31. März 1965: Fraktionssitzung 1
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FDP – 04. WP Fraktionssitzung: 31. 03. 1965 31. März 1965: Fraktionssitzung ADL, Bestand Wolfgang Mischnick, A40-768. Überschrift: »Kurzprotokoll der Frakti- onssitzung am 31. [März]1 1965«. Beginn: 14.40 Uhr. Vorsitz: Mende, später: Zoglmann. Entschuldigte Fraktionsmitglieder: 17.2 Gäste: nachmittags Mitglieder des Bundesvor- stands. Sitzungsverlauf: A. Bericht über die Vorgänge um den Rücktritt von Bundesjustizminister Bucher und die Neubesetzung des Ministeriums mit dem CDU-Abgeordneten Weber. B. Aussprache über die deutsch-israelischen Beziehungen. C. Bericht über den Stand der Diskussion über die Vermögensbildung. D. Fraktionsarbeit. E. Vorbereitung der Tagesordnung. [A.] I. Gemeinsame Sitzung mit dem Bundesvorstand Dr. Mende berichtet über die Vorgänge um den Rücktritt Dr. Buchers und die Neube- setzung des Justizministeriums mit dem CDU-Abgeordneten Weber3. Er verliest Dr. Buchers Brief an den Bundeskanzler, in welchem B[ucher] um Entbindung von seinem Amt bat, und gibt sein Schreiben an den Kanzler zur Kenntnis, mit dem er noch einmal zum Ausdruck brachte, daß die FDP mit einer Neubesetzung des Justizministeriums nicht einverstanden sein könnte. Er begründet seine Meinung, daß die FDP aus der Ernennung Webers keinen Koaliti- onsfall machen sollte; es geht darum, sich auf keinen Fall durch Strauß4 bis zum Koali- tionsbruch provozieren zu lassen. Vom Kühlmann-Stumm ergänzt den Bericht über die Verhandlungen mit dem Kanz- ler und dem Koalitionspartner. Die Beauftragten der Fraktion hätten in den Verhand- lungen versucht, mit sehr harten Worten die Fraktionsmeinung durchzusetzen. Alle Beteiligten haben das Äußerste des Möglichen versucht, die berechtigten Wünsche der FDP zur Geltung zu bringen; aber die CDU habe »ein Höchstmaß an bösem Willen« gezeigt. Mischnick bittet um eine ganz nüchterne Beratungsführung, frei von allen Emotionen, Er ergänzt und unterstützt die Darstellungen von Dr. Mende und des Fraktionsvorsit- zenden von Kühlmann-Stumm (»die Behauptung, hier wären irgendwelche Dinge da- neben gegangen, ist absolut falsch!«). Er bestätigt, daß der Kanzler noch am Donners- tagabend bereit gewesen sei, Bundesminister Niederalt5 mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Bundesjustizministers zu beauftragen, aber dann unter dem Druck von 1 Im Original fälschlicherweise: »April«. 2 Burckardt, Danz, Dörinkel, Dorn, Effertz, Eisenmann, Ertl, Hammersen, Hellige, Kreitmeyer, Mauk, Ollesch, Rademacher, Spitzmüller, Wächter, Atzenroth, Kohut. 3 Karl Weber, MdB (CDU), Vorsitzender des Arbeitskreises I (Allgemeine und Rechtsfragen) in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. 4 Franz Josef Strauß, MdB (CSU), Vorsitzender der CSU-Landesgruppe, stellvertretender Vorsitzen- der der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Landesvorsitzender der CSU. 5 Alois Niederalt, MdB (CSU), Bundesminister für Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder. Copyright © 2018 KGParl 1 FDP – 04. WP Fraktionssitzung: 31. 03. 1965 Strauß und eines großen Teiles auch der CDU-Fraktion (Rasner6: »Bucher oder Jae- ger7!