HISTORISCHER ATLAS 4, 22

VON BADEN-WÜRTTEMBERG Erläuterungen

Beiwort zur Karte 4,22

Ortsgrundriß, Grundherrschaft und Sozialstruktur (Beispiele)

Einleitung VON HERMANN GREES

1. VON HERMANN GREES 6. VON HERMANN GREES 2. Obersulmetingen VON HERMANN GREES 7. Grötzingen VON GUDRUN SCHULTZ 3. VON HERMANN GREES 8. Rintheim VON MEINRAD SCHAAB 4. Breitenholz VON HERMANN GREES 9. Spechbach VON MEINRAD SCHAAB 5. (Alb) VON HERMANN GREES 10. Brühl VON MEINRAD SCHAAB

Einleitung

Die Auswahl der Beispiele für dieses Kartenblatt er- Vier Beispiele stammen aus Baden (untere Reihe), folgte nicht nach systematischen Gesichtspunkten. Im die übrigen aus Württemberg. Diese Unterscheidung Unterschied etwa zu der formalen Siedlungstypologie, ist insofern wichtig, als für die württembergischen die der Karte 4,16 zugrunde liegt, soll hier die Vielfalt Beispiele als Kartengrundlage und gleichzeitig als historischer Dorfstrukturen, wie sie sich in der jeweili- sicherer Ausgangspunkt für die Ortsanalyse die würt- gen sozialen Zusammensetzung der Gemeinde und in tembergischen Flurkarten im Maßstab 1:2500 mit dem den grundherrschaftlichen Verhältnissen zeigt, an un- dazugehörigen Primärkataster (1818-1840) zur Verfü- terschiedlichen Beispielen aus verschiedenen Teilen gung stehen, die auch eine Fortschreibung bis zur des Landes demonstriert werden. Die Auswahl der Gegenwart ohne prinzipielle Schwierigkeiten ermög- Beispiele mußte sich dabei nach bereits vorliegenden lichen. Für die badischen Beispiele mußte auf ältere entsprechenden Ortsanalysen richten, deren Zahl nicht Katasteraufnahmen aus dem 18.Jahrhundert mit unter- sehr groß ist, so daß sich die dargestellten Orte auf das schiedlichen und auch unterschiedlich genauen Flur- nördliche Oberrheinische Tiefland mit dem Kraichgau karten zurückgegriffen werden. Als einheitliche sowie die mittlere und östliche Schwäbische Alb samt Grundlage für die kartographische Darstellung kam dem nördlichen Oberschwaben konzentrieren mit ei- nur die Deutsche Grundkarte mit Ausgaben aus der nem Beispiel auch aus dem Neckarland. Nimmt man Nachkriegszeit in Frage (1959-1965). Das hat zwar aber die übrigen Atlasbeispiele hinzu, in denen u.a. ja den Vorteil, daß aus der Kartengrundlage auch die auch auf die jeweilige Ortsstruktur eingegangen wird, jüngere Entwicklung abgelesen werden kann. Der zeit- so ergibt sich doch eine recht gute regionale Streuung: liche Abstand zum eigentlichen Karteninhalt ist aber Von den 19 Beispielen liegen 5 im Oberrheinischen wesentlich größer als bei den württembergischen Tiefland mit Kraichgau, 3 im Schwarzwald, 3 im Nek- Beispielen. karland, 5 auf der Schwäbischen Alb und 3 im Alpen- Ein weiterer Unterschied zwischen den badischen vorland. Durch die Beispiele im Beiheft zu Karte 4,16 und den württembergischen Beispielen, der von größ- wird die Streuung zugunsten des Neckarlandes (Keu- ter Bedeutung auch für den dargestellten Sachverhalt perbergland, Neckarbecken), des Alpenvorlandes und ist, liegt darin, daß die badischen Dörfer alle aus einem des Schwarzwalds noch verbessert. Gebiet stammen, in dem über Jahrhunderte die »Real- teilung« üblich oder mindestens möglich war, während

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4,22 HERMANN GREES / EINLEITUNG

sich unter den württembergischen Beispielen nur ein Im Unterschied zu Atlasblatt 4,14 gehören die Sied- Realteilungsdorf befindet, Breitenholz. Aber gerade an lungen dieses Blattes zum Altsiedelland im Sinne diesem Beispiel ist es möglich, für jedes Anwesen zu Robert Gradmanns mit Ausnahme allenfalls von Rint- zeigen, wie weit die Teilungen seit dem beginnenden heim, einer »hochmittelalterlichen Rodungssiedlung« 16.Jahrhundert gingen, wobei freilich auch früher schon (trotz des Namens) im Randbereich. Neben Altsied- geteilt worden sein muß. lungen, die sich im übrigen durch ihre Ortsnamen als Die übrigen Beispiele sind neuwürttembergische Dör- solche ausweisen, sind allerdings auch einige jüngere fer, die vor 1810 bzw. 1803 zum Gebiet der Reichsstadt Ausbausiedlungen darunter (Spechbach und Breiten- gehörten (Merklingen, Bernstadt, Altheim seit dem holz gehören zum Beispiel mit Sicherheit dazu). Auch 14./15.Jahrhundert) oder zu klösterlichen Herrschaften wenn zweifellos ein enger Zusammenhang zwischen (Westerstetten zu Kloster Elchingen seit dem Ort und Flur besteht, soll sich hier aus praktischen 15.Jahrhundert, Obersulmetingen zu Kloster Ochsen- Gründen die sozialräumliche Analyse auf die Ortschaft hausen seit 1699, vorher wechselnde adlige Herrschaf- beschränken und die Flur weitgehend unberücksichtigt ten). Dies hat zwei wichtige Konsequenzen: lassen. Der Grundriß mit den Eintragungen kann frei- 1. Es handelt sich hierbei in der Zeit der konservativen lich die herrschaftlichen und sozialen Verhältnisse nur Stadt- und der Klosterherrschaft um »geschlossene« sehr unvollkommen widerspiegeln, deshalb müssen Dörfer, in denen weder die Gemeinde als Genossen- die dazugehörigen Beschreibungen relativ ausführlich schaft ihrer Mitglieder noch das Dorf als Siedlung er- sein. weitert werden durfte (abgesehen von den wenigen In der Mehrzahl der Beispiele handelt es sich um Kleinhäuslern des 17./18.Jahrhunderts). »Haufendörfer mit Gewannfluren«. Auf Karte 4,16 2. In diesen geschlossenen Dörfern konnte sich eine sind nur Spechbach und Westerstetten als »Straßen- sehr viel klarere, stabilere soziale Schichtung ausbilden dörfer« ausgewiesen (1850). Für Spechbach trifft das und halten als in den Realteilungsdörfern, in der Abstu- auch 1787 zu, wenn man den Begriff nicht zu eng faßt. fung Bauer, Seldner als Gemeindegenosse anfangs mit Brühl und Rintheim sind dagegen im 18.Jahrhundert geringerem Recht, Häusler und ähnliche als Dorfbe- noch weitgehend von linearer Gestalt und werden al- wohner ohne Mitgliedschaft in der Gemeinde. Die Vor- lenfalls durch die jüngeren Erweiterungen zu Haufen- gänge der Dorfentwicklung, auf welche diese soziale dörfern. Umgekehrt erweist sich das »Straßendorf« Schichtung und ihr siedlungsgeographischer Nieder- Westerstetten durch die sozialräumliche Analyse als schlag schließen lassen, müssen also in eine Zeit zu- kleines Haufendorf, als Haufenweiler mit jüngerer li- rückreichen, in der die Dörfer noch nicht gegen jeden nearer Erweiterung entlang einer alten Römerstraße. Zuwachs abgeschlossen waren. Dieser Unterschied zu Schon allein durch diese Bemerkungen zeigt sich, den »offenen« Realteilungsdörfern hat es auch verhin- wie problematisch der Begriff Haufendorf ist. Er hat dert, daß eine durchgehende gemeinsame Legende für die Funktion einer Restgröße, der weitaus die Mehr- alle Beispiele aufgestellt werden konnte. zahl aller Dörfer des Altsiedellandes zugeordnet wird Bei den hier dargestellten Beispielen gibt es auch Un- (siehe Karte 4,16). Das ist so lange nicht zu bean- terschiede in den Funktionen der Orte. Neben der tra- standen, als man damit nicht die Vorstellung des ditionellen Landwirtschaft, der Dreifelderwirtschaft mit Amorphen und Ungegliederten, des Zufälligen und Brache, am Oberrhein auch der Zweifelderwirtschaft Beliebigen verbindet. Keineswegs aber darf es die (Rintheim), spielt in einigen Dörfern der Weinbau mit Siedlungsforschung bei der Feststellung »Haufendorf« seiner bevölkerungsverdichtenden Wirkung eine ent- bewenden lassen. Ihre Aufgabe ist es vielmehr, die scheidende Rolle für die Siedlungsentwicklung (Gröt- Komplexität eines Haufendorfes sichtbar zu machen zingen, Breitenholz), wobei sicher auch ein Zusam- und seine jeweilige Gliederung zu erklären, es als ge- menhang mit der Entwicklung der Erbsitten besteht. wachsenes Gebilde zu begreifen. Dies gilt spätestens, Außerdem sind einige der Dörfer auch kirchliche, herr- seitdem weitgehend anerkannt ist, daß unsere großen schaftliche oder administrative Mittelpunkte (Amtssitze Dörfer des Altsiedellandes so, wie wir sie im 18./ zum Beispiel in Altheim, Bernstadt und Merklingen). 19.Jahrhundert fassen können, nicht gegründet worden Dabei ist es wichtig, ob die Herrschaft am Ort präsent sein können. Sie haben sich aus kleineren Anfängen ist, wie zum Beispiel in Grötzingen und Obersul- und einfacher strukturierten Formen entwickelt, denen metingen, wobei in beiden Fällen die einstige Funktion man mit Hilfe einer Analyse der herrschaftlichen und als Marktflecken vielleicht von noch größerer Bedeu- sozialen Verhältnisse näherkommen kann, wie es auf tung war. Besonders am Beispiel von Obersulmetingen diesem Atlasblatt versucht wird. Damit erfaßt man läßt sich der Zusammenhang zwischen Markt und dann einen ganz wesentlichen Aspekt der Individu- Siedlungsentwicklung anhand der sozialräumlichen alität eines Dorfes, die ihm ebenso zukommt, wie sie Gliederung eindrucksvoll zeigen. In Spechbach als einer Stadt jederzeit fraglos zugestanden wird. einem pfälzischen Dorf ergibt sich ein interessanter Versucht man den so verschiedenartigen Beispielen Zusammenhang zwischen den konfessionellen Verhält- etwas Allgemeines, auch auf andere Übertragbares ab- nissen und der Sozialstruktur. zugewinnen, so zeigt sich als eine Möglichkeit der Entwicklung die Verbindung eines älteren Kernes mit 2

HERMANN GREES / EINLEITUNG 4,22

einer meist linearen Erweiterung (oder mehreren), die analyse sich mit der Entwicklung zu beschäftigen. zu unterschiedlichen Zeiten erfolgt sein kann. Dabei Eine umfassende Systematik ist nicht in Sicht, viel- gehören die Glieder einer solchen Wachstumsphase leicht wird es sie nie geben. Einstweilen ist man darauf meist derselben sozialen Gruppierung zu. Diesem angewiesen, sich hermeneutisch um den Einzelfall zu Muster lassen sich sicher die Beispiele Breitenholz, bemühen, was wissenschaftstheoretisch freilich nur Westerstetten und Brühl zuordnen, vielleicht auch schwer zu rechtfertigen ist. Spechbach, während Rintheim ursprünglich eine Kolo- nisationssiedlung mit lauter gleichrangigen Kolonisten gewesen zu sein scheint. Ein zweites Entwicklungs- muster zeigt sich, wenn die Dorfbildung von mehreren Übergreifende Literatur und Quellen: Siedlungskernen oder -zellen ausgeht, die aufeinander zuwachsen und sich dabei verdichten. So stellt sich Alle Nachweise sind nach Möglichkeit nur einmal aufgeführt. z.B. die Situation in Merklingen oder in Altheim dar, wobei die Reihe Bernstadt-Altheim-Merklingen ver- schiedene Grade des Zusammenwachsens repräsen- Literatur (mit Drucken von Quellen): tieren könnte. In Obersulmetingen sind zwei kleine bäuerliche Weiler je mit einem Herrensitz durch eine Badische Gemeindestatistik, hg. vom Badischen Statistischen regelmäßig angelegte Marktsiedlung aus Handwerker- Landesamt. 1927. Selden flächenhaft miteinander verbunden worden, Beschreibung des Oberamts..., hg. vom Königlich-Statistisch-topo- und auch Grötzingen besteht ja aus zwei deutlich graphischen Bureau (OAB). Bes.: Biberach, 1837; unterscheidbaren Zellen diesseits und jenseits der , 1830; Pfinz, die beide eigenen Wachstumsregelungen ge- Herrenberg, 1855; horcht haben müssen. Die älteren Siedlungszellen wer- Ulm, 1837, erneut 1897. den häufig von größeren herrschaftlichen Fron- oder BORN, M.: Geographie der ländlichen Siedlungen. 1977. Maierhöfen gebildet, an die sich, vielleicht schon DIETERICH, M.: Beschreibung des Oberamts Ulm in landwirtschaftli- gleichzeitig, eine größere Zahl von Huben anschließen cher Hinsicht. In: Correspondenzblatt des Würtembergischen kann, wie sie z.B. für Grötzingen bereits im 10.Jahr- Landwirthschaftlichen Vereins 17 (1830), S. 74-122. hundert nachgewiesen sind. Auch Kirche und Widum- GREES, H.: Dorf und Flur zweier Ostalbgemeinden im Wandel des hof können eine solche Zelle bilden (Altheim, Merk- Sozialgefüges. In: Jahrbuch für Statistik und Landeskunde 7 (1963) S.89-127. lingen) oder auch ein Herrensitz mit Wirtschaftshof -: Historische Individualität der Dörfer. Fragen der wissenschaftlichen (Bernstadt). Die Elemente des Zusammenwachsens Bestandsaufnahme. In: Dorfentwicklung... Hg. ... von E.FRAHM und sind, ähnlich wie bei den Wachstumszeilen der ein- W.HOOPS (Untersuchungen des Ludwig-Uhland-Instituts der kernigen Siedlungen, häufig Kleinstellen wie Selden Universität Tübingen 71, 1987) S.58-75. oder Schupposen, von denen die verbindenden Gassen -: Ländliche Sozialstruktur, Wirtschaft und Siedlung seit dem ausge- gesäumt werden. Sie erst machen die Siedlung zum ge- henden Mittelalter. In: KB Ulm 1 (1972) S.377-483. schlossenen Dorf. Dabei muß man in Südwest- -: Ländliche Unterschichten und ländliche Siedlung in Ostschwaben. deutschland auf die »Firstschwenkung« als auf eine (Tübinger geographische Studien 58) 1975. wichtige Zeitmarke achten, d.h. auf die Stelle, an der -: Die »Lage des Volkes« im Süden des Reiches. In: Literatur und Volk im 17.Jahrhundert, hg. von W.BRÜCKNER, P. BLICKLE und die Häuser von der älteren Giebelständigkeit zur jünge- D.BREUER (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 13) 1985, ren Traufständigkeit wechseln (z.B. Breitenholz, S. 175-203. Spechbach). Natürlich können an diesem zeilenförmi- -: Marktflecken in Württemberg. In: Fragen geographischer Forschung, gen oder flächenhaften Wachstum auch Teilungsvor- Festschrift für A.LEIDLMAIR. (Innsbrucker geographische Studien 5) gänge beteiligt sein, die im übrigen für die Verdich- 1979, S.311-339. tung innerhalb der geschlossenen Dörfer und innerhalb -: Pre-Industrial Rural Weaving in South West and its Im- des jeweiligen Etters überall eine entscheidende Rolle plications for Society and Settlement. In: H.J. NITZ (Hg.), The spielen. Dabei entstehen häufig sackgassenartige Medieval and Early-Modern Rural Landscape of Europe under the Grundrißelemente. Unter Umständen und bei ent- Impact of the Commercial Economy. 1987. -: Unterschichten mit Grundbesitz in ländlichen Siedlungen Mittel- sprechender Quellenlage sind die einzelnen Siedlungs- europas. In: 40. Deutscher Geographentag Innsbruck, Tagungs- zellen einer weiteren Analyse zugänglich, wie etwa die bericht und wissenschaftliche Abhandlungen. Verhandlungen des vier Teil-Maierhöfe in Merklingen zeigen oder die Hö- Deutschen Geographentags 40 (1976), S.312-333, wieder abgedruckt fegruppe in Westerstetten, die sich aus dem dortigen in HENKEL, G. (Hg.), Die ländliche Siedlung als For- Maierhof herleitet. schungsgegenstand der Geographie. (Wege der Forschung 616) Natürlich ist mit den wenigen Beispielen dieses 1983, S. 192-223. Blattes längst nicht die Fülle der Möglichkeiten für die HAID, J.H.: Ulm mit seinem Gebiete. 1786. Dorfbildung und Dorfentwicklung aufgezeigt, die es HERDING, O. und ZELLER, B.: Grundherren, Gerichte und Pfarreien im Tübinger Raum zu Beginn der Neuzeit. (Arbeiten zum Historischen gibt. Aber vielleicht wird deutlich, daß die Siedlungs- Atlas von Südwestdeutschland 1) 1954. forschung allzu lange nur auf die Anfänge geschaut hat und daß es sich lohnt, auf dem Weg der Siedlungs-

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JÄNICHEN, H.: Zu den Namen der Dorfteile in Schwaben. Mit einem 1774, 1784; A 3121 Land- und Türkensteuerbuch 1544; A 3123 Anhang: Der nordwestliche Ortsteil von Entringen, Kreis Tübingen. Land- und Türkensteuerbuch 1604; A 3319a Nr. 7 Summarischer In: Studien zur südwestdeutschen Landeskunde. Festschrift für F. Steuerzusammenzug 1759; A 6073 Designation der in hießiger Herr- HUTTENLOCHER, hg. von K.H. SCHRÖDER. (Berichte zur deutschen schaft befindlichen Stättlen, Dörffer, Weyhler und Höfe 1708; K Landeskunde 31, 1963) S. 151-165. 542 Ulmer Salbuch 1415. Das Königreich Württemberg, hg. vom K. Statistischen Landesamt. Bd. Staatliche Vermessungsämter, bes. zu Biberach, Tübingen und Ulm: 1-4, 1904-1907 (und frühere Ausgaben). Flurkarten 1:2500, 1823ff., Erstdrucke und Urnummernkarten; KRIEGER, A.: Topographisches Wörterbuch des Großherzogtums Baden. Primärkataster 1823-1836. 1-2, 21904-1905, Nachdruck 1972. Das Land Baden-Württemberg, hg. von der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg. 1-8, 1974-1983 (Land B.-W.). MAYHEW, A.: Rural Settlement and Farming in Germany. 1973. 1. Bernstadt, Alb-Donau-Kreis METZ, F.: Die ländlichen Siedlungen Badens. In: Das Land Baden, hg. 2 von E.KOHRER ( 1925) S.60-66. Schon HAID weist 1786 in seiner Beschreibung des -: Die ländlichen Siedlungen Badens. 1. Das Unterland. (Badische Ulmer Landes darauf hin, daß Bernstadt aus drei durch Geographische Abhandlungen 1) 1926. Wiesen voneinander getrennten Teilen bestehe, und MÜLLER, K.O. (Bearb.): Altwürttembergische Urbare aus der Zeit Graf Eberhards des Greiners 1344-1392. (Württembergische Geschichts- DIETERICH erklärt 1830 die weitläufige Bauweise als quellen Neue Reihe 23) 1934. »eine Folge erlittener großer Feuersbrünste« (1689, NEUSCHELER, E.: Die Klostergrundherrschaft Bebenhausen. In: 1704). AICHELE stellt dagegen 1886 auf Grund seiner Württembergische Jahrbücher für Statistik und Landeskunde (1928) überaus sorgfältigen und umfassenden genealogischen S. 115-185. wie hausgeschichtlichen Studien fest, das Dorf habe NITZ, H.J.: Entwicklung und Ausbreitung planmäßiger Siedlungsformen »soweit die sicheren Quellen zurückgehen, d.h. seit bei der mittelalterlichen Erschließung des Odenwaldes, des nördlichen dem Jahr 1500, ohne Zweifel im wesentlichen dieselbe Schwarzwaldes und der badischen Hardt-Ebene. In: Heidelberg und Gestalt wie jetzt« gehabt. An dieser Feststellung ist die Rhein-Neckar-Lande. Festschrift zum 34.deutschen Geographen- nicht zu zweifeln, und so ist Bernstadt Beispiel einer tag (1962) S.210-235. REICHARDT, L.: Ortsnamenbuch des Alb-Donau-Kreises und des Siedlung, die in ihrer von mehreren Siedlungszellen Stadtkreises Ulm. (Veröffentlichungen der Kommission für ge- ausgehenden Entwicklung zum geschlossenen Dorf für schichtl. Landeskunde in B.-W. B 105) 1986. lange Zeit auf halbem Wege stehengeblieben ist. Es -: Ortsnamenbuch des Kreises Tübingen. (Veröffentlichungen der gehörte, seitdem die Reichsstadt Ulm von den Werden- Kommission für geschichtl. Landeskunde in B.-W. B 104) 1984. berger (1383) und Helfensteiner Grafen (1396/1403), SCHWARZ, P. (Bearb.): Altwürttembergische Lagerbücher aus der öster- den niederadligen Angehörigen, des Ortsadels und reichischen Zeit 1520-1534, 2. (Veröffentlichungen der Kommission Ulmer Bürgern im 15. und beginnenden 16.Jahr- für geschichtl. Landeskunde in B.-W. A 3) 1959. hundert einen Großteil der Güter und Rechte im Dorf Die Stadt- und Landkreise in Baden-Württemberg. Hg. von der staatl. Archivverwaltung B.-W. (in Verbindung mit Städten und erworben hatte, zu den »geschlossenen« Gemeinden Landkreisen; KB). – Bes.: des Ulmer Landes, in denen der Kreis der Gemeinde- Die Stadt- und die Landkreise Heidelberg und Mannheim. 1-3, 1966- genossen nicht erweitert werden durfte. Zu den Ulmer 1970 (KB, Heidelberg-Mannheim). Erwerbungen aus dem Besitz der Ortsherren gehörte Der Landkreis Tübingen. 1-3, 1967-1974 (KB Tübingen). auch ein Teil des Kirchensatzes, das übrige kam über Der Stadt- und der Landkreis Ulm. 1 ff., 1972ff. (KB Ulm). einen Verkauf an das Ulmer Wengenkloster in den Be- Statistik von Baden-Württemberg. – Bes.: sitz des Stifts Wiesensteig, das sich dann, auch nach 108: Historisches Gemeindeverzeichnis Baden-Württemberg. 1965. der Einführung der Reformation durch Ulm, in der Be- 161.2: Gemeindestatistik. 1970. setzung der Pfarrei mit der Reichsstadt abwechselte WIDDER, J.G.: Versuch einer vollständigen geographisch-historischen Beschreibung der kurfürstlichen Pfalz am Rheine. 1-4, 1786-1788 und sich mit ihr auch in den Großen Zehnten teilte, von (hier: 1). dem Ulm ein Viertel zustand. Wirtembergisches Urkundenbuch. Hg. von dem K. Staatsarchiv in Stutt- Der Ortsname, ursprünglich Berolfstat, ist vielleicht gart. 1-11, 1849-1913. Neudruck als Württembergisches Urkunden- schon für 1167 bezeugt, urkundlich überliefert ist er buch. 1972-1978 (WUB). seit 1209, zunächst im Zusammenhang mit der Orts- Württembergische Gemeindestatistik 1907. 1910. herrschaft. Die Quellenlage im Hinblick auf eine Re- konstruktion der älteren Siedlungs- und Sozialstruktur Ungedruckte Quellen: des Dorfes ist nicht besonders günstig, da die frühen Lagerbücher von 1400 und 1516 für die Ulmer Wer- Hauptstaatsarchiv Stuttgart (HStAS): H 235 Nr.320 Salbuch des Ulmer denbergische Herrschaft, die in anderen Quellen wie- Wengenklosters 1504ff. derholt genannt werden und in die auch die von den Statistisches Landesamt Stuttgart: Statistische Unterlagen usw. Helfensteinern stammenden Güter übertragen worden Stadtarchiv Ulm (StAUL): A 52 Seelen- und Viehbeschrieb der Land- waren1, nicht überliefert sind. Dieser Mangel wird schaft Ulm 1777; A 2590 Consignatio der in dem Reichsstadt Ulmi- aber da- schen Gebiet... vorhandenen... Leinwand-Weberstühl,

1 StAUL K 542 fol. 314. 4

HERMANN GREES / BERNSTADT 4,22

durch z. T. ausgeglichen, daß in dem Ulmer Urbar von hältnis sind die Bauern jedoch überrepräsentiert. So 1717 mit dem Urbar der zweiten Serie von 1516 genau waren in dem für Bernstadt und die Nachbargemeinde abgerechnet wird, unter Angabe auch der damaligen zuständigen Gericht (eine Art Gemein- Besitzer. Dazu kommen die frühen Lagerbücher ei- derat) bis 1704/08 je 6 Bauern und Seldner vertreten, niger geistlicher Herrschaften, so der Klöster Söflingen seitdem 5 Bauern und 4 Seldner aus Bernstadt sowie 1 (1496) und zu den Wengen Ulm (1504ff.) mit Gütern Bauer und 2 Seldner aus Beimerstetten. Als Untergän- in Bernstadt, sowie zahlreiche Einzelurkunden, deren ger, die für die Einhaltung der Besitz- und sonstigen Objekte sich z.T. lokalisieren lassen. So ist es möglich, Grenzen zuständig sind, werden neben dem Anwalt ( = gut drei Viertel aller Anwesen, die in der Flurkarte von Schultheiß, ein Bauer) je 2 Bauern und Seldner ge- 1823 und im Primärkataster verzeichnet sind, bis zum wählt, je 1 Bauer und Seldner sind Gemeindepfleger, Anfang des 16.Jahrhunderts zurückzuverfolgen und Heiligenpfleger, Kirchenaufseher, Fleisch-, Brot- und den sozialen Status ihrer Inhaber auszumachen. Daraus Bierschauer; bei der Fleischbeschau muß der Anwalt lassen sich gewisse Schlüsse auf die frühere Sied- dabei sein, und die Roß- und Viehschau nehmen 2 lungsgenese ziehen. Bauern vor (die Verständigsten) sowie der beste Huf- Nach dem Salbuch von 1717 gab es damals in Bern- schmied, ein Seldner. stadt 14 Bauernhäuser, 62 Seldhäuser mit, 4 ohne Ge- Mit diesen Bestimmungen sei das Verhältnis der meinderecht (sog. »blinde« Selden, darunter eine beiden dörflichen Schichten der Bauern und Seldner »neue«, die offenbar kurz davor auf dem Hofplatz des innerhalb der Gemeinde in Bernstadt angedeutet. Die Bauern Nr.60 erbaut worden war), dazu das 1549 er- Lage der Höfe und Selden im Dorf, wie sie für die Zeit baute Schloß der Ulmer Patrizierfamilie Besserer (99) um 1500 zu fassen ist, kann Hinweise auf die mit dem Haus des Schloßvogts daneben (22), das Ge- Siedlungsentwicklung geben, vor allem wenn man höft des Pfarrers (15) unterhalb der Kirche, das ulmi- davon ausgeht, daß die Selden im Vergleich zu den sche Amtshaus (9) sowie das Mesner- und Schulhaus Höfen das jüngere Siedlungselement sind. Noch deut- (21). Das Schloß samt Schloßvogt verfügte über zwei licher als im Grundrißbild der amtlichen Flurkarte Gemeinderechte, über ein weiteres das Amtshaus, so treten bei der Sozialkartierung einige Komplexe als daß zusammen 79 Gemeinderechte bestanden. Pfarr- deutlich voneinander unterscheidbare Siedlungszellen und Schulhaus waren zur Gemeindeweide zugelassen, hervor: Im Südwesten erhebt sich die Kirche auf dem galten aber im übrigen als blinde Selden, von denen es Kirchbühl über das trockene Wolftal, umgeben von der insgesamt 6 gab. Die Inhaber dieser blinden Selden ge- Zehntscheuer auf den Fundamenten der einstigen hörten nicht eigentlich zur Gemeinde, deshalb mußten ortsherrschaftlichen Burg, auf die die Birkgaß zuführt, sie sich auch nur jedes zweite Mal beteiligen, wenn die und den drei Bürghöfen auf der Höhe mit einer Selde Gemeinde aufgeboten wurde, etwa zu Gemeindefronen dazwischen. Etwas unterhalb liegt der Pfarrhof und oder für Botendienste. Die Festlegung der 79 Gemein- darunter eine kleine Häuserzeile aus dem 17./18.Jahr- derechte reicht wenigstens in die Zeit vor dem Dreißig- hundert. jährigen Krieg zurück, denn bei der ersten nachweisba- Diagonal entgegengesetzt gruppieren sich einige ren Allmendverteilung von 1624 wurden 79 gleich gro- größere Bauernhöfe um die Einmündung der Schulgaß ße »Gemeindeteile« verlost. Aber höchstwahrschein- in die breite, fast nord-südlich verlaufende Platzgaß. lich ist diese Regelung noch wesentlich älter. Zu jedem Daran schließen sich mit wechselnder Regelmäßigkeit, Gemeinderecht gehörten 1717 außer dem Äckerlein aus teils nur auf einer, teils auf beiden Seiten der Gassen, der genannten Verteilung ein weiterer Gemeindeacker nach Norden, Süden und vor allem nach Westen sowie zwei Gemeindekrautgärten. Bei dieser Form der Zeilen von Selden an, wobei die Hader- und die Ot- Allmendnutzung war wie bei der Holznutzung die ehe- terngaß (Ettergasse?) neben Baumgärten auch noch malige Ungleichheit zwischen Bauern und Seldnern Äcker und Wiesen umfassen. schon früh beseitigt worden, nicht jedoch bei der Wei- Zwischen den beiden Dorfteilen im Südwesten und denutzung. Hier waren den Bauern, abgesehen vom Nordosten durchschneidet die Schmiedgaß, in die die Schmalvieh, 4 Kühe und 8 Schafe zugelassen, den Birkgaß und die Platzgaß etwas versetzt fast senkrecht Seldnern 2 Kühe und 4 Schafe. Da im allgemeinen nur einmünden, das Dorf von Südwesten nach Nordosten. die Bauern ein Gespann besitzen, gibt es auch bei den Die auffallende Geradlinigkeit ist wohl darauf zurück- Frondiensten Unterschiede. Die sieben ulmischen Bau- zuführen, daß es sich hier um die Trasse der einstigen ern und der Widumbauer, über den Ulm ja auch z.T. Römerstraße Urspring-Faimingen und der späteren verfügt, sind zu Holzfuhren für den ulmischen Junker Heer- und Landstraße handelt. Daher ist es auch ver- Vogt zu Albeck verpflichtet, die Seldner gelten ihre ständlich, daß sich an dieser Straße nicht nur die zwei Handfronen, die von der Stadt nicht benötigt werden, Schmiedwerkstätten, sondern auch die beiden 1432 ge- mit einem kleinen Geldbetrag ab (3 Plappart). nannten Wirtshäuser, die Brottaferne (mit Herberge, Bei den Gemeindeämtern ist sichergestellt, daß die das spätere Bierhaus, Nr. 26) und die Weintaferne Seldner angemessen beteiligt sind, im Hinblick auf das (Nr. 89, das Weinhaus – später keine Gaststätte mehr) zwischen Bauern und Seldnern bestehende Zahlenver- und nicht zuletzt das Amtshaus (Nr. 9, wiedererbaut um 1670 nach Zerstörung, bis zur Aufhebung des Am-

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tes Bernstadt 1773 Sitz des ulmischen Amtmanns) auf- leistet werden muß, nicht aber für Hof Nr. 11, der reihen, neben einigen weiteren Selden, die noch andere wohl die ursprüngliche Lage des Bauhofes gegenüber Handwerker beherbergten, und zwei bäuerlichen An- der Burg einnimmt und mit dem der Hermannsgarten, wesen. An ihrem östlichen Ende wird die Schmiedgasse ein großer Baumgarten, verbunden ist. Außerdem durch einen größeren ulmischen Hof abgeschlossen (Nr. weist manches darauf hin, daß der dritte der Bürghöfe, 1), in den von dem schräg gegenüberliegenden Wein- Nr. 14, zunächst den Platz der später davon abgeteilten haus (Nr. 89) eine ansehnliche jährliche Abgabe (2 Selde Nr. 13 einnahm und erst nachträglich an seinen Pfund Heller) entrichtet werden muß, ob für die Inan- heutigen, geräumigeren Standort verlegt wurde; um spruchnahme eines ehemaligen Hofgrundstückes oder 1553 befanden sich Hof und Selde in einer Hand. Der im Zusammenhang mit einer sonstigen Abhängigkeit, Hofname Neubauer ist freilich erst seit der Mitte des muß offenbleiben. 18.Jahrhunderts nachweisbar. Dieser Hof wurde 1693 Der isoliert stehende, ummauerte Komplex des Pa- von der Stadt Ulm an den Ratskonsulenten Dr. Johann trizierschlosses (1549) der Ulmer Familie Besserer am Buntz verkauft. Westende der Schmiedgasse mit dem Vogthaus und Viel stärker waren die Veränderungen, die vor allem dem stattlichen Hof des Schloßbauern daneben kann als von den Höfen ihren Ausgang genommen haben müs- eine weitere besondere Siedlungszelle angesehen wer- sen, in den übrigen Dorfteilen. Die Sozialkartierung den. Auch der ansehnliche Hof des Ulmer Wengenklos- legt nahe, davon auszugehen, daß am Anfang der Ent- ters (Nr. 85), der durch das Gäßle erschlossen wird, wicklung einige wenige Höfe standen, die nur sehr kann nicht mehr zu dem Siedlungsteil an der Straße locker einander zugeordnet waren. Dazu gehören auf gezählt werden. Er liegt inmitten seines riesigen Hof- jeden Fall der Hof des Ulmer Wengenklosters (85), der blocks, aus dem die Grundstücke für zwei weitere Sel- Schloßhof (23) oder sein Vorgänger2 und die Höfe um den des Klosters herausgeschnitten sind; eine weitere den Platz, bei denen freilich auch die eine oder andere wengische Selde, die vielleicht an der Platzgasse oder Teilung vorausgegangen sein könnte, z.B. bei Nr.72 gegenüber Nr. 86 lag, ist nachträglich wieder im Hof und 73, die mit fast genau den gleichen Abgaben bela- aufgegangen. stet sind. Nr. 71 ist ein Höflein, das nur als Söld ge- So bietet das Dorf also sowohl in sozialgeographi- rechnet wird, und könnte von dem Hof 70 abgetrennt scher Hinsicht als auch im Hinblick auf die Herr- worden sein, der durch eine Stiftung an das Ulmer schaftsverhältnisse ein überaus komplexes Bild, das Münster kam (Kirchenbaupflege Ulm), mit Abgaben sich einer einfachen genetischen Erklärung entzieht. auch an die Frühmesse Altheim/Alb (wie Nr. 74). Das Nebeneinander von ortsherrschaftlicher Burg und Wegen der Regelmäßigkeit der Parzellen und der Kirche (St. Lambert), die erst 1319 erstmals genannt, schematisierten Abgaben könnte man aber auch insge- aber als wesentlich älter eingeschätzt wird, ist häufig samt an eine geplante Anlage in der Umgebung des anzutreffen und auch deshalb verständlich, weil die »Platzes« denken. Auch die bäuerlichen Anwesen 83 Ortsherrschaft beträchtliche Rechte an der Kirche hatte, und 84 an der Schmiedgasse östlich der Platzgasse wie aus verschiedenen Verkäufen deutlich wird, wenn machen nicht den Eindruck ursprünglicher Bauern- es sich nicht gar um eine Eigenkirche handelte. Eher höfe. Nr. 83 besteht aus zwei Lehen des Stifts Kemp- überrascht, daß der zur Ausstattung der Kirche gehörige ten3, die von Ulm als Afterlehen ausgegeben sind, je- Widumhof (Nr. 32) relativ weit von ihr entfernt ist. Die doch gegen die gleichen Abgaben wie bei den anderen etwas abseitige Lage des Herrschaftssitzes erklärt sich ulmischen Höfen, Nr. 84 ist ein kleineres Lehengüt- am einfachsten dann, wenn man annimmt, daß die Burg lein, in das allerdings die Selden 28 und 40 einen Zins in günstiger Verteidigungslage auf dem Burren über entrichten müssen. Die Aufreihung an der Landstraße dem Wolftal jünger ist als die bäuerliche Siedlung. Der und das Fehlen größerer hofanschließender Grund- dazu gehörige, 1322 urkundlich genannte Bauhof der stücke läßt eher an eine sekundäre Anlage hier denken. Burg, der vom Burgherrn ursprünglich wohl in eigener Darauf, daß der ulmische Hof 1 am östlichen Ortsein- Regie bewirtschaftet worden war, wurde offenbar schon gang nicht ursprünglich ist, gibt es außer seiner Rand- früh in die drei Bürghöfe aufgeteilt und Bauern zur Be- lage keine Hinweise. Das Hofgrundstück von Nr. 89, wirtschaftung überlassen. Für die Richtigkeit der An- der einstigen Weintaferne, aus nahme einer solchen Teilung spricht vieles, neben Name und Lage vor allem die gleiche Hofgröße und 2 Nach der OAB Ulm 1897, 2, S. 424, wurde der Hof im Zusammen- Höhe der Abgaben, gemeinschaftlicher Besitz (so eines hang mit dem Bau des Besserer-Schlosses 1549 »gegründet«. Dazu wohl aus einer Wüstungsflur stammenden Feldlehens wurde wohl hauptsächlich der Hof verwendet, der dem Kloster Söflingen gehört hatte (seit 1281 als Bevingershof nachweisbar, Ofenloch und eines Waldes im Eisental sowie einer WUB 8, S. 301), wahrscheinlich auch der alte Standort; seine drei Wechselwiese im Brühl), die häufige Nebenlage ihrer Selden gehörten ja ebenfalls zur neuen »Schloßherrschaft«. Grundstücke, vor allem aber, daß ihnen gemeinsam die 3 WEITNAUER, A. (Hg.): Das Lehenbuch des Fürstlichen Stifts Hälfte des Zehntstrohs zusteht. Mit der Teilung kann es Kempten von 1451. (Allgäuer Heimatblätter 8) 1938, S.43. Kam um auch zusammenhängen, daß aus Nr. 12 und 14 je eine 1500 als kemptisches Lehen an Ulm; OAB Ulm 1897, 2, S. 423. besondere Abgabe für die Behausung ge- MOSER, J.J.: Reichsstättisches Handbuch II, 1738, S. 1818: Le- henbrief von 1582. 6

