Plenarprotokoll 12/124

Deutscher

Stenographischer Bericht

124. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Inhalt:

Begrüßung einer Delegation des Sejm der Tagesordnungspunkt III 26: Republik Polen unter Leitung des Vize-- marschalls des Sejm, Herrn Dr. Jòzef Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Zych ...... 10607 A wurfs eines Ersten Gesetzes zur Ände Glückwünsche zum Geburtstag des Abge rung des Gesetzes über die Verwaltung ordneten Rudolf Müller (Schweinfurt) . . 10607 B des ERP-Sondervermögens (Drucksa- chen 12/3332, 12/3751) Begrüßung einer Delegation des Kultur- ausschusses der Ungarischen Nationalver- in Verbindung mit sammlung ...... 10641 D Tagesordnungspunkt III 27: Tagesordnungspunkt III: Beratung der Beschlußempfehlung und Fortsetzung der zweiten Beratung des des Berichts des Haushaltsausschusses von der Bundesregierung eingebrach- zum Bericht der Bundesregierung über ten Entwurfs eines Gesetzes über die die Entwicklung der Finanzhilfen des Feststellung des Bundeshaushaltsplans Bundes und der Steuervergünstigun- für das Haushaltsjahr 1993 (Haushalts- gen gemäß § 12 des Gesetzes zur Förde- gesetz 1993) (Drucksachen 12/3000, rung der Stabilität und des Wachstums 12/3541) der Wirtschaft (StWG) vom 8. Juni 1967 für die Jahre 1989 bis 1992 (13. Subven- Einzelplan 09 tionsbericht) (Drucksachen 12/1525, 12/2503) Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft (Drucksachen 12/3509, Dr. Nils Diederich (Berlin) SPD . . . . . 10608 A 12/3530) Rudi Walther (Zierenberg) SPD . . . . 10610A in Verbindung mit Kurt J. Rossmanith CDU/CSU 10611A

Tagesordnungspunkt III 25: Dr. Nils Diederich (Berlin) SPD 10611D, 10631C Zweite und dritte Beratung des von der Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 10613 B Bundesregierung eingebrachten Ent- Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD . . 10613D wurfs eines Gesetzes über die Feststel- lung des Wirtschaftsplans des ERP-Son- Josef Grünbeck F.D.P. . . . . 10614D, 10638A dervermögens für das Jahr 1993 (ERP- Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) PDS/ Wirtschaftsplangesetz 1993) (Drucksa- Linke Liste chen 12/3331, 12/3538, 12/3750) 10616C Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/ in Verbindung mit DIE GRÜNEN ...... 10618 B II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Johannes Nitsch CDU/CSU 10620C Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. . 10666A Wolfgang Roth SPD 10623 A Dr. Uwe-Jens Heuer PDS/Linke Liste 10667 A, 10668 C Dr. Jürgen Rüttgers CDU/CSU . . . 10623C CDU/CSU . . . . 10668B CDU/CSU 10623D Gerhard Reddemann Herbert Lattmann CDU/CSU . . . . 10624 C Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bun- desministerin BMJ 10668 C Josef Grünbeck F D P 10626B Gerhard Reddemann CDU/CSU . . 10669A (Köln) SPD 10626B CDU/CSU . . . 10626C Einzelplan 10 Johannes Nitsch CDU/CSU 10627 D Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und W. Möllemann, Bundesminister Jürgen Forsten (Drucksachen 12/3510, 12/3530) BMWi ...... 10629A Ingrid Matthäus-Maier SPD . 10630A, 10635D in Verbindung mit Karl Stockhausen CDU/CSU . . . . . 10630 C Tagesordnungspunkt III 32: SPD . . . • ...... • . 10630D Beratung der Beschlußempfehlung und Ernst Hinsken CDU/CSU ...... 10634 B des Berichts des Ausschusses für Er- Hans Martin Bury SPD ...... 10636D nährung, Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) zu dem Antrag der Abge- Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/ ordneten Horst Sielaff, , DIE GRÜNEN 10638C Ernst Kastning, weiterer Abgeordneter Rainer Haungs CDU/CSU ...... 10639A und der Fraktion der SPD land- Dr. Ulrich Briefs fraktionslos ...... 10640D Zur bilanziellen Entlastung von wirtschaftlichen Unternehmen in den Namentliche Abstimmung . . 10641 C neuen Ländern (Drucksachen 12/2317, 12/3234) Ergebnis ...... 10645 C Ernst Kastning SPD ...... 10670 D

Einzelplan 12 Bartholomäus Kalb CDU/CSU ...... 10674 B Geschäftsbereich des Bundesministers Ernst Kastning SPD . . 10676C, 10681C für Verkehr (Drucksachen 12/3512, Dr. Sigrid Hoth F.D.P...... 10677 B 12/3530) Jan Oostergetelo SPD ...... 10677 D Ernst Waltemathe SPD . . . . 10642A Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) PDS/ CDU/CSU ...... 10647 D Linke Liste ...... 10679 A Werner Zywietz F.D.P. ...... 10650A , Bundesminister BML . . . 10680C Dr. PDS/Linke Liste 10652B Ingrid Matthäus-Maier SPD 10683 C Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/ ...... 10654 A DIE GRÜNEN Einzelplan 25 Dr. Günther Krause, Bundesminister BMV 10656 B Geschäftsbereich des Bundesministers Hans-Eberhard Urbaniak SPD . . . 10657 B für Raumordnung, Bauwesen und Städ- tebau (Drucksachen 12/3522, 12/3530) Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ...... 10659 A Thea Bock SPD ...... 10684 B Dr. Die trich Mahlo CDU/CSU 10685D Einzelplan 07 Dieter Pützhofen CDU/CSU 10688 A Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz (Drucksachen 12/3507, Dr. Nils Diederich (Berlin) SPD . . . . 10688C 12/3530) Thea Bock SPD . 10688D, 10692B, 10698A in Verbindung mit Dr. Ilja Seifert PDS/Linke Liste 10691B, 10694C Einzelplan 19 Dr. Walter Hitschler F.D.P. ...... 10693 A Bundesverfassungsgericht (Drucksa- Dr. Ilja Seifert PDS/Linke Liste 10694D, 10697A chen 12/3519, 12/3530) Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese) CDU/ Dr. Hans de With SPD 10660A CSU ...... 10696 C Michael von Schmude CDU/CSU . . . 10662D Dr. , Bundesministerin Franz Müntefering SPD ...... 10664 B BMBau ...... 10697A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 III

Einzelplan 16 Einzelplan 13 Geschäftsbereich des Bundesministers Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reak- für Post und Telekommunikation torsicherheit (Drucksachen 12/3516, (Drucksachen 12/3513, 12/3530) 12/3530) Arne Börnsen (Ritterhude) SPD 10731 C Hans Georg Wagner SPD ...... 10699 D Manfred Kolbe CDU/CSU 10733 B Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 10703A Michael von Schmude CDU/CSU . . . 10703 D Bartholomäus Kalb CDU/CSU 10735A Dr. Emil Schnell SPD 10706 A Jürgen Timm F D P 10735 C Dr. Sigrid Hoth F D P 10706 B Peter Paterna SPD 10736 D Otto Schily SPD 10707C Dr. Christian Schwarz-Schilling, Bundes SPD 10708A minister BMPT 10738 C Dr. Dagmar Enkelmann PDS/Linke Liste 10708 C Dr. Peter Struck SPD 10741A Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10709D Haushaltsgesetz 1993 (Drucksachen Joseph Fischer, Staatsminister des Landes 12/3590, 12/3591) Hessen 10711B Matschie SPD 10741 D Dr. Sigrid Hoth F.D P 10713 B Christoph Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMU 10714D, Adolf Roth (Gießen) CDU/CSU 10742 D 10718B Dr. Peter Struck SPD 10743A Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . 10717D Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 10744A Ulrich Klinkert CDU/CSU (Erklärung nach - § 31 der GO) 10718C Tagesordnungspunkt III 38: Einzelplan 30 Beratung der Beschlußempfehlung des Geschäftsbereich des Bundesministers Haushaltsausschusses: Der Finanzplan für Forschung und Technologie (Druck- des Bundes 1992 bis 1996 (Drucksachen sachen 12/3523, 12/3530) 12/3100, 12/3541, 12/3759) 10745 C Dr. Emil Schnell SPD 10719B Nächste Sitzung ...... 10745D CDU/CSU . . . . 10722 C Werner Zywietz F D P 10725 D Berichtigung 10746 Ingeborg Philipp PDS/Linke Liste . . 10727 B Dr. , Bundesminister Anlage BMFT 10728A Dr. Emil Schnell SPD ...... 10728B Liste der entschuldigten Abgeordneten . 10747* A

Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10607

124. Sitzung

Bonn, den 26. November 1992

Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Guten Morgen, plans des ERP-Sondervermögens für das Jahr liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröff- 1993 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1993) net. — Drucksachen 12/3331, 12/3538 — Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- ich eine Delegation des Sejm der Republik Polen schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) unter Leitung des Vizemarschalls des Sejm, Herrn — Drucksache 12/3750 — Dr. Jòzef Zych, herzlich begrüßen, die auf der Ehren- tribüne Platz genommen hat. Berichterstattung: - Abgeordnete Dr. Hermann Schwörer (Beifall) Hans Martin Bury Ich möchte kurz uns allen sagen: Ich freue mich sehr (Erste Beratung 110. Sitzung) über den Besuch des Marschalls des Sejm, der heute Zweite und dritte Beratung des von der Bun- morgen schon abgereist ist, und des noch anwesenden desregierung eingebrachten Entwurfs eines Vizemarschalls. 1992 ist das Jahr mit den zahlreich- Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes sten deutsch-polnischen parlamentarischen Kontak- über die Verwaltung des ERP-Sondervermö- ten seit Aufnahme dieser Beziehungen 1989. Das gens zeigt, daß wir den deutsch-polnischen Nachbar- — Drucksache 12/3332 — schafts- und Freundschaftsvertrag mit Leben erfüllen. Ich wünsche Ihnen bei Ihren Besuchen hier in Bonn, Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- im Saarland, in Mecklenburg-Vorpommern und Bran- schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) denburg, daß sich unsere Kontakte weiter intensivie- — Drucksache 12/3751 — ren. Ich freue mich, daß wir auf einem so guten Wege Berichterstattung: sind. Herzlichen Dank, daß Sie hier sind. Abgeordnete Dr. Hermann Schwörer (Beifall) Hans Martin Bury (Erste Beratung 110. Sitzung) Gratulieren möchte ich dem Kollegen Rudolf Mül- ler — ich weiß nicht, ob er hier ist —, der heute seinen Beratung der Beschlußempfehlung und des 60. Geburtstag feiert. Jedenfalls mögen ihn von hier Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- aus unsere herzlichsten Glückwünsche erreichen. Wir schuß) zu der Unterrichtung durch die Bundes- wünschen ihm alles Gute. regierung (Beifall) Bericht der Bundesregierung über die Ent- wicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Wir setzen die Haushaltsberatungen fort. Ich rufe Steuervergünstigungen gemäß § 12 des Geset- nunmehr auf: zes zur Förderung der Stabilität und des Einzelplan 09 Wachstums der Wirtschaft (StWG) vom 8. Juni 1967 für die Jahre 1989 bis 1992 (13. Subven- Geschäftsbereich des Bundesministers für tionsbericht) Wirtschaft — Drucksachen 12/1525, 12/2503 — — Drucksachen 12/3509, 12/3530 — Berichterstattung: Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Nils Diederich (Berlin) Abgeordnete Kurt J. Rossmanith Hans-Werner Müller (Wadern) Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Werner Zywietz Helmut Wieczorek (Duisburg) Dr. Nils Diederich (Berlin) Zum Einzelplan 09 liegen je ein Änderungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Zweite und dritte Beratung des von der Bun PDS/Linke Liste vor. Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE desregierung eingebrachten Entwurfs eines GRÜNEN wünscht zu ihrem Änderungsantrag na- Gesetzes über die Feststellung des Wirtschafts mentliche Abstimmung. Ob dies die nach der 10608 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Geschäftsordnung erforderliche Unterstützung von 34 worden ist durch die Vereinigungskonjunktur, durch anwesenden Abgeordneten findet, wird nach der den Nachfrageschub, der mit der Vereinigung einher- Aussprache festgestellt. ging. All das sind Dinge, die nicht erst im Oktober oder Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die November 1992 bekanntgeworden sind, sondern die gemeinsame Aussprache zweieinhalb Stunden vorge- langfristig absehbar waren. sehen. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Die Regierung hat dennoch dem Parlament im Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Abge- Herbst einen normalen Haushalt vorgelegt, der heute ordnete Dr. Nils Diederich. in keiner Weise mehr — auch nach den krampfhaften Nachbesserungsversuchen nicht — der Realität ent- spricht. Dr. Nils Diederich (Berlin) (SPD): Frau Präsidentin! (Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr!) Meine Damen und Herren! Als Mitberichterstatter Noch in der letzten Runde hat die Koalition versucht, möchte ich vor Eintritt in die Sacherörterung den in einer großen Streichungsaktion Geld einzusam- Mitarbeitern des Ministeriums ganz herzlich für die meln. Bezeichnend ist, daß selbst die Förderung der intensive Zusammenarbeit danken. Wir haben in wirtschaftsnahen Forschung in den neuen Bundeslän- diesem Jahr besonders heftige Beratungen gehabt, dern, die einer der Motoren für den Wiederaufstieg mit vielem Hin und Her. Ich denke, es gehört sich, daß sein kann, vom Finanzminister nur unter Hinnahme man den Ministerialbeamten, die versucht haben, ihre einer globalen Minderausgabe beim Wirtschaftsmini- Pflicht zu erfüllen, und dies auch getan haben, ster, d. h. zu Lasten anderer Förderungstitel bewilligt dankt. worden ist. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der Die Streichliste der Koalition ist das Ergebnis eines F.D.P. und der PDS/Linke Liste) hilflosen Auskehrens in allen Ecken des Haushalts Wir haben ihnen mit den Kürzungen manches Leid ohne konzeptionelles Gerüst. angetan. (Beifall bei der SPD) (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das haben sie aber gern gemacht!) Was da passiert ist, war absurdes Theater. In einer Zeit, in der Konjunktur belebt werden muß, in der Aber das gehört ja zum Rollenspiel. Investitionen angeregt werden sollen, werden inve- Meine Damen und Herren, die krisenhafte Ent- stive und beschäftigungswirksame Maßnahmen ge- wicklung in der ganzen Bundesrepublik ist nun seit kürzt. vielen Monaten bekannt. Sie ist schon im Frühjahr Beispiele dafür sind: Erstens. Die Kürzung der dieses Jahres absehbar gewesen. Immer noch ist der Sanierungsaufwendungen für die Wismut AG um Rückgang an Arbeitsplätzen in den neuen Bundeslän- 150 Millionen DM trifft eine besonders schwer dern größer als der Neuzugang an Arbeitsplätzen. Die geschädigte Region. Produktion geht immer noch zurück, trotz leichten relativen Wachstums. Die Nachfragekrise ist unüber- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sehbar. Immer stärker macht sich die fehlende Infra- Dies ist keine Einsparung; denn die Verzögerung der struktur in Ostdeutschland bemerkbar. Die Vermö- Finanzierung verteuert im Ergebnis die Sanierungs- gensgesetzgebung, die die Bundesregierung mit ihrer anstrengungen in den neuen Ländern und in dieser Formel „Rückgabe vor Entschädigung" zu verantwor- Region. Die Kürzungen sind strukturpolitisch kon- ten hat, ist ein wachsendes und ernst zu nehmendes traproduktiv und arbeitsmarktpolitisch inakzepta- Investitionshemmnis. bel. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Die starke Umweltschädigung ist ein weiteres DIE GRÜNEN) Hemmnis für eine schnelle Entwicklung industrieller Einer Region mit de facto mehr als 40 % Arbeitslosig- Flächen und damit für Investitionen. Die Deindustria- keit wird ein weiterer Beschäftigungsabbau von min- lisierung in den neuen Bundesländern schreitet mit destens 1 000 Arbeitsplätzen verordnet. Riesenschritten voran. Sie wird von der Treuhand, die ihren Auftrag getreulich erfüllt, so wie ihn die Bun- (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das trifft desregierung formuliert hat, geradezu verstärkt. Die nicht zu, Herr Kollege! Das wissen Sie Abwanderung vor allem der jungen und qualifizierten auch!) Arbeitskräfte aus den neuen Bundesländern, aus — Lieber Kurt Rossmanith, das trifft sehr genau zu. Mecklenburg-Vorpommern, aus Brandenburg, aus den östlichen Gebieten Sachsens, aus Thüringen, hat (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Nein, ich beängstigende Ausmaße angenommen. Ich weiß sage dann schon etwas dazu!) nicht, wie eine Nation leben will, in der die Wande- Zweitens. Mit der Kürzung der Mittelstandsförde- rungsbewegung heute bedeutend stärker ist als vor rung um 50 Millionen DM, mit der Kürzung der dem Bau der Mauer 1961. Städtebauförderung um 38 Millionen DM werden in (Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr! — Rudi einer Phase des Konjunkturabschwungs investive Walther [Zierenberg] [SPD]: Unglaublich!) Ausgaben gekürzt. Uns hat jetzt die Rezession eingeholt, die in den Drittens. Consultingmaßnahmen, die gerade für anderen europäischen Ländern schon seit einigen mittelständische Unternehmen — für Unternehmens- Jahren andauert und die in Deutschland überdeckt gründungen und für Aktivitäten gerade in konjunk- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10609

Dr. Nils Diederich (Berlin) turell schwieriger Zeit — wichtig sind, werden weiter Das entspricht sicher Ihrem frei-marktwirtschaftli- beschnitten. chen Bekenntnis. Nun muß man sich allerdings fra- Das ist der Maßnahmenkatalog, mit dem die Koali- gen, ob Sie inzwischen Ihre Auffassungen geändert tion noch an den vorliegenden Haushalt herangegan- haben oder ob unter dem Druck der Verhältnisse die gen ist. Allerdings muß man hinzufügen: Die Tinte, höhere Einsicht zu einer aktiveren Wirtschaftspolitik mit der diese Streichungen vollzogen wurden, war geführt hat. Man muß hier fragen: Warum haben Sie noch nicht trocken, als die Bundesregierung nun nicht schneller reagiert? Warum sind die Vorschläge, versuchte, das Steuer herumzureißen. die jetzt kurz vor Abschluß der Haushaltsberatungen nachgeschoben werden, die Sie der Öffentlichkeit Meine Damen und Herren, an dieser Stelle muß unterbreitet haben, die der Herr Bundeskanzler man sich wirklich fragen: Was ist die Aufgabe des gestern hier verkündet hat, nicht bereits mit dem Wirtschaftsministers in der Bundesregierung? Haushalt für 1993 im Herbst dieses Jahres vorgelegt (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Das worden? möchte ich auch wissen! — Anke Fuchs (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke [Köln] [SPD]: Das ist die Frage!) Liste) Es ist immer wieder gut, einmal nachzulesen. Ich Jeder Monat, den wir verlieren, bedeutet einen Tem- zitiere: poverlust, bedeutet höhere Arbeitslosigkeit sowie den Bund und Länder haben bei ihren wirtschafts- Rückgang wirtschaftlicher Aktivitäten auf ein noch und finanzpolitischen Maßnahmen die Erforder- niedrigeres Niveau. nisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Das 6-Punkte-Programm der Regierung ist ein Griff zu beachten. Die Maßnahmen sind so zu treffen, in den Instrumentenkasten, den Ihnen die Sozialde- daß sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen mokraten seit zwei Jahren anzubieten versuchen. Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preis- Nun greifen Sie natürlich zu den schwachen Werk- niveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand zeugen. Es wäre hilfreich, wenn wir bereits heute die und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei - Vorschläge, über die Sie nun anfangen zu diskutieren, stetigem und angemessenem Wirtschaftswachs- umsetzen könnten, um antizyklische Aktivitäten zu tum beitragen. entfalten. (Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]: Lesen Sie (Michael Glos [CDU/CSU]: Nicht die falsche langsam, der Minister hat nicht zugehört!) Seite nehmen!) — Der Minister kennt das sehr genau. Das ist die — Ja, Herr Glos, das ist so eine Sache. Manchmal muß Definition der Wirtschaftspolitik im Gesetz zur För- man sich auch überlegen, bestimmte Dinge nicht zu derung der Stabilität und des Wachstums der Wirt- sagen. schaft. Ich weiß nicht, ob dieses Gesetz überhaupt noch Beachtung findet. Herr Wirtschaftsminister, wir (Michael Glos [CDU/CSU]: Richtig! Rich müssen Ihnen bescheinigen, daß Sie jedenfalls Ihre tig!) Aufgabe nicht erfüllt haben. — Man braucht etwas Zeit, um darüber nachzuden- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS ken. Nachdenken ist immer gut. 90/DIE GRÜNEN) (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist sehr Ihnen fällt im Rahmen der Politik der Bundesregie- gut!) rung die Koordinierung unter dem Aspekt der wirt- Sie haben mit gewaltigen Fanfarenstößen Ihr Amt schaftspolitischen Wirkung zu. vor kaum zwei Jahren angetreten. Subventionsabbau (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wirklich?) hatten Sie verkündet, Herr Möllemann. Warum davon heute keine Rede mehr ist, zeigt uns der Wochenbe- Sie haben jedenfalls aus dem Entwurf des Haushalts- richt des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung plans dieses Jahres nicht das Kursbuch der Nation vom 12. November. Dort wird Ihnen bescheinigt — das gemacht. können Sie nachlesen —: Ihre Bemühungen zeigen (Beifall bei der SPD) letztlich per saldo nur sehr geringe Wirkung. Betrugen die Bundessubventionen im Jahre 1980 noch 61 Mil- Herr Minister, Sie haben im vorigen Jahr eine liarden DM, so waren sie 1985 auf 78 Milliarden DM Einschätzung gegeben, in der Sie über die Rahmen- angewachsen und sind seither, mit Ausnahme des bedingungen gesprochen haben. Sie haben damals Jahres 1989, von Jahr zu Jahr gestiegen und erreichen z. B. gesagt: Die Ausfuhren der deutschen Wirtschaft 1992 im alten Bundesgebiet 86,5 Milliarden DM. fielen zwar zuletzt noch geringfügig höher aus als vor Insbesondere der drastische Anstieg bei den Finanz- Jahresfrist, der Export werde aber im nächsten Jahr hilfen und bei den Zuschüssen des Bundes für lau- auf Grund der verhaltenen Wirtschaftsentwicklung in fende Zwecke und Investitionen machen dies aus. Das den meisten westlichen Industrieländern nicht im zeigt ja wohl die Unwirksamkeit Ihrer Bemühungen gewohnten Maß Motor der Konjunktur sein. im Rahmen der Bundesregierung. Sie haben das gesehen. Sie haben dem aber trotz- Beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung dem im vergangenen Jahr nichts entgegengesetzt; im lautet das: Gegenteil: Sie haben sich aus der aktiven Staatspolitik verabschiedet. Die christlich-liberale Regierung hat von Anfang an die Eindämmung der Subventionen als ihr (Beifall bei der SPD) vordringliches Ziel verkündet. Die Umsetzung 10610 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Dr. Nils Diederich (Berlin) stieß allerdings auf erhebliche Widerstände; kon- Es ist richtig, daß Berlin auch ein Gewinner ist. Bloß bis krete Einsparungen wurden kaum erzielt. Ange- jetzt ist das j a noch nicht realisiert. Darauf warten wir sichts der Finanzprobleme im Zuge der deutschen noch. Vereinigung gewann die Forderung nach einem (Zuruf von der CDU/CSU: Olympiasieger!) durchgreifenden Subventionsabbau in West- deutschland an Dringlichkeit. Es fehlt indes an Meine Damen und Herren, die Sozialdemokraten Konzepten für eine zielgerichtete Verringerung haben seit langem gefordert, den Sanierungsgedan- der Subventionen. ken in den Vordergrund der Treuhandpolitik zu (Beifall bei der SPD) stellen. Jetzt endlich verkündet der Bundeskanzler, erhalten Ihre Anti-Subventionspolitik erweist sich als Sonn- daß er industrielle Entwicklungskerne wolle. Dies ist reichlich spät, nachdem viele große tagsjägerei. Unternehmen plattgemacht oder in die Pleite gefah- ren worden sind. Wir erwarten, daß sich das Konzept Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Abgeordneter zur Erhaltung der industriellen Kerne auf die positiven Diederich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Erfahrungen stützt, die wir nach dem Kriege in der Abgeordneten Walther? Bundesrepublik gemacht haben. (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Der hat erst Ich glaube kaum, daß die Treuhandgesellschaft gestern gefragt!) — so, wie sie sich derzeit zeigt — heute noch die geeignete Organisation ist, um diese große Sanie- Dr. Nils Diederich (Berlin) (SPD): Ja, wenn Sie die rungsaktion durchzuführen. Uhr anhalten. (Zurufe von der CDU/CSU) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das tue ich sofort. Wir fordern deswegen die Bundesregierung auf, für die Sanierung der industriellen Kerne direkt Verant- (Zierenberg) (SPD): Kollege Dr. Die- wortung zu übernehmen. Die Herausnahme dieser Rudi Walther - derich, nach dem, was Sie hier über die Ausführungen Unternehmen aus der Treuhandgesellschaft und die des DIW vorgetragen haben, frage ich Sie: Wie kann Überführung in direkte Beteiligungsgesellschaften es eigentlich passieren, daß dieses Institut die 10 Mil- des Bundes, an denen auch die Länder beteiligt sind, liarden DM Subventionskürzungen des Bundesmini- ist, glaube ich, die Aufgabe der Stunde. sters Möllemann vom letzten Jahr noch nicht berück- Allerdings müssen wir eine Reihe von Vorausset- sichtigt hat? zungen schaffen, die notwendig sind. Insbesondere (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das ist ja müssen wir weggefallene Märkte ersetzen. Wir müs- unglaublich! Stimmt das? — Heiterkeit und sen die Unternehmen in die Lage versetzen, tatsäch- Beifall bei der SPD und der CDU/CSU — lich an den Markt zu kommen. Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Jetzt müssen Sie aber denken!) (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Setzen!) Fällt Ihnen dazu eine Erklärung ein? Meine Damen und Herren, der vorliegende Haus- halt ist jedenfalls nicht geeignet, die wirtschaftspoliti- Dr. Nils Diederich (Berlin) (SPD): Es ist schwierig für schen Ziele der Erhaltung von Beschäftigung, der ein Institut, etwas zu berücksichtigen, was es de facto Wiederbelebung und des Aufbaus zu erfüllen. nicht gegeben hat. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN — Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Die Sozialdemokraten haben ein Investitionspro- Jetzt haben Sie die Kurve noch minimal gramm gefordert. Wir begrüßen, daß Sie einzelne gekratzt!) sozialdemokratische Vorschläge aufgenommen ha- ben. Wir bieten die Zusammenarbeit für eine Gemein- Wenn Sie letztlich nicht völlig gescheitert sind, Herr schaftsinitiative für Deutschland an . Möllemann, dann deshalb, weil Sie im Zuge der Vereinigung Berlin- und Zonenrandförderung (Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Gilt das — spaltungsbedingte Subventionen — abbauen auch für die Länder?) konnten. Bei den Finanzhilfen ist hingegen so gut wie nichts gestrichen worden — auch nicht, als vereini- Diese Gemeinschaftsinitiative muß der deutschen gungskonjunkturbedingt die Lage in den Jahren 1990 Einheit eine Perspektive geben, die über den Tag und 1991 noch günstiger war. Vielleicht sollte man hinausgeht. Die Sozialdemokraten sind zur Zusam- Berlin wahrscheinlich hier einen Satz dazu sagen, daß menarbeit bereit. Ich muß allerdings sagen: Ihre der Bereich ist, der bis jetzt am meisten als Blutspen- bisherigen Bemühungen verdienen nur das Urteil der für die deutsche Einheit gedient hat. „ungenügend". (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Was? Berlin der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ große Gewinner? Was haben Sie denn für DIE GRÜNEN) eine Denkart und -weise?) Man sollte würdigen, daß der Abbau der Berlin Förderung ein wichtiger Beitrag ist. (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Kein Blut Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht spender!) der Abgeordnete Kurt Rossmanith. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10611

Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Jahren sicherlich vor schwierige Aufgaben, die wir Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe oder insbesondere die Wirtschafts- und die Finanz- Kolleginnen und Kollegen! politiker mit zu bewältigen haben. Hier hilft es nicht, (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Kurt, einfach in Polemik zu verfallen oder Anträge, die hau sie zusammen! — Heiterkeit bei der irreal sind, zu stellen. CDU/CSU) Mit dem Haushalt 1993, den wir morgen in dritter Lesung verabschieden werden, haben sowohl die Lieber Nils Diederich, seit dem 3. Oktober 1990 sind Bundesregierung als auch die Koalitionsfraktionen wir nicht nur wieder ein Volk — das waren wir auch den Grundstein für diese von uns angestrebte erfolg- vorher —, sondern — ich glaube, das ist der wesentli- reiche Konsolidierungspolitik gelegt. chere Punkt, den wir bei der heutigen Wirtschaftsde- batte berücksichtigen müssen — wir sind auch wieder Jetzt komme ich auf das, Herr Kollege Diederich, eine Volkswirtschaft. Das bedeutet, es bestehen was Sie angesprochen haben: Erst durch Einsparun- unmittelbare und direkte Wechselwirkungen zwi- gen in Höhe von mehreren Milliarden DM ist eine schen den wirtschaftlichen Entwicklungen in den noch größere Finanzierung für die neuen Bundeslän- alten Bundesländern und in den neuen Bundeslän- der möglich geworden. Ich darf Sie schon daran dern; das dürfen wir nicht außer acht lassen. Zu dem, erinnern, daß die Einsparungen, die wir zu Lasten was Sie zu Subventionen und ähnlichem gesagt insbesondere der alten Bundesländer vorgenommen haben, lieber Nils Diederich, werde ich auch einiges haben, für — auch das sollte man sich immer wieder sagen. Aber eines vorneweg: Man kann nicht wie Sie ins Gedächtnis rufen — die neuen Bundesländer beklagen, daß wir hier und da Einsparungen vorge- vorgenommen wurden, um dort die wirtschaftliche nommen haben, und im gleichen Atemzug sagen: Die Entwicklung und auch die Produktivität zu stärken. Subventionspolitik fassen wir nicht an. Das ist das A und O des wirtschaftlichen Aufbaus in den neuen Bundesländern. (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Doch! Wir möchten das ja!) Wir müssen — wir sagen das auch — natürlich unsere Landsleute in den alten Bundesländern immer Lieber Herr Vorsitzender Rudi Walther, allein im wieder darauf hinweisen, daß auch Einschnitte in Einzelplan 09 haben wir gegenüber dem Regierungs- liebgewordene Besitzstände erfolgen müssen und entwurf annähernd eine halbe Milliarde DM, d. h. erfolgen werden. Es fällt uns sicherlich nicht immer 400 Millionen DM zusätzlich an Kürzungen vorge- leicht, dies zu tun, aber wir haben einfach den Mut nommen, die im Subventionsbereich liegen und die dazu, weil wir wissen, wie notwendig ein rascher bzw. uns sicherlich nicht leichtgefallen sind. Ich werde ein kontinuierlicher Aufbau auch der Wirtschaftskraft dazu dann noch einiges sagen müssen, weil hier in den neuen Bundesländern ist. Deshalb ergibt sich — leider Gottes, muß ich sagen — aus rein populisti- für die öffentlichen Finanzen die Notwendigkeit einer schen Gründen von einer Gruppe dieses Hauses Sparpolitik, und zwar nicht nur für den Bund. Ich will wieder ein Antrag gestellt wird, bei dem ich davon an dieser Stelle sehr deutlich sagen: Nicht nur der ausgehen muß, daß man sich mit der Problematik, die Bund hat zu sparen, sondern auch die Länder und die damit zusammenhängt, überhaupt nicht befaßt hat. Kommunen, und dies schon in den Jahren 1993 und (Beifall bei der CDU/CSU) 1994, aber dies gilt ebenso für den Rest dieses Jahr- Es steht außer Frage, daß es in einer Zeit, in der die zehnts. Wirtschaft etwas stagniert und die Wachstumsraten, (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr richtig!) die wir in den vergangenen Jahren hatten, für die Richtigerweise — das haben Sie richtig dargestellt — Zukunft nicht mehr so fortgeschrieben werden kön- liegt ein wesentliches Einsparpotential auch nach nen, natürlich schwieriger geworden ist, die finanzi- Auffassung des Sachverständigenrats beim Abbau ellen Mittel für unsere Landsleute in den neuen der Subventionen. Insofern stimme ich mit Ihnen Bundesländern und für den Aufbau der Wirtschaft zur völlig überein, Herr Kollege Diederich. Verfügung zu stellen. Ich weiß natürlich, daß, je länger der Prozeß des Wiederaufbaus der ostdeut- schen Wirtschaft andauert, desto mehr nicht nur die Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Abgeordneter Bevölkerung in den neuen Bundesländern unter dem Rossmanith, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Verlust der Arbeitsplätze und den beruflichen Per- Kollegen Diederich? spektiven leidet; vielmehr wird dieser Prozeß für uns natürlich auch insgesamt teurer. Deshalb ist die wich- tigste Aufgabe auch für die neuen Bundesländer, daß Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Ich bitte um Nicht- wir die Gefahr einer anhaltenden Rezession abweh- anrechnung, Frau Präsidentin. ren und die aktuelle Wachstumsschwäche der deut- schen Wirtschaft wieder überwinden und in Stärke umwandeln. Die Aussagen des Sachverständigenra- Dr. Nils Diederich (Berlin) (SPD): Lieber Kollege tes in seinem jüngsten Jahresgutachten haben darauf Rossmanith, ich darf kurz auf ihre Bemerkungen mit allem Nachdruck hingewiesen. Es kommt darauf zurückkommen, auch die Länder müßten sparen. Wie an, die sich im Westen abzeichnende oder bereits beurteilen Sie dann die Tatsache, daß das Land vorhandene Flaute zu überwinden und in den neuen Bayern bei den Steigerungsraten des Haushalts für Bundesländern weiter darauf hinzuarbeiten, daß die 1993 einsam an der Spitze liegt? produktiven Kräfte aktiviert werden und auch ein (Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist glatt wettbewerbsfähiges Angebot entsteht. Dies stellt die falsch! — Dr. Peter Struck [SPD]: Waigel hat Wirtschafts- und die Finanzpolitik in den nächsten sein Land überhaupt nicht im G riff!) 10612 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Dr. Nils Diederich (Berlin) Der Finanzplanungsrat hat unter der Stabführung von desländern ein hervorragendes Mittel, um Arbeits- Herrn Waigel beschlossen: 3 % ist die Obergrenze. plätze, um Wirtschaftskraft zu schaffen. Bayern leistet sich 5,9 %. (Beifall bei der CDU/CSU — E rnst Hinsken (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Die [CDU/CSU]: Sehr gut! Die alten Bundeslän Frage ist nicht zulässig! — Heiterkeit) der brauchen das auch wieder!) Bei den Kürzungen im Bereich der Mittelstandsför- derung haben wir natürlich auch darauf geachtet — Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das entscheide noch das ist die Verantwortung, die wir tragen —, daß die immer ich, Herr Bundesminister. Maßnahmen der überbetrieblichen Lehrlingsunter- (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Sie weisung im Handwerk weitgehend von den Einspa- haben recht, Frau Präsidentin!) rungen ausgenommen werden konnten. Eine qualifi- zierte Berufsausbildung stellt ja auch eine Zukunfts- investition dar, die nicht beeinträchtigt werden darf.

Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Herr Kollege Die- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und derich, Herr Bundesminister Waigel hat natürlich die der F.D.P.) richtige Aussage getroffen. Gerade in den neuen Bundesländern kommt meines (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Erachtens der Schaffung eines leistungsfähigen Mit- Ich muß Ihnen zunächst sagen, daß es sich nicht um telstandes eine entscheidende Bedeutung zu. Wir alle das Land, sondern um den Freistaat Bayern und die sollten daran denken, daß die Lehrlinge von heute die Bayerische Staatsregierung h andelt. Ich darf ein biß- Meister von morgen sind, d. h. die Selbständigen von chen nachhelfen und Ihren Informationsstand insofern übermorgen, die dann wieder Arbeitsplätze schaffen, ergänzen, als ich Sie bitte, zur Kenntnis zu nehmen, die dann wieder Lehrlinge ausbilden und auch Fach- daß der bayerische Staatsminister der Finanzen, Herr arbeiter beschäftigen können. Es sollte uns allen klar Dr. von Waldenfels, angekündigt hat, auch- den neuen sein, daß die derzeitige Entwicklung, bei der wir mehr Haushalt im Rahmen der Größenordnung, die unser Studenten als Lehrlinge haben, sicherlich nicht das A Bundesfinanzminister vorgegeben hat, vorzulegen. und O für eine florierende Volkswirtschaft darstellen kann. (Beifall bei der CDU/CSU) Sicher hat er bei seinen Ressortkollegen die eine oder (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — andere Problematik zu überwinden, aber ich weiß, Zustimmung des Abg. Dieter-Julius Cronen daß sie auch das in den Griff bekommen und somit berg [Arnsberg] [F.D.P.]) ihrer Verantwortung gerecht werden. Herr Kollege In einem weiteren Wirtschaftsbereich wurde im Diederich, Franz Josef Strauß hat einmal gesagt: Wir Haushaltsausschuß in der Tendenz einstimmig — das sind notfalls, wenn es sein muß, die letzten Preußen. — will ich für die Sozialdemokraten einmal mitsagen —, Ich glaube, daß unter den alten Bundesländern, die wenn auch im Abstimmungsverhalten nicht so sehr ihre Verantwortung für die neuen Bundesländer nicht sichtbar, über das Auslaufen einer Subvention im nur verbal, sondern auch in Taten zum Ausdruck Werftbereich abgestimmt. Wir sind dafür eingetreten, bringen, der Freistaat Bayern mit an vorderster Stelle diese Subvention nicht abrupt abbauen bzw. wegfal- steht. len zu lassen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Wir haben dies sicherlich nicht leichten Herzens Michael Glos [CDU/CSU]: An der Spitze vorgenommen. Man muß einfach berücksichtigen jeglichen Fortschritts!) und zur Kenntnis nehmen, daß die Konkurrenzländer Wir nehmen deshalb den Abbau der Subventionen ihre eigenen Schiffsbaubetriebe nach wie vor mit sehr ernst. Ich habe eingangs schon erwähnt: Wir massiven Subventionen unterstützen. Eine ersatzlose haben allein gegenüber dem Regierungsentwurf im Streichung dieser bisher gewährten Subvention, die Haushalt des Bundesministers für Wi rtschaft noch wir ganz deutlich zurückgefahren haben, hätte einmal 400 Millionen DM gestrichen. bedeutet, daß eine ganze Reihe von Bet rieben in den Damit sind natürlich zum Teil schmerzhafte Ein- Küstenländern ihre Existenz aufs Spiel gesetzt oder wahrscheinlich verloren hätten. schnitte in bestehende Fördermaßnahmen verbun- den. Ich nenne z. B. die Mittelstandsförderung, die Es ist nicht nur der Betrieb — das müssen wir uns Regionalförderung in den alten Bundesländern. Hier immer wieder vor Augen halten —, sondern es sind die sind erhebliche Kürzungen vorgenommen worden. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesem Betrieb, Wir haben schon im vergangenen Jahr das Eigenka- die dann zum größten Teil ihre Existenz mitverlieren. pitalhilfeprogramm für die alten Bundesländer gänz- Gerade im Küstenbereich sind Ersatzarbeitsplätze mit lich gestrichen. Sicherheit nicht in Hülle und Fülle vorhanden. Ich möchte wiederholen, daß ich diese Streichung (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: So nicht als eine Streichung für alle Zeit ansehe, sondern hat es der Kollege Richter ausgedrückt!) nur als ein Aussetzen bis zu dem Zeitpunkt, an dem sich unsere Finanzen wieder etwas günstiger entwik- — Nur, wenn er sich hier mit seiner Presseerklärung kelt haben. Gerade auch das Eigenkapitalhilfepro- etwas konzilianter verhalten und darauf hingewiesen gramm war und ist nämlich für die Förderung und den hätte, daß die Union und die F.D.P. gemeinsam, in Aufbau neuer Unternehmen auch in den alten Bun- erster Linie aber die Pressuregroup in der Union für Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10613

Kurt J. Rossmanith das Werfthilfeprogramm eingetreten ist, dann wäre — Nein, nein, er kann nichts dafür. Kollege Walther, das, lieber Herr Kollege Weng, etwas fairer gewe- ich habe ihn jetzt nicht in die Verantwortung dafür sen. genommen, im Gegenteil. Nur sollte man darstellen, (Ernst Waltemathe [SPD]: Und die SPD! — wer hier die Verantwortung trägt. Dr. Peter Struck [SPD]: Bitte noch Ernst Es sollte darauf eingegangen werden, daß wir im Waltemathe erwähnen!) vergangenen Jahr 13 Milliarden DM an Verpflich- Das wollte ich in dieser Deutlichkeit jetzt nicht tungsermächtigungen eingesetzt haben und daß für sagen. die Wismut, d. h. für die Sanierung dieses Gebietes es schließt Thüringen und Sachsen mit ein — kein Herr Bundesminister, jetzt muß ich das doch anspre- — einziger Pfennig weniger ausgegeben wird, daß sie chen: Wir vom Haushaltsausschuß hatten Ihnen am aber unter dem Zwang des Haushaltes für das kom- 24. Juni vergangenen Jahres einstimmig einen klaren mende Jahr natürlich zunächst eine Streckung hin- Auftrag gegeben, die Situation nicht nur als solche nehmen muß, wir aber im kommenden Jahr noch darzustellen, wie sie ist und wie ich sie dargestellt 776 Millionen DM — das ist mehr als eine dreiviertel habe, sondern bereits im Regierungsentwurf entspre- Milliarde DM — allein für den Bereich Süssmuth — chende Maßnahmen zu treffen. Herr Bundesminister Entschuldigung: Wismut ausgeben. Möllemann, Sie haben das nicht getan. Deshalb mußten wir im Haushaltsausschuß handeln. (Heiterkeit) (Beifall bei der SPD) Deshalb muß die Wismut GmbH in ihrem Arbeitspro- Ich betone noch einmal: Ich wollte das hier nicht gramm für das nächste Jahr natürlich Prioritäten sagen. Lieber Herr Kollege Weng, Sie haben mich setzen und bestimmte Stillegungs- und Sanierungsar- geradezu dazu aufgefordert. Um der Wahrheit willen, beiten strecken. die man in diesem Hause immer sagen muß und die (Abg. Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD] hier auch immer gesagt wird, meldet sich zu einer Zwischenfrage) (Michael Glos [CDU/CSU]: Nicht nur hier!) — Gleich. Ich möchte dies noch sagen, weil es das war dies erforderlich. Thema abschließt. (Beifall bei der SPD) Wir haben nicht einfach eine Kürzung vorgenom- men, weil es uns so gefallen hat und es so einfach ist; wir haben uns informiert. Es erscheint mir wirklich Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Abgeordneter zumutbar, den vorgesehenen Be trag von 926 Millio- Rossmanith, gestatten Sie eine Zwischenfrage des nen DM auf 776 Millionen DM zurückzufahren, da die Abgeordneten Dr. Weng? administrativen Genehmigungsverfahren für die Sa- nierungsarbeiten ohnehin nur sehr schleppend voran- Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Aber selbstver- gehen. Ich sage es noch einmal: Ich hoffe, daß diese ständlich, bei meinem Freund Wolfgang Weng 776 Millionen DM im kommenden Jahr für die Sanie- immer. rungs- und Stillegungsarbeiten sinnvoll ausgegeben werden können. Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (F.D.P.): Lieber Unseren Kollegen aus den neuen Bundesländern Herr Kollege Rossmanith, geben Sie zu, daß der — es war ursprünglich eine Kürzung von 200 Millio- Regierungsetat, der Gesamtentwurf, nicht einem ein- nen DM vorgesehen —ist es mit zu verdanken, daß wir zelnen Minister zuzuordnen ist, sondern selbstver- diese Kürzung auf 150 Millionen DM zurückgenom- ständlich dem federführenden Finanzministerium men haben. und der Gesamtregierung in gleicher Weise? (Wolfgang Roth [SPD]: Der Waigel hat Schuld!) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Abgeordneter Rossmanith, noch eine weitere Zwischenfrage? (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Bitte schön!) Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Herr Kollege Weng, ich stimme Ihnen im Prinzip zu. Nur, für den — Wollen auch Sie zur Erheiterung der Wirtschaftspo- Haushalt des Ministeriums des Bundesministers für litik beitragen? Wirtschaft und für das, was hier erforderlich ist, ist natürlich in erster Linie der Bundesminister für Wirt- schaft zuständig. Helmut Wieczorek (Duisburg) (SPD): Herr Kollege Rossmanith, würden Sie dem Haus noch einmal aus- (Beifall bei der SPD) drücklich bestätigen, daß an der Wismut AG nicht die Lassen Sie mich, lieber Herr Kollege Roth, etwas zur Präsidentin Süssmuth beteiligt ist, Wismut GmbH sagen, die wir übernommen haben. Ich (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Aber sie will nicht näher darauf eingehen, aber es wäre viel- strahlt auch!) leicht ganz gut, wenn die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die wohl dann auch den Antrag auf obwohl sie strahlt? namentliche Abstimmung stellen wird und die einen Änderungsantrag vorgelegt hat, auch etwas dazu Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Nach meinem sagen würde, wer denn der Verursacher dieser Situa- Kenntnisstand, Herr Kollege Wieczorek, kann ich tion ist. Ihnen ausdrücklich bestätigen, daß die Präsidentin (Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]: Dafür dieses Hohen Hauses nicht an der Wismut GmbH kann er doch nichts!) beteiligt ist. 10614 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich bedanke mich Lassen Sie mich deshalb noch einmal darauf hin- ausdrücklich, Herr Wieczorek. weisen, daß wir mit diesem Haushalt 1993, insbeson- (Heiterkeit) dere auch mit den Beschlüssen zum Einzelplan 09, Bundesministerium für Wirtschaft, den richtigen Rah- men gesetzt und die richtigen Beschlüsse gefaßt Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Lassen Sie mich haben, Beschlüsse, die in die richtige Richtung zeigen aber am Schluß doch noch auf die allgemeine Situa- und einmal mehr verdeutlichen, daß die Bundesregie- tion eingehen, nachdem ich hier exemplarisch darge- rung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen nicht legt habe — — nur vom Aufschwung Ost reden, sondern hierfür auch (Widerspruch bei der SPD — Dr. Peter Struck ganz konkrete Maßnahmen, ganz konkretes Handeln [SPD]: Nicht übertreiben!) geschaffen haben. — Sie sind aber heute morgen schon sehr munter, muß Der Einzelplan 09 ist wie der gesamte Haushalt 1993 ich sagen, Kollege Struck. solide, zukunftsweisend und verfassungsgemäß. Ich (Zurufe von der SPD) bitte deshalb das Hohe Haus um Zustimmung auch für diesen Einzelplan. Doch dieses Lob muß ich Ihnen aussprechen. Es ist natürlich immer erheiternd, wenn der Morgen so Ich möchte daran anschließen, daß ich sowohl Herrn erfreulich und so vital anfängt. Bundesminister Möllemann, Herrn Bundesminister Waigel und dem Haushaltsstaatssekretär Dr. Erich Der Sachverständigenrat hat uns prognostiziert Riedl sowie all ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbei- und jeder weiß es —, daß wir in den nächsten — tern, aber auch denen im Finanzministerium und beim Jahren schwierige Phasen zu durchlaufen haben. Rechnungshof, sowie meinen Kollegen Mitberichter- in den neuen Bundesländern im Wirtschaftswachstum stattern für die gute Zusammenarbeit und die Mitar- kommenden Jahr 7 %, in den alten Bundesländern beit während der Haushaltsberatungen danke. Null. Ich will diesen, muß ich sagen, auch grammati- kalisch unmöglichen Beg riff vom Null-Wachstum hier (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nicht erwähnen. Das heißt aber auch, daß wir alle daran mitarbeiten müssen, unsere Wachstumskräfte wieder zu stärken, und die Voraussetzungen für ein Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat jetzt Wiedergewinnen der wirtschaftlichen Dynamik der Abgeordnete Josef Grünbeck. schaffen müssen. Darf ich, bevor Sie das Wort ergreifen, kurz noch Das ist von der Bundesregierung schon eingeleitet bekanntgeben: Die Forderung nach namentlicher worden. Nicht nur die Koalitionsfraktionen, sondern Abstimmung über den Änderungsantrag des BÜND- natürlich auch Sie mit Ihrer Vitalität, die Sie heute hier NISESS 90/DIE GRÜNEN wird von der SPD übernom- beweisen, sollten sie nachhaltig und nachdrücklich men, so daß wir kurz vor zwölf Uhr eine namentliche unterstützen. Abstimmung haben werden. (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Die hält Bitte schön, Herr Kollege. aber nicht lange an!) Das heißt aber, daß wir hier nicht nur die politischen Josef Grünbeck (F.D.P.): Verehrte Frau Präsidentin! Rahmenbedingungen entsprechend setzen müssen, Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bun- sondern das ist auch eine Frage der Tarifpolitik. Es desrepublik Deutschland hat in den letzten Jahrzehn- steht mir nicht an, und ich möchte es auch nicht, den ten das von der Welt bewunderte Wirtschaftswunder Tarifparteien irgendwelche Vorschläge zu machen. und einen Aufschwung ohnegleichen erlebt. Zur Zeit Tarifautonomie für Arbeitnehmer und Arbeitgeber ist sind aber die weltweiten wirtschaftlichen Entwicklun- für mich, wie für alle in diesem Hohen Hause — davon gen in Japan, im asiatischen Raum, in den Vereinigten gehe ich aus — höchstes Gebot und unantastbar. Aber Staaten von Amerika und insbesondere im Osten eines muß natürlich auch klar sein: daß sich die Europas von derartigen Veränderungen geprägt, daß Tarifparteien auch ihrer Verantwortung bewußt sind, dies auch an unserer eigenen nationalen Entwicklung für eine Steigerung der Produktivität in den neuen nicht spurlos vorübergehen konnte. Es gibt wohl kein Bundesländern und für eine Kräftigung unserer Wirt- Beispiel in der Wirtschaftsgeschichte, in dem in so schaft, damit aus diesem Wachstum, das im Moment kurzer Zeit sich so vieles verändert hat wie in den fast auf Null heruntergefahren ist, auch tatsächlich letzten Jahren. Das ist eine neue Herausforderung an wieder ein Wirtschaftswachstum wird. die Politik, aber auch an Unternehmen und Gewerk- Denn eines müssen wir wissen: Der Osten oder die schaften, an Forschung und Entwicklung, an die neuen Bundesländer werden nicht dadurch aufge- Verkehrspolitik und an viele andere Bereiche. baut, daß in den alten Bundesländern jetzt die Wirt- Niemand bestreitet, daß die Lage ernst ist. Aber ich schaft stagniert. Nur wenn wir miteinander — deshalb würde auch davor warnen, die Lage zu dramatisieren. habe ich eingangs gesagt: eine Volkswirtschaft — Weder das Jammern noch das Schimpfen sind jetzt auch wieder dazu beitragen, daß eine entsprechende gefragte Rezepte, sondern das gemeinsame Streben Wachstumspolitik geschaffen werden kann, werden nach besten Lösungen. wir nicht nur die innere Teilung überwinden, an der wir weiter arbeiten müssen, sondern werden wir auch (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — dazu beitragen, daß ein schnelleres Wachstum bzw. Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) auch eine schnellere Anbindung unserer neuen Bun- Der Wettbewerb um die besseren Lösungen könnte desländer an das Niveau der westlichen Länder mög- uns, wenn wir das politische Gezänk zurückdrängen, lich wird. zu einer neuen politischen Kultur führen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10615

