<<

SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen – Manuskriptdienst

Verblasster Glanz – das Ende der Warenhausherrlichkeit

Autor: Helmut Frei Regie: Günter Maurer Redaktion: Udo Zindel Sendung: Dienstag, 27. Oktober, 8.30 Uhr, SWR2 Wissen

______

Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen/Aula (Montag bis Sonntag 8.30 bis 9.00 Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 € erhältlich.

Bestellmöglichkeiten: 07221/929-6030 ______

SWR 2 Wissen können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de

______

Seite 1 von 11 ATMO: Hertie-Song

Ansage: Verblasster Glanz – das Ende der Warenhausherrlichkeit. Eine Sendung von Helmut Frei.

Sprecherin: 15. August 2009. An diesem Samstag schlossen die letzten Hertie-Warenhäuser in Deutschland. Der Hertie-Song, der die Beschäftigten zu Höchstleistungen an der Verkaufsfront anstacheln sollte, hatte ausgedient.

Sprecher: Das Ende kam nicht überraschend. Das Angebot der Warenhauskette wirkte nach Ansicht vieler Konsumenten genauso altbacken wie die Einrichtung. Junge Leute fanden kaum noch den Weg zu Hertie. Die Insolvenz des Unternehmens war nicht abzuwenden. Bereits in den Jahren davor hatte das Unternehmen Standorte aufgegeben. Anfang 2009 waren noch 63 Hertie-Filialen übrig.

Dass auch kleine, familiengeführte Warenhaus-Firmen kapitulieren müssen, ist oft nur eine Randnotiz in einer Regionalzeitung wert. Im Brennpunkt stehen die Großen der Branche wie . Nun steht auch der einst führende Warenhaus-Konzern Europas unter dem Regiment eines Insolvenzverwalters. Nach dessen Auffassung sind derzeit 19 von insgesamt 90 Karstadt-Filialen in ihrer Existenz bedroht. Das hängt nur zum Teil damit zusammen, dass sie zu wenig Umsatz machen, um die Kosten zu decken. Der Absturz von Karstadt geht auch auf das Konto eines Missmanagements, dessen Folgen die Mitarbeiter nun ausbaden müssen. Auch in Niederlassungen, die sich trotz der Turbulenzen überraschend gut halten, geht die Angst um, was die Gläubigerversammlung im November bringen wird.

Sprecherin: Das Karstadt-Warenhaus in der Stuttgarter Fußgängerzone. Noch arbeiten hier 400 Beschäftigte, ein Großstadtwarenhaus, sechs Verkaufsetagen. Das Sortiment nach wie vor bemerkenswert vielfältig, einschließlich Foto und Computer, Spiel- und Schreibwaren, Schuhe, sogar Waschmaschinen und andere elektrische Großgeräte für den Haushalt. Eine Kurzwarenabteilung fast wie in alten Zeiten: Stoffe, Knöpfe, Wolle. Ganz oben ein Restaurant mit Blick über Stadt und ganz unten im Basement ein Lebensmittelmarkt. Dazu Friseur, Reisebüro und andere Dienstleistungen. Die ständigen Hiobsbotschaften über Karstadt hätten Kunden abgeschreckt, meint der Betriebsratsvorsitzende Michael Markowsky.

O-Ton Michael Markowsky Das Herz hängt ja an der Firma. Ich bin schon lange dabei, viele Kollegen draußen sind schon lange dabei; und die machen sich einfach Sorgen um ihre Zukunft, weil alles ungewiss ist.

Sprecherin: Eines ist jedoch sicher: die Bedeutung der Warenhäuser als Teil des Einzelhandels ist geschrumpft:

O-Ton Michael Gerling

Seite 2 von 11 Wir hatten schon mal Marktanteile der Warenhäuser, die an die 20 Prozent herangingen, also wenn wir wirklich mal 30 Jahre zurück gucken. Heute sind wer bei einem Marktanteil von weniger als drei Prozent angekommen.

