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Deutscher Bundestag 4. Wahlperiode Drucksache IV/ 3124

Der Bundesminister der Justiz Bonn, den 26. Februar 1965 — 4011/6 — 1 — 20 466/65 —

An den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages

Betr.: Bericht über die Verfolgung nationalsozialistischer Straf- taten Bezug: Beschluß des Deutschen Bundestages vom 9. Dezember 1964 — Drucksache IV/2823 —

Entsprechend dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom 9. Dezember 1964 lege ich den anliegenden Bericht über die Verfolgung nationalsozialistischer Straftaten vor.

Dr. Bucher

Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode Drucksache IV/3124

Bericht über die Verfolgung nationalsozialistischer Straftaten

Inhaltsübersicht Seite

A. Einleitung 5

B. Strafverfolgung durch die Besatzungsmächte 6

I. Der Internationale Militärgerichtshof in Nürnberg 6

II. Die Verfahren vor den Gerichten der einzelnen Besatzungsmächte 7 1. Gerichte der Vereinigten Staaten von Amerika 7 2. Britische Gerichte 9 3. Fr anzösische Gerichte 10 4. Sowjetrussische Gerichte 10

III. Gnadenerweise in den drei westlichen Besatzungszonen 11

IV. Die Regelung des Überleitungsvertrages 11

C. Strafverfahren im Ausland 12

D. Strafverfolgung durch deutsche Justizbehörden in der sowjetischen Besat- zungszone und dem Sowjetsektor von 13

I. Statistik 13

II. Die Waldheim-Prozesse - 15

III. Die sowjetzonale Justiz ab 1951 15

IV. Das sowjetzonale Gesetz zur Verlängerung der Verjährungsfrist vom 1. September 1964 15

E. Strafverfolgung durch Gerichte und Staatsanwaltschaften in der Bundesrepu blik Deutschland 16

I. Beschränkungen der deutschen Gerichtsbarkeit 16

II. Verurteilungen nach Kontrollratsgesetz Nr. 10 16

III. Verfahren nach deutschem Strafrecht 17

IV. Auslieferung von ins Ausland geflüchteten Tätern 19

V. Der Stand der Verfahren, gegliedert nach folgenden Tatkomplexen: 20 A. Ausschaltung politischer Gegner nach der Machtübernahme 20 B. Straftaten anläßlich der sogenannten Röhm-Revolte 1934 20 C. Verfahren wegen Straftaten in Konzentrationslagern 21 1. KZ Auschwitz 21 2. KZ Belzec 21 3. KZ Bergen-Belsen 21 4. KZ Buchenwald 21 5. KZ Dachau 22 Drucksache IV/3124 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode

Seite 6. KZ Dora „Mittelbau" bei Nordhausen 22 7. KZ Emslandlager (Esterwegen/Papenburg) 22 8. KZ Flossenbürg 23 9. KZ Groß-Rosen 23 10. KZ Hinzert 23 11. KZ Neue Bremm 23 12. KZ Kulmhof (Chelmno) 23 13. KZ Majdanek 23 14. KZ Mauthausen 23 15. KZ Natzweiler-Strutthof 24 16. KZ Neuengamme 24 17. KZ Ravensbrück 24 18. KZ Sachsenhausen-Oranienburg 24 19. KZ Sobibor 24 20. KZ Stutthof 24 21. KZ Treblinka 25 22. Andere Konzentrationslager 25

D. Sogenannte „Kristall-Nacht" im November 1938 25 E. Euthanasie-Aktionen 25 F. Oberste Reichsbehörden sowie Dienststellen der NSDAP und ihrer Gliederungen, insbesondere das Reichssicherheitshauptamt 26 G. und -kommandos, deutsche Dienststellen in Polen und Rußland 32 H. Taten im übrigen Ausland 32 J. Straftaten gegen Kriegsgefangene 33 K. Tötung deutscher Soldaten ohne gerichtliches Verfahren 33 L. Tötung von Widerstandskämpfern 33 M. Denunziationen 33 N. Verbrechen an Fremdarbeitern 33 O. Taten kurz vor und nach dem Zusammenbruch 1945 33 P. Sonstige Verfahren 33 Q. Vorwürfe gegen Richter und Staatsanwälte 34

VI. Die Auswertung inländischer und ausländischer Archive 34

F. Die Aufrufe der Bundesregierung vom 20. November 1964 und des Deutschen Bundestages vom 9. Dezember 1964 36

1. Wortlaut der Aufrufe 36

2. Einzelanzeigen 36

G. Ergebnis 37 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode Drucksache IV/3124

A. Einleitung

Am 9. Dezember 1964 hat ,der Deutsche Bundestag zu berichten, ob in allen in Betracht kommen- folgenden Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und den Mordfällen Ermittlungen eingeleitet sind der SPD vom 8. Dezember 1964 (Drucksache IV/2823) und die Unterbrechung der Verjährung angenommen: sichergestellt ist; gegebenenfalls, ob die In voller Anerkennung der von den Staatsan- Bundesregierung bereit ist, die Frage der waltschaften und Gerichten zur Verfolgung und Verjährungsverlängerung rechtzeitig ge- Aufklärung der Massenmorde in der NS-Zeit meinsam mit dem Deutschen Bundestag zu geleisteten Arbeit und in besonderer Würdi- prüfen, falls sie zu der Überzeugung gelangt, gung der von der Zentralen Stelle in Ludwigs- daß auf andere Weise eine Strafverfolgung burg vorgenommenen Überprüfung mit dem solcher Mordtaten nicht gesichert werden Ziel, diese Mordtaten zu sühnen und alle dafür kann. Verantwortlichen und daran Schuldigen der ge- Auf Grund dieses Beschlusses des Bundestages rechten Bestrafung zuzuführen, fordert der hielt der Bundesminister der Justiz bereits zwei Deutsche Bundestag eine verstärkte und be- Tage später, also am 11. Dezember 1964, eine Be- schleunigte Fortsetzung dieser Anstrengungen, sprechung mit den Justizministern und -senatoren um in allen erfaßbaren Fällen eine rechtzeitige von neun Ländern ab. In dieser herrschte Überein- Unterbrechung der Verjährung zu erreichen. Er stimmung in folgenden Punkten, über die bereits schließt sich dem Aufruf der Bundesregierung am 20. November 1964 eine Vorbesprechung statt- vom 20. November 1964 nachdrücklich an und gefunden hatte: hofft, daß alle, bei denen sich Material zur Auf- klärung solcher Mordtaten befindet, es um- i. Das gesamte Dokumentationsmaterial über gehend den deutschen Behörden zur Verfügung Mordtaten aus der NS-Zeit soll so rasch wie stellen. möglich systematisch ausgewertet werden.

Deshalb wird die Bundesregierung aufgefordert, 2. In diese Prüfung ist alles Material einzubeziehen, unverzüglich mit den Regierungen der Bundes- das länder Verhandlungen aufzunehmen mit dem Ziel, ein Abkommen folgenden Inhalts zu er- a) im Gebiet der Bundesrepublik vorhanden und reichen: noch nicht vollständig gesichtet ist, b) Laus den Archiven der sowjetisch besetzten 1. Das gesamte Dokumentationsmaterial über Zone erreichbar ist, Mordtaten aus der NS-Zeit wird systematisch ausgewertet. c) aus dem Ausland, insbesondere den osteuro- päischen Ländern, beschafft werden kann. 2. In diese Prüfung ist alles Material einzube- ziehen, soweit es 3. Die systematische Auswertung wird der Zentra- a) im Gebiet der Bundesrepublik vorhanden len Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Auf- und noch nicht vollständig gesichtet ist, klärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg übertragen. b) aus den Archiven der sowjetisch besetz- ten Zone erreichbar ist, Deren Zuständigkeit soll auch auf Taten mit in- nerdeutschem Begehungsort erstreckt werden, c) aus dem Ausland, insbesondere den ost- europäischen Ländern, beschafft werden ausgenommen den Komplex Reichssicherheits- hauptamt, der in der Zuständigkeit des General- kann. staatsanwalts beim Kammergericht in Berlin ver- 3. Die 'systematische Auswertung wird durch bleiben soll, 'sowie der bereits bei den Staats- eine zentrale Stelle der Landesjustizverwal- anwaltschaften anhängigen Verfahren. tungen vorgenommen. Zur Erfüllung ihrer zusätzlichen Aufgaben soll Diese soll ohne Rücksicht auf den Begehungs- die Zentrale Stelle personell verstärkt werden. ort zuständig sein für die Untersuchung aller Mordtaten einschließlich Anstiftung und Bei- Die Zentrale Stelle soll umgehend mit den pol- hilfe im Bereich der Behörden und Dienst- nischen Behörden wegen der Auswertung der in stellen ,der früheren deutschen Reichsregie- polnischem Besitz befindlichen Urkunden in Ver- rung und nationalsozialistischen Spitzen- bindung treten. organisationen. 4. Die Landesjustizverwaltungen werden den Bun- 4. Der Bundesminister der Justiz wird beauf- desminister der Justiz rechtzeitig über alle Tat- tragt, bis zum 1. März 1965 dem Bundestag sachen unterrichten, deren Kenntnis für die Er- Drucksache IV/3124 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode

stattung des vom Deutschen Bundestag ge- bereits anhängige Strafverfahren weit über den wünschten Berichts erforderlich ist. 8. Mai 1965 hinaus nicht nur wegen Verdachts des Mordes, sondern auch wegen anderer Ver- Die Landesregierungen haben diesem Abkommen brechen fortgesetzt werden, weil rechtzeitig für zugestimmt. Auch die beiden in der Besprechung die Unterbrechung der Verjährung gesorgt worden vom 11. Dezember 1964 nicht vertretenen Länder ha- ist. Dies ist in weiten Kreisen des In- und Auslands ben nachträglich ihre Zustimmung zu den gefaßten unbekannt. Darüber hinaus kann die Frage, welche Beschlüssen erklärt. Komplexe nationalsozialistischer Straftaten noch der Damit dürfte der Auftrag des Bundestages zu Aufklärung bedürfen, nur dann zutreffend beant- Nummer 1 bis 3 des Beschlusses vom 9. Dezember wortet werden, wenn klargestellt wird, was bisher 1964 erfüllt sein. Dem in der Nummer 4 dieses Be- zur Ahndung dieser. Taten unternommen wurde. schlusses erteilten Auftrag entsprechend wird der Hierüber soll der vorliegende Bericht eine möglichst nachfolgende Bericht vorgelegt. umfassende Ubersicht geben. Ein Bericht, der sich darauf beschränken wollte, in Die Zahlenangaben im Abschnitt E Abs. V und die wörtlicher Ausführung der Nummer 4 des Bundes- Mitteilungen im Abschnitt E Abs. VI waren in der tagsbeschlusses nur darzustellen, ob in allen in Be- kurzen, zur Verfügung stehenden Zeit nur auf Grund tracht kommenden Mordfällen Ermittlungen eingelei- umfassender Bemühungen und einer eindrucksvollen tet sind und die Unterbrechung der Verjährung Arbeitsleistung aller Landesjustizverwaltungen und sichergestellt ist, würde kein zutreffendes Bild der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen vom derzeitigen Stand der Verfolgung national- in Ludwigsburg zu beschaffen. Dafür sei ihnen an sozialistischer Straftaten geben. Gegenüber einer dieser Stelle der aufrichtige Dank der Bundesregie- großen Zahl von Personen werden nämlich rung ausgesprochen.

B. Strafverfolgung durch die Besatzungsmächte

Wie bereits in Abschnitt III S. 28 bis 34 der von lungen ,des Staates, der Partei oder der Wirtschaft meinem Hause herausgegebenen und im November tätig gewesen. 1964 allen Abgeordneten des Deutschen Bundestages „Reichsorganisationsleiter" Dr. Robert Ley beging zugeleiteten Broschüre „Die Verfolgung national- vor Beginn der Hauptverhandlung in der Unter- sozialistischer Straftaten im Gebiet der Bundesrepu- suchungshaft Selbstmord. blik Deutschland seit 1945" ausgeführt wurde, be- Das Verfahren gegen Gustav Krupp von Bohlen hielten die Besatzungsmächte nach dem Zusammen- und Halbach wurde wegen Verhandlungsunfähig- bruch die Verfolgung nationalsozialistischer Straf- keit des Angeklagten abgetrennt. taten zunächst ausschließlich sich selbst vor. Von den übrigen 22 Angeklagten wurden 19 durch Urteil vom 1. Oktober 1946 verurteilt, und zwar: I. Der Internationale Militärgerichtshof zwölf zum Tode, nämlich in Nürnberg Martin Bormann, Reichsleiter und Chef der Partei- kanzlei, Auf Grund des am 8. August 1945 in London zwi- , Generalgouverneur von Polen, schen Großbritannien, den Vereinigten Staaten von Wilhelm Frick, Reichsminister des Innern, Amerika, Frankreich und ,der Sowjetunion abge- Hermann Göring, Reichsmarschall, Preußischer schlossenen „Abkommens über die Verfolgung und Ministerpräsident und Reichsluftfahrtminister, Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher der Mächte der Europäischen Achse" wurde der Internationale Alfred Jodl, Generaloberst und Chef des Wehr- Militärgerichtshof in Nürnberg eingesetzt. Er war machtführungsstabes, zwar ein Gericht der vier Mächte (USA, Großbritan- , SS-Obergruppenführer und nien, Frankreich und Sowjetunion), aber kein Be- Chef des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), satzungsgericht. Die Mitglieder des Gerichts und die Wilhelm Keitel, Generalfeldmarschall und Chef Hauptankläger unterstanden unmittelbar ihren Re- des Oberkommandos der Wehrmacht, gierungen, nicht dem Kontrollrat. Joachim von Ribbentrop, Reichsaußenminister, Vor diesem Gerichtshof wurden 24 Personen we- Alfred Rosenberg, Reichsminister für die besetzten gen Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsver- Ostgebiete, brechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit Franz Sauckel, Gauleiter von Thüringen und angeklagt. Außerdem beantragte die Anklage, sechs Reichsbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz, „Gruppen oder Organisationen" für verbrecherisch zu Arthur Seyß-Inquart, Reichskommissar für die erklären. Niederlande, Sämtliche 24 Angeklagten waren während der Julius Streicher, Gauleiter von Franken und Her- nationalsozialistischen Herrschaft in führenden Stel- ausgeber des „Stürmer". Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode Drucksache IV/3124

