mitten in der herauszukommen, um im Jahre 1976 mit immerhin Rezession. stolzen 5,7 O/0 Wachstum eine auch international be- achtliche Ziffer zu erreichen. Da muß man sich doch Und, meine Damen und Herren: Wie hätte unsere fragen, ob es nicht unter Umständen an früheren Wettbewerbssituation auf den Weltmärkten denn politischen Entscheidungen liegt, daß wir so wie dann unmittelbar nach dem Ölschock ausgesehen, wo Japan und die USA diesen Schritt vor anderen getan wir doch offensichtlich in der Lage waren, über eine und damit auch für die anderen eine befruchtende boomartige Steigerung des Exports in bestimmte Wirkung herbeigeführt haben. Da muß man sich Länder einen Beitrag zu unserer eigenen Beschäfti- doch die Frage stellen, ob wir im Jahr 1973 weniger gungsstabilisierung zu leisten? Ich glaube, von da- Stabilitätspolitik hätten machen sollen, wie eben mit her war das schon konsistent. der Kritik an der Investitionssteuer gesagt wurde. Ich muß auch fragen: Was hätten Sie denn nach Wie wären dann die Ergebnisse gewesen? der Erdölkrise anders gemacht? Wollten Sie eine Welche Handlungsalternativen zur Wirtschafts- forcierte Nachfragestimulierung nach Keynes'schem politik der Bundesregierung wären denn damals Muster? Wäre das strukturverbessernd gewesen? brauchbar gewesen? Wo haben sich denn andere Denn es ist doch gar keine Frage, daß bestimmte Politikmuster besser bewährt? Ich behaupte, daß wir Strukturen abgebaut werden mußten, Strukturen, aus der Rezession der westlichen Welt nicht so früh die nicht mehr der Nachfrage entsprachen, und daß herausgekommen wären, wenn wir nicht so früh, neue aufgebaut werden mußten. Glauben Sie wirk- nämlich im Frühjahr 1973 — wie ich zugebe —, lich, daß damals, unmittelbar nach dem Energie- stabilitätspolitisch geklotzt hätten, übrigens mit Ihrer schock, eine gewaltige Beschäftigungstherapie mit Zustimmung, wenn ich mich recht entsinne. riesigen staatlichen Ausgabenprogrammen dauerhaft (Beifall bei der FDP und der SPD) richtig gewesen wäre und daß damit dann dauerhaft richtige Produktionsstrukturen geschaffen worden Ich gebe unumwunden zu, daß der Wirtschafts- wären? Diese Regierung hat es nicht geglaubt. minister bei der Investitionssteuer wahrscheinlich zurückhaltender gewesen wäre, sie vielleicht nicht Sie hat auf den strukturellen Wandel gesetzt. Wir einmal akzeptiert hätte, wenn er die Energiekrise dürften uns doch wohl einig sein, daß alle Maßnah- des Winters 1973/74 in diesem Ausmaß quantitativ men, die in dieser weltwirtschaftlich schwierigen und preislich vorausgesehen hätte. -Das können Sie Situation getroffen worden sind, am Prinzip der mir anlasten. Aber war denn hier einer, der- im Früh- Stabilität und der Marktwirtschaft orientiert waren jahr 1973 gesagt hat: Laßt bitte die Stabilitätspolitik und in diesen Rahmen hineingepaßt haben. sein, denn im Winter kriegt ihr die Energiekrise, und (Beifall bei der FDP) das, was wir jetzt tun, stört uns dann? Die Bundesregierung hat dann zu einem sehr frü- Sie haben übrigens Ihre grundsätzliche Zustimmung hen Zeitpunkt ihre eigenen Bremsmaßnahmen aufge- gefunden. Das sollte doch wohl nicht unerwähnt blei- hoben. In diesem Augenblick ist sie von der Oppo- ben. Oder, meine 'Damen und Herren, hätten Sie et- sition sogar kritisiert worden, daß sie sie zu früh wa in der damaligen Situation, nach der Vervier- aufhebt. Das muß doch alles einmal der historischen fachung der Energiepreise und während der Ver- Wahrheit wegen gesagt werden. knappung des Mineralöls, einer Strukturgestaltung durch den Staat das Wort geredet? (Beifall bei der FDP und der SPD) (Dr. Barzel [CDU/CSU]: Wir ganz be Natürlich kann man über die Struktur dieses Stabi- stimmt nicht!) litätsprogramms des Frühjahrs 1973 streiten, wie immer. Sie können jedes Programm so und so struk- — Oh, verehrter Herr Dr. Barzel, wenn Sie wüßten, turieren. Aber insgesamt war der Ansatz richtig. was ich in der Phase alles an Vorschlägen auf den Ich entsinne mich, hier in der Diskussion mit Herrn Tisch bekommen habe und von wem. Das war nicht Dr. Strauß gestanden zu haben, als er dem Deut- uninteressant! Das waren übrigens meistens solche, schen Bundestag zweistellige Preissteigerungsraten die im Vorsatz geschrieben haben: „Ich bin für die prophezeite. Wenn ich mich recht entsinne, haben Marktwirtschaft. In diesem Zusammenhang empfehle wir jetzt eine 3 vor dem Komma und nicht wie da- ich Ihnen aber folgende interventionistische Maß- mals fast eine 8, nämlich 7,8. nahmen." (Beifall bei der FDP und der SPD) (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der SPD) Und lassen Sie mich fragen: Wären, wenn wir das nicht getan hätten, die Verteilungskämpfe, die Das kennen wir ja doch! Es ist doch gar keine Frage, uns ja in der Ölkrise und danach ohnedies noch arg daß damals diskustiert wurde: Ist es richtig, daß die zu schaffen gemacht haben, nicht viel härter gewor- Automobilindustrie trotz dieser Situation noch den, wenn wir nicht rechtzeitig den Versuch gemacht wächst? Eine harte Diskussion, verständlicherweise. hätten, die Rate nach unten zu drücken und damit Heute wissen wir, daß wir dieser Tatsache jeden- den Trend umzukehren? Ich bin sicher, daß wir viel falls einen Teil unserer derzeitigen Beschäftigungs- schwierigere Verteilungskämpfe bekommen hätten. situation verdanken. Denn sie hat uns im ersten Übrigens, der Blick ins benachbarte Ausland zeigt Halbjahr genutzt. 3506 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Bundesminister Dr. Friderichs Nun ist die Frage aufgeworfen worden, ob es auf Strauß (CDU/CSU) : Herr Bundesminister, haben dieser Grundlage — Stabilitätspolitik 1973, ge- Sie beim Verfolgen meiner Rede nicht mitbekom- lockert und abgelöst durch die Beseitigung von re- men, daß ich gesagt habe, daß der Bundesfinanz- striktiven Maßnahmen im Jahre 1974 — jetzt richtig minister in der Situation, in der er heute ist, gar ist, zu . sagen: Statt eurer soundso viel Konjunktur- nicht anders kann, als einen Nettokredit in dieser programme hättet ihr klotzen und nicht kleckern Höhe aufzunehmen, und daß ich das in dem Zusam- sollen. Sie hätten anders dimensioniert sein müssen. menhang weiter ausgeführt habe, daß die frühere Ausgabenwirtschaft frühzeitig zu einer Anhebung (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) des Kreditniveaus geführt habe, so daß der Kredit Meine Damen und Herren, ich entsinne mich noch als konjunkturpolitisches Instrument weitgehend sehr gut, daß ich zwischen 1966 und 1969 junger Op- funktionsunfähig geworden sei? positionsabgeordneter in diesem Hause war und an (Beifall bei der CDU/CSU — Abg. Leicht dieser Stelle die damalige Bundesregierung — Fi- [CDU/CSU]: So war es!) nanzminister war damals Herr Dr. Strauß — wegen des zweiten Konjunkturprogramms im Jahre 1967/ 1968 kritisiert und gesagt habe: Sie werden sehen, Dr. Friderichs, Bundesminister für Wirtschaft: es wirkt, wenn Sie wieder im Boom sind; sie wer- Herr Dr. Strauß, es ist richtig, daß Sie das dem Sinne den daraus negative Folgen bekommen. Das ge- nach gesagt haben. Es hat doch gar keinen Zweck, plante dritte ist übrigens unterblieben, das zweite das zu bestreiten. Den Ball möchte ich aber dennoch war zu groß dimensioniert, wenn es überhaupt noch gern aufnehmen. Herr Dr. Strauß, schauen Sie sich nötig war. bitte einmal die Entwicklung der Haushaltsdefizite Ich sage dies nicht, meine Damen und Herren, um in den letzten Jahren und in diesem Jahre an. Ich Vorwürfe über vergangene Politik zu machen, son- meine nicht nur den Bundeshaushalt, sondern Sie dern um zu zeigen: Es ist eben sehr schwierig, bei müssen konsequenterweise den gesamtstaatlichen Programmen im vorhinein die richtige Dimension Haushalt betrachten. Der Konjunkturminister würde zu wählen. Deswegen haben wir von Anfang an ge- sagen, daß die Rückführung des hohen Kreditbe- sagt: Wir wollen nicht brutal draufhauen und damit darfs, gemessen an den Zielvorgaben der Konjunk- neue Stabilitätsprobleme schaffen, sondern wir wol- turpolitik, eher zu schnell als zu langsam gelau- len mit gezielten Programmen, auch wenn es meh- fen ist. Wenn Sie sich ansehen, was die Gemein- rere an der Zahl sind, den Versuch machen, die Din- den im ersten Halbjahr an Mehrausgaben und Mehr- ge zu steuern. Wenn Sie die Wachstumsrate des letz- einnahmen hatten und wie relativ gering ihre neue ten Jahres sehen, werden Sie mir vielleicht sogar Kreditaufnahme bei einem überquellenden Kapital- recht geben. markt war, dann muß man sich doch die Frage stel- len, ob dies konjunkturpolitisch richtig dimensio- An dieser Stelle muß ich übrigens noch- etwas ein- niert war. fügen. Eines habe ich an der Logik der Vorwürfe noch nicht begriffen. Hier wird gesagt: Ihr müßt klot- (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Aber Herr Friderichs, zen statt zu kleckern. Ihr müßt mehr tun. Das bedeu- dieses Pauschalurteil ist einfach falsch! — tet, entweder mehr auszugeben oder weniger einzu- Zuruf von der SPD: Herr Kohl versteht nehmen. Wollen wir uns hier einmal darauf einigen, doch nichts davon!) es auf der Einnahmenseite zu machen.. Das war wohl — Herr Dr. Kohl, ich habe in einer Grundsatz- Ihre Idee. Dann verstehe ich an Ihrer Argumentation debatte hier gesagt, daß wir uns einmal losgelöst nicht, wie man im selben Atemzug die Nettokredit- von aktuellen Fragen über die Dimensionierung aufnahme des Staates als zu hoch und als ein viru- der zukünftigen Kreditaufnahme des Staates unter- lentes Inflationspotential bezeichnen kann. halten müßten, und zwar unter dem Gesichtspunkt (Beifall bei der FDP und der SPD) des Beitrags des Staates zum Sozialprodukt und Denn, wenn ich auf 5, 6 oder 10 Milliarden DM Steu- nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Fiskalpolitik. ereinnahmen mehr verzichten soll, wie wir das im Ich weiß, Herr Dr. Kohl, daß Sie im vergangenen vorgelegten und morgen zu behandelnden Gesetz- Jahr draußen großen Beifall fanden, als Sie gegen entwurf vorsehen, dann ist es überhaupt keine Fra- die damaligen Kreditfinanzierungen des Staates ge- ge, daß wir diese Differenz mit Kredit finanzieren wettert haben. Nur, volkswirtschaftlich war sie müssen. Oder wollen Sie etwa in einer Situation, in richtig. Daran führt wohl kein Weg vorbei. Oder der das Nachfragepotential nicht ausgelastet ist, sollen wir etwa in diesem Jahr den Haushalt kür- etwa sagen: Um diesen Teil kürze ich die staatlichen zen? Ausgaben? Die Frage ist doch wohl erlaubt. (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Herr Kollege Fride richs, soll ich Ihnen die deutschen Groß (Beifall bei der FDP und der SPD) städte aufzählen, die mit ihren Finanzen am Ende sind?) Vizepräsident Frau Renger: Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- — Herr Dr. Kohl, soll ich Ihnen die deutschen Groß- ordneten Dr. Strauß? städte aufzählen, die zur Zeit hohe Guthaben bei Sparkassen und Banken unterhalten? Dr. Friderichs, Bundesminister für Wirtschaft: Ja. (Dr. Kehl [CDU/CSU] : Das ist doch die Aus- nahme! — Zuruf von der SPD: Der Kohl hat Vizepräsident Frau Renger: Bitte, Herr Abgeord- doch keine Ahnung! — Rawe [CDU/CSU]: neter. Zählen Sie sie doch auf! — Wolfram [Reck- Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3507

Bundesminister Dr. Friderichs linghausen] [SPD] : Herr Kohl hat doch Nicht utopische Ausgabenprogramme machen, ohne keine Ahnung! — Gegenrufe von der CDU/ daß die Notwendigkeit der Investition gegeben ist, CSU) nein, meine Damen und Herren. Aber dort, wo die Investition nötig ist, wo sie fertig geplant ist, wo — Meine Damen und Herren, es lohnt doch wirklich die mechanische Anlage — an der Mosel in einigen kein polemischer Streit darüber. Fällen — steht und nur die biologische Stufe fehlt, (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Herr Friderichs, das muß man die Frage stellen: Warum bauen wir sie ist doch kein polemischer Streit! Das ist denn jetzt nicht dazu, wo doch exakt die mittelstän- eine Feststellung!) dische Bauindustrie davon berührt wird? — Eine Feststellung ist es, da haben Sie recht. (Zuruf von der SPD) Herr Dr. Kohl, es ist doch wohl unbestritten, daß — Das ist kein Vorwurf gegen Rheinland-Pfalz; das im letzten Jahr das, was wir Konsolidierung nen- will ich gleich sagen. Ich sage bewußt: Es gilt land- nen, schneller gelaufen ist, als es in dem Haushalt auf, landab, von Flensburg bis Passau, daß derartige ursprünglich vorgesehen war. Sie kennen die Aus- Anlagen gebaut werden könnten, wenn wir den Mut gabenreste Ihres früheren Landes, Sie kennen die Ausgabenreste des Bundes, und Sie kennen die der hätten, sie jetzt sauber durchzufinanzieren und wirk- lich zu bauen. Das muß gesagt sein. Gemeinden. Dies wollte ich damit sagen. (Schröder [Lüneburg] [CDU/CSU] : Das hat Lassen Sie mich an dieser Stelle hinzufügen: Ich doch nichts mit Guthaben zu tun!) neige fast zu der Auffassung, daß wir bei den öffentlichen Haushalten — jedenfalls zum Teil — Ich wollte vor allen Dingen sagen, daß, wer heute von dem sogenannten System der Antizyklik abge- Klotzen verlangt, doch zugeben muß, daß er dann hen sollten, weil meine Erfahrung zeigt, daß Anti- nicht gleichzeitig vom Finanzchaos sprechen kann. zyklik gesagt und Prozyklik gefahren wird, Denn dann ist das Klotzen nicht zu finanzieren. Das wollte ich deutlichmachen. Ich bin gegen diese (Beifall bei der FDP) Doppelzüngigkeit. um dies in aller Klarheit zu sagen. Im Boom haben (Beifall bei der FDP und der SPD) sich insbesondere die Kommunen prozyklisch ver- halten, ich hätte fast gesagt, wie Unternehmen, und Im übrigen besteht ja auch die Frage, ob die Länder in der Rezession auch. Das heißt, zum Ausgleich der finanzminister eigentlich zum Klotzen bereit sind. Schwankungen wurde in weiten Bereichen der (Schröder [Lüneburg] [CDU/CSU] : Seit öffentlichen Hand kein Beitrag geleistet. Wenn das wann haben Haushaltsreste etwas mit so ist, und wenn es nicht zu ändern ist — und ich Bankguthaben zu tun?) fürchte, es ist nicht zu ändern —, - Ich will gern noch einen Punkt aus unserer frühe- (Dr. Häfele [CDU/CSU] : So ist es!) ren Zusammenarbeit, Herr Dr. Kohl, hier einfließen dann muß man sich überlegen, ob man von der An- lassen. Es ist nämlich heute morgen mit Recht ge- tizyklik nicht auch verbal abgeht und sagt: eine sagt worden: Bitte nicht Klotzen in den Bereichen, weitgehende Verstetigung der öffentlichen Ausga- in denen es sich um Dauerausgaben oder hohe Fol- ben. gekosten handelt. Das unterschreibt die Bundesregie- (Dr. Häfele [CDU/CSU] : So ist es!) rung voll. Aber lassen Sie mich einmal eine Frage stellen: Ist es eigentlich richtig, daß wir landauf, Man fährt sie durch. Man reduziert allerdings damit landab eine Vielzahl durchgeplanter und genehmig- die Konjunktursteuerung um ein Instrument, über dessen Bedeutung man wahrscheinlich trefflich strei- ter Umweltanlagen in den Schubladen liegen haben — ich meine konkret Kläranlagen; ich war früher ten kann. als Staatssekretär in Ihrem Lande, Herr Dr. Kohl, (Schröder [Lüneburg] [CDU/CSU] : Wie dafür zuständig —, deren Bau nur deswegen im rechtfertigen Sie denn bei dieser These Moment nicht durchgeführt wird, weil der Bau an- den Haushalt 1978?) geblich nicht finanzierbar ist, obwohl wegen des — Der Haushalt 1978 des Bundes, Herr Abgeordne- Gebührenprinzips hier keine Folgekosten auf die ter, steigt insbesondere aufgrund des Programms Kommunen zukommen, obwohl Baukapazitäten frei für Zukunftsinvestitionen im Investitionsbereich ge- liegen und obwohl das Geld am Kapitalmarkt so bil- genüber der Finanzplanung um mehr als 5 Milliar- lig ist wie noch nie zuvor? Diese Frage werde ich den DM, bei Projekten, die machbar sind. Dies halte doch wohl stellen dürfen. ich in der Lage, in der wir uns befinden, auch für (Beifall bei der FDP und der SPD) richtig. (Beifall bei der FDP und der SPD) Sie werden mir doch zugeben, daß es sich dabei um eine Investition handelt, die Voraussetzung für wirt- Nun lassen Sie mich noch ein Wort zu den blok- schaftliches Wachstum ist. Wenn wir nämlich unsere kierten Vorhaben bzw. zu dem sagen, was unter Wasserverhältnisse nicht in Ordnung bringen, wer- dem Stichwort Energie angesprochen worden ist. Ein den wir auf Dauer nicht das Wachstum in diesem Teil der energiewirtschaftlichen Investitionen ist Lande haben können, das wir brauchen. blockiert durch Gerichtsentscheid. Hier kann die Po- litik nur eines sagen: Dem haben wir uns zu beu- (Beifall bei der FDP und der SPD) gen und gegebenenfalls Gesetze zu ändern. Aber Das habe ich in der Konferenz des Bundeskanzlers dem Spruch der Richter, ob er uns paßt oder nicht mit den Ministerpräsidenten der Länder kritisiert: paßt, haben wir uns zu beugen. 3508 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Bundesminister Dr. Friderichs Nun sind heute morgen Anspielungen auf ener- fortzuschreiben, bevor sich die Reaktorsicherheits- giepolitische Auseinandersetzungen in den politi- kommission zur Entsorgungsfrage überhaupt nur ge- schen Parteien gemacht worden. Meine Damen und äußert hat. So leichtfertig sollten wir nicht mit der Herren, warum sollen wir das hier nicht offen an- Offentlichkeit umgehen. sprechen? Hier handelt es sich, wie in vielen ande- (Beifall bei der FDP und der SPD) ren Bereichen auch, um einen Zielkonflikt, nämlich darum, auf der einen Seite ausreichende Energie- Sie kennen meine Haltung. Daran ändert sich auch mengen zur Verfügung zu stellen und auf der an- gar nichts. Ich bleibe dabei: Erst erfolgt die Abwä- deren Seite dem Umweltschutz oder der Sicherheit gung; dann wird aber fortgeschrieben. der Bevölkerung Rechnung zu tragen. Entemotiona- Meine Damen und Herren, dies sollte noch hinzu- lisieren wir das Thema doch! Es ist doch ganz unbe- gefügt werden: Die Bundesregierung steht hier unter stritten — Sie kennen meine Haltung in der Frage ihrer eigenen Verantwortung. Jeder Bundesminister der Kernenergie; sie hat sich auch nicht geändert —, hat einen eigenen Eid geleistet, der auch in diesem daß ich es hier — dies habe ich bei meiner Abwä- Falle gilt. Die Bundesregierung wird dafür zu sorgen gung zugrunde gelegt — mit einem andersartigen oder darum zu ringen haben, hier im Deutschen qualitativen Risiko als bei konventionellen Anla- Bundestag die erforderlichen Mehrheiten zu bekom- gen zu tun habe. Dann dürfen Parteien doch wohl men. Sie hat sie in der Vergangenheit auch ohne die miteinander darüber streiten, kämpfen, ringen, was Opposition, Herr Dr. Kohl, gehabt. Sie wird sie auch denn wohl die richtige Position sei. Das ist nach in Zukunft haben. Machen Sie sich nicht zuviel meiner Meinung in einer Demokratie nicht nur er- Hoffnungen auf falsche Tatbestände. laubt, sondern sogar erwünscht. (Beifall bei der FDP und der SPD) (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Kohl [CDU/CSU] : Das bestreitet doch nie Es kann sonst eine bittere Enttäuschung geben. Es mand!) ist schon einmal passiert, daß sich hier jemand mit Mehrheiten verschätzt hat. Kritik wäre angebracht, wenn Zweifel an der Hal- tung der Bundesregierung als Führungsinstrument (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Ich würde an Ihrer aufkommen könnten. Stelle solche Prognosen nicht abgeben! Sie ,sehen das ja dann von draußen!) Meine Damen und Herren, wir haben ein erstes Energieprogramm vorgelegt, dem auch Sie nicht wi- — Ich würde den Wähler befragen, Herr Dr. Kohl. dersprochen haben. Wir haben ein zweites Energie- Wir haben den Wähler befragt. Diese Bundesregie- programm, eine Fortschreibung — wiederum mit . rung hat den Bundestagswahlkampf unter anderem dem Bestandteil „Kernenergie" — vorgelegt, dem mit ihren energiepolitischen Vorstellungen geführt, auch Sie nicht widersprochen haben. Im Frühjahr und sie hat dafür vorn deutschen Volk eine Mehr- dieses Jahres haben wir die Eckwerte -und Richt- heit bekommen. Das werden Sie ja wohl nicht auch linien für die zweite Fortschreibung vorgelegt — noch bestreiten. ebenfalls mit dem Bestandteil „Kernenergie" —, (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. dem in diesem Hause auch nicht so widersprochen Stark [Nürtingen] [CDU/CSU] : Mit dem Be worden ist, daß die Bundesregierung ihre Meinung lügen von Rentnern hat sie den Bundes hätte ändern sollen oder müssen. tagswahlkampf geführt! — Haase [Kassel] (Schröder [Lüneburg] [CDU/CSU] : Wird [CDU/CSU] : Da schweigt des Sängers Höf es denn durchgeführt? — Dr. Kohl [CDU/ lichkeit!) CSU] : Wenn sechs von Ihnen mit uns stim Heute morgen ist nun ein Thema angeschnitten men, haben Sie die Mehrheit!) worden, das eigentlich auf Parteitagen zu behan- Es handelt sich also um einen Zielkonflikt, in dem deln ist. Im politischen Teil der Ausführungen kam die Regierung zwischen den Risiken und den Um- die Frage nach Parteiprogrammen, Meinungsunter- weltbelastungen . auf der einen Seite und den ener- schieden in den Parteien etc. auf. Wenn Parteien giepolitischen Notwendigkeiten auf der anderen darangehen, Programme fortzuschreiben oder neue Seite abgewogen hat und in dem sie absolut ein- Programme zu entwerfen, ist es doch wohl eine deutig und klar Position bezogen hat. Im Kabinett Selbstverständlichkeit, daß um Programminhalte ge- — Herr Bundeskanzler, erlauben Sie mir, dies zu rungen wird. Oder wollen Sie das — in einer plura- sagen — hat es keine einzige Gegenstimme gege- listischen Gesellschaft, in der sie nicht diktiert, son- ben. Im Kabinett gab es also übereinstimmende dern erarbeitet werden — bestreiten? Auffassungen in dieser Frage. Die Fortschreibung (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der wird auf dieser Basis erfolgen. SPD — Zuruf von der SPD: Bei der CDU (Zuruf von der CDU/CSU: Wann?) ist es anders!) — Die Frage nach dem Wann nehme ich gerne auf. — Ja, das würde ich ja gern einmal zitieren. Ich Ich selbst habe dem Bundeskanzler vorgeschlagen, habe z. B. einen Redetext vor mir liegen, aus dem die Fortschreibung nicht vorzunehmen, bevor das ich nur einen Satz herausgreife. Nun werden Sie Gutachten der Reaktorsicherheitskommission und sagen, das ist aus dem Zusammenhang gerissen. der Strahlenschutzkommission vorliegt. Dies soll Nun, das ist immer so; wenn Sie nur einen Satz im Laufe des Monats Oktober der Fall sein. Es ist zitieren, ist er immer aus dem Zusammenhang ge- doch geradezu aberwitzig, ein Energieprogramm rissen. Aber er entspricht dem Zusammenhang. Dort einschließlich eines nuklearenergietechnischen Teils lese ich wörtlich: Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3509 Bundesminister Dr. Friderichs Die Nähe zu denjenigen, die aus den gegen- politik einen Moment sprechen sollten. Im Verlaufe wärtigen wirtschaftspolitischen Schwierigkei- des heutigen Vormittags ist gesagt worden — ich zi- ten die Forderung nach Systemveränderung tiere einen Halbsatz wiederum wörtlich —, „weil ableiten und etwa die Ablösung der sozialen man ohne Zweifel den gehobenen Konsum stärker Marktwirtschaft fordern, ist unübersehbar. besteuern kann". Herr Dr. Strauß, ich bin erschrok- Dieser Satz stammt aus der Rede des Abgeordneten ken, als Sie das gesagt haben. Ich war ebenso er- Professor Biedenkopf über den Programmentwurf schrocken — obwohl man sich in die innenpoliti- der CDU, schen Verhältnisse anderer nicht einmischen soll —, als sich unser Nachbarland Osterreich bei der Mehr- (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der wertsteuer zu einer Art Luxussteuer durchgerungen SPD) hat, weil ich von einer derartigen staatlichen Defini- wörtlich zitiert! Ich habe es da; Sie können das gern tion dessen, was Luxus ist und was nicht Luxus ist, in Empfang nehmen. überhaupt nichts halte. Dann sollte man aber auch einen Halbsatz, wie Sie ihn gesagt haben, nämlich Damit ist doch deutlich, daß auch in Ihrer Partei man könne den gehobenen Konsum ohne Zweifel der Kampf und das Ringen um das richtige Pro- stärker besteuern, lieber nicht sagen; gramm eingesetzt haben, oder etwa nicht? Ich ver- stehe es jedenfalls so, daß Herr Professor Bieden- (Zustimmung bei der FDP) kopf diesen Entwurf in wichtigen wirtschaftspoli- er berührt zutiefst die Ordnungsfragen dieser Wirt- tischen Passagen brutal kritisiert hat; denn eine schaft. brutalere Kritik als die, die ich soeben zitiert habe, ist ja wohl kaum denkbar. (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Herr Friderichs, Sie drehen doch den Sinngehalt dieses Satzes (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Wir sind jetzt tief herum!) getroffen!) — Nein, ich habe ihn nicht herumgedreht; ich kann Meine Damen und Herren,. und ist es denn nicht es Ihnen gleich geben. so, daß bei der Programmdiskussion — unabhängig von den verbalen Formulierungen — auch noch an- Meine Damen und Herren, wer das sagt, muß im dere Fragen eine Rolle spielen? Nehmen wir die nächsten Absatz sagen: Es gibt also gesellschaftlich Fortentwicklung des Wettbewerbs. Hat denn das nützliche und gesellschaftlich nicht nützliche Güter. Arbeitsmarkt-Papier des Generalsekretärs der CDU Lassen Sie mich daher ein Wort zu dem, wie ich Heinrich Geißler die begeisterte Zustimmung der meine, höchst überflüssigen Streit um den schein- Unionsfraktion gefunden, etwa des Abgeordneten baren Gegensatz zwischen quantitativem und quali- Dr. Strauß? tativem Wachstum sagen, weil ich der Meinung bin, - daß es diesen Gegensatz so, wie er zur Zeit in einem (Beifall bei der FDP und der SPD) Teil der politischen Diskussion hochstilisiert wird, Ist das wiederum meiner Aufmerksamkeit entgan- ganz einfach so nicht gibt. gen? — Man könnte das auf andere Forderungen, (Leicht [CDU/CSU] : Das müssen Sie nach die dabei auch eine Rolle gespielt haben, auswei- links sagen!) ten. — Das richtet sich an diejenigen, die das sagen, Herr Dr. Strauß, bezüglich der Freien Demokra- egal wo sie politisch stehen, Herr Abgeordneter. — tischen Partei empfehle ich Ihnen folgendes. Beob- Es ist mies, so zu tun, als ob wir in der Vergangen- achten Sie mit Ihrem kritischen Verstand das Ringen heit nicht anderes als ein weniger wertiges quanti- in den nächsten Wochen, und vergessen Sie bitte tatives Wachstum gehabt hätten und nun erst ein- nicht, genau zu beobachten, welche Entscheidungen mal das richtig schöne qualitative käme. auf dem FDP-Bundesparteitag fallen. Ich bin sehr sicher, daß Sie, nachdem die Entscheidungen gefal- (Beifall bei der FDP und der SPD) len sind, das, was Sie heute morgen vorgetragen Worum geht es denn in Wahrheit? Aber lassen Sie haben, hier nicht mehr vortragen werden, jeden- uns auch den Punkt aus der Emotion herausnehmen. falls nicht auf der Basis der Beschlüsse, bestenfalls Es ist doch unbestritten — ich glaube das wenig- auf der Basis von Nicht-Beschlüssen. stens —, daß ein Mehr an Einkommen, ein Mehr an (Beifall bei der FDP — Zustimmung bei Ab realem Sozialprodukt nicht eo ipso zu einem Mehr geordneten der SPD) an Wohlbefinden führt. Es sind Fälle denkbar, in denen die Steigerung der Produktion, des Einkom- Deswegen möchte ich mich mit dem Grundsatzpapier mens oder des Wachstums negative Folgen auslöst, der Union hier nicht auseinandersetzen. Ringen Sie, die die positiven Wirkungen des Wachstums auf- entscheiden Sie; dann ist der Zeitpunkt da, darüber heben. Die sind denkbar. Kurzum: Nach meiner zu sprechen, ob Sie richtig oder falsch entschieden Meinung stehen wir in jedem Einzelfall vor der Ab- haben. Vorher überlasse ich es den eigenen Partei- wägungsfrage, ob das Mehr an Wachstum — das freunden, darüber zu diskutieren. heißt, daß wir dann auch mehr zur Verteilung zur (Strauß [CDU/CSU]: Wenn wir Ihnen helfen Verfügung haben — das Wohlbefinden erhöht oder konnten, ist es gern geschehen!) nicht. Die Umweltschutzgesetzgebung ist ein ganz typisches Beispiel dafür, nämlich die Rahmenbedin- Aber, meine Damen und Herren, es gibt da noch gungen so zu setzen, daß im gesetzten Rahmen ein eine nicht uninteressante Passage, über die wir im Mehr an Wachstum keine negativen oder keine un- Blick auf die grundsätzlichen Fragen der Ordnungs vertretbaren negativen Auswirkungen hat. Das 3510 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Bundesminister Dr. Friderichs heißt, erst einmal braucht man Wachstum, um Be- kratie im staatlichen Bereich; sie hat mehr als nur schäftigung zu haben, um etwas zum Verteilen zu instrumentalen Charakter. haben. Aber man muß die Rahmenbedingungen die- (Beifall bei der FDP und der SPD und bei ses Wachstums so setzen, daß am Ende die Voraus- Abgeordneten der CDU/CSU) setzungen für ein besseres Wohlbefinden gegeben sind. Ich möchte als Liberaler gerne ein Wort hinzu- fügen. Während wir uns im staatlichen Bereich der Wovon ich nichts halte, ist, dieses Wohlbefinden Mehrheitsentscheidung von 51 : 49 unterwerfen müs- staatlich zu definieren oder gar zu verordnen; denn sen, damit regiert werden kann, damit die Dinge im Glück kann der Staat nicht verordnen. Er kann den staatlichen Kompetenzbereich in Ordnung gebracht Raum schaffen, in dem der einzelne sein Glück emp- und gehalten werden können, hat der Markt den findet, aber er kann es ihm nicht staatlicherseits frei Vorzug, daß hier nicht 51 über 49 bestimmen, son- Haus liefern. dern daß jede relevante Minderheit mit ihren Wün- schen im Markt zur Geltung kommen kann; das gilt (Beifall bei der FDP und der SPD und bei jedenfalls dann, wenn das Parlament die Kraft be- Abgeordneten der CDU/CSU) hält, Wettbewerbsordnung, Wettbewerbsrecht und ökonomische Rahmenbedingungen richtig und recht- Führen wir doch diese Diskussion, die ich für wichtig halte, gerade wenn die Gemeinsamkeit da zeitig zu setzen. sein sollte — und ich hoffe, sie ist da im Ja zu einer (Zuruf von der CDU/CSU: Und Struktur freiheitlichen Wettbewerbswirtschaft —, aus dem räte zu verhindern! — Heiterkeit bei der Reich der Polemik zurück zur wahrhaftigen Frage CDU/CSU) nicht des Entweder-Oder, des quantitativen und qua- — Sehr richtig, Herr Abgeordneter, ich bin Ihnen litativen Wachstums, sondern der Struktur des für den Hinweis sehr dankbar. Denn in meiner Un- Wachstums, die aber am Ende zu bestimmen ist von terlage liegt die Forderung des Finanzministers von den Menschen selbst, d. h. von der Summe der Ver- Niedersachsen, meines Freundes Kiep, auf Einfüh- braucher. rung eines Strukturrates, und ich stimme Ihnen in Lassen Sie mich zu den Eckpfeilern unserer Wirt- diesem Falle ausnahmsweise zu. schaftspolitik und Wirtschaftsordnung noch folgende (Beifall bei der FDP und der SPD) drei Bemerkungen machen. Erstens. Ich halte es für wichtig, daß es uns gelingt, den Grundkonsens zwi- Herr Bundesminister, schen den wichtigen Gruppen aufrechtzuerhalten. Vizepräsident Frau Renger: gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- Dieser Grundkonsens zwischen den wichtigen Grup- ordneten Dr. Kohl? — Bitte schön, Herr Dr. Kohl. pen in unserem Volke ist das eigentliche Sozialka- pital, das diese Nation hat. - Dr. Kohl (CDU/CSU) : Herr Bundesminister, Sie (Zustimmung bei der SPD) haben soeben die Behauptung des Herrn Abgeord- Die niedrige Streikquote, die grundsätzliche Beja neten Ehmke vom heutigen Morgen wiederholt, daß hung unserer Wirtschaftsordnung sind Beweis dafür. unser Kollege Kiep, der Finanzminister von Nieder- Bitte, zerreden wir das nicht. Meine persönliche Er- sachsen, im Sinne des soeben gemachten Zwischen- fahrung zeigt: Grundkonsens heißt nicht Verzicht rufes derartige Strukturbeiräte gefordert hat. auf Diskussion und heißt auch nicht Verzicht auf (Zurufe von der SPD: Frage!) Auseinandersetzung, wenn es nötig ist. Ich hoffe, Darf ich Sie fragen, wann und wo Herr Kiep diese daß eines Tages aller wieder an den Tisch der Kon- Forderung erhoben hat? zertierten Aktion zurückkehren werden, um dort diese Auseinandersetzung und das Ringen um den richtigen Weg gemeinsam zu suchen. Dr. Friderichs, Bundesminister für Wirtschaft: Ich bitte um Entschuldigung, ich habe die Rede des Lassen Sie uns — zweitens — festhalten an dieser Herrn Abgeordneten Ehmke in diesem Teil heute marktwirtschaftlichen Ordnung, der Sicherung der morgen nicht gehört und wußte daher nicht, daß er Rahmenbedingungen, die das Vertrauen von Inve- dies gesagt hat. storen und Konsumenten stärken. Herr Strauß, ich stimme Ihnen zu: Soziale Marktwirtschaft ist eine (Nordlohne [CDU/CSU] : Da haben Sie nichts Errungenschaft von säkularer Bedeutung. Übrigens verpaßt! — Weitere Zurufe von der CDU/ würde ich gern etwas hinzufügen, was in den öffent- CSU) lichen Diskussionen oft nicht ausgesprochen wird. — Sehen Sie, muß denn so ein Zwischenruf eigent- Für mich ist sie nicht nur ein Instrument effizienter lich sein? Sehen Sie darin wirklich den notwendigen Wirtschafts- oder Gesellschaftspolitik, sondern sie ist Stil parlamentarischer Auseinandersetzung? mehr. Sie ermöglicht nämlich einen täglichen Ab- (Beifall bei der FDP und der SPD — Zurufe stimmungsprozeß von Millionen von Verbrauchern, von der CDU/CSU) von Millionen von Investoren über das, was sie selbst für nützlich und wünschenswert halten. Wenn dies Ihre Meinung ist, wundere ich mich, daß Sie zugehört haben. Ich weiß nicht, ob Sie da waren (Dr. Barzel [CDU/CSU] : Sehr gut!) heute morgen. Deswegen ist sie nach meiner Meinung das Korrelat (Zuruf von der CDU/CSU: Wie ist das mit im ökonomischen Bereich zur freiheitlichen Demo der Zwischenfrage?) Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3511

