DAS GROSSE LEXIKON DER DEFA-SPIELFILME F.-B. HABEL

DAS GROSSE LEXIKON DER DEFA-SPIELFILME DAS GROSSE LEXIKON entstand in Zusammenarbeit mit der DEFA-Stiftung DER DEFA-SPIELFILME

Die vollständige Dokumentation aller DEFA-Spielfilme von 1946 bis 1993

Neuausgabe in zwei Bänden Band 1: A-L

Mit Inhaltsangaben von Renate Biehl BAND 1 BAND 2

A 10 M 566 B 73 N 637 C 131 O 660 D 150 P 671 E 186 Q 698 F 228 R 699 G 288 S 746 H 337 T 896 I 389 U 952 J 413 V 984 K 446 W 1016 L 506 Z 1059 Anhang A 1088 Anhang B 1107 Anhang C 1120 Anhang D 1132 Verlag herausgaben. »Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg« war ausführlich und gründlich. Mit freundlicher Genehmigung der DEFA- ZWISCHEN QUAL Stiftung wurden wesentliche Teile der Stabangaben und die Inhalts­ angaben dieses Buches übernommen. Der größte Teil der Inhaltsanga- ben stammt von der Journalistin Renate Biel, der ausdrücklich gedankt UND QUALITÄT werden soll. Sie schrieb die nicht namentlich gekennzeichneten Inhalte, andere tragen mein Kürzel (f.b.h.). Andererseits war »Das zweite Leben …« jedoch als Filmgeschichts- VORWORT werk konzipiert, in dem – anders als in diesem Lexikon zumeist – die Geschichte des DEFA-Spielfilmstudios in wichtigen Strängen erzählt Die DEFA war nicht nur eine knapp fünf Jahrzehnte operierende Film- wurde, wobei mancher Film jedoch zu kurz oder gar nicht gewürdigt firma. Einundvierzig Jahre ihrer Existenz war sie der staatliche Filmpro- werden konnte. Auch sind seit damals Publikationen erschienen, die duzent des zweiten deutschen Staates, der DDR. Sie operierte mal mehr, Teilaspekte der DEFA-Geschichte vertieften. So konnten nun auch neue mal weniger geschickt in einem Wechselspiel zwischen politischem Informationen zusammenfließen. Auftrag und künstlerischer Freiheit. DEFA war mehr als die populä- Doch versucht das vorliegende Lexikon weitere Lücken in der bis- re Abkürzung des Namens einer Filmgesellschaft. DEFA-Filme waren herigen Publikation zu schließen. Die DEFA war nicht der einzige Programm und Propaganda, standen oft für Qualität und manchmal für Spielfilmproduzent in der DDR. Der Deutsche Fernsehfunk (DFF), Qual. Siebenundvierzig Jahre lang entstanden im Osten Deutschlands zwischenzeitlich als Fernsehen der DDR firmierend, hatte eine eigene Filme fast ausschließlich unter dem Signet der DEFA. Die Filmfirma umfangreiche Produktion von Spielfilmen, vergab aber auch Aufträge wurde als deutsch-sowjetische Aktiengesellschaft in der SBZ gegrün- an die DEFA. Wenn diese Filme, was zu einem geringen Prozentsatz det, in der DDR als zur staatlichen Filmgesell- der Fall war, auch ins Kinoprogramm gelangten, wurden diese bei der schaft mit Sitz in Potsdam-Babelsberg entwickelt und in der vereinten DEFA hergestellten Filme ebenfalls in das Lexikon aufgenommen. Ob- BRD schließlich als GmbH aus dem Register gelöscht. Die DEFA drehte wohl der DFF ihr Hauptauftraggeber war, stellte die DEFA auch Filme tausende Filme, allein schon weit über 700 Spielfilme fürs Kino, dazu oder wesentliche Teile davon für andere Produzenten her, für Filmstu- populärwissenschaftliche und Dokumentarfilme, Trickfilme, Wochen- dios aus sozialistischen Ländern, vorrangig der Sowjetunion, aber auch schauen, Kurzspielfilme und so weiter und so weiter. Bei einer so um- beispielsweise für bundesdeutsche Firmen. Die erste deutsch-deutsche fangreichen Produktion nimmt es nicht Wunder, dass viel Belangloses Filmproduktion war 1967 die Verfilmung eines Romans des DDR-Au- entstand, mitunter gar Missratenes, aber vor allem eine gute Anzahl von tors Ehm Welk unter dem Titel »Die Heiden von Kummerow und ihre Filmen, die unterhielten und auf diese und jene Weise in die Diskus- lustigen Streiche«. Dieser, wie mehrere andere bundesdeutsche Filme, sionen ihrer Zeit eingriffen oder selbst zum Diskussionsthema wurden. die bei der DEFA realisiert wurden, sind hier aufgenommen worden. Die feierliche Lizenzübergabe an das Leitungsgremium der DEFA er- Allerdings muss auch gesagt werden, dass auf diesem Gebiet keine Voll- folgte am 17. Mai 1946 im Berliner Admiralspalast, einem der wenigen ständigkeit angestrebt werden konnte, weil die Quellenlage schwierig ist unbeschädigten Theaterhäuser der Stadt. Die Leitung der DEFA entwi- und nicht in jedem Fall genau recherchiert werden konnte, wie groß der ckelte ein Produktionsprogramm, in dem einerseits das Unterhaltungs- Anteil der DEFA an der jeweiligen Produktion war. Für die Neuausgabe bedürfnis der Zuschauer berücksichtigt wurde, aber auch der zeitnahe 2017 konnten allerdings einige dieser Filme zusätzlich aufgenommen und der künstlerisch experimentierende Film seinen Platz hatten. Die- werden. sen Anspruch erfüllte die DEFA mit ihren ersten Produktionen (wenn Diese Bemerkungen beziehen sich im allgemeinen auf das DEFA-Stu- auch das Experiment an den Rand gedrängt wurde). dio für Spielfilme. Wenig bekannt ist, dass auch das DEFA-Studio für Schon vor der Lizenzübergabe hatte die DEFA i.Gr. mit der Produk- Dokumentarfilme (das im Laufe der Jahrzehnte seinen Namen mehr- tion begonnen: Synchronisationen sowjetischer Filme, die Wochenschau fach wechselte) hin und wieder Spielfilme (überwiegend im Kurzfilm- »Der Augenzeuge«, aber auch für die ersten beiden Spielfilme »Freies sektor) produzierte. Auch diese Spielfilme wurden im vorliegenden Land« und »Die Mörder sind unter uns« waren die ersten Klappen gefal- Werk berücksichtigt, wenn sie abendfüllende Länge erreichten, wobei len. So begann es, und die Spielfilme, die die DEFA fortan drehte, stehen hier wiederum Lücken nicht auszuschließen sind. im Mittelpunkt dieses Lexikons. »Novalis« von Herwig Kipping war der Im Anhang wurden Kurzmetragespielfilme der DEFA aufgenommen, letzte unter dem DEFA-Signet hergestellte Film, der produziert wurde, wobei hierunter Filme verstanden werden, die wesentlich unter einer ehe die Registerlöschung der traditionsreichen Firma 1993 erfolgte. Stunde Spieldauer lagen. Hier wurde eine Grenze bei einer Filmlänge Einerseits lehnt sich der Autor weitgehend an ein umfangreiches von 1600 Metern (etwa 55 Minuten) gezogen. Darüberhinaus gab es Buch an, das Mitarbeiter des Filmmuseums Potsdam 1994 im Henschel eine umfangreiche Produktion von Kurzspielfilmen, die gezielt für den