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dem der Inhaber von Nr. 1 einen Zins empfängt, sächlich im 14.Jahrhundert aufgegebener Fluren gab, scheint allerdings wie die Nachbargrundstücke aus so Butzen, Heimersberg, Rausenbart, Walkstetten und dem Hofblock von Nr. 85 herausgeschnitten zu sein. Ufenloch. Mit ihrer Hilfe wurde zum Teil auch die Stärker als durch die frühe Teilung großer Höfe wird Bernstadter Allmende vergrößert, was wiederum auch die Entwicklung Bernstadts zum Dorf durch die Ent- den Seldnern zugute kam. stehung der insgesamt etwa 65 Selden bestimmt, die Die erste vollständige Erfassung aller Haushalte des bereits vor der Zeit erfolgt sein muß, in der die Zahl Dorfes erlaubt das Ulmer Land- und Türkensteuerbuch der Gemeinderechte festgelegt wurde, also vor dem von 1544. Darin sind 116 Steuerpflichtige aufgeführt, Anfang des 16.Jahrhunderts. Dabei lassen sich Selden, darunter die Gemeinde- und die Heiligenpflege sowie die direkt einem Hof zugeordnet und durch Abgaben 20 Witwen- und Waisenpflegschaften. Zieht man von von ihm abhängig waren, meist auch in seiner unmit- den verbleibenden 94 Haushalten die 22 ab, die ohne telbaren Nachbarschaft lagen, kaum mehr von solchen Vermögen sind und nur ein einheitliches Kopfgeld von Seilden unterscheiden, die nur wegen der Inanspruch- 5 Schilling bezahlen müssen, dann bleibt die Zahl der nahme eines Grundstücks als Hausplatz dem ehe- restlichen 72 Haushalte etwas unter derjenigen der maligen Besitzer einen Zins entrichten müssen. Dazu überlieferten 76 Gemeinderechte, doch kündigt sich in gehört auch die Abgeltung eines »Mistrechts« als Er- den 22 mittellosen Beiwohnerhaushalten bereits ein satz für den Düngerausfall durch eine Geldabgabe, die neuer Schub der Bevölkerungsentwicklung an. Mit ei- sich in Bernstadt häufiger findet. In vielen Fällen hat nem Vermögensdurchschnitt aller persönlich Steuer- aber sicher die Herrschaft solche für einen Hof be- pflichtigen von 309 Pfund Heller liegt Bernstadt nur stimmten Zinsleistungen schon früh an sich gezogen wenig über dem Durchschnitt von 302 Pfund für das und mit den sonstigen Abgaben zusammengefaßt, so ganze Ulmer Land. Da sich mit Hilfe der Haus- und daß sie sich nicht mehr fassen lassen. Wenn die Selden Familienregister von AICHELE die Namen des Steuer- in den frühesten urkundlichen Überlieferungen nicht buchs zum Teil den Anwesen zuordnen lassen, ergibt auftauchen, kann das damit zusammenhängen, daß sie sich ein guter Einblick in die Vermögensschichtung als Hofzubehör nicht besonders genannt sind, etwa innerhalb des Dorfes. Mit 2625 Pfund ist der Inhaber 1281 beim Bevingershof des Klosters Söflingen, in den des Hofes 60 der reichste Bauer im Dorf. Das Ver- nach dem Urbar von 1494 drei Selden gehören, die mögen der Bürgbauern bewegt sich zwischen 1000 und ihm zusammen jährlich 30 Schilling und 4 Hennen zin- 1900 Pfund, der Widumhofbauer (32) versteuert eben- sen müssen sowie je 1 Schilling Handlohn und Weg- falls 1900 Pfund. Auch hier erweist sich ein Vermögen lösin bei einem Wechsel des Inhabers. Außerdem hat von 500 Pfund als brauchbare Grenze zwischen Bauern der Bauer im Verkaufsfall das Vorkaufsrecht. Natür- und Seldnern, die allerdings von einigen Seldnern er- lich können diese Selden, die sich unter dem Besserer- reicht oder leicht überschritten wird. Der Schmied zum schen Besitz (1549) als die Nr. 44,45 und 57 identi- Beispiel, ein Seldner, versteuert 600, ein Weber 350, fizieren lassen, auch erst zwischen 1281 und 1494 ein Wagner 60 Pfund. Insgesamt gibt es 18 Steuer- entstanden sein. Ein weiteres Beispiel sind der Hof und pflichtige mit einem Vermögen von 500 Pfund und die 4 Selden in Bernstadt, die 1354 an das Deutsche mehr, 16 beschäftigen Gesinde, insgesamt 36 Knechte Haus in Ulm kommen, und 1460 umfaßt ein Kauf der und Mägde. Es ergibt sich also eine gute Übereinstim- Stadt Ulm allein 7 Bernstadter Selden. mung mit dem Verhältnis der Sozialkategorien Bauern Am Anfang des 16.Jahrhunderts ist aber die Zeit der und Seldner zueinander, wenn man berücksichtigt, daß Seldenentstehung längst vorbei. Das zeigt sich auch einige Seldner durch die Bewirtschaftung von Feld- darin, daß 1516 nachweislich in verschiedenen Fällen lehen u.ä. nahe an eine Bauernwirtschaft herankom- mehrere Selden in einer Hand vereinigt sind, im men. Wichtig ist jedoch die Erfassung der 22 Beiwoh- Höchstfalle 4 (3, 5, 47, 89), in anderen Fällen zwei nerhaushalte und der 36 Personen, die als Gesinde (z.B. 29 und 30, 33 und 61, 37 und 75, 87 und 88) oder dienen, die beide weder in den Gemeinderechten noch daß ein Bauer zusätzlich noch eine Selde innehat (z.B. in der baulichen Entwicklung einen Niederschlag fin- 14, 85). Auch das um 1530 verfallene und abgängige den. Baindhöfle (bei Nr. 77) des Ortsheiligen läßt auf einen Dies zeigt sich auch, wenn man versucht, durch zeitweiligen Rückgang der Nachfrage nach Stellen einen Vergleich mit dem Steuerbuch von 1604 die schließen. Die beiden Feldlehen, die mit diesem An- Entwicklung in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wesen verbunden gewesen waren, das Baindlehen und zu erfassen. Bis 1604 erhöht sich die Zahl der Steuer- das auf dem Heimersberg (abgegangener Hof), wurden pflichtigen auf 140, ohne Pflegschaften auf 104. Die 1712 an 30 Interessenten, wohl hauptsächlich Seldner, Zahl der Beiwohner ist auf 31 angestiegen, davon sind verkauft. Solche Einzelgrundstücke waren für die land- 19 ohne jegliches Vermögen. Es ist jedoch zu berück- armen Seldner von besonderer Bedeutung. Das Ange- sichtigen, daß jene, die nach dem Almosen gehen, nicht bot an Grundstücken dieser Art, die häufig aus den ins Steuerbuch aufgenommen sind. Seit 1544 zeichnet Fluren abgegangener Siedlungen oder aufgelassener sich also eine starke Bevölkerungszunahme ab, vor al- Anwesen stammten, war in Bernstadt relativ günstig, lem an der Basis der Sozialpyramide, auch wenn die da es in der Umgebung des Dorfes eine Reihe solcher Zahl der Gemeinder kaum zugenommen hat (104 wohl haupt- Steuer-, 31 Beiwohnerhaushalte 7

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= 73 Hausinhaber, ohne Pflegschaften). Ein direkter dem bald weitere folgen, bis 1727-29 die ganze Reihe Vergleich der Vermögen ist nicht möglich, da sie 1604 der Häuschen in der Schnappgaß am Ortsrand des in Gulden angegeben sind, aber angesichts der Tat- Dorfes gebaut wird (90-95)4. sache, daß 1604 das höchste Vermögen 5135 Gulden Nach der Ulmer Statistik von 1708 gab es damals in beträgt, der Ortsheilige 3975 Gulden versteuert (die Bernstadt 73 bewohnte Häuser, 14 ganze Bauern, 57 Gemeinde übrigens nur 335 Gulden), 25 Haushalte ein Seldner und Handwerker, 13 Beiwohner und 18 Wit- Vermögen von über 1000 Gulden angeben, die Zahl der wen- und Waisenpflegschaften, insgesamt also gut 450 Gesindehalter auf 20, die des Gesindes auf 65 ange- Einwohner. Bis 1717 ist das Dorf wieder komplett, stiegen ist, kann man doch von einer Zunahme des 1777 sind es 519 Einwohner. Nach den zwanziger Jah- Wohlstands mindestens auf den oberen Rängen ausge- ren sind nur noch wenige Beiwohnerhäuschen (65, hen, was eine verstärkte Polarisierung von arm und 1744; 98, 1779; 97, 1784) oder Nebenhäuschen (zum reich im Dorf natürlich nicht ausschließt. Beispiel 69, 1768) hinzugekommen. In mehreren Fäl- In diese Zeit fällt ein für die Dorfentwicklung wichti- len wurden Selden auch geteilt, so schon 1720 bei der ges Ereignis. Ein Ulmer Patrizier, Jörg Besserer von Wiederbebauung einer Brandstätte (40, 41), 1737 (96, Rohr, erwirbt 1549 von der Stadt Ulm zwei söldrechte 97) und 1786 (20). Neben den üblichen Dorfhandwer- Plätz, d.h. zwei mit Gemeinderecht ausgestattete alte ken bietet die Hausweberei eine Möglichkeit für viele Seldplätze, die bereits im Urbar von 1516 als Selden Seldner, das Einkommen aus ihrer kleinen Landwirt- aufgeführt, 1549 aber offenbar nicht überbaut sind, und schaft zu ergänzen. Zwar gehört Bernstadt nicht zu den läßt auf dem einen ein kleines Renaissanceschloß er- großen Ulmer Weberdörfern, vielleicht auch deshalb, bauen, mit Ringmauer umfangen, darinnen auch der weil den Seldnern eine ganz ansehnliche Wirtschafts- Hausvogt eine Wohnung hat. Der andere Seldplatz auf fläche zur Verfügung steht, doch werden 1774 der gegenüberliegenden Seite der Schmiedgasse wurde immerhin 25 Webstühle gezählt. Freilich sind 12 von zu einem Baum- und Grasgärtlein angelegt. Außerdem ihnen damals unbeschäftigt, zehn Jahre später sind es kaufte der neue Schloßherr den Hof und die drei Selden, bereits 20, nur sechs sind noch beschäftigt. Die Krise die das Kloster Söflingen in Bernstadt besaß (45, 46, der Landweberei wirkte sich hier also stark aus. 57), und bildete daraus eine kleine ritterschaftliche Schon darin zeigt sich, daß die Seldner immer mehr Herrschaft. Die beengten Platzverhältnisse um das auf ihre Landwirtschaft als Erwerbsquelle verwiesen Schloß und auch die Beschreibung des Hofes von 1494 waren. Diese Entwicklung wurde begünstigt durch die lassen den Schluß zu, daß der Schloßhof dabei an Reformen in der Landwirtschaft seit dem ausgehenden seinem angestammten Platz verblieb (23). Der Schloß- 18.Jahrhundert. Dazu kamen die Möglichkeiten des herr erhielt 1650 unter anderem die Niedergerichtsbar- Grundstückserwerbs, die sich durch die Zerschlagung keit auf seinen Gütern zugesprochen und durfte 1661 einiger größerer Höfe ergaben. Dies begann mit der die Wiese westlich vom Schloß als Baumgarten ein- Genehmigung einzelner Grundstücksveräußerungen zäunen. Das Schloß und die damit verbundene Ritter- und dann mit der Zerschlagung des Neithardtschen herrschaft war wohl für die Inhaber vor allem eine Pres- Hofes (70) 1798 noch in der ulmischen Zeit, setzte tigeangelegenheit, und der Landsitz wurde nur zeit- sich aber dann verstärkt fort, als mit dem Herr- weilig von ihnen bewohnt, wie es damals in Mode kam. schaftswechsel von 1803 und 1810 zunächst die bay- Im übrigen veränderte sich das Dorf kaum. Trotz der erischen, dann die württembergischen Gesetze und starken Bevölkerungszunahme wurden nur zwei Häuser Verordnungen galten und die Grundentlastung in Gang neu gebaut, unterhalb der Kirche (20, 1620) und im kam. Sie gab den Bauern die freie Verfügbarkeit über Norden bei der Linde (64, 1623), ohne daß ihre Besitzer ihren Besitz, belastete sie aber auch mit den Ab- ein Gemeinderecht erhielten. Immerhin wurde mit die- lösungsbeträgen, wozu im Erbfall die Auszahlung der sen Beiwohnerhäuschen das Prinzip durchbrochen, daß weichenden Erben kam. Damit wurde mancher Bauer es ein Haus nur in Verbindung mit einem Gemeinde- nicht fertig, und so kam es bereits am Anfang des recht geben durfte, eine Entwicklung, an die angeknüpft 19.Jahrhunderts zur Reduzierung eines der Bürghöfe werden konnte, als Anfang des 18.Jahrhunderts die Be- (11) zu einer Selde und 1816 zur Auflösung des Hofes völkerung erneut zunahm. 83, dessen Hofplatz vom Inhaber der gegenüberliegen- Bernstadt hat im Dreißigjährigen Krieg, in den Fran- den »Bierwirtschaft« zum Bau eines Stallgebäudes zosenkriegen und im Spanischen Erbfolgekrieg beson- benützt wird. Aber auch eine ganze Reihe von Selden ders schwer gelitten. Das Dorf wurde wiederholt verwü- wurden im Lauf des 19. Jahrhunderts aufgeteilt, teils stet. Allein 1634/35 starben 348 Menschen an Hunger im Zusammenhang mit einem Erbgang, teils anläßlich und Pest. Trotzdem erfolgte der Wiederaufbau und die eines Zwangsverkaufs, so 1802 (50), 1808 (42), 1827 Wiederherstellung der alten Verhältnisse im Dorf ver- (31), 1829 (63/64), 1830 (43), 1838 (77), 1841 (78), hältnismäßig rasch. Zwar werden im Salbuch von 1717 1842 das Vogthaus, seit 1824 Selde (22), 1863 (80). noch einzelne Brandstätten erwähnt (zum Beispiel 39/ Diese Entwicklung auf der Grundla- 40), doch wird bereits 1709 die Bauerlaubnis für ein neues Beiwohnerhaus unterhalb der Kirche erteilt (19), 4 1759 gab es bereits 93 Häuser und Gebäu in Bernstadt; StAUL A 3319a Nr. 7.

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ge der Landwirtschaft spiegelt sich auch in der Ent- Tertiärhügelland angrenzt, das sich bis zum Bussen hin wicklung der Einwohnerzahlen und der Betriebsgrö- erstreckt. ßen. So wurden 1834 in Bernstadt 102 Hauptgebäude Der Name ist bereits seit 853 und 876 überliefert im und 728 Einwohner gezählt, 1895 wohnten 795 Ein- Zusammenhang mit Angehörigen eines Hochadelsge- wohner in 162 Hauptgebäuden bei einem Anteil von schlechts, das bis zum 12.Jahrhundert hier seinen 78% Erwerbstätiger in der Landwirtschaft; 1970 waren Stammsitz hatte und dem auch der Heilige Ulrich, Bi- es noch 24 %. schof von Augsburg unter Otto dem Großen, angehör- Im Laufe dieses Jahrhunderts werden zunehmend te. Obersulmetingen und das benachbarte Untersulme- auswärtige gewerbliche Arbeitsplätze von Bernstadt tingen, die gemeinsam zur Pfarrei der »Niederkirche« aus in Anspruch genommen, auch wenn das Dorf kei- gehörten, einer St. Georg geweihten Eigenkirche der nen Anschluß an eine Bahnlinie erhielt. Zur Ansied- Herren von Sulmetingen jenseits Untersulmetingens lung einer nennenswerten eigenen Industrie ist es hier 3 km nördlich gelegen, werden in der urkundlichen nicht gekommen. Die Zahl der landwirtschaftlichen Überlieferung allerdings erst im 13./14.Jahrhundert Betriebe ist bis 1983 auf 55 zurückgegangen, davon eindeutig auseinandergehalten. werden 25 noch hauptberuflich bewirtschaftet; unter Der Markt wird erstmals 1298 genannt im Zusam- ihnen muß also noch eine ganze Anzahl einstiger menhang einer Verschreibung König Adolfs von Nas- Selden sein. Die Inhaber der übrigen ehemaligen sau gegen Burkard von Ellerbach. Ob er bis in die Zeit Selden haben die Landwirtschaft entweder aufgegeben der hochadligen Herren von Sulmetingen zurückreicht, oder betreiben sie im Nebenerwerb. ist freilich ungewiß. Umstritten ist auch, ob sich das spätere Ministerialengeschlecht, das sich nach Sulme- tingen nannte, aus dem älteren Hochadelsgeschlecht Literatur: der Sulmetinger ableitet. Die Herrschaft über den Obersulmetinger Markt war Teil eines Reichslehens, AICHELE, C. F. (Pfarrer in Bernstadt bis 1903): Bernstadt. Haus- und zu dem neben Fischereirechten in der Riß und dem Familien-Chronik. Manuskript im Pfarramt Bernstadt. Vogtrecht über die Mühle auch der Kirchensatz der -: Aus der Geschichte eines ulmischen Dorfes. Burg Berolfstat mit Niederkirche gehörte. Vor 1354 war es an die Brüder Umgebung. In: Württembergische Vierteljahrshefte 9 (1886) S.48- Friedrich und Heinrich von Freyberg verpfändet. 1354 56, 201-204. verpfändete es der Kaiser um 200 Mark Silber an die -: Baulastenstreit zwischen der Reichsstadt Ulm und dem Chorher- renstift Wiesensteig wegen der Kirche zu Bernstadt. In: Württem- beiden Grafen Ulrich von Helfenstein, die damaligen bergische Vierteljahrshefte 14 (1891) S.219-233. Landvögte in Oberschwaben. Von da an läßt sich seine -: Die Schloßherrschaften in Bernstadt und Osterstetten. Mitteilungen Geschichte lückenlos verfolgen. Bei der helfensteini- des Vereins für Kunst und Altertum in Ulm und Oberschwaben 4 schen Teilung von 1356 kam es an die Blaubeurer (1893) S.21-30. Linie; 1484 verkaufte Georg von Helfenstein das Reichslehen an das Spital Biberach um 1900 Gulden mit dem Recht auf Wiedereinlösung, das dann der Quellen Biberacher Patrizier Dr. Hans Schad, der die Stellung zur Rekonstruktion der Entwicklung von Siedlung und Sozialstruktur: eines Landadligen anstrebte, 1508 für sich in Anspruch nahm1. Über Hans Philipp Schad (1543), Bernhard HStAS: H 202 Nr.39-41 Ulmer Salbuch und Beibuch des Amtes Schad (1571) und dessen beide Töchter kam es an die Bernstadt 1717; H 233 Nr.561 Salbuch des Klosters Söflingen 1494. StAUL: A 52; A 2590; A 3121; A 3123; A 6073. Herren von Neuhausen und Ulm. Bei den letzteren Gemeindearchiv Bernstadt: Dorfbuch 1662-1804 (12 Bde.); Güterbuch verblieb es, bis es 1699 an das Kloster Ochsenhausen 1850 (11 Bde.) verkauft wurde, von dem es nach der Säkularisierung Pfarrarchiv Bernstadt: Dorfbuch 1601-1659; Haus- und Familien- zunächst an Fürst Metternich und 1805 durch Kauf an chronik 1903 s.o. den Fürsten von Thurn und Taxis kam. Ein zweiter, dem Umfang der Liegenschaften nach wesentlich größerer Herrschaftskomplex stand unter 2. Obersulmetingen, Stadt Laupheim, österreichischer Oberherrschaft, weshalb er kurz »das« österreichische Lehen genannt wurde, auch wenn sich Kreis Biberach dieser Lehensverband offenbar aus Teilen verschiede- ner Herkunft zusammensetzte: 1434 gehörten dazu der Obersulmetingen ist das Beispiel eines alten ländli- Turm zu Obersulmetingen, die Häuser hinter und unter chen Marktfleckens, der freilich verhältnismäßig früh dem Turm gelegen, der Vorhof, 2 Gärten, 76 Jauchert seine Marktfunktion verlor und auf die Stufe eines normalen Dorfes zurücksank. Der Ort liegt am West- rand des breiten Tales der unteren Riß, wo es an das 1 RIEBER, CH.: Dr. Hans Schad (1469-1543). Vom Patriziat zum Landadel. (Biberacher Studien 2) 1975. Hier S. 95-100. kleine Zum Folgenden bes. Anm. 133. Die Hochgerichtsbarkeit erwarb Hans Schad 1511, den Blutbann 1538.

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Acker, in 3 Esche geteilt, 45 Mannsmahd Wiesen (zu- Formel anzusehen. Der Marktflecken Obersulmetin- sammen etwa 60 ha), Fischereirechte und zwei Holz- gen war eine typische zwischen Stadt und Land ste- marken; 1440 erscheint dabei ein an zwei Inhaber ver- hende Siedlung, gibt es doch sogar Hinweise auf eine liehener Hof zu Kreppach und ein weiteres Holz ehemalige Befestigung des Ortes. Die stadtähnlichen Schlechbach, 1464 außerdem der Turm zu Kreppach; Züge der Verfassung gehen aus einer Urkunde von 1469 ist die Größe des Hofes zu Kreppach angegeben, 1482 hervor, in welcher der damalige Inhaber des und zwar mit 90 Jauchert Acker und 60 Mannsmahd Reichslehens, Graf Georg von Helfenstein, die herge- Wiesen (zusammen etwa 75 ha). Diesen Umfang behält brachten Rechte des Marktes bestätigt und erweitert, das Lehen bei den Verleihungen vom ausgehenden 15. und zwar als Gegenleistung dafür, daß die Obersulme- bis zum Anfang des 17.Jahrhunderts mit zwei Aus- tinger ihm die Erhebung eines Umgeldes, einer Art nahmen. Im Lehenbrief des Hans von Stotzingen von Getränkesteuer, zugestehen. 1532 und bei allen folgenden Veränderungen werden Zwei Jahre später verkaufte Georg von Helfenstein nur noch 36 Jauchert Acker (statt 76) beim Zubehör das Reichslehen an das Spital Biberach mit dem Recht zum Obersulmetinger Turm angegeben und 1620 der Wiedereinlösung. Ob dabei die Absicht der Stadt zusätzlich 40 Jauchert Acker (so vor diesem ein Holz Biberach, die Konkurrenz des Sulmetinger Marktes aus- gewesen, Mürüsach genannt) und 4 Mannsmahd Wie- zuschalten oder zu kontrollieren, eine Rolle spielte, muß sen (im Königspihel) sowie ein Holz Schlaichbach, die offenbleiben. Um dieselbe Zeit, 1482, wird die Freiung, von der österreichischen Verwaltung in Innsbruck als nämlich Haus- und Hofraite, als Erblehen an einen verschwiegene und versessene Lehenstücke festgestellt Bürger verliehen. Möglicherweise hatte der Markt- worden waren. Auch dieses österreichische Lehen war flecken damals schon den Höhepunkt seiner Entwick- 1555 an die Herren Schad von Mittelbiberach gekom- lung überschritten. Die Einnahmen für den Inhaber des men, so daß von da an die Herrschaft über den größten Reichslehens sind relativ bescheiden. Außer den ge- Teil von Obersulmetingen in einer Hand vereinigt war. nannten 18 Pfund Heller Steuern werden 1484 noch Jetzt wird es auch schwierig, die zu den beiden Lehen Einkünfte aus Hofstätten und Fischereirechten, Bestand- gehörigen Besitzungen im einzelnen auseinanderzu- gelder und das 1482 eingeführte Umgeld, jährliche halten. Gülten u.a. aus der Mühle und von der Kirchenvogtei Wenigstens seit dem Anfang des 18.Jahrhunderts angeführt. Gegen Ende des 18.Jahrhunderts, vor dem hatte Österreich noch einige Güter in Obersulmetingen, Übergang an Ochsenhausen, stellte Constantin von Ulm die ihm unmittelbar unterstanden, alle im Ortsteil fest, die Einnahmen aus dem Reichslehen reichten nicht Kreppach, nämlich einen Hof, der schon 1702 zweige- einmal aus, um die Kosten für die Ausübung der teilt war (Nr. 8), ein Gasthaus (Nr. 1) und eine Selde Niederen und Hohen Gerichtsbarkeit und des Blutbanns (Nr. 4), aus denen durch Teilung bis zum Anfang des zu bestreiten. Auch daraus geht hervor, daß Dr. Hans 19.Jahrhunderts 8 Anwesen mit elf Familien entstanden Schad von Mittelbiberach 1508 den Erwerb des Reichs- waren. A. RUMMEL stellte fest, daß dieser Besitz bei der lehens gegen den Widerstand seiner Vaterstadt sicher Übereignung des österreichischen Lehens 1699 an das nicht aus finanziellen Erwägungen bei Hofe durch- Kloster Ochsenhausen bei Österreich verblieb. Weiteres setzte, sondern um sein Standesprestige als junger Grundeigentum haben die Biberacher Klausenschwes- Reichsritter zu mehren. Obersulmetingen muß seine tern (Nr. 61), die Pfarrei und die drei örtlichen Hei- überörtliche Bedeutung als Markt im ausgehenden ligenpflegen (Pfarrkirche St. Georg, Kapellen St. Maria Mittelalter, auf die wir auf Grund der stadtähnlichen und St. Ulrich: zahlreiche Selden und Einzelgrund- Verfassung schließen können, sehr rasch verloren stücke), sowie die Gemeinde. haben, es sank auf die Stufe einer rein ländlichen Über den eigentlichen Marktbetrieb ist so gut wie Siedlung zurück. In den Urbaren des 18.Jahrhunderts ist nichts überliefert. Er hat offenbar sehr früh an Bedeu- nirgends mehr von einem Markt die Rede, und auch der tung verloren, vor allem wohl durch die Konkurrenz des Versuch von 1835, den Markt wieder aufzunehmen, war benachbarten Laupheim. An den bürgerlichen »Markt- auf die Dauer nicht erfolgreich. Über die Gründe dieses freiheiten« hielt man jedoch lange fest. Noch 1607 Bedeutungsrückgangs des Obersulmetinger Marktes seit beklagt sich Heinrich von Neuhausen, einer der beiden der beginnenden Neuzeit kann man nur Vermutungen neuen Inhaber der Obersulmetinger Lehen, darüber, daß anstellen. Die Konkurrenz der benachbarten Märkte die Obersulmetinger nicht gerne gehorchen wollten, Laupheim und Biberach kann sicher nicht alles erklären. weil sie nie eine Obrigkeit gehabt hätten. Sie wollten Einer der Hauptgründe dafür, daß Obersulmetingen von selbst Herr sein, hätten viele Privilegien usw. Selbst- dem jüngeren Markt Laupheim überfügelt wurde, dürfte bewußt tritt die Gemeinde auf, auch gegenüber der wohl in der Entwicklung der herrschaftlichen Verhält- Herrschaft, wie man es sonst eher von Städten kennt. Im nisse liegen, die in Obersulmetingen wesentlich weniger Marktflecken duldete man nur Bürger, Leibeigenschaft beständig waren als in Laupheim, wo die Herrschaft of- habe nie bestanden. Es urkunden Amann, Bürgermeis- fenbar auch ein starkes unmittelbares Interesse am ter, Gericht und ganze Gemeinde, gelegentlich wird Markt hatte. nach dem Bürgermeister noch der Rat genannt, doch ist dies wohl eher als Bestandteil einer gängigen

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Dieser Rückgang der Marktfunktion bis zur Bedeu- österreichische (Nr. 8) offenbar zwei Inhaber hat, und tungslosigkeit spiegelt sich auch in der Entwicklung einigen Selden, darunter die österreichische Schild- der sozioökonomischen Struktur des Dorfes und seiner wirtschaft (Nr. 1). Bewohner wider. Zu Anfang des 18.Jahrhunderts und Ganz offensichtlich handelt es sich bei dem mitt- in seiner weiteren Entwicklung unterscheidet sich leren Hauptteil Obersulmetingens um eine im 13.Jahr- Obersulmetingen kaum mehr von den oberschwäbi- hundert planmäßig angelegte Marktsiedlung mit einem schen Dörfern der Umgebung. Es gibt wohl noch einen für mittelalterliche Märkte typischen Dreiecksmarkt in leicht überdurchschnittlichen Besatz an Handwerkern, einer Straßengabelung unmittelbar vor dem Obersul- die sich fast ausschließlich auf die eigentliche Markt- metinger Schloß. Hauptachse dieses Ortsteils ist die siedlung konzentrieren. Aber es sind durchweg die üb- fast nordsüdlich, parallel zur Riß verlaufende Straße, lichen Landhandwerker, zu denen vielleicht eine grö- die sich gegen das Schloß zum Marktplatz trichter- ßere Zahl von Leinenwebern kommt, die in den Ur- förmig weitet (Auf der Gaß, heute Mittelstraße). Ver- baren nicht besonders genannt sind. Darauf dürfte auch mutlich ist es der »Steinweg«, der um 1500 genannt die Webergasse hinweisen. Nach der Oberamtsbe- wird. An den von dieser Hauptstraße links und rechts schreibung gab es 1837 12 Leinenweber, die ihre Pro- abzweigenden Seitenstraßen sind die Selden ziemlich dukte wohl hauptsächlich nach Biberach, vielleicht regelmäßig aufgereiht, besonders auf der westlichen auch auf die Märkte in Laupheim und Ochsenhausen Seite. Die Symmetrie dieser Anlage, die sich nach Sü- lieferten. Im 18.Jahrhundert wurde in allen Häusern den gegen die Mündung des Rotbachs in die Riß Flachs verarbeitet, wie die Fronleistungen der Hand- zuspitzt, ist allerdings nicht vollkommen. Dies mag da- fröner zeigen, von denen nur die Inhaber der Höfe aus- mit zusammenhängen, daß man auf der Ostseite auf genommen sind, die Gespanndienste leisten und Flachs Riß und Rotbach und ihre Überschwemmungen Rück- aussäen müssen. sicht nehmen mußte. Außerdem ist gerade hier im Wie sich die bisher geschilderte Entwicklung von östlichen Flügel der Anteil der Selden, die über lange Herrschaft und Wirtschaft auf die Entwicklung des Zeit wüst lagen oder zum Teil gar nicht mehr wieder Dorfes und seiner Bewohner ausgewirkt hat, kann die besetzt wurden, besonders hoch, und auch in den historische Analyse der soziotopographischen Verhält- grundherrschaftlichen Verhältnissen gab es Unter- nisse zeigen. Verfolgt man, von der sicheren Grund- schiede. Die 23 Häuser, die 1603 zum Reichslehen ge- lage des Primärkatasters von 1832 und der Gemeinde- hörten, dürften neben einigen »eigenen« Anwesen güterbücher ausgehend, jedes einzelne Anwesen über hauptsächlich oder ganz im Westflügel gelegen haben, die vorhandenen Urbare zurück bis zu dem von 1702 während im Ostflügel außer den zum Obersulmetinger und berücksichtigt dabei die soziale Stellung der Turm gehörigen Seldhäusern vor allem solche Häuser Inhaber und die Grundherrschaften, was für die Mehr- lagen, die nicht zu den beiden großen Lehenkomplexen zahl der Anwesen möglich ist (mit Ausnahme der gehörten, so die Badstube, einige weitere zeitweilig österreichischen Kameralgüter), dann ergibt sich das biberachische Anwesen und an die zehn Häuser der Bild der Atlaskarte, wenn man die Ergebnisse in den örtlichen Heiligenpflegen. Ortsgrundriß der Flurkarte von 1826 einträgt. Die Eine Besonderheit, die sich auch sonst in Marktflek- bäuerlichen Anwesen lassen sich auch im Urbar von ken findet, war eine kleine Judensiedlung von 5 Häu- 1666 noch identifizieren, dem ältesten überlieferten sern, möglicherweise Mehrfamilienhäusern, am Juden- Urbar, das sich immer wieder auf ein noch früheres berg im Süden, bezeichnenderweise außerhalb der ei- von 1607 bezieht. Zahlreiche Selden sind nach dem gentlichen Marktsiedlung. Sie bestand 1561 noch, Dreißigjährigen Krieg auch 1666 noch unbesetzt oder denn damals wurden auch in Obersulmetingen die Ul- zu mehreren, bis zu fünf, in einer Hand vereinigt und mer »Judenfreiheiten« verkündet; 1577 aber, als man lassen sich nach den spärlichen Angaben des Urbars über die Weidenutzung der damaligen Inhaber der nicht eindeutig lokalisieren. Noch 1702 gibt es 15 un- Judenhäuser verhandelte, waren die Juden bereits aus besetzte Stellen, deren Lage sich wenigstens ungefähr Obersulmetingen vertrieben2. ausmachen läßt. Im Westen wird die Marktsiedlung durch den Ge- Die Kartierung ist aufschlußreich, zunächst hin- meindegraben begrenzt, der auf eine einstige Befes- sichtlich der sozialen Gliederung. Der größere mittlere tigung, und sei es nur durch Erdwall und Graben, hin- Teil des Ortes besteht aus lauter klein- oder nebenbäu- weist, wie möglicherweise das Haldentor, dessen Na- erlichen Selden, nur am Südrand gibt es zwei »halbe« me überliefert ist, bei der Badstube auf der Ostseite, Bauerngüter, von denen es sich bei Nr. 44 um eine auf- wo im übrigen die Riß Schutz bot. Im Norden wird die gestockte Selde handeln dürfte mit sehr zusammenge- Marktsiedlung durch die in westöstlicher Richtung am stückeltem Grundbesitz (ca. 6 ha), Nr.61 wird 1702 Schloß noch als leibfälliges Haus und Garten bezeichnet, der Inhaber erst durch einen Nachtrag als Nonnenbauer. 2 RUMMEL (1928) S.304 nach einem Vertrag zwischen Vor dem Schloß Obersulmetingen im Norden liegen Herrschaft und Bürgerschaft von 1577 (Schloßarchiv Mittel- zwei Höfe (Nr. 11 und 12) sowie ein Halbhof (Nr. 10), biberach XXI, 27); SCHMIDLIN, W.: Die Juden in Ulm. In: der Ortsteil Kreppach im Süden besteht aus 8 Höfen, Mitteilungen des Vereins für Kunst und Altertum in Ulm und von denen der Oberschwaben 31 (1941) S.83. 11

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vorbei zur Rißbrücke führende Straße begrenzt. Die gen Inhaber der österreichischen Lehengüter, bis Sig- Dreiecksform des Marktplatzes könnte vor dem Neubau mund von Stotzingen nach 1512 an der Stelle des des Schlosses noch ausgeprägter gewesen sein, wenn heutigen Schlosses ein adliges Haus baute, mit den sich die Querachse ursprünglich im Verlauf des west- Steinen des abgebrochenen Turmes, die auch für den lichen Abschnitts ohne Knick bis zur Rißbrücke fort- Bau der Mauer verwendet wurden, mit der Hans setzte. Auch der Inhaber der Taferne, einer ehemaligen Philipp Schad den Schloßkomplex einschließlich des Selde, der sein wachsendes Anwesen über wenigstens Gartens umgab, bis an die Riß. Dieses Schloß wurde drei Hofstätten ausdehnte, scheint dabei ein Stück auf 1652 durch Blitzschlag zerstört, von Gall Freiherr von den Marktplatz hinausgebaut zu haben, wohl zu einer Ulm zum Teil wieder aufgebaut, 1725 durch den Neu- Zeit, als dieser bereits nicht mehr benützt wurde. Außer- bau mit Kirche ersetzt, den 1869 die Gemeinde bzw. dem lag einst am Marktplatz, vermutlich innerhalb des die Stiftungspflege erwarb. Vielleicht stand an dieser Bereichs der späteren Schloßummauerung, die zum Stelle auch die ehemalige Hochadelsburg. Man müßte Beispiel 1482 genannte Freiung, über deren Funktion es aber auch den Flurnamen Freiburg am Nordrand der keine Nachricht gibt, ferner die St. Ulrichskapelle im Gemarkung gegen Untersulmetingen in Erwägung Bereich des zeitweiligen Pfarrhofes Nr. 14 und viel- ziehen. leicht auch die Marienkapelle, die zum Schloß gehörte. Was die Rekonstruktion der historischen Siedlungs- Trotz mancher Unsicherheit im einzelnen läßt sich topographie schwierig macht, ist, daß der schwer deut- über die Siedlungsentwicklung des Marktfleckens Ober- bare Name Kreppach in Quellen und Literatur in dop- sulmetingen feststellen, daß hier vor der Marktgründung peltem Sinne gebraucht wird: einmal für den Ortsteil des 13.Jahrhunderts wenigstens zwei ältere Siedlungs- südlich der Marktsiedlung, zum andern offenbar für zellen bestanden, je mit einem kleinen Herrensitz in der das gesamte österreichische Lehen. So liegen zum Bei- Form eines »Turms« mit Burghof und wenigen weiteren spiel die Höfe 10, 11 und 12 nach den Urbaren von Häusern, zwischen denen dann die Marktsiedlung plan- 1666 und 1702 zu Kreppach. Dazu kommt, daß auch mäßig angelegt wurde. Lange noch unterschieden sich zum Reichslehen, also zum Markt, zeitweilig ein die Bewohner der beiden verschiedenartigen Siedlungs- »Turm« gehörte, offenbar ein dritter Obersulmetinger teile auch in ihrem Status voneinander, die Bauern von Turm also, der im Nordwesten der Marktsiedlung ge- Kreppach und die »Bürger« des Marktfleckens. Ja, sie standen haben könnte, sicher als Sitz des Marktherrn. bildeten sogar je eine eigene Gemeinde, ein Zustand, Für diesen Turm ist eine Beschreibung von 1607 über- der noch bis in die Auseinandersetzungen um Nut- liefert, aus der hervorgeht, daß die Familie Schad nach zungsrechte und Gemeindelasten nachwirkte, welche 1508 ein Wirtschaftsgebäude und eine Wohnung ge- durch den Vertrag von 1577 geschlichtet wurden3. Der baut hatte, die 1607 aber nicht mehr bewohnbar gewe- Weg, der im Westen der Ortschaft die Höfe beim sen sei. Zum Neubau eines Schlosses auf Reichsboden Schloß mit den Kreppacher Höfen im Südwesten ver- fehlte es aber an Platz. So wurde offenbar nur das bindet, erweckt den Eindruck, als fasse er, vielleicht im Schloß innerhalb des österreichischen Lehens ausge- Zuge eines jüngeren Etterverlaufs, die Marktsiedlung baut, das ja dann auch genügte, als die beiden Lehen und die Kreppach-Siedlung zusammen. nach der erneuten Trennung zwischen 1608 und 1639 Auch wenn die Zusammenhänge zwischen dem Inhalt in der Hand der Freiherrn von Ulm wieder vereinigt der Lehensbeschreibungen, die seit dem 14.Jahrhundert wurden. vorliegen, und den Angaben der Urbare des 17./18.Jahr- Schwierig ist es auch, bei den Größenangaben der hunderts noch nicht restlos geklärt sind, läßt sich doch Lehensbeschreibungen, bei denen oft einfach auf die sagen, daß das heutige Schloß, ein Neubau der alten Formulierungen zurückgegriffen wurde, auch Reichsabtei Ochsenhausen 1725, auf dem Platz des wenn sich manches verändert hatte, zu unterscheiden Obersulmetinger »Turms« steht. Unter diesem und dem zwischen dem, was die Herrschaften selbst bewirt- Kreppacher Turm, dessen genaue Lage nicht mehr schafteten, und was als bäuerliches »Lehen« ausgege- bekannt ist – wahrscheinlich stand er im Winkel zwi- ben war. Sicher gab es gerade hierin manche Verände- schen den im Süden sich gabelnden Straßen nach rungen, wobei auch Hofteilungen eine wichtige Rolle Schemmerberg und Ingerkingen – hat man sich wohl spielten. Darauf weisen zum Beispiel auch die Gestalt Wohntürme ritterlicher Herren von der Art der Turm- der Hof- und Gartengrundstücke sowie von mehreren hügelburgen vorzustellen, zu denen ein Wirtschaftshof Höfen gemeinsam genutzte Grundstücke hin. Bereits und allenfalls noch einige wenige weitere Anwesen ge- 1440 werden für einen Hof zu Kreppach zwei Inhaber hörten. Die Bewohner der Türme waren die niederadli- angegeben, 1608 gehören 5 leibfällige Höfe zum österreichischen Lehen, und 1666 wie 1702 gibt es im

3 RUMMEL (wie Anm. 2); vgl. z. B. die Gemeinde des Fleckens ganzen Ort 10 Höfe und 3 Halbhöfe. Nach der Grö- Obersulmetingen sowie die Gemeinde zu Kreppach zunächst dabei ßenangabe der Oberamtsbeschreibung 1837 könnte gelegen in einer Urkunde von 1493; ERNST (1897) S. 108. man aus dem Kreppacher Besitz wenigstens vier Höfe von der Größe machen, wie sie im Urbar von 1702 er- scheinen. Ein Hinweis darauf, um welche Höfe es sich als Ergebnis einer solchen angenommenen Teilung handeln könnte, ergibt sich vielleicht daraus, daß sich 12