Sprecherin: Michael Gerling vom Europäischen Handels-Institut EHI in Köln.

Sprecher: Rückblick. In den Jahren des Wirtschaftswunders nach dem Zweiten Weltkrieg blühten die Warenhäuser auf. Damals gab es noch keine Einkaufszentren auf der Grünen Wiese. Deshalb kauften die Konsumenten fast alles in Warenhäusern, einschließlich Möbeln, Teppiche und Lampen. Nicht nur Badehosen, sondern auch Luftmatratze und Campinggeschirr, nicht nur Stoffe und Garne, sondern auch Näh- und Strickmaschinen für den Hausgebrauch.

Sprecherin: Selbst Kleinstädte fieberten der Eröffnung eines Warenhauses entgegen. Obwohl es sich dabei oft um eine jener weitgehend fensterlosen Kisten handelte, für die ein ganzes Altstadtquartier abgeräumt werden musste. Mit den Warenhäusern kamen Neuerungen wie Wühltische und Sonderangebote, Schnellrestaurants und Selbstbedienung in der Provinz an, technische Errungenschaften wie die künstliche Beleuchtung, Aufzüge oder Klimaanlagen. Sogar die starre bürgerliche Sittsamkeit halfen Warenhäuser lockern, indem sie gewagte Bademoden und Miederwaren, sogenannte Reizwäsche, offen ausstellten, was für alteingesessene Geschäfte unvorstellbar gewesen wäre.

Sprecher: Claudia Kuitert-Glück erinnert sich daran, wie ihre Stadt endlich ein richtiges Warenhaus mit mehreren Stockwerken und zahlreichen Abteilungen bekam.

O-Ton Claudia Kuitert-Glück Rolltreppen gab´s dann die erste in Tuttlingen, des war auch ganz super. Des war scho a tolles Gefühl, jo. Mir hett dacht, jetzt passiert mal etwas in Tuttlingen, der Fortschritt oder so, aber s´isch eigentlich eher negativ, s´sich rückwärts ganga eher, die ganze Jahre dann.

Sprecherin: Man kann es auch so sehen: die wirtschaftliche Bedeutung der Warenhäuser ist inzwischen wieder auf das Maß geschrumpft wie vor dem Zweiten Weltkrieg.

Sprecher: Damals hatten die Warenhäuser ihre Blütezeit bereits hinter sich. Ihre Geschichte ist eng mit der Industrialisierung und Verstädterung im 19. Jahrhundert verbunden. Die aufstrebende Konsumgüterindustrie löste die handwerkliche Produktion immer mehr ab und warf massenhaft Güter auf den Markt.

Sprecherin: Für die schnelle Vermarktung großer Mengen boten sich nun die Warenhäuser an. Eines ihrer Grundprinzipien: großer Umsatz, kleiner Preis. Was ihnen um so leichter fiel, als sie oft Einzelhandel und Großhandel verbanden, also dem Zwischenhandel

Seite 3 von 11 keine Provision zahlen mussten.

Sprecher. Hinzu kam die Landflucht. Heerscharen von Menschen trieb es in die Städte, wo es Arbeit gab. Dort waren sie von der bäuerlichen Welt der Eigenversorgung abgeschnitten. Was sie zum Leben brauchten, mussten sie kaufen. Dabei kam ihnen der industrielle Aufschwung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entgegen, der höhere Löhne brachte. Davon profitierten auch – wie wir heute sagen – Facharbeiter und Angestellte mit ihren Familien. Viele lebten nicht mehr von der Hand in den Mund und konnten sich in bescheidenem Umfang auch Güter leisten, mit zumindest einem Hauch von Luxus.