Josef Grünbeck Ich gehöre noch zu jener Generation, die den Ich kann in dieser kurzen Redezeit nicht alle Gedan- Zweiten Weltkrieg als Soldat erlebt hat. Die Hälfte ken beschreiben, aber einige, die mich bewegen, darf meines Jahrgangs hat nicht überlebt. Ich kenne das ich vortragen. Glücksgefühl, überlebt zu haben. Ich habe gemein- Vor uns liegt eine Zeit ungeheurer Veränderungen. sam mit meiner Familie, die unter schweren Opfern Fast alle Branchen sind vom Strukturwandel betrof- der Vertreibung zu leiden hatte, den Wiederaufbau in fen. Es muß uns gelingen, die Entbürokratisierung auf der Bundesrepublik miterleben und mitgestalten dür- allen Ebenen voranzubringen. Wir müssen Regelun- fen. Wir tun gut daran, uns jetzt dieser Zeiten zu gen abschaffen oder verbessern, die dem Aufschwung erinnern, um die heutigen Ereignisse dann mit dem und mitunter sich gegenseitig selbst im Wege stehen. richtigen Maßstab zu beurteilen. Wir dürfen die Zeiten für Genehmigungsverfahren Wir haben nicht nur einen ungeheuren Wohlstand nicht einfach resignierend zur Kenntnis nehmen, gegenüber der übrigen Welt erreicht, sondern wir sondern wir müssen sie verbessern. haben auch die Ansprüche auf höchstem Niveau zu (Beifall bei der F.D.P.) erfüllen versucht, was auf die Dauer gesehen — und das wußten wir alle — nicht möglich ist. Wir müssen die Privatisierung auf allen Ebenen vorantreiben, bei den Kommunen, den Ländern und Gefordert ist jetzt wieder eine Mentalität des beim Bund. Ärmel-Aufkrempelns, die der intelligenten Phantasie und der Eigeninitiative freien Raum gibt. Im Augen- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) blick muß man manchmal die Sorge haben, daß Der Strukturwandel ist besonders in den export- hektischer Aktionismus an die Stelle durchdachter orientierten Branchen erforderlich. Wir alle nehmen sozialer marktwirtschaftlicher Entwicklungen tritt. betroffen die Absatzkrise in der Automobilindustrie, Vielleicht wäre es gut, wenn wir alle hin und wieder in der Werkzeugmaschinenindustrie, in der Textilin- eine Gedenkminute für einlegen wür- dustrie und in anderen Bereichen zur Kenntnis. Da den, der gerade in den kritischen Situationen immer helfen Erhaltungssubventionen wenig. Hier müssen wieder seine Standfestigkeit und seine Bekenntnis- neue Strukturen bei den Produkten und bei den treue zur Marktwirtschaft bewiesen und damit zur Märkten gefunden werden. Dies schaffen wir aber Stetigkeit der wirtschaftlichen Abläufe und zum Auf- nicht durch staatliche Beihilfen allein, sondern nur bau des Vertrauens beigetragen hat. durch eigene Anstrengung, durch höhere Effizienz, durch Forschung und Entwicklung. Dafür müssen die (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Rahmen verbessert werden, und deshalb kann die Die Geschichte ist wahr: Als im Juni 1948 die Unternehmenssteuerreform nicht auf die lange Bank Währungsreform durchgeführt wurde und Ludwig geschoben werden. Erhard die Freigabe der Preise erklärte, wurde ihm (Beifall bei der F.D.P.) von vorgeworfen, er habe seine Kompe- General Clay Wir müssen erreichen, daß die aufgewendeten tenz überschritten, weil Preisveränderungen von den Finanzmittel effizient eingesetzt werden. Das kann Alliierten genehmigt werden mußten. Darauf soll geschehen, indem wir klar festlegen: Was ist dringend Ludwig Erhard den legendären Satz gesagt haben: notwendig, was kann man zurückstellen, was kann „Ich habe die Preise nicht verändert, ich habe sie man streichen? Es gilt also, Prioritäten zu setzen. freigegeben. " Das war nicht nur das mutigste, sondern auch das größte und schnellste Deregulierungspro- Für uns Liberale ist die Verringerung der Arbeits- gramm der Geschichte. losigkeit das allererste Gebot der Stunde. Dazu gibt es kein besseres Instrument als Investitionen, Investitio- Wir könnten daraus manches für die heutige Situa- nen und nochmals Investitionen. tion lernen. Erhard hat damals auch gesagt, daß die Marktwirtschaft nichts bequemes ist, aber es gibt an (Beifall bei der F.D.P.) Stelle der Marktwirtschaft nichts Gerechteres. Und Aber auch Investitionen brauchen Prioritäten. Es hat deshalb sollten wir uns zu ihr bekennen. keinen Sinn, wenn wir an der Ostsee den westdeut- (Beifall bei der F.D.P. und bei Abgeordneten schen Gemeinden die fünfte Reinigungsstufe für das der CDU/CSU) Abwasser vorschreiben, in den östlichen Bundeslän- dern aber noch die Grundansätze für die Verbesse- Ich erinnere mich gut an die Partnerschaft zwischen rungsmaßnahmen fehlen. den Bundesbürgern und den über zehn Millionen Vertriebenen, die nicht nur ihre Heimat, sondern auch (Beifall bei der F.D.P.) Hab und Gut verloren hatten. Man stand zum großen Es hat auch wenig Sinn, wenn wir über letzte Feinst- Teil vor dem Nichts. In einer selten für möglich regulierungen im Westen Europas der Klimaver- gehaltenen Solidarität haben damals die Altbundes- schlechterung entgegenzutreten versuchen, gleich- bürger den Flüchtlingen und Vertriebenen den Start zeitig aber im Osten Europas eine ungehemmte Ener- in eine neue Zukunft erleichtert. Mit einer ungeheu- gieverschwendung durch mangelhafte Regelungsin- ren Energieleistung haben wir alle dann in partner- strumente, fehlende Wärmedämmung, fehlende schaftlicher Zusammenarbeit den Wiederaufbau der Mengenmessung und damit auch fehlende Preise Bundesrepublik mitgestaltet. Dieser Partnerschafts- zulassen. gedanke sollte uns eigentlich auch heute mehr bewe- gen. Er darf vor keiner Hürde haltmachen. Denn wir (Beifall bei der F.D.P.) müssen die Gegensätze in unserer Gesellschaft Meine Damen und Herren, wir brauchen die soziale abbauen und positive Entwicklungen ausbauen. Partnerschaft. Ich bin ein großer Verfechter der Mit- 10616 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Josef Grünbeck bestimmung der Arbeitnehmer in den Unterneh- den öffentlichen Finanzen, Umkehr in der Lohnpolitik men. in West und Ost, Stärkung des Aufschwungs Ost und (Wolfgang Roth [SPD]: Und der Vermögens Solidarpakt. beteiligung! Das muß ich loben!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Europa streitet jetzt um die besseren Lösungen für eine Aber Mitbestimmung ist auch von der Mitverantwor- gemeinsame Zukunft. Die Gemeinschaft führt aber tung nicht zu trennen. Hier liegen die Ressourcen, die einen friedlichen S treit und hat die jahrhundertelange genutzt werden müssen. Das Vorschlagswesen für kriegerische Auseinandersetzung hinter sich gelas- Verbesserungen, die Erfindermotivation, das Mitden- sen. Ziel muß es jetzt sein, auch die östlichen Länder ken und Mitarbeiten müssen neu aktiviert werden. Europas in diese Gemeinschaft einzubringen und mit Dann kommt auch das Mitverdienen dazu, in welcher einem integrierten Europa zwischen Ural und Atlantik Form auch immer dies geschieht. eine friedliche Zukunft für die nächsten Generationen (Wolfgang Roth [SPD]: Sehr gut!) zu gestalten. Machen wir uns an die Arbeit für eine friedliche Zukunft! Es ist eine schwere, aber eine Darüber muß man gemeinsame Bestrebungen in schöne Aufgabe. Gang setzen und auch in politischer partnerschaftli- cher Zusammenarbeit eine Lösung suchen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. — Wolfgang Roth [SPD]: Sehr gut!) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Fritz Schumann. Wir brauchen die Partnerschaft zwischen den klei- nen und mittleren Betrieben und den großen, regional oft bestimmenden Unternehmen. Großunternehmen Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) (PDS/Linke beschäftigen heute oft 30 000, 40 000, ja bis zu 70 000 Liste): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! kleine und mittlere Zulieferer, die preisgünstig, flexi- Bundeskanzler hat gestern hier wieder- bel und qualitativ die besten Ergebnisse offerieren. holt, was er offenbar auch schon in Schwe rin zum Die hochqualifizierte deutsche Bauwirtschaft- wird Ausdruck gebracht hat: Es geht darum, industrielle vorwiegend von kleineren und mittleren Unterneh- Kerne im Osten zu erhalten. Wir freuen uns über diese men getragen. — wenn auch sehr späte — Einsicht. Wenn sie tatsächlich mit aller Konsequenz befolgt wird, ist Große Bedeutung haben dabei die freien Berufe, sicher auch noch einiges zu retten. Mahnende Stim- die in allen Bereichen den Strukturwandel konstruktiv men in dieser Richtung hat es ausreichend gege- und kreativ begleiten. ben. (Beifall bei der F.D.P.) Mir hat besonders gefallen, Herr Grünbeck, daß Sie Wir brauchen eine Partnerschaft zwischen den eben darauf hingewiesen haben, daß an den großen Industrien eine Vielzahl von politischen Parteien. Ich bin überzeugt, daß uns allen mittelständischen Klein- unternehmen nicht damit gedient ist — und unsere Bürger empfin- hängt. Wenn diese Erkenntnis, daß ohne Großindustrie auch ein Mittelstand nicht funk- den das auch zunehmend so —, wenn wir in den tioniert, Raum greift, dann sind wir ein ganzes Stück Ausschüssen konstruktiv und fair miteinander arbei- weitergekommen. Das wurde ja zum Teil verneint. ten, aber dann im Parlament durch polemische Aus- einandersetzungen das Vertrauen in die Parteien- (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das hat nie landschaft reduzieren. mand verneint! Sie verstehen doch wirklich nichts davon!) (Beifall bei der SPD — Wolfgang Roth [SPD]: Jetzt habe ich schon dreimal „Sehr gut" Andererseits ist aber heute schon nicht mehr zu gerufen!) übersehen, daß es im Osten eine Deindustrialisierung in hohem Maße gibt. Heute arbeiten im Osten von Ich glaube, daß die wirtschaftlichen, sozialen und 1 000 Einwohnern noch ganze 62 Arbeitnehmerinnen ökologischen Probleme auch international leichter zu und Arbeitnehmer in der Industrie und im Bergbau. Im lösen sind, wenn wir wirklich begreifen, daß die Zeit Westen sind es doppelt so viele, und vor zwei Jahren gekommen ist, aufeinander zuzugehen und nicht waren es im Osten zweieinhalbmal so viele. aufeinander losgehen. (Zurufe von der CDU/CSU) In wenigen Wochen beginnt der Europäische Bin- 60 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf 1 000 nenmarkt. Das Datum 1. i . 1993 hat schon längst seine Einwohner ist ein Maß, das mit Industriestandort eben Vorläufer. Der europäische Markt ist in Bewegung nichts mehr zu tun hat. geraten. Europa rückt zusammen, um den weltweiten Viele Bürgerinnen und Bürger blicken deshalb mit Wettbewerb besser zu bestehen. Wenn wir begreifen, daß wir durch das Miteinander die Problemlösung für Sorge auf das kommende Jahr. Der von der Bundes- regierung vorgelegte Entwurf des Haushalts für 1993 die wirtschaftliche und soziale Zukunft unseres Lan- schöpft nach unserer Auffassung nicht alle Möglich- des besser gestalten als durch ständiges Gegeneinan- keiten aus, diese berechtigten Sorgen wirklich zu der, dann wird eine Aufbruchstimmung zu erzielen sein, wie wir sie schon einmal, nach dem Zweiten entkräften. Die Konstrukteure und Verfechter dieses Weltkrieg, gehabt haben. Haushalts gehen nach unserer Überzeugung einen verkehrten Weg. Sie orientieren sich daran, was Graf Lambsdorff hat in der gestrigen Debatte schon kurzsichtige Lobbyisten von Unternehmen für mög- auf die wichtigsten Punkte hingewiesen: Bewahrung lich und wünschenswert halten. Ein Lohnverzicht der der wirtschaftlichen Dynamik im Westen, Disziplin bei abhängig Beschäftigten wird zum entscheidenden Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10617

Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) Faktor der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft stili- Ausgangspunkt für das Angebot von mehr Arbeits- siert. möglichkeiten in den neuen Ländern müßte die Unterstützung des Ausbaus des Innovationspotenti- (Josef Grünbeck [F.D.P.]: Das ist nur ein Teil als für die Entwicklung umweltverträglicher Produkte davon!) und Technologien bilden. Darauf aufbauend könnten — Das ist richtig. Es ist nur ein Teil davon; Sie haben Entwicklungsagenturen und Technologietransferstel- völlig recht. Aber es wird eben zur Zeit hochstili- len einen wirksamen Beitrag zu den konkreten Erfor- siert. dernissen in den Regionen leisten. Die Belange der beschäftigten Arbeitnehmerinnen Vorrangige Aufgabe des Staates bleibt es, die für und Arbeitnehmer bleiben im wesentlichen auf der die Schaffung von Arbeitsplätzen erforderliche Infra- Strecke. struktur zu entwickeln. Von der Entwicklung der (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sie wissen Infrastruktur würden bedeutende Impulse für den doch gar nicht, was Marktwirtschaft bedeu Erhalt des Industriestandortes Ostdeutschland ausge- tet, daß es da um Produktivität geht!) hen. — Da brauchen Sie mich nicht zu belehren, Herr Das betrifft sowohl die technische Herstellung von Rossmanith. Ich habe damit selber zu tun, und ich Verkehrsmitteln — ich denke dabei insbesondere an versuche, das auch in Ordnung zu bekommen. Und die auch in der ehemaligen DDR vorhandenen Erfah- das läuft sogar, auch wenn Sie sich das nicht vorstellen rungen im Verkehrsmittelbau, was den schienenge- können. bundenen Fahrzeugbau anlangt — und Verkehrsan- lagen, dezentralen Energieanlagen, Wasserversor- Das Wohlergehen der Unternehmer ist eben Grund- gungs- und Abwasserentsorgungsanlagen als auch anliegen dieser Politik und dieser Regierung. Die die soziale Infrastruktur zum Ausbau und zur Moder- Wirtschaftspolitik bleibt damit auf eingefahrenen nisierung des Wohnungsbestandes, von Einrichtun- Gleisen. Diese Gleise waren erfolgreich, solange wirt- gen des Gesundheitswesens, der Bildung und der schaftliche Konjunktur anhielt. Die Produktion von Kultur. Spitzenerzeugnissen hat Deutschland nach- meiner Auffassung und nach unseren bisherigen Erkenntnis- Auch in der Unternehmensberatung und insbeson- sen zum maßgeblichen Industrieland und zum „Ex- dere der konkreten Unterstützung bei der Erschlie- portweltmeister" gemacht. Diese Spitzenerzeugnisse ßung und Gewinnung von Absatzmärkten bestehen waren aber auch nur an Menschen mit guten Einkom- für die Unternehmen in den neuen Ländern weiter men zu verkaufen. Verzicht kam dabei nicht in Frage. Defizite. Eine staatliche Förderung echter und wirksa- Allerdings wurde eine zunehmende Anzahl von Men- mer Unternehmensberatung, die an Ergebnissen der schen einfach ausgegrenzt. Jetzt steht diese Produk- Erhaltung und auch Neueinrichtung von Wirtschafts- tionsweise, jeden Tag ein Stück mehr, im krassen unternehmen gemessen werden müßte, könnte hier Widerspruch zu den Erfordernissen der Zeit. Abhilfe schaffen. Falsche Propheten und Ritter der freien Marktwirtschaft waren genug im Osten. Sie Nach unserer Auffassung beruht die Leistungskraft waren im wesentlichen darauf bedacht, ihre eigenen in entscheidendem Maße auf der Fähigkeit, für andere Taschen zu füllen. Menschen nützliche Dinge herzustellen und Leistun- gen zu erbringen. Unserer Auffassung nach geht es Die Einbeziehung sanierungsfähiger Treuhandun- vorrangig darum, die Voraussetzungen zu schaffen, ternehmen in die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesse- daß mehr an verteilbarem Einkommen erarbeitet rung der regionalen Wirtschaftsstruktur" halten wir werden kann. für überfällig. Auch sollten die Nachteile einer globa- len Förderung der Investitionen nicht länger überse- Wir fordern, daß die Wirtschaftspolitik die vor der hen werden. Wir schlagen vor, für die Investitionsför- Gesellschaft stehenden Probleme in Angriff nimmt. derung die Anzahl der durch Investitionen entstehen- Das verlangt, die Voraussetzungen zu fördern, daß den Arbeitsplätze noch stärker mit zu berücksichti- neue Arbeitsplätze in West und Ost geschaffen wer- gen, und bitten den Bundeswirtschaftsminister, im den. Wir sind der Meinung, daß die Umweltlasten in Planungsausschuß darauf Einfluß zu nehmen. Ost und West, die CO2-Belastung der Atmosphäre, ein notwendiger Verkehrsumbau — nicht zusätzliche Es ist nach meiner Auffassung der verkehrte Weg, Straßen, sondern intelligente Lösungen, die es ermög- die Fördermittel im Westen zu kürzen. Vom ursprüng- lichen, in wesentlich größerem Umfang als bisher die lichen Ansatz bei der Gemeinschaftsaufgabe „Ver- Ziele zu Fuß, mit dem Rad und öffentlichen Verkehrs- besserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" mit mitteln zu erreichen — Aufgaben sind, deren Lösung 425 Millionen DM sind nach Vorschlag der Regie- unaufschiebbar ist und für die genug Arbeitssuchende rungskoalition noch 350 Millionen DM übriggeblie- ihre Leistung anbieten. ben. Damit werden 1993 30 % weniger Mittel als 1992 zur Verfügung stehen. Die Wirtschaftspolitik sollte mit einschneidenden Maßnahmen Veränderungen wirksam fördern. Dafür Das ist vor dem Hintergrund eines Anwachsens der könnten auch Unternehmensgewinne genutzt wer- Arbeitslosigkeit in den alten Ländern auf über 2 Mil- den; denn die Lasten für die Umwelt werden auch von lionen mehr als bedenklich und wird auch höhere Unternehmen angehäuft. 600 Milliarden DM jährlich Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern zur Folge werden nach Untersuchungen des Fraunhofer- Insti- haben. Die Probleme in West und Ost hängen tuts für Systemtechnik und Innovationsforschung an untrennbar miteinander zusammen. Das ist hier heute Umweltschäden allein in Westdeutschland ange- schon mehrfach von meinen Vorrednern gesagt wor- häuft. den. 10618 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) Es hilft nicht, wenn die Schaffung von Arbeitsplät- vollständig, noch entspricht es dem Prinzip der Klar- zen in Eisenach oder Eisenhüttenstadt Arbeitsplätze heit und Wahrheit. in den alten Ländern vernichtet. Im Einklang damit ist es auf Grund der Übergangsbedingungen in den (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Das neuen Ländern erforderlich, die Umstellung von nehmen Sie aber sofort zurück!) Betrieben mit absatzfähigen Erzeugnissen zu unter- Man betrachte nur die Neuverschuldung, die jetzt mit stützen. — Es gibt solche Bet riebe. Sie können aber 43 Milliarden DM, Herr Waigel, den ursprünglichen wegen der Probleme, die in der Übergangsperiode Ansatz noch um 5 Milliarden DM übersteigt — die bestehen, zur Zeit nicht allein existieren. ganzen Schatten- und Nebenhaushalte nicht einge- Dazu sind nach unserer Auffassung Arbeitsplatz- rechnet; die beherrsche ich als Ostabgeordneter noch subventionen das gegebene Mittel. Grob geschätzt nicht. kostet ein Arbeitsloser den Staat alles in allem 80 % Meine Damen und Herren, in der weltwirtschaftli- seines Lohnes. Wenn es gelingt, einen Betrieb mit chen Schönwetterperiode der 80er Jahre — das sind 30 % Lohnkostenzuschuß — und das Ganze noch degressiv — zum Laufen zu bringen, spart der Staat zufällig die letzten zehn Jahre, von denen der Kanzler gestern gesprochen hat — konnte das wirtschaftspoli- 50 % der andernfalls notwendigen Kosten ein. Eine tische Nichtstun keinen großen Schaden anrichten. Schätzung ergab, daß durch je 1 000 DM Lohnzuschuß Nach der 4 000 DM an Arbeitslosengeld, Treuhandverlust, Wiedervereinigung hat sich aber die Geschäftsgrundlage für die Wirtschaftspolitik nach- Steuer- und Beitragsausfall usw. erspart werden. Das haltig geändert. Die Folgen der wirtschaftspolitischen ist alles noch unabhägig davon betrachtet, was es dem einzelnen gibt, daß er arbeiten kann. Ignoranz werden jetzt sichtbar. Selbst die traditionel- len Formen der Wirtschaftspolitik wurden in unver- In diesem Sinne fordern wir, Arbeit zu fördern, um antwortlicher Weise vernachlässigt. Neue wirtschafts- wirtschaftliche Leistungen zu ermöglichen, und nicht politische Strategien, der Umbruchsituation in den zugunsten kurzfristiger und kurzsichtiger Gewinne neuen Bundesländern angemessen, waren nicht zu der Unternehmen Lohnverzicht zu verlangen und erkennen. Die Vertreter der Bundesregierung glaub- - Menschen von der Erwerbstätigkeit auszugrenzen. ten allen Ernstes, daß die Angleichung der Lebensver- Gestatten Sie mir noch eine kurze Bemerkung zum hältnisse im Selbstlauf erfolgen würde. ERP-Wirtschaftsplangesetz, das heute ebenfalls in der Das strukturpolitische Versagen der Bundesregie- Beratung ist. Die PDS/Linke Liste setzt sich nach- rung wurde zuallererst bei der vom Bundesfinanzmi- drücklich für die Fortsetzung und die Unterstützung nister zu verantwortenden Treuhandpolitik sichtbar. der Umstrukturierung und Anpassung der Seehäfen Die Treuhandanstalt sieht ihre Aufgabe fast aus- in Mecklenburg-Vorpommern ein. Die Seehäfen in schließlich in der Privatisierung der Unternehmen und Mecklenburg-Vorpommern haben heute eine ungü- Betriebe. Die Aufgabe der Sanierung der Wirtschafts- stigere Struktur und Kapitalausstattung als die Seehä- einheiten wird bis auf den heutigen Tag — trotz fen in den alten Bundesländern, für die ein ERP- anderer Beteuerungen — in ihrer Bedeutung unter- Seehafenprogramm eingeführt wurde. Dieses Pro- schätzt. gramm wird für die alten Länder fortgeführt; für Mecklenburg-Vorpommern soll es 1993 auslaufen. Bei einer Privatisierung ohne vorherige Sanierung Wir schlagen vor, daß diese Förderung auch für bleibt in der Regel jedoch nur ein Bruchteil von Mecklenburg-Vorpommern fortgeführt wird. industrieller Substanz und Arbeitsplätzen der Unter- Danke. nehmen erhalten. So war absehbar, daß es bei einer Fortschreibung der bisherigen Politik der Treuhand- (Beifall bei der PDS/Linke Liste) anstalt zu einer weitgehenden Vernichtung der indu- striellen Kernbereiche Ostdeutschlands kommen würde. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht Nach der Rede des Bundeskanzlers von gestern der Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Feige. habe ich heute früh die Reaktionen darauf der Presse entnehmen können. In Mecklenburg-Vorpommern z. B. machen sich genau die Betriebe Hoffnungen, jetzt zum Kernbereich erklärt zu werden, die durch die Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gerade erwähnte Vernachlässigung bereits heute alle NEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen Experten verloren haben, weil diese in die alten und Herren! Wir haben am Dienstag einen aufschluß- Länder gegangen sind; gute Leute bekommen halt reichen Eindruck von der finanzpolitischen Seriosität Arbeit. Angesichts der gegenwärtigen Situation dieser Regierung bekommen. Herr Waigel hat Zahlen kommt dieses Neuankurbeln entschieden zu spät und für den Papierkorb vorgelegt, und dennoch hat eine wird viel teurer, als wenn man es vor drei Jahren getan Mehrheit dieses Hauses — die Gnade der Technik hätte. konnte diese Debatte gerade noch ein paar Stunden verhindern — (Josef Grünbeck [F.D.P.]: Mein Gott, was (Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Aber die reden Sie für einen Unsinn! Besorgen Sie Kollegen Ihrer Gruppe bleiben aus Protest doch einmal neue Märkte; Sie sind doch so lieber zu Hause!) intelligent!) einem Verfahren zugestimmt, das alle Haushalts Meine Damen und Herren, der jüngste struktur- grundsätze des Grundgesetzes verletzt. Es ist weder und regionalpolitische Schwenk der Bundesregierung Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10619

Dr. Klaus-Dieter Feige kommt in diesem Sinne genau diese drei Jahre zu spät. ungelöst betrachtet werden. Die Bundesregierung hat Die Bundesregierung hat sich bekanntermaßen bislang unter allen Industrienationen das ehrgeizigste beharrlich geweigert, die für den wirtschaftlichen CO2-Minderungsziel beschlossen, ohne allerdings die Aufbau der neuen Bundesländer notwendigen Rah- dafür notwendige wesentliche Änderung ihrer Ener- menbedingungen zu schaffen. Wir dagegen haben giepolitik vorzunehmen. Die Energie wird in der seit 1990 gefordert, neue industriepolitische Wege zu Bundesrepublik am stärksten subventioniert. Die beschreiten. Unterzeichnung der Klimakonvention 1992 in Rio, deren Anforderung dem langfristigen Ausstieg aus Die Treuhandanstalt muß den klaren gesetzlichen fossilen Brennstoffen gleichkommt, unterstreicht die Auftrag bekommen — auch jetzt noch, gegen Ende dringende Notwendigkeit einer effizienten Revolu- ihrer Arbeit —, die ihr anvertrauten Unternehmen zu tion unseres Energiesystems. sanieren, wenn diese nicht sofort — unter Erhalt ihrer Substanz — privatisierbar sind und wenn dies auf Nur der dazu erforderliche tiefgreifende W andel mittlere Sicht erfolgversprechend ist. Hierzu gehört der Energieerzeugungs- und -verbrauchsstrukturen auch eine konsequente Altlastensanierung und die bietet letztlich die Chance, die sich abzeichnende ökologische Modernisierung der Unternehmen. Umwelt - und Klimakatastrophe abzuwenden. Eine Energiepolitik für eine (über-)lebenswerte Zukunft Die Arbeit der Treuhandanstalt muß intensiver als hat das Ziel und die Aufgabe, grundlegende Innova- bisher mit staatlicher Regional- und Strukturpolitik tionen technologischer, rechtlicher und organisatori- verzahnt werden. Die Treuhandanstalt muß mit ange- scher Art einzuleiten und zu begünstigen, um die messenen finanziellen Mitteln ausgestattet werden, Energiegewinnung aus Öl, Kohle, Erdgas und Atom- um notwendige Entschuldungen durchzuführen und energie durch Energiesparmaßnahmen, Kraft- die Sanierungsaufgaben zu erfüllen. Das ist die Auf- Wärme-Kopplung und den Einsatz erneuerbarer gabe der Stunde! Die vielfältigen finanziellen Ansprü- Energiequellen zu überwinden. che an das Treuhandvermögen müssen neu bewertet werden. Vorrang gebührt hier der Sanierungsaufgabe Der „Süddeutschen Zeitung" entnehme ich, daß und den damit unmittelbar zusammenhängenden Herr Möllemann jetzt die Mineralölsteuer aus Aufgaben. Umweltgründen erhöhen will. Das ist sicher ein rich- tiger Schritt, und ich würde mich freuen, wenn er das Meine Damen und Herren, die notwendige Neu- heute bestätigen könnte. Ich glaube aber, daß er damit orientierung der Wirtschaftspolitik bedeutet auch, wieder um Jahre zu spät kommt. daß die Subventionspraxis in der Bundesrepublik revidiert werden muß. Geboten ist eine noch deutli- Dieser Weg der Energiepolitik wird von den charak- chere Senkung der Finanzhilfen und Steuersubven- teristischen Großkraftwerks- und Verbundstrukturen tionen in Westdeutschland, um die notwendigen Mit- weitgehend blockiert, die für die Nutzung der Atom- tel für den Aufbau der Wirtschaft im Osten aufzubrin- energie unausweichlich sind. Auch deshalb muß der gen. Die neuen Bundesländer benötigen nach der Ausstieg aus der Atomenergie unverzüglich in die schnellen politischen Einheit viele wirtschaftliche Hil- Wege geleitet werden, wodurch jährliche Subventio- fen, um den ökonomischen Anpassungsprozeß mög- nen in Höhe von nahezu 2 Milliarden DM hinfällig lichst rasch zu bewerkstelligen und sozial abzufedern. würden. Das würde die halbe Milliarde DM, die Sie Die anhaltende Strukturkrise in Ostdeutschland zeigt, gerade erwähnt haben, deutlich überschreiten. daß noch für eine lange Zeit Finanzhilfen für den Gleichzeitig ist das Energiewirtschaftsgesetz von wirtschaftlichen Aufbau benötigt werden. Dabei sind 1935 durch eine neue Regelung zu ersetzen, die die die Mittel vor allem in jene Bereiche zu lenken, die Orientierung am gesamt- und einzelwirtschaftlichen strukturpolitische und regionalpolitische Bedeutung least-cost-planning erlaubt. Dies würde eine Um- haben. wandlung der heutigen Energieversorgungs- in Ener- giedienstleistungsunternehmen ermöglichen und zu Die Bundesregierung hat trotz ihrer Ankündigung dezentralen Erzeugungsstrukturen führen. keinen Kurswechsel vollzogen; sie war nicht in der Lage, die Subventionierung der Wirtschaft und ande- Meine Damen und Herren, bisher hat die Bundes- rer Bereiche auf ein ökonomisch vernünftiges Maß zu regierung durch ihr engstirniges Festhalten an den beschränken. Ich möchte dabei nicht verhehlen, daß verschwenderischen Energieversorgungsstrukturen, die Beschneidung von Besitzständen kein leichtes die sie mit dem Stromvertrag auch im Osten zu Unterfangen ist. Deshalb, meine Damen und Herren zementieren gedachte, eine weiträumige Investitions- von der sozialdemokratischen Partei, ist es auch nicht blockade im Energiebereich verschuldet. Die An- besonders glaubwürdig, wenn sich nun ausgerechnet nahme des vom Bundesverfassungsgericht angebote- sozialdemokratische Finanzpolitiker zu den schärf- nen Vergleichs würde schnelle Investitionen in ökolo- sten Subventionskritikern wandeln, nachdem Sie gisch sinnvolle Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen selbst, als Sie an der Regierung waren, diese Subven- modernster Bauart ermöglichen. Das wäre ein für tionen eingeführt haben. Es wirft ein Schlaglicht auf Banken und Kommunen sicheres Geschäft. Wir haben die Glaubwürdigkeit der SPD, wenn Bundespolitiker darüber im Bundestag bereits debattiert. der SPD den Abbau von Finanzhilfen fordern, wäh- Jetzt aber ist es an der Bundesregierung und den rend die SPD in den Ländern eben diese Subventionen Stromkonzernen, dem Vergleich zuzustimmen, um verteidigt. damit dem Aufbauwillen der ostdeutschen Kommu- Meine Damen und Herren, neben dem Versagen nen nicht länger im Weg zu stehen. Die schnelle der Regierung in wichtigen traditionellen Bereichen Umsetzung des Vergleichs ist ein nicht zu unterschät- der Wirtschaftspolitik muß auch die ökologische Her- zender Schritt für die effiziente Neuorganisation unse- ausforderung zum Ende dieses Jahrtausends als völlig res Energiesystems. 10620 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Dr. Klaus-Dieter Feige Meine Damen und Herren, lassen Sie mich muß ich ganz nüchtern feststellen — zu deutlich abschließend auf unseren Änderungsantrag zum Ein- spürbaren Einschränkungen der Sanierungstä- zelplan 09 eingehen. Wir fordern die Rücknahme der tigkeit der Wismut GmbH führen. Einzelne Pro- beabsichtigten Streichung von 150 Millionen DM für jekte werden verschoben werden müssen. die Wismut-Sanierung. Die meisten von Ihnen wissen, (Zuruf von der CDU/CSU: Nichts wird ver daß sich in den dicht besiedelten Bundesländern schoben!) Sachsen und Thüringen die bisher größte Atommüll- deponie der Welt befindet, unter freiem Himmel und Es wird letztlich sicherlich auch zu einer Verteue- auf nicht abgedichtetem Untergrund. Dies sind die rung des Gesamtprojekts ... führen können. Hinterlassenschaften des jahrzehntelangen Uranab- Das ist kein Populismus, das ist der ernstgemeinte baus von Wismut. Das ist tatsächlich eine der schlimm- Versuch, mit einem deutlichen Signal etwas für die sten Erblasten, die wir übernommen haben, für die die neuen Länder gemeinsam zu tun. Bundesrepublik jetzt aber die Verantwortung tragen (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Wir spre muß. Ich will darüber nicht diskutieren. chen uns Ende nächsten Jahres wieder!) (Zuruf von der SPD: Was ihr macht, das ist Sie haben gesagt, im Verkehrsbereich sei es mög- richtig, ja?!) lich gewesen, weitere Eingriffe zu Lasten unserer Die Auswirkungen auf die Menschen in diesen Umwelt zu vermeiden. Im Interesse eines umfassen- Regionen sind sehr stark und vielfältig. Neben der in den Schutzes unserer Umwelt bitte ich Sie um Unter- der unmittelbaren Umgebung von Halden und Ab- stützung unseres Antrages. setzanlagen direkt einwirkenden Gammastrahlung ist Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. die Atemluft mit erheblichen Mengen an Radon, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN seinen Folgeprodukten und mit schwermetallhaltigen sowie bei Abgeordneten der SPD) Stäuben belastet. Ich könnte noch viele weitere Pro- bleme auflisten. Wir haben bereits am 12. November über diese Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht Problematik debattiert. Da Sie meinem -Antrag vor- der Abgeordnete Johannes Nitsch. werfen, er sei aus Gründen des Populismus gestellt, möchte ich aus der Debatte, die wir am 12. November weitgehend übereinstimmend geführt haben, einige Johannes Nitsch (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau meiner Kollegen zitieren, ohne daß gesagt werden Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hatte könnte, diese Zitate seien aus dem Zusammenhang damit gerechnet, daß mein Kollege Roth vor mir gerissen. Ich habe im übrigen mit diesen Kolleginnen spricht, aber ich nehme auch diese Reihenfolge gerne und Kollegen gesprochen, und sie haben mir bestätigt, an. daß sie das, was sie gesagt haben, auch so meinen. So (Zuruf von der CDU/CSU: Der Roth kneift! — hat Herr Dr. Michael Luther — CDU/CSU-Fraktion — Wolfgang Roth [SPD]: Die Präsidentin hat gesagt: entschieden!) Eine Etatkürzung der Wismut würde dazu führen, Die Gruppe der Abgeordneten aus den neuen daß notwendige Sanierungsschritte verlangsamt Bundesländern in unserer Fraktion hat im Sommer in werden, daß Investoren verunsichert werden Erfurt eingehend darüber beraten, wie wir die Attrak- können und daß sich der Aufschwung in dieser tivität des Industriestandortes Deutschland im Gan- Region noch schwieriger gestalten wird. zen erhalten und weiterentwickeln können. Von unserem Programm sind sehr wichtige Impulse auf die Frau Klemmer — SPD-Fraktion — hat gesagt: Politik ausgegangen. Ich darf daran erinnern, daß aus An Bedarfsmangel kann es nicht liegen. Denn dem Programm, das wir „Wohlstand im Osten entwik- erstens ist der Bedarf dadurch charakterisiert, daß keln, im Westen sichern" genannt haben, auch der das Sanierungsprojekt, das dort zur Zeit noch Solidarpakt hervorgegangen ist. Wir haben ihn weitgehend in der Untersuchungsphase steckt, in damals „Pakt der Vernunft für den Aufbau Ost" der Durchführungsphase mehr Geld verschlin- genannt. Ich glaube, daß es sehr wichtig ist, daß wir in gen wird. der Debatte über den Einzelplan 09 überprüfen, wie Herr Türk — F.D.P.-Fraktion — hat erklärt: dieses Programm insgesamt gewirkt hat. Nun zur Kürzung des Haushaltsansatzes bei der An erster Stelle des Erfurter Papiers stand die Wismut GmbH um 150 Millionen DM im Jahr Überlegung, mit welchen Strukturkonzepten der Ent- 1993 von 926 Millionen DM auf 776 Millionen industrialisierung der neuen Bundesländer begegnet DM. Ich muß Ihnen sagen, daß ich, aber nicht nur werden kann. Die entscheidende Voraussetzung für ich, erst einmal geschockt war; denn der hohe einen anhaltenden Aufschwung im Osten ist die Sicherung der Bedarf in dieser Region ist ganz offensichtlich industriellen Kerne. In diesen industri- mehr als begründet. ellen Kernen müssen die Einkommen erarbeitet wer- den, die es erlauben, die Finanztransfers aus den alten Ich zitiere auch Herrn Kolb, der in dieser Debatte für Bundesländern in Zukunft abzubauen. die Bundesregierung beispielgebend auf die Pro- Wie die fünf wirtschaftswissenschaftlichen For- bleme hingewiesen hat, indem er sagte: schungsinstitute in ihrem Herbstgutachten 1992 zu Die Streichung von 150 Millionen DM von den für Recht feststellten, ist die befürchtete Entindustrialisie- die Altlastensanierungstätigkeit der Wismut rung der ostdeutschen Wirtschaft in der Tat weit GmbH vorgesehenen Zuwendungen wird — das fortgeschritten. Ich zitiere: Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10621

Johannes Nitsch Vom ursprünglichen Produktionsniveau des ost- chung wettbewerbsfähiger Produkte, die bei uns her- deutschen verarbeitenden Gewerbes ist nur ein gestellt werden sollen, wesentlich. Die noch vorhan- Drittel übriggeblieben. Es gibt viele Unterneh- denen 5 000 F- und E-Spezialisten in den 40 For- men, die den Umstellungsprozeß bislang nicht schungs-GmbHs und weitere Spezialisten in den noch gemeistert haben und vermutlich weiter vorhandenen Treuhand-Unternehmen — vor allem im schrumpfen werden oder die Produktion ganz Bereich der Chemie — müssen eine Chance bekom- einstellen müssen. Kritisch ist die Lage insbeson- men, aus eigener Kraft wirtschaftlich zu bestehen und dere bei den Unternehmen, die stark von den zu beweisen, was sie können. Exporten in die Sowjetunion abhingen. Die Liefe- (Zustimmung bei der SPD und dem BOND rungen sind hier weiter gesunken, und die Erwar- NIS 90/DIE GRÜNEN) tung einer baldigen Belebung — auch im Ver- trauen auf weitere Hermesbürgschaften — ist Dazu müssen sie gleichwertige Startbedingungen einer Ernüchterung gewichen. In der Industrie einhalten. Alle Restriktionen, die ihre Überlebensfä- dürften noch rund 100 000 Arbeitsplätze und higkeit in Frage stellen, wie Nichteigentum an Immo- damit jeder zehnte vom Export nach Osteuropa bilien und Altschulden, sind als erstes rasch zu besei- und in die GUS abhängig sein. tigen. Dazu gibt es ein Votum der Kommission „Wie- Soweit das Gutachten. deraufbau neue Bundesländer" unserer Fraktion, das auch in unserer Leipziger Beratung durch die Treu- Diesen zentralen Punkt für den Aufschwung Ost hand und die Fraktion unterstützt wurde. Leider sind und für die Menschen in den neuen Bundesländern wir hier etwas in Verzug geraten. hat der Bundeskanzler engagiert aufgegriffen und zu seiner persönlichen Sache gemacht. Das ist genau das (Michael Glos [CDU/CSU]: Wir haben auch — davon bin ich überzeugt —, was der Osten jetzt schon viel durchgesetzt!) braucht. Die neuen Länder, die Treuhandanstalt, die Ich bitte die Regierung, auf den weiteren terminlichen Gewerkschaften, die Verbände und die Unternehmen Ablauf unmittelbar Einfluß zu nehmen. So werden wir selbst müssen jetzt ein Konzept erarbeiten, das die dann auch die 200 Millionen DM, die wir in diesem noch vorhandenen Industriekerne erhält. Wir hoffen - Bereich zusätzlich zur Verfügung stellen, effizient und wünschen, daß sich mit diesen Ergebnissen aus einsetzen können. den Gesprächen zum Solidarpakt ein Programm ent- wickeln läßt, das genau das leistet. Dafür steht eine (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Würden Vielzahl von Instrumenten zur Verfügung, die fast alle Sie einräumen, daß die Regierung allzulange schon in der alten Bundesrepublik angewendet wor- gewartet hat? — Gegenrufe von der CDU/ den sind. CSU: Nein!) Wir haben im Erfurter Programm einige genannt; Einen erheblichen und dauerhaften Anstoß für die andere sind im Laufe der Diskussion hinzugefügt Belebung innerer Antriebskräfte im Osten und beson- worden. Ich erwähne Umsatzsteuerpräferenzen auf ders für den Aufbau eines Mittelstandes ist von einem der Basis der Wertschöpfung in den neuen Ländern Aufschwung der Bauindustrie, insbesondere des und Lohnzuschüsse für bestimmte Zeiträume. Es wird Wohnungsbaus, zu erwarten. Der Bedarf hier ist riesig jetzt Sache der Regierung sein, die geeigneten Instru- groß; die Hinterlassenschaften des alten Regimes mente auszuwählen, sie anzuwenden und die noch machen dies überdeutlich. ausstehenden Entscheidungen zu treffen. Diese soll- Nach einer Umfrage des Gesamtverbandes der ten jetzt, sollten zumindest sehr bald getroffen wer- Wohnungswirtschaft bei seinen Mitgliedsunterneh- den. Der Herr Bundeskanzler hat gestern in einem men, die rund 3,2 Millionen Wohnungen bewirtschaf- anderen Zusammenhang einen Termin genannt: bald, ten, stehen knapp 4 % der Wohnungen „infolge bau- mindestens vor Weihnachten. Ich sehe das auch so. Ich licher Schäden" leer. In Dresden ist ein gravierender weiß natürlich, daß das nicht so einfach sein wird. Verfall wertvoller Wohnungssubstanz zu verzeich- Einen weiteren wichtigen Ansatz sehen wir in der nen. sogenannten Als-Ob-Privatisierung. Hierbei geht es Ein besonders schwieriges Problem sind die Alt- darum, daß Treuhandbetriebe, die sanierungsfähig schulden, die sich am Ende unseres Zinsmoratoriums sind, in ihrer Umstrukturierung in einem mittelfristi- auf 51 Milliarden DM belaufen werden. Für die Bür- gen Prozeß abgesichert werden. Dabei ist aber ganz ger in den neuen Bundesländern stellt ihre Wohnung wichtig, daß dem Management der Unternehmen angesichts der schwierigen Anpassungs- und Umstel- möglichst viel Handlungsfreiheit vor Ort eingeräumt lungsprobleme einen besonders hohen persönlichen wird, um die nötigen unternehmerischen Entschei- Wert dar. Deshalb ist eine Regelung der Altschulden- dungen zu treffen. Die Sicherheit für marktorientierte frage äußerst dringend. unternehmerische Konzepte und Entscheidungen ist zu schaffen, und die Befreiung der betroffenen Unter- (Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Klaus nehmen von der Blockade zur Aufnahme unterneh- Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) mensnotwendiger Kredite bzw. zur Gewährung von Wir können nicht warten, bis über die unterschiedli- Bürgschaften ist herbeizuführen. Mit einer solchen chen Rechtsauffassungen verbindlich entschieden schrittweisen Privatisierung werden wir auf dem worden ist. Auszugehen ist dabei vom Auftrag des angestrebten Weg sicher vorankommen. Einigungsvertrages, die Privatisierung von Wohnun- Hierher gehört auch ganz wesentlich die Erhaltung gen voranzutreiben, und zwar in freier Entscheidung der anwender- und industrienahen Forschung. der Mieter. Das ist sicherlich eine Entscheidung vieler Gerade eine breite Produktinnovation ist zur Errei- Menschen für das P rivateigentum. 10622 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Johannes Nitsch Die Altschuldenregelung sollte deshalb zunächst im schaftsstandort Deutschland insgesamt auswirken Zusammenhang mit der Privatisierung der Wohnun- werden. gen erfolgen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Nicht vergessen werden dürfen in diesem Zusam- Die Ausweitung des Verfügungsrahmens für den menhang auch — das liegt uns ja ganz besonders am Wohnungsbau auf 800 Millionen DM ist ein guter Herzen — die Verdoppelung der Mittel für die Über- Anfang für den Aufschwung der Bauwirtschaft in brückungsfinanzierung zur Erhaltung der Kultur- diesem Bereich. Äußerst wichtig ist auch die Aufstok- landschaft, die ebenfalls Bestandteil unseres Pro- kung des KfW-Kreditprogramms auf 30 Milliarden gramms war, und die erwähnten zusätzlichen 200 Mil- DM. lionen DM für die industriellen Forschungseinrich- Lassen Sie mich noch einige weitere Punkte nen- tungen. Ich darf hier noch einmal das Junktim zu dem nen, die aus dem Erfurter Programm Eingang in den herstellen, was ich bereits gesagt habe: Herr Minister, Haushalt und in die Gesetzgebung gefunden ich wäre Ihnen äußerst dankbar, wenn wir mit der haben: Regelung der Immobilien - und Altschuldenfrage, nachdem wir zunächst den 30. September anvisiert Erstens: die 20%ige Investitionszulage für ortsan- hatten, in diesem Jahr noch zu Rande kämen. sässige Unternehmer für Investitionen bis zu 1 Million DM, beschränkt auf das verarbeitende Gewerbe und Den letzten Punkt, die zusätzlichen Mittel für den das Handwerk. Darüber sind wir ganz besonders im Wohnungsbau, die Städtebauförderung und die Aus- Hinblick auf den entstehenden Mittelstand erfreut. weitung der KfW-Kredite auf 30 Milliarden DM, habe Wir versprechen uns hiervon auch bessere Vorausset- ich bereits genannt. zungen für die Kreditnahme unserer kapitalschwa- chen Unternehmer. Wir denken, daß sich die Banken Insgesamt ist das eine gute Bilanz, zumal da nicht im Hinblick auf diese großzügige Investitionszulage realisierte Punkte weiterhin auf der Tagesordnung den Menschen bei uns gegenüber etwas entgegen- stehen. kommender verhalten werden. - An dieser Stelle muß ich noch auf die Erklärung Zweitens: die Verlängerung des Eigenkapitalhil- Ihres Kollegen Schwanitz vom Anfang dieses Monats feprogramms um weitere zwei Jahre. eingehen, die mich einfach ein bißchen enttäuscht hat. Er hat das Erfurter Programm als in wesentlichen Drittens: die Aufstockung der Mittel für die Verbes- Punkten gescheitert bezeichnet. serung der regionalen Wirtschaftsstruktur. Viertens: die doch zur Anwendung kommenden (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist Möglichkeiten von Mietkauf und Pachtkauf für Treu- wahr!) hand-Unternehmen. — Das ist wohl nicht wahr. (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Doch!) GRÜNEN]: Kommt das jetzt im Nachtrags haushalt, oder wann kommt das?) Es wäre für die Menschen bei uns sicher besser gewesen, wenn wir das Erreichte so dargestellt hätten Fünftens. In diesem Zusammenhang wird auch geprüft werden, inwieweit Möglichkeiten geschaffen und uns gemeinsam um das noch nicht Erreichte kümmerten und bemühten. werden können, Immobilien aus Mietkauf- oder Pachtkaufunternehmen voll beleihungsfähig zu ma- Einen wesentlichen Punkt noch zum Schluß. Die chen, also volle Eigentümerrechte einzuräumen. Zeit — nicht nur meine jetzt hier — für die Umsetzung Sechstens. Die Investitionspauschale wird, wenn dieses Programms und des Programms zur Erhaltung sie nicht in Geld kommt, im Hinblick auf die Kommu- der Industriekerne drängt wirklich. Ein halbes Jahr nen zumindest daraufhin zu prüfen sein, inwieweit die wäre viel zuviel. Ich hatte schon einen Zeitpunkt Freistellung der Kommunen von Gegenfinanzierun- genannt. gen analog dem Verfahren beim Gemeindeverkehrs- (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Stimmen finanzierungsgesetz möglich ist. Sie mit mir darin überein, daß das schon vor Siebentens. Mit dem in der nächsten Woche vom einem Jahr hätte kommen müssen?) Kabinett zu verabschiedenen Artikelgesetz werden — Ich wäre sehr erfreut gewesen, wenn es so gekom- wichtige Rechts - und Verwaltungsvereinfachungen men wäre. in Gang gesetzt, die eine wesentliche Voraussetzung für den Aufschwung bei uns sein werden. Hier werden (Beifall des Abg. Dr. Nils Diederich [Berlin] die Erfahrungen, die wir aus den Verkehrsprojekten [SPD]) zur deutschen Einheit gewonnen haben, auf weitere Gebiete ausgedehnt. Alle aus dem Solidarpakt zu finanzierenden Aufga- ben müssen bald auf den Tisch, möglichst noch vor In diesem Zusammenhang muß ich unserem Kolle- Weihnachten. Den Nachtrag zum Haushalt müssen gen Günther Krause ein ganz großes Dankeschön wir sofort nach dem Abschluß der Gespräche zum dafür sagen, daß er sich damals in dieser Frage in Solidarpakt auf den Tisch bekommen, damit beim diesem Hause hat durchsetzen können. Das ist wohl Wiederaufbau der neuen Bundesländer wertvolle Zeit einer der Punkte, bei dem sich Erfahrungen aus dem nicht ungenutzt verstreicht. Hinzukommen der neuen Bundesländer auch für die alten Bundesländer fruchtbringend auf den Wirt- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10623

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht Dr. Jürgen Rüttgers (CDU/CSU): Herr Kollege Roth, der Abgeordnete Wolfgang Roth. ich persönlich kann mich Ihrer Einschätzung der (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Putz den Architektur dieses Gebäudes durchaus anschließen. Laden hier mal ein bißchen auf, Wolf- Aber würden Sie mir recht geben, daß bei aller Brillanz und Schönheit der Architektur, das Gebäude gang!) auch funktionieren muß?