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hinter den Hofgrundstücken der Höfe 47 bis 50 die Ös- terreicher hintere Grabenwiese in der ganzen Breite vom Gemeindegraben im Osten bis zum Kreppacher Etter, der Dorfgrenze im Westen, erstreckt. Bei zwei der vier genannten Höfe, bei den Höfen 47 und 48, sind die Zeichen, die auf eine Teilung hinwei- sen, deutlich: Sie sind fast gleich groß, haben die glei- chen Abgaben zu leisten (abgesehen von den Abgaben von des Simons Gütle, das Nr.48 mitbewirtschaftet), haben beide Anteil an dem Besonderen Öschle (das auf eine Wüstung hindeuten könnte) und besitzen dort ge- meinschaftlich ein Stück Wald im Scheppach. Auch durch den Knick in der Südgrenze der Österreicher hinteren Grabenwiese und deren Unterteilung werden die Höfe 47/48 und 49/50 einschließlich 8/9/10 zusam- mengefaßt. Dies könnte auf eine Teilung in zwei Pha- sen hinweisen. Die Höfe 52 bis 54 könnten ebenfalls aus einer Teilung hervorgegangen sein, sie besitzen zum Beispiel je eine genau gleich große Waldparzelle. Außerdem liegen sie neben den Anwesen, die den Schwerpunkt des kleinen österreichischen Restbesitzes bilden, vor allem die Schildwirtschaft, mit denen zu- sammen sie auch etwa die für den einstigen Burghof angegebene Größe erreichen könnten. Auch wenn die Frage der Entstehung des heutigen Ortsteils Kreppach nicht in allen Einzelheiten beant- wortet werden kann, eines ist sicher, es kann sich dabei anfänglich nur um einen kleinen eigenen Siedlungs- komplex gehandelt haben, um ein paar Häuser, einen Burghof und eine kleine Burg, der erst durch die An- lage der Marktsiedlung mit Obersulmetingen zusam- mengewachsen ist. Jedenfalls ist Kreppach nicht abge- gangen, wie im »Königreich Württemberg« 1907 steht. 1 Bannmahd, 1 langer oder alter und 1 kurzer oder Nimmt man die drei Höfe Nr. 10 bis 12 mit dem neuer Krautgarten), liegt jeweils bei 80; dem Schloß beim Obersulmetinger Schloß verbliebenen Grundbe- stehen zwei Teile zu, die Nummern 81 und 82. Im 15./ sitz zusammen, so ergibt sich etwa wieder die für den 16. Jahrhundert muß also der Flecken wieder mehr Komplex des Obersulmetinger Turms genannte Größe. oder weniger vollständig besetzt gewesen sein. Nach Die in einer Beschreibung von 1608 genannte Größe dem Dreißigjährigen Krieg waren dann erneut bis zu des Obersulmetinger Schloßguts geht allerdings weit fünf Stellen in einer Hand vereinigt, wie das Urbar von darüber hinaus. Auch hier bleibt also manche Frage 1666 ausweist, und die Wiederauffüllung der Lücken offen. dauerte bis um die Mitte des 18.Jahrhunderts. So wur- Zu den im Urbar von 1702 genannten Bauernstellen den bei einer Allmendverteilung von 1754 insgesamt kommen noch 53 besetzte und etwa 13 unbesetzte Sel- 75 gleiche Teile ausgemessen und verteilt4. Dabei muß den hinzu, zusammen also etwa 66 unter- oder neben- man freilich berücksichtigen, daß damals vereinzelt bäuerliche Stellen mit Gemeinderecht, deren Entste- bereits Häuser gebaut werden durften, ohne daß ihre hung in die Zeit der Marktgründung im 13.Jahrhundert Besitzer ein Gemeinderecht erwarben. zurückreichen muß. Die 1353 im Liber Taxationis für Daß inzwischen im einstigen Marktflecken die Ober- und Untersulmetingen einschließlich des Wei- Landwirtschaft wieder dominierte und die gewerbliche lers Westerflachs zusammen genannten 70 Hofstätten, Tätigkeit mit wenigen Ausnahmen nur eine unterge- von denen sicher die überwiegende Zahl in Obersul- ordnete Rolle spielte, zeigt auch die Vermögensschich- metingen lag, zeigt also wohl bereits eine rückläufige tung, wie sie im Steueranschlag von 1702 faßbar wird. Entwicklung im 14. Jahrhundert an, die durch Pest und Danach war der Wirt am Marktplatz mit 2323 Gulden Agrarkrise bedingt sein dürfte. Dies scheint sich in der vermögendste Mann am Ort. Darauf folgten die Obersulmetingen aber nur vorübergehend ausgewirkt Inha- zu haben, denn die Gesamtzahl der Gemeindeteile, die den Inhabern eines Gemeinderechts zustehen und die aus wiederholten Allmendverteilungen stammen müs- 4 StASIG Dep. 30, IV, 2, 2. Hauptrodel, 1702. Planskizze der sen (je 1 Viertel Acker in jedem Esch, 2 Riedteile, Allmendverteilung von 1754 auf der Innenseite der vorderen Einbanddecke von Feldmesser J.F.WECHSLER. 13

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ber der Höfe, deren Vermögen zwischen 1500 und 2000 spinnen. Unter den Seldnern mit Gespann ragen der Gulden lag. Über 1000 Gulden besaßen auch der Mül- Metzger (Nr. 79, mit 150 Gulden Bestandgeld) und der ler, der Metzger und ein weiterer Wirt. In zehn Fällen, Schmied (Nr. 21, 140 Gulden) heraus; der letztere unter denen als einziger Gewerbetreibender ein weiterer besitzt zwar nur ein Haus ohne Gemeinderecht, hat Wirt war, lag das Vermögen zwischen 1000 und 500 aber dazu noch eine öde Seidhofstatt einschließlich ih- Gulden, die übrigen Seldner, darunter alle Handwerker, res Gemeinderechts inne. Der Bader gilt seine Hand- besaßen etwa je zur Hälfte ein Vermögen zwischen 200 dienste mit Geld ab (Nr. 74, 3 Gulden, Bestandgeld 70 und 500 bzw. unter 200 Gulden. Grundlage der sozialen Gulden). Das Bestandgeld für die übrigen Selden ohne Differenzierung waren hauptsächlich der Unterschied in Gespann liegt im allgemeinen zwischen 20 und 50 der Größe des Grundbesitzes und die unterschiedlichen Gulden, maximal bei 65 Gulden, doch gehört zu dieser Allmendnutzungsrechte. Zwar scheint in der Größe der Gruppe auch einer der Häusler (Nr. 7, 30 Gulden), Anteile bei Allmendverteilungen schon früh die Gleich- deren Bestandgeld sonst unter 20 Gulden liegt. Die berechtigung erreicht worden zu sein, doch lag ein beiden Halbbauern (Nr. 10 und 44) haben bei der entscheidender Unterschied im Umfang der Weide- Übernahme ihres Gutes 80 und 100 Gulden bezahlt, nutzungsrechte, was bei dem hohen Grünlandanteil der die Bestandgelder der übrigen Bauern liegen zwischen Gemarkung eine wichtige Rolle für die Viehhaltung 175 und 317 Gulden. Als Fronleistung müssen sie ein spielte: 1723 durfte jeder Bauer so viele Pferde auf die Stück mit Lein ansäen und den Holzbedarf der Herr- Weide treiben, wie erbraucht, 4 Stiere und Kühe soviel schaft ins Schloß führen. In einigen Fällen sind auch er vermag. Den Inhabern der Halbhöfe und der Mühle täglich ungemessene Spanndienste genannt, was offen- waren je 3 Rosse, 2 Stiere und 5 Kühe zugelassen, bei bar in eine Zeit zurückweist, als die Herrschaft noch den Seldnern bestimmte der Umfang des Grundbesitzes eine eigene Gutswirtschaft betrieb. Der Inhaber der die Quote: Wer 3 Jauchert in jedem Ösch besaß, insge- Taferne (Nr. 80), 1702 der vermöglichste Obersulme- samt also 4 bis 5 ha, durfte 2 Rosse, 2 Stiere und 5 wei- tinger Bürger, bezahlte 1754 ein Bestandgeld von 425 tere Stück Vieh halten, wer 1 Jauchert je Ösch hatte, 1 Gulden. Er hatte das Recht, Bier zu brauen, Brannt- Roß, 1 Stier und 4 weitere Stück Vieh, und einem Ge- wein zu brennen, Wein auszuschenken und Gäste zu meinderechtsinhaber ohne Roß standen 1 Stier und 3 beherbergen, zugleich war er Bäcker, Metzger und Kühe zu, einem Beisitzer 1 Kuh und 1 Kalb (gegen ein Händler, und alle offiziellen Zusammenkünfte anläß- Weidegeld), 1 Schwein, aber keine Schafe und Gänse, lich der Rechnungslegung für Gemeinde und Kirche, für die es im übrigen offenbar keine festgelegten Quo- der Gemarkungsbegehungen (Untergänge) und Ver- ten gab. Diese Regelung der Weidenutzung, die den tragsabschlüsse sowie alle Tauf- und Hochzeitsfeste Seldnern immerhin die Möglichkeit einer Ausdehnung mußten in seinem Haus stattfinden. Er hatte auch einen ihrer Landwirtschaft durch den Erwerb lehensrechtlich großen Grundbesitz, an die 50 Jauchert, der von ver- nicht fest eingebundener Grundstücke bot, könnte in die schiedenen Grundherren stammte. Seine Fronleistung Zeit zurückreichen, in der es in Obersulmetingen noch bestand darin, daß er das Schloß mit Bier und Wein einen einträglichen Marktbetrieb gab. versehen mußte. Die Entwicklung im 18.Jahrhundert ist dann dadurch Der Müller (Nr. 58) bezahlte für seine Mahl-, Öl- gekennzeichnet, daß etwa so viele neue Häuser gebaut und Sägemühle 1756 ein Bestandgeld von 500 Gulden, wurden, wie alte Seldplätze unbesetzt waren, allerdings den höchsten unter den genannten Beträgen, und auch ohne daß die neuen Stellen ein Gemeinderecht erhielten. er hatte noch eine weitere Selde inne (Nr. 46). Außer Dazu gehören auch die Häuser zwischen Dorf und seinen sonstigen Abgaben und seinen Fronleistungen, Mühle, von denen für Nr. 47 erst 1747 ein vakantes Ge- die denen eines Seldners mit Gespann entsprachen, meinderecht erworben wurde. Nach dem Urbar des mußte er jährlich (ex gratia) 23 Malter Mahlfrucht an Klosters Ochsenhausen von 1784 gab es damals in die Herrschaft liefern, die ihm das Eichenholz für vier Obersulmetingen neben dem Schloß mit Pfarrhaus 13 seiner Mahlgänge gratis zur Verfügung stellte, nicht Bauern und Halbbauern, etwa 53 Seldner mit und 12 aber für den fünften, der erst 1721 eingerichtet wurde. Häusler ohne Gemeinderecht. Die Anwesen der Ge- Der Inhaber der Taferne und der Müller scheinen also meinder sind fast durchweg Fallehen, deren unter- auf Grund ihrer gewerblichen Privilegien damals die schiedlicher Wert und damit auch die soziale Position reichsten Leute im Dorf gewesen zu sein. ihrer Inhaber an dem Bestandgeld bei der jeweils letzten Im Jahr 1828 hatte Obersulmetingen 592 Einwoh- Gutsübernahme abgelesen werden kann. Seldner, deren ner. Die damalige Zahl von 80 Wohnhäusern und 92 Bestandgeld zwischen 50 und 150 Gulden liegt, haben Familien zeigt, daß der Ort seit dem ausgehenden es zu einem Gespann gebracht. Sie müssen statt der bei 18.Jh. wenig gewachsen war. Ein stärkeres Wachstum den Seldnern sonst üblichen Handdienste (jährlich je setzt dann in den dreißiger Jahren ein, 1842 werden sechs Tage Manns- und Weiberdienst) vier Klafter Holz 700 Ortszugehörige, 117 Familien und 47 Handwerker zum Schloß führen, dazu wie die übrigen Seldner einen gezählt. Einige Selden und Höfe waren geteilt worden, Reist Flachs schwingen und einen Vierling und mit dem Übergang der einstigen Lehengüter ins Eigentum ihrer Inhaber, der von Württemberg auch in

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der Standesherrschaft Thurn und Taxis durchgesetzt Quellen wurde, kam es zu einer Belebung des Grundstücksver- zur Rekonstruktion der Entwicklung von Siedlung und Sozialstruktur: kehrs. Dies gab den Seldnern mit einem einträglichen Gewerbe die Möglichkeit, auch ihre landwirtschaftli- HStAS: Zur Geschichte des Obersulmetinger Reichslehens: B 163, Nr. che Basis aufzustocken: Dazu kamen die Grundstücke 79, 154, 213, 218, 272, 273, 327a u. b und 416 (Heft mit zeitge- nössischen Abschriften der Urkunden von 1353-1484); zur Ge- aus den Allmendverteilungen nach der Einführung der schichte des Obersulmetinger »österreichischen Lehens«: B 31 Bü Stallfütterung. 246 Nr. 1-20 mit den Urk. v. 1434-1667; B 163 Bü 61, Urk. Nr. 338 Um die Mitte des Jahrhunderts, der Zeit der großen v. 1444. Teuerung, stagnierte die Entwicklung wieder und war Staatsarchiv Sigmaringen (StASIG): Depositum 30 (Thurn und Ta- dann zum Teil rückläufig (1855: 581 Einwohner), bis xis‘sches Archiv), Rep. IV Kl. Ochsenhausen, Urbare des Amtes gegen die Jahrhundertwende nochmals eine kurze Obersulmetingen Nr. 1 (1666/67, Prov. Freih. v. Ulm-Erbach), 2 und Wachstumsphase zu registrieren ist, die mit der allge- 3 (1702, Kl. Ochsenhausen), 11-14 (1784-1804); Depositum 30, meinen wirtschaftlichen Entwicklung einhergeht Rep. IV, Pak. 113, Liste der Bestände von Obersulmetingen 1785; Rep. XIV, F 2, I. Karten und Pläne Nr. 33 u. 94. (1895: 737 Einwohner). Spitalarchiv Biberach: B 3116, S. 136-138, Urbar von Sulmetingen ca. In Obersulmetingen selbst hat sich keine Industrie 1500/1508; einzelne Urkunden, bes. U 1015, U 1059-1061. entwickelt, doch bot in zunehmendem Maße die Laup- heimer und Biberacher Industrie und später dann auch die Fabrik in Untersulmetingen neue Erwerbsmöglich- keiten für die Seldner und ihre Nachkommen wie auch 3. Merklingen, Alb-Donau-Kreis für die Bauernkinder. Im Jahr 1933 gab es bereits 35 Auspendler, 1970 waren es 159; auch Obersulmetin- Das stattliche Dorf Merklingen (heute rund 1400 gen hatte sich zur Wohngemeinde mit 826 Einwohnern Einwohner) hatte als ulmischer Amtsort (bis 1744) und entwickelt. Die Landwirtschaft behielt zunächst ihre als Zollstation auf der mittleren Schwäbischen Alb, wo Bedeutung, doch konnte sie im Zuge der Mechanisie- die Salzstraße das Ulmer Gebiet verläßt, schon seit rung und Rationalisierung mit immer weniger Arbeits- langem eine gewisse überörtliche Bedeutung, auch kräften auskommen. Zahlreiche kleine Betriebe gaben wenn es in der unmittelbaren Nachbarschaft der beiden die eigene Landwirtschaft dann auch ganz auf. Von Konkurrenten (württembergisch) und Nel- den 116 Betrieben mit mehr als 0,5 ha des Jahres 1895, lingen (ulmisch) den Status eines Marktfleckens nicht als noch 80% der Erwerbstätigen hauptberuflich in der erreichen konnte. Noch im ausgehenden 18. und Landwirtschaft beschäftigt waren, sind bis 1971 noch beginnenden 19.Jahrhundert profitierte es von seiner 73 Betriebe übriggeblieben, von denen 67 Großvieh Grenzlage. Als eines der großen Ulmer Weberdörfer hielten, also etwa so viele, wie es im 18.Jahrhundert hatte es 1774 insgesamt 128 Webstühle, von denen 16 Bauern und Seldner gegeben hatte, aber nur noch 33% leerstanden, das heißt, die Zahl der beschäftigten Web- der Erwerbstätigen waren 1970 der Landwirtschaft zu- stühle entsprach etwa der Zahl der Haushalte (s.u.). zurechnen. Zwar sank mit dem Niedergang des Ulmer Leinwand- handels auch in Merklingen die Zahl der Webstühle; 1784 waren es noch 113, davon 26 leerstehend, um 1830 noch gegen 100 Webstühle (bei 37 Meistern und Literatur (mit Drucken von Quellen): 36 Knappen), doch war hier der Rückgang wesentlich geringer als in anderen Ulmer Weberdörfern. Dies RUMMEL, A.: In: Zeit und Heimat, Beil. z. Anzeiger vom Oberland: Die hängt damit zusammen, daß sich gerade zu jener Zeit Inhaber der Herrschaften von Obersulmetingen, Nr. 39 v. 6.3.1928; Hans Heinrich Freiherr von Neuhausen zu Obersulmetingen und die Absatzmöglichkeiten für Leinwand im benachbar- seine Familie 1602-1639 (Schloßarchiv Mittelbiberach XXV. Nr. 1- ten altwürttembergischen Laichingen wie auch im na- 34), Nr. 41 v. 28.6.1928; Vertrag zwischen der Herrschaft zu hen Blaubeuren günstiger entwickelten als in Ulm. In- Obersulmetingen und der dortigen Bürgerschaft... 1577 (Schloßar- dessen ging auch in Merklingen die Hausweberei rasch chiv Mittelbiberach XXI, 27); Die Verhältnisse zu Obersulmetingen zurück, 1836 wurden noch 50 Weber gezählt, um 1914 zur Zeit der Herren von Neuhausen 1607, 6.Jg. Nr. 5 v. 15.10.1929. zwar immer noch 23 »Betriebe«, die meisten waren 1 GREES, H.: Die Entwicklung von Siedlung und Sozialstruktur in aber ohne Arbeit . Doch konnte hier wie in andern ul- Laupheim und in seinen Stadtteilen. In: Laupheim. Hg. von der Stadt mischen Dörfern mit ihren günstigeren landwirtschaft- Laupheim in Rückschau auf 1200 Jahre Laupheimer Geschichte 778- lichen Betriebsgrößenverhältnissen gelingen, was in 1978. Weißenhorn 1979. S. 177-218. den benachbarten altwürttembergischen Realteilungs- BETH, H.: Geschichte von Untersulmetingen. Ebendort S. 397-424. dörfern kaum möglich war, zum Beispiel in Laichingen ERNST, V.: Das Biberacher Spital bis zur Reformation. In: Württem- bergische Vierteljahreshefte 1897. S. 1-112. SEEBERG-ELVERFELDT, R. (Bearb.): Das Spitalarchiv Biberach an der 1 SASSE, C.: Die Leinenweberei in Laichingen, Oberamt Riß. 2 Teile (Inventare d. nichtstaatl. Archive in Baden-Württ. 5, 6). Münsingen. Diss. Tübingen 1914, S. 9, 49f. 1958, 1960.

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oder Donnstetten: der zeitweilige Rückzug der Weber ihnen haben zwei Inhaber, bei einer sind drei Besitzer auf ihre Landwirtschaft, die sie früher nebenher betrie- nachgetragen. Ein weiteres »Gut«, zu dem ebenfalls ben hatten. Damit mußte man zurechtkommen, wenn eine Selde gehört, hat die Qualität einer Hube (Nr. 51). man nicht in die Stadt ab- oder auswandern wollte, bis Drei Selden werden einzeln aufgeführt. der Anschluß an die Nebenbahn Laichingen- Der geteilte Maierhof, die neun Huben, darunter vier (1901) und dann vor allem an die Autobahn (1938) geteilte, und die acht Selden, die im Lagerbuch von einerseits die Entwicklung des Pendlerwesens, anderer- circa 1371 aufgeführt sind, machen nur einen Teil des seits die Niederlassung einiger kleinerer Gewerbe- Dorfes aus, wie es damals bereits bestand, doch deutet betriebe am Ort ermöglichte. sich schon seine bauliche Struktur an, die dann in den Nach dem Ortsnamen, aufgefundenen Siedlungsresten Quellen des 15. und 16.Jahrhunderts immer deutlicher und den Reihengräberfunden beim Friedhof reichen die wird. Andererseits verwischen sich aber die ursprüng- Wurzeln Merklingens in die Zeit der alemannischen lichen Verhältnisse im Fortgang der schriftlichen Besiedlung unseres Landes zurück. Die in einem Ko- Überlieferung auch immer mehr. So läßt sich zum pialbuch des 16./17.Jahrhundert überlieferte Urkunde Beispiel der Maierhof, dessen vier Teilhöfe zusammen von 861, in der Merklingen erstmals genannt wird, läßt 137 ha umfassen, als solcher eindeutig nur mit Hilfe darauf schließen, daß die Zehntrechte, die das Kloster des Lagerbuchs von circa 1371 erkennen, seine Teile und spätere Stift Wiesensteig in Merklingen besaß, be- erscheinen wie einige Huben schon im Kaufbrief von reits zur Gründungsausstattung des Klosters gehörten. 1482 einfach als Höfe, die Teile der Huben als Erste Einzelheiten über den helfensteinischen Ort, »Lehen«. dessen Kirche und Pfarrei erstmals 1275 erwähnt Besonders die frühen Quellen lassen also erkennen, werden und der 1375 dem Kloster Ellwangen zu Lehen daß es vor allem Teilungen sind und die Ansiedlung aufgetragen wurde, erfährt man aus dem ältesten Hel- von Kleinstellen, von Selden, von denen die Entwick- fensteiner Lagerbuch von circa 1371. Der Graf von lung des Dorfes in der vorausliegenden Zeit bestimmt Helfenstein ist Ortsherr. Die Güter, die ihm als Grund- wird. Die Selden und auch die aus den Hubenteilen herrn gehören, lassen sich eindeutig lokalisieren, da sie gebildeten »Lehen« engen sehr häufig die Hofgrund- sich vom Primärkataster und der ersten Flurkarte aus stücke der alten Huben beträchtlich ein. Zum Teil staf- über die Gemeindegüter- und Steuerbücher bis zum Ul- feln sie sich, von der Gasse aus gesehen, hinterein- mer Lagerbuch von 1739 zurückverfolgen lassen, und ander, und es kommt zur Bildung regelrechter Sack- zwar mit Hilfe der gleichbleibenden Abgaben, der gassen, besonders am südlichen Ortsrand, aber auch genannten Nebenlieger u.a., und weiter über die sorgfäl- sonst. Die Anwesen der zweiten oder gar dritten Reihe tigen Verweise dieses Lagerbuchs auf das nicht erhal- sind oft nur über die Hofraiten von Anwesen der tene Lagerbuch von 1506 bis hin zum Kaufbrief von vorderen Reihe zu erreichen, die sich im übrigen in 1482, von dem das Lagerbuch von 1739 eine Abschrift ziemlich dichter Folge um den zentralen Dorfplatz mit enthält. Damals verkauften die Grafen Friedrich und der Hüle aneinanderreihen und ebenso an den nach Ludwig von Helfenstein den Rest ihres Merklinger außen führenden Gassen. Nur in wenigen Einzelfällen Besitzes, mit dessen Veräußerung sie bereits 1396 und läßt sich noch nachweisen, daß die ungeteilten, noch 1446 begonnen hatten, an die Reichsstadt Ulm. Dieser nicht mit Selden versehenen Huben ursprünglich sehr Grundbesitz läßt sich nun zweifelsfrei mit dem im La- viel mehr Platz zur Verfügung hatten. So gehörten gerbuch von circa 1371 genannten identifizieren. Es nach dem Lagerbuch von circa 1371, dem Kaufbrief handelt sich zunächst um den auf vier Inhaber aufge- von 1482 sowie jüngeren Verzeichnissen der geistli- teilten ehemaligen Maierhof nördlich der Kirche (Nr. chen Grundherrschaften folgende Huben oder »Lehen« 55-58), wobei sich zwei Inhaber gleichen Familien- und Selden, in ( ), nachweislich zueinander: 19 (20); namens in den halben Hof teilen. Die beiden andern 48 (eine Selde, die wohl später wieder zu der Hube Teilhaber besitzen von des selben hofs ain viertail und gezogen wurde); 74 (71/72, 76); 87 (86, 88); 97 (98). sind auch mit je einem Viertel der Gesamtabgaben be- Ob es sich dabei um eine ursprüngliche Abhängigkeit lastet. Ferner gehören drei Huben zum Helfensteiner der Selden von den Huben handelt oder nur um ein Grundbesitz, zu einer von ihnen (Nr. 87-89) gehören Zinsverhältnis für das von den Selden in Anspruch zwei Selden, zu den beiden anderen (Nr. 97/98 und 48) genommene Grundstück, läßt sich nicht mehr je eine. Die mit zwei Selden, darunter eine niuwe seld, feststellen2. verbundene Hube ist zunächst auf zwei Inhaber aufge- teilt, später auf drei (im Verhältnis 2:1:1), von denen 2 Die Formulierungen der Quellen lassen dies offen; zum Beispiel cir- einer aus der »neuen« Selde zinst. Die Randbemerkung ca 1371: Eine Selde, für die der Hubeninhaber zinst und für die die lit wüst bezieht sich wohl auf die Selde der ersten, nicht nachträgliche Randbemerkung lit wüst gelten dürfte, die also wohl geteilten Hube. Von fünf weiteren Huben, die sich nicht wieder zu der Hube gezogen wurde, gehört in die obgenannt hub; sicher lokalisieren lassen, im Kaufbrief von 1482 aber circa 1371: Eine Selde mit einem Inhaber, der nicht mit dem Hu- beninhaber identisch ist, hört in die obgenanten hub, wie noch in wieder auftauchen, erhält Helfenstein nur Vogtrechtsab- einem weiteren Falle. Man kann auch daran denken, daß bei der Tei- gaben (2 Schilling Heller bzw. ein Fastnachtshuhn). lung von Huben schon bestehende Selden in Anspruch genommen Drei von oder neue Seldstellen geschaffen wurden. So hat nach 1371 der Inhaber 16

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Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß die Verhält- Identifikation oder Lokalisierung wegen der knappen nisse bei den übrigen Selden im Dorf, die anderen Angaben nicht möglich ist. Auf Grund der La- Grundherrschaften gehörten und die erst etwas später geverhältnisse (Sackgassen) und des Parzellenzu- nachweisbar sind, damals grundsätzlich anders waren schnitts kann man auch beim Widumhof sowie bei den als bei den helfensteinischen Gütern. Auch zu den Nummern 18/19/21, 38/39, 89/90, 92/93/94 Teilungen circa 1371 genannten 5 Huben, die nur zu Vogtrechts- annehmen. abgaben an Helfenstein verpflichtet waren und die Neben solchen Veränderungen sind es auch die herr- sicher identisch sind mit den erst später bei den ande- schaftlichen Verhältnisse, die Hinweise auf die Ent- ren Herrschaften genannten Huben, Lehen oder wicklung des Dorfes geben. Es fällt auf, daß sich das Gütern, dürfte noch die eine oder andere Selde gehört helfensteinische, später ulmische Grundeigentum fast haben. Dazu kam noch eine ganze Anzahl nicht mit ganz auf den Norden und Osten des Dorfes beschränkt, einem bäuerlichen Lehen verknüpfter Selden, die ent- wo es durchsetzt ist von Gütern der Pfarrei und des weder schon als solche angelegt wurden oder deren sehr reichen Ortsheiligen, der auch im Südwesten frühe Bindung an einen Hof oder eine Hube aufgelöst begütert ist. Die Güter des Stifts Wiesensteig und der worden war. Dieser letztere Vorgang läßt sich zum ihm zugehörigen Prädikatur und Frühmesse sowie des Beispiel beobachten, wenn man dieselbe Gütermasse Hospitals Wiesensteig machen fast den ganzen west- im Lagerbuch von circa 1371 und im Kaufbrief von lichen Flügel des Dorfes aus, finden sich aber auch im 1482 miteinander vergleicht: circa 1371 sind von den Süden, im Norden und in der Nähe der Kirche, acht genannten Selden fünf mit einem bäuerlichen Gut vermischt mit denen der anderen Grundherren. Diese verknüpft, 1482 nur noch zwei. Von den insgesamt 86 Verteilung hängt sicher mit der helfensteinischen Her- Gemeindeberechtigten, die 1609 genannt sind, waren kunft des geistlichen Besitzes zusammen, was sich be- 59 Seldner, also etwa zwei Drittel, die übrigen Bauern. sonders auch an den Gütern der Almosenpflege Zuvor war der Anteil der Seldner eher noch größer, da Geislingen zeigt. Die Güter scheinen nach und nach, es 1609 sieben nicht besetzte Selden gab, die wohl aber doch wohl noch in größeren Komplexen, an ihre schon im 14.Jahrhundert abgegangen waren. Ob bei späteren Eigentümer gelangt und zum Teil auch noch der Entstehung der Selden in Merklingen bereits die danach unterteilt worden zu sein, ohne daß sich grund- nach Ulm orientierte Landweberei eine Rolle spielte, sätzliche Unterschiede bei den verschiedenen Herr- läßt sich nicht nachweisen. Immerhin gab es im be- schaften zeigen. nachbarten Laichingen bereits im 15.Jahrhundert eine Der Maierhof und der Widumhof, der wohl anfäng- Weber- und eine Donkgasse. lich ebenfalls größer war, liegen einander diesseits und An der Entwicklung des Dorfes war neben der Ent- jenseits des weiten Dorfplatzes mit der auffallend gro- stehung der Selden vor allem auch die Teilung der ßen Hüle diagonal gegenüber. Die Größe des Platzes dörflichen Anwesen beteiligt, die sich bis ins 15.Jahr- und der vielleicht künstlich angelegten Hüle könnte da- hundert, bis zum Beginn der Ulmer Herrschaft, in mit zusammenhängen, daß es im Dorf und seiner nähe- Merklingen beobachten läßt. Danach blieben bis zum ren Umgebung kein fließendes Wasser gab und wegen Anfang des 19.Jahrhunderts wenigstens die bäuerli- der Verkarstung wohl auch keinen Brunnen, das heißt, chen Güter geschlossen erhalten, aber es sind in den man war ganz auf Zisternenwasser angewiesen. Die meisten Fällen nicht mehr die ursprünglichen Ein- acht bis neun nachweisbaren Huben – viel mehr kön- heiten. Neben dem Maierhof wurden auch Huben nen es nicht gewesen sein – müssen sich ziemlich geteilt. Eine der helfensteinischen Huben hat circa locker um den Dorfplatz gruppiert haben, bevor es 1371 zwei, später drei Inhaber, bevor sie vor 1506 durch die Teilungen und den Bau von Selden zu der ganz aufgegeben und von andern als Feldlehen weiter- späteren baulichen Verdichtung kam. bewirtschaftet wird. Die nicht geteilten Huben erschei- Die Dorfentwicklung scheint von einigen ursprüng- nen im Kaufbrief von 1482 wie die vier Maierhofteile lich wohl etwas voneinander abgerückten Siedlungs- als Höfe. Zweigeteilt sind auch drei der fünf unter zellen ausgegangen zu sein. Dazu gehört der Maier- helfensteinischer Vogtherrschaft stehenden Huben. Im hofkomplex zwischen der Kirche mit ihrem Zubehör Kaufbrief von 1482 werden stattdessen 6 vogtrecht- und der Langen Gasse im Norden, dem Viehtriebweg liche »Güter« genannt, ohne daß man genau sagen zu den wichtigsten Weidegebieten der Gemeinde, die könnte, was dies bedeutet, da eine im Nordwesten und Südosten der Gemarkung liegen. An den Maierhof schlossen sich im Westen wohl einige Huben an. Sein bevorzugtes Ackerland, seine des Teils einer im Verhältnis 2:1:1 geteilten Hube noch zwei Selden Breiten, liegen, in breite Streifen und Blöcke an die darzu... und git von der niuwen seid 2 ß hl und 1 vaßnachthun und vier Inhaber aufgeteilt, im Norden und Süden des Dor- ein herbsthun. Auch die Besitznachfolgerin auf einem dieser Huben- teile, 1482 Lehen genannt, zinst damals noch zusätzlich aus einer fes jenseits der Baumgärten, mit gleichen Anteilen an Selde, die auch die obgenannt B. S. innehat. Im übrigen kommt es den drei Öschen. Der Brühl, doch wohl das einstige auch vor, daß der Inhaber eines Anwesens zusätzlich noch eine Selde Wiesenland des Maierhofes, ist in schmalstreifige Ak- an einer anderen Stelle im Dorf besitzt, so 1482 einer der Maier- kergewanne aufgeteilt, ohne daß die Maierhofinhaber hofinhaber die Selde Nr. 88 zusätzlich zu einem weiteren Lehen, von daran beteiligt sind – mit Ausnahme zweier schmaler dem er unter anderem ½ Fastnachtshenne zinst. Streifen. Daraus muß man schließen, daß außer der 17

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bei der Aufgabe der Maierhofverfassung auch noch an- die ja kein Etterweg ist, sondern die westlichen Baum- dere tiefgreifende Veränderungen eingetreten sind. So gärten in nordsüdlicher Richtung durchschneidet, geben ist von den einstigen Vorrechten des Maierhofs, die es Rätsel auf. Alles weist also eher auf eine stärkere Um- sicher einmal gab, wie beim Widumhof nur der Bezug gestaltung in diesem Bereich hin, die sich um so von einem Teil des Zehntstrohs übriggeblieben. Übri- weniger fassen läßt, als die Anwesen hier fast alle erst gens gehört zum Maierhof auch eine fast geschlossene im Laufe des 16. oder gar erst im 17.Jahrhundert Fläche von Landgarbäckern (ausgegeben um die dritte nachweisbar sind. Garbe) im Norden auf dem Zahlberg, die schon circa Auf eine weitere Siedlungszelle im Südosten läßt 1371 und 1482 wieder genannt und ähnlich aufgeteilt schon der Name im Hahnenweiler für diesen Dorfteil sind wie die Breiten. Dies ist sicher die Flur eines abge- schließen. Ob die Schmalzgrube, wie der Bereich um gangenen Hofes (ze Salberg?) wie vielleicht auch das die nördlichere der beiden Sackgassen heißt, auch noch westlich anschließende Geiwitzenfeld, auf das die Wü- zum Hahnenweiler gehört, ist unsicher. Jedenfalls läßt stung Harthausen folgt, deren Flur ebenfalls in der Form sich auch durch die fast regelmäßige Nebenlage der von Landgarbäckern ausgegeben ist und einen eigenen Flurstücke sowohl bei Nr. 89 und 90 als auch bei den Zehntbezirk bildet. Dazu kommen weitere Wüstungs- Nummern 92, 93 und 94 wahrscheinlich machen, daß fluren: Klein- und Großwidderstall (circa 1371: der hier größere Einheiten geteilt wurden, wie übrigens anger zu Witterstalle) im Nordwesten, ein Anteil am auch bei Nr. 18/19. Bei Nr. 92-94 muß man wegen der abgegangenen Schwachstetten (hauptsächlich zur Merk- starken Besitzkonzentration in der Wüstungsflur Gei- linger Allmende, von der um 1714 die Gemeindeäcker witzenfeld auch an die Möglichkeit einer Umsiedlung Hohenaspen ausgeteilt wurden), ein Anteil des zeitwei- denken oder an die nachträgliche Ausstattung eines lig abgegangenen und stark reduzierten Aichen (Aichen kleineren Anwesens mit dieser Wüstungsflur. auf der Laube, Zehntbezirk, besondere Öscheinteilung) Daß sich in dem Bereich um die Kirche der Besitz sowie ein Teil der Flur Hagen, den wiederum haupt- des Ortsheiligen häuft, ist verständlich. Auch aus dem sächlich die Maierhofbauern bewirtschaften, und zwar Kartenbild geht ja hervor, daß die Heiligenpflege Merk- als Grünland (circa 1371: Mähder uff dem Hägin zu der lingen sehr reich war. Sie versteuerte 1604 allein 13640 hülun; in der Nähe 26 Jauchert Landgarbäcker Hegni als fl, das heißt gut viermal soviel wie der reichste Bauer besonderer Zehntbezirk und ein Gemeindewald Maier- (siehe unten), und sie war auch ein wichtiger Geld- wiese). Auch die Einbeziehung dieser großen Wüstungs- verleiher für die Merklinger. flächen in die ursprünglich sehr viel kleinere Merklinger Einen ersten vollständigen Überblick über die Ge- Flur und ihre Bewirtschaftung nach unterschiedlichen meinde und die sozialen Verhältnisse erlaubt das Ulmer Leiheformen gehört sicher zu den großen Verände- Land- und Türkensteuerbuch von 1544. Außerdem rungen des Spätmittelalters und auch zu den Vorausset- macht es der Vergleich mit dem nächsten erhaltenen zungen für das starke Wachstum des Dorfes, das sich er- Steuerbuch von 1604 möglich, die Entwicklung in der schließen läßt. zweiten Hälfte des 16.Jahrhunderts zu erfassen (An- Der Dorfteil im Südwesten, in dem der zur Ausstat- gaben jeweils in Klammern). Es sind 1544 (1604) insge- tung der Kirche und damit dem Stift Wiesensteig gehö- samt 129 (184) Steuerpflichtige, darunter die Gemein- rige Widumhof liegt, heißt im Kloster. Dies ist sicher- depflege, die 1544 nichts zu versteuern hat (1604: 164 lich nicht wörtlich zu nehmen und bezieht sich auf die fl), und die Heiligenpflege mit 1976 Pfund Heller klösterliche Grundherrschaft. Das Patronatsrecht für die (13640 fl), ebenso 28 (21) Witwen- und Kindspfleg- 1275 erstmals genannte Pfarrkirche mit dem Kirchen- schaften. Von den 101 (161) für sich persönlich Steu- satz schenkten die Grafen von Helfenstein 1331 dem ernden sind 16 (27) ohne jegliches Vermögen und be- Stift und inkorporierten diesem die Merklinger Kirche. zahlen nur ein Kopfgeld von 5 Schilling Heller (5 Was dazu an Grundbesitz gehörte, ist unbekannt. Zu- Schilling Heller), 18 (41) halten Gesinde: insgesamt 28 nächst möchte man annehmen, daß der ganze, ziemlich (circa 64) Personen. An Hand einzelner Beispiele, die regelmäßig gegliederte Bezirk westlich der Kloster-Ju- sich mit Hilfe der Namen identifizieren lassen, kann dengasse, der ausschließlich geistlichen Grundherr- man die Grenze zwischen Bauern- und Seldnervermö- schaften untersteht, den Widumhofkomplex ausmacht. gen etwa bei 500 Pfund Heller (1000 fl) ziehen. Über Dagegen sprechen jedoch die Anwesen 17-20 der Al- 500 Pfund Heller (1000 fl) versteuern 34 (48), darunter mosenpflege Geislingen, die auf eine helfensteinische 10 (10) über 1000 Pfund Heller (2000 fl). Für 1544 er- Stiftung zurückgehen dürften. Vielleicht liegt der Wi- gibt sich also ein Verhältnis von etwa 34 »Bauern« zu dumhof, dessen Parzellen auf der ganzen Flur verstreut 51 »Seldnern«; die 16 Haushalte ohne Vermögen, das sind, auch gar nicht an seinem ursprünglichen Platz, heißt vor allem ohne Haus- und Grundbesitz, sind zu denn er hat keinen Anteil an den Baumgärten am west- den »Beiwohnern« zu rechnen, das heißt zu denen, die lichen Ortsrand und an den sich daran anschließenden bei Bauern oder Seldnern in Miete wohnen, wozu dann Äckern. Im Nordwesten heißen diese Äcker auf der als Einzelpersonen noch die 28 Knechte und Mägde Kappel, was doch wohl ein Hinweis auf eine ehemalige kommen. Die Beiwohner waren nicht Mitglieder der Kapelle ist, und auch die Judengaß und die Bettelgaß, Gemeinde und waren damit auch nicht an der All-