Bundesminister Dr. Friderichs Ich habe, Herr Abgeordneter Dr. Kohl, eine Über- Vizepräsident Frau Renger: Herr Bundesminister, schrift aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeord- zitiert. neten Dr. Kohl? — Bitte schön, Herr Dr. Kohl. (Stücklen [CDU/CSU] : Die ist falsch! — Katzer [CDU/CSU] : Von wann?) Dr. Kohl (CDU/CSU) : Herr Bundesminister, sind Sie bereit, mir darin zuzustimmen, daß die Äuße- — Soll ich sie holen gehen? Ich habe sie auf meinem rungen 'des Kollegen Kiep, die sich auf einen Hin- Platz liegen. weis bezogen, daß der Rat der Fünf Weisen auch (Zurufe von der CDU/CSU) die regionale Strukturpolitik in sein Gutachten auf- Ich reiche sie Ihnen nach, sobald sie mir hochgegeben nehmen soll, mit den innerhalb der SPD geforderten wird. Strukturräten überhaupt nichts zu tun hat? (Beifall bei der CDU/CSU — Frau Pack Dr. Kohl (CDU/CSU) : Bis Sie den Text haben: [CDU/CSU] : Er hat es nicht gelesen!) Könnte es möglich sein, Herr Bundesminister, daß Herr Kiep — im Gegensatz zu der Behauptung von Dr. Friderichs, Bundesminister für Wirtschaft: Herrn Ehmke — von „Strukturbeiräten" im Zusam- Ich hätte Ihnen zugestimmt, wenn Sie gefragt hät- menhang mit Landesstrukturprogrammen gespro- ten: Geben Sie zu, daß die beiden Vorstellungen chen hat — eine Frage, die in gar keinem Zusam- nicht identisch sind? Aber „überhaupt nichts zu tun" menhang mit sozialistischen Indoktrinationen unse- können Sie nicht einfach sagen, wenn es wörtlich rer Gesellschaft zu sehen ist? hier in dem Zeitungsartikel heißt, daß gefordert (Heiterkeit bei der CDU/CSU — Lachen bei wird, neben den Konjunkturrat einen Strukturrat der SPD — Dr. Ehmke [SPD] : Er weiß noch zu setzen. So heißt es hier wörtlich. nicht einmal, was das ist! Das ist der größte (Beifall bei der FDP und der SPD) Laienspieler der deutschen Politik! — Wei tere Zurufe von der SPD) Lassen Sie mich aber gleich hinzufügen: Meine Vor- stellung ist es nicht. Ich bin nämlich der Meinung, Könnte das möglich sein? daß die Konzertierte Aktion geeignet ist, auch die strukturellen Fragen mitzubehandeln und es daher eines zusätzlichen Rates dieser Art oder einer Um- Dr. Friderichs, Bundesminister für Wirtschaft: gestaltung nicht bedarf. Das ist jedenfalls meine Er- Herr Abgeordneter Dr. Kohl, ich zitiere die „Frank- fahrung der letzten Jahre. furter Allgemeine Zeitung" vom 16. Oktober 1976. Dort lautet die Überschrift „Kiep fordert- einen Lassen Sie mich zum Schluß drittens folgendes sa- Strukturrat." gen. Wir sollten uns weiterhin darum bemühen, die Aufrechterhaltung der Stabilität und damit des (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Ja! Würden Sie dann Geldwertes der Einkommen als eine zentrale Auf- bitte auch auf den Inhalt eingehen!) gabe zu sehen; denn die erreichte wirtschaftliche Stabilität ist für die Zukunft eine der wichtigsten Zweiter Punkt. Ich würde dem Landesfinanzmini- Voraussetzungen, die in diesem Lande in den letz- ster Kiep in keinem Falle unterstellen, daß er da- ten Jahren geschaffen worden sind. Dazu gehört, mit sozialistische Vorstellungen vertritt. Das unter- daß alle im bisherigen Verhältnis miteinander um- stelle ich allerdings auch anderen Menschen nicht gehen, und dazu gehört, daß eine unabhängige No- ohne weiteres, ohne daß ich das geprüft habe. Das tenbank in der Lage ist, darüber zu wachen, was ist vielleicht der Unterschied. mit dem Geldwert geschieht. Auch nach dem heuti- (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Warum sagen Sie es gen Vormittag und dem jetzigen Verlauf habe ich denn hier in dem Zusammenhang?) die Bitte: Lassen Sie uns das Maß an Übereinstim- menden Vorstellungen, das nämlich größer ist, als — Herr Abgeordneter Dr. Kohl, um es Ihnen klar wir es oft hier in den Debatten der deutschen Öf- zu sagen: weil Sie auf einen aufgestellten Begriff fentlichkeit darzutun versuchen, nennen, und las- unverzüglich mit dem Versuch agieren, zu diffamie- sen Sie uns um die Punkte ringen, in denen wir ren durch den Gebrauch des Wortes „sozialistisch", wirklich unterschiedlicher Meinung sind! Diese und dies mag ich einfach nicht. gibt es. Aber warum sollen wir diese nicht offen auf den Tisch legen, statt den demokratischen poli- (Beifall bei der FDP und der SPD) tischen Gegner zu diffamieren? Setzen wir uns doch mit 'dem Inhalt der Fragen aus- (Beifall bei der FDP und der SPD) einander! Dazu bin ich sofort bereit. Sie können mit mir auch darüber sprechen, ob z. B. in der Kon- Meine Damen und Herren, ich möchte mich bei zertierten Aktion mehr Strukturfragen behandelt den Fraktionen des Deutschen Bundestages für das werden sollen als in der Vergangenheit. Ich bin Miteinander in den letzten fünf Jahren bedanken. dafür. Aber es hat doch keinen Sinn, einen Begriff Dies ist voraussichtlich die letzte Rede, die ich in aufzustellen, negativ anzumalen und draufzuschla- diesem Bundestag gehalten habe. Ich möchte mich insbesondere für die sehr angenehme Zusammen- gen. Das nutzt uns und nutzt den Demokraten in arbeit mit dem Wirtschaftsausschuß des Deutschen diesem Lande nichts, Herr Dr. Kohl. Bundestages, dem Vorsitzenden dieses Ausschusses (Beifall bei der FDP und der SPD) und für die Unterstützung bedanken, die wir, diese 3512 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Bundesminister Dr. Friderichs Bundesregierung fanden, der ich gerne angehört Ich glaube, den zentralen Punkt haben Sie über- habe und in der ich eine Vielzahl unterstützender gangen. Ich trete niemandem zu nahe, wenn ich ihn und begleitender Hilfen in den schwierigen ökono- bezeichne. mischen Phasen gefunden habe. Ich danke Ihnen dafür, daß die Wirtschaftspolitik dieser Regierung Der zentrale Punkt war die Spannung, die zwischen in fast allen Fällen die Zustimmung dieses Hauses Ihnen und der Koalition, dann auch zwischen Ihnen einschließlich die der Opposition gefunden hat. und Ihrer Partei entstand, nachdem Sie am 23. Juli 1975 in einer Rede vor Ihrer Partei — (Beifall bei der FDP und der SPD — Nord- lohne [CDU/CSU] : Eine sehr schwache Ab (Löffler [SPD] : Kommen Sie doch mal zum schiedsvorstellung!) Thema, Herr Barzel! Das ist doch keine Märchenstunde!) — Regt Sie das schon auf? Wir haben Herrn Fride- Vizepräsident Frau Renger: Meine Damen und Herren, ich glaube, daß ich im Namen des ganzen richs eine Stunde zugehört. Sie werden noch was Hauses spreche, wenn ich Herrn Dr. Friderichs für ganz anderes hören müssen. seine künftigen Aufgaben alles Gute wünsche. (Löffler [SPD] : Sie sollten endlich vom (Beifall) Haushalt sprechen!) Das Wort hat jetzt Herr Abgeordneter Dr. Barzel. — Ich weiß, daß Sie es nicht gern hören, wenn ich vom Kern dieses politischen Problems spreche. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Barzel (CDU/CSU) : Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ich darf zunächst auch für Der Kollege Friderichs erklärte damals — ich zi- uns dem scheidenden Bundeswirtschaftsminister das tiere das aus dem Protokoll des Bundestags vom Zeichen menschlichen Respekts erneut beweisen. 17. September 1973, wie wir das hier eingeführt Ich habe dies oft genug, auch in strittigen Debatten, haben —: Eine Tendenzwende — so sagte er in sei- von dieser Stelle aus getan. Aber diese Schlußworte, nem beachtlichen Vortrag — sei bisher nicht er- Herr Kollege Friderichs, entheben uns natürlich nicht kennbar. Die Perspektiven blieben unsicher. Der der Notwendigkeit der politischen Kontroverse, wo Staatsanteil am Bruttosozialprodukt sei von 1962 sie angebracht ist. Deshalb möchte ich sagen, daß bis 1970 um 2 Prozentpunkte, von 1970 bis 1974 Sie sich— um den Kollegen Apel in seiner Sprache zu aber um 6 Prozentpunkte gestiegen. Weitere Un- zitieren — auch „schlußendlich" treu geblieben sind. sicherheiten belasteten die Unternehmen ebenso Sie haben mit einer recht intelligenten, raffinierten wie eine nachhaltige Verunsicherung durch öffent- Rede einen Überbau um die Probleme herum gelie- liche Auseinandersetzungen über Forderungen nach fert und sind dem Kern völlig ausgewichen,- den mein Systemveränderung. Die Klärung der mittelfristigen Kollege Strauß heute morgen hier dargelegt hat. Horizonte sei nötig. Dazu gehöre eine entsprechende (Beifall bei der CDU/CSU) Korrektur der mittelfristigen Finanzplanung sowie eine Durchforstung der Sozialausgaben. Dann kam Sie haben sich mit einer ganz guten und vor allen die Forderung nach Steuersenkungen usw. Dingen geschickten Rede erneut in den Dienst einer schlechten Politik gestellt, wie das hier heute mor- Wir haben das damals in die Debatte eingeführt, gen schon gesagt worden ist. Aber immerhin: aus weil Sie sich damit, Herr Kollege Friderichs, schon der Regierung, für die Sie hier noch so nette Worte wenige Wochen später nicht in Ihrer Regierung und fanden, scheiden Sie aus. Wir halten uns allein an nicht mal in Ihrer Partei haben durchsetzen können. die Tatsachen, und zu den Tatsachen gehört es, Herr Ich habe Sie dann hier, laut dem Protokoll, gefragt Kollege Friderichs, daß sich die ökonomische und so- — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsiden- ziale Lage der Bundesrepublik Deutschland seit ten —: Ihrem Amtsantritt bis zu Ihrem Ausscheiden nicht Warum, Herr Kollege Friderichs, tragen Sie verbessert, sondern verschlechtert hat. Dies muß dieses Paket mit? Sie haben doch nun erfahren, leider festgestellt werden. daß das Notwendige in dieser Kombination (Beifall bei der CDU/CSU) nicht durchzusetzen ist. Ich will Sie da nicht drängen. Denn Sie sind ja erst am Beginn eines Da hier allein Tatsachen zählen, hätte es uns na- sehr schwierigen Weges. türlich interessiert, nicht nur den Morgenzeitungen Berichte über die Gründe Ihres Ausscheidens zu Ich überspringe weitere Debatten. Ich spreche entnehmen, sondern dazu auch etwas vom Minister davon, daß wir Ihnen hier gesagt haben: Sie tragen selbst zu hören. Dazu ist nichts gesagt worden. Also die volle Verantwortung für die Wirtschaftspolitik nehmen wir an, daß die Zeitungsberichte stimmen! der Regierung ebenso wie dafür, daß es diese Koali- Demoskopie ist keine Politik; politische Führung ist tion gibt. Ihre Verantwortung sei groß, es liege an durch nichts zu ersetzen; wenn du keine Mehrheit Ihnen, Ihre Kraft entweder — so in der letzten hast, mußt du Konsequenzen ziehen. Dies sind Sätze Debatte — gegen Herrn Eppler und dessen Genos- die wir heute morgen gelesen haben; dies sind wohl sen zu verschwenden oder ... Sie antworteten auf die Gründe. Dazu muß noch etwas gesagt werden, diese Intervention mit dem markigen Wort: „Diese Herr Kollege Friderichs; denn Sie haben natürlich Koalition steht bis 1980." Nun — ganz sicherlich ohne Sie. Dies ist ein politisches Signal! viele Stationen der Vergangenheit hier geschildert; das war Ihr gutes Recht in diesem Augenblick. (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3513 Dr. Barzel Herr Kollege, erlauben Sie mir, daß ich mich, da sucht hat, hier darzutun, bei der zweiten Lesung des wir ja übermorgen Gelegenheit haben werden, dazu leider unerläßlichen Gesetzes zur Einschränkung des zu kommen, mit wenigen Worten gleich noch dem Besuchs und des Kontakts solcher inhaftierter Ter- Herrn Kollegen Lambsdorff zuwende. Ein findiger roristen, die zugleich das Leben bedrohen — so muß Kopf in diesem Haus hat die aktuellen Programme man es nämlich bezeichnen —, der Koalition nicht der verschiedenen Parteien aus dem Sommer zur gelungen, dieses bedauerlicherweise nötige Gesetz aktuellen Wirtschaftspolitik zusammengestellt. Die aus eigener Kraft zu beschließen. Wir haben Herr drei Zeitpunkte sind der 6. Juni, der 13. Juni und Kollege Ehmke, nicht nur Herrn Wehners Reak- der 13. Juli. Er hat geprüft, wo es Übereinstimmung tion erlebt, wir haben zum erstenmal das Abstim- gibt, und hat das dann — wie man heute sagt — men mit wechselnden Mehrheiten erlebt. Sie und wir „aufgelistet". Erstens Belastungsstopp: CDU ja, SPD haben gemeinsam einen Antrag der FDP abgelehnt, nein, FDP ja. Zweitens Förderung privater Investi- von dem Ihre Fraktion erklärte — ich zitiere — „Da- tionen: CDU ja, SPD nein, FDP ja. Drittens Beseiti- mit könnten wir dieses Gesetz vergessen; es werde gung steuerlicher Hemmnisse: CDU ja, SPD nein, in seiner Wirkung total aufgehoben." Dies ist die FDP ja. Viertens Ausweitung öffentlicher Investi- Wahrheit. Wir haben dann am Donnerstag und am tionen zu Lasten des öffentlichen Konsums: CDU Freitag im Interesse des Lebens von Hanns Martin ja, SPD nein, FDP ja. So geht das weiter. Von den Schleyer alles unterlassen, was sich hier parlamen- 37 Punkten, Herr Kollege Graf Lambsdorff, besteht tarisch angeboten hätte, um diese Chance parteiisch in vier Übereinstimmung zwischen allen drei Pro- zu nutzen. Es bleibt festzuhalten: Nur mit Hilfe der grammen. 33 bleiben kontrovers. Wie sind sie kon- Opposition erlebte diese Fassung überhaupt eine trovers? Übereinstimmung besteht zwischen SPD Schlußabstimmung in zweiter und dritter Lesung. und FDP in acht Punkten, zwischen CDU/CSU und (Beifall bei der CDU/CSU) FDP in 18 Punkten, zwischen CDU/CSU und SPD in sieben Punkten. Es handelte sich um den ersten Punkt einer ganzen (Zurufe von der SPD) Reihe von Maßnahmen, die leider notwendig sein werden und die der Kanzler und die Regierung für Die Punkte haben natürlich, Graf Lambsdorff, dringend halten. Das muß man in den Zusammen- unterschiedliches Gewicht. Nur, dies zeigt Ihnen, hang nehmen. So lesen wir heute, wenn man es poli- daß das, wofür Sie antreten, Quadratur des Zirkels tisch betrachtet, und dabei sogar den Blick auf den ist. Ich befürchte, Sie werden sich bei aller intelli- Bundesrat einmal außer acht läßt, den Haushalt genten Standfestigkeit den Kopf einrennen, und das einer Minderheitenregierung. Die Koalition kann wäre immerhin schade um diesen Kopf, von dem weder in den dringenden und wichtigen Fragen der wir doch hier in diesem Hause noch eine ganze Terroristenbekämpfung — wir werden dies ja sehen Menge erwarten. - — noch in denen der Energiepolitik — das sehen wir Trotzdem: Glück auf, Graf Lambsdorff! ja schon — noch in denen der wirtschafts- und ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sellschaftspolitischen Grundsatzfragen eine Mehr- heit aus eigener Kraft aufbringen. Ich möchte mich nun dem gesamten Haushalt zu- wenden und mich auch an den Herrn Bundeskanzler (Katzer [CDU/CSU]: So ist es! Genau so!) wenden. Es ist ja nun dahin gekommen, daß selbst Das ist die Wirklichkeit. Sie sind noch fähig, Mehr- die Freunde seiner Regierung und dieser Koalition heiten einmal zusammenzuzwingen. Sie sind noch in großer Aufmachung dieser Regierung Ratlosigkeit fähig, sich irgendwie im Amt zu halten. Sie sind und Hilflosigkeit bescheinigen. Nichts kommt ja auch auch noch zu faulen Kompromissen fähig. Aber we- mehr nennenswert voran: Die gestern veröffentlich- gen dieser Tatsachen steigt mit der Investitionslücke ten Zahlen zeigen, daß die Arbeitslosigkeit andauert die Arbeitsplatzlücke, von der der Sachverständi- und das Wirtschaftswachstum ausbleibt. Die Regie- genrat spricht. Das sind Dinge, die in den Schriften rung schneidet nun ins soziale Netz. Wir haben es und Worten der Koalitionsfraktion auf dieser Seite bei den Renten erlebt, und wir werden es beim Ge- überhaupt nicht mehr vorkommen. Die Wahrheit setz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes ist — Herr Kollege Strauß hat dies heute gesagt —: erleben. Die soziale Sicherheit ist gefährdet. Der in- Die Lage in Bonn steht dem wirtschaftlichen Auf- dustrielle Produktionsapparat veraltet. Die Vereini- schwung und der sozialen Sicherheit in der Bundes- gung Europas bleibt aus. Das ist nicht allein ein republik Deutschland entgegen. Vorwurf an diese Regierung; aber man muß es hier festhalten. Der Fortschritt in der Entspannung in (Beifall bei der CDU/CSU) Deutschland ist nicht zu sehen. Präsident Carter Diese Bundesregierung kann diesem Deutschen reist um Deutschland herum. Breschnew ziert sich zu Bundestag mit Aussicht auf Mehrheit zu keiner kommen. In dieses Bild gehört ferner, daß die Ford- wichtigen Frage eine überzeugende Antwort vorle- Werke ihre neue Produktion nicht in Berlin, nicht in gen. Ich fürchte, daß der Herr Bundeskanzler es Deutschland errichten, sondern in Großbritannien. nach den Abstimmungen, die wir erlebt haben, (Dr. Narjes [CDU/CSU]: Leider!) selbst dann nicht schaffen würde, wenn er eine solche wichtige Frage mit der Vertrauensfrage ver- Das hat alles etwas mit dem zu tun, was hier pas- binden würde. In diesem Hause weiß jedermann, siert. daß ich dem Kanzler nicht gerne, eigentlich über- (Sehr wahr! bei der CDU/CSU) haupt nicht, persönlich am Zeuge flicke. Es wäre Am vergangenen Donnerstagabend ist es entge- mir ganz unmöglich, die Kritik, die ich hier erhebe, gen dem, was der Kollege Ehmke heute morgen ver ihm gegenüber öffentlich zu äußern, wenn ich 3514 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Dr. Barzel nicht von Anfang an gewarnt hätte: Wer die geistige Treibenlassen statt Entscheiden und Argumentie- Führung abgibt, wird die politische verlieren. Der ren das alles bewirkt hätten. Sie haben doch weiße Bundeskanzler ist dabei. Flecken gelassen, in die nun Demonstranten und Verehrte Damen und Herren, was bei der Ver- Gerichte und andere einfließen. Wo die politische mögensteuer gerade noch erträglich war, das ist Führung ausbleibt, kommen eben andere Autoritä- nun in Sachen Terror, Energie, Wirtschaftspolitik ten. schlechthin gemeinwohlwidrig. Statt einer Regie- (Beifall bei der CDU/CSU) rung, die führt, statt einer Mehrheit, die gestaltet Und was tun Sie nun, statt das zu ändern, was und trägt, haben wir eine Koalition, die parteiisch dabei vielleicht schlecht ist? Welche Konsequenz zie- auseinanderfällt, die sich belauert, die Nebel er- hen Sie aus dem Investitionsstau, der behördlich, zeugt, wo Perspektive, Entschlossenheit und Weg- politisch, wie Sie selber sagen, bewirkt sei? Statt weisung gefordert sind. Der Bundeskanzler löste daß Sie sagen, laßt uns das abbauen, sagen Sie, seinen Vorgänger ab, weil, so seine Worte vom laßt uns das vermehren, und kommen mit Ihrem Mai 1974, eine „Angstlücke" entstanden war, weil Leitantrag, auf den ich noch zu sprechen kommen „Unsicherheit Gift" sei. So seine Worte. Nun pro- will, zu einer totalen Gängelei und zu einem totalen duziert sich das aus dieser Koalition und aus dieser Bürokratismus. Woher nimmt man den Mut, im An- Regierung — noch gesteigert. Nicht der Kanzler gesicht dieses Investitionsstaues nun noch Investi- produziert das selbst, aber er verantwortet das. tionslenkung — wenigstens im Anfangsstadium — Dann frage noch einer, warum die Arbeitsplatzlücke zu fordern? Dies ist doch ein neuer Hammer gegen nicht durch steigende Investitionen geschlossen das, was hier notwendig ist. Ich habe nie verstan- wird, den — in einer anderen Debatte —, wie man im An- (Zustimmung bei der CDU/CSU) gesicht der Wirklichkeit der staatlichen Schulpolitik warum Vertrauen fehlt, wo das Zutrauen in die und der Staatsschulen nun auch noch das Bildungs- Prinzipien und die Staatskunst der Regierenden Tag wesen im beruflichen Bereich verstaatlichen wollte. für Tag dahinschwindet. Ich verstehe nicht, wie man im Anblick der Hem- mungen, die die Wirtschaft schon jetzt durch ein Verehrte Damen und Herren, woher Soll das auch Zuviel an Gängelei und Bürokratismus ertragen kommen, woher soll diese unerläßliche geistig muß, nun noch mehr davon fordert. Dies kann ich politische Führung kommen, wenn der erforderliche nicht verstehen. Konsens — davon sprach der Wirtschaftsminister vorhin mit dem Blick auf uns alle — in der Koali- (Beifall bei der CDU/CSU) tion und vor allem in die SPD nicht zu verzeichnen Wenn das nicht vom Tisch kommt, werden Sie ver- ist? Dieser fehlende Konsens innerhalb der Koalition geblich auf den Aufschwung warten. Durch solche und in der Hauptregierungspartei läßt doch, wie wir Dinge bewirken Sie selber den Abschwung. - sehen, selbst die Kanzlerkompetenz in sich zusam- Meine Damen und Herren, ich bin jetzt in einer menbrechen. kleinen Schwierigkeit. Ich wollte mich dem Kolle- (Hört! Hört! bei der CDU) gen Wehner zuwenden. Er ist erkrankt. Es ist sein Diese Koalition ist immer mehr eine unfähige, ja, gutes Recht. Das haben wir alle. Verzeihung, eine widernatürliche Verbindung. Kei- (Zurufe von der SPD) ner darf da mehr sagen und fordern, was er eigent- Aber ich möchte gern einen Faden aufnehmen, jetzt lich auf dem Herzen hat! Die Sozialisten wollen allerdings nur den Teil davon, der Sie alle betrifft — eine andere Republik. Die Sozialdemokraten wollen das werden Sie wir erlauben —, diese Republik, aber in der Republik eine andere Ordnung. Die Liberalen wollen diese Ordnung und (Zurufe von der SPD) diese Republik, nur ein bißchen flotter und ein biß- denn die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist chen anders, und die Liberalsozialisten wollen ja anwesend. eigentlich alles zugleich, vor allem an der Macht (Zurufe von der SPD) bleiben, besser: mit ein bißchen Vorbehalt dabei Ich habe mich am 23. Juni mit den Worten an Sie sein. Aus diesen verkehrten Fronten macht. kein gewandt: „Sie sind dabei, die Krise Ihrer Partei und Genie ein politisches Konzept. Da ist es vor einem Fraktion auf den Staat zu übertragen; die Leidtra- Jahr noch einmal gelungen, eine Administations- genden sind die Bürger draußen." Sie haben damals quantifizierung als Regierungserklärung vorzutra- geglaubt, das so vom Tisch wischen zu können. gen. Da gab es keine Prioritäten. Diese Koalition lastet, weil sie Lethargie produziert, auf dem Lande. (Zurufe von der SPD) Das ist der erste Grund, der Hauptgrund des Hemm- Die Fakten sorgten dafür, daß dies auf dem Tisch nisses für wirtschaftlichen Aufschwung. bleibt. Inzwischen brauche ich das nicht mehr zu (Beifall bei der CDU/CSU) behaupten, denn inzwischen haben Kollegen aus Ihrer Fraktion und Partei dies völlig bestätigt. Das Sie alle — der Kanzler, der Finanzminister, der muß in diese Debatte eingeführt werden. Wirtschaftsminister — klagen über den Investitions- ausfall von 25 Milliarden; sie klagen, als wenn sie Der SPD-Bezirk Niederrhein hielt am 17. Septem- nicht regierten, sie klagen, als wenn sie damit nichts ber einen Parteitag in Oberhausen. Ihm lag nicht zu tun hätten und keine Verantwortung dafür hät- irgendein, sondern ein parteieigenes Dokument vor, ten, sie klagen, als ob nicht die Regierungsparteien (Dr. Ehmke [SPD] : Beschäftigen Sie sich selber durch Fragezeichen statt Antworten, durch doch mit Berlin!) Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3515 Dr. Barzel in dem es hieß, in der SPD herrsche gegenwärtig — Dann kommt diese Regierung hierhin und beklagt wörtlich — „Orientierungslosigkeit", die Krise der sich über diesen Investitionsstau, beklagt sich dar- Partei sei seine Erfindung des politischen Gegners. über, daß wir die Spannung zwischen Parteitagsbe- Am Tag zuvor erklärte der stellvertretende Vor- schlüssen vom grünen Tisch und den Gemeinwohl- sitzende der SPD, Bundeskanzler Helmut Schmidt, notwendigkeiten der Bundesrepublik Deutschland auf dem Parteitag in -Hamburg — ich zitiere —: hier in die Debatte einführen. Sie übertragen Ihre Krise auf den Staat. Die Zeche zahlen nicht Sie, die Vieles, was gegenwärtig in der SPD an soge- Zeche zahlen die Wähler und die Arbeitslosen. nannter Theoriediskussion hin und. her bewegt wird, das kommt in der Tendenz dem anarchi- (Beifall bei der CDU/CSU) stischen Liberalismus nahe. Jedermann weiß inzwischen, daß SPD und FDP Der Kanzler sprach dann von Hemmnissen, die dem bei der Bundestagswahl die Wähler hinsichtlich der Aufschwung entgegenstünden. Dabei bezeichnete er Renten täuschten. Wir müssen in die Debatte ein- nach Pressemeldungen selbst den Hamburger Par- führen, das es in der Energiepolitik nicht anders war. teitag seiner eigenen Landespartei auch als ein sol- Sie baten die Wähler um die Fortsetzung Ihres Man- ches Hemmnis. Zu den Hemmnissen sagte er wört- dats für Ihre Politik. Zu dieser Politik gehörte Ihre lich, zur Zeit habe sich ein Investitionsstau von Energiepolitik, niedergelegt in der Bundestagsdruck- 25 Milliarden DM aufgebaut, davon allein 8,5 Mil- sache 7/2713. Da ist nachzulesen. warum Sie welche liarden DM beim Kernkraftwerksbau und 10 Mil- Kraftwerke — Kraftwerke auf Kohle, Kraftwerke liarden DM beim Straßenbau mit Zehntausenden auch auf Atom, wieviel und in welchem Ausmaß — von Arbeitsplätzen. Damit auch jeder merkte, daß brauchten. dies nicht Ausrutscher waren, erklärte der Kanzler (Wolfram [Recklinghausen] [SPD] : 20 Jah seine Sorgen dem Zweiten Deutschen Fernsehen und re!) der Presse. Ich zitiere — und das sollte man nun — Das haben, verehrter Herr Wolfram, die Wähler wirklich zur Kenntnis nehmen —: im Ohr gehabt, als sie das Mandat verlängerten. Das Sozialprodukt 1977 könnte i bis 2 °/o stär- Dann sagen Sie nach der Wahl: April! April! Wir ker steigen ohne diese Hemmungen. Die Ar- müssen jetzt erst neu darüber nachdenken, und so- beitslosigkeit würde um 100 000 bis 200 000 ab- lange wir nachdenken, stoppen wir das alles. So ha- nehmen, wenn es diese Hemmnisse nicht gäbe. ben Sie, verehrte Damen und Herren, in dieser Fra- Verehrte Damen und Herren, da hat der Kanzler ge Ihre eigene Krise diesmal auf die Zukunft des doch recht, die SPD mit ihrer Politik verhindert den deutschen Volkes übertragen. Das muß hier gesagt möglichen Aufschwung, und Sie von der FDP-Frak- werden. tion verantworten das mit. - (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Auf diese Weise verlieren wir Arbeitsplätze und unterbleiben Investitionen, sinken Exportchancen Als ich das hier damals Bremsklötze nannte, feix- und verlieren wir unseren technischen Fortschritt. ten Sie von dieser Seite. Aber das löst das Problem Sie reden, verehrte Damen und Herren, von Wachs nicht. Inzwischen erklärt der Kanzler — das-t gehört urn, den Ihre eigenen Taten ersticken. Sie sind auf doch in diese Debatte — die Distanz zu seiner eige- dem Wege, den ich in der letzten Debatte noch mit nen Partei. Was bleibt ihm auch anderes übrig, Herrn Eppler belegen mußte: der Staat solle Wachs wenn die Partei sich weigert, diesen Mann auch turn und Energie zuteilen. Nur, der Staat, der dies nur mit zu tragen? Das ist doch die Wirklichkeit. tut — nicht einmal in einer Notlage, sondern absicht- (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Das lich tut — hört auf, freiheitlicher sozialer Rechts- stimmt doch gar nicht!) staat zu sein. Es gibt eben keinen wirtschaftlichen — Herr Wolfram, das stimmt. Sagen Sie das Ihrem und keinen sozialen Fortschritt ohne ausreichende Kanzler, Ihrem Parteifreund. Vielleicht können Sie und preiswerte Energie. das unter Genossen besprechen. Ich muß mich an Wem, verehrte Damen un d Herren, der Mensch das halten, was undementiert veröffentlicht wird. wichtiger ist als die Sache, wie wir sagen, der stellt Der Kollege Matthöfer legt doch hier den Finger aber gerade im Zusammenhang mit solchen Fragen auf die Wunde — ich sehe ihn leider nicht —, er auch metaökonommische Fragen. Der fragt sich und macht dies, wie meistens, konkret und genau. Ich andere mit höchster Sensibilität, was neue Technik zitiere das nach der „Frankfurter Rundschau" vom menschlich und sozial bedeutet. Nur, verehrte Da- 19. 9., die über seine Rede vor dem Bezirkspartei- men und Herren von der Koalition: Das prüft man, tag SPD Hessen-Süd berichtet. Das Zitat lautet: b e v o r man Entscheidungen trifft. In Ihren Ener- Entgegen einem beschwörenden Appell von gieprogrammen, in denen der Bundesregierung, die Bundesforschungsminister Hans Matthöfer, die Sie dem Wähler vorlegten und die bis zum Wahltag sozialdemokratischen Regierungsmitglieder nicht gültig waren, heißt es ganz klipp und klar, daß Sie in ausweglose Lagen zu bringen, indem sie die Kernenergie wollen, wieviel Sie davon wollen, Beschlüsse der Partei nicht beachten können, warum Sie wieviel davon brauchen. Also mußte wenn sie ihrer Gesamtverantwortung gegenüber jeder Wähler 1976 davon ausgehen, daß SPD und dem deutschen Volk gerecht werden wollen, be- FDP die humanen, sozialen und ökologischen Vor- schlossen die Delegierten einen Antrag, der aussetzungen der neuen Technik vor diesen Pro- einen Genehmigungsstopp für den Bau und Be- grammen gewissenhaft und mit Sorgfalt geprüft trieb neuer Kernkraftwerke vorsieht. hätten. Und nun sagen Sie: Wir wissen nicht genug 3516 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Dr. Barzel zu dem zu sagen, was ihr da draußen fragt. In ben sind." Sie hat weiter geschrieben, daß die In- Ihrer Drucksache, die den Wählern vorlag, stand, flation überwiegend hausgemacht sei. Sie wollten die „Sicherheitstechnik fortschreiben" — (Widerspruch bei der SPD) fortschreiben, nicht neu feststellen, nicht erkennen, nicht suchen danach, nicht sie neu begründen, Sie Sie haben in den folgenden Monaten und Jahren, wollten Sie fortschreiben! Denn Sie hatten das ja wie die Protokolle des Deutschen Bundestages aus- geprüft. weisen, unsere Mahnungen mißachtet, unsere Vor- schläge übergangen, die Anregungen des Sachver- Verehrte Damen und Herren, wenn Sie das damals ständigenrates bis jetzt beiseite geschoben. Sie gesagt und gewollt haben, ohne sich zuvor der glaubten — der Bundeskanzler vor allem — von Sicherheit ziviler Atomnutzung zuverlässig ver- vornherein alles besser zu wissen. Die Diskussions- sichert zu haben, dann handelten Sie damals fahr- bereitschaft und die Bereitschaft, hier, im Parlament, lässig, verantwortungslos und gemeinwohlwidrig. zuzuhören, reichten nicht aus. Man wurde Welt- Wenn Sie Ihr damaliges sicheres Wissen jetzt in meister im Erfinden fauler Ausreden. Alles käme Frage stellen, um Stimmungen nachzugeben, die Sie von draußen, und draußen sei es noch schlimmer, für wichtig halten, dann handeln Sie heute fahr- hieß es. lässig, verantwortungslos und gemeinwohlwidrig. Verehrte Damen und Herren, für diese Debatte (Beifall bei der CDU/CSU) habe ich, gerade auch wegen der Vergangenheits- passagen des Kollegen Friderichs, noch einmal die Welche der beiden Möglichkeiten auch immer zu- Gutachten des Sachverständigenrates durchgesehen. trifft: Mangelnde Ernsthaftigkeit und Pflichtwidrig- Denn die markieren ja die Kette verpaßter Gelegen- keit lasten auf Ihnen, weil Sie sich opportunistisch heiten der Bundesregierung, den Weg nach unten. verhalten. Einige Kostproben: „Das Niveau der Unternehmens- Durch fehlende politische Führung sind wir auf investitionen ist schon vor Beginn der Rezession für dem Wege zu mehr Abhängigkeit, statt uns freier ein angemessenes Wirtschaftswachstum unzurei- und unabhängiger zu machen. Wir haben doch das chend gewesen." erste Gefecht aus dem Nord-Süd-Konflikt, das mit Wir müssen nun einmal zur Kenntnis nehmen, daß dem Namen Ö1, hinter uns. Haben wir das verges- die Bundesrepublik Deutschland eine private Wirt- sen? Was soll eigentlich werden — denken Sie an schaft hat, in der die öffentlichen Hände zusammen Berlin! —, wenn es irgend jemandem gelänge, zu- im Jahr weniger als 50 Milliarden DM investieren, -gleich eine Ost-West-Spannung und eine Nord-Süd während auch in schlechten Jahren die private Spannung auszulösen? Industrie 250 Milliarden DM investiert. Das heißt: Daher kommt es, oder es kommt eben nicht. (Sehr wahr! bei der CDU/CSU) - (Beifall bei der CDU/CSU) Regieren heißt doch vorsorgen! Wer keine Energie- politik hat, Ich möchte aus dem letzten Gutachten des Sach- (Wolfram [Recklinghausen] [SPD] : Aber verständigenrates — nicht dem vom September — wir haben doch eine!) vorlesen, Herr Kollege Ehmke: ist nicht regierungsfähig. Sie sorgen nicht vor, Sie Die Beschäftigungsprobleme, die mit der Rezes- bauen Sorgen nicht ab, Sie vermehren sie, indem sion offenkundig wurden, ,sind nicht allein das Sie sich mehr um Ihre Partei als um die Zukunft Erbe zyklischer Abschwungskräfte im Innern von uns allen besorgen. Das muß hier gesagt und in der Welt. Sie rühren auch daher, daß werden. im ganzen nicht zueinander passende An- (Beifall bei der CDU/CSU) sprüche, Lohnansprüche und Gewinnansprüche, Ansprüche des Staats und des Auslandes, über Ich möchte mich dem Herrn Bundeskanzler zu- Jahre hinweg zu Lasten des Geldwerts gegan- wenden. gen waren, die Produktionsstruktur verzerrt (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Der pflegt nicht und die Investitionsneigung mehr und mehr be- mehr da zu sein! — Dr. Sprung [CDU/CSU] : einträchtigt hatten. In ihrem Kern waren die Wo ist er denn?) Beschäftigungsprobleme längst angelegt, bevor es zur Rezession kam. — Er wird das schon zur Kenntnis nehmen. — Als (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) er vor gut drei Jahren sein Amt hier antrat, da habe ich, gestützt auf die Deutsche Bundesbank — nach- Ende 1976 empfahl der Sachverständigenrat nach- zulesen in der Debatte vom 20. Mai 1974 —, ihn, drücklich ein „Programm zur wachtumspolitischen leider ohne Erfolg, darauf hingewiesen, daß die Vorsorge". Er machte dazu ein ganz konkret bezif- Sorge um den Arbeitsplatz ständig steigt und daß fertes und durchgerechnetes Programm. Dieses Pro- der Kostendruck der Inflation zahlreiche Selbstän- gramm setzte da an, wo der „Herzmuskel" ist — wie dige auf der Strecke bleiben läßt. „Die Beschäfti- wir eben sagten —, bei den privaten Investitionen, gungsrisiken", so hatte die Deutsche Bundesbank bei der Förderung der Forschung, bei der Förderung geschrieben, „sind weitgehend" — das sollte Kol- der Gründe neuer Unternehmen, bei der Steuerent- lege Ehmke vielleicht einmal hören, der heute wie- lastung. Die Bundesregierung stahl damals die Über- der allein das Ausland bemüht hat — „die direkte schrift und tat das Gegenteil. Sie legte ein Programm oder indirekte Folge von Verzerrungen und struktu- für öffentliche Investitionen vor. Am 24. März habe rellen Problemen, die der Inflationierung zuzuschrei ich Ihnen dazu gesagt, was zu sagen war: dieses Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3517 Dr. Barzel Programm sei bar jeder Folgerichtigkeit; es werde gerichtigkeit beginnt mit der genauen Kenntnis der nicht helfen. Sie antworteten damals lautstark. Sie Tatsachen. Hier beklagt doch jeder, der sich be- ballerten Wortkanonaden nur so in die Luft, so, wie müht, der Arbeitslosigkeit abzuhelfen, daß wir immer wir das heute bei Herrn Ehmke noch einmal gehört noch nicht genau genug wissen, wer wo wann warum haben, der sagte, alles käme von draußen. arbeitslos ist. Niemand weiß, wie hoch z. B. die Zahl Verehrte Damen und Herren, das hat mit Rationa- derer ist, die als Arbeitslose gemeldet sind, aber vor der Altersgrenze stehen und auf die Rente warten, lität nichts zu tun. Das ist „Machismo" statt Politik, wenn ich das einmal zu Herrn Ehmke sagen darf. einen neuen Arbeitsplatz also gar nicht mehr erstre- ben, oder derer, die - berechtigterweise — nur ihre (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von Ansprüche an die Sozialversicherung erhalten wol- der SPD) len, aber keine Arbeit mehr suchen. Wir wissen auch Nun hat sich der Sachverständigenrat am 7. Sep- nicht — und das hat die Nürnberger Anstalt im Mai tember erneut und diesmal nachdrücklich zu Wort selbst gesagt —, inwieweit die Unterbeschäftigung gemeldet. Er hat an sein damaliges Programm, das auf eine mangelhafte Ausnutzung der vorhandenen man hier mißachtet hat, erinnert und geschrieben: Arbeitsplätze oder auf das Fehlen von Arbeitsplät- zen infolge der ungeheuer großen Zahl von Kon- Inzwischen haben zwei weitere Monate die un- kursen mittelständischer Betriebe zurückzuführen günstige Tendenz der konjunkturellen Entwick- ist. Zugleich sagt man uns, daß ein Sechstel der Ar- lung bestätigt und die Gefahr entstehen lassen, beitslosen ein Jahr oder länger ohne Beschäftigung daß neuer Vertrauensmangel, verstärkt noch sei — das ist sehr schlimm —, daß das wirkliche An- durch eine aufgeregte öffentliche Diskussion, gebot an offenen Stellen um — da schwanken die abermals wirtschaftliche Lethargie bewirkt. Zahlen — 300 000 bis 380 000 Stellen höher sei, als Wir haben dem nichts hinzuzufügen. dies bei den Arbeitsämtern registriert ist, daß mehr Der Rat wiederholt dann seine Ursachenanalyse als zwei Drittel aller Industrie- und Baubetriebe unserer Probleme bezüglich der Kosten und Risiken. schon jetzt nicht in der Lage seien, qualifizierte Ar- Er kritisiert die Regierung, weil sie die Probleme im beitskräfte auf dem Arbeitsmarkt zu finden, und Kern anders sehe. Verehrte Kollegen auf der Regie- daß nur ein Fünftel aller Arbeitslosen bereit sei, ei- rungsbank, man darf anders argumentieren. Nur, nen Ortswechsel im Interesse der Beschäftigung vor- dann muß man sagen, warum man anders argumen- zunehmen. Unser Kollege Schmidt (Kempten) hat in tiert, analysiert und die Therapie setzt. Aber wenn einem nachdenkenswerten Beitrag in der „Zeit" dar- man die Begründung für die Wahl der Art der Ana- getan, eigentlich hätten wir Vollbeschäftigung. Ver- lyse verweigert, dann wird man eben nicht weiter ehrte Damen und Herren, solange wir aber über die kommen. Sie werden nicht weiterkommen, solange Fakten hier nicht genauer Bescheid wissen, werden Sie sich weigern, die Ursachen der politischen,- sozia- wir eine folgerichtige Politik zur Bekämpfung von len und wirtschaftlichen Malaise zu erkennen, und Arbeitslosigkeit wohl kaum betreiben können. solange Sie sich weigern, dementsprechend folgerich- (Beifall bei der CDU/CSU) tig, also ursachengerecht und zielgemäß, zu handeln. Anderenfalls können Sie mit Milliarden, mit Plänen Bei einer rationalen Bemühung um diese Fragen und Paragraphen nur so um sich werfen; der Erfolg muß man außerdem einige Lehren und Fakten ein- wird ausbleiben. rechnen — beispielsweise aus dem Jahre 1976. Da hatten wir ein ganz ansehnliches Wachstum. Das (Wolfram [Recklinghausen] [SPD] : Nun führte aber nicht automatisch Vollbeschäftigung her- kommen Sie mal mit Ihrem Programm rü bei, und die Unterbeschäftigung dieses Jahres führ- ber!) te nicht automatisch zu einem niedrigen Lohnniveau.