Wolfgang Roth (SPD): Frau Präsidentin, ich habe Wolfgang Roth (SPD): Das habe ich doch gerade den Eindruck, wir fühlen uns hier im Wasserwerk gesagt. Sie sind zu früh aufgestanden, als ich das verdammt wohl. gesagt habe. Sie wollten sich dann wohl nicht wieder (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten hinsetzen, weil Sie dachten: Jetzt muß ich halt doch der PDS/Linke Liste — Dr. Jürgen Rüttgers was sagen. [CDU/CSU]: Im neuen Plenarsaal tagt dem (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Vielleicht nächst der Ältestenrat!) lag das daran, Herr Kollege Roth, daß Sie in Jetzt möchte ich noch etwas sagen, was wahrschein- Ihrer Begeisterung für die Architektur ein lich auch Sie unterstützen werden. fach übersehen haben, daß jedes Gebäude gebaut wird, damit es eine bestimmte Funk (Zurufe von der CDU/CSU) tion erfüllt! — Beifall bei der CDU/CSU und — Ich möchte mit der Präsidentin und mit Ihnen reden. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Ich könnte mich ja auch umdrehen. GRÜNEN) Frau Präsidentin, ich finde es schrecklich, wie der — Das ist ja unstrittig, und wir werden auch noch Herr Architekt Behnisch in diesen Tagen geschmäht Verbesserungen vornehmen müssen. Aber bitte wird. Er ist wirklich einer der großen Architekten der schön, wir sollten das jetzt nicht so runtermachen, wie Nachkriegszeit. das in den letzten Tagen geschehen ist. Ich habe heute früh auch Herrn Bötsch gelesen — zum Glück habe ich (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Aber einer ihn nicht gehört —, der schlechten Baumeister!) - (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Da haben Sie Wer beispielsweise seinen Zeltbau in München gese- was versäumt!) hen hat — da gab es übrigens auch Schmähungen — und den Bau heute sieht, der merkt, was dieser Mann und deshalb wollte ich das gesagt haben. geleistet hat. Er hat in meinem Wahlkreis auch eine (Michael Glos [CDU/CSU] meldet sich zu Schule gebaut. einer Zwischenfrage) (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!) — Bitte, Herr Kollege Glos. Die heißt erfreulicherweise „Fritz-Erler-Schule". Der Namensgeber ist übrigens mein Vorgänger in mei- Michael Glos (CDU/CSU): Herr Kollege Roth, da wir nem Wahlkreis. Das ist ein großartiges Gebäude, das hier nicht über Ästhetik und Kultur, sondern über in die Kulturgeschichte eingegangen ist. Wirtschaft, Kosten, Schulden, die Lösung von Zukunftsproblemen diskutieren, frage ich Sie: Wären Ich sage Ihnen: Was er da drüben gebaut hat, wird Sie bereit, auch etwas über die Baukosten, die Ent- jenseits der Kleinlichkeiten und Dümmlichkeiten die- wicklung der Baukosten und die Sparsamkeit zu ser Tage ebenfalls in die Kulturgeschichte Deutsch- sagen, die man vielleicht etwas sorgfältiger hätte lands eingehen. beachten können? (Beifall bei der SPD — Kurt J. Rossmanith (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Deswegen [CDU/CSU]: Das glauben aber nur Sie!) ziehen wir ja noch einmal um!) Meine Bitte ist, etwas sorgsamer damit umzugehen. Übrigens: Ich schmähe auch nicht die Techniker Wolfgang Roth (SPD): Ich bin nicht Mitglied des und die Ingenieure des Hauses, die für die Anlage dort Haushaltsausschusses. Wenn Sie meinen, daß die verantwortlich sind. Auch Sie haben das Beste Mehrheit im Haushaltsauschuß, die ja Sie stellen, da gewollt. Ich habe ein bißchen Angst, daß vielleicht in etwas versäumt hat, weil sie nicht in der Lage war, das Japan manche über uns lachen. Aber man kann nicht wirksam zu kontrollieren, dann gebe ich Ihnen recht. Ingenieure und Techniker aussparen, wenn man auf Aber das müssen Sie mit Ihren Haushaltsausschußleu- der anderen Seite in der Weise gegen den Architekten ten ausmachen. vorgeht. Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt auf ein Das ist meine Meinung. Wer da nicht mitmachen ernstes Thema zu sprechen kommen. will, der wird irgendwann in der gleichen Ecke stehen (Dr. [CDU/CSU]: Das Bishe wie die Kritiker des Zeltbaus in München. rige war wirklich nicht ernst; da haben Sie (Wilfried Bohlsen [CDU/CSU]: Wären wir im recht!) neuen Plenarsaal geblieben, dann hätten wir Man zögert, in einer Wirtschaftsdebatte über den das jetzt nicht gehört!) Ausländerhaß und die üblen Anschläge auf unsere ausländischen Mitbürger zu sprechen. Daß ich zögere, hat folgenden Grund: Mir ist es zu billig und zu Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Abgeordneter unmenschlich, zu argumentieren: Laßt diese An- Roth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord- schläge, denn sie schaden unserer Wirtschaft. — Das neten Rüttgers? wäre ein falscher Ton. 10624 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Wolfgang Roth Trotzdem muß ich eines in allem Ernst sagen — das Ich frage: Hat sich der Herr Lafontaine geirrt, oder muß ich allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern haben Sie sich geirrt? sagen —: Wer das zuläßt, verstößt nicht nur gegen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Grundsätze der Menschlichkeit — das ist schlimm DIE GRÜNEN) genug —, sondern natürlich auch gegen die Interessen Versuchen Sie nicht ständig, Reden des Inhalts „Alle unserer Volkswirtschaft. sind verantwortlich" zu halten! Nein; Sie sind verant- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten wortlich, Sie sind die Regierung, und Sie haben diese der F.D.P.) Fehler gemacht! (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste Meine Bitte ist — das sage ich in diesen Saal hinein, — Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Welche aber auch nach draußen —: An jedem Arbeitsplatz, in Fehler denn?) jeder Nachbarschaftsdiskussion, bei jeder Möglich- keit, auch anschließend in der Kneipe nach dem Der Sachverständigenrat und alle internationalen Fußballspiel, wenn solche Töne anklingen, die eigent- Gutachter sprechen zu Recht von der schwierigsten lich das Fundament der Anschläge sind — wir alle Wirtschaftsphase, die wir in der Bundesrepublik seit hören diese Töne; wir alle haben dazu schon Jahrzehnten haben. Nachdem Sie die Hoffnung für geschwiegen —, endlich anzutreten und nicht nur zu dieses Jahr aufgegeben haben, hoffen Sie nun auf sagen, daß wir uns schämen, sondern auch zu sagen, eine Erholung der Konjunktur im zweiten Halbjahr daß es ein tiefer Verstoß gegen das Interesse des des nächsten Jahres. Ich kann Sie davor nur war- deutschen Volkes ist, wenn es so weitergeht. nen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Abgeordneter der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS/Linke Roth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord- Liste) neten Lattmann? Man kann nicht erhobenen Hauptes von „Made in " reden, wenn „Made in Germany" allmäh- Wolfgang Roth (SPD): Ja; bitte. lich bedeutet, daß man Brandsätze in Asylheime und in Ausländerheime schmeißt. Das ist nämlich zur Zeit Herbert Lattmann (CDU/CSU): Herr Kollege Roth, die Stimmung in der Welt. wollen Sie, wenn Sie Herrn Lafontaine zitieren, auch zitieren, daß er noch viele Monate nach der Einheit die (Beifall bei der SPD) ehemalige DDR zu den sieben führenden Industrie- Ich sage das mit großer Sorge und gar nicht polemisch staaten der Welt gerechnet und damit seine völlige in die eine oder andere Richtung; denn wir alle haben Fehleinschätzung der dortigen Lage zu Protokoll da Versäumnisse. gegeben hat? Wir haben heute den Haushalt des Herrn Bundes- Wolfgang Roth (SPD): Ach, Sie wissen doch genau, wirtschaftsministers auf der Tagesordnung. Da bin ich daß das, was Sie sagen, Unfug ist. ganz froh, zum Start nicht meine Thesen vertreten zu müssen, sondern Bezug auf das nehmen zu können, (Zurufe von der CDU/CSU: Nein, das was gestern Graf Lambsdorff gesagt sagt, nämlich wir stimmt!) seien in einer Rezession; nein, er meinte sogar, daß es Mit so einem Quatsch will ich mich gar nicht ausein- eine tiefe Wirtschaftskrise sein könnte; er hat es später andersetzen. selber relativiert. — Ich sehe das ganz ähnlich. (Herbert Lattmann [CDU/CSU]: Ich bedanke Die Bundesregierung hat die Finanzierung der mich für diese klare Aussage!) deutschen Einheit über Kapitalmärkte, über Kredite Die Hoffnung auf eine automatische Belebung der organisiert. Die Finanzierung auf Pump hat die Deut- Weltwirtschaft und damit der nationalen Wirtschaft ist sche Bundesbank gezwungen, die Zinsen zu erhöhen. natürlich wenig tragfähig. Woher wollen wir wissen, Durch diese Zinserhöhung beim Diskont von 6 % im daß Frankreich, daß Italien, daß die USA ihre Wirt- Jahr 1990 auf nun nahezu 9 % ist die Investitionstätig- schaftsprobleme schnell überwinden? Meines Erach- keit in der Bundesrepublik Deutschland nachhaltig tens gibt es viele Hinweise darauf, daß sie Struktur- beschädigt worden. Insbesondere die Finanzierung probleme haben, die mit unseren vergleichbar sind. der deutschen Einheit über Kapitalmärkte ist nahezu Ich finde: Wir müssen jetzt in der Bundesrepublik nicht mehr möglich. Deutschland, bei uns also, eine bessere Wirtschafts- und Finanzpolitik machen und dürfen nicht auf die (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Stimmt!) Weltwirtschaft hoffen. Sie treten in dieser Debatte ständig mit der These (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ auf: Wir haben uns alle geirrt. — Es tut mir leid; diese DIE GRÜNEN Dr. Nils Diederich [Berlin] These muß ich richtigstellen. Ich will jetzt nur einen [SPD]: Darauf warten wir vergeblich!) zitieren, den Sie im Sommer 1990 übrigens besonders Das heißt z. B. Konsolidierung der Staatsfinanzen, geschmäht haben, nämlich Oskar Lafontaine. Er hat (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Warum stellen damals wörtlich ausgeführt, auch im Bundestag: Ohne Sie dann ständig Forderungen?) Steuererhöhung ist die Finanzierung der deutschen Einheit nicht auf solide Grundlagen zu stellen. und zwar an erster Stelle Einsparungen und an zweiter Stelle natürlich, unvermeidbarerweise, auch (Beifall bei der SPD) Erhöhungen bei den Staatseinnahmen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10625

Wolfgang Roth Übrigens hat sich der Sachverständigenrat in der Wenn ein japanischer Minister so redete, wäre er von Frage erstaunlicherweise völlig korrigiert; er hat sich seinem Parlament nach wenigen Tage hinwegge- unserer Position angeschlossen. fegt. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ja!) (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Er verlangt, wie wir, eine Ergänzungsabgabe. Liste) Meine Meinung ist: An der Stelle sollten Sie der SPD Wir sollten auch über die positiven Aspekte und der Opposition dankbar dafür sein, daß sie reden: praktisch Ihre Aufgabe erfüllen, nämlich konkrete (Michael Glos [CDU/CSU]: Das machen wir Vorschläge zur Stabilisierung der Staatsfinanzen zu auch!) machen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Infrastruktursituation, z. B. die Tatsache, daß wir in DIE GRÜNEN) der Bundesrepublik Deutschl and mit die beste Berufs- ausbildung haben, qualifiziertere Arbeitsplätze als Ich glaube, daß wir uns ein bißchen intensiver mit jeder Staat in Europa. Wir sollten z. B. darüber reden, den strukturellen Verwerfungen in der Bundesrepu- daß wir durch die europäische Einheit, die jetzt blik Deutschland auseinandersetzen müssen. Ich gekommen ist, im Zentrum eines Raums mit 350 Mil- wäre froh, wenn Graf Lambsdorff heute wieder hier lionen Menschen — EFTA und EG zusammen — wäre, um mit uns über diese Frage zu diskutieren, die leben. Diese Aspekte zu nutzen, diese Aspekte positiv er ja gestern behandelt hat. Ich glaube nicht, daß das zu verstärken, das ist meines Erachtens die Aufgabe jetzt nur eine Konjunkturkrise ist. Ich glaube nicht, eines Wirtschaftsministers. daß das nur konjunkturelle Verwerfungen sind. Dann könnte man sich ja beruhigt zurücklehnen und sich (V o r s i t z: Vizepräsident Hans Klein) sagen: Wir haben jetzt sieben oder acht Jahre lang Der Herr Erhard hat damals immer davon gespro- konjunkturellen Aufschwung gehabt; da muß es logi- chen, 80 % der Wirtschaftspolitik sei Psychologie. Ich scherweise auch mal einen Rückschlag geben. — Ich - stimme ihm zu. Der Herr Grünbeck hat ihn ja auch glaube nicht, daß das unser Problem zur Zeit ist. zitiert. Herr Grünbeck, können Sie mit dem Herrn (Michael Glos [CDU/CSU]: Nicht nur!) Möllemann nicht einmal reden, so daß er den Wirt- schaftssubjekten in der Bundesrepublik, den Konsu- Übrigens glaube ich auch nicht, daß das unser menten und den Unternehmern, klarmacht, daß es Problem ist, was Sie ständig betonen, nämlich wir anzupacken gilt und daß es nicht darum geht, zu hätten zu hohe Löhne, wir hätten zu hohe Lohnneben- jammern? Das ist doch die falsche Tonlage, die diese kosten, wir seien sowieso zu teuer geworden. Bitte Bundesregierung da ständig bringt. schön, was anderes als hohe Löhne und hohe Neben- kosten soll das reichste Land in Europa denn haben? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir können nicht Portugal, Spanien und Griechen- land spielen, sondern wir wollen ganz bewußt — das Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland von ist ja unser Ziel — die höchsten Löhne in Europa den Voraussetzungen her, von der Fähigkeit unserer haben. Wissenschaftler, Techniker und Ingenieure her sicher eine Chance, diese Wirtschaftsk rise zu bewältigen. (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste Aber ich habe den Eindruck — das geht über dieses — Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Das ist ja Haus hinaus; das geht auch in Richtung auf die eine Logik! Und was kriegen wir dafür? — Unternehmensetagen —, das wir viel zu wenige Weitere Zurufe von der CDU/CSU — Ingrid unternehmende Unternehmer haben und viel zu viele Matthäus-Maier [SPD]: Auch die höchste jammernde Unternehmer. Produktivität!) (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste Der Bundeswirtschaftsminister Möllemann hat vor — Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Subven einigen Wochen ein Papier mit dem Titel „Strategie tionsnehmende Unternehmer!) für den Standort Deutschland" vorgelegt. Deutsch- land wird darin wieder — wie in der gesamten — Subventionsnehmende Unternehmer. Debatte — gekennzeichnet als ein Land mit hohen Löhnen und hohen Lohnnebenkosten, den kürzesten (Michael Glos [CDU/CSU]: Meinen Sie die Arbeitszeiten, Kapitalknappheit, einer zu hohen ehemaligen Gewerkschaftsunternehmen?) Steuer- und Abgabenlast, zu s trengen und damit zu — Ich meine alle, die da be troffen sind. kostenträchtigen Umweltvorschriften usw. usw. Ich meine übrigens auch uns selbst. Wir beklagen (Michael Glos [CDU/CSU]: Das stimmt ja jetzt seit Jahren lange Planungszeiten, Bürokratisie- auch! — Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: rung, Verzögerung bei Investitionsentscheidungen Alles korrekt!) und vieles andere. Ich würde ja gern zusammen mit Gewiß kann man diese Aspekte als Probleme nen- Uwe Jens und Hans Martin Bury im Wirtschaftsaus- nen. Aber warum nennt eigentlich ein Bundeswirt- schuß des Deutschen Bundestages Beschleunigungs- schaftsminister, der auf dem Sessel von Ludwig gesetze nicht nur für den Osten, sondern auch für den Erhard sitzt, nicht auch die positiven Seiten unserer Westen beraten und diskutieren. Volkswirtschaft, die es weiß Gott gibt? (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ (Beifall bei der SPD) CSU und der F.D.P.) 10626 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Wolfgang Roth Sie haben ein Deregulierungsgutachten machen las- men Sie von der Koalition doch endlich mit Initiati- sen, und seither ist Schweigen im Walde. ven. (Herbert Lattmann [CDU/CSU]: Bitte ein biß chen seriöser!) Vizepräsident Hans Klein: Jetzt noch der Kollege Ich habe das im Bundestag schon mehrmals gesagt. Wissmann. Wir haben etwa dreifach längere Planungszeiten und Investitionszeiten als unsere Nachbarländer. Ja, ist Wolfgang Roth (SPD): Das ist heute ja schön. das ein Naturgesetz? — Ich finde: Das ist zu gestalten. Wir bieten Ihnen an: (Zurufe von der CDU/CSU) Matthias Wissmann (CDU/CSU): Herr Kollege Roth, können Sie mir im Zusammenhang mit Ihrem — Schreien Sie doch nicht so viel! Hören Sie mir zu! begrüßenswerten Angebot sagen, warum Sie in den Ich biete Ihnen eine gemeinsame Arbeit auf dem letzten Monaten die Vorschläge von Bundesminister Gebiet der Entbürokratisierung und der Deregulie- Krause zur Beschleunigung von Infrastrukturprojek- rung an, und zwar von der Post bis zur Bahn, von der ten in den neuen Bundesländern abgelehnt haben? öffentlichen Bauwirtschaft bis zu den Investitionsent- scheidungen der chemischen Indust rie. Diese Arbeit (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sollte zu schnelleren Investitionszeiten führen. Das ist doch ein Angebot. Wolfgang Roth (SPD): Sie wissen doch ganz genau, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der daß ich sie nicht abgelehnt, sondern daß ich ihnen in CDU/CSU) großem Umfang zugestimmt habe, soweit es vernünf- — Alle meine Kollegen mit Ausnahme von Frau Fuchs tig war. Überall dort, wo Umweltgesichtspunkte ver- klatschen begeistert. letzt worden sind, habe ich natürlich zusammen mit meiner Fraktion nein gesagt. (Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]: Die hat in ihrer Handtasche gekramt!) (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD) - Die künftige Wirtschaftspolitik wird nicht dadurch Vizepräsident Hans Klein: Herr Kolleg Roth, Frau gestaltet, daß wir im umweltpolitischen Bereich Fuchs war abgelenkt, sonst hätte sicher auch sie schlechter werden. Sie müßten doch erschrocken geklatscht. aufspringen, wenn er eine so dumme Frage stellt. Der Kollege Grünbeck möchte gern eine Zwischen- (Beifall bei Abgeordneten der SPD — frage stellen. Michael Glos [CDU/CSU]: Dumm war nur die Antwort! —Josef Grünbeck [F.D.P.]: War Wolfgang Roth (SPD): Ja; sicher. das Kulturpolitik?) — Nicht jeder kann zu jeder Stunde kulturpolitische Josef Grünbeck (F.D.P.): Herr Kollege Roth, da Sie Leistungen erbringen. zu Recht die langen Genehmigungszeiten von Bau- (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Aber und Investitionsvorhaben beklagen, frage ich Sie: bemühen sollte man sich!) Wissen Sie eigentlich, daß das in die Kompetenz der Deshalb habe ich den Architekten und nicht mich Länder fällt und daß es die längsten Genehmigungs- gelobt. zeiten in den SPD-regierten Ländern gibt? Nach Berechnungen der Deutschen Bundesbank hat die deutsche Industrie zur Zeit liquide Mittel in Wolfgang Roth (SPD): Herr Grünbeck, lassen Sie doch Ihre Ladenhüter; Sie sind viel besser, als diese Höhe von 600 Milliarden DM; ich wiederhole: liquide Zwischenbemerkungen es zeigen. Mittel in Höhe von 600 Milliarden DM. (Zurufe von der CDU/CSU) (Michael von Schmude [CDU/CSU]: Rech nen Sie mal die Schulden dazu!) Vizepräsident Hans Klein: Auch Kollegin Fuchs Wenn man diese Zahlen kennt, kann man nicht würde Sie gern etwas fragen. darüber reden, daß wir primär eine Unternehmens- steuerreform brauchen, um mehr Investitionen her- beizuführen. Anke Fuchs (Köln) (SPD): Herr Kollege Roth, stim- men Sie mir zu, daß, um das umzusetzen, was Sie hier (Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Was hat anmahnen, zunächst die Bundesregierung einen Ent- das eine mit dem anderen zu tun?) wurf vorlegen müßte, so daß wir überhaupt erst eine Wir brauchen vor allem mehr aktive und innovations Beratungsunterlage hätten, um im Wirtschaftsaus- freudige und investitionsfreudige Unternehmer. schuß dazu unsere Stellungnahme abgeben zu kön- (Beifall bei der SPD — Ernst Hinsken [CDU/ nen? CSU]: Sie wissen doch, daß hierzu auch Geld notwendig ist!) Wolfgang Roth (SPD): Frau Fuchs, ich danke für die Zwischenfrage. Wahrscheinlich habe ich mich nicht — Ich sage: zur Zeit 600 Milliarden DM liquide Mittel klar genug ausgedrückt. Exakt das wollte ich sagen. in der deutschen Wirtschaft. Diese Summe liegt auf Wir haben im Bundestag überhaupt nichts an Bera- der hohen Kante. Ich könnte auch Firmen und ihren tungsgrundlagen zur Beschleunigung der Investi- Umfang an liquiden Mitteln nennen. tionsprozesse. Ich mahne das an. Wir werden uns bei (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Lieber den einzelnen Fragen ohnehin schwertun. Aber kom- nicht!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10627

Wolfgang Roth — Genau. Darm gibt es Dementis, und in der Regel finanzieren. Man darf aber nicht bei 1 Million DM wird etwa gesagt: Wir haben nicht 20, sondern 23 Mil- aufhören. liarden DM auf der hohen Kante. Das ist richtig. (Beifall bei der SPD) (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das sagen Wenn ein Mittelständler heute eine Präzisionswerk- Sie aber trotzdem!) zeugmaschine kauft, muß er dafür schon mehr als Ich habe den Eindruck, daß es — das ist ja in der diese Million bezahlen. Das heißt, im industriellen Wirtschaftsgeschichte nicht einmalig, sondern das Bereich erreichen Sie durch die Begrenzung keinen kam immer wieder einmal vor — nicht nur bei uns im positiven Effekt, keinen Arbeitsmarkteffekt. Deutschen Bundestag, bei der Bereitschaft, Investi- Sie haben Schaumschlägerei bet rieben und ihre tionsprozesse zu beschleunigen, Erstarrung gibt, son- eigenen Mitbürgerinnen und Mitbürger im Osten dern daß es auch im Unternehmerlager nicht genü- getäuscht. gend Investitionsfreude und Innovationsfreude (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke gibt. Liste) (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Richtig!) Ich finde es schade, daß Sie sich hier hinstellen und sagen: Ich habe mich durchgesetzt. Nein, Sie haben Betrachten wir nur für einen Moment die Entwicklung sich in der wesentlichen Frage von den S trategen im Großbritanniens in den Jahren nach 1950. Großbritan- Finanzministerium über den Tisch ziehen lassen. Das nien war damals weit leistungsfähiger als die Bundes- ist die Wahrheit. republik Deutschland. Es war uns weit voraus. Es ist ganz eindeutig so, daß die Briten danach ihre Wettbe- (Beifall bei der SPD — Kurt J. Rossmanith werbsfähigkeit durch Bequemlichkeit und durch [CDU/CSU]: Das nehmen Sie sofort zu Erstarrung ihrer Strukturen verloren haben. rock!) (Michael von Schmude [CDU/CSU]: Dank Dasselbe gilt für das Thema Investitionspauschale Labour! Dank der Gewerkschaften!) bzw. Zukunftsinvestitionsprogramm. Der Herr Bun- - deskanzler hat gestern in seiner Antwort auf Herrn Nach meiner Meinung sind wir in einer vergleich- Klose gesagt: Wir geben doch viel mehr als 10 Milli- baren Gefahr. Das hängt auch — vielleicht sogar arden DM aus. Das stimmt. Herr Klose hat aber vorwiegend — damit zusammen, daß die Rentabilität zusätzlich 10 Milliarden DM Investitionspauschale für der Finanzanlagen zur Zeit weit höher ist als die die Gemeinden verlangt. Das war ja der Sinn seiner Rentabilität der Investitionen. Aussage. Das war der Beschäftigungseffekt, den er (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wollte. (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Woher Das heißt, das Ausruhen auf hohen Polstern ist attrak- denn?) tiver als das Investieren in neue Anlagen und Produk- tionen. Dies wiederum hängt eng mit der Art und Weise Vizepräsident Hans Klein: Gestatten Sie eine Zwi- zusammen, wie Sie Finanzpolitik gemacht haben. schenfrage des Kollegen Nitsch? (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ja!) Hohe Erträge im Finanzbereich bedeuten gleichzeitig Wolfgang Roth (SPD): Ja; gern. das Unterlassen von Investitionen im Sachbereich. An dieser Stelle gilt es Änderungen vorzunehmen, nicht bei der Steuerpolitik im engeren Sinn. Johannes Nitsch (CDU/CSU): Herr Roth, stimmen Sie mir zu, daß im Erfurter Programm ausdrücklich Es gibt genug Aufgaben für Investitionen in der stand, daß wir die Investitionszulage für Mittelständ- Bundesrepublik. Mein Vorredner hat die Situation für ler gewähren wollten, für ganz kleine Mittelständler, den Osten dankenswerterweise dargestellt. Das will die nichts weiter haben als eine Idee, die kreativ sind, ich nicht wiederholen; das ist auch nicht nötig. Ich die nichts Beleihungsfähiges besitzen? Wir wollten stimme Ihnen völlig zu. keine Investitionszulage für Industriebetriebe, son- Übrigens war ich ein begeisterter Anhänger Ihres dern wir wollten den vielen Leuten, die eine Idee Erfurter Programms. Nur: Sie merken gar nicht, daß haben und sich unternehmerisch betätigen wollen, Sie sich immer über den Tisch ziehen lassen. Sie eine Chance geben. Haben wir es mit diesem Pro- haben in Ihrem Erfurter Programm die 25%ige Inve- gramm erreicht oder nicht? stitionszulage aufgeführt. Jetzt haben Sie 20 % bekommen. Darauf bezieht sich meine Kritik nicht; Wolfgang Roth (SPD): Sie haben es exakt nicht auch ich habe 20 % und nicht 25 % gefordert. erreicht. Sie brauchen doch viele kleinere und mittlere Aber dann haben Sie in Ihrer Fraktion bzw. durch Unternehmen, um im Osten aus dem Arbeitsmarkt- den Herrn Finanzminister folgendes erlebt: eine loch herauszukommen. Wissen Sie überhaupt, was Begrenzung der Investitionszulage auf 1 Million stattfindet? Wir haben bei 6 Millionen Erwerbstätigen DM. — früher waren es 9,5 Millionen — sage und schreibe zum jetzigen Zeitpunkt noch 850 000 industrielle (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Jährlich!) Arbeitsplätze. Es gibt eine Prognose eines ostdeut- Wenn man im Osten die Industrie aufbauen will, schen Ins tituts in Halle, die besagt: Es könnte sein, daß muß man die Industrie insgesamt subventionieren und wir Ende des nächsten Jahres sage und schreibe 10628 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Wolfgang Roth 400 000 Arbeitsplätze in der Indust rie im Osten übrig abgabe im nächsten Jahr, damit wir die Investitionen haben. im Osten finanzieren können. (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Das ist nur (Beifall bei der SPD) noch ein Erinnerungsposten!) Wir sagen das im Interesse der Arbeitnehmerinnen Meine Damen und Herren, da reden wir im Deutschen und Arbeitnehmer im Osten Bundestag noch über Entindustrialisierung. Ich muß sagen: Die Entindustrialisierung im Osten hat stattge- (Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Was sagen funden. die Sachverständigen dazu?) und im Interesse der Bürgerinnen und Bürger im (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Westen. Wenn wir nämlich auf Jahrzehnte hinaus DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der — wie sie es im nächsten Jahr werden tun müssen — PDS/Linke Liste und des Abg. Dr. Hermann 160 bis 170 Milliarden DM Transferzahlungen von Schwörer [CDU/CSU]) West nach Ost leisten müssen, dann bedeutet das, daß Dazu braucht man Investitionsinstrumente. — Hier Sie jahrzehntelang dem Steuerzahler im Westen und klatscht mein schwäbischer Landsmann begeistert vor allem dem Beitragszahler — was ohnehin das Beifall. Er ist leider der einzige unter Ihnen. Er hat unfairste ist — in die Tasche greifen. dasselbe am letzten Mittwoch im Wirtschaftsausschuß Wirtschaft vorgetragen. kann nur bei vernünftigen und soliden Rahmenbedingungen funktionieren, wenn man weiß, Handel, Dienstleistungsbereiche, Banken und Ver- wie es im nächsten und im übernächsten Jahr aus- sicherungen kann man nur finanzieren, wenn es eine sieht. Was hören wir jetzt im Bereich der Sozialpoli- industrielle Basis gibt und wenn es Exporte gibt. Sonst tik? Die Beiträge in der Rentenversicherung werden braucht man auf Jahrzehnte hinaus Blutzufuhr aus für ein Jahr gesenkt. Die Beiträge in der Arbeitslosen- dem Westen in den Osten. Das ist mein Problem. versicherung werden auf Dauer erhöht. Im Jahr 1994 haben wir dann die nächste Runde bei den Renten- (Beifall bei der SPD) - versicherungsbeiträgen. Stellen Sie sich vor, ich Ich sage eines ganz drastisch — in meiner Fraktion würde regieren, also an Möllemanns Stelle sitzen hört das nicht jeder gern, vor allem nicht meine — was gut wäre —, Gewerkschaftsfreunde —: (Beifall bei der SPD) (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Die meisten und hätte als Wirtschaftsminister einem derartigen hören es nicht gern!) Verschiebebahnhof zugestimmt. Was würden Sie Ich gäbe gerne Mittel für private Investoren aus, wenn dann bei einer Verschlechterung der Rahmenbedin- anschließend Arbeitsplätze herauskommen. gungen in der deutschen Wirtschaft für ein Theater machen? (Beifall des Abg. Albert Pfuhl [SPD]) (Beifall bei der SPD — Kurt J. Rossmanith Das ist für mich kein Verteilungsproblem, sondern ein [CDU/CSU]: Ein Glück, daß Sie nicht Wirt Problem der Beschäftigungspolitik. schaftsminister sind!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, Stabilität im Bereich der Solche Subventionen haben natürlich ohne Zweifel Sozialabgaben ist nicht nur für die Konsumenten ein den Effekt, daß man reichen Leuten etwas in die bedeutsamer Faktor — weil gerade die kleinsten Tasche gibt. Aber in dieser Phase können wir da nicht Leute am meisten zu bezahlen haben —, sondern es ist differenzieren. Es wäre auch gut, wenn Sie dem Herrn auch ein wichtiger Faktor auf der Kostenseite. Wenn Fink zuhören würden. Er fordert eine drastische Sie permanent die Kostensituation der deutschen Investitionsförderung auf der einen Seite und die Wirtschaft beklagen, müßten Sie meiner Meinung Vermögensbeteiligung der Arbeitnehmer im Osten nach endlich ein positives Investitionsprogramm für auf der anderen Seite. die Industrie im Osten machen. Das ist die Schlüssel- frage. Sie müssen auch Entscheidungen treffen, die (Beifall bei der SPD) unbequem sind. Ich habe das im Bundestag schon Das wäre ein effektives und sozial gerechtes Instru- einmal gesagt. Aber ich werde es so oft sagen, bis es mentarium, ein Instrumentarium der sozialen Sym- erledigt ist. metrie. Wir haben bei der Investitionsförderung im Osten (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Manna vom Abschreibungserleichterungen für den gesamten Be- Himmel!) reich der Wirtschaft. Praktisch gesprochen: Wenn die Deutsche Bank in Erfurt ein neues Bankgebäude — Sie schreien: Manna vom Himmel. Das soll heißen, errichtet, bekommt sie vom Staat etwa 55 % ihrer daß Sie Versprechungen machen, ohne an die Finan- Investitionssumme erstattet. Meine Damen und Her- zierung zu denken. ren, glauben Sie, daß die Deutsche Bank wegen der (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Nein, Sie Investitionsförderung auch nur eine einzige zusätzli- machen das! Sie fordern ja nur!) che Bankfiliale im Osten errichtet? Meine These lautet, unbequem sein, der Deutschen Bank, Aldi und Meine Damen und Herren, wir sind diejenigen, die anderen Einzelhandelskonzernen sagen: Ihr kriegt auch in dieser Debatte klar sagen: Wir brauchen keine keine Förderung. Das läuft von allein. Aber dann bin Steuererhöhungen 1995, sondern eine Ergänzungs- ich für erhöhte Förderung im industriellen Bereich. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10629

Wolfgang Roth Denn der Entindustrialisierungsprozeß hat schon daß in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft — über die stattgefunden. Das ist unsere These. Parteigrenzen hinweg — das gesamtwirtschaftliche Ich weiß sehr wohl, das ist alles nicht bequem. Aber Leistungsvermögen überschätzt und überstrapaziert regieren soll ja nicht bequem sein, sondern soll den worden ist. Dem müssen wir jetzt Einhalt gebieten. Bürgerinnen und Bürgern im Westen wie im Osten Jetzt kommt es darauf an, daß wir unsere Chancen dienen. Das ist unsere Aufgabe, nicht jammern und tatsächlich nutzen, statt sie zu verschenken. Es kommt nicht dauernd die Aufgaben und die Probleme ver- darauf an, gemeinsam anzupacken, statt sich mit schieben. kleinlichen Schuldzuweisungen aufzuhalten. Vielen Dank fürs Zuhören. (Beifall bei der F.D.P.) (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Das sind wir nicht nur uns selbst, sondern noch mehr Liste) den kommenden Generationen schuldig. Zeigen wir also, Herr Kollege Roth, wie Sie es angesprochen Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her- haben — ich mag Ihnen in diesem Teil der Rede ren, man ist hier oben gelegentlich gezwungen, im überhaupt nicht widersprechen —, gemeinsam den Handbuch zu blättern. Dabei ist mir aufgefallen, daß Mut, unsere Zukunft aktiv zu gestalten, den Mut, die ein Kollege von uns zwar keinen runden und keinen wirklich enormen Herausforderungen aktiv anzuneh- hohen, aber immerhin doch Geburtstag hat. Kollege men, auch den Mut, die Kräfte zu bündeln, jenseits Hans Georg Wagner wird heute 54 Jahre alt. Ich aller taktischer Mätzchen und Spielereien, die auch gratuliere im Namen des Hauses. heute morgen immer wieder durchgeschienen sind. (Beifall) (Otto Schily [SPD]: Nur Phrasen!) Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Wirt- Dann werden wir es schaffen, die gegenwärtige schaft, Jürgen Möllemann. Konjunkturkrise zu überwinden; dann werden wir es schaffen, den Standort Deutschland zu sichern, für Jürgen W. Möllemann, Bundesminister für Wirt- mehr Arbeitsplätze und wachsenden Wohlstand zu schaft: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kollegin- sorgen. Konkret: Wir werden es dann schaffen, wenn nen und Kollegen! Mit Mut, Ideenreichtum und Fleiß wir auf allen Ebenen des Staates, bei Bund, Ländern haben wir Deutschen schon einmal eine der modern- und Gemeinden, die öffentlichen Finanzen nicht wei- sten Volkswirtschaften der Welt geschaffen, und das ter überstrapazieren, wenn wir darüber hinaus die auf den Trümmern eines schrecklichen Krieges. Das Rahmenbedingungen für Investitionen und für wirt- war kein Wunder, wie manche wohl glauben. Das war schaftliche Betätigung deutlich verbessern. Wir wer- das Werk vieler tüchtiger und kreativer Menschen, den das dann schaffen, wenn die Tarifpartner bei die wußten, um was es geht, nämlich um ihre Zukunft ihren Lohnabschlüssen wieder die wirtschaftliche Lei- und die ihrer Kinder. Es ist jetzt an der Zeit, erneut mit stungsfähigkeit der Unternehmen als Richtschnur Mut, Ideenreichtum und Fleiß ans Werk zu gehen, um nehmen, wenn die Gewerkschaften den Weg zur den Rückgang der Wirtschaft im Westen Deutsch- längst überfälligen Flexibilisierung der innerbetrieb- lands und die Anpassungskrise im Osten zu überwin- lichen Organisations- und Produktionsstrukturen frei- den. Auch die Herausforderungen der deutschen machen. Einheit werden wir bewältigen, wenn wir uns auf Es ist wohl wahr, Herr Kollege Roth, es wäre sinnlos, unsere Stärken besinnen, statt unsere vermeintlichen die derzeitige rezessive Entwicklung allein an der Verluste und Schwächen nur zu beklagen. Entwicklung der Lohn- und Lohnzusatzkosten festzu- Um unsere Ausgangslage werden wir in vielen machen; aber sie in ihrer Bedeutung für die Wettbe- Teilen der Welt beneidet. Westdeutschland ist immer werbsfähigkeit der Unternehmen so abzuhandeln, noch eines der reichsten Gebiete der Welt. Fast neun wie Sie es getan haben, das kann doch nicht wirklich Jahre stetigen Wirtschaftsaufschwungs haben unsere Ihr Ernst sein. Kräfte gestärkt. 3,5 Millionen neue Arbeitsplätze wurden in dieser Zeit geschaffen. Das Geldvermögen Das gilt übrigens nicht nur für die privaten Unter- der privaten Haushalte summierte sich Ende des nehmen. Ich fand das, was Franz Steinkühler auf dem letzten Jahres auf 3,1 Billionen DM. Wir haben welt- Gewerkschaftstag der IG Metall zu diesem Thema weit so ziemlich die kürzesten Arbeitszeiten und das gesagt hat, durchaus bedenkenswert. Wie will er in ausgeprägteste Maß an Freizeit. Wir haben mit die seiner Gewerkschaft den dort proklamierten Ansatz, höchsten Löhne und Lohnzusatzleistungen. Wir man müsse — ich sage das jetzt verkürzt — froh sein, in haben ein dichtes und starkes soziales Netz, das die den nächsten Jahren den Besitzstand halten zu kön- Schwachen auffängt. Wir haben ein Wohlstandsni- nen, durchhalten, wenn wir nicht für den Bereich des veau in der alten Bundesrepublik, um das wir weltweit öffentlichen Dienstes, wo wir selbst Tarifpartner sind beneidet werden. Wir leben im Westen der Bundesre- — wir, das heißt alle hier im Haus; denn wir stellen ja publik in einer Infrastruktur, die mustergültig ist. Bundes- und Landesregierungen in unterschiedlicher Zusammensetzung —, dafür sorgen, daß man da, wo Diese strahlende Seite der Medaille hat aber auch es die Arbeitsplatzunsicherheit nicht gibt, wo es ihre weniger freundliche Kehrseite. Der Erfolg und die Arbeitsplatzgarantie gibt, wo die Staatskassen, die vermeintliche Sicherheit haben zu behäbiger Erstar- Kassen der Arbeitgeber, so angespannt sind, mit rung, zu dem Mißverständnis, nun seien Ideenreich- einem moderateren Beispiel vorangeht? tum, Fleiß und Mut nicht so sehr vonnöten, und zur Züchtung stetig steigender Ansprüche an den Staat (Beifall bei der F.D.P. und bei Abgeordneten und an die Wirtschaft geführt, schließlich auch dazu, der CDU/CSU) 10630 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Bundesminister Jürgen W. Möllemann Es hat nichts — gar nichts — mit einer Einmischung in Jürgen W. Möllemann, Bundesminister für Wirt- die Tarifautonomie zu tun, wenn der für die wirtschaft- schaft: Da wir hier in einer Debatte sind, ist das ja wohl liche Entwicklung zuständige Minister darauf hin- klar. weist, daß eine Überstrapazierung der öffentlichen Kassen, aber auch eine Überdimensionierung von Karl Stockhausen (CDU/CSU): Herr Minister, wür- Lohn- und Lohnzusatzkosten den Staat und die Wett- den Sie mir zustimmen, daß die Kollegin Frau Mat- bewerbsfähigkeit der Unternehmen in Schwierigkei- thäus-Maier doch einmal versuchen sollte, in Nieder- ten bringt. sachsen bei ihrem Parteifreund Schröder darauf hin- Meine Damen und Herren, wir werden es dann zuwirken, daß die Postenbeschaffung für die GRÜ- schaffen, wenn Unternehmer und M anager das ihrige NEN in der Fraktion aufhört und da mit gutem Beispiel tun, um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen vorangegangen wird und daß vielleicht auch Kollege zu verbessern, also Gewinne auch umsetzen in Inno- Rudi Walther aus Hessen einmal prüfen kann, welche vationen, Investitionen und die Erschließung neuer Positionen außerhalb des beamtlichen Werdeganges Märkte. Schwächen der deutschen Wirtschaft, die wir von GRÜNEN besetzt worden sind? im Moment beobachten, deuten eben auch auf einen Mangel an Kreativität und Innovation in den Unter- Jürgen W. Möllemann, Bundesminister für Wirt- nehmensleitungen der Unternehmen hin, die hier schaft: Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie Marktanteile verloren haben. Deswegen sage ich: mich das einmal so deutlich sagen: Wir kommen jetzt Eine Gemeinschaftsanstrengung ist notwendig. genau in die Art der Debatte hinein, die die Leute (Beifall bei der F.D.P.) draußen ankotzt, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Vizepräsident Hans Klein: Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Mat- die keiner mehr hören will. Jeder weiß, daß die thäus-Maier? öffentlichen Verwaltungsapparate auf allen Ebenen kritisch überprüft werden müssen, daß wir vielleicht manches — und da können wir uns selber an die Brust Jürgen W. Möllemann, Bundesminister für Wirt- schaft: Bitte! klopfen; aber bitte auch jeder von Ihnen — überdi- mensioniert haben. Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Sie sprachen vor dem (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Handeln Sie!) letzten Satz das Maßhalten im öffentlichen Dienst an. Lassen Sie uns den Versuch unternehmen, diese Ich kann da nicht lockerlassen, Herr Bundeswirt- Frage auf allen Ebenen — dort, wo Sie regieren, und schaftsminister. Wären die Appelle zum Maßhalten im dort, wo wir regieren — nüchtern zu überprüfen und öffentlichen Dienst, die überwiegend an die kleinen dort, wo Einsparungen möglich sind, sie auch vorzu- Arbeiter, Angestellten und Beamten gehen, nicht nehmen. glaubwürdiger, wenn die Bundesregierung als erstes (Beifall bei der F.D.P.) bei ihrem Wasserkopf maßhalten würde und von den 62 Staatssekretären, sagen wir einmal, 20 abbauen Ich habe keine Lust mehr — das muß ich wirklich würde? sagen —, diese taktischen, billigen Mätzchen in der Debatte weiter fortzuführen. (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat einen langen Bart! — Wolfgang Roth [SPD]: Sagen Sie am Ende der Debatte, wer gehen soll, Vizepräsident Hans Klein: Wären Sie dennoch Kolb oder Riedl! Das ist glaubwürdiger!) bereit, eine Frage des Kollegen Schily — ich weiß nicht, was er fragen will — zu beantworten? Jürgen W. Möllemann, Bundesminister für Wirt- schaft: Lieber Kollege Roth, als Sie vorhin über die Jürgen W. Möllemann, Bundesminister für Wirt- mögliche Zusammensetzung künftiger Bundesregie- schaft: Das hatte ich ja bereits zugesagt. rungen philosophierten, habe ich mir meinen Teil gedacht; ich will das jetzt aber nicht vertiefen; denn Otto Schily (SPD): Herr Minister, Sie beklagen die das könnte vielleicht weniger freundlich werden. mangelnde Innovationsfähigkeit der deutschen Un- Frau Kollegin Matthäus, die Bundesregierung mit ternehmer. Haben Sie den Eindruck, daß Ihr Unter- einem Wasserkopf zu vergleichen, finde ich nun nehmen, die Bundesregierung, besonders innova- wirklich unangemessen. Die Frage der Größenord- tionsfreudig ist? nung und des Zuschnitts einer Regierung in einem deutlich größer gewordenen Land ist sicher der kriti- Bundesminister für Wirt- schen Analyse wert, und das wird sicher auch immer Jürgen W. Möllemann, schaft: Ja. wieder geschehen. Aber ich glaube nicht, daß Sie das Problem, über das ich hier spreche, damit adäquat (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) behandeln, daß Sie es auf diesen kleinen Punkt Ich sprach von den Notwendigkeiten —jetzt ist Herr reduzieren. Schily platt; das ist auch etwas Schönes —, davon, wer einen Beitrag zu den von uns, von mir angeregten Vizepräsident Hans Klein: Das Fragebedürfnis hat Notwendigkeiten, die Kräfte zu bündeln, leisten muß. sich gesteigert. Kollege Stockhausen und Kollege Ich meine, wir können das schaffen, daß sich in der Tat Schily möchten ebenfalls Zwischenfragen stellen. auf breiter Basis die Einsicht durchsetzt, daß Solidari-

Wenn Sie bereit sind, zunächst Herr Kollege Stock- tät — und das hat die Phase der letzten drei Minuten hausen! erneut gezeigt — eben nicht nur als Anspruch gegen- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10631

Bundesminister Jürgen W. Möllemann über dem jeweils anderen, sondern als Pflicht für sich nachhaltiger vorangehen. Sie haben beklagt, die selbst zu verstehen ist. bisherigen Subventionsabbaumaßnahmen seien nicht weit genug gegangen. In den folgenden Beiträgen Sie haben es schon angesprochen, meine Kollegin- wurde dann beklagt, daß bei den Werften nicht genug nen und Kollegen, es hat die Debatte geprägt — der subventioniert wird, daß für Berlin nicht genug getan Bundesfinanzminister hat es in der Rede am Dienstag wird; wahrscheinlich kommt gleich noch jemand zur gesagt, der Bundeskanzler gestern, und es wurde Kohle usw. auch von manchen Rednern der Opposition aufge- nommen —: Jetzt muß die Politik ein Zeichen setzen Meine Damen und Herren, in diesem Hause und auf diesem Weg mit gutem Beispiel vorange- herrscht eine Mentalität, die lautet: Baut die Subven- hen! tionen allgemein, aber nicht irgendwo konkret ab. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Darüber spra ten der CDU/CSU) chen wir gerade!) Ich habe das noch zu sehr in Erinnerung. Als wir in Es ist klar, wir können nicht Aufgaben an andere konkreten Fällen die Debatte geführt haben, da waren verteilen, wenn wir unsere eigenen Pflichten vernach- Sie, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von lässigen würden. Vor allem die unverzichtbare Kon- der Opposition, leider jeweils auf der Seite derer, die solidierung der öffentlichen Finanzen bei Bund, Län- gegen die Kürzungen waren. stellt uns vor eine gewaltige dern und Gemeinden (Zuruf von der CDU/CSU: IG Bergbau!) Aufgabe. Der von meinem Kollegen Waigel vorge- legte Haushalt 1993 zeigt den festen Willen der So kann man nicht überzeugend sein. Herr Kollege Koalition, auf st riktem Sparkurs zu bleiben. Dafür gibt Schily, Sie selbst waren ja in der kleinen Minderheit es auch keine Alternative. Eine Viertelbillion beträgt Ihrer Vertretung im Ausschuß, die mich in dieser heute die Gesamtverschuldung von Bund, Ländern Frage unterstützt hat. Sie werden doch zugeben, daß und Gemeinden. Sparen ist nicht nur Bundesangele- Sie in der Minderheit waren. Aber ich messe die genheit; auch die Länder müssen ihr Ausgabenwachs- Position der Sozialdemokraten schon an ihrer Mehr- heitsmeinung. turn zurückfahren, sich an den im Finanzplanungsrat- gemeinsam beschlossenen Orientierungsrahmen hal- ten. Vizepräsident Hans Klein: Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen (Zurufe von der SPD: Das ist richtig! — Dr. Diederich? Korrekt! ) Wir, alle Parteien, die wir hier sind, sind dafür verant- Dr. Nils Diederich (Berlin) (SPD): Herr Bundesmini- wortlich; denn niemand kann — und niemand will ster, darf ich nur noch darauf aufmerksam machen, hoffentlich — es noch leugnen: Wir sind an der Grenze daß ich nicht die Verlängerung der Berlin-Subvention der Belastungsfähigkeit angelangt. gefordert, sondern versucht habe, darauf hinzuwei- sen, daß Berlin einen wesentlichen Beitrag zu dem Auch die Bundesbank wird die Leitzinsen ohne eine Subventionsabbau leistet? Darf ich Sie ergänzend Rückführung der öffentlichen Defizite, ohne maß- fragen, ob Sie zur Kenntnis nehmen wollen, daß ich als volle, weniger preistreibende Tarifabschlüsse kaum Berliner für einen konsequenten Abbau der überflüs- senken können. Dabei wären niedrigere Leitzinsen sig gewordenen Berlin-Förderung bin? dringend nötig, um das Wachstum zu stimulieren. Die Folge zu hoher Zinsen: Investitionen unterbleiben, Jürgen W. Möllemann, Bundesminister für Wirt- weil das Kapital zu teuer wird, weil es dann lohnender schaft: Das ist erfreulich. Trotzdem haben Sie kriti- ist, in Wertpapiere statt in Arbeitsplätze zu investie- siert, daß der Subventionsabbau bislang unzurei- ren. chend sei. Ich habe darauf hingewiesen, daß Ihre (Zuruf von der SPD: Richtig!) Fraktion dort, wo wir seitens der Bundesregierung weitergehende Vorstellungen vorgeschlagen haben, Unerläßlich ist auch die Verbesserung unserer dagegen vorgegangen ist. Das finde ich nicht glaub- Auch hier stimmen wir wohl alle Standortqualitäten. würdig. überein. Nur dürfen wir da nicht die Ins trumente durcheinanderbringen, etwa versuchen, den Struk- Meine Damen und Herren, eine andere wichtige turwandel in der Wirtschaft mit allen Mitteln, also Grundlage für eine günstige wirtschaftliche Entwick- auch mit hohen Subventionen und mit Protektionis- lung sind überschaubare, langfristig kalkulierbare mus aufzuhalten. Solche Wandlungsprozesse gehö- Entscheidungsgrundlagen für unsere Unternehmen. ren zu einer Marktwirtschaft wie das Immunsystem Alle Entscheidungen, die wir mit dem Paket für den zur menschlichen Gesundheit. Solidarpakt über die künftigen Rahmendaten der Wirtschaft treffen, müssen eine klare Linie vorgeben (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Richtig!) und über die nächsten Jahre hinweg Bestand Solche Wandlungsprozesse sind der eigentliche haben. Motor für Wachstum und Innovation. Für mich ist dabei folgendes vorrangig: Wir müssen zunächst die Belastungen für unsere Unternehmen Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch an der Stelle deutlich senken, damit mehr investiert wird und neue und bei diesem Stichwort ist in den vergangenen zwei Arbeitsplätze entstehen. Stunden wieder deutlich geworden, was die Men- schen draußen zunehmend an unseren Debatten stört. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Der erste Redner der Opposition hat dringend darum Ich denke dabei sowohl an die Steuern als auch an die gebeten, wir sollten doch beim Subventionsabbau Lohn- und Lohnzusatzkosten. Beide sind im interna- 10632 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Bundesminister Jürgen W. Möllemann tionalen Vergleich zu hoch. Es kann doch nicht sein, Meine Damen und Herren, wer kann in Zweifel daß fast alle anderen Industriestaaten ihre Steuersätze ziehen, daß es gut wäre, wenn bei der Vermittlung senken — Frankreich, Belgien, Spanien —, bei uns in von Arbeit es nicht mehr ein Monopol gäbe, sondern Deutschland dagegen auf Grund des Vorschlags beim einen faktischen Wettbewerb zwischen P rivaten und Finanzminister für Kürzungen, für Senkungen eine den Arbeitsämtern? Warum also nicht auch hier Wett- Verteilungs-und Neiddiskussion entbrennt, manche bewerb? sogar Vorschläge machen, nach denen die Unterneh- Ich möchte gern an dieser Stelle einen Gedanken, men noch höher belastet werden sollen. Es wirkt sich Herr Kollege Roth, den Sie ansprachen, aufnehmen. zunehmend schädlich aus, daß im deutschen produ- Sie sagten, es mache keinen Sinn, unseren Standort zierenden Gewerbe für 100 DM Arbeitslohn 90 DM an schlechtzumachen. Das tut auch keiner, jedenfalls ich Personalzusatzkosten gezahlt werden müssen. Diese nicht. Sie haben dann selber die Schwächen und auch Kosten entstehen nicht zuletzt durch die Beiträge zu die Stärken genannt. Auch das finde ich vernünftig. einem in mancherlei Hinsicht nicht sehr effizienten Sie haben dabei als eine der Stärken das Bildungswe- Sozialversicherungssystem, wo Milliardenbeträge sen genannt. auch von einer ausufernden Bürokratie geschluckt werden, statt in eine wirklich wirksame Daseinsvor- (Wolfgang Roth [SPD]: „Ausbildung" habe sorge zu fließen. ich gesagt!) (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist ziemlich Ich wollte gerade sagen, wir sollten uns darauf ver- ungeheuerlich, was Sie zu diesem Thema zu ständigen, daß dieser Bereich wohl unter beide Felder sagen haben!) fällt, unter Stärken und Schwächen. Weder zur raschen Verabschiedung des Standortsi- (Otto Schily [SPD]: Dann kann man aber doch cherungsgesetzes mit der Senkung der Einkommen- nicht kürzen!) und der Körperschaftsteuer noch zu den Kostendämp- Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu: Das Berufsbil- fungsbemühungen im Gesundheitswesen gibt es dungswesen der Bundesrepublik Deutschland, das daher eine vernünftige Alternative. - duale System, zählt zu ihren Stärken. Deshalb werden (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne wir es in seiner Grundstruktur auch gegenüber etwa ten der CDU/CSU) vorhandenen Nivellierungstendenzen auf EG-Ebene verteidigen. Da gibt es die eine oder die andere Eine Steigerung der Lohnzusatzkosten durch neue Modernisierungsmöglichkeit unter dem Stichwort Sozialleistungen ist ebenfalls inakzeptabel. Deregulierung. Im großen und ganzen ist es aber (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Also keine Pflege leistungsfähig. versicherung mehr? Das ist interessant? — Genauso richtig ist doch, daß der andere, der Beifall bei der F.D.P.) akademische Bereich, im Moment nicht zu den Stär- — Das heißt, Frau Kollegin Fuchs, im Blick auf die von ken gehört. Es ist nicht hinzunehmen, daß wir derzeit Ihnen aufgeworfene Frage zur Pflegeversicherung weltweit die jüngsten Rentner und die ältesten Stu- kann ich sagen, daß nach dem Willen der Koalition die denten haben. Pflegeversicherung nach dem Umlagenmodell nur (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) dann kommt, wenn sie mit dauerhaften, berechenba- ren und vollständigen Entlastungen an anderer Stelle Es ist nicht hinzunehmen, daß wir derzeit durch- verbunden wird. schnittliche Verweildauern bis zum ersten Examen von 14,7 Semestern haben. Auch hier ist eine partei- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) übergreifende Aktivität deswegen vonnöten, weil in Meine Damen und Herren, wir müssen Schneisen den Bundesländern, die die wesentliche Kompetenz schlagen in das Dickicht der Gesetze, Verordnungen für das Hochschulwesen haben, unterschiedliche und Erlasse, die das Wirtschaftsleben bis ins letzte Konstellationen bestehen. Ich werbe dafür, daß wir Detail regeln. Wer kann z. B. heute noch den Sinn des unser Hochschulwesen insoweit modernisieren. Ladenschlußgesetzes erklären, das 1956 erlassen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU wurde und merkwürdigerweise bis jetzt fast alle sowie bei Abgeordneten der SPD) Stürme überdauerte, trotz der seitdem unstreitig geänderten Verbrauchergewohnheiten, trotz gesetz- Das dritte Hauptanliegen, von dem ich sprechen lich verkürzter Arbeitzeiten. Wollen wir mit diesem möchte, betrifft den internationalen Freihandel. Wir Gesetz etwa auch noch das nächste Jahrtausend erleben in diesen Tagen eine Zuspitzung der Diskus- beglücken? sion um dieses Thema. Meine Damen und Herren, wir haben vor 14 Tagen im Rahmen der EG durch die Wer kann es leugnen, daß unsere Planungs - und Bundesregierung mit dazu beigetragen, daß ein Genehmigungsverfahren im internationalen Ver- Durchbruch bei den GATT-Verhandlungen möglich gleich deutlich zu lang sind? Für eine mittlere chemi- wurde. Das war wichtig, das war nötig. sche Anlage beträgt das Genehmigungsverfahren z. B. in Belgien 13 Monate, in Japan 20, in West- (Beifall im ganzen Hause) deutschland bis zu 70 Monate. Das sind über vier Auf Grund dieser von Ignaz Kiechle und mir Jahre Differenz. Bis die verstrichen sind, ist das gemeinsam vertretenen Position — ich danke dem ursprünglich beantragte Projekt vom technischen Kollegen Kiechle ausdrücklich und herzlich dafür, daß Fortschritt überholt. So mancher Manager kennt dann er nicht den Weg gegangen ist, den der eine oder die Amtsstube der Genehmigungsbehörde besser als andere seiner Kollegen anderswo derzeit geht — sein eigenes Büro. konnte die EG-Kommission einen Abschluß in den Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10633

Bundesminister Jürgen W. Möllemann Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten errei- — jedenfalls im letzten Jahr — zwischen West- und chen. Ich weiß, daß das auch für die deutschen Ostdeutschland wie 100 : 60. Bliebe das so, würde der Landwirte Veränderungen bedeutet. Abstand im Leistungsvermögen größer statt geringer. Deswegen ist es notwendig, jede nur denkbare Mög- (Zuruf von der CDU/CSU: Das heißt: Ver lichkeit zu ergreifen, um private Investitionen anzu- schlechterungen!) reizen. Deswegen verstärken wir das Maßnahmen- Ich weiß, daß wir in diesem Licht beispielsweise bündel jetzt ja auch. unsere Anstrengungen für die Agrarstruktur- und (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Sozialpolitik anders gewichten, als hätten wir den Herr Kollege Roth, das sind doch wirklich keine früheren Zustand. Das ist auch notwendig. Aber es Peanuts, wenn Sie an die Dimensionierung der wäre ein absurder Sachverhalt gewesen, meine Gemeinschaftsaufgabe denken, an die Investitionszu- Damen und Herren — und wir hätten dem massiv lage, an die Sonderabschreibungen, an die Mittel der widersprechen müssen —, wenn wir zur Bewahrung Kreditanstalt, an die ERP-Mittel. Sie wissen doch, daß überlebter Protektionismen im Agrarbereich den das kumuliert, also miteinander in Anspruch genom- gesamten internationalen Freihandel aufs Spiel men werden kann. gesetzt hätten. Das geht nicht! Meine Damen und Herren, was mir viel mehr Sorge (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne macht, ist, daß ein Sachverhalt in diesen Debatten ten der CDU/CSU und der SPD) außer Betracht gerät. Es gerät außer Betracht, daß wir Es ist doch so, das wir mit den. Überschüssen, den mit diesen Anstrengungen die Volkswirtschaft eines Gewinnen, den Steuereinnahmen, die wir aus dem ehemaligen kompletten Staatsgebietes modernisie- Bereich von Handel, Handwerk, Industrie und ren müssen und wollen, die zu Beginn der Einheit bei Gewerbe erzielen, die Subventionen für den Agrar- 30 % der Leistungsfähigkeit der westdeutschen bereich finanzieren — und nicht umgekehrt. Auch Volkswirtschaft lag. Das ist in drei Jahren nicht zu unsere Bauern wären schwer getroffen, würden wir machen, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) unsere gesamtwirtschaftliche Leistungskraft- durch internationalen Protektionismus schmälern. Deswe- das wird eben länger dauern, und dies ist auch nicht gen haben wir die richtige Entscheidung getroffen. der Politik anzulasten. Ich appelliere von hier aus an die französische (Zurufe von der SPD) Regierung, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, um Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es den im Rahmen der Ministerräte bislang gefundenen vernünftig, die Anstrengungen zur Werbung privater Konsens auch gegen den massiven Druck ihrer Inter- Investitionen zu verstärken, wie wir das jetzt tun. essengruppen durchzuhalten.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Roth ten der CDU/CSU) möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. Natürlich hat — auch im Rahmen der Beiträge des Kollegen Nitsch und anderer — das Thema Aufbau Jürgen W. Möllemann, Bundesminister für Wirt- Ost hier einen Schwerpunkt gebildet. Ich kann dem, schaft: Ich möchte den Gedanken zu Ende führen, was Sie gesagt haben, Herr Kollege, weitestgehend bitte. zustimmen und möchte deswegen auch nicht alles (Zuruf von der SPD: Gedanken?) wiederholen. Ich glaube aber schon, daß es wichtig ist, hier zwei Punkte anzusprechen. Deswegen ist es notwendig, die sonstigen Rahmenbe- dingungen zu bessern. Wir haben bislang — und das wird durch die Aber ich bitte Sie, liebe Kolleginnen, jetzt bei einem rezessive Entwicklung in Europa, in Amerika und anderen mitzuhelfen, was sich abzeichnet. Es zeichnet natürlich jetzt auch in Westdeutschland verstärkt — sich ab, daß eine neue Neidgrenze zwischen West- eine nicht hinreichende Größenordnung privater und Ostdeutschland entsteht — in einer Zeit konjunk- Investitionen in den neuen Bundesländern erreicht. tureller Abschwächungen, in der westdeutsche Wir machen mit dramatischen Anstrengungen, mit Betriebe kurzarbeiten und in Schwierigkeiten kom- riesigen Transfers, über die wir uns im wesentlichen ja men. Wir erleben, daß auch in die Parteien hinein auch einig sind, alles nur Mögliche, um die Infrastruk- schon dieser Keim des Unfriedens wächst. Ich plädiere tur in den neuen Bundesländern zu verbessern: nachdrücklich dafür, daß wir weiterhin um Verständ- (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE nis dafür werben, daß es diesen absoluten Förder- GRÜNEN]: Verbessern?) schwerpunkt eben nur in den neuen Ländern geben kann, damit sie aufholen können. Liebe Kolleginnen Verkehr, Kommunikation und all dies und Kollegen aus den westdeutschen Bundesländern, (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE Sie werden in allernächster Zeit unter massiven Druck GRÜNEN]: Teilweise erst neu zu schaffen!) kommen. Das geht schon los. Ich werbe auch dafür, daß auch die westdeutsche — Zum Teil neu zu schaffen. Industrie akzeptiert, daß mit diesen gezielten Förder- Die öffentliche Investitionsquote verhält sich zwi- maßnahmen gewollt Wettbewerber über eine Zeit schen Ost- und Westdeutschland pro Kopf der hinweggebracht werden, potentielle Wettbewerber Beschäftigten wie 130:100. Das ist auch notwendig. von morgen. Auch dort stößt dies jetzt in einer zum Die private Investitionsquote hingegen verhielt sich Teil erstaunlichen Einmütigkeit von Unternehmens- 10634 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Bundesminister Jürgen W. Möllemann leitungen und Betriebsräten auf Widerspruch. Wenn noch nicht gehört habe —, daß z. B. die Einkommen in wir das nicht durchhalten — und das war das, was der den letzten zehn Jahren, auf den einzelnen Bundes- Bundeskanzler mit dem Stichwort Erhaltung der indu- bürger bezogen, im Jahresdurchschnitt um 5 % — d. h. striellen Kerne meinte, Erhaltung zum Teil im nominal insgesamt um 63 % — gestiegen sind. Im Moment gegen den Markt, damit Ansatzpunkte gleichen Zeitraum sind die Preise nur um 25,7 % bewahrt und gerettet werden —, dann wird in der Tat gestiegen. Das heißt, jeder hat heute das Doppelte auch der neu aufgekeimte gewerbliche Mittelstand, dessen in der Tasche, was die Preissteigerung in zehn das Handwerk, das sich um solche Kerne kristallisiert, Jahren ausmachte. Meine Damen und Herren, man in Schwierigkeiten kommen. sollte nicht nur immer jammern, sondern auch einmal (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der das Positive aussprechen und es die Bürger wissen CDU/CSU) lassen. Meine Damen und Herren, ich glaube, wir müssen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) das unterstützen, was der Sachverständigenrat vor Als aufmerksamer Zuhörer der Debatte in den einigen Tagen zu diesem Thema gesagt hat. Er hat letzten zwei Tagen habe ich von Ihnen, meine Kolle- formuliert: Heute wissen wir, daß der eingeschlagene gen von der SPD — ob von Herrn Wieczorek, von Frau Weg noch länger und steiniger ist, als bisher schon Matthäus-Maier oder von Herrn Roth —, außer der vermutet werden mußte. Aber es sind keine grundle- Forderung nach Ergänzungsabgabe und Ihrer Suche genden Veränderungen eingetreten, die zur Aufgabe nach imaginären Gerechtigkeitslücken und starken des Kurses zwingen. Alternativen — so weiter der Schultern, die zusätzliche Belastungen tragen sollen, Sachverständigenrat —, die bessere und schnellere bisher noch keine Vorstellungen gehört, Erfolge bei geringeren Risiken versprechen, sind nicht in Sicht. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Dann lesen Sie doch einmal unser Programm!) Deswegen bitte ich Sie, die von uns konzipierte Politik weiterhin zu unterstützen. was wir für unsere Wirtschaft, insbesondere auch für Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. unsere mittelständischen Unternehmen tun können, um sie für diesen Wettbewerb fit zu machen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Unruhe)

Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Kollegen Ernst Hinsken das Wort. Vizepräsident Hans Klein: Einen Moment, Herr Kollege. — Darf ich um etwas mehr Ruhe bitten, Ernst Hinsken (CDU/CSU): Herr Präsident! Ver- ehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Roth, Sie waren (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Auf heute sehr aufgebracht. der Regierungsbank!) (Albert Pfuhl [SPD]: Er war gut!) bis auch der Kollege Waltemathe alle Mitglieder der Sonst sind Sie etwas ruhiger, wenn es um die Sache Bundesregierung begrüßt hat? geht und wir im Wirtschaftsausschuß des Bundestages (Heiterkeit — Ernst Waltemathe [SPD]: Ich das eine oder andere Problem an- und ausdiskutieren. grüße auch den Präsidenten!) Bei uns in Bayern heißt ein Sprichwort: Wer schreit, ist Bitte fahren Sie fort. im Unrecht. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wer hat denn hier geschrien?) Ich meine, das unter der Überschrift sagen zu müssen Ernst Hinsken (CDU/CSU): Meine Damen und Her- und sagen zu dürfen: Das Ganze ist nichts Neues — ren, die Umsatzrendite der Unternehmen ging nach viele Worte, Inhalt sehr, sehr wenig. Berechnungen der Bundesbank 1991 auf netto 2 zurück. Gleichzeitig nahmen die Personalkosten um (Wolfgang Roth [SPD]: Jetzt geh aber her! 9 % zu. Dies bedeutet eine Umlenkung der Ausgaben Der Franz Josef war doch in Ordnung! So der Unternehmen von Investitionen auf Konsum. Die schlimm war der Franz Josef nicht! — Dr. Nils Spielräume der Unternehmen für Zukunftsinvestitio- Diederich [Berlin] [SPD]: Wer im Glashaus nen werden dadurch immer kleiner. Wir müssen sitzt, soll nicht mit Steinen werfen!) deshalb dafür sorgen, daß die Lohnnebenkosten nicht Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir weiter ansteigen. momentan als Parlamentarier landauf, landab unter- wegs sind, dann ist bei vielen Veranstaltungen Jam- (Beifall des Abg. Michael Glos [CDU/CSU]) mern das Gebot der Stunde. Es wurde gerade in den Wenn heute wieder über Sozialleistungen nachge- letzten Tagen von verschiedenen Seiten vermehrt dacht wird, z. B. bei der Pflegeversicherung, müssen darauf hingewiesen, welch großartige Leistungen die wir uns auch ernsthaft darüber Gedanken machen, Wirtschaft insbesondere auch für die breite Bevölke- wie wir eine zusätzliche Belastung der Unternehmen rung in der Bundesrepublik Deutschland gerade in vermeiden können. Bisher habe ich dazu von meinen den letzten zehn Jahren erbracht hat. Kollegen aus der Opposition, insbesondere von der (Beifall bei der CDU/CSU) SPD, keine konstruktiven Vorschläge gehört, Es kommt doch nicht von ungefähr — das möchte ich (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Von Ihnen auch besonders erwähnen, weil ich diese Zahlen bisher nicht!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10635

Ernst Hinsken die beschreiben, wo wir ansetzen können, um die verfahren, hält der Staat diese Unternehmen von ihrer längst fällige Pflegefallabsicherung durchführen zu eigentlichen Aufgabe, nämlich wettbewerbsfähige können. Produkte zu entwickeln und herzustellen, ab. Ich unterstütze deshalb das, was Staatssekretär Göhner (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Machen Sie doch gestern gesagt hat, der eine Beschleunigung und einmal einen Vorschlag!) Vereinfachung von Genehmigungsverfahren im Im- Bitte kommen Sie einmal mit Vorschlägen an die missionsschutz, Naturschutz und Abfallrecht fordert. Öffentlichkeit! Ich möchte in diesem Fall die Bitte aussprechen — Frau Fuchs, Sie haben sich vorhin in Form einer (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Nein, Sie! Sie sind Zwischenfrage echauffiert, und auch Kollege Roth hat doch an der Regierung!) dies angesprochen —, daß Sie uns gerade bei der Ich frage mich auch: Warum wird, wenn in dieser Entbürokratisierung zur Seite stehen und sich auch in Hinsicht um Kompensationen gerungen wird, nicht den eigenen Reihen durchsetzen, damit endlich den auch einmal dahin gehend nachgedacht, ob wir die Worten Taten folgen und die Bürokratie in gewisser wöchentliche Arbeitszeit nicht vielleicht wieder um Hinsicht zurückgedrängt werden kann. Denn sie ist eine Stunde nach oben schrauben, anstatt immer von das größte Hemmnis für unsere Wirtschaft insge- Verkürzungen der Wochenarbeitszeit zu reden? Auch samt. darüber sollten die Tarifparteien, aber insbesondere (Beifall bei der CDU/CSU) auch Sie von der SPD nachdenken. Lassen Sie mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, (Zuruf von der F.D.P.: Guter Vorschlag! — auch etwas zum Aufbau in den neuen Bundesländern Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) sagen. Unternehmen investieren immer dort, wo sie Gewinn und Absatzchancen sehen. Dies sind sie den Ein Zweites zur zunehmenden Arbeitslosigkeit in bei ihnen beschäftigten Arbeitnehmern zur Sicherung Deutschland: Fast zwei Drittel der Arbeitgeberbei- ihrer Arbeitsplätze übrigens auch schuldig. Nun träge für die Bundesanstalt für Arbeit zur Finanzie- schlagen Sie, Frau Kollegin Matthäus-Maier, als stell- rung der Arbeitslosigkeit werden von mittelständi- vertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion vor, jedem schen Unternehmen geleistet. Während die Arbeitslo- Unternehmer bei Androhung einer Zwangsabgabe senzahlen in den neuen und inzwischen auch in den die Pflicht zur Schaffung von Arbeitsplätzen in den alten Bundesländern ansteigen, finden sich auf den neuen Ländern aufzuerlegen. Ich verstehe die Welt Baustellen in ganz Deutschland zunehmend Arbeits- nicht mehr. Ich habe immer gedacht, Sie hätten kräfte aus Polen und der Tschechoslowakei, die leider wenigstens ein bißchen wirtschaftlichen Sachver- Gottes oftmals zu Sklavenpreisen hier arbeiten müs- stand. sen. Dies ist meines Erachtens der Ausdruck einer Fehlentwicklung, der wir begegnen müssen. Es wird (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Na, na, na!) Zeit, daß wir bei der Vermittlung von Arbeitslosen auf Dies zeugt doch allenfalls von einem bedenklichen einer niedrigeren Qualifikationsstufe endlich auch geistigen Rückfall in die sozialistische Phantasiewelt, über die Frage der Zumutbarkeit der Arbeit nachden- aber nicht davon, daß Sie, die SPD, bereit sind, ken und den damit verbundenen Bürokratismus bei wirtschaftliche Realitäten zur Kenntnis zu nehmen. den Arbeitsämtern beenden. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Hinsken, Es geht, so meine ich, einfach nicht an, daß wir zum die Kollegin Matthäus-Maier möchte Ihnen gern eine Teil Arbeitslose finanzieren, die sich zu fein sind, Zwischenfrage stellen. Arbeiten auf einer niedrigeren Qualifikationsstufe aufzunehmen, während die Wirtschaft gleichzeitig Ernst Hinsken (CDU/CSU): Gerne. händeringend nach Arbeitskräften sucht. Die gesetz- lichen Vorschriften im AFG sind vorhanden. Jetzt Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Herr Hinsken, ich bin kommt es darauf an, daß die Arbeitsämter die Zumut- der Ansicht, daß man über das Pro und Kontra eines barkeitskriterien auch konsequent anwenden und solchen Vorschlags sehr wohl kritisch diskutieren dabei von der Bundesanstalt den Rücken gestärkt kann. Er ist sicher ungewöhnlich. Aber würden Sie mir bekommen. nicht zustimmen, daß wir bei Arbeitslosenzahlen im Eine ähnliche Problematik stellt sich im Zusammen- Osten von zum Teil bis zu 40 % einfach auch über hang mit den ABM-Stellen in den neuen Ländern. ungewöhnliche Forderungen gemeinsam nachden- Wenn heute ein junger Arbeitsloser in den neuen ken müßten? Ländern in einer ABM-Stelle ohne Leistungsdruck (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des mehr verdient als in einem ordentlichen Arbeitsver- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) hältnis, so brauchen wir uns über Fehlentwicklungen nicht zu wundern. Ernst Hinsken (CDU/CSU): Frau Kollegin Mat- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) thäus-Maier, mit solchen Instrumenten werden Sie die Wirtschaft nicht in die Lage setzen, eine Umpolung Ein weiteres Problem, das in diesem Zusammen- vorzunehmen. Ich glaube, wirtschaftliche Anreize, in hang zu erwähnen ist, ist die Überbürokratisierung die neuen Bundesländer zu gehen, wie sie seitens der und Überregulierung unserer Wirtschaft. Mit einem Bundesregierung in den letzten Monaten und für die dichten Regelwerk, einem bürokratischen Gestrüpp mittelständische Wirtschaft insbesondere auch in den von Berichtspflichten, Auflagen und Genehmigungs- letzten Tagen gegeben wurden, sind allemal besser. 10636 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Ernst Hinsken Das ist der richtige Weg, nicht eine sogenannte Abstimmung angesetzt. Deshalb strömen viele Kolle- Investitionslenkung, wie Sie sich das vorstellen. gen herein. (Beifall bei der CDU/CSU — Kurt J. Rossma Ich darf zum Abschluß noch sagen, daß ich auf die nith [CDU/CSU]: Das hatten wir dort SPD-Kollegen setze, auf ihre Freunde in den neuen 40 Jahre!) Bundesländern einzuwirken, damit der von mir Was wir in den neuen Ländern in erster Linie zuletzt ausgesprochene Wunsch — weniger Bürokra- brauchen, ist, daß auch die Tarifparteien die ökono- tie durch weniger Beschäftigte im öffentlichen mischen Realitäten wahrnehmen. Es kann doch nicht Dienst — umgesetzt werden kann. wahr sein, daß die Gewerkschaften lieber Betriebs Ich darf mich für Ihre Aufmerksamkeit herzlich stillegungen in den neuen Ländern hinnehmen, als bedanken. der Möglichkeit von Tariföffnungsklauseln für (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge bedrohte Betriebe zuzustimmen. Ich greife dabei auf, ordneten der F.D.P. — Helmut Wieczorek was Herr Wirtschaftsminister Möllemann vorhin [Duisburg] [SPD]: Meine Unterstützung hast gesagt hat: Hier muß dereguliert werden, hier muß du, aber ob das reicht?) man gegenseitiges Verständnis haben, damit auch die Wirtschaft in den neuen Bundesländern endlich in Schwung kommt, um den Anschluß an die alten Vizepräsident Hans Klein: Verehrte Kolleginnen Bundesländer zu finden. Das geht auch, wenn wir hier und Kollegen! Jetzt entwickelt sich in der Tat wieder Verkrustungen aufbrechen und diese Wege beschrei- die typische Situation vor namentlichen Abstimmun- ten. gen. Ich lade die Kollegen einschließlich der Parla- mentarischen Staatssekretäre herzlich ein, Platz zu (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Was heißt das nehmen. Es sind noch freie Plätze vorhanden. Wenn konkret?) Sie stehen bleiben, dann staut es sich hinten im Saal, Entscheidend ist, daß wir die Investitionsbedingun- und der Geräuschpegel steigt. gen in den neuen Ländern verbessern. Hier möchte Eine kleine Bitte habe ich noch an die Redner. So ich mich nochmals bei Bundesfinanzminister Waigel wichtige Mitteilungen, Herr Kollege Hinsken, wie Sie dafür bedanken, daß die Aufstockung der- Investi- sie am Schluß, nachdem bereits das rote Licht leuch- tionszulage und die Konzentration dieses Instruments tete, noch machten, wären genauso wirkungsvoll, auf die mittelständische Wirtschaft und das Handwerk wenn sie innerhalb der Redezeit erfolgten. als deutliche Signale gesetzt wurden und damit der Tatsache, daß der Mittelstand Motor unserer Wirt- (Heiterkeit im ganzen Hause — Beifall bei schaft ist, Rechnung getragen wurde. Abgeordneten der SPD) (Beifall des Abg. Michael Glos [CDU/CSU]) Ich erteile dem Kollegen Martin Bury das Wort. Kollege Nitsch und Kollege Rossmanith haben in ihren Reden darauf bereits umfangreich verwiesen. Ich Hans Martin Bu ry (SPD): Herr Präsident! Meine kann es mir ersparen, darauf näher einzugehen. Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich meine nur, abschließend sagen zu müssen: In Man hat die Debatte heute über den Einzelplan 09 und Zeiten angespannter Haushaltsverhältnisse muß die die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung mit der öffentliche Hand sparen. Der Bundesfinanzminister Debatte über den ERP-Wirtschaftsplan 1993 verbun- hat einen Sparhaushalt vorgelegt, der Einsparungen den. Dafür gibt es vor allem einen einleuchtenden bis hin zur Stellenkürzung vorsieht. Ich hoffe, daß Grund: Wir sollten hier wenigstens auch über einen auch die Lander und Kommunen nachziehen, und erfreulichen Aspekt der Wirtschaftspolitik diskutie- meine deshalb auch, darauf verweisen zu müssen, daß ren. es angebracht ist, gerade in den neuen Bundesländern (Beifall bei Abgeordneten der SPD) darüber nachzudenken, inwieweit der öffentliche Nicht zuletzt dem Widerstand der SPD ist es schließ- Dienst reduziert werden kann. Es geht einfach nicht lich zu verdanken, daß die Bundesregierung die an, daß es einige Länder gibt — ohne daß ich sie geplante Halbierung der ERP-Förderung rückgängig namentlich nennen will —, die teilweise 100 % mehr Beschäftigte im öffentlichen Dienst von Land und gemacht hat. Kommunen haben als verschiedene alte Länder der Wir hatten wegen der vorgesehenen Kürzung letz- Bundesrepublik Deutschland. Hier kann angesetzt tes Jahr den ERP-Wirtschaftsplan abgelehnt. Inzwi- werden, hier muß angesetzt werden. Auch in diesem schen hat die Regierungskoalition unsere Hauptfor- Bereich brauchen wir weniger Bürokratie; mehr derung erfüllt: Auch im nächsten Jahr werden zins- Beamte bedeuten aber mehr Bürokratie. Deshalb ist es verbilligte Darlehen für Existenzgründungen, Investi- ein Gebot der Stunde, auch diesbezüglich Kürzungen tionen und Umweltschutzvorhaben kleiner und mitt- vorzunehmen und dies nicht nur dem Bundesfinanz- lerer Unternehmen in Höhe von 14 Milliarden DM minister anzulasten. — 10 Milliarden DM für die neuen und 4 Milliarden DM für die alten Länder — zur Verfügung stehen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sehr gut!) Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Hinsken, Angesichts der dringend notwendigen Existenz- Ihre Redezeit ist bereits ein Stück überschritten. gründungen und Investitionen — vor allem, aber nicht nur in den neuen Ländern — ist dies immerhin Ernst Hinsken (CDU/CSU): Herr Präsident, ich ein Lichtblick. Mit der Hilfe von ERP-Programmen komme zum Schluß. Ich bedanke mich dafür, daß Sie wurden in den neuen Ländern rund 1,1 Millionen für Ruhe gesorgt haben. Es ist jetzt eine namentliche neue Arbeitsplätze geschaffen und über 1 Million Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10637

Hans Martin Bury bestehende Arbeitsplätze gesichert. Fast alle Exi- Wo sind die Visionen des Bundeswirtschaftsmini- stenzgründer hätten ohne ERP-Mittel den Weg in die sters? Wo sind die entsprechenden S trategien? Ich Selbständigkeit nicht gewagt bzw. die Investition meine Strategien in bezug auf den Strukturwandel nicht getätigt. Selbst die Zahl der Darlehensausfälle sowie beispielsweise in bezug auf den ökologischen ist erfreulicherweise außerordentlich gering. Umbau der Industriegesellschaft. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sehr wahr!) (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Der hat doch gar keine Phantasie!) Damit trägt das ERP entscheidend zur Verbesse- rung der Wirtschaftsstruktur bei. Es unterstützt gezielt Ich denke, daß wir, wenn wir von „End of the kleine und mittlere Unternehmen, diejenigen, die pipe"-Technologien wegkommen hin zu Ökotech, zu auch in den alten Ländern die meisten Arbeitsplätze geschlossenen Kreisläufen, die Basisinnovation für das kommende Jahrhundert hätten. Wo ist der drin- schaffen. gend notwendige intensivere Dialog mit allen am (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Gut, daß Sie Wirtschaftsgeschehen Beteiligten? das langsam begreifen!) (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sie müssen Die ERP-Förderung ist darüber hinaus mit durch- noch ein bißchen bei Wolfgang Roth in die schnittlich 1 900 DM pro Arbeitsplatz aus dem Bun- Lehre gehen!) deshaushalt außerordentlich effizient. Selbst wenn Wo sind die daraus zu entwickelnden konkreten man berücksichtigt, daß in den neuen Ländern die Maßnahmen? meisten geförderten Unternehmen ERP und EKH kombinieren, ist die Bilanz hervorragend. In diesem Zusammenhang und im Rahmen des ERP könnten wir beispielsweise versuchen, die nicht mehr Den Vergleich mit Strukturerhaltungssubventionen bedarfsgerechten Kredithöchstbeträge und die Um- in den alten Ländern mag ich an dieser Stelle gar nicht satzgrenzen der ERP-Programme anzupassen. Dann anstellen. Die durch den Zwang zur Haushaltskonso- könnten wir auch den industriellen Mittelstand — zu- lidierung notwendige Diskussion über die bisherige mindest in den neuen Ländern — fördern. Bei einer Subventionspolitik sollten wir jedoch als Chance Verdoppelung der Umsatzgrenze auf 100 Millionen - begreifen. Wir müssen meiner Meinung nach massiv DM und des Kredithöchstbetrages auf 2 Millionen Strukturwandel fördern und nicht vorrangig Struktur- wären schätzungsweise zusätzliche Zinszuschüsse in erhalt. Höhe von gerade einmal 20 Millionen DM pro Jahr erforderlich. Die Kreditvergabemöglichkeiten ließen Nun komme ich zu dem, was Sie, Herr Möllemann, vorhin in Ihrer Rede gesagt haben. Sie nannten die sich damit aber immerhin um etwa 2 Milliarden DM steigern. Bei einer tendenziell abnehmenden Zahl von Stichworte Innovation und Kreativität. Existenzgründungen in den neuen Ländern könnten (Dr. Peter S truck [SPD]: Der Möllemann soll zusätzlich gegebenenfalls Mittel innerhalb des ERP zuhören! — Helmut Wieczorek [Duisburg] umgeschichtet werden, um dem dramatischen Weg- [SPD]: Der Mümmelmann soll zuhören! — brechen der Industriearbeitsplätze entgegenzuwir- Beifall bei der SPD) ken. — Ich kann verstehen, daß er auf seine vorherige Rede (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste nicht angesprochen werden möchte. — Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sie wider sprechen sich ja selbst!) (Beifall bei der SPD) Um so bedauerlicher ist es, daß die Bundesregie- Sie haben von der Verantwortung der Gewerkschaf- rung auch in diesem Jahr die Finanzierung des ERP ten und der Unternehmer gesprochen. Sie haben das nicht auf eine solide Grundlage gestellt hat. Die alte Klagelied der Löhne und Lohnnebenkosten wie- Ausgaben des ERP werden inzwischen zu rund 59 % der angestimmt, was das Thema Wettbewerbsfähig- durch Kredite gedeckt. Statt einer Zuführung von keit der deutschen Wirtschaft angeht. Dabei müßten Kapital stopft die Bundesregierung mit Zinszuschüs- Sie, müßte zumindest der Bundeswirtschaftsminister sen aus dem Bundeshaushalt wieder nur kurzfristig wissen, ein Loch, das im nächsten Jahr wieder entsteht. Die ERP-Fördermöglichkeiten ändern sich dadurch zwar (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Nein, der nicht!) kurzfristig 1993 nicht, aber mittel- und langfristig daß die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirt- stehen diese Mittel zum revolvierenden Einsatz nicht schaft heute sehr viel stärker von unserer Fertigungs- mehr zur Verfügung. Das ist auch unter dem wichti- technik, von unserem Management, von dem inneren gen Aspekt der Kontinuität in der Wirtschaftsförde- Frieden in Deutschland, dessen Gefährdung auch die rung wenig hilfreich. Exportwirtschft gefährdet, bestimmt wird und — was (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Genau!) die F.D.P. nie wahrhaben möchte — auch durch den sozialen Frieden bedingt wird. Dies alles ist eben auch Wir gehen davon aus, daß die Zusage im Unteraus- mit der Verantwortung der politischen Führung in schuß ERP, das Volumen auch im nächsten Jahr diesem Lande verknüpft. Aber Sie haben in alter wieder in etwa erreichen zu wollen, gilt. — Der Manier Ihrer Partei so getan, als ob Sie an der Wirtschaftsminister nickt. Regierung gar nicht beteiligt wären. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Die SPD-Fraktion verbindet daher die Zustimmung DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der zum ERP-Wirtschaftsplan 1993 mit der Aufforderung PDS/Linke Liste) an die Bundesregierung, eine Wirtschaftspolitik zu 10638 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Hans Martin Bury formulieren und umzusetzen, die endlich klare Rah- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Grünbeck, menbedingungen und langfristige Perspektiven an der Kollege Feige würde gerne eine Zwischenfrage die Stelle von Show-Effekten und Momenterfolgen stellen. setzt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Josef Grünbeck (F.D.P.): Ich wollte die Debatte DIE GRÜNEN) eigentlich nicht verlängern, Herr Kollege Feige. Wir stimmen auch dem Gesetzentwurf zur Ände- rung der Verwaltung des ERP-Sondervermögens zu, Vizepräsident Hans Klein: Aber das kommt Ihnen ja zugute. der die Refinanzierung des ERP-Sondervermögens verbessert und verbilligt. Josef Grünbeck (F.D.P.): Bitte. Nutzen Sie diese Möglichkeiten, und zwar nicht zur Ausweitung des Kreditanteils, sondern zur Verbesse- Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rung der Konditionen und Kreditvergabemöglichkei- NEN): Herr Kollege Grünbeck, würden Sie bitte zur ten — im Interesse von Mittelstand, Arbeitsplätzen Kenntnis nehmen, daß wir doch immer dann bemüht und Umweltschutz. sind, wenn die Bundesregierung auch wirklich etwas Danke schön. Positives vorzuweisen hat, dieses herauszustellen, (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke aber daß es das gute Recht der Opposition ist, sie Liste) immer dann, wenn sie ihren Leistungen nicht gerecht wird, zu kritisieren, und daß Sie mir und uns dieses Recht auch nicht absprechen können? Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Josef Grün- beck, Sie haben das Wort. Josef Grünbeck (F.D.P.): Nein. Sie verkünden in Ihren Reden immer lehrbuchmäßige Theorien und haben von der praktischen Entwicklung im Grunde (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Josef Grünbeck genommen keine Ahnung. Ich muß Ihnen das leider sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe in - einmal sagen. meinem ersten Redebeitrag heute darum gebeten, daß wir Gemeinsamkeiten suchen, und ich habe noch (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — drei Wünsche, die am Ende dieser Debatte angebracht Widerspruch bei der SPD) sind. Herr Kollege Roth, ich möchte noch Ihren Vergleich Ich habe Wünsche an die Vertreter der PDS und mit England und den deutschen Unternehmen richtig- auch an Sie, Herr Feige: Lassen Sie bitte bei den stellen. Lesen Sie einmal die Bilanz des Europäischen Vorwürfen an diese Regierung wegen angeblich man- Patentamtes nach. Dort können Sie nachlesen, wie gelhafter Unterstützung beim Aufschwung Ost die viele Patente aus deutschen Landen kommen und daß Bezugnahme auf Ihre eigene Leistungsfähigkeit und 70 % dieser Patente von kleinen und mittleren Betrie- auf das Verursacherprinzip nicht außer acht. Aner- ben kommen. In England fehlt die Struktur der klei- kennen Sie auch in Anbetracht unserer westdeut- nen und mittleren Betriebe. Das ist der Unterschied schen Steuerzahler einmal die erbrachten Leistun- zwischen den beiden Volkswirtschaften. Deshalb sind gen! wir in unserer wirtschaftlichen Entwicklung auch wesentlich erfolgreicher. (Beifall bei der F.D.P. und bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Grünbeck, Zweitens. Lieber Herr Roth, ich habe darum gebe- der Kollege Feige möchte gerne noch eine zweite ten, daß wir keine Analyse über Schuldzuweisungen Frage stellen. machen. Niemand hatte über den Bestand der ehema- ligen DDR eine Aufnahme. Niemand hatte ein Lehr- Josef Grünbeck (F.D.P.): Nein. Ich möchte die buch. Niemand hatte einen Fahrplan. Niemand hatte Debatte im Interesse des ganzen Parlaments nicht einen Terminplan. Heute mit Schuldzuweisungen verlängern. Entschuldigen Sie bitte. weiterzuwurschteln wäre verkehrt. (Zustimmung bei der CDU/CSU) Wir wollen ein gemeinsames Handeln. Der Standort — Herr Feige, lassen Sie Ihren Zeigefinger weg, der Deutschland ist nicht mehr der, der den internationa- greift bei mir nicht mehr. len Wettbewerbsdruck unbedingt aushält. Wir haben die höchsten Steuern. Wir haben die höchsten Zinsen. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist unter Wir haben die niedrigste Arbeitszeit, und wir haben Ihrem Niveau!) die höchsten Lohnkosten sowie eine starke D-Mark, Ich bitte Sie darum, daß wir uns bei Vergleichen mit die uns im Export manchen Kummer bereitet. anderen Volkswirtschaften nicht selbst um die Früchte unserer Arbeit bringen, Drittens. Herr Roth, Sie haben die mangelhafte an denen wir doch alle beteiligt waren. Die Bundesrepublik Deutschland Innovations- und Investitionsfähigkeit und -bereit hat einen gesunden Mittelstand, und den sollten wir schaft der Unternehmen beklagt. Mit wem wollen Sie nicht zurückdrängen. denn eigentlich die Investitionen machen, wenn nicht mit den Unternehmen? — In diesem Zusammenhang Vielen Dank. muß ich Ihnen sagen: Es wäre der verkehrte Weg, den (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Unternehmen jetzt nur die Trägheit bei der Investi- tions- und Innovationsfähigkeit zu bestätigen noch Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kollege dazu in einem Vergleich mit England. Rainer Haungs. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10639

Rainer Haungs (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine rednern sehr viel Richtiges, allerdings auch einiges sehr verehrten Damen und Herren! Am Ende unserer Schräge gesagt. Debatte über die Wirtschaftspolitik kann ich feststel- len, daß es neben der pflichtgemäßen Kritik der Ich meine — ich will dies in kurzen Worten erläu- Opposition in der analytischen Untersuchung doch tern —, daß wir in einer Zeit dynamischer Verände- sehr viel Gemeinsames gegeben hat. rungen der Weltwirtschaft in der Bundesrepublik einiges an Strukturen verändern müssen; denn sonst (Beifall des Abg. Josef Grünbeck [F.D.P.]) führt dies alles zu einer schwierigen Lage und auch zu Herr Kollege Roth hat zu Recht beklagt, daß viel einer schlechten Stimmung, die wir beklagt haben. zuviel Milliarden in Zinsanlagen fließen und daß zuwenig unternehmerische Aktivitäten stattfinden. Die drei Problemkreise hängen natürlich zusam- Deshalb: Folgen Sie dem Vorschlag im Standortsiche- men. Je schneller wir die Stagnation überwinden, um rungsgesetz, daß wir die unternehmerischen Risikoin- so einfacher wird der Aufbau in den neuen Bundes- vestitionen, Erträge aus Unternehmen, steuerlich ländern. Eines freut mich: Konjunkturprogramme nicht diskreditieren. früherer Art, wie sie von der SPD immer vorgeschla- gen wurden, fordert heute niemand mehr. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage) (Beifall bei der CDU/CSU) — Nein, ich habe keine Zeit, tut mir leid. Wir haben in den neuen Bundesländern die öffentli- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Es wird nicht chen Investitionen in einem Maß gesteigert, daß sie angerechnet!) konjunkturell auch wirken, dies ist eine Investition für Es ist doch völlig klar, daß, wenn wir auf Grund der die Zukunft. gegenwärtigen Zinsentwicklung so hohe Renditen haben, dies den gewerblichen Investitionen schaden (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Aber muß. nur nach Westen!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) - Aber es muß schnell gehen; denn die Ungeduld, die Ein Zweites. Sie haben die Infrastruktur zu Recht zu Recht vorhanden ist, wird nur beseitigt und Ergeb- gelobt und gesagt, daß dies ein Pluspunkt ist. Ich will nisse werden nur erzielt, wenn es schnell geht. Des- noch einmal betonen: Setzen Sie Ihre persönliche halb darf dies niemand behindern. Hier wird die Meinung in Ihrer Partei durch, und hören Sie von der Nagelprobe vor allem von der Opposition gefordert. SPD auf, all das zu hemmen, was den Ausbau der Wir müssen dies tun, obwohl es die öffentlichen Infrastruktur, von Straßen, von Bahnen, in den neuen Haushalte aufs äußerste anspannt und obwohl viele in und in den alten Bundesländern hindert. den alten Bundesländern sagen, warum können wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge nicht auch bei uns Investitionen schneller vorneh- ordneten der F.D.P.) men. Dies wäre der beste Beitrag, Positives über unser Land Von meinem Vorredner wurde es auch gesagt: Es nicht nur zu verbreiten — da stimme ich Ihnen zu —, fehlt an produktiven Privatinvestitionen in den neuen sondern auch Positives für unser Land zu tun. Bundesländern. Neue Arbeitsplätze können Sie nicht Wir haben heute drei große Herausforderungen, durch Erhaltung von alten Strukturen schaffen. Viel- wahrscheinlich die größten seit dem Bestehen der mehr müssen erstens neue, ortsansässige, einheimi- Bundesrepublik Deutschland. Erstens: der konjunk- sche mittelständische Unternehmer ins Risiko gehen, turelle Abschwung. Dies wäre kein Beinbruch. Damit zweitens sich westdeutsche Firmen noch mehr enga- müssen unsere Nachbarn fertig werden. Das werden gieren und drittens auch ausländische Firmen inve- wir auch bei uns schaffen. stieren. (Unruhe) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) Vizepräsident Hans Klein: Einen Moment, Herr All dem dient das Investitionsprogramm, das von uns Kollege. vorgelegt wurde. Meine Damen und Herren, in ein paar Minuten ist die namentliche Abstimmung. Bitte nehmen Sie in der Die Verstärkung aller Mittel, die in die Investitionen Zwischenzeit Platz. Je mehr hinten herumstehen, gehen, ist richtig. Richtig ist, kurz gesagt, alles, was desto mehr wird auch geredet, und desto schwieriger Investitionen dient und neue produktive Arbeitsplätze ist es für den Redner, sich durchzusetzen. schafft. Dabei ist die Ungeduld — auch von Ihnen vorgetragen — verständlich, aber nicht immer hilf- reich. (CDU/CSU): Zweitens: der für viele, Rainer Haungs Blanker Unsinn ist es, zu behaupten, die Prinzipien auch für mich, viel zu langsame Aufbau marktwirt- der freien Sozialen Marktwirtschaft würden in den schaftlicher Strukturen in den neuen Bundesländern neuen Bundesländern nicht die Erfolge haben, die nach der schöpferischen Zerstörung. Nur, das meiste man von ihr erwartet hat. war schon zerstört. Drittens: die vielfältigen, sich auch widersprechen- (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr! — den Antworten auf die Frage nach dem Wirtschafts- Zuruf der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann standort Deutschland. Hier wurde von meinen Vor- [PDS/Linke Liste]) 10640 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Rainer Haungs — Das wird sehr oft behauptet. Dies ist nicht von heute bei uns in den Jahren und Jahrzehnten angesammelt auf morgen zu machen. Wir haben das nie behaup- hat. tet, Es wäre deshalb ein billiges, wirksames und sogar (Widerspruch bei der SPD) sehr kostengünstiges Dynamisierungsprogramm für und hier brauchen wir keine Aufgeregtheit. unsere Wirtschaft — da es Tausende an Bürokraten, Funktionären und anderen Kostgängern der Wirt- (Beifall bei der CDU/CSU — Wolfg ang Roth schaft ersparen würde —, wenn wir die Marktwirt- [SPD]: „Blühende Landschaften"!) schaft nicht nur am Sonntag reden, sondern auch am — Blühende Landschaften sind in meinen Augen nicht Werktag in allen Bereichen praktizieren würden. dasselbe wie eine mittelständische, mit den alten (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Bundesländern vergleichbare Wirtschaftsstruktur. Lassen Sie mich abschließend sagen: Wenn wir uns (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wir haben darüber klar sind, daß wir in den langen Jahren der blühende Landschaften!) Hochkonjunktur und des Wohlstandes sehr viel Fett Lieber Herr Kollege Roth, Sie haben zumindest in angesetzt haben — überall — und es deshalb nur einem recht gehabt: Wir haben einen großen Mangel logisch ist, daß wir jetzt schlanker produzieren und an unternehmerischen Aktivitäten, nicht nur in den auch verwalten — Stichwort lean production —, dann neuen, sondern auch in den alten Bundesländern. hat dies nichts mit Sozialabbau zu tun. Es wäre viel zu (Beifall bei Abgeordneten der SPD) einfach, heute nur an Löhnen, Feiertagen und Sozial- leistungen herumzukritisieren, auch wenn es berech- Als Unternehmer darf ich sagen: Dies liegt keines- tigt ist. Vielmehr wäre viel gewonnen, wenn wir wegs am Mangel an unternehmerischen Möglichkei- darangingen, bei den heutigen Herausforderungen ten, sondern daran, daß wir in unserer Sozialstruktur die inneren Strukturen der Bundesrepublik zu unter- eine empfindliche Unternehmerlücke haben. Die suchen und die entsprechenden Folgerungen zu zie- werden wir in den nächsten Jahren und Jahrzehnten hen. Dann hätte die Krise, in der wir uns heute noch zu beklagen haben. befinden, etwas Positives. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr gut!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir werden die Herausforderungen der Weltwirt- schaft nicht bestreiten können, wir werden im Ver- Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abge- gleich mit den expansiven, wettbewerbsstarken Kon- ordnete Dr. Ulrich Briefs. kurrenten zurückfallen, und zwar nicht nur wegen der Standortbedingungen hoher Lohn und hoher Lohnne- (Zurufe von der CDU/CSU: Nein!) benkosten, sondern weil es an unserem Unternehmer- nachwuchs fehlt. Dr. Ulrich Briefs (fraktionslos): Herr Präsident! (Unruhe) Meine Damen und Herren! Zuerst einmal freue ich mich darüber, daß Sie gerade zu meinem Beitrag so zahlreich hereingeströmt sind. Vizepräsident Hans Klein: Ich darf Sie noch einmal Im übrigen, Herr Grünbeck, ein ernstes Wort an Ihre unterbrechen. Adresse: Ich finde, die Attacke, die Sie eben gegen Meine Damen und Herren, erstens bitte ich auch die den Kollegen Feige vorgebracht haben, war schlicht Mitarbeiter auf der Regierungsbank, wieder Platz zu und einfach primitiv. Sie war eines Vertreters des nehmen oder in den Aufenthaltsraum zu gehen. gesunden Mittelstandes unwürdig. Zweitens bitte ich Sie alle noch um wenige Minuten (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Ruhe vor der Abstimmung, damit der Redner wenig- Mit dem Haushalt 1993 wird im Bereich des Bun- stens verstanden werden kann. deswirtschaftsministeriums die grundlegende Fehl- (Dr. Uwe Jens [SPD]: Wir verstehen ihn anlage der Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung gut!) nicht korrigiert, sondern verstärkt. Trotz der Entindu- Bitte fahren Sie fort. strialisierung im Osten — weitgehend Ergebnis des marktwirtschaftlichen Verdrängungswettbewerbs der potenten Westwirtschaft — wird weiter blind auf Rainer Haungs (CDU/CSU): Ein Mangel an risiko- die Marktkräfte gesetzt. bereiten, leistungsbewußten, engagierten Menschen, (Unruhe) die die vielen Zulagen, Hilfen und Vergünstigungen dann auch nutzen, wäre für die weitere Entwicklung sehr hinderlich. Wir werden es nicht schaffen, wenn Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Briefs, ich diese Lücke nicht geschlossen wird. darf Sie kurz unterbrechen. (Wolfgang Roth [SPD]: Richtig!) Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, wer die Anordnung gegeben hat, die Türen aufzumachen. Lassen Sie mich auch betonen, daß politische Fehl- Das erleichtert das Verfahren nicht. Der Kollege B riefs entwicklungen der Vergangenheit korrigiert werden hat noch ein wenig über zwei Minuten Redezeit. Ich müssen. Es war in meinen Augen nicht richtig, alles an bitte, ihm diese zwei Minuten noch zuzuhören. Regulierungen, Verordnungen, Bestimmungen und Verboten aus dem Westen zu übernehmen. Wir wuß- Bitte, fahren Sie fort. ten doch selbst — im Bericht der Deregulierungskom- mission ist es eindrucksvoll niedergeschrieben —, was Dr. Ulrich Briefs (fraktionslos): Statt die Marktwirt- für ein Gestrüpp an marktwidrigen Regelungen sich schaft entsprechend dem Grundgedanken des Vaters Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10641

Dr. Ulrich Briefs des Begriffs der Sozialen Marktwirtschaft, Alfred Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- Müller-Armack, sozial zu kontrollieren, soll weiter plan 09. Dazu liegt je ein Änderungsantrag der dereguliert werden. Statt die marktwirtschaftliche Gruppen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS/Linke Dynamik dort, wo es notwendig ist, einzudämmen, um Liste vor. weitere ökologische Schäden und insbesondere die Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe Klimakatastrophe zu verhindern, wird diese Dynamik PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/3827? — Wer ungeachtet ihrer Folgen angeheizt. stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Statt bei den wirklichen Kostentreibern in der Der Änderungsantrag ist abgelehnt. modernen Produktion, den technologie- und kapital Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungs- einsatzbedingten Fixkosten — in der Investitionsgü- antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf terindustrie inzwischen über 50 % der Kosten — Drucksache 12/3814. Dafür ist namentliche Abstim- anzusetzen, wird weiter auf die Personal- und die mung verlangt. Ich eröffne die Abstimmung. — Personalnebenkosten eingetrommelt, die in allen füh- renden Wirtschaftszweigen längst nicht mehr der Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine größte Kostenblock sind. Stimme noch nicht abgegeben hat? — Dann schließe Statt zu fördern, daß sich Arbeitslose im Osten — im ich die Abstimmung. Westen natürlich auch — mit Selbsthilfe-Alternativ- Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu projekten selbständig machen können, werden die beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird später notwendigen AB-Mittel zusammengestrichen, angeb- bekanntgegeben. Erst dann kann über den Einzel- lich, weil AB-geförderte Maßnahmen mittelständi- plan 09 abgestimmt werden. schen Betrieben Aufträge wegnehmen. Dabei bleiben Wir setzen die Beratungen fort und kommen zur wichtige ökologische und soziale Aufgaben von dieser Einzelberatung und Abstimmung über den von der umsatz- und produktionswachstumsorientierten mit- Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines ERP- telständischen Wirtschaft wie auch von der Großwirt- Wirtschaftsplangesetzes 1993, Drucksachen 12/3331 schaft völlig unbeachtet. und 12/3750. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- Das konzeptionslose, direkt neben den Notwendig-- wurf in der Ausschußfassung zuzustimmen wünschen, keiten liegende Gewurstel dieser Bundesregierung um das Handzeichen. — Gegenprobe? — Enthaltun- findet in der Politik und im Etat des Bundeswirt- gen? — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera- schaftsministeriums seine Vollendung. Daß den voll- tung angenommen. mundigen Ankündigungen von Subventionsstrei- Wir treten in die chungen und Sparpolitik nicht mit Taten Rechnung getragen wird, ist im Vergleich dazu geradezu eine dritte Beratung läßliche Sünde. ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte Die Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung hat diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- einen Paradigmenwechsel, einen Wechsel im Grund- len, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — verständnis notwendig. Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist angenom- Es ist richtig, nach dem rabiaten Schrumpfungspro- men. zeß der beiden letzten Jahre, den die Bundesregie- Wir kommen damit zur Einzelberatung und Abstim- rung und ihre Erfüllungsinstitution, die Treuhandan- mung über den Gesetzentwurf zur Änderung des stalt, zu vertreten haben, im Osten auf Wachstum zu Gesetzes über die Verwaltung des ERP-Sondervermö- setzen. Aber auch dieses Wachstum muß sozial und gens, Drucksache 12/3332. Der Ausschuß für Wirt- ökologisch kontrolliert werden. Dazu gehört insbe- schaft empfiehlt auf Drucksache 12/3751, den Gesetz- sondere auch die Förderung des alternativen Arbeits- entwurf unverändert anzunehmen. Wer diesem marktes. Hier entstehen immer wieder Projekte, in Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich um das denen Arbeitslose sich zusammentun, um durch selbst Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält organisierte Aktivitäten, mit Phantasie, Erfindungs- sich der Stimme? — Dieser Gesetzentwurf ist in reichtum und zum Teil in bunten Formen sozial und zweiter Beratung einstimmig angenommen. ökologisch wichtige Aufgaben zu lösen, ohne in die Wir treten in die Wachstumsfalle des formellen Sektors der kapitalisti- schen Marktwirtschaft zu trapsen. dritte Beratung Hier hätte die Wirtschaftspolitik auch anzusetzen. ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Dafür gibt es allerdings im Etat des Bundeswirt- Gesetzentwurf zustimmen will, möge sich bitte erhe- schaftsministeriums auch nicht den geringsten An- ben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — satz. Niemand. Damit ist der Gesetzentwurf auch in dritter Herr Präsident, ich danke Ihnen. Beratung einstimmig angenommen. (Unruhe) Jetzt stimmen wir über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zum 13. Subventionsbericht, Drucksachen 12/1525 und 12/2503, ab. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Ent- Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her- haltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenom- ren! Ich würde Ihnen gern etwas mitteilen. — Ich men. schließe die Aussprache. Ich bekomme soeben die Information, daß auf der (Heiterkeit) Tribüne des Plenarsaals eine Delegation des Kultur- 10642 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Vizepräsident Hans Klein ausschusses der Ungarischen Nationalversammlung müssen Prioritäten im gesamten Bundeshaushalt ver- Platz genommen hat, die vom Ausschuß für Bildung schoben werden? Müssen wir beispielsweise in den und Wissenschaft eingeladen worden ist. Da es sich westlichen Ländern neue Straßengroßprojekte anfan- um Kollegen aus dem L and handelt, das einen wich- gen, oder können wir es uns leisten, darauf — sagen tigen Abschnitt in unserer Geschichte eingeleitet hat, wir einmal — in den nächsten fünf Jahren zu verzich- begrüße ich sie besonders herzlich. ten, um das dafür vorgesehene Bauinvestitionsgeld (Beifall im ganzen Hause) beispielsweise in ein wirksames Wohnungsbaupro- gramm oder ein Hochschulausbauprogramm zu stek- ken? Dabei unterstelle ich, daß, anders als im Westen, Ich rufe auf: in den jungen Bundesländern großer Nachholbedarf Einzelplan 12 besteht und dafür vorgesehene Mittel auch bewilligt Geschäftsbereich des Bundesministers für werden müssen. Verkehr Ich sehe jetzt schon den Stapel von B riefen aller — Drucksachen 12/3512, 12/3530 — möglicher Bürgerinitiativen, aller Wahlkreisabgeord- Berichterstattung: neten aller Fraktionen sowie sämtlicher westlicher Abgeordnete Ernst Waltemathe Länderverkehrsminister bei mir eintreffen, und alle Wilfried Bohlsen werden mir bescheinigen, ich hätte die richtige Frage Werner Zywietz gestellt, die aber leider für die wichtige Umgehungs- straße X, die Flußquerung Y und den bedeutenden Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Autobahnzubringer Z nicht zuträfe, Aussprache eine Stunde vorgesehen. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlos- (Zuruf von der SPD: So ist das!) sen. und von einem Berichterstatter des Haushaltsaus- Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kolle- schusses für den Verkehrsetat dürfe man doch wohl gen Ernst Waltemathe das Wort. erwarten, daß er sich für die Finanzierung der unbe- dingt notwendigen Verkehrsprojekte voll und ganz Ernst Waltemathe (SPD): Herr Präsident! Begrüßt einsetze. hatte ich Sie ja schon, nicht nur die Bundesregierung. Das ist eben das Dilemma, meine Damen und Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Herren. Selbst das Parlament ist bei seiner Aufteilung Kollegen! Wie Haushaltsberatungen zum Verkehrs- in lauter Facharbeitsgruppen und Ausschüsse sowie etat ablaufen, bitte ich Sie, den Protokollen des bei entsprechender Portionierung des Gesamthaus- Deutschen Bundestages seit 1949 zu entnehmen. Als halts in Einzelpläne und Kapitel nicht mehr in der Redner der Opposition müßte ich nämlich jetzt dar- Lage, sich anders zu verhalten als die Besitzstands- stellen, wie mies und total verfehlt die Verkehrspolitik wahrungsgesellschaft auch: Überall darf etwas weg- des Herrn Ministers Dr. Krause erscheint und wie man genommen werden, nur bei mir nicht, und außerdem dies aus den Zahlen des Haushalts von 43,8 Milliarden möge sich die Volksvertretung doch an das halten, DM — immerhin mehr als 10 % des gesamten Bundes- was die Regierung sich so vorstellt und ggf. längst mit etats — herauslesen kann. Dann kommen meine den Bundesländern und deren Regierungen ausge- Kollegen von der Koalition, die sagen werden: Die handelt hat. Opposition hat ja überhaupt keine Ahnung, und einen Also wird es keine Verschiebungen von Bauinvesti- besseren Verkehrsminister hat es überhaupt noch tionen aus dem Verkehrshaushalt in den Wohnungs- nicht gegeben. bauetat oder in den Hochschulbauetat geben, und (Heiterkeit — Beifall bei der CDU/CSU und also werden selbst die konsequentesten umweltorien- der F.D.P.) tiertesten —ich weiß nicht, ob man das Wort „umwelt- Dann wird sich auch der Bundesverkehrsminister an orientiert" steigern kann — Mitglieder des Bundesta- dieses Pult stellen und sich ganz artig bei den Koali- ges bei grundsätzlicher Ablehnung jeglichen Straßen- tionsabgeordneten bedanken, daß seine großartigen baus dafür kämpfen, daß die eine Straße im eigenen Leistungen gelobt worden sind, und seiner Freude Wahlkreis jedenfalls noch finanziert wird. darüber Ausdruck geben, daß die Opposition — lei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der — nichts zu melden hat. der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich schlage vor, daß wir dieses Ritual heute einmal weglassen. Ich gebe zu, meine Damen und Herren: So kann man natürlich auch keine Etatrede halten, obwohl (Zurufe: Nein!) meine Partei, die SPD, in der letzten Woche beschlos- Um einen anderen Einstieg zu haben, gehe ich sen hat, daß zur Politik zuallererst der Mut zur zunächst einmal das Risiko ein, von allen Seiten dieses Wahrheit gehört. Hauses verprügelt zu werden. Denn können wir (Zuruf von der SPD: Nur eine Stunde lang!) eigentlich so tun, als sei die Beratung des Verkehrs- etats eine Routineangelegenheit, die sich über Aber ich frage Sie: Muß ausgerechnet ich der Mutigste 40 Jahre eingespielt hat, oder ist das Budgetrecht sein? insgesamt tatsächlich ein Königsrecht des Parla- (Heiterkeit) ments? Sind Investitionen in die Infrastruktur nach Länderquoten und unabhängig davon, ob es sich um In der ersten Lesung des Etatentwurfs der Bundes- neue oder alte Länder handelt, nach Besitzstandswah- regierung wurde seitens der Regierung behauptet, rungsmentalität buchhalterisch vorzunehmen, oder der Verkehrsetat steige gegenüber dem Vorjahr um Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10643

