Gesellschaft

MODE Verkaufte Träume Drei Jahrzehnte lang gaukelte die Zeitschrift „Sibylle“ den DDR-Frauen modisches Weltniveau vor. Doch die „Brigitte“ des Ostens, an die jetzt ein üppiger Fotoband erinnert, war nur der Spiegel einer verklemmten Möchtegern-Welt. Von Grit Poppe

ode in der DDR? Gab es das denn? Keinen dünnen Fummel mit tiefem Aus- Zu kaufen? Nö. Aber gucken schnitt. Das ist doch ungesund. Mkonnte man schon. Das ja. Zum Schon die jüngsten Erdenbürger beka- Beispiel, von 1956 an, in die „Sibylle“ – men die jeweilige Ordnung am eigenen falls man Glück hatte oder Beziehungen zu Leib zu spüren. Das heißt: Die im Westen einer Verkäuferin im Zeitungskiosk. Die spürten in ihrem watteweichen Luxus VEB Bekleidungswerke stellten eher Prak- nichts oder immer weniger. Denn die Pam- tisches her. Kittelschürzen zum Beispiel. pers saugte und saugte. Die Babys im Die Frauen konnten draufkleckern und Osten hatten’s da viel besser: immer naß, gleich wieder wegwischen. „Unsere“ Frau- immer spürbar erfolgreich, immer einen en brauchen das, erkannte das ZK der SED. Grund zum Schreien.

Und auch die Mütter in der DDR hatten allen Grund zur Freude. Denn sie waren gleichberechtigt, durften ihren Säugling in einer Kinderkrippe abgeben, in einem überfüllten Bus zur Arbeit fahren, am Fließband stehen, an der Werkbank, an der Kasse von HO und Konsum oder vor einer Schulklasse oder auch in einem Zeitungs- kiosk (dabei oft den Kopf schütteln und „Ham wa nich“ sagen), mit dem überfüll- ten Bus zurückkehren, das Kind aus den Händen einer mit weißem Dederonkittel bekleideten Frau nehmen, rasch noch ein- kaufen gehen und zu Hause Mann und Kind versorgen. Die Windeln waschen. Im geblümten Kittel den Abwasch erledigen. Welch ein Glück. Für die Mode blieb das Wochenende oder der Haushaltstag: waschen, bügeln, häkeln, stricken, nähen. Mode in der DDR hieß Improvisieren, Phantasieren. Hieß Schnittmuster. Mangels hochwertiger Stof- fe griff die Frau zu (frischen) Baumwoll- windeln und Bettlaken. Färbte, schnitt, nähte – die Nähmaschine gehörte zum In- ventar. So entstand das Kleid oder die Jacke à la „Sibylle“, wenngleich das Re- sultat mit dem eleganten abgebildeten Ori-

U. MAHLER / OSTKREUZ U. ginal nur noch wenig gemein hatte.

„Sibylle“-Cover (1981), Modefoto (1994) Haute Couture aus Babywindeln S. BERGEMANN / OSTKREUZ Nina und Eva-Maria Hagen (1976)

Es gab zwar keine modi- sche Kleidung in der DDR zu kaufen, aber es gab die Modefotografie. Motto: Die Mode ist tot, es lebe die Mode. „Die Mauer stand. Der Alltag wirkte grau. Das Fernsehen der DDR nahm kaum einer ernst, es gab kei- ne internationalen Filme, keine westlichen Zeitschrif- ten.Wo sollten sich die Leu- te informieren? Woran soll- ten sie sich erfreuen?“ So

fragt der Fotograf Arno Fi- MAHLER / OSTKREUZ U. scher, der für die „Sibylle“ Primaballerina Jutta Deutschland (1981) arbeitete, und kommt zu dem Schluß: „Oft haben wir Einige Aufnahmen fallen Träume verkauft, wohl weil aus dem Rahmen der wir selbst geträumt haben.“ bloßen Modefotografie. In Geträumte Bilder aus drei der Serie „Allerleihrauh“ Jahrzehnten DDR also. Auf (1988) von Sibylle Berge- dem Titelfoto Schauspielerin mann werden moderne

Katharina Thalbach mit ei- E. MEINKE Königstöchter vorgestellt. nem Kuchenstück, das ihr of- Modeszene (1981) Wie in dem Märchen der fensichtlich nicht schmeckte. Models für „Sibylle“: Abgelegte Hosen und Gebrüder Grimm tragen sie In dem Band finden sich Jacken von der Tante aus dem Westen Mäntel aus „tausenderlei noch weitere Porträts be- Pelz und Rauhwerk“, und kannter DDR-Künstlerinnen: die Schrift- Die eigentlichen Modefo- wie in dem Märchen, in dem stellerinnen Anna Seghers, Christa Wolf, tos aus drei Jahrzehnten sind es um Inzest, Verrat und Irmtraud Morgner und Monika Maron – heute nur interessant, wenn Liebe geht, erscheinen die