Drei weitere Angeklagte wurden zu lebenslanger Während der Internationale Militärgerichtshof in Freiheitsstrafe verurteilt: Nürnberg nach dem Vorspruch des Londoner Ab- Walter Funk, Reichswirtschaftsminister, kommens in erster Linie dazu bestimmt war, die Taten von Personen abzuurteilen, „für deren Ver- Rudolf Heß, Stellvertreter des Führers, brechen ein geografisch bestimmter Tatort nicht Erich Raeder, Großadmiral und Oberbefehlshaber gegeben" war, wurde die Verfolgung der übrigen der . Beschuldigten den Gerichten der einzelnen Besat- zungsmächte überlassen. Vier Angeklagte wurden zu zeitigen Freiheits- Rechtsgrundlage dieser Verfahren war das Kon- strafen verurteilt: trollratsgesetz Nr. 10 vom 20. Dezember 1945 (Amts- Karl Dönitz, Großadmiral und Nachfolger Raeders blatt ides Kontrollrats in Deutschland S. 50). Dieses als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, letzter Gesetz hatte — wie es im Vorspruch heißt — den Reichspräsident Zweck „in Deutschland eine einheitliche Rechts- (10 Jahre Freiheitsentzug), grundlage zu schaffen, welche die Strafverfolgung von Kriegsverbrechern und anderen Missetätern Konstantin von Neurath, Reichsaußenminister und dieser Art ... ermöglicht." Reichsprotektor von Böhmen und Mähren (15 Jahre Freiheitsentzug), Artikel II sah vier Tatbestände vor: Baldur von Schirach, Reichsjugendführer und Gau- Verbrechen gegen den Frieden, leiter von Wien Kriegsverbrechen, (20 Jahre Freiheitsentzug), Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Albert Speer, Rüstungsminister Zugehörigkeit zu einer verbrecherischen Orga- (20 Jahre Freiheitsentzug). nisation. Drei Angeklagte wurden freigesprochen: Hans Fritsche, Abteilungsleiter im Reichspropa- 1. Gerichte der Vereinigten Staaten von gandaministerium, Amerika Franz von Papen, Vizekanzler und später deut- Die US-Militärregierung setzte durch Verordnung scher Botschafter in Osterreich und der Türkei, Nr. 7 vom 18. Oktober 1946 Militärgerichte zur Ab- Hjalmar Schacht, Reichsbankpräsident und Reichs- urteilung von Verstößen gegen ,das KRG 10 ein. wirtschaftsminister. Erwähnt seien hier die zwölf Verfahren des Nürn- berger Militärgerichts, Von den zwölf zum Tode Verurteilten wurden in denen gegen insgesamt zehn hingerichtet, Göring beging Selbstmord, Martin 177 Personen verhandelt wurde, die in Partei, Regie- Bormann wurde in Abwesenheit verurteilt. rung, Wehrmacht oder Wirtschaft wichtige Stellun- - gen innegehabt hatten. Die einzelnen Prozesse Von den übrigen Angeklagten befinden sich Heß, waren: von Schirach und Speer heute noch in Spandau in Haft (von Schirach wird zur Zeit wegen eines Augen- 1. Prozeß gegen Ärzte leidens und einer Thrombose in einem britischen Militärlazarett behandelt), Dönitz wurde nach Ver- Angeklagt waren 23 Personen, größtenteils Ärzte, büßung seiner Strafe entlassen, Funk, von Neurath wegen Mitwirkung am „Euthanasie"-Programm, und Raeder sind verstorben. Vornahme von grausamen und lebensgefährlichen Menschenversuchen und Ermordung von KZ-Häft- Von den sechs angeklagten Gruppen wurden drei, lingen zur Anlegung einer Skelettsammlung. nämlich das Führerkorps der Partei, die SS sowie und SD zu verbrecherischen Organisationen Durch Urteil vom 20. August 1947 wurden 7 Ange- erklärt, nicht dagegen die SA, die Reichsregierung klagte zum Tode verurteilt und hingerichtet, dar- sowie OKW und Generalstab. unter Viktor Brack, Oberdienstleiter in der Kanzlei des Führers (Leiter des Euthanasieprogramms), Karl Brandt, der Reichskommissar für das Sanitäts- und Gesundheitswesen, und H. Verfahren vor den Gerichten der einzelnen Wolfram Sievers, Reichsge Besatzungsmächte schäftsführer der Gesellschaft „Ahnenerbe". 5 Angeklagte wurden zu lebenslanger Freiheits- Die in den folgenden Abschnitten 1-4 mitgeteil- strafe verurteilt, ten Zahlen sind teils der Literatur, teils Unterlagen 4 Angeklagte zu zeitigen Freiheitsstrafen, dar- des Bundesministeriums der Justiz und des Aus- unter die KZ-Ärztin Herta Oberheuser. wärtigen Amtes entnommen. Amtliche Zahlen waren bis zur Drucklegung nicht zu erhalten. Soweit die 7 Angeklagte wurden freigesprochen. Zahlen von den Angaben in der Broschüre des Bundesministeriums der Justiz „Die Verfolgung 2. Prozeß gegen Generalfeldmarschall Milch nationalsozialistischer Straftaten im Gebiet der Bun- Generalfeldmarschall Milch wurde durch Urteil vom desrepublik Deutschland seit 1945" (Bonn, Juli 1964) 17. April 1947 wegen Mitwirkung am Kriegs- abweichen, beruht dies auf dem Bekanntwerden rüstungsprogramm (= Zwangsarbeitsprogramm) zu neuerer Unterlagen. lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, von der An- Drucksache IV/3124 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode klage der Beteiligung .an medizinischen Menschen- Von den 10 übrigen Angeklagten wurden durch versuchen dagegen freigesprochen. Urteil vom 19. Februar 1948 List und Kuntze zu lebenslanger, 3. Prozeß gegen Juristen 6 Angeklagte zu zeitigen Freiheitsstrafen ver- urteilt, Angeklagt waren 16 Juristen, von denen einer (Westphal) vor der Hauptverhandlung Selbstmord 2 Angeklagte wurden freigesprochen. beging; 'ein weiterer war nicht verhandlungsfähig. 8. Prozeß gegen Angehörige des Rasse- und Sied- Durch Urteil vom 4. Dezember 1947 wurden 4 An- lungshauptamts der SS und anderer Organi- geklagte zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, sationen nämlich die Staatssekretäre Schlegelberger und Klemm sowie die Vorsitzenden von Sondergerichten Angeklagt waren 14 Angehörige verschiedener Oeschey und Rothaug. 6 Angeklagte erhielten zei- Organisationen, darunter des Rasse- und Siedlungs- tige Freiheitsstrafen, darunter der ehemalige Ober- hauptamtes, der Dienststelle „Reichskommissar für reichsanwalt Lautz; 4 Angeklagte wurden freige- die Festigung des deutschen Volkstums" und des sprochen. „Lebensborn e. V.". Gegenstand der Anklage war unter anderem die 4. Prozeß gegen Angehörige des Wirtschaftsver- Mitwirkung an der Ausrottung von Polen und Juden waltungshauptamts der SS sowie ,der Verschleppung von „rassisch wertvollen" Angeklagt waren außer , dem Leiter Kindern aus den besetzten Gebieten zwecks „Ein- des Hauptamtes, 17 weitere Amtsangehörige, vor deutschung". allem aus der Amtsgruppe D, der die Verwaltung Durch Urteil vom 10. März 1948 wurde der Leiter der Konzentrationslager unterstand. des Amtes „Reichskommissar für die Festigung deut- Oswald Pohl und zwei weitere Angeklagte wur- schen Volkstums", Ulrich Greifelt, zu lebenslanger den durch Urteil vom 3. November 1947 zum Tode Freiheitsstrafe verurteilt, verurteilt; Pohl wurde hingerichtet. 12 Angeklagte erhielten zeitige 'Freiheitsstrafen; 3 Angeklagte 'erhielten lebenslange, die einzige weibliche Angeklagte wurde freige- 9 zeitige Freiheitsstrafen. sprochen. 3 Angeklagte wurden freigesprochen. 9. Prozeß gegen Mitglieder von Einsatzgruppen In diesem Verfahren waren die Leiter der Einsatz- 5. Prozeß gegen Friedrich Flick gruppen A, B und D, , und Friedrich Flick und fünf seiner Mitarbeiter wurden , die Führer verschiedener Einsatz- der Ausnutzung von Zwangsarbeitern und der Aus- kommandos und Offiziere dieser Einheiten wegen raubung von ausländischem Eigentum angeklagt. der Mordaktionen in den besetzten Ostgebieten an- Flick und zwei weitere Angeklagte wurden mit geklagt (vgl dazu die Broschüre „Die Verfolgung Urteil vom 22. Dezember 1947 zu zeitigen Freiheits- nationalsozialistischer Straftaten im Gebiet der Bun- strafen verurteilt, die übrigen drei Angeklagten desrepublik Deutschland seit 1945", Bonn, Juli 1964, wurden freigesprochen. S. 24/25). Durch Urteil vom 10. April 1948 wurden Ohlen- 6. Prozeß gegen die Leitung der IG-Farbenindustrie dorf, Naumann und zwölf weitere Angeklagte zum A.G. Tode verurteilt, davon wurden drei (Ohlendorf, Naumann und Blobel) hingerichtet, die übrigen wur- Angeklagt waren der Vorsitzende des Aufsichts- den begnadigt. Der Angeklagte Strauch wurde später rates, der Vorsitzende des Vorstandes und 21 wei- an Belgienausgeliefert und starb 1955 in belgischer tere Angehörige des Konzerns. Die Beschuldigung Haft Zwei Angeklagte wurden zu lebenslangen, die lautete auf Verschwörung zum Angriffskrieg, wirt- übrigen zu zeitigen Freiheitsstrafen verurteilt. (We- schaftliche Ausraubung und Zwangsarbeit von gen des Schicksals der übrigen Führer von Einsatz- Kriegsgefangenen, Deportierten und KZ-Häftlingen gruppen und -kommandos vgl. die oben erwähnte (insbesondere in Auschwitz). Broschüre S. 74-77). Durch Urteil vom 30. Juli 1948 wurden 13 Ange- klagte zu zeitigen Freiheitsstrafen verurteilt, die 10. Prozeß gegen Krupp und leitende Angestellte übrigen 10 Angeklagten wurden freigesprochen. der Firma Krupp Alfred Krupp von Bohlen und Halbach wurde mit 7. Prozeß gegen Südost-Generale elf leitenden Angestellten der Firma der Verschwö- In diesem sog. „Geißel-Prozeß" waren 12 Offiziere rung gegen den Frieden (in diesem Punkt wurden rechtswidriger Geiselerschießungen auf dem Balkan alle Angeklagten freigesprochen), der wirtschaft- angeklagt, darunter die Generalfeldmarschälle List lichen Ausplünderung ausländischen Eigentums und und von Weichs. Gegen v. Weichs wurde das Ver- der Ausnutzung von Zwangsarbeitern beschuldigt. fahren wegen Erkrankung abgetrennt; General Durch Urteil vom 31. Juli 1948 wurden Krupp und Böhme beging vor Beginn der Hauptverhandlung zehn Mitarbeiter zu zeitigen Freiheitsstrafen ver- Selbstmord. urteilt, einer wurde freigesprochen. Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode Drucksache IV/3124

11. Wilhelmstraßen-Prozeß Wegen Verbrechen im KZ Nordhausen (Dora) In diesem Verfahren waren die Minister Darré, wurden angeklagt 25 Personen Lammers, Meißner und Schwerin von Krosigk, die davon verurteilt 20 Staatssekretäre Dietrich, Keppler, Körner, Steen- gracht van Moyland, Stuckart und von Weizsäcker, freigesprochen 5 Gauleiter Bohle, die SS-Generale Berger und Schellen- Wegen Verbrechen im KZ Flossenbürg berg, der Vizepräsident der Reichsbank Puhl, der Bevollmächtigte des Auswärtigen Amtes in Ungarn wurden angeklagt 87 Personen Veesenmayer und sechs weitere leitende Personen davon verurteilt 76 unter der Beschuldigung der Teilnahme an den Ver- brechen des Hitler-Regimes angeklagt. freigesprochen 11 Mit Urteil vom 11. April 1949 wurden 19 An- Zusammen waren dies wegen Verbrechen in Kon- geklagte zu zeitigen Freiheitsstrafen zwischen 25 zentrationslagern 1021 Angeklagte, von denen 885 und 3 Jahren 10 Monaten verurteilt. Zwei Ange- verurteilt und 136 freigesprochen wurden. klagte (darunter der Chef des Büros des Reichsprä- sidenten, Reichsminister Dr. Meißner) wurden frei- Insgesamt wurden von amerikanischen Besat- gesprochen. zungsgerichten Verfahren gegen 1941 Personen 12. Prozeß gegen Angehörige des Oberkommandos durchgeführt, deren Namen dem BMJ bis der Wehrmacht auf zwei in Italien zum Tode Verurteilte be- kannt sind. Davon wurden In diesem Verfahren wurden die Generalfeld- 1517 verurteilt, und zwar marschälle von Leeb, von Küchler und Sperrle, fünf Generaloberste, ein Generaladmiral und fünf wei- 324 zum Tode tere Generäle der Planung und Führung von An- 247 zu lebenslanger Freiheitsstrafe griffskriegen beschuldigt. 946 zu zeitiger Freiheitsstrafe General Blaskowitz beging vor Beginn der Haupt- 367 Angeklagte wurden freigesprochen verhandlung Selbstmord. Von den übrigen Ange- klagten wurden zwei zu lebenslanger, neun zu 57 Beschuldigte wurden außer Verfolgung ge- zeitiger Freiheitsstrafe verurteilt und zwei (General- setzt. feldmarschall Sperrle und Generaladmiral Schnie- wind) freigesprochen. Die Materialien dieser zwölf Prozesse sowie des 2. Britische Gerichte Internationalen Militärgerichtshofes, die sich voll- ständig im Nürnberger Staatsarchiv befinden, ge- Die britische Besatzungsmacht führte die Straf- hören mit zu den wichtigsten Beweisunterlagen für verfahren nach KRG 10 aufgrund eines Royal War- die systematische Aufklärung großer Verfahrens- rant vom 14. Juni 1945 vor Militärgerichten durch, komplexe durch die deutsche Justiz, insbesondere die nicht nur in der britischen Besatzungszone, son- für die Ermittlung der sogenannten Schreibtischtäter. dern auch im Ausland, z. B. in Italien und den Nie- derlanden, tagten. Von den weiteren Verfahren vor amerikanischen Militärgerichten sind vor allem die Prozesse gegen Hervorzuheben sind die Verfahren gegen die das Personal mehrerer Konzentrationslager zu er- Generalfeldmarschälle Kesselring in Venedig, von wähnen. Hierüber gibt die nachstehende Ubersicht Manstein in und Generaloberst von Fal- Aufschluß: kenhorst, ebenfalls in Hamburg. Generalfeldmarschall Kesselring wurde am 6. Mai Wegen Verbrechen im KZ Dachau (einschließlich 1947 in Venedig wegen Mitwirkung an der Erschie- Außenlager Mühldorf) ßung italienischer Zivilisten zum Tode verurteilt; wurden angeklagt 549 Personen im Bestätigungsverfahren wurde die Strafe in lebenslangen Freiheitsentzug umgewandelt. davon verurteilt 457 Generalfeldmarschall von Manstein wurde am freigesprochen 92 19. Dezember 1949 in Hamburg wegen Verletzung Wegen Verbrechen im KZ Mauthausen seiner Verpflichtung als Oberbefehlshaber, für menschliche Behandlung der Kriegsgefangenen zu wurden angeklagt 298 Personen sorgen, zu 18 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. davon verurteilt 277 Generaloberst von Falkenhorst wurde durch freigesprochen 21 Urteil vom 27. Juli 1946 wegen seiner Ver- antwortlichkeit für die Erschießung von Kriegs- Wegen Verbrechen im KZ Buchenwald gefangenen in Norwegen zum Tode verurteilt, die Strafe wurde später in lebenslange Freiheitsstrafe wurden angeklagt 62 Personen umgewandelt. davon verurteilt 55 Von Bedeutung ist ferner das am 17. September freigesprochen 7 1945 in Lüneburg begonnene Verfahren wegen Ver- Drucksache IV/3124 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode brechen in den Konzentrationslagern Bergen-Belsen Unter diesen Verfahren befinden sich mehrere und Auschwitz. wegen Verbrechen in Konzentrations- und Arbeits- Durch Urteil vom 17. November 1945 wurden von lagern: 44 Angeklagten Im Verfahren gegen Angehörige des KZ „Neue 11 Angeklagte zum Tode, Bremm" (bei Saarbrücken) wurde in 14 Fällen auf Todesstrafe und in 1 zu lebenslanger und 21 Fällen auf Freiheitsstrafe 18 zu zeitiger Freiheitsstrafe verurteilt. erkannt. 14 Angeklagte wurden freigesprochen. Unter den zum Tode Verurteilten und Hinge- In verschiedenen Verfahren gegen Angehörige richteten befanden sich auch der Kommandant der von Arbeitslagern in Württemberg, die verwal- Lager Bergen-Belsen und Birkenau, , tungsmäßig zum KZ Natzweiler gehörten, wurden und der Schutzhaftlagerführer in Auschwitz, Dora verurteilt und Bergen-Belsen, SS-Obersturmführer Hößler. 50 Angeklagte zum Tode, Wegen Verbrechen im KZ Natzweiler wurde vom 12 Angeklagte zu lebenslanger Freiheitsstrafe 29. Mai bis 1. Juni 1946 ein Verfahren gegen 10 und Personen durchgeführt. 73 Angeklagte zu zeitiger Freiheitsstrafe. Verurteilt wurden 1 Angeklagter zum Tode, 21 Angeklagte wurden freigesprochen. 1 Angeklagter zu lebenslanger Freiheitsstrafe Insgesamt wurden von französischen Besatzungs- gerichten und 2107 Angeklagte verurteilt, darunter 4 Angeklagte zu zeitiger Freiheitsstrafe. 104 zum Tode. 4 Angeklagte wurden freigesprochen. Auch in Frankreich selbst fanden Strafverfahren Bei dem zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteil- statt, z. B. der Oradour-Prozeß und ein Prozeß gegen ten Angeklagten handelt es sich um den Lagerkom- das Lagerpersonal des KZ Natzweiler. mandanten, SS-Sturmbannführer Fritz Hartjenstein; er wurde später an Frankreich ausgeliefert, dort er- neut vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt. Er starb 1954 in französischer Haft. 4. Sowjetrussische Gerichte Insgesamt wurden von britischen Militärgerichten Nach der Besetzung Ost- und Mitteldeutschlands Verfahren gegen setzte eine nahezu wahllose Welle von Verhaftun- 1085 Personen gen und Internierungen aller Deutschen ein, die von durchgeführt, von denen den Sowjets für gefährlich gehalten wurden. Zehn- tausende füllten die Zuchthäuser, Gefängnisse und 240 zum Tode verurteilt wurden. Konzentrationslager, darunter z. B. Buchenwald, Sachsenhausen, Neubrandenburg, Mühlberg und 3. Französische Gerichte Bautzen. Dort wurden durch Hunger und zum Teil auch durch Folterungen „Geständnisse" herbeige- In der französischen Besatzungszone sah die Ver- führt, die den Verfahren vor den sowjetischen Mili- ordnung Nr. 2 der Militärregierung 3 Instanzen von tärgerichten zugrunde gelegt wurden, soweit die Besatzungsgerichten vor, deren wichtigstes das Tri- Gefangenen nicht schon vorher den Entbehrungen, bunal Général in Rastatt war. Krankheiten und Mißhandlungen erlegen waren 1). Vor diesem Gericht fand der den amerikanischen Der frühere Präsident des Bundesgerichtshofs, Dr. Verfahren gegen Krupp und Flick vergleichbare h. c. Weinkauff hat bei einer Ansprache am 24. Ok- Prozeß gegen Hermann und Ernst Röchling sowie tober 1957 zutreffend ausgeführt 2) : drei leitende Angestellte des Röchling-Konzerns „Hier wurden die namenlosen Greuel des statt, in dem 3 Angeklagte zu mehrjährigen Frei- nationalsozialistischen Regimes mit ebenso heitsstrafen verurteilt wurden (in der Rechtsmittel- namenlosen Gegengreueln beantwortet, die mit instanz erhielt ein weiterer Angeklagter eine Frei- den nationalsozialistischen Greueln auch das heitsstrafe). gemeinsam hatten, daß sie ebenso blind, fühl- Das Tribunal Général in Rastatt führte in den los und rechtlos zuschlugen." Jahren 1946/47 gegen 361 Personen Strafverfahren Auch die in sowjetische Gefangenschaft geratenen durch, von denen 75 zum Tode, 95 zu lebenslanger deutschen Soldaten wurden zu Tausenden vor Mili- Freiheitsstrafe und 134 zu zeitigen Freiheitsstrafen tärgerichte gestellt und in Schnellverfahren — gro- verurteilt wurden; 57 Angeklagte wurden freige- ßenteils aufgrund erpreßter Geständnisse oder we- sprochen. 52 Todesurteile wurden vollstreckt. gen bloßer Zugehörigkeit zu bestimmten Einheiten

Ferner wurden 1948 etwa 45 weitere Verfahren 1 ) wegen Einzelheiten vgl. Finn „Die politischen Häft- gegen eine nicht bekannte Anzahl von Beschuldig- linge der Sowjetzone", Pfaffenhofen 1960. ten durchgeführt. NJW 1957 S. 1869 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode Drucksache IV/3124

— meist zur Einheitsstrafe von 25 Jahren Freiheits- delt. Bei vielen Verurteilten wurden die Strafen entzug, viele aber auch zum Tode verurteilt 1). So sogar wiederholt gemildert. wurde z. B. ein Pionier verurteilt, weil er zum Brük- Das Begnadigungsrecht wurde bei den in Deutsch- kenbau „volkseigenes" Holz verwendet hatte, und land Verurteilten zunächst von den Zonenbefehls- ein Sanitäter, weil er im Partisanenkampf verwun- habern oder Militärgouverneuren, später von den dete Soldaten gepflegt hatte 2). Unter den Verurteil- Hohen Kommissaren der Drei Mächte ausgeübt. ten befanden sich allerdings auch Personen, die Dann wurden Gemischte Ausschüsse gebildet, deren schwere Straftaten begangen hatten, wie z. B. die Mitglieder von der Bundesregierung und von den ehemaligen KZ-Aufseher Hempel, Höhn, Schubert Regierungen jeder der Drei Mächte ernannt wur- und Sorge sowie der KZ-Arzt Dr. Baumkötter, die den. Die Ausschüsse hatten die Aufgabe, Empfeh- sämtlich in der Bundesrepublik erneut verfolgt wur- lungen für den Erlaß oder die Herabsetzung der den. Die Verurteilten wurden in vielen Fällen zur Strafe oder für die Entlassung auf Ehrenwort aus- Zwangsarbeit in die Sowjetunion abtransportiert. zusprechen. In Artikel 6 des Ersten Teils des am Ihre Zahl läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen; 5. Mai 1955 in Kraft getretenen Überleitungsver- nach sowjetischen Angaben sollen sich im Mai 1950 trages (Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besat- noch 13 532 Kriegsverurteilte in sowjetischen La- zung entstandener Fragen — in der Fassung der 2). gern befunden haben Bekanntmachung vom 30. März 1955, Bundesgesetz- 10 513 von den sowjetischen Militärtribunalen blatt II S. 405) wurden die Befugnisse und das Ver- Verurteilte wurden mit Schreiben des sowjetischen fahren der Gemischten Ausschüsse vertraglich. zwi- Armeegenerals Tschujkow vom 14. Januar 1950 an schen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Ulbricht den Behörden der SBZ „zur Verbüßung Mächten vereinbart. ihrer Strafen" übergeben. Obwohl Ulbricht wie Als Ergebnis der Begnadigungspraxis der Drei jeder Bewohner der SBZ wußte, in welch rechts- Mächte wurden 1957 die letzten von britischen und staatswidriger Weise in zahlreichen Fällen von den französischen Besatzungsgerichten Verurteilten ent- Militärtribunalen verfahren worden war, antwor- lassen. Im Mai 1958 wurde auch der letzte von ame- tete er Tschujkow: „Die von den Militärtribunalen rikanischen Gerichten als Kriegsverbrecher Verur- verurteilten Verbrecher werden vom Ministerium teilte entlassen. des Innern übernommen zum Zwecke der Verbü- ßung ihrer gerechten Strafe." Zur Begnadigung von Rudolf Heß, Baldur von Schirach und Albert Speer (vgl. oben I) wäre ein Zu- sammenwirken der vier Mächte erforderlich, die das Londoner Abkommen vom 8. August 1945 über die III. Gnadenerweise in den drei westlichen Besatzungszonen Verfolgung und Bestrafung der Hauptkriegsverbre- cher abgeschlossen haben. Die früheren Besatzungsmächte Großbritannien, Frankreich und die Vereinigten Staaten von Ame- IV. Die Regelung des Überleitungsvertrages rika haben für die von ihren Gerichten verurteilten Kriegsverbrecher das Gnadenrecht ausgeübt. Mit Soweit von einer der drei westlichen Besatzungs- Ausnahme der Verurteilungen zu Todesstrafen, von mächte strafrechtliche Ermittlungen geführt und denen mehr als die Hälfte vollstreckt wurden, endgültig abgeschlossen worden sind, können die haben sie von diesem Recht in ,sehr weitem Umfang den Verfahren zugrunde liegenden Taten von den Gebrauch gemacht, und zwar ohne Rücksicht auf die Gerichten und Staatsanwaltschaften in der Bundes- Schwere der abgeurteilten Verbrechen und auf das republik Deutschland nicht mehr verfolgt werden. Maß der persönlichen Schuld des einzelnen Ver- Dies ergibt sich aus Teil I Artikel 3 Abs. 3 Buch- urteilten. Die Begnadigung vollzog sich stufenweise. stabe b des „Vertrages zur Regelung aus Krieg und Rund 300 Todesstrafen wurden im Gnadenwege in Besatzung entstandener Fragen" (Überleitungsver- lebenslange oder zeitige Freiheitsstrafen umgewan- trag) in der Fassung der Bekanntmachung vom 30. März 1955 (Bundesgesetzbl. II S. 405). 1) vgl. Maurach „Die Kriegsverbrecherprozesse gegen deutsche Gefangene in der Sowjetunion", Hamburg Auf die einzelne Fälle, in denen sich diese Rege- 1950. lung auswirkt, ist in der Broschüre des Bundes- 2) Finn, a. a. O., S. 52 justizministeriums vom Juli 1964 S. 48 hingewiesen. Drucksache IV/3124 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode

C. Strafverfahren im Ausland

Im Ausland wurde eine große Zahl von Strafver- 396 zu lebenslanger Freiheitsstrafe fahren gegen Deutsche geführt. Dabei handelte es 1 230 zu Freiheitsstrafen von mehr als 10 Jahren sich teilweise um Personen, die auf dem Gebiet der betreffenden Staaten festgenommen worden waren und (vor allem als Kriegsgefangene). Zum Teil waren die 13 979 zu geringeren Freiheitsstrafen. Beschuldigten aber nach Artikel III Abs. 1 Buch- stabe d des KRG 10 auch von den Besatzungsmächten Man wird davon ausgehen dürfen, daß ein nicht an die ausländischen Staaten ausgeliefert worden. unerheblicher Teil dieser Verurteilten ähnlich wie Verurteilte sowjetischer Militärgerichte lediglich Die Bemühungen der Bundesregierung, von den in wegen Zugehörigkeit zu bestimmten Einheiten ver- Betracht kommenden Staaten amtliche Zahlenanga- urteilt worden ist. ben zu erhalten, haben bis jetzt noch kein Ergebnis erbracht. Da Polen unter der deutschen Besetzung besonders Nachstehend werden daher nur Hinweise auf Ver- schwer zu leiden hatte und auf polnischem Boden fahren gegen Deutsche gegeben, die durch ihre Stel- die meisten Massenvernichtungslager errichtet wor- lung im nationalsozialistischen Regime bekanntge- den waren (Auschwitz, Belzec, Chelmno, Majdanek, worden waren. Sobibor, Treblinka), ist die Zahl der von polnischen Gerichten verurteilten Nationalsozialisten höher als Der bereits im Nürnberger Einsatzgruppen-Prozeß in anderen Ländern. Als Beispiele seien genannt (vgl. oben B II 1) zum Tode verurteilte Führer des der Gauleiter von Danzig und Westpreußen, 2, SS-Obersturmbannführer Dr. Albert Forster, der 1947 in Danzig zum Tode verurteilt Strauch, verstarb in 1955 in belgischer Haft. wurde; Dr. Werner Best, 1929 Mitverfasser der „Box- der Gauleiter des Warthelandes, , heimer Dokumente", später Chef des Amtes I im der 1946 in Posen hingerichtet wurde; Reichssicherheitshauptamt und schließlich „Reichs- bevollmächtigter" in Dänemark und Leiter der der Kommandant des Konzentrationslagers Ausch- Judendeportationen aus diesem Lande, wurde 1946 witz, Rudolf Höß, der 1947 im Lager hingerichtet in Kopenhagen in erster Instanz zum Tode, auf wurde; Rechtsmittel zu 12 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, der Gauleiter von Ostpreußen, Erich Koch, der 1949 begnadigt und 1951 entlassen. 1959 in Warschau zum Tode verurteilt wurde, In wurde , der Judenreferent aber wegen unheilbarer Krankheit nicht hinge- des Reichssicherheitshauptamts, am 12. Dezember richtet worden sein soll; 1961 zum Tode verurteilt und am 1. Juni 1962 hinge- der für Judenmassaker in Majdanek verantwort- richtet. liche SS-Brigadeführer Jakob Sporrenberg, der In Österreich wurde der ehemalige Mitarbeiter 1950 in Warschau hingerichtet wurde; Eichmanns in Ungarn, SS-Hauptsturmführer Franz der für die Liquidation des Warschauer Gettos Novak am 16. 12. 1964 zu acht Jahren schweren verantwortliche SS-Brigadeführer Jürgen Stroop, Kerkers verurteilt (nicht rechtskräftig). der 1951 in Warschau hingerichtet wurde. In Polen sollen nach einer nichtamtlichen Mittei- lung aus dem polnischen Justizministerium In der Tschechoslowakei wurden u. a. verurteilt der Chef der , Kurt Daluege, der 16 819 Deutsche 1946 in Prag hingerichtet wurde, und wegen nationalsozialistischer Straftaten der Vertreter Eichmanns in der Tschechoslowakei, verurteilt worden sein, davon SS-Hauptsturmführer Dieter Wislizeny, der 1948 1 214 zum Tode (die meisten hingerichtet) in Preßburg zum Tode verurteilt wurde. Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode Drucksache IV/3124

D. Strafverfolgung durch deutsche Justizbehörden in der sowjetischen Besatzungszone und dem Sowjetsektor von Berlin

I. Statistik

Von den sowjetzonalen Justizbehörden wurde am 25. Januar 1965 anläßlich einer Pressekonferenz von Generalstaatsanwalt Streit eine Broschüre mit dem Titel „Die Haltung der beiden deutschen Staaten zu den Nazi- und Kriegsverbrechen" herausgegeben, in der folgende Statistik über die Verurteilung we- gen nationalsozialistischer Straftaten enthalten ist:

Strafart Zuchthaus Jahr lebens 3 bis 10 unter über Summe Todesstrafe länglich Jahre 3 Jahren 10 Jahre

1945 2 1 — 2 1 6 1946 8 2 22 35 56 123 1947 8 6 22 130 578 744 1948 10 12 62 709 3 756 4 549 1949 13 11 '70 401 2 138 2 633 1950 49 160 2 914 384 585 4 092 1951 7 9 30 112 173 331 - 1952 3 6 17 53 61 140 1953 1 7 18 44 15 85 1954 1 2 7 20 5 35 1955 4 4 5 8 2 23 1956 — — — — -- — 1957 — — -- i — 1 1958 — — — 1 — 1 1959 1 1 1 3 — 6 1960 4 4 — 2 — 10 1961 2 — — 4 — 6 1962 3 2 — 5 — 10 1963 2 2 3 3 — 10 1964 — 2 — — — 2 118 231 3 171 1 917 7 370 12 807

Diese Statistik ist in mehrfacher Beziehung auf- heitsstrafe unter 3 Jahren. Man wird annehmen schlußreich. dürfen, daß in diesem Jahre ein wesentlicher Teil

In den ersten drei Jahren steigt die Zahl der Ver- 1 ) Die Addition der Zahlen der Einzelbezirke ergibt sogar urteilungen ungefähr in gleicher Weise wie in der 4559, da bei der Addition der Zahlen der Bezirke Bundesrepublik Deutschland an. Für das Jahr 1948 Dresden, Leipzig und Karl-Marx-Stadt — S. 33 der werden sodann 4549 Verurteilungen ausgewiesen 1). Broschüre — entweder ein Druck- oder ein Additions- Darunter befinden sich 3756 Verurteilungen zu Frei fehler unterlaufen ist. Drucksache IV/3124 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode

aller Verurteilungen erging, denen lediglich die Zu- gehörigkeit zu bestimmten Organisationen zugrunde lag. Das Jahr 1949 bringt die ebenfalls sehr hohe, im Vergleich zu 1948 aber doch auf nahezu die Hälfte gesunkene Zahl von 2633 Verurteilungen.

Grafisch dargestellt ergibt sich folgendes Bild: Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode Drucksache IV/3124

II. Die Waldheim - Prozesse grauenhaften Vorgängen in den Konzentrations- lagern gewußt zu haben! (Urteil der 8. großen Straf- 1950 steigt die Zahl der Verurteilungen plötzlich kammer [201] des LG Chemnitz vom 2. 7. 1950 — auf 4092 an. In diesem Jahre löste die sowjetische St Ks 1205/50). Besatzungsmacht nämlich ihre Konzentrationslager auf deutschem Boden auf und überstellte den Machthabern der sowjetischen Zone 3432 Internierte „zur Untersuchung ihrer verbrecherischen Tätigkeit III. Die sowjetzonale Justiz ab 1951 und Aburteilung durch das Gericht" (Schreiben des Generals Tschujkow an Ulbricht vom 14. Januar Ab 1951 sinkt die Zahl der Verurteilungen rasch 1950) . bis auf Null ab und hat bis heute in keinem Jahre Diese Internierten wurden in das Zuchthaus mehr als 10 betragen. Waldheim übergeführt. In den Jahren, in denen in der Bundesrepublik Deutschland mit der systematischen Auswertung Durch den SMAD-Befehl Nr. 201 wurde die so- aller erreichbaren Urkunden begonnen wurde, war wjetzonale Strafjustiz angewiesen, die Waldheim davon in der SBZ nichts zu bemerken. Erst ab etwa Häftlinge nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 und 1959 begann man dort, die eigenen Unterlagen nach der Kontrollratsdirektive Nr. 38 abzuurteilen. Als Terrorurteilen aus der NS-Zeit durchzusehen. Die Ausnahmegerichte fungierten sog. „Strafkammern übrigen Urkunden wurden auch weiterhin nur in des Landgerichts Chemnitz", die mit linientreuen sehr geringem Umfang ausgewertet. So konnte z. B. Volksrichtern und Schöffen besetzt waren. Vom der im Frankfurter Auschwitz-Prozeß schwerster 21. April 1950 bis Anfang Juli 1950 wurden die Verbrechen beschuldigte KZ-Wächter Kaduk nach Waldheimhäftlinge ohne Ausnahme zu hohen Frei- seiner Entlassung aus sowjetischer Gefangenschaft heitsstrafen, in vielen Fällen zu lebenslangem unbehelligt in der SBZ leben und beklagte sich in Zuchthaus und in 32 Fällen zum Tode verurteilt. In der Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht 24 Fällen wurden die Todesurteile in der Nacht zum Frankfurt/M. heftig darüber, daß er im Gegensatz 4. 11. 1950 in einer unterirdischen Arrestzelle durch Erhängen vollstreckt. hierzu in der Bundesrepublik Deutschland vor Ge- richt gestellt werde. Der Bundesminister der Justiz hat gemeinsam mit Im Jahre 1963 trat erstmals eine „Zentralstelle für dem Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen in die Bearbeitung von nationalsozialistischen Verbre- einer Erklärung vom 5. September 1950 auf die zahl- chen" beim Generalstaatsanwalt der SBZ in Tätig- reichen in den Prozessen begangenen Rechtsver- stöße hingewiesen, insbesondere darauf, daß das keit. Verfahren dieser Ausnahmegerichte wesentliche Am 28. Mai 1964 erging ein Beschluß des „Mini- Rechtsgrundsätze verletzte, die nach dem Recht der sterrats der Deutschen Demokratischen Republik", Kulturstaaten zu den unabdingbaren Rechtsgaran- durch den das Innenministerium (also nicht etwa die tien eines Strafverfahrens gehören. Es handelte sich Justiz) mit der zentralen Erfassung und einheit- - somit bei den Waldheim-Urteilen um Willkürurteile. lichen Auswertung aller Dokumente aus den Jahren ■beauftragt wurde. Die oben erwähnte Veröffentlichung der SBZ ist 1933 bis 1945 denn auch bei der Anführung der Tatbestände, we- Am 23. November 1964 teilte der Präsident des gen deren im Jahre 1950 auf Todesstrafe erkannt Obersten Gerichts der SBZ, Dr. Toeplitz, einer upi- wurde, sehr zurückhaltend. Während in der Bro- Meldung zufolge mit, in den Archiven der Sowjet- schüre des Bundesjustizministeriums vom Juli 1964 zone lagerten noch riesige Mengen von Material, S. 44, 78 bis 103 alle auf Todesstrafe und lebenslan- in denen Zehn- oder gar Hunderttausende von ges Zuchthaus lautenden Urteile mitgeteilt sind, teilt Deutschen belastet würden. die sowjetzonale Veröffentlichung als Beispiele aus Am 29. Januar 1965 erklärte — nach einer adn- den Bezirken Dresden, Leipzig und Chemnitz, in Meldung — der offizielle Sprecher der SED, Albert denen im Jahre 1950 34 Verurteilungen zum Tode Norden, man habe schon (!) einen ungefähren Über- und 144 zu lebenslangem Zuchthaus ausgesprochen blick über das vorhandene Dokumentenmaterial. wurden, nur bei 3 Todesstrafen und einer Verurtei- lung zu lebenslangem Zuchthaus den Sachverhalt mit. In den Begründungen der Waldheimurteile fin- den sich „logische" Schlußfolgerungen wie etwa IV. Das sowjetzonale Gesetz, zur Verlängerung folgende: der Verjährungsfrist vom 1. September 1964 „Wenn der Angeklagte zugibt, daß er seit 1944 als Agent des SD tätig war, so hat er gleichzei- In der SBZ wurde durch Gesetz vom 1. September tig damit zugestanden, daß er Berichte über 1964 (Gesetzblatt S. 127) bestimmt, daß die Verjäh- Gegner des Nationalsozialismus an den SD wei- rungsbestimmungen des allgemeinen Strafrechts auf tergeleitet hat und diese somit der Verfolgung Personen keine Anwendung finden, die „in der Zeit der Faschisten, der Mißhandlung, den Folterun- vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 Verbre- gen und dem Tode in den KZ ausgesetzt hat." chen gegen den Frieden, die Menschlichkeit oder Aufgrund dieser durch nichts bewiesenen Folge- Kriegsverbrechen begangen, befohlen oder begün- rung wurde der Angeklagte zu lebenslangem Zucht- stigt haben." haus verurteilt; straferschwerend wurde berücksich- Wenn somit auch nach dem Text des SBZ-Geset- tigt, daß der Angeklagte bestritten hatte, von den zes nur die Verfolgung der nach dem 8. Mai 1945 Drucksache IV/3124 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode

begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit hörigen der Intelligenz verschiedener Nationen in weiterhin der Verjährung unterliegt, so sollte doch Lemberg 1941, an 10 000 Ukrainern in Winnitza und darauf hingewiesen werden, daß durch dieses Ge- 11 000 polnischen Offizieren in Katyn für unverjähr- setz die sowjetischen Mordaktionen an 3500 Ange- bar erklärt wurden.

E. Strafverfolgung durch Gerichte und Staatsanwaltschaften in der Bundesrepublik Deutschland

I. Beschränkungen der deutschen Gerichtsbarkeit auch die an Ausländern begangenen NS-Verbrechen nunmehr verfolgt werden konnten. Nach der Besetzung Deutschlands bestand zu- Soweit aufgrund der oben bezeichneten Vorschrif- nächst keine deutsche Gerichtsbarkeit (vgl. Gesetz ten die Verjährung nach § 69 StGB geruht hatte, Nr. 2 der Militärregierung in Deutschland). wurde diese Hemmung des Laufs der Verjährungs- Als das Kontrollratsgesetz Nr. 4 vom 30. Oktober frist durch § 5 Abs. 1 des Ersten Gesetzes zur Auf- 1945 eine Neuregelung des Gerichtswesen vornahm, hebung des Besatzungsrechts vom 30. Mai 1956 schloß es durch Artikel III die Zuständigkeit der (Bundesgesetzbl. I S. 437) rückwirkend beseitigt. deutschen Gerichte in Strafsachen weitgehend aus. Schon vorher hatte jedoch Artikel 10 AHK-Gesetz Unter diese Sonderregelung fiel auch ein großer Nr. 13 in der Fassung des AHK-Gesetzes Nr. 28 vom Teil der NS-Verbrechen. 31. Mai 1950 für den Bereich der Gerichtsbarkeit auf Das Kontrollratsgesetz Nr. 10 sah in Artikel III den vorbehaltenden Gebieten u. a. bestimmt, daß in Abs. 1 Buchstabe d die Möglichkeit vor, deutsche Ge- strafrechtlichen Angelegenheiten der Zeitraum, wäh- richte zur Verfolgung von Straftaten im Sinne dieses rend dessen den deutschen Gerichten die Gerichts- Gesetzes zu ermächtigen, soweit die Taten von Deut- barkeit aufgrund von Rechtsvorschriften der Be- schen an Deutschen oder an Staatenlosen begangen satzungsbehörden oder der von ihnen abgelösten waren. Von dieser Befugnis machten die Besatzungs- Behörden entzogen war, in die gesetzliche Verjäh- mächte in unterschiedlicher Weise Gebrauch. In der rungsfrist dann eingerechnet wird, wenn ein Besat- amerikanischen Zone wurde die Ermächtigung je- zungsgericht während dieses Zeitraums für die weils im Einzelfall erteilt. In der britischen Zone Sache zuständig war. erging die Verordnung Nr. 47 vom 30. August 1946, die eine allgemeine Ermächtigung enthielt. Wegen der französischen Zone wird auf die Verordnung II. Verurteilungen nach Kontrollratsgesetz Nr. 173 vom 23. September 1948 (JO S. 1684) ver- Nr. 10 wiesen. Für 1950 und 1951 liegt über die Aburteilungen Das AHK-Gesetz Nr. 13 vom 25. 11. 1949 hob die und Verurteilungen durch deutsche Gerichte nach meisten Beschränkungen der deutschen Gerichtsbar- dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 die nachstehende Sta- keit mit Wirkung vom 1. Januar 1950 auf, so daß tistik vor:

Wegen Verbrechen und Vergehen nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 in den Jahren 1950 und 1951 in der Bundesrepublik Deutschland (ohne Berlin/West und ohne Saarland) abgeurteilte und verurteilte Erwachsene nach Art der Strafe und nach dem Alter 1)

1950 1 471 510 34,67 81 17 29 30 5 415 6 237 172 14 1 54 11 39 81 231 102 38 8 (94) (16) (17,02) (—) (15) 1951 394 110 27,92 22 7 6 9 — 85 1 47 37 3 2 7 9 11 19 40 21 6 4 (15) (3) (20,00) (—) (2)

1) Quelle: Statistik der Bundesrepublik Deutschland Band 110: Die Kriminalität in den Jahren 1950 und 1951 2) Verurteilungsquote: Verhältnis der Verurteilten zu den Abgeurteilten insgesamt Deutscher Bundestag , — 4. Wahlperiode Drucksache IV/3124

III. Verfahren nach deutschem Strafrecht

Durch Verordnung Nr. 234 der britischen Militär- regierung vom 31. August 1951 und Verordnung Nr. 171 der französischen Militärregierung vom gleichen Tage wurden die Ermächtigungen nach KRG 10 zurückgenommen. Von nun an wurden die NS-Straftaten in der Bundesrepublik Deutschland ausschließlich nach deutschem Recht abgeurteilt. Das Kontrollratsgesetz Nr. 10 selbst hat allerdings erst durch § 2 des Ersten Gesetzes zur Aufhebung des Besatzungsrechtes vom 30. Mai 1956 (Bundesgesetz- bl. I S. 437) seine Wirksamkeit im Geltungsbereich des Grundgesetzes verloren. In den Fällen, in denen die deutsche Gerichtsbar- keit gegeben war, wurden bereits ab 1945 von den deutschen Gerichten Verfahren wegen national- sozialistischer Straftaten durchgeführt. Soweit dabei das KRG 10 nicht angewendet werden konnte (weil dessen Tatbestand nicht gegeben war oder die Er- mächtigung fehlte), wurde nach deutschem allgemei- nem Strafrecht entschieden. Die Länder Bayern, Bremen, Hessen und Würt- temberg-Baden erließen inhaltlich übereinstimmende Landesgesetze über die Verfolgung nationalsoziali- stischer Straftaten. Auf die Broschüre des Bundes- justizministeriums vom Juli 1964 S. 40 Anmerkung 2 wird verwiesen. Auch in den übrigen Bundesländern wurden zahl- reiche Verfahren durchgeführt. Aus den jetzt vor- liegenden Mitteilungen der Landesjustizbehörden und der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltun- gen in Ludwigsburg geht hervor, daß der Umfang dieser Strafverfolgungstätigkeit erheblich größer war, als bisher angenommen wurde. Die Gesamtzahl der von den Staatsanwaltschaften und Gerichten der Bundesrepublik Deutschland durchgeführten Ermittlungsverfahren richtete sich gegen 61 761 Beschuldigte. 1. Von ihnen wurden verurteilt 6 115 Personen davon zum Tode 12 zu lebenslangem Zuchthaus 77 zu zeitigen Freiheitsstrafen 5911 zu Geldstrafen 114 nach Jugendrecht verwarnt 1 Drucksache IV/3124 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode

Wie sich diese Urteile auf die einzelnen Jahre verteilen, ist aus der untenstehenden Grafik zu er sehen.