«) sich zu einer Neubesetzung entschlossen habe. Im ganzen habe sich wieder einmal gezeigt: »Wenn wir in personellen Dingen hart sind, dann geht es meistens schief; wenn wir in sachlichen Dingen hart bleiben, dann haben wir meistens Erfolg gehabt; das sollte für die Zukunft beachtet werden.« In der Aussprache setzt Dr. Mende dem Einwand von Dr. Krümmer, daß die sehr gute Öffentlichkeitswirkung des Rücktritts von Dr. Bucher durch die wechselvollen Erklä- rungen aus dem Fraktionsvorstand sehr beeinträchtigt worden sei, noch einmal den tatsächlichen Ablauf der Geschehnisse entgegen. Zu der Frage Dr. Krümmers, auf welche Beschlüsse sich der Brief Dr. Mendes an den Kanzler stütze, verweist Dr. Mende auf Besprechungen im Fraktionsvorstand in Gegenwart von Weyer8 und Dr. Friderichs9 u. a. Er, Dr. Mende, sehe den Brief als Ausdruck der Meinung der Fraktion an. Die Neubesetzung des Justizministeriums sei ein unfreundlicher Akt gegenüber der FDP, mit dem niemand einverstanden sein könne; aber auch die Fraktion sieht darin keinen Anlaß zu einer Koalitionsfrage. Schultz: Der Vorstand war aus der Situation heraus zum schnellen Handeln gezwungen und mußte gewisse präjudizierende Entscheidungen treffen mit sorgfältiger Abwägung der Meinungsmöglichkeiten in der Fraktion. Aber nun müssen wir zu einer Stellung- nahme kommen, in der klar herausgestellt wird, daß das Verhalten der CDU nicht ko- alitionsfreundlich war. Frau Dr. Heuser warnt davor, den Brief von Dr. Mende zu desavouieren. Dürr trägt folgende Meinung vor: Die FDP wollte eine Interimslösung für die Wahr- nehmung des Justizministeramtes. Durch die Besetzung mit Weber ist praktisch eine solche Interimslösung zustande gekommen Wenn diese Lösung auch nicht ganz den Wünschen der FDP entspricht, so ist sie jedoch besser als ein Koalitionsbruch mit der Konsequenz einer Minderheitsregierung CDU/CSU und Strauß als Vizekanzler. Nachdem Dr. Bucher die Motive dargelegt hat, die ihn zu seiner Haltung bestimmt hatten, begründet Weyer die Notwendigkeit der harten Formulierungen in dem Brief von Dr. Mende an den Kanzler. Die Stimmung in der Partei lasse darauf schließen, daß die breite Schicht der FDP-Wähler der Fraktion ein grundsatztreues Verhalten in der Verjährungsfrage attestiere und auch Buchers Rücktritt sehr positiv gewirkt habe. »Wir sind damit in einer guten Position.« Er schlägt vor, daß man sich mit der von Gen- scher10 formulierten Erklärung begnügen solle. Auch Engelhard11 mahnt dazu, die Dinge in Ruhe zu betrachten und die ganze Angelegenheit möglichst schnell zu been- den. Jede überflüssige Erklärung sollte vermieden werden. Was Strauß anbelangt, so müssen Partei und Fraktion in der Ablehnung dieses Mannes festbleiben. Dr. Kohl12 6 Will Rasner, MdB (CDU), Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. 7 Richard Jaeger, MdB (CSU), Bundestagsvizepräsident, Vorsitzender des Ausschusses für Verteidi- gung. 8 Willi Weyer, Minister für Inneres sowie Stellvertreter des Ministerpräsidenten des Landes Nord- rhein-Westfalen (FDP), Landesvorsitzender der FDP in Nordrhein-Westfalen, Mitglied des Bundes- vorstandes der FDP. 9 Hans Friderichs, Bundesgeschäftsführer der FDP. 10 Hans-Dietrich Genscher, Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion. 11 Edgar Engelhard, Senator für Wirtschaft und Verkehr sowie Zweiter Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg (FDP), Landesvorsitzender der FDP in Hamburg, Mitglied des Bundesvor- standes der FDP. 12 Heinrich Kohl, MdL Hessen (FDP), Landesvorsitzender der FDP in Hessen, Mitglied des Bundes- vorstandes der FDP. Copyright © 2018 KGParl 2 FDP – 04. WP Fraktionssitzung: 31. 