fotografiert von . Die Sängerin- sie etwas über die Zeit sa- S. BERGEMANN / OSTKREUZ jungen Frauen – so un- nen Barbara Thalheim und Tamara Danz, gen, wenn ein Porträt es ver- Katharina Thalbach (1974) glücklich mögen Tausende die „Solo Sunny“-Darstellerin Renate Kröß- mag, nach 30 oder mehr Jah- gewesen sein, die ein Jahr ner – aufgenommen von . Siby- ren zu berühren oder Erinnerungen zu später vor dem allmächtigen Vater (Staat) lle Bergemann gelang 1976 ein Porträt von wecken. Solche Bilder gibt es in dem Band, flüchteten. Nina und ihrer Mutter Eva-Maria Hagen aber auch andere, beliebige, austauschbare. Die Modefotografie entpuppte sich für mit nackten Schultern, so unschuldig, als Auffällig ist die Melancholie vieler Bilder. viele talentierte Fotografen in der DDR als säßen die beiden Rebellinnen in der Bade- Die Frauen posieren nachdenklich, ver- eine Nische im System. Individualität wur- wanne. träumt, manchmal bockig vor der Kamera. de zugelassen, „wenn sie nicht störte“ (Fo- tograf Rudolf Schäfer). Die „Sibylle“ brachte die Mode aus Paris, Mailand, Rom Grit Poppe und New York, gefiltert durch die Mauer gehörte 1989/90 zu den Bürgerrechtlern der DDR. und kontrolliert durch das ZK der SED, an Sie lebt in Potsdam und veröffentlichte kürzlich die DDR-Bürgerin. den Roman „Andere Umstände“ (SPIEGEL Dabei orientierten sich die Fotografen so- 35/1998). Anhand der Dokumentation „Sibylle – wohl an westlichen Zeitschriften („Elle“, Modefotografie aus drei Jahrzehnten DDR“, die „Marie Claire“, „Vogue“, „Life“, „Stern“, diese Woche erscheint, erinnert sich die Schrift- „Harper’s Bazaar“) als auch am in der DDR stellerin Poppe, 34, an längst vergangene Zeiten propagierten Frauenbild. Nicht mondän und und ihre Kleider*. Die Zeitschrift „Sibylle“ exi- stierte noch bis 1995. * Dorothea Melis (Hrsg.). Schwarzkopf & Schwarzkopf

U. MAHLER / OSTKREUZ U. Verlag, ; 320 Seiten; 49,80 Mark.

der spiegel 36/1998 117 damenhaft, sondern „natürlich und klug sollten die Frauen wirken“ (Günter Rössler) – dafür wurden auch schon mal Miniröcke fototechnisch verlängert oder pessimistische Mundwinkel retuschiert. Die „Sibylle“ woll- te beraten und Anregung geben. Die Frauen – 90 Prozent waren be- rufstätig, viele durch Haushalt und Familie doppelt belastet – sollten sich bloß nicht ge- henlassen. Die Fotos suggerierten: So könn- test du auch aussehen, wenn du dir ein bißchen mehr Mühe gibst. Die Modefoto- grafie sollte also nicht nur anregen und un- terhalten – sie sollte auch erziehen. Die Idealfrau des sozialistischen Staates DDR war verheiratet, hatte zwei Kinder, einen Ganztagsjob und war Mitglied in der SED. Natürlich mußte sie gut aussehen. Und dazu gehörte auch eine gesunde Haut, eine passende Frisur, die nichts Unge- wöhnliches haben durfte, und eine prak- tisch-schöne Bekleidung. „Man“ wünschte sich keine Modepüppchen, aber schon gar keine Vamps. Die Frauen sollten möglichst brav sein und angepaßt. Kritikerinnen des Systems, Feministin- nen, „Schlampen“, „Asoziale“, Lesben, alleinerziehende Mütter, Alkoholikerin- nen, straffällig gewordene Frauen, Behin- derte und Kranke störten die ersehnte Har- monie und tauchten natürlich auch in den Modeheften nicht auf. „Die Modefotografie diente der Dar- stellung von angestrebten, harmonischen menschlichen Beziehungen zwischen Mann und Frau, Mutter und Tochter, in- takten Familien und aktiven, selbstbewuß- ten Frauen“, schreibt Dorothea Melis, die Herausgeberin des Buches und ehemalige Redakteurin der „Sibylle“. Eine Möchtegern-Welt, ein Wunschbild im Scheidungsland DDR. Dabei diente die fotografierte Mode des Westens als Anre- gung, gleichzeitig grenzte man sich ab von „der Verherrlichung des Luxus und des Wohlstands“. Die meisten Leute teilten diese Haltung wohl kaum. Glücklich, wer die abgelegten Hosen und Jacken der Tan- te oder des Onkels aus dem Westen tragen oder mit Devisen im Intershop einkaufen konnte. Auch der DDR-Staat hatte keine Bedenken, Luxusartikel anzubieten, wenn es darum ging, Geld „abzuschöpfen“. Exquisit-Läden für die Besserverdie- nenden entstanden in den siebziger Jahren, und in der Modebranche der DDR herrsch- te sogenannte Aufbruchstimmung. Diesmal ging es darum, Mode nicht nur zu entwer- fen und zu fotografieren, sondern tatsäch- lich zu verkaufen. Wen scherte es schon, daß alleinerziehende Mütter, Jugendliche und Rentner das Geld für die neue Mode nie und nimmer aufbringen konnten? Für die jungen Leute gab es ja immerhin die „Jugendmode“, und sogar Levi’s, Wrangler und Lee bekamen Ost-Konkur- renz. Allerdings traute sich wohl kaum ein Teenager mit Wisent- oder Boxer-Jeans in die Disko. ™

der spiegel 36/1998