6 7 Einsatz im Vorprogramm entstanden. Am bekanntesten wurden die sa- Großwetterlage hatten Kritiker in Fachpublikationen eher die Mög- tirischen Filme der Stacheltier-Produktion, eine Gruppe, die zwischen lichkeit zu Kritik, Rezensenten in Blättern der »Blockparteien« CDU, 1953 und 1964 bei unterschiedlichen Studios der DEFA angesiedelt war. LDPD, NDPD und DBD mitunter »Narrenfreiheit«, während man von Diese Filme sind ein Kapitel für sich, das bei einer weiteren Neuauf- der SED-Presse den politisch »richtigen Standpunkt« erwartete. Ande- lage dieses Lexikons hinzugefügt werden soll. Die nicht fertiggestellten rerseits war es auch ein Politikum, wenn die SED-Blätter über einen oder in der DDR nie aufgeführten DEFA-Spielfilme findet man eben- bestimmten Film eisern schwiegen, obwohl der Film in anderen Publi- falls im Anhang, wobei davon ausgegangen werden kann, dass bisher kationen besprochen wurde. noch nicht alle jemals abgebrochenen Projekte dokumentiert wurden. Der Autor versuchte, in diesem Lexikon immer wieder Kritiken aus Eine Besonderheit stellt der dritte Teil des Anhangs dar. Hier wur- der Bundesrepublik zu Wort kommen zu lassen. Auch hier lassen sich den Fernseh-Spielfilme aufgeführt, die nach der Erstsendung in den Tendenzen zeigen, wobei ein und derselbe DEFA-Film in der konservati- Kinospielplan aufgenommen, aber vom DFF in Eigenproduktion ge- ven Presse zumeist verrissen wurde, während eher links oder zumindest dreht wurden, also keine DEFA-Filme sind. Es konnte zwar festgestellt liberal orientierte Blätter manche Schönheiten zu entdecken wussten. werden, welche Filme eine Zulassung für den Kino-Einsatz erhielten, in Einen wichtigen Teil der Zitate aus bundesdeutschen Veröffentlichun- einigen Fällen ist der Einsatz jedoch nicht nachzuweisen und mehr als gen machen Kritiken von Heinz Kersten aus. Der gebürtige Dresdner fraglich, so dass diese Filme keinen Eingang in dieses Lexikon fanden. lebte seit den frühen fünfziger Jahren im Westen und schrieb 1963 für Ein neues Kapitel im Anhang behandelt die sogenannten »Überläu- das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen die erste, erstaun- fer«. Damit werden Filme bezeichnet, die vor Kriegsende in Deutsch- lich wenig tendenziöse Geschichte des Films in der DDR, im Sprachge- land und den annektierten Gebieten produziert, aber nicht endgültig brauch der Adenauer-Ära noch lange als »Sowjetische Besatzungszone«­ fertiggestellt worden waren oder aus anderen Gründen nicht mehr in bezeichnet. Seit den späten sechziger Jahren rezensierte Kersten fast den Einsatz kamen. Nach dem Krieg wurden die meisten von ihnen be- alle DEFA-Spielfilme für bundesdeutsche Zeitungen oder für den West- arbeitet und zum Publikum gebracht – nicht nur, aber auch von der Berliner Sender RIAS. Aus diesen in Buchform veröffentlichen Kritiken DEFA. Nur in seltenen Fällen kam es dazu, dass etwas nachgedreht oder wird häufig zitiert. synchronisiert wurde. Die Angaben in der Fachliteratur, welche dieser Inzwischen sind auch kritische Würdigungen aus englischsprachigen Filme von der DEFA herausgebracht wurden, sind nicht eindeutig, so Publikationen bekannt geworden, vorrangig durch die DEFA Library dass auch hier nicht alle erfasst sein dürften. Für Hinweise zur Schlie- in Amherst. Auch auf den Internet-Blog des Amerikaners Jim Morton ßung solcher Lücken sind Autor und Verlag wie auch in allen anderen wurde dankbar zurückgegriffen. Fällen dankbar. Nun noch zu einigen Prinzipien. Das Lexikon ist alphabetisch ohne Das vorliegende Lexikon will in erster Linie dem Zuschauer eine Hilfe Beachtung der Artikel aufgebaut. Die Umlaute werden wie ae, oe und sein, der DEFA-Filme im Fernsehen, in DVD-Editionen oder im Spiel- ue behandelt. Anlauf- und Sendedaten beziehen sich generell auf das plan der Programmkinos sieht. Dafür hat der Autor viele ihm als wichtig Kino und das Fernsehen in der DDR. Die Minutenangaben sind nur geltende Daten und Fakten aus der bestehenden Literatur zusammen- ungefähr. In Bezug auf die Filmlänge kann sie auch bei der Kinovorfüh- getragen. Nur in Ausnahmefällen konnten unklare Fakten durch Nach- rung und bei Fernsehsendung und Videoaufführung differieren. Das frage bei an der Produktion beteiligten Mitarbeitern verifiziert werden. Fernsehen in der DDR sendete seit den fünfziger Jahren und noch ein- Der Autor konnte sich auch nicht der immensen Mühe unterziehen, alle mal 1990/91 unter dem Sendernamen »« (DFF). Filme (von denen er schätzungsweise immerhin mehr als zwei Drittel Der eingeführte Name wurde in den siebziger Jahren in »Fernsehen der gesehen hat) noch einmal zu sichten, um sie zu beurteilen. Vielmehr hat DDR« geändert. Da jedoch inoffiziell der alte Sprachgebrauch erhalten er sich auf Urteile zeitgenössischer (und späterer) Rezensenten gestützt, blieb, wird in diesem Buch weitgehend die Abkürzung DFF verwendet. die hier zum überwiegenden Teil ausführlich zitiert werden. Dabei er- Film ist ein Medium, an dessen Zustandekommen und an dessen gibt sich ein interessanter Querschnitt durch die Filmkritik der DDR. Wirkung viele, auch viele hier nicht Genannte, Anteil haben. Ich bin Rückblickend kann wohl eingeschätzt werden, dass die Filmkritiker dankbar, dass ich auf die Arbeit zahlreicher Kollegen aufbauen konnte, der DDR nicht mit ihrer Meinung »hinter dem Berg halten« mussten. deren Arbeit ich hoch achte. Ich denke, dass der Leser sich über man- Allerdings gab es Anweisungen, wonach bestimmte Filme nicht oder ches klarsichtige Urteil mit mir freuen und einige dem Zeitgeist ge- nur negativ, andere nur in bestimmten Zeitschriften besprochen wer- schuldete Fehlurteile entschuldigen wird. Wer dazu bereit ist, wird eine den durften. Auch waren Redaktionen nicht immer frei in der Auswahl anregende, oft amüsante Lektüre haben, wann immer er dieses Buch zur ihrer Mitarbeiter. Trotzdem war es möglich, dass ein »linientreuer« Re- Hand nimmt. zensent beispielsweise einen künstlerisch oder politisch unliebsamen F.-B. Habel Film bejubelte, oder dass ein als liberal geltender Kritiker künstlerische Mängel an politischen Prestige-Filmen nachwies. Je nach politischer

8 9 AB HEUTE ERWACHSEN EIN ABENTEUER AUS 1001 NACHT RE: Gunther Scholz, SZ: Helga Schubert, Gunther Scholz, DR: Anne Pfeuf- → DIE GESCHICHTE VOM KLEINEN MUCK fer, KA: Michael Göthe, MU: Gerhard Laartz, MB: Jürgen Balitzki, SB: Harry Leupold, KO: Ingrid Mogel, SC: Helga Krause, PL: Horst Hartwig, GR: GR »«, m: 2372 = 87 min, fa, brw, PJ: 1984, PM: 14.3. 1985, PM- DIE ABENTEUER DES TILL ULENSPIEGEL Ort: Berlin, »International«. DA: Jutta Wachowiak (Johanna), Kurt Böwe Co-Produktion DDR/Frankreich. RE: Gérard Philipe, RE-Mitwirkung: (Graubaum), David C. Bunners (Stefan), Sabine Steglich (Christel), Marita Joris Ivens, SZ: René Wheeler, Gérard Philipe, LV: Roman »Legende von Böhme (Toilettenfrau), Katrin Saß (Arbeitskollegin der Mutter), Beatrice Ulenspiegel und Lamme Goedzak« von Charles de Coster, DR: Rudolf A Phohleli (Cecilia), Simone Frost, Astrid Kuhlmey, Edgar Külow u.a. Böhm, KA: Christian Matras, Alain Douarinou, MU: Georges Auric, BA: INHALT: Stefans 18. Geburtstag. Seine Mutter Johanna, die ihn allein Léon Bariacq, Alfred Tolle, KO: Rosine Delamare, Ingeborg Wilfert, SC: großgezogen hat, will mit ihm feiern. Doch Stefan eröffnet ihr, dass er Claude Nicole, PL: Georges Danciger, Richard Brandt, CO: Ariane-Film, auszieht. Unbegreiflich für Johanna, die ganz für den Sohn gelebt hat. Paris/Frankreich, Französ. Titel: Les Aventures de Till l’Espiègle, Titel in Es kommt zu einem heftigen Streit, Stefan geht. Er ist Maurerlehrling, der BRD: Till Eulenspiegel, der lachende Rebell, m: 2778 = 102 min, fa, ein sehr guter, und nun möchte er auf eigenen Füßen stehen. Bei Herrn PJ: 1956, PM: 4.1.1957, PM-Ort: Berlin, »Babylon«. DA: Gérard Philipe Graubaum, dem Empfangschef einer Bar, hat er ein möbliertes Zimmer. (Till), Jean Vilar (Alba), Fernand Ledoux (Claes), Nicole Berger (Nele), Jean Doch der allzu clevere Typ, der auch ihn ausbeuten will, behagt ihm nicht. Carmet (Lamme), (Stahlarm), Wilhelm Koch-Hooge Auf seinem Weg begegnet er einigen Mädchen. Da ist die hübsche Mulat- (Oranien), Francoise Fabian (Esperanza), Elfriede Florin (Soetkin), Marga tin Cecilia, die ihn zwar abweist, aber ihm in ihrer Frauengemeinschaft Legal (Katheline) u. a. Links: David C. Bunners Unterkunft für eine Nacht gewährt. Da ist die Briefträgerin Christel, mit INHALT: Die Niederlande im 16. Jahrhundert. Truppen des spanischen in »Ab heute erwachsen« der ihn erste Liebesgefühle verbinden. Aber ihr Lebensanspruch, der sich Königs Philipp II. halten das Land besetzt, durchziehen es brandschat- mit Kurt Böwe (oben) und auf ein kleines Familienglück beschränkt, ist ihm zu eng. Stefan ist noch zend und mordend. Sie kommen auch ins flandrische Damme, wo sich Sabine Steglich (unten) auf der Suche nach sich selbst. Er findet eine eigene Wohnung und einen der Possenreißer Till gerade mit seiner Nele verlobt. Der Ort wird ver- Rechts: Erwin Geschon- Weg zu einer neuen Partnerschaft mit der Mutter. wüstet, geplündert und Tills Vater Claes auf dem Scheiterhaufen ver- neck und Gérard Philipe ZUM FILM: Obwohl im Ansatz realistisch, im Ton von schöner Lakonik brannt. Angesichts dieser grausamen Ereignisse wird aus dem Schelm Till in »Die Abenteuer des Till und von den Darstellern eindrucksvoll gespielt, fügt sich der Film in ein leidenschaftlicher Kämpfer gegen die Okkupanten und ihren Statt- Ulenspiegel« die Reihe der Gegenwartsfilme dieser Jahre ein, die junge Zuschauer durch jugendliche Helden und Rockmusik ins Kino ziehen sollen, letzt- lich aber vor der Darstellung von wirklichen Konflikten zurückscheuen. ECHO: Zu wenig aber erfährt man von den Menschen, die in diesem Film vorkommen. Beleuchtet wird nur die Oberfläche. Es fehlt an psy- chologischer Tiefenschärfe. Immerhin entsteht aus den Alltagsbeobach- tungen ein Bild des Lebens im anderen deutschen Staat, wie es kaum in den Zeitungen steht. (Heinz Kersten, Tagesspiegel­ , 19.5.1985) Doch seltsam, in der Welt, in der er ankommt, ist alles geglättet, ohne Raum für Zweifel und Widersprüche. Stefans Trip zur Selbstfindung bringt Begegnungen mit Realitäts- partikelchen eines Bilderbuches. Missverständ- liches klärt sich über kurze Dialoge auf, eigener Einsatz ist schnell belohnt mit »Bester Lehrling«. (Peter Glaß in Kino ist mehr als Film, 1999) NEBENBEI: Hauptdarsteller David C. Bunners (geb. 1966) war Laie und diente bei der NVA, als der Film in die Kinos kam. Der Pfarrersohn absolvierte anschließend erfolgreich ein Schau- spielstudium an der HFF Potsdam-Babelsberg und ist heute ein gefragter Fernseh- und Film- schauspieler, der 2005 auf dem Moskauer Fes- tival als bester Darsteller ausgezeichnet wurde.