03. 1965 meint, man hätte sich dem Koalitionspartner gegenüber etwas großzügiger zeigen kön- nen; man sollte sich für die Zukunft niemals mehr unnötig festlegen oder einengen las- sen. Er ist für eine Erklärung. Dr. Mende verliest den von Genscher erstellten Entwurf einer Erklärung; die Versamm- lung stimmt nach kleinen redaktionellen Änderungen mit nur einer Enthaltung diesem Entwurf zu. 13 Dehler (Klaus) gibt eine kritische Analyse der Vorgänge aus bayerischer Sicht; u. a. warnt er davor, durch ständige neue Angriffe auf Strauß dessen Popularität in Bayern zu stärken. Dr. Achenbach ist der gleichen Meinung. Dr. Mende erinnert daran, daß die Sprecher des Landesverbandes Bayern bisher nicht im Sinne der Ausführungen von Klaus Dehler deutlich Stellung bezogen haben. Dr. Dehler (Thomas) geht auf den in der Diskussion wiederholt gehörten Vorwurf ein, der Fraktionsvorstand habe »zu hoch gespielt«. Man könnte sagen: Der Vorwurf ist gerechtfertigt, weil wir nicht genau einkalkuliert haben, wie fest unser Koalitionspart- ner stehen würde. Er erinnert daran, daß das Kabinett sich bis auf 3 Stimmen gegen eine Verlängerung der Verjährungsfrist festgelegt hatte, daß dann aber auf seiten des Koaliti- onspartners ebenso wie bei der SPD ein Meinungswechsel dem anderen folgte. Man hat offensichtlich einen Affront gegen die FDP gewollt. Mit Erhard, ausgeliefert einem Strauß, kann man nicht logisch reden. Wir müssen endlich daraus für die Zukunft Kon- sequenzen ziehen. Ein Nachkarten zu den Geschehnissen der letzten Woche hat keinen Sinn. Aber unsere Aussage zu der Frage der Koalition nach den Bundestagswahlen hat jetzt einen anderen Gehalt bekommen: unsere Zusage, mit der CDU/CSU und einem Kanzler Erhard zu koalieren, ist nur noch bedingt richtig. Wir müssen jetzt erkennen, daß die CDU/CSU kein fairer Koalitionspartner und Erhard kein geeigneter Kanzler ist. Dr. Mende schließt sich dieser Meinung an. Die Konsequenz, so erklärt er, sei jetzt dem Wahlkampf entsprechend zu führen. Zoglmann verwahrt sich gegen den Vorwurf, den Scharfmacher gespielt zu haben, vor allem dagegen, daß er die Erklärung, das Verhalten Erhards und der CDU könne zu einer Koalitionskrise führen, auf eigene Faust abgegeben habe. Schmidt (Kempten) ergänzt die Ausführungen von Dehler (Klaus), daß die Angriffe gegen Strauß nur den für die FDP unerwünschten Effekt einer Konzentration der Kräf- te in der CSU um Strauß haben werden. Dr. Rutschke versucht, die Haltung der CDU zu analysieren und die Motive verständ- lich zu machen. Dr. Starke meint, da die Fraktion es doch nicht auf einen Koalitionsbruch ankommen lassen wollte, seien so pointierte Erklärungen wie die von Weyer und Zoglmann nicht am Platze gewesen. Minister Glahn14 empfiehlt, die Vorgänge weniger dramatisch zu sehen. Draußen dis- kutiere man viel stärker die Erklärung der FDP: »Unter keinen Umständen mit Strauß«. Er sei im Prinzip damit einverstanden, lasse jedoch offen, ob so etwas in