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mendnutzung beteiligt. So zeigt sich eine hohe Über- beim Bau des Heiligenhauses (Nr. 110). Ganz neu ent- einstimmung mit den 1609 genannten 86 Gemein- standen nur die Gemeindeschmiede auf dem Dorfplatz derechten, wie auch mit der Zahl von 31 Bauern, die und 1587 die Zehntscheuer außerhalb des Dorfes im nach dem Lagerbuch von 1739 zu Gespannfronen ver- Süden, vielleicht auch 1446 das Ulmer Zollhaus am pflichtet waren (Pflügen, Fuhren mit Getreide, Heu nördlichen Ortsausgang. und Holz), während die Seldner Handfronen zu ver- Ein schlimmer Dorfbrand im Jahre 1609 und dann richten hatten (Holzmachen, Schoren, Mähen, Dörren, vor allem der Dreißigjährige Krieg mit seinen Begleit- Getreideschneiden und -binden). erscheinungen von Plünderung, Zerstörung, Hunger Wenn sich die Zahl der steuerpflichtigen Haushalte und Seuchen bedeuteten natürlich einen tiefen Ein- in den 60 Jahren zwischen 1544 und 1604 von 129 auf schnitt in der Entwicklung des Dorfes, doch waren die 184 um über zwei Fünftel erhöht hat, dann kommt dar- bleibenden Veränderungen relativ gering. Unter ge- in ein sehr starkes Wachstum in der zweiten Hälfte des nauer Beachtung des Herkommens wurden die Vor- 16.Jahrhunderts zum Ausdruck. Die Zahl der Knechte kriegsverhältnisse wieder hergestellt, ein Zustand, der und Mägde hat sich sogar weit mehr als verdoppelt, die um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert wieder er- Zahl der Gesindehalter ebenfalls. Im Steuerbuch von reicht war. 1708 gab es in Merklingen 85 bewohnte 1604 ist die Zahl der »Beiwohner« mit 59 angegeben, Häuser, darunter 30 Bauernhöfe (nach ihrer Größe 10 davon sind 24 ohne jegliches Vermögen. Die Zunahme ganze und 20 halbe) und 55 Selden (32 »Seldner«, die hat also vorwiegend an der Basis der Sozialpyramide hauptsächlich von ihrer Landwirtschaft lebten, 10 stattgefunden, auch wenn zu den Beiwohnern einige Handwerker, 8 Tagelöhner und 6 Witwen- und Wai- Ausgeding-Haushalte mit beachtlichem Vermögen ge- senpflegschaften, eine davon offenbar ohne Haus), rechnet wurden, deren Gemeindenutzungsrecht auf ihre dazu 6 Beiwohner. Auf Grund dieser Angaben läßt Nachfolger übergegangen war. Daß sich in dieser Zeit sich die damalige Einwohnerzahl auf knapp 500 schät- der Wohlstand weniger an der Spitze als im Bereich zen. Danach nahm die Bevölkerung weiterhin zu, was der mittleren Vermögen deutlich gehoben hat, zeigt offenbar zu neuen Lösungen der Unterbringung des sich in dem hohen Anteil der Vermögen über 1000 fl Überschusses führte. So entstanden um 1730 am nord- wie auch in der starken Zunahme der Gesindehalter. westlichen Ortsausgang auf Allmendland ein paar neue Offenbar ist es einer ganzen Anzahl von Seldnern ge- Häuschen, deren Besitzer jedoch kein Gemeinderecht lungen, Anschluß an die Vermögen der kleineren Bau- erhielten. Bis 1739 werden außerdem mit herrschaftli- ern zu gewinnen, sei es durch die Übernahme von cher Erlaubnis 11 Selden geteilt, die Inhaber der Halb- Feldlehen u.ä., die Vermehrung ihrer »eigenen« selden müssen aber mit einem halben Gemeinderecht Grundstücke, die bauliche Verbesserung ihrer An- auskommen. Zu den 86 im Jahre 1609 genannten Ge- wesen usw. meinderechten waren nur zwei weitere hinzugekom- Diese Entwicklung hat aber kaum zu einer men, eines an den reichen Inhaber der Taferne Nr. 35, Vergrößerung des Dorfes oder der Zahl seiner der eine weitere Selde baute, das andere an eine abge- Anwesen geführt. Merklingen gehört zu den »ge- teilte Selde (Nr. 101). schlossenen« Gemeinden des Ulmer Landes, in denen Die Unterschiede der Bauern und Seldner in der All- seit dem 15.Jahrhundert der Kreis der nutzungsberech- mendnutzung, die es früher gegeben hatte, waren in- tigten Gemeindeangehörigen, also der Bauern und der zwischen beseitigt worden, zuletzt 1727 bei den Schaf- Seldner, nicht erweitert werden durfte. Dies war weiderechten. Darin zeigt sich auch ein gewisser so- gleichbedeutend damit, daß in der Regel auch keine zialer Aufstieg der Seldner, doch gab es die herkömm- Häuser auf neuen Hausplätzen gebaut werden durften, lichen sozialen Unterschiede innerhalb des Dorfes wei- weil herkömmlicherweise mit dem Besitz eines Hauses terhin, wie das Lagerbuch von 1739 und ein gleich- ein Gemeindenutzungsrecht verknüpft war. Nichter- zeitiges Steuerbuch zeigen. Zu den 27 Bauernstellen, bende Nachkommen oder Zuziehende konnten sich al- die darin registriert sind, gehören die 4 Teilhöfe des so im Dorf nur niederlassen, wenn sie eines der be- Maierhofs, der Widumhof, 2 Huben und 20 bäuerliche stehenden Häuser oder eine vorübergehend nicht über- »Lehen«. Die Inhaber von 5 weiteren, kleineren baute Hofstätte mit Bebauungsrecht erwerben konnten, »Lehen« werden zu den Seldnern gerechnet, die sich sonst mußten sie sich in die niedrigste Schicht der im übrigen aus den 45 Inhabern von ganzen und 22 In- »Beiwohner« einreihen oder Knecht bzw. Magd blei- habern von halben Selden zusammensetzen. Die Be- ben. Für Merklingen bedeutet dies, daß die 86 Ge- sitzer der 3 »Beiwohnerhäuschen« (Nr. 32-34) gelten meinderechte erst festgeschrieben worden sein können, weiterhin nicht als Gemeindemitglieder, die Zahl der nachdem die acht Selden, die im 16.Jahrhundert als Beiwohnerfamilien ohne eigenes Haus läßt sich nicht nicht mehr bestehend nachweisbar sind, abgegangen feststellen. Die Einwohnerzahl dürfte nun zwischen waren, wahrscheinlich im 14.Jahrhundert. Auch später 550 und 600 liegen. änderte sich daran nicht mehr viel. Bei der Neugrün- Nach den Berechnungen von HAUEISEN lagen die dung von Stellen wurden ruhende Gemeinderechte von den Bauern bewirtschafteten Flächen zwischen einstiger Stellen in Anspruch genommen, so 1609 45,4 ha (einer der Maierhof-Bauern) und 13,5 ha beim Bau der Tafernen-Selde 35 am nördlichen (Lehen-Bauer). Ortsrand auf eigenem Grundstück oder 1512 19

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Die beträchtlichen Größenunterschiede sind vor allem auf 311 angestiegen ist, wobei man berücksichtigen auf den unterschiedlichen Anteil an Feldlehen und muß, daß inzwischen bei den Seldnern auch die Kuh- »eigenen« Grundstücken zurückzuführen, die zusätzlich anspannung üblich wurde. zu dem fest in die Lehenseinheiten eingebundenen Auch in der Vermögensschichtung nach dem Steu- Grundbesitz bewirtschaftet werden und insgesamt mehr erbuch von 1739 zeichnet sich die soziale Schichtung als die Hälfte der bäuerlichen Wirtschaftsfläche aus- des Dorfes ab. Bei den 27 Bauern liegt das versteuerte machen. Die ursprünglichen Lehenseinheiten waren Vermögen zwischen 1572 und 547 fl, der Durchschnitt also viel kleiner, die »Lehen« umfaßten im Durchschnitt beträgt 953 fl. Die Grenze von 500 fl Steuervermögen 10,5 ha, die beiden Huben 14 und 17 ha, der Widumhof wird nur bei 7 der 72 Seldner und Halbseldner über- 17,5 ha, die vier Teile des Maierhofs zusammen 75 ha. schritten, die im Durchschnitt 317 fl versteuern. Die 3 Darin zeigt sich erneut, welch große Bedeutung die Kleinhäusler, 14 Beiwohner und 20 Witwen- und Wai- Wüstungsvorgänge des Spätmittelalters auch für die senpflegschaften haben ein mittleres Steuervermögen weitere Entwicklung der Siedlungs- und Sozialstruktur von etwa 70 fl. Daraus ergibt sich, daß etwa ein Drittel hatten, denn die Feldlehen stammen ja hauptsächlich der steuerpflichtigen Hausinhaber knapp zwei Drittel wie mindestens zum Teil auch die eigenen Grundstücke des Gesamtvermögens besitzen, die anderen zwei Drit- aus den Flächen abgegangener Siedlungen und Anwe- tel verfügen nur über ein Vermögensdrittel (ohne Bei- sen. wohner und Pflegschaften). Die meisten der 27 Bauern in Merklingen hatten ihre Wenn sich die Einwohnerzahl bis 1777 auf 658 er- Lehengüter als Fall- oder Leiblehen inne, nur vier als höhte, dann ist dies vor allem auch auf die Entwick- Erblehen, von denen drei nachweislich erst zu Anfang lung der Weberei in Merklingen zurückzuführen. Zwar des 16.Jahrhunderts das Erbrecht erhielten. Von den dürfte schon 1739 die Zahl der Webstühle größer ge- Selden dagegen können nach einer Zusammenstellung wesen sein als die Zahl der im Lagerbuch genannten von 1759, in der insgesamt 100 Häuser und Gebäu ge- Weber (28), da hier ja nur die selbständigen Haus- nannt sind, nur 13 leibfällig gewesen sein, die übrigen haltsvorstände aufgeführt sind, trotzdem lassen die für waren eigen oder erblehenbar, wenn auch nicht völlig 1774 nachweisbaren 128 Webstühle auf eine sehr star- abgabenfrei. Vielleicht erklären sich damit bei den Sel- ke Zunahme im Laufe des 18.Jahrhunderts schließen. den auch die Teilungen, die ja bei Erblehen und Eigen- Diese Entwicklung hatte aber damals bereits ihren Hö- gütern leichter möglich waren als bei Leiblehen. hepunkt überschritten. Dies spiegelt sich auch in ei- Wenn man von einem Sonderfall absieht, dem Wirt nem Rückgang der Einwohnerzahl auf 600 im Jahre und Metzger Nr. 35, dessen Anwesen nur den Rang ei- 1786 wider. ner »grundeigenen« Selde hatte, der aber mit 37,2 ha Die Weberei hat dann, wie eingangs skizziert, zur über einen der größten Landwirtschaftsbetriebe im Dorf weiteren Entwicklung des Dorfes kaum etwas beigetra- verfügte, hauptsächlich durch die Bewirtschaftung von gen. Wenn die Einwohnerzahl danach im ganzen 19. vier Feldlehen, ferner von den fünf »Seldlehen«, dann und beginnenden 20.Jahrhundert fast stetig wuchs und kommen auf eine Selde im Durchschnitt knapp 2 ha entsprechend auch das Dorf, dann hängt dies zunächst Land, im Höchstfall 6,6 ha (etwa halb so viel wie beim vor allem mit der Entwicklung der Landwirtschaft zu- kleinsten Bauerngut). Aber nur in 13 Fällen ist das von sammen. Dazu gehört einmal die Modernisierung der Seldnern bewirtschaftete Land fest mit deren Selde Wirtschaftsweise: um 1800 die Einführung der Stall- verbunden; zu 60% besteht der Grundbesitz der Seldner fütterung, im Gefolge davon Allmendverteilungen, aus »eigenen« Grundstücken (bei den Bauern nur zu zum Beispiel 1801 und 1806, der Anbau der Brache 37%), dazu kommen noch 7 Feldlehen (bei den Bauern mit Futtergewächsen und Hackfrüchten usw. Vor 16, die 13 Bauern gehören). allem aber war es eine zunehmende Mobilisierung des Insgesamt bewirtschafteten 1739 die 27 Bauern Grundstücksverkehrs, der bisher ja weitgehend auf die knapp ¾, die 75 Seldner und Kleinhäusler gut ¼ der da- eigenen Grundstücke beschränkt gewesen war. In mals außerhalb Etters individuell genutzten Fläche. Anfängen läßt sich dies schon in der zweiten Hälfte Natürlich konnten die kleineren Selden und Halbselden des 18.Jahrhunderts beobachten, also noch in ulmi- von ihren Wirtschaftsflächen allein nicht leben. Bei 59 scher Zeit. Mehrere Lehen wurden ganz oder teilweise von ihnen sind 1739 gewerbliche Berufe angegeben, aufgelöst und ihr Grundbesitz neu zugeteilt, einige darunter 28 Weber und ein Spindeldreher, 5 Schneider, Halbselden wurden wieder zusammengelegt, ein paar 4 Schuhmacher, 3 Zimmerleute, 2 Feldschützen, 1 Zol- Seilden auch erneut geteilt, andere zu Seldlehen aufge- ler, von den sonst üblichen Dorfhandwerkern je 1 bis 2; stockt. Auch sonst gab es einige Veränderungen im 11, die offenbar nur von ihrer Landwirtschaft leben, Dorf: Ein bisher nur als Feldlehen genutztes Lehen er- werden nur als »Seldner« bezeichnet, 7 als Taglöhner. hielt wieder Gebäude, zwei weitere Beiwohnerhäus- Es entspricht der beobachteten Entwicklung, wenn chen kamen hinzu. Nach der Aufhebung des Amtes zwischen 1693 und 1777 die Zahl der Pferde von 87 auf Merklingen kam das Amtshaus in der Klostergasse an 68 zurückgegangen, die Zahl der Rinder aber von 204 das Stift Wiesensteig und wurde zum neuen Pfarrhaus. Das alte wurde an zwei Seldner verkauft, das alte Zoll-

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haus wurde ebenfalls zur Selde und das Heiligenhaus Quellen zum Rathaus. zur Rekonstruktion der Entwicklung von Siedlung und Sozialstruktur:

HStAS: H 150 Nr. 1 Lagerbuch der Grafschaft Helfenstein. Zur Quelle Tabelle 1: Einwohnerzahlen von Merklingen und ihrer Datierung s. MÜLLER, K.O.: Biberacher Stadtrechts- Satzungen im Helfensteiner Urbar, 1371. In: Württernbergische Jahr: 1777 1821 1834 1855 1895 1933 1961 1970 1986 Vierteljahrshefte NF 34 (1928) S. 221-228. Einw.: 658 679 701 788 934 942 1298 1423 1405 StAUL: A 52; A 2590; A 3121; A 3123; A 3319a Nr. 7, A 6073. Gemeindearchiv Merklingen: Steuerbeschreibung 1693; Ulmer La- Zu größeren, nachhaltigen Veränderungen kam es gerbuch 1739 (darin zitiert und abgerechnet mit Ulmer Lagerbuch aber erst, als Merklingen mit der Ulmer Herrschaft von 1506 – sicher dem ersten Ulmer Lagerbuch von Merklingen; 1803 an Bayern und 1810 an Württemberg fiel. Damit enthält ferner eine Abschrift des Kaufbriefs Helfenstein – Ulm von ging eine über dreihundertjährige Periode der relativen 1482. Das Lagerbuch von 1739 gehört zur dritten und letzten Ulmer Stabilität zu Ende. Die nun geltenden Gesetze und vor Lagerbuchserie); Steuerbuch 1739; Heiligen-Salbuch 1747 mit Bei- allem die beginnende Ablösung der Abgabenlasten, die buch; Individual-Kataster 1836; Gemeindegüterbücher. auf den Lehengütern ruhten, führten zu einer immer größeren Verfügungsfreiheit der Inhaber über ihren Besitz, aber auch zunehmend zur ganzen oder teil- weisen Zerschlagung von bäuerlichen und Seldneran- 4. Breitenholz, Gemeinde Ammerbuch, wesen. Dadurch kam es zu starken Veränderungen in Kreis Tübingen der Grundbesitzverteilung. So gab es 1836 in Merk- lingen nur noch 20 Bauern mit durchschnittlich 36,5 ha Das ehemalige Weingärtnerdorf Breitenholz ist ein (gegenüber 26 ha 1739) und 81 Seldner und Halbseld- Beispiel aus dem neckarländischen Realteilungsgebiet. ner mit durchschnittlich 7,1 ha (gegenüber 2,9 ha Das Dorf, das 1971 seine kommunale Selbständigkeit 1739), dazu drei Kleinhäusler ohne Gemeinderecht. verlor, hat heute rund 550 Einwohner. Trotz der relativ Zwar konnten also vor allem auch die großen Bauern geringen Entfernung zu den benachbarten Zentren hat noch erheblich aufstocken, viel wichtiger aber war die- es in seiner etwas abseitigen Lage am Fuß des westli- se Entwicklung für die Seldner, die nun über 45% der chen Schönbuchabfalls seinen kleinbäuerlich-ländli- Wirtschaftsfläche des Dorfes nutzten (gegen 26% chen Charakter relativ lange und gut bewahren können. 1739). Dies war um so nötiger, als die schwindenden Daß Breitenholz eine verhältnismäßig junge, vielleicht Einkünfte aus der Handweberei ersetzt werden muß- von Entringen aus angelegte Siedlungsgründung ist, ten. läßt schon der Name, wohl ein Rodename, vermuten, ebenso die relativ späte erste Nennung (um 1200) wie auch die frühere kirchliche Abhängigkeit vom Nach- bardorf Entringen. Breitenholz war aber sicher nicht von Anfang an ein richtiges Dorf. Noch 1390 wird es als Weiler bezeichnet, und man muß davon ausgehen, daß es anfänglich nur aus ein paar Höfen bestand, die in dem heute dicht und unregelmäßig verbauten Bereich zwischen der Kirchgasse und der Waltersgasse lagen und die später wiederholt geteilt wurden. Auf das höhere Alter dieses Ortskerns weisen auch zwei alte Wege hin, die – noch auf der Flurkarte von 1834 – direkt auf ihn zuführen, im Süden entlang der West- seite des späteren Friedhofs, im Norden schräg durch die Hofgrundstücke von Nr. 17 bis 21. Ein zweiter Dorfteil nördlich der Langen Gasse fällt durch die sehr viel regelmäßiger aneinandergereihten Gehöfte und Hofgrundstücke auf. Bestimmt handelt es sich hierbei um eine spätere planmäßige Erweiterung,

wie sie JÄNICHEN auch im Nachbardorf Entringen für das 12./13.Jahrhundert nachgewiesen hat. Dies war ei- Literatur: ne Zeit stärkster Bevölkerungszunahme, in der auch RIPPMANN, L. (Pfarrer in Merklingen 1907-1923): Ortschronik von die Weinberge an den bis dahin nicht genutzten Merklingen. Manuskript im Gemeindearchiv Merklingen. Schönbuchhängen angelegt wurden. In Breitenholz HAUEISEN, B.: Die Entwicklung von Sozialstruktur und Siedlung in reihte man die neuen Anwesen auf der Nordseite des Merklingen, Alb-Donau-Kreis. Geographische Examensarbeit breiten Tübingen 1976 (masch.).

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Weges auf, der als Viehtriebweg im Norden an der älte- der Überlieferungslücke des 15.Jahrhunderts. In beiden ren Höfegruppe vorbeiführte und dann im Westen und Quellen werden über 50 verschiedene Namen von Osten zum Schönbuch abbog. Auf der neuen breiten Grundstücks- und Hausinhabern sowie von ihren Ne- Dorfstraße, die die beiden Ortsteile miteinander ver- benliegern genannt, womit man sicher eine Mindest- band, spielte sich später ein großer Teil des dörflichen zahl von Abgabepflichtigen und damit Haushalten er- Lebens ab. Hier lagen die zwei Dorfteiche (»Wetten«), faßt. Im Schönbuch-Lagerbuch werden Abgaben an hier holte man sich das Wasser, das von Quellen am den Schönbuch unterschieden für je vier ziehende Pfer- Schönbuchrand in »Deicheln« herangeführt wurde, aus de oder Ochsen, zwei Zugtiere, ein Pferd und einen zwei »Röhrbrunnen«, hier fand die Dorfschmiede und Esel, ferner Häuser mit und ohne Zugvieh. Darin das Gemeindewaschhaus seinen Platz. An dieser von könnte die »soziale Spannweite« zum Ausdruck kom- nun an das Dorfbild bestimmenden Straße lagen auch men, wenn die Einteilung nicht nur schematisch vorge- das Gemeindebackhaus (1522: Backküchin), das später nommen wurde, wie man wohl annehmen muß. Leider zum Rathaus erweitert wurde, eine Zeitlang ein Ge- sind auch die faktischen Abgaben nur summarisch meindeschafhaus (Nr. 26) sowie die Zehntscheuer. genannt und lassen keine sicheren Rückschlüsse auf Außerdem wuchs auch der alte Ortskern im Süden ent- die Zahl der Abgabepflichtigen zu. Immerhin erfährt lang dieser Straße in beide Richtungen. man, daß Breitenholz bereits im ausgehenden 14.Jahr- Die Oberhoheit stand in der Zeit, für die sich die Ent- hundert ungefähr die Größe erreicht hatte, wie sie sich wicklung des Weilers Breitenholz zum Dorf erschließen dann im 16.Jahrhundert genauer fassen läßt. Zwei wei- läßt, wie im benachbarten Entringen den Pfalzgrafen tere Beobachtungen sind hinsichtlich der Siedlungsent- von Tübingen zu. Ortsherren waren ihre Dienstmannen, wicklung interessant: Die angegebenen Grundstücks- die Herren von Müneck, die mit dem weitverzweigten größen für Äcker und Wiesen liegen zwischen ½ und 4 Geschlecht der Herren von Hailfingen verwandt waren. Jauchert und sind damit im Mittel größer als im Die Burg, nach der sie sich nannten, lag über dem Dorf 16.Jahrhundert, die Teilungen sind also noch nicht so auf einem Bergsporn des Schönbuchs. Die Herren von weit fortgeschritten. Außerdem sind mehrere Grund- Müneck verkauften ihren Besitz und ihre Rechte in stücke mit der Randbemerkung vacat versehen. Darin Breitenholz nach und nach im Lauf des 14.Jahrhunderts, darf man vielleicht einen ersten Hinweis daraufsehen, ehe das Geschlecht ausstarb. Mitte des 14.Jahrhunderts daß auch an Breitenholz die spätmittelalterliche Agrar- kam die Hochgerichtsbarkeit an Württemberg, das auch krise und die mit ihr einhergehende rückläufige Sied- den Schönbuch erworben hatte. Breitenholz gehörte zu lungsentwicklung nicht spurlos vorübergingen. Eine den Schönbuchgenossen und hatte somit Weide-, Besonderheit der Verhältnisse in Breitenholz deutet Beholzungs- und sonstige Nutzungsrechte im Schön- sich ebenfalls bereits jetzt an: Die Hof- und Haus- buch gegen gewisse Abgaben. 1383 war es dem Oberen stellen bilden mit den Grundstücken in der Flur recht- Schönbuchamt zugeordnet. 1446 und 1447 erwarb lich keine Einheit mehr. Äcker, Wiesen und Wein- Württemberg von den Herter von Dußlingen die Dorf- berge sind je für sich mit Abgaben belastet, mit Geld- herrschaft und in der Folge auch die meisten grundherr- oder fixen beziehungsweise am jeweiligen Ertrag lichen Rechte in Breitenholz. Daneben spielte nur noch orientierten Naturalabgaben (zum Beispiel Landgarbe). das Kloster Bebenhausen, dem unter anderem auch der Dies erleichtert natürlich Teilungen außerordentlich Großzehnte zustand (wohl schon seit 1296), als Grund- und führt ganz allgemein zu einer Erhöhung der herr eine größere Rolle. Dazu kamen noch einige ört- Grundstücksmobilität, wie man sie in den folgenden liche kirchliche Institutionen (Pfarrei, Heiligenpflegen Jahrhunderten beobachten kann. Breitenholz und Entringen) als Grundzinsempfänger. Im Sehr genau lassen sich dann die Verhältnisse in Brei- übrigen bezogen, wie in anderen Weinbaudörfern, noch tenholz anhand des württembergischen Lagerbuches weitere auswärtige Berechtigte Abgaben vor allem aus für das Amt Tübingen, dem das Dorf zugeteilt war, aus den Weinbergen, das Kloster Hirsau auch noch Zinsen dem Jahr 1522 rekonstruieren. Die Karte geht im we- aus einem Anwesen (Nr. 52-54). sentlichen auf die Angaben dieses Urbars zurück, kann Obwohl schon frühere Erwerbungen des Klosters Be- die Verhältnisse aber natürlich nicht grundrißgetreu benhausen in Breitenholz bekannt sind, taucht der Ort wiedergeben, sondern nur auf der Grundlage der Flur- im ersten großen Güterverzeichnis des Klosters, dem karten von circa 1830 und mit den Nummern des Pri- liber prediorum von 1356, nicht auf. Einen ersten un- märkatasters. Die Identifizierung der Stellen im Dorf gefähren Eindruck von der Größe des Dorfes kann man ging von dieser Grundlage aus und verfolgte sie an- aus dem württembergischen Schönbuch-Lagerbuch von hand der Namen der Inhaber, der Nebenlieger, sons- 1383 und dem fast gleichzeitigen Lagerbuch des Klos- tiger Lageangaben sowie der Abgaben über die ein- ters Bebenhausen von 1390 gewinnen, auch wenn sich schlägigen Archivalien. So ergeben sich für 1522 ins- der Zusammenhang mit den Lagerbüchern des 16.Jahr- gesamt 35 besetzte Stellen, die gegenüber Württem- hunderts im einzelnen nicht herstellen läßt, weil die berg (30), dem Kloster Bebenhausen (1) oder gegen- Kennzeichnung noch zu knapp ist und wegen über beiden (4) zinspflichtig waren, darunter zwei mit je zwei, eine mit drei Häusern, zusammen also 38 Häuser (ohne das

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Pfarrhaus)1. Die Differenz zu den 43 Herdstätten, die übernimmt, wie im Lagerbuch von 1703 erstmals be- 1525 gezählt wurden, kann nur so erklärt werden, daß zeugt ist. damals außerdem noch fünf der erst Mitte des 18.Jahr- In der nachfolgenden Tabelle ist – wohl erstmals für hunderts nachweisbaren und lokalisierbaren Stellen mit ein »Realteilungsdorf« - die Entwicklung der einzelnen Zinsen an ortskirchliche Stellen (Ortspfarrei, Heili- Anwesen durch Teilung sowie durch deren Wiederauf- genpflegen Entringen und Breitenholz, blaue Signatu- hebung oder durch Zusammenlegung von 1522 an in ren) bestanden2. Dazu kommen die »öffentlichen« Ge- mehreren zeitlichen Querschnitten dargestellt. Dabei bäude, das heißt die zwei Keltern, die eine im Dorf (Nr. wurden der besseren Vergleichbarkeit wegen für das 46, 1958 abgebrannt, heute Mehrzweckgebäude der 16. bis 18.Jahrhundert die Angaben jeweils mehrerer Gemeinde), die andere an der Hinterhalde (genaue Quellen zusammengefaßt3. Lage unbekannt), die beide Württemberg und dem Der Ausgangspunkt 1522 ist allein quellenbedingt. Kloster Bebenhausen gemeinsam gehörten; ferner das Es gab natürlich auch vorher schon Teilungen, wie die alte Pfarrhaus (Nr. 36, 1522: pfreund, 1558:pfarrhaus), Beispiele der Nummern 11,55-56 und 64ff. zeigen. Für die Backküche, das spätere Rathaus (Nr. 39; 1522: sie ist bereits ein »Träger« angegeben, das heißt derje- bachküchin, 1630: Bachkuchin oder Rathaus) und die nige Teilhaber, der die aufgeteilten Abgaben bei dem Kirche. Diese steht an der Stelle einer ehemaligen Ka- oder den andern einzusammeln und geschlossen der pelle am Ortsrand, denn Breitenholz gehörte bis 1521 Herrschaft abzuliefern hat4. Aber auch bei den andern zur Pfarrei Entringen, und die hiesige Kirche erlangte Anwesen des Ortskerns lassen die dichte, verschachtel- erst seit der Mitte des 15.Jahrhunderts nach und nach te Verbauung und auch das unregelmäßige Muster der die vollen pfarrlichen Rechte. Das war eine beachtliche späteren Trägereiverbände mit Sicherheit auf voraus- Leistung der Breitenholzer, denn Voraussetzung für die liegende Teilungen in der Zeit vor der württembergi- Erhebung zur selbständigen Pfarrei war, daß die Ge- schen Ortsherrschaft schließen, die sich aber nicht meinde außer dem Pfarrhaus Güter und Einkünfte be- mehr rekonstruieren lassen. reitstellen konnte, die für die Besoldung zunächst des Die Entwicklung ist aber bestimmt nicht immer nur Kaplans (1452), dann des Pfarrers (ab 1521) und die in der Richtung eines weiteren Wachstums und fort- Unterhaltung der Kirche ausreichten. Dazu erwarb sie schreitender Teilung gegangen. Auch dafür liefern die vor allem Grundstücke südöstlich der Kirche (Pfarracker, -wiese, -garten, heute zum Teil Friedhof, Lagerbücher Hinweise. Dazu gehören die beiden gro- und östlich anschließende Grundstücke) sowie Zinsen ßen, 1522 nicht überbauten Äcker, die sich südlich der aus den Anwesen zwischen Kirche und Waltersgasse Langen Gasse im Westen an den Ortskern anschließen am südlichen Ortsrand (Nr. 47-51), die möglicherweise (3 Jauchert und 2 Morgen, später Nr. 81-84). Für sie ist in diesem Zusammenhang überhaupt oder wenigstens unter anderem je eine Fastnachtshenne abzuliefern, die zum Teil erst entstanden. auf einen ehemaligen »Rauch« schließen läßt. Der Die Schule (Nr. 45) zwischen Kirche und Kelter ist innere der beiden Äcker ist erst 1630 wieder bebaut, nach 1630 aus einem ehemaligen Bauernhaus hervor- und zwar mit drei Häusern und der Zehntscheuer, 1703 gegangen, dessen Abgaben an Württemberg die sind zwei Häuser mit 2 Hofstätten genannt. 1765 wird Gemeinde ein weiteres Haus gebaut (Nr.80-83). Auf dem äuße-

1 Die Karte im Atlas ist dahingehend zu korrigieren, daß die Signatur 4 Zur Trägerei unter der Klostergrundherrschaft Bebenhausen. für Kloster Bebenhausen (violett, Nr.8/9), nach Westen bis zur S.NEUSCHELER S. 143; zu den Teilungen, ihrem anfänglich geringen, Zehntscheuer (Nr.5) einschließlich auszudehnen ist. Die Zehnt- im 15./16.Jahrhundert aber rasch fortschreitenden Ausmaß S. 141 ff. scheuer, seit 1630 nachweisbar, stand vorher schräg gegenüber Ein konkretes Beispiel, das die vom Kloster verfolgte Tendenz den (Nr.80) und wurde 1700 hierher verlegt (1968 abgebrochen). Teilungsbestrebungen der Untertanen gegenüber zeigt, sei aus Brei- 2 Der Nachweis im einzelnen ist deshalb schwierig, weil es – zufällig tenholz angeführt: Von dem sogenannten Gossels-Lehen des Klos- – keine benachbarten Gebäude anderer Grundherrschaften als Ne- ters Bebenhausen, einem »erblichen Lehen ohne Handlohn und benlieger gab. Weglösin«, auch ohne Gebäude, aber mit einer Fastnachtshenne 3 Quellen siehe unten. Wo die Angaben der zu einem zeitlichen Quer- unter den Abgaben, die auf ein einstiges Gebäude schließen läßt, schnitt zusammengefaßten Quellen unterschiedlich sind, wurde die heißt es im Lagerbuch von 1565, bei voriger Neuerung, also wohl jeweils höchste Zahl der Teilhaber verwendet. Die Neubauten, die im um 1500, sei dieses Lehen in vier Teile zertrennt gewesen, jetzt aber Zusammenhang mit Teilungen seit dem 18.Jahrhundert am Ortsrand in 20, und es wird angeordnet, das Lehen sei wieder zusammenzu- entstanden, konnten dabei nicht berücksichtigt werden. Wo die Zahl führen. Nach dem Lagerbuch von 1611 hat sich wenig geändert. Statt der Wohnhäuser oder Wohnungen nicht der Zahl der Teilhaber ent- der zwei Träger wie 1558 sind jetzt ein Haupt- und drei Nebenträger spricht, wird dieser die erstere Zahl in ( ) hinzugefügt. Die Tabelle genannt. Die Verfügung von 1558 wird wiederholt, und es wird ein umfaßt nur die im Primärkataster von 1834 aufgeführten privaten Auslosungsrecht für ein Vierteljahr nach dem Verkauf eines Lehen- Anwesen, ohne die öffentlichen Gebäude. In den letzten drei Spalten anteils festgesetzt, ohne viel Wirkung, wie die weitere Entwicklung sind aufgeführt die Höchstzahl der Teilhaber und ihre niedrigste Zahl zeigt. Immerhin ist das Lehen als Abgabeneinheit bis ins 19.Jahrhun- davor und danach. dert erhalten.

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Karte 2: Breitenholz 1834. Nach der Flurkarte (Landesvermessungsamt Stuttgart). ren Acker steht bereits 1558 wieder ein Haus, ebenso Krieg wieder verschwinden. Eine erneute Bebauung 1630, das aber offenbar im Dreißigjährigen Krieg ab- erfolgt hier, abgesehen von der neuen Zehntscheuer geht (1703: Hofstatt), die erneute Wiederbebauung er- (Nr.5, 1700), erst nach 1756, wodurch sich auch, wie folgt im Lauf des 18.Jahrhunderts (Nr.84, 90). Ähnlich auf der gegenüberliegenden Seite, die traufständigen wechselnd scheint die Bebauung in der Nordwestecke Einhäuser als jüngere Form erklären. des Dorfes gewesen zu sein. Es ist kaum anzunehmen, Am anderen Ende der Langen Gasse läßt sich Ähnli- daß die beiden den Heiligenpflegen Entringen und ches beobachten. Hier zinsen noch 1703 zwei Inhaber Breitenholz zinsenden Häuser (Nr. 2 und 3) einst ganz von Baumgärten beim Fleckenschafhaus (Nr.26, ein- isoliert am Westende der Langen Gasse entstanden sind, stiges Bauernhaus) je eine Fastnachtshenne; von ei- spätestens wohl im 15.Jahrhundert. Jedenfalls entstehen nem, dem Jacobs Garten, heißt es ausdrücklich, er sei im Lauf des 16./17.Jahrhunderts im Anschluß an Nr. 9 vormals eine Hofstatt gewesen. Auch hier hat die Be- fünf Häuser, die alle im Dreißigjährigen bauung also offenbar schon einmal bis zum Ende der

Zu Tabelle 3: 0 Anwesen ohne Wohngebäude ( ) Zahl der Wohnungen oder Wohngebäude, wo diese nicht mit – Anwesen bestand (noch) nicht der gleichzeitigen Zahl der Teilhaber (Haushalte) überein- . unbekannt, ob das Anwesen existierte oder wie hoch die Zahl stimmt der Teilhaber (Haushalte) war. 1 Zeile = Folge der Trägereiverbände oder Einzelinhaber

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Langen Gasse gereicht, wie wahrscheinlich auch gegen- Die Auswirkungen der Kriegsereignisse der drei- über, wo der Inhaber des Komplexes Nr. 27-30 aus Häu- ßiger und vierziger Jahre und der damit einhergehen- sern, Scheuer usw. und einem Mannsmahd Garten 1522 den Seuchen und sonstigen Nöte waren sicher auch in allein vier Fastnachtshennen zinst, aus einem Bereich Breitenholz einschneidend, und die Verhältnisse nor- also, der ja dann im 18./19.Jahrhundert wieder stark malisierten sich erst allmählich wieder. Die Zahl der überbaut wurde. Es zeigt sich demnach, daß der Stra- Teil- oder Inhaber von Gebäuden erreichte zwischen ßenzug der Langen Gasse, der heutigen Raiffeisen-Mün- 1682 und 1713 den Vorkriegsstand noch nicht ganz, eckstraße, wohl im 14. Jahrhundert, bereits einmal ganz aber die Zahl der Wohnhäuser und Wohnungen blieb bebaut war. In der Zeit der rückläufigen Bevölkerungs- noch weiter zurück. Für 1729 werden 59 Wohnhäuser entwicklung des 14./15.Jahrhunderts und dann wieder genannt (davon 46 mit besonderer Scheuer) und 12 im Zusammenhang mit dem Dreißigjährigen Krieg nicht überbaute Hofstätten. So erklärt es sich, daß die schrumpfte das Dorf gleichsam an seinem westlichen mittlere Zahl von Inhabern, die auf eine alte überbaute und östlichen Ende und dehnte sich danach wieder aus. Stelle kam, den Vorkriegsstand sogar leicht überschritt Am Anfang des 16.Jahrhunderts ist Breitenholz be- (2,14). reits wieder in einem erneuten Wachstum begriffen. Bis zur Jahrhundertmitte hatten sich die Verhältnis- Dies ergibt sich zum Beispiel daraus, daß 1522 auf die se wieder normalisiert, dann mehrten sich im Zuge des damals und später als Trägereiverbände nachweisbaren raschen Bevölkerungswachstums die Teilungen wieder Stellen im Durchschnitt 1,1 Inhaber kamen. Der größere (1809: 2,2, 1834: 2,4 Inhaber je Stelle). Im Primärka- Teil der Hofstätten, die zeitweilig ohne Haus waren, taster von 1834 sind 87 gemeine Wohnhäuser und das wird im Lauf des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts Pfarrhaus aufgeführt. Der Höhepunkt dürfte um die wieder überbaut. Vor allem aber ist die Entwicklung bis Mitte des 19.Jahrhunderts oder kurz danach erreicht zur Auswirkung der unmittelbaren Kriegsereignisse in worden sein. Seitdem ist die Entwicklung im Ortskern den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts durch die rückläufig: 1907 kommen 2,0, 1985: 1,6 Inhaber auf häufige Teilung der Anwesen im Erbfall gekennzeich- eine der Stellen des alten Dorfes. Diese Rücknahme net. Dabei kam es immer wieder auch zum Neubau von von Hofstellenteilungen ist hauptsächlich darauf zu- Wohnhäusern und Wirtschaftsgebäuden auf den alten rückzuführen, daß nun bei Erbteilungen oder auch bei Hofraiten, also zu einer zunehmenden baulichen Ver- beabsichtigten Vergrößerungen ein Neubau am Orts- dichtung und Verschachtelung, mit Sackgassen (zum rand einer baulichen Veränderung der alten Hofstelle Beispiel Oberes Waltergäßle und viele kleinere) und vorgezogen wird. So entstehen bis 1939 etwa 25 neue Binnenhöfen, mit Gemeinschaftseigentum, Mitnut- landwirtschaftliche Anwesen am Ortsrand, besonders zungsrechten und Überfahrtslasten. Wirtschaftlich im Südwesten und Nordosten. waren die Teilungen vor allem möglich durch den Die geschilderte bauliche und agrarsoziale Entwick- Weinbau, der auf einer bestimmten Fläche ja wesentlich lung spiegelt sich natürlich auch in der Bevölkerungs- mehr Menschen zu ernähren vermochte als die sonst üb- entwicklung wider. Nach rasch steigenden Einwohner- liche Dreifelderwirtschaft. Die Einkommensbasis wurde zahlen seit der Mitte des 16.Jahrhunderts bringt der bei wiederholter Teilung aber natürlich immer schmäler, Dreißigjährige Krieg einen jähen Rückgang auf etwa die Wohnverhältnisse wurden immer beengter. Nach die Hälfte. Der Vorkriegsstand wird erst um die Mitte den Angaben in den Quellen spielte das Gewerbe in des 18.Jahrhunderts wieder erreicht. Dann aber folgte Breitenholz bis zum 18.Jahrhundert nur eine geringe eine Zeit stärksten Bevölkerungswachstums, das Rolle. Die wenigen Dorfhandwerker arbeiteten sicher seinen seitdem nie wieder erreichten Höhepunkt um im wesentlichen nur für den örtlichen Bedarf. die Mitte des 19.Jahrhunderts hatte (1846: 634 Ein- Auch wenn es nur ganz wenige Anwesen gibt, die wohner). Vergleicht man die damalige Ausdehnung über Jahrhunderte hinweg ungeteilt blieben, so gingen des Dorfes mit der heutigen, dann wird deutlich, wie doch die Teilungen sehr unterschiedlich weit und eng zusammengepfercht man damals bei einer um rund wurden oft bald wieder rückgängig gemacht oder durch 100 höheren Einwohnerzahl in Breitenholz wohnte. Zusammenlegungen, etwa im Heiratsfall, in ihren Fol- Daß damit die Grenze der »Tragfähigkeit« der örtli- gen weitgehend aufgehoben. So entstanden innerhalb chen Erwerbsgrundlagen erreicht war, zeigt sich in des Dorfes auch große soziale Unterschiede. Bis 1630 dem anschließenden steilen Abfall der Kurve der verdoppelte sich die Zahl der nachweisbaren Teilhaber Bevölkerungsentwicklung. Der starke Bevölkerungs- an Gebäuden von Trägereiverbänden und von Stellen- rückgang, der um 1850 einsetzte, ist bedingt durch die inhabern (s. Tabelle 3), und die mittlere Zahl von Inha- Abwanderung in die Stadt und die Auswanderung nach bern, die auf eine Stelle kamen, wuchs entsprechend auf Amerika, zu der sich viele Breitenholzer damals ge- 2,15. zwungen sahen. Ausgelöst wurde dies durch die Not- und Hungerjahre um die Jahrhundertmitte, die mit 5 Bei den Grundstücken ist die Zunahme der Zahl der Teilhaber einer Folge von Jahren mit Mißernten einhergingen. sicher noch größer, was im einzelnen nicht genauer verfolgt Jetzt zeigte es sich, daß auch das ländliche Gewerbe, werden konnte, doch kam es auch hier immer wieder zu dem sich inzwischen mancher Breitenholzer zuge- Zusammenlegungen. wandt hatte, vor allem als Weber (1729: 4, 1828: 23, 1854: 33, 26

