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Küstentypen der Ostsee

Reinhard Lampe

Vor etwa 9000 Jahren erreichte der seit Abrasion, abradieren – mechanische Aufbereitung und Südliche Ostsee Abtragung von Gesteinen durch Seegang und Strömung der letzten Vereisung global rasch an- steigende Meeresspiegel ( Beiträge Holozäner Meeresspiegelanstieg und Küstentypen anoxisch – sauerstofffrei Behre, S. 76 und Lampe, S. 80) die dä- SCHWEDEN Eutrophierung – Nährstoffanreicherung infolge natürlicher nischen Belte und Sunde, drang in das Odense Seeland oder anthropogener Vorgänge. Ist ein Gewässer zu stark DÄNEMARK Ostseebecken ein und führte zur Her- Born- mit Nährstoffen angereichert, so spricht man von Hyper- Fünen holm trophierung. ausbildung des heutigen Brackwasser- meeres. e Höftland – Akkumulationsform aus Strand- und Dünenwäl- Åbenrå e In Folge dieses im Ostseeraum als Lit- F len, die aus zwei entgegengesetzten Richtungen aufge- s ö schüttet werden, was einen angenähert dreieckigen Grund- torina-Transgression bezeichneten Mee- Flensburg Nykøbing t r

resspiegelanstiegs wurde das Relief weit- d riss verursacht (z.B. Neudarß, Geltinger Birk) s e räumig überflutet und umgestaltet . Kieler Bucht hypsographische Kurve – Summenkurve, die die prozen- n Darß Fehmarn r Bei Anstiegsgeschwindigkeiten von an- k Hohwacht- O rge Fisch- Rügen tualen Flächenanteile der Höhen-/Tiefenstufen an der Ge- Bucht nbu ü Meckle land Stralsund s cht Greifswalder samtfläche einer Reliefform angibt fangs 2,5 m/Jh. ertrank das Land regel- Bu Warne- d d e t te o n a Bodden e cht münde s B u Pommersche recht, die Küstenlandschaft verwandelte Bu k ü s Makrozoobenthos – Sammelbezeichnung für sediment- Schleswig- er hs g Bucht ck ic Rostock be Wismar- le l e und pflanzenbewohnende Tiere mit mehr als 0,5 mm Kör- sich in einen Archipel. Die Flussmün- Lü bucht sg i B u c Wollin u A h pergröße dungen wurden weit landwärts verla- c Mecklenburg- s h Wismar k PO- t t e ü Lübeck e n k ü s s marin-euryhalin – marine Arten, die starke Salzgehaltsun- gert, und in den Tälern setzte Ver- Güstrow t LEN Hamburg e terschiede tolerieren moorung und Sedimentation ein. Vorpommern Erst nach dem Ende der ersten An- Nehrung – schmale Landzunge, die durch Strandverset- Küstenlinie, Fluss vor etwa 8000 Jahren heutige Küstenlinie Rostock >100000 Ew. zung entsteht und eine Meeresbucht ganz oder fast ganz stiegsphase vor etwa 5800-4500 Jahren Fläche der Ostsee vor etwa 8000 Jahren überflutetes Gebiet Flensburg <100000 Ew. abschließt begannen sich die heutigen Küstenty- Kiel Landeshauptstadt oligotroph – nährstoffarm pen mit ihren charakteristischen Ausgleichsküste Küstentyp Staatsgrenze Grundrissen herauszubilden. Große Ländergrenze Phytoplankton – pflanzlicher Anteil des Planktons, der zur 025 50 75 100 km Photosynthese fähig ist Sandmassen wanderten unter der Ein- © Institut für Länderkunde, Leipzig 2002 Maßstab 1: 3500000 Autor: R.Lampe polytroph – nährstoffreich wirkung des Seegangs in die Uferzone und bildeten mit dem beim Küstenrück- Sprungschicht – Gewässerbereich, in dem starke vertikale Veränderungen der Eigenschaften Temperatur, Salzgehalt gang freigesetzten Material in geschütz- und Dichte erfolgen. Normalerweise wird in der Sprungs- ten Lagen Akkumulationsformen wie Trangression unterschiedliche Küsten- wächst die Bedeutung des küstenparal- chicht das warme Wasser der Deckschicht von kälterem Haken, Nehrungen und Höftländer. landschaften heraus. In Schleswig- lelen Sandtransports. In der flacheren Wasser darunter getrennt. Holstein entstanden im Rückland der Mecklenburger Bucht hat dies zur Bil- Windwirklänge – Distanz, über die der Wind hindernisfrei Förden- und Buchtenküste weichselglazialen Endmoränen die dung einer Ausgleichsküste geführt, wie wehen kann; bestimmt neben Wassertiefe und Windstärke Je nach überflutetem Relieftyp bildeten Förden aus Tunneltälern (Schlei) sie östlich von Rerik/Poel bis Dierha- und -dauer die Seegangscharakteristik sich während und nach der Littorina- und Gletscherzungenbecken (z.B. Kie- gen/Fischland auftritt. Nur die Warnow ler Förde). Die spätglaziale Sediment- unterbricht den Küstenverlauf mit ih- füllung besteht aus Schmelzwassersan- rem breiten Mündungstrichter, der heu- den und -schluffen, über denen bis zu te durch einen dünenbesetzten Haken Morphogenese und Bohrprofile mehr als 10 m mächtige holozäne stark eingeengt ist. limnische und marine Ablagerungen N liegen ( Beitrag Lampe, S. 81, Abb. 3). Reste eines Nach Süden und Osten schließen Leuchtturms Umriss nach aus dem 12. Jh. einer Karte von 1618 sich als Küstentyp die Buchten von Deutsche Ostseeküste Obwohl die Karte starke Hohwacht, Lübeck und Wismar an, die Hypsographische Kurven* Gellen Verzeichnungen aufweist, werden das schnelle Wachstum als Gletscherzungenbecken angelegt ausgewählter Küsten- des Gellen sowie die Verlagerung gewässer der Uferlinie nach Südosten wurden. Sie besitzen breite Öffnungen Prozent offensichtlich. 0 50 100 Braundünen zur Ostsee und sind den Stürmen aus 0 Weißdünen Fährinsel Bessin dem Nordostsektor besonders ausge- marine Sande Strandwälle setzt. Die Wismar-Bucht wird durch Geschiebemergel und P spätglaziale Sande Bohrpunkt mehrere Untiefen, die aus abradierten Inseln hervorgegangen sind, von der -10 Höhe/Tiefe Ostsee abgeriegelt. Infolge der in die- in m sem Raum stärkeren Landsenkung sind 3 2 Normalprofil die Inseln nicht wie an der vorpommer- schen Küste dauerhaft durch Nehrun- -20 Darßer Bodden 0 Strandwall- und Dünen- nordrügensche Bodden sande mit zwischen- obere gen miteinander verbunden worden. Greifswalder Bodden geschalteten Torfen -2 Sand- Hier zeigen sich die Resultate eines Kleines Haff marine Sande folge durch Sedimentmangel und Landsen- Kieler Förde -4 -30 Flensburger Förde muschelreicher Schlick- kung verstärkten Abrasionsprozesses. m NN -6 Schlick folge Torf * Darstellung der Höhenstatistik (Anteil der Höhen) einer Oberfläche durch eine Kurve. -8 glazilimnische und untere Ausgleichsküste glazifluviale Sande Sand- folge Mit nach Osten hin zunehmender © Institut für Länderkunde, Leipzig 2002 -10 Geschiebemergel Windwirklänge und Seegangsenergie -12

