S. BERGEMANN / OSTKREUZ Nina und Eva-Maria Hagen (1976)

Es gab zwar keine modi- sche Kleidung in der DDR zu kaufen, aber es gab die Modefotografie. Motto: Die Mode ist tot, es lebe die Mode. „Die Mauer stand. Der Alltag wirkte grau. Das Fernsehen der DDR nahm kaum einer ernst, es gab kei- ne internationalen Filme, keine westlichen Zeitschrif- ten.Wo sollten sich die Leu- te informieren? Woran soll- ten sie sich erfreuen?“ So

fragt der Fotograf Arno Fi- MAHLER / OSTKREUZ U. scher, der für die „Sibylle“ Primaballerina Jutta Deutschland (1981) arbeitete, und kommt zu dem Schluß: „Oft haben wir Einige Aufnahmen fallen Träume verkauft, wohl weil aus dem Rahmen der wir selbst geträumt haben.“ bloßen Modefotografie. In Geträumte Bilder aus drei der Serie „Allerleihrauh“ Jahrzehnten DDR also. Auf (1988) von Sibylle Berge- dem Titelfoto Schauspielerin mann werden moderne

Katharina Thalbach mit ei- E. MEINKE Königstöchter vorgestellt. nem Kuchenstück, das ihr of- Modeszene (1981) Wie in dem Märchen der fensichtlich nicht schmeckte. Models für „Sibylle“: Abgelegte Hosen und Gebrüder Grimm tragen sie In dem Band finden sich Jacken von der Tante aus dem Westen Mäntel aus „tausenderlei noch weitere Porträts be- Pelz und Rauhwerk“, und kannter DDR-Künstlerinnen: die Schrift- Die eigentlichen Modefo- wie in dem Märchen, in dem stellerinnen , , tos aus drei Jahrzehnten sind es um Inzest, Verrat und Irmtraud Morgner und Monika Maron – heute nur interessant, wenn Liebe geht, erscheinen die

fotografiert von . Die Sängerin- sie etwas über sa- S. BERGEMANN / OSTKREUZ jungen Frauen – so un- nen Barbara Thalheim und Tamara Danz, gen, wenn ein Porträt es ver- Katharina Thalbach (1974) glücklich mögen Tausende die „Solo Sunny“-Darstellerin Renate Kröß- mag, nach 30 oder mehr Jah- gewesen sein, die ein Jahr ner – aufgenommen von . Siby- ren zu berühren oder Erinnerungen zu später vor dem allmächtigen Vater (Staat) lle Bergemann gelang 1976 ein Porträt von wecken. Solche Bilder gibt es in dem Band, flüchteten. Nina und ihrer Mutter Eva-Maria Hagen aber auch andere, beliebige, austauschbare. Die Modefotografie entpuppte sich für mit nackten Schultern, so unschuldig, als Auffällig ist die Melancholie vieler Bilder. viele talentierte Fotografen in der DDR als säßen die beiden Rebellinnen in der Bade- Die Frauen posieren nachdenklich, ver- eine Nische im System. Individualität wur- wanne. träumt, manchmal bockig vor der Kamera. de zugelassen, „wenn sie nicht störte“ (Fo- tograf Rudolf Schäfer). Die „Sibylle“ brachte die Mode aus Paris, Mailand, Rom Grit Poppe und New York, gefiltert durch die Mauer gehörte 1989/90 zu den Bürgerrechtlern der DDR. und kontrolliert durch das ZK der SED, an Sie lebt in und veröffentlichte kürzlich die DDR-Bürgerin. den Roman „Andere Umstände“ (SPIEGEL Dabei orientierten sich die Fotografen so- 35/1998). Anhand der Dokumentation „Sibylle – wohl an westlichen Zeitschriften („Elle“, Modefotografie aus drei Jahrzehnten DDR“, die „Marie Claire“, „Vogue“, „Life“, „Stern“, diese Woche erscheint, erinnert sich die Schrift- „Harper’s Bazaar“) als auch am in der DDR stellerin Poppe, 34, an längst vergangene Zeiten propagierten Frauenbild. Nicht mondän und und ihre Kleider*. Die Zeitschrift „Sibylle“ exi- stierte noch bis 1995. * (Hrsg.). Schwarzkopf & Schwarzkopf

U. MAHLER / OSTKREUZ U. Verlag, ; 320 Seiten; 49,80 Mark.

36/1998 117