— Herr Wolfram, Sie haben schon vor einem Jahr Das müssen wir einrechnen. Wir müssen einrechnen, darauf gewartet. Da habe ich es skizziert. Ich kom- daß wir ein Hochlohnland mit einer, von draußen me ein Stück weiter, gar keine Sorge. gesehen, sehr teuren Währung sind. (Zurufe von der SPD) Sicher ist nur — und damit wende ich mich dem zu, worauf Herr Wolfram so lange gewartet hat; er Was sich in Westeuropa als eine Krise der Wirt- ist nun leider nicht mehr da, kommt aber sicher schaft darstellt, ist doch in Wahrheit eine Folge der wieder — Krise der Politik. Dies muß einmal gesagt werden. Bevor die Verantwortlichen da von Unregierbarkeit, Zuruf von der CDU/CSU: Er holt Kuchen!) von exogenen Indikatoren und Faktoren, von un- — aber zu Fuß in diesem Fall, habe ich gehört —, auflöslichen Sachzwängen sprechen, sollten sie erst sicher ist nur, daß allein eine steigende Wirtschafts- einmal in den Spiegel — den aus Glas oder Kristall kraft, und zwar — damit wir hier keinen Popanz — gucken und sich an die eigene Nase fassen; denn aufbauen — eine diesseits der ökologischen Grenze gar zu oft haben Politiker die Anspruchsinflation steigende Wirtschaftskraft zu einer Lösung beitra- nicht nur laufen lassen, sondern sie beflügelt. Die gen kann. Keine Verteilung von Mangel, kein Diri- Folgen davon kennen wir. gismus, keine Steuer, keine Arbeitsmarktpolitik wer- (Löffler [SPD] : Ihnen fällt doch nichts ande den die Probleme allein wieder lösbar machen. res ein!) Aus unserer Sicht ist zunächst die Wiedererlan- Wenn ich hier erneut für Folgerichtigkeit plä- gung der politischen Stabilität unerläßlich. Wenn diere, dann hoffe ich mich mit allen in diesem Hause es in der Bundesrepublik Deutschland nicht bald in diesem Zusammenhang einig, wenn ich sage: Fol wieder eine Regierung mit einem Konzept und einer 3518 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Dr. Barzel I Mehrheit, die auch für kritische Fragen langt, gibt, was der Handwerksmeister alles unentgeltlich für werden Sie die wirtschaftlichen Angelegenheiten den Staat zu leisten hat, so müssen wir prüfen, ob überhaupt nicht in Ordnung bringen können. Zur wir es wirklich bei diesen Kosten und Belastungen politischen Stabilität gehört der Konsens — davon belassen können. ist nachher zu sprechen —, aber dazu gehört auch (Beifall bei der CDU/CSU) Stetigkeit. (Zuruf des Abg. Lenders [SPD]) Verehrte Damen und Herren, auch im geltenden Recht ist manches ein Hemmnis für den Auf- Politik wird doch — Herr Lenders, das werden Sie schwung. Manches schränkt ein, statt zu befreien. mir doch zugeben — geradezu zu einer neurotischen Ich will ein Beispiel nennen: Jedermann weiß, daß Veranstaltung, wenn, nachdem es dem Bundesfinanz- wir dringend Binnennachfrage brauchen. Jedermann minister nach harten Mühen gelungen ist, eine weiß zugleich, daß unsere Bauwirtschaft diesbezüg- Steuererhöhung durch dieses Haus und durch den lich stimulierend wirken könnte. Jeder, der ehrlich Bundesrat zu bringen, der unmittelbar nach dieser ist, weiß weiterhin, daß auch Gesetze den Markt Beschlußfassung vor der Fernsehkamera sagt: Nun müde gemacht haben. Darüber müssen wir sprechen. muß ich erst einmal wieder die Steuern senken. Da Deshalb haben wir in unserem Programm — dieser wird doch Politik zu einer neurotischen Veranstal- tung. Teil unseres Programms ist nicht strittig — gesagt — ich zitiere —: (Beifall bei der CDU/CSU) Wer sich im August auf das Wort der Regierung Die vielfältigen Gesetze und Verordnungen in den verschiedensten Bereichen müssen dahin verlassen und munter bestellt und investiert hat, gehend überprüft werden, inwieweit sie dem weil er der Regierung geglaubt und sich gesagt Ziel der Wiedergewinnung der Vollbeschäfti- hat, daß es mit den Abschreibungen ja doch nicht gung entgegenstehen. Sie dürfen keine be- besser wird, ist enttäuscht worden. Wer der Regie- schäftigungspolitischen Bremsklötze sein. rung nicht geglaubt und gewartet hat, wird nun im September belohnt. Das erinnert doch fatal an das Weg damit! Haben wir den Mut, an diese Aufgabe frühere „stop and go", von dem ich hier nicht erneut heranzugehen! sprechen möchte. Zum anderen ist die Wiederher- (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Fangen stellung der Sozialen Marktwirtschaft notwendig. Sie doch einmal damit an!) Mancher klagt die Soziale Marktwirtschaft an, auch Herr Ehmke heute morgen. Ich zitiere hierzu Herrn — Es geht das Gerücht, daß Sie regieren, Herr Mundorf aus dem „Handelsblatt": Wolfram. Es ist ungerecht, zunächst das System zu ver- Der dritte Punkt ist dieser. Wir brauchen wieder stümmeln, um anschließend zu sagen, nun soll Wirtschaftspolitik im Sinne einer rationalen Ver- es einmal zeigen, was es kann. anstaltung. Wirtschaftspolitik muß, wie wir sagten, ursachengerecht und zielentsprechend sein. Hierzu Verehrte Damen und Herren, in keinem Lande des haben wir im Juni vorgetragen: Der Schlüssel für freien Europa hatten wir mehr Soziale Marktwirt- neue Arbeitsplätze liegt bei den Investitionen. Wir schaft im Sinne Ludwig Erhards. Weil es so ist, haben hierzu ein Programm, das einem Belastungs- wie ich geschildert habe, bleiben die Erfolge aus. stopp und konkret die Förderung privater Inve- Deshalb fordern wir Wiederherstellung der Sozialen stitionen beinhaltet, vorgesehen. Dies ist auch alles Marktwirtschaft. hier in diesem Hause erörtert worden. Es steht in An Hand einer Arbeit von Herrn Professor den Papieren; Sie haben das alles gelesen. Wir Müller-Armack habe ich das in die Diskussion mit äußern uns dann über den Rang öffentlicher Inve- dem Kollegen Friderichs eingeführt: Graf Lambsdorff stitionen. Wir machen Vorschläge zur Dämpfung hat das, was die Manipulation und den Abbau von Kosten, zur Förderung der Forschung und zur marktwirtschaftlicher Verläufe angeht, inzwischen Gründung wirtschaftlich selbständiger Existenzen. bestätigt. Ich möchte heute hinzufügen: Wo die Ich möchte aus diesem Programm gern noch einen Steuerprogression die Leistung bestraft, wo der wichtigen Punkt zitieren, an dem wir nicht vorbei- Staatsanteil knapp unter 50 %liegt, wo durch Ver- gehen können: Solidarität ist keine Einbahnstraße. nichtung des Mittelstandes mit der gesunden wirt- Wenn eine Minderheit vielleicht die Arbeitslosen- schaftlichen Struktur die Elastizität der Volkswirt- versicherung ausnutzt, so müssen wir uns damit schaft beeinträchtigt wird, kann man von Sozialer beschäftigen. Wir fordern deshalb ein Zusammen- Marktwirtschaft im eigentlichen Sinne nicht mehr wirken von Arbeitsämtern, Gewerkschaften und Ar- sprechen. beitgebern, um die Vorschriften für die Sperrfristen bei der Zahlung von Arbeitslosengeld und den Be- Es waren Gesetze nötig, die sich auf den Haus- griff der Zumutbarkeit zu überprüfen. Die Meldun- halt — der Inhalt war nicht gut; deshalb haben wir gen über Arbeitsunwillige sollen Anlaß sein, Umge- abgelehnt — und auf das, was in der Sozialversiche- hungsmöglichkeiten in begründeten Fällen auszu- rung zu reparieren war — der Inhalt war ganz schließen. miserabel —, bezogen. Wir brauchen jetzt eine Gesetzgebung, die uns vom Übermaß der in Para- (Wolfram [Recklinghausen] [SPD] : Das ist graphen erstarrten Wirtschaftspolitik befreit. Dies Ihr Arbeitsbeschaffungsprogramm!) bezieht sich auch auf solche Paragraphen, die wir — Ich merke, Sie haben es gelesen, Herr Wolfram. selbst beschlossen haben. Wenn uns das Handwerk Vielen Dank; ich brauche es dann nicht noch ein- eine Liste mit 130 Positionen vorlegt, die beinhaltet, mal vorzutragen. Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den S. Oktober 1977 3519 Dr. Barzel Wir haben es nicht mit einer Kreislaufschwäche Es genügt also nicht, wenn die Fraktionsvorsitzen- unserer Volkswirtschaft zu tun. Wenn wir sie hät- den der Koalition hier ab und zu noch einmal mit ten, hätten die sieben oder vierzehn Programme der Krampf — wie bei der Vermögensteuer — eine Regierung — je nachdem, wie man hier zählt — genau berechnete Majorität in einer Einzelfrage zu- doch längst im Sinne einer belebenden Spritze ge- sammenbringen. Stabilität und Konsens bedingen wirkt. Wir haben es mit einer Ordnungskrise zu einander; das eine ist ohne das andere nicht zu ha- tun. „Der marktwirtschaftlichen Ordnung wird als ben; zerbricht dies, so ist das ein historisches Ver- Versagen angelastet, was Ausdruck ihrer Über- hängnis. forderung ist", sagt der Sachverständigenrat. Un- ser Kollege Lambsdorff, dem wir übermorgen zur Zum Konsens gehört — ich möchte dies ohne Übernahme seines neuen Amtes gratulieren dürfen, Wenn und Aber sagen — die soziale Partnerschaft, sagt: „In den letzten Jahren haben wir zuviel an zum Konsens gehört ebenso die Soziale Marktwirt- marktwirtschaftlichen Einrichtungen, an marktwirt- schaft. Dies beides gehört zusammen; will man Er- schaftlichen Funktionsabläufen demontiert, sie ma- folg haben, kann man das eine ohne das andere nicht nipuliert, in sie eingegriffen." — Wir freuen uns auf haben. Dies beides gehört zusammen! Wer etwa Ihre Vorschläge, dem entgegenzuwirken, Graf prinzipiell soziale Fundamente in Frage stellt oder Lambsdorff. beeinträchtigt, zerstört den Konsens ebenso wie der, (Beifall bei der CDU/CSU) der eine andere Republik oder eine andere Ordnung in dieser Bundesrepublik Deutschland will. In einer Hinsicht besteht aber hoffentlich Einmü- tigkeit. Dies sage ich auch in die Adresse des Herrn Deshalb möchte ich gern, verehrte Damen und Bundeswirtschaftsministers, wobei ich mich auf Herren, daran erinnern: Da ist im Schutt etwas lie- einen Punkt beziehe, den er wohl mehr mit dem gengeblieben. Im späten Frühjahr hat der Vorsitzen- Blick in die Zukunft anführte. Unser sozialer Erfolg de des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Heinz- und unser wirtschaftliches Wachstum und damit Oskar Vetter, ein Programm zur Bekämpfung der unsere Geltung in der Welt hängen erstens von der Arbeitslosigkeit gefordert, das — so seine Worte — politischen Stabilität — dies ist wohl nicht mehr „von allen demokratischen Parteien und den Sozial streitig — und zweitens vom breiten Konsens über partnern gemeinsam entwickelt werden muß". Die- gesellschaftliche Grundfragen ab. Herr Kollege Fri- ser Vorschlag ist übergangen worden; er ist weder derichs hat dies bejaht. Ich möchte das ausdrück in der Offentlichkeit noch in der politischen Führung lich unterstreichen. Die politische Stabilität zer- aufgenommen worden. Hier war eine Hand ausge- bröckelt, genauer gesagt: sie wird zerbröckelt. Hier streckt. Denn, verehrte Damen und Herren, Streit passieren ja nicht Unglücke oder Ungeschicklich- und wechselseitige Vorwürfe — etwa des einen, der keiten, sondern es sind Strategen am Werk- — und andere habe die Arbeitsplätze „wegtarifiert", also vielleicht sogar eine recht gut anzusehende Stra- durch zu hohe Löhne beseitigt; auf den dann der tegin. Hier wird doch an Ihrer Mehrheit etwas ge- andere antwortet, die Arbeitsplätze seien „wegra- bastelt, und der breite Konsens ist dabei, zu zerbre- tionalisiert" worden, weil man sie durch neue Tech- chen. Nicht nur die Konzertierte Aktion lahmt, wie nik entbehrlich gemacht habe — allein führen uns jeder weiß; das „deutsche Modell" ist nun verbeult, nicht weiter. Bei allem Streit in diesem Hause — der es hat keinen Motor mehr. Es hat noch einen Steuer- soll sein und der muß sein — muß dieser grundsätz- mann, aber was machen Sie als Steuermann, wenn liche Konsens wiederhergestellt werden; wer ihn der Motor nicht da ist? zerstört, begeht, wie ich glaube, einen geschichtlich schweren Fehler. Verehrte Damen und Herren, ich stimme dem wirt- schaftspolitischen Leitartikel der „Zeit" vom 30. Sep- Ich kann nicht umhin, dem Vorsitzenden der SPD, tember 1977 zu und möchte ihn gern in die Debatte dem Kollegen Willy Brandt, diesen Vorwurf zu ma- einführen. Da heißt es: chen. Bei der letzten Debatte mußte ich als Zeugen des geänderten wirtschafts- und gesellschaftpoliti- Ausgerechnet in einer Situation, in der alle schen Kurses noch Herrn Eppler mit seiner These be- Kräfte darauf gerichtet sein müßten, gemeinsam mühen, der Staat müsse bestimmen, für welches einen Ausweg aus der wirtschaftlichen Misere Wachstum welche Energie da sei. Inzwischen stellt zu finden und das Problem der Arbeitslosigkeit der Parteivorstand der SPD selbst das Programm für — vor allem auch der Jugendarbeitslosigkeit — diese Wandlung vor: In seinem wirtschaftspoliti- so rasch wie möglich zu lösen, drohen Arbeitge- schen Antrag an den Parteitag im November ber und Gewerkschaften immer stärker auf Kol- empfiehlt er — natürlich getarnt wie auch damals, lisionskurs zu geraten. Jetzt, wo eine klare als der Konsens in einer anderen Frage aufgegeben wirtschaftspolitische Führung notwendiger denn wurde — de facto die Abkehr von der Sozialen je wäre, ist innerhalb der Parteien ein heftiger Marktwirtschaft. Konflikt über den künftigen Kurs der Wirt- schafts- und Energiepolitik ausgebrochen, durch Dieser Antrag, verehrte Damen und Herren, kehrt den die Handlungsfähigkeit der Regierung im- das Prinzip der Freiheit wie das der Subsidiarität mer mehr eingeengt wird ... um. Nach diesen Prinzipien haben wir eine private Wenn es nicht gelingt, den über viele Jahre hin- Wirtschaft; danach soll der Staat nur das machen, weg bewahrten Konsensus wiederherzustellen, was die Privaten und der Markt nicht können. Nach wird es keinen Sieger, sondern nur Verlierer diesem Parteiantrag sollen Markt und Private nur geben — ein sinnloses Spiel. noch das dürfen, was ihnen der Staat läßt. 3520 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Dr. Barzel Sie, Herr Kollege Ehmke, haben dazu den Minister wie Leistung, Wettbewerb, Kosten gemeint ist. Dafür Kiep bemüht. Wir haben den Minister Kiep inzwi- enthält dieser Antrag ein komplettes Instrumenta- schen gesprochen; ich habe auch die „FAZ"-Meldung rium für bürokratische Bevormundung — und das gesehen. Herr Kiep hat mir erklärt, einen Struktur- nach den Erfahrungen, von denen hier die Rede war. rat habe er weder jetzt noch früher gefordert; er will (Zuruf von der SPD: Ist das hier ein Partei keinen Strukturrat, der irgendeine Ähnlichkeit mit tag?) den von der SPD geforderten Räten haben könnte. Kiep hat lediglich nicht jetzt, sondern vor etwa Paritätische Strukturräte sollen errichtet werden, In- einem Jahr erklärt, daß sich das Gutachten der fünf vestitionen der Privaten sollen künftig angemeldet, Weisen nicht nur zu konjunkturellen, sondern auch die Rechte der Bundesbank beschnitten werden. Man zu strukturellen Fragen äußern solle. traut dem Markt und den Privaten nicht; man erwar- tet alles vom Staat. Das ist die Umkehrung der So- (Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [SPD] und wei zialen Marktwirtschaft. tere Zurufe) — Dies ist die Wahrheit! Ich möchte das Herrn Kol- (Zuruf von der SPD: Das trifft ja nicht zu!) legen Ehmke gegenüber ausführen. Die Marktwirt- Der Antrag zu den aktuellen Dingen zeichnet sich schaft sei unvollkommen, heißt es in Ihrem Papier; durch Ignoranz der Tatsachen aus. Von all den Ur- Planung und Lenkung seien erforderlich. Dann folgt sachen unserer Probleme, wie sie die Bundesbank, der erstaunliche Satz, die Entwicklung zukunfts- der Sachverständigenrat, der Jahreswirtschaftsbe- trächtiger Branchen dürfe nicht den Marktkräften richt, wissenschaftliche Institute belegen, werden überlassen bleiben. Verehrte Kollegen, natürlich ist Sie dort nichts finden. jedes System unvollkommen wie jeder Mensch. (Zurufe von der SPD) (Hört! Hört! bei der SPD) — Ich verstehe, warum Sie das erregt. — Dieser Nur, nennen Sie uns irgendein System, das sozialere Antrag hemmt den möglichen Aufschwung. Er ist und erfolgreichere Ergebnisse gehabt hat als Ludwig ein Fußtritt gegen die, die investieren wollen, weil Erhards Soziale Marktwirtschaft, die Unklarheit und die Unsicherheit durch diesen (Beifall bei der CDU/CSU) Antrag vermehrt werden. (Beifall bei der CDU/CSU) und nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß wir nicht vom Markt allein sprechen, sondern von Sozialer Dieser Antrag paßt vielleicht in eine nächtliche Marktwirtschaft! Sie sollten gelernt haben, daß das Ideologiediskussion in der SPD, in einen Ortsver- ein fundamentaler Unterschied ist. band irgendwo in Hessen-Süd oder, inzwischen, Wenn Sie sich einmal die Forschungspolitik die- auch in Ostwestfalen, aber er paßt nicht zu den Problemen einer modernen Industriegesellschaft und ser Bundesregierung z. B. im Computerbereich- an- gucken — das ist ja wohl ein zukunftsträchtiger Be- zu der aufgeklärten politischen und wirtschaftlichen reich — und dann noch den Mut haben, allein vom Debatte, die dieses Land heute braucht. Staat die erforderlichen Maßnahmen zu erwarten, (Beifall bei der CDU/CSU) kann ich nur sagen: Da sind Ideologen am Werk. (Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [SPD]) (Stahl [Kempen] [SPD] : Herr Barzel, fragen Verehrter Herr Kollege Ehmke, was Unternehmer Sie mal die Junge Union, was die dazu zu können, ist das eine, und was Beamte können, ist sagen hat!) das andere, bzw. was Beamte können, ist das eine, Es muß einmal gesagt werden: Die Voreingenom- und was Unternehmer können, ist das andere. Be- menheit derer, die dieses Programm an den Realitä- amte, auch die besten, können das nicht, was hier ten und Notwendigkeiten vorbeigeschrieben haben, gefordert wird. Beamte, alle Behörden, Institute und was weiß ich, was Sie da einschalten wollen, veranlaßt mich leider zu sagen, daß da manche am müssen sich nach den Vorschriften richten. Die Vor- Werk sind, denen ihre Partei wieder wichtiger ist als schriften leben aus der Erfahrung von gestern, und die Lage im Lande. So bleibt dem Kanzler auch an etwas unternehmen heißt, etwas für die Zukunft aus- dieser Stelle eben nichts anderes übrig: Er muß sich spähen, riskieren und dafür etwas frei tun. Das ist auf seinen Eid besinnen. der Unterschied. Wir werden deshalb für Soziale Marktwirtschaft (Beifall bei der CDU/CSU) kämpfen, wir werden uns nicht scheuen, die Debatte Erhard-Nölting dann eben noch einmal zu führen; denn wir sehen in allen Ländern der freien Welt: Herr Abgeordneter Vizepräsident Frau Renger: In dem Ausmaß, wie man wirtschaftliche Einengun- Dr. Barzel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Ab- gen gemacht hat, bleiben die Erfolge aus. In keinem geordneten Dr. Spöri? Land des freien Europa gibt es noch Soziale Markt- wirtschaft. Dr. Barzel (CDU/CSU) : Ich möchte zunächst den Gedankengang zu Ende bringen. Vizepräsident Frau Renger: Herr Kollege, gestat- Wer diesen Antrag des Vorstands liest, fragt sich ten Sie noch eine Zwischenfrage? außerdem, in welchem Land die Verfasser wohl le- ben, woher sie ihre Einsichten, ihre Erfahrungen und Dr. Barzel (CDU/CSU) : Verehrte Frau Präsident, Daten beziehen. Da fehlt fast alles, was mit Begriffen ich möchte gern zum Schluß kommen. Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3521

Dr. Barzel Ich möchte den Kollegen Ehmke, weil wir das ja deshalb heute morgen nachgelesen — sagte der Herr sicher weiter debattieren werden, auf einen berühm- Bundesfinanzminister, das Ganze sei ein „innerer ten Mann hinweisen. Ich habe vorhin den Kollegen Notstand". Herr Kollege Apel, wissen Sie, was Kiesinger gefragt, ob er etwas dagegen hat, daß ich „Notstand" ist? Machen Sie mit solchen Worten nicht einmal Tocqueville zitiere; ich weiß, Sie haben sich das Volk verrückt! Das Volk ist gesund. Die Pro- auch mit ihm beschäftigt. Tocqueville hatte eine bleme sind lösbar. Die Krankheit geht von Ihnen Ahnung. Er befürchtete — das sollten wir uns doch und dieser Koalition aus, und deshalb werden wir wirklich einmal miteinander überlegen, gerade wenn das bekämpfen. es anders gedacht sein sollte, als es zu lesen ist —, (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) der Staat werde sich zu einer „ungeheuren Vormund- schaftsgewalt" entwickeln. Vizepräsident Frau Renger: Meine Damen und Er bezeichnet sie dann wie folgt: Herren, erlauben Sie mir einen Hinweis: Das war Sie bedeckt sich in ihrer ganzen Ausdehnung heute der vierte Redner, der weit über 45 Minuten mit einem Netz kleiner und verwickelter Regeln gesprochen hat. Heute früh ist eine gewisse Verein- von peinlicher Genauigkeit und Einförmigkeit, barung getroffen worden. Auch die weiteren Redner sind mit einer langen Redezeit angemeldet. Ich durch das hindurch selbst die originellsten und möchte auf § 39 der Geschäftsordnung hinweisen kräftigsten Geister sich nicht mehr Luft verschaf- und bitte, sich wenigstens einigermaßen daran zu fen können. Selten zwingt sie zu einer Hand- halten. Die Redezeit soll für jeden weiteren Redner lung, aber sie steht ständig dem Handeln im 15 Minuten betragen. Nur die ersten Redner sollten Wege. Sie zerstört nicht, aber sie hindert, daß 45 Minuten reden. Dies ist heute außer Kraft gesetzt etwas geschieht. Sie tyrannisiert nicht, aber sie worden. Ich bitte aber sehr herzlich — selbstver- stört. Sie engt ein, sie höhlt aus, sie erstickt, sie ständlich nicht die nächsten beiden Redner; das wäre stumpft ab. ungerecht —, sich im weiteren Verlauf des Tages Genau dies geschieht hier mit der wirtschaftlichen auf die Geschäftsordnung zu besinnen. Freiheit durch Ihren Antrag. Darüber wird später Das Wort hat der Abgeordnete Reuschenbach. im einzelnen zu sprechen sein. (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der Reuschenbach (SPD) : Frau Präsident! Meine Da- SPD: Sehr schwaches Bild! — Lachen und men und Herren! Mein Ausschußvorsitzender, Dr. Gegenrufe von der CDU/CSU) Barzel, hat gesagt, Wirtschaftspolitik sei — vielleicht Vom Verdruß an den Parteien war die Rede, der hat er auch gesagt: solle sein — eine rationale Ver- viele erfaßt hat. Viele fragen, ob unsere Probleme anstaltung. Letzteres würde jedenfalls vermuten las- überaus lösbar, ob unsere Ordnung, unsere Prinzi- sen, daß er auf dem Wege noch Fortschritte machen pien, unsere Instrumente noch ausreichend seien. könnte. Denn Rundumschläge und ein Wettbewerb Wenn wir ehrlich sind, müssen wir sehen, daß in der Phraseologie entsprechen wirklich nicht die- manche sich schon nach neuen Autoritäten umsehen. sem Anspruch, daß Wirtschaftspolitik eine rationale Diese Maläse, diese Fragezeichen und dieser Ver- Veranstaltung sein sollte. druß sind überwiegend die Folge mangelnder politi- (Beifall bei der SPD) scher Führung. Wo diese ausbleibt, entsteht eben Unser verehrter Vorsitzender des Wirtschaftsaus- kein weißer Fleck, sondern andere strömen herein. schusses könnte es eigentlich viel besser, wie wir Der Bürger sieht dann nur, daß politisch fast nichts aus unseren Ausschußsitzungen wissen. Vor allen Wichtiges mehr läuft. Der Bürger sucht Wegweiser. Dingen ist es ein bißchen ermüdend, sowohl heute Von dieser Regierung geht mehr Nebel aus als morgen als auch heute nachmittag von Sprechern Perspektive. Hier degeneriert Politik zur Reparatur- der Opposition über weite Strecken eine Zitaten- werkstatt für den nächsten Tag. sammlung zu hören. Auch dieses empfinde ich nicht (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der als eine rationale Veranstaltung, sondern als eine SPD) ermüdende Aufzählung unterschiedlicher Einschät- Ich habe gestern nach Ihrer Rede, Herr Kollege zungen der verschiedenen Menschen in der Vergan- Apel, im Rundfunk — ich glaube, im Westdeutschen genheit. Dabei haben wir doch so sehr auf präzisere Rundfunk, im „Mittagsmagazin" — Ihr Interview Aussagen gewartet, Herr Dr. Barzel, da Sie, als Sie Ausschußvorsitzender wurden, mit einem hohen An- gehört. (Sehr gut! bei der SPD) spruch angetreten sind. Ich zitiere immer wieder jenen Satz aus dem Gespräch mit der „Rheinischen — „Sehr gut", sagen Sie noch. Da hat der Minister Post" vom Februar dieses Jahres larmoyant — ich kann es nicht anders sagen — ge- (Zurufe von der CDU/CSU: Wieder ein jammert über Investitionsstop durch Bürgerinitiati- Zitat!) ven, Vorschriften usw. Ja, Herr Kollege, wer hat denn durch Unschlüssigkeit und durch fehlende po- — nein, ich will nur Anspruch und Wirklichkeit mes- litische Führung diese Fragezeichen produziert? sen —, in dem Sie sagten, die Regierung sei in einem Weil er es unterließ, Antworten zu geben und Ant- miserablen Zustand; um so mehr gucke man jetzt worten zu verantworten. Ursache und Wirkung sind auf die Opposition, auf ihre Pläne, ihre Konzeptio- doch politische Kategorien. Und dann — das sollten nen und Alternativen. Es sei eine staatspolitische auch Sie sich jetzt einmal auf der Zunge zergehen Pflicht, eine starke Opposition zu haben. Sie müsse lassen; ich traute meinen Ohren nicht, ich habe das nicht zu jeder Frage ein eigenes Konzept haben, aber 3522 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Reuschenbach sie müsse sagen, wohin die Reise nach ihrer Auffas- In Entwürfen für Ihr Grundsatzprogramm ist doch sung gehen sollte. — Ich finde, das ist ein hoher geradezu dazu herausgefordert worden, sich in einer Anspruch, dem heute morgen hier nach meiner Auf- Zeit der Neuorientierung den schwierigen Zukunfts- fassung niemand gerecht geworden ist. fragen zuzuwenden; dort werden doch alle ein- (Beifall bei der SPD) geladen, sich an der Durchdringung dieser Probleme zu beteiligen. Und da wollen Sie Ihren politischen Ich teile diesen Anspruch auch in einem anderen Konkurrrenten vorwerfen, daß Sie über Zukunfts- Punkt: Ursachen erkennen, Analysen ziehen und fragen eine schwierige und kontroverse Diskussion dann folgerichtig handeln. Dazu haben Sie gesagt, führen! solange nicht über wichtige Fakten Klarheit herrscht, könne man auch keine gute Politik machen. Dann Sie haben speziell die fortgeschriebenen Energie- haben Sie Fragen gestellt, Herr Dr. Barzel. Sie, Herr programme der Bundesregierung angesprochen. Ich Dr. Barzel — ich sage es noch einmal —, Vorsitzen- kann mich noch gut erinnern: Als wir die Debatte der des Wirtschaftsausschusses, fragen, wann man über das erste Energieprogramm im Herbst 1973 und denn nun endlich erfahre, wieviel Leistungsempfän- dann im Frühjahr 1974 führten, hat eine Reihe Ihrer ger es unter den Arbeitslosen gebe, wann man denn Freunde im Ausschuß und im Plenum dies als den nun endlich erfahre, wie viele darunter seien, die Beginn finsterster Pläne für die Planwirtschaft in auf ein Altersruhegeld zugehen und deshalb das diesem Land bezeichnet. Wir sind dem mit allen, eine Jahr vorher Arbeitslosenunterstützung bezie- wie uns schien, guten und vernünftigen Argumen- hen, wie viele Teilzeitbeschäftigte es gebe. Sie stel- ten entgegengetreten, u. a., daß wir keinen Plan bis len Fragen, auf die Sie sich selbst jederzeit auf zum Jahr 2000 machen, sondern regelmäßig fort- Grund der Papiere, die es gibt und die das Bundes- schreiben und neu prüfen werden, und daß hier arbeitsministerium verbreitet, Antworten geben kön- keine Investitionsgebote par orde de Mufti durch nen. Sie sagen aber: Solange man diese Tatsachen Knopfdruck der Bundesregierung erfolgen. nicht kenne — Sie kennen sie mangels Bemühungen Und nun sagen Sie, daß das alles noch nicht bis um Information offensichtlich nicht —, könne man zum Tezett verwirklicht sei, sei so schrecklich. Im keine gute Politik machen. Ihnen fehlen die Tat- Grunde denken Sie in Kategorien von Planwirt- sachen; folglich sind Ihre politischen Ratschläge auch schaftlern, wenn Sie sagen, es sei kritisierbar, daß so, wie Sie es selbst dargelegt haben. aus diesen Programmen noch nicht alles bis zum (Beifall bei der SPD und der FDP) Tezett erfüllt sei. Sie sagen, es sei endlich an der Zeit, etwas für (V o r sitz: Vizepräsident Stücklen) die Existenzgründungen zu tun. Dabei wissen Sie aus den beiden letzten Sitzungen des Wirtschafts- Sie brauchen uns wirklich keinen Nachhilfeunter- ausschusses sehr gut, wie in voller Übereinstim- richt über 'die Sorgen zu erteilen, die mit den Inve- mung zwischen den beiden sachkundigen Mitarbei- stitionshemmnissen und mit der Tatsache, daß auch tern im Ausschuß, Herrn Warnke — wenn ich mich im Bereich der Energiewirtschaft so viele beschlos- richtig erinnere — und Herrn Wolfgang Roth, die sene Investitionen nicht abfließen, verbunden sind. Mittel für die Unterstützung und Förderung von Es ist ganz bestimmt ungerechtfertigt, unsolide und Existenzneugründungen aufgestockt worden sind. auch unwahr, wenn Sie so tun, als sei die Ursache dafür allein beim Bund oder allein bei dem einen Dann beklagen Sie, daß nicht alle offenen Stellen oder dem anderen Bundesland zu suchen. Die Ge- bei den Arbeitsämtern gemeldet seien. Da muß ich nehmigungsverfahren werden in allen Bundeslän- Sie fragen, warum Sie in den zwanzig Jahren bis dern gehandhabt. Zu der entsprechenden Gesetz- 1969 nicht auch dafür gesorgt haben, daß die Unter- gebung, z. B. zum Atomgesetz, hat der Bundesrat nehmen verpflichtet werden, ihre offenen Stellen seine Zustimmung ja nicht verweigert, sondern an die Arbeitsämter zu melden. Ich weiß gut, daß das ein kritischer Punkt ist; aber wenn Sie das als durchaus eindeutig gegeben. Wenn Sie sich am lin- den einzigen offenen Punkt bezeichnen, um dann ken Niederrhein umsehen, stellen Sie fest, wie sehr eine gute Politik machen zu können, so ist das ein dort CDU-Fraktionen in Gemeinderäten und Städten bißchen wenig. an der Spitze der Bewegung gegen die Festlegung von Standorten Einen nicht unerheblichen Teil Ihrer Zeit haben Sie darauf verwandt, sich über Debatten in den (Sehr richtig! bei der SPD) Koalitionsparteien zu mokieren. Ich finde, es ist, für konventionelle Kraftwerke und für Kernkraft- nicht nur auf den Zustand Ihrer eigenen Partei be- werke stehen. zogen, etwas arrogant, das ist aber andererseits (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Herr Kollege, das auch grundsätzlich eine merkwürdige Haltung und ist doch kein Argument! Das machen doch Einstellung, daß Sie Debatten über — wie Sie selbst alle lokalen Parteien!) zugeben — schwierige Fragen in Parteien, Unsicher- heiten für eine gewisse Zeit, insbesondere im Vor- Da finde ich es nicht fair, die Probleme, die mit den feld von Parteitagen, wo es dann zum Schwur Genehmigungsverfahren und den Investitionshemm- kommt, wo Mehrheit über Minderheit entscheidet, nissen zu tun haben, wie ein Bonbon der einen oder als etwas empfinden, worüber man sich zu Recht der anderen Seite ans Hemd zu kleben. mokieren könnte. Das ist ein merkwürdiges Demo- Wenn Sie nun speziell die Genehmigungen für kratieverständnis. den Bau weiterer Kernkraftwerke ansprechen, will (Beifall bei der SPD) ich Ihnen in aller Offenheit folgendes sagen. Ich bin Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3523

Reuschenbach nicht sicher, wie die Beschlußfassung auf den Partei- Zwischenlagern — in Niedersachsen abhängig ge- tagen der Koalitionsfraktionen ausgehen. Möglicher- macht werden sollen? Lesen Sie es bitte nach! Ich weise kommt es zu einer scharfen Bedingung. Aber möchte jetzt aber wirklich keine vertiefte Sicher- die Beschlüsse dort sind in ihrer Qualität und Be- heitsdebatte über Kernreaktoren führen. Außerdem deutung als Hemmnisse und Verzögerer überhaupt bin ich dafür nicht kompetent genug. Auch das will nichts im Vergleich zu dem Verhalten Ihres Freun- ich in aller Offenheit sagen. des, des Ministerpräsidenten von Niedersachsen. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist sicher (Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. richtig!) Dr. Kohl [CDU/CSU]) — Natürlich! Wer sagt, er kenne von allem etwas, Seine Entschlossenheit, Zeitgewinn-Pläne in die dem muß man mit Mißtrauen begegnen. Ich wollte Wirklichkeit umzusetzen, bedeutet einen ungleich nur sagen, daß Sie, bevor Sie uns Vorwürfe bezüg- größeren Zeitverlust, als ihn alle auf den beiden lich Investitionshemmnisse, insbesondere auf dem Parteitagen realistischerweise zu erwartenden Be- Gebiet der Genehmigung von neuen Kernkraftwer- schlüsse bedeuten können. ken, machen, dies bitte insbesondere mit der Regie- rung in Niedersachsen klären sollten.