-14 -15 013 2 4 km © Institut für Länderkunde, Leipzig 2002 Autor: R.Lampe Maßstab 1: 185000

82 Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland – Relief, Boden und Wasser Flensburger Förde – Längsprofil Jahreszeitliche Schwankungen des Salz- und Sauerstoff- gehaltes 1989

m NN Salzgehalt in Promille 0 <16

17 <21 21 22 -10 17 20 Wind induzierten Wasserspiegelschwan- kungen aus. In den Haffen und Bodden- Sturmflutwasserstände 1995 -20 25 ketten mit schmalen Verbindungen un- Holnis Holnis m ü. NN >26 23 tereinander und zur Ostsee kommt es zu 7,5 SommerNeukirchengrund Winter Neukirchengrund -30 einer von außen nach innen zunehmen- 0 10 20 30km 0 10 20 30 km Leuchtturm Kiel den Dämpfung und zeitlichen Verzöge- 7,0 Kiel-Holtenau rung der Wasserstandsschwankungen. Ostsee vor Zingst Sauerstoffgehalt in mg/l m NN Die Sturmflutwasserstände liegen des- Zingster Strom 0 6,5 Saaler Bodden >6 halb deutlich unter denen der Außen- 5 >7 7 küste. Dagegen ist in den Förden, den -10 <1 5 Buchten und dem Greifswalder Bodden 6,0 mit breiter Verbindung zur Ostsee eine -20 1 Verstärkung der Amplituden zu beob- 5,5 Holnis Holnis <1 5 achten (Buchteneffekt), die bei Sturm- SommerNeukirchengrund Winter Neukirchengrund -30 3 fluten höhere Pegelstände und damit 5,0 0 10 20 30km 0 10 20 30 km eine erhöhte Gefährdung dieser Berei- © Institut für Länderkunde, Leipzig 2002 che nach sich zieht . 0 3.11. 4.11. 5.11. 6.11. 7.11.