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Tabelle 4 mit Schaubild: Bevölkerungsentwicklung Breitenholz zu An-, Um- und Ausbauten (Aufstockung, Dachgau- ben, Zwerchgiebel u.ä.) wie auch zum Bau neuer An- wesen vor allem am westlichen und am östlichen Orts- ende, in den Baulücken der heutigen Raiffeisenstraße und seit den neunziger Jahren auch in der neuen Gar- tenstraße, der heutigen Brunnäckerstraße, und dem Schelmenweg. Dabei entstanden neben einigen Tage- löhner- und Seldnerhäuslein noch bis in die dreißiger Jahre hinein fast durchweg bäuerliche Anwesen, zum Teil sogar von stattlicher Größe. Diese Neubautätigkeit und die zunehmende Abwanderung vor allem junger Menschen, für die es in Breitenholz keinen Ausbil- dungs- und Arbeitsplatz gab, führten dazu, daß sich die Enge im alten Dorf etwas auflockerte. Jedoch ist auch 1900:0 Weber) oder als Steinhauer (1828: 19, 1954:18, heute noch Teilbesitz an Gebäuden und Grundstücken 1900: 1 Steinhauer), auf die Dauer keine ausreichende häufig, ebenso Überfahrts- und andere Mitnutzungs- Erwerbsmöglichkeit für diejenigen bot, die von ihrer rechte. Im heutigen Dorfbild hat sich der wirtschaftli- kleinen Landwirtschaft allein nicht leben konnten. Das che und soziale Wandel der vergangenen Jahrhunderte galt auch für die üblichen Dorfhandwerker (Schuhma- niedergeschlagen, besonders deutlich die Entwicklung cher 1729: 3, 1828: 9, 1900: 2; Schneider 1729: 3, im letzten und in diesem Jahrhundert. Dabei wirkten 1828: 6, 1854: 10, 1900: 4). Es gab damals keine die allgemeinen Entwicklungstendenzen und die Ein- Gelegenheit, in der Nähe in einer Fabrik zu arbeiten. zelschicksale der Familien zusammen und ließen so das Dazu kam, daß der Weinbau immer mehr an Bedeu- soziale und das Siedlungsgefüge entstehen, das die tung verlor. Bereits 1834 werden von der rund 50 ha heutige Eigenart des Dorfes mit seiner Vielfalt aus- großen Rebfläche nur noch 30 ha für den Weinbau ver- macht. Neben der unterschiedlichen Größe der Anwe- wendet; 1893 sind es noch 7,5 ha, 1983: 2 ha mit leicht sen als Folge der verschieden häufigen Teilungen und zunehmender Tendenz. Im Bürgerbuch von 1828 ge- neben der Zahl der einander zugeordneten Gebäude ben noch 27 Breitenholzer Bürger als Beruf Weingärt- (Wohnstallgebäude, Scheuer, Schuppen oder Schopf, ner an, 1900 keiner mehr; die Zahl der Küfer (1729: 2) sonstige kleine Nebengebäude wie Back-, Wasch-, sinkt in derselben Zeit von 5 auf 1. Dagegen taucht die Brennhäusle) ist es vor allem die Stellung der Häuser Berufsbezeichnung Bauer 1828: 53 mal, 1900: 129 mal und die Anordnung der Hofräume, von denen die auf. Es kommt also in Breitenholz im Laufe des Struktur des Dorfbildes bestimmt wird. Zweifellos 19.Jahrhunderts zu einer Reagrarisierung, und zwar unter anderem auf der Grundlage eines intensiven ursprünglich ist die giebelseitige Stellung des Wohn- Obstbaus. Bereits 1834 sind rund 364 Morgen Gärten, stallgebäudes zur Straße, auch im Bereich der Äcker und Wiesen mit Obstbäumen bestanden, da- erschlossenen hochmittelalterlichen Siedlungserweite- neben gibt es nur 279 Morgen ohne Obstbäume, das rung entlang der Langen Gasse. Die der Straße zuge- heißt man ist neben dem Anbau der Brache (1907 noch wandte Giebelseite ist die Schauseite, gleichsam das 10 ha) zum Teil zur zweistockigen Nutzung überge- »Gesicht« des Hauses, wie man deutlich an den noch gangen. Die Schnapsherstellung war sehr verbreitet. vorhandenen alten Fachwerkhäusern sehen kann. Die Dazu kommt etwa seit der Jahrhundertmitte der im Hintergrund quer dazu stehende Scheuer und häufig Hopfenanbau, an den heute noch in älteren Häusern ein »Schopf« gegenüber dem Wohnstallhaus umschlie- Überreste der ehemaligen Hopfendarren erinnern ßen den Hofraum. Im Wohnstallgebäude liegt – aus (1907: 23 ha, erst 1965 endgültig aufgegeben). Platzgründen – in aller Regel die Wohnung über dem Durch diese Intensivierung der Landwirtschaft Stall, der sich auch neben dem Wohnteil fortsetzen konnte die Bevölkerung in der zweiten Hälfte des kann. Die freistehenden Scheuern sind wie die Wohn- 19.Jahrhunderts wieder zunehmen, bis gegen Ende des stallgebäude meist schlichte Fachwerkbauten auf einem Jahrhunderts eine erneute Abwanderungswelle einsetz- Sandsteinsockel oder -untergeschoß, die Gefache sind te, die sich nach dem Ersten Weltkrieg wiederholte, so mit Bruchsteinen ausgeriegelt. daß 1939 mit 425 Einwohnern der Tiefpunkt erreicht Im äußeren Teil der Hauptstraße reihen sich die wurde. Kleinbauern- und Seldner- oder Tagelöhnerhäuser des Das Auf und Ab der Bevölkerungsentwicklung fand 18./19.Jahrhunderts fast lückenlos auf, wobei Wohn-, natürlich auch seinen baulichen Niederschlag im Dorf. Stall- und – sofern vorhanden – der Scheuerteil in der In Zeiten des Bevölkerungswachstums kam es überall Regel unter einem Dach vereinigt sind. Die Haus- grundstücke haben nur eine geringe Tiefe, und so ste- hen die Gebäude meist mit der Trauf- oder Längsseite an der Straße, so daß diese gleichsam als Hofraum mit- benutzt werden kann. Mit dem völlig veränderten Stra- ßenbild, das durch diese »Firstschwenkung« entsteht,

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Karte 3: Die jüngere Entwicklung von Breitenholz. Nach GREES (1986). gibt sich hier wie in vielen süddeutschen Dörfern ein Ortsarchiv Breitenholz: A 22-A 48 Inventuren und Teilungen; B 37-43 neuer Entwicklungsabschnitt der Siedlung zu erkennen. Einzugsregister der Bebenhäuser Pflege Roseck, der Kellerei In Breitenholz fügt sich dieser Abschnitt, da er bereits Tübingen und ihrer Rechtsnachfolger 1756-1818; B 44-64 früher großenteils einmal bebaut war, noch fast ganz in Güterbücher, B 44-51 Reihe I Bd. 1-8, 1758-1829, B 52-64 Reihe II, den Bereich ein, der von dem Gürtel der alten Baum- Bd. 1-11 mit Index, 1843-1897; B 72 Güter- und Gebäudever- zeichnisse 1729-1758; B 79, 80 Gebäudekataster 1823, 1907; B 86 gärten und damit dem einstigen Etter umfaßt wird. Brandversicherungsconsignation 1809; B 87 Brandversicherungs- kataster 1846; B 95, 96 Feuerversicherungsbücher 1868, 1904; B 98- Literatur: 103 Gebäudeschätzung für die Württ. Gebäudebrandversicherungs- anstalt Bd. 1-5, 1933-1966, mit Bürgerlisten; B 111a-123 Kauf- bücher; B 147-193 Inventuren und Teilungen; Bürgerverzeichnisse GREES, H. (und studentische Mitarbeiter): Dorfentwicklung Breitenholz, 1828-1932. Gemeinde Ammerbuch. Örtliches Entwicklungskonzept. Als Ms. gedruckt, Geographisches Institut Tübingen 1986. MAUER, H.: Breitenholz (Ortsgeschichte), 1960. Masch. vervielf., mit Nachträgen (bei der Ortsverwaltung). 5. Altheim (Alb), Alb-Donau-Kreis Quellen zur Rekonstruktion der Entwicklung von Siedlung und Sozialstruktur: Der Marktflecken Altheim (Alb) liegt am Nordrand der Lonetal-Flächenalb oder Niederen Alb, wo sich HStAS: A 261 Bü 101 Nr.2 Steuereinschätzungsakten 1729; H 101 Lagerbücher der Kellerei Tübingen, Bd. 132: 1713, Bd. 1801: 1522, mit einem etwa fünfzig Meter hohen, meist bewalde- Bd. 1804: 1558, Bd. 1811: 1630, Bd. 1820: 1703; H 102/8 La- ten Abhang die Kuppenalb über die fruchtbare »Alt- gerbücher von Kloster Bebenhausen, Bd.4: 1390, Bd.64: 1565, Bd.97: heimer Ebene« erhebt. Mit seinem nördlichen Teil 1611, Bd. 126: 1682, Bd. 132: 1713, Bd. 163: 1722/1800, Bd. 1201: zieht sich auch das alte Dorf an diesem Hang empor ca. 1522. und wird an seinem Ostrand von der Kirche (geweiht Unserer Lieben Frau) überragt, die 1293 erstmals ge- nannt wird. Das Dorf ist sicher wesentlich älter als die erste urkund-

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lich überlieferte Nennung seines Namens in einer 19 Selden). Da aber beide Institutionen unter der Ober- Papsturkunde von 1225, in welcher der Besitz des Klo- aufsicht Ulms standen, blieben seit dem ausgehenden sters Elchingen bestätigt wurde. Die Erklärung des ja 16.Jahrhundert nur die beiden Lehengüter des Ulmer sehr häufigen Namens durch KARL BOHNENBERGER Wengenklosters, ein Hof (Nr. 12) und ein Höfle oder (»die alte, das heißt konkret wohl die schon einmal behaustes Lehen (Nr.96), außerhalb des unmittelbaren wüst gewordene und neu erbaute Siedlung«) ist sicher Ulmer Einflusses. Der Kauf von 1385 umfaßte auch nicht die einzig mögliche, es könnte zum Beispiel auch den Kirchensatz, die Widumgüter (Widumhof Nr. 5, die alte Siedlung sein, von der aus neue Siedlungen ge- Widumlehen Nr. 95, Widumfeldlehen, 1726 bei Nr. gründet wurden. Für beide Versionen ließen sich im 104) und den Zehnten; 1439 wurde die Kirche dem vorliegenden Fall Begründungen anführen. Ulmer Spital inkorporiert, wobei auch der Großzehnte Wahrscheinlich ist Altheim kein alter Marktflecken, an das Spital kam. Auch das Patronat der von dem Ul- trotz des Galgenbergs, der auf ein einstiges Hochge- mer Pfarrer Heinrich Neithardt 1436 gestifteten Früh- richt hinweist, und trotz des Metzighäuslens, das eben- messe mit Predigtamt, die nach der Reformation in ein falls an einen Markt denken läßt. Zwar spricht etwa Diakonat umgewandelt wurde, kam bald an den Ulmer DIETERICH davon, daß die beiden Jahrmärkte, die, Rat (siehe Helferhaus Nr. 25). Da man davon ausgehen neben dem Brezgenmarkt auf einer alten Freistätte im kann, daß es im Dorf keine größeren Veränderungen Hungerbrunnental (Palmsonntag), im Dorf abgehalten mehr gab, nachdem es 1385 an Ulm gekommen war, werden (Lichtmeß und Kirchweih), 1786 »wieder her- sind auch die weiteren Erwerbungen von Gütern in Alt- gestellt« worden seien, doch fehlt bis jetzt die urkund- heim durch Ulm für die Frage der Entwicklung des liche Bestätigung eines alten Marktrechts. Trotzdem Dorfes und der dörflichen Gesellschaft interessant: erfüllte Altheim als Gerichts- und Amtsort sowie als 1361 einen Hof und 28 Selden, 1383, 1416 und 1426 kirchliches Zentrum seit langem Mittelpunktsfunkti- unter anderem je eine Selde, 1477 ein Feldlehen, 1516 onen für seine nähere Umgebung, aus denen sich die zwei Selden, 1536 vom vormaligen Kloster Anhausen Entwicklung zu einem der größten Dörfer im Ulmer einen Hof (Nr.62), ein Feldlehen (1726 bei Nr.66 und Land erklärt. Zur Pfarrei Altheim gehörten früher ne- 76) und 10 Selden, 1568 vom Kloster Elchingen einen ben einigen in der Nähe abgegangenen Kleinsiedlun- Hof (Nr.63) und ein Feldlehen (1726 bei Nr. 104). Bei gen auch Zähringen, und Börslingen, Be- den beiden letzteren handelt es sich bestimmt um die ziehungen zu und Neenstetten sind ebenfalls 1225 genannten Mansen, da Kloster Elchingen danach vorhanden. Für Ballendorf und Börslingen war einst in Altheim nichts mehr erworben hat, das ursprünglich auch das Gericht Altheim zuständig. Die Bewohner zum Feldlehen gehörige Anwesen dürfte inzwischen Söglingens gehörten in jeder Hinsicht zur Altheimer abgegangen sein. Auch der Altheimer Hof des Klosters Gemeinde. Außerdem war Altheim seit 1700 Sitz eines Anhausen (Nr.62) wird bereits 1350 genannt. Wenn mit ulmischen Oberforstmeisters, dem ein Großteil der Ul- diesen Angaben auch nicht alle Besitztitel in Altheim mer Wälder unterstand. Der Inhaber dieser Stelle war erfaßt sind, so läßt sich doch sagen, daß das Dorf jeweils ein Ulmer Patrizier, der, solange das Oberforst- bereits im 14.Jahrhundert annähernd die Gestalt und amt bestand (bis 1773), auch die Geschäfte eines Amt- Ausdehnung gehabt haben muß, wie man sie dann für manns in Altheim wahrnahm. Das Amtshaus, in dem er den Anfang des 16.Jahrhunderts im einzelnen rekon- residierte (Nr. 39), war schon vor 1516 an der Stelle struieren kann. Eine solche Rekonstruktion ist möglich. zweier abgegangener Selden entstanden und später Zwar hat zwischen 1516 und 1726 keine Salbuch- (1536) zu einem fast schloßartigen, ummauerten Ge- Renovation stattgefunden – das war bei der Stabilität bäudekomplex um- oder neu gebaut worden. Altheim der Verhältnisse im Ulmischen offenbar nicht hatte seine überörtliche Bedeutung und seine Größe, erforderlich – doch läßt sich der große zeitliche Ab- wie sie sich seit dem 14.Jahrhundert fassen läßt, er- stand mit Hilfe der Angaben aus dem Beibuch und an- reicht, ehe es in die Hände der Reichsstadt Ulm ge- deren Quellen überbrücken, zum Beispiel einem Be- langte. Danach ist es nur noch wenig gewachsen. standbuch aus der Zeit um 1660 mit Rückgriff auf das Vermutlich reicht auch seine Bedeutung als einer der Salbuch von 1516 und der Angabe von Besitznach- größten Weberorte des Ulmer Landes in die vor- folgern. Dadurch werden zum Beispiel auch noch ein- ulmische Zeit zurück. zelne Folgen des Dreißigjährigen Krieges faßbar. Die Ortsherrschaft über Altheim erhielt die Stadt Das Ergebnis der Rekonstruktion zeigt die Atlas- Ulm 1385 mit dem Kauf der Werdenbergischen Herr- karte auf der Grundlage der Flurkarte von 1823, wobei schaft. Der Erwerb der Grundherrschaft über einen der Grundriß zum Beispiel bei den Gebäuden natürlich großen Teil der Lehengüter aus verschiedenen Händen nicht in allen Einzelheiten mit der früheren Situation dauerte bis in die zweite Hälfte des 16.Jahrhunderts, übereinstimmen wird. Doch ist von einer hohen Kon- doch blieben zahlreiche Güter im Eigentum der Ulmer stanz der Parzellengrenzen auszugehen, vor allem in- Pfarrkirchenbaupflege (Widumhof, Widumlehen, Feld- nerhalb Etters und besonders bei einmal abgegrenzten lehen, 15 Selden), die nach der Reformation das Kir- Hausgrundstücken, so daß also die Siedlungsstruktur chengut im Ulmer Territorium verwaltete, und der ört- und die ihr zugrundeliegende soziale Gliederung sicher lichen Heiligenpflege (Lehen Nr.29, 7 Feldlehen,

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zutreffend wiedergegeben wird. Auffallend ist zunächst kam es zu einer sehr dichten Verbauung, zur eigentli- der hohe Anteil früheren kirchlichen Grundeigentums chen Dorfbildung. Dadurch wurde nicht nur der bauli- im Dorfbereich. Fast der ganze Bereich nördlich der in che Zusammenhang zwischen den relativ weit ausein- Ostwestrichtung verlaufenden Kirchgasse mit der Kir- anderliegenden Höfen hergestellt. Zum Teil wurden che am Ostende des Dorfes gehörte zur örtlichen Heili- sie stark eingeengt und ihre Einfahrt regelrecht verbaut genpflege und zur Ulmer Pfarrkirchenbaupflege, wozu (Nr. 12, 80; es ist daher verständlich, daß zum Beispiel im Westen noch einige Anwesen der Klöster Anhausen, der Inhaber des Hofes 80 nach dem Zweiten Weltkrieg Elchingen und Herbrechtingen kommen. Eine Ausnah- an den Ortsrand ausgesiedelt ist). Das Grundrißbild me davon macht im Norden Altheims nur die nähere legt die Annahme nahe, daß an der Verdichtung der Umgebung des Amts- und späteren Forsthauses, das Bebauung in einzelnen Fällen auch die Teilung von Ulm 1536 auf der Stelle zweier abgegangener Selden Selden beteiligt war. Geteilte Selden treten allerdings errichten ließ. Aber auch im Südteil des Dorfes gab es erst im 18. Jahrhundert auf, insgesamt etwa 12, doch noch zahlreiche Lehengüter geistlicher Institutionen, so vollzog sich die Teilung damals hauptsächlich inner- vor allem den großen Widumhof im Osten (dabei das halb der bestehenden Gebäude durch Einbau eines Jagdzeughaus) gegenüber der Kirche, ein behaustes neuen Rauchs, das heißt einer beheizbaren Stube, ge- Widumlehen (Nr.95; ein geteiltes Widumfeldlehen geht gen eine entsprechende Abgabe, oder allenfalls durch sicher auf ein weiteres abgegangenes Widumgut zu- einen kleinen Anbau. Da die wenigen kleinen Lehen rück), einige Selden des Ortsheiligen, der Pfarrkir- sich im allgemeinen in die Seldenzeilen einfügen und chenbaupflege Ulm und des Klosters Anhausen (dar- ihre Inhaber den Seldnern zugerechnet werden, dürfte unter die Selde Nr. 132, die 1611 zum Pfarrhaus ge- es sich bei ihnen wohl um nachträglich mit Land aus- richtet wurde) sowie die zwei Lehengüter des Wengen- gestattete Selden handeln, auch wenn sie gelegentlich klosters Ulm (Nr. 12 und 96). Hube genannt werden. Zum Dorf zählten im 18.Jahrhundert 116 gemein- Auch in Altheim war die Maximalausdehnung des deberechtigte Häuser (ohne die 5 Söglinger Häuser, die Dorfes bereits geraume Zeit vor dem 16.Jahrhundert ebenfalls zur Gemeinde Altheim gehörten). Darunter erreicht, denn zu Anfang des 16.Jahrhunderts lassen sind nur 6 Höfe, ein größeres bäuerliches Höfle (Nr. 96) sich noch die letzten Ausläufer einer negativen Phase sowie 5 kleinere Lehen, deren Inhaber zu den Seldnern der Bevölkerungs- und Siedlungsentwicklung fassen. gerechnet werden (Nr. 29, 60, 72, 95, 122). Alle übrigen Wenigstens in 16 Fällen waren damals nachweislich Häuser sind Selden (104) oder Beiwohnerhäuser ohne zwei oder mehr Selden, maximal vier, in einer Hand Gemeinderecht aus dem 17. und vor allem dem 18.Jahr- vereinigt oder wurden von einem Hof mitbewirtschaf- hundert (insgesamt 12; zum größten Teil auf der All- tet, und man muß annehmen, daß dies bestimmt nicht mende, Nr. 7, 18-24, 91; zwei für nachgeborene Söhne alle waren. Die Zahl der unbesetzten Selden dürfte auf eigens dazu erkauften kleinen Bauplätzen, Nr.94 und über 25 gelegen haben. Die meisten der kombinierten 99). Anwesen wurden im Laufe des 16.Jahrhunderts aller- Die 6 Höfe sind in lockerer Streuung über das ganze dings wieder separiert. So muß zum Beispiel der In- Dorf verteilt, mit Ausnahme der Nachbarhöfe 62 und haber der späteren Nummern 67-69 nach dem Salbuch 63, bei denen eine vorausliegende Teilung anzunehmen von 1516 unter anderem drei Fastnachtshennen ablie- ist. Die Annahme, daß der Platz zwischen den Höfen fern, ein späterer Eintrag im Beibuch lautet: ist in drey erst sekundär durch Selden überbaut wurde, wird außer Theil getheilt, und mit dreyen Häusern erbauen. Viel- durch die Art der Parzellierung der Hausgrundstücke leicht hat auch der benachbarte Hirschwirt (Nr. 71) in auch dadurch bestätigt, daß hier in mehreren Fällen von der Zeit der Zusammenlegung etwas auf das Nachbar- der betreffenden Selde noch ein Zins in den Hof oder in grundstück ausgegriffen. Etwa 8 Selden und ein die ältere Selde entrichtet werden muß, von denen das Lehen, an das noch der Flurname Hofstatt erinnert, Hausgrundstück stammt (Nr.82 in Nr.80; Nr. 28 in Nr. blieben wüst, und nur in wenigen Fällen wurden später 30; Nr. 45 und 46 in Nr. 61; Nr. 129 in 128), und zwar ehemalige Seldhofstätten wieder überbaut (zum Bei- als Beihilfe zu den grundherrlichen Abgaben. Dies gilt spiel Nr. 17, 106, 118). Auch hier dürfte die Dorfbil- auch für die Inanspruchnahme von Grundstücken, die dung durch die Ansiedlung der Seldner also im we- nicht beim Haus dessen liegen, der sie abtritt; zum Bei- sentlichen vor das 15.Jahrhundert, wahrscheinlich in spiel erhält Hof 63 eine Beihilfe für den Haldengarten die Zeit der hochmittelalterlichen Bevölkerungsex- im Bantel. Dabei kann es sich natürlich auch um frühere pansion zurückreichen. Darauf lassen auch die 28 Sel- Hausgrundstücke handeln, wenn etwa die Selden Nr. den schließen, darunter zwei mit je zwei Inhabern, die 28, 72 und 117 in das Feldlehen des Kronenwirts (Nr. 1361 Gegenstand eines einzigen Verkaufs waren. Da- 30) zinsen. In vielen anderen Fällen hat sicher die Herr- rüber, wie das Siedlungsbild Altheims vor der Seldner- schaft solche Abgaben schon längst an sich gezogen. ansiedlung aussah, läßt sich kaum Genaueres sagen; Durch die Seldneransiedlung auf den Hofgrundstücken, denn trotz der geringen Zahl der Höfe dürften hier entlang der Wege und an kürzeren, offenbar zu diesem auch noch Konzentrationsvorgänge an der Siedlungs- Zweck angelegten Abzweigungen entwicklung beteiligt gewesen sein. Jedenfalls legen dies mehrere auf der heutigen Gemarkung abgegan- gene Siedlungen nahe, denn 30

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Unmittelbar westlich Altheims liegt der Bürzel (= Burgstall) und daran anschließend der Flurbezirk im Feldlen, der zum Bauhof einer Burg gehört haben könnte. Dabei lag auch eine St. Nikolaus-Kapelle, die bisher nicht beachtet wurde. (bei St. Niclausen im Feldlen hinter denen Gärten, ...am Bürzel, olim Surr- garten; olim bei St. Niclausen Capellen). Auch im Os- ten Altheims an Angstlens Halden, olim bey St. Leon- hard, (später: Engsterlings Halde) dürfte eine Klein- siedlung mit Kapelle gelegen haben. Dazu kommt ein besonderer Flurbezirk Zu Altheim im Thal (Ulmer Spitalurbar von 1522) in einer ausgeräumten Mulde des Hungerbrunnentals. Er wurde noch im 18. Jahr- hundert zum Teil als Ausbau bewirtschaftet, das heißt außerhalb der üblichen Dreifelderfolge. Auch hier ist die Annahme einer abgegangenen Siedlung durchaus begründet. Die Tatsache, daß keine Namen überliefert sind, könnte damit zusammenhängen, daß all diese Klein- siedlungen unter dem Namen Altheim zusammenge- faßt und nur durch eine zusätzliche Bezeichnung (vgl. Altheim im Thal, St.Leonhard usw.) unterschieden wurden. Für eine weitere verschwundene Siedlung ist der Name wieder faßbar, für das bislang ebenfalls un- bekannt gebliebene Nannenweiler (gelegentlich auch Mannenweiler), das auch als Öschbezeichnung in Sög- lingen vorkommt und sich mit Hilfe des Nannenweiler Weges, der in den Urbaren mit dem Neenstetter Weg gleichgesetzt wird, etwa lokalisieren läßt. Mit Sicher- heit ist auch eine weitere Burg im Nordwesten von Söglingen abgegangen, beim Fischweiher des Alt- heimer Oberforstmeisters. Im Salbuch von 1726 heißt es, dieser Weiher sei mit aichenen Tillstecken um- macht, und stehet ein Häußlin darinnen, in welches an der Bewirtschaftung ihrer Flächen sind zum Teil man in einem Schifflein fahren muß, ist Anno 1699 et auch die Altheimer Höfe mit ihrem gebundenen Le- sequentibus annis von neuem also zugericht worden. Dies ist für die verkarstete Albhochfläche eine Beson- hensbesitz wie auch mit Feldlehen und ähnlichem be- derheit, die nur mit einem in der Nähe abgegangenen teiligt. Herrensitz erklärt werden kann. Auch eine dabeilie- Daß zwischen Altheim und einst die gende Wiese eines Altheimer Bauern, so eine Maur Orte Balderich, Wolfsöld und Bernloch lagen, deren hat, weist darauf hin. Damit ist der Kreis der um Alt- Fluren hauptsächlich in der Form von Feldlehen von heim abgegangenen Siedlungen im Bereich der offenen beiden überdauernden Dörfern aus genutzt wurden, ist Feldflur weitgehend geschlossen, wobei noch zu be- bekannt. Dazu kommt mit Sicherheit ein im Südwesten achten ist, daß die Altheimer Bauern auch an der Altheims abgegangenes Westerflachs, das als Flur- Bewirtschaftung der Fluren des im Südosten abge- name (Zu Westerflachs) sehr häufig auftritt, wobei ein gangenen Möglesweiler oder Gemauerten Hofs sowie Vorderes und ein Hinteres Westerflachs unterschieden derjenigen der Teilwüstung Mehrstetten beteiligt sind. wird. Dort gibt es auch den Flurnamen Hofstatt und Lediglich im Osten, zwischen Altheim und Mehrstet- Grundstücke mit Gartenrecht. Außerdem gehören auf- ten, scheint ein größerer Bereich durch spätere Rodung fallend viele Äcker zu Feldlehen, und bezeichnender- für die Altheimer Nutzungsberechtigten erschlossen weise treten mehrfach auch Söldäggerlen auf. Mit worden zu sein, wobei natürlich auch hier die Wieder- Westerflachs und dem Osterfeld (auch ein Flurname rodung einer Wüstungsflur nicht ausgeschlossen ist. Ostergehe, Ostergay, wohl = Ostergehäu, taucht auf) Die Tatsache, daß durch diesen Kranz abgegangener hätte man dann auch die Orientierungsnamen, die Siedlungen die mögliche Fläche einer »ursprüngli- mit -heim-Orten, besonders mit dem häufigen Orts- chen« Altheimer Flur sehr stark eingeengt wird, läßt namen Altheim, so oft verknüpft sind. sich noch durch den Hinweis auf die nahe Öschwende (circa 250 m vom Ortsrand entfernt) gleich hinter den Kirchäckern im Südosten unterstreichen.

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Aber auch in dem hauptsächlich bewaldeten Norden die Inhaber von Lehen, und die Wirte, versteuern über, und Nordwesten der Altheimer Gemarkung, der zur der Rest unter 500 Pfund. Mit ihren Berufen genannt Kuppenalb gehört, gibt es einige Hinweise auf abge- sind ein Bauer (1000), ein Hafner (500) und ein gangene Siedlungen. Da ist zunächst in der Nähe von Schneider (400 Pfund Heller). 67 Steuerpflichtige (oh- Zähringen die Schloßhalde beim Altheimer Horn mit ne Pflegschaften), das heißt etwa drei Fünftel, bleiben einer Mahd unterm Burgstall, in der schon ein Hinweis unter dem Durchschnitt von 299 Pfund (Ulmer Land auf den Stammsitz der Zähringer gesehen wurde, ferner 302 Pfund). Insgesamt gibt es 21 Gesindehalter und 31 der Wald Öllenstein mit Mähdern, die ebenfalls auf Knechte und Mägde, erstaunlich wenige für ein solch einen Burgsitz zurückgehen dürften. Mähder, Egarten, großes Dorf, aber das hängt mit der geringen Zahl von Landgarbäcker und sogar Feldlehen gibt es unter ande- bäuerlichen Höfen zusammen. Sechzig Jahre später, rem auch in den Wäldern Hohenberg, Mittelberg, Vo- 1604, gibt es 224 Steuerpflichtige in Altheim, was eine gelsberg, im Sachsen- oder Sonthart, das ausdrücklich Zunahme von 59% oder fast einem Prozent pro Jahr als viculum et nemus in der Anhausener Stiftungsur- bedeutet. Das Vermögen ist jetzt in Gulden angegeben, kunde von 1143 erscheint1, aber auch Langenbuch, durchschnittlich sind es 547 Gulden, ohne die Ge- Rechhalde und Starenberg wurden sicher einst von dort meinde- (210) und die Heiligenpflege (4600 Gulden). liegenden Kleinsiedlungen aus landwirtschaftlich ge- Abzüglich der 48 Pflegschaften und der 27 persönlich nutzt, wofür die Urbare von 1415 und 1503 eindeutige Steuerpflichtigen ohne Vermögen, der 5 Amtspersonen Belege enthalten, doch waren diese Siedlungen damals (Forstmeister, alter Forstmeister, Forstknecht auf dem bereits wieder abgegangen. Wenn man so von außen her Rötenbach, Pfarrer und Helfer) sowie der 31 Beiwoh- die Altheimer Wirtschaftsfläche auf die eines »ur- ner mit Vermögen, ergibt sich mit 117 hausbesitzenden sprünglichen« Altheim eingeengt hat, dann fällt es nicht Bauern und Seldnern, zu denen wohl noch einige mehr schwer, sich vorzustellen, daß am Anfang der Ent- Pflegschaften mit eigenem Haus kommen, eine Zahl, wicklung auch dieses großen Dorfes Altheim nur ein die etwas über derjenigen der Gemeinderechtsinhaber paar wenige Höfe standen, möglicherweise nur der des 18.Jahrhunderts liegt (116). Trotzdem ist das Dorf Widumhof gegenüber der Kirche und daneben der seit 1516 oder 1544 kaum über seinen früheren Um- Maierhof, auf den die Wengischen Hofbreiten des Hofes fang hinausgewachsen. Der Zuwachs war weitgehend, 12 hinweisen könnten, sowie vielleicht einige kleinere mit ganz wenigen Ausnahmen (Nr. 6 als Ersatz für die Anwesen. Daß für die Weiterentwicklung der Siedlung, als neues Pfarrhaus in Anspruch genommene Selde, auch für mögliche Konzentrationsvorgänge, besonders Nr. 118), auf die Inanspruchnahme zeitweilig nicht be- die kirchliche Mittelpunktsfunktion eine wichtige Rolle setzter Seldplätze beschränkt, wie es der Politik der Ul- spielte, darauf weist der bereits genannte hohe Anteil mer Administration entsprach. Dagegen hat sich die der Ortskirche am Grundbesitz im Ortskern hin. Zahl der Beiwohner seit 1544 auf 57 erhöht und damit Dafür, daß das 16.Jahrhundert wieder eine Phase fast verdreifacht. Zwar sind darin jetzt offenbar auch starker Bevölkerungszunahme bringt, gibt es zahlreiche die Bewohner eines Ausgedingstübchens inbegriffen, Hinweise. Wieder sind es die Ulmer Land- und Türken- soweit sie nicht zu den Pflegschaften zählen. Trotzdem steuerbücher von 1544 und 1604, die eine genauere wird man sagen können, daß der Bevölkerungsüber- Erfassung und erstmals auch einen vollständigen Über- schuß, soweit er sich nicht auf vakanten Stellen unter- blick über das ganze Dorf erlauben. Für Altheim (ohne bringen ließ, in dieser niedrigsten dörflichen Schicht Söglingen und Zähringen) werden 1544 insgesamt 141 der in Miete wohnenden Beiwohner unterkommen Steuerpflichtige aufgeführt, darunter die Heiligenpflege mußte. Dies gilt um so mehr, als sich die Zahl des (mit 2470 Pfund Heller) sowie 26 Kinds- und Witwen- Gesindes eher etwas verringert hat (auf unter 30) und pflegschaften. Von den restlichen 115 steuerpflichtigen auch die Zahl der Gesindehalter von 21 auf 14 zurück- Haushalten sind 19 ohne jegliches Vermögen und zah- gegangen ist. Daraus kann man mit Vorsicht schließen, len lediglich ein Kopfgeld. Hierbei kann es sich nur um daß sich der Wohlstand allenfalls an der Spitze der So- Beiwohner ohne eigenes Haus handeln. Es bleiben also zialpyramide vermehrt hat, nicht aber an deren ver- 94 Bauern und Seldner (ohne Amtmann und Früh- breiterter Basis. Die Zahl der Spitzenvermögen (über messer) als Gemeinderechtsinhaber mit Haus. Dazu 2000 fl, maximal 5000 fl) ist mit 7 fast gleichgeblie- muß man aber sicher noch einige Pflegschaften hinzu- ben, ein Vermögen zwischen 1000 und 2000fl rechnen, doch dürfte die volle Zahl der 116 Gemeinder, versteuern aber immerhin 21 Steuerzahler. Weitaus die die für das 18.Jahrhundert gilt, wohl noch nicht erreicht Mehrzahl der Seldner- und sonstigen Vermögen liegt sein. Acht Bauern versteuern ein Vermögen von 1000 aber deutlich unter der Grenze von 1 000 fl. Im ganzen Pfund Heller und darüber, zwei davon die hat sich die Vermögensstruktur wenig geändert: 59 % Höchstsumme von 3000 Pfund. Mit einer Ausnahme der Steuerpflichtigen (ohne Pflegschaften) bleiben mit halten sie auch alle Gesinde. Die vermöglicheren Seld- ihrem Vermögen unter dem Durchschnitt. Legt man die ner, wohl vor allem Armutsgrenze bei 100 fl fest, so gehören ein einziger Seldner und 46 Beiwohner zu den Armen, das sind 1 WUB 2 S.26. 27% der Steuerpflichtigen (ohne Pflegschaften);

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zieht man die Armutsgrenze bei einem Zehntel des Durchschnittsvermögens, so sind 1604 in Altheim 22% der Steuerpflichtigen arm. Mit beiden Werten steht Altheim im Vergleich zu anderen ulmischen Orten günstig da (in Albeck zum Beispiel liegen 34,9 % der Vermögen unter 100 fl, 25 % unter einem Zehntel des Durchschnittsvermögens am Ort). Das Steuerbuch von 1604 enthält zahlreiche Berufsangaben, sicher ohne da- rin vollständig zu sein; die Weber fehlen zum Beispiel ganz. Genannt werden je drei Dreher (50-585 fl) und Hafner (235-765 fl); je zwei Bäcker (je 660 fl), Schnei- der (660 und 750 fl), Schreiner (380 und 815 fl), Zieg- ler (750 und 1325 fl); je ein Bader (1300 fl), Metzger (740 fl), Schmied (640 fl), Schuhmacher (510 fl), Spindler (300 fl), Zimmermann (610 fl). Auch in Altheim waren die Folgen des Dreißigjäh- rigen Krieges und der nachfolgenden Kriegshandlun- gen bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts für das Dorf und seine Bevölkerung schlimm und tiefgreifend, die alten Verhältnisse wurden aber weitgehend unverän- dert wiederhergestellt, wenn man von der Zuwande- rung aus den Alpenländern einmal absieht, mit deren Hilfe die Bevölkerungsverluste wieder ausgeglichen werden konnten. So gab es 1708 in Altheim (ohne Söglingen und Zähringen) bereits wieder 113 be- wohnte Häuser mit – nach der damaligen Einteilung – 11 ganzen und 5 halben Bauern, 12 Seldnern im en- geren Sinne, 63 »Handwerksleuten« und 22. Taglöh- nern, insgesamt also 97 Seldnern im weiteren Sinne, 14 Beiwohnern und 23 Witwen- und Waisenpfleg- schaften. Die 116 gemeindeberechtigten Stellen sind also fast alle besetzt, und es gibt schon wieder eine ganze Anzahl Beiwohner. Zu den 16 ganzen und hal- ben Bauern gehören die Inhaber der 6 Höfe und der 6 Lehen, der 3 Gasthäuser, die alle größere Feldlehen be- wirtschaften, sowie einer weiteren Selde mit Feldlehen (Nr. 104). Bei dem ungleichen Zahlenverhältnis zwi- schen Bauern und Seldnern mußten sich die beiden Gruppen in Altheim wohl schon früh miteinander ar- rangieren. Schon bei der Verteilung der alten Kraut- gärten (16.Jahrhundert?) und der Feldreuten (1570) war die Gleichheit der Anteile für Bauern und Seldner erreicht. Die Weidenutzung regelte sich wohl nach dem allgemeinen Prinzip, daß jedem so viel Vieh zu- gelassen war, wie er mit seinem eigenen Futtervorrat überwintern konnte. Bei der Salbuchrenovation von 1726 setzten sich die »Urkundspersonen« aus dem Dorf aus dem Anwalt (= Schultheiß), einem Seldner, sowie zwei Bauern und zwei Seldnern zusammen. Un- tergänger (für Grenzen und Marksteine zuständig) waren drei Bauern und zwei Seldner. Trotz ihrer Min- derzahl waren jedoch gerade in Altheim die Bauern im öffentlichen Leben tonangebend, wie man noch aus der mündlichen Überlieferung weiß. Wenige Berufe weisen auf eine überörtliche Bedeu- Bei der Mehrzahl der 1708 genannten 63 Handwer- tung Altheims hin, allenfalls die Pfeifen- und Kummet- ker handelt es sich sicher um Weber, wie dann die Be- holzmacher, der Merzler und der Dachdecker sowie die rufsangaben im Salbuch von 1726 zeigen:

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fünf Fuhrleute (Karrenmann, Schmalzführer) und die je- derts, besonders in den zwanziger und dreißiger Jah- weils in größerer Zahl vorhandenen Handwerker. Dem ren, legen vor allem die Beiwohnerhäuschen auf dem steht die überragende Bedeutung der nach Ulm orien- Berg ab (Nr. 18-22). Solche Häuschen, für die kein tierten Leinenweberei gegenüber, wobei die 35 Weber ja Gemeinderecht in Anspruch genommen werden kann, nur die Haushaltsvorstände oder Meister umfassen. Die werden nun auch in den geschlossenen ulmischen Dör- Zahl der Webstühle war sicher noch um einiges größer. fern zugelassen, und sie werden wie hier hauptsächlich Darauf lassen auch die 11 Spindler (Spindelmacher) auf Allmendland gebaut. Von dieser Möglichkeit schließen. Außerdem muß man noch die Verdienstmög- macht gelegentlich auch die bäuerliche Oberschicht lichkeiten vor allem der Familienangehörigen durch den Gebrauch, wie die beiden Beispiele Nr. 94 und 99 Anbau und die Verarbeitung des Flachses bis hin zum zeigen. Diese Häuschen wurden von Altbauern je für Webstuhl berücksichtigen, wenn man die Bedeutung einen weichenden Erben auf einem erkauften Platz dieses Hausgewerbes für Altheim richtig einschätzen gebaut. So stieg die Zahl der Wohnhäuser 1708 bis will. Diese Bedeutung, die auch für die Bevölkerungs- 1759 von 113 auf 126 an. Bei den Selden waren auch entwicklung im Dorf entscheidend war, nahm im Lauf Teilungen möglich, wie die Fälle zeigen, die sich des 18. Jahrhunderts noch zu, bis die Lage vor allem im bereits 1726 feststellen lassen, und diese Entwicklung Zusammenhang mit der Entwicklung des Ulmer Textil- setzt sich fort, besonders gegen das Ende des 18.Jahr- fernhandels zunehmend kritisch wurde. Von den 99 hunderts, als auch einige weitere Beiwohnerhäuschen Webstühlen, die es nach einer Ulmer Webstuhlstatistik entstehen. 1774 in Altheim gab, standen bereits 25 leer; 1784 Für 1777 liegt die erste gesicherte Einwohnerzahl waren es 95 Stühle, von denen nur noch 62 arbeiteten, vor: 679. HAID gibt 1786 »beinahe 800 Menschen« in davon 56 als Leinwandstückstühle (zum Verkauf durch 140 Haushaltungen an. Für 1830 nennt DIETERICH 970 den Weber), 6 als Lohnstühle, wohl hauptsächlich für Einwohner in 132 Wohnhäusern (ohne Weiler), woraus den örtlichen Bedarf. Der weitere Rückgang war nicht hervorgeht, daß seit dem Anfang des Jahrhunderts aufzuhalten, doch spielte die Weberei in Altheim noch wenig dazugebaut wurde. Die Bevölkerung der ganzen lange eine wichtige Rolle. Im Altheimer Güterbuch von Gemeinde nimmt nach einem vorübergehenden Rück- 1857 werden zwar noch 51 Donken (Webkeller) in Seld- gang um die Jahrhundertmitte auf 1174 im Jahr 1880 nerhäusern und einigen Beiwohnerhäuschen genannt, zu und pendelt sich dann für die Zeit bis 1939 auf einer doch dürften viele von ihnen damals nicht mehr in Be- Höhe zwischen 1000 und 1050 ein. Das Dorf hat sich trieb gewesen sein. dabei vor allem gegen Südosten ausgedehnt. Die Weber und mit ihnen auch mancher andere Seld- Der nächste größere Entwicklungsschub setzte nach ner mußten ihren Lebensunterhalt zunehmend aus ihrer dem Zweiten Weltkrieg mit dem Zuzug der Heimat- eigenen Landwirtschaft gewinnen. Dazu verhalf ihnen vertriebenen ein, der die Einwohnerzahl auf 1337 neben der allgemeinen Intensivierung unter anderem (1950) ansteigen ließ. Diese Zahl konnte auf 1431 durch Brachanbau und Stallfütterung die Vergrößerung (1986) erhöht werden, als die Neubaugebiete zunächst ihrer Nutzflächen durch Allmendanteile nach der Auf- im Nordosten und dann im Norden des Dorfes in gabe der Gemeindeweide und durch Grundstückserwerb. bevorzugter Aussichts- und Sonnenlage entstanden. Dieser war nach dem Übergang zuerst an Bayern (1803) und dann an Württemberg (1810) viel leichter möglich, vor allem nachdem der Bodenmarkt, verursacht durch die fortschreitende Ablösung der Grundlasten und den Übergang des Grundbesitzes in das frei verfügbare Literatur: Eigentum der Bauern und Seldner, in Gang gekommen BINDER, H.: Die volkstümliche Überlieferung um den Hungerbrunnen. war. Die damit verbundenen Belastungen führten frei- In: Württembergische Jahrbücher für Volkskunde (1957/58) S.71- lich auch zu Notverkäufen von Grundstücken bei grö- 99. ßeren Betrieben bis zur Aufteilung und Zerschlagung ganzer Höfe, in Altheim zuletzt noch in den 1860er Quellen Jahren, bis sich die Verhältnisse gegen Ende des 19.Jahrhunderts wieder stabilisierten. Es kam also auch zur Rekonstruktion der Entwicklung von Siedlung und Sozialstruktur: hier wie im ganzen Ulmer Land bei den Seldnern zu HStAS: H 202, Bd. 7-8 Salbuch des Ulmer Amtes Altheim 1726 und einer allgemeinen Reagrarisierung auf der einen und zu Beibuch; H 202, Bd. 186 Bestandbuch des Ulmer Amtes Altheim, einer starken Ab- und Auswanderung auf der andern circa 1663; H 102, 5, Nr. 194 Lagerbuch des Klosters Anhausen Seite, ehe sich die Industrialisierung auch unmittelbar in 1474; H 235, Nr. 320. Altheim auswirkte. StAUL: A 52; A 2590; A 3121; A 3124 Land- und Türkensteuerbuch Dieser kurz skizzierten Entwicklung der wirtschaftli- 1604, fol. 126-133; A 6073. chen Verhältnisse entsprach die Bevölkerungs- und Gemeindearchiv Altheim: Heiligenzins- oder Salbuch 1559; Gerichts- Siedlungsentwicklung. Zeugnis von der starken Bevöl- und Gemeindeordnung 1574; Renovation des Salbuchs der kerungszunahme in der ersten Hälfte des 18.Jahrhun- St.Marienpflege 1725/26; Gemeindegüterbuch 1857.

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6. Westerstetten, Alb-Donau-Kreis Westerstetten besessen. Mit dem Kauf von 1414 setzte aber eine konsequente Erwerbspolitik ein, so daß im Westerstetten ist ein Musterbeispiel für eine dörf- Laufe des 15.Jahrhunderts das ganze Dorf in seine liche Siedlung, die dadurch zu einem richtigen Dorf Hand kam (außerdem Burg und Burghof, Hinter- wurde, daß an einen kleinen bäuerlichen Kern früh denkental und Vorderdenkental zum Teil sowie Feld- eine lineare Erweiterung mit lauter regelmäßig lehen und viele Einzelgrundstücke)3. aufgereihten Selden (Kleinstellen) angefügt wurde, Eine erste genaue Übersicht über die Besitzverhält- und zwar entlang einer ehemaligen Römerstraße, wo- nisse in Westerstetten läßt sich mit Hilfe des elchingi- durch der Eindruck der Planmäßigkeit noch verstärkt schen Gültbuchs aus dem Jahr 1605 gewinnen. Hier wird. Deshalb ist es bereits in mehrere Lehrbücher sind für das Dorf Westerstetten folgende Güter des aufgenommen worden1. Es liegt auf der östlichen Klosters Elchingen aufgeführt: 7 Höfe, deren Acker- Schwäbischen Alb in einer Talweitung des mittleren fläche zwischen 61 und 37½ Jauchert liegt Lonetals oberhalb , wo die Lone normaler- (Durchschnitt 45-50 Jauchert), darunter der Widum- weise versickert. Die Albhochfläche, auf der die bes- und der Maierhof, 1 Hube mit 30 Jauchert, 1 Hube seren Grundstücke liegen, ist durch das Lonetal und oder Gut mit 11 Jauchert und ein Gütlein, dessen die einmündenden Trockentäler stark zerschnitten. An Größe nicht angegeben ist, ferner 3 Mühlen, 1 Bad- den Talhängen, die sich an die Wiesentalsohle an- stube, 2 Tafernen, 1 begüterte Selde (3 Jauchert) und schließen, liegen die flachgründigeren Äcker und, wo 39 unbegüterte Seilden. Im Jahr 1605 ist der Besitz des sie steiler werden, auch Wachholderheiden. Das Dorf Klosters größer als die Summe der nachweisbaren Er- gehörte früher zusammen mit Tomerdingen und Dorn- werbungen des 15. und 16.Jahrhunderts, und zwar um stadt zu einer katholischen Exklave von drei Dörfern 3 Höfe, 1 Gütlein und einige Selden. Dies dürfte darauf des Klosters Elchingen inmitten des protestantischen zurückzuführen sein, daß das Kloster schon vor 1414 Ulmer Territoriums. Zur Gemeinde Westerstetten ge- einige Güter in Westerstetten besaß, daß Erwerbsur- hören auch die Weiler Vorder- und Hinterdenkental, kunden nicht erhalten sind oder daß im 15./16.Jahr- die kleine Hofgruppe Birkhof in der Nähe der ehe- hundert einige neue Anwesen hinzukamen etwa durch maligen Höhenburg der Herren von Westerstetten, die Teilung oder Gründung neuer Selden. Eine noch ältere Taublinder Mühle oberhalb und die Untere Mühle Güterbeschreibung von 1566 enthält nur die Selden, unterhalb des Dorfes. doch hat sie den Vorteil, daß auch die einzelnen Westerstetten wird 1225 zum erstenmal genannt. Grundstücke, einschließlich der eigenen und der Ge- Nach der Urkunde des Papstes Honorius III, worin der meindeteile beschrieben sind, mit Angabe der Neben- Besitz des Klosters Elchingen bestätigt wird, besaß lieger, die in den meisten Fällen eine zweifelsfreie dieses Kloster schon damals den Kirchensatz der Mar- Lokalisierung erlauben. Damit läßt sich beweisen, daß tinskirche, wohl mit dem Widumhof (Nr. 8), den die Siedlungsstruktur des Dorfes mit bäuerlichem Kern Maierhof (Nr. 59) und zwei weitere Mansen2. Mög- und Seldenzeilen, wie sie die Flurkarte von 1823 exakt licherweise gehört dieser Besitz zu den Stiftungsgütern und die Flurkarte aus der Ichnographia des Klosters des Klosters, wenigstens zu denen der Zweitausstat- tung um 1150. Die Herren von Westerstetten, Elchingen von 1697 etwas vereinfacht zeigt, bereits helfensteinische und württembergische Ministerialen, 1566 vorhanden war. Interessant ist, daß auch eine erscheinen 1264 zum erstenmal in einer Urkunde. Im halbe Selde und eine Selde mit zwei Inhabern genannt Jahr 1328 kaufte Ulrich von Westerstetten den Kir- werden sowie einzelne Beiwohner mit Grundbesitz. chensatz mit einer Hube (Widumhof) von Elchingen. Neben einigen eigenen Äckern sind fast bei allen Seld- Auch das Kloster Blaubeuren (1326), die Ulmer en eine halbe Jauchert im Kreut, ein Viertel auf dem Dominikaner (1382) und Franziskaner (1483) sowie Ameisbühl und ein Krautgarten aufgeführt, Grund- einige Ulmer Bürger waren in Westerstetten begütert. stücke also, die aus Allmendverteilungen stammen. Das Kloster Elchingen kaufte 1414 Kirchensatz und Über den meisten Grundbesitz verfügen die Müller, Widumhof wieder zurück, dazu noch andere Güter. Da besonders der mittlere und der untere, sowie der In- der Kauf auch das Viertel des Westerstetter Gerichts, haber der Weintaferne. Nach dem Gültbuch von 1605 das dem Verkäufer gehörte, umfaßt, könnte es sich bei erlaubt ein kleines Zinsbüchlein von circa 1620 einen den Gütern um eines der Viertel des ganzen Dorfes nächsten und letzten Einblick in den Entwicklungs- handeln, in die Westerstetten innerhalb der Familie der stand des Dorfes vor dem Einschnitt des Dreißig- Ortsherren aufgeteilt worden war. Das Kloster hatte jährigen Krieges. Es enthält allerdings nur die Namen schon vorher einzelne Güter in der Besitzer, ihre Geldzinse und Naturalabgaben (ohne Getreide), einschließlich einer Umrechnung von der Heller- in die Guldenwährung. Dies erlaubt in etwa der 1 Etwa BORN (1977), S. 125, MAYHEW (1973). 2 WUB 5, S.415-419; die zweimalige Nennung des Ortes erklärt sich Hälfte der Fälle eine eindeutige Identifizierung, bei daraus, daß die Besitztitel der Urkunde aus mehreren verschieden al- standardisierten Abgaben, wie sie bei den Selden ten Vorlagen zusammengefügt wurden; die Kirche steht wahrschein- verständlicherweise häufig auftreten, ist lich auf einem merowingerzeitlichen Reihengräberfriedhof. 3 Zusammengestellt mit Belegen bei GREES (1963) S. 109, Tab.4.

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dies nicht ohne weiteres möglich. Aber schon allein die Dorfmitte. Nach der entgegengesetzten Richtung (Süd- zahlenmäßige Auswertung bestätigt die Angaben von südost) folgen auf den letzten Hof entlang der Straße 1605 und erlaubt die Feststellung, daß sich seitdem nur zwei kleine Huben und einige Selden auf der rech- kaum etwas geändert hat. Von den 66 Einträgen für ten Straßenseite. Westerstetten beziehen sich nur 64 auf Gebäude. Sieht Trotzdem ist Westerstetten kein altes Straßendorf, man ab vom Pfarrhof, vom Pfründhaus, vom herr- wie in der Oberamtsbeschreibung von 1897 angenom- schaftlichen Amtshaus und dem der Gemeinde sowie men wird. Die kleinen Selden, die den größten Teil der von zwei Selden, die nicht dem Kloster zinsen (eine da- an der ehemaligen Römerstraße aufgereihten Gehöfte von zinst in einen Hof), dann bleiben genau die 56 An- ausmachen, können nicht von Anfang an dagewesen wesen übrig, die im Gültbuch von 1605 beschrieben sein. Andererseits kann man diese Seldengasse auch sind. nicht einfach als geplante neuzeitliche Siedlungserwei- Den nächsten Querschnitt durch die Besitzverhält- terung abtun. Die Selden, die 1660 im Lagerbuch und nisse ermöglicht das Lagerbuch aus der Zeit um 1660. 1605 im Gültbuch auftreten, müssen bereits im Es ist erstaunlich, daß der Dreißigjährige Krieg in der 15.Jahrhundert vorhanden gewesen sein, denn schon Besitzverteilung und im Dorfgrundriß kaum bleibende bei den Güterkäufen des Klosters Elchingen in Wester- Spuren hinterlassen hat. Die 9 Selden, die im Lagerbuch stetten im Laufe des 15.Jahrhunderts treten insgesamt auf dem Rand als öd bezeichnet sind, werden später alle etwa 40 Selden auf, davon zwischen 1414 und 1433 wieder besetzt, und auch in den Fällen, in denen 1660 allein 32. Von ihnen muß der größere Teil zu der Sel- mehrere Selden in einer Hand vereinigt sind, werden sie dengasse gehört haben, allerdings nur unter der später wieder getrennt. Ebenso wird der Hof 28, der Voraussetzung, daß der Ortsgrundriß in der Zwischen- eine Zeitlang dreigeteilt und als Feldlehen an Seldner zeit keine Umgestaltung erfuhr. Eine solche Neuge- ausgegeben war, nachher wieder als Ganzes verliehen. staltung ist aber bei der allgemeinen Konstanz der Die Gebäude dieses Hofes waren 1660 noch nicht wie- Verhältnisse im Dorf unter der klösterlichen Verwal- der aufgebaut, es wird nur eine Hofstatt genannt. Die tung sehr unwahrscheinlich. Auch die Tatsache, daß übrigen Anwesen – von geringfügigen Änderungen ab- nur in dem regelmäßig angelegten Teil der Siedlung gesehen – sind gegenüber 1605 und 1620 unverändert. die Selden für sich gruppiert sind, spricht dagegen. Die kleinen Änderungen in der Besitzfläche rühren zum Außerdem sehen alle Siedlungserweiterungen, die an- Teil davon her, daß eigene Äcker und einzeln verliehene derwärts, zum Beispiel im benachbarten württembergi- Grundstücke ihren Besitzer gewechselt haben. Bei schen Amt Heidenheim, in der zweiten Hälfte des 16. mehreren Höfen und Selden findet sich 1605 und 1660 und zu Anfang des 17.Jahrhunderts auch in ihrer Form sogar der gleiche Familienname. nachweisbar sind, völlig anders aus, vor allem deshalb, Die Nennung der Nebenlieger aller Anwesen im La- weil dort überall das traufständige Einhaus verwendet gerbuch von circa 1660 ermöglicht jetzt auch die Loka- wurde und nicht das Kleingehöft mit giebelständigem lisierung sämtlicher Hofstellen und damit die Erklärung Wohnstallhaus. des eigenartigen Westerstetter Ortsgrundrisses, der, Mit Sicherheit bestand 1605 bereits das Gäßlein, das wenn man von den jüngsten Siedlungserweiterungen etwa in der Mitte der Seldengasse in südwestlicher absieht, schon 1566 und 1697 seine heutige Grundform Richtung abzweigt (zwischen Nr.47 und 50), und da- hatte: An einer unregelmäßig angeordneten Gehöft- mit ist auch das Vorhandensein der Seldengasse für gruppe links der Lone von ovalem Umriß, wozu auch 1605 mindestens bis zu dieser Abzweigung, die heute die Kirche gehört, führt auf der rechten Seite der Lone noch das Gäßle heißt, gesichert. Eine Familie, die dort- eine schnurgerade Straße vorbei, an der in mehr oder her stammt, nannte sich zeitweise zur Unterscheidung weniger regelmäßigen Abständen Gehöfte aufgereiht von anderen Familien gleichen Namens Widenmann- sind. Daß diese beiden so verschiedenartig gestalteten Geßler. Die eigentliche Seldengasse hieß allgemein die Teile des Dorfes aus verschiedenen Zeiten stammen, Gasse. Wenn daher im Kaufbrief von 1414 bereits der geht nicht nur aus der Grundrißform hervor, sondern baderin selde in der gassen genannt wird, dann ist auch aus der sozialen Gruppierung. In dem unregel- auch dies ein Indiz dafür, daß die Seldengasse damals mäßigen Ortsteil links der Lone und in dem Bereich der schon bestand, und zwar wohl schon vollständig, denn geraden Straße, der diesen Teil randlich schneidet, im gleichen Kaufbrief erscheint auch die selde daselbs liegen die Bauernhöfe, die beiden Tafernen, das Amts- bi der mülin gelegen, die auch 1605 (selde, so zuvor in haus, der Zehntstadel, die Badstube und die Schmiede, Ulrich Kellers millin gehördt) und 1660 mit der glei- dazwischen einige weitere Selden. Es ist dies also zwei- chen Abgabe wie 1414 genannt wird und die als letztes fellos der alte Dorfkern, der später entlang der geraden Gebäude jenseits der Mittleren Mühle auf der Lone- Straße erweitert wurde, vor allem in der Richtung Nord- seite den Abschluß der Seldengasse bildete (ca. 1660: nordwest. Hier liegen auf der dem alten Kern abge- zwischen J.K., dem Mühleninhaber, und der Ge- wandten Seite der Straße lauter Selden, auf der anderen maindt). Straßenseite außer den Selden nur die Mittlere Mühle Es ist auch nicht anzunehmen, daß die Seldengasse am Dorfrand und der Hof Nr. 28 in der Nähe der mit ihren landarmen Kleinbetrieben in der spätmittel- alterlichen Wüstungsperiode entstand, in der genügend freies Land verfügbar war (Mitte 14. bis Mitte 15.Jahr- 36

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hundert). So sind zum Beispiel von den 10 im Kauf- Mittelpunkt für ihren wachsenden Besitz in der Umge- brief von 1414 genannten Selden wenigstens zwei in bung zu schaffen. Ein Marktrecht läßt sich für Wester- einer Hand vereinigt, und auch in den Dörfern der Um- stetten allerdings nicht nachweisen. gebung lassen sich in dieser Zeit unter den Selden Wü- Die Seldner konnten von ihrer Landwirtschaft allein stungserscheinungen feststellen. Außerdem dürfte die natürlich nicht leben. Ihr Haupterwerb stammte aus der Seldengasse nicht gerade angelegt worden sein, als die Taglöhnerei bei den Bauern oder aus einem Handwerk. Herren von Westerstetten ihren Stammort nach und Ob dabei ursprünglich die Landweberei für den Ulmer nach verkauften. Die Entstehungszeit der Westerstetter Leinwand- und Barchenthandel in Westerstetten eine Seldengasse muß also wohl mindestens in die erste größere Rolle spielte, ist nicht sicher. Möglich ist es Hälfte des 14.Jahrhunderts zurückreichen. Diese An- durchaus. Im 18.Jahrhundert gab es allerdings in Wes- nahme wird auch durch ähnliche Beobachtungen in terstetten keine Stückweber mehr, also Weber, die für Dörfern der Umgebung mit entsprechenden frühen den Verkauf arbeiteten4. Damit ist natürlich nichts über Siedlungserweiterungen nahegelegt. Wahrscheinlich die Lohnweber gesagt, die für die ländliche Bevöl- muß man die Erweiterung des Dorfes Westerstetten, kerung woben. Der Grundbesitz, der fest zu den Selden die eine Ettererweiterung notwendig machte, im Zu- gehörte, stammte offenbar nur aus Allmendverteilun- sammenhang mit den Bemühungen der Herren von Westerstetten sehen, sich hier einen bescheidenen 4 StAUL A 2946 Nr.31c. territorialen

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gen. Dies geht auch daraus hervor, daß zu einigen am bildete der Weg, der an ihm vorbeiführt, wie das Gäßle Dorfrand liegenden Selden, die erst später entstanden, in seiner Fortsetzung eine Zeitlang die Ettergrenze. Die 5 statt /4 nur ¾ Jauchert Acker gehörten, weil es sie zur Mittlere Mühle lag wohl einst außerhalb Etters wie die Zeit der früheren Allmendverteilungen noch nicht gab. Untere Mühle und die Taublinder Mühle. Da in Wes- Für die Seldner war es natürlich günstig, daß in Wester- terstetten durch die Römerstraße von vornherein ein stetten relativ viel Gemeindeland zur Verfügung stand. Ordnungsprinzip gegeben war, kann man sich vor- Außerdem bewirtschafteten gerade die Seldner noch stellen, daß die jüngeren Dorferweiterungen etappen- zahlreiche eigene Grundstücke, durchweg ebenfalls weise vor sich gingen. Vielleicht entstand der eine oder kleine Parzellen, und auch die Grundherrschaft verlieh andere der neugegründeten Höfe auch erst nach den noch einzelne Äcker und Wiesen, die nicht in die Le- Selden, die sich daran anschließen, etwa durch Teilung. hensverbände eingebunden waren. So lag der Grund- Dies würde die geringe Größe der Hofstellen noch ver- besitz der Seldner um 1660 zwischen 1 und 5, im ständlicher machen. Auch die Tatsache, daß je eine Höchstfall bei 7 ha. Wiese in den Oberen und Unteren Wiesen auf den Kar- Das, was von Westerstetten übrigbleibt, wenn man ten von 1696 als Wechselmahd angegeben ist, das heißt von der Seldengasse absieht, darf aber noch nicht als die von den Höfen Nr. 60, 57 und 59 sowie 60 und 57 im ursprüngliche Form der Siedlung angesehen werden. jährlichen Wechsel genutzt wurde, weist auf eine Tei- Der Maierhof (Nr. 59) ist 1605 bestimmt nicht mehr in lung hin. Bei der Ausstattung der neugegründeten Höfe seiner alten Größe erhalten. Von seiner Sonderstellung mit Land wurden offenbar bereits bestehende Flurstük- ist nur die Abgabe von 2 Salzscheiben übriggeblieben ke in Streifenform aufgeteilt. Dies geht unter anderem (Salzscheibenhof). Außerdem müssen die in der Nähe auch daraus hervor, daß die Höfe, bei denen sich keine des Maierhofs liegende Brottaferne (Nr. 25) und eine Anzeichen einer Teilung feststellen lassen, der Hof Nr. weitere Selde Abgaben in den Maierhof entrichten. Aus 28 und der auf der anderen Seite der Kirche liegende der Nebenlage kann man schließen, daß Hof Nr. 60, der Widumhof Nr. 8, eine fast reine Blockflur aufweisen, außerdem die Breite hinter dem Dorf innehat, vom wenn man von den Anteilen an den Allmendflächen, Maierhof abgeteilt wurde. Auch die übrigen Äcker die- die später dazukamen, absieht. Der Standort des Hofes ser beiden Höfe liegen zum Teil nebeneinander. Hof Nr. Nr. 28 könnte sekundär sein. Er hat einen Großteil sei- 60 ist sicher die Hub, das durch eine herrschaftliche ner Äcker in Form riesiger Blöcke mit dem Flurnamen Maßnahme abgeteilte Lehengut, von dem die Grund- Breite ganz im Norden der Westerstetter Flur, wo auch stücke hinter dem Gehöft ihren Namen haben (in der eine Unregelmäßigkeit in der Flureinteilung auf eine Hub). Auch aus der Besitzverteilung des Grünlandes abgegangene Siedlung hinweisen könnte. geht hervor, daß die ursprünglichen Verhältnisse eine Die Siedlung Westerstetten bestand vermutlich einst starke Veränderung erfahren haben. Die Herrenwiese nur aus wenigen Höfen (Maierhof, Widumhof) und befindet sich in der Hand des Vorderdenkentaler Hofes, vielleicht einigen Selden. Möglicherweise war ur- und auch die übrige Wiesenfläche des Lonetalgrundes sprünglich überhaupt nur der Maierhof vorhanden, be- ist stark aufgeteilt und befindet sich zum Teil in der vor die Kirche und damit auch der Widumhof gegrün- Hand Auswärtiger. det wurden. Dieses kleine Westerstetten war von ähnli- Auch die beiden Teilungshöfe 59 und 60 blieben in chen Kleinsiedlungen umgeben. Dazu gehörten außer dieser Form nicht unverändert bestehen. Deutlich sind den Weilern und Mühlen der Gemeinde, die heute aus den um die Gehöfte liegenden Flächen die Hoflagen noch bestehen, die abgegangenen Siedlungen Lizen- für andere Anwesen herausgeschnitten: Aus dem Maier- hofen, Mahdhof, Mauerhof, Lützelbuch, Burgholzhof hof stammen vermutlich die sehr eingeengten Hoflagen und vielleicht noch andere. Ihre Fluren waren durch für zwei weitere Höfe, für den Posthof Nr. 57 (so schon Wald voneinander getrennt oder durch Weideland, das 1605) und den Hof Nr. 58 und wahrscheinlich im später zum Teil, wenn es nahe genug an der wach- Anschluß daran für einige Selden, darunter die Schmie- senden Siedlung Westerstetten lag, als Ackerland ver- de (Nr. 56). Die Fläche hinter dem Gehöft war wohl teilt wurde. Wahrscheinlich wurden diese Kleinsied- zunächst größer, mindestens so groß wie die des Hofes lungen durch die gemeinsame Herrschaft und später 60, und reichte vielleicht bis zum Gäßle, von dem an die vor allem durch die kirchliche Zugehörigkeit zusam- Reihe der Selden besonders regelmäßig wird. Auch die mengehalten. Über die Gründe, die zur Aufgabe dieser Hube Nr. 2 am Bach jenseits der Straße, könnte auf Kleinweiler oder Einzelhöfe und zur Konzentration der einem ehemaligen Grundstück des Maierhofs stehen. Bevölkerung am Ort der Grundherrschaft und der Hof Nr. 60 mußte wohl die Hoflagen für die zwei klei- Kirche führten, könnte man höchstens Vermutungen nen Güter Nr.61 und Nr.62 (auch Hube genannt) und für anstellen. drei sich daran anschließende Selden abtreten. Hierbei Die Entwicklung Westerstettens unter der Herr- könnte im Grundriß zum Ausdruck kommen, wie die schaft des Klosters Elchingen hat sich, abgesehen vom abgetrennten Anwesen immer kleiner wurden. kirchlichen Bereich, kaum im Siedlungsbild nieder- Auch Hof Nr. 28 erweist sich durch seine Randlage geschlagen. Nach dem Kauf der Taublinder Mühle als eine verhältnismäßig späte Gründung. Vermutlich (1542) war Elchingen ja der alleinige Grund- und Zehntherr im Dorf. Die Hochgerichtsbarkeit und die forstliche Ob- 38

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rigkeit standen allerdings Ulm zu, was immer wieder genossen waren 12 bevorrechtigt, nämlich die eigent- zu Gerichtsstreitigkeiten führte und zu Auseinanderset- lichen Bauern, die Inhaber der Höfe, Huben und Güter, zungen über den Mühlbann, das Wässerungsrecht im die bei der jährlichen Holzverteilung vom Unterholz 1 Lonetal, über Bau und Unterhaltung von Wegen, über ½ Teile und die doppelte Zahl an Pferchnächten er- Forstfragen und anderes. Im Bauernkrieg scheint es hielten. Außerdem waren auch das Pfarrhaus und das auch in Westerstetten zu Unruhen gekommen zu sein, Amtshaus an der Gemeindenutzung beteiligt (mit dem denn 1525 sehen sich die Hauptleute des Schwäbischen Vorrecht der freien Wahl der Holzteile, die übrigen Bundes dazu veranlaßt, denen von Westerstetten zu be- wurden verlost), sowie die Gemeinde, für die 1699 fehlen, dem Gotteshaus den Zehnten zu geben5. Im kein Acker abgeteilt wurde. Zu Beginn des 19. Jahr- ganzen hat das Kloster wie die Stadt Ulm sein Herr- hunderts wurden die Nutzungsrechte gelegentlich ge- schaftsgebiet sehr konservativ verwaltet und war pein- teilt, verkauft und vertauscht. Da in Westerstetten das lich auf die Erhaltung der alten Rechtsverhältnisse be- Realrechtsvermögen nicht vom Gemeindevermögen dacht. Auch am Grundbesitz der Lehenseinheiten än- abgetrennt und auch der Gemeindewald nicht verteilt derte sich kaum etwas. Es wurde höchstens einmal mit wurde wie in den meisten umliegenden ulmischen herrschaftlicher Genehmigung ein einzelnes Grund- Gemeinden, erhalten auch heute noch die Berechtigten stück vertauscht oder verkauft. So gehört auch Wester- jährlich ihre Holzlose aus dem von der Gemeinde be- stetten seit dem 15./16.Jahrhundert zu den geschlosse- wirtschafteten Kommunalwald. nen Dörfern des ostschwäbischen Anerbengebietes. Im Jahr 1717 werden für das Dorf Westerstetten 63 Als in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Be- Untertanen und im Jahr 1721 entsprechend 63 Häuser völkerung erneut stark zunahm, versuchte das Kloster genannt, und diese Zahl gilt auch noch für 1793. Im nachdrücklich, den Zuzug von Beiwohnern oder Ge- wesentlichen blieben in dieser Zeit auch die Besitz- hausten, die ja nicht bauen durften, einzuschränken, verhältnisse dieselben. Es gibt allerdings auch einige wie eine Ordnung der Beywonner unnd ander gehol- bemerkenswerte Veränderungen: In drei Fällen wird ten, so Anno 1565 zu Westerstettenn fürgenomen unnd von einem kleineren, mit Abgaben ziemlich stark be- verkündt ist wordenn zeigt6. Im Jahr 1601 gab es 20 lasteten Lehengut (Gut, Hube) die Mehrzahl der solcher Haushalte in Westerstetten. Die Beiwohner Grundstücke abgetrennt und als Feldlehen zusammen waren wie im Ulmischen vom Gemeinderecht ausge- mit dem Gemeindenutzungsrecht finanzkräftigen Be- schlossen, doch werden 1660 Beiwohner-Krautgärten ständern zugeteilt, den Inhabern der alten Weintaferne genannt, die sicher schon aus der Zeit vor dem Drei- Nr. 20 und der Unteren Mühle Nr. 1. Auch die beiden ßigjährigen Krieg stammen. An den übrigen Allmend- andern Mühlen erhielten zwischen 1660 und 1793 je flächen aber sind die Beiwohner nicht beteiligt. ein Feldlehen zugewiesen. Die Gebäude der aufge- Bei den früheren Allmendverteilungen scheinen die teilten Lehengüter werden, zusammen mit ein paar Bauern größere Anteile erhalten zu haben als die Seld- Äckerchen, als gewöhnliche Selden verliehen. In einem ner. Aber schon vor 1566 waren die Anteile gleich Fall, bei Hof Nr. 62, läßt sich nachweisen, daß der An- groß. Seit dem Bestehen der Seldengasse muß es min- laß zur Auflösung des Hofes die Überschuldung seines destens sechs Verteilungen gegeben haben, denn 1660 Inhabers war,und dies wird wohl auch für die anderen gehören zu den meisten Selden 4 Äcker, einer zu ½ Fälle zutreffen. Aus dem Steuerbuch von 1793 läßt sich und 3 zu je ¼ Jauchert, und 2 Krautgärten. Die er- eine ziemlich starke Verschuldung in Westerstetten neuten Allmendverteilungen von 1696 und 1699 zei- feststellen. Die Schulden reichen zum Teil nahe an die gen, daß am Ende des 17.Jahrhunderts die Folgen des Höhe des Steueranschlags für die Güter heran und Dreißigjährigen Kriegs endgültig überwunden waren. überschreiten ihn in Einzelfällen sogar7. Als Ursache Das Bedürfnis nach Land, das in den beiden kurz auf- muß in der Hauptsache die starke Belastung angesehen einanderfolgenden Verteilungen zum Ausdruck werden, die sich für die Anerben bei der geschlossenen kommt, weist auf eine erneute Zunahme der Bevölke- Hofübergabe durch die Verpflichtung zur Auszahlung rung hin. Die alten Selden sind alle wieder besetzt, und der weichenden Erben ergibt. Offensichtlich führte die es wurden nun sogar ein paar neue Selden gebaut, Entwicklung des allgemeinen Rechtsempfindens all- denen man ein – vielleicht vakantes – Seldner-Ge- mählich zu einer beträchtlichen Erhöhung des Kauf- meindenutzungsrecht zuteilte. Dies geht aus einer der preises, den der Erbe beim sogenannten Kindskauf für Karten von 1696 hervor, auf der die Verteilung von den Hof bezahlen mußte. Als Geldgeber treten vor 1699 nachgetragen wurde, 65 regelmäßig angeordnete, allem das Kloster, die Gemeinde, der Ortsheilige, eine mehr oder weniger schmale, mit dem Namen des Sieben-Schmerzen-Bruderschaft und einzelne Bauern Besitzers versehene Streifen. aus Westerstetten und aus der Umgebung auf. Gegen Wie 1793 und noch heute waren es damals schon 66 Ende des 18. Jahrhunderts erlaubt das Kloster immer Gemeindenutzungsrechte. Unter den 63 Gemeinde- wieder den Verkauf einzelner Grundstücke aus einem Lehensverband zur finanziellen Entlastung des In- 5 Urkunde vom 7.Juli 1525, HStAS B 382 Bü 11. habers, zum 6 HStAS, wie Anm.5. Abgedruckt (mit geringfügigen Fehlern) bei HEISLER S.28 f., z.T. bei GREES (1963) S. 123. 7 GREES (1975) Tab. 20 S. 175.

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Beispiel dem stark verschuldeten Unteren Müller vor hofs 1876 etwa in der Mitte zwischen Ulm und Geis- 1793 zu seinem Hausbau, oder dem Posthof. Dies alles lingen recht günstig ist. Die Bautätigkeit nahm den sind Anzeichen, die bereits auf die Entwicklung der Be- entscheidenden Aufschwung erst nach dem Zweiten sitzverhältnisse im 19.Jahrhundert vorausweisen. Weltkrieg. Auf Grund seiner günstigen Lage und einer Das Kloster Elchingen wurde 1803 aufgelöst, We- großzügigen Baulanderschließung konnte Westerstet- sterstetten kam mit dem übrigen elchingischen Besitz ten nicht nur die ihm zugewiesenen Heimatvertrie- und mit den ulmischen Dörfern der Umgebung an benen aufnehmen, sondern noch zahlreiche weitere aus Bayern, 1810 an Württemberg. Damit beginnt die Zeit den umliegenden Ortschaften. der Hofzerschlagungen und Teilungen. Nach einer jahr- Im Bild des alten Dorfes haben sich die Züge noch hundertelangen Stabilität kommen nun die Besitzver- erhalten, an denen die Etappen seines geschichtlichen hältnisse in Fluß: Nur ein einziger Hof in Westerstetten Werdens sichtbar werden, vor allem im Gegensatz bleibt davon ziemlich unberührt, Hof Nr. 60, von dem zwischen der schnurgeraden Seldengasse und dem nur einzelne Grundstücke verkauft werden. Auch bei älteren Dorfkern, aber auch in der verhältnismäßig den Selden kam es zu zahlreichen Zerschlagungen und geringen Zahl der randlich liegenden kleinbäuerlichen Verkäufen. Erst gegen das Ende des 19.Jahrhunderts Einhäuser des 18. und 19.Jahrhunderts und in den sich festigten sich die Besitzverhältnisse allmählich wieder. daran anschließenden Neubaugebieten des 20.Jahr- Zu den Ursachen, die zur Auflösung so vieler Höfe hunderts, die in ihrem Stil ja auch bereits einen deut- führten, gehören vor allem der Wechsel der Grund- und lichen Wandel zeigen. Landesherrschaft und damit der gesetzlichen und ad- ministrativen Situation sowie die Ablösung der Grund- gefälle, die Befreiung und Belastung zugleich bedeutete, zog sich doch die Bezahlung der Ablösungsraten bis in Literatur: die achtziger Jahre hin. Außerdem hörte auch die Mög- lichkeit auf, bei den traditionellen Geldgebern, bei VOLLMER, K. (und Nachfolger): Pfarrei-Chronik Westerstetten 1840 ff. denen Wucher und Spekulation ausgeschlossen waren, Manuskript im Pfarramt Westerstetten. das fehlende Geld auszuleihen. Das durch die Hofzer- DITZINGER (Revisor): Beitrag zur Geschichte der Pfarrei Westerstetten schlagungen freiwerdende Land ermöglichte die Ent- im Landkapitel Ulm. In: Diözesan-Archiv von Schwaben 1 (1884) stehung einiger neuer Anwesen, die zum Teil als Ein- S.49-51, 58f., 73-75 (!), 73 f.; 2 (1885), S. 19 f. häuser, zum Teil auch als Kleingehöfte am Ortsrand HEISLER, E.: Westerstetten. Chronik eines Dorfes der Ulmer Alb. 1974. gebaut wurden, besonders in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts. Von wesentlich größerer Bedeutung für Quellen die Entwicklung Westerstettens war jedoch die Tat- sache, daß durch das reiche Landangebot den vielen zur Rekonstruktion der Entwicklung von Siedlung und Sozialstruktur: kleinbäuerlichen Seldnern die Möglichkeit zum Auf- stocken geboten wurde. Dadurch und durch die Resthöfe HStAS: H 222 Lagerbuch Kloster Elchingen circa 1660 (alte Nr. B382 der zerschlagenen Güter vermehrte sich das kleine Mit- Nr.2); H 222 Nr. 168 Register der Pfarrei Westerstetten 1668; B 580 telbauerntum mit einer Betriebsgröße zwischen 5 und 20 Einzelstücke; N 11 Flurkarten aus der Ichnographia des Klosters Elchingen betreffend Westerstetten (1697), siehe Gemeindearchiv ha ganz beträchtlich (1793: 5 Betriebe, 1823: 11 Betrie- Westerstetten. be, 1960: 35 Betriebe), während die Kleinbetriebe und Staatsarchiv Ludwigsburg (StAL): B 207 Bü 170 Nr. 15 Güterbe- die Betriebe über 20 ha entsprechend abnahmen. In der schreibung des Klosters Elchingen von Westerstetten 1566; B 207 gleichen Richtung wie die Hofzerschlagungen wirkten Bü 170 Nr.8 Register St.Martin Westerstetten; B 207 Bü 171 sich einige Hofteilungen im Erbfall aus, die ja nun mög- Grundzinsen und Küchengefälle circa 1620. lich waren, zum Beispiel beim ehemaligen Widumhof, Hauptstaatsarchiv München (HStAMÜ): Kloster Elchingen Lit. Nr. 3 von dem 1895 ein kleinerer Hof abgetrennt wurde. Kopialbuch; Kloster Elchingen Lit. Nr. 4c Repertorium von Die allgemeine Entwicklung in der Gesamtgemeinde P.C.Luz, 3 Bde.; Regesten Kloster Elchingen. Westerstetten im 19. und 20.Jahrhundert zeigt sich deut- Stadtarchiv Augsburg: v. Raisersche Urkunden- und Regestensamm- lung Bd. IV. lich in den Einwohnerzahlen: Die stetige Zunahme von StAUL: K 542; Einzelurkunden und -akten. 499 (1821) auf 619 Einwohner (1861), die vor allem auf Archiv des Landesvermessungsamtes Baden-Württemberg Stuttgart: 12 die Auswirkungen der Hofzerschlagungen zurückzu- Flurkarten aus der Ichnographia des Klosters Elchingen (1696/97, führen ist, erfolgte noch auf der Grundlage der Land- siehe Gemeindearchiv Westerstetten). wirtschaft. Die Zunahme der Einwohnerzahl seit dem Pfarrarchiv Oberelchingen: Gültbuch des Klosters Elchingen 1605. Ende des 19.Jahrhunderts auf 698 (1910) hängt mit dem Gemeindearchiv Westerstetten: Steuerbeschreibung 1793; Güterbuch Aufkommen des Pendlertums zusammen, wofür die 1813; Güterbuch 1857; Flurkarten aus der Ichnographia des Klosters Lage Westerstettens seit der Anlage des Bahn- Elchingen (1695-1697, Maßstab circa 1 : 40000 bis circa 1 : 16000), 23 Karten.