10 11 halter Herzog Alba. Mit List führt er die Spanier hinters Licht, bringt ih- DIE ABENTEUER DES WERNER HOLT nen empfindliche Niederlagen bei und ruft das Volk zum Widerstand auf. RE: Joachim Kunert, BU: Claus Küchenmeister, Joachim Kunert, LV: Gleich- So rettet er auch dem Anführer der Aufständischen, dem Prinzen von namiger Roman von Dieter Noll (Teil I »Roman einer Jugend«), DR: Anne Oranien, das Leben, als Alba diesen ermorden lassen will. Es gelingt den Pfeuffer, KA: Rolf Sohre, MU: Gerhard Wohlgemuth, BA: Gerhard Helwig, Spaniern nicht, den Aufstand niederzuschlagen, und nach Ausrufung der KO: Günther Schmidt, Ingeborg Wilfert, SC: Christa Stritt, PL: Hans Mah- Unabhängigkeit kehrt Till glücklich nach Damme zu Nele zurück. lich, Martin Sonnabend, GR: KAG »Roter Kreis«, m: 4493 = 165 min, s/w, ZUM FILM: Der Film erscheint als erste von vier Co-Produktionen PJ: 1963, 64, PM: 4.2.1965, PM-Ort: Berlin, »Kosmos«. DA: Klaus-Peter der DEFA mit Frankreich auf der Leinwand. Die Mitwirkung von Pu- Thiele (Werner Holt), Manfred Karge (Gilbert Wolzow), Arno Wyzniewski blikumsliebling Gérard Philipe beschert ihm großen Zuspruch. Bei der (Sepp Gomulka), Günter Junghans (Christian Vetter), Peter Reusse (Peter DEFA wurde das Projekt schon seit 1947 vorbereitet. Der Stoff vom Frei- Wiese), (Professor Holt), Karla Chadimová (Milena), heitskampf einfacher Menschen war attraktiv und passte ins Konzept. Monika Woytowicz (Gundel), Dietlinde Greiff (Marie Krüger), Angelica Auch Günter Weisenborn und , der in der Hauptrolle gern Domröse (Uta Barnim), Maria Alexander (Gertie Ziesche), Wolf Kaiser Hans Albers gesehen hätte, hatten daran gearbeitet. Für Gérard Philipe (Generalmajor Wolzow), Erika Pelikowsky (Frau Wolzow), Martin Flör- wurde es zu einer willkommenen Gelegenheit, wieder eine Mantel- und chinger (Rechtsanwalt Gomulka), Helga Göring (Frau Gomulka), Ingeborg Degen-Rolle zu spielen. Ottmann (Frau Wiese), Norbert Christian, Hans-Joachim Hanisch, A. P. ECHO: Der Autor Philipe füllte die Pausen zwischen den geistreichen Hoffmann, Herbert Körbs, Kaspar Eichel, Horst Jonischkan, Kurt Kachlicki, Streichen seines Films mehr schlecht als recht. Der Regisseur ­Philipe Rolf Römer, Rudolf Ulrich, Horst Kube, Günter Naumann u.a. vernachlässigte die Führung der anderen Mitwirkenden. Und der INHALT: Werner Holt und Gilbert Wolzow sind Freunde seit der Schul- Hauptdarsteller, selbst ohne kontrollierende Führung, wiederholte­ zeit. Halbe Kinder noch, liegen sie im Frühjahr 1945 in einer Stellung seinen Fanfan, der Husar und stand streckenweise fast peinlich im im Osten Deutschlands, die sie gegen die anrückende Rote Armee ver- Arno Wyzniewski und Vordergrund. (…) Was dem Kritiker blieb, war ein vom Lachen fast teidigen sollen. Wolzow hat das Kommando der kleinen Truppe an sich Klaus-Peter Thiele in ­ schmerzendes Zwerchfell, gemildert durch leise Wehmut, wenn er an gerissen und befiehlt dem Funker Holt, Verbindung mit dem Regiment »Die Abenteuer des den Ulenspiegel Charles de Costers dachte. (Karl-Eduard v. Schnitzler, herzustellen. Während des Funkens erinnert sich Holt an die entschei- Werner­ Holt« Filmspiegel 2/1957) Der holländische Dokumentarist Joris Ivens (…) spürt, dass er mit einer Spielfilmregie nur wenig anfangen kann. Er verabschiedet sich fast heimlich vom Set. Gérard Philipe aber, nun Hauptdarsteller und Regisseur in einer Person, scheitert an der riesigen Aufgabe: Seine De- Coster-Adaption bleibt ungelenk und kühl, zudem vertragen sich die schalkhaften und tragischen Momente nur partiell. (Ralf Schenk in Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg, 1994) Hier kreuzten sich zwei unterschiedliche Absichten in der gegenläufi- gen Interpretation wesentlicher Fabelkomponenten: die Ambitionen der Franzosen, die Story auf den Star zuzuschneiden und die Auffas- sung der DEFA vom sozialen Charakter historischer Auseinanderset- zungen. (Günter Agde, Koproduktionen als politische Prestigeobjekte, in Filmblatt 40, Sommer 2009) DOKUMENT: Der Film weist sehr deutlich allzu subjektivistische Züge Gérard Philipes auf. (…) Für den Film nicht vorteilhaft ist es, dass Gé- rard Philipe gleichzeitig für die Regie verantwortlich zeichnete, da er nicht immer dieser Aufgabe gewachsen ist. Er verwechselt oft Eulen- spiegeleien mit albernen, echt Philipe’schen Possen.« (Protokoll der Zu- lassungskommission v. 12.12.1956, zit. nach Günter Agde, Koproduk- tionen als politische Prestigeobjekte, in Filmblatt 40, Sommer 2009) NEBENBEI: Diese Literaturadaption blieb Gérard Philipes einzige Re- giearbeit. Er starb 1959 kurz vor seinem 37. Geburtstag. – Die Dreh- arbeiten fanden u.a. in Schweden, bei Nizza in Frankreich und in Ra- guhn bei Bitterfeld in der DDR statt.