© Institut für Länderkunde, Leipzig 2002 Boddenausgleichsküste Verhältnisse . Regelmäßig zu beob- Vom Fischland über Rügen bis nach achtende Faunensterben sind die Folge Usedom ist die Küste als Doppelküste anhaltender Stagnationsperioden. Küstengewässer Mecklenburg-Vorpommerns (Boddenausgleichsküste) ausgebildet. Zudem kommt es zu Remobilisierungs- Salzgehalt, Nährstoffgehalt und Makrozoobenthos Reichliches Sandangebot und ein stär- erscheinungen des Phosphors aus dem ker differenziertes Ausgangsrelief waren Sediment, der bei einsetzender Zirkula- 32 die Ursache von Haken- und Nehrungs- tion in die oberen durchlichteten Berei- bildungen, die ihrerseits zur Abschnü- che zurückgeführt wird und das Algen- rung von Buchten führten . Die Bod- wachstum forcieren kann. denausgleichsküste ist gekennzeichnet 11 27 durch das abwechselnde Auftreten von Bodden und Haffe 26 Ostsee 3 Steilküsten an den höher aufragenden Der Wind kann die flachen Bodden und 137 4628 16 Rügen Grund- und Endmoränen und von Haffe fast ständig bis zum Grund durch- Strela- Darß 10 Bergen/ 33 Flachküsten überflutungsgefährdeter mischen. Sediment und durchlichteter sund Rügen 23 Nehrungen vor den rückseitigen Bod- Wasserkörper stehen in einem intensi- 5 2 B a 88 17 42 rt 15 den. Seeseitig haben sich auf den Neh- ven Stoffaustausch, wodurch die beim 4047 he 7155 Saaler Stralsund rungen Dünengürtel gebildet, die nach Abbau des organischen Materials frei Bodden Greifswalder 15 Bodden der Farbe ihrer Bodenbildungen als werdenden Nährstoffe unverzüglich R e c k 7 Braun-, Gelb-, Grau- und Weißdünen wieder dem Phytoplankton zugeführt n 514 it z 7179 15 Ry 13 bezeichnet werden und die in dieser werden. Diese flachen Gewässer besit- ck 365 Grimmen 4177 Reihenfolge in den vergangenen 4500 zen daher eine natürliche Tendenz zur Greifswald Pommersche Bucht 29 Jahren entstanden sind. Eutrophierung, die durch die anthro- 1 Mecklenburg- 2 pogene Nährstoffzufuhr teilweise bis zur 1781 Typologie der Küstengewässer Hypertrophierung verstärkt wurde. Peene- Wollin strom Usedom Die unterschiedlichen Küstentypen sind Eine Entlastung erfahren diese Gewäs- POLEN Demmin Peene mit Küstengewässern verknüpft, die sich ser nur durch den Wasseraustausch mit To Anklam lle Kleines 4 n 3 Kumme- s hinsichtlich ihrer Morphologie, Hy- der Ostsee, wodurch Salzgehalt und e Haff rower 401 drographie und Ökologie deutlich un- Trophie indirekt miteinander korreliert See Vorpommern 4392 terscheiden . Die Förden weisen steile sind . Unterwasserhänge und nur geringe An- Eutrophierungsbedingte Wassertrü- teile an Flachwasserarealen auf. Die bung, erhöhte Nährstoffkonzentratio- Makrozoobenthos Salzgehalt Nährstoffgehalt in Promille Bodden und Haffe sind dagegen durch nen und Schlickbildung führen zur Ver- Zahl der Arten (Trophie) überhöht breite Mulden mit breiten, scharf abge- änderung und Verarmung der Unterwas- 35 > 9 hypertroph 7-9 30 polytroph setzten Flachwassergebieten gekenn- servegetation und zu höherer Sediment- Dichte des Makrozoobenthos 5-7 Individuenzahl/m², stark eutroph zeichnet. mobilität. Der damit einhergehende 25 3-5 Feuchtbiomasse g/m² Verlust vielfältig strukturierter Lebens- 20 1-3 eutroph g/m² 15 0-1 mesotroph Förden und Buchten räume ist neben den Einflussfaktoren 1mm = 100 g/m² Wegen ihrer größeren Tiefe weisen die Salzgehalt und Nahrungsangebot Ursa- 10 750 niedrig oligotroph Förden und Buchten im Sommer eine che für den Wandel in der Zusammen- 5 0 0 Schichtung des Wasserkörpers in eine setzung des Makrozoobenthos von der 0 5 10 1000 Ind./m² warme und weniger salzhaltige Deck- oligotrophen Ostsee bis zu den hyper- 1mm = 2000 Ind./m² schicht und eine salzreichere und kälte- trophen innersten Boddengewässern. re bodennahe Schicht auf. Eine stabile Schichtung hat erhebliche Auswirkun- Hochwasserdämpfung und limnische Arten Brackwasser-Arten marin-euryhaline Arten gen auf die Wasserbeschaffenheit: Der Buchteneffekt z.B. Schnauzenschnecke z.B. Flohkrebs z.B. Plattmuschel ausbleibende vertikale Austausch führt Die morphologischen Verhältnisse wir- 010 20 30 40 50 km unterhalb der Sprungschicht zu Sauer- ken sich auch auf den zeitlichen Gang © Institut für Länderkunde, Leipzig 2002 Autor: R.Lampe Maßstab 1: 1250000 stoffmangel bis hin zu anoxischen der in der tidefreien Ostsee durch den

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