Jahresgliederung der rechtskräftigen Verurteilungen durch Gerichte in der Bundesrepublik Deutschland

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2. Anhängig sind noch Verfahren gegen 3. Vorläufig eingestellt (meist wegen ausländischen 13 892 Personen. oder unbekannten Aufenthalts) sind die Verfah- ren gegen In diesen Verfahren ist die Verjährung ent- 542 Personen. weder bereits unterbrochen oder wird nach den Mitteilungen der Landesjustizverwaltungen bis Auch hier ist oder wird für Unterbrechung der zum 8. Mai 1965 unterbrochen werden. Verjährung gesorgt, soweit bekannt ist, daß die Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode Drucksache IV/3124

Beschuldigten noch leben, oder soweit mit ihrem des Beschuldigten oder in anderer Weise) sind Überleben gerechnet werden muß. die Verfahren gegen Nur als Beispiele für die Unterbrechung der 41 212 Personen. Verjährung in den Fällen zu 2) und 3) seien Beim Vergleich dieser Zahl mit der Zahl der genannt: Verurteilungen muß berücksichtigt werden, daß Adolf Hitler, die Staatsanwaltschaften in einer Vielzahl von Verfahren ganze Einheiten (z. B. bei Erschie- Verjährung unterbrochen durch Zeugenladung ßungsaktionen eingesetzte SS- oder Polizeiein- des Amtsgerichts Neuß vom 8. Februar 1965, heiten, KZ-Lagerpersonal, Angehörige des Reichs- auf Grund eines Rechtshilfeersuchens des Amts- sicherheitshauptamtes u. a.) systematisch Mann gerichts Berlin; für Mann überprüft haben. Martin Bormann, Reichsleiter und Chef der Par- teikanzlei, IV. Auslieferung von ins Ausland geflüchteten Verjährung unterbrochen durch Haftbefehl des Tätern Amtsgericht Frankfurt/Main vom 6. Juli 1961; Unter den 542 Personen, bei denen das Verfahren Dr. Hans Eisele, Lagerarzt im KZ Buchenwald, vorläufig eingestellt werden mußte (siehe oben Verjährung 'unterbrochen durch Haftbefehle Abschnitt III 3), befindet sich eine Anzahl von Be- des Amtsgerichts München vom 22. Juli 1958, schuldigten, bei denen die Einstellung des Verfah- 7. August 1958 und 16. November 1959; rens auf § 205 der Strafprozeßordnung beruht, weil sich die Täter im Ausland aufhalten. Dr. Erhard Kröger, Führer des Einsatzkomman- dos 6, SS-Sturmbannführer, Die Staatsanwaltschaften der Bundesrepublik und die Bundesregierung haben sich in allen bekanntge- Verjährung unterbrochen durch Haftbefehl des wordenen Fällen nachdrücklich bemüht, die Auslie- Amtsgerichts vom 10. Januar 1962; ferung solcher Personen zu erwirken. Dies ist im Fall Vorberg Dr. , Anstaltsarzt in Grafeneck gelungen, dem Mord in mindestens 100 000 Fällen in Berlin, Hadamar und und Sonnenschein, Lagerarzt in Auschwitz, Grafeneck in den Jahren 1939 bis 1944 bei den Verjährung unterbrochen durch Haftbefehl des Euthanasie-Aktionen vorgeworfen wurde. Vorberg Landgerichts Limburg/Lahn vom 19. Mai 1961; wurde von der spanischen Regierung am 5. März 1963 an die Justizbehörden der Bundesrepublik aus- Franz Rademacher, Legationsrat I. Klasse geliefert. Verjährung unterbrochen durch Haftbefehl des In mehreren Fällen hatten die Bemühungen der Landgerichts Bamberg vom 13. Dezember 1954 Bundesrepublik um die Auslieferung von Beschul- und vom 12. Oktober 1961; digten bisher keinen Erfolg.

Walter Rauff, SS-Standartenführer und verant- Als Beispiele seien genannt (vgl. dazu auch oben wortlich für den Einsatz der Gaswagen, III 3): Verjährung unterbrochen durch Haftbefehl des Die Auslieferung von Dr. Erhard Kröger, Amtsgerichts Hannover vom 13. März 1961; der des Mordes in mindestens 3000 Fällen beschuldigt wird, mußte von der italienischen Dr. , Lagerarzt in Auschwitz, Regierung aufgrund einer Gerichtsentscheidung ab- Verjährung unterbrochen durch Haftbefehl des gelehnt werden, welche die Auslieferung wegen des Amtsgerichts Freiburg i. Br. vom 5. Juni 1959; politischen Charakters der Taten für unzulässig er- klärte. Dr. Gerhard Bohne, maßgeblich beteiligt an der Der an Euthanasie-Aktionen beteiligte und als Euthanasieaktion, KZ-Arzt tätige Dr. Horst Schumann ist bisher von Verjährung unterbrochen durch Haftbefehl des Ghana trotz der Bemühungen der Bundesregierung Schwurgerichts Limburg/Lahn vorn 16. Sep- nicht ausgeliefert worden. tember 1963; Die Auslieferung des SS-Standartenführers Walter Heinrich Müller, SS-Gruppenführer und Chef des Rauff, der des Mordes in 97 000 Fällen be- Amtes IV im Reichssicherheitshauptamt, schuldigt wird, mußte von der chilenischen Regierung aufgrund des Urteils eines chilenischen Verjährung unterbrochen durch Haftbefehl des Gerichts abgelehnt werden. In dieser Entscheidung Amtsgerichts Berlin-Tiergarten vom 7. Januar wird ausgeführt, die Rauff zur Last gelegte Straftat 1961. sei nach chilenischem Recht verjährt; hiermit habe sich das Gericht abfinden müssen, weil der Einwand der Verjährung nach den Grundsätzen des Völker- 4. Ohne Verurteilung endgültig abgeschlossen rechts unbestreitbar sei. (durch Freispruch, Außerverfolgungsetzung, Nichteröffnung der Hauptverhandlung, Einstel- Auch die Auslieferung des KZ-Arztes Dr. Hans lung durch Gericht oder Staatsanwaltschaft, Tod Eisele wurde von der Regierung der Vereinigten Drucksache IV/3124 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode

Arabischen Republik wegen der nach ägyptischem Diese Taten wurden durchweg in Deutschland be- Recht eingetretenen Verjährung abgelehnt. gangen und hatten sich meist auch gegen Deutsche gerichtet. Die Strafverfolgung war deshalb nach der Über das 1964 gestellte Ersuchen urn Auslieferung Wiedereröffnung der deutschen Gerichte regelmä- von Franz Podezin, welcher der Beihilfe zum Mord ßig nicht gehemmt. Die Verurteilungen wurden da- in 188 Fällen beschuldigt wird, hat die Regierung her überwiegend schon in den ersten Nachkriegs- der Republik Südafrika noch nicht entschieden. jahren ausgesprochen.

Um die Auslieferung des KZ-Arztes Dr. Josef Meist handelt es sich um Ausschreitungen einzel- Mengele wurden zahlreiche Staaten ersucht. Jedoch ner, so daß eine systematische Aufklärung des konnte der gegenwärtige Aufenthaltsort des Be- Gesamtkomplexes nicht in Betracht kommt. schuldigten bisher nicht ermittelt werden. Es ist kaum anzunehmen, daß weitere Tat- Auf den Auslieferungsantrag der Bundesregierung bestände dieser Art nach dem 8. Mai 1965 bekannt wurde Dr. Bohne, dem Mord in 15 000 Fällen im werden. Insbesondere ist von einer Auswertung Rahmen der Euthanasie-Aktionen vorgeworfen bisher unerschlossener Archive kein neues Material wird, in Argentinien in Auslieferungshaft genom- zu erwarten. men. Über den deutschen Antrag ist noch nicht ent- schieden. B. Straftaten anläßlich der sog. „Röhmrevolte" 1934 V. Der Stand der Verfahren Wegen dieses Tatkomplexes wurden Verfahren gegen insgesamt 41 Personen Im einzelnen ergibt sich für die verschiedenen eingeleitet. Gruppen nationalsozialistischer Straftaten (vgl. hier- zu die Broschüre des Bundesjustizministeriums vom a) Von diesen wurden ver- Juli 1964 S. 17 bis 27), nach den Mitteilungen der urteilt 13 Personen Landesjustizverwaltungen folgender Stand der davon Strafverfolgung: zu lebenslangem Zuchthaus 1 zu zeitiger Freiheitsstrafe 12 A. Ausschaltung politischer Gegner nach der b) Noch anhängig sind Ver- Machtübernahme fahren gegen 4 Personen c) Vorläufig eingestellt — Hier handelt es sich um die Unterdrückung und Beseitigung der wirklichen oder vermeintlichen poli- d) Ohne Verurteilung endgül- tischen Gegner des Nationalsozialismus (mit Aus-- tig abgeschlossen sind die nahme der gesondert aufgeführten Straftaten in den Verfahren gegen 24 Personen Konzentrationslagern und der „Endlösungs" -Aktio- I nen). Neben Mord und Totschlag kommen hier -häu- Die Ermordung zahlreicher hoher SA-Führer und fig Körperverletzung mit Todesfolge, Körperverlet- anderer Opfer wurde von Hitler, Göring und Himm- zung (im Amt), Freiheitsberaubung (im Amt), Aus- ler zentral geplant und durchgeführt. Unter den Per- sageerpressung und ähnliche Delikte in Betracht. sonen, welche die aus Berlin kommenden Befehle weitergaben oder ausführten, befanden sich u. a.: Insgesamt wurden wegen dieses Tatkomplexes Strafverfahren gegen der Kommandeur der Leibstandarde Adolf Hitler, 7 786 Personen General der Waffen-SS Sepp Dietrich (vom Schwur- eingeleitet. gericht München am 14. Mai 1957 zu 1 Jahr und 6 Monaten Gefängnis verurteilt), a) Davon wurden verurteilt 1 440 Personen davon zum Tode 2 der Mörder des Ministerialdirektors Dr. Klausener, Kurt Gildisch (vom Schwurgericht Berlin am 18. Mai zu lebenslangem Zucht- 1953 zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt) und haus 6 zu zeitiger Freiheitsstrafe 1 408 der ehemalige SS-Obergruppenführer Udo von Woyrsch (vom Schwurgericht Osnabrück am 2. Au- zu Geldstrafen 24 gust 1957 zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt).

b) Verfahren sind noch anhängig Der Mörder des Generals von Schleicher, Krimi- gegen 32 Personen nalrat Meisinger, wurde am 7. März 1947 durch ein polnisches Gericht zum Tode verurteilt und hin- c) Vorläufig eingestellt bei 20 Personen gerichtet.

d) Ohne Verurteilung abgeschlos- Die Zahl der Verurteilten läßt vermuten, daß eine sen (vgl. oben III 4) sind die systematische Überprüfung des Komplexes weitere Verfahren gegen 6 294 Personen Erkenntnisse erbringen könnte. Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode Drucksache IV/3124

C. Verfahren wegen Straftaten in Konzen- witz hingerichtet. Der spätere Lagerkommandant trationslagern wurde 1947 in Krakau hinge- richtet. Der zeitweilige Lagerkommandant Fritz Wegen KZ-Straftaten wurden Ermittlungen gegen Hartjenstein wurde von einem britischen Militär- 5191 Personen gericht 1946 zu lebenslanger Freiheitsstrafe ver- eingeleitet. Davon befinden sich die Verfahren ge- urteilt, dann an Frankreich ausgeliefert und dort gen 21 Personen noch bei der Zentralen Stelle in zweimal zum Tode verurteilt; er starb 1954 in . Ludwigsburg im Stadium der Vorermittlungen. Der letzte Lagerkommandant starb 1963 in Frankfurt in der Untersuchungshaft. a) Verurteilt wurden 262 Personen Von den Schutzhaftlagerführern wurden Remmele, davon zum Tode 2 Schöttel und Thumann aufgrund alliierter Urteile zu lebenslangem Zuchthaus 33 hingerichtet, Fritzsch und Schwarzhuber sind ver- storben. zu zeitiger Freiheitsstrafe 227 (Hier muß berücksichtigt werden, daß bereits von 2. KZ Belzec den Besatzungsmächten und — vor allem bei den Insgesamt wurden wegen dieses Tatkomplexes im Osten gelegenen Kon- gegen 51 Personen Strafverfahren eingeleitet, von zentrationslagern — von denen noch eines anhängig ist. Gegen die übrigen polnischen Gerichten meh- 50 Beschuldigten wurden die Verfahren eingestellt. rere tausend Deutsche we- Der ehemalige Lagerkommandant gen KZ-Verbrechen verur- ist verstorben. teilt worden sind). b) Noch anhängig sind Ver- fahren gegen 1504 Personen 3. KZ Bergen - Belsen c) Vorläufig eingestellt sind Wegen dieses Tatkomplexes wurden Ermittlun- die Verfahren gegen 107 Personen gen gegen 53 Personen eingeleitet. d) Ohne Verurteilung endgül- Noch anhängig sind die Verfahren gegen 33 Be- tig abgeschlossen sind die schuldigte, eingestellt wurde bei 20 Personen. Verfahren gegen 3318 Personen Der Lagerkommandant Josef Kramer und der Diese Zahlen verteilen sich auf die einzelnen Lagerführer Franz Hößler wurden 1945 von einem Lager wie folgt: britischen Militärgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet.

1. KZ Auschwitz 4. KZ Buchenwald Beschuldigte insgesamt 1046 Personen a) davon wurden bisher ver- Insgesamt wurden Verfahren gegen 265 Personen urteilt 17 Personen eingeleitet. a) Davon wurden verurteilt davon 23 Personen zu lebenslangem Zuchthaus 3 davon zu zeitiger Freiheitsstrafe 14 zu lebenslangem Zuchthaus 5 b) Noch anhängig sind Ver- zu zeitiger Freiheitsstrafe 18 fahren gegen 346 Personen (darunter befinden sich b) Noch anhängig sind Ver- auch die Angeklagten des fahren gegen . 79 Personen Frankfurter Auschwitzpro- c) Vorläufig eingestellt sind zesses gegen Mulka u. a.) die Verfahren gegen 2 Personen c) Vorläufig eingestellt sind d) Ohne Verurteilung endgül- 4 Beschuldigte die Verfahren gegen tig abgeschlossen sind die d) Ohne Verurteilung endgül- Verfahren gegen 161 Personen tig abgeschlossen sind die Verfahren gegen 679 Personen Der Lagerführer Koch wurde wegen strafrecht- licher Verfehlungen bereits vor dem 8. Mai 1945 auf Von polnischen Gerichten sollen über 600 Ver- Befehl Himmlers hingerichtet. Seine Frau — Ilse

fahren gegen KZ-Personal von Auschwitz durchge- Koch — wurde vom Schwurgericht Augsburg 1951 führt worden sein. zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt und verbüßt Über das Schicksal der Lagerführer ist folgendes diese Strafe. zu bemerken: Wegen des Schutzhaftlagerführers Hößler vgl. bei Der Lagerkommandant Rudolf Höß wurde nach KZ Bergen-Belsen, der Schutzhaftlagerführer Au- dem Kriege an Polen ausgeliefert und 1948 in Ausch- meier wurde 1948 in Polen hingerichtet. Drucksache IV/3124 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode

5. KZ Dachau c) Vorläufig eingestellt sind die Verfahren gegen 3 Personen Im April 1945 fiel das KZ Dachau mit der Lager- leitung und dem Bewachungspersonal den amerika- d) Ohne Verurteilung endgül- nischen Streitkräften in die Hände. Aus Empörung tig abgeschlossen sind die über die ungeheuerlichen Zustände, die sie dort Verfahren gegen 262 Personen vorfanden, haben amerikanische Soldaten in den ersten Besatzungstagen ohne gerichtliches Verfah- Der erste Lagerkommandant Theodor Eicken fiel ren zahlreiche Erschießungen von Angehörigen des 1943. Der Lagerkommandant Loritz ist ebenfalls ver- KZ-Bewachungspersonals durchgeführt. Das übrige storben. verdächtige Verwaltungs- und Bewachungspersonal, weit überwiegend SS-Leute, und einige der Beteili- Der Schutzhaftlagerführer Zill wurde 1955 vom gung an den Gewalttaten verdächtige Häftlinge wur- Schwurgericht München II zu lebenslangem Zucht- den von den Besatzungstruppen in Haft genommen haus verurteilt. und in 120 kriegsgerichtlichen Verfahren von den im KZ-Bereich errichteten amerikanischen Militär- Es darf angenommen werden, daß die im KZ gerichten verfolgt. 549 Personen wurden angeklagt. Dachau begangenen NS-Gewalttaten so vollständig 457 Personen wurden verurteilt. Gegen 37 Beschul- überprüft wurden, daß mit dem Bekanntwerden bis- digte ergingen Todesurteile, die teilweise noch im her unbekannter und verborgen gebliebener Mord- KZ-Bereich, später in Landsberg a. L. vollstreckt täter oder Mordgehilfen aller Voraussicht nach nicht wurden. Einige weitere Todesurteile wurden im mehr gerechnet werden kann. Gnadenweg in Haftstrafen umgewandelt; die Frei- heitsstrafen wurden in Landsberg a. L. bis zur end- gültigen Auflösung des Kriegsverbrechergefängnis- 6. KZ Dora („Mittelbau", bei Nordhausen) ses vollstreckt. 92 Angeklagte wurden freigespro- chen. Wegen des amerikanischen Verfahrens vgl. Ab- Bereits ab 1946, in vollem Umfang seit 1948, lie schnitt B II 1. fen neben den amerikanischen Strafverfahren deut- Von der deutschen Justiz wurden Ermittlungen sche Ermittlungen zur Aufklärung der Gewalttaten geführt gegen insgesamt im KZ Dachau. Sie richteten sich gegen den kleinen 91 Personen. Rest von Beschuldigten oder Verdächtigen, die sich a) Davon wurden verurteilt der Verfolgung durch die amerikanische Militär- zu zeitiger Freiheitsstrafe 3 Personen justiz entzogen hatten oder gegen Beschuldigte oder Verdächtige, die im Zeitpunkt der Besetzung des b) Noch anhängig sind Verfahren KZ Dachau durch die amerikanischen Streitkräfte gegen 25 Personen nicht mehr dort tätig waren und sich dadurch der amerikanischen Strafverfolgung entziehen konnten, c) - Vorläufig eingestellt ferner gegen Beschuldigte, die von den amerikani- sind die Verfahren gegen 2 Personen schen Strafverfolgungsbehörden nicht verfolgt wur- den, weil sich die Täter nur gegen Deutsche ver- d) Ohne Verurteilung endgültig gangen hatten. abgeschlossen sind die Verfahren gegen 61 Personen. Die in den deutschen Verfahren aufzuklärenden Straftaten wurden teils in staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren, teils in gerichtlichen Vor- Der Lagerkommandant, SS-Sturmbannführer Otto untersuchungen untersucht. Dabei wurden nicht nur Förschner, starb 1946. die den einzelnen Beschuldigten angelasteten Straf- taten aufgeklärt, sondern die Ermittlungen und Un- tersuchungshandlungen auch auf die Aufklärung 7. KZ Emslandlager (Esterwegen/Papenburg) weiterer Straftaten bisher unbekannter Beschuldig- Verfahren wurden gegen insge- ter ausgedehnt. Schließlich wurden ab 1958 sogar samt 407 Personen noch die sog. Landsberg-Häftlinge überprüft, das sind die aus Landsberg Entlassenen, in den amerika- eingeleitet. nischen Dachau-Prozessen Verurteilten. In einigen Fällen wurden Ermittlungs- und Strafverfahren a) Davon wurden verurteilt 63 Personen durchgeführt. zu lebenslanger Freiheitsstrafe 3 Insgesamt wurden von der deutschen Justiz Er- zu zeitiger Freiheitsstrafe 60 mittlungsverfahren gegen 296 Personen durchge- führt. b) Anhängig sind noch Verfahren gegen 9 Personen a) Davon wurden verurteilt 23 Personen davon c) Vorläufig eingestellt sind die zu lebenslangem Zuchthaus 4 Verfahren gegen — Personen zu zeitiger Freiheitsstrafe 19 d) Ohne Verurteilung endgültig b) Noch anhängig sind Ver- abgeschlossen sind die Verfah- fahren gegen 8 Personen ren gegen 335 Personen. Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode Drucksache IV/3124

8. KZ Flossenbürg a) Davon wurden verurteilt — Personen Verfahren wurden gegen insge- b) Anhängig sind noch Verfahren samt 252 Personen gegen 14 Personen eingeleitet. c) Vorläufig eingestellt sind die Verfahren gegen — Personen a) Davon wurden verurteilt zu zeitiger Freiheitsstrafe 19 Personen d) Ohne Verurteilung endgültig abgeschlossen sind die Ver- b) Anhängig sind noch Verfahren fahren gegen 156 Personen gegen 8 Personen c) Vorläufig eingestellt sind die Verfahren gegen 4 Personen 13. KZ Majdanek d) Ohne Verurteilung endgültig abgeschlossen sind die Verfah- Verfahren wurden gegen insge- samt ren gegen 221 Personen 387 Personen eingeleitet.

9. KZ Groß-Rosen a) Davon wurden verurteilt — Personen Verfahren wurden gegen insge- b) Anhängig sind noch Verfahren samt 124 Personen gegen 329 Personen eingeleitet. c) Vorläufig eingestellt sind die Verfahren gegen — Personen a) Davon wurden verurteilt zu zeitiger Freiheitsstrafe 6 Personen d) Ohne Verurteilung endgültig b) Anhängig sind noch Verfahren abgeschlossen sind die Verfah- gegen 43 Personen ren gegen 58 Personen c) Vorläufig eingestellt sind die Der zeitweilige Lagerkommandant Liebehenschel Verfahren gegen 2 Personen wurde 1947 in Krakau hingerichtet (vgl. auch zu 1. d) Ohne Verurteilung endgültig KZ Auschwitz). abgeschlossen sind die Verfah- ren gegen 73 Personen darunter den Lagerkommandan- 14. KZ Mauthausen ten. Wegen des amerikanischen Verfahrens gegen das KZ-Personal vgl. oben B II 1. 10. KZ Hinzert Deutsche Verfahren wurden ge- Verfahren wurden eingeleitet gen insgesamt 380 Personen gegen insgesamt 13 Personen eingeleitet. a) Davon wurden verurteilt 6 Personen zu lebenslanger Freiheitsstrafe 1 a) Davon wurden verurteilt 7 Personen zu zeitiger Freiheitsstrafe 5 zu lebenslanger Freiheitsstrafe 3 b) Anhängig sind noch zu zeitiger Freiheitsstrafe 4 Verfahren gegen 1 Person b) Anhängig sind noch Verfahren c) Vorläufig eingestellt gegen 96 Personen sind die Verfahren gegen Personen c) Vorläufig eingestellt sind die d) Ohne Verurteilung endgültig Verfahren gegen 11 Personen abgeschlossen sind die Verfah- ren gegen 6 Personen d) Ohne Verurteilung endgültig abgeschlossen sind die Ver- fahren gegen 266 Personen 11. KZ Neue Bremm Das Verfahren gegen das Personal dieses Lagers Der Kommandant des Lagers, SS-Sturmbannführer wurde von einem französischen Besatzungsgericht Alois Obermeier, wurde von einem amerikanischen durchgeführt (vgl. Abschnitt B II 3). Militärgericht 1947 zu 10 Jahren Freiheitsstrafe ver- urteilt. Ein weiterer Lagerkommandant, Karl Chmie- lewski, wurde vom Schwurgericht Ansbach am 12. KZ Kulmhof (Chelmo) 11. April 1961 zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Der Lager- und Kommandoführer Fritz Miroff und Verfahren wurden gegen insge- der Rapportführer Franz Kofler wurden in dem samt 170 Personen amerikanischen Verfahren zum Tode verurteilt und eingeleitet. hingerichtet. Drucksache IV/3124 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode

15. KZ Natzweiler-Strutthof d) Ohne Verurteilung endgültig abgeschlossen sind die Ver- Verfahren wurden gegen insge- fahren gegen 46 Personen samt 200 Personen eingeleitet. 18. KZ Sachsenhausen — Oranienburg a) Davon wurden verurteilt Verfahren wurden gegen insge- zu zeitiger Freiheitsstrafe 3 Personen samt 778 Personen b) Anhängig sind noch Verfahren eingeleitet. gegen 47 Personen c) Vorläufig eingestellt sind die a) Davon wurden verurteilt 19 Personen Verfahren gegen 9 Personen zu lebenslanger Freiheitsstrafe 5 d) Ohne Verurteilung endgültig zu zeitiger Freiheitsstrafe 14 abgeschlossen sind die Ver- b) Anhängig sind noch Verfahren fahren gegen 141 Personen gegen 374 Personen Der Lagerkommandant, SS-Sturmbannführer Hans c) Vorläufig eingestellt sind die Hüttig, der auch zeitweilig Kommandant des Lagers Verfahren gegen 2 Personen s Hertogenbosch (Niederlande) war, wurde von d) Ohne Verurteilung endgültig einem französischen Militärgericht in Metz 1954 zu abgeschlossen sind die Ver- lebenslangem Zuchthaus verurteilt. fahren gegen 383 Personen Der ehemalige Lagerführer Höhn wurde ebenso 16. KZ Neuengamme wie die Unterführer Böhm, Bugdalle, Schubert und Sorge zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Der Gegen Angehörige des Lagerpersonals war ein Lagerarzt Dr. Baumkötter wurde durch Urteil des Verfahren vor eine britischen Militärgericht an- Schwurgerichts Münster vom 19. Februar 1962 mit hängig. Der Lagerkommandant, SS-Sturmbannführer 8 Jahren Zuchthaus bestraft. Max Pauly, wurde zum Tode verurteilt und 1946 hingerichtet. 19. KZ Sobibor Deutsche Verfahren wurden ge- gen insgesamt 76 Personen Verfahren wurden gegen insge- eingeleitet. samt 123 Personen eingeleitet. a) Davon wurden verurteilt 8 Personen a) Davon wurden verurteilt 2 Personen zu lebenslanger Freiheitsstrafe 1 zum zu zeitiger Freiheitsstrafe 7 Tode 1 zu lebenslanger Freiheitsstrafe b) Anhängig sind noch Verfahren 1 gegen 5 Personen b) Anhängig sind noch Verfahren gegen 21' Personen c) Vorläufig eingestellt sind die Verfahren gegen 1 Person c) Vorläufig eingestellt sind die Verfahren gegen 50 Personen d) Ohne Verurteilung endgültig abgeschlossen sind die Ver- d) Ohne Verurteilung endgültig fahren gegen 62 Personen abgeschlossen sind die Ver- fahren gegen 50 Personen 17. KZ Ravensbrück 20. KZ Stutthof Der Lagerkommandant, SS-Sturmbannführer Fritz Suhren, wurde von einem alliierten Gericht zum Verfahren wurden gegen insge- Tode verurteilt und 1950 hingerichtet. samt 40 Personen eingeleitet. Deutsche Verfahren wurden ge- gen insgesamt 66 Personen a) Davon wurden verurteilt zu zeitiger Freiheitsstrafe eingeleitet. 6 Personen b) Anhängig sind noch Verfahren a) Davon wurden verurteilt gegen 4 Personen zu zeitiger Freiheitsstrafe 5 Personen c) Vorläufig eingestellt sind die b) Anhängig sind noch Verfahren Verfahren gegen 3 Personen gegen 15 Personen d) Ohne Verurteilung endgültig c) Vorläufig eingestellt sind die abgeschlossen sind die Ver- Verfahren gegen — Personen fahren gegen 27 Personen Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode Drucksache IV/3124

21. KZ Treblinka Reichenau/Innsbruck Sachsenburg Verfahren wurden gegen insge- Schülp/Notorf samt 33 Personen Schwetig/Frankfurt/Oder eingeleitet. Soldau Sollstedt a) Davon wurden verurteilt Sonnenburg zu lebenslanger Freiheitsstrafe 1 Person Vaivara-Saka (Auwere, Narwa, Kiviöli) b) Anhängig sind noch Verfahren Zawiercie/Polen gegen :14 Personen Zschorlau c) Vorläufig eingestellt sind die Bei diesen Lagern handelt es sich großenteils um Verfahren gegen 13 Personen Lager aus der Anfangszeit (insbesondere Schutz- d) Ohne Verurteilung endgültig lager der SA aufgrund der Notverordnung vom abgeschlossen sind die Ver- 28. Februar 1933 „zum Schutze von Volk und Staat") fahren gegen 5 Personen und kleinere, nur kurze Zeit bestehende Lager.

22. Andere Konzentrationslager D. Sogenannte „" im November Verfahren wurden gegen insge- 1938 samt 340 Personen Verfahren waren gegen insgesamt eingeleitet. 12 681 Personen a) Davon wurden verurteilt 51 Personen anhängig. davon zum Tode 1 a) Davon wurden verurteilt 2 703 Personen zu lebenslanger Freiheitsstrafe 6 zu lebenslanger Freiheits- zu zeitiger Freiheitsstrafe 44 strafe 1 b) Anhängig sind noch Verfahren zu zeitiger Freiheitsstrafe 2693 gegen 32 Personen zu Geldstrafen 8 c) Vorläufig eingestellt ist das jugendrichterliche Ver- gegen 1 Person warnung 1 d) Ohne Verurteilung endgültig b) Anhängig sind noch Ver- abgeschlossen sind die Ver- fahren gegen 12 Personen fahren gegen 256 Personen c) Vorläufig eingestellt sind In den obenstehenden Zahlen sind die Angaben Verfahren gegen 12 Personen über folgende Lager zusammengefaßt: d) Ohne Verurteilung end- Alderney (Kanalinsel) gültig abgeschlossen sind Bad Sulza die Verfahren gegen 9 954 Personen Börgermoor Budzin Da es sich bei dieser (von Berlin aus befohlenen) Burg Hohenstein Aktion jeweils um örtliche Ausschreitungen han- Deblin-Irena delt, kam eine Aufklärung des Gesamtkomplexes Fürsterberg (Brandenburg) nicht in Betracht. Görlitz Aus den Berichten der Staatsanwaltschaften und Hallendorf den oben genannten Zahlen geht hervor, daß mit Hamburg-Fuhlsbüttel dem Bekanntwerden neuer Taten oder Täter nicht Hassee/Kiel zu rechnen ist. Heddernheim Heinewald 's Hertogenbosch E. Euthanasie - Aktionen Heuberg Hohnstein Neben alliierten Verfahren — vor allem dem Kemna Nürnberger Ärzte-Prozeß — wurden deutsche Ver- Kuhlen I fahren gegen insgesamt 488 Personen Lande Lemberg-Janowska eingeleitet. Lenta a) Davon wurden verurteilt 40 Personen Lichtenburg Lodz (Litzmannstadt) davon zum Tode 5 Niederhagen-Wewelsburg zu lebenslanger Freiheits- Nordmark/Kiel strafe 4 Radegast/Litzmannstadt zu zeitiger Freiheitsstrafe 31 Drucksache IV/3124 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode b) Anhängig sind noch Ver- 1. Reichskanzlei fahren gegen 95 Personen Verfahren gegen 7 Beschuldigte sind inzwischen eingestellt worden. c) Vorläufig eingestellt sind die Verfahren gegen 3 Personen 2. Parteikanzlei d) Ohne Verurteilung endgül- Gegen einen Beschuldigten ist ein staatsanwalt- tig abgeschlossen sind die schaftliches Ermittlungsverfahren anhängig. Verfahren gegen 350 Personen

Die Euthanasie-Aktionen gehören zu den Straf- 3. Auswärtiges Amt taten, mit deren Verfolgung die deutsche Justiz Insgesamt waren Verfahren gegen 19 Beschuldigte bereits unmittelbar nach der Wiedereröffnung der anhängig. Gerichte begann. Davon sind 13 noch anhängig. Bereits im März 1946 ergingen in Berlin Todes- 2 Gegen 6 Personen sind die Ermittlungen einge- urteile, die auch vollstreckt wurden. stellt worden. Ferner wurden 1946/47 vom Schwurgericht in Frankfurt a. M. wegen Euthanasieverbrechen 4. Reichsministerium des Innern 4 Todesstrafen ausgesprochen und ein Arzt zu Verfahren wurden gegen insgesamt 18 Personen lebenslangem Zuchthaus verurteilt. eingeleitet. In dem Verfahren vor dem Schwurgericht Lim- Anhängig sind noch 7, burg/Lahn gegen Dr. Heyde u. a. wurde der Gesamt- komplex der Euthanasie-Aktionen weitgehend auf- eingestellt sind 11 Fälle. geklärt. Dies hat zur Einleitung eines weiteren Ver- fahrens gegen mehrere hundert Personen in Frank- 5. Reichsjustizministerium furt/M. geführt. Die Verfahren gegen ingesamt 24 Personen sind Wesentliche weitere Erkenntnisse sind kaum zu sämtlich ohne Verurteilung erledigt, davon 8 durch erwarten. gerichtliche Entscheidung und 8 durch Einstellungs- verfügungen der Staatsanwaltschaften. Auf das amerikanische Verfahren in Nürnberg (Juristen-Prozeß, oben B II 1) wird hingewiesen. F. Oberste Reichsbehörden sowie Dienststellen der NSDAP und ihrer Gliederungen, insbe- 6. Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete sondere das Reichssicherheitshauptamt Die gegen 4 Personen eingeleiteten Verfahren sind - eingestellt worden. Ein großer Teil der Hauptverantwortlichen wurde bereits in den alliierten Verfahren — vor allem vor 7. Persönlicher Stab des Reichsführers SS dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg sowie in den amerikanischen Verfahren gegen Ange- Gegen insgesamt 24 Personen waren Verfahren hörige des Wirtschaftsverwaltungshauptamtes, des eingeleitet. Rasse- und Siedlungshauptamtes, im Einsatzgrup- 1 Angeklagter wurde freigesprochen. pen-Prozeß und im Wilhelmstraßen-Prozeß in Nürn- berg — zur Verantwortung gezogen. Die Verurteilung des SS-Oberstgruppenführers am 30. September 1964 durch das Der Komplex Reichssicherheitshauptamt wird von Schwurgericht München II zu 15 Jahren Zuchthaus einer besonderen Arbeitsgruppe des Generalstaats- ist noch nicht rechtskräftig. Gegen 2 weitere Perso- anwalts beim Kammergericht in Berlin bearbeitet nen sind noch Ermittlungsverfahren anhängig. (vgl. unten 8). Bezüglich der übrigen Tatkomplexe Vorläufig eingestellt sind die Ver ist -- wie bereits in der Einleitung erwähnt — die fahren gegen 2 Personen Zuständigkeit der Zentralen Stelle der Landesjustiz- verwaltungen auch auf Taten mit innerdeutschem Ohne Verurteilung endgültig abge Tatort ausgedehnt worden. Die Zentrale Stelle ist schlossen sind die Verfahren gegen 18 Personen. daher nunmehr für die umfassende Aufklärung der Komplexe 1 bis 7 und 9 bis 11 zuständig. Sie hat 8. Reichssicherheitshauptamt nach der Erweiterung ihrer Zuständigkeit eine Ab- teilung II (Inland) gebildet; diese wird insbesondere Bisher wurden 3 Angehörige des Reichssicher- den Tatkomplex 6 (Reichsministerium für die be- heitshauptamtes zu zeitigen Freiheitsstrafen ver- setzten Ostgebiete) umfassend aufklären. Erst da- urteilt. nach kann festgestellt werden, wer als Beschuldigter Das Verfahren gegen die übrigen Angehörigen in Betracht kommt. Die Verjährung wird gegen diese des Reichssicherheitshauptamtes wird auf Weisung Personen wohl kaum in allen Fällen rechtzeitig des Generalstaatsanwalts beim Kammergericht in unterbrochen werden können. Berlin seit Februar 1963 von einer besonderen Im einzelnen sind bisher folgende deutsche Ver- Arbeitsgruppe geführt. Dieses Verfahren wird nach- fahren eingeleitet worden: stehend ausführlich geschildert, da es einen ein- Deutscher: Bundestag — 4. Wahlperiode Drucksache IV/3124

