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Arcandors Absturz

Wie man einen Milliardenkonzern ruiniert: Madeleine Schickedanz, Thomas Middelhoff, Sal. Oppenheim und KarstadtQuelle

von Seidel

1. Auflage

Arcandors Absturz – Seidel schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG

Thematische Gliederung: Wirtschaft – Allgemeines – Betriebswirtschaft – Volkswirtschaft

Campus 2010

Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 593 39249 3

Inhaltsverzeichnis: Arcandors Absturz – Seidel Ein Dienstag im Juni 2009 1 2

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Die Nacht war wieder einmal kurz gewesen. Bis in die frühen Morgen- 9 stunden hatten sie in der Arcandor-Zentrale in -Bredeney ver- 10 sucht, das Unausweichliche zu verhindern. Doch eine echte Chance hat- 11 ten die Vorstandsmitglieder von Arcandor und ihre Berater nicht mehr. 12 Nur der Mut der Verzweiflung hatte sie noch so lange in den Büros ge- 13 halten und in immer neue Konferenzen getrieben. 14 Nach wenigen Stunden Schlaf waren sie jetzt, am frühen Dienstag- 15 morgen, wieder da und versuchten, sich mithilfe des Kaffees im Papp- 16 becher aus der Starbucks-Filiale im Erdgeschoss auf Betriebstemperatur 17 zu bringen. Doch die Luft war raus, die Stimmung im Siebziger-Jahre- 18 Bau an der Autobahn 52 war noch gedrückter als in den Tagen zuvor. 19 Nicht einmal die Politiker wollten ihnen mehr helfen, trotz des Wahl- 20 kampfes. Erst hatte am Montag die staatliche Bürgschaft für Ar- 21 candor, später auch den Rettungskredit abgelehnt. Aber ohne Sicherung 22 durch die Bundesregierung wollten die Banken die Kredite nicht verlän- 23 gern. Vorstandschef Karl-Gerhard Eick, der noch kurz zuvor, auf einer 24 knallroten Leiter stehend, seine Mitarbeiter per Megafon zum Durch- 25 halten aufgefordert hatte, sah den Überlebenskampf als verloren an. 26 Damit war klar: In den nächsten Stunden würde das passieren, was 27 Management und Eigentümer – in stetig wechselnder Besetzung – über 28 die vergangenen fünf Jahre zu verhindern versucht hatten: Jemand 29 würde sich die von den Vorstandsmitgliedern unterschriebenen Papiere 30 unter den Arm klemmen, ins nahe gelegene Amtsgericht Essen fahren 31 und die vorläufige Insolvenz für Arcandor und die Versandsparte Pri- 32 mondo, für den Versender Quelle und die Warenhauskette be- 33 antragen. Diese Aufgabe übernahm der Sanierungs- und Insolvenzbera- 34 ter Horst Piepenburg. Er verließ am Vormittag dieses 9. Juni 2009 mit den 35 Unterlagen die Arcandor-Zentrale durch den Hinterausgang und betrat 36

12 1 durch einen Seiteneingang das Gericht, um – möglichst unentdeckt von 2 Fernsehteams, Fotografen und Reportern – das letzte Kapitel der Arcan- 3 dor-Geschichte einzuläuten. Kurz nach 14 Uhr ist die Insolvenz Fakt. 4 Mehr als 40 Konzernunternehmen werden in die Insolvenz rutschen, 5 weil fast alle Firmen des Essener Konglomerates finanziell zusammen- 6 hängen. Die Jahre des Hoffens und Bangens um den Konzern und um 7 die Arbeitsplätze enden mit dem schlechtesten Ergebnis, das nur denk- 8 bar ist: Viele tausend Mitarbeiter – oft jahrzehntelang hier beschäftigt 9 – verlieren ihre Jobs bei Karstadt, Quelle und den weniger bekannten 10 Konzernfirmen. Auch andere Unternehmen wie die Deutsche Post, die 11 für Arcandor Millionen Pakete transportiert hatte, müssen nach der 12 Katastrophe Stellen streichen. Lieferanten, Reinigungsunternehmen, 13 Krankenkassen oder Finanzämter – sie alle verlieren Geld, viel Geld. Der 14 Sturz des Essener Konzerns trifft somit weite Teile der deutschen Wirt- 15 schaft. Am Ende summieren sich die Forderungen auf die gigantische 16 Summe von 19 Milliarden Euro. Doch davon bekommen die Gläubiger 17 später nicht einmal 3 Prozent ausgezahlt. 18 Diese Zahlen sind das eine. Wer die Folgen von Arcandors Absturz 19 sinnlich erfahren möchte, sollte sich die riesigen, bereits jetzt herunter- 20 gekommenen Gebäuden von Quelle in Nürnberg und Fürth anschauen. 21 Oder eines der geschlossenen, leer geräumten Karstadt-Häuser besich- 22 tigen: Ödnis auf tausenden Quadratmetern, wo sich einst jeden Tag 23 Tausende Menschen tummelten. Und in der Mitte, wie eingefroren, die 24 Rolltreppen, die sich nicht mehr bewegen, weil sie niemanden mehr in 2 5 die Spielwarenabteilung, die »Damenoberbekleidung« oder ins Restau- 26 rant befördern. Bonjour tristesse statt »Schöner shoppen in der Stadt«. 27 Nicht jede Konzerntochter allerdings lässt sich in diesen Junitagen 28 des Jahres 2009 mit der Muttergesellschaft in den Abgrund reißen: Der 29 an der Londoner Börse notierte Tourismuskonzern Thomas Cook, an 30 dem Arcandor 52,8 Prozent hält, ist nicht vom Desaster betroffen. Auch 31 die Spezialversender Baby Walz oder Hess Natur und der Shoppingsen- 32 der HSE bekommen keinen Besuch vom Insolvenzverwalter. Sie schrei- 33 ben schwarze Zahlen und hängen nicht direkt am Finanztropf der Esse- 34 ner Zentrale. 35 Arcandor – das ist dennoch eine der größten Pleiten der Nachkriegs- 36 zeit, wenn nicht sogar die größte. Eine Vielzahl von Managementfeh-

13 lern hatte über Jahre hinweg jenes Unternehmen zerstört, das den deut- 1 schen Einzelhandel so lange Zeit geprägt hatte. Wer den Fall Arcandor 2 genauer betrachtet, muss sich sogar wundern, dass das Unternehmen 3 angesichts der Fülle von Fehleinschätzungen überhaupt bis zu diesem 4 9. Juni 2009 durchgehalten hatte. Denn der Absturz kam mit Ansage. 5

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