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7. Grötzingen, Stadtkreis Karlsruhe von Grötzingen als Nachfolger in der Grafschaft und auf der Burg auf, die jetzt Burg Grötzingen genannt Das Dorf Grötzingen liegt am Austritt der Pfinz aus wird. Sie stehen in Abhängigkeit von den Staufern. An dem südlichen Kraichgauer Hügelland, der tekto- diese dürften noch vor 1196 die weißenburgischen Le- nischen Mulde zwischen Schwarzwald und Odenwald, hen der Grafen von Grötzingen zurückgefallen sein, in die Randniederung der Oberrheinischen Tiefebene. denn in diesem Jahr wird Durlach, eine staufische Der weitgehend aus Muschelkalk bestehende Unter- Gründung auf Grötzinger und Elterichsdorfer Gemar- grund und die eiszeitliche Lößauflage boten günstige kung, erstmals als oppidum genannt. Das Dorf Elte- Voraussetzungen für eine frühe Besiedlung. Schon in richsdorf, etwa an der Stelle des heutigen Thomashofs vor- und frühgeschichtlicher Zeit war, wie zahlreiche zwischen Durlach und Stupferich gelegen, war Zube- Funde ausweisen, der steile Westrand des Kraichgauer hör der Burg Grötzingen und wurde bei der Gründung Hügellandes besiedelt. Am bekanntesten sind die Jung- Durlachs aufgegeben. Unter den Staufern saßen als In- steinzeitfunde auf dem nahen Michelsberg bei Un- haber weißenburgischer Lehen in Grötzingen und Dur- tergrombach. Auch Grötzingen hat einige steinzeitliche lach die Herren von Roßwag auf der Burg. Erstmals Funde aufzuweisen. Aus alemannisch-fränkischer Zeit 1259, schon unter den badischen Markgrafen, nannten sind im Ortsbereich zwei Reihengräberfriedhöfe er- sie sich nach Grötzingen. Seit 1219 die staufischen schlossen worden. Der eine, durch zahlreiche Grab- Städte Ettlingen und Durlach durch Tausch an den und Knochenfunde gesichert, lag in der Gegend des Markgrafen Hermann V. von Baden gekommen waren, heutigen Laubplatzes (früher Kelternplatz) der andere rückten die Markgrafen mehr und mehr in die Stellung wird südlich der Pfinz bei der Kirche vermutet. der Staufer im Pfinzgau ein und behaupteten sich dort Im Mittelalter hatte das im 7. Jahrhundert gegründe- auch nach deren Untergang. Sie konnten auch die te Kloster Weißenburg im Elsaß ausgedehnten Besitz weißenburgischen Lehen in diesem Gebiet, insbe- sondere Burg und Dorf Grötzingen, an sich ziehen. in Grötzingen, der wahrscheinlich aus Königsgut her- Um 1100 hatten die Grafen von Hohenberg ihr vorgegangen ist. Der in der zweiten Hälfte des 13. Hauskloster Gottesau gegründet. In der Gründungs- Jahrhunderts geschriebene, aber im Kern auf das bestätigung durch Kaiser Heinrich V. 1110 wurden un- 10.Jahrhundert zurückgehende liber possessionum des ter den praedia, die dem Kloster von seinem Gründer Abtes Edelin († 1293) nennt 700 Morgen Ackerland, geschenkt worden waren, auch Elterichsdorf und Gröt- Weinberge zu 20 und Wiesen zu 150 Wagenladungen zingen aufgeführt. In der päpstlichen Bestätigungsur- Ertrag sowie 26½ Hufen, deren Inhaber genau be- kunde von 1161 werden unter anderem curtes et vineae zeichnete Abgaben und Dienste leisten. In der Le- in Grötzingen genannt. Im 13.Jahrhundert erhielten hensnotiz des gleichen Verzeichnisses für einen Grafen auch die Klöster Herrenalb und Lichtental einzelne Konrad im Pfinzgau, den SCHÄFER mit Herzog Konrad Besitzungen in Grötzingen. Die Herrenalber Güter von Kärnten, dem Sohn Herzog Ottos von Worms und waren mit dem Klosterhof in Durlach vereinigt und Kärnten, gleichsetzt, wird in Grötzingen der gleiche kamen schon Anfang des 16.Jahrhunderts, endgültig Besitz an Ländereien genannt, zusätzlich aber ein nach der Reformation, in den Besitz der Markgrafen. Fronhof (curtis dominica), vier Mühlen, fünf Kapellen Auch die Güter des Klosters Lichtental, 1255 ge- und anstatt der 26½ Hufen 30 mansi serviles, von schenkt, gingen bei der vorübergehenden Aufhebung denen 15 besetzt (vestiti) sind. SCHÄFER schloß daraus, des Klosters 1527 mit Einziehung seines Besitzes an das Kloster habe die gesamte Gemarkung Grötzingen die Markgrafen über. Das Kloster Gottesau war nach samt der Kirche besessen. Erwähnt wird die Kirche der Säkularisierung (abgesehen von zwei Perioden der erstmals in einer Schenkung an das Kloster Lichtental Restituierung 1631-1632 und 1635-1648) markgräfli- von 1255. Auch SEILER geht jedoch davon aus, daß ches Kammergut. Spätestens seit dem Westfälischen schon früher eine Kirche in Grötzingen bestanden Frieden gehörten also auch die Gottesauer Güter den haben muß, deren Patrozinium in der Reformationszeit Markgrafen von Baden-Durlach, die damit Grund- verloren ging. herren im gesamten Dorf Grötzingen waren1. Grötzingen gehört zu den 68 Orten, die dem Kloster Weißenburg 991 von dem Salier Herzog Otto von Kärnten entzogen wurden, oder mit denen er sich unter 1 Gottesau hatte in Grötzingen Güter zweierlei Qualität besessen: Zwangsausübung belehnen ließ. Noch vor 1100 ist das einmal den sogenannten Abts- oder (nach einem Beständer) Mal- Dorf in der Hand der Grafen von Hohenberg, wahr- lenhof, der seine Ländereien auf Durlacher und Grötzinger Ge- scheinlich als weißenburgisches Klosterlehen von den markung hatte und der in Zeitbestand oder als Erblehen ausgegeben war, zum anderen Zinsrechte an Weinbergen, Äckern, Wiesen und Saliern an sie weiterverliehen. Sie erbauten auf dem einigen Häusern und Hofraiten. Nach dem Lagerbuch des Klosters Turmberg, der vor der Gründung der Stadt Durlach zur von 1535 (GLA 66/2941, fol.20 ff.) war der Hof an sechs Vorträger Grötzinger Gemarkung gehörte, ihre namengebende mit ihren Zugewandten gegen insgesamt 15 Gulden Grasgeld, 20 Burg. Die Hohenberger hatten die Grafschaft im Pfinz- Malter Korn, 24 Malter Dinkel und 24 Malter Hafer ausgegeben. Auf gau inne, als dessen Vorort Grötzingen in jener Zeit Grötzinger Gemarkung gehörten zum Hof bezeichnet werden kann. In der zweiten Hälfte des 12.Jahrhunderts treten die Grafen Wezel und Heinrich

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Das Lagerbuch von Grötzingen aus demjahr 1762 ohne Maßangaben aufgeführt sind. Erst im Grundbuch wurde im Zuge der Renovationen in der Unteren ba- von 1762 ist mit der Vermessung auch eine genaue den-durlachischen Markgrafschaft unter Markgraf Karl Aufteilung der ehemaligen Gesamtgrundstücke vorge- Friedrich (1746-1811) angelegt. Im Gegensatz zu den nommen worden. Damit konnte die Verwaltung, auch älteren Berainen, die nur die Einkünfte aus den Grund- in den wenigen Fällen von gemeinsamem Besitz (Er- stücken für die jeweils Einzugsberechtigten (Amts- bengemeinschaften), auf (Vor)träger verzichten3. kellerei, Geistliche Verwaltung) zusammenstellen, ist es Nach der Siedlungsform stellt sich Grötzingen 1762 gleichzeitig Grundbuch, in dem alle Grundstücke in als typisches Haufendorf dar, allerdings mit der Be- Dorf und Flur, auch die zinsfreien, exakt vermessen und sonderheit von zwei durch die Pfinz getrennten Orts- mit einer neuen Numerierung aufgeführt werden. Es kernen. Das eigentliche Haufendorf mit fast ovalem, besteht aus sieben Textbänden und einem Kartenband. rings von einer Gasse umgebenen Mittelteil, liegt Der erste Band enthält die Darstellung der Herrschafts- nördlich der Pfinz, während der südlich gelegene Orts- und Rechtsverhältnisse in der Gemeinde, die Beschrei- teil die Form des Gassendorfes aufweist. Dieser Teil bung der Eigengüter der Herrschaft und der Gemeinde wird nach Süden von der Kirche und dem herrschaft- sowie die Zinsregister für die Amtskellerei Durlach, die lichen Schloß Augustenburg abgeschlossen. Das Dorf Geistliche Verwaltung Durlach und die Gemeinde wird seit mindestens dem 16.Jahrhundert in vier Vier- Grötzingen. In den Zinsregistern wird sowohl auf die tel eingeteilt: nördlich der Pfinz von Osten nach Wes- Grundstücksnummern in den nachfolgenden Bänden, ten das Obere, Mittlere und Untere Viertel und südlich die die Grundstücksbeschreibungen enthalten, als auch der Pfinz das Kirchenviertel. auf die Grundstücksnummern in den vorhergehenden Soweit es sich aus den Grundstücksbeschreibungen Lagerbüchern der weltlichen und der geistlichen Ver- im Kataster und den Grundrißdarstellungen auf der waltung von 1718 verwiesen. Da diese Nummern mit Karte erschließen läßt, war die vorherrschende Haus- denen der wiederum älteren Lagerbücher der Geist- und Gehöftform das einzeln auf der Hofraite stehende lichen Verwaltung von 1684 und der Amtskellerei von Haus und das unregelmäßige Gehöft. Hakenhöfe, 1690 identisch sind, ist eine Rekonstruktion der Parzel- Drei- und Vierseithöfe sind die Ausnahme. Wie noch lenstruktur für das Ende des 17.Jahrhunderts möglich. In heute im Ortsbild zu erkennen, waren die Gehöfte in der Karte sind darüber hinaus durch Flächenfarbe die je- einigen Fällen zur Straße hin durch eine Mauer mit weiligen Einzugsberechtigten der Haus- und Grund- Torbogen abgeschlossen. Über die Bauart und das stückszinsen angegeben. Daraus lassen sich mit einiger Baumaterial ist im Lagerbuch nichts ausgesagt. Soweit Vorsicht Vermutungen über eine noch ältere Grund- heute noch Häuser aus dem 18.Jahrhundert in Grötzin- stücksgliederung anstellen, wenn der Zusammenhang gen stehen, sind es zum größten Teil Fachwerkbauten auch durch Zinstausch und -kauf oft verwischt sein mit gemauertem Sockel, manchmal in der Form des dürfte2. Ende des 17.Jahrhunderts hatten die Grund- gestelzten Hauses. Die funktionale Gliederung der stücke allerdings zum großen Teil mehrere Besitzer, von Gebäude auf den privaten Grundstücken und ihre Zu- denen einer als Träger für die Zinsleistung verant- ordnung zueinander ist in Tabelle 1 zusammengefaßt. wortlich war. In beiden Berainen sind die Zinsanteile, In der Mehrzahl bestanden die Gehöfte nur aus zwei seltener auch die Besitzanteile, unter den Besitzern auf- Gebäuden, meist dem Wohnhaus und der Scheuer, sel- geteilt angegeben. Inwieweit eine reale Verteilung der tener aus dem Wohnhaus und dem Stall. Ställe werden Grundstücke vorlag, geht daraus nicht hervor, zumal die nur bei 37 Gehöften und bei zwei Einzelhäusern ge- Grundstücke nannt. Es ist allerdings fraglich, ob daraus geschlossen

40 Morgen 2½ Viertel Ackerland in 13 Blöcken und 24½ Morgen Im Lagerbuch von 1563 (GLA 66/2942, fol. 132-143‘) sind nur noch Wiesen in zwei Blöcken zu 20 und 4½ Morgen. Im Lagerbuch des zwei mit unablöslichem Hellerzins belastete Häuser und Hofraiten. Klosters von 1563 (GLA 66/2942, fol. 46 ff.) ist der Hof in Erbpacht Dazu kommen zwei weitere Hofstätten, für die ablösbarer Hellerzins gleichfalls an sechs Träger verliehen und in sechs gleiche Teile geteilt, gezahlt wird. Dabei handelt es sich, modern gesprochen, um Hypo- die alle den gleichen Zins erbringen. Der Naturalzins blieb gegenüber thekenzinsen, bei deren Auflistung das Ablöskapital angegeben ist. 1535 gleich, der Geldzins hatte sich erhöht. Die größeren Einkünfte 2 Eine Zinsübertragung liegt beispielsweise bei den Grundstücken Nr. brachten jedoch die unterschiedlichen Zinserträge, der Hellerzins aus 172 und 173 vor. Das bisher zinsfreie Grundstück Nr. 173 wurde im Äckern, Wiesen, Weingärten, Häusern und Hofraiten, der aus älteren Jahr 1741 bei einem Grundstückstausch mit dem Zins belastet, der Hühnerabgaben hervorgegangen ist, zum Teil auch noch wahlweise in vorher auf dem Grundstück Nr. 172 geruht hatte. Damit wurde der Form von Hühnern oder Geld geleistet werden konnte. Dazu kamen Block zusammenhängender zinsfreier Grundstücke gestört. die ablösbaren Zinsen, die aus verpfändeten Grundstücken oder Häu- 3 GLA 66/3130, fol. 125‘ wird zwar noch das Recht der Träger be- sern geleistet wurden, und die Naturalzinsen, die fast ausschließlich kräftigt, bei einem über drei Jahre dauernden Zinsausstand den aus Wein bestanden. Unter den mit Hellerzins belasteten Grund- betreffenden Grundstücksanteil einzuziehen; aber weder im Zins- stücken waren 1535 fünf Hofstätten, davon zwei im Kirchenviertel, register noch im Kataster sind Träger genannt. eine im Oberen Viertel und zwei im Mittleren Viertel

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werden kann, daß alle übrigen Anwesen keine Ställe plätze auf den Dreißigjährigen Krieg zurückgeht, zeigt besaßen, denn in einigen Fällen ist der Stall nicht in der Vergleich der Beraine der Geistlichen Verwaltung der Grundstücksbeschreibung, sondern bei der Fest- von 1718 und 1684, also vor dem Pfälzischen Erb- legung der Besitzunterteilung bei mehreren Grund- folgekrieg. Von 36 zinspflichtigen Hofstätten waren 20 stückseigentümern aufgeführt. Denkbar wäre, daß nur in beiden Lagerbüchern als Häuser, Hofraiten usw. größere Ställe ausdrücklich aufgeführt wurden. Das aufgeführt, 8 in beiden Lagerbüchern als leere Vieh wurde in dieser Zeit ohnehin noch meist auf der Hausplätze, 8 weitere jedoch waren 1684 als Häuser Weide gehalten. Ähnlich wie bei den Ställen scheint es usw. und 1718 als leere Hausplätze bezeichnet. Zu den auch bei Kellern und Obergeschossen der Häuser zu im Lagerbuch der weltlichen Verwaltung einschließ- sein. Keller und Obergeschosse werden nur in je fünf lich des ehemaligen Gottesauer Besitzes von 1699 Fällen als Zubehör eines Hauses genannt. In anderen aufgeführten 49 zinspflichtigen Hausgrundstücken ge- Fällen tauchen sie bei der Verteilung des Anwesens auf hörten 33 Häuser und 32 Hausplätze. Rechnet man alle mehrere Besitzer auf. diese Daten hoch, dürfte etwa die Hälfte des Dorfes zerstört gewesen sein. Zwischen 1699 und 1718 wurden bereits elf von den an die Amtskellerei Tabelle 5: Funktionale Gliederung der nichtöffentlichen Durlach zinspflichtigen Häusern wieder aufgebaut, Gebäude des Dorfes Grötzingen 1762. 4 darunter das Gasthaus Zum Laub . Unter den herrschaftlichen Gebäuden im Dorf nahm im 18.Jahrhundert das fürstliche Schloß Augustenburg die erste Stelle ein. Das Gebäude war ursprünglich das zur St.-Barbara-Kapelle gehörende St.-Barbara-Pfründ- haus, ging aber unter Markgraf Christoph (1475-1527) in markgräflichen Besitz über und wurde Ende des 17.Jahrhunderts von der Markgräfin Augusta Maria, Gemahlin des Markgrafen Friedrich Magnus (1677- 1709), zum Schloß ausgebaut5. Der Ausbau des ehe- maligen St.-Barbara-Pfründhauses, des sogenannten Hohen Hauses, zum Schloß Augustenburg hatte um die Wende zum 18.Jahrhundert erhebliche Veränderungen auch in der Umgebung mit sich gebracht. Die Mark- gräfin war bestrebt, die an das Schloß anschließenden Grundstücke durch Kauf und Tausch an sich zu bringen. Das unmittelbare Nachbargrundstück war schon vor 1699 durch Tausch an sie gekommen. Im Deutliche Anzeichen einer Siedlungsverdichtung sind Lagerbuch von 1762 ist es schon nicht mehr aufge- die 15 faßbaren Fälle, in denen zwei Wohnhäuser auf führt, sondern in den Garten oder die Allee beim einem Grundstück stehen. Einige Häuser müssen auch Schloß einbezogen. Auf dem nächsten Grundstück, auf von mehreren Familien bewohnt gewesen sein, denn dem 1699 drei Häuser standen, erreichte die Herrschaft allein im Band 2 des Lagerbuchs, in dem nur der durch Kauf und Tausch, daß anstelle des dem Schloß Ortsetter und seine unmittelbare Umgebung eingetra- benachbarten Hauses ein Garten angelegt wurde, der gen sind, werden 193 ortsansässige Besitzer – darunter nicht mehr überbaut werden durfte. Das dritte Haus auf auch Erbengemeinschaften – von Grundstücken, aber diesem Grundstück war noch 1718 das herrschaftli- nur 139 Hausanwesen aufgeführt. Das mag zum Teil noch eine Folge des Dreißigjährigen Krieges und des Pfälzischen Erbfolgekrieges gewesen sein, deren Nach- 4 Das Anwesen war 1699 ohne die Kennzeichnung als Gasthaus nur als Hausplatz, Hofraite und Scheuernplatz aufgeführt. 1718 als wirkungen im Ortsbild noch sichtbar gewesen sein Gasthaus zum Laub mit noch leerem Scheuernplatz. 1762 umfaßte müssen. 1762 werden 28 leere Hausplätze aufgeführt, das Anwesen das Haus mit der Schildgerechtigkeit Zum Laub, eine die als Gras- oder Krautgärten genutzt werden. Häufig Scheuer, Stallungen, Hof und Gärtlein. Das Gasthaus wurde vor liegen sie zu mehreren beisammen, so daß der Ge- einigen Jahren abgebrochen. Heute steht an seiner Stelle ein mo- danke an Brand oder andere Zerstörung naheliegt. So- dernes Feuerwehrheim mit Wohnungen in den Obergeschossen. weit sie mit Abgaben an die Amtskellerei belastet sind, 5 Später diente es ihr als Witwensitz und wurde nach ihrem Tod als lassen sich diese Hausplätze auch in den Lagerbüchern fürstliches Kammergut zu unterschiedlichen Zwecken verwendet. von 1718 und 1699, nicht aber in dem Lagerbuch aus 1807 wurde es verkauft und als Fabrik genutzt. Ein 1867 beabsich- tigter Abbruch wurde nur ansatzweise durchgeführt. Nach 1880 der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg aus der Regie- erwarb Kunstmaler Otto Fikentscher das Schloß und baute es zu rungszeit des Markgrafen Ernst Friedrich (1588-1604) Wohnungen für sich und seine Kollegen aus. 1963 ging es in den zurückverfolgen. 1718 werden sie in der Regel gleich- Besitz des Landes Baden-Württemberg über, das es 1972 an die falls als derzeitige Gras- oder Krautgärten bezeichnet, Vereinigte Firmenpensionskasse Mannheim veräußerte. Sie richtete 1699 nur in einem Fall. Daß ein Teil der leeren Haus- nach Renovierungen ein Hotel und Seniorenheim ein.

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ehe Schwanenwirtshaus. 1762 war jedoch die Schildge- Hausplatz im Kirchenviertel, nämlich der des ersten rechtigkeit auf das nördlich benachbarte Haus überge- Schwanenwirtshauses, Eigentum der Gemeinde. Das gangen, das alte Wirtshaus abgerissen und der Platz in Rathaus stammt aus dem Jahr 1583. Von ihm ist nur Gemeindebesitz, während der große Garten dem herr- der steinerne Unterbau erhalten. Das Fachwerkoberge- schaftlichen Gartenkomplex nördlich der Büchiger Al- schoß mit drei Dachgeschossen wurde nach der Zer- lee zugeschlagen war, der gleichfalls zum größten Teil störung im Dreißigjährigen Krieg 1668 etwa in seiner aus ehemaligem Privatbesitz stammte. Das Schwanen- heutigen Gestalt wiedererrichtet. Im Jahr 1900 wurde wirtshaus, heute ein italienisches Restaurant, steht noch das Rathaus innen umgebaut, nach dem Ersten Welt- an der gleichen Stelle. Die Kelter in dem zum Schloß krieg der 1875 aufgetragene Verputz entfernt und das gehörenden Weingarten am Büchelberg wurde noch von schön gegliederte und durch Schnitzereien geschmück- Augusta Maria zur Meierei ausgebaut. In ihr richtete te Fachwerk wieder freigelegt. Die 1964 durchgeführte dann Markgraf Karl Friedrich eines seiner landwirt- Renovierung schuf das heutige Bild. schaftlichen Mustergüter ein. 1864 kaufte es der ba- Über die Sozialstruktur des Dorfes im 18.Jahr- dische Staat und verlegte die staatliche Obst- und Gar- hundert läßt sich anhand des Lagerbuches nur wenig tenbauschule dorthin. Sie entwickelte sich zur heutigen aussagen. Zweifelsfrei ergibt sich aus dem Vergleich Staatlichen Landwirtschaftlichen Untersuchungs- und mit älteren Berainen und der Aufsplitterung der Grund- Forschungsanstalt Augustenberg. stücke, insbesondere der Äcker und Weinberge, daß Auch die Kirche gehörte 1762 zum herrschaftlichen der Besitz nicht geschlossen vererbt, sondern geteilt Besitz. Erbauer des heutigen, im wesentlichen gotischen wurde. Auch Grundstückskauf und -tausch war ohne Baues, der jedoch Vorgängerbauten hatte, war Markgraf ernstliche Einschränkung möglich. Daraus kann auf Christoph I. In den Lagerbüchern seit dem 16.Jahr- eine gewisse soziale Mobilität geschlossen werden, die hundert wird die Kirche in Verbindung mit der St.- durch die Kriege sicher begünstigt worden ist. Beispiel Barbara-Frühmeß-Kaplanei-Pfründe aufgeführt. Zur dafür ist der Kannenwirt Johann Nicolaus von Nidda, Kirche gehörte das Pfarrhaus mit Hof, Scheuer und der nach 1689 als Metzgersbursch nach Grötzingen Garten. zugewandert ist, in das Gasthaus Zur Kanne einhei- Weitere herrschaftliche Gebäude im Dorf waren vier ratete und durch Viehhandel und Kriegslieferungen zu Keltern, eine davon mit der herrschaftlichen Zehnt- erheblichem Besitz kam, wie sich auch im Lagerbuch scheuer verbunden, die Zehntscheuer selbst, daneben ein von 1718 nachweisen läßt. 1762 allerdings war sein gewölbter Keller unter einem leeren Platz, das Schä- Besitz auf mehrere Nachfolger zerstreut. Die Kanne fereihaus mit Hof, Scheuer und kleinem Garten sowie wurde 1944 durch Bomben zerstört; erhalten ist das ein Stallgebäude außerhalb des Dorfes. Auf dem Platz reich ausgestaltete Sandsteinportal, das in der Grün- über dem Keller hatten früher eine Kelter und ein anlage am Niddaplatz aufgestellt ist. Speicher gestanden, die aber 1689 abbrannten. Die Kel- Die überwiegende Mehrzahl der Dorfbewohner wa- ter bei der Zehntscheuer war für den als Zehnt- und ren Bauern. Für sie ist in den Lagerbüchern kein Beruf Zinswein eingehenden Wein vorgesehen, die übrigen angegeben, während Handwerker mit ihrem Beruf ge- standen gegen Abgaben den Dorfbewohnern zur Verfü- nannt sind. Bei den Hauseigentümern kommen 1762 gung. Die Einrichtung und die Stellung der Betriebs- folgende Berufe vor: zwei Küfer, zwei Schmiede, je mittel war Sache der Herrschaft. Auf dem Platz der gro- ein Schuhmacher, Sattler, Metzger, Steinhauer, Jäger, ßen Kelter steht heute das Feuerwehrgerätehaus, auf Feldmesser und Schulmeister. Auch der Schultheiß und dem Platz der Zehntscheuer das Gasthaus Zur Linde. der Altschultheiß werden als solche bezeichnet. Vier Das Schäfereihaus im Unterviertel wurde 1750 von der Wirte und ein oder zwei Müller sind zu erschließen. Im Herrschaft gegen das bisher herrschaftliche Schwanen- Lagerbuch von 1718 werden auch ein Zimmermann wirtshaus im Kirchviertel eingetauscht, wobei auch die und ein Bäcker genannt. Ein Barbier besitzt 1762 nur früher auf ihm ruhenden Abgaben auf das Schwanen- noch einen leeren Hausplatz, ein Dreher einen wirtshaus übergingen. Die Schäfereigerechtigkeit war Krautgarten. Vier Anwesen gehörten Juden, bei denen, zwar 1568 der Gemeinde von der Herrschaft gegen jähr- wie üblich, kein Beruf angegeben ist. Nur eines dieser lichen Zins erblich verliehen worden, aber 1687 wurde Anwesen, an zentraler Stelle neben dem Rathaus gele- sie gegen Wegfall des Zinses an den Markgrafen zurück- gen, hatte die übliche Größe der Hofraiten, die anderen gegeben. Das Stallgebäude außerhalb des Ortes wurde waren recht klein. Innerhalb des Dorfetters und der zu- noch im 18.Jahrhundert in eine Krappmühle umgebaut. gehörigen Gärten am Dorfrand hatten 13 Ausmärker Der Gemeinde Grötzingen gehörten folgende Ge- aus Durlach und Berghausen Besitz an Gartenland. bäude: das Rathaus, die Mühle als Erblehen, für das Zur Flur gehörte Ackerland, Weingärten, Weide und Mühlgült an den Markgrafen entrichtet wurde, die der Wald. Das Ackerland war 1762 nur noch auf zwei Mühle benachbarte Gipsmühle, die auch zur Ölmühle Zelgen (Au mit Reutfeld und Obenaus) aufgeteilt, wäh- umgerüstet werden konnte, das Schulhaus im Kirchen- rend in den älteren Lagerbüchern immer drei Zelgen viertel. Außerdem waren der Gottesacker und ein leerer genannt werden (Reuth; In der Beun, Hinter der Kirchen und Auf dem Rindelberg; In der Au). An Ge- treide wurde

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Roggen, Dinkel und Hafer angebaut. Auf nicht zelgen- Gleise unterhalb des Augustenberges entlang führen gebundenen Äcker und auf der Brache pflanzte man und das Kirchenviertel im rechten Winkel durch- Ölsaat, Rüben und Kartoffeln. Die Weingärten, die eine schneiden. Schon vor Eröffnung der Strecke wurde die erheblich größere Ausdehnung hatten als heute, waren Bahnhofstraße, heute Büchelbergstraße, von der Pfinz die am stärksten zerstückelten Grundstücke auf der Flur. zum Rathaus gebaut; die Rathausbrücke ersetzte die Die weitere Siedlungsentwicklung brachte bis zum ehemalige Furt durch die Pfinz. Etwa um die gleiche Ende des 19.Jahrhunderts kaum ein Flächenwachstum Zeit wurde die Oberausstraße von der Oberausbrücke über die alten Ortsgrenzen hinaus, aber eine deutliche im Osten des Dorfes aus angelegt und nach Süden mit Verdichtung innerhalb des Dorfes, auch einige Grund- der Staigstraße, der alten Ost-West-Verbindungsstra- rißveränderungen. 1806 wurde nördlich der Pfinz die ße, verknüpft. 1875 verlor die Staigstraße ihre Ver- heutige Martin-Luther-Straße neu angelegt. Seit 1861 kehrsbedeutung: die alte Durlacher Landstraße wurde führt die Bahnlinie Durlach-Pforzheim durch das Dorf, parallel zur Eisenbahn durch das Dorf fortgesetzt (heu- seit 1879 zweigt hier die Strecke nach Bretten ab. Die te Bundesstraße 10). Der Eisenbahnbau führte zur An- Bahnbauten bewirkten die erste einschneidende bau- siedlung von Industriebetrieben. Die gute Verkehrs- liche Veränderung im Dorf, da die verbindung erleichterte auch das Auspendeln zu Ar- beitsplätzen in der wachsenden Industrie der Städte Durlach

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und Karlsruhe. Grötzingen entwickelte sich zum Ar- straße 10. Im äußersten Westen wurde in den siebziger beiterbauerndorf, in dem die Einwohnerzahl ständig Jahren eine Gruppe von Hochhäusern errichtet, bisher anwuchs. 1871 hatte es 2294, 1900 3226, 1933 4008, die einzigen im Ort. Am Grollenberg entstand ein klei- 1950 5255 und 1970 6694 Einwohner. Baulich wirkte nes Areal mit Kettenbungalows. Wie weit sich das sich dieser Strukturwandel zunächst stärker in Um- Dorf, das am 1.1.1974 der Stadt Karlsruhe eingemein- und Neubauten innerhalb des Dorfes aus, die den det wurde, in die ehemalige Flur ausgedehnt hat, zeigt Grundriß weitgehend unangetastet ließen. Ein Rund- Karte 8 der Bauflächenentwicklung seit 1882. Nicht gang durch Grötzingen zeigt, daß viele Häuser aus der dargestellt werden kann die erhebliche innere Umge- Zeit um die Jahrhundertwende stammen, aber auf der staltung des Dorfes. Stelle älterer Bauten stehen. Charakteristisch ist das aus Backsteinen erbaute ein- bis zweistöckige, meist mit der Traufe zur Straße stehende Haus mit Anbauten Literatur (mit Drucken von Quellen): und Nebengebäuden im Hof. Nur ein kleines geschlos- senes Baugebiet wurde um die Jahrhundertwende öst- Badische Fundberichte Jg. 19, 1952: Fundschau 1949-1951, darin lich vom Kirchenviertel südlich der Pfinz angelegt. Es Grötzingen S. 132, 219 (A. DAUBER). besteht aus ein- bis zweistöckigen kleinen Wohn- DAMBACHER, J.J.: Urkundenarchiv des Klosters Lichtenthal. In: häusern mit Schuppen und Kleintierställen. Im Sockel- Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins (ZGO) 5 (1855) geschoß der Häuser waren ursprünglich Schweineställe S. 440-466. eingebaut. Insbesondere in den Hanglagen in der Nähe MÖSSINGER, W.: Grötzingen. 1965. des Schlosses entwickelte sich aber eine großzügige SCHÄFER, A.: Die Abtei Weißenburg und das karolingische Königtum. und flächenaufwendige Villenbebauung. Maler der In: ZGO 114 (1966) S. 1-53. Karlsruher Kunstakademie hatten das reizvolle Dorf- -.: Das Schicksal des Weißenburgischen Besitzes im Uf- und Pfinzgau. In: ZGO 111 (1963) S.65-93. bild entdeckt und siedelten sich hier an. Die Maler- -.: Staufische Reichslandpolitik und hochadlige Herrschaftsbildung im kolonie trug Grötzingen den Ruf als »badisches Maler- Uf- und Pfinzgau und im Nordschwarzwald vom 11.-13.Jahrhundert. dorf« ein. 1900 wurde der erste Bebauungsplan der In: ZGO 117 (1969) S.179-244. Gemeinde aufgestellt. SEILER, A.: Studien zu den Anfängen der Pfarrei- und Landdekanats- Nach dem Bahn- und dem Straßenbau gestaltete die organisation in den rechtsrheinischen Archidiakonaten des Bistums Regulierung der Pfinz den Dorfkern um. Das häufige Speyer. (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtl. Hochwasser hatte schon seit dem 18.Jahrhundert An- Landeskunde in B.-W., B 10) 1959. laß zu verschiedenen Kanalisierungs- und Regulie- ZEUSS, C.: Traditiones possessionesque Wizenburgenses. 1842. rungsplänen gegeben. Die Arbeiten begannen im Jahre 1934, 1957/1958 wurde der Kanal im Dorfbereich fertiggestellt. Die Pfinz fließt seither in einem ge- Quellen: mauerten Bett, die alten Brücken sind durch neue er- setzt, die Abzweigungen von Gießbach und Beun- zur Rekonstruktion der Entwicklung von Siedlung und Sozialstruktur: graben eingeebnet. Grötzingen: Aufzeichnungen von D.DAUBENBERGER (Lehrer Gröt- In der Zwischenkriegszeit, insbesondere zwischen zingen) zur neueren Siedlungsentwicklung anhand u.a. der Be- 1933 und 1939, wurden zwei weitere neue Wohnge- bauungspläne der Ortsverwaltung. biete erschlossen: die Wiesenäckersiedlung im Zwik- Generallandesarchiv Karlsruhe (GLA): A (Kaiserurkunden) Nr. 118 kel zwischen den beiden Bahnlinien mit den für diese (1100); E (Jüngere Papsturkunden) Nr. 225 (1161); H/ (Pläne) Zeit typischen kleinen Siedlungshäuschen (Einzel- und Grötzingen 1 (1882); Beraine: 66/2940-2942 (Kloster Gottesaue, Doppelhäuser) in kleinen Gärten und im Nordwesten 2941 16Jh.); - weltliche Verwaltung (Amtskellerei): 66/3113 (unter der Regierung von Markgraf Ernst Friedrich von Baden-Durlach des Dorfes, nur wenig vom Ortskern abgesetzt, zwei 1588-1604); 66/3114 (1699); 66/3115 (1718); - geistliche Straßen mit anspruchsvolleren Ein- und Zweifamilien- Verwaltung: 66/3119 (1684); 66/3125-3126; 66/3127 (1718), - häusern. Beide Siedlungen wurden in der Nachkriegs- 66/3130-3137, Grötzingen 1762 (mit Kartenband). zeit durch Neubauten mit dem Ortskern verbunden. Jetzt dehnte sich das Dorf weit aus, hauptsächlich nach Kartengrundlage ist die Deutsche Grundkarte 1 : 5.000, auf 1 : 2.500 Nordwesten in die Randniederung und nach Osten und vergrößert. Darauf sind Gebäude und Parzellengrenzen aus der Karte 2 Südosten in Richtung Berghausen. Waren es bis zum des Kartenbandes zum Lagerbuch von 1762 (GLA 66/3137), ein- Zweiten Weltkrieg meist Grötzinger Bürger, die zur getragen mit Hilfe eines von Dr. Friedhelm Schultz dafür entwickelten Vergrößerung des Ortes beitrugen, so ging die Orts- Verfahrens: Der Plan von 1762 wurde fotografiert, vergrößert und auf erweiterung seither überwiegend von Zuwanderern den Maßstab der Grundkarte gebracht. Die maßstäblichen Verzerrungen aus. Neben Flüchtlingen und Heimatvertriebenen zo- innerhalb der Hälften wurden nach der Scheinpflugschen Methode gen vor allem junge Familien aus Karlsruhe nach Gröt- durch Neigen des Grundbrettes, dem die moderne Karte aufgelegt war, und Einpassen des Bildes in deren Umrisse ausgeglichen. Damit wurde zingen. Für diese Bauphase sind wiederum Ein- bis eine für die vorliegende Aufgabe ausreichende Genauigkeit erreicht. Dreifamilienhäuser charakteristisch. Auch Wohnblök- ke wurden gebaut, die ersten in den frühen fünfziger Jahren an der Bundes-