drucksvollen Einblick in die Schwierigkeiten bietet, lassen. Die Listen wurden laufend an die einzelnen die bei einem so umfangreichen Komplex auftreten. Sonderkommissionen der Kriminalpolizei, an die Darüber hinaus ist das Verfahren ein Musterbeispiel Wehrmachtsauskunftsstelle, die Bundesversiche- vorbildlicher Sachaufklärung. rungsanstalt für Angestellte und an die Spruch- Ausgangspunkt für die Vorermittlungen war das kammerakten verwahrenden Behörden übersandt. Material, das seit vielen Jahren in Archiven der Dieses Verfahren führte in etwa zwei Dritteln aller Bundesrepublik Deutschland lagert oder in anderen Fälle zum Erfolg. — schon abgeschlossenen oder noch laufenden — Für alle möglicherweise als Beschuldigte in Be- Verfahren angefallen, bis dahin aber—insbesondere tracht kommenden Personen wurden, um den Über- unter dem hier interessierenden Gesichtspunkt — blick nicht zu verlieren, Personalhefte angelegt. Des nicht oder nur spärlich ausgewertet worden war. weiteren wurden insgesamt 3 Personalkarteien er- Der Generalstaatsanwalt bei dem Landgericht Berlin stellt. beauftragte zunächst einen seiner Sachbearbeiter mit Im einzelnen handelt es sich hierbei um eine dem Studium der einschlägigen Literatur und mit der große Personalkartei, die sämtliche erfaßten Ange- Prüfung der in Berlin zur Verfügung stehenden hörigen des ehemaligen RSHA enthält (ca. 7000 Archivbestände. Weitere präzise Informationen Personen), um eine kleine Personenkartei, die alle wurden bei der Zentralen Stelle der Landesjustiz- RSHA-Angehörigen mit Dienstgraden betrifft (ca. verwaltungen in Ludwigsburg, dem Bundesarchiv 3000 Personen) und um eine Referatskartei, die die in Koblenz sowie bei dem Institut für Zeitgeschichte Zugehörigkeit jedes einzelnen ehemaligen RSHA- in München und später auch bei den Landesarchiven Angehörigen zu einem bestimmten Referat für die in Nürnberg und Düsseldorf eingeholt. Bereits diese Zeit von 1939 bis 1945 wiedergibt (ca. 12 000 Kartei- ersten Vorarbeiten führten zu dem Ergebnis, daß in karten). den genannten Archiven seit langem umfangreiche Aktenbestände aus der NS-Zeit lagerten. Um die in der Bundesrepublik Deutschland ein- schließlich West- lagernden Aktenbestände, Nachdem sich die Landesjustizminister im Oktober die das ehemalige RSHA betreffen, vollständig er- 1963 bei dieser Sachlage entschlossen hatten, west- fassen zu können, wurden 34 Staats- oder Landes- deutsche Staatsanwälte für das in Berlin anhängige archive angeschrieben, Auf Grund des Inhalts der Verfahren abzustellen, hat der Generalstaatsanwalt eingegangenen Antworten sowie der hier bereits im beim Kammergericht das bis dahin von der Staats- Herbst 1963 gewonnenen Erkenntnisse wurden fol- anwaltschaft bei dem Landgericht Berlin geführte gende Archive gesichtet: Verfahren gemäß § 145 GVG an sich gezogen und bei seiner Behörde eine Arbeitsgruppe RSHA ge- Staatsarchiv Nürnberg bildet. Diese bestand zunächst aus 5 Berliner Sach- bearbeitern. Aus den übrigen Bundesländern kamen Durchsicht von etwa 40 000 aus den Nürnberger ab Januar 1964 sechs Staatsanwälte nach Berlin, so Prozessen stammenden Dokumenten. Mit der Aus- daß seit Frühjahr 1964 insgesamt 11 Staatsanwälte wertung waren vier Staatsanwälte 3 Monate lang in der Arbeitsgruppe tätig sind. befaßt. Erstes Ziel der Vorermittlungen war es einmal, Bundesarchiv in Koblenz Erkenntnisse über die personelle Besetzung und die Auswertung von mehreren tausend Dokumenten, Geschäftsverteilung im RSHA zu gewinnen; zum die an Hand der Aktenübersichten des National- anderen, sachliche Unterlagen aufzufinden, aus archivs in Washington (sog. Guides) herausgesucht denen sich Anhaltspunkte für die Arbeitsbereiche worden waren. Diese Tätigkeit beschäftigte zwei sowie insbesondere für den Befehlsweg des „Chefs Dezernenten 3 Monate lang. der und des SD" ergaben. Als Arbeitsunterlagen zur Erfassung der Ange- Militärgeschichtliches Forschungsamt in Freiburg/ hörigen des ehemaligen RSHA dienten die bei ver- Breisgau schiedenen Stellen aufgefundenen Geschäftsver- Hier wurden von zwei Dezernenten mehrere hun- teilungspläne, Telefonverzeichnisse, die Personen- dert — aus den sog. Guides ermittelte — Dokumente kartei der Zentralen Stelle in Ludwigsburg, alliierte durchgesehen. Fahndungslisten, SS-Befehls- und Personalblätter und ähnliche Personalverzeichnisse. Durch Auswer- Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes in Bonn tung dieses Materials war es möglich, die Nach- namen, teilweise auch die Vornamen und Dienst- In diesem Archiv sichtete ein Dezernent etwa 400 grade von etwa 7000 RSHA-Angehörigen zu er- Akten. mitteln. Um die näheren Personalien festzustellen, Internationaler Suchdienst in Arolsen wurden für alle unter Umständen als Beschuldigte in Betracht kommenden Personen (vom Unter- Das Archiv dieses Instituts besteht, soweit es hier sturmführer an aufwärts insgesamt etwa 3000 RSHA- interessiert, aus mehreren hundert Aktenordnern. Angehörige) die Unterlagen des Document Center Diese wurden von einem Sachbearbeiter ausge- Berlin beigezogen. Auf diese Weise gelang es fast wertet. ausnahmslos, Geburtsdaten und Geburtsorte der Betroffenen zu erfahren. Auf Grund der hierdurch Landesarchiv Düsseldorf gewonnenen Personalerkenntnisse wurden alpha- Nach viertägiger Einweisung durch einen staats- betische Listen mit dem Ziel erstellt, den derzeitigen anwaltschaftlichen Sachbearbeiter wurden die etwa Aufenthalt der festgestellten Personen ermitteln zu 73 000 Akten der ehemaligen Stapo-Leitstelle Düssel- Drucksache IV/3124 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode

dorf durch drei Beamte der Kriminalpolizei in 2 Mo- Staatsanwälten in mehrwöchiger Tätigkeit in Berlin naten gesichtet. ausgewertet. Staatsarchiv Würzburg Rijksinstituut voor Oorlogsdocumentatie in Nach einwöchiger Einweisung durch einen Staats- Amsterdam anwalt wurden 17 000 Akten der Stapo-Außenstelle Die Repertorien über die Bestände dieses Archivs, Würzburg durch zwei Kriminalbeamte in 2 Monaten die im Institut für Zeitgeschichte in München vor- durchgesehen. handen sind, wurden 'durchgesehen und ausgewertet. Bezirksregierung der Pfalz in Neustadt a. d. Wein- Archiv der Wiedergutmachungskammern in Berlin straße Die bei diesem Archiv vorhandenen Unterlagen Der größte Teil der bei der Bezirksregierung (40 Aktenordner) wurden von einem Dezernenten in lagernden insgesamt 14 500 Akten der örtlichen ehe- mehreren Wochen durchgearbeitet. maligen Gestapobehörden wurde von zwei Beamten United Restitution Organization (URO) der Kriminalpolizei in 6 Wochen ausgewertet. Die von dieser Stelle herausgegebenen Dokumen- Staatsarchiv Darmstadt tationen wurden ausgewertet. Dieses Archiv wurde von einem Sachbearbeiter gesichtet. Bei den Aktenbeständen handelt es sich Von den Beständen der aufgeführten Archive wur- um Unterlagen der SD-Abschnitte Fulda/Werra und den etwa 6000 Dokumente (rund 25 000 Photokopien) Rhein sowie der SD-Unterabschnitte Hessen und abgelichtet. Damit die Dokumente im Bedarfsfall je- Wiesbaden. derzeit herangezogen werden können, sind sie in einer Kartei — nach Sachgebieten getrennt — über- Hessisches Staatsarchiv in Wiesbaden sichtlich zusammengefaßt worden. Allein die Arbei- Hier wurden von einem Dezernenten 850 Akten ten, die notwendig waren, um diese Kartei zu erstel- der verschiedenstenehemaligen NS-Dienststellen len, erforderten den Einsatz aller verfügbaren An- aus dem Raum Frankfurt/Main durchgesehen. gehörigen der Arbeitsgruppe für mehrere Monate. Um zusätzlich an Hand von Einzelfällen einen Staatliches Archivlager in Göttingen Überblick über den Befehlsweg des „Chefs der Sipo Die in diesem Archivlager vorhandenen Karteien und des SD" zu erhalten sowie Anhaltspunkte dafür wurden von einem Sachbearbeiter ausgewertet. Ak- zu gewinnen, wie im jeweiligen Einzelfall Befehl ten wurden nicht durchgesehen, da es sich bei den und Tat an Ort und Stelle schließlich ausgeführt Beständen lediglich um Ablichtungen anderswo worden sind, wandte sich der Generalstaatsanwalt lagernder Vorgänge handelt. beim Kammergericht in Berlin mit Rundschreiben vom 18. Dezember 1963 an sämtliche Generalstaats- Ehemaliges Preußisches Geheimes Staatsarchiv in - anwälte in ,der Bundesrepublik und bat sie, die ihnen Berlin-Dahlem nachgeordneten Behörden zu veranlassen, Listen Bei diesem Archiv wurden mehrere hundert Ak- über die bei den einzelnen Staatsanwaltschaften an- bände des ehemaligen Reichsinnenministeriums von hängigen bzw. anhängig gewesenen einschlägigen zwei Dezernenten durchgesehen. Daneben wurden Verfahren zu übersenden. Die mitgeteilten Vor- die Prozeßakten von 7 der insgesamt 12 Nürnberger gänge (etwa 1200) sind — nach Sachgebieten ge- Nebenprozesse (insgesamt 587 Bände) von den in trennt — in einer Verfahrenskartei erfaßt worden. in mehrwöchiger Berlin tätigen Staatsanwälten Die Vorarbeiten waren im wesentlichen im August Tätigkeit durchgearbeitet. 1964 abgeschlossen. Erst zu diesem Zeitpunkt konnte mit den eigentlichen Vorermittlungen begon- Haupttreuhänder der Rückerstattungsvermögen nen werden. (OFP-Verwahrstelle) Bei Auswertung der Geschäftsverteilungspläne In dieser Verwahrstelle wurden mehrere tausend des RSHA sowie der Sachdokumente ergaben sich Akten, die Aufschluß über die Deportation und Ver- mehrere Schwerpunkte, die auf eine Beteiligung des nichtung der deutschen, insbesondere der Berliner RSHA an Tötungshandlungen hinwiesen. Diesen Juden geben, von zwei Sachbearbeitern ausge- Schwerpunkten entsprechend wurde das Vorermitt- wertet. lungsverfahren in mehrere Sachkomplexe aufgeteilt. Mit der Bearbeitung eines jeden Sachkomplexes Deutsches Zentralarchiv in Potsdam wurden ein oder zwei Sachbearbeiter beauftragt. Von zwei Sachbearbeitern wurden aus den Be- Zur Zeit werden Ermittlungen bezüglich folgender ständen dieses Archivs 160 Aktenpakete des ehe- Arbeitsbereiche des RSHA geführt: maligen SD-Hauptamtes, das im Jahre 1939 im RSHAaufging, durchgesehen. Sachkomplex I (Beteiligung des RSHA an der sog. „Endlösung der Juden- Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen in frage") Ludwigsburg Auf diesem Sachgebiet ist das gesammelte Mate- Die bei der Zentralen Stelle vollständig vorhan- rial nach Ländern gegliedert und in Dokumenten denen Ablichtungen sämtlicher Prozeßunterlagen bänden (bei 16 Gebieten in insgesamt 49 Bänden) des ,,Eichmann"-Verfahrens wurden von zwei zusammengefaßt worden. Die Sachbearbeiter haben Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode Drucksache IV/3124

Inhaltsverzeichnisse angelegt und die gesamten Un- greifbaren Ergebnissen geführt. Zur Zeit werden terlagen — nach beteiligten Dienststellen und alle einschlägigen Dokumente zusammengestellt und RSHA-Angehörigen sowie nach Taten -- ausgewer- ausgewertet. Über den Personenkreis, der mög- tet. Für jedes Gebiet wurde ein gesonderter Ermitt- licherweise der Beteiligung an Mordtaten verdäch- lungsvermerk gefertigt. Ein allgemeiner „Entwick- tig ist, kann abschließend noch nichts gesagt wer- lungsvermerk" und eine Zusammenstellung über den. Es besteht jedoch die begründete Aussicht, die die beteiligten Referate des RSHA ergänzen die Arbeiten so rechtzeitig abzuschließen, daß die Straf- einzelnen Darstellungen. Die in Betracht kommen- verfolgungsverjährung auch in diesem Fall vor dem den Beschuldigten und Zeugen wurden karteimäßig 8. Mai 1965 unterbrochen wird, soweit sich ein kon- erfaßt. kreter Tatverdacht ergibt. Zu Beginn des Jahres 1965 wurde dann ein Er- mittlungsverfahren gegen 146 Beschuldigte einge- d) Beteiligung des RSHA an der Entwicklung und leitet. Diese sind verdächtig, im Rahmen der „End- dem Einsatz von Gaswagen lösung der Judenfrage" in den Jahren 1940 bis 1945 Diese Vorermittlungen erstreckten sich auf Massen- in einer unbestimmten Anzahl von Fällen an der tötungen von Juden, „potentiellen Gegnern" und Ermordung mehrerer Millionen Menschen jüdischer anderen „unliebsamen Personen", die nach einem Rassezugehörigkeit mitgewirkt zu haben. bestimmten System in sog. Gaswagen „liquidiert" Das Verfahren hat die Beteiligung des RSHA an wurden. Alle mit dieser Vergiftungsaktion zusam- der „Endlösung" in sämtlichen in Betracht kommen- menhängenden Fragen wurden, wie sich ergeben den Ländern mit Ausnahme der Sowjetunion und hat, beim RSHA bearbeitet. Ungarns zum Gegenstand. Die Tätigkeit von Ange- Wegen dieses Sachverhalts ist bereits bei der hörigen des RSHA bei der Tötung von Juden in der Staatsanwaltschaft Hannover das Verfahren gegen Sowjetunion wird im Sachkomplex II (Einsatzgrup- Pradel u. a. anhängig, in dem 1961 die Vorunter- pen) untersucht; die „Endlösung der Judenfrage" in suchung eröffnet worden ist. Das Verfahren in Han- Ungarn wird bereits umfassend von der Staats- nover wird umfassend geführt. Soweit Unterlagen anwaltschaft Frankfurt/Main bearbeitet. und Personalerkenntnisse zur Verfügung standen, die in Hannover noch nicht bekannt waren, wurde Sachkomplex II dieses Material dem Untersuchungsrichter in Han- a) Beteiligung des RSHA an der Tätigkeit der Ein- nover mit der Bitte ausgehändigt, es in dem dort satzgruppen und Einsatzkommandos bzw. der anhängigen Verfahren zu verwerten. Nachfolgedienste in der Sowjetunion Bei dieser Sachlage konnte davon abgesehen wer- Neben den Ereignismeldungen und Meldungen den, in diesem Sachkomplex in Berlin noch weitere aus den besetzten Ostgebieten (insgesamt 243), die Ermittlungen führen zu lassen. zur Zeit getrennt nach dem Einsatz der einzelnen Einsatzgruppen und Einsatzkommandos ausgewertet Sachkomplex III werden, ist das übrige auf diesem Sachgebiet ge- - A 1) Beteiligung des RSHA an Massenexekutionen sammelte Material in 20 Dokumentenbänden er- von Kriegsgefangenen faßt worden. Außerdem wurden die Akten mehrerer Vorverfahren herangezogen, ferner die Aussagen Das vorhandene Material sowie die Erkenntnisse, der in den Nürnberger Prozessen bereits in diesem die sich aus der Durchsicht von etwa 30 einschlägi- Zusammenhang gehörten Personen. Mit Hilfe dieser gen Verfahrensakten ergaben, wurden in etwa 15 Unterlagen konnten die beteiligten Referate und Ordnern zusammengefaßt. Im Oktober 1964 wurde die in Betracht kommenden Angehörigen des RSHA ein Ermittlungsverfahren gegen 20 Angehörige des ermittelt werden. Nach den drei hierüber erstellten RSHA eingeleitet. Einleitungsvermerken sind insgesamt 178 RSHA Die Beschuldigten sind verdächtig, in Konzentra- Angehörige verdächtig, sich in diesem Zusammen- tionslagern und an anderen Orten während der hang an Tötungshandlungen beteiligt zu haben. Jahre 1941 bis 1943 gemeinschaftlich mit anderen Es ist damit zu rechnen, daß gegen diese als Be- Mittätern eine unbestimmte Anzahl russischer schuldigte in Betracht kommenden Personen im Kriegsgefangener aus rassischen oder politischen Februar 1965 ein Ermittlungsverfahren eingeleitet Gründen „liquidiert" zu haben. wird. Die russischen Kriegsgefangenenlager wurden auf Grund der vom RSHA erlassenen Einsatzbefehle b) Beteiligung des RSHA an der Tätigkeit der Ein- Nr. 8, 9 und 14 durch Einsatzkommandos der Sipo satzgruppen und Einsatzkommandos in Serbien, und des SD überprüft; die als Juden, Kommissare Kroatien, der Steiermark und Krain oder andere „bolschewistische Triebkräfte" festge- Die gesamten Unterlagen sowie mehrere Vorver- stellten Personen wurden dem RSHA gemeldet. fahren wurden ausgewertet. Nach Eingang noch Dieses ordnete alsdann — abgesehen von wenigen ausstehender wichtiger Verfahrensakten wird die Ausnahmen — die Exekution der ausgesonderten Sache voraussichtlich mit dem Vorgang II a) ver- Gefangenen entweder im nächstgelegenen Konzen- bunden. trationslager oder in unmittelbarer Nähe des je- weiligen Kriegsgefangenenlagers an. Die Zahl der c) Beteiligung des RSHA an der Tötung von Polen, Opfer beträgt weit über 100 000 Personen; allein im insbesondere der polnischen Intelligenz Konzentrationslager Oranienburg sind mit Hilfe Die auf diesem Sachgebiet geleisteten Arbeiten einer sog. „Genickschußanlage" 10 800 Kriegsgefan- haben — noch in den Anfängen — bisher zu keinen gene getötet worden. Drucksache IV/3124 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode

