Eine Reise Auf Dem Autoput (Pdf)
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Deutschlandfunk GESICHTER EUROPAS Samstag, 17. September 2011, 11.05 – 12.00 Uhr Die Schlagader des Balkans - Eine Reise auf dem Autoput mit Reportagen von Tom Schimmeck Moderation und Musikauswahl: Simonetta Dibbern (DLF 2010) Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar – Ein ehemaliger LKW-Fahrer aus Mazedonien über das Leben auf der Straße: Ich habe das genossen, ich war sehr glücklich, wenn ich fahren konnte, von Skopje nach Ljubljana, durchs ganze Jugoslawien. Und ein Mopedfahrer aus Zagreb über die sogenannte Gastarbeiterroute: Das Dramatischste in den 60er, 70er ahren war, dass Gastarbeiter, vornehmlich Türken, Griechen, unendlich lange nach Hause gefahren sind. Fuhren langsam und schliefen ein. Gesichter Europas: Die Schlagader des Balkans. Eine Reise auf dem Autoput. Eine Sendung von Tom Schimmeck. Am Mikrophon begrüßt Sie Simonetta Dibbern. 1 Die Transitstrecke zwischen Österreich und Griechenland hat viele Namen: Straße der Völkerwanderung wird sie genannt oder: Gastarbeiterroute. In der Sprache der europäischen Verkehrsminister: Paneuropäischer Korridor X. Durchgesetzt jedoch hat sich das serbische Wort für Autobahn: Autoput. Knapp 1200 Kilometer lang ist die Strecke von Villach nach Thessaloniki, eine Diagonale von Nordwest nach Südost, mit einer Abzweigung über Bulgarien in die Türkei und weiter nach Asien. Eine berühmt-berüchtigte Route mit einer wechselvollen Geschichte: Früher waren hier die Karawanen gezogen, mit Kaffee und Teppichen im Gepäck. Später – und immer wieder: die Truppen verschiedener Eroberer und Kriegsmächte. Nach dem zweiten Weltkrieg wollte Jugoslawiens Staatspräsident Tito sie zum Zeichen des automobilen Fortschritts ausbauen und zum Verbindungsweg zwischen den Provinzen. In den 60er Jahren begann für die Hippies aus dem Westen hier die Reise nach Indien, für die Gastarbeiter aus der Türkei die Reise in die alte oder neue Heimat. Dann der Zerfall Jugoslawiens und der Krieg auf dem Balkan. Erst seit Ende der 90er Jahre ist der Autoput wieder befahrbar. Eine Reise, die durch 4 Länder führt: Slowenien, Kroatien, Serbien, Mazedonien. 4 mal Geld wechseln. Fünf Varianten einer Sprache hören. Und zahllose Geschichten finden. Wer die Reise wagt, von Nord nach Süd, der taucht schon zu Beginn der Fahrt tief ein in die Geschichte. Der Karawankentunnel – 1943 wurde er gegraben, von tausenden Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen. Unter Aufsicht der SS. Kilometer Null. Am Loibl Pass. 1566 Meter hoch. Von Österreich aus sind wir in engen Serpentinen bergan gefahren, dann durch einen Tunnel quer durch die Karawanken. Mittendrin im Berg die Grenze – nur eine Markierung und ein Schild. Die Lüftung dröhnt. Auf slowenischer Seite ein Geschäft , ein Parkplatz. Vogelgezwitscher, steile Berghänge. Eine Europafahne, eine slowenische Fahne. Keine Kontrolle. Die Grenzstation ist verlassen – seit 2008 gehört das Land zum Schengen-Raum. Hier beginnt der Balkan. Oder? Noch nicht – richtig. Asja Herzegovac, meine Übersetzerin und Kollegin vom Klagenfurter Radio Agora, hat da Zweifel. 2 Für mich? Eher ab Kroatien. Slowenien teils-teils, gehört noch nicht so ganz zum Balkan. Eine Hälfte schon, aber nicht das Ganze. Die Grenze zum Balkan ist nicht klar definiert, beginnt irgendwo zwischen Wiener Südbahnhof und Zagreb. Asja kennt sich aus auf dem Balkan. Geboren in Sarajevo, im bosnischen Krieg groß geworden, später nach Slowenien geflohen. Sie hat beide Staatsbürgerschaften, zwei Pässe. Jetzt studiert und arbeitet sie in Österreich. Wir haben 1200 Kilometer vor uns. Kilometer 55. Keine Stunde später, unsere erste Station: Ljubljana. Hauptstadt Sloweniens. Die Sonne scheint auf eine liebliche Kulisse. Im Zentrum findet gerade ein Kinderfestival statt, eine Schülerband spielt Sweet Home Alabama. Nein, Slowenien passt so gar nicht ins Balkan-Klischee, die Landschaft erinnert eher an eine Schokoladen-Reklame. Man merkt: Wir sind noch in der Eurozone. Spötter sagen, Slowenien sei ohnehin längst eine österreichische Kolonie. Der nördliche Nachbar hat hier enorm investiert. Überall Billa-Märkte und Raiffeisen-Banken. Die Firmenschilder vieler Discounter, Baumärkte, Banken und Tankstellen tragen bekannte österreichische Markennamen. Also weiter zur nächsten Grenze. Die ist nicht weit. Aber neu. Es gibt sie erst seit 1991. Kilometer 171. Grenzübergangsstelle Obrezje. Wo vor Jahren noch ein einsamer Container stand, ragt jetzt eine imposante Grenzanlage auf, mit einem Dutzend Fahrspuren, Unmengen von Computern, Videokameras, Strahlenmessgeräten. Wir werden von Boris Brinovic empfangen, Kommandant der Grenzpolizei. Er geleitet uns eine Treppe hinauf, in einen Schulungsraum mit einer großen Tafel, nimmt Platz, stellt sich vor. Der Oberpolizist scheint von eher unterkühltem Temperament. Schaut milde überrascht, als wir nach Problemen an der EU-Außengrenze zum Balkan fragen. Es ist alles normal, so wie immer. Wie an allen Auslandsgrenzen des Schengen- Raums der EU . 