Sprecherin: Zum Beispiel industriell erzeugte Imitate handgefertigter Lyoner Spitzen oder Geschirr aus Steingut, das dem teuren Porzellan, das nach wie vor den vermögenden Käuferschichten vorbehalten blieb, ähnlich sah. Solche Ersatzprodukte ließen Warenhäuser in riesigen Stückzahlen herstellen. Das brachte ihnen den Vorwurf ein, sie würden ihre Kundschaft blenden und die Existenz der ehrlichen kleinen Kaufleute bedrohen. Ein Vorwurf, den auch die Dortmunder Kulturwissenschaftlerin Gudrun König kennt:

O-Ton Gudrun König In Prozenten ausgedrückt sind die Warenhäuser nicht markant für die Zeit. Aber sie sind so was wie Symbole dieses neuen Warenverkehrs. Dazu gehört etwa die Barzahlung, was in kleineren Geschäften vorher nicht unbedingt üblich war. Man hat anschreiben lassen. Dann ist neu, die Waren eben anzuschauen, nicht zu kaufen. Vorher in den Geschäften hatte man – also zumindest jetzt, wenn man nicht sich in den Metropolen Europas wie London oder Paris aufgehalten hat, Läden, da musste alles hervorgeholt werden. Nur in ein Geschäft gehen und, wie man manchmal auch gesagt hat „mit den Augen einkaufen“ oder „mit den Augen spazieren gehen", einfach nur schauen, auch ohne zu kaufen, das war ne relativ neue Erfahrung.

Sprecher: Die wusste auch Hertie zu nutzen. Das Warenhausunternehmen entstand genau zur Zeit des industriell-wirtschaftlichen Aufschwungs, der im 19. Jahrhunderts auch Deutschland erfasste. Fasziniert blickten die Warenhauspioniere vor allem nach Paris, wo bereits 1852 das berühmte Warenhaus Le Bon Marché eröffnet worden war. Es gilt als erstes richtiges Warenhaus der Welt.

Sprecherin: , auf den der Firmenname Hertie zurückgeht, entstammte einer jüdischen Familie und finanzierte seinem Neffen Oskar Tietz einen eigenen Laden, den Oskar 1882 in eröffnete. Damit legte er den Grundstein für einen der großen Warenhauskonzerne Europas. Oskars Bruder ist der Ahnherr des Kaufhof-Konzerns.

Die Warenhausidee wurde als Ausgeburt des Weltjudentums betrachtet. Im Nationalsozialismus mussten die Familien Tietz und andere jüdische Warenhausdynastien ihre Unternehmen schließlich gegen eine lächerliche Entschädigung verkaufen und den neuen "arischen" Eigentümer übergeben.

Seite 4 von 11

Sprecher: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Warenhäuser in der sowjetischen Besatzungszone, aus der die DDR hervorging, zu staatseigenen Betrieben umfunktioniert. In der Bundesrepublik blieben sie in privatem Besitz. Sie wurden zum Motor des Konsums und profitierten gleichzeitig vom wirtschaftlichen Aufschwung. Geblendet vom eigenen Erfolg, scheuten die Strategen der großen Warenhauskonzerne nicht davor zurück, selbst in Städten, die bis dahin als Revier der Konkurrenz galten, neue Filialen des eigenen Konzerns zu eröffnen. So entstanden etliche jener so genannten „Doppelstandorte“ von Kaufhof und Karstadt. Heute stellt sich vielerorts die Frage: Karstadt oder Kaufhof.

Sprecherin: Die Krise und Schließung von Warenhäusern ist nicht so neu, wie die aktuellen Schwierigkeiten glauben machen. 1994 bereits verleibte sich Karstadt Hertie ein – und gelangte damit unter anderem in den Besitz des berühmten Kaufhauses des Westens – KaDeWe – in . Ein Jahr später begannen die Auflösungserscheinungen bei Horten, dem kleinsten der vier großen bundesweit vertretenen Warenhausunternehmen. Schließlich schluckte Kaufhof die Horten- Warenhäuser.