12 13 denden Stationen seines Lebens: den Beginn Holt verständlich machen soll. Auch durch Montage, durch das plötz- seiner Freundschaft mit Wolzow, die gemein- liche Abschneiden von Entwicklungslinien, durch die Komprimierung same Meldung zum Militär, die Begegnung mit einzelner Szenen und durch die Gegenüberstellung kontrastierender dem Tod beim ersten Einsatz als Flakhelfer, das Vorgänge gibt der Film seinem Geschehen eigenwillige Akzente; formal erotische Erlebnis mit einer SS-Offiziersfrau, fühlt man sich mitunter an den → Fall Gleiwitz erinnert. (Ulrich Gregor, das ihn anekelte. Für die humanistische Gesin- Filmkritik 3/1965) nung seines Vaters fehlte ihm damals das Ver- The most startling difference between the book and the film is in its ständnis. Langsam jedoch wandelt sich seine structure. The book maintains a fairly linear timeline. We follow Holt Haltung. Beim Einsatz gegen slowakische Par- from his student days to his eventual desertion and capture. Kunert felt tisanen hat er der jungen Milena zur Flucht ver- that this wasn’t really working in the film, and chose instead to give his holfen. Dann konnte er auch den Schulfreund movie a nonlinear structure, relying on flashbacks to tell the story. (…) Gomulka verstehen, der zum »Feind« überge- Production Managers and Art Directors are seldom given their due in laufen war. – Die russischen Panzer rollen an, film criticism. Writers might point out their contributions to set design, können aber noch einmal zurückgeschlagen but rarely more than that. Gerhard Helwig’s input on Werner Holt was Klaus-Peter Thiele und werden. Als Wolzow einen 16jährigen erschießt, der aus Angst fliehen invaluable. Helwig made of habit of sketching his out ideas for a pro- Wolfgang­ Langhoff will, begehrt Holt auf und entwaffnet ihn. Er bringt ein Maschinen­ duction in storyboard form. It was these same sketches that Kunert and in »Die Abenteuer des gewehr in Stellung und mäht ein SS-Durchhaltekommando nieder. Sohre used to construct many of the best shots in the film. The sequence Werner­ Holt« Dann verlässt er die Stellung und macht sich auf den Weg zu Gundel, of the jump cuts with the anti-aircraft guns, for example, was sketched die auf ihn wartet und mit der er ein neues Leben beginnen will. out in exactly this fashion in Helwig’s notebook. Perhaps, if his sketch- ZUM FILM: An dem umfangreichen Film wurde sehr lange gearbeitet, books still exist, it would be worth going back over the films he worked zumal auch in der Endfertigungsphase noch konzeptionelle Änderun- on and seeing how often his sketches were used to compose scenes. He gen, was das Gewicht einzelner Figuren betraf, durchgeführt wurden. may emerge as the secret director of many DEFA films. (East German Der in vielen Ländern der Welt gezeigte Film zählt zu den wichtigen Cinema Blog, 7.7.2012) erschütternden und mahnenden Anti-Kriegs-Filmen der DEFA. NEBENBEI: Maria Alexander, in den sechziger und siebziger Jahren ECHO: Es gibt großartige Szenen im Film, die mehr verdeutlichen, Star des Berliner Metropol-Theaters, spielte als Gertie Ziesche ihre ein- als unmittelbar gezeigt wird, so, wenn Holt nach der Panzerschlacht zige große Filmrolle. verloren im verbrannten Wald hockt und ein großes fragendes Ent- setzen über dieses sinnlose Geschehen in ihm ist; so, wenn Holt und Gertie Ziesche als Fremdgewordene sich in einer Menge Ausgebomb- ABENTEUER IN BAMSDORF Die Kinder Bernd Kuss ter verlieren, so, wenn Holt mitsamt den SS-Banditen die Reste seiner Kinderfilm. RE: Konrad Petzold, BU: Konrad Petzold, DR: Gisela Neltner, und Petra Kyburg mit zerbrochene Ideale niedermäht. (Hartmut Albrecht, Nationalzeitung, KA: Günter Marczinkowsky, MU: Heinz-Friedel Heddenhausen, BA: Erich der Film-Oma Charlotte­ 6.2.1965) Kulicke, KO: Lydia Fiege, SC: Ilse Peters, PL: Anni von Zieten, m: 1646 = Küter in »Abenteuer in Sie (Küchenmeister und Kunert, f.b.h.) lösten die chronologische Er- 60 min, fa, PM: 4. 4.1958. DA: Charlotte Küter (Oma), Bernd Kuss (Toni), Bamsdorf« zählweise der literarischen Vorlage auf und führten zwei nebeneinander Peter Schmidt (Klaus), Petra Kyburg (Rita), Klaus laufende Handlungslinien ein, die sich gegen Ende vereinigen. Es gelingt Böhme (Rolf), Günter Wolf (Stippel) u. a. damit eine beabsichtigte Distanzierung von den Ereignissen. (…) Das INHALT: Für Toni und seine kleine Schwester Wesentliche aber erscheint mir (…) dass der Geist des Romans und sein Rita hatte die → Fahrt nach Bamsdorf trotz aller Atem im Film erhalten sind. Zum guten Teil liegt das an der Inszenie- Zwischenfälle ein gutes Ende genommen. Nun rung Joachim Kunerts, dem Passagen von manchmal bestürzender Echt- schlittern sie, die Ermahnungen der Großmut- heit gelangen. Diese Echtheit kleinster Szenen (und der Film enthält eine ter in den Wind schlagend, in eine neue Gefahr: große Anzahl solcher koloritgebender Szenen) dürfte in erster Linie die Toni und Freund Klaus haben eine Höhle ent- spürbare Wirkung des Films ausmachen. (Günter Sobe, , deckt. Mit einem Bindfaden als Rückweg-Wei- 10.2. 1965) ser stürzen sie sich ins Abenteuer. Rita ist ihnen Wenngleich manche Figuren und Episoden des Films weniger geglückt heimlich gefolgt, aber plötzlich bricht hinter ihr scheinen (…), so fesselt er doch durch seine ungewöhnliche erzähleri- die Decke ein. Sie schlägt sich zu den Jungen sche Struktur, die eine große Menge disparaten Materials, der verschie- durch, und gemeinsam suchen sie nach einem densten Eindrücke und Erinnerungen in den Rahmen einer einzigen Ausgang. Die Angst sitzt ihnen im Nacken, großen Rückblende stellt, die schließlich die Entscheidung des Werner doch sie finden einen Gang ins Freie.