Ernst Waltemathe mehr als 10 %. Diese Behauptung entspricht nicht dem nenwegebau. Und außerdem bauen auch noch Län- Mut zur Wahrheit. Denn im laufenden Jahr 1992 der und Kommunen Straßen. stehen für den normalen Verkehrsetat fast 40 Milliar- Ein ganz finsteres Kapitel in diesem Zusammen- den DM zur Verfügung, zu denen man noch knappe hang — da bitte ich den Kollegen Fischer, genau 5 Milliarden DM aus dem Programm Aufschwung Ost aufzupassen — ist der Eiertanz der Koalition um rechnen muß. Der jetzt vorgelegte Verkehrsetat 1993 bescheidene Anfänge eines Lärmsanierungspro- in der Fassung der Beschlußempfehlung des Haus- gramms an bestehenden Schienenwegen. haltsausschusses beträgt knapp 44 Milliarden DM, also weniger. Das nur wegen der Wahrheit. Ich (Zuruf von der CDU/CSU: Nur die SPD hat beklage es nicht. unbegrenzte Finanzmittel!) Auch wenn es bei meinen einleitenden Feststellun- Bereits im vergangenen Jahr hat nämlich der ver- gen möglicherweise so ausgesehen haben könnte, ich kehrspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestags- wolle den künftigen Bundesverkehrswegeplan schon fraktion, der Hamburger Kollege Dirk Fischer, ein jetzt vorweg diskutieren, so wird ein Blick in die Programm angemahnt und angekündigt: Zum Haus- Haushaltszahlen 1993 zeigen, daß dem nicht so ist. halt 1993 geht es richtig los. Und der Petitionsaus- Denn Projekte, die ihren Niederschlag in Haushaltsti- schuß des Bundestages hat in diesem Jahr in einem teln gefunden haben, entstammen allesamt den alten konkreten Fall, in dem lärmgeplagte und gesund- Planungen des alten Verkehrswegeplans und den heitsgefährdete Bürger, die an einer Strecke wohnen, Maßnahmen, die mit dem Einigungsvertrag als „Pro- auf der viel Güter- und Rangierverkehr stattfindet, jekte deutsche Einheit" vereinbart worden sind. empfohlen, daß es tatsächlich losgehen soll. Der In den Jahren 1950 bis 1990 flossen in den alten Bundestag hat sich diesem Votum des Petitionsaus- Bundesländern 344 Milliarden DM mehr Bundesmit- schusses angeschlossen — einstimmig angeschlossen. tel in Straßeninvestitionen als in Schieneninvestitio- Das war im ersten Halbjahr dieses Jahres. nen. In diesem Zeitraum — daran waren mehrere Der Staatssekretär Wolfgang Gröbl hat meiner Kol- Bundesregierungen aller möglichen Farben betei- legin Verena Wohlleben am 19. Juni 1992 schriftlich ligt — wurden allein bundesseitig etwa 150- 000 km mitgeteilt, daß der Bundesverkehrsminister für den neue Straßen gebaut. Gleichzeitig wurden aber auch Haushalt 1993 einen entsprechenden Titel einge- viele tausend Kilometer Bahnstrecken stillgelegt und bracht habe. Im übrigen hat er darum gebeten, das lediglich ganze 600 km neue Schienenwege in Parlament möge seine Einflußmöglichkeiten aus- Betrieb genommen. schöpfen, damit die Gleichbehandlung von Schiene Diese Tendenz setzt sich nach dem Haushaltsent- und Straße erreicht werde; denn für die Lärmsanie- wurf 1993 weiter fort. Während in der Gesamtrepublik rung an Bundesstraßen gäbe es bereits Haushaltsmit- 4 Milliarden DM für den Umbau und Ausbau von tel seit 1978. Das hat Herr Gröbl geschrieben. Gut Autobahnen und weitere 3,4 Milliarden DM für den gebrüllt, bayerischer Löwe! Bundesfernstraßenneubau vorgesehen sind — der (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Er brüllt Straßenbauplan insgesamt, der ja auch Instandhal- immer gut!) tungskosten, Verkehrszeichen etc. enthält, macht also etwa 10,8 Milliarden DM aus —, sieht die Bundesre- Allerdings hat das Bundeskabinett schon 14 Tage gierung für den Ausbau von Strecken der Reichsbahn nach diesem Brief keinen einzigen Haushaltstitel für 2,6 Milliarden DM und der Bundesbahn von 2 Milli- die Lärmsanierung an Schienenwegen beschlossen. arden DM vor. Lassen Sie sich also bitte nicht von den Aber das ist ja nicht so schlimm, es gibt ja noch das Rechentricks des Bundesverkehrsministers täu- Parlament. Also hat die SPD-Fraktion im Verkehrs- schen, ausschuß sowohl bei Bundesbahn als auch bei Reichs- bahn bescheidene Haushaltstitel beantragt und mit (Zuruf von der CDU/CSU: Was heißt hier 150 Millionen und 50 Millionen auch konkrete Zahlen Tricks?) genannt. Das war offensichtlich falsch. der wahrscheinlich aufzeigen wird, daß für die Reichs- bahn 10 Milliarden DM und für die Bundesbahn sogar Auftritt Fischer im Verkehrsausschuß: Die SPD über 12 Milliarden DM zu Buche schlagen. Das ist beantragt zuwenig; deshalb müsse der Antrag abge- alles wahr. Das sind über 22 Milliarden DM. Aber lehnt werden. darin stecken über 6 Milliarden DM für gemeinwirt- (Lachen bei der SPD) schaftliche Kosten, Ich vermute einmal, daß Herr Fischer gemeint hat, (Zurufe von der SPD und der CDU/CSU) im Bundeshaushalt gäbe es nur noch Milliarden, und zu gut Deutsch: für das Fahren unter Kosten, weitere deshalb könnten Millionen nicht mehr bewilligt wer- 5,5 Milliarden DM für Versorgungslasten — sprich: den. Na, gut. Im Haushaltsausschuß haben wir es Pensionen und Altersansprüche —, und bei der dann noch einmal versucht. Aber auch da wurde der Reichsbahn müssen für über 5 Milliarden DM Instand- Antrag abgelehnt. Begründung: Die SPD beantragt haltungen nachgeholt und Investitionen für rollendes zuviel. al und bestehende Streckensicherung finan- Materi (Lachen bei der SPD — Gerhard O. Pfeffer ziert werden. Der Vorrang für die Schiene bei den mann [CDU/CSU]: Die SPD spricht halt nicht Investitionen für den Streckenausbau im Vergleich mit einer Zunge!) zum Straßenbau ist also nicht in den globalen Zahlen gegeben, sondern im Gegenteil: Die Investitionen im Also, Bundestagsbeschlüsse haben keinen Wert, Straßenbau übersteigen die Investitionen im Schie Begründungen können wechseln. 10644 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Ernst Waltemathe Aber da gibt es noch den Herrn Gröbl. Der schreibt erwähnten 20. Januar des nächsten Jahres behandeln, am 4. November, vor 22 Tagen, erneut an meine soweit sich der Haushaltsausschuß damit befassen Kollegin Wohlleben: Erstens. Leider gäbe es keine muß. Mittel für die Lärmsanierung im Haushalt 1993. Zwei- tens. Aber der Bundesverkehrsminister werde aus Uns alle darf ich aber daran erinnern, daß wir in umwelt- und gesundheitspolitischen Gründen das diesem Jahr die militärische und zivile Flugsicherung Ziel weiterverfolgen. Drittens. Die parlamentarischen zusammengefaßt haben, außerdem durch ein Gesetz Beratungen des Haushalts seien noch nicht abge- und eine Verfassungsänderung dafür gesorgt haben, schlossen. — Also da offenbart sich doch ein Stück daß ab 1. Januar die Flugsicherung nicht mehr von Verlogenheit konkreter politischer Zusagen, die die- Behörden und Beamten, sondern von einer in öffent- ses Parlament einstimmig gemacht hat. licher Hand befindlichen GmbH neu geregelt wird. Wir erhoffen uns davon eine qualita tive Verbesse- (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und rung, aber auch eine Haushaltsentlastung. Wir sehen dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) aber auch den Zusammenhang zwischen der Höhe Zur Bahnreform, die bevorsteht, nur wenige Worte: der Flugsicherungsgebühren und den Kosten und Die SPD wird bereit sein, sich an den Beratungen aktiv Ertragssituationen von Flugverkehrsgesellschaften. zu beteiligen. In der Sache werden wir dies in einem Nächstes Stichwort: Wasserwege. Gerade was engen Schulterschluß mit der Gewerkschaft der Güterverkehrswege anbelangt, scheint das große Eisenbahner Deutschlands tun. Wir werden uns, wenn Zauberwort „just in time" — ein schönes deutsches in den einzelnen Sachpunkten Einigung erzielt wird, Wort — zu lauten; denn Besteller und Versender von auch einer notwendigen Änderung des Art. 87 des Gütern und Waren aller Art wollen sich von Lage- Grundgesetzes nicht verweigern. Das ist aber keine rungskosten in ihrem jeweiligen Betrieb befreien und Blankozusage. betrachten offensichtlich in erster Linie Bundesauto- Herr Minister Krause, ich empfehle Ihnen dringend, bahnen und auch Schienenwege als rollende Lager- sich bei Herrn Schwarz-Schilling anzusehen, wie man stätten. „Just in time" soll also zum Ausdruck bringen, daß bestellte Ware zu dem Zeitpunkt eintrifft, zu dem es mit der Opposi tion jedenfalls nicht machen- sollte. Sie mögen bitte lernen, daß von vornherein sachge- sie für die Weiterverarbeitung oder für den H andel mäße Vorstellungen der Opposition in Ihre Überle- benötigt wird. Aber heißt das eigentlich auch, daß gungen einbezogen werden. Güter innerhalb von 24 Stunden zwischen Bestellung und Lieferung transportiert werden müssen? Das Thema Bahnreform schlägt sich aber im Haus- halt 1993 noch nicht nieder; das kann es auch noch Unverkennbar bieten Binnenwasserstraßen und nicht. Auf Vorschlag der Kollegen Bohlsen, Zywietz auch die Seewege der Küstenschiffahrt insbesondere und von mir hat sich der Haushaltsausschuß darauf für unverderbliche Ware große Vorteile ökonomischer verständigt, daß diese Beratungen, soweit sie die und ökologischer Art. Sie sind, bezogen auf die finanziellen Aspekte anbelangen, am 20. Januar 1993 transportierten Warentonnen, energiesparende beginnen werden, um jetzt nicht die Haushaltsbera- Wege, und sie erzeugen weniger Landschaftsver- tungen damit zu belasten. brauch. Es müssen durch entsprechende Rahmenbe- Im Zusammenhang mit der ebenfalls bevorstehen- dingungen und logistische Konzepte mehr Güter den Beschäftigung des Parlaments mit dem neuen insbesondere von den Straßen herunter und auf die Bundesverkehrswegeplan, der sich auch noch nicht Wasserwege heraufgebracht werden. im Haushalt 1993 niederschlägt, macht es wenig Sinn, (Beifall bei der SPD — Dirk Fischer [Ham Bundesmittel der Zukunft, die für den Ausbau von burg] [CDU/CSU]: Deswegen war die SPD Schienenwegen im Zuge von Hochgeschwindigkeits- auch für den Main-Donau-Kanal!) strecken dringend benötigt werden, einfach für eine Transrapidstrecke umzuwidmen, von der nur wenige Dazu bedarf es gezielter Anreize und einer Forcierung etwas haben würden, die nur wenig Verkehrsbe- von Güterverkehrszentren für den kombinierten schleunigung bringen würde und die weder in das Warenverkehr. Rad-Schienen-System integriert sein würde, noch mit Der Seeschiffsverkehr — zweites Stichwort bei den dem System des Regionalflugverkehrs kooperieren maritimen und wasserpolitischen Themen — ist für könnte. Da aber auch der Transrapid im Bundeshaus- eine außenhandelsorientierte Nation lebens- und halt noch nicht vorkommt, will ich mir auch dazu überlebenswichtig. Mit Bestürzung ist festzustellen, weitere Worte jetzt ersparen. daß nach den eigenen Angaben des Bundesverkehrs- Wir haben den Bundesverkehrsminister einver- ministers bzw. der von ihm beauftragten Wirtschafts- nehmlich und rechtzeitig darum gebeten, uns seine prüfungsgesellschaft Treuarbeit in diesem Jahr 88 Vorstellungen über die künftige Gestaltung des Flug- neue, erstmalige Ausflaggungen aus der deutschen verkehrs, seine finanziellen, umwelt- und verkehrs- Flagge vorgenommen worden sind und daß nur noch politischen Aufgaben oder Risiken und daraus u. a. etwa 50 % der von deutschen Reedern disponierten herzuleitende Planungskonzeptionen für Verkehrs Ladungen unter deutscher Flagge geführt werden. flughäfen vorzulegen. Das Gutachten besagt auch, daß das Durchschnitts- Auch dieser Themenkomplex kann im Rahmen der alter der Schiffe der deutschen Handelsflotte von diesjährigen Haushaltsdebatte nicht annähernd sach- sechs auf neun Jahre gestiegen ist und daß der lich erläutert werden. Ich gehe davon aus, daß uns mit Wettbewerbsnachteil der deutschen Flagge bei den Schlagworten allein nicht gedient wäre. Wir werden Betriebskosten unserer Handelsflotte zwischen 320 deshalb auch diese Themengruppe an dem schon und 480 Millionen DM pro Jahr liegt. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10645

Ernst Waltemathe Angesichts der sich abzeichnenden prekären Lage trägt. Deshalb werden wir den Einzelplan 12 ableh- der deutschen Seeschiffahrt haben die Fraktionen des nen. Bundestages einvernehmlich bereits vor anderthalb Vielen Dank. Jahren den Bundesfinanzminister aufgefordert, die (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und steuerlichen Rahmenbedingungen so zu setzen, daß beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — Zuruf wir einerseits auf Direktzuschüsse, sprich: Subventio- von der F.D.P.: Die Entwicklung wird Sie nen, verzichten können, andererseits aber ein Teil der widerlegen!) Wettbewerbsnachteile kompensiert wird, was ich eben geschildert habe. Im Gegensatz zu dieser eindeutigen Aufforderung Vizepräsident Hans Klein: Ich unterbreche die hat sich die Lage bei den ertragsunabhängigen Steu- Behandlung dieses Tagesordnungspunktes zur Be- ern verschlechtert. Der Bundesfinanzminister hat kanntgabe des von den Schriftführern und Schriftfüh- außerdem keinerlei Beitrag geliefert, um z. B. den rerinnen ermittelten Ergebnisses der namentlichen Montageerlaß, der die Lohn- und Einkommensteu- Abstimmung über den Änderungsantrag der Gruppe erabgaben senken würde, für die deutsche See- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Einzelplan 09 auf schiffahrt anwendungsfähig zu machen. Drucksache 12/3814. Abgegeben wurden 577 Stim- men, ungültig waren keine, mit Ja haben gestimmt Die Bundesregierung insgesamt und nicht nur der 211, mit Nein 363, Enthaltungen drei. Bundesverkehrsminister möge deshalb erklären, ob sie eine Handelsflotte unter deutscher Flagge für die Bewältigung unseres Außenhandels für notwendig Endgültiges Ergebnis Gansel, Norbert Dr. Gautier, Fritz hält. Abgegebene Stimmen: 577; Gilges, Konrad (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Selbst davon: Gleicke, Iris Dr. Glotz, Peter redend!) ja: 211 Graf, Günter Haack (Extertal), nein: 363 Die Untätigkeit des Finanzministers hat dazu geführt, Karl Hermann daß das Parlament erneut in den sauren Apfel- beißen enthalten: 3 Habermann, Michael muß, um einigermaßen auskömmliche Finanzbei- Hacker, Hans-Joachim träge für die deutsche See- und Küstenschiffahrt zu Ja Hämmerle, Gerlinde bewilligen und dem bereits eingetretenen Ausflag- Hanewinckel, Christel SPD Dr. Hartenstein, Liesel gungstrend entgegenzutreten sowie den Reedern Hasenfratz, Klaus wenigstens etwas Planungssicherheit für ihre wirt- Adler, Brigitte Dr. Hauchler, Ingomar schaftlichen Dispositionen zu bieten. Barbe, Angelika Heistermann, Dieter Bartsch, Holger Heyenn, Günther (Beifall bei der SPD) Becker (Nienberge), Helmuth Hiller (Lübeck), Reinhold Becker-Inglau, Ingrid Hilsberg, Stephan Der Vorschlag des Haushaltsausschusses, der auch Berger, Hans Horn, Erwin von der SPD mitgetragen wird, obwohl wir eine Beucher, Friedhelm Julius Huonker, Gunter höhere Summe für erforderlich gehalten hätten, ist mit Bindig, Rudolf Iwersen, Gabriele Blunck, Lieselott Jäger, Renate 115 Millionen DM äußerst knapp bemessen. Rück- Bock, Thea Janz, Ilse flaggungen auf die deutsche Flagge sind bei dieser Dr. Böhme (Unna), Ulrich Dr. Janzen, Ulrich Lage, wie ich befürchte, kaum zu erwarten. Wir und Börnsen (Ritterhude), Arne Dr. Jens, Uwe der Verkehrsminister werden zu berücksichtigen Brandt-Elsweier, Anni Jung (Düsseldorf), Volker Dr. Brecht, Eberhard Jungmann (Wittmoldt), Horst haben, daß nach der Sanierung auch die Seeschiffahrt Büchner (Speyer), Peter Kastning, Ernst von Mecklenburg-Vorpommern aus eine Zukunfts- Dr. von Bülow, Andreas Klose, Hans-Ulrich chance haben muß und daß auch dort hoffentlich kurz- Bulmahn, Edelgard Dr. Knaape, Hans-Hinrich und mittelfristig Möglichkeiten für eine mittelständi- Burchardt, Ursula Körper, Fritz Rudolf Bury, Hans Martin Kolbow, Walter sche Küstenschiffahrt durch Reederkapitäne entste- Caspers-Merk, Marion Koschnick, Hans hen. Catenhusen, Wolf-Michael Dr. Kübler, Klaus Conradi, Peter Dr. Küster, Uwe Ich möchte mich bei meinen Kollegen Bohlsen und Daubertshäuser, Klaus Kuhlwein, Eckart Zywietz für die gute und kollegiale Zusammenarbeit Dr. Diederich (Berlin), Nils Lambinus, Uwe bedanken. Ich gehe davon aus, daß sich diese Zusam- Diller, Karl Lange, Brigitte Dr. Dobberthien, Marliese von Larcher, Detlev menarbeit auch fortsetzen wird. Ich möchte mich aber Dreßler, Rudolf Lennartz, Klaus auch beim Herrn Bundesverkehrsminister für die Duve, Freimut Dr. Leonhard-Schmid, Elke Zusammenarbeit mit den Damen und Herren seines Ebert, Eike Lohmann (Witten), Klaus Hauses und insbesondere dem neuen Leiter des Dr. Eckardt, Peter Dr. Lucyga, Christine Dr. Ehmke (Bonn), Horst Maaß (Herne), Dieter Haushaltsreferats bedanken. Eich, Ludwig Mascher, Ulrike Obwohl aus meinen Ausführungen hervorging, daß Dr. Elmer, Konrad Matschie, Christoph Erler, Gernot Dr. Matterne, Dietmar Teile des Verkehrsetats auch unsere Zustimmung Esters, Helmut Matthäus-Maier, Ingrid finden, glauben wir doch, daß der Verkehrshaushalt Ewen, Carl Meckel, Markus eine Schlagseite hat, daß er mehr Straßenverkehr Ferner, Elke Mehl, Ulrike verursacht, zur Abkoppelung von Bahn und Schiff Fischer (Gräfenhainichen), Meißner, Herbert Evelin Dr. Mertens (Bottrop), beiträgt und zu einem mit dem Schlagwort Beschleu- Fischer (Homburg), Lothar Franz-Josef nigung getarnten Durchpeitschen von Straßenbauin- Formanski, Norbert Dr. Meyer (Ulm), Jürgen teressen im Westen unserer Republik und damit zur Fuchs (Köln), Anke Mosdorf, Siegmar Verhinderung vernünftiger Verkehrskonzepte bei- Fuchs (Verl), Katrin Müller (Düsseldorf), Michael 10646 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Vizepräsident Hans Klein Müller (Schweinfurt), Rudolf Weyel, Gudrun Büttner (Schönebeck), Kalb, Bartholomäus Müller (Völklingen), Jutta Dr. Wieczorek, Norbert Hartmut Kampeter, Steffen Müller (Zittau), Christian Wieczorek (Duisburg), Helmut Buwitt, Dankward Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Neumann (Bramsche), Volker Wiefelspütz, Dieter Carstens (Emstek), Manfred Karwatzki, Irmgard Neumann (Gotha), Gerhard Wimmer (Neuötting), Dehnel, Wolfgang Kauder, Volker Dr. Niehuis, Edith Hermann Dempwolf, Gertrud Keller, Peter Dr. Niese, Rolf Dr. de With, Hans Deres, Karl Kiechle, Ignaz Odendahl, Doris Wittich, Berthold Deß, Albert Kittelmann, Peter Oostergetelo, Jan Wohlleben, Verena Diemers, Renate Klein (Bremen), Günter Opel, Manfred Wolf, Hanna Dörflinger, Werner Klein (München), Hans Ostertag, Adolf Zapf, Uta Doss, Hansjürgen Klinkert, Ulrich Dr. Penner, Willfried Dr. Zöpel, Christoph Dr. Dregger, Alfred Köhler (Hainspitz), Peter (Kassel), Horst Echternach, Jürgen Hans-Ulrich Dr. Pfaff, Martin Ehlers, Wolfgang Dr. Köhler (Wolfsburg), Pfuhl, Albert PDS/Linke Liste Ehrbar, Udo Volkmar Dr. Pick, Eckhart Eichhorn, Maria Kolbe, Manfred Poß, Joachim Bläss, Petra Engelmann, Wolfgang Kors, Eva-Maria Purps, Rudolf Dr. Enkelmann, Dagmar Eppelmann, Rainer Koschyk, Hartmut Reimann, Manfred Dr. Fischer, Ursula Eylmann, Horst Kossendey, Thomas von Renesse, Margot Dr. Fuchs, Ruth Eymer, Anke Kraus, Rudolf Rennebach, Renate Dr. Gysi, Gregor Falk, Ilse Dr. Krause (Börgerende), Rixe, Günter Dr. Heuer, Uwe-Jens Dr. Faltlhauser, Kurt Günther Roth, Wolfgang Dr. Höll, Barbara Feilcke, Jochen Dr. Krause (Bonese), Schanz, Dieter Dr. Keller, Dietmar Dr. Fell, Karl H. Rudolf Karl Dr. Scheer, Hermann Lederer, Andrea Fischer (Hamburg), Dirk Krause (Dessau), Wolfgang Schily, Otto Dr. Modrow, Hans Fockenberg, Winfried Krey, Franz Heinrich Schloten, Dieter Philip, Ingeborg Francke (Hamburg), Klaus Kriedner, Arnulf Schluckebier, Günter Dr. Schumann (Kroppenstedt), Frankenhauser, Herbert Kronberg, Heinz-Jürgen Schmidbauer (Nürnberg), Fritz Dr. Friedrich, Gerhard Dr.-Ing. Krüger, Paul Horst Dr. Seifert, Ilja Fritz, Erich G. Krziskewitz, Reiner Schmidt (Aachen), Ursula Stachowa, Angela Fuchtel, Hans-Joachim Lamers, Karl Schmidt (Nürnberg), Renate Ganz (St. Wendel), Johannes Dr. Lammert, Norbert Schmidt-Zadel, Regina Geiger, Michaela Lamp, Helmut Dr. Schmude, Jürgen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Geiger (Darmstadt), Sissy Lattmann, Herbert Dr. Schnell, Emil Geis, Norbert Dr. Laufs, Paul Schreiner, Ottmar Dr. Feige, Klaus-Dieter Dr. von Geldern, Wolfgang Laumann, Karl-Josef Schröter, Gisela Köppe, Ingrid Gerster (Mainz), Johannes Lehne, Klaus-Heiner Schröter, Karl-Heinz Poppe, Gerd Gibtner, Horst Dr. Lieberoth, Immo Schütz, Dietmar Schenk, Christina Glos, Michael Limbach, Editha Schulte (Hameln), Brigitte Schulz (Berlin), Werner Dr. Göhner, Reinhard Link (Diepholz), Walter Dr. Schuster, R. Werner Dr. Ullmann, Wolfgang Göttsching, Martin Lintner, Eduard Schwanhold, Ernst Wollenberger, Vera Götz, Peter Dr. Lischewski, Manfred Schwanitz, Rolf Gres, Joachim Löwisch, Sigrun Seuster, Lisa Grochtmann, Elisabeth Lohmann (Lüdenscheid), Sielaff, Horst Fraktionslos Gröbl, Wolfgang Wolfgang Simm, Erika Grotz, Claus-Peter Louven, Julius Singer, Johannes Dr. Briefs, Ulrich Dr. Grünewald, Joachim Lummer, Heinrich Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid Günther (Duisburg), Horst Maaß (Wilhelmshaven), Erich Dr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Frhr. von Hammerstein, Männle, Ursula Sorge, Wieland Carl-Detlev Magin, Theo Steen, Antje-Marie Nein Haschke (Großhennersdorf), Dr. Mahlo, Dietrich Steiner, Heinz-Alfred Gottfried Marienfeld, Claire CDU/CSU Stiegler, Ludwig Hasselfeldt, Gerda Marschewski, Erwin Dr. Struck, Peter Haungs, Rainer Marten, Günter Dr. Ackermann, Else Tappe, Joachim Hauser (Esslingen), Otto Dr. Mayer (Siegertsbrunn), Adam, Ulrich Terborg, Margitta Hauser (Rednitzhembach), Martin Dr. Altherr, Walter Franz Dr. Thalheim, Gerald Hansgeorg Meckelburg, Wolfgang Augustin, Anneliese Thierse, Wolfgang Hedrich, Klaus-Jürgen Meinl, Rudolf Augustinowitz, Jürgen Titze, Uta Heise, Manfred Dr. Merkel, Angela Toetemeyer, Hans-Günther Austermann, Dietrich Dr. Hellwig, Renate Dr. Meseke, Hedda Urbaniak, Hans-Eberhard Bargfrede, Heinz-Günter Dr. h. c. Herkenrath, Adolf Dr. Meyer zu Bentrup, Vergin, Siegfried Dr. Bauer, Wolf Hinsken, Ernst Reinhard Verheugen, Günter Baumeister, Brigitte Hintze, Peter Michalk, Maria Dr. Vogel, Hans-Jochen Bayha, Richard Hörsken, Heinz-Adolf Michels, Meinolf Voigt (Frankfurt), Karsten D. Belle, Meinrad Hörster, Joachim Dr. Mildner, Klaus Wagner, Hans Georg Dr. Bergmann-Pohl, Sabine Dr. Hoffacker, Paul Dr. Möller, Franz Wallow, Hans Bierling, Hans-Dirk Dr. Hornhues, Karl-Heinz Müller (Kirchheim), Elmar Waltemathe, Ernst Dr. Blank, Joseph-Theodor Hornung, Siegfried Müller (Wesseling), Alfons Walter (Cochem), Ralf Blank, Renate Hüppe, Hubert Nelle, Engelbert Walther (Zierenberg), Rudi Dr. Blens, Heribert Jäger, Claus Dr. Neuling, Christian Wartenberg (Berlin), Gerd Bleser, Peter Jaffke, Susanne Nitsch, Johannes Dr. Wegner, Konstanze Dr. Blüm, Norbert Jagoda, Bernhard Nolte, Claudia Weiermann, Wolfgang Dr. Böhmer, Maria Dr. Jahn (Münster), Dr. Olderog, Rolf Weiler, Barbara Börnsen (Bönstrup), Wolfgang Friedrich-Adolf Ost, Friedhelm Weis (Stendal), Reinhard Dr. Bötsch, Wolfgang Janovsky, Georg Oswald, Eduard Weisheit, Matthias Bohlsen, Wilfried Jeltsch, Karin Otto (Erfurt), Norbert Weißgerber, Gunter Borchert, Jochen Dr. Jobst, Dionys Dr. Päselt, Gerhard Weisskirchen (Wiesloch), Gert Brähmig, Klaus Dr.-Ing. Jork, Rainer Dr. Paziorek, Peter Dr. Wernitz, Axel Breuer, Paul Dr. Jüttner, Egon Pesch, Hans-Wilhelm Wester, Hildegard Brudlewsky, Monika Jung (Limburg), Michael Petzold, Ulrich Westrich, Lydia Brunnhuber, Georg Junghanns, Ulrich Pfeffermann, Gerhard O. Dr. Wetzel, Margrit Bühler (Bruchsal), Klaus Dr. Kahl, Harald Pfeifer, Anton Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10647

Vizepräsident Hans Klein Pfeiffer, Angelika Dr. Stercken, Hans Dr.-Ing. Laermann, Karl-Hans Dr. von Teichman, Cornelia Dr. Pfennig, Gero Dr. Frhr. von Stetten, Leutheusser-Schnarrenberger, Thiele, Carl-Ludwig Dr. Pinger, Winfried Wolfgang Sabine Dr. Thomae, Dieter Pofalla, Ronald Stockhausen, Karl Lüder, Wolfgang Timm, Jürgen Dr. Pohler, Hermann Strube, Hans-Gerd Lühr, Uwe Walz, Ingrid Priebus, Rosemarie Stübgen, Michael Dr. Menzel, Bruno Dr. Weng (Gerlingen), Dr. Probst, Albert Dr. Süssmuth, Rita Mischnick, Wolfgang Wolfgang Dr. Protzner, Bernd Susset, Egon Möllemann, Jürgen W. Wolfgramm (Göttingen), Pützhofen, Dieter Tillmann, Ferdi Nolting, Günther Friedrich Torsten Rahardt-Vahldieck, Susanne Dr. Töpfer, Klaus Würfel, Uta Uldall, Gunnar Dr. Ortleb, Rainer Raidel, Hans Zurheide, Burkhard Dr. Ramsauer, Peter Verhülsdonk, Roswitha Otto (Frankfurt), Zywietz, Werner Rau, Rolf Vogel (Ennepetal), Friedrich Hans-Joachim Rauen, Peter Harald Vogt (Düren), Wolfgang Paintner, Johann Rawe, Wilhelm Dr. Vondran, Ruprecht Peters, Lisa Reddemann, Gerhard Dr. Waffenschmidt, Horst Dr. Pohl, Eva Fraktionslos Regenspurger, Otto Dr. Waigel, Theodor Richter (Bremerhaven), Reichenbach, Klaus Graf von Waldburg-Zeil, Alois Manfred Lowack, Ortwin Dr. Reinartz, Bertold Dr. Warnke, Jürgen Rind, Hermann Reinhardt, Erika Dr. Warrikoff, Alexander Dr. Röhl, Klaus Repnik, Hans-Peter Werner (Ulm), Herbert Schäfer (Mainz), Helmut Dr. Rieder, Norbert Wiechatzek, Gabriele Schmalz-Jacobsen, Cornelia Riegert, Klaus Dr. Wieczorek (Auerbach), Schmidt (Dresden), Arno Enthalten Heinz Bertram Dr. Riesenhuber, Dr. Schnittler, Christoph Ringkamp, Werner Dr. Wilms, Dorothee Schüßler, Gerhard CDU Rode (Wietzen), Helmut Wilz, Bernd Schuster, Hans Rönsch (Wiesbaden), Wimmer (Neuss), Willy Haschke (Jena), Udo Hannelore Dr. Wisniewski, Roswitha Dr. Schwaetzer, Irmgard Dr. Luther, Michael Romer, Franz • Wissmann, Matthias Sehn, Marita Dr. Rose, Klaus Dr. Wittmann, Fritz Seiler-Albring, Ursula Rossmanith, Kurt J. Wittmann (Tännesberg), Dr. Semper, Sigrid F.D.P. Roth (Gießen), Adolf Simon Dr. Solms, Hermann Otto Rother, Heinz Wonneberger, Michael Dr. Starnick, Jürgen Türk, Jürgen Dr. Ruck, Christian Wülfing, Elke Rühe, Volker Würzbach, Peter Kurt Dr. Rüttgers, Jürgen Zeitlmann, Wolfgang Sauer (Salzgitter), Helmut Zierer, Benno Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt. Sauer (Stuttgart), Roland Zöller, Wolfgang Wer stimmt für den Einzelplan 09 in der Ausschuß- Scharrenbroich, Heribert Schätzle, Ortrun fassung? — Gegenprobe? — Enthaltungen? — Der Dr. Schäuble, Wolfgang F.D.P. Einzelplan 09 ist angenommen. Schartz (Trier), Günther Scheu, Gerhard Albowitz, Ina Wir fahren in der Aussprache über den Verkehrs- Schmalz, Ulrich Dr. Babel, Gisela haushalt fort. Ich erteile das Wort dem Kollegen Schmidbauer, Bernd Baum, Gerhart Rudolf Wilfried Bohlsen. Schmidt (Fürth), Christian Beckmann, Klaus Dr.-Ing. Schmidt (Halsbrücke), Dr. Blunk (Lübeck), Joachim Michaela Schmidt (Mülheim), Andreas Bredehorn, Günther Wilfried Bohlsen (CDU/CSU): Herr Präsident! Schmidt (Spiesen), Trudi Cronenberg (Arnsberg), Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Schmitz (Baesweiler), Dieter-Julius Hans Peter Eimer (Fürth), Norbert Damen und Herren! Die Haushaltsberatungen 1993 von Schmude, Michael Engelhard, Hans A. sind geprägt von unserem festen Willen zu Einsparun- Dr. Schneider (Nürnberg), van , Jörg gen. Bei diesem Diktat knapper werdender Kassen Oscar Dr. Feldmann, Olaf muß natürlich auch der Verkehrshaushalt seinen Dr. Schockenhoff, Andreas Friedhoff, Paul K. Graf von Schönburg - Beitrag leisten. Zum einen geht es um den Abbau Friedrich, Horst einigungsbedingter Haushaltsdefizite und zum ande- Glauchau, Joachim Funke, Rainer Dr. Scholz, Rupert Dr. Funke-Schmitt-Rink, ren um zusätzliche Einsparungen im Haushalt 1993. Frhr. von Schorlemer, Margret Von diesen Einsparungen ist natürlich auch der Ein- Reinhard Gallus, Georg Dr. Schreiber, Harald zelplan 12, der Haushaltsplan des Bundesministers für Schulhoff, Wolfgang Ganschow, Jörg Verkehr, durch eine globale Minderausgabe in Höhe Dr. Schulte (Schwäbisch Genscher, Hans-Dietrich von 465 Millionen DM betroffen. Dies ist rund 1 % des Gmünd), Dieter Grünbeck, Josef Volumens des Verkehrshaushaltes. Diese Einsparung Schulz (Leipzig), Gerhard Grüner, Martin Schwalbe, Clemens Günther (Plauen), Joachim galt es zu realisieren, wobei auch Kürzungen bei den Schwarz, Stefan Dr. Guttmacher, Karlheinz Investitionsmitteln erforderlich waren. Dr. Schwarz-Schilling, Hackel, Heinz-Dieter Dabei will ich allerdings anmerken, daß sich der Christian Hansen, Dirk Dr. Schwörer, Hermann Dr. Haussmann, Helmut Einsicht in die Notwendigkeit von Einsparungen kei- Seesing, Heinrich Heinrich, Ulrich ner wird verschließen können. Gleichwohl ist festzu- Seibel, Wilfried Dr. Hirsch, Burkhard halten, daß die Verkehrsinvestitionen auch Auswir- Seiters, Rudolf Dr. Hitschler, Walter kungen auf die Baunachfrage wie auch auf den Sikora, Jürgen Dr. Hoth, Sigrid Skowron, Werner H. Arbeitsmarkt haben, so daß wir gerade bei den Dr. Hoyer, Werner Dr. Sopart, Hans-Joachim Investitionen den Bogen nicht überspannen dürfen. Sothmann, Bärbel Irmer, Ulrich Spilker, Karl-Heinz Kleinert (Hannover), Detlef Dennoch kann festgehalten werden, daß der Ver- Spranger, Carl-Dieter Kohn, Roland kehrshaushalt trotz dieser globalen Minderausgabe Dr. Sprung, Rudolf Dr. Kolb, Heinrich L. mit einem Gesamtvolumen von 43,87 Milliarden DM Steinbach-Hermann, Erika Koppelin, Jürgen weiterhin auf einem hohen Niveau gefahren wird und 10648 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Wilfried Bohlsen wir mit voraussichtlich rund 25,6 Milliarden DM im Unfallentwicklung und wir erwarten von der Entwick- Einzelplan 12 den größten Investitionsanteil haben. lung des EG-Binnenmarktes Auswirkungen auch auf Insgesamt darf ich feststellen, daß dieses Investitions- das Unfallgeschehen in unserem Lande. Die Ver- volumen den weiteren Ausbau der Verkehrsinfra- kehrssicherheit hängt im wesentlichen von drei Fak- struktur in den alten wie in den neuen Bundesländern toren ab, von sicheren Straßen, sicheren Fahrzeugen sichert. und verantwortungsbewußten und rücksichtsvollen Fahrern als Verkehrsteilnehmer im Straßenverkehr. Gestatten Sie mir, daß ich auch noch ein wenig auf Deswegen kommt der Verkehrserziehung und der die Anmerkungen des Kollegen Waltemathe eingehe, Verkehrsaufklärung eine besondere Bedeutung zu. der insbesondere die Lärmschutzmaßnahmen an bestehenden Schienenstrecken angesprochen hat, Wir werteten es im Haushaltsausschuß als Erfolg, ein Thema, dessen wir uns sehr wohl bei diesen daß die ursprünglich beabsichtigte Einsparung bei Beratungen wie auch im Vorjahr angenommen, weil diesem Titel verhindert werden konnte. Eine leichte wir es für notwendig gehalten haben. Meine Darle- pauschale Kürzung des ursprünglichen Ansatzes ließ gungen zu den erheblichen Einsparungen machen sich jedoch leider nicht verhindern. Mit nunmehr aber deutlich, unter welchem Gebot die Haushaltsbe- 36,1 Millionen DM für die Verkehrssicherheit ist ratungen standen, so daß wir diese Maßnahme finan- sichergestellt, daß die bundesweit erfolgreiche Kam- ziell nicht umsetzen konnten; die Notwendigkeit aber pagne „Rücksicht kommt an" auch im Jahre 1993 erkennen wir. fortgesetzt werden kann. Dabei liegen die Schwer- punkte bei den schwächeren Verkehrsteilnehmern Wie der Kollege Waltemathe habe auch ich als und — das sei nicht unerwähnt — bei den Alkoholde- zuständiger Berichterstatter an der Verkehrsaus- likten. schußsitzung teilgenommen und war überrascht, fest- stellen zu müssen, daß von der Opposition Ände- Bei dieser Gelegenheit will ich noch mal den Dank rungsanträge mit einem Aufwuchs von über 1 Milli- an diejenigen aussprechen, die erhebliche Arbeit für arde DM eingebracht wurden, ohne daß entspre- die Verkehrssicherheit leisten. Hierbei nenne ich chende Deckungsvorschläge gemacht wurden. Das insbesondere den Deutschen Verkehrssicherheitsrat bemängele ich. Wenn ich intern nachgefragt- habe, und die Deutsche Verkehrswacht mit ihren Landes-, woher wir denn die Mittel nehmen sollen, wurde Kreis- und Ortsorganisationen und nicht zuletzt die hinter vorgehaltener Hand gesagt: Von den Straßen- rund 100 000 ehrenamtlichen Mitarbeiter, die zum baumitteln. Da Herr Waltemathe nach dem Mutigsten Schutze der schwächeren Verkehrsteilnehmer tätig gefragt hat, wollen wir ihn heute zum Mutigsten sind. Ihnen Dank zu sagen, sei uns eine Verpflich- machen und streichen erst einmal die Mittel für tung. Bremen. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und SPD) der F.D.P.) Ohne deren Mitarbeit wäre die Verkehrssicherheits- Meine Damen und Herren, ein weiteres Thema hat arbeit nicht zu leisten. . der Kollege Waltemathe angesprochen, die Binnen- Lassen Sie mich auf einige Haushaltstitel zu spre- wasserstraßen. Wer meinen letzten Redebeitrag noch chen kommen, bei denen wir positive Veränderungen im Ohr hat, weiß, daß ich mich nachhaltig für den bewirken konnten. Ich nenne in diesem Zusammen- umweltfreundlichen Weg der Binnenwasserstraßen hang die Finanzbeiträge für die Seeschiffahrt, die vom eingesetzt habe. Dies hat die Koalition immer wieder Kollegen Waltemathe bereits angesprochen wurden. sehr deutlich untermauert. Bedauerlich ist in diesem Als Abgeordneter von der Küste ist es mir ein beson- Zusammenhang, daß die Opposition gegen den Aus- deres Anliegen, noch einmal auf die Notwendigkeit bau des Main-Donau-Kanals war. Für uns war es auch des Erhalts der deutschen Handelsflotte hinzuweisen, schmerzlich, feststellen zu müssen, daß gerade die und zwar nicht zuletzt deswegen, weil Deutschland wichtige Binnenwasserstraße der Ost-West-Verbin- nun einmal ein stark exportorientiertes Land mit einer dung, der Mittellandkanal, einen hohen Ausbaugrad Schlüsselfunktion für die maritime Wirtschaft in der hat, die Rot-Grünen in Hannover aber den Ausbau der Küstenregion ist. Es ist in diesem Zusammenhang Stadtstrecke blockieren, den wir wünschen. Das ist die unser Bemühen, die Arbeitsplätze Deutscher an Bord Widersprüchlichkeit, mit der Sie sich auseinanderset- deutscher Schiffe zu sichern. Dabei müssen wir aller- zen müssen, aber nicht wir. dings feststellen, daß Seeschiffahrt unter nationaler (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Flagge ohne staatliche finanzielle Förderung nicht Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich! — möglich ist. Zuruf von von der F.D.P.: Aber Geld ausge Der Grund liegt in den zu hohen Betriebskosten, der ben!) Betriebskostendifferenz. Hier sind insbesondere die Personalkosten im Verhältnis zu denen bei Offenregi- Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir auch, sterflaggen zu nennen. Daher ist eine geeignete daß ich auf einige Details des Einzelplans 12 eingehe. Förderung des Verkehrsträgers Seeschiffahrt durch Ich nenne heute insbesondere einmal die Maßnahmen eine Austockung der Finanzbeiträge erforderlich. Wir der Verkehrserziehung und der Verkehrsaufklä- konnten hier mehr als eine Verdoppelung erreichen. rung. Dafür ist in diesem Haushalt ein Volumen von Ich will den Beteiligten in allen Fraktionen Dank dafür 36,1 Millionen DM bereitgestellt. Fakten zwingen den sagen. Bund dazu, auf dem Gebiet der Verkehrssicherheit weiter präsent zu sein, denn wir haben in den neuen In diesem Zusammenhang haben wir auch die Bundesländern nach wie vor eine besorgniserregende Flaggenbindungfrist auf zwei Jahre festgesetzt und Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10649

Wilfried Bohlsen für das Folgejahr eine Verpflichtungsermächtigung fernstraßenbaus. Unabhängig hiervon besteht aller- von 100 Millionen DM eingestellt. Ich meine, daß wir dings große Sorge über die derzeitige finanzielle uns bemühen sollten, die Ausflaggung ein wenig zu Entwicklung der beiden deutschen Bahnen. Auch stoppen. hierüber müssen wir im Rahmen der zukünftigen Verkehrspolitik noch einmal deutlich sprechen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch einen Titel ansprechen, der zwar nicht den Verkehrs- haushalt betrifft, der aber zuvor im Rahmen des Durch die derzeitige Konjunkturlage entsteht eine Einzelplans 09 behandelt wurde. Das ist die Werften zusätzliche große Belastung in Form von Einbrüchen förderung. Als Abgeordneter von der Küste freue ich im Güterverkehr bei den beiden Bahnen. Das macht mich, daß es auch hier gelungen ist, einige Aufstok- für mich sichtbar, daß wir das Bemühen verstärken kungen durchzusetzen. Auch dies dienst insbeson- müssen, die Verwirklichung der Bahnstrukturreform dere dem Erhalt von Arbeitsplätzen an der Küste. vordringlich zu behandeln. Nach einer im Frühsom- mer von Bahnchef Heinz Dürr angestellten Hochrech- Wenn der Bundeskanzler in seinem gestrigen Bei- nung kostet jeder Monat Verzögerung viele, viele trag gesagt hat, es gibt geheimnisvolle Kräfte, die im Millionen DM Steuergelder. Darum ist Eile geboten. Meer wirken und aus dem Meer aufsteigen, wenn es Wir unterstützen daher Ihre Vorstellungen, Herr Bun- um die Förderung von Interessen der Menschen an desverkehrsminister, die Reform schneller zu verwirk- der Küste geht, dann darf ich feststellen, daß sich lichen, als der Zeitplan es bislang vorsah. Der sprung- dieses Wort auf Abgeordnete aller Fraktionen bezieht. hafte Zuwachs der Defizite und der Gesamtverschul- Allen, die an der Entscheidung mitgewirkt haben, dung duldet keine Verzögerung und keine Verta- möchte ich meinen Dank sagen. gung. Ich erwähne in diesem Zusammenhang noch einmal die Bedeutung des Seeverkehrs. Ich hatte in diesem Abschließend noch einige Anmerkungen zum Sommer Gelegenheit, mit den Berichterstattern des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. Der Bund Verkehrsausschusses, Herrn Waltemathe und Herrn gibt den Ländern im kommenden Haushaltsjahr Zywietz, Gespräche im schwedischen Verkehrsmini-- Finanzhilfen in einem Volumen von 6,28 Milliarden sterium zu führen. Es ging dabei um den Beitritt DM. Das sind immerhin 1,5 Milliarden DM mehr als im Schwedens zur EG und die dadurch entstehenden Vorjahr. Was die Finanzhilfen nach dem Gemeinde- Auswirkungen auf den deutschen Verkehrsmarkt. verkehrsfinanzierungsgesetz angeht, so wird aller- Wir müssen feststellen, daß unsere Straßen und unsere dings angestrebt, durch eine Änderung dieses Geset- Schienen schon jetzt nicht mehr in der Lage sind, die zes den Anteil der neuen Bundesländer zu Lasten der Verkehrsströme bedarfsgerecht zu lenken. Wenn das alten Bundesländer zu verändern. Dies haben wir im Verkehrsaufkommen im Transitland Deutschland Haushaltsausschuß behandelt. Vorsorglich wurde durch EG - Beitritte weiterer Länder weiter ansteigt, eine qualifizierte Sperre von 800 Millionen DM und dann müssen wir darüber nachdenken, wie wir bis- von 200 Millionen DM im Rahmen eines anderen lang nicht ausgelastete Verkehrsträger vermehrt nut- Titels eingestellt. zen können.

Auf Grund der Gespräche im schwedischen Ver- Mehr umweltgerechte Mobilität — das will ich kehrsministerium habe ich Gelegenheit genommen, abschließend feststellen — ist das Ziel. Wir streben zu einer Verkehrskonferenz nach Emden einzuladen. mehr Mobilität für die Wirtschaft und den Bürger an. Dort haben wir die Möglichkeit der Intensivierung des Dies soll sich nach unserem Willen allerdings umwelt- Seeverkehrs zwischen den nordischen Ländern, den gerecht vollziehen. Wir streben die Verbesserung der norddeutschen Seehäfen und Mittelengland zu Verkehrsinfrastruktur in den neuen Bundesländern besprechen. Ich will dabei feststellen: Es besteht auf an, um die Folgen der Teilung unseres Landes zu schwedischer Seite großes Interesse, den Verkehr überwinden. über See vermehrt zu nutzen, um damit Verkehrswar- tezeiten abzubauen und den umweltfreundlichen und Ich will den Mitarbeitern des Verkehrsministeriums kostengünstigen Seeverkehr zu stärken. und des Finanzministeriums herzlichen Dank für die angenehme Zusammenarbeit mit dem Haushaltsaus- Ich möchte mit Rücksicht auf die Uhr nur einige schuß und mit der Arbeitsgruppe Verkehr sagen. wenige Worte zu den Bahnen und zum ÖPNV sagen. Im Verkehrshaushalt 1993 spiegelt sich die Bedeu- tung der umweltschonenden Verkehrsträger Schiene Ich möchte Ihnen raten, dem Einzelplan 12 Ihre und Personennahverkehr deutlich wider. Die Haus- Zustimmung zu geben. Damit handeln wir im Inter- haltsansätze machen deutlich, daß diese Verkehrsar- esse von Ost und West. ten unbedingt am künftigen Verkehrswachstum teil- haben müssen. Ich gehöre zu den neuen „Wasserwerkern". Als wir (Vorsitz: Vizepräsident Dieter-Julius Cro vorgetragen haben, daß wir aus dem Wasserwerk nenberg) ausziehen, um im neuen Plenarsaal tätig zu werden, habe ich nicht gedacht, daß ich noch einmal hier Die Schiene — so unsere Formulierung — hat stehen würde; als Kabarettist vielleicht, aber nicht als Vorrang vor der Straße. Gerade in diesem Haushalts- Haushälter. Vielleicht ist der Ausfall der Mikrophon- jahr ist die Trendwende zugunsten der Schiene sicht- anlage im neuen Plenarsaal für uns Anlaß, einen bar. Die Investitionsquote der Bahnen liegt im Haus- neuen Song zu schreiben: Hörst du mein heimliches haltsjahr 1993 über der Investitionsquote des Bundes- Rufen? 10650 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Wilfried Bohlsen Vielen Dank. rungsrate verhält. Wenn man das von Einzelplan zu (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und Einzelplan und von einem Jahr zum anderen betrach- der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der tet, dann sieht man jedenfalls, daß das Volumen des SPD) Einzelplans um 10 % steigt. Wenn man die Sonderak- tivitäten in der Startphase der deutschen Einheit mit betrachtet — das kann man aber nicht auf Dauer Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nunmehr tun —, dann hast du recht. Aber das würde ich in der hat der Abgeordnete Werner Zywietz das Wort. Tat für einen Trick bei der Betrachtung bzw. für eine Oppositionsoptik, nicht aber für eine reale Optik Werner Zywietz (F.D.P.): Herr Präsident! Liebe Kol- halten. leginnen und Kollegen! Mit soviel kabarettistischem Talent kann ich nicht dienen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Ich erinnere mich hier an die Worte Ihres Fraktions- Wir kennen dich besser!) vorsitzenden, der ja in seiner nachdenklichen Rede gestern so nachhaltig zur Wahrheit aufgerufen hat: zur Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Niemand Teilwahrheit, zur richtigen Wahrheit, zur ganzen soll sein Licht unter den Scheffel stellen. Wahrheit, zur reinen Wahrheit, wie auch immer. Wenn wir das alles ganz nüchtern nehmen, dann ist Werner Zywietz (F.D.P.): Nachdem sich der Kollege festzustellen, daß das ein steigender Einzelplan ist. Ernst Waltemathe wegweisend, ja fast bahnbre- Dieser Einzelplan ist eigentlich ein Konjunkturpro- chend gramm, speziell ein Konjunkturprogramm Ost; denn (Ernst Waltemathe [SPD]: Nicht bahnbre die große Zahl der Großprojekte für Schiene, Straße, chend! Straßenbrechend!) Kanal wird Beschäftigung insbesondere in den neuen im Hinblick auf die Beseitigung parlamentarischer Bundesländern schaffen. Auch das ist gut so. Rituale betätigt hat, will ich den Ausdruck meines (Zuruf von der F.D.P.: Das ist sehr gut so!) Gedankenschweißes, nämlich das vorbereitete- Ma- nuskript, beiseite legen und in den acht Minuten, die So gesehen meine ich, daß dieser große Einzelplan im mir zugestanden worden sind, in freier Rede ein paar Zuschnitt richtig ist — auf die Strukturen im einzelnen Anmerkungen zum Haushalt 1993 machen. werde ich noch mit ein paar Gedanken zu sprechen Ich möchte feststellen, daß der Einzelplan 12, der kommen —; er muß auch so zugeschnitten sein. Um Verkehrshaushalt, in dem Reigen aller Einzelpläne in das zu erkennen, braucht man nur ein paar Schattie- der Tat — da hat Graf Lambsdorff recht — ein rungen der Notwendigkeiten verkehrspolitischer Art Haushalt ist, der Mut macht. Er weist vielleicht ein in den nächsten zehn Jahren am Horizont abzutasten paar Stellen auf, insbesondere unter dem Stichwort versuchen. „Bahn", die leider immer noch Anlaß zu ein wenig Die eine Aufgabe, der dieser Einzelplan gerecht Mißmut geben mögen, aber insgesamt ist es ein werden muß, ist die deutsche Einheit, sind die Ost- Haushalt, der Mut macht, denn es ist der investive West-Verbindungen. Es ist aber nicht nur die deut- Haushalt Nummer eins im Rahmen des Ausgabever- sche Einheit. Es geht auch um die anderen Verkehrs- haltens der Bundesrepublik. Damit ist er der Haushalt, wege in den Osten, ob nun Ostsee-Autobahn oder der der Bevölkerung Mut macht, denn Reise- und weitergehende Straßen und Eisenbahnverbindungen. Bewegungsfreiheit war ja, wenn ich mich recht erin- Das ist ein zweites Thema. Ich nenne hier den skan- nere, nicht gerade das Hauptschlagwort in der frühe- dinavischen Wirtschaftsraum, den Weg dorthin und ren DDR. Wenn man sich frei bewegen kann und bald das Andocken — so sage ich einmal bildhaft — an die die entsprechende Verkehrsinfrastruktur vorfindet, EG. Auch das hat verkehrspolitische Konsequenzen dann macht das Mut. Das möchte ich einmal feststel- im Ostseeraum und in der Nord-Süd-Bewegung. len. Alles in allem muß die Verkehrspolitik — wenn ich (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) das richtig sehe — in einem Land wie Deutschland Es ist auch mutmachend, daß diese Infrastruktur zur — kein anderes Land hat mehr Nachbarn als wir — Standortqualität in den neuen Bundesländern und zur dieser Transitrolle von beiden Seiten her gerecht Verbesserung der Standortqualität in diesem Staat werden. Auf jeden Fall muß unsere Verkehrspolitik insgesamt beitragen kann. angesichts dieser absehbaren Erfordernisse Zug um Wenn mich nicht alle Zeichen täuschen, dann wird Zug sozusagen noch europäischer strukturiert wer- der ökonomische Wettbewerb für uns allesamt härter. den. Das Bestehen in diesem ökonomischen Wettbewerb Ausgehend von den Teilen eines solchen Bildes hängt von vielen Faktoren ab. Ein ganz wichtiger möchte ich jetzt noch auf die einzelnen Verkehrsträ- Faktor dabei ist auch eine vernünftige, leistungsfä- ger — sozusagen zu Lande, zu Wasser und in der hige verkehrliche Infrastruktur. Luft — zu sprechen kommen, und zwar zunächst (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) einmal mit Blick auf die Straße, auf den Straßenaus- Deswegen ist es gut, daß das Volumen dieses bau. Es ist richtig, daß hier ein wesentlicher Teil der Einzelplans steigt. Lieber Ernst Waltemathe, ich Investitionsmittel, und zwar in der Größenordnung möchte mich jetzt nicht an der Diskussion über die von 10 Milliarden DM, eingesetzt wird. Es ist auch Frage beteiligen, ob das ein Trick bei der Betrachtung richtig — das ist hier schon gesagt worden —, daß wir ist oder ob du das etwas einseitig durch die Opposi- im Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsge- tionsbrille gesehen hast, wie es sich mit der Steige- setzes — das ist übrigens ein Unwort — eine Toplei- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10651

Werner Zywietz stung erbringen, indem wir die Mittel um 3 Milliarden Ich möchte einmal wirklich in aller Fairneß — je- DM aufstocken. denfalls nach meinen Beurteilungskriterien — fest- stellen, daß sich der Reederverband zu diesem Kom- Ob die neuen Bundesländer davon hinreichend promiß, der die Notwendigkeiten und Vorstellungen profitieren können, ob die Aufteilung also gut funk- tioniert, lasse ich als Haushälter im Moment einmal nicht voll abdeckt, in einer Gesamtbetrachtung der finanziellen Möglichkeiten positiv und konstruktiv offen. Ich kann nur sagen: Aus unserer politischen und parteilichen Sicht wäre es richtig, hier eine Korrektur geäußert hat. Ich finde, auch das ist erwähnenswert. vorzunehmen. Aber das ist eine Frage an den Bundes- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) rat, eine Frage an die Bundesländer. Zum Luftverkehr möchte ich nur zwei Punkte (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) ansprechen; die Zeit läuft. Herr Minister, von seiten der F.D.P. unterstützen wir alles, was dem Ziel dient, Es geht darum, wieweit sie ihren Sonntagsreden Privatinitiative und Privatkapital bei den Flughafen-