Vizepräsident Stücklen: Herr Kollege, gestatten (Beifall bei der SPD) Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Uns ist völlig klar, daß bei dem aufgestellten Po- Schröder (Lüneburg)? stulat — das tun ja alle Fraktionen und alle Par- teien in dieser Zeit — „Vorrang für Politik der Voll- Reuschenbach (SPD) : Bitte schön. beschäftigung" vielen etwas abverlangt wird, so- wohl denen, die sich besonders für die Umwelt- schutzgesetzgebung interessieren, wie auch denen, Schröder (Lüneburg) (CDU/CSU) : Herr Kollege, die etwas mit Verfahrensfragen zu tun haben, wie wollen Sie mit diesem Angriff gegen den Minister- auch denen, die für die Steuer- und Finanzpolitik zu- präsidenten von Niedersachsen zum Ausdruck brin- ständig sind. Dies wollen wir in einem ausgewoge- gen, daß die Erfahrungszeit, die für die Prüfung der nen Verhältnis tun. Mein Vorredner weiß gut, wie Pläne einer Wiederaufbereitungsanlage notwendig sehr sich diejenigen, die im Wirtschaftsausschuß tä- ist, verkürzt werden soll und demgemäß die not- tig sind, darum bemühen, auf manchen Gebieten sol- wendigen Sicherheitsvoraussetzungen nicht einge- che Hemmnisse abzubauen. Da gehen die Fronten halten werden sollen? eben nicht von Partei zu Partei, sondern manchmal auch quer durch die Gruppierungen, Fraktionen, Reuschenbach (SPD) : Zunächst einmal ist auch Bürokratien und Ministerien. der Ministerpräsident von Niedersachsen nicht Eines der wichtigsten Stichworte, das die Union sakrosankt. Insofern ist er wohl kritisierbar. Zwei- in solche politisch-ökonomischen Debatten einbringt, tens. Wenn Sie sagen, ein so langer Zeitraum, wie lautet, Vertrauen und Sicherheit hinsichtlich der er dort in Aussicht genommen ist, sei für die Klä- Lage und der künftigen Entwicklung seien nicht vor- rung der mit ,der Entsorgungsanlage zusammenhän- handen, und deshalb könne die Zukunft auch nicht genden Fragen nötig, dann frage ich Sie, wieso Ihre besser werden. Nun muß ich Sie doch allen Ernstes Sprecher die Regierung und die Regierungskoalition fragen: Wo und wann können Sie denn einmal Re- kritisieren, daß sie allzu viel Zeit ins Land gehen gierungen, Wissenschaftler, Institute, Unternehmens- ließen, bis es zu neuen Genehmigungen für Kern- verbände beibringen, deren Einschätzung der künf- kraftwerke komme. tigen Entwicklung als einigermaßen sicher und zu- treffend bezeichnet werden könnte? Es gibt in den Vizepräsident Stücklen: Gestatten Sie eine weitere letzten Jahren überhaupt niemanden mehr — die Zwischenfrage? Union und ihre Sprecher machen da überhaupt kei- ne Ausnahme —, der über einen längeren Zeit- Reuschenbach: (SPD) : Bitte. raum hinweg einigermaßen oder sogar sehr zutref- fend künftige Entwicklungen in der breiten Palette hat einschätzen können. Schröder (Lüneburg) (CDU/CSU) : Herr Kollege Reuschenbach, ist Ihnen bekannt, daß dieses Pro- (Kroll-Schlüter [CDU/CSU] : Bei Ihrer Politik blem der bisher vorhandenen und der in den näch- ist das grundsätzlich nicht möglich!) sten zwei bis drei Jahren noch anfallenden Abfälle sehr wohl mit einem sogenannten Zwischenlager zu — Ich verstehe, daß Sie gern wieder in polemisches Fahrwasser zurück wollen, weil das einfacher ist, lösen ist? (Zurufe von der SPD) aber es hilft weder Ihnen noch den Beratungen hier noch der tatsächlichen Politik noch den Unterneh- men noch den Arbeitnehmern. Deshalb wäre es Reuschenbach (SPD) : Ist Ihnen denn bekannt, daß sinnvoller, wenn man sich seiner eigenen Begrenzt- sich Ihre Fraktion im Mai 1976 so wie alle Fraktio- heit auch durch Unterlassen von Zwischenrufen die- nen des Deutschen Bundestages in einer Entschlie- ser Art etwas bewußter würde. ßung und in der dazu gehörenden Debatte hier dar- auf verständigt und festgelegt hat, daß die Genehmi- Bei all solchen Einschätzungen der Zukunft fehlt gungen für den Bau weiterer Kernkraftwerke von in Ihrem wirtschaftspolitisch-ökonomischen Bild im- der Klärung der Entsorgungsfrage — nicht von mer die außenwirtschaftliche Seite. Dabei wissen 3524 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Reuschenbach Sie doch ganz genau und beraten das auch auf inter- ten. Wie Kiep sagte, wolle er sich im Bundesrat nen CDU-Konferenzen — ich hatte ja die Ehre, vor dafür einsetzen, daß der Auftrag an die Sach einiger Zeit an einer solchen im Steigenberger- verständigen in entsprechender Weise ergänzt Hotel teilzunehmen, bei der der amerikanische Mini- werde. Der Minister forderte außerdem eine ster Marshall zugegen war —, daß, nachdem die Bun- bessere Erfolgskontrolle in der Regional- und desrepublik als eine der stärksten Handelsnationen Strukturpolitik. jahrzehntelang von der Freiheit des internationalen — Ich weiß, daß oft die Journalisten schuld sind, Waren- und Kapitalverkehrs in hohem Maße profi- wenn — — tiert hatte, nun diese internationale Arbeitsteilung (Zuruf von der CDU/CSU) für ihren Arbeitsmarkt und ihre wirtschaftliche Ent- wicklung zu einem Problem wird, das nicht durch — Verzeihung, was verstehen Sie unter Struktur- irgendwelche Beschlüsse der Bundesregierung her- politik? Zur Strukturpolitik gehört die sektorale und beigeführt worden ist, sondern daß durch diese Ar- die regionale. Wenn Sie das einmal nachlesen wür- beitsteilung und auch durch das von Ihnen immer den, würde das unsere Erörterung manchmal er- wieder beschworene Festhalten am liberalen Außen- leichtern. Wenn man schon der Regional- und handel der Europäischen Gemeinschaft mit verur- Strukturpolitik zu Leibe rückt, bleibt doch über- sacht und mit verstärkt wird. Ich habe von Ihnen haupt keine andere Wahl, als daß man auch über nicht gehört, man solle als Gegenmaßnahme diesen die Instrumente nachdenkt, mit denen man ihren liberalen Außenhandel der Europäischen Gemein- Problemen sachgerechter begegnen kann. schaft beseitigen. Aber ich habe von vielen von Ihnen intern und öffentlich gehört, man möge doch zu ei- Vizepräsident Stücklen: Gestatten Sie eine Zwi- nem bißchen mehr Protektionismus im nationalen schenfrage? Rahmen für diese und für jene Branche zurückkeh- ren. Dies würde den beschleunigten Wandel über- Dr. Jenninger (CDU/CSU) : Herr Kollege Reuschen- haupt nicht wesentlich eingrenzen; ganz im Gegen- bach, würden Sie — damit diese unnütze Diskussion teil, das kann als Bumerang mit erheblicher Wir- jetzt ein Ende findet — zur Kenntnis nehmen, daß kung wieder auf uns zurückfallen. Herr Kiep soeben angerufen hat und mitteilen läßt, Neben dem Warenexport — das sehen Sie — be- daß er nichts anderes gefordert habe, als daß sich treiben die deutschen Unternehmen — Kapitalbesit- die Sachverständigen nicht nur mit Konjunktur- zer — zunehmend einen Export von Arbeitsplätzen. fragen beschäftigen, sondern künftig auch mit struk- Ein weiterer Verlust von Arbeitsplätzen ist mit der turellen Problemen, insbesondere unter dem Ge- fortschreitenden Rationalisierung verbunden. Diese sichtspunkt der regionalen Wirtschaftspolitik, nichts Entwicklung trifft die Bundesrepublik in einer Zeit, anderes. in der allein schon auf Grund der demographischen- (Zurufe von der SPD) Entwicklung noch zusätzliche Sorgen über ein aus- reichendes Arbeitsplatzangebot entstehen. Reuschenbach (SPD) : Ich nehme das gern zur Da komme ich zu dem Punkt, der hier im Zusam- Kenntnis. Ich mache ihm ja auch gar keinen Vor- menhang mit sozialdemokratischen Programmen wurf, daß er solche Überlegungen ausgesprochen oder Anträgen eine so merkwürdige Rolle gespielt. oder nicht ausgesprochen hat, sondern ich beschäf- hat. Wenn sich alle darüber im klaren sind, alle — tige mich doch mit der Frage, ob die Befassung von Grundsatzprogramme der CDU, wirtschaftswissen- vorhandenen Räten — Finanzplanungsrat, Konjunk- schaftliche Institute, Sachverständige, Regierungen turrat, Bund-Länder-Kommission und andere —, daß neben die Globalpolitik, neben (Zuruf von der SPD: CDU-Wirtschaftsrat!) die Konjunkturpolitik ein stärkeres strukturpoliti- und viele, viele andere Kommissionen und Bera- sches Moment treten soll, wie kommen Sie dann da- tungsgremien — mit strukturpolitischen Fragen — zu, so frage ich mich, Überlegungen in dieser Art ob sektoralen oder regionalen, ist ganz Wurscht — so zu diffamieren und herabzusetzen? Ich will gar wirklich ein ausreichender Grund für Sie und Ihre nicht darüber streiten, ob Herr Kiep das, was hier Leute ist, dies als planwirtschaftliches Teufelswerk in der „Frankfurter Allgemeinen" steht, so oder an- herabzusetzen. Das ist meine Frage. Ich finde es ders gesagt hat. wirklich als weit über das Ziel hinausgeschossen, (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Das steht ja nicht Herr Dr. Barzel, wenn Sie die konkrete Überlegung drin! Lesen Sie doch mal vor!) in diesem Antrag des Vorstandes der SPD, daß von Zeit zu Zeit der vorhandene Konjunkturplanungsrat — Ja, das will ich gerne tun. Ich bin Ihnen dankbar und der vorhandene Finanzplanungsrat zu einer ge- für diese Aufforderung. Da heißt es: meinsamen Sitzung zusammentreten sollten, um In der Bundesrepublik sollte neben den Kon- sich mit strukturpolitischen Fragen zu befassen, nun junkturrat ein Strukturrat gesetzt werden, zum Anlaß nehmen, solche dramatischen und drasti- (Hört! Hört! bei der SPD) schen Diffamierungen auszusprechen. der regelmäßige Berichte über die politische (Beifall bei der SPD) Entwicklung gibt. Diese Ansicht hat der nie- Ich sage nicht: Von da kommt das Heil. Mir ist die dersächsische Wirtschaftsminister, Walter Leis Zahl der Räte zwischen Bund und Ländern und derer, ler Kiep, in Frankfurt auf der Jahrestagung des die noch in verschiedenen Ministerien tätig sind, eh Bundesverbandes Junger Unternehmer vertre schon unheimlich, weil sie in der Tat die Beratungen Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3525 Reuschenbach der Parlamente nicht sonderlich befruchten. Nur, ich zu. Wenn man darüber sachgerecht streiten wenn da ein einziger vorgeschlagen wird, der noch würde, wäre das schon viel. Aber die Stationen der nicht in dieser langen Liste steht, ist das nicht das letzten Jahre zeigen doch — ich glaube nicht, daß Ende der Jungfernschaft der Marktwirtschaft. das eine übertrieben scharfe Kritik ist —, daß, was (Zurufe von der CDU/CSU) immer die Regierung machte, so oder anders, in jener oder dieser Lage, mit diesem oder mit jenem Aber im übrigen müssen Sie sich mal mit Herrn Instrument, die Union mit den unterschiedlichsten Strauß verständigen. Sie sagen, eine solche Struktur- Argumenten dagegen war. Als Inflationsbekämp- beratung — so oder so ähnlich — sei Staatsomnipo- fung sattfand, war das nicht scharf genug. Als Inve- tenz. Herr Dr. Strauß hat heute morgen gesagt, das stitionsnachfrage und -förderung stattfand, war das sei Verbandsanarchie. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn nicht genug. Als Haushaltskonsolidierung stattfand, Sie prüften, welche von Ihren beiden Versionen von war das keine radikale Sparmaßnahme. Und wenn uns künftig ernst genommen werden soll, damit wir nun öffentliche Haushalte und Steuerpolitik flan- uns darauf einrichten. Die Union gebärdet sich ge- kierend zur Belebung der privaten Aktivitäten ein- -genüber der Bundesregierung und allen konjunktur gesetzt werden, kann die Einnahmeverringerung und wirtschaftspolitischen Entwicklungen so, als der Union überhaupt nicht groß genug sein. Der handelte es sich hier um eine voll entwickelte Plan- Höhepunkt in dieser ganzen Kette war der Juli die- wirtschaft. Dieser verbale Versuch, die Regierung ses Jahres, als die Union ihren eigenen Steuervor- ständig für alle Sektoren und Vorgänge des wirt- lagen nicht mehr zugestimmt hat, sondern sie abge- schaftlichen Lebens in die Verantwortung zu pres- lehnt hat, um um des Prinzips willen nein zu dem sen, wäre dann berechtigt, wenn, wie es ja die Wirk- zu sagen, was die Koalitionsmehrheit möglicher- lichkeit ist, das wirtschaftliche Geschehen eben nicht weise machen könnte. überwiegend von den am Markt Beteiligten abhinge. Wer so wie Sie seine Kritik ansetzt, der müßte logi- Der dritte Punkt in diesem schon etwas lang- scherweise nach mehr Zuständigkeit für den Staat weiligen Aufzug der letzten Jahre ist der, daß man rufen. 'Sie müßten logischerweise nach mehr Instru- nach eigenen, nach vorn weisenden Zielen und Pro- menten rufen, wenn Sie sagen: Aber die Ziele, die grammen der Union vergeblich Ausschau halten ihr euch am Anfang des Jahres 1976 und des Jahres muß. Das gilt leider auch für diejenigen, die heute 1977 gesetzt habt, habt ihr nicht alle erreicht. hier gesprochen haben, daß sie nichts Hilfreiches, nichts Neues — wohl Betrachtung der Vergangen- Wissen Sie, die ökonomisch-politischen Ergüsse heit — geliefert haben. Dabei ist es natürlich nicht und Auftritte der Union in den letzten zwei, drei leicht, bei all den Unsicherheiten die richtigen und Jahren laufen nach immer gleichen und, ich muß die zweckmäßigsten Maßnahmen und Wege heraus- Ihnen ehrlich sagen, langsam Langeweile erzeugen- zufinden. So bleibt am Ende immer nur der eine den Schemata ab. Da malt sie zunächst einmal ein Ratschlag an die Regierung, die Regierung möge Bild von diesem Land, wonach es, dieses Land, an- abtreten, sie möge doch der Union Platz machen, geblich eine Insel des Chaos und des Elends inmit- weil dann alles anders würde. Dann hätte mit einem ten eines Meeres von Stabilität und Wohlstand sei. Mal die gesamte Wirtschaft national und internatio- Wir haben die beste Position bei der Inflationsbe- nal wieder volles Vertrauen in die Politik dieses kämpfung, wir haben starke Devisenreserven, eine Landes, die Arbeitnehmer würden jubeln, weil end- stabile internationale Zahlungsfähigkeit und die ge- lich eine vertrauenerweckende und vertrauenswür- wissenhafte Erfüllung internationaler finanzieller dige Regierung auf den Bänken hier vorne säße und und ökonomisch-politischer Verpflichtungen, trotz man dieses Land überhaupt nicht wiedererkennen aller Probleme, die wir ja überhaupt nicht leugnen. würde. Das fürchte ich auch. Deshalb wollen wir Es ist ja nicht so, daß wir uns hinstellen und sagen, alles daransetzen, daß weder das stattfindet noch wir hätten keine Sorgen. Dann könnten wir abtreten. daß Sie überhaupt die Wirtschafts- und Finanzpoli- Eine Regierung, die keine Sorgen für die Zukunft tik in diesem Lande bestimmen können. Ihr Wunsch- hat, hat eigentlich alle ihre Aufgaben erfüllt; die denken, die Koalition möge auf diese oder auf wird es nicht geben. Bei uns ist die soziale Stabilität jene Weise bald ihren Platz verlieren, wird ein sol- durch Sicherung des sozialen Netzes gewährleistet. ches bleiben. Dieses alles fehlt in Ihrem Weltbild völlig. Da er- lebt man die verrückte Lage, daß man sich als deut- (Beifall bei der SPD und der FDP) scher Politiker - Sie erleben das genauso gut wie Freie Demokraten und Sozialdemokraten — bei in- Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr ternationalen Konferenzen manchmal schon für die Abgeordnete Graf Lambsdorff. hervorragende Gesamtlage dieses Landes entschul- digen muß und vielleicht etwas grauer malt, als es in Wirklichkeit ist, um nicht allzu starke Begehrlich- Dr. Graf Lambsdorff (FDP) : Herr Präsident! Meine keit zu erwecken. Hier erleben wir, daß die Oppo- sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es entspricht sition ein Bild zeichnet, in dem man sein eigenes gutem parlamentarischen Brauch, daß die erste Le- Land nicht mehr wiedererkennt. sung des Haushalts auch dazu dient, eine allgemein- politische Diskussion und Aussprache unter den Das zweite ist, daß die Union offensichtlich nicht Fraktionen zu führen. Insofern, Herr Kollege Bar- fähig und bereit ist, über ökonomisch-politische zel — auch der Herr Kollege Strauß hat das heute Maßnahmen einen sachgerechten Dialog zu führen. gemacht —, ist das Ansprechen eines breiten Krei- Da kann ja überhaupt nicht immer Einmütigkeit und ses von Themen durchaus richtig. Selbstverständlich übereinstimmende Beurteilung herrschen; das gebe ist es erst recht zulässig. Allerdings muß ich sagen: 3526 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Dr. Graf Lambsdorff Wenn Sie die Gesamtsituation der Bundesrepublik Vergleich zu der Entwicklung des Welthandels an- so schildern, Herr Barzel, wie Sie es getan haben, sehen, so hat die Bundesrepublik Deutschland eben dann hat Herr Reuschenbach mit seiner Bemerkung auch in diesem Jahre wieder einen übergroßen Teil recht: An Hand dieser Schilderungen fällt es einem aus dem Kuchen des wachsenden Welthandels für schwer, das eigene Land wiederzuerkennen. sich herausschneiden können. (Beifall bei der FDP und der SPD) Der Kollege Strauß meinte, nur der Export habe Und da frage ich mich in der Tat: Sind diejenigen, uns gerettet. Er hat gemeint, wir bezweifelten die die von Verunsicherung reden, sie beklagen und kri- Wirkung und den Sinn dieses Exports, wir schätzten tisieren — ich bestreite nicht, .daß es solche Verun- ihn nicht hoch genug. Dies ist falsch. Wir haben sicherung auf der Seite von Arbeitnehmern und Un- immer gewußt, wie wesentlich der Außenhandel für ternehmern in bestimmtem Umfang auch gibt; es die Sicherung der Arbeitsplätze und für die deut- wäre töricht, das zu leugnen —, nicht gleichzeitig da- sche Wirtschaft ist. Aber wir haben auch gewußt — bei, in das Feuer, das sie sehen, auch noch Ö1 zu und das wissen wir auch heute —, wie labil diese schütten? Grundlage ist, wie viele Gefahren und wie viele (Beifall bei der FDP und der SPD) Risiken in einem Lande, in dem beinahe jeder dritte Arbeitsplatz vom Export abhängig ist, mit dieser Herr Barzel, wenn Sie davon sprechen, daß in der Abhängigkeit verbunden sind. Wenn die amerika- Bundesrepublik die Führungskraft von Tag zu Tag nische Zeitschrift „Newsweek" für die Japaner, die schwindet, dann muß ich wirklich sagen: Bei jedem merkwürdigerweise in dieser Hinsicht viel mehr im Blick in deutsche und ausländische Zeitungen wird Licht der Offentlichkeit stehen, obwohl ihr Export- als ein Aktivposten dieser Bundesrepublik — auch anteil am Sozialprodukt viel niedriger ist als der un- dieser Bundesregierung — immer wieder die unbe- sere, die Überschrift „To export or not to be" wählt, strittene, in letzter Zeit leider an einem traurigen das heißt: Exportieren oder Nichtsein, dann gilt dies Fall bewiesene und von Ihnen meist auch gar nicht in sehr viel stärkerem Maße für die Bundesrepublik in Zweifel gezogene Führungskraft des Chefs dieser Deutschland. Regierung bestätigt. Selbst eine Wachstumsrate von 3 % bis 3,5 % ist (Beifall bei der FDP und der SPD) doch unter den gegebenen Umständen ein vorzeig- Sie sagen: Die Koalition lastet auf diesem Land; bares Ergebnis. Ich bestreite überhaupt nicht, daß das sei der erste Grund für die wirtschaftlichen Pro- sie nicht ausreicht, langfristig oder auch nur mittel- bleme. Meine Damen und Herren, muß man da nicht fristig gesehen, unsere wirtschaftlichen, beschäfti- fragen: Lastet diese Koalition wohl auch auf den gungspolitischen und auch. sozialpolitischen Proble- Vereinigten Staaten, auf Japan, auf unseren euro- me zu lösen. Aber sie ist unter den gegebenen Um- päischen Nachbarn? Denn die haben ja ähnliche, ständen vorzeigbar. beinahe Bleichgelagerte wirtschaftliche Probleme. Muß einem dabei nicht der Verdacht kommen, es sei Der Kollege Strauß hat heute morgen — und da ein wenig so, wie es vor den letzten Wahlen der wird es allerdings in meinen Augen kritisch, wenn schleswig-holsteinische Kultusminister Professor nicht höchst bedenklich — seine Bemerkungen zum Braun einmal sehr kühn, wie ich finde, formuliert Thema Wachstum und Vorhersagen mit dem Sprich- hat, daß nämlich nach einem Wahlsieg der Union wort „Lügen haben kurze Beine" eingeleitet. Meine noch in der Nacht vom 3. Oktober die notwendigen Damen und Herren, ich bin bereit — und mit mir Investitionsentscheidungen getroffen würden? Er sicherlich auch andere —, jede Kritik, jeden Vor- muß ein guter Kulturpolitiker sein, meine Damen wurf des Irrtums und der Fehlprognose oder Fehlein- und Herren. schätzung hinzunehmen. Aber ich bin nicht bereit, dies unter dem Stichwort „Lüge", also dem Vorwurf, (Beifall bei der FDP und der SPD) bewußt die Unwahrheit gesagt zu haben, hinzuneh- Nein, so einfach und so pauschal, glaube ich, dür- men. fen und können wir es uns nicht machen. Hier be- (Beifall bei der FDP und der SPD) streitet ja niemand — der Bundeswirtschaftsmini- ster hat dies heute noch einmal vorgetragen —, daß Der Präsident der Deutschen Bundesbank hat vor uns die wirtschaftlichen Daten jetzt, im Oktober wenigen Tagen in Washington erklärt, nach seiner 1977, nicht befriedigen. Es bestreitet niemand, daß Auffassung könne auch im Jahre 1977 noch ein unsere Erwartungen aus dem Frühjahr dieses Jahres Wachstumsziel von 4 % erreicht werden. Muß der nicht in Erfüllung gegangen sind. Es bestreitet nie- sich auch unter das Rubrum dieses Sprichworts ein- mand, daß Zahlen vorliegen, die uns Sorge bereiten. reihen lassen, wenn sich am Ende herausstellen Aber, Herr Barzel, es ist doch zu einfach und zu pau- sollte, daß dies nicht eingetreten ist? So kann man schal, alle diese Fragen so ganz generell als unbe- diese Diskussion nicht miteinander führen. friedigend zu verurteilen und abzutun. Müssen wir In der Stabilitätspolitik wird das angestrebte Ziel nicht sehen, daß ein großer Teil dieser Zahlen auf erreicht. Ich hielte es für falsch, wenn wir andere dem Hintergrund der Welt, in der wir leben, mit der wirtschaftliche Prioritäten im Hinblick auf Stabili- wir leben und zu leben haben, durchaus auch — ich tät- und die anderen Ziele, die uns das Stabilitäts will nicht sagen: zufriedenstellende Aspekte — acht- und Wachstumsgesetz vorgibt, setzen wollten. Ich bare, bemerkenswerte Aspekte bietet? will ganz deutlich machen, daß es nach meiner Auf- Der Bundeswirtschaftsminister hat die Exportzif- fassung so ist, daß Stabilität und Vollbeschäftigung fern vorhin genannt. Diese 'Exportziffern liegen un- einander bedingen und nicht in Konkurrenz zuein- ter unseren Erwartungen. Aber wenn Sie sich das im ander stehen. Herr Strauß, es war eine verdrehte Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3527 Dr. Graf Lambsdorff Darstellung, als Sie ausführten, der Bundeskanzler Die Pauschaldiagnose unserer Situation ist ein- habe sich in London dem Satze angeschlossen, Infla- fach. Strukturelle Ursachen, die zu den jetzt schwie- tion beseitige nicht Arbeitslosigkeit. Nein, die Ver- rigen Verhältnissen geführt haben, haben sich durch tretung der Bundesrepublik hat in London durchge- konjunkturelle Entwicklungen verstärkt. So ist es setzt, daß dieser Satz zum ersten Male in ein Doku- auch in dem zitierten Brief des Sachverständigen- ment aufgenommen wurde. rats wiederholt worden. Wenn die Diagnose auf konjunkturelle und strukturelle Ursachen lautet, (Beifall bei der FDP und der SPD) muß auch die Therapie lauten, konjunkturell und Wir wissen sehr genau — und darin sind wir in strukturell den Versuch zu unternehmen, dagegen- diesem Hause einig —, daß die Wiederherstellung zuhalten. der Vollbeschäftigung das größte Problem ist, auch (Beifall bei der SPD) wenn die deutsche Öffentlichkeit die monatlichen Was ist konjunkturell in der gegenwärtigen Lage zu Zahlen offenbar mit etwas mehr Distanz zur Kennt- tun? Ich darf es ganz klar und deutlich machen, da- nis nimmt als bisher. Eine kritische Beurteilung und mit auch draußen kein Mißverständnis entsteht: Relativierung auch dieser Zahl ist nicht schädlich. Konjunkturell ist das Jahr 1977 gelaufen. Alles, was Allerdings liegen die von Ihnen, Herr Kollege Bar- wir jetzt noch tun, kann sich günstigstenfalls im zel, geforderten Informationen inzwischen weitge- Jahre 1978 auswirken. 1977 werden wir keinen Ein- hend vor. Es ist eine erstaunliche Tatsache, daß mo- fluß mehr darauf ausüben. natelang nach ihnen gefragt worden ist und Sie nun, Es ist die Frage gestellt worden — und ich halte als sie gegeben wurden, die Frage gerade unter dem Hinweis auf „stop and (Dr. Barzel [CDU/CSU] : Die Nürnberger ha go" durchaus für berechtigt —: sollte man denn ben die Fragen offengelassen!) vielleicht überhaupt nichts tun? Allerdings ist die — sie haben sie nicht alle offengelassen; aber wir Frage mit dem Zusatzargument versehen worden, können das gern verifizieren — die Antwort offen- frühere Programme hätten nichts geholfen. Der bar nicht mehr interessiert. Bei der Antwort ist das bayerische Finanzminister Streibl hat gemeint, Interesse des Fragenden häufig schon versackt. 30 Milliarden DM habe man in verschiedenen Kon- junkturprogrammen verfeuert, und dadurch sei Gewöhnung an diese Zahlen wäre das Schlimmste, nichts bewirkt worden. was uns passieren könnte. Es bleiben — darüber muß sich jeder im klaren sein —, auch wenn die (Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt, richtig!) Zahl bei kritischer Beurteilung niedriger zu werten Dies, meine Damen und Herren, ist nicht richtig. wäre, Hunderttausende bitterer Einzelschicksale. Es Sie müssen sich die Kontrollfrage stellen: Was wäre bleibt unsere dringliche Aufgabe, dieses -Thema im wohl eingetreten, wenn keines dieser Programme Auge zu behalten und für die Wiederherstellung der durchgeführt worden wäre. Vollbeschäftigung zu sorgen. (Dr. Sprung [CDU/CSU]: Das ist der Trick!) Letzte Bemerkung zu den Daten: Am Kapitalmarkt haben wir erfreuliche Verhältnisse. Kapitalmarktan- — Das ist gar kein Trick, Herr Sprung. Es ist doch gebot ist vorhanden, die Zinsen sind so niedrig wie wohl ganz eindeutig, daß ein Ankurbeln der Kon- seit, ich glaube, zwölf Jahren nicht mehr. Herr Kol- junktur in der Größenordnung von rund 30 Milliar- lege Strauß, Sie haben noch einmal die Vergangen- den DM in den letzten Jahren selbstverständlich heit angesprochen und gesagt, wir sollten alles tun, Wirkung. gezeitigt hat, bzw. man müßte sagen: um „stop and go" zu vermeiden. Hoffentlich gelingt Wenn dies nicht geschehen wäre, wären die Ein- es uns; hoffentlich brauchen wir auch in Zukunft brüche und die Schwierigkeiten sehr viel ernster, nicht hektisch auf unerwartet eintretende Entwick- als wir sie jetzt vorliegen haben. lungen, die wir nicht voll in der Hand haben, zu Der Sachverständigenrat hat — zum erstenmal reagieren. Es ist nicht alles von uns selbst und übrigens in dem hier zitierten Brief — erklärt, daß durch uns selbst machbar. Sie haben unter diesem nicht nur die Angebotsseite der deutschen Industrie Stichwort die Zinsentwicklung der Jahre 1968 und für die Konjunktur entscheidend sei, sondern daß 1969 geschildert. Sie sagten: 1968/69 6 °/o, später diesmal auch die Nachfrageseite eine Rolle spiele 15 bis 16 °/o. Dies ist natürlich auch einer der und daß man auch hier eingreifen müsse. Hier stellt Gründe, warum es zu Zusammenbrüchen in der sich dann die Frage, ob etwa, wie das ja gefordert Wirtschaft gekommen ist, weil jene, die sich lang- worden ist, massive öffentliche Ausgabeprogramme fristig verschuldeten, davon ausgegangen waren, helfen könnten. Ich brauche auf die Erfahrungen daß es immer bei niedrigen Zinssätzen bleiben mit dem 16-Milliarden-DM-Programm — inzwischen könne, und nicht in Rechnung stellten, daß bei einer sind sie zum Besseren hin korrigiert worden — nicht konsequenten Stabilitätspolitik ein Anstieg des noch einmal einzugehen. Zinsniveaus — übrigens nicht auf 15 bis 16 °/o — unvermeidbar ist. Wenn Sie wie schon vor vier Auch das Thema der zahlreichen Baustopps ist be- Jahren davon sprachen, daß der Würgegriff zur reits einmal erwähnt worden. Ich glaube, daß es an Halsmassage erklärt werde, so gebe ich Ihnen heute Hand dieser Erfahrungen deutlich geworden ist, daß dieselbe Antwort wie vor vier Jahren: Für uns auf diese Weise — schnell und zügig, wie wir es beide ist das in Ermangelung von Hals kein be- wollen — wenig zu bewirken sein wird. Es ist auch sonders gefährlicher Zugriff. Da ist das nicht so nicht damit getan — ich finde das jedenfalls nicht schlimm. fair und nicht korrekt —, daß man nun, wie es (Heiterkeit) einige tun, die Verantwortung dafür ausschließlich 3528 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Dr. Graf Lambsdorff bei den zuständigen Beamten, den Genehmigungs- che Politik müsse her, ist es allein ja wohl nicht behörden und ähnlichen sucht. Wir sind es ja, die getan. die Gesetze gemacht haben, die diese Beamten an- (Beifall bei der FDP und der SPD) wenden. Im übrigen glaube ich, daß die Formulierung „Wer (Dr. Kohl [CDU/CSU]: Aber, Graf Lambs- keine Energiepolitik hat, ist nicht regierungsfähig" dorff, das müssen Sie Ihrem zukünftigen eine Quintessenz aus Ihrer langandauernden und Regierungschef sagen! — Dr. Schäfer verdienstvollen politischen Erfahrung sein muß. Das [Tübingen] [SPD] : Den Landesregierungen!) erste Energieprogramm, das es je in der Bundes- — Herr Kohl, ich meine, wir sollten uns gemeinsam republik gegeben hat, hat die sozialliberale Koali- überlegen, ob wir uns — da bin ich mit Herrn Bar- tion erarbeitet. Sie haben nie eines gehabt. zel einig, ich will es einmal ganz vorsichtig aus- (Beifall bei der FDP und der SPD) drücken — eine Verschärfung solcher Gesetze lei- Wir werden die Fortschreibung dieses Energiepro- sten könnten. Wenn ich heute lese, über welche gramms rechtzeitig, d. h. zu dem Zeitpunkt, den der neuen Rauchgasentschwefelungsvorschriften disku- Herr Kollege Reuschenbach angedeutet und den vor tiert wird — zum Glück wird darüber bisher nur allem auch der Herr Bundeswirtschaftsminister ge- diskutiert —, so kann ich nur sagen: Eine solche nannt hat, nämlich nach der Vorlage des Gutachtens Kohle gibt es in der Bundesrepublik Deutschland der Reaktorsicherheitskommission, vorlegen. Wir nicht, und mit solchen Vorschriften können Sie werden miteinander über diese Fortschreibung dis- keine Kohlekraftwerke bauen. Dies halte ich für kutieren. Vielleicht haben Sie Gelegenheit, bis da- unerträglich. hin auch Ihre eigenen Positionen zu klären. Inter- (Beifall bei der FDP und der SPD) essanterweise soll ja Ihr nächster Kongreß über die- ses Thema in Hannover stattfinden. Das bietet sich Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einen an. kurzen Exkurs einfügen. Das Thema „Energiepoli- tik" ist häufig genug besprochen worden. Ich bin Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt ausdrücklich mit denen einig, die der Auffassung sind, daß zu der — meine Fraktion möchte nicht, daß dies aus der notwendigen Klärung von Rahmenbedingungen für Diskussion verschwindet, übersehen oder gar ver- wirtschaftliches Handeln auch eine Klärung der gessen wird — das Energiesparprogramm, das die Energiepolitik gehört. Ich wiederhole, was ich an Bundesregierung jetzt vorgelegt hat. Wir halten es dieser Stelle schon vor etwa einem Jahr oder kurz für einen wesentlichen Teil einer konsequenten und nach den Wahlen gesagt habe: Wir alle hätten diese vorausschauenden Energiepolitik. Diskussion vor zwei Jahren führen müssen. Damit (Zustimmung bei der SPD) haben auch wir uns einiger Versäumnisse schuldig Wir wünschen uns allerdings sehr, daß die Bundes- gemacht. - länder ihren Anteil an der Finanzierung eines sol- Ich bin der Meinung, daß in der Frage der Nut- chen Programms zusagen und zur Verfügung stellen, zung von Kernenergie, die ich für unerläßlich halte, denn ohne die Mitwirkung der Bundesländer ist ein ein ausgewogener Kompromiß möglich sein muß. solches Programm nicht durchzuführen. Ich halte sie für unerläßlich, bin aber bereit, über Bei der Frage, ob die öffentlichen Aufträge und die Frage zu diskutieren, in welchem Umfang und deren Vergabe uns konjunkturell helfen können, in welchem Zeitraum sie nötig und möglich ist. Die stehen wir vor der Erkenntnis, daß wir am Ende Grundsatzfrage muß aber mit dem Hinweis darauf dieses Jahres vermutlich Haushaltsreste der öffent- beantwortet werden, daß das primärenenergieärmste lichen Hände in Höhe von 10 Milliarden DM — vor Land der Welt nach Japan ohne die Option auf allem im Bausektor — haben werden. Ich behaupte, diese Energieart nicht operieren kann. daß die unfreiwillige Sparquote der öffentlichen (Beifall bei der FDP und der SPD) Hände höher ist als die freiwillige Sparquote der Privaten. Diese Entwicklung, die wir jetzt feststellen, Ein solcher ausgewogener Kompromiß sollte sich am ist durch das verschärft worden, was man die Über- Schutz der Bevölkerung vor unzumutbaren Umwelt- konsolidierung im Jahre 1977 nennt. Einige Kom- gefährdungen, am voraussichtlichen Energiebedarf mentatoren haben dies einen Skandal genannt. Es — trotz aller Schwierigkeiten, die eine solche Vor- stellt sich für uns die Frage — der Herr Bundeswirt- aussetzung mit 'sich bringt —, an der Minderung schaftsminister hat heute darauf abgehoben —, ob der Importabhängigkeit bei den Primärenergien, an dies zu ändern sei. der Aufrechterhaltung der technischen Fortentwick- lung und der Kontinuität in diesem Bereich sowie an Meine Damen und Herren, ich möchte nicht gar so der Sicherung der Exportmöglichkeiten orientieren. weit gehen, wie das Herr Dr. Friderichs getan hat, aber ich stimme ihm in der Grundtendenz zu: Wir Herr Kollege Barzel, Sie haben in diesem Zusam- wählen uns, die Bevölkerung wählt sich sparsame menhang vorhin formuliert: Wer keine Energie- Gemeindeväter, sparsame Vertreter in den Kreis- politik hat, ist nicht regierungsfähig. In der heutigen tagen und insbesondere auf der kommunalen Ebene, „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" finden Sie einen und denen wird auch in Zukunft nicht klarzumachen ausführlichen Aufsatz mit der Überschrift „Die CDU sein, daß man sich in dem Sinne antizyklisch verhal- will in der Energiediskussion aufholen — Orientie- ten soll, daß kein Geld in der Kasse ist und man rung in Hannover für ein verspätetes Programm". dennoch mehr ausgeben soll. Dies werden Sie nicht Sie haben gerade in puncto Energiepolitik einiges hineinbekommen, und ich denke, daß sich die Kon- aufzuarbeiten, denn mit dem Kraftspruch, eine sol junkturpolitik unter diesen Umständen darauf ein- Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3529 Dr. Graf Lambsdorff stellen muß, daß eine antizyklische Fiskalpolitik auf Es muß allerdings auf eines hingewiesen werden: der Ebene der Kommunen — abgeschwächt gilt das Ohne eine verantwortliche Haltung der Tarifpartner für die Länder — nicht möglich sein wird. werden wir die wünschenswerten Ergebnisse nicht (Zuruf von der CDU/CSU: Was sagen Sie erzielen. dann zum Bund, zum Vorschlag von Herrn (Zustimmung bei der FDP) Friderichs?) Der Vorsitzende meiner Fraktion hat dazu vor eini- — Wenn Sie sich ansehen, was der Bund auf der gen Tagen in einem Zeitungsaufsatz gesagt: Eine Seite der öffentlichen Hände an Ausgaben — abge- unüberlegte Lohnpolitik kann leicht dazu führen, sehen von den Sondervermögen — tätigen kann, so daß neue Investitionen unterlassen, sprich: keine spielt das keine entscheidende Rolle im Verhältnis neuen Arbeitsplätze geschaffen und alte nicht gesi- zu dem, was insbesondere auf dem Sektor des Hoch- chert werden. — Ich möchte hinzufügen: Der Staat baus bei Ländern und Gemeinden notwendig und ist nicht in der Lage, etwaiges Fehlverhalten der ihnen möglich wäre. Tarifpartner durch eigene Eingriffe zu korrigieren. Er kann es nicht, er sollte es auch nicht. Es kann (Zuruf von der CDU/CSU: Also stimmen Sie nicht seine Aufgabe sein, Entscheidungen der auto- mit Herrn Friderichs überein?) nomen Gruppen anschließend zu korrigieren oder — Ich habe das ja eben ausführlich darzulegen ver- korrigieren zu müssen; selbst wenn es seine Auf- sucht; ich darf es Ihnen zum Nachlesen noch einmal gabe wäre, hätte er nicht die Möglichkeiten dazu. zur Verfügung stellen. Die Tarifpartner können zur Wiedererreichung Meine Damen und Herren, wir haben heute mor- der Vollbeschäftigung erheblich beitragen. Ich darf gen von Herrn Strauß gehört, daß die Kreditauf- in diesem Zusammenhang ein Zitat aus einer Erklä- nahme der Gemeinden — darauf hat der Herr Bun- rung des Bundeskanzlers wiedergeben, in dem, wie deskanzler hingewiesen — durch die Länder be- ich finde, die Positionen, die für die konjunkturpoli- grenzt worden sei und daß der Bundeskanzler ge- tischen Entscheidungen weichenstellend sind, kurz meint habe, man müsse dies ändern. Herr Strauß und knapp zusammengefaßt und angesprochen wor- meint, so rede kein sorgsamer Hausvater, und dies den sind. Es heißt da: sei ein Appell an Liederlichkeit. Dies glaube ich nicht. Im Sinne antizyklischer Fiskalpolitik ist dies Wenn heute von der Opposition bis hin zu den durchaus eine richtige und vernünftige Position; ob Gewerkschaften, bis hin zu den Unternehmern sie in dem Sinne längerfristig durchführbar wird, manche Leute aufstehen und sagen, der Staat daß wir uns zur Steuerung der Konjunktur darauf soll gefälligst für Vollbeschäftigung sorgen, verlassen und sie wirklich voll einbeziehen können, dann ist das Unsinn. Er kann nur beitragen. ist allerdings mit einem Fragezeichen zu versehen. Verantwortlich handeln müssen auch die auto- nomen Tarifparteien, verantwortlich handeln Wenn aber die Ausgabentätigkeit des Staates müssen die Unternehmungen, was ihre Inve- nicht ausreichend hilft, so sind wir mit der Steuer- stitions- und Preispolitik angeht, verantwortlich entlastung auf dem richtigen Pfade. Meine Damen handeln müssen die öffentlichen Hänide, verant- und Herren, ich will keine Diskussion darüber an- wortlich handeln muß auch das Ausland, was fangen — das kann ja morgen bei der Beratung der die Handelspolitik angeht. Steuergesetze geschehen —, ob nun Stabilitäts- und Wachstumsgesetz oder Steuerpaket. Ich will nur Dem ist aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen. zwei Dinge aus konjunkturpolitischer Sicht deutlich machen: Wenn es um Konjunkturpolitik geht, geht Ich will nur zu der letzten Bemerkung im Hin- es nicht um Verteilungspolitik. Wenn es um Kon- blick auf das Ausland einige erläuternde und er- junkturpolitik geht, geht es auch nicht um Steuer- gänzende Bemerkungen machen. Wir sehen in unse- technik. Ich weiß, daß dies alles berücksichtigt wer- ren Handelsbeziehungen eine gefährliche, ja, ich den soll, aber wenn wir Konjunkturpolitik machen möchte sagen: für die Bundesrepublik Deutschland wollen und machen müssen, müssen die konjunktur- lebensgefährliche Welle des Protektionismus auf politischen Elemente und Überlegungen im Vorder- uns zurollen. Ich habe vor längerer Zeit an dieser grund stehen. Ich finde, daß sowohl bei der ersten Stelle die Europäische Gemeinschaft, den Gemein- Lesung der Gesetze in diesem Hause wie auch beim samen Markt auch deswegen gelobt, weil sie es ver- ersten Durchgang in der Sondersitzung des Bundes- standen hat, in der sich entwickelnden Rezession rates die konjunkturpolitischen Erwägungen zu protektionistische Tendenzen nicht aufkommen zu kurz gekommen sind. lassen. Ich halte das heute noch für ein wesentliches Ergebnis des Gemeinsamen Marktes. Aber bleibt Es wäre gut, wenn wir über diese Gesetze schnell das so? entscheiden könnten. Ich habe keinen Zweifel daran, daß die Debatte in der Sommerpause konjunkturpo- Wir wissen, daß mancher von uns Vorbehalte litisch — um das Mindeste zu sagen — nicht nütz- gegen europäische Agrarpolitik hat. Wir stehen zu lich war. Und ich sage, abermals aus konjunkturpoli- dieser europäischen Agrarpolitik und begrüßen die tischer Sicht — ich weiß, daß der Haushaltsminister erfolgreichen Bemühungen unseres Kollegen Ertl, dies anders sehen muß oder mindestens anders se- darin so viele marktwirtschaftliche Elemente wie hen kann —, daß mir ein größeres Volumen als Er- nur eben möglich — ich weiß, welche Einschränkung gebnis der jetzt beratenen Maßnahmen wünschens- das bedeutet; wir brauchen darüber nicht zu disku- wert erschiene. tieren — einzubringen. 3530 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Dr. Graf Lambsdorff Aber ein wesentlicher Gegenposten für diese der Beratung durch die Selbstverwaltungsorganisa- Politik ist doch wohl immer der offene Gemeinsame tionen. Markt für die Erzeugnisse auch der deutschen In- Ich darf noch einmal sagen: Gerade Forschung und dustrie und der deutschen Wirtschaft gewesen. Das Forschungsförderung, Verbesserung oder Wieder- darf nicht in Frage gestellt werden; wir leben davon. herstellung der Innovationsfähigkeit der deutschen Im übrigen ist es nicht nur die vom Bundeskanz- Wirtschaft scheinen mir nach wie vor ein Schlüssel ler in dem wiedergegebenen Zitat erwähnte Han- dafür zu sein, daß wir neue Produkte mit neuen delspolitik, die Protektionismus hervorbringt. Pro- Märkten und damit eine konjunkturelle Belebung tektionisten sind viel erfindungsreicher. Es geht erreichen können. nicht nur um Quoten, Importbeschränkung oder (Beifall bei der FDP und der SPD) Selbstbeschränkung. Wenn Sie sich allein das Ge- biet der Währungskurse, der Währungsrelationen Die FDP-Fraktion hat einen umfangreichen Kata- ansehen: Was in unseren Beziehungen zu den bei- log an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen vorge- den großen Handels- und Wirtschaftsnationen, mit legt. Wie begrüßen es, daß die Bundesregierung denen wir es auf der Welt zu tun haben, in den einige dieser Anregungen übernommen hat. Auch letzten zwölf Monaten auf dem Währungsgebiet ge- hier nur stichwortartig: Förderung der beruflichen schehen ist, sowohl in Beziehung zum japanischen und regionalen Mobilität, Abbau von Hemmnissen, Yen wie zum US-Dollar, zeigt, daß gefährliche Mög- die einer Arbeitsaufnahme nach Arbeitslosigkeit lichkeiten gegeben sind. Die verstoßen gegen die entgegenstehen. Herabsetzung der Altersgrenze in Statuten des IMF. Darauf könnten wir gelegentlich der Rentenversicherung für Problemgruppen, per- einmal hinweisen. Es überschreitet wohl nicht unsere soneller Ausbau der Arbeitsvermittlung, Teilzeit- Möglichkeiten, unsere Freunde bisweilen daran zu arbeitsplätze im öffentlichen Dienst, Maßnahmen erinnern. Auf jeden Fall müssen wir aufpassen und der beruflichen Bildung, verstärkte Bekämpfung der bezüglich der Gefahren vorsichtig sein, die von die- Schwarzarbeit. Auch diese arbeitsmarktpolitischen ser Seite kommen. Maßnahmen zielen in die richtige Richtung. Hier hat es in diesem Sommer eine über den Ein weiteres protektionistisches Element neuer aktuellen Anlaß hinausgreifende interessante Dis- Prägung — jedenfalls in dieser Ausdeutung und kussion gegeben. In allen drei im Bundestag vertre- Wirkung neuer Prägung — ist die offene oder ver- tenen Parteien sind Stimmen vorhanden gewesen, deckte Subvention aus der Staatskasse, die in eini- die sich unter das Stichwort fassen lassen, die vor- gen Ländern gezahlt wird. Wer sich die Entwicklung handene Arbeit sollte besser verteilt werden. Ich der deutschen Stahlindustrie und Textilfaserindu- möchte dazu drei Beurteilungen zitieren. Der SPD- strie ansieht, muß zur Kenntnis nehmen, daß eine Vorsitzende Brandt im „stern" — sinngemäß —: auf privates Risiko gegründete Wirtschaft gegen Dies halte ich für Resignation, es tötet Elan und eine solche Form der Subventionierung aus den Phantasie. : Dies ist Kapitulation und Staatskassen, die Übernahme der Verluste zu La- nicht marktwirtschaftlich. Franz Josef Strauß: So- sten der Staatskassen, auf die Dauer nicht ankom- zialdemokratisch! Dieses Verdikt „sozialdemokra- men kann. tisch" hat offensichtlich die Diskussion über diese (Beifall bei der FDP) Frage in der CDU beendet. So einfach geht das. Herr Die Bundesregierung hat zu den konjunkturellen Strauß, da muß ich Ihnen sagen: Da bin ich doch Maßnahmen gleichzeitig strukturelle Maßnahmen lieber Mitglied eines Sauhaufens, in dem diskutiert vorgeschlagen. Für die Freie Demokratische Partei wird, in dem wir allerdings einen Oberhirten nicht und ihre Fraktion möchte ich in allererster Linie brauchen. das Programm der Bundesregierung für Innovation (Beifall bei der FDP und der SPD) und Forschungsförderung mit allem Nachdruck un- terstützen. Wir teilen die Meinung des Sachver- Anstatt das Thema, wie wir das in der FDP getan ständigenrates: Neue Produkte, die sich neue Märk- haben, auszudiskutieren, das Für und Wider zu er- te schaffen, kommen keineswegs nur aus den großen wägen, haben Sie zwischen CDU und CSU im Som- Unternehmen, sie kommen auch aus kleinen und mer sich damit aufgehalten, eine moderne Version mittleren Unternehmen. Die Wirtschaftsgeschichte des Märchens von Schneewittchen aufzuführen. beweist das. Deshalb wäre eine Erweiterung der (Dr. Sprung [CDU/CSU] : Was ist das?) vorgesehenen Maßnahmen nach Ansicht der FDP wünschenswert. Darf ich dabei nur einige Punkte — Das war der bekannte Vers aus Schneewittchen: erwähnen: Wir sollten überlegen, ob wir die Per- „Spieglein, Spieglein, an der Wand, wer ist der sonalkosten trotz entgegenstehender Bedenken — Schönste im ganzen Land?" „Ernst und Helmut, ihr ich kenne sie — nicht doch in die Begünstigung ein- seid die schönsten hier, aber Franz Josef hinter den beziehen können. Die Auftragsforschung und die Bergen bei den sieben Zwergen ist noch tausendmal externe Forschung und Entwicklung sollten in die schöner als ihr." Begünstigung aufgenommen werden. Eine Erhöhung (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der des Mittelansatzes für die Arbeitsgemeinschaft in- SPD — Lachen bei der CDU/CSU) dustrieller Forschungsgemeinschaften wäre wich- tig, ferner die Erhöhung des Mittelansatzes für Erst- Das sind die Gebrüder Grimm in der Fassung von innovationsprogramme, nicht zuletzt der Abbau bü- Gerold Tandler. rokratischen Aufwandes und schließlich der Ausbau (Heiterkeit und Zurufe) Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3531 Dr. Graf Lambsdorff Wir sind sicher und wir scheuen auch nicht davor Ich habe mir die Mühe gemacht, die Ausführun- zurück, daß wir uns weiter der Frage zu stellen ha- gen der Grundsatzprogrammkommission der CDU ben, ob die Marktwirtschaft mit den Problemen un- nachzulesen. Da wird genauso wie an anderen Stel- serer Tage fertig wird. Ich will keinen Zweifel las- len — ich halte dies für bedenklich, weil es eine sen: Auch in meiner eigenen Partei gibt es Stirn Selbstkritik an der Wachstumspolitik der Vergan- men und Ansichten, die mit meinen Vorstellungen genheit, an der wir alle mitgetragen haben, enthält von Marktwirtschaft und marktwirtschaftlichem — zwischen qualitativem und quantitativem Wachs Funktionieren nicht vereinbar sind. Wir werden dies turn zu undifferenziert unterschieden. Da wird eine ausdiskutieren, und wir werden klar und sauber ent- Ausweitung des Aufgabenbereichs der Konzertier- scheiden. Nach dieser Entscheidung werden wir Sie ten Aktion vorgeschlagen, die exakt, Herr Kollege davon unterrichten, was herausgekommen ist. Ich Kohl, beim Vorschlag der Strukturräte der gesell- bin da ganz zuversichtlich. Aber diese Art und diese schaftlichen Gruppen landet. Bereitschaft, zu diskutieren und miteinander zu (Hört! Hört! bei der SPD) streiten, gibt uns auch die Legitimation, an die Adresse anderer deutlich einiges zu sagen. Verbal wird der Investitionslenkung abgesagt, aber die Ausführungen zur Strukturpolitik gehen ziemlich Ich lasse mal die Strukturräte beiseite. Sie sind haargenau in diese Richtung. — gerade in der heutigen Diskussion wurde das sichtbar — ein Musterbeispiel dafür, wie man auf Dies war nicht nur meine eigene Erkenntnis, Herr einen Karton ein Etikett kleben und völlig Unter- Kohl. Ich habe am 23. Juni an dieser Stelle den schiedliches hineinpacken kann. So einfach kann man Kollegen Professor Biedenkopf aufgefordert, er sich dies nicht machen. Das erfordert eine differen- möge doch seine ordnungspolitischen Ermahnungen, zierte Diskussion, von den Vorschlägen Ihres Par- die er so eindrucksvoll zur Regierungserklärung teivorstandes über das Prognos-Gutachten bis zu vorgetragen hat, an die eigene Partei richten. Ich den Vorstellungen des Herrn Kiep. Ich bin dafür, daß bin verwundert, aber, wie ich zugebe: dankbar ver- der Sachverständigenrat, wie er dies ja in etwas wundert, wie schnell er dieser Aufforderung nach- längeren Abständen als vielleicht notwendig schon gekommen ist. Er hat eine hochinteressante Rede tut, auch zu strukturpolitischen Entwicklungen in der beim CDU-Grundsatzforum in Berlin gehalten. Ich Bundesrepublik Stellung nimmt. Über weiteres soll- zitiere: te man sich unterhalten. Aber wir sagen: Investi- Die Freiheit wird damit von dem Ziel und der tionsmeldestellen und Aktivmindestreserve sind obersten Priorität der Wirtschaftsverfassung keine marktwirtschaftlichen Instrumente, weil sie zum Mittel der Wirtschaftspolitik. das auf dezentrale Entscheidungen der Wirtschafts- subjekte aufgebaute System unterhöhlen. Frage an Herrn Biedenkopf, der das immer be- - hauptet hat: Ist die CDU immer noch die wahre (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) liberale Partei? Ich sage ebenso offen: Ich habe trotz eifrigen Nach- Ein weiteres Zitat, das der Herr Bundeswirt- lesens — gewissermaßen zur Vorbereitung — in schaftsminister, wie ich glaube, schon gebracht hat: keinem Regierungsprogramm und in keiner Koali- tionsvereinbarung finden können, daß dies verein- Die Nähe zu denjenigen, die aus den gegen- barter Inhalt sozialliberaler Wirtschaftspolitik sei; wärtigen wirtschaftspolitischen Schwierigkeiten also: Wiedervorlage frühestens 1980. die Forderung nach Systemveränderung ablei- ten und etwa die Ablösung der Sozialen Markt- (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Dieses Zitat sollten wirtschaft fordern, ist unübersehbar. Sie sich über Ihren zukünftigen Schreibtisch stellen!) (Hört! Hört! bei der SPD) Frage an Herrn Biedenkopf: Immer noch „Freiheit — Herr Kollege Kohl, ich werde Sie zu gegebener oder Sozialismus" Zeit einladen und Ihnen zeigen, was über und auf meinem Schreibtisch steht. Schließlich ein drittes Zitat von Herrn Biedenkopf: Eines möchte ich sehr deutlich sagen. Die Forde- Ich habe den Eindruck, daß der Entwurf rung nach Investitionsmeldestellen der privaten — nämlich der der Grundsatzkommission — Wirtschaft — dies ist eine rein pragmatische Erwä- gung — bleibt für mich so lange absurd, wie es uns diese Mehrdeutigkeiten bewußt in Kauf nimmt, nicht einmal gelingt, die Investitionen der öffentli- um mehrheitsfähig zu bleiben und der Partei chen Hände im vorhinein zu erfahren. die Auseinandersetzungen zu ersparen, die mit einer Neuorientierung der Prioritäten und ihrer (Beifall bei der CDU/CSU) Umsetzung in praktische Politik verbunden Das Jahr 1977 ist in meinen Augen ein Lehrbuch- sind. beispiel dafür, wie das nicht funktioniert. Allerdings Haben Sie, Herr Strauß, das heute morgen nicht als braucht sich die CDU/CSU, Herr Kohl, was diese Wieselwort bezeichnet? Dies ist genau der entschei- Äußerung anbetrifft, keineswegs in die Brust zu dende Punkt. werfen. (Zurufe von der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der SPD) — Ich kenne das schon; immer: „Gucken Sie dar- Ich sage dies nicht; um hier dem einen etwas aus- über!" und: „Sagen Sie das anderen!" Das kenne zuwischen und von sich selbst abzulenken, sondern ich alles. weil wir in allen drei politischen Parteien ange- 3532 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Dr. Graf Lambsdorff sichts der Schwierigkeiten, die aufgetreten sind, auch nicht. — Das ist richtig. Ich verantworte die diese ordnungspolitische Grundsatzdiskussion zu Wirtschaftspolitik der vergangenen fünf Jahre, die führen haben. Wir sollten uns die Zeit nicht damit ich von der Fraktion her mitgetragen habe, mit. Des- vertreiben, auf andere mit dem Finger zu zeigen, wegen braucht es keine Schonzeit zu geben. Der wobei bekanntlich immer drei Finger auf einen Anschluß wird nahtlos erfolgen. selbst zurück zeigen, sondern versuchen, im eigenen (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Bar Lager Ordnung zu schaffen. Es gibt dazu — Sie wis- zel [CDU/CSU]: Okay!) sen das, Herr Kohl — eine ganze Menge kritischer Kommentare. Ich habe mit großem Interesse die ge- Sie werden verstehen, daß ich mit einem einzigen sellschaftspolitischen Kommentare des Arbeitskrei- Satz — mehr Zeit möchte ich der Plenardebatte ses Freiheit — eines Unternehmens, das nicht ge- dafür nicht nehmen — dem aus seinem Amt schei- rade den Koalitionsparteien nahesteht — zu dieser denden Bundeswirtschaftsminister für die faire, sach- Auseinandersetzung gelesen und studiert. Wir sind liche und häufig genug von intellektueller Brillanz voller Spannung, was das Ergebnis dieser grundsätz- gekennzeichnete Zusammenarbeit in den vergange- lichen wirtschaftspolitischen Diskussion wohl bei nen fünf Jahren herzlich danke. Ihnen werden wird. (Beifall bei der FDP und der SPD) Meine Meinung dazu ist folgende: Wer an der Für uns, die Liberalen, ist die Soziale Marktwirt- Aufrechterhaltung der Sozialen Marktwirtschaft in schaft mehr als ein Kasten mit Instrumenten zum der Bundesrepublik interessiert ist, der muß Ernst Drehen von Schrauben und Schräubchen. Sie ist ein Günter Vetter von der „Frankfurter Allgemeinen wirtschafts- und gesellschaftspolitisches Ordnungs- Zeitung" zustimmen; ebenfalls unverdächtig, ein system. Diese auf Freiheit gegründete und der Frei- besonderer Freund der Koalitionsparteien zu sein, heit verpflichtete Wirtschaftsordnung verpflichtet unverdächtig auch, was die „Frankfurter Allgemeine wiederum uns, uns um eine Gesamtschau unserer Zeitung" anlangt. Ich zitiere aus der FAZ vom 12. Entscheidungen tagtäglich bei jeder zu treffenden Juli 1977: Entscheidung zu bemühen. Hier — Herr Barzel, da Friderichs im Verein mit einem grimmig zur gehe ich mit Ihnen einig — ist das eine oder andere Marktwirtschaft entschlossenen Bundeskanzler bei der Vielzahl von Gesetzen übersehen worden. und einem auf gleicher Wellenlänge sendenden Wir werden das zu überprüfen haben. Diese Wirt- Finanzminister Apel ist in der Auseinanderset- schaftsordnung verpflichtet uns, wenigstens zu ver- zung über die Wirtschaftspolitik unseres Lan- suchen, über den Tag und Wahlperioden hinauszu- des eine nur schwer zu nehmende Hürde für die denken. Dies ist gemeint, wenn wir von Versteti- ökonomisch nicht abgeklärte Opposition. Immer gung der Wirtschaftspolitik und der Politik schlecht- häufiger ist selbst in Kreisen der Wirtschaft zu hin sprechen. hören, daß man angesichts der wirtschaftspoli-- Sie verpflichtet uns zuallererst, unseren Mitbür- tisch führungslosen Unionsparteien über die Konstellation Schmidt/Friderichs nicht gerade in gern den Freiheitsraum zu erhalten, den sie sich Verzweiflung ausbrechen müsse. erarbeitet haben, und zwar alle im Land: Arbeit- nehmer, Unternehmer, Politik, Wirtschaft und Wis- (Beifall bei der FDP und der SPD) senschaft. Es tut uns, gerade der FDP-Fraktion — das wer- Unsere Erfolge — wir sahen es in diesen letzten den Sie verstehen —, leid, daß Hans Friderichs diese Jahren — sind nicht ungefährdet. Es lohnt sich, so Kombination verläßt. Aber in der Substanz wird sich meine ich, für sie zu streiten — nicht für uns, aber dadurch nichts ändern. Herr Barzel, wenn Sie mei- für die Menschen in unserm Land. nen, dies sei ein politisches Signal, dann müßten Sie freundlicherweise — ich bedanke mich für Ihren Für diese Politik der sozialliberalen Koalition Willkommensgruß — auch zur Kenntnis nehmen — stand die FDP-Fraktion, steht die FDP-Fraktion und ich will mich nicht überschätzen —, daß wir auch wird sie auch in Zukunft stehen. — Ich bedanke die Nachfolge als politisches Signal sehen. Und die- mich. ses Signal bedeutet: Fortsetzung. (Beifall bei der FDP und der SPD) Wenn Sie von der Quadratur des Zirkels sprechen, die mir als Aufgabe gestellt sei, will ich überhaupt Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr nicht bestreiten, daß das die Aufgabe jedes Politikers Bundesminister der Finanzen. in jedweder Koalition ist. Rührt Ihre immer wieder geäußerte — ich begrüße das — Sympathie für den Dr. Apel, Bundesminister der Finanzen: Herr Prä- Bundeskanzler Helmut Schmidt nicht auch daher, sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! daß Sie mit ihm gemeinsam in der Großen Koalition Ich denke, ich bin es einigen Rednern, die zu spe- Tag für Tag versucht haben, die Quadratur des Zir- ziellen Themen des Bundeshaushalts 1978 gespro- kels zu bewältigen? chen haben, schuldig, ihnen nicht erst morgen, son- (Löffler [SPD] : Sehr gut!) dern hier und heute Antwort zu geben. Ich möchte Dies wird auch in Zukunft so sein. gerne in einem zweiten Teil als Mitglied des Bun- desvorstands unserer Partei und als Vorsitzender Gestern abend hat in einem privaten Kreis der der Kommission, die diesen Leitantrag, von dem Sie, Herr Kollege Porzner zu mir gesagt: Sie kriegen Herr Kollege Dr. Barzel, gesprochen haben, einstim- keine hundert Tage Schonzeit; Sie brauchen sie mig beschlossen hat, etwas sagen. Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3533