Sprecher: Wohl niemand hätte damals an das drohende Aus für Karstadt gedacht. Erst recht nicht in , der alten Hansestadt in Mecklenburg-Vorpommern.

Sprecherin: Ein mehrstöckiger Eckbau an der Fußgängerzone, in dem auch zu DDR-Zeiten ein Warenhaus untergebracht war. Im Erdgeschoss wurde ein „Gedenkzimmer“, eingerichtet mit dem Mobiliar eines Kontors aus der Ära des Firmengründers Rudolf Karstadt. 1881 hatte er in Wismar sein erstes Tuch-, Manufaktur- und Konfektionsgeschäft eröffnet. 1991, wenige Monate nach der Wiedervereinigung, feierte Karstadt die „Heimkehr zur Wiege des Erfolgs“, wie es in einer Pressemitteilung des Konzerns hieß.

Die Begeisterung hielt nicht lange an. Im Herbst 2004 machte in Wismar das Gerücht die Runde, Karstadt wolle der ostdeutschen Stadt den Rücken kehren. Die Oberbürgermeisterin konnte die Konzern-Spitze jedoch dazu bewegen, ihr Warenhaus am Stammsitz des Konzerns nicht den 74 kleineren Karstadt-Filialen zuzuschlagen, die dann im Sommer 2005 an eine britische Investorengruppe verkauft wurden. Diese ehemaligen Karstadt-Filialen übernahmen schließlich den Firmennamen Hertie.

Sprecher: Die britischen Investoren vermieteten die Hertie-Immobilien zu horrenden Preisen an die eigenen Warenhäuser. Vereinfacht gesagt: die Mietzahlungen konnten sie als steuermindernde Ausgaben geltend machen. Und so bluteten die Hertie- Warenhäuser finanziell aus, dringende Investitionen unterblieben.

Sprecherin: Ganz ähnlich lief es bei Karstadt, nachdem der Warenhaus-Konzern zusammen mit

Seite 5 von 11 den Versandhäusern Neckermann und Quelle sowie einigen anderen Firmen zum -Konzern verschmolzen worden war. Auch Karstadt musste die eigenen Warenhausimmobilien an eine Immobiliengesellschaft abgeben und überteuert zurückmieten. Dadurch ließ sich zwar vorübergehend die Arcandor-Bilanz verschönern, aber das Warenhausunternehmen Karstadt verlor den finanziellen Boden unter den Füßen. Zudem musste Karstadt Erträge an die Dachgesellschaft, den Arcandor-Konzern, abführen, damit Arcandor das Touristik-Unternehmen Thomas Cook kaufen konnte. Und jetzt steht auch Karstadt am Stammsitz Wismar zur Disposition.

Sprecherin: Der Erfolg von Warenhäusern hängt nicht mit der Größe der Städte zusammen. Auch in einer Kleinstadt sich ein Warenhaus behaupten. Allerdings nur, wenn es sich von einem traditionellen Gemischtwarenladen in ein modernes Geschäft verwandelt, das durch ein überraschend breites Angebot überzeugt, großen Wert auf modische Marken legt und einen guten Service bietet.

Sprecher: Zum Beispiel des Familienunternehmen Sämann in Mühlacker. In mehreren Etappen wuchs das 1922 eröffnete Landkaufhaus zu seiner heutigen Größe heran. 1962 nahm Sämann mitten im Städtchen einen klotzigen Neubau in Betrieb. Inzwischen sind der Modernisierung manche Warengruppen wie beispielsweise Teppiche zum Opfer gefallen. Ausgebaut hat Sämann unter anderem die Abteilung für Kindermode, das Tagesrestaurant und ein Café.