14 15 ZUM FILM: Der Erfolg des ersten Bamsdorf-Films veranlasste die DEFA, ßem Publikum eine sensationelle Vorführung einen zweiten Teil mit Abenteuern aus kindlicher Sicht zu gestalten. Die von Blasius’ Fähigkeiten gelingt, so dass dessen Filmschöpfer wurden jedoch kurz darauf für beide Filme hart kritisiert, Väter doch noch zu ihrem Erfolg kommen. weil eine zu private Idylle gezeigt wurde und die Pionierorganisation im ZUM FILM: Nach einem vielgelesenen, in einer Film keine Rolle spielte. nahen Zukunft angesiedelten Kinderbuch dreh- ECHO: Konrad Petzold (…) ist auch in der Fortsetzung bemüht, die te Regisseur Egon Schlegel hier seinen Debüt- Fabel so einfach und verständlich wie möglich zu halten. Das ist ihm Spielfilm. Er war als Student der HFF mit sei- zweifellos gelungen, obgleich der Film auch ein wenig Zeitkolorit ver- nem Diplomfilm Ritter des Regens angeeckt, der tragen hätte. Leider fehlt das aber ganz, so dass der Film auch gut in nicht fertiggestellt werden durfte. Ein knappes Westdeutschland spielen kann. Erfreulich erregend sind die Szenen in Jahrzehnt arbeitete er für den Dokumentarfilm, dem Höhlengang. Die filmischen Mittel werden gut eingesetzt. Das Bild ehe ihm hier eine erste Spielfilmchance gegeben hat eine große Aussagekraft, und gesprochen wird nur, wenn es unum- wurde. Er fand interessante filmische Lösungen. gänglich notwendig ist. (J. B., Elternhaus und Schule 4/1958) Allerdings war die Handlung deutlich in der Eine sinnvolle Feriengestaltung, gelenkt durch den Einfluss von er- leicht stilisierten Gegenwart der siebziger Jahre wachsenen Menschen, mit vielen schönen Erlebnissen in einem Kollek- angelegt, während die Vorlage zur Jahrtausendwende spielte. Leo Sucharipa als ­Blasius tiv, welches wir ja bestrebt sind zu schaffen, fehlt völlig. Eine Beziehung ECHO: Die sinnvoll verwendeten künstlerischen Mittel aus der Gro- mit den Kindern ­Mario zur Gegenwart ist überhaupt nicht vorhanden. (…) Das Dorf liegt herr- teske, aus Musical (…) Märchen und Abenteuer, und vor allem die Wojtyczka und Petr lich in seiner Abgeschiedenheit, als ob das Neue, unser sozialistisches rhythmisch und akzentuiert Pausen setzende Regie von Egon Schlegel ­Stary in »Abenteuer mit Gepräge, überhaupt nicht existiert. Im Vordergrund steht der Indivi- machen diesen Streifen zu einem amüsanten Kino-Erlebnis für Kinder Blasius«­ dualismus der beiden Kinder. (Pionierleiterin Ingeborg Klöhn auf der und auch für Erwachsene, die sich ein wenig Phantasie und Freude am Delegiertenkonferenz des Clubs der Filmschaffenden, abgedruckt in Spielerischen bewahrt haben. (Ehrentraud Novotny, Berliner Zeitung, Deutsche Filmkunst 4/1958) 21.8. 1975) NEBENBEI: Charlotte Küter, verheiratet mit dem Schauspieler und Re- Jedenfalls wurde in einem Kinderfilm lange nicht so gelacht, und das ist gisseur Paul Lewitt und langjährige Abgeordnete der Volkskammer der nun wirklich Grund genug zu Anerkennung und Freude. (Renate Hol- DDR, war in den fünfziger und sechziger Jahren eine beliebte Darstel- land-Moritz, Eulenspiegel, 37/1975) lerin von Oma-Rollen. NEBENBEI: Die aus heutiger Sicht vorsintflutlich wirkende »utopi- sche« Technik des Films mit blinkenden Glühlampen und Magnetbän- dern kann es heute an freiwillig-unfreiwilliger Komik mit der legendä- ABENTEUER MIT BLASIUS ren Raumpatrouille aufnehmen. Co-Produktion DDR/ČSSR, Kinderfilm. RE: Egon Schlegel, SZ: Milan Pav- lík, Fred Rodrian, Gerhard Holtz-Baumert, LV: Erzählung »Messeabenteuer 1999« von Werner Bender, DR: Inge Wüste-Heym, Marcela Pittemanová, ABSCHIED KA: Günter Jaeuthe, MU: Günter Hauk, SB: Bohumil Pokorny, KO: Stella RE: Egon Günther, BU: Egon Günther, Günter Kunert, LV: Gleichnami- Drozdová, Irene Pape, SC: Renate Bade, PL: Oscar Ludmann, Zdenek Oves, ger Roman von Johannes R. Becher, DR: Konrad Schwalbe, KA: Günter GR: AG »Babelsberg«, m: 2159 = 79 min, fa, brw, PJ: 1974, PM: 11.7.1975, Marczinkowsky, MU: Aus einem Requiem von Paul Dessau, SB: Harald PM-Ort: Prerow, Freilichtbühne, CO: Filmstudio Barrandov, Prag. DA: Leo Horn, KO: Werner Bergemann, SC: Rita Hiller, PL: Herbert Ehler, GR: KAG Sucharipa (Blasius), Wolfgang Greese (Prof. Brockmann), Norbert Chris- »Babelsberg«, m: 2912 = 107 min, s/w, Cine, PJ: 1967/68, PM: 10.10.1968, tian (Minister), Mario Wojtyczka (Egon), Petr Stary (Frantik), Dieter Wien PM-Ort: Berlin, »Kosmos«. DA: Rolf Ludwig (Vater Gastl), Katharina (Dr. Prantl), Manfred Zetzsche (Dr. Pirwitz) u. a. Lind (Mutter Gastl), Jan Spitzer (Hans Gastl), Mathilde Danegger (Groß- INHALT: Zwei Ingenieure sind mit ihrem Roboter Blasius auf dem Weg mutter), Doris Thalmer (Christine), Heidemarie Wenzel (Fanny), Bodo zur Leipziger Messe. Im Zug gerät der Junge Frantik aus Prag, der zu sei- Krämer (Feck), Wilfried Mattukat (Freyschlag), Klaus Hecke (Löwenstein), nem Freund Egon nach will, in deren Abteil. Auf dem Bahnhof Jürgen Heinrich (Hartinger), Manfred Krug (Sack), Annekathrin Bürger angekommen, entführt Blasius die beiden Jungen. Als das merkwürdige (Magda), Carl-Heinz Choynski (Kreibich), Rolf Römer (Hoch), Fred Del- Verhalten des wie ein Mensch aussehenden Roboters sie hinter dessen mare, Martin Flörchinger, Arthur Jopp, Hans Klering, Wolfgang Greese, Geheimnis bringt, glauben sie, dass er von Verbrechern für kriminel- Heinz-Dieter Knaup u. a. le Handlungen vorgesehen ist und entführen ihn ihrerseits. Mit ihren INHALT: Im August 1914, im allgemeinen Freudentaumel über den Fehlprogrammierungen richten sie große Verwirrung an. Von den Er- bevorstehenden Krieg, trifft der 17jährige Münchner Bürgersohn Hans findern verfolgt, landen sie auf dem Messegelände, wo ihnen vor gro- Gastl eine Entscheidung: Er wird diesen Krieg nicht mitmachen. Die-

16 17 ser Entschluss bedeutet eine Wende in seinem very few people saw her performance. It would be her turn in Zeit der Leben, Abschied von seiner Klasse, seiner Fami- Störche (The Time of Storks) that would finally put her on the map, but lie. Seine Vorstellungen vom »Anderswerden« it is her performance as Paul’s wife in The Legend of Paul and Paula for sind noch nebulös, doch sie verbinden sich mit which she is most famous. (Jim Morton, East German Cinema Blog, einem sinnvollen Leben in einer gerechten Ge- 7.9.2015) sellschaft. Der Entschluss kommt nicht spontan: NEBENBEI: Co-Szenarist Günther Kunert tritt in der kleinen Rolle Schon als Kind rebellierte Gastl, der Sohn eines eines Bildhauers auf. Oberstaatsanwalts, gegen die Saturiertheit und Scheinmoral im Elternhaus. In der Beziehung zu seinen Mitschülern Feck und Freyschlag war ABSCHIEDSDISCO er ständig hin- und hergerissen zwischen Be- RE: Rolf Losansky, SZ: Joachim Nowotny, LV: Gleichnamige Erzählung von wunderung für deren Mut und Abscheu vor den Joachim Nowotny, DR: Werner Beck, KA: Helmut Grewald, MU: Reinhard üblen Streichen. Er denkt an die Freundschaft Lakomy, SB: Jochen Keller, KO: Barbara Braumann, SC: Ilona Thiel, PL: mit dem Juden Löwenstein und dem Arbeiter- Harald Fischer, GR: »Berlin«, m: 2475 = 91 min, PJ: 1989, PM: 5.4.1990, Jan Spitzer und jungen Hartinger und an die tragisch endende Liebe mit der Prostitu- PM-Ort: Berlin, »International«. DA: Holger Kubisch (Henning), Dana Jaecki Schwarz und Fritz Regisseur Egon ­Günther ierten Fanny. Bauer (Silke), Susanne Saewert (Dixie), Horst Schulze (Hennings Groß- Marquardt (oben) und in »Abschied« ZUM FILM: Die Literaturadaption nach einer Vorlage des früheren vater), Jaecki Schwarz (Hennings Vater), Ellen Hellwig (Hennings Mut- eine Gruppe Jugendlicher DDR-Kulturministers Joh. R. Becher erhielt das Prädikat »Besonders ter), Fritz Marquardt, Daniela Hoffmann, Anneliese Matschulat, Wolfgang (unten) in »Abschieds- wertvoll«, doch obwohl der SED-Spitzenpolitiker Alexander Abusch Winkler, Gert-Hartmut Schreier, Viola Schweizer, Gerhard Rachold, Detlef disco« beratend am Szenarium mitgewirkt hatte, wurde der Film kurz nach Neuhaus, Bernd-Uwe Reppenhagen u. a. der Uraufführung auf dem 9. Plenum des ZK der SED von Hans-Die- INHALT: Der fünfzehnjährige Henning ist vom ter Mäde wegen seiner Stilmittel harsch kritisiert. Ins Neue Deutschland Tod seiner Freundin Silke, seiner ersten Lie- wurden kritische Leserbriefe lanciert, und der Film wurde schnell aus be, schwer erschüttert. Tröstungen sind ihm den Kinos zurückgezogen, ohne offiziell verboten zu werden. lästig. Er entschließt sich, zum Großvater zu ECHO: Der Regisseur Günther wollte bewusst keinen historischen Film fahren, der in einem Dorf im Braunkohlen- drehen, eine weitgehende Stilisierung schafft Distanz und ermöglicht gebiet lebt. Das Dorf muss der Kohle weichen, zugleich gedankliche Parallelen zum Protest unserer Jugend gegen das doch der Alte weigert sich, ins Altersheim zu heutige Establishment. (…) Mit seiner Rückblendentechnik, mit Zeit- gehen. Henning erfährt dort ein anderes Ster- lupen- und Belichtungseffekten, Traumsequenzen und für Babelsberger ben. Bagger fressen sich durch die Landschaft, Verhältnisse ungewohnt freien erotischen Szenen ist dies, ungeachtet alles Leben vernichtend. In der fast verlassenen möglicher Einwände im Detail, seit langem wieder einmal ein DEFA- Gegend begegnet er verschiedenen Menschen. Spielfilm, der internationalen Maßstäben gerecht wird. (Heinz Kersten, Einem Plünderer und dem alten Dorfkauz, der 1968, zit. nach So viele Träume) Tiere einsammelt, um sie zu retten. Eine Frau Deutsche Bürgerwelt mit scharfem, verfremdendem Blick abgeurteilt, in der Disco, die geschlossen wird, macht ihm Sinnsuche in gärenden Verhältnissen, Verstrickung in Liebe, Wahn und unzweideutige Angebote. Er beobachtet ein Mord. Dabei nur eine Klarheit: die Absage an den Krieg. (Klaus Wisch- junges Paar, das sich in der gespenstischen Um- newski in Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg, 1994) gebung liebt. Dem Jungen stellen sich Fragen Playing the older Hans Gastl in his first film appearance is Jan Spitzer, nach der Verantwortung des Menschen beim looking very much like a classmate of Malcolm MacDowell’s in If …; a Umgang mit der Erde. Am Ende pflanzt er mit good choice for someone as anti-authoritarian as Hans. Spitzer got his der Schulfreundin Dixie Bäumchen in einer fast training at then Academy, which is still a leading school toten Landschaft. for students of the dramatic arts in today. He appeared in ZUM FILM: Ein knappes Jahrzehnt brauchte der many more films in in roles of variying size, but his per- Stoff bei der DEFA, bis er endlich realisiert wer- formance as Hans in Farewell remains one of his best-known perfor- den konnte. Die ökologischen wie auch sozialen mances. (…) Playing the ill-fated Fanny is Heidemarie Wenzel. Wenzel Auswirkungen des Braunkohlentagebaus ­galten had appeared in small roles in films prior to this (she was the bride in lange als Tabu. Als der Film endlich auf die Lein- The Lost Angel), but this was her first starring role and she turns in a wand kam, bewirkte er nur noch ein Achsel­ sensational performance. Due to the limited distribution of this film, zucken.