A 2) Beteiligung des RSHA an den im Rahmen des 40 bei anderen Staatsanwaltschaften gegen örtliche „ Unternehmens Zeppelin" begangenen Tötun- Täter anhängige Verfahren wurden ausgewertet. gen russischer Kriegsgefangener Auf diese Weise konnten 148 Fälle von „Sonderbe- Die Angehörigen der Referate VI C/Z und VI C 1 handlung" festgestellt werden. Eine Opfer- und eine des ehemaligen RSHA sind verdächtig, in Auschwitz Verfahrenskartei wurden gefertigt. Mitte Dezember und an anderen Orten während der Jahre 1942 bis 1964 wurde gegen 106 Angehörige des RSHA ein Er- 1944 gemeinschaftlich mit anderen Mittätern eine mittlungsverfahren eingeleitet. unbestimmte Anzahl russischer Kriegsgefangener, B 2) Schutzhafteinweisung von Juden in einzelnen die zu Spionage und anderen nachrichtendienstlichen Fällen durch das RSHA mit dem Ziel der Zwecken im deutschen Interesse ausgebildet worden Tötung waren, „liquidiert" zu haben, nachdem die Betref- fenden unheilbar krank geworden waren. Die Aus- Das vorhandene Material wurde in 7 Dokumenten bildung der russischen Kriegsgefangenen für die be- bänden zusammengefaßt. Als Beschuldigte kommen zeichneten Aufgaben und ihr Einsatz oblag dem etwa 65 Angehörige des RSHA in Betracht. Bevor Referat VI C/Z unter dem Decknahmen „Unterneh- ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden kann, men Zeppelin" ; die grundlegende Verfügung, un- muß jedoch noch eine Vielzahl bereits angeforderter heilbar Kranke zu töten, erließ das Referat VI C 1. Vorverfahrensakten durchgesehen werden. Wegen dieses Sachverhalts ist bereits bei der B 3) Beteiligung des RSHA an Anordnungen über Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Düsseldorf die ,,Sonderbehandlung" gegen Priester ein Verfahren anhängig, in dem die Verjährung un- terbrochen worden ist. Auf Grund der von der Ber- Die Bearbeitung dieses Sachkomplexes befindet liner Arbeitsgruppe gewonnenen und der Staats- sich noch in den Anfängen, da so gut wie keine anwaltschaft Düsseldorf zur Verfügung gestellten Dokumente vorliegen. Um konkretes Beweismaterial Personalerkenntnisse wird der Kreis der Beschuldig- zu erhalten, hat sich die Arbeitsgruppe mit dem ten wesentlich erweitert und die Verjährung auch früheren Ankläger in den Nürnberger Prozessen, insoweit unterbrochen werden. Der Staatsanwalt- Rechtsanwalt Dr. Kempner, in Verbindung gesetzt schaft bei dem Landgericht Düsseldorf wurden in sowie verschiedene Vorverfahrensakten angefordert. dieser Sache 3 Dokumentenbände mit insgesamt Bei dem derzeitigen Sachstand erscheint es zwei- 315 Seiten sowie 2 Personallisten der betreffenden felhaft, ob in diesem Fall ein Ermittlungsverfahren Referatsangehörigen mit der Bitte ausgehändigt, eingeleitet werden kann. dieses Material im dortigen Verfahren zu verwer- ten. B 4) Beteiligung des RSHA an der Anordnung von Bei dieser Sachlage wird auch in diesem Sachkom- ,,Sonderbehandlung" gegen Marxisten und an- plex davon abgesehen, in Berlin noch weitere Er- dere, insbesondere wegen Beteiligung an der mittlungen zu führen. Gruppe ,,Rote Kapelle" A 3) Beteiligung des RSHA an der Tötung von - Auf Grund einer Angabe und einzelner Doku- Kriegsgefangenen auf Grund des sog. Kom- mente wurde gegen 105 Angehörige des RSHA ein mandobefehls Ermittlungsverfahren eingeleitet. Das vorhandene Material wurde in 2 Dokumenten Die Beschuldigten sind verdächtig, im Jahre 1943 bänden zusammengestellt. Als Beschuldigte kommen an der Tötung von 7 niederländischen und 2 deut- insgesamt etwa 70 bis 80 Personen in Betracht. schen Angehörigen, die der Zugehörigkeit zu der Ein Ermittlungsverfahren wird im Februar 1965 Widerstands- und Spionageorganisation „Rote Ka- eingeleitet. pelle" beschuldigt waren, mitgewirkt zu haben. Die Niederländer sollen vom Reichskriegsgericht in dem A 4) Beteiligung des RSHA an der Tötung von Verfahren gegen Angehörige der genannten Orga- Kriegsgefangenen in Einzelfällen nisation freigesprochen, nach dem Urteil aber auf Dieses Sachgebiet betrifft die Tötung geflüchteter Anordnung des RSHA getötet worden sein. Die bei- Kriegsgefangener sowie Einzeltötungen in. Konzen- den Deutschen sollen bereits vor der Verhandlung trationslagern. Das gesammelte Material wurde in an den Folgen der bei den Vernehmungen im RSHA 2 Dokumentenbänden zusammengestellt. Bevor ein erlittenen Mißhandlungen gestorben sein. Ermittlungsverfahren eingeleitet werden kann, müs- B 5) Beteiligung des RSHA an den in Konzentra- sen noch die einschlägigen britischen Militärgerichts- tionslagern durchgeführten „Sonderbehandlun- akten ausgewertet werden. gen" in Einzelfällen Es besteht jedoch die begründete Aussicht, die Ar- Zu diesem Sachgebiet liegen bisher nur Erkennt- beiten so rechtzeitig abzuschließen, daß die Straf- nisse darüber vor, daß in verschiedenen Konzentra- verfolgungsverjährung auch in diesem Fall vor dem tionslagern in mehreren Fällen „Sonderbehandlun- 8. Mai 1965 unterbrochen wird, soweit sich ein kon- gen" durchgeführt worden sind. Die anordnende kreter Tatverdacht ergibt. Stelle sowie die Gründe, die zu diesen Maßnahmen

B 1) Anordnung von „ Sonderbehandlung" durch das geführt haben, sind bisher unbekannt. RSHA gegen Fremdarbeiter wegen unerlaubten Geschlechtsverkehrs und anderer Handlungen Es wird zur Zeit versucht, den Sachverhalt durch Auswertung mehrerer Vorverfahrensakten weiter zu Das vorliegende Material ist gesichert und in ermitteln. Ob das RSHA an diesen Fällen überhaupt 7 Dokumentenbänden zusammengefaßt worden. Etwa beteiligt war, läßt sich zur Zeit noch nicht übersehen. Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode Drucksache IV/3124

C 1) Beteiligung des RSHA bei Menschenversuchen zu ihrem Lebenslauf, ihrer Tätigkeit im RSHA, ihren an Häftlingen in Konzentrationslagern Dienstvorgesetzten u. ä. vernommen worden sind. Alle gewonnenen Erkenntnisse über Menschen- Hierdurch war es möglich, die Nichtbelasteten aus versuche an Häftlingen in Konzentrationslagern den weiteren Ermittlungen herauszulassen. Weiter- wurden gesammelt. Eine Kartei der beteiligten Ärzte hin enthalten die Vernehmungsniederschriften Hin- wurde erstellt. Ob es bei diesem Komplex zur Ein- weise, welche RSHA-Angehörige für bestimmte Sach- leitung eines Ermittlungsverfahrens kommt, hängt gebiete als Zeugen in Betracht kommen. von dem Ergebnis mehrerer Zeugenvernehmungen Aus den bisherigen Darlegungen geht hervor, daß ab, die z. Z. durchgeführt werden. die hier geübte Verfahrensweise zunächst und in erster Linie darauf gerichtet ist, die Strafverfol- C 2) Beteiligung des RSHA an der Häftlings- „ Eutha- gungsverjährung gegen sämtliche als Beschuldigte nasie" in Betracht kommenden RSHA-Angehörigen recht- Dokumente, die eine Beteiligung des RSHA an zeitig, d. h. bis zum 8. Mai 1965, durch richterliche dieser Maßnahme erkennen lassen, sind nicht vor- Handlungen (grundsätzlich Zeugenvernehmungen) handen. Die Auswertung von Verfahrensakten so- unterbrechen zu lassen. Soweit es sich um Ermitt- wie Besprechungen mit Dezernenten einschlägiger lungsvorgänge (Js-Sachen) handelt, liegen die Akten Verfahren haben bisher zu dem Ergebnis geführt, bereits dem Vernehmungsrichter vor. Auch in allen daß höchstwahrscheinlich nicht das RSHA, sondern übrigen hier bearbeiteten Sachkomplexen wird, so- das SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt für weit sich ein konkreter Tatverdacht ergibt, die Straf- die Häftlings- „Euthanasie" verantwortlich war. verfolgungsverjährung mit großer Wahrscheinlich- keit rechtzeitig unterbrochen werden. D 1) Beteiligung des RSHA an der ,,Sonderbehand- lung" von Justizhäftlingen, insbesondere von Bei der systematischen Durchsicht • der oben be- asozialen Personen zeichneten Archivbestände sowie bei der Bearbei- tung der in den vorliegenden Verfahren erörterten Bisher liegen nur Erkenntnisse darüber vor, daß Sachkomplexen haben sich wiederholt Hinweise auf das RSHA an den einschlägigen Grundsatzverhand- die Beteiligung anderer Behörden und Dienststellen lungen beteiligt war. der früheren Reichsregierung und der nationalsozia Inwieweit das RSHA auch mit der Einzeldurchfüh- listischen Organisationen an Massentötungen er- rung solcher Maßnahmen befaßt war, wird an Hand geben. Von der Arbeitsgruppe RSHA sind jedoch, von Vorverfahrensakten, insbesondere der. Akten der ihr gestellten Aufgabe entsprechend, nur solche des Wiesbadener Juristenprozesses, geprüft. Dokumente erfaßt worden, die konkrete Hinweise auf eine Mitwirkung des RSHA an Mordtaten ent- D 2) Beteiligung des RSHA an Massentötungen von hielten. Schon hieraus ergibt sich, daß die über an- Häftlingen bei der Räumung von Strafanstalten dere Reichsbehörden gewonnenen Erkenntnisse nicht und Konzentrationslagern gegen Kriegsende bestimmte Personen, sondern — gewissermaßen nur - „abstrakt" — andere Dienststellen betreffen. Bisher liegen nur Unterlagen vor, aus denen sich ergibt, daß solche Häftlinge offensichtlich zu Tötungszwecken der Gestapo überstellt worden sind. 9. Wirtschaftsverwaltungshauptamt der SS Ob die Exekutionen vom RSHA oder ausschließlich von örtlichen SS-Dienststellen veranlaßt worden Auf das amerikanischen Verfahren in Nürnberg sind, läßt sich zur Zeit noch nicht sagen. Es wird (oben B II 1) wird verwiesen. versucht, diesen Sachverhalt durch Auswertung von Vorverfahrensakten weiter aufzuklären. Ein Angehöriger dieses Amtes wurde von einem deutschen Gericht zu lebenslangem Zuchthaus ver- urteilt; ein Verfahren ist noch anhängig; gegen Neben diesen Sachkomplexen ist hier auf Grund einen Beschuldigten ist das Verfahren eingestellt. der Anzeige eines ehemaligen Häftlings aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen ein weiteres Er- mittlungsverfahren anhängig. Der Anzeigende be- 10. Rasse- und Siedlungshauptamt der SS hauptet, daß unbekannte RSHA-Angehörige einen Mithäftling anläßlich einer Vernehmung getötet Auf das amerikanische Verfahren in Nürnberg hätten. Das Verfahren wird voraussichtlich einge- (oben B II 1) wird verwiesen. stellt werden, da sich auf Grund der lückenhaften Angaben des Anzeigenden ein Tatnachweis nicht er- Von der deutschen Justiz wurden Verfahren bringen läßt. gegen 5 Personen geführt und eingestellt. Auch die ermittelten chargierten RSHA-Angehöri- gen, die nach den bisher gewonnenen Sacherkennt- 11. Sonstige oberste Reichsbehörden und Dienst- nissen nicht als Beschuldigte in Betracht kommen, stellen der NSDAP und ihrer Gliederungen sind überprüft worden. Dies ist in der Weise ge- schehen, daß sie — nach Auswertung der gegen sie Insgesamt wurde gegen 30 Personen ermittelt. Ein anhängig gewesenen Spruchkammerverfahren so- Beschuldigter wurde zu zeitiger Freiheitsstrafe ver- wie der in anderen Sachen bereits aufgenommenen urteilt; anhängig ist das Verfahren gegen einen Be- Vernehmungsniederschriften — in gesonderten AR- schuldigten; gegen 28 Personen ist das Verfahren Vorgängen (bisher 1700) als Zeugen von der Polizei eingestellt. Drucksache IV/3124 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode

G. Einsatzgruppen und -kommandos, deutsche Verurteilt wurden von Dienststellen in Polen und Rußland deutschen Gerichten 92 Angeklagte davon Auf das amerikanische Verfahren in Nürnberg zu lebenslangem Zucht- (vgl. oben B II 1) wird hingewiesen. Deutsche Ver- haus 15 fahren wurden gegen insge- samt 16 028 Personen zu zeitiger Freiheits- strafe 77. eingeleitet. Davon befinden sich die Erhebungen bei 1 593 Personen Ohne Verurteilung abge- schlossen wurden die Ver- noch im Stadium der Vor- fahren gegen 5 045 Beschuldigte. ermittlungen bei der Zentra- len Stelle der Landesjustiz- Wegen des Schicksals der Führer der Einsatzgrup- verwaltungen in Ludwigs- pen und -kommandos wird auf die Broschüre des burg. Bundesjustizministeriums vom Juli 1964, An- Bei den Gerichten und hang II, 3 (S. 74 bis 77) verwiesen. Staatsanwaltschaften sind Verfahren noch anhängig gegen 9 156 Personen. H. Taten im übrigen Ausland Vorläufig eingestellt ist bei 142 Beschuldigten. Hierüber gibt die nachstehende Tabelle Aufschluß.

Verfahren von Staatsanwaltschaften und Gerichten der Bundesrepublik Deuts chland wegen anderer Straftaten, die im Ausland begangen worden sind

ohne Land Verfahren rechtskräftig vorläufig insgesamt verurteilt noch anhängig Verurteilung eingestellt abgeschlossen

Belgien 2 — 1 — 1 Bulgarien 1 — — — 1 Dänemark 10 — 9 — 1 Frankreich 17 — 3 — 14 Griechenland 313 — 3 33 277

Italien 57 — 54 — 3 Jugoslawien 34 — 8 — 26 Niederlande 10 — 1 — 9 Norwegen 36 — 1 7 28 Osterreich 8 --- 2 3 3 Rumänien 1 _ — — 1 Tschechoslowakei 23 1 17 — 5 Ungarn 35 — 14 3 18 Theresienstadt 2 — 1 — 1 Spanien, Luxemburg 8 — 5 — 3 Tunesien unbekannte Länder 787 12 107 14 654

1 344 13 226 60 1 045 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode Drucksache IV/3124

I. Straftaten gegen Kriegsgefangene c) Vorläufig eingestellt sind die Verfahren gegen 61 Personen Verfahren wurden gegen insgesamt 907 Personen d) Ohne Verurteilung endgültig abgeschlossen sind die Verfah- eingeleitet. ren gegen 6992 Personen a) Davon wurden verurteilt 38 Personen zu zeitiger Freiheitsstrafe 37 zu Geldstrafe 1 N. Verbrechen an Fremdarbeitern b) Anhängig sind noch Verfahren Verfahren wurden gegen insgesamt gegen 133 Personen 1163 Personen c) Vorläufig eingestellt sind die eingeleitet. Verfahren gegen 4 Personen a) Davon wurden verurteilt 76 Personen d) Ohne Verurteilung endgültig zu lebenslanger Freiheitsstrafe 2 abgeschlossen sind die Verfah- zu zeitiger Freiheitsstrafe 72 ren gegen 732 Personen zu Geldstrafe 2 b) Anhängig sind noch Verfahren K. Tötung deutscher Soldaten ohne gerichtliches gegen 44 Personen Verfahren c) Vorläufig eingestellt sind die Verfahren wurden gegen insgesamt Verfahren gegen 5 Personen 337 Personen d) Ohne Verurteilung endgültig eingeleitet. abgeschlossen sind die Verfah- a) Davon wurden verurteilt ren gegen 1038 Personen zu zeitiger Freiheitsstrafe 30 Personen b) Anhängig sind noch Verfahren O. Taten kurz vor und kurz nach dem Zusam- gegen 19 Personen menbruch von 1945 c) Vorläufig eingestellt sind die Verfahren wurden gegen insgesamt Verfahren gegen 20 Personen 1218 Personen d) Ohne Verurteilung endgültig eingeleitet. abgeschlossen sind die Verfah- a) Davon wurden verurteilt 181 Personen ren gegen 268 Personen davon zum Tode 3 zu lebenslanger Freiheitsstrafe 8 L. Tötung von Widerstandskämpfern zu zeitiger Freiheitsstrafe 170 Verfahren wurden gegen insgesamt b) Anhängig sind noch Verfahren 136 Personen gegen 53 Personen eingeleitet. c) Vorläufig eingestellt sind die a) Davon wurden verurteilt Verfahren gegen 84 Personen zu zeitiger Freiheitsstrafe 7 Personen d) Ohne Verurteilung endgültig b) Anhängig sind noch Verfahren abgeschlossen sind die Verfah- gegen 38 Personen ren gegen 900 Personen c) Vorläufig eingestellt sind die Verfahren gegen — P. Sonstige Verfahren d) Ohne Verurteilung endgültig abgeschlossen sind die Verfah- Verfahren wurden gegen insgesamt ren gegen 91 Personen 5849 Personen eingeleitet. a) Davon wurden verurteilt 611 Personen M. Denunziationen zu lebenslanger Freiheitsstrafe 2 Verfahren wurden gegen insgesamt zu zeitiger Freiheitsstrafe 578 7674 Personen zu Geldstrafe 31 geführt. b) Anhängig sind noch Verfahren a) Davon wurden verurteilt 603 Personen gegen 285 Personen zu lebenslanger Freiheitsstrafe 1 c) Vorläufig eingestellt sind die zu zeitiger Freiheitsstrafe 566 Verfahren gegen 16 Personen zu Geldstrafe 36 d) Ohne Verurteilung endgültig b) Anhängig sind noch Verfahren abgeschlossen sind die Verfah- gegen 18 Personen ren gegen 4937 Personen Drucksache IV/3124 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode

Q. Vorwürfe gegen Richter und Staatsanwälte Umfang Namen von Zeugen, insbesondere für zahlreiche Tatorte in Rußland. Bei Einsatz Über die Vorwürfe gegen Richter und Staatsan- einer aus 10 Personen bestehenden Arbeits- wälte und die daraufhin getroffenen Maßnahmen gruppe würde die Durchsicht des Materials wurde der Deutsche Bundestag im Zusammenhang etwa 3 bis 4 Wochen erfordern. mit dem Problem der sogenannten „belasteten Rich- Außerdem befinden sich im Bundesarchiv ter" eingehend unterrichtet. Da die in Betracht kom- größere Bestände von 1962 durch die USA menden Richter und Staatsanwälte alle namentlich zurückgegebenen Akten aus dem Hauptamt bekannt sein dürften und strafrechtliche Schritte — „Persönlicher Stab Reichsführer SS" und der wo solche in Betracht kommen — bereits unter- verschiedensten Polizeidienststellen (darunter nommen wurden, spielt diese Frage bei der Ent- z. B. allein 1000 Bände Akten des Reichssicher- scheidung über die Verlängerung der Verjährungs- heitshauptamtes). Zumindest größere Teile frist wohl keine Rolle. dieser Akten dürften ausgewertet sein. Mög- licherweise noch nicht ausgewertete Teile dieser Bestände enthalten wahrscheinlich keine Hinweise auf bis jetzt noch unbe- VI. Die Auswertung kannte strafbare Handlungen, dagegen evtl. inländischer und ausländischer Archive noch zahlreiche personelle Erkenntnisse."