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8. Rintheim, Stadtkreis Karlsruhe nach Flächenanteil auf die einzelnen Grundstücksbe- sitzer umgelegt. Das schien ihm um so mehr gerecht- Trotz des irreführenden Namens handelt es sich bei fertigt, als die von ihm angetroffene Aufteilung im Rintheim um eine Rodungssiedlung des Hochmittelal- Grunde auf einige wenige Trägereiverbände zurück- ters. Sie wurde an der Ostkante der sandigen Terrasse ging. Auch über ihre Entstehung fehlten ihm bereits des Hardtwaldes unmittelbar vor der Gebirgsrandnie- die Anhaltspunkte. Lediglich ein kleiner Bereich im derung in Form eines Straßendorfs angelegt. Solche Dorf, da, wo der Weg von Durlach nach Knielingen Straßendörfer sind insgesamt für die Siedlungen des auf die Hauptstraße traf, war von einer Korngült an die Hochmittelalters im Bereich von Hardt und Lußhardt Herrschaft frei. Dahinter könnte sich also das herr- charakteristisch und werden den Grafen von Hohen- schaftliche Sondereigentum verbergen, während alle berg und weiter nördlich den Speyerer Bischöfen als übrigen Hofplätze zu den nach Ausweis der älteren La- Urhebern zugeschrieben. Rintheim begegnet erstmals gerbücher einst regelmäßig eingeteilten Höfen gehör- 1110 als Rintdan, was mit Schlupfwinkel, vielleicht ten. Das Lagerbuch von 1482 erwähnt 29 ganze und 8 auch Schutzhütte bei einer Wasserrinne erklärt wird. halbe und Teilhöfe mit gleichmäßigen Abgaben. Damals bestätigte König Heinrich V. den Ort als Besitz Der Dreißigjährige Krieg und die nachfolgenden des nahegelegenen Klosters Gottesaue, das selbst erst Notzeiten haben spätestens für Wandel gesorgt. Das kurz zuvor durch die Grafen von Hohenberg gegründet Ergebnis war, daß Mitte des 18.Jahrhunderts eine worden war. Mit der Vogtei über Gottesaue fiel die höchst ungleichmäßige Aufteilung der Hausplätze wie Oberhoheit über Rintheim an die Staufer und schließ- auch der Grundstücke in der Gemarkung bestand. 1748 lich im 13.Jahrhundert an die Markgrafen von Baden. war Rintheim noch ohne Kirche und Schule, in dieser Sie überließen 1275 dem Kloster die ortsherrschaft- Hinsicht abhängig vom benachbarten, wesentlich älte- lichen Rechte. Mit der Reformation gelangten diese ren Hagsfeld. Die Gemeinde, im 16.Jahrhundert eben- Rechte ans markgräfliche Amt Durlach, bei dem der Ort falls noch nicht selbständig, hat sich gerade 1748 ein bis 1809 verblieb, dann wurde Karlsruhe zuständig. Im Rathaus errichtet; wie damals üblich auf Weggelände, Sog der Industrialisierung wurde schließlich 1907 Rint- hier bei der Kreuzung in der südlichen Ortshälfte. Älter heim in Karlsruhe eingemeindet. waren ihre in die Amtskellerei Durlach zinspflichtigen Nähere Aufzeichungen über die Besitzverhältnisse in beiden Hirtenhäuser. Ganz typisch für den Gemeinde- Rintheim verdanken wir einer durch Markgraf Karl besitz in der Umgebung des Ortsetters ist der Herd- Friedrich 1747 angeordneten Generalrenovation der Ge- acker im Norden, hervorgegangen aus dem breiten markung, der 1745 bereits eine Planaufnahme durch den Viehtrieb, auf dem die Herden des Dorfes in den nahen Geometer Caspar Schwenk vorausging. Die Renovation Hardtwald gelangten. Seine Fortsetzung wurde als der gesamten Gemarkung nahm der Notar und resig- Hummelacker für die Haltung des Zuchtstieres genützt. nierte Amtmann von Münzesheim Daniel Friedrich Am südlichen Ortsende lagen Allmendwiesen und Schmid vor. Das Ergebnis wurde in einem großen La- Krautgärten. Das übrige Umland des Ortskerns war in gerbuch festgehalten, dem eine Reinzeichnung des die drei Zelgen eingeteilt, wobei in Rintheim damals Schwenkschen Planes durch den Mathematikstudenten keine Brache mehr gehalten wurde, sondern auf jedem Wilhelm Daniel Schaeffer beigegeben ist. Aufgrund Feld in zweijährigem Umtrieb auf die Sommerfrucht dieser Unterlagen sind in Rintheim sämtliche damaligen bereits wieder Winterfrucht folgte. Der Ortsetter selbst Parzellen auf der Gemarkung mit ihren Inhabern leicht umfaßte nach den Grundstücksnummern 58 Hausplät- feststellbar, so auch der Bereich des eigentlichen Dor- ze, ein gutes Drittel mehr als 1482. Davon waren 10 fes. Wie in anderen späten Rodungssiedlungen, die im- nicht überbaut, besonders an den jeweiligen Ortsaus- mer in einer Hand geblieben sind, herrschten noch im gängen. Es dürfte sich um Lücken seit den Kriegszer- 18.Jahrhundert in Rintheim ganz einheitliche Besitzver- störungen des 17.Jahrhunderts handeln. Vermutlich hältnisse. Alles Land war durch Bodenzinse als altes stellt der äußerste Südwesten des Ortsbereichs eine erst Eigentum der Amtskellerei Durlach, der Besitz- neuzeitliche Erweiterung auf die Allmendwiesen hi- nachfolgerin des Klosters Gottesaue, pflichtig. Leider naus dar. Charakteristischerweise befand sich ein Teil gelingt es nicht, den Stand von 1748 weiter zurückzu- der unüberbauten Grundstücke in Händen von Ausmär- schreiben, denn schon Daniel Friedrich Schmid ist bei kern aus Hagsfeld (25 D und 28 D) oder im zusätzli- seiner Renovationsarbeit daran verzweifelt, die damali- chen Besitz von Inhabern noch anderer Hofstätten. gen Grundstücksverhältnisse auf die älteren Lagerbü- Außer dem Rathaus und Hirtenhaus fallen nach ihrer cher zurückzubeziehen – solche liegen für das 16. Jahr- Funktion nur wenige Hausgrundstücke auf: die breites- hundert (z.T. noch aus der Klosterzeit) mehrfach vor. Er te Parzelle (25 J) mit dem Privathaus des herrschaftli- konstatierte, daß inzwischen so viel an Zertrennung, chen Entenfängers Jost Gerhard d.Ä., das Gasthaus Tausch und Besitzwechsel an den Grundstücken statt- zum Schwanen (30 A) im Besitz des Wirts Martin gefunden habe, daß man unmöglich auf die alten Ein- Köpf. Hervorgehoben ist sonst nur noch das Anwesen heiten zurückkommen könne. Der Renovator hat des- des Schmiedes (26 A). Er war sicher ein kleiner Mann, halb einfach alle von den Hausplätzen fälligen Abgaben der das Haus mit der Inhaberin des Nachbargrund- stücks (26 B) teil-

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Karte 9: Gemarkung von Rintheim 1748. Nach GLA 66/7005. te. Der Wirt und der Entenfänger gehörten dagegen zur gerade selten waren solche Häuser auch noch unter vermögenderen Schicht, soweit man in Rintheim über- mehrere Besitzer geteilt (26 AB, 28 AB; HI; 31 AB). haupt davon sprechen kann. Sie verfügten über mehre- Gehöfte, wo die Scheuer ein eigenes Gebäude aus- re Hausplätze im Ort, so der Schwanenwirt noch über machte, gab es ein knappes Dutzend, in Gehöften die große Parzelle 29 G und über den unbebauten wohnten auch die Bessergestellten. Nur das Schwa- Hausplatz 25 H, der Entenfänger über 28 C. Ver- nenwirtshaus war von seiner Hausgröße her gesehen gleichbar war ihnen nur noch die Witwe des einstigen kümmerlich. Insgesamt waren die damaligen Häuser, Schultheißen Adam Raupp mit insgesamt vier, aller- vergleicht man sie mit der späteren Bebauung des Ort- dings kleineren Hausplätzen (26 E und G, 28 E, 31 A), setters, klein und bescheiden. Sie sind im einer davon war nicht überbaut. 19.Jahrhundert durchweg größeren Gebäuden gewi- Leider ist kein gleichzeitiges Steuerbuch für Rint- chen oder haben mindestens eine bauliche Erweiterung heim vorhanden, so daß es vorläufig nicht möglich ist, erfahren. Dies ging, wie die Pläne von 1864 und 1879 die soziale Differenzierung der Ortsbevölkerung in ei- auswiesen, in Richtung Gehöftbildung. Diese Entwick- ner Übersicht darzustellen. Lediglich von der Bauwei- lung trat ein, obwohl die Ackerflächen der Rintheimer se der Häuser her kann noch einmal unterstrichen wer- Landwirtschaft weiter parzelliert wurden, die Betriebs- den, daß es sich in Rintheim um recht einfache Ver- größen sich also gegenüber 1748 ständig vermindert hältnisse handelte. Die Häuser waren durchgehend haben. Im Verlauf dieser Aufteilung in noch kleinere eingeschossig und vielfach kleinbäuerliche Einhäuser, landwirtschaftliche Betriebe entstand dann parallel zur in denen die der Ökonomie dienenden Teile sich mit Hauptstraße und angepaßt an die nur teilweise durch Wohnstuben und Küchen unter einem Dach befanden. Parzellenzusammenlegung vereinfachte bisherige Flur- Nicht

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einteilung die Ernststraße nach einem 1874 genehmig- den, wo sich die Hauptstraße bei der Mühle in einem ten ersten Bebauungsplan. Sie ist schon im Grundriß als Knick bis in die Bachniederung hinabbegibt, zweigt Ansiedlung von Arbeiterbauern erkennbar, denn die die Froschau entlang eines einmündenden Seitentäl- Ökonomiegebäude sind immer mehr zusammenge- chens ab. Einzige sonstige Quergasse ist die von der schrumpft. Bevorzugt wird jetzt im Gegensatz zur alten Ortsmitte ebenfalls nach Osten wegführende Wolfgas- Hauptstraße das auf Tuchfühlung gebaute ebenfalls se. Urkundlich wird Spechbach (von Specht) erst 1246 niedrige traufenständige Haus, wie es sich in der Rhein- erwähnt. Archäologische Hinweise auf seine frühere ebene seit Ausgang des 18.Jahrhunderts allgemein ge- Geschichte fehlen bisher. Trotzdem sprechen der Sied- rade für kleinere Anwesen durchsetzte. Einige reine lungsgang der ganzen Umgebung, das Martinspatro- Wohnhäuser sind schon in dieser Ortserweiterung und zinium der Pfarrkirche und die Besitzverhältnisse ebenso in den Querstraßen (Hüttenstraße und Knielin- dafür, daß die Anfänge des Dorfes etwa in der Karo- ger Weg) anzutreffen, die jüngere Ortsausdehnung lingerzeit liegen. Vielleicht deutet das Martinspatrozi- zeichnet sich dann aber erst in der Mannheimer Straße nium alten Reichsbesitz an. Die Oberherrschaft über und nördlich des hier dargestellten Ausschnitts ab und das Dorf kam mit der Meckesheimer Zent, einem Rest vollzog sich von den dreißiger Jahren dieses Jahrhun- des staufischen Reichslandes um Wimpfen, 1330 an derts an und stand schon im Zeichen städtischer Ent- Kurpfalz. Die Ortsherrschaft selbst hatten am Ende der wicklung. Inzwischen hatte der alte Ortskern neue öf- Stauferzeit die Herren von Weinsberg inne, ab dem fentliche Einrichtungen aufgenommen, die evangelische frühen 15. Jahrhundert war sie nachweisbar im Besitz Kirche von 1871 auf dem Gelände der einstigen Hirten- der Herren von Venningen. Sie spaltete sich unter zwei häuser und die Schule im Bereich der alten Schwanen- Linien und über weibliche Erbfolge im 16.Jahrhundert wirtschaft. Ein Friedhof war schon am Anfang des 19. unter verschiedene Ritterfamilien auf, bis sie 1776 Jahrhunderts auf dem einstigen Viehtrieb, dem Flecken- durch Karl Philipp von Venningen wieder in einer acker am Herdweg, angelegt worden. Hand zusammengefaßt werden konnte. Ein 1790 im Auftrag der Ortsherrschaft gezeich- neter Übersichtsplan gibt trotz eklatanter Meßfehler Literatur: zusammen mit dem Lagerbuch von 1787 und dessen Einzelplänen die Möglichkeit, die damalige Besitz- SCHWARZ, B.: Beiträge zur Geschichte von Rintheim (Sammelband GLA struktur innerhalb des Ortsetters und rückschreibend Cw 15222). auch die bauliche Entwicklung seit dem Dreißigjäh- rigen Kriege zu verfolgen. Der Übersichtsplan enthält nur die Gebäude samt Hausnummern, Grenzen und Quellen: Besitzern, das Lagerbuch und Detailpläne dagegen die Grundstücksnummern der alten, viel größeren Hof- zur Rekonstruktion der Entwicklung von Siedlung und Sozialstruktur: reiten. Infolge der ungenauen Übersicht mußte in GLA: 38/ Specialia Rintheim, Urkunden 1275-1628; 66/7000-7005 einigen Fällen rekonstruiert werden, doch kann das die Beraine 2. Hälfte 17. bis 1. Hälfte 18. Jahrhundert, vor allem 7005 Gesamtaussage nicht beeinträchtigen. von 1748 mit Plan; 229/88175-88254 Akten 1670-1831. Im Dreißigjährigen Krieg muß der Ort stark entvöl- Gemeindearchiv: Grundbücher 1738 ff.; Flurbücher 1749 ff. kert worden sein. Für 1577 kann man mit 340 Einwoh- Korrektur: Die neuen Straßen im Westen des Ortes blieben versehentlich nern rechnen, 1671 waren es nur etwa 60, weite Teile ohne Flächenfärbung. der Flur lagen wüst und der Wald hatte gerade im Nor- den der Gemarkung große Flächen zurückerobert. Erst gegen Ende des 18.Jahrhunderts war die alte Einwoh- nerzahl wieder erreicht (1786: 406), während 1727 erst 9. Spechbach, Rhein-Neckar-Kreis 163 Bewohner gezählt wurden. Zunächst scheinen die Ortsherren auch einheitlich Spechbach ist das Beispiel eines dem frühen Landes- die Grundherren in Spechbach gewesen zu sein. Noch ausbau angehörenden Dorfes am Rande des Altsiedel- im 18. Jahrhundert war das Dorf völlig von landes. Es liegt gerade noch im Bereich der Lößböden herrschaftlichem Wiesen- und Gartenland eingeschlos- des nördlichen Kraichgauer Hügellandes. Am Nordrand sen. Infolge der vielfachen Teilungen in der herr- der Gemarkung steht bereits der Buntsandstein des schaftlichen Familie ist der eigentliche Herrenhof an Kleinen Odenwaldes an. Die Siedlung selbst nimmt die Dorfherrschaft des benachbarten Mönchzell, die eine Muldenlage am flachen rechtsseitigen Talhang ei- Familie von Zandt, ab 1777 die von Uexküll überge- nes mäßig eingetieften Bachtales ein. Die Hauptstraße gangen. Er lag dort, wo die Hauptstraße im Süden des durchzieht den Ort von Norden nach Süden. Von ihr ist Dorfes zum Bach hin abbog, und zeigte Ende des in der Ortsmitte spangenartig die Kirchgasse abgespal- 18.Jahrhunderts keineswegs mehr eine besonders ten. An beiden Ortsenden gabeln sich die Wege. Im Sü- große Hofreite. An ihn schloß sich jedoch nördlich das Gelände des ursprünglich dazugehörigen zwischen Uexküll und Venningen

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gemeinsamen Hofes an. Dies ist ein weiterer Hinweis Spechbach zählt insgesamt 36 Fallgüter, dazu weitere darauf, daß der Uexküll-Hof auch aus dem Besitz der vier nicht fallpflichtige alte Einheiten sehr verschiede- einstigen Ortsherren stammte. Verhältnismäßig früh ner Größe, so daß man nicht annehmen darf, ihnen lie- scheint jedoch der Hof ausgegliedert gewesen zu sein, ge eine gleichmäßige Austeilung des Pachtlandes an den 1463 Konrad von Helmstatt besaß und der damals die Hofbauern zugrunde. Spätere Verschiebungen deu- mit Zinsen zugunsten des Klosters Neuburg belastet ten sich überdies darin an, daß Nr. 31, ganz zentral im wurde. Später ging er ganz an Neuburg über. Er lag ab- Ort gelegen und außergewöhnlich groß, einen dop- seits der Hauptgasse dort, wo die Wolfgasse bereits den pelten Fall zu entrichten hat, also mit ursprünglich Bach überschritten hatte. Uexküll- und Neuburgerhof zwei alten Hofstätten gleichzusetzen ist. Wenn Nr. 1 waren von der Abgabe des Falls frei. Als Fremdbesitz dagegen nur einen halben Fall gibt, dann kann es sich ist sonst nur die Pfarrkirche anzusprechen. Nach ihrem sowohl um ein kleineres Gut als auch um eine durch Patrozinium wohl in die Karolingerzeit zu datieren, Teilung nachträglich hinzugekommene Bestandsein- stand sie jedoch Ende des Mittelalters noch in einem heit handeln. Aufteilung läßt auch der Grundstückszu- erkennbaren größeren Zusammenhang mit der früheren schnitt zwischen 15 und 34 sowie 19 und 23 vermuten, Mutter-(Send)pfarrei Waibstadt. Das Patronatsrecht Zusammenfassung dagegen 23 und 41. Zu den Fall- hatte die Ellwanger Propstei in Wiesenbach inne, von gütern zählte auch die Dorfmühle. Längst war im dieser kam die Kirchenherrschaft 1480 an den Pfalz- Spätmittelalter und in der Frühneuzeit die Entwicklung grafen. Die Tatsache des unmittelbar pfälzischen Patro- zu weiterer Teilung der Fallgüter fortgeschritten. Das nats wirkte sich während der Reformationszeit dahin läßt sich aus den älteren Lagerbüchern nur andeutungs- aus, daß Kirche und Pfarrei reformiert (kalvinistisch) weise entnehmen. Sicheren Boden betritt man erst mit werden mußten, während die Bevölkerung des Dorfes dem Lagerbuch von 1787 und dem Plan von 1790; von ihrer unmittelbaren Herrschaft mehrheitlich bei der darauf sind die Hausnummern angegeben. Auf die lutherischen Konfession gehalten werden konnte. In alten Hofplätze entfallen 96 von 110 Hausnummern. der pfälzischen Kirchenteilung von 1707 fiel die alte Damit man keinem Fehlschluß über die inzwischen westlich über dem Dorf im befestigten Friedhof gele- eingetretene Siedlungsverdichtung erliegt, muß man gene Pfarrkiche den Katholiken zu. Reformierte und darauf hinweisen, daß auch die freistehenden Scheuern Lutheraner konnten nach einem Provisorium im eigene Hausnummern haben. Die Verdichtung erreich- Rathaus dann 1776 ein neues gemeinsames Gotteshaus te also nur etwas mehr als das Doppelte der alten Ge- beziehen. Der zugehörige Wittumhof kam von Ellwan- höfte, die sicher mehrere Gebäude umfaßten. gen an Kloster Schönau und letztlich an die Schaffnerei Im ganzen kann man die Fallgüter mit den sonst be- Lobenfeld der Pfälzer Geistlichen Administration. Sei- kannten Trägereiverbänden gleichsetzen; nominell war ne Lage ist nicht mehr genau auszumachen. Er wird als nicht der Hof geteilt, sondern das rechtlich und nach unterhalb der Kirche und benachbart zum Pfarrgarten seinen Abgaben immer noch zusammengehörige Gut beschrieben, müßte also das Grundstück Nr. 29, viel- war nur unter verschiedene Beständer (Pächter) aufge- leicht ursprünglich samt dem später protestantischen teilt. Tatsächlich und endgültig verfestigt durch die in Kirchplatz gewesen sein. Auch unterschieden sich die- Spechbach 1838 durchgeführte Ablösung der Fallguts- se Grundstücke von den übrigen »Fallgütern«, indem eigenschaft, haben die Pachtverhältnisse die weitere sie keine Fastnachts-, sondern Martinshühner entrichte- Zerstückelung der Hofplätze wie der in der Gemar- ten. kung verstreut liegenden Güter mit sich gebracht. Eine Die Belastung der Hofgrundstücke ist der Schlüssel Beachtung der heutigen Grundstücksgrenzen zeigt, zur Rekonstruktion der älteren Verhältnisse in Spech- daß die Teilung über die 1787 noch gar nicht bach. Alle alten Hofgüter außer den genannten schul- grundstücksmäßig voneinander abgegrenzten einzel- deten den Ortsherren Fastnachtshühner und Ernthüh- nen Träger der Fallgüter weit hinausgegangen ist. In ner. Das Fastnachtshuhn ist gleichzeitig der Nachweis, der Regel sind die auf der Karte eingetragenen, durch daß das betreffende Hofgrundstück fallpflichtig ist. das Zeichen verbundenen wirtschaftlichen Ein- Der Fall bedeutet die im Todesfall des Inhabers fällige heiten 1787 inzwischen durch Grundstücksgrenzen Abgabe des besten Stücks Vieh oder des besten Klei- voneinander getrennt. Aus den Scheuern wurden selb- des, also eines Besthaupts. Dieses Besthaupt wird aber ständige Kleinbauernstellen. Landwirtschaftliche Ne- unabhängig von der Leibeigenschaft des Hofinhabers bengebäude sind in großer Zahl und wesentlich kleine- fällig, ist also mit der Grundherrschaft verbunden. ren Abmessungen hinzugekommen. Erst die Entwick- Leibeigenschaftsabgaben müssen obendrein entrichtet lung bis etwa 1900 hat aus Spechbach das dicht be- werden, also möglicherweise noch ein zweites Best- baute Dorf gemacht, wie es sich heute darbietet und haupt. Der Ausdruck »Fallgut« steht in Spechbach wie dessen weitere Ausdehnung dann die alten Ettergren- im gesamten Unterneckargebiet nicht im Gegensatz zen überschreiten mußte. zum »Erblehen«, er meint nicht das mit dem Tod des Allerdings ist zu beobachten, daß die Entwicklung Inhabers endende Pachtverhältnis zum Grundherrn, dorthin sich nicht nur auf den Flächen der alten Fallgü- sondern die Belastung mit grundherrlichen Abgaben ter abgespielt hat. Sondern gerade das 18.Jahrhundert im Todesfall.

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hat für die Ansiedlung von nicht an den Fallgütern erb- Die konfessionelle Gespaltenheit Spechbachs macht berechtigten Bevölkerungsteilen alle übrigen Möglich- ganz deutlich, daß die Schulen Angelegenheit der keiten innerhalb des Etters genutzt. Das war haupt- kirchlichen Gemeinden waren. Ein selbständiges sächlich im Besitz der Gemeinde befindliches Land, die Schulhaus hatten nur die Reformierten, die zahlenmä- als Allmendflächen geltenden Wege und randlich daran ßig kleinste, aber lange vom Landesherrn protegierte schließende schmale Böschungen. Die so auf Gemein- Gruppe. Der Platz mußte freilich mit dem Pfarrhaus deland seit 1740 erstellten neuen Häuser sind im Lager- 1707 geräumt und der Unterricht in ein 1748 neuange- buch von 1787 daran erkennbar, daß sie keine Fast- kauftes Gebäude neben der protestantischen Kirche nachts-, sondern Rauchhühner zahlten, also von der verlegt werden. Die Katholiken nutzten das Pfarrhaus, Fallspflicht frei blieben. Sie liegen ganz bevorzugt in das vielleicht auch nicht an der ursprünglichen Stelle, den Gabelungen, wo Seitenwege von der Hauptstraße sondern im Bereich eines einstigen Fallguts unterge- des Orts abzweigen und an den äußersten Rändern der kommen war. Die Lutheraner, die bodenständige Kon- Besiedlung. Freie Plätze im Inneren des Dorfes gab es fession, blieben lange ohne Schule. Eigentlich müßte fortan kaum mehr. Daß auch diese Tendenz im 19.Jahr- man die Zehntscheune in der Nähe des Wittumhofes hundert anhielt, zeigt sich an der engen Bebauung des vermuten. Da aber das Wittum infolge Verpachtung Allmendgeländes am nordwestlichen Ortsrand zwischen keine Kontinuität aufweist, hat die kurpfälzische geist- Kirche und Ziegelhütte. Diese ist mit ausgesprochenen liche Administration 1752 aus einem Fallgut heraus ei- Kleinsthäusern zum Teil von vornherein ohne Landwirt- ne neue Zehntscheuer erkauft. Sie ist also nicht Zeuge schaft bebaut. So ist der Spechbacher Ortsgrundriß ein einer weit zurückreichenden Geschichte, wie sich ja gutes Beispiel für den anderwärts deutlicher in einer ge- insgesamt in Spechbach viel besser die Fallgüter als minderten Rechtsstellung zu greifenden Ausbau auf die unmittelbar grundherrschaftlichen und geistlichen Gemeindeland während des 17. und 18.Jahrhunderts Höfe gehalten haben. und eine entfernte Parallele zu den schwäbischen Gnadenhäusern. Freilich konnte sich alles im Realtei- lungsgebiet nicht zu solch klaren Standesgrenzen Literatur (mit Drucken von Quellen): entwickeln. Daß es sich hier weitgehend um späteren Badische Weistümer und Dorfordnungen, I. Pfälzische Weistümer und Zuzug handelt, würde sich bei einer Untersuchung der Dorfordnungen, 1.Reichartshauser und Meckesheimer Zent, bearb. konfessionellen Zugehörigkeit der Häuser auf Gemein- von C.BRINKMANN. 1917, S.312-321. deland noch deutlicher zeigen. Sie haben einen wesent- NEUDECK, H.: Beiträge zur Geschichte von Spechbach (Sammelband lich größeren Anteil an Katholiken unter ihren Inhabern GLA Cw 17091). aufzuweisen als die alten Fallgüter. Die Katholiken stellen in der Kurpfalz insgesamt eine erst im 18.Jahr- Quellen hundert und im ländlichen Bereich durchweg auf nied- zur Rekonstruktion der Entwicklung von Siedlung und Sozialstruktur: riger sozialer Stufe ins Land gekommene Einwanderer- schicht dar. GLA: 43/ Specialia 240 Urkunden 1463-1752; 44/ Urkunden v. Ven- Bleibt noch ein Wort zu den öffentlichen Gebäuden. ningen 1357-1907, v.Zandt 1528-1854; 66/5479 Berain 1787; Verhältnismäßig früh für ein vogtsjunkerliches (dem 229/98820-98971 Akten 1486-1860. landsässigen Adel gehörendes) Dorf ist Spechbach zu Archiv der Freiherren von Venningen zu Neidenstein: Urkunden 1424- 1795. einem Rathaus gekommen. 1675 hat die Gemeinde auf Gemeindearchiv Spechbach: Mess- und Lagerbuch 1717; Waldlager- Grund, den sie einem Fallgutinhaber abkaufte, und zuge- buch 1740. hörigem Weggelände ihr infolgedessen auch verhältnis- mäßig groß geratenes Rathaus errichtet. Gewisse Selb- ständigkeit gegenüber den Vogtsjunkern dürfte sich hier auch deswegen entwickelt haben, weil die Herrschaft 10. Brühl, Rhein-Neckar-Kreis nicht im Ort wohnte, dort kein Schloß oder auch nur Amtshaus hatte. Das zeigt sich auch darin, daß die Schä- Brühl ist heute Stadtrandgemeinde unmittelbar süd- ferei samt dem Schafhof ganz in der Hand der Gemeinde lich des Mannheimer Hafen- und Industriegebietes war. Neben der Schäferei hatte die Gemeinde mit der Rheinau und infolgedessen schon lange im Sog städti- 1787 neuerbauten Ziegelhütte einen weiteren eigenen scher Ballungstendenzen. Das eigentliche Brühl ohne Wirtschaftsbetrieb. Alte Tradition hatten dagegen das Nebenorte zählte 1875: 1085, 1961: 5403 Einwohner. Badehaus und das Hirtenhaus, letzteres ist in vielen Es ist aber keineswegs wie die anderen Großdörfer in ärmeren Dörfern lange das einzige gemeindeeigene Ge- der Umgebung Mannheims Altsiedelort, sondern aus bäude geblieben. Noch im 1725 aufgezeichneten Weis- sehr kleinen, erst hochmittelalterlichen Anfängen er- tum wird eine wohl mittelalterliche Badeordnung wie- wachsen. Die Ortslage ist dadurch gekennzeichnet, dergegeben, obwohl die Aufklärungszeit dem Baden kei- daß Brühl zwar die längs der Rheinaue überall neswegs wohlgesonnen war. charakteristische Position am Hochuferrand einnimmt, dieser

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Hochuferrand hier aber dadurch gestört ist, daß der es gerade 100, 1777 bereits 221. Die eigentliche Dorf- Leimbach durch ihn seinen Weg in die Niederung fläche innerhalb des hier nur undeutlich bezeugten suchte und nach der Durchbrechung des Hochufers Etters fällt aus der sonstigen Besitzaufteilung der Ge- nochmals in einer Schlinge nach Norden einen markung heraus. Hier war nahezu der ganze Grund Uferwall umfloß, bevor er in einen Rheinarm einmün- und Boden dem Kirchenheiligen zinsbar. Solche Zins- dete. Dieser zeichnet sich noch in den Gemarkungs- pflicht kann nicht vor Gründung der allem Anschein grenzen gegen Schwetzingen ab. Die Störung des nach erst spätmittelalterlichen (erstmals 1435 Hochufers bewirkte, daß nur hier bei Brühl die alte von genannten) Kapelle entstanden sein. Sie geht vermut- Süden kommende Hochuferstraße für kurze Strecken lich auf die Stiftung durch die Grund- und Ortsherren in die Niederung hinabstieg, um nach Überquerung des zurück. Das Kirchengrundstück (Nr. 12) liegt im Baches am nördlichen Scheitelpunkt seiner Schlinge Südteil des Orts in dem Bereich, der erst allmählich wieder das Hochufer zu gewinnen. An diesem Punkt bebaut wurde, während man die beiden ursprünglichen bildete sich das alte Zentrum von Brühl aus. Hofgüter mehr im Norden an der Wegekreuzung Der Ort begegnet erstmals 1157 in einer Urkunde suchen muß, wo auch noch 1771 die großen Parzellen des Bischofs von Speyer, der damals den Hof Brnvele anzutreffen sind. Diese Kreuzung war dadurch be- an sein Domkapitel gab. Trotz der etwas ungewöhn- sonders interessant, daß ihre Ost-West-Achse die alte lichen Schreibung dürfte aus allen späteren Nennungen von Ladenburg und der Bergstraße herkommende des Orts hervorgehen, daß der Ortsname als Brühl = Geleitstraße bildete, die bald südlich Brühl auf dem Wiesenland in herrschaftlichem Besitz zu erklären ist. Hochufer nach Speyer und Straßburg weiterführte. Er wurde also von unten auf das Hochufer übertragen. Diese Lage machten sich die auffallend zahlreichen Offensichtlich handelt es sich zunächst um ein einzel- Brühler Wirtshäuser zunutze; so sind vier Eckgrund- nes, erst im Hochmittelalter durch Rodung angelegtes stücke an der Kreuzung 1771 durch die Gasthäuser grundherrschaftliches Hofgut. Das Gut kam vom Spey- zum Goldenen Adler (2), zum Karpfen (3), zum Gol- erer Domkapitel vielleicht schon bald nach der Erst- denen Ochsen (43) und zum Goldenen Pflug (50) be- nennung an Kloster Maulbronn und wurde 1268 zu setzt. Sonst gibt es im Dorf noch ein weiteres Gasthaus dessen Gunsten noch um den Besitz einer Nieder- zum Goldenen Löwen (37). Diese Überbesetzung mit adelsfamilie vermehrt. Es war 1326 bereits wieder in Gasthäusern erklärt sich aus der Verkehrslage, die al- der Hand des Domkapitels, nachdem die Zisterzienser lerdings zur Zeit der Planaufnahme infolge des gerade den Eigenbau, der vielleicht von der benachbarten einsetzenden Chausseebaus und dessen Ausrichtung Grangie Ketsch her betrieben wurde, aufgegeben hat- auf Schwetzingen ins Hintertreffen geriet. Am Grund- ten. Das Domkapitel gab den Besitz als Lehen an den stück des Adlers sieht man noch, daß dieses Gasthaus Niederadel aus mit dem Ergebnis, daß ¾ des Orts um erst spät und gezielt an diese Stelle kam, es ist nämlich 1400 an die Herren von Handschuhsheim kamen. Das Tauschgrundstück für Nr. 14 und lag ebenso wie die restliche Viertel, vielleicht altes adliges Allod, wahr- Hofreite 1 außerhalb des frühen Dorfetters im Bereich scheinlicher aber erst abgelöstes oder vergessenes Le- der Feldmark, wie die Zinsbelastung an das Speyerer hen, wurde 1426 durch Hans von Helmstatt an Kur- Domkapitel deutlich macht. Besonders groß war das pfalz verkauft. Diese zog 1600 nach dem Aussterben Grundstück des Karpfen, nach aller Wahrscheinlich- der Handschuhsheimer ¼ des Grundbesitzes und wi- keit der Platz des ursprünglichen Hofes. derrechtlich die gesamte Ortsherrschaft als heimge- Die Parzellenaufteilung ist im ganzen sehr ungleich fallenes Lehen ein. und zeigt vor allem im Süden des Orts schon die Auf die Herrschaftsrechte leistete Speyer erst 1709 Spuren einer sich verschachtelnden Unterteilung. Hier Verzicht. Der Grundbesitz war ihm zu ¾ infolge einer wurden die Anwesen mehrfach geteilt, und es sind of- Verpfändung durch die Nachfolger der Herren von fensichtlich auch nachträglich noch zusätzliche Hof- Handschuhsheim wieder zugefallen. Infolgedessen war reiten für die zahlreichen ärmeren Beisitzer geschaffen die kleine Brühler Gemarkung noch Ende des 18.Jahr- worden. Außer den drei großen Wirten waren die übri- hunderts nahezu völlig in regelmäßigen Streifen zwi- gen Brühler arm und versteuerten meist erheblich schen dem kurpfälzischen und dem domstiftisch spey- weniger als 50 fl. Von den insgesamt 50 Parzellen im erischen Erbbestandsgut aufgeteilt. Diese Flurauftei- Bereich innerhalb des Etters blieben 11 als Gärten un- lung ist ein sicheres Zeichen dafür, daß Brühl ur- bebaut, davon 4, obwohl sie in ihrem Zuschnitt durch- sprünglich einheitliches Hofgut in herrschaftlichem aus den sonstigen Hausplätzen entsprachen (14, 28, 44 Besitz war. Kenntnis geben davon ein primitiver Orts- und 46). Das Brunnengäßchen (30) wurde auch als plan samt zugehörigem Lagerbuch im Gemeindear- Grundstück mitgezählt, während das gemeine Gässel chiv. (zwischen 21 und 23) keine Grundstücksnummer Bei solcher Sachlage kann die Siedlung selbst nur erhielt. Außer diesen 5 unbebauten Grundstücken gab aus sehr kleinen Anfängen erwachsen sein und dürfte es noch 7 Gärten, die zu nicht unmittelbar anstoßenden sich in der Frühneuzeit im wesentlichen erst nach dem Häusern gehörten und mit anderen Häusern und Gar- Dreißigjährigen Krieg zum Dorf entwickelt haben. Für tenparzellen im Gemenge lagen, also aus Teilung her- 1652 sind ungefähr 35 Einwohner zu errechnen, 1727 vorgingen (20-17; 23-26; waren

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Karte 10: Gemarkung von Brühl 1771. Nach KB Heidelberg-Mannheim 3 (1970) S.443

31-34). Die noch gemeinsamen Hofreiten für die Häuser Das Kirchengrundstück legt seinerseits noch einmal 31, 39 und 40 illustrieren zusätzlich den Vorgang der Zeugnis von der bewegten Herrschaftsgeschichte des Teilung. Noch ohne Teilung waren auf einem Grund- Orts ab. Auf ihm befanden sich zwei Kirchen: die von stück mehrere Häuser entstanden, nämlich auf dem der der Kurpfalz dem reformierten Bekenntnis zugeführte Gemeinde (Nr. 45), worauf sich zwei Hirtenhäuser unter verfallene Kapelle und die erst unter den katholischen einem Dach und ein weiteres zinsbares Häuschen Kurfürsten 1749 wieder zugestandene katholische Kir- befanden. Charakteristischerweise liegt dieses Gemein- che. Sie hatte als einzige für den Gottesdienst Bedeu- deland bereits ganz in der Niederung, ist also erst spät tung, weil es der Pfalz im 16.Jahrhundert nicht gelun- bebaut worden. Innerhalb des eigentlichen Ortsbereichs gen war, die Einwohnerschaft, die ja weiter in die ka- verfügte die Gemeinde nur über die Wege und mußte so tholische Pfarrei Ketsch gehörte, zu ihrem Bekenntnis ihr Wachthaus (Nr.4) auf die Dorfstraße stellen. Auf hinüberzuziehen. Folge dieser Teilung war auch, daß dem Kirchengrundstück war zusätzlich die gemeine das unbebaute Stück des Kirchengrundstücks dann mit Schmiede untergebracht. seinen Bodenzinsen der Pflege Schönau zugeschlagen

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wurde und so wenigstens dem reformierten Kirchen- 1905 bestand Bahnanschluß. Auf Brühler Gemarkung vermögen zugute kam. selbst setzte die Industrialisierung 1850/60 mit zu- Die Übertragung der Verhältnisse vom Ende des nächst kleinen Ziegeleien ein, die infolge der Mann- 18.Jahrhunderts auf eine moderne Grundkarte läßt am heimer und Rheinauer Baukonjunktur einen förm- Beispiel Brühl ablesen, wie sich der Ortskern verdichte- lichen Boom erlebten. Unmittelbar östlich der alten te und erweiterte. Zunächst wurden um 1800 die noch Ortsumgrenzung in der Kirchstraße zeichnet sich diese unbebauten Grundstücke längs der Dorfstraße, soweit Entwicklung in der Grundkarte ab. Auch hier entstan- sie das zuließen, mit Häusern besetzt und alte Einheiten den die Gewerbe- und Wohngebiete in der Richtung weiter geteilt. Allmählich gerieten in diesen Sog auch der alten Parzellen des 18. Jahrhunderts, die aber die Höfe der großen Wirtshäuser. Dabei lieferte der längst aufgeteilt waren. Erst die Wohnbebauung im Karpfen das Gelände für eine ganze Gasse und das 1866 Norden längs der Mannheimer Straße hat diese alt- errichtete Rathaus. Die ersten bescheidenen Erweite- überkommene Parzellenrichtung überwinden müssen rungen außerhalb Etters mit ausgesprochen kleinen An- und dort von der letzten Jahrhundertwende mehr und wesen der unteren Bevölkerungsschichten liegen im mehr eine planmäßige Baulanderschließung erfordert, Bereich des Gemeindeguts in der Niederung (Mühlgasse die in ihrer Masse außerhalb des Kartenausschnitts und Ketscher Straße), wo allerdings die angrenzende bleibt. Schwetzinger Gemarkung mit der Mühle sehr bald Halt gebot. Die Anlage der Neugasse am Anfang des 19.Jahrhunderts ermöglichte die Bebauung der großen Literatur: Parzelle 16 am südlichen Ortsrand und bald auch schon des gegenüberliegenden Ackerstreifens mit typischen KNAUS, O.: 800 Jahre Brühl. 1957. Kleinbauernhäusern. Die Grundstücke sind hier schon SEYFRIED, E.: Heimatgeschichte des Bezirks Schwetzingen. 1925, gleichmäßig parzelliert, was bei den geschlossenen Be- S. 345-361. sitzverhältnissen recht unproblematisch war. Ebenso zeigt die Görngasse westlich des Hochuferrandes die Quellen: späte und geplante Aufteilung eines zuvor bereits par- zellierten Geländes. Hier gibt es bereits Anwesen, die zur Rekonstruktion der Entwicklung von Siedlung und Sozialstruktur: keine landwirtschaftliche Nutzung mehr erkennen las- Gemeindearchiv Brühl (vgl.: Inventar des Gemeindearchivs Brühl, sen. bearb. von H.WEBER. 1955): Bes. B 81 Lagerbuch 1771; K 1 Um die letzte Jahrhundertwende entwickelte sich die Ortsplan 1803. Arbeiterschaft zum dominierenden Element in Brühl. GLA: 43/ Specialia 18-18a Urkunden 1545; 66/4377 Berain von 1721; Mannheim war das Ziel zahlreicher Auspendler, ab 229/13608-13759 Akten 1570-1857.

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HISTORISCHER ATLAS VON BADEN-WÜRTTEMBERG: Erläuterungen Herausgegeben von der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg 11. Lieferung 1988 Druck der Erläuterungen: Offizin Chr. Scheufele, Stuttgart Kartographie: Günter Koch, Nr. 7-8, Ludwig Schwarzenbek, Nr. 10-11 Eugen Reinhard. Nr. 2, 6 u. 9 wurden photomechanisch reproduziert.