18 19 ECHO: Der Film arbeitet mit Symbolen. Immer wieder taucht der Baum ČSSR. Szenarist Kant zeichnete Typen, die durchaus den Alltag in der auf. Er steht für Leben, Heimat, Alter, Würde. Und immer wieder wer- DDR prägten. Trotz optimistischer Grundhaltung und versteckter agi- den Bäume gefällt. Anregend ist auch mancher Hintersinn-Text. Wenn tatorischer Züge wies der Film in der Figurenzeichnung einen bei der es zum Beispiel heißt: »Vorwärts oder zurück, das weiß längst keiner DEFA seltenen Realismus auf. mehr«, oder »Ihr fühlt euch nur hinter Zäunen sicher … wenn’s nach ECHO: Der Film-Ruf erging an einen jungen Mann, der sich bereits euch ginge, würdet ihr die ganze Erde dicht machen.« Verfremdungs­ durch ausgezeichnete publizistische Arbeiten einen ohnehin nicht ganz effekte wie Hennings Visionen wirken manchmal verkrampft. Vielleicht, unbekannten Namen gemacht hatte: . Kategorisch ver- weil die Arbeit am Film immer von der Furcht begleitet war, dass am legte dieser die Handlung des Blazek-Stücks in die DDR, wählte den Ende doch alles im Tresor verschwindet. Das erzeugt Wut und raubt Si- ebenfalls weihnachtlich-ironischen Titel Ach, du fröhliche … und be- cherheit im Handwerk. (Ulrike Elsner, Lausitzer Rundschau, 23.4.1990) reicherte die Fabel um so viel neue Gestalten, Episoden und Schicksa- Es liegt etwas in der Stimmung von Klimows Abschied von Matjora le, dass ein gültiges Drehbuch über Probleme unseres Landes entstand. über Abschiedsdisco, anders, weniger extrem, aber doch in erkennbarer (Renate Holland-Moritz, 1962, zit. nach Die Eule im Kino, 1981) Nähe. (Helmut Ullrich, Neue Zeit, 11. 4.1990) Das Wertvollste an diesem Film ist die Tatsache, dass die komischen NEBENBEI: Schon 1974 hatte Rolf Losansky mit … verdammt, ich bin Seiten unseres Lebens und unserer Probleme aus unserer Sicht gesehen erwachsen eine Vorlage von Joachim Nowotny adaptiert. sind. Die komischen Effekte sind nicht selten eine feine Ironie auf ver- besserungswürdige Seiten unseres Arbeitsstils. (Hans Lohmann, Sonn- tag 42/1962) ACH, DU FRÖHLICHE … NEBENBEI: Ein besonderer Reiz dieses Films besteht darin, dass Pro- RE: Günter Reisch, BU: Hermann Kant, LV: Komödie »Und das am Heilig- blementwicklungen und Persönlichkeitsstrukturen, die hier angelegt abend« von Vratislav Blazek, DR: Gerhard Hartwig, KA: Horst E. Brandt, waren, ein Vierteljahrhundert später mit den gleichen handelnden Per- MU: Helmut Nier, BA: Alfred Hirschmeier, KO: Walter Schulze-Mitten- sonen in Günter Reischs Film Wie die Alten sungen wieder aufgegrif- dorf, SC: Lena Neumann, PL: Hans Mahlich, GR: KAG »Roter Kreis«, fen wurden und ein zwar heiter gefärbtes, doch von skeptischen Tönen m: 2589 = 95 min, s/w, PJ: 1961/62, PM: 7.10.1962, PM-Ort: Potsdam- nicht freies Bild des real existierenden Sozialismus gezeigt wurde. – Sze- Babelsberg, »Thalia«. DA: Erwin Geschonneck (Walter Lörke), Mathilde narist Hermann Kant tritt in Ach, du fröhliche … in der kleinen Rolle Danegger (Großmutter), Karin Schröder (Anne Lörke), Arno Wyzniewski eines Partygastes auf. (Thomas Ostermann), Günter Junghans (Karl Lörke), Rosemarie Schelenz (Peggy), Herwart Grosse (Herr Ostermann), Marianne Wünscher, Walter Jupé (Frau und Herr Klinkenhöfer), Karla Runkehl (Frau Siebkorn), Gerd DIE ACHATMURMEL Ehlers, Erik Veldre, Jutta Wachowiak, Fred Delmare, Siegfried Kilian u. a. → Anhang A INHALT: Weihnachten 1961. Der Arbeitsdirektor des VEB »13. Au- gust«, Walter Lörke, wünscht seinen Kollegen ein geruhsames Fest, wie er es selbst auch im Kreis seiner Lieben zu verbringen gedenkt. Doch ACHILLESFERSE Dieter Franke und Erwin Geschonneck in Tochter Anne hat eine Überraschung parat – in Gestalt des zukünftigen RE: Rolf Losansky, SZ: Günter Mehnert, DR: Gudrun Deubener, KA: Hel- Heidrun Welskop »Ach, du fröhliche …« Familienmitglieds Thomas Ostermann. Dass sie Thomas zu heiraten mut Grewald, MU: Gruppe Express, MB: Gerhard Rosenfeld, SB: Dieter in »Achillesferse« gedenkt, irritiert Vater Lörke, dass sie ihm ihre Adam, KO: Joachim Dittrich, SC: Ursula Zweig, Schwangerschaft verheimlicht hat, empört ihn, PL: Werner Langer, GR: AG »Berlin«, m: 2487 = und dass sich Thomas auch noch als entschie- 91 min, fa, brw, PJ: 1978, PM: 7.12.1978, PM- dener Kritiker des Arbeiter-und-Bauernstaates Ort: Berlin, »International«. DA: Heidrun Wel- zu erkennen gibt, bringt ihn vollends in Rage. skop (Susanne), Erwin Berner (Michael), Dieter Die friedliche Weihnacht ist dahin, doch Vater Franke (Trainer Rieger), Jessy Rameik (Susannes Lörke, der in der ersten Wut das Haus verlässt, Mutter), Jürgen Reuter (Cheftrainer), Manfred besinnt sich. Plötzlich erscheint ihm der junge Karge, (Susannes Vater), Annemone Haase, Gün- Mann ganz akzeptabel, und er versucht her- ter Grabbert (Michaels Eltern), Gerry Wolff, Berko auszufinden, was Thomas zu dieser negativen Acker, Leon Niemczyk, Ezard Haußmann u. a. Haltung dem Staat gegenüber gebracht haben INHALT: Die 17jährige Susanne ist Turnerin könnte. Lörke stimmt der Hochzeit zu. und hat die Chance, in die Nationalmannschaft ZUM FILM: Der Film war die Adaption eines aufgenommen zu werden. Aber ausgerechnet damals erfolgreichen Bühnenstückes aus der jetzt hat sie Probleme beim Training. Ihr ge-