3 An die 35000 Menschen kommen hier täglich durch, zehn Millionen pro Jahr. Doch Spektakuläres sei nicht zu vermelden, meint der Kommandeur, dem das Ganze sichtlich eine lästige Pflichtübung ist. Man müsse halt Instinkt und ein gutes Auge haben. Weil die Drogenschmuggler zum Beispiel nicht mehr diese leicht zu erkennenden Typen wären, mit langen Haaren und so weiter. Heute zählten eher die kleinen Widersprüche: Zum Beispiel, wenn einer einen chicen Hugo-Boss-Anzug trägt und im Kofferraum Unterhosen für zwei Euro hat. Und natürlich müssten sie auf die bei Dieben so begehrten deutschen Automarken achten: BMW, Mercedes, Passats und Golfs von Volkswagen. Es sei sehr wichtig, immer auf dem neusten Stand zu sein, meint Kommandeur Brinovic, während er uns aus dem Posten geleitet. Draußen stehen in langen Schlangen die Lastwagen. Bereit zur Fahrt Richtung Südosten. Es geht zäh voran. Der Autoput ist in Ordnung, Ich liebe es, hier zu fahren. Seit 20 Jahren fährt der Mann. Früher, meint er, war da noch keine Autobahn. Da war es schwerer. Im nächsten LKW sitzt ein Serbe. Gelangweilt. Was soll ich sagen? Ich fahre seit 30 Jahren hier. Nach dem Krieg habe ich wieder angefangen. Die Strassen sind ok, besser als die Nationalstraßen. In der zweiten Spur ein jüngerer, cooler Typ mit Sonnenbrille. Ein Slowene, Erst seit wenigen Jahren auf der Strecke. Alles völlig normal, findet er. In den beiden LKW-Schlangen scheinen vor allem die Völker des ehemaligen Jugoslawien versammelt: Kroaten, Serben, Bosnier, Slowenen, Mazedonier, Montenegriner. Dazu viele Bulgaren, einige Türken. Ab und an auch mal ein Holländer. Ein alter Kroate lehnt aus dem Fenster, seit Jahrzehnten auf dem Bock, von Portugal bis Rumänien, von Skandinavien bis in den Iran. 4 Er schwärmt von den guten Autobahnen in Skandinavien, Deutschland und Frankreich. In Kroatien taugten die nichts. Ja, man zahle viel dafür, an eine amerikanische Firma. Aber das sei keine Qualität. Das habe eher mit Politik und Korruption zu tun, meint er. Und grinst. Ich fahre jetzt schon 33 Jahre international. Ungefähr 14 Jahre waren es in Ex- Jugoslawien, seit 1976. Keiner hat uns Fahrer je attackiert oder bestohlen, es gab nie Probleme. Das einzige Problem waren manchmal die anderen Fahrer, deren Kultur. Zwischen den Fahrern gab es Streit, an den Parkplätzen. Das hat sich geändert, nicht nur 100, sondern 300 Prozent. Vor allem bei den Türken. Die waren früher sehr aggressiv. Jetzt sind sie wirklich in Ordnung, sehr zuvorkommend. Helfen anderen gerne. Nein, auf dem alten Autoput, sagt der Veteran, habe es nie nie Probleme mit Kriminalität gegeben, da konnte man mit offenen Türen und Fenster schlafen. Süditalien – oder auch die Gegend um Nizza und Cannes seien da viel gefährlicher. Und im Irak wurde seinen LKW einmal von einer Bombe getroffen. Schlecht, schlecht, der alte Autoput war sehr schlecht. Der Autoput, diese Autobahnstrecke Belgrad-Zagreb-Ljubljana war damals aus Betonplatten gemacht. Aber in Kroatien hat sich, was den Autoput angeht, viel getan. Früher, sagt ein Fahrer aus Montenegro, aus Podgoriza, war es sehr sicher. Heute müsse man sich einschließen. Vor allem Serbien und das Kosovo seien sehr, sehr gefährlich. Man muss immer aufpassen und wissen wo man parken kann. Ich halte nicht einfach irgendwo an der Strasse oder im Wald, nur an ÖMV-Tankstellen – weil die beleuchtet sind und Videokameras haben. Ich fahre teure Fracht. Also bekomme ich ganz genau Bescheid, wo ich parken darf. Ich weiß nichts von den alten Geschichten. Ich fahre seit einem Jahr von Novo Mesto nach Zagreb. Nie was gehört, keine Ahnung... Früher waren da nur zwei Spuren, jetzt gibt es die Autobahn. Das geht viel schneller. Damals bin ich von Novska bis Ljubljana viereinhalb Stunden gefahren. Jetzt fahre ich nur noch drei. 5 Ein alter Bosnier, seit 1977 in ganz Jugoslawien unterwegs. Früher hätte man auch nicht so gute LKW gehabt, erzählt er, musste sowieso langsamer fahren. Und trotzdem schwärmt er von den alten, jugoslawischen Zeiten. Damals war es schön: Jeder blieb stehen, wenn einer eine Panne hatte. Heute macht das niemand mehr. Jeder kümmert sich nur um sich selbst. Und: Früher gab es keinen Zoll, es war alles ein großes Haus. Und jetzt? Muss man schnell sein, um noch rechtzeitig seine Ware abzugeben. Musik 2 Schnell vom Norden seiner sozialistischen Republik Jugoslawien in