Sprecherin: Simone Linder lebt mit ihrer Familie in einem Dorf bei Mühlacker. Dem Gedränge in großstädtischen Einkaufszentren zieht sie normalerweise den überschaubaren Betrieb bei Sämann in Mühlacker vor:

O-Ton Simone Linder Was hier toll is, ist einfach eben: durch des, dass es nicht so voll ist und nicht so hektisch ist, haben die Leut einfach Zeit, einen zu bedienen. Und sie sind aber dann au net, ja, beleidigt, wenn mer sagt: oke, ich krieg des alleine g´managet, ich brauch jetzt keine Hilfe. Aber sie sind jetzt jederzeit bereit, zu kommen und einen zu unterstützen, wenn´s dann wirklich Fragen gibt. (Zwischenruf) Herr Vögele, bitte 21. (Helga Bollmoor, Strumpfverkäuferin) Ich hab do glernt, 1967 hab i a Lehr angfanga, Einzelhandelskauffrau glernt, Prüfung gmacht und dann hab ich ... gleich im nächsten Johr dann die Strumpfabteilung übernommen. Und seither führ ich die Strumpfabteilung. Mir bediene unsere Leute – und des schätzet die natürlich au und kommet durch des au gern hierher, weil sie bedient und berate werra.

Sprecher: Helga Bollmoor ist nicht nur Verkäuferin bei Sämann in Mühlacker, sondern bestellt auch das Sortiment ihrer Abteilung. Sie weiß, was die Kundschaft von ihr erwartet. Doch beim letzen Umbau musste ihre Abteilung in eine Ecke des Warenhauses umziehen, die nicht mehr so günstig im Kundenstrom liegt wie früher. Auch solche Veränderungen werfen bei ihr die Frage auf, ob man Warenhäuser in absehbarer Zeit noch braucht.

Seite 6 von 11 Sprecherin: Werner Studer glaubt fest daran. Er ist Direktor der Intercontinental Group of Department Stores. 1946 gründeten einige Große der Warenhaus-Branche diesen Dachverband, der in Zürich residiert:

O-Ton Werner Studer Also ich bin sehr zuversichtlich für die Warenhäuser, weil sie eigentlich die ganze Komplexität herausnehmen vom Shoppen. Was man sieht, ist ja die ganze Spezialisierung, der die ganze Überschwemmung von Produkten und Marken und Konzepten. Warenhäuser, die verstehen es eigentlich, auf das Wesentliche zu reduzieren. Und das ist auch die große Stärke, also dass sie eigentlich wie ein Pre- Editor wirken.

Sprecherin: Warenhäuser treffen also eine Vorauswahl aus der riesigen Warenfülle, die der Kunde nicht mehr überschauen kann.

O-Ton Werner Studer Der Produktmix muss stimmen. Und das ist eigentlich die ganze Kunst der Warenhäusler, dass die einen Sortiment- und Produktmix herbringen, der dann eben auch den Absatz findet. Und eigentlich die Warenhäuser, die können noch so ein schönes Layout haben und einen schönen Laden haben: wenn der Warenmix nicht stimmt, kommen die Kunden nicht.

Sprecherin: , August 2009, der Monat, in dem Hertie aus Deutschland verschwand. Das neue Shoppingcenter Limbecker Platz. Rechtzeitig zum Weihnachtsrummel soll der zweite Bauabschnitt fertig sein. Dann werden 200 Geschäfte um die Gunst der Besucher buhlen. Karstadt ist mit einem Warenhaus und einem Sporthaus dabei. Bevor das Shoppingcenter aus dem Boden gestampft wurde, stand dort ein traditionelles Karstadt-Warenhaus. Und genau dort demonstriert Karstadt nun, wohin die Reise des Warenhauses gehen könnte. Im neuen Shoppingcenter präsentiert Karstadt nur noch ein eingeschränktes Sortiment. Kleidung dominiert. Das Warenhaus tendiert zum Shop im großen Shoppingcenter.