Alltagsbeschlüsse folgen lassen, indem sie liebge- gesellschaften — ich muß das in einem kurzen Stich- wonnene Gewohnheiten bei den Zuwächsen auf Zeit wort sagen — zu stärken. Jede Bewegung für mehr ein wenig aufgeben und die neuen Bundesländer hier, Privatkapital ist richtig. wie es bei den Großmaßnahmen schon der Fall ist, in (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) die Ausbauperspektive einbeziehen. Es ist nämlich gar nicht einzusehen, daß der Bund, (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Da verbunden mit den entsprechenden Verpflichtungen, könnten wir die Hilfe der SPD gut brau an allen wesentlichen Flughafengesellschaften eine chen!) Beteiligung von 25 % und mehr hält. Unsere Vorstellungen habe ich damit zum Ausdruck (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: gebracht. Siehe auch Koalitionsvereinbarung!) In den drei Minuten oder vier Minuten, die mir — Auch die bedeutsame Koalitionsvereinbarung gibt jetzt noch verbleiben, möchte ich das Stichwort See- in schriftlicher Form die Überzeugung und den Geist schiffahrt bzw. das Maritime überhaupt ansprechen.- der F.D.P. in vollem Umfang wieder. — Hieran wollte Herr Minister, zunächst einmal ist die besondere ich mit einem Stichwort erinnern. Betonung des Ausbaus der Bundeswasserstraßen Ich möchte jetzt noch daran erinnern, daß die Lage richtig. 2,5 Milliarden DM, grob gesagt, sind dafür der Lufthansa — in drei Sätzen kann man dem nicht vorgesehen. Das sind verkehrspolitische Maßnah- ganz gerecht werden — schwierig ist. Ich möchte dazu men, die im Blick auf das, was dort transportiert wird, anmerken, daß wir von seiten der F.D.P. mithelfen umweltfreundlich und energiesparend sind. werden, die Lufthansa aus dieser nicht einfachen Situation herauszuführen. Anmerken möchte ich Die Hauptader, um die es hierbei geht, ist der auch, daß mit Blick auf die Privatisierung, für die wir Mittellandkanal. Um so befremdlicher ist es, wenn sind, festzustellen ist: Es kann nicht gut sein, wenn das man da im Bereich Hannover nicht mitmacht. Darauf Bild einer Gesellschaft mit Bundesbeteiligung — sei es kann sich jeder seinen politischen Vers machen. Auf nun eine GmbH oder eine AG —, soweit es um der einen Seite will man dort die Weltausstellung, auf ökonomische Kernbereiche geht, über so viele Jahre der anderen Seite will man dort, obwohl der Bund die hinweg im Dunkeln oder im Halbdunkel bleibt. Mittel bereitstellt, den Mittellandkanal nicht so aus- bauen, daß man zweispurig vom Ruhrgebiet nach (Beifall bei der F.D.P.) Berlin gelangt, ohne durch ein Nadelöhr hindurch zu Es kann nicht so sein, daß die Gesellschaften immer müssen. Das ist schon am Rande eines Skandals, wie nur dann ankommen, wenn sie Kapital oder eine ich jedenfalls finde. Verlustübernahme brauchen. Gerade bei der Privati- sierung im Postbereich, bei der anstehenden Bahnre- (Zuruf von der F.D.P.: Das ist ein Skandal!) form und auch bei solchen Großunternehmen wie der — Danke. Ich bin ja lernfähig: Es ist ein Skandal, ein Lufthansa — ich kann das jetzt nur in Stichworten politischer Skandal, der dort stattfindet. sagen — müssen wir zu einer anderen Form der Information und des Dialogs kommen. Den Königs- Ein zweites Stichwort nur in aller Kürze. Die Auf- weg der Budgetkontrolle können wir nämlich in stockungen bei den Seeschiffahrtshilfen, die wir vor- einigen Bereichen nicht mehr gehen, wenn wir auf der genommen haben, sind schon angesprochen worden. einen Seite privatisieren und auf der anderen Seite Man glaubt es kaum: Auch Parlamente haben hin und wegen des Aktienrechts und des GmbH-Rechts nicht wieder ihre eigene Gestaltungskraft. Das ist auch gut mehr hinreichend erkennen können, was sich tut. Ich so. halte das für ein sehr ernstes Thema, das an anderer Aber ganz wichtig ist noch ein anderer Punkt. Stelle weiterdiskutiert werden sollte. Diesen möchte ich hier schon exemplarisch anführen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Wir alle haben ja bei vielen Einzelplänen die Feststel- lung gemacht, daß diejenigen, die uns — häufig ja mit guten Argumenten — darlegen, daß irgendwo aufge- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- stockt werden muß, uns dann, wenn wir dem nachge- geordneter! kommen sind, häufig keines Blickes mehr würdigen und uns keines Dankes mehr für wert erachten, weil sie meinen, es hätte noch ein bißchen mehr sein Werner Zywietz (F.D.P.): Ich komme zum Schluß, dürfen. Herr Präsident. 10652 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Sie spre- Manchmal verspricht der Weihnachtsmann in der chen ja frei. Dann ist es nicht schwer, schnell zum Adventszeit aber auch etwas, was er bei der Besche- Schluß zu kommen. rung dann nicht einhält. Minister Krause versprach (Heiterkeit) uns allen eine grundlegende Wende in der Verkehrs- politik. Sein Verkehrshaushalt jedoch ist eine schöne Bescherung. Werner Zywietz (F.D.P.): Herr Präsident, Sie haben das bei einer anderen Gelegenheit schon einmal Vorrang der Bahn — so war es auch am Sonntag vor ausgenutzt und gesagt, ich könnte ja schnell zum den Eisenbahnerinnen und Eisenbahnern in Köln Schluß kommen, weil ich kein Manuskript hätte. wieder von Ihnen, Herr Minister Krause, zu hören. Wie (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Du sieht es aber damit im Etat aus? hast ja eins; du verwendest es nur nicht!) (Zuruf von der CDU/CSU: Ihr müßt ihn nur — Ich habe es im Kopf. lassen!) Ich komme zum Schluß. Herr Minister, ich möchte Kapitel 12 10 — Bundesfernstraßen — schreibt Inve- betonen, daß wir Sie und Ihr Haus bei den drei großen stitionen für den Bundesfernstraßenbau von rund Bereichen, nämlich bei der Bahnreform — die habe 8,9 Milliarden DM fest. Dem steht aber nur gut die ich jetzt nicht angesprochen; diese Reform ist aber Hälfte, nämlich rund 4,6 Milliarden DM, für den höchst nötig; Bahnreform: Kosten senken, kunden- Ausbau der Schieneninfrastruktur gegenüber. Es freundlicher werden —, bei der Beschleunigung des bleibt des Ministers mathematisches Geheimnis, wie Planungsrechts und bei allem, was auf mehr Privatini- man in Anbetracht dieser Zahlen von einer Bevorzu- tiative, Privateigentum, Privatkapital im Verkehrsbe- gung der Schiene sprechen kann. reich hindeutet, mit Nachdruck unterstützen. Seitens des Parlaments haben wir Sie mit guten (Zuruf von der CDU/CSU: Nicht teilweise Finanzmitteln ausgestattet. Ich bin sicher, Sie werden zitieren!) für eine Umsetzung sorgen, bei der die neuen Bun- Wirtschaftlicher Aufschwung im Osten setzt eine desländer nicht zu kurz kommen, daß Sie das auch so verbesserte Infrastruktur voraus. Das ist ein Argu- umsetzen werden, daß die Bevölkerung davon nach- ment, mit dem dort kritische Stimmen im Zaum haltig Notiz nimmt. Ich würde meinen: Nun bauen Sie gehalten werden. Kollege Zywietz hat uns hier ja auch mal schön! damit gedroht. Warum wird dann aber für den Neubau (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) von Bundesautobahnen im Westen mehr als das Vierfache der für den Osten veranschlagten Summe ausgegeben? Beim Neubau von Bundesstraßen ist es Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort sogar mehr als das Fünffache . hat nunmehr die Abgeordnete Frau Dr. Dagmar Enkelmann. Abgesehen davon gibt es inzwischen zahlreiche Beispiele dafür, daß der angebliche Automatismus Dr. Dagmar Enkelmann (PDS/Linke Liste): Herr „gute Verkehrsinfrastruktur — gute wirtschaftliche Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst Entwicklung" so nicht funktioniert. Die Region Ebers- möchte ich Sie an ein historisches Datum erinnern. walde im Land Brandenburg ist dafür ein Beispiel. In Gestern vor 19 Jahren gab es in der Bundesrepublik diesem Zusammenhang sei aber auch auf Dresden den ersten autofreien Sonntag. Er löste neun Monate verwiesen, das wohl zu den infrastrukturell am später einen Babyboom aus. Eine so fruchtbare Ver- schlechtesten ausgestatteten Großstädten in den kehrspolitik, Herr Minister Krause, würde ich mir gern neuen Bundesländern zählt und dennoch mit Abstand von Ihnen wünschen. eine der niedrigsten Arbeitslosenquoten aufweist. (Heiterkeit — Zuruf von der CDU/CSU: Nicht ganz zu Unrecht wachsen daher im Osten die Nachtigall, ich hör dir trapsen!) Befürchtungen, daß einem großen Teil der vorgesehe- Minister Krause klärte bei der Eröffnung des Kon- nen neuen Straßen vorrangig Transitaufgaben gresses der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutsch- zukommen werden, die Arbeitsplätze höchstens an lands in Köln die Anwesenden darüber auf, daß er sich Tankstellen und Imbißbuden bieten. eher als Dienstleistungsminister eines Wirtschaftssy- Neue Straßen sollen auch die vielgepriesene Mobi- stems und weniger als Wunschminister eines Ver- lität der Menschen fördern. Machen wir uns doch kehrssystems verstehe. Ich werde dennoch den Ein- nichts vor: Schon heute pendeln Hunderttausende druck nicht los, daß er — wie manchmal auch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Richtung Weihnachtsmann — Wünsche erfüllen will, die der Westen — billige Arbeitskräfte für Versandhäuser, Beschenkte gar nicht hat. Der Beschenkte aber soll Baustellen, Unternehmen in den Wirtschaftszentren sich freuen und dankbar sein, und er versucht dann der alten Bundesländer. Wie man angesichts der Staus nach der Bescherung krampfhaft, das Geschenk wie- von Mobilität sprechen kann, bleibt mir übrigens der loszuwerden. schleierhaft. Ähnlich sieht das Szenarium jetzt beim Bundesver- Mecklenburg-Vorpommern weist beispielsweise kehrswegeplan aus: der Verkehrsminister als Weih- bereits jetzt ein deutliches Ost-West- Gefälle in der nachtsmann, der die Projekte reihenweise aus dem Arbeitslosenstatistik auf. Wollen Sie wirklich diese Sack holt, und Umweltverbände, Kommunalvertre- Art von Mobilität? tungen, ökologische Arbeitskreise z. B. von Kirchen- bezirken, Bürgerinitiativen, viele Bürgerinnen und (Zuruf von der CDU/CSU: Besser als gar Bürger als unschuldig Beschenkte. keine!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10653

Dr. Dagmar Enkelmann Was bleibt dann für die, die — in der Regel Frauen — men. So weit, so gut. Ein Skandal aber ist die Festle- auf Grand familiärer Verpflichtungen nicht so flexibel gung der Länderquoten. Diese werden nämlich nach einsetzbar sind? Also: Herr Krause als Dienstlei- dem Bestand der im vorvergangenen Jahr zugelasse- stungsminister für ein Wirtschaftssystem, das kann's nen Kraftfahrzeuge berechnet. Im Klartext heißt das: wohl auch nicht sein. Die Länder, die den Kfz-Verkehr fördern, werden Die Ursachen dafür, daß sich Krupp, Mercedes, belohnt, und die, die sich an ökologischen sowie Holzmann und andere als potentielle Investoren im sozialen Belangen orientieren, sind — wie der Berliner Osten zurückziehen, liegen — das muß man der sagt — „Neese" und werden bestraft. Ehrlichkeit halber sagen — nicht in seinem Ressort. Ein Wort noch zu Kapitel 12 02: Allgemeine Bewil- Aktuelle Beispiele: Audi wird ein Werk in Ungarn ligungen. Es enthält u. a. 12 Millionen DM für wissen- statt in Sachsen-Anhalt bauen. Nach einer Pressein- schaftliche Studien; denn — so heißt es in der Begrün- formation von DSD geht man — es handelt sich hier dung — die Weiterentwicklung der Verkehrspolitik, um den Aufbau von Recyclinganlagen für Kunststoff- insbesondere der Erarbeitung längerfristiger Pro- verpackungen — nach Bulgarien. Für Unternehmen gramme, erfordert laufende Untersuchung und For- ist es also billiger, rentabler, dort zu investieren statt in schung. — Es wäre zu schön, um wahr zu sein, Herr den neuen Bundesländern, weil dort vor allem die Minister. Lohnkosten niedriger sind als in den neuen Bundes- Sieht man einmal ein bißchen genauer in den Plan, ländern. dann erkennt man: Es geht um Investitionsbewertun- Werfen wir einen Blick auf das Kapitel 12 18: gen, methodische Instrumentarien, analytische Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrsverhält- Grunddaten, Ordnungsrahmen etc. pp. Nichts von nisse der Gemeinden. Hier wird der Etat bis ein- Untersuchungen zum Mobilitätsverhalten, zum Zu- schließlich 1995 zwar aufgestockt, dennoch bleibt sammenhang von Raumordnung und Verkehr oder zu nach wie vor unklar, wie sich die Regierung bei der im einem Maßnahmekatalog für die CO2-Reduzierung Rahmen der Bahnreform geplanten und von uns im Verkehrsbereich. Analysen über Möglichkeiten begrüßten Regionalisierung des ÖPNV die Finanzie- realer Verkehrsvermeidung erwarte ich schon gar rung durch die Gebietskörperschaften vorstellt.- nicht. Ich verweise hier auf einen Brief des Deutschen Nun kann es ja sein, daß das Verkehrsministerium Städtetages vom 16. November, der Ihnen vielleicht inzwischen zur Kenntnis genommen hat, daß man mit auch zugegangen ist — ansonsten stelle ich ihn gern Studien dieser Art ganze Straßen pflastern könnte zur Verfügung —, in dem u. a. steht: Würde die — das stimmt im übrigen auch —; aber dann würde es Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs höchste Zeit, daß die Arbeit der vielen Expertinnen ohne einen ausreichenden, zweckgebundenen und und Experten endlich ernst und als Grundlage für eine finanzverfassungsrechtlich gesicherten Finanztrans- neue Verkehrspolitik genommen wird. fer vom Bund auf die Länder und Kommunen durch- In der vergagenen Woche führte die Enquete- geführt, müßte der lebensnotwendige Nahverkehr in Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" eine öffent- unseren Städten und Regionen drastisch einge- liche Anhörung zum Thema „CO2-Minderung durch schränkt werden. — Zu diesem Brief haben wir auch Vermeidung von Verkehr" durch. Der Kommissions- eine Broschüre bekommen. Ich möchte Ihnen wärm- vorsitzende, Kollege Dr. Lippold (CDU), erklärte zum stens ans Herz legen, diese ausreichend zu studie- Ergebnis der Anhörung: ren. Sieht man sich die betriebswirtschaftliche Rech- Die zu erwartende weitere Verkehrsexplosion nung der Bahnen für das Jahr 1992 etwas genauer an, und die Vielzahl der durch den Verkehr verur- sachten Umweltprobleme, insbesondere das so wird deutlich, daß es bei Bundesbahn und Reichs- CO2-Problem, sind durch eine verbesserte Tech- bahn Umsatzsteigerungen im Personenverkehr in zweistelliger Höhe gibt. Einen drastischen Einbruch nik und Organisation allein nicht zu kompensie- ren. Um mehr CO2-Reduktion zu erreichen, sind dagegen hatte der Güterverkehr zu verzeichnen. Bis weitere Maßnahmen erforderlich. Dazu zählen Oktober 1992 betrug der Umsatzrückgang allein bei der Bundesbahn rund 1 Milliarde DM. Der Abbau im Verkehrsvermeidung — jedoch kein Dirigis- produktiven Bereich wird als eine Ursache ausrei- mus — und die Steuerung über den Preis. chend strapaziert und muß heute als Begründung für In diesem Fall greife ich gern einmal auf einen Kürzungen im gesamten Sozialbereich herhalten. Kollegen der CDU zurück. Selten genug befinden wir Es ist aber höchste Zeit, daß endlich Konsequenzen uns ja in Übereinstimmung. aus der — so Bahnchef Dürr — gnadenlosen Konkur- (Zuruf von der CDU/CSU) renz der Straße gegen die Bahn gezogen werden. — Ich schätze, Sie befinden sich nicht in Übereinstim- Solange die Straße weiter subventioniert wird und es mung mit Ihrem Kollegen Lippold; das wird das für Unternehmer profitabler ist, ihre Produkte per Lkw Problem sein. statt auf der Bahn zu transportieren, so lange wird die Bahn weiter rote Zahlen schreiben. Wer hier den (Zuruf von der CDU/CSU: Ganz im Gegen Schwarzen Peter hin und her schiebt, lehnt selbst teil!) klare politische Entscheidungen ab und wird damit an Verkehr kann dort deutlich reduziert werden und der sich anbahnenden Verkehrskatastrophe mitschul- ökologisch sowie sozial erträglich gestaltet werden, dig. wo den Bürgerinnen und Bürgern durch kompakte Über die Verwendung von 80 % der GVFG - Mittel Siedlungsstrukturen ein Leben, Wohnen und Arbei- entscheiden die Länder mit eigenen Förderprogram- ten in den Städten ermöglicht wird. Fußläufig zu 10654 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Dr. Dagmar Enkelmann erreichende Verwaltungs-, Dienstleistungs-, Han- Errungenschaften von 20 Jahren Umweltpolitik sollen dels- und Freizeiteinrichtungen vermeiden Verkehr auf der Müllkippe der Geschichte landen. und lassen die Städte wieder bewohnbar werden. Hier Hier und heute wird die Verkehrsinfrastruktur zum ist allerdings dringend geboten, die Charta von Athen Einfallstor für Einfaltspinsel gemacht, für Bürokraten, einer gründlichen Prüfung zu unterziehen und ihre die die Öffentlichkeit oder die Kommunen immer nur Aussagen zur Entmischung der Stadtstrukturen zu als Sand im Getriebe ihrer Maschinerie eingestuft revidieren. haben. Demokratie und Transparenz, Information und Industrieansiedlungen und Gewerbegebiete, an- Mitsprache sind für diese Planungsfetischisten gebunden an öffentliche Verkehrsnetze, wie bei der genauso Fremdworte, wie es bereits für die entspre- Anhörung u. a. vom bayerischen Vertreter Professor chenden Leute in der Planwirtschaft der früheren DDR Goppel gefordert, schaffen gute Bedingungen für der Fall war. Verkehrsverlagerung. Beschleunigungsgesetze, Verzicht auf sachge- Alles in allem hat nicht zuletzt die genannte Anhö- rung der Enquete-Kommission nachdrücklich bestä- rechte Umweltverträglichkeitsprüfungen, Ausschluß tigt: Auch die Verkehrspolitik dieser Bundesregie- und Täuschung der Öffentlichkeit, Verstöße gegen den Datenschutz, gegen Persönlichkeitsrechte und zu rung steuert in eine Sackgasse, aus der es nur noch im Rückwärtsgang wieder heraus geht. Nur, fahren Sie guter Letzt Verfassungsbruch durch Maßnahmege- nicht zu weit hinein; Sie könnten nämlich sonst setze sind die Stationen dieser Reise. Sie sind, wie Herr Schäuble gestern sagte, allerdings nur ein „erster hoffnungslos steckenbleiben. Schritt". Aus einem „mehr Demokratie wagen" ist für Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. diese Regierung und — so leid es mir tut — auch für (Beifall bei der PDS/Linke Liste und beim Teile der Sozialdemokratie in einigen Ländern das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge „Wagnis Demokratie" geworden. ordneten der SPD) Meine Damen und Herren, unter dem neutralen Titel der Rechts- und Verwaltungsvereinfachung Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg:- Das Wort bereitet diese Regierung derzeit einen Abbau demo- hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter kratischer Rechte, einen Abbau kommunaler und Feige. öffentlicher Beteiligungsmöglichkeiten vor, der sei- nesgleichen sucht. In der kommenden Woche soll das Kabinett einem Artikelgesetz zustimmen, das weitrei- Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chende Veränderungen der Rechtslage anstrebt. So NEN): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen sollen — wie schon im Verkehrrssektor — im Bau-, und Herren! Mein Herz schlägt nun einmal ein biß- Umwelt- und Naturschutzrecht Vorschriften ausge- chen mehr für Natur- und Umweltschutz. Alle Kolle- setzt und Fristen verkürzt werden. gen — auch die im Verkehrsausschuß — beteuern immer wieder, daß dies eigentlich ganz wichtig ist. (Horst Gibtner [CDU/CSU]: Darauf warten Aber ich glaube, wer über Umweltpolitik in diesem wir schon lange!) Lande redet, darf sich nicht auf den glücklosen Bun- Im Entwurf eines Baulandgesetzes wird der Ver- desumweltminister und seinen, wie ich glaube, doch zicht auf eine frühzeitige Beteiligung der Bürger bei eher Strahlen- oder Atometat beschränken. Umwelt- Planungsvorhaben festgeschrieben. Sieht so Ihre politik — oder besser: Politik gegen die Umwelt — Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes aus, Herr manifestiert sich hierzulande vor allem in der Wirt- Töpfer? Leider ist er nicht anwesend. Wenn dieses schafts- und der Verkehrspolitik. Nicht ohne Grund Gesetz durchkommt, können wir aus der Bezeichnung habe ich meine Redezeit vom Umweltbereich in den seines Ministeriums den Begriff „Naturschutz" her- Verkehrssektor übertragen, weil ich glaube, daß ausnehmen. gerade dieser Verkehrshaushalt entscheidend dafür ist, ob wir Umweltschutz in der Bundesrepublik in Hinter dem Schlagwort „Harmonisierung von Bau- Zukunft ernsthaft betreiben können. und Naturschutzrecht" verbirgt sich doch nichts ande- Zwei Jahre nach Unterzeichnung der Koalitionsver- res als Rechtsbruch in großem Ausmaß. Da soll die einbarungen und zwei Jahre nach der Regierungser- verwaltungsgerichtliche Überprüfung von Bebau- klärung des Bundeskanzlers sieht es sehr düster aus ungsplänen ausgesetzt werden, genauso wie auf für Natur und Umwelt in Ost- und Westdeutschland. Raumordnungsverfahren verzichtet wird. Das geht Rhetorische Floskeln können eben auf Dauer nicht soweit, daß selbst gesetzlich vorgeschriebene Aus- darüber hinwegtäuschen, daß die Politiker dieser gleichsmaßnahmen etwa für den Geltungsbereich von Regierung praktisch ausschließlich die Zerstörung Bebauungsplänen ausgesetzt werden sollen. von Natur und Umwelt fördern. Wenn das sogar die Daß in diesem Zusammenhang dann grundsätzlich Mitglieder der Enquete-Kommission so herausheben über eine Straffung und Verkürzung des Verwal- — wie eben zitiert —, dann sollten Sie es ernst tungsrechtsweges nachgedacht wird, ist nicht mehr nehmen. weiter verwunderlich. Dort steht: a lles zeitlich Zum Ende der ersten Halbzeit der Legislaturperiode begrenzt, versteht sich. Diese zeitliche Begrenzung werden unsere schlimmsten Befürchtungen in unge- bezieht sich auf die Beschleunigungsvorhaben bei der ahntem Ausmaß übertroffen. Unter dem durchsichti- Verkehrswegeplanung in den östlichen Bundeslän- gen Vorwand für den Aufschwung in den ostdeut- dern, aber es wird inzwischen für die gesamte Bun- schen Bundesländern findet gesamtdeutsch ein desrepublik vorbereitet. Die zeitliche Begrenzung umweltpolitischer Salto mortale rückwärts statt. Die wird sich bis zu dem Punkt erstrecken, an dem die Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10655

Dr. Klaus-Dieter Feige letzten Reste der Natur endgültig plattgemacht entlarvt ihre Umweltpolitik als irreführende Wort- sind. hülse. Kommen Sie mir nicht mit 25 bis 30 % bis 2005! Wohlgemerkt, meine Damen und Herren: Gegen So werden Sie es niemals schaffen. eine Straffung von Genehmigungsverfahren haben Das alles geschieht, obgleich sich die Bundesregie- wir ja nichts einzuwenden. Das zeigen auch unsere rung in Rio verpflichtet hat, die Stabilisierung des entsprechenden Initiativen. Aber alle Schritte zur heutigen CO2-Gehalts der Erdatmosphäre zu gewähr- Beschleunigung müssen an den Ursachen ansetzen, leisten, was nichts anders als den Ausstieg aus der etwa an den antiquierten bzw. nicht sachgerechten Verwendung fossiler Brennstoffe bis zur Mitte des Abläufen in den Verwaltungen selbst. Die Hauptursa- nächsten Jahrhunderts bedeutet. Die Zeit, in der che jedoch liegt in der Konzeptionslosigkeit dieser dieses erreicht werden kann, ist aber nur noch sehr Regierung und leider auch mancher Landesregie- kurz. rung, jedenfalls nicht in der Beteiligung der betroffe- Viele der von Ihnen geplanten Vorhaben sind nen Menschen in diesem Lande. Ich glaube, dort neben den ökologischen Folgen auch in anderer könnten Sie Initiativen für Ihren Aufschwung Ost in Hinsicht widersinnig. So verstößt beispielsweise die den neuen Ländern besonders initiieren. vorgesehene A 20, die sogenannte Küstenautobahn, Wenn Bundesminister Schäuble gestern mehr auch gegen die wirtschaftliche Vernunft. Alle ernstzu- Engagement der Bürger forderte, so ist dem beizu- nehmenden raumwirtschaftlichen Untersuchungen pflichten. Aber glauben Sie allen Ernstes, Sie errei- weisen auf die fatalen negativen Auswirkungen der chen diese Unterstützung, wenn Sie die Beteiligung A 20 auf die regionalwirtschaftlichen Entwicklungs- der Bürger auf null reduzieren? potentiale des vielleicht strukturschwächsten Bundes- Meine Damen und Herren, der heute zur Debatte landes Mecklenburg-Vorpommern hin. stehende Verkehrshaushalt ist ein Beispiel für eine Wenn von einer Trendwende hin zur Bahn gespro- Politik der Unvernunft, für eine Politik, die die chen wird, dann frage ich mich ausdrücklich, warum Umweltprobleme als nicht existent be trachtet, ver- Herr Krause angesichts geplanter Sparmaßnahmen harmlost oder bestenfalls in unverbindlichen Floskeln als erstes den Vorschlag macht, das Schienenprojekt akzeptiert. Diese Regierung hat bis heute nicht- begrif- zwischen Lübeck und Rostock nur noch einspurig zu fen, daß der maßlose Ausbau der Straßeninfrastruk- realisieren und mit Elektronik auszubauen. So ist es tur nicht kurzfristig den notwendigen wirtschaftlichen den Medien zu entnehmen, und es wurde von Ihnen Aufschwung in den Regionen bringt. Sie hat erst recht auch nicht dementiert. Vielleicht, Herr Minister, kön- nicht begriffen, daß wir alle diese Gigantomanie nen Sie auf diese Darstellung in den Medien noch schon bald teuer bezahlen werden. eingehen. Die dort vorgesehene Einsparung in Höhe Ich glaube, es ist doch wichtig, schon heute über den von 100 Millionen DM scheint genau an der falschen Stelle plaziert worden zu sein. Wenn man schon Bundesverkehrswegeplan und über Transrapid zu sprechen, denn mit diesem Haushalt werden die sparen muß, warum denkt man dann nicht darüber Weichen — wenn es nur solche wären! —, werden die nach, die A 20 gar nicht mehr zu einer Autobahn, Straßen dafür gelegt. sondern zu einer Bundesstraße zu machen? Das wäre meines Erachtens ein guter Ansatz. Mehr als 11 000 Kilometer Autobahnen und Bun- desfernstraßen sollen bis zum Jahr 2010 gebaut oder Ein Argument, warum die A 20 gebaut werden muß ausgebaut werden. Damit unternimmt die Bundesre- — es ist ja nur eines der vielen Argumente —, ist das gierung alles, um das Umweltproblem Nummer eins, des wirtschaftlichen Aufschwungs. Aber schauen Sie den rasant wachsenden Straßenverkehr, weiter zu sich einmal an, welche Argumente die Bürger, die sich verschärfen. Es ist schon bezeichnend, daß in der — ich gebe es zu — mehrheitlich für die Autobahn Debatte über den Bundesverkehrswegeplan meiner ausgesprochen haben, beispielsweise in der „Ostsee Einschätzung, wonach der Bundesverkehrsminister Zeitung" vorbringen: Sie wollen ihre Arbeitsplätze in mit seiner geplanten Betonorgie in der direkten Tra- Lübeck, Hamburg oder Mölln so schnell wie möglich erreichen. dition der Straßenbaupolitik Hitlerdeutschlands steht, niemand widersprochen hat. Ich hatte es mir (Horst Gibtner [CDU/CSU]: Gut, daß die damals gewünscht, daß ich mich an dieser Stelle geirrt Arbeitsplätze haben!) habe. Das waren die wichtigen Argumente. Dennoch ist es Die rückwärtsgewandte Verkehrspolitik bleibt bei unsinnig. Die Mittel, die für diese Vorhaben einge- einer reinen Symptombehandlung, die an den Ursa- plant sind, sollten wir vor allem in die Schaffung von chen der Erkrankung unseres wuchernden Verkehrs- Arbeitsplätzen stecken. Die Worte von Herrn Leh- systems nichts ändert. Minister Krause beläßt es mit ment, dem Wirtschaftsminister von Mecklenburg- seinem Verkehrswegeplan bei der Verwaltung unge- Vorpommern, daß sich die Region Rostock auch ohne bremster Verkehrsströme. Vielleicht gelingt es ihm diese Küstenautobahn phantastisch entwickelt, sollte damit, den Verkehrsinfarkt über eine bestimmte Zeit uns zu denken geben. Dort wird wahrscheinlich sehr ein wenig hinauszuzögern — die Umweltzerstörung ordentlich und sehr vernünftig geplant und vorberei- wird von der Bundesregierung hierdurch jedoch aktiv tet. beschleunigt. Erlauben Sie mir zum Abschluß, darauf hinzuwei- Statt sofortigen Handlungsbedarf anzuerkennen, sen — viele andere Punkte lasse ich einfach weg —, wird ein Verkehrswegeplan durchgezogen, der zu wie absurd die Diskussion bei uns im Ausschuß sein einem Anstieg der verkehrsbedingten CO2 - Emissio- kann. Ich will Herrn Waltemathe nicht nachstehen. nen um über 43 % führen wird. Die Bundesregierung Wenn der Verkehrswegeplan als erster ökologischer 10656 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Dr. Klaus-Dieter Feige bezeichnet wird — diese Worte nehme ich natürlich und wir uns gegenwärtig vor allem darauf konzentrie- sehr ernst —, aber dann alles aus dem urökologi- ren, den Ausbau des vorhandenen Fernstraßennetzes schen, was nicht fertig geworden ist, in den neuen — Stichwort: Deckenerneuerung — deutlich voranzu- ungeprüft übernommen wird, ist das schon irgendwie treiben. makaber. So sollten wir nicht miteinander umgehen. Ich möchte noch eine andere Unklarheit beseitigen. Wenn Herr Möllemann und Herr Waigel wirklich Ich meine, es dient nicht der Glaubwürdigkeit der sparen wollen — wie ich das sehe, wird dieser Politik, wenn wir permanent unterschiedliche Früchte Haushalt nicht durchkommen —, dann können sie das in der Verkehrspolitik miteinander vergleichen. Rea- im Nachtragshaushalt ganz besonders an dieser Stelle lität ist, daß man in einem Haushaltsansatz für ein Jahr tun. eine Verkehrspolitik, die in vierzig Jahren 150 000 km Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Straßen, aber nur 600 km Schiene neu gebaut hat, (Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie des nicht auf einen Schlag verändern kann. Für einen Abg. Ernst Waltemathe [SPD)) Ingenieur läßt sich das relativ einfach begründen: Das vorhandene System muß gewartet und gepflegt wer- den. Der größte Anteil an den 8,86 Milliarden DM, die Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Dr. für den Straßenbau vorgesehen sind, gehen nicht in Feige, es gehört zu den guten Gepflogenheiten des den Ausbau, sondern in die Sanierung und Erhaltung Hauses — ich nehme an, das ist Ihnen unbekannt —, vorhandener Strecken. Stichwort: Brückenbauwerke. Sachverhalte und Personen nicht mit nationalsoziali- Die Wahrheit ist — Herr Kollege Daubertshäuser, das stischen Tatbeständen und Persönlichkeiten zu ver- ist die Realität, und hier können wir die Dinge wirklich gleichen. Ich habe nicht genau zugehört. Ich lasse das miteinander vergleichen —, daß es uns in diesem überprüfen. Aber wie immer es sei, ob es rügenswert Haushalt — wie übrigens schon im Jahre 1992 — ist oder nicht: Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich gelungen ist, mit dem Ausbau und Neubau der in Zukunft daran hielten. Denn der Hinweis auf die Bundesfernstraßen um 50 Millionen DM unter dem

Fortsetzung der Politik Hitlers ist nicht in Ordnung. Ansatz für Aus- und Neubau der Eisenbahnstrecken (Zuruf des Abg. Dr. Klaus-Dieter Feige zu liegen. Wir liegen also deutlich darunter. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es gibt noch einen zweiten Punkt. Ich finde, wir — Ich gehe jetzt mit Ihnen kein Streitgespräch ein, wie sollten ihn nicht schäbig herunterreden. Zur Zeit ist Sie verstehen werden. Ich habe die höfliche Bitte die Deutsche Reichsbahn anerkanntermaßen die vorgetragen, sich danach zu richten. größte Baustelle in Europa. Das finanziert diese Bun- Nun will der Minister selber noch sprechen. Herr desregierung. Wir nehmen die Chance eines vernünf- Dr. Krause, ich erteile Ihnen das Wort. tigen verkehrspolitischen Neuanfangs wahr, ohne sehr viele Bundesverkehrswegepläne — die in den letzten Jahren in Westdeutschland zu zuvielen Stra- Dr. Günther Krause, Bundesminister für Verkehr: ßen geführt haben — in den jungen Bundesländern Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kollegen! Ver- tätig zu werden. ehrte Damen und Herren! Ich möchte mich zuerst dafür bedanken, daß dieser Haushalt in einer sachli- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) chen Form diskutiert wird. Ich denke, wir sind auf Ich bin sehr dankbar, daß wir in den jungen Bundes- einem guten Wege, wenn wir die Verkehrspolitik ländern auf diese Weise viel gestalten können. nicht ideologisch bewerten, sondern uns an Sachver- Übrigens ist interessant, daß sich die Ausgaben halten orientieren. nach den Wirtschaftsplänen — nicht nur für die Aus- Da unsere verehrte Kollegin Enkelmann uns heute und Neubauten, die im Bundeshaushalt ausgewiesen eine wichtige Weisheit verkündet hat — „Ohne Ver- sind — immerhin auf 10 Milliarden DM bei der kehr kein Leben" —, verstehe ich nicht, warum wir Deutschen Reichsbahn summieren. Deshalb ist sie ja nicht durch neue Verkehrsbauten mehr Leben erzeu- die größte Baustelle in Europa. Es ist vielleicht noch gen sollten. Denn der Verkehr bringt Menschen wichtig, darauf zu verweisen, daß allein über den zusammen. Insofern ist dieser Verkehrshaushalt eine Bundesverkehrshaushalt voraussichtlich über wichtige Investition in die Zukunft unseres Landes. 300 000 Menschen Lohn und Brot finden. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich möchte einen besonderen Schwerpunkt darauf Frau Kollegin Enkelmann, ich denke, Sie gestatten legen, diesen Etat bei der Haushaltsberatung in die mir, daß ich trotzdem noch einiges an Aufklärungs- gesamte Verkehrspolitik einzuordnen. Wir gehen arbeit leiste. davon aus — ich denke, das hat die kollegiale Zusam- Der Bundesfernstraßenhaushalt 1993 beläuft sich menarbeit mit den Berichterstattern aller Fraktionen auf 4,5 Milliarden DM für die jungen Bundesländer ausgemacht, für die ich mich aufrichtig bedanke —, und 6,9 Milliarden DM für die westdeutschen Bundes- daß wir mit diesem Haushalt eine verkehrspolitische länder. Das hat seine Ursache schlicht und einfach Wende einleiten. Wir müssen alle miteinander in den darin, daß wir mit dem beschleunigten Planungsrecht nächsten Jahren unser Verhalten deutlich ändern. Es in den jungen Bundesländern eben nicht — wie es der wird nicht mehr funktionieren, Mobilität ausschließ- Kollege Feige dargestellt hat — sofort eine wildgewor- lich über das Auto zu gewinnen, sondern wir müssen dene Betonpolitik realisieren, sondern mit Planungs- verstärkt andere Verkehrsmittel nutzen. Das ist ein zeiten von etwa drei bis fünf Jahren die Projekte Stufenprozeß, ein schrittweises Vorgehen. Vier Refor- vorbereiten müssen, so daß der Anteil an Neubauten men müssen wir deshalb in dieser Legislaturperiode in den jungen Bundesländern wesentlich geringer ist durchsetzen. Ich bitte Sie dabei um Unterstützung. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10657

Bundesminister Dr. Günther Krause Das eine ist die Bahnreform. Ich möchte darauf plan über diese Strecke noch nicht einig sind. Dies heute aber nicht im einzelnen eingehen. Entschei- könnte eine Ursache sein. Ich würde Ihnen aber dend ist, daß es in den vergangenen Jahren zwei empfehlen, daß Sie diesen Sachverhalt vielleicht in Versuche gegeben hat, die Deutsche Bundesbahn zu einem Brief an mich ganz konkret darstellen, und ich sanieren. Der eine Versuch war in den 70er Jahren. würde dann bei der Bahnverwaltung den Versuch Damals wollte man die Verwaltung durch sehr grobe unternehmen, mich darüber zu informieren. Ich Streckenstillegungen sanieren. Das ist nicht gelun- bekomme im Regelfall von solchen Briefen 30 bis gen. Das sollten wir feststellen. Beim zweiten Versuch 40 Stück pro Tag, und ich denke, daß die Verwaltung in den 80er Jahren wollte man die Nettokreditauf- meines Hauses Ihnen dann eine klare Antwort erar- nahme der Bahn herunterfahren und ist in die beiten kann. Beschäftigung gegangen. Es hat ähnliche Probleme wie in den 70er Jahren gegeben. Diese beiden Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Eine Zu- Ansätze sind also unbrauchbar. Wir müssen daher den satzfrage? Bitte schön. Weg in ein privatwirtschaftlich organisiertes Unter- nehmen finden. Hans-Eberhard Urbaniak (SPD): Herr Kollege, ich Für mich ist bei der Bahnreform elementar und werde das rot ankreuzen, damit Sie wissen, daß es ein wichtig, daß die Zielsetzung Trennung von Fahrweg dringendes Problem ist. Aus den 30 Briefen können und Betrieb nicht von heute auf morgen realisiert Sie das dann auswählen. werden kann. Es muß aber Wettbewerb auf der (Zuruf von der CDU/CSU: Kreuzen Sie es Schiene geben, um den Sanierungsprozeß zu schwarz an, dann wird es schneller gele beschleunigen. Durch die Bahnreform werden wir sen!) erreichen — diese Zusage kann heute gegeben wer- den; ich hoffe, daß ich das nach 1994 noch in meinem Wir planen und bauen diese Strecke ja schon. Es ist Amt belegen kann —, daß die Wachstumsbremsen bei also kein Problem des Bundesverkehrswegeplanes der Bahn wegfallen, damit die Eisenbahn stärkere (neu), sondern es ist in der Tat so, daß wohl Unterneh- Zuwächse bekommt als der Verkehr insgesamt. men in der Bundesrepublik die Bundesbahn mit der - Ausschreibung über den Tisch ziehen wollten. Die zweite Reform betrifft das Planungsrecht. Hier möchte ich darum werben, die Gesetzentwürfe zuerst (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.) genau zu studieren und nicht gleich demagogisch Ich frage Sie: Sind Sie daran interessiert, und werden über sie zu reden. Herr Kollege Feige, zwischen 80 % Sie uns unterstützen, den Ausbau dieser Strecke und 90 % der Bevölkerung stimmen der A 20 in möglichst schnell vorzunehmen? Mecklenburg-Vorpommern zu. Wenn das auch 1994 (Zuruf von der F.D.P.: Wickeln wir das kilo so bleibt, so haben sich die Investitionen gelohnt, und meterweise ab? — Weitere Zurufe von der unsere Arbeit hier im Bundestag war erfolgreich. CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Dr. Günther Krause, Bundesminister für Verkehr: Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Mini- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir als Fachminister ster, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord- sind zwar bemüht, möglichst viele Details im Kopf zu neten Urbaniak? haben, und ich erinnere mich jetzt an den konkreten Vorgang. Ich will auch das Parlament gern darüber Dr. Günther Krause, Bundesminister für Verkehr: aufklären. Allerdings ist das bei den vielen tausend Natürlich. Investitionsobjekten nicht in jedem Einzelfall mög- lich. Ich habe mich vorgestern mit dem Problem Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Bitte persönlich befassen müssen. sehr. Es ist in der Tat so, daß versucht worden ist, die Hans-Eberhard Urbaniak (SPD): Herr Minister, Sie Verwaltung der Bahn durch ungünstige Angebote sprechen von der Reform des Planungsrechts. Nun — wenn man so will, ist dieser Begriff gerechtfertigt — planen wir eine Strecke zwischen Dortmund, Kassel zu schädigen, und die Entscheidung der Bahn, die und Dresden. Wir hören zu unserem Erstaunen, daß jetzt zunehmend unternehmerisch denkt, war natür- die Planungen eingestellt, gestoppt, verlagert wer- lich genau richtig, angesichts der Angebote der Bau- den. Man ist sehr verunsichert, daß die großen. wirt- wirtschaft, die bei entsprechenden Preis-Leistungs- schaftlichen Räume nicht über die Eisenbahn zusam- Verhältnissen eine Überteuerung ausmachen, eine mengeführt werden können. Wovon kann man nun erneute Ausschreibung mit dem Ziel durchzuführen, ausgehen? Nachdem das Parlament die Entscheidung daß möglichst schnell, aber billiger weitergebaut für den Ausbau dieser Strecke in der letzten Legisla- wird. Genau dies ist das Ziel: daß preiswerter gebaut turperiode getroffen hat, sind wir alle sehr daran wird — nicht billiger! Sonst könnte Herr Feige gleich interessiert, wie es in dieser Frage weitergeht, damit wieder denken, es gehe um eine Ükologieeinsparung. diese Relation realisiert werden kann. Genau dies ist das Ziel der Bahnreform, wenn ich das einmal sagen darf. Dr. Günther Krause, Bundesminister für Verkehr: Herr Kollege, ich kann Ihnen jetzt nicht im Einzelfall Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Mini- die Ursache für das eventuelle Stoppen dieser Pla- ster, wenn Sie die Freundlichkeit haben würden, eine nungsarbeiten vortragen. Ich gehe davon aus, daß Kopie des Briefes an den Kollegen Urbaniak auch den diese Planungsarbeiten vielleicht deshalb gestoppt Abgeordneten Müntefering, Tillmann und Cronen- worden sind, weil wir uns im Bundesverkehrswege- berg zuzuschicken, wäre ich Ihnen sehr verbunden. 10658 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Dr. Günther Krause, Bundesminister für Verkehr: heutige Beratung hin einige Unterlagen besorgt, um Herr Präsident, ich werde natürlich gern dieser Auf- die umweltfreundliche Politik dieser Bundesregie- forderung nachkommen; aber ich möchte zum Stich- rung im Bereich der Mineralölsteuern der letzten fünf wort Bahnreform, wenn Sie das gestatten, an dieser Jahre einmal deutlich darzustellen. Die Mineralöl- Stelle wirklich gern noch bemerken, daß dies eigent- steuern sind von 1987 auf 1991 bei unverbleitem lich ein gutes Beispiel dafür war, wie notwendig die Benzin um 74 % gestiegen. Bahnreform ist, damit von Wirtschaftsunternehmen zu (Zuruf von der SPD: Das ist aber nicht für den Wirtschaftsunternehmen wesentlich mehr Steuergel- Umweltschutz eingesetzt worden!) der eingespart werden können. Obwohl natürlich alle Verwaltungen und alle Beamten aufrichtig und ehr- — Entschuldigen Sie, wir reden doch von der Bela- lich arbeiten, meine ich, daß vielleicht — ich kann es stung des Bürgers zugunsten des Umweltschutzes, nicht bewerten — das nächste Parlament in Berlin mit und ich glaube, es ist richtig, darauf hinzuweisen, daß Hilfe der Privatfinanzierung neugebaut werden sollte der erste, der vom Umweltschutz sprach, der Kollege und nicht über die Verwaltung. Aber darüber ent- Bohlsen unter den Berichterstattern war. Wir haben scheiden wir ja vielleicht ein andermal. die Umweltpolitik wirklich zu unserem Markenzei- chen gemacht. Wir haben beim verbleiten Benzin (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne einen Zuwachs um 73 %; wir sind heute bei 92 Pf pro ten der CDU/CSU) Liter, waren 1987 bei 53 Pf. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein zum Planungsrecht zurückkommen. Ich meine, hier entscheidender Punkt zur Konsolidierung unserer muß man offen und ehrlich formulieren, daß die Eisenbahn wird sein, eine Straßenbenutzungsgebühr 600 Streckenkilometer in den Planungen natürlich für Autobahnen vorrangig einzuführen. Wenn wir fehlerhaft waren und strafverschärfend hinzukommt, diesen Trend weiter verfolgen, dem deutschen Steu- daß die durchschnittliche Planungszeit in Deutsch- erzahler mit permanenten Mineralölsteuererhöhun- land West bei 15 bis 20 Jahren liegt. Wir können also gen in die Tasche zu greifen, werden wir vor allem die unmöglich eine Bahnreform durchführen, ohne paral- ausländischen Lkw-Verkehre durch unser Land noch lel dazu das Planungsrecht in überschaubare- Zeit- weiter subventionieren. Die erschreckende Tatsache, räume zu verlagern. Unser Ziel ist nicht, Bürgerbetei- die dargestellt worden ist, daß die Bahn gegenwärtig ligung und Umweltschutz abzubauen, sondern unser sehr, sehr viel Güterverkehr verliert, ist genau auf Ziel ist, berechenbare Zeiträume für Planungsaufga- diesen Sachverhalt zurückzuführen. Letztendlich ist ben vorzuhalten. Deshalb werden wir, um die Ver- es normal, daß man durch Europa — und damit durch kehrspolitik vorrangig in Ordnung zu bringen und um Deutschland — mit einem vollgetankten Lkw fährt, gerade umweltgerechteren Verkehrsträgern sehr und die Theorie, die Mineralölsteuererhöhung könne schnell eine Chance zu geben, das neue Planungs- alles tun, läßt sich ganz einfach ad absurdum führen. recht benötigen. Wir haben heute in Luxemburg einen Mineralölsteu- Ich möchte auf eine dritte unbedingt notwendige ersatz für Diesel von 30 Pfennig und in Italien von Reform zu sprechen kommen. Wir werden nicht 88 Pfennig, und dazwischen liegen wir, natürlich im umhin kommen, Privatfinanzierungsmodelle und oberen Drittel, weil wir immer Musterschüler sind. Gebührenmodelle zu diskutieren — Privatfinanzie- Die Frage, die sich stellt, ist die, wie wir mit einer rungsmodelle natürlich, um uns das Leben im Bundes- solchen Straßenbenutzungsgebühr — zuerst — unse- haushalt insgesamt einfacher zu machen. Ich hatte ren engen, unseren sehr engen Verkehrsraum ver- gerade gestern abend bzw. gestern nacht die Mög- markten und wie wir im zweiten Schritt eine strecken- lichkeit, dieses Problem mit meinem französischen bezogene Gebühr auch für die deutschen Autobahnen Kollegen im Detail zu besprechen. Es ist schlicht und einführen. Die Frage darf nicht entstehen, ob wir von einfach so, daß im französischen Haushalt weniger als unserem Bahnreformentwurf abgehen und Nutzungs- 50 % der Finanzierung für die eigentlichen Baulei- gebühren für die Eisenbahn wieder einstellen. Dann stungen für Bundesfernstraßen bzw. Autobahnen in würden wir von einem vernünftigen marktwirtschaft- Frankreich über Steuergelder und Nettokreditauf- lichen Weg weggehen und würden eher gegen Ver- nahmen getätigt werden. Dies ist doch ein Trend. Es kehrsvermeidungsstrategien reden. wäre doch ein Weg, wenn wir uns endlich dazu bekennen würden, Haushaltssanierung in Deutsch- land durch drei Elemente zu erreichen: durch Subven- Herr Mini- tionsabbau, durch Umschichtung natürlich, aber auch Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: durch Privatisierung von Aufgaben, die sozialisiert ster, der Abgeordnete Dr. Feige möchte Ihnen eine Frage stellen. über 40 Jahre zwar schick vom Staat realisiert worden sind, die wir uns aber so sozialisiert in den nächsten Jahren nicht mehr leisten können, wenn wir vor allem das Problem und die Aufgabe der deutschen Einheit Dr. Günther Krause, Bundesminister für Verkehr: Es lösen wollen. ist mir ein besonderes Vergnügen; denn ich habe (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) meistens die Möglichkeit, mich für Bauprojekte in Mecklenburg einzusetzen, während Herr Feige Das ist ein ganz entscheidender Punkt. gegen etwas in Mecklenburg opponiert! Lassen Sie mich zu einer weiteren wichtigen Reform (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE kommen, das ist die Reform in Richtung auf Fiskal- GRÜNEN]: Mecklenburger sind leidensfä harmonisierung. Hier habe ich mir extra auf die hig!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10659

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Also, Herr Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem Dr. Feige, dann verschaffen Sie dem Minister das Bundeshaushalt 1993 leisten wir einen guten Ansatz, Vergnügen. um unseren verkehrspolitischen Herausforderungen gerecht zu werden, und um vor allem die Standortsi- Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- cherungen in den jungen Bundesländern zu gewähr- NEN): Herr Bundesverkehrsminister, widersprechen leisten. Sie damit den Vorstellungen von Herrn Möllemann, Da die Autobahnen und der Verkehrswegebau in die er vor wenigen Tagen geäußert hat, daß eine den jungen Bundesländern angesprochen wurden, weitere Erhöhung der Mineralölsteuer für den möchte ich hier doch noch einmal deutlich sagen: Umweltschutz notwendig und dringend geboten ist? Neben Briefen, die sich auf einzelne Bauvorhaben beziehen, sind bei mir auch sehr viele Anfragen von Dr. Günther Krause, Bundesminister für Verkehr: potentiellen Investoren und zunehmend auch von Ich werde den Auffassungen des Herrn Möllemann solchen ostdeutschen Bürgern eingegangen, die ihren nicht widersprechen; ich lege bloß dar, daß nicht nur Handwerksbetrieb zu einem mittelständischen Unter- aus der Sicht der Verantwortung des Verkehrsmini- nehmen ausbauen wollen. sters für die Organisation vernünftiger Verkehre Die Argumentation, daß eine Autobahn von Rostock — wir hatten die Diskussion mit der Kollegin Enkel- nach Lübeck ausschließlich in ihrer Funktion als mann —, sondern auch aus der Sicht, daß wir die Fahrweg benutzt wird, ist deshalb nicht überzeugend, Eisenbahn fördern wollen, das althergebrachte Bild, weil man darüber hinaus z. B. auch Produkte, die in Deutschland sei eine Käseglocke und wir könnten Rostock erzeugt werden, viel kostengünstiger — und weiter so tun, als könnten wir mit der Käseglocketheo- damit auch mit wesentlich geringeren Lohnstückko- rie „Mineralölsteuererhöhung" alles erledigen, abso- sten — nach Lübeck transportieren kann. lut falsch ist; das habe ich Ihnen nachzuweisen ver- sucht. Das führt nämlich zu den Situationen — und die Vergessen Sie im übrigen nicht, daß es natürlich ein möchte ich hier schildern —, daß Züge, die aus Witz ist, Herr Feige, wenn gesagt wird, ich setzte mich Osteuropa kommen, an der deutsch-polnischen in Mecklenburg-Vorpommern für die Kürzung einer Grenze stoppen und daß an der deutsch-polnischen- Investition ein. Sie müßten eigentlich davon ausge- Grenze von Zügen auf Lkw umgeladen wird, weil der hen, daß „BMV" auch „Bundesministerium Mecklen- Bürger im Lande auf Grund der 74prozentigen bzw. burg-Vorpommern" heißt. 73prozentigen Zuwachsrate bei der Mineralölsteuer (Heiterkeit) in den letzten fünf Jahren heute genötigt ist, diese Also wird der Schienenweg von Lübeck nach Stral- Subventionierung vor allem des internationalen Lkw- sund natürlich zweispurig ausgebaut, wie das Bun- Verkehrs durch Deutschland zu bezahlen. Ich meine, deskabinett es schon im Februar 1991 beschlossen wir sollten in unserem Haushalt auch an dieser Stelle hat. Subventionen abbauen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Kol- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine lege Feige, Sie wollen eine Zwischenfrage stellen? — Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen Bitte. mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzel- Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- plan 12 in der Ausschußfassung. Wer dem zuzustim- NEN): Herr Minister, anerkennen Sie denn wenig- men wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — stens dieses als eine zusätzliche Möglichkeit, den Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist ökologischen Vorhaben, die Sie für die Verkehrspoli- der Einzelplan 12 mit den Stimmen der Koalitionsfrak- tik als Markenzeichen signalisiert haben, nachzukom- tionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen men? angenommen.