20 21 lingt der neue Abgang vom Stufenbarren nicht. ADDIO, PICCOLA MIA Gleichzeitig gerät sie in andere Konfliktsituatio- RE: Lothar Warneke, SZ: Helga Schütz, DR: Christel Gräf, KA: Claus Neu- nen: In der Schule lassen ihre Leistungen nach. mann, MU: Bach, Mozart, Gerhard Rosenfeld, SB: Alfred Hirschmeier, Ihre ehrgeizige Mutter, an die Erfolge der Toch- KO: Christiane Dorst, SC: Erika Lehmphul, PL: Herbert Ehler, GR: AG ter gewöhnt, bringt nicht das notwendige Ver- »Roter Kreis«, m: 3361 = 123 min, fa, brw, PM: 18.1.1979, PM-Ort: Berlin, ständnis auf. Der Vater, von Susannes Mutter »International«. DA: Hilmar Eichhorn (Georg Büchner), Trude Bechmann geschieden und ständig auf Reisen, ist nur sel- (Oma Zeuner), Lydia Billiet (Tante Jules), Ute Lubosch (Louise), Horst ten für sie da. Ihr Freund Michael, mit dem sie Drinda (Dr. Ernst Büchner), Werner Godemann (Onkel Reuss), Jörg Foth die erste Liebe erlebt, muss bald zur Armee und (Musiklehrer), Michael Gwisdek (Ludwig Weidig), Karin Gregorek (Frau fühlt sich vernachlässigt, weil Susanne zu wenig Weidig), Lars Jung (Minnigerode), Christine Schorn (Caroline), Heinz Die- Zeit für ihn hat. Ihr Trainer aber zeigt Verständ- ter Knaup, Dietrich Körner, Hans-Otto Reintsch, Antje Ruge, Wolfgang nis, steht ihr in den Konfliktsituationen, die sie Arnst, Ralph Borgwardt u. a. schließlich meistert, zur Seite – und so stellt INHALT: Der Medizinstudent und Dichter Georg Büchner verabschie- Büchner-Darsteller sich auch der Erfolg im Sport wieder ein. det sich 1833 in Straßburg von seiner Geliebten Louise und kehrt in sei- Hilmar Eichhorn in Heidrun Welskop ZUM FILM: Internationale Erfolge auf dem Gebiet des Leistungssports ne hessische Heimat zurück. Er lernt dort den Pfarrer Weidig kennen, »Addio, piccola mia« mit und ­Erwin Berner in hoben das Selbstbewusstsein der DDR. So wurden Sport und Sportler den Kopf einer revolutionären Verschwörung. Sie gründen die »Gesell- Michael Gwisdek (unten) »Achillesferse«­ hin und wieder zum Filmthema gemacht. Da jedoch in diesem Zusam- schaft für Menschenrechte«, schreiben den »Hessischen Landboten«, menhang nichts in Frage gestellt werden durfte, blieben diese Versuche eine Aufklärungsschrift für die Massen, die sie in ihre Aktivitäten ein- – wie auch der vorliegende – stets glatt. beziehen wollen. Der Freund Minnigerode und Weidig werden verhaf- ECHO: Die Autoren verknüpfen mit den Bewährungen der Heldin frei- tet, der steckbrieflich gesuchte Büchner flieht nach Straßburg zu Louise, lich größere ethische Absichten, die auch der Zuschauer mitvollzieht: dort vollendet er »Dantons Tod«. Er fühlt sich in Straßburg nicht sicher Mut, Ausdauer, Risikobereitschaft, Verantwortung etc. Von hier aus und geht nach Zürich. Büchner schreibt den »Woyzeck« und arbeitet bekommt die sehr genau gezeichnete, differenzierte, noch in Nuancen wissenschaftlich. Am 21. Februar 1837 stirbt er im Alter von 23 Jahren lebendige Beziehung zwischen Susanne und ihrem Trainer ihren Wert, an Typhus. auch besonders dank der Leistung der beiden Darsteller Heidrun Wels­ ZUM FILM: Für Regisseur Lothar Warneke war dies die erste Adaption kop und Dieter Franke. (Günter Agde, Filmspiegel 1/1979) eines historischen Sujets. Nach dem Eklat der Biermann-Ausbürgerung Autor Günter Mehnert und Regisseur Rolf Losansky haben schon wie- erschien es vielen DDR-Filmemachern sinnvoll, in die Historie auszu- derholt Probleme junger Menschen an der Schwelle des Erwachsen- weichen, um verschlüsselt über die Gegenwart zu erzählen. werdens behandelt, selten jedoch so klischeehaft wie in diesem, ihrem ECHO: Der Film dringt nicht in Büchner und seine Genossen ein, um jüngsten Opus. In Achillesferse hielten sie sich an ein verflossenes Ba- von ihnen aus Fragen und Forderungen an uns zu richten, sondern be- belsberger Rezept, das mit einst viel benutzten Schlagworten auf die nutzt sie umgekehrt, um eigene Erfahrungen und Befindlichkeiten an Formel »Massenwirksamkeit durch Schauwert« gebracht werden könn- ihnen zu belegen, als Folie, Material der Selbstäußerung. Dabei ist der te. Zu publikumsattraktiven Bildern von sportlichen Wettkämpfen und Film konsequent komponiert, im Detail von großer Qualität. Aber seine mit Reiseprospektcharakter kommt eine ansehnliche neuentdeckte Struktur und Erzählweise, die weniger Vorgän- Hauptdarstellerin, Heidrun Welskop, die sich stets wie ein Mannequin ge als Stimmungen entwickeln, mehr Momente aus dem Modemagazin präsentieren muss, wozu eine häusliche Um- ausmalen als Zusammenhänge aufdecken, er- gebung nach Schöner-Wohnen-Modell passt. (Heinz Kersten, 1978, zit. schweren und behindern den Blick auf die Ge- nach So viele Träume) schichte. Wir sollten uns da nicht immer mit NEBENBEI: Die international erfolgreiche Turnerin Erika Zuchold ist dem Begriff »anspruchsvoll« trösten … Es gibt in der Rolle einer Mannschaftsleiterin zu sehen. – Gegen Szenen, die Bilder von großer Schönheit, die statisch blei- bei der Nationalen Volksarmee spielen, äußerte sich Admiral Verner ben – der Begriff »kunstvoll« drängt sich auf. kritisch in einem Brief an den Kulturminister. So passte dem Admiral (Peter Ahrens, Weltbühne 9/1979) der lockere, flapsige Ton einiger Dialoge nicht, wie die Formulierungen: Dabei scheint mir diesmal freilich auch ein »… habe gute und schlechte Nachrichten erhalten« – mit der schlech- Hauch von Resignation unverkennbar, der sich ten Nachricht ist der vorgezeigte Einberufungsbefehl gemeint, »General vor allem optisch vermittelt: in den Bildern wird Verständnis haben« (für öftere Urlaubsfahrten), »geliebter Haupt- weiter Schneelandschaften etwa, auf denen mann«, »Taiga« (gemeint und gesagt: Dienststelle in Eggesin). (zit. nach Büchner einmal, sich zur rettenden Grenze Kino ist mehr als Film) durchschlagend, nur noch als kleiner verlore-