O-Ton Ulrich Schmitz Ich glaube, dass der Kunde heut nicht mehr vordringlich kommt, weil er etwas braucht. Man braucht eigentlich keine neue Hose, man könnte mit seinen Hosen auch die nächste drei Jahre auskommen oder vielleicht auch fünf. Das heißt: man muss schon andere Anlässe schaffen und der Kunde will verweilen und will bummeln.

Sprecher: Ulrich Schmitz, Manager des Essener Shopping-Centers Limbecker Platz. Er arbeitet für die Firma ECE. Das Tochterunternehmen des Otto-Versandes betreibt viele Shoppingcenters in Deutschland.

O-Ton Ulrich Schmitz Wir haben im Grundsatz Menschen, die durchaus über Geld verfügen, sich aber doch dann eher beim Kauf den Preis genau anschauen, das sind die Smartshopper.

Seite 7 von 11 An die wenden wir uns in diesem Center nicht wirklich. Also im unteren Preissegment haben wir kaum Angebot, da ist nicht unser Thema. Was wir möchten, sind mehr die Familien und die Menschen, die – ja, ich sag mal – „double income, no kids“, so nennt man sie ja, die wollen wir eben ansprechen und von unserm Angebot überzeugen.

O-Ton Michael Gerling Es wird ja oft gesagt: ja, „alles unter einem Dach“, das funktioniert nicht mehr. Das glauben wir überhaupt nicht. Es funktioniert nur anders.

Sprecherin: Einzelhandelsexperte Michael Gerling:

O-Ton Michael Gerling Shopping-Center sind in Deutschland ausgesprochen erfolgreich, ja. Wir haben sozusagen in den letzten Jahren und Jahrzehnten einen Boom von Shoppingcentern erlebt. Shoppingcenter machen nichts anderes. Die haben tausendfach alles unter einem Dach. Aber die haben natürlich einen wesentlichen Unterschied zu den Warenhäusern: sie können in den einzelnen Sortimenten sich darauf konzentrieren, den besten Anbieter am Markt zu nehmen.

Sprecher: Genau das versuchen nun auch Warenhäuser. Zum Beispiel das berühmte Alsterhaus in . Wie das KaDeWe in Berlin und Oberpollinger in München ist es eines der so genannten Flaggschiffe von Karstadt. Im Internet schmückt sich das Alsterhaus mit Prädikaten wie „exklusives Ambiente“. Es verspricht – „ein einzigartiges Einkaufserlebnis mit internationalen Luxusmarken“.

Sprecherin: Bei Brigitte Meyn lösen solche Formulierungen eher Befürchtungen denn Zuversicht aus. Die ehemalige Betriebsratsvorsitzende des Alsterhauses in Hamburg denkt mit Grausen an die hochfahrenden Pläne eines Vorstandsvorsitzenden aus der D-Mark- Zeit, als das Alsterhaus noch zu Hertie gehörte:

O-Ton Brigitte Meyn Ich kann mich noch erinnern, weil ich diese Rechnung selber gesehen hab: es kamen eines Tages Herren von Harrod´s in London; und das zog nach sich, dass wir für 150 Tausend Mark Blumen einzukaufen hatten. Es wurden ganze Hotelsuiten gebucht, in den größten Hotels in Hamburg für alle möglichen Prominente. Die Fürstin von Bismarck bekam, bevor sie Gast hier war zur Eröffnung, schon einen großen Blumenstrauß am Nachmittag mit dem Taxi hingefahren. Tief unten, innerlich wusste man: das kann nicht gut gehen.

Sprecher: Der ganze Zauber dauerte nur wenige Tage. Dann versank das Alsterhaus wieder in einen Dornröschenschlaf. Die Geschäfte liefen schlechter denn je, Personal wurde abgebaut. Als Brigitte Meyn 1974 im Alsterhaus anfing, hatte es noch 1600 Beschäftigte, 2004 waren es gerade noch 200.