Bundesminister Dr. Apel Bevor ich aber dazu komme, einige Anmerkungen vor mir liegen. Die Ausgaben der Gemeinden sind zur Debatte hier. Ich bin eigentlich in allen Punkten im ersten Halbjahr 1977 gegenüber dem ersten Halb- der Meinung des Sprechers der FDP-Fraktion zum jahr 1976 um gerade eben 2,2 % gestiegen. Im glei- Bundeshaushalt 1978, des Kollegen Hoppe. Ich kann chen Zeitraum sind die Steuereinnahmen der Ge- nur sagen, dies gibt in etwa das wieder, von dem meinden um 14,6 % gestiegen. Das hat dazu geführt, auch ich denke, daß es uns bewegt, z. B. daß das daß die Gemeinden insgesamt nur 1,5 Milliarden DM Haushaltsstrukturgesetz, auch wenn diese Berner- Nettokreditaufnahme getätigt haben. Da wird deut- kung von mir schon einmal von einer Zeitung als lich, daß hier manches an Reserve und an Möglich- blauäugig bezeichnet wurde, eine Voraussetzung da- keiten gegeben ist. Ich muß allerdings, Herr Kollege für ist, daß wir heute und jetzt in diesem Jahre, Waffenschmidt, fairerweise hinzufügen, daß wir in vielleicht auch noch 1979, eine expansive Haushalts- dem gleichen Zeitraum bei einer Reihe von Bundes- politik machen können. Es ist ja nicht so, wie der ländern zu verzeichnen haben, daß die Zuweisungen Abgeordnete Dr. Strauß gesagt hat, daß die hohe, der Länder an die Gemeinden in einem hohen Maße Nettokreditaufnahme dieses Jahres und auch der gekürzt worden sind, so daß die Gemeinden in einem vergangenen Jahre Konsequenz einer liederlichen gewissen Sinne eben doch nur Einnahmesteigerun- Haushaltspolitik während der Hochkonjunktur war. gen von 3,3 % hatten. Dies erklärt dann eben, wes- Ganz im Gegenteil, wir haben — Herr Kollege Dr. wegen hier ein gewisses Verhalten vorhanden ist. Strauß, das wissen Sie so genau wie ich — damals (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Aber, Herr Apel, die bis zu 10 Milliarden DM Steuereinnahmen bei Bund Länderhaushalte sind doch ebenfalls in und Ländern stillgelegt, um die Konjunktur inklu- einem jämmerlichen Zustand, wie Sie wis sive 1973 zu dämpfen und nicht alle öffentliche Aus- sen, in diesem konkreten Fall, den Sie ange gaben zu tätigen, die wir dann im Laufe der welt- sprochen haben!) weiten Strukturkrise und der Notwendigkeit, sie zu bekämpfen, für die Konjunkturprogramme eingesetzt — Herr Kollege Dr. Kohl, ich will Ihnen gerne noch haben. Ich meine also, diese Haushaltsdefizite sind einmal die Zahlen, die ich Ihnen gestern vorgeführt notwendig, ebensosehr wie es notwendig ist, Augen- habe, in Erinnerung rufen. maß zu haben und nicht beliebig Haushaltsansätze (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Ich habe sie doch!) aufeinanderzustocken, sondern den Rücken freizube- kommen für eine spätere günstigere konjunkturelle Der Bund muß im nächsten Jahr 15 % seiner Aus- Phase, wobei dann allerdings das Ziel der Haus- gaben über Nettokreditaufnahme finanzieren, die haltskonsolidierung sehr viel stärker wieder in den Länder 7,5 % Mittelpunkt unserer Betrachtungen gerückt werden (Dr. Kohl [CDU/CSU] : Sie müssen doch die muß. Nur — Herr Kollege Lambsdorff, auch hier Vergangenheit hinzunehmen!) treffe ich mich durchaus mit Ihnen —; in der- jetzigen — das habe ich gestern auch dargestellt — und die Phase — für 1977 ist in der Tat der konjunkturelle Gemeinden 4,5 %. Wir meinen also, hier sind Mög- Zug abgefahren, so oder so — können wir die Netto- lichkeiten gegeben. kreditaufnahme aller Gebietskörperschaften nicht aus unseren eigenen freien Stücken begrenzen, son- In jedem Fall stimmt eines nicht, Herr Kollege dern hier müssen wir erstens an die konjunkturellen Dr. Strauß: daß es diese sozialliberale Koalition war, Wirkungen in unserem Lande und zweitens an die die die Gemeindefinanzen in Schwierigkeiten ge- psychologischen Wirkungen weltweit denken. bracht hat. Genau das Umgekehrte ist richtig. Ich habe gestern versucht, eine Gefahr sichtbar zu (Beifall bei der SPD) machen, die ich immer noch spüre, nämlich die, daß Die Gemeindefinanzreform von 1969, noch am Ende andere, wenn wir nicht genügend Zeichen für eine der Großen Koalition beschlossen und 1970 in Kraft expansive Konjunkturpolitik in unserem Lande set- getreten, hat doch bis heute in der Tat den Anteil zen, dies benutzen könnten, um ihren Protektionis- der Gemeinden am Steueraufkommen beträchtlich mus mit unseren Versäumnissen zu rechtfertigen. angehoben, und zwar von 10,8 % im Jahre 1969 auf Dies darf allerdings in keinem Falle eintreten. 12,8 % im Jahre 1976. Ohne die Gemeindefinanz- Ich meine also deshalb, daß die Politik stimmt. reform wäre die Lage der Gemeindefinanzen aller- Wenn das Steuerpaket in einer etwas anderen Form dings schrecklich. Die Gemeinden lägen nicht bei für alle Gebietskörperschaften etwas teurer wird, 10,8 % wie im Jahre 1969, sondern bei 9,9 %. dann ist dies konjunkturpolitisch kein Unglück. Aber Wer wollte im übrigen eigentlich bestreiten — wir müssen hier Augenmaß haben. niemand kann das —, daß wir durch vielfältige Akti- Damit komme ich zu einem ersten Punkt, zu dem vitäten über Konjunkturprogramme, über Aufgaben der Herr Kollege Dr. Strauß Bemerkungen gemacht nach Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes den Ge- hat. Wir müssen sehr darauf achten, daß wir nicht meinden in einem hohen Maße finanziell beigesprun- die anderen Gebietskörperschaften, hier insbeson- gen sind? Die Leistungen des Bundes haben sich seit dere die Gemeinden, über zu starke Einnahmever- 1970 bis heute vervierfacht. zichte, sprich: Steuerentlastungen in die Lage ver- Bei aller Bereitschaft, auch bei den Gemeinden setzen, dann prozyklisch handeln zu müssen, d. h. in Haushaltsprobleme zu sehen, bin ich doch dafür, daß der Tat nicht mehr Ausgaben und Investitionen täti- wir die Dinge in die richtige Relation setzen. Wir gen zu können. können feststellen, daß heute und in diesen Jahren Nun sieht es in der Tat bei den Gemeinden zur der Bund derjenige ist, der am meisten unter Finan- Zeit nicht gut aus. Ich habe hier die letzten Zahlen zierungssalden leiden muß, daß aber der Bund den- 3534 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Bundesminister Dr. Apel noch diese antizyklische Politik offensiv führt, weil stets eine einvernehmliche Gesetzgebung in diesem er seine Verantwortung für die konjunkturelle Ent- Hause — die Bundesregierung dafür verantwortlich wicklung spürt. machen können. Ich kann nur feststellen — und ich habe das gestern in meiner Einbringungsrede unter- Vizepräsident Stücklen: Sie gestatten eine Zwi- strichen —: die Umsatzsteuerneuverteilung rück- schenfrage, Herr Minister? wirkend ab 1. Januar 1977 ist für die Länder uner- wartet günstig ausgefallen. Alle Länder haben er- klärt, sie würden daraus den Gemeinden den ihnen Dr. Waffenschmidt (CDU/CSU) : Herr Finanzmini- gebührenden Anteil geben, nicht zuletzt, um die ster, sind Sie denn bereit, zuzugeben, daß eine ehr- Steuerausfälle bei den Gemeinden auszugleichen, liche Bilanz der Gemeindefinanzen nur dann gezo- die dadurch entstehen, daß natürlich das Steuer- gen werden kann, wenn man ihrer Einnahmenbilan- paket, das wir bereits beschlossen haben, auch das zierung auch die Ausgabenbilanzierung gegenüber- neue Steuerpaket, bei den Gemeinden Ausfälle stellt, und müssen Sie dann nicht auch offen zuge- bringt, um die Gemeinden wieder so zu stellen, wie ben, daß sich z. B. die Sozialausgaben vervierfacht es vorher war, also z. B. dem Beispiel des Landes haben, daß sich die Schuldenlast verdreifacht hat? Nordrhein-Westfalen zu folgen, das in einer sehr Und ähnliche Blöcke ließen sich hinzunehmen. Sind großzügigen, generösen und ökonomisch vernünfti- Sie mit mir der Meinung, daß, wenn man den Ein- gen Weise trotz einer Haushaltssteigerung von nahmen die Ausgaben gegenüberstellt, die Gemein- 9 v. H. die Gemeinden in die Lage versetzt, ihre den leider so arm geworden sind, daß sie gar keine Investitionen vorzunehmen. Hier müssen in der Tat weiteren Schulden aufnehmen können? Daran liegt die Verantwortlichkeiten richtig zugemessen wer- es nämlich jetzt. den. (Beifall bei der CDU/CSU) (Abg. Waffenschmidt [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Dr. Apel, Bundesminister der Finanzen: Ich glaube, — Entschuldigen Sie, es geht nun nicht, daß Ihre Herr Kollege, wir sollten erst einmal sehr deutlich Sprecher ununterbrochen Zwischenfragen ablehnen unterscheiden zwischen Gemeinden und Gemeinden. und Sie mit mir hier in einen Dialog eintreten wol- Der Herr Kollege Professor Ehmke hatte heute mor- len. gen durchaus recht, als er feststellte, daß hier große Unterschiede von Gemeinde zu Gemeinde Ich möchte zu einer zweiten Bemerkung von vorhanden sind. Das liegt ja auch auf der Hand. Herrn Kollegen Dr. Strauß kommen. Herr Strauß Einer Gemeinde die z. B. ein Automobilwerk oder hat, wenn ich ihn richtig verstanden habe, gesagt, eine expansive Industrie — wir haben ja eine ganze die Mehrausgaben 1979 seien sehr viel weniger Reihe expansiver Wirtschaftszweige — in ihren konjunkturpolitisch, sondern seien in gewissem Mauern beherbergt, geht es sehr gut. Auf der an- Sinne Ausgaben für die Unterstützung der Renten- deren Seite gibt es natürlich mit absoluter Sicher- versicherungsträger und deswegen seien sie kon- heit Gemeinden, die in einem hohen Maße Rezes- junkturpolitisch nicht so zu motivieren und zu be- sionsindustrien in ihren Mauern haben und von gründen, wie ich das gestern getan habe. jeher Probleme haben. Nur, Herr Kollege Dr. Waf- fenschmidt, eines geht natürlich überhaupt nicht, (Strauß [CDU/CSU] : Verschiebebahnhof!) daß Sie nämlich für die Schwierigkeiten, die bei einer ganzen Reihe von Gemeinden vorhanden sind, — Ja. Ich will dazu folgendes sagen. Erstens stimmt die Bundesregierung, den Bundesgesetzgeber ver- es, daß im nächsten • Jahr die Sozialausgaben um antwortlich machen wollen. Das Grundgesetz regelt 3,2 Milliarden DM steigen. Das sind nun keineswegs die Fragen ganz eindeutig so, daß Länder- und Ge- nur Leistungen an die Bundesanstalt für Arbeit und meindehaushalte und -finanzen eine Sache sind und vorzeitige Tilgung von Schulden an die Rentenver- davon getrennt die Bundesfinanzen zu betrachten sicherungsträger, sondern auch andere Leistungen. sind. Nur, die Alternative wäre ja wohl eine ins Haus stehende Beitragserhöhung gewesen. Insofern stelle Die einzige Frage, die Sie an den Bundesgesetz- ich fest: es ist sehr wohl konjunkturpolitisch ver- geber, d. h. an uns, stellen können, ist, ob wir nünftig, drohende Beitragserhöhungen von den Bür- — und da greife ich eine Bemerkung von Herrn Kol- gern wegzunehmen und auf den Bundeshaushalt zu legen Dr. Strauß auf — durch unsere Gesetzgebung übernehmen, weil es ja unklug gewesen wäre, in den letzten Jahren etwas getan haben, das die Steuersenkungen konjunkturpolitisch zu motivieren Gemeindehaushalte in einem so großen Maße bela- und damit Beitragserhöhungen einhergehen zu las- stet hat, daß dadurch Verantwortung auf den Bund sen. übertragen wurde. Sie haben soeben auf die Sozial- ausgaben Bezug genommen. Sie denken hier wahr- Zweitens übersehen Sie, Herr Kollege Dr. Strauß scheinlich insbesondere an die Sozialhilfeausgaben. — dieses ist kein Vorwurf, im Endeffekt liegt das — Sie nicken, ich sehe, daß Sie dem zustimmen. Da dicke Buch Bundeshaushalt ja erst einige Tage muß ich aber darauf aufmerksam machen, daß sich vor —, daß wir trotz dieser Operation — diese das ja wohl ein bißchen anders darstellt. Das Bun- 3,2 Milliarden DM sind keine investiven Ausgaben, dessozialhilfegesetz wurde Anfang der sechziger es sind, wenn Sie so wollen, konsumtive Ausgaben, Jahre geschaffen. Die Regelsätze werden seit jeher um in unserer Definition zu bleiben — die investi- von den Ländern festgesetzt. Insofern sehe ich ven Ausgaben gegenüber den Finanzplanungen um eigentlich nicht ganz, wie Sie — im übrigen war das über 5 Milliarden DM haben steigern können, weil Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3535