Aus den Berichten der Zentralen Stelle in Lud- Soweit Feststellungen über ehemalige Wehr- wigsburg und ergänzenden Mitteilungen der Staats- machtsangehörige oder -einheiten zu treffen anwaltschaften geht hervor, daß die einzelnen waren, wurde die Abteilung Zentralnachweis Staatsanwaltschaften die nachstehend aufgeführten stelle des Bundesarchivs in Kornelimünster b. Archive im Regelfall nur im Hinblick auf ein be- Aachen vielfach in Anspruch genommen. Eine stimmtes Verfahren ausgewertet haben. Dagegen systematische Auswertung der Unterlagen haben die Zentralstellen der Landesjustizverwaltun- kommt nach der Natur des Archivs nicht in Be- gen, insbesondere die Zentrale Stelle in Ludwigs- tracht. burg, alle größeren Archive gesichtet. Im einzelnen ergibt sich folgendes: 3. An die Deutsche Dienststelle für die Benach- richtigung der nächsten Angehörigen von Ge- 1. das Bayerische Staatsarchiv in Nürnberg ent- fallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht hält die Materialien der Nürnberger Prozesse. (WASt) in Berlin-Borsigwalde wurden ebenfalls Es ist systematisch ausgewertet; neue Erkennt- von zahlreichen Behörden Anfragen gerichtet. nisse sind wahrscheinlich nur für die Aufklä- Eine systematische Auswertung dieser Unter- rung der Taten sogenannter „Schreibtischtäter" lagen kommt gleichfalls nicht in Betracht. zu gewinnen (vgl. oben E V 8. „Oberste Reichs- behörden und Dienststellen der NSDAP"). - 4. Das Document Center der US-Mission in Berlin enthält vor allem Personalunterlagen über ehe- 2. Die Bestände des Bundesarchivs in Koblenz sind malige Angehörige der Partei und ihrer Gliede- nicht nur von einer großen Zahl von Staatsan- rungen, insbesondere der SS. Es wurde von waltschaften für Einzelverfahren eingesehen, der Arbeitsgruppe RSHA des Generalstaats- sondern von der Arbeitsgruppe RSHA beim anwalts beim Kammergericht in Berlin und der Generalstaatsanwalt beim Kammergericht in Zentralen Stelle in Ludwigsburg für die zu Berlin für das Verfahren gegen die früheren deren Zuständigkeit gehörenden Komplexe in Angehörigen des Reichssicherheitshauptamtes den anhängigen Verfahren ausgewertet. Da- eingehend überprüft worden; ferner hat die neben wurden Einzelfragen über bestimmte Be- Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen in schuldigte von einer Vielzahl von Staatsanwalt- Ludwigsburg das Archiv im Rahmen ihrer frü- schaften an das Document Center gerichtet. heren Zuständigkeit größtenteils ausgewertet. Nach einem Hinweis aus dem Document Center Nach Ausdehnung der Ludwigsburger Zustän- könnten die dort vorhandenen 280 000 sog. „ge- digkeit auf innerdeutsche Tatorte wurden im mischten SS-Unterlagen" Anhaltspunkte für den Februar 1965 erneut zwei Sachbearbeiter nach Einsatz der SS-Angehörigen in Konzentrations- Koblenz entstandt. Diese haben folgendes be- lagern und bei Einsatzgruppen enthalten. richtet: 5. Im Geheimen Staatsarchiv der Stiftung Preu- „Im Bundesarchiv Koblenz — Abteilung ßischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem befinden Militärarchiv — befinden sich seit einiger Zeit sich Bestände von Akten des ehemaligen Reichs- Kriegstagebücher des Wirtschaftsstabes Ost ministers des Innern. Ob sich in diesen Akten (Rußland) und der nachgeordneten Dienst- Hinweise auf NS-Verbrechen befinden, bedarf stellen (Rüstungsinspektionen und Rüstungs- noch der Prüfung. kommandos), sowie Kriegstagebücher von weiteren Rüstungsdienststellen, u. a. aus dem 6. Das Institut für Zeitgeschichte in München hat Südostraum. Insgesamt handelt es sich um die Protokolle der Nürnberger Prozesse ausge- mindestens rund 180 lfd. Meter Akten. Aus wertet und die Ergebnisse karteimäßig erfaßt. den Akten ergeben sich verstreute Hinweise Es hat in zahlreichen Verfahren Auskunft er- auf die Tötung von Juden und in größerem teilt. Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode Drucksache 1V/3124

7. An den Internationalen Suchdienst des Roten der deutschen Botschaft in Paris), ebenfalls Kreuzes in Arolsen wurden in sehr vielen Fäl- Originalakten; len Einzelanfragen gerichtet. Eine •systematische Akten des französischen Kommissars für die Auswertung der Bestände ist bisher nicht durch- Judenfrage (Original). geführt, kommt aber als Unterlage — vor allem für Zeugenlisten (Ghetto-Listen u. a.) — in Be- Dieses Archiv wurde bereits zur Aufklärung tracht. von Einzelfällen in Anspruch genommen; eine systematische Auswertung hat noch nicht statt- Militärgeschichtlichen8. Zu den im Forschungsamt gefunden, soll aber so bald wie möglich von der Bundeswehr in Freiburg vorhandenen Be- der Zentralen Stelle in Ludwigsburg durch- ständen hat der Bundesminister der Verteidi- geführt werden. gung mit Schreiben vom 11. Februar 1965 fol- gendes ausgeführt: 11. Das staatliche französische Archiv in Meaux enthält die Akten der in Frankreich durchge- „Im Militärgeschichtlichen Forschungsamt in führten Prozesse gegen Deutsche. Im Rechts- Freiburg liegen z. Z. rund 80 000 Faszikel von hilfewege sind mehrfach Akten dieses Archives Akten des zweiten Weltkrieges, vornehmlich deutschen Strafverfolgungsbehörden zugänglich Kriegstagebücher mit Anlagen der Kom- gemacht worden, eine systematische Auswer- mandobehörden und Großverbände. Dieser tung hat bisher nicht stattgefunden. Aktenbestand wird noch laufend zunehmen durch Aktenrückführung aus den USA. 12. Das staatliche französische Archiv in Colmar Das Militärgeschichtliche Forschungsamt hat enthält die Akten der vor französischen Besat- mit der Auswertung des dort lagernden Ma- zungsgerichten verhandelten Verfahren. Eine terials begonnen und bisher etwa 1000 Fas- Aufstellung mit den Namen aller Verurteilten zikel durchgearbeitet. Die Auswertung erfolgt ist dem Bundesjustizministerium vom franzö- naturgemäß in erster Linie unter geschichts- sischen Außenministerium für die nächste Zeit wissenschaftlichen Gesichtspunkten und nicht in Aussicht gestellt worden. so sehr unter strafrechtlichen Aspekten. Aus der Rückschau der bisherigen Arbeit läßt sich 13. Die Bestände des amerikanischen National-Ar- jedoch sagen, daß im Rahmen der erfolgten chives (in Alexandria/Va.) an deutschen Doku- Auswertung Anhaltspunkte für noch nicht menten sind zu 80 % dem Bundesarchiv in Ko- aufgedeckte NS-Straftaten nicht erkennbar blenz übergeben worden und ausgewertet. Die geworden sind. restlichen 20% werden zur Zeit in den Ver- Ergänzend darf ich bemerken, daß Teile der einigten Staaten von Amerika von der Zentra- Bestände bereits von Untersuchungs- und Er- len Stelle der Landesjustizverwaltungen über- mittlungsrichtern durchgesehen worden sind. prüft. Auch die Ludwigsburger Zentralstelle hat 14. Das israelische Institut Yad Washem arbeitet durch Ermittlungsbeamte im Februar 1964 mit der Zentralen Stelle in Ludwigsburg über systematisch die Akten der rückwärtigen den Landesstab der Israel-Polizei zusammen. Heeresgebiete und der Kommandanten der Nach Erklärungen aus Israel soll sich dort noch rückwärtigen Armeegebiete durchforschen nicht ausgewertetes Material befinden. lassen. Ich halte es für ausgeschlossen, daß nach dem 15. Die polnischen Archive in Warschau werden Umfang des vorhandenen und noch zu erwar- zur Zeit von einer Arbeitsgruppe der Zentralen tenden Materials eine systematische Auswer- Stelle ausgewertet. Die erste Sendung des in tung aller Bestände auch 'nur 'unter dem Ge- Warschau verfilmten Materials ist in Ludwigs- sichtspunkt der Aufdeckung von bisher unbe- burg eingetroffen; sie besteht auf 3647 Blatt kannten NS-Verbrechen vor dem 8. Mai 1965 Dokumenten. Ungefähr 30 000 Blatt weiterer abgeschlossen werden kann. Da die Akten Urkunden werden für die nächsten Wochen er- jedoch jahrelang in den USA ausgewertet und wartet. Wenn auch aus den bisherigen Unter- zum großen Teil auf Mikrofilm aufgenommen lagen keine wesentlichen neuen Taten und und in den Nachkriegsprozessen der Alliier- Täter bekannt geworden sind, so läßt sich doch ten gegen Deutsche bereits als Unterlagen die Möglichkeit nicht ausschließen, daß in dem verwandt wurden, ist kaum anzunehmen, daß bisher noch nicht gesichteten Material wichtige noch zahlreiche oder wesentliche Hinweise Anhaltspunkte für bisher unbekannte Verbre- für bisher noch unbekannte NS-Verbrechen 'in chen großen Ausmaßes enthalten sind. Einen den Akten enthalten sind." Anhalt hierfür bietet in neuester Zeit über das österreichische Innenministerium der Zentralen 9. Aus weiteren, in der Bundesrepublik vorhan- Stelle in Ludwigsburg zugänglich gewordenes denen kleineren Archiven sind keine wesent- Material. lichen neuen Erkenntnisse zu erwarten. 16. Von den Archivbeständen der Tschechoslowa- 10. Das Centre de Documentation Juive Contempo- kei sind am 10. Februar 1965 durch den Ver- raine in Paris enthält: treter des Zentralkomitees des Verbandes der Akten des Ministerbüros Rosenberg im Original, antifaschistischen Widerstandskämpfer in Prag, Akten des Büros Zeitschel (Judenreferent bei Jaroslov Volejnik, der Zentralen Stelle ins- Drucksache IV/3124 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode

gesamt 643 Blatt beglaubigte Fotokopien von bestände befinden, wie sich aus der Vorlage Dokumenten überbracht worden. Hierbei soll es verschiedener Urkunden durch Professor Alex- sich um etwa ein Dreihundertstel des gesamten ejew im Heuser- und Auschwitz-Prozeß ergibt. im Staatsarchiv Prag lagernden Materials han- Zu einer Bitte der Bundesregierung, einer Ar- deln. Aus den überbrachten Dokumenten er- beitsgruppe der Zentralen Stelle die Auswer- geben sich zahlreiche Hinweise auf Juden- tung der sowjetischen Archive zu gestatten, hat erschießungen, insbesondere auch durch Ein- die Sowjetregierung bisher noch nicht Stellung heiten der Polizei und der Waffen-SS in Ruß- genommen. land. Bei der Übergabe der Dokumente teilte Herr 18. Der Umfang des in der SBZ und Ostberlin vor- Volejnik mit, die tschechoslowakische Regie- handenen Materials ist noch unbekannt. rung werde einem Ersuchen der Bundesrepu- blik Deutschland, die Archivbestände in Prag durch die Zentrale Stelle auswerten zu lassen, 19. Es liegt ein Hinweis vor, daß sich im Militär- voraussichtlich entsprechen. Das Bundesjustiz- historischen Institut in Belgrad Dokumente ministerium wird unverzüglich im Sinne dieser über nationalsozialistische Verbrechen befinden Anregung tätig werden. könnten. Die Bundesregierung prüft zur Zeit, ob eine Möglichkeit besteht, dieses Material 17. Auch in Archiven der UdSSR dürften sich noch durch die Zentrale Stelle der Landesjustizver- größere, bis jetzt nicht bekannte Dokumenten waltungen in Ludwigsburg auswerten zu lassen.

F.

Die Aufrufe der Bundesregierung vom 20. November 1964 und des Deutschen Bundestages vom 9. Dezember 1964

1. Wortlaut der Aufrufe Der Deutsche Bundestag hat sich durch den Be- schluß vom 9. Dezember 1964 dem Aufruf ange- Am 20. November 1964 erließ die Bundesregierung schlossen. folgenden Aufruf zur Bekanntgabe nationalsozia- listischer Gewalttaten: - Der Wunsch der Bundesregierung und des Bundes- tages, Material über noch nicht bekannte NS-Ver- „Die überwiegende Mehrzahl nationalsozialisti- brechen zu erhalten, wurde in der Folgezeit den Re- scher Verbrechen ist durch alliierte und deutsche gierungen der Staaten förmlich mitgeteilt, in denen Gerichte abgeurteilt worden. Bei einer weiteren den Umständen nach solches Material noch vorhan- Anzahl von Straftaten wurde die Strafverfolgung den sein könnte. Hierbei handelt es sich um folgende eingeleitet. Staaten: Entschlossen, nationalsozialistisches Verbrechen zu sühnen und verletztes Recht wiederherzu- Albanien, Belgien, Bulgarien, Dänemark, Finn- stellen, fordert die Regierung der Bundesrepu- land, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, blik Deutschland angesichts der Tatsache, daß die Israel, Italien, Jugoslawien, Kanada, Luxem- Verjährung der vor dem 9. Mai 1945 begangenen burg, Niederlande, Norwegen, Osterreich, Polen, Verbrechen aus verfassungsrechtlichen Gründen Rumänien, Tschechoslowakei, Sowjetunion, Un- nicht verlängert werden kann, nunmehr alle Regie- garn, Vereinigte Staaten. rungen, Organisationen und Einzelpersonen im In- und Ausland auf, in ihrer Hand befindliches Keiner der soeben genannten Staaten hat eine Material über Taten und Täter, die bisher in der Mitwirkung bei der Suche nach einschlägigem Mate- Bundesrepublik noch nicht bekannt sind, im Origi- rial verweigert, verschiedene haben sie ausdrücklich nal, in Ablichtung oder auf Mikrofilm der Zentral- zugesagt. stelle der Landesjustizverwaltungen zur Verfol- gung nationalsozialistischer Gewalttaten in Lud- wigsburg, Schorndorfer Straße 28, unverzüglich zur Verfügung zu stellen. 2. Einzelanzeigen Alle Vertretungen der Bundesrepublik Deutsch land im Ausland nehmen für die Zentralstelle be Die Strafverfolgungsbehörden der Bundesrepublik stimmte Materialien zur Weiterleitung entgegen." haben mitgeteilt, daß nach dem 20. November 1964 aufgrund des Aufrufs der Bundesregierung und des Der Aufruf wurde am gleichen Tage in der Presse- Beschlusses des Deutschen Bundestages sowie an- konferenz durch den Staatssekretär des Presse- und derer gleichartiger Bemühungen bisher 25 Verfahren Informationsamtes der Bundesregierung verlesen. eingeleitet werden konnten. Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode Drucksache IV/3124

Außerdem sind von Einzelpersonen bei der Zen- Priestern seien noch nicht ermittelt") oder um De- tralen Stelle in Ludwigsburg mehrere tausend An- nunziationen aus persönlicher Feindschaft, ohne daß zeigen eingegangen. Dabei handelt es sich aber in konkrete Beschuldigungen erkennbar sind. der Hauptsache um ganz allgemein gehaltene Mit- teilungen (z. B.: „in mehr als 25 000 polnischen Orten Nur rund 5 0/o der Anzeigen enthielten Tatsachen, seien Mordaktionen gegen Juden durchgeführt wor- aufgrund deren weitere Ermittlungen eingeleitet den", oder :,,die Mörder von über 4000 katholischen werden konnten.

G Ergebnis

Die von den Staatsanwaltschaften der Länder auf oben E V) ergeben, daß ein großer Teil der Tat- Bitte des Bundesjustizministeriums erstatteten Be- komplexe vollständig aufgeklärt worden ist. Bei richte haben einen vollständigen Überblick über den einzelnen Komplexen kann jedoch nicht ausge- Stand der Strafverfolgung in den einzelnen Kom- schlossen werden, daß weitere Ermittlungen neue plexen nationalsozialistischer Straftaten ermöglicht. Belastungen ergeben. Auch hat sich gezeigt, daß in verschiedenen Archiven — vor allem im so- Insgesamt kann festgestellt werden, daß die Ge- wjetischen Machtbereich — noch Material vorhan- richte und Staatsanwaltschaften in der Bundesrepu- den ist, das bis zum 8. Mai 1965 nicht restlos ausge- blik Deutschland Verfahren gegen wertet werden kann. mehr als 61 000 Personen Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, daß noch unbekannte Taten von Bedeutung oder unbe- durchgeführt haben, von denen über 6100 verurteilt kannte Täter in maßgebenden Stellungen nach dem worden sind. Hinzu kommen über 5000 Verurteilun- 8. Mai 1965 noch bekannt werden. gen durch Gerichte der drei westlichen Besatzungs- mächte auf dem Boden der Bundesrepublik. Auch durch ' die weitere Strafverfolgung kann allerdings nicht eine gerechte Ahndung aller NS Von deutschen Gerichten in der SBZ wurden über Straftaten entsprechend dem Unrechtsgehalt der Tat 12 000, von sowjetischen Gerichten über 24 000, von und der persönlichen Schuld des Täters gewähr- polnischen und tschechoslowakischen Gerichten je leistet werden. Denn einerseits wird mit zunehmen- über 16 000 Deutsche verurteilt. Die Zahl der im dem zeitlichen Abstand von den Taten die Über- übrigen Ausland, vor allem in Jugoslawien, ver- - führung der Schuldigen immer schwieriger und die urteilten Deutschen dürfte ebenfalls mehrere Tau- Wahrscheinlichkeit von Freisprüchen, die das send betragen. Rechtsgefühl nicht befriedigen, immer größer. Ande- Wenn sich auch unter den nicht in der Bundesrepu- rerseits befindet sich eine Reihe von Hauptverant- blik Deutschland Verurteilten ein erheblicher Hun- wortlichen nach Verbüßung verhältnismäßig kurzer dertsatz von Personen befinden dürfte, die wegen Strafen oder Teilstrafen wieder auf freiem Fuß. bloßer Zugehörigkeit zu bestimmten Organisationen Bei dieser Sachlage erscheint die Erörterung der oder militärischen Einheiten oder zu Unrecht bestraft mit der Verfolgung von NS-Verbrechen zusammen- wurden, so steht doch die Tatsache fest, daß etwa hängenden Fragen im Deutschen Bundestag ange- 80 000 Deutsche bracht. Dabei dürfen die oben erwähnten Gesichts- punkte nicht außer acht gelassen werden. wegen der Beschuldigung, Kriegsverbrechen oder Die Bundesregierung wird den Deutschen Bundes- nationalsozialistische Straftaten begangen zu haben, tag in seinem Bemühen unterstützen, unter Wah- verurteilt worden sind. rung rechtsstaatlicher Grundsätze eine Möglichkeit Die bei den einzelnen Gruppen nationalsoziali- zu schaffen, daß der Gerechtigkeit Genüge getan stischer Straftaten getroffenen Feststellungen (vgl. wird.

Bonn, den 24. Februar 1965

Dr. Bucher Bundesminister der Justiz