Sprecherin: Um Personal einzusparen und die Abläufe im Konzern zu rationalisieren, mussten

Seite 8 von 11 die Niederlassungen nehmen, was ihnen der Zentraleinkauf vorsetzte. Vor Ort wurden Dekorationsabteilungen abgebaut, weil das Hauptquartier nun Schaufenster- und Ladengestaltungen vorfertigen ließ..

Sprecher: Brigitte Meyn vom großen Alsterhaus in Hamburg machte dieselben Erfahrungen wie ihre Kolleginnen Judith Sußbauer und Monika Schneider aus dem schwäbischen Tuttlingen.

O-Ton Brigitte Meyn Es konnte passieren, dass Sie in einer Abteilung sich grade mal umdrehten, und ein Riesenturm mit Ware stand in ihrem Rücken, auf einmal. Und es war Ware, die Sie weder bestellt hatten, noch diese verkaufen konnten. Ich meine, entweder wurde sie abgeschrieben und es begann dann ein Rundgesang, sich dieser Ware wieder zu entledigen.

O-Ton Judith Sußbauer Unser Geschäftsführer hat versucht, Mäntel zu bekommen. Was han mir als Antwort kriegt: für unser Haus sin keine Mäntel vorgesehen. (Monika Schneider) Und wenn wir was do ghabt haben, na haben wir sie von ner Größe vielleicht ein- oder zweimal da ghabt. (Judith Sußbauer) Wenn mer jetzt wirklich die Mitarbeiter hier im Haus gfragt het: was brauchet ihr? Wenn mer do die Mitarbeiter a bissel mehr mit reinzoga hett in die ganze Sache, und hett halt einfach mal gfragt, was an diesem Standort wichtig wäre, dann würd´s uns auch weiterhin geba, weil Tuttlingen selber war kein schlechtes Haus.

Sprecherin: Auch Macy´s in den USA setzte lange Zeit darauf, den Spielraum vor allem der kleineren Warenhäuser und Einkaufszentren in der Provinz zu beschneiden, sie auf Linie zu bringen. 1858 war Macy´s gegründet worden. Heute ist es ein Branchenriese mit rund 800 Niederlassungen. Zu ihm gehören nicht nur berühmte Warenhäuser wie das Stammhaus in New York City oder das ebenfalls dort ansässige Warenhaus Bloomingdale´s, sondern auch viele kleinere Filialen in der Provinz, die von der Zentrale bislang an der kurzen Leine gehalten wurden. Mittlerweile habe Macy´s die Strategie gewechselt, berichtet Werner Studer aus Zürich.

O-Ton Werner Studer Der große Plan von Macy´s ist: we go local! So, die haben eine große Kampagne, das heißt: my Macy´s. Und das machen die – die haben ja 800 Warenhäuser über ganz Amerika. Früher hieß es: das ist das Produkt, achthundertmal gelistet wie in den Supermarktketten. Jetzt merken die: in Seattle haben die einen ganz anderen Geschmack, Farben usw. als in Florida. Also müssen wir das Geschäftsmodell so anpacken, indem wir das eben lokalisieren.

Sprecherin: Erfolgreich sind solche Konzepte jedoch nur, wenn die Einzelhandelsunternehmen ihre Zielgruppen kennen. Davon kann bei den Warenhäusern nur sehr bedingt die Rede sein. Denn ihre Zielgruppe bildet seit jeher die breite Masse – und die bleibt immer diffus, in gewisser Weise anonym. Die breite Masse – das ist die vielbeschworene Mitte, die oft auch als neue Mitte durch die Lande geistert. Auf sie

Seite 9 von 11 stürzen sich Parteien, Kirchen und auch die öffentlich-rechtlichen Sender, deren Planer das Radio- und Fernseh-Programm auf Mitte trimmen. In der Mitte könne man nicht daneben liegen, nichts falsch machen, so das Kalkül.