Bundesminister Dr. Apel wir eben in anderen Bereichen zusammengestrichen — Augenblick —, indem wir sehr schnell und sehr und eingeschränkt haben. direkt auf konjunkturelle Lagen, auf wirtschaftspoli- tische Notwendigkeiten und Veränderungen reagie- (Zuruf von der CDU/CSU: Bundesbahn!) ren könnten. Ich kann also nicht ganz verstehen, Damit wird deutlich, daß meine Aussage stimmt, weswegen dies abstrus ist. Abstrus ist es lediglich daß wir im wesentlichen mehr als Haushaltssteige- vor dem Hintergrund unserer grundgesetzlichen Re- rungen gegenüber dem Finanzplan die investiven alität, vor dem Hintergrund der Mehrheitsverhält- Ausgaben steigern. nisse im Bundesrat. Nur in diesem Zusammenhang habe ich von einer notwendigen Allparteienkoalition Ich will Ihnen auch gern vorführen, wenn Sie gesprochen. hier schon eine Zwischenfrage stellen, wo diese Lassen Sie mich — wir werden das ja morgen noch investiven Ausgaben angesiedelt sind: 2 Milliarden eingehend debattieren — zu einem weiteren Punkt DM Programm Zukunftsinvestitionen, 200 Millionen kommen. Sie, Herr Kollege Dr. Strauß, haben sich DM Energieeinsparungsprogramm, davon dann im hier erneut dafür ausgesprochen, daß es klüger ge- übernächsten Jahr bereits eine halbe Milliarde wesen wäre, das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz D-Mark, 1,3 Milliarden DM Investitionszuschüsse anzuwenden, als eine sehr pointierte und zugespitz- sowohl für den Straßenbau als auch für die Deutsche te steuerliche Entlastung vorzunehmen. Ich finde, Sie Bundesbahn. 1,9 Milliarden DM sind eine Vielfalt befinden sich damit — das werfe ich Ihnen nicht vor von investiven Maßnahmen, die ich Ihnen nicht vor- — in einem eindeutigen Widerspruch zu der Bun- tragen will, die aber alle eindeutig investiven desratsmeinung, wie sie zu unseren Vorschlägen ge- Charakter haben, ob das nun Forschung und Techno- äußert worden ist und wie sie sich insbesondere logie ist, ob das Entwicklungshilfe ist, ob das Anhe- durch die Vorlagen — es sind ja zwei Vorlagen des bung der Gemeinschaftsaufgaben im Bereich der Freistaates Bayern — sichtbar gemacht hat. Man Landwirtschaft und vieles andere mehr ist. kann ja von diesen Vorschlägen des Freistaates Herr Kollege Dr. Strauß hat dann eine weitere Be- Bayern halten, was man will: Mein Haupteinwand merkung zum Haushalt gemacht, die ich gerne auf- besteht darin, daß sie sofort Steuerausfälle in Höhe greifen möchte. Sie haben mich wegen meiner Äuße- von fast 17 Milliarden DM produzieren würden. Dies rung kritisiert, daß ich es für klug hielte oder, sagen würde bei den Gemeinden, bei den Freunden von wir vorsichtiger, für debattefähig hielte, Steuern Herrn Dr. Waffenschmidt und bei den Freunden von jährlich anzupassen. Ich weiß eigentlich nicht, ob- Herrn Dr. Schmitt-Vockenhausen sofort entsprechen- wohl die ,,Bild"-Zeitung in einem Kommentar mich de prozyklische Reaktionen auslösen. Dies ist mein entsprechend angenommen hat — Sie haben das zentraler Einwand gegen das Paket, heute morgen sehr viel charmanter gemacht —, was (Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Die Bayern gegen diese Idee spricht. Sie wird in einer ganzen haben aber wenigstens Vorschläge für die Reihe von europäischen Ländern praktiziert. Ich sage Gemeinden gemacht!) Ihnen: Es geht wegen unserer föderalen Ordnung nicht, es geht nicht. Aber vernünftig wäre es doch, wenngleich ich im übrigen noch andere Einwände zusammen mit diesem Bundeshaushalt 1978 — nicht habe. in zwei Vorlagen, die nur rein zufällig gemeinsam Hier sehen Sie, daß der Bundesrat — einvernehm- debattiert werden — dem Bürger auch eine Vorstel- lich! — z. B. auch von dieser sehr linearen und pau- lung davon zu geben, wie dieser Bundeshaushalt schalen Regelung überhaupt nichts hält und daß der finanziert wird, und zwar eben nicht nur aus der Freistaat Bayern, wie gesagt, in zwei Gesetzent- Nettokreditaufnahme, sondern gegebenenfalls auch würfen sehr pointiert und sehr zugespitzt Maßnah- über Steuerveränderungen. men vorschlägt. Dies scheint mir auch durchaus an- (Dr. Häfele [CDU/CSU] : Stop and go!) gemessen zu sein. Nur, wie gesagt, mein zentraler Einwand sind die Kosten. Denn wir müssen die Dies machen die Briten, dies machen die Franzosen, Doppeloperation in der Tat in einer vernünftigen dies machen eine Reihe anderer Staaten. Relation sehen. (von der Heydt Freiherr von Massenbach Ansonsten habe ich zu dem Teil der Haushalts- [CDU/CSU] : Mit hervorragendem Mißerfolg debatte hier im Moment nichts zu sagen. Ich denke, übrigens!) wir werden die Debatte morgen fortsetzen. Dann — Na, was die Defizite der öffentlichen Haushalte werde ich gegebenenfalls erneut reagieren müssen. anbelangt, so ist Frankreich für uns alle sicherlich Lassen Sie mich jetzt, wenn Sie so wollen, als ein Vorbild. Ich weiß gar nicht, was dieser Zwischen- Vorsitzender der Kommission, die diesen Leitantrag ruf soll. Diese Operation klappt. Ob anderes in die- produziert hat, einige Bemerkungen anschließen. sen Ländern klappt, ist eine völlig andere Frage. Ich kann natürlich, Herr Kollege Dr. Barzel, durch- Ich meine nur, wir sollten diesen Punkt nicht so aus verstehen, daß Sie die Abstimmung der letzten ohne weiteres aus der Debatte ziehen. Woche als einen Auftakt sehen, nun die Mehrheits- (Hasinger [CDU/CSU] : Was hat das mit verhältnisse hier im Deutschen Bundestag so zu ver- Verstetigung zu tun?) ändern, daß für Sie wieder der Weizen blüht. Nur, von dieser einen Abstimmung her läßt sich natür- — Dies wäre in gewissem Sinne auch eine Versteti- lich überhaupt nichts ableiten. Wie oft sind Sie in gung unserer Steuerpolitik, früheren Abstimmungen schon auseinandergefallen! (Erneuter Zuruf von der CDU/CSU) Auch dies gehört mit zur parlamentarischen Demo- 3536 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Bundesminister Dr. Apel kratie: daß man dies erträgt, auch wenn man sich tion dieses Land für den Welthandel hat, was man darüber ärgert. Dies will ich Ihnen ohne weiteres von uns erwartet, wenn man hört — — zugeben. (Strauß [CDU/CSU]: Das gibt Auftrieb! — Aber woher nehmen Sie Ihre Annahme, diese Heiterkeit bei der CDU/CSU) Bundesregierung sei nicht mehr handlungsfähig? — Nein, die Position, die ich dort zu vertreten hatte, Haben wir nicht mit einer knappen Mehrheit — die war teilweise sehr schwierig. Wenn man hört, wie Mehrheit ist knapp, und sie gibt uns auch Probleme auf — in diesen ersten neun Monaten trotz des die anderen uns sehen und dagegen Ihre Rede hört, Bundesrates eine ganze Reihe von schwerwiegen- wenn man zurückkommt, dann weiß man wirklich den Operationen durchgestanden? Ich will Ihnen nicht, in welchem Land man sich befindet. Ich will nur einige Beispiele geben: Wir haben das Steuer- das nicht vertiefen. Herr Kollege Graf Lambsdorff paket durchgebracht. Am Ende hat das Land Bayern und Herr Reuschenbach haben dies sehr deutlich dar- diesem Steuerpaket zugestimmt. Wir haben das Aus- gestellt. bildungsplatzförderungsgesetz gegen Ihren massiven Eines fand ich bemerkenswert. Ich habe extra auf Widerstand durchgebracht. Wir haben das Kosten- die Uhr geschaut. Sie haben 25 Minuten über die dämpfungsgesetz im Gesundheitswesen nach Kom- Sozialdemokraten geredet. Und dann haben Sie es promissen im Bundesrat — gebe ich zu — durchge- sich sehr bequem gemacht, als es darum ging, die bracht. Wir haben ein sehr umfassendes Programm wirtschaftspolitische, die gesellschaftspolitische und für die Stabilisierung der Wohnungsbauwirtschaft die sozialpolitische Position dieser CDU/CSU in — Regionalprogramm, Fortsetzung des sozialen diesen Monaten darzustellen. Dazu haben wir dann Wohnungsbaues für Schwerpunktgruppen — durch- vier Punkte gehört, zu denen ich gerne noch etwas gesetzt. Wir haben die Außenpolitik, auf die Sie zu- sagen möchte. nehmend einschwenken, konsequent fortgesetzt, und auch die Rentenbeschlüsse haben wir durchgesetzt. Bevor ich dazu etwas sage, gehe ich noch auf die- sen Leitantrag ein. Ich bin dafür, daß Sie ihn lesen. (Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein [CDU/CSU]: Die Reparatur steht jetzt im (Zuruf von der CDU/CSU) Haushalt!) — Wenn Sie ihn gelesen haben, dann ist mein Vor- Herr Kollege Dr. Barzel, eigentlich war es schade, wurf noch berechtigter. Dann muß ich nämlich sagen: daß Sie hier in den Ton einer allgemeinen Wahl- Das, was Sie zu diesem Antrag ausgeführt haben, kampfrede für irgendeinen Marktplatz verfallen geht in die Nähe der Diffamierung. Was Sie gesagt sind und nicht Ihrer bisherigen Linie einer sehr haben, steht alles nicht in dem Antrag. Ich werde sachlichen Argumentation gefolgt sind. Ihnen jetzt einiges vorlesen. Dann sollen Sie mir - sagen, ob Sie dieses mit Ihren Aussagen für ver- (Beifall bei der SPD) einbar halten. Wir können diese Debatte gerne mor- Ich weiß überhaupt nicht, woher Sie diesen Opti- gen oder wann immer Sie wollen fortsetzen. mismus nehmen. Hier steht — ein ganz wichtiges Zitat —: Ich denke, wir haben ein Problem. Die staatliche Mitverantwortung in der Markt- wirtschaft für einen hohen Beschäftigungsgrad (Zuruf von der CDU/CSU: Problemchen!) ist vor allem durch die Bemühungen von Sozial- Das Problem ist, daß Sie meine Herren von der demokraten im Stabilitäts- und Wachstumsge- Opposition, so schwach sind, daß wir manchmal setz sowie im Arbeitsförderungsgesetz veran- meinen, uns deswegen etwas leisten zu können. Ich kert worden. Globalpolitische Maßnahmen müs- wünschte, Sie würden besser werden. Dies wäre sen in erster Linie in den Bereichen der Finanz- die beste Peitsche für uns. Nur Sie sind eben leider politik und der Geldpolitik ansetzen. nicht so besonders gut. Ihre Rede heute war auch Dies ist doch richtig, oder wollen Sie das bestreiten? kein Beitrag zu einer solchen Verbesserung. Ein weiterer Satz: (Beifall bei der SPD — Haase [Kassel] [CDU/ CSU] : Herr Apel, über Ihre Bonität werde Globalpolitik allein reicht zur Lösung der der- ich gleich reden!) zeitigen und bevorstehenden wirtschaftspoliti- schen Probleme nicht aus. Nun brauche ich eigentlich nichts weiter dazu zu Dieser Satz ist doch richtig. Wie anders wäre es zu sagen, wie Sie die Situation unseres Landes gemalt erklären, daß ich in diesen Tagen mit der deutschen haben. Stahlindustrie sprechen muß, daß die Werftindustrie (Dr. Barzel [CDU/CSU] : Nein, nein, das Schwierigkeiten hat, daß wir im Bereich der Luft- reicht!) und Raumfahrtindustrie sektoral eingreifen müssen, daß wir im Bereich der Textilindustrie Probleme ha- Dies haben die beiden Fraktionssprecher deutlich ben, daß wir überhaupt eine regionale Struktur- gemacht. politik und eine Branchenstrukturpolitik machen Wenn man eine Woche in Washington war, wenn müssen. Der zitierte Satz stimmt also doch. man sich eine Woche lang hat anhören müssen, was Das einzige, was Sie uns bei diesem Satz und an- für ein starkes Land dies ist, welche Lokomotivfunk deren Sätzen in diesem Papier vorwerfen könnten, Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3537 Bundesminister Dr. Apel ist, daß wir nicht bei Ludwig Erhards Marktwirtschaft wirtschaftlich, nämlich die Aktivreserve und die à la 1949 stehengeblieben sind, Investitionsanmeldung, zu sprechen zu kommen? (Beifall bei der SPD) Dr. Apel, Bundesminister der Finanzen: Investi- sondern daß wir in der Großen Koalition gemein- tionsmeldestellen sind in diesem Papier nicht mehr sam das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz beschlos- aufgeführt. Aber ich bekenne mich ausdrücklich sen haben, wenn Sie so wollen, als Teil der Fort- dazu. Ich will Ihnen auch den Grund sagen. Ich bin, entwicklung der Marktwirtschaft zu einer Markt- wie Sie wissen, beurlaubter europäischer Beamter. wirtschaft mit Steuerungselementen. Sie könnten Ich habe hier einige Erfahrungen, und ich weiß, daß uns im Zusammenhang mit diesem Satz ferner vor- es z. B. nicht unvernünftig war, in der Montan- werfen, daß wir in dieser Koalition die weltweite union in Europa zu wissen, was andere private In- Bedeutung unserer Wirtschaftspolitik und auch der vestoren an Großinvestitionen vorhatten. Hier gibt Marktwirtschaftspolitik erkannt haben. Dies kann es eine gewisse Transparenz, die es meinem ökono- doch nicht bestritten werden. Nur unter diesem mischen Verstand gebietet, zu sagen: Dieses ist Rubrum kann ich doch die hohen Kosten der Europä- nicht unvernünftig. ischen Gemeinschaft verbuchen und ertragen. Dies ist Teil der Solidarität in Europa, wenn ich auch Nun komme ich zu dem zweiten, nach dem Sie lieber Solidarität über andere Wege als über Agrar- gefragt haben, zu den Strukturräten. politik finanzieren würde. Aber dies ist eine wei- (Dr. Barzel [CDU/CSU] : Aktivreserven!) tere Frage. — Darauf will ich dann gern anschließend noch Jetzt kommt es darauf an — und damit bin ich eingehen. Lassen Sie mich zuerst zu den Struktur- bei den Strukturräten —, eine gewisse Ordnung räten einige Bemerkungen machen. Hier soll es zwei in unsere regionale und in unsere Branchenstruktur- Strukturräte geben. politik hineinzubringen. Ich spüre es doch als Fi- nanzminister, wie hier gegeneinander gearbeitet Das eine ist der Strukturrat der öffentlichen Hand. wird, wie mit der einen Hand gegeben und mit der Da sollen der Konjunkturrat und der Finanzpla- anderen Hand behindert wird. nungsrat von Zeit zu Zeit zusammentreffen; ich kann mir dies nur wünschen. Beide Gremien funktio- Hier steht folgender Satz — und ich frage Sie nieren so einigermaßen; aber beide Gremien arbei- erneut, ob Sie die Richtigkeit dieses Satzes bestrei- ten sehr oft aneinander vorbei, weil die Finanzpoli- ten wollen —: tiker im wesentlichen an ihre Kasse und die Kon- Gezielte Strukturpolitik kann nur betrieben wer junkturpolitiker im wesentlichen daran denken, wie den, wenn die Quantität, Qualität und- Zeitab sie Wirtschaftswachstum produzieren können. Es folge geplanter Investitionen durchsichtig sind. ist immer nur gut, wenn solche Gruppen zusam- menkommen, um Grenzen und Möglichkeiten von Da muß ich Sie fragen: Ist dies denn falsch? Das Aktionen aufeinander abzustimmen. muß ich um so mehr fragen, als sich dies im we- sentlichen auf staatliche Investitionen bezieht. Das zweite ist der Strukturrat der sozialen Grup- pen. Ich zitiere aus dem Papier: Ist der Satz falsch — es ärgert mich seit langem, daß wir hier nicht weitergekommen sind —, daß die Die Konzertierte Aktion wird so weiterentwik- Erfolgskontrolle der Subventionen ausgebaut und kelt, daß sie strukturpolitische Aufgaben über- verfeinert werden muß? Ist das nicht richtig? nehmen kann. Dazu gehört die Meinungsbildung der gesellschaftlichen Gruppen zum Struktur- (Beifall bei der SPD) wandel und eine bessere Abstimmung zwischen Ist es nicht vernünftig, einmal ein Bild darüber zu staatlicher Wirtschaftspolitik und privaten Un- bekommen, was denn eigentlich mit den vielen Mil- ternehmensplanungen. liarden geschieht? Ich gebe zu, daß dies vielen un- (Dr. Barzel [CDU/CSU] : Zitieren Sie bitte bequem ist, auch vielen Sozialdemokraten, die Wahl- richtig!) kreise vertreten. Das haben sie nicht so gern: Er- folgskontrolle bei Erhaltungssubventionen. Ist dies — Ich habe dies alles vorgelesen. falsch, oder ist dies richtig? Dieses ist die Fortent- (Haase [Kassel] [CDU/CSU] : Er hat eine wicklung der Marktwirtschaft. Marktwirtschaft funk- Ausgabe Nord!) tioniert nur dann, wenn hier nicht Dauersubventions- Insofern kann ich nur sagen, Herr Kollege Dr. Bar- tatbestände geschaffen werden, wenn im Endeffekt zel: Was ist eigentlich dagegen einzuwenden? Ist es nicht die Verluste sozialisiert werden. nicht vernünftig, daß die Konzertierte Aktion diese Fragen miteinbezieht? Vizepräsident Stücklen: Gestatten Sie eine Zwi- (Dr. Barzel [CDU/CSU] meldet sich zu einer schenfrage, Herr Minister? — Herr Kollege Barzel, Zwischenfrage) bitte schön. — Augenblick, ich möchte den Gedanken gern zu Ende führen. Ist dieses nicht sehr vernünftig? Ich Dr. Barzel (CDU/CSU) : Herr Kollege Apel, wür- muß zur Kenntnis nehmen, wenn der Koalitions- den Sie die Güte haben, auf die zwei Schwerpunkte partner dazu hier seine Meinung äußert. Für uns meiner Kritik, zu denen auch Graf Lambsdorff Stel- als Sozialdemokraten ist dies deswegen vernünftig, lung genommen und gesagt hat, dies sei nicht markt weil es gut ist, sehr frühzeitig die gesellschaftlich 3538 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Bundesminister Dr. Apel relevanten Gruppen in Meinungsbildungsprozessen Dies ist das vollständige Zitat. Darüber wollen wir mit einzubeziehen. gerne streiten. Das war die Basis meines Einwan- (Sehr wahr! bei der SPD) des, und das ist doch wohl auch die Basis des Ein- wandes von Herrn Graf Lambsdorff. Wenn Sie sich den Katalog der Debattenpunkte in diesem Strukturrat anschauen, stellen Sie fest, daß einer von ihnen lautet: Empfehlungsrecht bei Stand- Dr. Apel, Bundesminister der Finanzen: Ich sage ortentscheidungen. Ich muß sehr offen sagen: Dieses Ihnen: Ich bekenne mich zu dieser Aussage. Sie ent- ist gut. Es wäre gut, wenn die gesellschaftlich rele- spricht dem, was ich strukturpolitisch will. vanten Gruppen rechtzeitig über Standortentschei- (Beifall bei der SPD) dungen von öffentlich geförderten Großvorhaben mit debattiert hätten. Dann wären manche der Stand- Jetzt will ich gern auf die Aktivreserve eingehen. ortdebatten — auch bei Kernkraftwerken — ratio- Nun führen wir natürlich über das Thema „Aktiv- naler geworden. reserve" eine Debatte, die eine Scheindebatte ist, (Beifall bei der SPD) weil die Aktivreserve, wie Sie wissen, hochverehr- ter Herr Dr. Sprung, eine Maßnahme für Zeiten Dann hätte man frühzeitig erkannt, wo die Schwie- überschäumender Konjunktur wäre. Das werden Sie rigkeiten liegen und was damit verbunden ist, wenn mir zugeben. Insofern ist dies sehr weit gezielt. Ich es zu einem unnötigen Gezerre kommt. denke, daß wir es im Moment nicht mit diesem Pro- Bevor ich Ihnen, Herr Dr. Barzel, die Möglichkeit blem zu tun haben. Wir werden es für einige Zeit zu einer Zwischenfrage gebe, möchte ich noch eine vielmehr mit dem umgekehrten Problem zu tun ha- abschließende Bemerkung machen. ben. (Dr. Sprung [CDU/CSU] : Aktivreserve ha Wenn man die Aktivreserve aber schon zur De- ben Sie vergessen!) batte stellt, muß man sagen, daß es — so steht es in — Das kommt noch. Ich denke, Herr Kollege Dr. unserem Antrag — zwei Schlüssel gibt. Schlüssel Barzel will nach etwas anderem fragen. Nummer 1: Antrag der Bundesregierung, diese Maß- Eine abschließende Bemerkung: Es wäre ja eine nahme einzuführen; Schlüssel Nummer 2: Bundes- merkwürdige Soziale Marktwirtschaft, wenn sie dar- bank, die dieses akzeptiert oder auch nicht akzep- in bestünde, daß alles erstarrt, daß Denken verbo- tiert. So ist es vorgesehen. Hier gibt es also keine ten wird, daß auf neue Herausforderungen hin nicht Anweisung der Regierung gegenüber der Bundes- neu gedacht und gehandelt werden kann. Dieses ist bank, diese Maßnahme zu ergreifen, sondern es gibt nicht unser Verständnis von Sozialer Marktwirt- einen Zwei-Schlüssel-Mechanismus. Ich sage Ihnen schaft. ganz offen: Über dieses Instrument der Aktivreser- (Beifall bei der SPD) - ve ist vor wenigen Jahren im Kreise der Bundesre- gierung, im Kreise des Kabinetts sehr nüchtern de- battiert worden, und zwar mit dem Ergebnis, daß Sie gestatten eine Zwi- Vizepräsident Stücklen: die Bundesregierung es damals nicht für opportun ge- schenfrage. — Herr Abgeordneter Dr. Barzel. halten hat. Die Bundesbank hat gesagt, sie möchte dieses Instrument nicht. Dr. Barzel (CDU/CSU) : Herr Kollege Apel, wür- den Sie mir gestatten — es gibt hier ja zwei Texte; (Dr. Sprung [CDU/CSU] : Die Unabhängig ich bin inzwischen darüber belehrt worden, welches keit ist bedroht!) der richtige ist; ich hatte diesen Text auch gele- — Nein, die Unabhängigkeit der Deutschen Bundes- sen —, den Text einschließlich der Passagen vorzu- bank wird doch dadurch überhaupt nicht berührt. lesen, die Sie weggelassen haben? Was heißt denn im übrigen überhaupt „Unabhän- Dr. Apel, Bundesminister der Finanzen: Auf wel- gigkeit der Deutschen Bundesbank" ? Autonomie cher Seite steht das? heißt, daß zwei autonome Institutionen miteinander Politik machen, aufeinander zugehen, aufeinander Rücksicht nehmen. So steht es mit anderen Worten Dr. Barzel (CDU/CSU) : Das steht in dem fotoko- im Bundesbankgesetz. Wenn wir uns über eines pierten Exemplar, das ich bekommen habe, auf keine Sorge zu machen brauchen, dann darüber, daß Seite 6 oben. Dort heißt es: die Autonomie der Deutschen Bundesbank irgend- Die Konzertierte Aktion wird so weiterentwik- wie gefährdet sei. Wir können vielmehr mit Dank- kelt, daß sie strukturpolitische Aufgaben über- barkeit feststellen, daß die Deutsche Bundesbank in nehmen kann (Strukturrat der sozialen Grup- einer großartigen Weise — ihrem Geldmengenziel pen), d. h., daß sie einmal die Meinungsbildung und ihrer Stabilitätspolitik treu bleibend — die der gesellschaftlichen Gruppen zum Struktur- Wachstums- und Wirtschaftspolitik der Bundesre- wandel koordiniert, zum anderen eine bessere gierung unterstützt hat und damit mit ein Verdienst Abstimmung zwischen staatlicher Wirtschafts- daran hat, daß es in unserem Lande so unvergleich- politik und privaten Unternehmensplanungen lich besser läuft als bei fast allen unseren Nachbarn. herstellen kann. Für branchenspezifische Pro- (Beifall bei der SPD) bleme können Ausschüsse gebildet werden. Ar- beitnehmer und Arbeitgeber werden durch ihre Lassen Sie mich zusammenfassen. Ich habe sehr Gewerkschaften und Verbände paritätisch ver- aufmerksam zugehört, was Herr Dr. Barzel an Vor- treten. schlägen und Alternativen der CDU/CSU empfohlen Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3539 Bundesminister Dr. Apel hat. Er ist erst einmal für mehr politische Stabilität. etwas zu geschehen habe, ganz anders an, weil er Darunter versteht er für sich ein Ministeramt für Umweltschutzpolitik mitverantwortlich ist oder (Dr. Barzel [CDU/CSU] : Nichts da!) war. und für uns die Opposition. Dieses ist legitim. Da- Hier hat es also wenig Zweck, die Verantwortlich- gegen habe ich überhaupt nichts. Konjunkturpoli- keiten hin- und herzuschieben; hier müssen wir tisch bringt dies aber natürlich sehr wenig. wohl herangehen und uns diese Gesetze einmal an- schauen, und zwar möglichst gemeinsam. Ich höre (Beifall bei der SPD und der FDP) im übrigen, daß das die Länder in einem hohen Zweitens haben Sie gesagt, Sie wollten das Sy- Maße tun; ich kann das nur begrüßen. Wir wollen stem der. Sozialen Marktwirtschaft wiederherstellen. ähnliches tun, allerdings nicht um den Preis, daß Diese Debatte werden wir fortzusetzen haben. Ich wir bei dieser Gelegenheit mal eben die ganze Pro- bin davon überzeugt, daß Ihre Einstellung zu diesen blematik des Umweltschutzes über Bord werfen und dringlichen Fragen der Sozialen Marktwirtschaft zu vergessen, daß wir in einem dichtbesiedelten Indu- steril ist. striestaat leben, der, meine sehr verehrten Damen (Zuruf von der SPD: Genau das!) und Herren, Umweltschutz allerdings auch dringend braucht. Es ist eine konservative, rückwärtsgerichtete Be- trachtung nach dem Motto „Wie war das doch vor (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten 20 Jahren alles noch gut" ; keine Antworten auf die der FDP) Herausforderungen unserer Zeit! Als letzten Punkt haben Sie diesen genannt: Wir (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten brauchen insbesondere einen Konsens, und wir der FDP) brauchen die soziale Partnerschaft. Bitte, Herr Kol- Wir dagegen bemühen uns. Wir können im übrigen lege Barzel, wenn dies so ist und wenn Sie dies sa- auch feststellen, daß wir in der Regierungserklä- gen — und es trifft sich mit meinen, mit unseren po- rung gerade in diesem Bereich der Branchen- und litischen Vorstellungen —, bitte ich Sie um eines: der regionalen Strukturpolitik einen Fortschritt er- auf diejenigen, die die Klage zur Mitbestimmung zielt haben. Hier stehen ausdrücklich Aufträge in der eingereicht haben, einzuwirken, Regierungserklärung, die zwar nicht so weit gehen (Zustimmung bei der SPD) wie der Leitantrag zu unserem Parteitag, aber durch- aus in dieselbe Richtung zielen. damit dieses Hemmnis möglichst bald verschwindet. Dann haben Sie gesagt, wir brauchen. Gesetze, die (Beifall bei der SPD) die Marktwirtschaft von Gesetzen befreien. Damit Herr Kollege Katzer hat heute morgen in einem bin ich bei dem Thema „Investitionshemmnisse". Zwischenruf — ich glaube, zur Rede von Herrn Pro- Ich bin sehr dafür, daß wir uns das nicht so leicht fessor Ehmke — darauf aufmerksam gemacht, daß machen, wie es sich hier manche zu machen versucht der erste Schritt zur paritätischen Mitbestimmung in haben. Wir haben darüber am Freitag mit den Mi- der Montanindustrie unter erfolgt nisterpräsidenten gesprochen, und dabei ist mir ist. Dann, wenn dies so ist und wenn Sie, meine deutlich geworden, wo die Hemmnisse liegen. Sie Damen und Herren von der Opposition, sich zu die- liegen erstens z. B. in der Tatsache, daß 80 % der ser Vergangenheit heute noch bekennen, haben Sie Gemeinden — dies ist eine Aussage des Finanzmi- allen Grund, mit uns zusammen um das besorgt zu nisters des Landes Rheinland-Pfalz, meines Kollegen sein, was hier in unserem sozialen Klima verschüt- Gaddum — keine Bebauungspläne haben. Die Kom- tet, zerstört und verändert werden kann. Dann bin munalpolitiker — so sagt er; ich kann das nicht ich dafür, daß Sie Ihren Anspruch, rationale Politik beurteilen und will mich vorsichtig ausdrücken — zu betreiben, an diejenigen richten, die einen irra- wollen dies nicht, weil dies auch Schwierigkeiten tionalen Schritt getan haben und die in der Tat in gibt. Und das produziert in einem hohen Maße In- der Gefahr sind, dadurch soziale Partnerschaft in vestitionshemmnisse. — Wenn dies so ist, laßt uns unserem Lande zu verschütten. also einmal an dieses Thema herangehen. (Anhaltender Beifall bei .der SPD und bei Zweitens. Wir haben in diesem Lande eine Ver- Abgeordneten der FDP) waltungsgerichtsbarkeit, an der niemand von uns vorbeikommt. Es hat doch überhaupt keinen Zweck, hier schwarze Peter hin- und herzuschieben; das Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Abge- ist so. ordnete Haase (Kassel). Drittens — und damit bin ich beim Punkt, Herr Kollege Dr. Barzel — haben wir eine Reihe von Ge- Haase (Kassel) (CDU/CSU) : Herr Präsident! Mei- setzen gemacht, die in der Tat bei Investitionspro- ne sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr jekten die Frist bis zur Entscheidung verlängert ha- Kollege Hoppe hat heute morgen eine in weiten ben. Nur, hier gibt es eine interessante Debatte im Passagen recht eindrucksvolle Rede gehalten, die Finanzplanungsrat. Da gibt es einen Finanzminister, mich hoffen läßt, lieber Herr Hoppe, daß wir im der war bis vor kurzem Umweltschutzminister; er Haushaltsausschuß in diesem Jahr wieder viel Ge- gehört nicht meiner Partei an. Und der sieht natür- meinsamkeit über die Parteigrenzen hinweg haben lich von seiner eigenen politischen Vergangenheit werden und fruchtbare Arbeit für die Republik lei- her meine Vorwürfe im Finanzplanungsrat, daß hier sten können. 3540 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Haase (Kassel) Eine Bemerkung zu den letzten Ausführungen die er im eigenen Lager placierte, beachtlich. Jedoch des Herrn Bundesfinanzministers. Herr Apel, Sie be- das tollste Stück leistete er sich in der letzten Som- schuldigen erneut die Gemeinden, sie würden zu merpause, als er den unter der Übersteuerung wenig ausgeben und die Konjunkturpolitik der Bun- ächzenden Bürgern aus der hohlen Hand Steuer- desregierung nicht in ausreichendem Maße unter- erleichterungen ankündigte, allerdings erst zur stützen. Schauen Sie, bei Lichte betrachtet wohnt nächsten Bundestagswahl und ohne dafür ein abge- diese Behauptung auf derselben Etage wie die Emp- stimmtes Konzept zu haben. Versprechungen, die fehlung des Herrn Bundeskanzlers vor einigen Ta- die Bundesregierung in Zugzwang brachten und das gen, die Kommunalaufsicht abzubauen, um den Ge- sozialliberale Lager in handfeste Auseinandersetzun- meinden eine nicht so solide Verschuldungspolitik gen. zu ermöglichen. Die sich daran anschließende finanz- und wirt- Herr Finanzminister, wie sehen denn die Reali- schaftspolitische Diskussion führte in der Bundes- täten in Wirklichkeit aus? Sie sagen, die Gemein- republik zu einer völligen Konfusion, die insofern den hätten Geld genug. Das ist unzutreffend. Mir noch groteskere Formen annahm, als die Fehde der hat ein guter Wind die „Hannoversche Allgemeine Koalitionsparteien auf die Ressorts übergriff und Zeitung" von Freitag, den 30. September 1977, zu- jeder dem anderen die Schuld für die wirtschaft- geweht. lichen Kalamitäten in unserem Lande zuschob. Kol- (Löffler [SPD]: Sie lesen doch sonst immer lege Barzel nannte dies vorhin zutreffend eine die „Bild"-Zeitung, Herr Haase!) „neurotische Veranstaltung". Der eine hatte zu früh konsolidiert, der andere hatte falsche Daten gelie- — Ich empfehle Ihnen, Herr Kollege Löffler, um fert. Der eine hielt die Lohnabschlüsse für zu hoch, Ihr Bildungsniveau zu heben, diese Zeitung auch der andere beklagte die desolate Energiepolitik. To- ab und zu zu lesen. Dann wissen Sie nämlich, wie tale Verwirrung, rapide zunehmende Zerfallssymp- das Volk denkt. tome in der Bundesregierung waren die flankieren- (Lachen bei der SPD — Sehr wahr! bei der den psychologischen Stimulanzien, die der von CDU/CSU — Löffler [SPD] : Deshalb sind Sie Unsicherheit und Zukunftsängsten geplagten deut- so gebildet, Herr Haase!) schen Wirtschaft verabreicht wurden. Nein, mit einer solchen Politik schafft die Bundesregierung Herr Bundesfinanzminister, dort heißt es unter dem sicher keine neue Vertrauensbasis. Apels Polemi- 30. September 1977: ken, sein. „stop and go", seine permanenten finanz- Hannover, eine SPD-regierte Stadt, „gibt 1978 politischen Richtungswechsel, seine unzutreffenden weniger aus als in diesem Jahr" . Der Oberstadt Prognosen und unerfüllten Zusagen trugen zu zu- direktor wörtlich: „Für Ausweitung kein Geld." sätzlicher Verunsicherung der Wirtschaft bei und (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) - erstickten jeden psychologischen Erholungsprozeß So sehen die Realitäten im Lande aus. im Keime. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Es ist noch gar nicht so lange her, daß uns auch der Bundesfinanzminister für das laufende Jahr 5 % Herr Finanzminister, jetzt liegen ja auch die Zah- Wachstum, Wiederbelebung der Wirtschaftstätig- len von Bund und Ländern über die Ausgaben im keit und eine Reduzierung der Erwerbslosigkeit vor- ersten Halbjahr dieses Jahres vor. Danach haben aussagte. Heute wird deutlich, was von diesen Pro- die Ausgaben der Länder einen Zuwachs um 5 °/o, gnosen des Finanzministers zu halten ist, der jetzt die des Bundes dagegen nur um 2,8 °/o, gerechnet lautstark über die anderen Prognostiker klagt. Die bis einschließlich August um 4,5 °/o. Lieber Herr Bundesregierung hat nicht nur ihre wirtschaftspoli- Finanzminister, Bund und Länder haben ihr Finan- tischen Ziele verfehlt. Ich fürchte, daß sie auch auf zierungsdefizit in gleicher Weise um 4 Milliarden einer nicht mehr zutreffenden Datenkonstellation DM verringert. Was beim Bund als Erfolg der mit- den Haushalt 1978 aufgebaut hat, einen Etat, den telfristig angestrebten Konsolidierung angesehen uns der Finanzminister als ein solides Fundament wird, soll bei den Ländern ein Übel sein. Das ist unserer Finanzwirtschaft am letzten Dienstag anzu- allerdings Ihr Latein, Herr Apel. dienen versuchte. Ich stehe noch ganz unter dem Eindruck der Rede Die neueste Steuerschätzung basiert auf einer des Herrn Bundeskanzlers vom letzten Montag in realen Wachstumsannahme von 4 1/2 % und nominal Berlin aus Anlaß des 75jährigen Bestehens des dor- 8 °/o. Glauben Sie daran noch wirklich, wenn Herr tigen Daimler-Werkes, in der er die „konjunkturpoli- Friderichs nur real 3 % voraussagt, was nominal tischen Schwätzer" und „Montagsredner" attackier- auch weniger als 8 % bedeutet? Wenn Herr Fride- te, die mit unzeitgemäßen Beiträgen mehr zur Ver- richs recht hat, senkt sich nicht nur das Steuerauf- unsicherung der Wirtschaft als zu deren positiven kommen 1977, sondern vermindern sich auch die Motivierung beitrügen. Als er das aussprach, muß jetzt angesetzten Einnahmen. er tief in die Reihen seiner Fraktionskollegen ge- Der vorliegende Entwurf umfaßt ein Ausgabe- blickt haben. Doch sein geistiges Auge ruhte sicher volumen von 188 Milliarden DM. Das sind 10 % mit besonderem Unwohlwollen auf seiner Kabinetts- mehr als in diesem Jahr. Zwar bringt die hohe Aus- riege und hier in erster Linie auf , unse- gabensteigerung, deren Qualität noch untersucht rem Finanzminister. werden muß, in Teilbereichen kurzfristig gesamt- Zwar ist die Zahl der finanzpolitischen Mißerfolge wirtschaftliche Nachfrageeffekte. Langfristig verhin- des Finanzministers Legion und die der Selbsttore, dert sie jedoch die Möglichkeit der Konsolidierung, Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3541 Haase (Kassel) gegebenenfalls die von allen Sachverständigen für Das war die Reform Nummer ein, Herr Kollege notwendig erachteten Steuerentlastungen. Nicht von Schäfer. Mindestens sollte man sich einmal daran ungefähr heißt es in der letzten Stellungnahme des erinnern. Sachverständigenrates: Eine vorübergehende zusätz- liche Expansion der Staatsausgaben zur Aufblä- Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter Haase, hung des Einkommenskreislaufs ist vermutlich be- gestatten Sie eine Zwischenfrage? schäftigungspolitisch nicht besonders wirksam, jeden- falls nicht nachhaltig. Würde man demgegenüber die Ausgabenexplosion aller öffentlichen Haushalte nur Haase (Kassel) (CDU/CSU) : Bitte, Herr Schäfer. um einen Vomhundertpunkt drosseln, so könnten zusätzlich 4 Milliarden Steuerentlastung bewirkt Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) : Herr Kollege Haase, werden, die unserer Ansicht nach positivere Weite- wir erinnern uns alle an den Leber-Plan, und wir rungen auslösen würden als die gegenwärtig erfolgte erinnern uns alle daran, welche heftigen Ausein- Haushaltsausweitung in Teilbereichen. andersetzungen es gegeben hat. Wollen Sie hier (Beifall bei der CDU/CSU — Glos [CDU/ darlegen, wer mit welchen Mitteln damals verhin- CSU]: So ist es!) dert hat, daß der Plan durchgeführt wurde? Wenn das nicht verhindert worden wäre, wäre die Bun- In diesem Zusammenhang verdient besondere Be- desbahn in der Tat nicht im Defizit. achtung, daß mit der vorgesehenen Ausgabensteige- (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU) rung von 4 Milliarden DM gegenüber dem Finanz- plan keine echte zusätzliche Nachfrage bewirkt wird. Wir sollten uns das genau merken. Der Löwenanteil Haase (Kassel) (CDU/CSU) : Lieber Herr Professor dieses Betrages — Herr Strauß hat in seiner Rede Schäfer, ich erinnere mich: Die sozialliberale Ko- darauf hingewiesen — wird der Rentenversicherung alition ist jetzt über sieben Jahre in der Verant- und der Bundesbahn zur Verfügung gestellt, um die wortung. Nehmen Sie doch jeden Tag Ihre guten verhängnisvollen Spätfolgen der Inflationspolitik der Ideen von damals auf und sanieren Sie! Wir wür- Bundesregierung zu mildern, gegebenenfalls kurz- den Ihnen ja dabei helfen. Aber Sie können doch fristig zu vertuschen und dort die Defizite zu decken. nicht fragen: Wer hat denn damals etwas verhin- dert? Sie haben jahrelang Zeit gehabt. Warum haben (Glos [CDU/CSU]: So ist es!) Sie es nicht getan? Warum haben Sie nicht seit 1970 saniert? Die Bundesbahn ist unter der Regie dieser Bun- desregierung zum Faß ohne Boden geworden. Die (Beifall bei der CDU/CSU — Glos [CDU/ Entwicklung der Bundeszuschüsse an unsere Bahn CSU]: So ist es!) ist von beängstigender Geschwindigkeit gekenn- Von 1960 bis 1969 wurde das Personal bei der Bahn zeichnet: 1977 und 1978 jeweils mehr als eine kontinuierlich um 100 000 Personen vermindert; aber 19 %ige Steigerungsrate. 1978 werden 13,5 Milliar- in den nächsten drei Jahren wurde der Personalbe- den DM geleistet. Das ist fast doppelt soviel wie stand unter der SPD/FDP-Regierung wieder um 1972. Wir sollten uns daran erinnern, daß diese 22 000 Personen erhöht. Jetzt kämpfen wir mit den Summe dem gesamten Aufkommen der Tabak- und Folgen. Branntweinsteuer in der Bundesrepublik Deutsch- land entspricht. In den folgenden Jahren werden die Als Investition bezeichnen Sie 2,5 Milliarden DM Leistungen aus dem Bundeshaushalt weiter anwach- von den 13,5 Milliarden DM, die Sie insgesamt an sen müssen. Trotzdem ist mit steigenden Verlusten die Bahn geben. Aber Ihrer Verpflichtung, Herr Bun- dieses Verkehrsträgers zu rechnen. Das von der desfinanzminister, das Defizit der Eisenbahn zu dek- Bundesregierung vorgelegte Sanierungskonzept kann ken, kommen Sie nicht nach. In der gleichen Höhe, nicht einmal, wie geplant, bis 1985 realisiert werden. in der der Finanzminister angebliche Investitions- Lieber Herr Hoppe, ich stimme Ihnen hier voll zu: zuschüsse zahlt, erwartet die Bundesbahn ein unge- Mit dieser Frage werden wir uns im Ausschuß decktes Defizit, das dem Bund zur Last fällt. Im gründlich beschäftigen und der Regierung auf die praktischen Ergebnis sind das 2,5 Milliarden DM, Finger klopfen müssen. die Sie in Ihrem Zahlenwerk mit dem Markenetikett „Investitionen" versehen. In Wirklichkeit sind sie (Löffler [SPD] : Ihre Alternative möchten wir nichts anderes als ein Verlustausgleich, während hören!) die Bahn ihre Investitionen ausschließlich durch — Ich erinnere mich, der Kollege Leber wollte sei- Schulden finanzieren muß und durch die Zinsen nerzeit — es ist gut, daß wir uns alle daran erin- immer tiefer in die Misere gerät. Das ist das angeb- nern — die Bundesbahn aus dem Defizit herausfah- liche Mehr an öffentlichen Investitionen, mit denen ren. Das wird heute schon völlig verdrängt. der Finanzminister seinen Haushalt der Reparaturen selbst verschuldeter Unfälle ein falsches Marken- (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Wer hat das etikett aufzukleben versucht. denn damals kaputtgemacht?) Ein weiteres Täuschungselement wird durch die — Lieber Herr Professor Schäfer, es war eine der haushaltstechnischen willkürlichen Umbuchungen in glorreichen Neuerungen, die Sie einführen wollten: Apels Haushaltswerk eingeführt. Wir werden im eine Bahn, die keine Defizite mehr verursacht. Ausschuß .bei der Entwicklungshilfe sofort mit die- sen Fragen konfrontiert werden. Zuweisungen, die (Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD]: So ist es!) bisher als konsumtive Ausgaben ausgewiesen wur- 3542 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1937 Haase (Kassel) den, sind nun einfach in Investitionszuschüsse um- eben nicht aus, um Renten- und Arbeitslosenver- gebucht worden. Ich will Sie in diesem Moment mit sicherung längerfristig zu konsolidieren. Selbst wenn Einzelheiten verschonen; aber das sind doch billige Ihre jetzige Rechnung aufgeht, erreichen Sie mit der Taschenspielertricks. Man kann durchaus darüber jetzigen Methyode, die Defizite hin- und herzuschie- streiten, ob so oder so veranschlagt wird. Aber ben, allenfalls das Jahr 1981. auch Sie, Herr Bundesfinanzminister, werden doch Die Ausgabensteigerung um 10 % — die muß hier nicht bestreiten, daß sich die von Ihnen genannten bei dieser Gelegenheit erwähnt werden — erscheint höheren Investitionen nicht ergeben, wenn so wie im mir problematisch. Um Mißverständnisse auszu- vergangenen Jahr gebucht wird. schließen: Sicherlich wäre es zweckmäßig, ja, not- Bei dieser Gelegenheit möchte ich darum bitten, wendig und würde es dem Stabilitätsgesetz entspre- die Anregung des Kollegen Leicht aufzunehmen, die chen, wenn wir in unserer Wirtschaftslage neben Buchungen im Bundesetat — Investitionen oder den unabweisbaren steuerlichen Entlastungen un- konsumtive Ausgaben - einmal zu ordnen und terstützende Konjunkturanreize durch zusätzliche einer einvernehmlichen Regelung zuzuführen. Ausgaben — allerdings an der richtigen Stelle — (Vorsitz ausbringen würden. (V o r s i t z : Vizepräsident Dr. Schmitt (Sehr wahr! bei der CDU/CSU) Vockenhausen) Aber die Mittel, die dafür gebraucht werden, ha- Einige kurze Bemerkungen zu dem Komplex der ben Sie in der Vergangenheit mit vollen Händen be- Rentenversicherung. Es ist noch gar nicht lange reits ausgegeben. her, daß die Regierung ein Rentensanierungskonzept (Beifall bei der CDU/CSU — Löffler [SPD] : vorlegte und meinte, damit seien die Probleme mit- Wozu? Sagen Sie das mal!) tel- und langfristig gelöst. Wenn wir uns den Ent- wurf des Haushalts 1978 und den Finanzplan anse- — Lieber Herr Kollege Löffler, daran kranken wir hen, müssen wir feststellen, daß Probleme der Ren- noch heute. In der Zeit der Überbeschäftigung haben tenversicherungsträger und der Bundesanstalt für Sie die Staatsausgaben Arbeit in den Bundeshaushalt und damit auf den (Zuruf des Abg. Löffler [SPD]) Steuerzahler verlagert werden. - Jahr für Jahr mit zweistelligen Zuwachsraten stei- In dem sogenannten Rentensanierungskonzept, das gen lassen. Herr Strauß hat Ihnen das ja heute mor- vor drei Monaten beschlossen wurde und schon gen im Detail vorgeführt, was damals in so gefähr- heute, nach. einem Vierteljahr, nicht mehr stimmt, licher Weise die Inflation anheizte. Genau daher war beschlossen worden, daß die Bundesanstalt für kommen doch unsere Kümmernisse bis auf den heu- Arbeit die Rentenversicherungsbeiträge für Arbeits- tigen Tag. - lose ab 1. Januar 1979 übernimmt. Nunmehr wird (Löffler [SPD] : Im Gegenteil! Sie sind an der Termin kurzerhand auf den 1. Juli 1978 vorge- geheizt worden!) zogen. Aber die eineinhalb Milliarden werden dem Steuerzahler angelastet. Hier zeigt sich erneut die — Herr Kollege, wollen Sie denn bestreiten, daß Flickschusterei, mit der dieser Etat zusammenge- aus eben diesen Gründen zwei Ihrer Finanzminister stellt worden ist. innerhalb kürzester Zeit zurückgetreten sind? Das waren doch Nebenwirkungen! (Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein [CDU/CSU] : Vorhin hat Herr Apel das noch (Beifall bei der CDU/CSU — Prinz zu Sayn- gelobt!) Wittgenstein-Hohenstein [CDU/CSU] : So war es!) — Na gut; das ist die Apelsche Art und Weise, Finanzpolitik zu betreiben. Was damals zuviel ausgegeben wurde, fehlt uns heute. Sie haben damals das Holz verbrannt, an Weitere zwei Milliarden DM mußten in den dem wir uns heute wärmen wollen, lieber Herr Löff- Finanzplan übernommen werden, da die Bundes- ler. anstalt nicht in der Lage ist, den ihr im Rentenkon- solidierungskonzept auferlegten Beitragszahlungen Angesichts des riesigen Schuldenbergs, den die an die Rentenversicherungsträger zu übernehmen. Regierung in der Vergangenheit aufgetürmt hat, Nur kurzfristige Reparaturpolitik ist es auch, daß scheidet leider die Möglichkeit aus, die Kostenlast den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung der Wirtschaft und die Ausgabenlast der Bürger aus früheren Jahren gestundete Bundeszuschüsse in durch Steuererleichterungen im erforderlichen Um- Milliardenhöhe vorzeitig zurückgezahlt werden fang abzubauen und gleichzeitig die Statsausgaben müssen. gezielt im investiven Bereich massiv zu erhöhen. Das ist ja unser großes Problem, unsere Krux und All dies wird im Bundeshaushalt unter dem gro- unser Leid. Statt des Sowohl-Als-auch nach dem Sta- ßen Mantel „Verbesserung der sozialen Sicherheit bilitätsgesetz gibt es bei Inkaufnahme einer immer und Ausbau des Sozialwesens" verkauft, und der noch unerträgliche Verschuldung nur die Entschei- Bundesfinanzminister erzählt uns das Märchen, die dung des Entweder-Oder. Rentenfinanzen seien sicher. In dieser Lage, in die diese Regierung unseren Ich stelle also fest: Das Programm der Bundes- Staat geführt hat und in der Sie, Herr Bundesfinanz- regierung zur Rentenkonsolidierung bedurfte schon minister, ein hohes Maß an Mitschuld tragen, haben nach kurzer Zeit erheblicher Reparaturen. Es reichte wir, die Christlich Demokratische und die Christlich- Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3543 Haase (Kassel) Soziale Union, eine klare Entscheidung getroffen. gen und das Vertrauen wiederherstellen will, muß, Wir sind mit dem Sachverständigenrat der Auffas- wie wir es vor zehn Jahren beispielsweise einmal in sung, eine dauerhafte massive Erhöhung der Staats- derGroßen Koalition mit Erfolg gegen viele Wider- ausgaben wäre fiskalisch und volkswirtschaftlich stände getan haben, unserer Bevölkerung reinen wohl die teuerste Variante der Beschäftigungspolitik Wein darüber einschenken, wie die Kümmernisse und würde überdies eine deutliche Abkehr von der beseitigt werden sollen, wie die Defizite bei der Politik der vergangenen Jahre bedeuten. Der Sach- Rentenversicherung, bei der Krankenversicherung, verständigenrat sieht den Problemkern nicht in der bei der Arbeitslosenversicherung, bei der Bundes- Nachfrage. Er deutet den verbliebenen Nachfrage- bahn ausgeräumt werden können, wie wir die Schul- mangel nicht mehr als autonomen Störfaktor, son- denzuwächse beseitigen können, auch die Schulden- dern im wesentlichen als Reflex der ungelösten Pro- zuwächse beim Staat. Es gibt ja kaum mehr einen bleme auf der Angebotsseite. Auf gut deutsch: Vor- öffentlichen Sektor, der durch diese Politik nicht an- rang kann nicht eine Politik haben, die durch hohe gekränkelt ist. Weil die Regierung die Finanzkrise Staatsausgaben mittelbar oder unmittelbar zu mehr allzulange hat treiben lassen, kann dies ohne schwe- Nachfrage führt. Vorrang gebührt dem Abbau der ren Schaden nicht mehr von heute auf morgen ge- Kostenbelastung der Wirtschaft und einem leistungs- schehen. Aber die Regierung müßte aus ihrer Ver- gerechten Steuerrecht zur Entlastung von Tarifver- antwortlichkeit heraus handlungen. (Zuruf von der CDU/CSU: Zurücktreten!) (Beifall bei der CDU/CSU — Glos [CDU/ CSU] : Genauso ist es!) zumindest die Richtung deutlich machen. Diese Auf- gabe kann der Bundesregierung das Parlament oder Deshalb haben wir beantragt, jetzt in einer Sofort- der Haushaltsausschuß nicht abnehmen. maßnahme nach dem Stabilitätsgesetz die Steuern um 10 % zu senken und unmittelbar daran anschlie- Im Ausschuß stehen wir wieder einmal vor der ßend ohne Zeitdruck einen neuen, gerechteren Steu- Aufgabe, in relativ kurzer Zeit unsere Arbeit tun zu ertarif zu schaffen. Ich fürchte, daß diejenigen Damen müssen, eine hektische Beratung wird folgen, damit und Herren im Regierungslager, die nicht um jeden der Haushalt wenigstens nicht zu spät im nächsten Preis eine andere Republik, sondern sachgerecht Jahr wieder ins Plenum kommt. Auch das hat die und ohne ideologische Scheuklappen das Beste für Regierung zu verantworten, weil sie wieder einmal die Republik wollen, noch bedauern werden, daß sie den Haushalt zu spät verabschiedet hat. Wir erwar- unserem Vorschlag nicht gefolgt sind. Auch wenn ten mit Ihnen, Herr Kollege Hoppe, daß die Regie- wir jetzt auf Grund Ihres Verhaltens gegebenenfalls rung nächstes Jahr endlich dem Gesetz und dem gezwungen werden, in eine andere Lösung einzutre- Spruch des Bundesverfassungsgerichts folgt, damit ten oder sie hinzunehmen, halten wir nach- wie vor das Parlament seiner Rolle gerecht werden und den an der Auffassung fest, daß es alleine richtig wäre, Haushalt endlich einmal so in Kraft setzen kann, auch in dieser Lage den Ausgabenzuwachs stärker wie es das Grundgesetz fordert. zu- bremsen und die dadurch freiwerdenden Mittel (Beifall bei der CDU/CSU) für eine fühlbare Steuerentlastung einzusetzen. An den damit verbundenen Sparmaßnahmen beim Staat werden Sie angesichts der katastrophalen Entwick- Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: Meine lung der Finanzen auch bei den Sozialversicherungs- Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache trägern früher oder später nicht vorbeikommen, nur fort. Das Wort hat der Abgeordnete Löffler. daß es dann unseren Bürgern immer noch teurer zu stehen kommen wird. Löffler (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr verehr- Meine Damen und Herren, wenn Sie weiter auf ten Damen und Herren! Allzuviel haben wir ja diesem Kurs beharren, der sich abzeichnet, Unsicher- heute noch nicht über den Haushalt gesprochen. heit in dieses Land zu tragen, Unsicherheit in die Das mag wohl daran liegen, daß heute der unbe- Wirtschaft zu tragen — gar nicht mal aus böser Ab- deutende Tag ist, an dem die Opposition ihre häu- sicht, sondern Ihr Verhalten zwingt diesem Land fig angekündigte Herbstoffensive gestartet hat. Drei diese Atmosphäre auf — wenn beispielsweise die Angriffswellen haben wir ja bereits über uns erge- Verunsicherung und die fürchterlichen Folgen aus hen lassen müssen. Der erste Angriff war besonders dem Energiebereich dieses Land weiter schlagen und lang. Es krachte schrecklich und donnerte und blitzte, zusätzlich beeinträchtigen, dann werden Sie als Ver- aber es traf nichts — antwortliche Deutschland aus dem Kreis der wohlha- (Zurufe von der CDU/CSU) benden Industrieländer langfristig abmelden müs- sen. Dann heißt es: Dritte Welt, wir kommen. Das Platzpatronen oder offensichtlich völlig fehlge- haben Sie dann aber zu verantworten. schossen. Der zweite Angriff war schon ein bißchen geschickter; er wurde ganz geschickt eingeleitet, (Sehr wahr! bei der CDU/CSU — Löffler Nebelschwaden wurden geschossen; aber dann wur- [SPD] : Das glauben Sie doch selber nicht!) de der Nebel so dick, daß sich der Angriff verzettel- Meine Damen und Herren, angesichts der fortge- te; er erreichte uns auch nicht. Und der letzte An- schrittenen Zeit muß ich darauf verzichten, die Stel- griff, lieber Herr Kollege Haase, blieb offensichtlich lenprobleme, die natürlich auch in diesem Haushalt im eigenen Stolperdraht hängen. Sie werden verste- angesprochen werden müßten, hier im Detail zu er- hen können, daß wir keine allzugroße Angst davor örtern. Eine Regierung, die die Unsicherheit beseiti haben, was uns der Hauptstoß morgen bringen mag; 3544 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Löffler auch den werden wir, glaube ich, ganz, ganz gut relativ gute Stellung, die wir in der Welt einneh- überstehen. men, ist nicht von ungefähr. Weil wir gut dastehen, (Zurufe von der CDU/CSU) wird uns vom Ausland manchmal, vielleicht auch aus gewissen Neidkomplexen, Großmannssucht vorge- Einige Bemerkungen zum Haushaltsentwurf 1978. worfen. Dieser Vorwurf stimmt nicht. Vielmehr ver- Ich nehme an, daß wir noch bei späteren Gelegen- hält es sich so: die Menschen in unserem Lande wis- heiten um diesen Haushalt ringen werden, z. B. im sen, wie wirtschaftliche und soziale Not die Demo- Haushaltsausschuß und auch anläßlich der zweiten kratie wegspülen kann, wie diese Not zur Tritt- und dritten Beratung in diesem Hause. Angesichts leiter eines Diktators werden kann und wie dann der Bedeutung des Haushaltsplans ist es natürlich die Entwicklung überhaupt nicht mehr zu beeinflus- klar, daß sich dieses Ringen auch in echter Gegen- sen ist und bis hin zum Inferno führen kann. sätzlichkeit vollziehen soll. Aber trotz aller Gegen- sätzlichkeiten — ich meine nicht solche Gegen- Unsere Bürger sind durch historische Erfahrung sätzlichkeiten, wie sie meine liebe Kollegin Berger sensibel geworden und halten Disziplin. Sie wollen hier im Hause provoziert, wenn ich rede, sondern durch Maßlosigkeit nicht das gefährden, was sie echte politische Gegensätzlichkeiten — sollten drei haben, weil sie wissen, was danach kommt, kann Dinge nicht vergessen werden. Erstens, jeder Haus- nur schlechter sein. Diese Haltung ist nicht zu kriti- halt ist von den vorausgegangenen Haushalten ab- sieren, sondern sie ist ausdrücklich zu begrüßen. hängig. Er setzt gleichzeitig wichtige Merkposten für Denn wehe dem demokratischen Gemeinwesen, an künftige Haushalte. Insofern ist es nicht möglich, in das in aller Scheinheiligkeit immer höhere Anfor- einem Haushaltsjahr eine völlig neue Welt in Zah- derungen gerichtet werden bis hin zur Schwelle der len zu konzipieren. Zweitens, im Haushalt geht es Unerfüllbarkeit, um dann mit der gleichen Schein- um Zahlen. Sie sind zum Rechnen da und nicht dazu, heiligkeit feststellen zu können, diese Gesellschaft daß man sie mit Spekulationen, Verdächtigungen tauge nichts, sie müsse weg. und haltlosen Anwürfen befrachtet. Zahlen sollten zur Sachlichkeit zwingen. Drittens, gerade in Haus- (Beifall bei der SPD) haltsberatungen — das ist insbesondere der Oppo- Das ist zum Glück nicht die Haltung des weitaus sition gesagt — wird die Politik einer Nagelprobe größten Teils unseres Volkes. Deshalb haben auch unterzogen. Diese Nagelprobe besteht darin, daß Weltverbesserer mit ihren Ideologien von ganz man vom andern nicht mehr fordert, als man selbst rechts oder ganz links bei uns keine Chance. zu geben bereit und in der Lage wäre. Wir sind dankbar, daß die Bundesregierung in Der Entwurf des Haushaltsplans 1978 steht nicht dieser Zeit weltweiter wirtschaftlicher Schwierig- vereinzelt in der politischen Landschaft da. Man keiten das Steuer fest in der Hand hält. Die Bürger kann ihn nur dann richtig werten, wenn man ihn erkennen das durch ihre disziplinierte Haltung an. zu der sozialen und wirtschaftlichen Realität, wie sie Allerdings zeichnet sich ein guter Kapitän nicht da- in unserem Lande und auch in anderen Ländern be- durch aus, daß er stur einen einmal gewählten Kurs steht, in Beziehung setzt. Wie sieht diese Realität beibehält, egal, aus welcher wechselnden Richtung nun aus? In allen Industriestaaten der Erde ist seit der Wind nun pfeifen möge. Nein, ein guter Kapi- einigen Jahren festzustellen, daß die Industriepro- tän muß wissen duktion rückläufig ist oder gar stagniert, daß die (Wohlrabe [CDU/CSU] : Jährlich neue Lebenshaltungskosten kräftig steigen, daß die Stun- Steuergesetze!) denlöhne diese Entwicklung mitmachen und daß im Gefolge dieser Erscheinungen Arbeitslosigkeit auf- — lieber Kollege Wohlrabe —, wann er das Steuer tritt, die weit über dem Stand dessen liegt, was in herumzulegen hat. Unser weiß es. Zeiten günstigerer konjunktureller Entwicklungen (Beifall bei der SPD) zu verzeichnen war. Es ist ganz klar, daß diese Er- Zugegebenermaßen ist über die Kurskorrektur ziem- scheinungen Auswirkungen auf die Welthandels- lich viel geredet und spekuliert worden. Auch ein beziehungen haben mußten. paar Schiffsjungen und ein paar Schiffsstewards ha- Wenn man sich nun die internationalen Ver- ben an dieser Diskussion teilgenommen. Das hat gleichszahlen ansieht — ich will Sie zu dieser spä- aber zum Glück nicht den verunsichert, der in erster ten Stunde nicht anführen; bei dieser Besetzung des Linie den Kurs zu bestimmen hat. Hauses wäre es ja auch nutzlos —, dann stellt man Der Haushalt 1978 enthält gegenüber dem dies- fest, daß die Bundesrepublik Deutschland ver- jährigen Haushalt, gegenüber dem Haushalt 1977 gleichsweise gut, recht gut abgeschnitten hat, so eine gewisse Kurskorrektur. Während wir im Haus- daß man ohne weiteres die Aussage machen kann, halt und im Finanzplan dieses Jahres das Gebot der die Bundesrepublik Deutschland ist mit diesen welt- Konsolidierung an die erste Stelle gesetzt haben, weiten Wirtschaftserscheinungen besser fertig ge- werden wir, indem wir die Mehrausgaben und da- worden als andere Länder. mit die Neuverschuldung deutlich gebremst haben, Das kann jeder nachvollziehen, wenn er die Zah- den Haushalt 1978 stärker expansiv fahren. Diese len vergleicht, die auf den Seiten 248 und 249 des Politik der Haushaltskonsolidierung im vorigen Finanzberichts 1978 enthalten sind. Liebe Kollegin Jahr — das möchte ich nur einschieben und möchte Berger, ich möchte Ihnen natürlich auch einige echte darin meinen Kollegen Hoppe unterstützen — war Lebenshilfe gewähren, noch einmal: die Seiten 248 richtig und bleibt richtig. Schließlich wollen wir uns und 249 heute abend vor dem Zubettgehen. Die durch die Kosten für den Kapitaldienst in künftigen Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3545