22 23 ner Punkt auftaucht. (…) Überhaupt lebt dieser Film in starkem Maße Erpressungen und begnügt sich bei der Darstellung des Gegners mit der durch seine schönen Bilder (Kamera: Claus Neumann), die oft von der Abstraktion imperialistischer Menschenhändlermethoden, zeigt nichts Malerei der Romantik inspiriert erscheinen. (Heinz Kersten, Tagesspie- weiter als ihre eiskalte und unmenschliche Fratze. (Fred Seeger, Junge gel, 18.3.1979) Welt, 3.2.1962) NEBENBEI: Das Auditorium im Hörsaal wurde mit Regisseuren der Leider hat man uns die Auseinandersetzung mit diesem schon vor län- DEFA besetzt. Man erkennt Janos Veiczi, Horst E. Brandt, Erwin Stran- gerer Zeit fertiggestellten DEFA-Film nicht erspart. Er gehört in die ka, Jo Hasler, Autorin Helga Schütz, , Heiner Carow, Ralf inzwischen überwundene Periode unserer Filmproduktion, da man Kirsten, , Günter Reisch, Lothar Warneke, Siegfried Kühn, glaubte, Argumente inszenieren zu können, da man sich mit illustrier- Gottfried Kolditz, Ulrich Weiß, Herrmann Zschoche, Claus Dobberke, ten Thesen zufriedengab und den Menschen und seine wahren Gefühle Roland Oehme und Konrad Petzold. vergaß. (…) Fatal ist, dass sich die Eingleisigkeit des Buches mit der Primitivität seiner filmischen Umsetzung multipliziert. Die Kamera kommt aus den Zimmern kaum heraus, ist starr und unbeweglich, be- ÄRZTE obachtet mit fühlbarer Langeweile die ewigen Gespräche und Disku- RE: Lutz Köhlert, BU: Egon Günther, DR: Ilse Langosch, KA: Günter Eisin­ tierereien, die fast den ganzen Film füllen. Vergeblich wartet man auf ger, MU: Günter Hörig, BA: Alfred Hirschmeier, KO: Helga Scherff, SC: Dramatik, auf packende Konflikte, auf eine mitreißende, erregende Lena Neumann, PL: Hans Mahlich, GR: KAG »Roter Kreis«, m: 2580 = Bildsprache. (Christoph Funke, Der Morgen, 9.2. 1962) 95 min, s/w, PJ: PJ: 1960, PM: 1.2.1962, PM-Ort: Berlin. DA: Johannes NEBENBEI: Regisseur Lutz Köhlert wurde Professor der Babelsberger Arpe (Prof. Heger), Günther Simon (Dr. Brehm), Karla Runkehl (Susanna), Filmhochschule, der er auch eine Zeitlang als Rektor vorstand. Horst Schönemann (Abwerber), Hans Lucke (Dr. Hübner), Horst Drinda (Wolfgang), Helga Piur (Doris), Günter Grabbert, Ditha Cullmann, Rein- hard Michalke, Werner Dissel, Amy Frank u. a. ÄRZTINNEN INHALT: Ein Krankenhaus in einer DDR-Industriestadt. Chefarzt RE: Horst Seemann, SZ: Horst Seemann, LV: Gleichnamiges Schauspiel Heger und seinen jungen Oberarzt Brehm verbindet eine langjährige von Rolf Hochhuth, DR: Peter Wuss, KA: Otto Hanisch, MU: Horst See- Freundschaft. Plötzlich erhält Brehm anonyme Drohungen, die ihn zur mann, SB: Georg Wratsch, KO: Inge Kistner, SC: Bärbel Bauersfeld, PL: Republikflucht treiben sollen. Während des Krieges ist er mitschuldig Dorothea Hildebrandt, GR: GR »Babelsberg«, m: 2800 = 103 min, fa, brw, am Tod von Hegers Sohn geworden, der sich dem Nazikrieg verwei- PJ: 1983, PM: 19.1.1984, PM-Ort: Berlin, »Kosmos«. DA: Judy Winter gerte und erschossen wurde. Den Erpressern zuvorkommend, gesteht (Dr. Katia Michelsberg), Inge Keller (Dr. Lydia Kowalenko), Walther Reyer Brehm Heger die Wahrheit und hofft auf Verzeihung. Doch Heger weist (Dr. Riemenschild), Rolf Hoppe (Dr. Böblinger), Daniel Jacob (Thomas ihn empört von sich. Brehm flieht nach Westdeutschland. Heger er- Michelsberg), Michael Gwisdek (Dr. Michelsberg), Käthe Reichel (Dr. Plau- kennt sein Fehlverhalten, gerät in innere Konflikte und verlässt schließ- ner), Wolfgang Dehler (Kuno), Horst Schulze (Oberstaatsanwalt), Ellen lich auch die DDR. In München treffen sich die beiden, und es kommt Schwiers (eine Ärztin), Christoph Engel, Hartmut Puls, Barbara Dittus, Reinhard Michalke, zu einem klärenden Gespräch. Leon Niemczyk, John Harryson u. a. Helga Piur und Johannes ZUM FILM: Die Uraufführung dieses Films, der ein akutes Problem INHALT: Die Ärztin Lydia Kowalenko verliert ihre Arbeit in einem Arpe in »Ärzte« der DDR, den Exodus der Ärzteschaft, mutig thematisierte, aber zu- pharmazeutischen Betrieb, weil sie sich weigert, Mängel von firmeneige- gleich nicht die Wurzeln offenlegte, war bereits nen Präparaten, die Todesfälle gekostet haben, zu vertuschen. Sie findet ein Jahr zuvor anvisiert worden. Nach einem durch Beziehungen bald eine neue Stelle. Doch ihren alten Chef hat sie Politbürobeschluss zur Verbesserung der Lage kurz darauf aufgrund einer Firmenzusammenlegung wieder. Sie beginnt der medizinischen Intelligenz wollte man diese sich anzupassen. Ihre Tochter Katia, ebenfalls Ärztin, ist von vornher- Berufsgruppe durch den Film nicht verärgern. ein skrupellos auf ihre Karriere bedacht. Ihrer Forschungsarbeit wegen Nach dem Mauerbau war dieser Aspekt gegen- nimmt sie in der Klinik einen nicht notwendigen operativen Eingriff vor, standslos geworden. an dem die Patientin stirbt. Katias Sohn Thomas, der auch Arzt werden ECHO: Der Film ist vor dem 13. August ge- will, arbeitet als Hilfskraft in der Pathologie. Er erlebt, wie der Fall ver- dreht. Nicht später, sondern eher wäre besser schleiert und ein Prozess durch den Klinikdirektor verhindert wird. Als gewesen, denn er ist stark in seiner Warnung Thomas einen Unfall hat, stirbt er in einem Krankenhaus vor den Augen und fällt durch eine tiefe Sachkenntnis des Mi- seiner Angehörigen, die nicht wissen, ob er seinen Verletzungen erlag lieus und der Konflikte der alten Intelligenz auf. oder Opfer der Transfusion künstlichen Blutes geworden ist. Der Autor Egon Günther konzentriert sich ganz ZUM FILM: Die Kulturpolitik der DDR hatte zu dem bundesdeut- auf die psychologischen Folgen der westlichen schen Dramatiker Rolf Hochhuth traditionell ein gutes Verhältnis. Die

24 25 meisten seiner Stücke wurden – vorrangig am INHALT: Ein authentischer Fall aus Magdeburg zur Zeit der Weima- Volkstheater Rostock – in der DDR gespielt rer Republik. Der jüdische Fabrikant Jacob Blum wird aufgrund einer und kamen als Theaterübertragungen auch ins Aussage des Ganoven Gabler wegen Mordes an seinem Buchhalter ver- Fernsehen. Die Linie der in der Bundesrepublik haftet. Für den antisemitischen Untersuchungsrichter ist der Fall klar. angesiedelten Filmthemen wurde bei der DEFA Nur ein Jude kann der Täter sein. Weder Entlastungsbeweise noch die nur noch sporadisch verfolgt. Ärztinnen bot eindeutige Spur, die zu Gabler selbst führt, kann ihn umstimmen. Im sich aber u.a. wegen der profilierten Rollen für letzten Moment gelingt es dem Kommissar Bonte, von Blums Freun- Stars an. Obwohl der Film keine offizielle Co- den aus Berlin geholt, den wahren Täter, Gabler, mit Hilfe von dessen Produktion war, waren doch die Durniok-Pro- Freundin zu überführen. Der Justiz bleibt nur noch, den skandalösen duktion, ein schwedischer Fernsehsender und Fall totzuschweigen. die Schweizer Monopol-Film an der Verfilmung ZUM FILM: Der Film, der kurz nach dem Ende des Faschismus von mitbeteiligt. dem Geist erzählte, der den Faschismus möglich machte, war dank ein- ECHO: Der Film ist bitter. Und er ist bitternötig. fühlsamer Inszenierung und ausgezeichneter Darsteller ein großer Er- In unserem Falle jedoch klagt Hochhuth allein folg und zählt zu den Klassikern der DEFA. die westliche Welt an. Sein didaktisches Drama bietet uns in der DDR ECHO: Da gehört jede kurze Szene und jedes Wort zum Ganzen, da kaum mehr als folgenlos bleibende Information. Ich frage mich be- wird nicht experimentiert, und da ist keine Rolle falsch besetzt. Da er- klommen: Haben wir etwa keine Probleme, die mit gleichem Ernst, mit lebt man, dass diese Richter plötzlich Karikaturen werden, aber nicht selber Leidenschaft aufgerollt werden sollten? (S. Hollitzer, Die Kirche eine Geste etwa ist grotesk gestaltet. Nein, man sieht nur, dass diese 13/1984) Richter in Wirklichkeit Karikaturen waren, und man schüttelt sich, weil So ist das Leben, wenn Rolf Hochhuth es sich ausdenkt und die DEFA es solche Gestalten noch jetzt in Ämtern sitzen. Kann man einen Richter verfilmt. Die Allianz zwischen dem westdeutschen Autor und der ost- zugleich als »Bonner Borussen« und als Mensch zeigen? (Leo Menter, deutschen Filmfirma hat einen teuren Streifen zustande gebracht, eine Weltbühne 59/1948) sehenswerte Color-Schmonzette aus der Glitzerwelt des Westens, wie Engel verband seine »umwerfende Nüchternheit«, die man ihm nach- Gisela Trowe und Lieschen Ost ihn sich denkt. Das Ambiente ist à la Dallas ausstaffiert, sagt, mit einer diebischen Freude am Entdecken der komischen Seiten Hans-Christian­ Blech an nichts wird gespart, schon gar nicht an Sex and Crime. Kein Wunder seiner Figuren, mit der Lust an satirischer Überzeichnung. Aber nie in ­»Affäre Blum« also, dass das Grusical in wenigen Monaten mehr als eine Million DDR- Menschen ins Kino zog. (Hans Halter, Der Spiegel 22/1984) NEBENBEI: Kritikerpreise der DDR gingen an den Film und an die Hauptdarstellerinnen Inge Keller und Judy Winter. – Den Nachwuchs- darsteller Daniel Jacob, Sohn von Ellen Schwiers, die einen winzigen Auftritt hat, ereilte ein ähnliches Schicksal wie seine Figur. Wenige Mo- Walther Reyer als nate nach den Dreharbeiten starb er an einer unheilbaren Krankheit. Dr. Riemenschild – Regisseur Horst Seemann selbst trat in der Szene des Ärztekongresses mit den »Ärztinnen« im Kreise seiner Familie auf. Inge Keller (oben) und Judy ­Winter (unten) AFFAIRE BLUM RE: Erich Engel, BU: Robert A. Stemmle, KA: Friedl Behn-Grund, Karl Plintzner, MU: Herbert Trantow, BA: Emil Hasler, KO: Brigitte Götting, SC: Lilian Seng, PL: Herbert Uhlich, GR: Herstellungsgruppe Herbert Uhlich, m: 3009 = 110 min, s/w, PM : 3.12.1948, PM-Ort: Berlin, »Babylon«. DA: Hans Christian Blech (Karlheinz Gabler), Gisela Trowe (Christina Bur- mann), Arno Paulsen (Wilhelm Platzer), Maly Delschaft (Anna Platzer), Blandine Ebinger (Lucie Schmerschneider), Kurt Ehrhardt (Doktor Jacob Blum), Alfred Schieske (Kriminalkommissar Otto Bonte), Paul Bildt (Kon- rad), Ernst Waldow (Schwerdtfeger), Karin Evans (Sabine Blum), Her- bert Hübner, Gerhard Bienert, Margarete Schön, Werner Peters, Reinhard Kolldehoff­ u.a.

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