Sprecher: Aber die Gefahr besteht darin, nur mittelmäßig, langweilig zu sein. Die Mitte ist eine Schimäre, zumal gesellschaftliche Gruppen immer mehr auseinander driften. Und das wirkt sich auch auf die Warenhäuser aus:

O-Ton Ulrich Eggert Das heißt: die Armen gehen nicht hin, weil sie zu teuer sind, und die Reichen gehen nicht hin, weil sie nicht schön genug sind, mal ganz einfach formuliert.

Sprecherin: Ulrich Eggert – Unternehmensberater mit Schwerpunkt Handel. Auch einstige Stammkunden der Warenhäuser orientieren sich neu:

O-Ton Ulrich Eggert Das tun sie ganz einfach, indem sie morgens zu Aldi gehen und Lidl und Co und gehen abends ins Restaurant oder gehen nachmittags woanders hin und kaufen sich teure Sportschuhe und was auch immer. Und dafür ist das Warenhaus nicht geschaffen. Denn sie haben die mittleren Preislagen. Sie sitzen zwischen den Stühlen heute, was die Zielgruppensprache angeht.

O-Ton Michael Gerling Die Mitte ist eigentlich im Moment der gefährdete Bereich. Wenn wir kucken, was am Markt funktioniert, dann sehen wir: das Premium-Konzept würde funktionieren – wirklich ganz hochwertig. Und wir sehen, dass absolut preisaggressive Konzepte wunderbar funktionieren. Man kann nicht mit Discountern mithalten im Preis, das ist absolut unmöglich; man muss versuchen, nach oben Anschluss zu halten. Und ich red jetzt nicht vom absoluten Premium-Segment, aber man muss besser sein als der Durchschnitt im Markt.

Sprecher: Tatsächlich gehörten die Warenhäuser einmal zur Avantgarde des Einzelhandels. Sie gaben den Ton an und galten als Vorposten einer Demokratisierung des Konsums. In ihren Palästen für das Volk der Konsumenten sollten die kleinen Leute genauso viel gelten wie die hohen und vermögenden Herrschaften. Diesen Anspruch können die Warenhäuser heute nicht mehr einlösen, sagt die Kulturhistorikerin Gudrun König:

O-Ton Gudrun König Die Ausstattungen eines normalen Kaufhaus' in einer mittleren Stadt oder so sind auch irritierend einfach geworden inzwischen. Was heute ja eigentlich wirkt, sind die historischen Gebäude, wenn sie nicht in den Nachkriegszeiten abgerissen wurden. Aber es ist wenig dann passiert, um dieses Staunen zu kultivieren, das Anfang des 20. Jahrhunderts doch mit ein Movens war, in die Warenhäuser zu gehen und nicht nur billig und viel zu kaufen. (Kundin) Also ich geh auch schon mal gern in kleinere Geschäfte, aber ich find das einfach sehr angenehm, ja, alles eben auf einem Fleck erledigen zu können. Es ist zum einen ein Preisaspekt und zum anderen – ja,

Seite 10 von 11 fachliche Beratung such ich nicht so sehr, ja, ich gebe ehrlich zu, wenn ich fachliche Beratung suche, würde ich eher ins Fachgeschäft gehen.

Sprecherin : Noch können etablierte Warenhäuser also auf eine treue Kundschaft bauen. Doch viele dieser einstigen Konsumtempel sind in die Jahre gekommenen, ihre Zeit ist abgelaufen. Für die anderen besteht die Chance in gestrafften, aber nach wie vor vielfältigen Sortimenten und in einem überzeugenden wie unaufdringlichen Service. Deshalb müssen die Manager der Warenhäuser endlich ihre Versprechungen einlösen und dürfen nicht weiter Personal aus dem Verkauf abziehen. Denn wenn Warenhäuser ganz aus den Städten verschwänden, würden sie von vielen vermisst. Sie sind eine europäische Erfindung und Institutionen unserer Alltagskultur. Sie jetzt schon tot zu sagen, wäre vorschnell.

***

Seite 11 von 11