Löffler Jahren nicht den finanziellen und damit den politi- Der Bundeshaushalt 1978 mit seinen rund 189 Mil- schen Spielraum völlig nehmen. Aber Güterabwä- liarden DM stellt zwar eine bedeutende wirtschaft- gung gibt es nicht nur im Recht, sondern auch in der liche Größe dar, die nicht zu unterschätzen ist, aber Politik und besonders in der Politik. sie repräsentiert nur zirka 15 % des Bruttosozial- (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Großer Beifall produkts. Damit sind die Möglichkeiten und die Grenzen dessen, was wir tun können, bereits ein- bei der Haushaltsgruppe der SPD! Kein deutig aufgezeigt. Die übrigen Gebietskörperschaf- einziger da!) ten sind darüber hinaus aufgerufen, unseren Kurs — Ja, wissen Sie, bei mir sind genauso wenig an- mitzumachen. wesend wie bei Ihnen, und ich muß sagen, auch (Lachen bei der CDU/CSU — Haase [Kassel] denjenigen, die jetzt noch anwesend sind, Herr [CDU/CSU] : Wir hören Ihnen zwar gern Kollege Jenninger, sollte man es eigentlich erlas- zu, aber mitmachen?! — Weitere Zurufe sen, noch Beifall zu klatschen. Es ist schon eine von der CDU/CSU) große Leistung von ihnen, daß sie sich in dieser Atmosphäre überhaupt noch eine Rede anhören. Wenn ich dann allerdings die Opposition höre, dann (Beifall bei der SPD) klingt immer wieder der Vorwurf heraus, der Staat mische sich zu stark ein. Er kann es gar nicht; er Im Laufe dieses Jahres stellte sich heraus, daß soll es, nebenbei gesagt, auch gar nicht. Die kun- sich der Erholungsprozeß in unserer Wirtschaft und digen Thebaner wissen ja auch, daß nicht wir die- insbesondere auch in den Volkswirtschaften ande- jenigen sind, die sich irgendwie einmischen, son- rer Länder sehr verlangsamte. Das bedeutete auch, dern daß von 100 Stellen aus der sogenannten freien daß die Arbeitslosen keine Chance hätten, wieder Marktwirtschaft Bitten an uns um finanzielle Hilfen in Arbeit zu kommen, wenn nicht zusätzlich etwas und Unterstützungen herangetragen werden, die wir geschähe, um die Konjunktur in Schwung zu brin- selbstverständlich auch gerne gewähren, wenn da- gen. Ein Mittel dazu sind die Ausgaben der Ge- mit eine soziale Notlage abgewendet wird. bietskörperschaften, also auch die des Bundes. Statt den Haushalt 1978 nach dem Finanzplan 1977 um (Beifall bei der SPD) nur 7,5 °/o steigen zu lassen, hat sich die Regierung Aber es ist dann nicht sehr fair, zu sagen: Ihr für eine kräftige Steigerungsrate von mehr als 10 °/o mischt euch zuviel in die Dinge ein. entschlossen. Das sind 4 Milliarden DM mehr Aus- gaben, als der Finanzplan vorsieht. Von Inflations- (Grobecker [SPD]: Recht hast du!) wirkung, Herr Kollege Haase, kann in diesem Zu- sammenhang gar keine Rede sein. Wir haben heute Expansion hat natürlich ihren Preis. Dieser Preis wird noch höher dadurch, daß wir im nächsten Jahr an Inflation nur eines bemerkt, nämlich die- Inflation der Redezeiten von Herrn Franz Josef Strauß, auch auf gewisse Steuereinnahmen verzichten wol- len. Die Nettokreditaufnahme wird wieder auf (Beifall bei der SPD und der FDP) 28 Milliarden DM steigen, eine Summe, die die was irgendwie wohl darauf zurückzuführen ist, daß Vorstellungskraft der meisten Menschen übersteigt. er sich immer mehr dem Punkt der Verzweiflung Rechnet man sie allerdings auf jeden Bundesbürger nähert. um, wird sie schon etwas handlicher. Dann sind es (Wohlrabe [CDU/CSU]: Der war gut! Da etwa 460 DM pro Kopf der Bevölkerung in der Bun- war alles zusammengefaßt, was bei euch desrepublik. Dann wird auch deutlich, daß diese mies war! Da ist abgewogen die Wahrheit Verschuldung nicht abenteuerlich, sondern vertret- gesagt worden!) bar ist. Die unabhängige Bundesbank ist der glei- chen Auffassung. Nun hat der Kollege Strauß heute früh eine sehr berechtigte Frage gestellt. Er hat nämlich die Frage Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein be- gestellt, lieber Herr Kollege Wohlrabe, welchen Sinn liebtes Spielchen bei der Betrachtung des Haushalts Finanzpläne noch hätten. Wir wissen natürlich, daß wird von den verschiedenen gesellschaftlichen die Finanzpläne wirklich nur eine sehr einge- Gruppen durchgeführt. Dieses Spielchen besteht schränkte Bedeutung haben. darin, daß man die Steigerungsraten für die ver- (Wohlrabe [CDU/CSU]: Herr Möller hat da schiedenen Ausgaben mit der Gesamtsteigerungs- früher aber anderes behauptet! Das ist eine rate des Haushalts vergleicht. Kommt dabei heraus, ganz neue Erkenntnis von Ihnen!) daß diejenigen Ausgaben, an denen man ein beson- deres Interesse zeigt, nicht in gleichem Maße stei- Insbesondere wissen das diejenigen, die diese gen, wird Protest eingelegt. Viele sehen Steige- Schriftstücke jedes Jahr sehr eingehend im Haus- rungsraten offensichtlich als ein Prestigeabzeichen haltsausschuß lesen müssen. Bei den Reden, die an, das die Bedeutung bestimmter politischer Auf- heute von der Opposition gehalten worden sind, gaben unterstreichen soll. Tatsache ist jedoch, daß stellt sich allerdings die Frage nach der Sinnfällig sich die Steigerungsraten nach den politischen Not- keit. Aber das nur nebenbei. wendigkeiten zu richten haben. Von der bewußten Expansion des Bundeshaushalts (Beifall bei der SPD) im nächsten Jahr sollte man sich keine Wunder erwarten. Wäre es, nebenbei gesagt, anders, könnten wir Po (Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Der baut schon litiker einpacken und nach Hause gehen. Wir vor!) brauchten die Haushaltsansätze der Vorjahre je- 3546 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Löffler weils lediglich um die Steigerungsrate hochrechnen Löffler (SPD) : Ja, selbstverständlich, sehr verehr- zu lassen. Das machen Computer. Dazu braucht man ter Herr Kollege Prinz Botho. Selbstverständlich ist keine Politiker. das ein Erfolg.

Die Steigerungsraten bei den Einzelplänen und bei (Lachen bei der CDU/CSU) den verschiedenen politischen Aufgaben, die in dem Wenn wir unter erschwerten wirtschaftlichen Bedin- Haushaltsplan mit Zahlen belegt sind, entsprechen gungen unser soziales Netz im wesentlichen beibe- unseren politischen Absichten. Die höchste Steige- halten können, ohne daß die Bürger höhere Lasten rungsrate hat der Einzelplan 23, wirtschaftliche Zu- zu tragen haben, ist das doch ein Erfolg. Das kön- sammenarbeit, mit fast 22 v. H. mehr als im Vorjahr. nen Sie doch nicht leugnen. Damit machen wir unsere Verpflichtung deutlich, (Widerspruch bei der CDU/CSU — Glos die wir als einer der großen Industriestaaten gegen- [CDU/CSU] : Wer zahlt denn das im End über den Völkern der Dritten Welt zu erfüllen ha- effekt?) ben. (Beifall bei der SPD und der FDP) — Na hören Sie mal, das ist doch wohl — so muß ich allen Ernstes fragen — nicht abzustreiten. Wir als eine Industrienation sind doch auf Welt- Gerade die Erhöhung des Volumens der Einzel- handel und weltweite Partnerschaft angewiesen. Wir pläne für Wirtschaft, Verkehr und Soziales zeigt wissen: die Hilfeempfänger von heute werden unse- unser eindeutiges Bemühen, unsere Lebensverhäl- re wertvollen Partner von morgen sein. nisse zu sichern, das Leistungsangebot zu erhalten Der Einzelplan 06, Inneres, weist die zweithöchste oder noch zu erhöhen, die soziale Sicherung auch Steigerungsrate auf. Das Volumen dieses Einzelplans unter erschwerten Bedingungen zu gewährleisten. wird vielleicht sogar noch wachsen. Darüber muß Auch unsere Ausgaben für die Forschung wachsen noch diskutiert und beraten werden. Das Mehr in überproportional. Mit anderen Worten: Dieser Haus- diesem Einzelplan bezeugt unter anderem auch un- halt ist fein abgestimmt und sorgfältig ausgesteuert. sere Absicht, die personellen und materiellen Vor- Er ist ein gut passender Teil für das Puzzlespiel der aussetzungen zu schaffen, um das organisierte Ver- Weltwirtschaft. brechertum noch wirkungsvoller bekämpfen zu kön- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir nen als bisher. sind davon überzeugt, daß der von uns vorgesehene Es folgen dann die Einzelpläne für Wirtschaft, Haushalt und die übrigen neun Programmpunkte, Verkehr und Soziales, die ebenfalls Steigerungsra- die wir zur Ankurbelung der Konjunktur aufgestellt ten aufzuweisen haben, die deutlich über 10 v. H. haben, positiv wirken werden. Der Haushalt ist si- liegen. cherlich ein besonders starkes und kräftiges Glied in - der Kette der Maßnahmen zur Ankurbelung der (Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein Konjunktur; aber es gibt daneben noch neun andere, [CDU/CSU] : Sagen Sie auch mal die Grün auf die ich jetzt nicht weiter eingehen will. de!) Wir sind davon überzeugt, daß unser Programm — Wenn Sie mich dauernd unterbrechen, sehr ge- positiv wirken wird. Dennoch sind wir selbstver- ehrter Herr Prinz Botho, dann kann ich nicht weiter- ständlich bereit, auch andere Gedanken aufzuneh- reden. Ich gehe weiter davon aus, daß Sie den heu- men und fordern ausdrücklich jeden auf, nicht nur tigen Abend vielleicht mit etwas Angenehmerem mitzuhandeln, sondern auch mitzudenken. Das gilt verbringen könnten, als sich von mir, den Sie in allererster Linie selbstverständlich für die Oppo- zwangsläufig in jeder Sitzung des Haushaltsaus- sition. schusses genießen müssen, darlegen zu lassen, wes- (Beifall bei der SPD) halb gewisse Einzelpläne in ihrem Volumen wachsen. Jeder sachlich begründete und ernst zu nehmende Vorschlag von Ihrer Seite (Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Jetzt kommt der Hauptstoß von ihm!) (Glos [CDU/CSU] : Wird abgeschmettert!) soll sachlich erörtert werden und wird dann auch — Ich will nicht stoßen; ich will auch keine Offen- unsere Zustimmung finden, wenn er die Nagelprobe sive machen. aushält. Hoffentlich sind solche Vorschläge im Pulverdampf der heute angelaufenen Herbstoffen-

Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: Gestat- sive noch zu erkennen. Daß wir uns vor dieser ten Sie eine Zwischenfrage? Offensive nicht fürchten, habe ich bereits gesagt, auch nicht vor dem Feldherrn und auch nicht vor seiner Strategie. Löffler (SPD) : Bitte, selbstverständlich. Wir meinen nur: Der Deutsche Bundestag ist kein Abenteuerspielplatz, sondern eine Stätte ernsthafter Prinz zu Sayn - Wittgenstein - Hohenstein (CDU/ Debatten. Das Volk erwartet von uns allen Lösungs- CSU) : Herr Kollege Löffler, wollen Sie im Ernst die vorschläge und keine Strategiespiele. Steigerungsrate im Einzelplan 11, die nichts ande- res als eine Reparatur der schlechten Gesetzgebung Was bisher an Vorschlägen aus den Reihen der dieses Sommers bedeutet, als einen Erfolg bezeich- Opposition zu hören war, war im Einzelfall ganz nen? publikumswirksam. In der Gesamtschau der Vor- Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3547 Löffler schläge stimmt jedoch manches nicht. Darum, meine gaben nicht mehr mit ihrem Gerede abseits zu ste- sehr verehrten Damen und Herren von der Oppo- hen, sondern sie kann kräftig mittun. Wir sind ge- sition, muß ich Sie bitten, Ihre Fraktionssitzungen spannt, was von Ihnen, meine Damen und Herren dazu zu benutzen, ernsthaft und sachlich zu disku- von der Opposition, in dieser Hinsicht an Vorschlä- tieren, und nicht so viel zu trampeln — uns fällt gen während der Beratungen eingebracht wird. unten fast immer die Decke auf den Kopf. Herr Barzel hat heute in seinem Beitrag gesagt: (Zuruf von der CDU/CSU: Sie sind sehr Die Regierung hat keine Mehrheit mehr. schulmeisterlich!) (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig gesehen!) Sie müßten tatsächlich Ihre verschiedenen Politik- Ich würde sagen: Wollen wir es einmal abwarten. bereiche besser aufeinander abstimmen. Da werden Der vorgelegte Entwurf zum Haushalt 1978 zeigt, Steuerentlastungen in Höhe von ca. 15 Milliarden daß die Bundesregierung in ungebrochener Kraft zu DM gefordert. Das ist doppelt soviel wie die .Steuer- handeln versteht und die Dinge nicht schleifen läßt. entlastung, die das Gesetz, das die Koalitionsfrak- tionen eingebracht haben, vorsieht. Das ließe sich (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/ ja noch hören. Aber wenn jedermann weiß, was CSU) vier deutsche Wirtschaftsinstitute auch bestätigt — Sie werden es ja erleben, Herr Haase. haben, nämlich daß zur Ankurbelung der Konjunk- Der vorgelegte Entwurf zum Haushalt 1978 zeigt tur eine verstärkte Investitionstätigkeit des Staates, ferner, daß Sicherheit und Stabilität nach wie vor der Gebietskörper- eine expansive Haushaltsführung einen hohen Rang in der Politik der Bundesregierung schaften notwendig ist, Sie dann jedoch auch noch einnehmen, daß die Bundesregierung bereit ist, den fordern, die Verschuldung solle heruntergesetzt außergewöhnlichen Zeiten mit außergewöhnlichen werden, dann ist das nicht auf einen Nenner zu Maßnahmen zu begegnen und daß die solide Haus- bringen. Wir können nur das eine tun. Wenn wir haltspolitik und aktive Konjunkturpolitik auf einen Ihre Ratschläge befolgen, gerieten wir in Gegen- Nenner gebracht worden ist, der als Kompromiß an- satz zu allen wirtschaftswissenschaftlichen Aus- genommen werden kann. sagen der Jetztzeit, nebenbei gesagt, auch in Gegen- satz zu der Meinung unserer wichtigsten Partner in Die Signale des Selbstvertrauens, der Handlungs- der Welt. Unsere Partner draußen haben sowieso bereitschaft und des Einfallsreichtums, die von die- nicht allzuviel Verständnis für unsere bisher mehr sem Haushalt ausgehen, sollten überall empfangen, zurückhaltende Art bei der Überwindung der welt- befolgt und weiterentwickelt werden, auch von weiten wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Sie trauen Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition. uns sehr viel mehr zu, als wir gegenwärtig leisten Die sozialdemokratische Fraktion ist jedenfalls dazu bereit und wird sich in diesem Sinne bei den Bera- und wahrscheinlich auch 1978 leisten werden.- Wir sind jedenfalls der Meinung daß sich der Staat in tungen des Haushaltsplanentwurfs verhalten. der jetzigen Situation nicht aus seiner Verantwor- Ich danke recht herzlich für Ihre Aufmerksamkeit tung zurückziehen und auf ein geruhsames Nacht- und hoffe, daß Ihnen nun der Abend nicht mehr mit wächterdasein beschränken kann, wie es offen- Politik weiter verdorben wird. sichtlich die Opposition will. Nein, nicht der Nacht- (Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe wächter ist gegenwärtig gefragt, sondern der ein- von der CDU/CSU) fallsreiche und energische Schrittmacher, und das wollen wir sein. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Schmitt -Vockenhausen: Das Wort hat Herr Abgeordneter Gärtner. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß auch die Opposition in ihrer Gesamtheit das eines Tages er- kennen wird. Ein Teil der Opposition hat es ja schon Gärtner (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen und erkannt. Nur spielen diese Herren offensichtlich in Herren! Herr Kollege Löffler, ich weiß nicht, wie der Herbstoffensive keine Rolle. Deshalb habe ich ernst oder wie liebenswürdig das, was Sie am sie auch heute noch gar nicht im Saal gesehen. Schluß gesagt haben, gemeint war. Wenn Sie es weder ernst noch liebenswürdig gemeint haben, fin- (Kühbacher [SPD] : Verlangen Sie nichts de ich dies noch schlimmer. Man muß gelegentlich Unmögliches!) auch darauf achten, daß nach einem selbst noch je- — Sie haben recht, Herr Kollege Kühbacher. Man mand kommt, Herr Kollege Löffler. geht vielleicht doch mit seinen Idealvorstellungen Herr Kollege Haase, ich hoffe nicht, daß wir uns ein bißchen zu weit; sie gehen dann irgendwann ein- noch über das Land, über das Sie gesprochen haben, mal mit einem durch. Aber ich bin an und für sich ein streiten müssen. Ich hatte manchmal den Eindruck, Mensch, der den Glauben nicht aufgibt. Wenn ich die daß Sie die Situation in diesem Land in Ihren Be- andächtigen Gesichter der Oppositionsmitglieder hier merkungen nicht gerade korrekt wiedergegeben ha- so vor mir sehe, glaube ich doch, daß das einen ge- ben. Ich hoffe, daß Sie sich mit dem Satz „Ab in die wissen Erfolg haben kann. Dritte Welt" nur bis zur nächsten Woche abgemel- (Beifall bei der SPD — Glos [CDU/CSU] : det haben und bei den Haushaltsberatungen wieder Wir warten immer darauf, ob noch etwas da sind. kommt!) Die Bundesregierung hat dem Parlament nach Die Opposition braucht dann bei der Bewältigung meinem Eindruck einen Haushaltsplanentwurf vor- unserer großen wirtschaftlichen und sozialen Auf gelegt, der in seinen Schwerpunkten die politischen 3548 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Gärtner Ziele dieser Regierung und auch der sie tragenden Thema der Verschuldung wieder eine Rolle spielen. Koalitionsparteien deutlich macht. Auf der Einnah- Dazu ist heute morgen schon — mit bayerischen Ak- meseite verzichten wir auf Steuergelder und ver- zenten versehen — etwas vorgetragen worden. Ich binden damit den Wunsch, daß Verbraucher und freue mich, sagen zu können, daß sich der Kollege Investoren sich so verhalten, daß die konjunkturelle Strauß, der im nächsten Jahr, wie ich annehme, den Entwicklung in die Zuwachszone führt. Wir haben bayerischen Haushalt zu begründen haben wird, ein Bündel steuerlicher Maßnahmen beschlossen; dann mit der dortigen Opposition über seine eigene und ich hoffe, daß diejenigen, die davon Vorteile Verschuldungsrate ebenfalls streiten wird. Ich neh- haben werden, ein konjunkturgerechtes Verhalten me an, er wird dieses Thema dann allerdings auch in an den Tag legen. Es ist auch nicht zu vergessen, daß seiner unnachahmlichen Art und Weise verniedli- wir in diesem Jahr bereits eine Reihe von konkre- chen. ten steuerpolitischen Maßnahmen beschlossen ha- (Kühbacher [SPD]: Hoffentlich bald!) ben. Mit diesen Maßnahmen zusammen, die nach — Ja, dies ist eigentlich auch ein Grund gewesen, Zustimmung durch den Bundesrat wirksam werden warum man ihm heute morgen noch anderthalb können, sind alle Voraussetzungen geschaffen, daß Stunden zuhören konnte: Es war wahrscheinlich sein in diesem Lande wieder mehr investiert wird. Wenn letzter Auftritt. Investitionen allerdings weiterhin ausbleiben, so gibt es dafür eigentlich keine ernsthafte Entschuldi- Insbesondere die Damen und Herren von der Op- gung mehr position haben, wie gesagt, auf diesen Verschul- (Beifall bei der FDP und bei der SPD — dungsstand hingewiesen. Sie müssen aber, auch Glos [CDU/CSU] : Diese Regierung ist die wenn Sie auf dem Verschuldungsprinzip herumrei- Entschuldigung!) ten, natürlich gelegentlich zeigen, daß Sie bei dem, was zur Verschuldung beiträgt, nämlich bei der Ver- — Vorsicht, Herr Kollege Glos, Sie hätten fast in abschiedung ausgabewirksamer Gesetze hier im mein Manuskript sehen können —, es sei denn, die Plenum nicht gerade abseits gestanden haben. Sie Unternehmungen wollen den verhängnisvollen Satz haben kräftig mitgemacht. des Vorsitzenden der CDU in Nordrhein-Westfalen bestätigen, der vor der Wahl am 4. Mai 1975 ge- (Zustimmung bei der FDP und bei der SPD sprachen wurde und wie folgt lautet: „Die beste — Glos [CDU/CSU] : Wer hat denn die gan Konjunkturpolitik ist ein Wahlsieg der CDU." zen Schulden gemacht?) (Glos [CDU/CSU] : Das hat er richtig ge — Wer will denn noch mehr Steuererleichterungen sehen!) und Steuerentlastungen haben? In der Debatte im Wer dieses hier behauptet, Herr Glos, bringt natür- Juni dieses Jahres — so lange ist das noch gar nicht her — hat der Kollege Häfele, der so etwas wie ein lich das Investitionsverhalten von deutschen- Unter- nehmern in ein seltsames Zwielicht. altbadischer Glistrup ist, hier gesagt: Der Staat braucht zwar mehr Geld, aber weniger Steuern. — (Beifall bei der FDP und bei der SPD) Das ist wirklich eine pfiffige Melodie. Ein zweiter Schwerpunkt des Bundeshaushaltes (Beifall bei der FDP und bei der SPD) sind die strukturell wirksamen Maßnahmen und auch die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Die Von einem Staat, den man verantwortungsvoll re- Beratungen des Bundeshaushalts im Haushaltsaus- gieren muß, kann man anscheinend alles verlangen. schuß werden daran gemessen, d. h., wir, die Koali- Daß der Bürger in diesem Lande Ihre Haltung etwas tionsfraktionen, werden danach unsere Beratungen zu würdigen weiß, werden Sie ja an den bisherigen ausrichten. Alle Maßnahmen, die eine positive kon- Wahlergebnissen abgelesen haben, und an den zu- junkturelle Wirkung haben und zugleich struktu- künftigen werden Sie es hoffentlich auch noch able- rell wirksam werden, sind vorrangig zu bedienen. sen können. Ich erinnere dabei an das Kooperationsangebot, (Löffler [SPD]: Sehr gut!) Herr Kollege Haase, das Sie soeben hier gemacht Der Wähler hat Ihnen ja bisher diesen Zugriff zur haben. Die Anstoßwirkung öffentlicher Haushalte Macht immer etwas schwieriger gemacht, und ich sollte man aber natürlich auch nicht überschätzen. hoffe, er wird ihn Ihnen auch in Zukunft noch Sicherlich brauchen wir öffentliche Investitionen. schwieriger machen. Wir brauchen gezielte öffentliche Investitionen. Was uns im Augenblick aber auch fehlt, sind private In- Meine Damen und Herren, die Verschuldung ist vestitionen. Wir haben die Voraussetzungen dafür — und darüber müssen wir auch im Ausschuß ernst- geschaffen. Ich meine, diese Investitionen fänden in haft diskutieren — nicht so ohne weiteres zu gei- einem Land statt, in dem es sich nach meiner Auf- ßeln. Sie ist nach meiner Auffassung vertretbar, fassung lohnt, zu investieren, in einem Land, das allerdings auch nur dann, wenn in dieser heutigen einen sozialen Frieden wie kein anderes Land auf Zeit Dinge finanziert werden, die eine mittel- und dieser Welt kennt. langfristige Perspektive haben, wenn also heute In- (Beifall bei der FDP und bei der SPD) vestitionen getätigt werden, die zukünftige positive Wirkungen haben, von denen mehrere Generatio- Von daher kann man in Abwandlung eines berühm- nen etwas haben. Dies ist in einem normalen Unter- ten Satzes sagen: „Nun investiert mal schön." nehmen üblich; der Staat sollte sich nicht anders Gewiß wird in der zukünftigen Debatte und auch verhalten. Das mehrjährige Investitionsprogramm während der Beratungen im Haushaltsausschuß das ist darauf angelegt, und es ist ja auch feststellbar, Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3549

Gärtner daß die Gebietskörperschaften diesen Anstoß auf- sen sollte, in einen anderen Bereich der Stadt um- genommen haben. zusiedeln. Die Stadt Krefeld kann es nicht tun, weil die Quoten, die insgesamt für den Regierungsbezirk Was nach meinem Eindruck verbessert werden Düsseldorf ausgelobt sind, überhaupt nicht mehr aus- muß, ist zweierlei: Wir müssen noch stärker dazu reichen, so daß die eine Maßnahme, die einen erheb- beitragen, daß wir unsere Umwelt konsequent sanie- lichen Multiplikationseffekt hätte, nicht getroffen Insbesondere alte Industrieregionen müssen in ren. werden kann. Ob das der Sinn der ganzen Angele- den Stand versetzt werden, wieder investitionsfähig genheit sein soll, wage ich zu bezweifeln. zu werden, Im Zusammenhang mit der kritischen Frage nach (Glos [CDU/CSU]: Dazu brauchen sie Ge der Wirksamkeit öffentlicher Investitionen wird -winne!) gelegentlich gesagt, daß viele öffentliche Institutio- dies heißt im Grunde: wieder erweiterungsfähig zu nen nicht zusätzlich notwendig wären, wenn be- werden. Denn es ist meines Erachtens zu teuer, daß stimmte andere Investitionen wirksam wären. Ge- Kapital in die Regionen gelenkt wird, in denen Er- dacht wird da üblicherweise an den Kraftwerkbau, weiterungen noch möglich sind, und daß anschlie- insonderheit an den Kernkraftwerkbau. Es ist mei- ßend über Mobilitätshilfen der Faktor Arbeit hinter- nes Erachtens nicht zulässig, daß Mißtrauen der hergeschickt wird. Sanierung am Ort heißt aber Bürger gegen das Kernkraftwerkzubauprogramm da- auch, daß wir nicht nur Umweltschutznormen erlas- mit zu diskreditieren, daß man sagt, dies ist die sen müssen; vielmehr muß es den Unternehmungen Form der privaten Interessenwahrnehmung. Der Zu- möglich sein, diese Umweltschutznormen zu finan- bau von Kernkraftwerken in diesem Lande ist nicht zieren. Es ist keine Abkehr vom Verursacherprinzip, ein rein ökonomisches Problem; er hat außerdem wenn der Staat da helfend eingreift. Dies gibt es ja eine Dimension, die es notwendig macht, differen- schon im § 7 d des Einkommensteuergesetzes. Wir zierter darüber nachzudenken. Und es scheint mir sollten hier ein Instrument entwickeln, das den Un- eben nicht richtig zu sein, diejenigen zu diskredi- ternehmungen die Finanzierung ermöglicht. Es muß tieren, die darüber nachdenken, ob dieser Zubau nach meiner Meinung möglich sein, Abschreibungs- von Kernkraftwerken in unserem Lande in dem Aus- firmen nicht nur, sagen wir einmal, in Sachen Hotel- maß, wie er vorgesehen ist, noch notwendig bzw. und Wohnungsbau zu finanzieren, sondern sich auch, vertretbar ist. wenn man so will, in diesem Bereich des Umwelt- Jede Bürgerinitiative in diesem Lande sollte schutzes etwas einfallen zu lassen. grundsätzlich Anlaß für uns zum Nachdenken sein, Ich bin der Auffassung, daß viele kritische Anmer- u. a. auch deshalb, weil sie ein gewisses Mißtrauen kungen zur Durchführung des Investitionsprogramms gegen die demokratischen Parteien in diesem Lande hier nicht ganz ehrlich wiedergegeben worden- sind. zum Ausdruck bringen können. Wenn eine erfor- Es wird da erzählt, der Instanzenweg der Begutach- derliche Diskussion innerhalb der Parteien gelegent- lich nicht stattfindet, verlagert sie sich natürlich tung sei viel zu lang, und dies alles bleibe ja in der nach draußen. Wir wundern uns dann, wenn sich Bürokratie hängen. In vielen Fällen müssen wir uns bei der Durchführung von bestimmten Projek- uns darüber im klaren sein, daß das Verfahren, das ten Probleme entgegenstellen, die doch nur deshalb wir uns hier jetzt eingehandelt haben, Ausfluß des auftreten, weil wir im Parlament zuwenig kritisch föderalen Systems ist. diskutieren. (Glos [CDU/CSU] : Ein gutes System!) Wer auf der einen Seite den mündigen Bürger — Herr Glos, das weiß ich; in Bayern klingt es ja fordert, darf natürlich nicht hingehen und sich be- immer besser, wenn man darüber redet. klagen, wenn der Bürger — auch wenn er noch nicht (Glos [CDU/CSU] : Am allerbesten!) dem Idealbild entspricht, das wir uns vom mündi gen Bürger vorstellen — von dem Recht, das wir Nur, Sie müssen eines bedenken: Gerade die baye- ihm zubilligen, nämlich sich als mündiger Bürger rische Klage hat uns dazu veranlaßt und wird uns zu verhalten, auch Gebrauch macht. in Zukunft dazu veranlassen, den direkten Weg von (Beifall bei der FDP und der SPD—Carstens Bundesinvestitionen nicht mehr gehen zu können, [Emstek] [CDU/CSU] : Aber nicht mit Schlag wenn Länder und Kommunen beteiligt sind. Dies stock!) heißt natürlich Verlängerung der Maßnahme, und ich finde, man muß schon wissen, was einem der — Herr Carstens, das ist noch nicht einmal ein pfif- Föderalismus wert ist. figer Zwischenruf gewesen. Es gibt natürlich noch andere Probleme. Z. B. ist Aber man muß sich doch wirklich einmal Gedan- festzustellen, daß das Prinzip der Quotierung der ken darüber machen: Wer in diesem Lande sagt, Mittel auf die Bundesländer dazu führt, daß die Bun- Demokratie müsse auch dann stattfinden, wenn sie desländer in sich wiederum auch ein Quotierungs- weh tue — insoweit weh tut, als bestimmte Maß- verfahren auf die Regionen anwenden, und dies gibt nahmen, die eine Regierung durchführt, kritisiert manchmal keinen Sinn. Mir ist z. B. aus dem Bereich werden, egal ob es sich nun um diese Bundes- einer Gemeinde — das ist die Stadt Krefeld — regierung oder beispielsweise um die Landesregie- rung in Schleswig-Holstein handelt —, muß wissen, (Glas [CDU/CSU] : Nicht in Bayern!) daß er sich seine Bürger nicht aussuchen kann. bekannt, daß es den Bereich ,,Betriebsverlagerung" Wenn heute morgen der kritische Geist soviel be- gibt, der in diesem Falle eine Firma dazu veranlas müht worden ist, dann muß doch festgestellt wer- 3550 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 Gärtner den, daß man sich nicht die Freiheit nehmen darf, gründet haben. Ich schlage daher vor — das haben diesen kritischen Geist in einen guten und in einen wir auch schon bei den letzten Haushaltsberatun- schlechten zu dividieren. gen getan —, an die Kapitalerhöhung bei der Deut- (Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. schen Gesellschaft für Entwicklungshilfe und bei Mertes [Gerolstein] [CDU/CSU] : Das müs der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit in sen Sie mal Ihrer Fraktion sagen!) Frankfurt-Eschborn heranzugehen. Wir werden, wie gesagt, in diesem Bereich aktiv werden. Ich meine, — Wir reden in unserer Fraktion, wie Herr Lambs- wir können auf diese Weise mit dem, worauf wir dorff schon dargestellt hat, sehr offen und sehr stolz sind, nämlich unserem inneren Frieden, auch freundlich miteinander. Das Verhalten unserer Frak- draußen im Verhältnis zu den Ländern der Dritten tion ist mir lieber als das Verhalten in anderen und Vierten Welt Erfolge erzielen. Fraktionen, das gelegentlich mit etwas weniger Dis- kussion, dafür aber mit geschlossenem Auftreten Ein weiterer wesentlicher Bereich in unserem verbunden ist. Das mag in der Wirkung nach drau- Haushalt 1978 wird der Bereich der inneren Sicher- ßen einen gewissen Vorteil haben. Ich gebe zu: Es heit sein. Es ist nicht sehr einfach, in diesen Tagen gibt Strategen, die der alten Parteitheorie nachhän- über das zu diskutieren, was in diesem Bereich sinn- gen und sagen, geschlossenes Auftreten nach drau- voll ist. Lassen Sie mich hier nur folgendes sagen. ßen bringe auch Wählerstimmen. Wissen Sie, wir Ich bin der Auffassung, daß es nicht darum geht, haben mit unserem Auftreten bisher auch nicht eine Vielzahl von Beamten einzustellen und dem schlecht dagestanden. Auch Sie haben mit Ihrem Bürger zu sagen, daß dieses Land damit sicherer Auftreten nicht schlecht dagestanden, aber Gott sei. Ich bin der Auffassung, daß dieses Land seine sei Dank nicht so gut, wie Sie erwarteten. innere Sicherheit nicht dadurch erhält, daß es Quan- tität statt Qualität in diesem Bereich schafft. (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU] : Sie sind schon ein netter Mensch!) (Beifall.bei der SPD) — Lieber Herr Kollege Riedl, im Augenblick rede Es ist auch notwendig, wie gesagt, in diesem Be- ich nicht vom Abstieg. reich qualitativ Verbesserungen vorzunehmen. Ein wesentlicher Teil der Beratungen des Haus- Lassen Sie mich noch eine kleine Anmerkung haltes 1978 wird wohl dadurch bestimmt werden, zum Bereich des Innenministers machen. Wir ha- daß über die Entwicklungshilfe gestritten wird. ben im letzten Haushaltsjahr gehört, daß es in Viele unserer Kollegen, insbesondere von der CDU/ Sachen Dienstrechtsreform etwas Neues geben soll. CSU, werden bereit sein, einiges von ihren Vor- Ich bedaure, daß wir bisher noch keine entspre- urteilen dann auch öffentlich zu wiederholen. chende Vorlage haben. Ich hoffe, daß wir bei den Beratungen im Haushaltsausschuß dann entspre- (Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!) - chend ausgerüstet werden. Denn ich bin der Mei- Ich bin allerdings nicht bereit, einer Politik zuzu- nung, in diesem Bereich muß man endlich einmal stimmen, die darin besteht, daß die Bundesrepublik Nägel mit Köpfen machen, weil wir dieses Thema Deutschland im Nord-Süd-Dialog mit den alten La- nicht als Dauerhit in die 80er Jahre hineintragen denhütern auftritt, die uns das politische Geschäft sollten. in Sachen Ost-West jahrelang erschwert haben. (Zuruf von der SPD: Überfällig!) Zu einer erfolgreichen Entwicklungspolitik ge- — Überfällig. hört allerdings auch — das ist eine Bemerkung, Ich hatte bei der ersten Lesung des vergangenen die auch in die Haushaltsberatung gehört — die Haushaltes einige kritische Bemerkungen zum Wirt- Zustimmung der Bevölkerung dieses Landes. Diese schaftsrahmen gemacht. Es hat mich eigentlich ge- Zustimmung wird sicherlich nicht gefördert, wenn wundert, daß die Redner der Opposition hier nicht man eine Anzeigenserie auflegt, die im Grunde die noch einmal voll zugeschlagen haben. Ich darf daran Vorurteile, die in diesem Lande gegenüber Entwick- erinnern, daß wir uns bei den letzten Haushaltsbe- lungshilfe bestehen, in einer seltsam verschrobenen ratungen darüber Gedanken gemacht haben, wie didaktischen Form darstellt. Ich darf für mich fest- wir hier eine stärkere Beteiligung des Parlaments stellen, daß die bisher angelaufenen Anzeigen nach erreichen können. Wir sollten uns alle der Mühe meiner Meinung nicht zur Erhöhung der Zustim- unterziehen, das Verfahren der Bürgschaftsgewäh- mung der Bevölkerung unseres Landes zur Entwick- rungen im Ausschuß noch einmal unter die Lupe zu lungshilfe beitragen werden. Ich halte die Anzeigen, nehmen. Denn mittlerweile hat sich ein Risiko an- die bisher erschienen sind, für zu teuer und in der gesammelt, das der Dispositionsgewalt des Parla- Sache für qualitativ nicht gut genug. ments entzogen ist. Wir müssen im übrigen von einer Entwicklungs- Die Konjunkturlenker aller industrialisierten hilfe wegkommen, die sich beschränkt auf kleine, westlichen Staaten haben Lenkungsprobleme. Die bis ins letzte durchgeprüfte Projekte. Diese Pro- Wirtschaft ist nicht per Knopfdruck einzuschalten jekte sind zwar wohlvorbereitet, werden wunderbar oder über einen Gleitwiderstand behutsam in der durchgeführt, stellen sogar den Rechnungshof zu- Wachstumsgeschwindigkeit je nach Belieben zu re- frieden, aber von ihnen geht kein entscheidender gulieren. Konjunkturpolitik, auch und gerade in der Impuls für das zu entwickelnde Land aus. Nach gegenwärtigen Situation der Weltwirtschaft, hat meiner Auffassung ist es insoweit sinnvoller, daß nach meinem Dafürhalten national ihre Wirksam- wir uns wieder der Gesellschaften und Institu- keitsgrenze erreicht. In den Zeiten, in denen in die- tionen bedienen, die wir ja nicht ohne Grund ge- sem Lande Nachholbedarf in fast allen Sektoren Deutscher Bundestag 8. Wahlperiode — 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Oktober 1977 3551 Gärtner bestand, wie dies in den 50er und 60er Jahren der wohl auch deshalb so ab, weil hier gelegentlich Fall war, ging das Anwerfen der Konjunktur mit nicht offen genug darüber diskutiert wird. „einfachen" konjunkturpolitischen Maßnahmen noch sehr gut. Heute, in einer Zeit, die deshalb so schwie- Lassen Sie mich noch zum Abschluß folgendes sa- rig ist, weil es auch strukturelle Ursachen der Krise gen. Wir werden auch bei den nächsten Haushalten gibt, läßt sich meines Erachtens nicht so einfach wie kritische Diskussionen darüber zu führen haben, wie früher Politik machen. Es läßt sich auch — das sei und in welchen Bereichen öffentliche Investitionen Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposi- notwendig sind. Wir sollten diesen Weg der Diskus- tion, gesagt — nicht mehr so leicht wie früher Oppo- sion nicht dadurch verstellen, daß wir mit der ideo- sitionspolitik machen. Daß dieser Prozeß des Ler- logischen Fliegenpatsche kommen. Der Kollege nens noch nicht völlig hinter. Ihnen liegt, erleichtert Vogt aus der CDU-Fraktion hat dies in Berlin nach uns auch im Grunde das Regieren. meinem Dafürhalten sehr zutreffend gesagt: mit Tot- schlageargumenten wird man dem Problem nicht ge- Die begrenzte Wirksamkeit staatlicher Konjunk- recht. Wir sollten uns alle die Mühe machen, eine turpolitik, die längerfristigen Entwicklungsperspek- vernünftige sachliche Diskussion zu führen, und mit tiven des Arbeitsmarktes sowie die Tendenzen zur den Vorwürfen der ideologischen Verklemmtheit Unterauslastung der Produktionskapazitäten geben sehr zurückhaltend umgehen. Dies ist nämlich keine Anlaß, nach den Handlungsmöglichkeiten einer Position im Haushalt. Wir sind da etwas nüchter- Wachstumspolitik zu fragen, weil in den schon er- ner. Ich glaube, daß wir in diesem Bereich auch in wähnten 50er und 60er Jahren die Wachstumspoli- Zukunft noch zu guten Ergebnissen kommen kön- tik insgesamt konsensfähig und allenfalls die Rei- nen. henfolge der Lückenfüllung streitig war. Die Diskus- (Beifall bei der FDP und der SPD) sion über die Zielrichtung der Wachstumspolitik fin- det hier ja nur sehr verkümmert statt. Der Bürger diskutiert sie, und er handelt auch schon entspre- Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: Meine chend, wenn er sich z. B. gegen bestimmte Kraft- Damen und Herren, wir unterbrechen an dieser werkszubauten oder dagegen wendet, daß bestimm- Stelle die Aussprache über das Haushaltsgesetz. Ich te Straßen gebaut werden. Dies alles ist eine Art schließe die heutigen Beratungen. Bürgermitwirkung, auch hinsichtlich der Zusammen- Die Sitzung ist geschlossen. setzung des Wachstums. Um keine Mißverständnis- se aufkommen zu lassen: Diese Mitbestimmung läuft (Schluß der Sitzung: 18.56 Uhr)

Deutscher Bundestag - 8. Wahlperiode - 46. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5.. Oktober 1977 3553*

Anlage zum Stenographischen Bericht

Anlage Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich

Liste der entschuldigten Abgeordneten Lemmrich ** 7. 10. Lemp * 7. 10. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lenzer ** 7. 10. Marquardt ** 7. 10. Adams * 6. 10. Dr. Mende ** 7. 10. Dr. Ahrens ** 7. 10. Milz ** 7. 10. Dr. Aigner * 7. 10. Möhring 7. 10. Alber ** 7. 10. Dr. Müller ** 7. 10. Dr.Bardens ** 7. 10. Müller (Mühlheim) * 7. 10. Dr. Bayerl * 6. 10. Neuhaus 5. 10. Böhm (Melsungen) ** 7. 10. Pawelczyk ** 7. 10. Frau von Bothmer ** 7. 10. Reddemann ** 7. 10. Brandt 7. 10. Dr. Schäuble ** 7. 10. Büchner (Speyer) ** 7. 10. Scheffler ** 7. 10. Frau Eilers (Bielefeld) 7. 10. Schmidhuber ** 7. 10. Dr. Enders ** 7. 10. Schmidt (Kempten) ** 7. 10. Dr. Evers ** 7. 10. Schmidt (München) * 7. 10. Fellermaier * 5. 10. Schmidt (Würgendorf) ** 7. 10. Dr. Geßner ** 7. 10. Schreiber * 6. 10. Haase (Fürth) * 7. 10. Schwabe * 7. 10. Handlos ** 7. 10. Dr. Schwencke (Nienburg) ** 7. 10. Frau Dr. Hartenstein 7. 10. Seefeld * 7. 10. von Hassel ** 7. 10. Sieglerschmidt * 6. 10. Hoffmann (Saarbrücken) * 6. 10. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim ** 7. 10. Dr. Holtz ** 7. 10. Dr. Staudt 7. 10. Frau Hürland 5. 10. Frau Steinhauer 7. 10. Dr. Klepsch * 7. 10. Ueberhorst ** 7. 10. Klinker * 7. 10. Dr. Vohrer ** 7. 10. Lagershausen ** 7. 10. Wehner 7. 10. Lange * 7. 10. Dr. Wörner 7. 10. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen von Wrangel 7. 10. Parlaments Würtz * 7. 10. ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Zebisch ** 7. 10. Versammlung des Europarates Zywietz * 6. 10.