Dr. Günther Krause, Bundesminister für Verkehr: Ich rufe auf: Ich gehöre zu den Menschen, die lieber step by step vorgehen, als nur über etwas zu reden. Ich denke, ich Einzelplan 07 konnte in den letzten zwei Jahren mit meinem Politik- Geschäftsbereich des Bundesministers ansatz nachweisen, daß Verkehrspolitik — mit dem der Justiz Grundkonzept des Bundesverkehrswegeplanes und — Drucksachen 12/3507, 12/3530 — der entsprechenden Reform, in Schritten gedacht — Berichterstattung: auch wirklich nachvollziehbar ist. Eine Mineralöl- Abgeordnete Thea Bock steuererhöhung in der jetzigen Situation — das will Michael von Schmude ich deutlich sagen — kann ich weder aus der Sicht der Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland noch auf Grund der Gefahren, denen Deutschland als Dienst Einzelplan 19 leister im Verkehr in den nächsten Monaten ausge- Bundesverfassungsgericht setzt sein wird, verstehen. Allerdings gehe ich da von — Drucksachen 12/3519, 12/3530 — einem naturwissenschaftlich-intellektuellen Ansatz Berichterstattung: aus. Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel (Heiterkeit — Beifall bei der CDU/CSU und Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) der F.D.P.) Hans Georg Wagner 10660 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Das sind — bei Gott — keine derben Streiche. Das sind Ihnen eine Debattenzeit von einer Stunde vor. Ist das schwerste Verbrechen, die uns vom Dritten Reich Haus damit einverstanden? — Das ist offensichtlich Gebrannten die Schamröte ins Gesicht treiben. der Fall. Dann ist dies so beschlossen. Es geht auch nicht an — und das ist nicht minder Ich eröffne die Debatte und gebe zunächst dem wichtig —, daß die Rechtsextremen mit Hakenkreuz- Abgeordneten Dr. Hans de With das Wort. fahnen, mit dem Hitler- oder dem sogenannten Küh- nen-Gruß durch die Straßen marschieren, auf den Mattscheiben erscheinen und bei allem oder vielem Dr. Hans de With (SPD): Herr Präsident! Meine sehr unbehelligt bleiben. Ebensowenig kann hingenom- verehrten Damen und Herren! 1991 waren es drei men werden, daß Zeugen, wenn sie aus einem Menschen, die Fremdenhaß und rassistischen Kra- Gerichtsgebäude ziehen und Hitler-Parolen rufen, wallen zum Opfer fielen. In diesem Jahr sind es, wie nicht strafrechtlich verfolgt werden, noch dazu, wenn wir wissen, schon 16. sie aus einem Prozeß gegen Rechtsradikale kom- men. Die tödliche Chronik allein für diesen Monat liest sich nach einer Agenturmeldung — ich zitiere — so: In der „Schweriner Volkszeitung" — ich sage das 12. November: nicht von ungefähr — vom 14. November heißt es z. B. — ich zitiere wörtlich —: Zwei Skinheads treten in Wuppertal nach einem Streit einen arbeitslosen Metzger zu Tode und Sie machten draußen ihrem Ärger Luft. Das Lied stecken ihn in Brand. „SA marschiert" singend und „Heil Hitler!" rufend zogen sie vom Justizgebäude durch die 21. November: Breitscheidstraße in Richtung Platz der Freiheit in Ein vermutlich Rechtsradikaler ersticht in Berlin- eine Gaststätte. Was sie taten, steht unter S trafe. Marzahn einen Jugendlichen aus der Hausbeset- Wir können nur hoffen, daß sie tatsächlich wirk- zerszene. lich nachdrücklich verfolgt werden. Denn das ist 23. November: das Unterfutter, auf dem bl anker Terror wächst und gewachsen ist. In Mölln sterben zwei türkische Frauen und ein türkisches Mädchen bei einem Brandanschlag Nur — und das sage ich auch —: Hier sind nicht nur auf ihr Haus. Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte aufgerufen, sondern ebenso auch Justizminister- und Innenmini- Unmittelbar nach dem Anschlag geht ein Anruf sterkonferenzen. Gefragt sind auch Kultusminister- bei der Feuerwehr mit nationalsozialistischen konferenzen und vor allem Erzieher, Eltern und auch Parolen ein. wir Älteren, die wir in unseren Kindertagen dies alles Hinzu kommt der 24. November: schon einmal erlebt haben. Unsere Gesellschaft ist gefordert. Das Toleranzgebot darf nirgendwo — aber In Bad Salzuflen wird ein Türke von maskierten auch wirklich nirgendwo — ein Fremdwort sein. jungen Männern zusammengeschlagen und mit einem Messer schwer verletzt. Gewiß, wir sind uns über alle Parteigrenzen hinweg Es wird kaum mehr davon Kenntnis genommen. im Grunde einig; Gott sei Dank! Nur sollten wir uns nicht kleinlich parteipolitisch beharken mit Vorwür- Wir können von Glück reden, daß er noch lebt. fen wegen fehlender oder verfehlter Gesetzesände- Und vor fast genau zwei Jahren hatte es begonnen: rungen hier oder dort. Wir Sozialdemokraten sind zu Skinheads in Eberswalde erschlugen einen Mann aus jedem Gespräch, zu jeder Mitarbeit bereit, auch Angola. Ortsnamen sind inzwischen Fanale einer — Hans-Ulrich Klose hat das gestern schon gesagt — neuen rechtsradikalen Gewaltseuche: Hoyerswerda, zur Überprüfung des Gesetzesinstrumentariums. Quedlinburg, Rostock und jetzt Mölln. Letztlich geht es zudem um den Erhalt des Gewalt- Seit mehr als einem Jahr brennt es in Deutschland monopols des demokratischen Staates. Die Weimarer beinahe jede Nacht. Brutale Gewalt, Fremdenhaß, Republik ging auch deshalb unter, weil der Staat aber auch ohnmächtige Wut gehen um. Wir müssen das Hochschaukeln des Sich-gegenseitig-Bewaffnens sagen, was ist. nicht hindern konnte und die Autorität des Staates Jeden Tag muß das öffentliche Bewußtsein unter den Schmährufen der Rechten versunken ist. geschärft und der Letzte aufgerüttelt werden. Und Meine sehr verehrten Damen und Herren, der natürlich ist es gut, daß in Mölln der Generalbundes- Justizetat gibt für beckmesserische Buchhalterei anwalt eingeschritten ist. Ich füge hinzu: im ganzen gemeinhin nichts her. Er ist klein, gemessen an den erst zum zweitenmal gegen den Rechtsradikalismus. Haushalten anderer Ministerien, und auch diesmal Es muß rasch, es muß rascher ermittelt werden. Die wieder traditionell sparsam angelegt. Ich nehme bei Strafrahmen sind keineswegs ausgeschöpft worden. dieser Gelegenheit die Möglichkeit wahr, den Mitar- Auch wenn ich es hier immer wiederhole und es vielen beiterinnen und Mitarbeitern des Bundesministeri- bekannt ist, es muß immer und immer wieder gesagt ums der Justiz herzlich Dank zu sagen. werden: Wer Brandsätze in bewohnte Häuser wirft, begeht einen Mordversuch, mindestens einen Tot- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der schlagsversuch. F.D.P.) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Das gilt für die Überstunden, um das einmal zu sagen, F.D.P.) zugunsten der neuen Länder genauso wie für das stete Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10661

Dr. Hans de With Ausharren im Rechtsausschuß, das sie oft hinnehmen gerechtfertigt, den Versuch zu unternehmen, den mußten. Alkoholgenuß herunterzudrücken. Die Ministerin kann ich allerdings nicht ganz unge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schoren davonkommen lassen. Auch Sie haben, was der CDU/CSU und der F.D.P.) ich seit Jahren gegenüber Ihren beiden Vorgängern gesagt habe, noch immer keinen Gesetzentwurf zur Hat bei Ihnen vielleicht die CSU zu sehr gedrückt? Bestrafung der Vergewaltigung auch in der Ehe (Zuruf von der CDU/CSU) eingebracht, verbunden mit den erforderlichen Ände- rungen bei den dazu gehörenden Sexualdelikten; für — Wenn Sie nein sagen, um so besser; dann sagen Sie mich eigentlich nicht verständlich. gleich, was Sie wollen, und stimmen Sie dem, was ich ausgeführt habe, zu. (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Das ist nicht für jedermann ein Vorwurf!) Die Bundesregierung und die sie tragenden Par- teien haben eine Ewigkeit gebraucht, um ein Gesetz Ich frage Sie, Frau Ministerin: Wie steht es eigent- zur Bestrafung der Geldwäsche einzubringen. Es ist lich mit der Reform des Kindschaftsrechtes? Im inzwischen verabschiedet. Nur, das dazu gehörende Grunde hat der Juristentag in Hannover vor wenigen Gewinnaufspürungsgesetz steht noch immer nicht im Wochen dazu schon ein gut Teil an Hausarbeiten Bundesgesetzblatt. Ich will zwar zugeben, daß das geleistet. Wir werden am Dienstag — davon gehe ich Bundesministerium der Justiz hier nicht federführend aus — einen entsprechenden Antrag in unserer Frak- zuständig ist. Aber es ist die Bundesregierung mit der tion beschließen. Bundesministerin der Justiz, die hier aus übertriebe- ner Angst vor den Banken nicht bereit war, die Das sind Defizite, die Sie sich mit anrechnen lassen Registrierungsschwelle für Bankabhebungen ent- müssen. sprechend zu senken, und damit das Inkrafttreten des Auf der anderen Seite haben Sie als Verantwortli- Gesetzes erheblich verzögerte. che für das Justizressort — jetzt kommt es etwas dicker — es hinnehmen müssen, daß die Koalitions- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Denen ist das fraktionen Ihnen in der letzten Sitzungswoche ein Bankgeheimnis wichtiger als der Schutz Gesetz zur Verlängerung der unseligen Kronzeugen- unserer Kinder!) regelung — ich kann es wohl nicht anders sagen — — Diesen Eindruck muß ich haben. — Was wir Ihnen aufgedrückt haben, und zwar mit dem Ziel, dieses mühsam abzutrotzen versuchen, ist in den Vereinig- noch in dieser Woche durch das Parlament zu peit- ten Staaten, dem, wie man sagt, kapitalistischen Staat schen, um das Auslaufen des Gesetzes zum 31. De- der Erde schlechthin, seit Jahren Gesetz und damit zember dieses Jahres doch noch aufzufangen, zu längst zur Bekämpfung der Drogenkriminalität wirk- verhindern. Wir Sozialdemokraten haben dazu sam. gestern im Rechtsausschuß ein Anhörungsverfahren beantragt, weil es einfach nicht angeht, daß dieses Defizite gibt es auch im Bereich des Umweltstraf- höchst umstrittene Gesetz ohne öffentliche Bewertung rechts. Insbesondere die Anhörung des Rechtsaus- mit einem bloßen Federstrich verlängert und inner- schusses in Weimar hat dies erneut belegt. Ich erin- halb von nur 14 Tagen durch den Bundestag gejagt nere an die Nuklearstraftatbestände. Diese müssen wird. verbessert werden, der Art nach und was den Straf- rahmen anlangt. Denn auch bei uns müssen wir (Beifall bei der SPD) erkennen, daß sogenannte Nuklearstrafdelikte nicht Diese Verfahrensweise ist in der Tat eine Zumu- mehr selten sind. tung. Im Bereich des Strafrechts waren Sie, Frau Ministe- Hatten Sie, Frau Ministerin, zu der Verlängerung rin, in einem anderen Feld sonderbar zögerlich. Wir der Kronzeugenregelung noch am 6. November nein hatten vor Jahr und Tag eine Große Anfrage zur gesagt, so haben wir nichts von Ihnen zu der Frage Meinung der Bundesregierung über unser Sanktio- eingebracht, also zur Frage, ob die Strafar- gehört, ob denn nicht endlich anstelle der 0,8- nenrecht ten und Strafmaße noch unserer Zeit entsprechen. Das Promille - Regelung in den alten Ländern eine 0,5- Promille-Regelung mit Fahrverbot bei Alkoholgenuß Kabinett hat die Antwort gerade erst beschlossen. für ganz Deutschland eingeführt werden soll. Inzwischen haben wir eine weitere Große Anfrage zur sogenannten Massenkriminalität eingebracht. Ich (Beifall bei der SPD) frage mich, ob die Antwort hier erneut ähnlich lange Bis zum 31. Dezember gilt in den neuen Ländern noch dauert. Es geht mir nicht um die Förmlichkeiten der die sogenannte 0,0-Promille-Regelung, in den alten, Behandlung einer Parlamentsanfrage, obwohl man wie erwähnt, noch die 0,8-Promille-Bestimmung. Es auch darüber rechten könnte. Es geht darum, daß die liegen Anträge der SPD und des Bundesrates zur Öffentlichkeit merkt, daß die in letzter Zeit enorm Vereinheitlichung — jetzt inzwischen auch einer zur gestiegene Massenkriminalität — vom Autodiebstahl Verlängerung — vor. Ich frage Sie: Warum schweigen über den Hauseinbruch bis zum Straßenraub — ener- Sie hierzu, Frau Ministerin? gischer und besser bekämpft wird. Wir wissen, wieviel tödliche Verkehrsunfälle durch Ich kündige schon jetzt an, daß wir im nächsten Jahr Alkoholgenuß verursacht werden und in welchem eine weitere Große Anfrage einbringen werden, näm- hohen Maße der Alkoholgenuß bei Verkehrsunfällen lich eine zur Schwerkriminalität. Nicht nur Umfragen mitspielt. Es ist furchtbar, und es ist jede Maßnahme bestätigen: Bei den Besorgnissen der Bürger über die 10662 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Dr. Hans de With Zunahme der Kriminalität spielt die Angst, selbst plötzlich davon spricht, daß er durch ein einfaches Opfer zu werden, eine zunehmend wichtige Rolle. Gesetz den Kampfeinsatz deutscher Zerstörer in der Weil ich gerade vom Autodiebstahl gesprochen Adria bei der Blockade Restjugoslawiens erlauben habe, will ich noch folgendes sagen. Sie konnten der will — er hat es gestern abend erstaunlicherweise ein gestrigen Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung" ent- klein wenig relativiert —, und der Bundesminister des nehmen, daß im Jahre 1991 Autos im Wert von Auswärtigen, Ihr Vorgänger, mit dem Hinweis wider- 850 Millionen DM gestohlen worden sind und daß es spricht, dies gehe ohne eine Grundgesetzänderung im Jahre 1992 sehr wahrscheinlich 1,2 Milliarden DM nicht, was auch unser Standpunkt ist, frage ich: werden. Das ist ein ganz enormer Anstieg. Dabei Warum schweigen Sie dazu? Für eine Antwort wären wissen wir aus Veröffentlichungen, daß es sehr wahr- wir dankbar. scheinlich möglich ist, mit einem Aufwand von nur (Beifall bei der SPD) etwa 200 DM einen Autodiebstahl besser als bisher zu Die Justiz und die Rechtspolitik finden sich nur verhindern oder auf jeden Fall sehr erheblich zu selten in den Schlagzeilen, sie sind Tagesgeschäft. erschweren. Aber ich muß Sie fragen: Warum haben Rechtsstaatlichkeit ist eine Daueraufgabe und eignet Sie noch nicht dafür gesorgt, daß es zu einer entspre- sich nicht zur Effekthascherei. Nicht selten müssen wir chenden Änderung mit einer Auflage in der Straßen- mangelndes Verständnis und noch mehr Unpopulari- verkehrs-Zulassungs-Ordnung kam? Ist Ihnen das tät über uns ergehen lassen, um rechtsstaatliches gleichgültig? Dazu bedarf es keiner großen Kraftan- Bewußtsein als Grundvoraussetzung für Gerechtig- strengung; aber geschehen ist nichts. keit entwickeln zu helfen. Da lesen wir zum Honek- Ich nenne aber noch eine Reihe anderer Defizite. ker-Prozeß: Schon zwei Angeklagte ausgeschieden! Wird der Prozeß zur Farce? — Und andere meinen, Wann endlich kommt das Zweite SED-Unrechtsberei- nigungsgesetz, also die Möglichkeit, vom SED Honecker hätte man besser zu seiner Frau nach Chile Regime durch Verwaltungsunrecht und im Bereich fahren lassen sollen, da es ja ohnehin nicht zum Urteil des beruflichen Fortkommens geschädigte Bürgerin- komme oder gar mit einem Freispruch zu rechnen nen und Bürger der vormaligen DDR zu rehabilitie- sei. ren? - Hier kann ich mit allem Ernst nur feststellen: Und wie steht es mit dem schon lange angemahnten Erstens. Es handelt sich nicht um einen sogenann- Entschädigungsgesetz? Solange ein früherer Hausbe- ten politischen Prozeß, sondern um die Anklage sitzer in den neuen Ländern nicht weiß, welche gegen einen Mann, der dringend bzw. hinreichend Entschädigung er für sein Haus bekommt, das er jetzt des mehrfachen Totschlags verdächtig ist. dem Staat überläßt, wird er es ewig vorziehen, zu Zweitens. Solange ein Angeklagter verhandlungs- sagen „Ich will das Haus", und darum kämpfen. Das und haftfähig ist, muß verhandelt und an der Unter- wird auf der anderen Seite zur Folge haben, daß suchungshaft — so die Voraussetzungen vorliegen — jemand, der investieren will und um ein Grundstück festgehalten werden, gleichgültig, ob es sich um einen nachsucht, es schwerer haben wird, weil er weiß, da ist früheren Staatsmann handelt oder nicht. einer, der um sein Grundstück kämpft. Das heißt: Das (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Fehlen eines solchen Entschädigungsgesetzes bedeu- F.D.P.) tet indirekt, daß der Aufschwung Ost erheblich verzö- gert wird. Drittens. Die Bundesregierung hat — und wir haben sie dabei stets unterstützt — richtig gehandelt, als sie Wie steht es mit der weiteren Bekämpfung der alles in ihren Kräften Stehende tat, daß Honecker aus „Umwandlungsseuche" — so muß ich es wohl nen- Moskau rückgeführt wurde, damit ihm hier der Prozeß nen —, der Lust Kapitalkräftiger, preisgünstige Miet- gemacht werden konnte wie jedem anderen, der aus wohnungen in luxussanierte Eigentumswohnungen der Bundesrepublik geflüchtet war. umzuwandeln, um die Altmieter hinauszuekeln? Wir denken dabei aber nicht nur an München oder Berlin, Viertens und letztens. Staatsanwalt und Gericht sondern das findet auch schon in Mittelstädten statt. können sich bei ihren Verfahrensschritten nicht Die entsprechenden Gesetzentwürfe von uns liegen danach richten, was der eine oder andere für opportun vor; aber die Bundesregierung — das hat wieder die hält. Sie haben jeden Schritt danach auszurichten, was letzte Rechtsausschußsitzung vom Mittwoch dieser Gesetz und Recht verlangen. Und genau das tun Woche bewiesen — hat dabei offenbar überhaupt unsere Richter in Berlin. Wir können ihnen nur den keine Eile. Rücken stärken. Vielen Dank. Sie haben, Frau Ministerin, in der ersten Lesung des Haushalts — gewissermaßen als Einstandsrede — in (Beifall bei der SPD) einem längeren Exkurs von der Notwendigkeit der Bewahrung der Grundrechte und der Sicherung der Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort Freiheitsrechte gesprochen und dabei besonnenes hat nunmehr der Abgeordnete Michael von Handeln gefordert — ich zitiere Sie —, „das die Schmude. Balance von Freiheit des Bürgers auf der einen und Schutz des Bürgers vor Mißständen und Gewalt auf der anderen Seite nicht einseitig zu Lasten der Freiheit Michael von Schmude (CDU/CSU): Herr Präsident! des Bürgers verschiebt". Das hat uns gut gefallen, Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zu Beginn sage ich unumwunden. Dafür stehen wir. Nur: Dafür bei Ihnen, Herr de With, für Ihre Ausführungen muß man auch kämpfen, auch in einer Bundesregie- bedanken, die Sie hier zu den schrecklichen Gewalt- rung. Wenn der Bundesminister der Verteidigung taten in unserem Land gemacht haben. Wir befinden Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10663

Michael von Schmude uns hier in Gemeinsamkeit in der Beurteilung dieser Eine Sorge haben wir im Bereich des Patentamtes Vorgänge. Nun gilt es, daß alle demokratischen Kräfte hinsichtlich des starken Kostenanstiegs für die Ausbil- in unserem Land für den Grundsatz streiten, daß in dung der Patentanwaltsbewerber. Immerhin stiegen unserem Land nie wieder Gewalt vor Recht gehen die Kosten in den letzten drei Jahren von 1,2 Millionen darf. auf 2,8 Millionen DM. Die Ursache liegt in dem geradezu inflationären Anstieg der Bewerber. Waren (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der es vor drei Jahren noch 39, sind es jetzt bereits F.D.P.) 93 Bewerber. Wir werden uns hier etwas überlegen Aber es gilt jetzt natürlich auch, gemeinsam schnell müssen. die entsprechenden Schlußfolgerungen daraus zu Der Aufgabenbereich des Bundesjustizministers ziehen. hat sich in den letzten Jahren stark ausgeweitet. Wir Übereinstimmung, meine Damen und Herren, gab haben dieser Tatsache durch einen Stellenzuwachs es bei den Berichterstattern weitestgehend — fast von rund 28 % Rechnung getragen. Quer durch das vollständig — auch bei den Haushaltsberatungen zum Haus sind Ausgabenzuwächse durch die Wiederver- Einzelplan 07. Zwar blieben die Sozialdemokraten einigung entstanden. Eine neue Abteilung mit ihrer alten Tradition treu und lehnten die Ansätze für 19 Planstellen, die sich ausschließlich um einigungs- die Wehrstrafgerichtsbarkeit ab, bedingte Fragen kümmert, ist eingerichtet worden. So haben wir denn angesichts begrenzter Personalres- (Beifall bei der SPD) sourcen auch Aufgabenverschiebungen für einen aber — dies ist ja kein Novum — wir sind ihnen mit bestimmten Zeitraum hinzunehmen. So sind die Auf- einer Kürzung dieser Ansätze ein bißchen entgegen- wendungen für die Reformaufgaben im Justizbereich gekommen. für das neue Jahr um 400 000 DM zurückgenommen worden. (Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Das ist der erste Schritt zur besseren Einsicht!) Bei der Erforschung und Erfassung von Rechtstat- sachen gewinnen einigungsbedingte Themen an Selbst bei einer so schicksalsschweren Entscheidung, Gewicht. So stellen wir für Untersuchungen der Justiz ob man etwa „sprachwissenschaftliche Begleitunter- in der ehemaligen DDR 120 000 DM und für Reform- suchungen von maskulinen und femininen Personen- vorhaben auf dem Gebiet der Bereinigung von SED- bezeichnungen in der Rechtssprache" fördern sollte Unrecht, Herr de With, weitere 50 000 DM zur Verfü- oder nicht, haben wir Einvernehmen erzielt. gung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vor einem Jahr hatte ich hier in der Haushaltsde- batte vorgeschlagen, eine Bei zunächst sehr unterschiedlichen Auffassungen Wanderausstellung „Justiz in der DDR" einzurichten, um über Stellung, Struktur von Frau Kollegin Bock einerseits und Kollegen und Verhalten der Justiz im SED-Unrechtsstaat zu Dr. Weng, immerhin Vorsitzender des Bundes libera- informieren. Vorbild ist dabei für mich die von uns seit ler Männer Deutschlands, andererseits Jahren bereits erfolgreich betriebene Ausstellung (Heiterkeit) „Die Justiz im Nationalsozialismus". gelang es uns dann doch, den Haushaltsansatz von (Zuruf des Abg. Wolfgang Roth [SPD]) zunächst 100 000 auf 25 000 DM einvernehmlich — Herr Kollege Roth, diese Ausstellung sollten Sie zurückzuführen. sich vielleicht einmal anschauen. — Erstmals werden Das Haushaltsvolumen des Einzelplans 07 liegt für die Ausstellung „Justiz im DDR-Staat" nunmehr nunmehr bei 732,46 Millionen DM und entspricht mit 575 000 DM bereitgestellt; für die Folgejahre weitere seiner Steigerungsrate von 2,5 % genau den Eckwer- 1,25 Millionen. Wir haben als Berichterstatter — quer ten des Gesamthaushalts. Erfreulich ist auch die durch die Fraktionen — das Geld durch Einsparungen beachtliche Einnahmesteigerung von 301 Millionen an anderer Stelle im Haushalt gemeinsam besorgt. Ich auf 343 Millionen DM; denn damit erreicht dieser doch bin sicher, daß diese Ausstellung einen wichtigen kleine und alles in allem recht bescheidene Haushalt Beitrag zur Aufarbeitung des Justizunrechts in der einen Eigenfinanzierungsgrad von fast 50 %. Zurück- früheren DDR leisten wird. zuführen ist diese Entwicklung u. a. auf einen starken Ebenfalls quer durch die Fraktionen haben wir vor Anstieg der Einnahmen beim Deutschen Patentamt. mehr als einem Jahr die Einrichtung einer Tagungs- In diesem Zusammenhang begrüße ich es sehr, daß stätte der Deutschen Richterakademie Trier in Schloß das Ministerium meiner langjährigen Forderung Wustrau, Brandenburg, begrüßt. Wir haben dafür im nachgekommen ist und einen Referentenentwurf zur Haushalt 3 Millionen DM als Baukostenzuschuß und Änderung des Gebührengesetzes beim Patentamt weitere 1,2 Millionen für laufende Kosten vorgesehen. vorbereitet hat. Inhaltlich geht es um die von mir Dieser Ansatz ist nach wie vor gesperrt, da mit den geforderte Einspruchsgebühr bei abgelehnten Anträ- alten Bundesländern keine Übereinstimmung erzielt gen. Dies wird nicht nur zu Mehreinnahmen führen, werden konnte, in welcher Form sie sich hier an der sondern vor allem zu einer entscheidenden Arbeits- Mitfinanzierung beteiligen. Es ist geradezu entwürdi- entlastung. Diese Entwicklung haben wir auch schon gend, daß der Länderegoismus erneut ein so wichtiges beim Europäischen Patentamt in München festge- Vorhaben blockiert. stellt. (Heinrich Seesing [CDU/CSU]: Richtig!)

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Der Aus- und Fortbildungsbedarf der Richter in den Sehr lobenswert!) neuen Ländern ist ausgesprochen groß und dringend, 10664 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Michael von Schmude und es ist nicht einzusehen, daß die alten Länder nicht sequenz, daß luxusmodernisiert wird und Mieter ver- ihren Anteil — wie übrigens auch bei der Einrichtung drängt werden. Wir meinen — ich denke, Sie auch —, in Trier — mittragen sollen. Der Bund kann sich nicht es muß schnell etwas passieren. Aber die Koalition ist alle Lasten der Einheit von den Ländern aufdrängen offensichtlich nicht handlungsfähig. Wie sehen Sie lassen. das als Sprecher der CDU/CSU? (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Einen erheblichen Mangel an Solidarität seitens der Länder haben wir auch festzustellen, wenn es um den Michael von Schmude (CDU/CSU): Ich sehe hier Ausbau der Stiftung Europäische Rechtakademie in keinen direkten und akuten Handlungsbedarf, Trier geht. Nur wenige Länder sind bisher bereit, sich (Lachen des Abg. Dr. Hans de With [SPD]) daran zu beteiligen. Wir haben im Bundeshaushalt einen Leertitel aufgenommen, um zu dokumentieren, weil wir Mieterschutzgesetze haben, die soweit daß wir gewillt sind, einen angemessenen Beitrag zu gehen, daß sie auch die Umwandlung einer Mietwoh- leisten, und zwar unter der Voraussetzung, daß sich nung in eine Eigentumswohnung für viele Jahre die Länder beteiligen und daß ein tragbares Finanzie- blockieren. Da gibt es keine Zugriffsmöglichkeit. Die rungskonzept gefunden wird. Gerichtsurteile zeigen das ganz eindeutig. In den Bei einem so insgesamt doch übersichtlichen und neuen Bundesländern ist der Kündigungsschutz noch zudem gut geführten Haus wie dem des Justizministe- stärker, noch mehr verbessert worden als bei uns. Ich riums fällt es den Haushältern manchmal schon sehe hier zur Zeit keinen Handlungsbedarf. schwer, Herr Kollege Reddemann, noch Einsparmög- (Dr. Hans de With [SPD]: Die Mieter werden lichkeiten zu finden. hinausgeekelt!) Wir haben bei der Unterrichtung der Bevölkerung Wir haben bei den Haushaltsberatungen aber auch allerdings feststellen müssen, daß bezüglich der Miet- beanstandet, daß Instandsetzungsarbeiten an EDV- rechtsinformationen des Ministeriums keine Abstim- Anlagen, z. B. beim Bundeszentralregister in Berlin, mung mit dem Wohnungsbauministerium erfolgte, mit Stundenlöhnen — hören Sie gut zu — von bis zu das ebenfalls eine Hochglanzbroschüre mit fast glei- 786 DM z. B. an Sonn- und Feiertagen bezahlt werden chem Inhalt verlegt hat. Wir müssen darauf bestehen, mußten. Ich will heute noch nicht der Frage nachge- daß hier künftig Abstimmung zwischen den Häusern hen, ob dieselbe Firma, die auch für unsere Mikrofon- Platz greift. anlage im neuen Plenarsaal verantwortlich ist, für die Reparatur dieser Anlage etwa ähnliche Stundensätze Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr von berechnet oder ob das alles unter Gewährleistung Schmude, würden Sie eine Zwischenfrage des Abge- läuft. Aber fest steht, daß sich der Bundesrechnungs- ordneten Müntefering beantworten? hof mit den Abrechnungssätzen dieser Firmen drin- gend beschäftigen muß; denn auch andere Ministe- Michael von Schmude (CDU/CSU): Gerne. rien haben Wartungsverträge abgeschlossen, die die- selben Stundensätze zugrunde legen. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Bitte schön, Herr Müntefering. Hinter dem so harmlos klingenden Titel beim Kapi- tel 704 „Generalbundesanwalt, Verwaltungskosten- Franz Müntefering (SPD): Da Sie gerade, Herr erstattung an die Länder" — nunmehr 5 Millionen Kollege, über den Wohnungsbau sprechen, frage ich DM — verbindet sich u. a. die Erstattungsleistung des Sie: Stimmen Sie der Forderung der Sozialdemokra- Bundes an die Länder für Häftlinge, die in Staats- schutzstrafsachen einsitzen. Zur Zeit h ten zu, daß im Bereich der Umwandlung von Miet- in andelt es sich Eigentumswohnungen schnell etwas passieren muß; um 87 Personen — 26 davon in Untersuchungs- und 61 und wie sehen Sie da das Handeln der Bundesregie- davon in Strafhaft. Die Kosten für den Bund belaufen rung? sich auf zur Zeit 2,7 Millionen DM jährlich, wobei allerdings die alten Bundesländer ganz beträchtliche Michael von Schmude (CDU/CSU): Ich bin der Erhöhungen rückwirkend zum ersten Januar 1991 Meinung, wir müssen sehr schnell den Wohnungsbe- fordern. Wir haben vorsorglich dafür weitere 500 000 stand — soweit dies möglich ist — in den neuen DM veranschlagt. Bundesländern privatisieren, damit durch Eigeninitia- Es liegt leider auf der Hand, daß gegen die tive und Privatgeld Wohnungen renoviert und saniert Zunahme extremistischer Gewalttaten von rechts und werden und wir damit nicht nur die Wohnraumsitua- auch von links in unserem Land voraussichtlich wei- tion verbessern, sondern auch beschäftigungspoliti- tere Mittel in den nächsten Jahren bereitgestellt sche Impulse auslösen. werden müssen. (Beifall bei der F.D.P.) Als eine besondere Hilfe für die mittel- und osteu- ropäischen Staaten ist im Frühjahr dieses Jahres vom Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Eine wei- Bundesjustizministerium eine neue deutsche Stiftung tere Frage des Abgeordneten Müntefering. für internationale rechtliche Zusammenarbeit ins Leben gerufen worden. Wir haben hierfür ganz erheb- Franz Müntefering (SPD): Ich habe mich möglicher- lich Mittel, nämlich 6,4 Millionen DM, im Haushalt. weise ein bißchen undeutlich ausgedrückt. Mir ging Diese Mittel wurden allerdings teilweise mit einer es um einen bestimmten Tatbestand, nämlich die Sperre belegt, weil das Konzept dieser Stiftung über- Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen arbeitet werden muß, damit sich der gute Zweck voll — insbesondere in Westdeutschland — mit der Kon- entfalten kann. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10665

Michael von Schmude Erhebliche personelle und auch finanzielle Kapazi- Finanzrahmen eingepaßt werden, der uns vorgege- täten sind im Justizhaushalt auch 1993 wieder für den ben wurde. Aufbau des einheitlichen Rechtsstaats in den neuen Bundesländern vorgesehen. Gleiches Recht gilt inzwi- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Müssen schen in ganz Deutschland. Aber die Herstellung auch die Einheimischen berücksichtigt wer den?) gleicher Rechtsverhältnisse braucht leider noch Zeit. Für den Aufbau des Rechtsstaats — insbesondere für Ich wünsche mir, daß wir mit Nachdruck gemein- die Entsendung von Richtern, Staatsanwälten, Rechts- sam bei dieser schwierigen Aufgaben vorankommen pflegern, für das sogenannte Pensionärsmodell und und eine Lösung finden, die von allen getragen auch für die EDV-mäßige Ausstattung der Grund- werden kann. buchämter — haben wir wiederum einen großen Betrag, diesmal 107,5 Millionen DM, eingeplant. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die Regierung versagt!) Diese Hilfe hat sich als außerordentlich erfolgreich Das zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz hat ausgewirkt, wenngleich — ich sage das auch hier mit den Investoren, die in den neuen Bundesländern kritischer Anmerkung — die Arbeit in manchen investieren wollen, zusätzliche Möglichkeiten gege- Grundbuchämtern unzumutbar lange dauert. Eigen- ben, ihre Vorhaben auch bei ungeklärten Eigentums- tumsumschreibungen, die bis zu zwei Jahre in verhältnissen durchzusetzen. Anspruch nehmen, kommen immer noch vor. Schrift- liche Anfragen an die Grundbuchämter werden zum In anderen Fällen, in denen die Menschen nur auf Teil gar nicht beantwortet. Diese Zustände müssen die Rückübertragung warten, gibt es nach wie vor dringend beseitigt werden; denn wir wissen alle, wie Unmut über Verzögerungen. Ich kann immer wieder wichtig gerade die Arbeit der Grundbuchämter für — auch hier — nur darauf verweisen, daß es unabhän- den wirtschaftlichen Wiederaufbau, aber auch für die gig von den gesetzlichen Regelungen auch die Mög- Herstellung des Rechtsfriedens in den neuen Bundes- lichkeit der einvernehmlichen Rückgabe gibt, wenn ländern ist. sich alle Beteiligten — vom Alteigentümer bis zum - Amt für offene Vermögensfragen, vom Hypotheken- gläubiger, über die Mieter, über die Gemeinde und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und die Nachfolgeorganisation der Gebäudewirtschaft — der F.D.P.) an einen Tisch setzen und einen Interessenausgleich vornehmen; denn dann wird die Rückübertragung Es bleibt zu überlegen, inwieweit durch Zusam- — und dafür gibt es ja schon viele Beispiele — menarbeit mit den Ländern Schwachstellen kurzfri- unkonventionell und schnell erfolgen können. stig behoben werden können. Auf jeden Fall werden wir auch über das Jahr 1993 hinaus Hilfestellung in Bei der Diskussion über das Entschädigungsgesetz diesem Bereich zu leisten haben. Die alten Bundes- wird mehr und mehr deutlich, daß gerade im Bereich länder sind aufgefordert, die Fortsetzung ihrer bishe- der Landwirtschaft mit einer Barentschädigung der rigen Mithilfe schnell zu präzisieren. Alteigentümer weder dem Gedanken der Wiedergut- machung Rechnung getragen wird noch die Wenngleich — Herr de With hat darüber gespro- gewünschten wirtschaftlichen Effekte erzielt wer- chen — bereits eine Reihe wichtiger Gesetze zur den.

Regulierung von DDR - Unrecht verabschiedet wurde, Der Gedanke, auch den sogenannten Bodenre so bleibt für uns als Gesetzgeber doch noch einiges zu formgeschädigten deshalb anstelle einer Baraus- tun. Ich nenne hier vor allem das Entschädigungsge- gleichsleistung Grund und Boden zu geben, gewinnt setz; lange diskutiert, aber von uns immer noch nicht in der laufenden Diskussion mehr und mehr an verabschiedet. Gewicht. Auch Landwirtschaftsminister der neuen Länder zeigen sich für solche Vorstellungen aufge- (Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Noch nicht schlossen, verlangen allerdings — dafür habe ich einmal von der Regierung als Entwurf vorge volles Verständnis —, daß Pachtverträge selbstver- legt!) ständlich respektiert werden. — Ja, meine Damen und Herren, ich höre jedes Jahr Die Anweisung des Bundesfinanzministers an die immer sehr aufmerksam zu. Herr de With mahnt Treuhand, unverzüglich langfristige Pachtverträge in Gesetze an. Zum Teil sind sie in Arbeit. Zum Teil den neuen Bundesländern abzuschließen, bringt end- stehen sie sogar kurz vor der Verabschiedung. Das ist lich Ruhe in die Diskussion und ermöglicht nun eine auch das Geschäft der Opposition. Dafür habe ich Entschädigungsregelung, die nicht mehr wie bisher Verständnis. Nur, ich unterstelle jetzt auch, daß Sie von den Existenzsorgen ostdeutscher Wieder- und natürlich auch die Schwierigkeiten kennen, warum Neueinrichter überschattet wird. das eine oder andere Gesetz noch nicht entschei- Das Bundesjustizministerium hat auch in diesem dungsreif ist. Bereich bereits wichtige Vorarbeiten für den noch ausstehenden Gesetzentwurf geleistet. Dafür möchte Wir haben im Bereich des Entschädigungsgesetzes ich mich ebenso wie für die gesamte Arbeit, die das eine Lösung zu finden, die dem Gedanken der Wie- Haus in den letzten zwei Monaten geleistet hat, dergutmachung ebenso gerecht wird wie dem Gedan- herzlich bei Ihnen und Ihren Mitarbeitern und Mitar- ken einer fairen Ausgleichsleistung. Das Ganze muß beiterinnen bedanken. eines Tages auch vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben. Das Ganze muß auch noch in den (Beifall bei der F.D.P.) 10666 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Michael von Schmude Bedanken möchte ich mich auch bei den Mitbericht- weist, wäre ich schon sehr neugierig, in welchem erstattern, Frau Kollegin Bock, bei Ihnen, und Herrn Umfang höchste Richter in der Vergangenheit demo- Dr. Weng, dafür, daß wir kollegial und im wesentli- kratische Parteien persönlich finanziell unterstützt chen einvernehmlich den Positionen zugestimmt haben. haben. (Beifall bei der F.D.P. — Franz Müntefering Wir, die CDU/CSU-Fraktion, stimmen dem Justiz- [SPD]: Werden Sie F.D.P.-Vorsitzender! haushalt uneingeschränkt zu. Dann sind Sie diesen Ärger los!) Schönen Dank. Rechtsstaat muß formaler Rechtsstaat sein, Recht ist (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zwangsläufig Formalrecht, (Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Und mate Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile rielles Recht!) dem Abgeordneten Dr. Wolfgang Weng das Wort. nicht irgendwelcher Opportunität ausgeliefert, wie das Herr Kollege de With in anderem Zusammenhang Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (F.D.P.): Herr Prä- vorhin vorgetragen hat, auch dann, wenn mancher sident! Meine Damen und Herren! Den Haushalt des Bürger etwas anderes darunter versteht oder zumin- Justizministeriums haben den Haushaltsausschuß dest so lange verstanden hat, bis er selbst mit dem und Berichterstatter in gewohnter Sorgfalt bearbeitet. Rechtssystem konfrontiert war. Aber Recht darf natür- Ich will hier vor allem dem Kollegen von Schmude lich kein Selbstzweck werden. — Sie haben ihn soeben gehört — für seine außeror- dentlich engagierte und sachkundige Aufgabenerfül- Außerhalb der unveränderbaren menschlichen lung danken. Ihn wünsche ich noch manchen anderen Grundrechte ist Recht veränderbar. Die Mehrheit Ministerien, möglichst auch CDU-geführten, als dieses Hauses „macht" das Recht. Eine qualifizierte Hauptberichterstatter des Haushaltsausschusses. Mehrheit kann auch unsere Verfassung ändern. Aus guten Gründen wird derzeit an einer umfangreichen (Rudolf Purps [SPD]: Das war eine Dro - Revision der Verfassung gearbeitet. hung! ) Ich möchte die Chance meiner heutigen Rede zu ein Ich appelliere an die besonders verantwortlichen paar Fragen an den Rechtsstaat nutzen, die man dem Rechtspolitiker: Der Bevölkerung, aber auch ihren Nicht-Rechtsgelehrten verzeihen mag. Der Herr Bun- Parlamentskollegen ist mit einer reinen Paragraphen- deskanzler hat gestern davon gesprochen, daß sich diskussion nicht gedient. Macht in unserem Lande auf viele Schultern verteilt. (Beifall bei der F.D.P. und bei Abgeordneten Er hat sich im wesentlichen auf die erste, die zweite der CDU/CSU) und die sogenannte vierte Gewalt bezogen. In einer Phase allgemeinen Umbruchs kann aber auch die Die Debatte über das Asylrecht macht das derzeit dritte Gewalt nicht im Elfenbeinturm verharren. besonders deutlich. Wir brauchen die politische Dis- kussion über unsere Ziele, und es ist Sache der Eine wichtige Säule unserer Demokratie ist die Rechtspolitiker, insoweit als besonders ausgebildete Unabhängigkeit des Rechts. Die Unabhängigkeit „Handwerker" oder „Kopfwerker" den politischen unserer Gerichtsbarkeit wird von niemandem in Willen der Mehrheit in Paragraphen zu fassen. Zweifel gezogen. Bei der Unabhängigkeit der Rechts- pflege ist die Diskussion über die politische Weisungs- (Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Wir sind befugnis an Staatsanwaltschaften leider wieder zum schon mehr als Notare!) Erliegen gekommen. Warum eigentlich, wo doch auch Ein wichtiger Aspekt der Rechtssicherheit ist die der Eindruck der Abhängigkeit schädlich ist? Zeitnähe der Verfahren. Eine zu intensive Belastung Bei der Einweihung des neuen Plenarsaals — gern der Rechtswege und ein zu großer Verzug bei der hätte ich meine heutigen Ausführungen dort Rechtsgewährung können den Rechtsstaat beschädi- gemacht — hat uns unser oberster Richter eine ganze gen. Deshalb muß das Verfahrensrecht der übertrie- Reihe bedenkenswerter Worte gesagt. Gerade Herrn benen Rechthaberei zu Lasten des Rechtsstaats Gren- Bundesverfassungsgerichtspräsidenten Herzogs zen ziehen. Worte über die demokratischen Parteien und deren Notwendigkeit haben uns gutgetan. Die zunehmende Gewaltbereitschaft in unserer Gesellschaft zeigt, daß bei zu vielen Menschen in Bei seinen Worten zur Finanzierung dieser Parteien Deutschland der Wille zur Unterwerfung unter Recht fühlte ich mich als Parteischatzmeister mehrfach und Gesetz ins Wanken kommt. Gerade weil auch die betroffen. Was soll ich in dem derart sensiblen Bereich Rechtsfindung eine Abwägung ist, ist Unterwerfung Parteispenden eigentlich jenen Bürgern erklären, die aber sehr wichtig. Wenn sich bei der Waage der bereit sind, die politischen Parteien finanziell zu Justitia eine Schale senkt, heißt das ja nicht, daß in der unterstützen? Dasselbe Verfassungsgericht, das vor anderen keine Gewichte, keine gewichtigen Gründe ein paar Jahren das Parteiengesetz in allen wesentli- und Argumente wären. Wie bei jeder Entscheidung chen Punkten für rechtens erklärt hat, teilt in diesem finden sie eben im Urteil keine Berücksichtigung. Jahr mit, daß das gleiche Gesetz in allen wesentlichen Punkten verfassungswidrig sei. Ich weiß ja, daß Par- Trotzdem muß nicht bei jeder Kleinigkeit durch vier teispender unterhalb eines gewissen Geldbetrags Instanzen prozessiert werden. Der Verzicht auf unnö- Vertrauensschutz genießen. Aber ich gebe ehrlich zu: tige Prozessiererei gehört zu einem System, in dem bei Da das Verfassungsgericht die Parteien auf die Spen- wichtigen Entscheidungen der Rechtsweg und seine denbereitschaft unserer Bürger im einzelnen ver- Garantie unverzichtbar bleiben. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10667

Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Meine Fraktion stimmt dem Etat des Justizministe- einen Rechtsruck in ihrer eigenen Politik zu unterstüt- riums, dem Etat unserer engagierten und geschätzten zen. Justizministerin. Thomas Geisen schrieb treffend im „Kölner Stadt (Beifall bei der F.D.P. und bei Abgeordneten Anzeiger" vom 27. Oktober 1992: der CDU/CSU) Den Klatschern von rechts leiht der Politiker sein in der Überzeugung zu, die notwendigen finanziellen Ohr, den Pfeifern von links haut er eins drauf. Voraussetzungen für die politische Flankierung des Rechtsstaats im Bereich Justiz zu schaffen. Mit dem Gerede vom notwendigen Kampf gegen Rechts- und Linksradikalismus — gestern wieder Vielen Dank. und heute Herr von Schmude — (Beifall bei der F.D.P. und bei Abgeordneten verzerren Regierungspolitiker die Realität des tat- der CDU/CSU) sächlich stattfindenden demokratischen Kampfes gegen rassistische Menschenjagden und neonazisti- sche Randale. Wenn man schon, wie gerade Werthe- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort bach, Analogien zwischen dem Niedergang der Wei- hat der Abgeordnete Professor Dr. Uwe-Jens Heuer. marer Republik und heute sich abzeichnenden Gefahren in der Bundesrepublik sieht, dann sollte man genauer hinsehen und sich vor untauglichen Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS/Linke Liste): Herr Präsi- Analogien hüten. dent! Meine Damen und Herren! Die Frau Ministerin Wir haben nun einmal als Deutsche die geschichtli- Leutheusser-Schnarrenberger hat sich in den letzten che Erfahrung hinter uns, daß sich im Zeichen der Wochen wiederholt für eine konsequente Wahrung regierungsoffiziellen Beschwörung des Notstands und rechtsstaatlicher Prinzipien ausgesprochen. Das fin- des angeblichen Kampfes gegen links und rechts die det meine volle Unterstützung. Ihrem Aufruf, „die Weimarer Republik zu einem autoritären Staat wan- Fundamente unseres freiheitlichen Rechtsstaats vor delte, der dann 1933 dem Nazifaschismus gar keinen einer antiliberalen, populistisch motivierten Erosion - ernsthaften demokratischen Widerstand mehr leisten von rechts zu schützen", stimme ich zu. Das Verfahren konnte. beim Einbringen der Kronzeugenregelung zeigt aller- dings auch, wie schwach offenbar die Stellung von (Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Von Ge Frau Leutheusser-Schnarrenberger im Kabinett ist schichte haben Sie auch keine Ahnung, und und wie wenig ihre Vorstellungen die Rechtspolitik Sie können sie nicht haben!) bestimmen. Wenn heute schon Regierungspolitiker vom Staats- Mir fehlt im übrigen der Glaube, daß man dem in notstand als Rechtfertigung für eine Mißachtung des der Bundesregierung mittlerweile dominierenden Verfassungsrechts reden, womit müssen wir dann Geist des einkalkulierten Verfassungsbruchs, sei es rechnen, wenn die Bundesrepublik Deutschland bei der Vorbereitung eines sogenannten Asylsicher- womöglich in den nächsten Jahren im Gefolge der stellungsgesetzes, sei es bei der Vorbereitung eines Deindustrialisierung Ostdeutschlands und einer wirt- Entsendegesetzes über den Einsatz der Bundeswehr schaftlichen Depression tatsächlich in die Phase einer bei militärischen Aktionen im Ausland am Grundge- ernsthaften wirtschaftlichen und politischen Krise ein- setz vorbei, allein mit Worten begegnen kann. Ich tritt! vermag auch nicht zu übersehen, daß der regierungs- offizielle Kurs, einen Rachefeldzug gegen Hundert- Es geht jedoch nicht nur um derartige Gefahren für tausende in Ostdeutschland zu organisieren, einst Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Für mich ist es, maßgeblich vom Bundesminister der Jusitz Klaus offen gesagt, immer wieder befremdlich, wie wenig Kinkel mit initiiert wurde. tief verwurzelt rechtsstaatliches Denken bei vielen Politikern, durchaus auch bei vielen Rechtspolitikern (Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Sie sind und Juristen, in Westdeutschland ist. ein unverschämter Herr oder: Genosse!) Das betrifft gerade politische Entscheidungen und — Wir sind doch nicht Genossen, mein Herr. Gesetzesvorlagen, die aus dem Jusitzministerium Wir alle wissen um das erschreckende Bild von kommen, um den anlaufenden Rachefeldzug gegen Gewalt. Übersehen wird aber allzu oft, daß es dabei die politische Klasse der DDR zu forcieren. Die A rt und nicht nur um rassistische und neonazistische Gewalt Weise des Umgangs mit der DDR - Vergangenheit auf der Straße geht. Die Reaktion von Politikern dieser — ich bitte Sie, das sehr sorgfältig zu überlegen — im Bundesrepublik auf die Gewalt von rechts ist manch- Vergleich zum früheren Umgang mit der NS-Vergan- mal fast ebenso schlimm wie die Gewalt selber. Wir genheit muß bei vielen, auch bei vielen in Ostdeutsch- haben es sicher mit Merkmalen eines nationalen land, zwangsläufig die Vorstellung hervorrufen, daß Notstands zu tun. Auslöser dafür sind aber nicht die Neonazismus immer noch eine läßliche Sünde ist. Asylsuchenden, sondern Neonazis und Rassisten. Allerdings meine auch ich, daß keine Verschärfung (Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Wer au des Rechts erforderlich ist, sondern eine konsequente ßer Ihnen erzählt denn solchen Unsinn!) Anwendung; Herr de With hat darauf schon hingewie- Kein deutscher Justizminister hat die Auslieferung sen. prominenter Naziverbrecher wie Eichmann oder Man hat angesichts der Regierungspolitik in keiner Mengele erzwungen. Als die Bundesregierung sich Weise den Eindruck, sie wolle diesen Notstand behe- aber entschloß, Erich Honecker den Prozeß zu ben, sondern sie nutzt ihn ganz augenscheinlich, um machen, begann eine gnadenlose Jagd. Herr de With 10668 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Dr. Uwe-Jens Heuer hat heute schon sein Einverständnis mit dem Urteil Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS/Linke Liste): Zuerst erklärt. möchte ich fragen, ob der Ausdruck „Unverschämt- (Dr. Hans de With [SPD]: So ein Unsinn! — heit" nicht zurückgewiesen werden kann. Michael von Schmude [CDU/CSU]: Das ist Zweitens. Es hat keinen Sinn, ewig mit mir über unerhört!) meine Vergangenheit zu reden. Ich bin hier, um heute Ich sehe in einer Rechtsprechung, die an die Stelle bestimmte Ostinteressen zu vertreten und um mich für des DDR-Rechts Überpositives Naturrecht setzen will, Rechtsstaatlichkeit einzusetzen. Ich möchte Ihnen eine Gefahr für Rechtsstaatlichkeit. noch einmal sagen: Ich habe das Recht dazu; ich bin dazu gewählt; und ich werde das machen, ob Ihnen (Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Sind Sie das gefällt oder nicht. ein Mann, der immer noch einer Diktatur hinterherläuft?) (Beifall bei der PDS/Linke Liste und bei Abgeordneten der SPD — Zurufe von der Der Grundsatz „nulla poena sine lege" steht nach CDU/CSU — Helmut Wieczorek [Duisburg] meiner Auffassung nicht zur Disposition. [SPD]: Denken Sie an den Chor der Blockflö (Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Herr Prä ten!) sident! Es gibt bestimmte Dinge — —) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile der Bundesministerin der Justiz, Frau Sabine Leut- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- geordneter Reddemann, Sie haben nicht das Wort. heusser-Schnarrenberger, das Wort und wäre dank- bar, wenn das Haus ihr zuhören würde.

Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS/Linke Liste): Könnten Sie Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesmi- sich vielleicht artikuliert am Mikrophon aussprechen? nisterin der Justiz: Sehr geehrter Herr Präsident! Dann können wir uns unterhalten. Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich (Beifall bei der PDS/Linke Liste und der glaube, mit solchen Äußerungen zeigen Sie, Herr SPD) Heuer, daß Sie die Ostinteressen gerade nicht wahr- Wir sehen mit Besorgnis, wie die Rechtspolitik- auf nehmen. diese Weise auch in Gestalt von Berufsverboten in (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der Ostdeutschland zu einem Instrument der Rache und CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Hans de With Einschüchterung wird. Rechtsstaatlichkeit ist immer [SPD]) konkret. Sie ist bedroht, wenn ein Wissenschaftsmini- Was sachlich zu den Aufgaben und dem Haushalt ster im Freistaat Sachsen eine Liste mit dem Namen des Justizministeriums heute hier geäußert worden von über 800 Hochschullehrern, die mit Berufsverbot ist, zeigt, wie ernst wir die Aufgaben nehmen und wie in Sachsen belegt sind, produziert, mit der Empfeh- ernsthaft wir nach wie vor angesichts der Herausfor- lung, sie auch in keinem anderen Bundesland einzu- derungen arbeiten, um rechtsstaatlich dazu beizutra- stellen. gen, daß wir nach der äußeren Einheit auch die innere Der stellvertretende CDU-Vorsitzende von Sach- Einheit vollziehen können und dort, wo noch Leistun- sen, Fritz Hähle — das möchte ich zum Abschluß noch gen erbracht werden müssen — auch im gesetzgebe- zitieren — hat gesagt, der Skandal sei: Die Mächtigen rischen Bereich —, dies mit allem Nachdruck, aber von einst berufen sich im Rechtsstaat auf Kündigungs- auch mit der erforderlichen Sorgfalt tun. schutz und Datenschutz, während ihre Opfer keinerlei (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Rechtsansprüche geltend machen können. Ich möchte mich bei den Vorrednern ganz herzlich Ich meine: Der Rechtsstaat muß für alle gelten; sonst für ihre freundlichen Worte über die Leistungen der ist er keiner. Ich sehe in der gegenwärtigen Rechts- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Justizministe- politik die Gefahren einer Abkehr von rechtsstaatli- riums bedanken. Das tut ihnen angesichts der Anfor- chen Prinzipien. derungen, denen sie nicht nur in den letzten paar Weil wir für den inneren Frieden, gerade für den Monaten ausgesetzt waren, sehr gut. Wenn ich eine Rechtsfrieden, in Ostdeutschland eintreten, lehnen Prognose wage, glaube ich, daß es auch in den wir den Etat des Justizministeriums ab. nächsten Monaten leider nicht anders werden wird. Die Arbeitsbelastung liegt seit einigen Jahren weit (Beifall bei der PDS/Linke Liste) über dem, was normalerweise an Aufgaben auf das Justizressort zukommt. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zu einer Zu den Zahlen meines Haushalts hat Herr von Kurzintervention hat der Abgeordnete Reddemann Schmude alles gesagt. Ich bedanke mich für die sehr das Wort. konstruktiven, teilweise natürlich auch Kürzungen enthaltenden Vorschläge, die von den Berichterstat- Gerhard Reddemann (CDU/CSU): Herr Präsident! tern gekommen sind. Das Justizministerium verpflich- Ich möchte nur mein Bedauern ausdrücken, daß tet sich angesichts der hohen finanziellen Lasten jemand, der, wie der Kollege Heuer, dem System der unseres Staates zu höchster und allerstrengster Haus- SED und dem Nichtrechtsstaat so gefolgt ist, mit haltsdisziplin. Wir werden trotz Kürzungen im Sach- derartigen Unverschämtheiten in diesem Hause ver- und auch im Personalbereich alles tun, um die Lei- sucht, einen Rechtsstaat lächerlich zu machen. stungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft des Mini- steriums nicht zu tangieren. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zur Ant- Zu dem, was hier an Versäumnissen erwähnt wor- wort gebe ich Professor Heuer das Wort. den ist, möchte ich in einigen Stichworten kurz etwas Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10669

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sagen. Es zeigt sich, daß es neben den Aufgaben, die Dieses Vorhaben, das wir gerade auf der Grundlage wir vorantreiben, keine eigentlichen Versäumnisse von Diskussionsentwürfen mit den Ländern erörtern gibt. Denn wir können nicht alles auf einmal leisten. und besprechen, wollen wir Anfang nächsten Jahres Ich kann natürlich nicht allein das leisten, wofür ich als Gesetzentwurf vorlegen. gar nicht federführend zuständig bin. Da arbeiten wir Ich glaube, gerade diese beiden Vorhaben zeigen, zusammen. Ich denke an das Entschädigungsgesetz. daß sie 1993 verabschiedet werden müssen. Auch Ich erwähne das Gewinnaufspürungsgesetz und auch wenn wir gewisse Übergangsregelungen im Zweiten das Umweltstrafrecht, das ja schon seit einiger Zeit in Vermögensrechtsänderungsgesetz haben, ist es wich- der gesetzgeberischen Beratung ist, wozu selbstver- tig, daß die Menschen in den neuen Ländern wissen, ständlich im parlamentarischen Raum noch Vor- was denn da nach Ablauf gewisser Fristen auf sie schläge oder auch entsprechende Formulierungshil- zukommt. Wir werden im Jahr 1993 bestimmt einige fen von unserer Seite kommen können. Male die Gelegenheit haben, gerade unter Rechts- politikern uns mit einzelnen Punkten zu beschäfti- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Frau Mini- gen. sterin, sind Sie bereit, auf eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reddemann zu antworten? (Beifall bei der F.D.P.) Unabhängig von diesen einheitsbedingten rechtli- Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesmi- chen Aspekten und parallel zur fachlichen Begleitung nisterin der Justiz: Ja. der Arbeit der Verfassungskommission werden die Reform des Kindschaftsrechts, die Bekämpfung des Gerhard Reddemann (CDU/CSU): Frau Minister, da Mißbrauchs unserer Kinder sowie die umfangreiche Sie gerade die Frage des Entschädigungsgesetzes Überarbeitung des Rechts der freien Berufe Schwer- angesprochen haben, darf ich die Frage stellen: Wann punkte unserer Arbeit sein. können wir mit einem Vorschlag Ihres Hauses zur Reform des Kindschaftsrechts liegen Regelung der Probleme der Zwangsausgesiedelten Zum Stand der im Moment erste Ergebnisse der interdisziplinären rechnen? Arbeitsgruppen vor. Ich weiß, der Deutsche Juristen- - tag hat sich damit beschäftigt, und Frau von Renesse Bundesmi- Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, hat Vorschläge gemacht. Auch da sehen wir, daß es nisterin der Justiz: Ich wäre auf diesen Punkt sogleich sehr schwierig ist, die gesamte komplexe Reform zu sprechen gekommen, darf ihn aber nun vorziehen. innerhalb eines Jahres in Gesetzesformulierungen zu Zwangsausgesiedelten wird Die Regelung für die verankern. Wir werden deshalb, gerade was die nicht im Entschädigungsgesetz verankert werden, Fragen der Amtspflegschaft und des Unterhaltsrechts sondern in das Gesetz eingeordnet werden, das sich betrifft, versuchen, Aspekte vorzuziehen, damit wir mit der beruflichen und verwaltungsrechtlichen Ihnen in dieser Legislaturperiode auch in diesen Rehabilitierung im Zusammenhang mit DDR-Unrecht Fragen ausformulierte Vorschläge vorlegen können. befaßt. Es geht, abgekürzt, um das zweite SED Unrechtsbereinigungsgesetz. Auch Herr de With hat (Beifall bei der F.D.P. und bei Abgeordneten es eingefordert. Der Referentenentwurf liegt vor. Wir der CDU/CSU) besprechen ihn gerade mit den Ländern. Unsere Aber all diese Aufgaben werden überlagert von Zeitplanung sieht vor, den Gesetzentwurf Anfang aktuellen straf- und verfassungsrechtlichen Forderun- nächsten Jahres ins Kabinett zu bringen. gen, die im Hinblick auf die Asyldiskussion, die (Vorsitz : Vizepräsidentin ) Bekämpfung des mörderischen rechten Terrors und Ich darf an dieser Stelle deutlich machen, daß es mir der organisierten Kriminalität erhoben werden. sehr am Herzen liegt und sehr wichtig ist, für erlittene Zu den Gesprächen und Verhandlungen zum Asyl- Vermögensnachteile und Enteignungen Entschädi- recht, die ab morgen intensiv stattfinden werden, will gungen und Ausgleichsleistungen zu geben. Dafür ich mich genausowenig wie die Redner der letzten brauchen wir auch das Entschädigungsgesetz. Ge- Tage äußern. Nur eines möchte ich nachdrücklich zu nauso wichtig ist es aber, daß wir auch für die bedenken geben. Was immer wir am Ende unserer immateriellen Schäden Lösungen zu finden versu- Diskussionen und Gespräche beschließen mögen, mit chen. Nicht in jedem Fall wird das eine angemessene der Änderung des Grundrechts auf Asyl allein werden Entschädigung, ein angemessener Ausgleich sein. wir den rechten Terror nicht verhindern können. Aber wir wollen deutlich machen, daß uns dieser Versuch, DDR-Unrecht aus 40 Jahren wiedergutzu- (Beifall bei der F.D.P.) machen, genauso wichtig ist, auch wenn dies nicht in Die rechten Extremisten werden ihren Haß auf vollem Umfang möglich ist. Wir wollen zeigen, wie jeden, den sie nicht als Deutschen empfinden, auch in ernst es uns mit dieser Aufgabe ist, weil auch sie ein Zukunft nicht danach bemessen, ob er aus politischen Teil davon ist, daß es zu einer inneren deutschen oder anderen Gründen bei uns Zuflucht fand oder bei Einheit kommt. uns geboren wurde. Es kann nicht oft genug gefordert Damit darf ich noch ein weiteres Gesetzgebungs- werden, daß wir die rechten Gewalttäter mit allen vorhaben ankündigen, das zwar nur die kurze Mitteln des Strafrechts, mit aller Härte und Entschie- Bezeichnung „Sachenrechtsbereinigung" trägt, das denheit bekämpfen müssen. Wir dürfen dabei kein aber dennoch von der Komplexität und den Anforde- Instrument des Rechtsstaates ungenutzt lassen, um rungen her auch nicht innerhalb von einigen Monaten die Welle rechtsextremistischer Gewalt zu brechen. als Gesetzentwurf formuliert werden kann. Uns steht dafür ein Strafrecht zur Verfügung, das bei (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Brandanschlägen und Mordversuchen Freiheitsstra- 10670 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger fen bis zu 15 Jahren oder lebenslange Freiheitsstrafen Die Gefahr für unseren Staat ist damit aber nicht möglich macht. gebannt. Das ist der Grund, warum ich sehr entschie- Ich weiß mich der Unterstützung der Justizminister den dafür werbe, daß nicht nur wir — aber gerade der Länder sicher, daß das Straf- und Strafprozeßrecht auch die Politik — keinen Zweifel daran lassen sollten, an folgenden Stellen zu ergänzen ist: Die Anordnung daß die Fundamente und Prinzipien unseres freiheit- von Untersuchungshaft gegen gewalttätige Landfrie- lichen Rechtsstaats in ihrem Kernbestand nicht ange- densbrecher muß erleichtert werden. Ein deutliches tastet werden dürfen. Signal an die haftrichterliche Praxis ist es, wenn Vielen Dank. zukünftig beim Haftgrund der Wiederholungsgefahr (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) auf die Regelvoraussetzung einer Vorverurteilung verzichtet wird. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Gegen die Verwendung neonazistischer Zeichen Weitere Wortmel- durch gewalttätige Gruppen muß verschärft vorge- dungen zu diesem Tagesordnungspunkt und zu die- sem Einzelplan liegen nicht vor. gangen werden. Angesichts immer häufiger anzutref- fender Verfremdungen und Verzerrungen von Nazi- Wir kommen nun zur Abstimmung, und zwar symbolen erscheint es sinnvoll, das Verwenden sol- zunächst über den Einzelplan 07, den Geschäftsbe- cher Kennzeichen zusätzlich unter Strafe zu stellen. reich des Bundesministers für Justiz, in der Ausschuß- fassung. Wer stimmt für diesen Einzelplan? — Wer (Beifall bei der F.D.P.) stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist Zur Verhängung gerechterer Strafen müssen die dieser Einzelplan angenommen. Strafrahmen der Körperverletzungsdelikte und des Wer stimmt für den Einzelplan 19 des Bundesver- Landfriedensbruchs überprüft werden. Dabei ist nicht fassungsgerichts in der Ausschußfassung? — Gegen- nur festzustellen, ob die Höchststrafe etwa bei der probe! — Stimmenthaltungen? — Bei zwei Stimment- schweren Körperverletzung nach § 224 des Strafge- haltungen ist der Einzelplan 19 einstimmig angenom- setzbuchs anzuheben ist, sondern auch, ob nicht in men. einigen Tatbeständen die Einführung einer Mindest- - strafe sinnvoll wäre. Ich rufe Tagesordnungspunkt III 31 und 32 auf: Ich will dazu noch in diesem Jahr konkrete Vor- schläge unterbreiten, die es erleichtern sollen, der 31. hier : Einzelplan 10 feigen und auch menschenverachtenden Täter hab- Geschäftsbereich des Bundesministers für Er- haft zu werden und sie einer gerechten Strafe zuzu- nährung, Landwirtschaft und Forsten führen. — Drucksachen 12/3510, 12/3530 — (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Berichterstattung: In diesem Zusammenhang begrüße ich ausdrück- Abgeordnete Bartholomäus Kalb Dr. Sigrid Hoth lich, wenn die Bundesanwaltschaft auch bei der Bekämpfung des rechten Terrorismus ihre Kompeten- Ernst Kastning zen ausschöpft und Ermittlungsverfahren einleitet, 32. Beratung der Beschlußempfehlung und des wie es heute gegen elf Beschuldigte wegen des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Land- Verdachts der Gründung bzw. der Mitgliedschaft wirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) zu dem einer rechtsextremistischen Vereinigung eingeleitet Antrag der Abgeordneten Horst Sielaff, Brigitte worden ist. Adler, Ernst Kastning, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) Zur bilanziellen Entlastung von landwirt- schaftlichen Unternehmen in den neuen Län- Die Bundesanwaltschaft kann von meiner Seite aus dern mit jeder Art von Unterstützung rechnen, die sie — Drucksachen 12/2317, 12/3234 — benötigt, um bei der Verfolgung rechtsextremer Taten mitzuwirken. Berichterstattung: Abgeordneter Ulrich Junghans (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., der CDU/CSU und der SPD) Zum Einzelplan 10 liegt ein Änderungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste vor. Gegebenenfalls sollten wir uns nicht davor scheuen, Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die die Verfahrenszuständigkeiten des Generalbundes- gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. anwalts zu erweitern, um sein gesammeltes Erfah- Gibt es dazu irgendeine Art des Widerspruchs? — Das rungswissen in eine effektivere Verfolgung terroristi- ist nicht der Fall. Dann ist dies so beschlossen. scher Gewalttaten einbringen zu können. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Aber letztlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird dem Kollegen Ernst Kastning das Wort. uns allein das Strafrecht nicht weiterhelfen, um gegen rechten Extremismus vorzugehen. Es soll nicht Panik- mache sein, aber es sind ganz offensichtlich nicht Ernst Kastning (SPD): Frau Präsidentin! Meine wenige, es sind bereits zu viele, die den nationali- Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister stisch-rechtsextremen Virus in sich tragen. Was wir Kiechle, ich kann mir vorstellen, daß Sie nach den mit Justiz und Polizei bewirken können, ist, Exzesse, hektischen Schlußberatungen im Haushaltsausschuß Ausschreitungen und Pogrome zu verhindern. vor zwei Wochen einen Seufzer ausgestoßen haben, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10671

Ernst Kastning nämlich: Wir sind noch einmal mit einem blauen Auge wenn es einmal zu einer Aufwertung der D-Mark davongekommen. kommen sollte — für Folgen hätte. Das sind mehrere hundert Millionen und, je nachdem, welches System Auch der Deutsche Bauernverband hätte Anlaß, das in der EG zum Zuge kommt, möglicherweise Milliar- Ergebnis der Haushaltsberatungen grundsätzlich positiv zu werten. den. Herr Kiechle, ich war so fair, Sie vorzuwarnen. Ich (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: So ist fordere Sie hier auf, hierzu heute im Plenum doch ein es!) paar Sätze zu sagen. Denn es ist ein Thema, das uns Immerhin ist der Regierungsentwurf des Agraretats sehr bald akut beschäftigen wird. von 14,378 Milliarden DM im Ergebnis nur um (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Das 107 Millionen DM gekürzt worden. Von diesen Strei- wird ihm aber schwerfallen! Wenn es jetzt chungen entfallen 100 Millionen DM auf die Agrar- laut wird: Herr von Hammerstein ist gekom strukturpolitik im Bereich der Gemeinschaftsauf- men!) gabe. — Wenn Charly kommt, freue ich mich immer. Aber (Zuruf des Abg. Karl Diller [SPD]) lenkt mich nicht ab, sonst läuft mir die Redezeit davon, — Das ist zwar bedauerlich, Herr Kollege Diller, aber Helmut. ich denke, es ist vertretbar, vertretbar deshalb, weil Zu der seit langem überfälligen Reform der Agrar- diese Summe bei den überbetrieblichen Maßnahmen sozialpolitik liegt jetzt endlich der Diskussionsent- verkraftet werden kann, ohne daß es Einbrüche bei wurf eines Gesetzes vor. Es ist zutreffend, Herr Mini- einzelbetrieblicher Förderung geben muß. Die Auftei- ster, wenn in diesem Entwurf festgestellt wird: lung der Kürzung im Verhältnis von 80 : 20 auf alte und „Agrarsozialpolitik ist nicht nur Sozialpolitik, sondern neue Bundesländer kann meines Erachtens ebenfalls auch Agrarstruktur- und Einkommenspolitik. " Es ist verantwortet werden. Die Umkehrung dieser Relation klar: Der Strukturwandel in der Landwirtschaft muß hätte allerdings unseren Protest hervorgerufen. sozial abgefedert werden. Aber, Herr Minister, Sie ( [F.D.P.]: Wer hat das- denn müssen, auch wenn das Kabinett in der nächsten oder gewollt?) übernächsten Woche darüber befinden wird, offen erklären, was diese Reform kosten wird. Können sich — Ach, Herr Gallus, nachher wird es für Sie vielleicht die Landwirte — und vor allem die Bäuerinnen — kräftiger und besser. wirklich darauf verlassen, daß das Programm finan- Herr Minister, der bittere Kelch ist auch an Ihnen ziert werden kann? Ich weiß natürlich, daß aus dem und der deutschen Landwirtschaft wohl noch nicht degressiven Auslaufen der Ausgleichsmaßnahmen ab endgültig vorübergegangen, wenn ich daran denke, 1994 freiwerdende Mittel für diesen Zweck eingesetzt daß es einen Nachtrag geben wird, der ja angeblich werden sollen. Aber reichen diese Mittel aus? Und mit den Kürzungen auch vor gesetzlichen Leistungen wird dieser Finanzierungsplan nicht möglicherweise nicht haltmachen wird. Das heißt: Auch im Agraretat dem Versuch der Ordnung des Finanzchaos der Bun- sind dann dramatische Kürzungen nicht auszuschlie- desregierung anheimfallen? ßen, Kürzungen, die vielleicht dann auch in die Herr Kiechle, ich rate Ihnen deshalb — da ich selbst Substanz von Ausgleichsmaßnahmen oder auch in die für eine Agrarsozialreform bin, meine Fraktion Agrarsozialpolitik gehen könnten. Denn mir fällt im auch —, mit diesem Vorhaben inhaltlich sehr sorgsam Moment nicht ein, wo man stärker hineingehen umzugehen und möglicherweise noch vorhandene könnte. Aber Ihnen muß da wohl noch etwas einfallen. versicherungsrechtliche Ungereimtheiten rechtzeitig Diese beiden eben genannten Bereiche machen zu bereinigen. Ich denke da z. B. an die Obergrenze immerhin rund 60 % des gesamten Etats aus. für den Beitragszuschuß. Angesichts der angekündig- Ich glaube auch, daß die Agrarfinanzierung der ten Stürme auf bestehende Leistungsgesetze außer- nächsten Jahre — was jetzt nicht unmittelbar haus- halb der Landwirtschaft muß dieses Gesetz in jeder haltsrelevant ist — zudem noch enormen Risiken Beziehung wetterfest sein, wenn es denn im Vergleich ausgesetzt ist, zu denen sich die Bundesregierung zu anderen sozialen Maßnahmen in dieser Gesell- bisher ausschweigt und von denen auch sonst kaum schaft bestehen soll. jemand spricht. Es ist aber keineswegs so, daß die (Beifall bei der SPD) Probleme nicht auf dem Tisch liegen. Zumindest Sie, Herr Minister, kennen sie. Meine Damen und Herren, die Kollegin Albowitz hat zu Beginn der Haushaltsberatungen von einer Zum Beispiel braucht die EG spätestens ab 1993 mit Komödie gesprochen. Das hatte zwar einen etwas der Vollendung des Binnenmarktes und mit dem anderen Zusammenhang, aber ich will im Bild blei- Wegfall der Grenzkontrollen ein neues agrarmonetä- ben. Wenn ich den Blick auf die Agrarpolitik für die res System. Die letzten Tage haben gezeigt, daß ostdeutschen Länder lenke, dann könnte man da eher Änderungen der Währungsparitäten — das ist hier das von einer Tragödie sprechen. In der „Agrarpolitischen Stichwort — keineswegs der Vergangenheit angehö- Bilanz 1992" Ihres Ministeriums steht: „Die deutsche ren. Da es Ihr erklärtes Ziel ist, Sitzung, Einkommens- Einheit hat die Agrarpolitik der Bundesregierung seit verluste der deutschen Landwirtschaft aus europäi- 1990 vor völlig neue Aufgaben gestellt." Das festzu- schen Währungsoperationen auszugleichen, könnten stellen war verdammt keine schwere Aufgabe, Herr auf den Bundeshaushalt eines Tages enorme Ausga- von Hammerstein. Aber wenn Sie die Bilanz lesen, ben zukommen. Man kann sich ausrechnen, was ein Herr von Hammerstein, werden Sie feststellen, daß es Punkt Veränderung der Währungsparität — oder da, wo es um politische Leistung geht, die Bilanz leider 10672 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Ernst Kastning auch — ich sage: auch — vom Versagen der Bundes- wollen, aber je mehr ich Protokolle des Ausschusses regierung zeugt. für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten studiere und je öfter ich mich dort habe sehen lassen, desto Ein Jahr lang wurde in Ihren Kreisen, Herr Brede- mehr verdichtet sich bei mir leider der Verdacht, daß horn, über die Verwertung bisheriger volkseigener Vertreter bestimmter Gruppen der westlichen Agrar- landwirtschaftlicher Flächen geredet, noch nicht ein- lobby mehr Einfluß auf die Politik der Bundesregie- mal gestritten. rung haben als diejenigen Abgeordneten der Koali- (Zuruf des Abg. Günther Bredehorn tion aus Ostdeutschland, die den Sorgen und Nöten [F.D.P.]) der Betroffenen weitaus näher sind. — Innerhalb der Koalition. Mir stand es im Fachaus- (Beifall bei der SPD — Siegfried Hornung schuß oft genug bis hier, weil, wie man so schön auf [CDU/CSU]: Das ist aber Unsinn! — Zurufe dem platten Land sagt, um den Kern der Dinge von der F.D.P.) herumgeeiert wurde. — Herr Hornung, ich will nicht über Ihre Rolle als (Beifall bei der SPD) Ausschußvorsitzender hier im Plenum reden; das Ich habe den Eindruck, daß hier Rücksichtnahmen auf können wir unter uns ausmachen. die Interessen von Großgrundbesitzern das politische Ich weiß, daß die Treuhandanstalt inzwischen mit Handeln gelähmt haben. der Tilgung von Altkrediten begonnen hat; das will ich (Zuruf des Abg. Günther Bredehorn gar nicht leugnen. Jedoch wissen Sie auch, Herr [F.D.P.]) Hornung, daß die Entschuldungsquote noch völlig offen ist. — „Großgrundbesitzer" sagte ich. Das ist für mich ebenso kein Schimpfwort wie der Begriff Kleingärt- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: In die offe ner. Nicht daß wir uns jetzt falsch verstehen. — Dieses nen Hände von falschen Leuten fließt das Nichtstun, Herr Gallus, war ein Investitionshemmnis Geld!) erster Güte in den neuen Ländern. - Sie wissen, daß die von uns angesprochenen Probleme (Beifall bei der SPD) noch immer nicht spürbar gemildert, geschweige Sie wissen, daß Sie Landwirte, die allein oder in denn beseitigt sind. Kooperation einen Neubeginn gewagt haben, damit Übrigens möchte ich mit Blick in Richtung Osten verunsichert haben, daß Planen in die Zukunft nicht gerne erfahren, Herr Minister, ob das Wort vom Herrn möglich war. Dabei wäre es ja verdammt nötig, ein Parlamentarischen Staatssekretär Haschke, der jetzt Mindestmaß an Verstetigung und Sicherheit in die als Abgeordneter mir hier gegenübersitzt, gehalten Entwicklung hineinzubringen. Die rechtzeitige lang- wird, der nämlich den ostdeutschen Bet rieben in den fristige Verpachtung landwirtschaftlicher Nutzflä- nächsten beiden Jahren 300 Millionen Mark für die chen wäre dazu ein entscheidender Beitrag gewe- Ablösung von Inventarbeiträgen versprochen hat. sen. Der Haushalt 1993 weist nur einen Leertitel aus. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dessen finanzielle Auffüllung hängt von großen Sie wissen, daß wir das oft genug gefordert haben. Unwägbarkeiten bei den geplanten, aber von der EG noch nicht genehmigten Ausgleichsmaßnahmen ab. Natürlich bin ich froh darüber, daß nun die Über- Die für 1993 angedachten 200 Millionen DM wurden einkunft der Agrarminister der neuen Länder mit der von der Koalition bereits wieder um 20 Millionen DM Bundesregierung zur langfristigen Verpachtung end- gesenkt. lich Bewegung in die Sache zu bringen scheint. Ich weiß allerdings nicht, was in der Gerster-Kommission Meine Damen und Herren, ich denke, zumindest — ich weiß nicht, ob das die Gruppe „Agrar" der ein symbolisches Zeichen der Unterstützung der Ost- Union war — heute morgen besprochen worden ist deutschen, und was da noch an Empfehlungen herauskommen rnung [CDU/CSU]: Der gute wird. Ich hoffe, daß es nichts Negatives ist. (Siegfried Ho Wille ist da!) Die bisher bekannten Überlegungen der Koalitions- das keine zig Millionen kostet, könnte die Bundesre- parteien zum Landerwerbs - und Siedlungsprogramm dagegen sind noch unzureichend. Ich finde, es ist gierung mit der Entscheidung über den Standort der schlimm, daß hier möglicherweise Geld ausgegeben neuen Fachagentur für nachwachsende Rohstoffe werden soll, das keine wirtschaftlichen Effekte im setzen. Sinne des Aufschwungs zur Folge haben wird. Dafür (Beifall bei der SPD und der F.D.P.) ist möglicherweise Geld da, nicht jedoch — wie Sie immer sagen — für die Lösung der Altschuldenpro- Entgegen dem immer wieder verbreiteten Gerücht, er blematik. Eine sachgerechte Wertberichtigung zur nehme seine Richtlinienkompetenz nicht wahr, hat Verbesserung der be trieblichen Rahmenbedingun- der Bundeskanzler tatsächlich in diesem Sommer gen für umgewandelte und umstrukturierte landwirt- entschieden, die Fördermittel des Bundesministers für schaftliche Be triebe wäre ein Fortschritt. Forschung und Technologie und die des Ministers für Landwirtschaft zu bündeln und diese Agentur zu Ich verweise hierzu auf unseren Antrag, der nach- schaffen. her noch zur Abstimmung steht, den die Koalition im Fachausschuß allerdings kurzerhand abgelehnt hat. (Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Ich muß auch hier sagen: Ich habe es nicht glauben [CDU/CSU]: Eine bedeutende Leistung!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10673

Ernst Kastning Ich sage Ihnen: Dieses Vorhaben ist nicht falsch. Ich müssen. Dennoch darf uns Politiker die Behauptung kann dem etwas Positives abgewinnen; damit habe des Freiherrn von Heereman nicht blenden, der schon ich nie hinterm Berge gehalten. verkündet hat, durch den GATT-Kompromiß seien (Georg Gallus [F.D.P.]: Das spricht für die Millionen von Arbeitsplätzen bedroht. Schlagkraft dieser Bundesregierung!) Ich denke, es gilt, hier im Bundestag festzuhalten: — Schlagen Sie sich dabei nur nicht selbst tot, Herr Ausgleichszahlungen, Herr Minister, als das grundle- Gallus; seien Sie vorsichtig. Es kommt demnächst so gende Instrument der Agrarreform der EG etwas wie ein Kabinettsrevirement. — Ich kann dem (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Matthäus etwas Positives abgewinnen, wenn es sich dabei nicht Maier hat aber gestern etwas anderes ausschließlich um das Lieblingskind von Herrn Mini- gesagt!) ster Krause handelt, Rapsöl als Treibstoffersatz zu propagieren. Es gibt viele andere, bislang weniger sind dem Kompromiß grundsätzlich nicht zum Opfer bekannte Möglichkeiten, nachwachsende Rohstoff- gefallen. — Herr Hornung, ich trage keinen Rock, und ressourcen ökologisch vernünftig zu entwickeln und ich heiße nicht Frau Matthäus-Maier. Ich weiß nicht, deren wirtschaftliche Nutzung zu fördern. was sie gesagt hat. Ich habe aus wichtigem Grunde nicht zuhören können. Aber ich gehe einmal zu ihren (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Carl Gunsten und gegen Sie davon aus, daß sie im Grund- Detlev Freiherr von Hammerstein [CDU/ satz nichts anderes gesagt hat. CSU] — Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist richtig; aber auch dies ist ein Punkt!) Es gilt, festzuhalten, daß Ausgleichszahlungen als grundlegendes Instrument der EG-Agrarreform dem Damit könnte zugleich — hören Sie genau zu, was ich Kompromiß nicht grundsätzlich zum Opfer gefallen sage; ich gebe Ihnen kein grünes Licht für alles, was sind. Ich denke, das sieht auch der Herr Minister so, Sie da vielleicht wollen — der Landwirtschaft in wenn er das genau betrachtet. bestimmten Regionen mit entsprechender Bodeneig- nung und bei Anwendung sinnvoller Anbaumethoden Ein Scheitern der GATT-Verhandlungen mit der geholfen werden. - Folge eines Handelskrieges und einer schärfer wer- Herr Minister, springen Sie über Ihren eigenen denden Wirtschaftskrise würde auch für die europäi- bayerischen Schatten: Diese Einrichtung gehört in sche Landwirtschaft weit bösere Folgen haben. eines der neuen Bundesländer. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.) der F.D.P.) Ich bin übrigens davon überzeugt, da ich nicht nur Ich weiß, warum ich hier den bayerischen Schatten mit Landwirtschaftsfunktionären, sondern auch mit genannt habe, und auch andere wissen das. praktizierenden einzelnen landwirtschaftlichen Un- ternehmensinhabern spreche, daß nüchtern den- In dieser Haushaltsdebatte kann der Stand der kende landwirtschaftliche Unternehmer das auch GATT-Verhandlungen selbstverständlich nicht aus- ganz genau wissen. geklammert werden. Zwar ist — um einen Kommentar einer Zeitung zu zitieren — „die Zitterpartie noch Ich teile, Herr Minister, Ihre Einschätzung, die Sie nicht zu Ende", aber mit dem Kompromiß zwischen vor ein paar Tagen verkündet haben, daß wir die der EG und den USA vom letzten Wochenende gibt es jetzigen Konditionen nicht noch einmal bekommen eine reale Chance, den Ausbruch eines offenen und werden. Um so mehr fordern wir Sie auf, dafür zu folgenschweren Handelskrieges zu vermeiden. kämpfen, daß dieser Kompromiß in der EG akzeptiert (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Den wir nie wird, und dafür zu kämpfen, daß die Gemeinschaft bei wollten!) den weiteren GATT-Verhandlungen mit einer Stimme spricht. Die französische Sonderrolle in der — Ich sage: Diese Bundesregierung hat vieles nicht EG-Agrarpolitik wird auf Dauer nicht ohne Schaden gewollt; dennoch hat sie nach der deutschen Einheit für die weitere europäsiche Entwicklung bleiben. Aus im Ergebnis viel Schaden angerichtet. Das ist nicht diesem Grunde ist hier auch der Bundeskanzler als eine Frage des Wollens, sondern dessen, was man Regierungschef in der Pflicht. wegräumt, ohne es zu wollen, weil man nicht aufpaßt, Herr Kollege Hornung. Die Diskussion — meine Damen und Herren, damit komme ich zum Schluß — über die Folgen des (Georg Gallus [F.D.P.]: Sagen Sie es doch GATT-Kompromisses machen aber auch deutlich, dem Parteifreund in Frankreich!) daß die Bundesregierung trotz ihrer dauernden allge- Ich denke, Handels- und Wirtschaftspolitiker aller meinen Verlautbarungen, fortgesetzt durch örtliche Fraktionen dieses Hauses sollten bei dem großen Abgeordnete aus Ihren Reihen in den Wahlkreisen, Jubel, in den sie jetzt ausbrechen, nicht übersehen, über die Bedeutung ländlicher Räume kein Konzept daß damit die innereuropäischen Folgen und die zu deren Entwicklung hat. Folgen für die Landwirtschaft noch nicht völlig besei- Unser Kollege Horst Sielaff hat dieser Tage zu Recht tigt sind. Mich hat es manchmal ein bißchen geärgert, darauf hingewiesen, bei Produktionsrückgängen und daß sehr leichtfertig gesagt wurde: Abschließen, und damit bei Einschränkungen in einem wichtigen wirt- die Landwirtschaft interessiert uns dabei nicht. schaftlichen Bereich im ländlichen Raum sei es um so Auch wenn sich der Kompromiß auf den ersten Blick wichtiger, zu wissen, wie diese Situation von der generell im Rahmen der Maßnahmen der EG-Agrar- Politik gesamtwirtschaftlich aufgefangen werden reform bewegt, werden die Bauern Opfer bringen soll. 10674 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Ernst Kastning Herr Minister — ich appelliere auch an die gesamte Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung —: Versuchen Sie etwas mehr als agrarpolitische Situation wird sich auf Grund der bisher, diese wichtige Frage überzubringen und auf Ereignisse von 1990 bis 1992 grundlegend ändern. den Tisch der Beratungen zu legen. Zum einen wurde die Agrarpolitik im Zuge der Meine Damen und Herren, schon angesichts dieser Wiedervereinigung vor völlig neue Herausforderun- von der Bundesregierung nicht erfüllten Bringschuld, gen gestellt, und zum anderen wird die in diesem Jahr aber vor allen Dingen wegen ihrer Unfähigkeit, der beschlossene EG-Agrarreform tiefgreifende Folgen ostdeutschen Landwirtschaft eine bessere Perspek- und Veränderungen nach sich ziehen. Die Landwirt- tive zu geben, kann man dem Einzelplan 10 nicht schaft in den neuen Bundesländern befindet sich in zustimmen. einem schwierigen Anpassungsprozeß, ist dabei aber bereits gut vorangekommen. Der Bund hat die (Beifall bei der SPD) Umstrukturierung nach Kräften unterstützt. Herr Kol- Frau Präsidentin, darf ich noch einen Satz sagen? lege Kastning, von 1990 bis Ende dieses Jahres werden hierfür rund 12 Milliarden DM in die neuen Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege, da Länder geflossen sein. Sie noch 52 Sekunden haben, können Sie auch noch zwei Sätze sagen. Auch im Haushaltsjahr 1993 ist z. B. im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrar- Ernst Kastning (SPD): Es ertönte eben der Zwi- struktur und des Küstenschutzes" eine überdurch- schenruf „sehr wenig". Ich habe vor ein paar Jahren schnittliche Mittelzuweisung vorgesehen. Allein der einmal den Vizepräsidenten gebeten, Bund wird durchschnittlich ca. 70 000 DM je Betrieb der Ältestenrat möge einmal ein Gutachten, eine für die Bewältigung des Anpassungsprozesses und die Untersuchung zu der Frage in Auftrag geben, warum Schaffung der dringend erforderlichen Infrastruktur liebenswerte, angenehme Kolleginnen und Kollegen, bereitstellen. Das ist eben keine Tragödie, sondern mit denen man sich in Ausschußsitzungen, in Gesprä- eine ganz beachtliche Leistung. chen sehr sachlich unterhalten kann, plötzlich andere Bemerkenswert ist, daß nicht nur die Umstrukturie- Menschen sind, wenn sie diese beiden Stufen- betreten rung der ehemaligen LPGen abgeschlossen werden haben. Ich habe mich bemüht, so zu bleiben, wie ich konnte, sondern in der Zwischenzeit auch rund 13 000 vorher war; aber da kam der Zwischenruf „sehr Landwirte ihren Betrieb selbständig und eigenverant- wenig". Vielleicht denken Sie einmal über das nach, wortlich führen können. was ich eben gesagt habe. Schönen Dank. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist der (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke erste Lichtblick!) Liste) Die Agrarstruktur der östlichen Bundesländer mit einer durchschnittlichen Betriebsgröße von derzeit Vizepräsidentin Renate Schmidt: Ich glaube, die 355 ha unterscheidet sich aber nach wie vor vollkom- Gründe können wir auch ohne Gutachten einigerma- men von der der westlichen Bundesländer. ßen nachvollziehen. Nun hat der Kollege Bartholomäus Kalb das Wort. (Horst Sielaff [SPD]: Sagen Sie mal, wie viele Arbeitsplätze abgebaut wurden!) Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Daraus werden sich zwangsläufig Rückwirkungen auf Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst die Landwirtschaft und die agrarpolitische Orientie- darf ich im Namen aller hier versammelten Haushalts- rung in den alten Bundesländern ergeben. Allerdings und Agrarpolitiker der CDU/CSU-Fraktion dem können die Strukturen in den neuen Ländern nicht geschätzten Kollegen Rudolf Müller, dem früheren zum Leitbild für die Landwirtschaft in den westlichen Vorsitzenden des Agrarausschusses, zu seinem Bundesländern erhoben werden. Das wäre aus sozio- 60. Geburtstag sehr herzlich gratulieren und ihm alles ökonomischen und sozioökologischen Gründen nicht Gute wünschen. vertretbar und würde die gewachsenen, die ländli- (Beifall — Horst Sielaff [SPD]: Das ist der chen Räume prägenden und stabilisierenden Struktu- einzige Grund zum Strahlen! — Dr. Wolf ren gefährden. gang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Auch im Namen des Kollegen Rind!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) — Jetzt kam der Zwischenruf des Kollegen Weng, der Den größten Kostenblock im Einzelplan 10 stellt die Kollege Kalb sollte auch im Namen des Kollegen Rind, Agrarsozialpolitik dar. Mit über 6,8 Milliarden DM ist der leider nicht anwesend sein kann, gratulieren. dieses Kapitel allein schon höher dotiert als beim (Heiterkeit) Amtsantritt von Ignaz Kiechle der gesamte Agraretat. Die Agrarsozialpolitik ist ein ausgezeichnetes Instru- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nachdem das Prä- ment, die Landwirtschaft von Kosten zu entlasten und sidium heute schon einmal gratuliert hat, sagen Sie damit die verfügbaren Einkommen zu verbessern. ihm das dann bitte auch noch in meinem Namen. (Horst Sielaff [SPD]: Das Konzept steht doch (Erneute Heiterkeit) noch gar nicht!) Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Das mache ich Manchmal habe ich leider den Eindruck, unsere natürlich gerne. Bauern sind sich des Werts dieser Leistungen nicht Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10675

Bartholomäus Kalb ausreichend bewußt, und sie nehmen sie allzu leicht handlungen. In diesen Tagen wird sehr heftig über als Selbstverständlichkeit hin. den zwischen den Vereinigten Staaten und der Euro- päischen Gemeinschaft am vergangenen Wochen- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist oft so ende erzielten Kompromiß diskutiert. In Pa im Leben!) ris gab es heute nacht sehr stürmische Diskussionen und andere Für die Altershilfe der Landwirte sind im vorliegen- Vorgänge, und die dortige Regierung hat angekün- den Haushalt 3,820 Milliarden DM vorgesehen. digt, unter Umständen von einem Vetorecht Gebrauch (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: zu machen. Bei allem, was wir aus Paris hören, sollten Heereman ist älter geworden!) wir aber nicht nur auf die teilweise etwas schrillen Töne, sondern auch auf die Zwischentöne achten. 77 aller Leistungen für die Altershilfe werden durch den Bundeshaushalt abgedeckt. Ohne diese Hilfe Auch bei uns gibt es Forderungen, unsere Regie- wäre die Last der Alterssicherung für die Landwirt- rung sollte sich ebenso verhalten und eine Ablehnung schaft nicht zu tragen. Bekanntlich funktioniert in der androhen. Trotz aller Emotionen und Besorgnisse landwirtschaftlichen Alterssicherung der sogenannte werden wir aber die Verhandlungsergebnisse sehr Generationenvertrag nicht, da ein großer Teil der nüchtern betrachten müssen und uns vor allen Dingen nachwachsenden Generation auf Grund des Struktur- auch die Frage stellen müssen, ob es auch nur eine wandels andere Alterssicherungssysteme finanziert. geringe Chance gibt, zu einem späteren Zeitpunkt ein Insofern auch das muß klargestellt werden besseres Ergebnis zu erzielen. Da habe ich erhebliche stellen die hohen Bundeszuschüsse für die landwirt- Zweifel, schaftlichen Alterskassen ähnlich wie bei der Knapp- schaft nicht nur eine direkte Hilfe für die Landwirt- (Horst Sielaff [SPD]: Wollen Sie vertrösten schaft, sondern auch eine indirekte Entlastung der und falsche Hoffnungen wecken?) anderen Rentenversicherungsträger und ihrer Bei- — wir sind uns ja völlig einig! Ich kann mir nicht tragszahler dar. vorstellen, daß es mit der neuen Administration in den (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Vereinigten Staaten leichter sein wird, bessere Ergeb- Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das- muß nisse in unserem Sinne zu erzielen. In dieser Einschät- auch einmal gesagt sein!) zung werde ich bestärkt durch die Beurteilungen und Analysen nicht nur von europäischer, sondern auch Bundesregierung und Koalition messen der Förde- von japanischer Seite. rung nachwachsender Rohstoffe eine hohe Bedeu- tung bei. Kollege Kastning hat dazu das Wesentliche Darüber hinaus besteht die Gefahr, daß wir im Zuge gesagt. Die Konzentration der Mittel und die Bildung sich abschwächender Konjunktur auch national einer Fachagentur sollen die Wirksamkeit in For- zunehmend unter Druck geraten. Die jahrelange schung, Entwicklung und Markteinführung verbes- Hängepartie hat die Sache nicht erleichtert. Die Land- sern. Ich bitte alle, über ihren jeweiligen Schatten zu wirtschaft braucht Sicherheit darüber, daß die im springen und bei der Standortwahl nur das Ziel und Zuge der Reform der gemeinsamen Agrarpolitik die Bewältigung der bevorstehenden Aufgabe im ergriffenen Maßnahmen und die in Aussicht gestell- Auge zu haben. ten Ausgleichszahlungen für unsere Landwirte Bestand haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Horst Sielaff [SPD]: Das sagen Sie einmal (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist das Ihren eigenen Leuten!) Entscheidende!) Die CDU/CSU-Fraktion hat eine eigene Kommis- Daß ein erfolgreicher Abschluß der GATT-Runde sion eingesetzt, die sich mit besonderer Aufmerksam- im wohlverstandenen Gesamtinteresse liegt, braucht keit und besonderem Nachdruck dem Thema der nicht extra betont zu werden. Allerdings wundere ich nachwachsenden Rohstoffe widmen wird. Wir wollen mich schon etwas darüber, daß es gelungen ist, den bei den Bauern keine übertriebenen Erwartungen Eindruck zu erwecken, als ginge es im GATT nur um wecken. Wenn die EG aber davon ausgeht, daß in den die Schwierigkeiten auf dem Agrarsektor. kommenden Jahren 10 Millionen ha — manche spre- chen sogar von 20 bis 30 Millionen ha — aus der Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Nahrungsmittelproduktion herausgenommen werden Agrarpolitik muß sich vielfacher Kritik stellen. Die müssen, werden wir nachwachsende Rohstoffe schon Politik wird beinahe für alle Entwicklungen verant- allein deswegen brauchen, um das Land sinnvoll wortlich gemacht, auch für solche, die sie nicht oder nutzen und unter Kultur halten zu können. kaum beeinflussen kann. Die Gesetzmäßigkeiten des (Zuruf von der CDU/CSU: Und umweltpoli Marktes sind auch mit dem Einsatz von noch so viel tisch!) Geld nicht außer Kraft zu setzen. Die Marktordnungs- ausgaben sind in den zurückliegenden Jahren drama- — Ein bißchen Geduld! Den nachwachsenden Roh- tisch gestiegen. Die Mittel für den Einzelplan 10 stoffen kommt auch aus ökologischen Gründen konnten in den zurückliegenden zehn Jahren für die zunehmende Bedeutung zu. alten Bundesländer — nur das ist vergleichbar — (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Wolfgang nahezu verdoppelt werden. Am Geld allein liegt es Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Nur keine Illusio bestimmt nicht. Manchmal hat man den Eindruck, der nen verbreiten!) Überschuß und die Überversorgung stellen uns vor größere Probleme als die Unterversorgung. Die Agrarpolitik stand und steht 1992 ganz im Zeichen der EG-Agrarreform und der GATT-Ver- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 10676 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Bartholomäus Kalb Deshalb wurde von allen Seiten, auch vom Beruf- zunehmend als Problem, da andererseits bäuerliches stand, die Notwendigkeit einer Kursänderung in der Wirtschaften von vielen Faktoren beeinflußt wird, europäischen Agrarpolitik nicht nur anerkannt, son- jedenfalls bei uns immer stärker von Naturschutz- und dern sogar gefordert. Umweltpolitik. Es wird auch deutlich, daß nicht alle Forderungen, (Horst Sielaff [SPD]: Aber das ist notwen die auf uns zukommen, so schlüssig sind. So wurde dig!) z. B. vor der Agrarreform gefordert, Mengenbegren- — Das will ich ja gar nicht bestreiten. — Hier haben zungen statt Preissenkungen vorzunehmen. Jetzt wir mit dem Problem der unterschiedlichen Zustän- — aktuell in diesen Tagen — hört sich das nach den digkeiten und auch der unterschiedlichen Ableitung GATT-Beschlüssen etwas anders an. Weiter wird an von bestimmten Programmen gewisse Schwierigkei- sich die Abhängigkeit der Landwirtschaft von Direkt- ten. Ich bedaure es in dem Zusammenhang, daß der zahlungen beklagt. Gleichzeitig aber werden der soziostrukturelle Einkommensausgleich degressiv Ausgleich für Preiseinbußen und Entgelte für landes gestaltet werden muß, weil er andererseits einen kulturelle Leistungen gefordert. Das alles soll dann guten Sockel für ein flächenbezogenes Bewirtschaf- möglichst gerecht sein, was ohne bürokratischen tungsentgelt dargestellt hätte. Aufwand jedoch nicht möglich ist. Zugleich beklagt man dann aber diesen bürokratischen Aufwand. Man fordert eine aktive Preispolitik, wendet sich gleichzei- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Kalb, tig wiederum gegen die enormen Ausgaben für Inter- gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kast- vention und Exportsubventionen. Ich will damit nur ning? darauf hinweisen, daß hier manches eben doch etwas widersprüchlich ist. Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Ja, gerne. Was mich manchmal sehr bedrückt, ist, daß es auf Grund der ungeheuren Interessenunterschiede inner- Ernst Kastning (SPD): Herr Kollege Kalb, ich möchte halb der Landwirtschaft so schwer geworden ist, eine Sie zwar nicht von der Ihren Darlegungen zugrunde - einheitliche Linie zu finden. Ich habe erst in der liegenden Grundlinie abbringen, aber ich möchte im letzten Woche wieder an einer Podiumsdiskussion Hinblick auf Ihre Ausführungen bezüglich der Ebe- teilgenommen. Es ist einfach schwer zu verstehen, nen und Zuständigkeiten, die Sie vorhin gemacht daß, wenn zehn Leute diskutieren, zwölf verschiedene haben, nur die Frage stellen, ob Sie nicht der Auffas- Meinungen vertreten und Forderungen erhoben wer- sung sind, daß es innerhalb einer Bundesregierung, den. die ja eine gewisse Organisationsstruktur hat, wenig- (Horst Sielaff [SPD]: Das ist so ähnlich wie bei stens möglich sein sollte, über den kleinen Ansatz der Bundesregierung!) einer Fachagentur für nachwachsende Rohstoffe hin- aus dazu zu kommen, daß die einzelnen Segmente der Es sollte doch möglich sein, daß m an sich überlegt und Politik aufeinander abgestimmt werden und daß für klar analysiert, was die Politik ändern muß und was den ländlichen Raum etwas mehr zustande gebracht wir gemeinsam tun können, und daß wir dann eine wird. gemeinsame Zukunftsstrategie entwickeln. Aber die Hoffnung auf einen unbegrenzten Mengenzuwachs (Zuruf von der SPD: Das schafft diese Regie bei garantierten Preisen zu richten, halte ich für rung nicht, nur die nächste!) verfehlt. (Beifall bei der SPD — Siegfried Hornung Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Lieber Kollege [CDU/CSU]: Das ist auch nicht möglich!) Kastning, das wird ja permanent versucht Agrarwirtschaft heißt nicht nur, Nahrungsmittel zu (Ernst Kastning [SPD]: Aber bisher vergeb produzieren. In einem der am dichtesten besiedelten lich!) Länder der Erde mit höchstem Wohlstandsniveau und dort, wo es realisierbar ist, auch gemacht. Aber ich kommt der Landwirtschaft eine sehr viel weitreichen- sehe beispielsweise darin Probleme, daß die EG für dere Bedeutung und Aufgabe zu. Ordnungsgemäße den Markt zuständig ist, daß wir bezüglich der Agrar- Landbewirtschaftung und damit Erhalt einer intakten sozialpolitik und auch zum Teil für den Markt zustän- Natur- und Kulturlandschaft stellt heute eine wichtige dig sind und daß die Länder für den Umwelt- und infrastrukturelle Leistung für die gesamte Gesell- Naturschutz zuständig sind. Es gibt natürlich Leistun- schaft dar. gen an die Landwirtschaft, die aus den Anforderungen (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der an den Naturschutz heraus begründet sind. Andere SPD sowie des Abg. Dr. Fritz Schumann Leistungen ergeben sich auf Grund der Neuordnung [Kroppenstedt] [PDS/Linke Liste]) des Marktes oder auf Grund von Marktbeschränkun- gen usw. Daraus wiederum ergeben sich die geschil- Wir müssen also gemeinsam die Aufgabe der Land- derten Kompetenzschwierigkeiten. Insofern macht wirtschaft in unserer modernen Wohlstandsgesell- uns die EG-Kommission immer wieder neue Schwie- schaft neu definieren und ihre Leistung honorieren. rigkeiten bei der Genehmigung. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So ist es!) (Ernst Kastning [SPD]: Das bestreite ich ja Allerdings erweist sich die unterschiedliche Zustän- nicht! Ich wollte nur die Frage nach der digkeit für Markt, soziale Sicherung und Naturschutz Struktur der Regierung geklärt wissen!) und die relativ harte Grenzziehung zwischen den — Das ist das gute Recht eines sonst von mir sehr Zuständigkeiten der EG, des Bundes und der Länder hochgeschätzten und geachteten Kleingartenbesit- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10677

Bartholomäus Kalb zers, wie er vorhin selber zum Ausdruck gebracht Von dieser Stelle aus fordere ich alle Gegner des hat. Kompromisses auf, nicht auf Grund kurzfristiger, (Jan Oostergetelo [SPD]: Sie waren in der egoistischer oder nationaler Überlegungen die sich Beantwortung aber auch schon ehrlicher!) auf Grund des Kompromisses bietende Chance zur Wiederbelebung der Weltkonjunktur zu versäu- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf men. fortfahren: Mit dem vorliegenden Agraretat leistet der Bund in seinem Zuständigkeitsbereich das Men- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) schenmögliche für unsere Landwirtschaft. Dabei geht es doch nicht darum, die Bauern der Industrie zu opfern. Auch wenn dieser Vorwurf häufig (Siegfried Hornung [CDU/CSU] : Und das zu hören und zu lesen ist, so wird er deswegen doch Notwendige!) nicht berechtigter. Ich habe vorhin auf die Entwicklung des Agraretats (Zuruf von der F.D.P.: Sehr richtig!) in den zurückliegenden zehn Jahren hingewiesen. Diese zehn Jahre Agrarpolitik sind untrennbar mit Unstreitig ist doch, daß wir auf einen erfolgreichen Ignaz Kiechle verbunden. Abschluß der Uruguay-Runde angewiesen sind, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Wir noch mehr als andere!) Trotz aller Schwierigkeiten, trotz aller Meinungsun- terschiede und trotz manch harter Auseinanderset- um — nicht nur in Deutschland — eine Rezession zungen und vielleicht auch, lieber Ignaz Kiechle, abzuwenden. manch bitterer Erfahrung, der Sie sich hier im Parla- (Beifall bei der F.D.P. sowie der Abg. Ingrid ment, aber noch mehr draußen im Lande stellen Matthäus-Maier [SPD]) mußten, wird man sagen dürfen — immer gemessen Dies ist nicht zuletzt deshalb erforderlich, um der an dem, was man realistischerweise von der Politik Landwirtschaft auch in Zukunft mit beträchtlichen und vom Agrarminister verlangen und erwarten Finanzmitteln einen sozialverträglichen Struktur- durfte —: Es waren zehn gute, zehn erfolgreiche wandel zu ermöglichen. Jahre. Der Minister hat einen ungeheuren- Einsatz gezeigt. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wer einen Abschluß der GATT-Verhandlungen mit Dafür möchte ich Ihnen im Namen unserer Landes- dem ausschließlichen Hinweis auf die Lage der Land- gruppe, unserer Fraktion und der Koalition ganz, ganz wirtschaft zu blockieren versucht, vergißt zudem, daß herzlich danken. die Agrarpoliltik ein Bestandteil allgemeiner Wirt- (Zurufe von der SPD: Ist das eine Abschieds schaftspolitik ist. Er vergißt, daß eine Regierung die rede für den Minister? — Wollen Sie den Verantwortung für die gesamtwirtschaftliche Ent- Minister absetzen?) wicklung trägt. Er vergißt, daß die Öffnung der — Nein! — Lieber Herr Minister, ich weiß auch, daß es Märkte am dringendsten für die Länder der sogenann- selbst in der Opposition Leute gibt, die Sie mögen und ten Dritten Welt vonnöten ist. Einerseits Entwick- die Sie schätzen. Wir hoffen, daß den vergangenen lungshilfe in Milliardenhöhe an diese Länder zu zehn guten Jahren — trotz aller Veränderungen — zahlen, darüber zu reden, wie man die Zuwande- weitere gute Jahre folgen mögen. rungsströme regulieren kann, und andererseits Ent- wicklungschancen für diese Länder ungenutzt zu Herzlichen Dank. lassen, ist für mich einfach unehrlich. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Zum hoffentlich endgültigen Abschluß der Ver- handlungen mit den USA nur noch ein Satz: Nicht Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht die Kollegin Dr. Sigrid Hoth. zuletzt die Kritik der Bauern hier wie dort ist Anzei- chen dafür, daß ein Kompromiß gefunden worden zu sein scheint, der allen Seiten erhebliche Abstriche an Dr. Sigrid Hoth (F.D.P.): Sehr verehrte Frau Präsi- den eigenen Positionen abverlangte, der aber gerade dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als wir fast deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, von allen auf den Tag genau vor einem Jahr in diesem Hause Seiten tragbar sein sollte. über den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten debattierten, Vizepräsidentin Renate Schmidt: Frau Kollegin herrschte große Unsicherheit über die weitere Ent- Hoth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen wicklung der EG -Agrarreform und über den Ausgang Oostergetelo? der GATT-Verhandlungen. Die erfolgte Verständi- gung auf die Eckwerte einer Reform der gemeinsa- men EG-Agrarpolitik war eine wesentliche Voraus- Dr. Sigrid Hoth (F.D.P.): Ja. setzung, um im Streit mit den USA, aber auch mit den anderen Exporteuren von Agrarprodukten einen Jan Oostergetelo (SPD): Frau Kollegin, gerade weil Kompromiß erzielen und die Gefahr eines Handels- ich das teile, was Sie zum GATT gesagt haben, frage krieges bannen zu können. ich Sie: Kann ich davon ausgehen, daß Sie als Mitglied (Beifall bei der F.D.P. und bei Abgeordneten der Regierungskoalition alles tun werden, um darauf der CDU/CSU) hinzuwirken, daß wir den Forderungen der Franzo- 10678 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Jan Oostergetelo sen nicht nachgeben, sondern daß wir alle auf die Zustimmung. Als Haushälterin möchte ich jedoch die Einhaltung dieses Abschlusses drängen? mit der Reform befaßten Kollegen bitten, bei ihren (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Da ist ein weiteren Überlegungen die dauerhafte Finanzierbar- großer sozialistischer Partner dabei!) keit des agrarsozialen Sicherungssystems fest im Auge zu behalten. (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der Dr. Sig rid Hoth (F.D.P.): Herr Kollege, Sie können SPD) davon ausgehen, daß ich all das, was ich in meinen Insofern, liebe Kollegen, begrüße ich die Absicht, die Reden zum Ausdruck bringe, nicht nur mit Worten, Alterssicherung zukünftig auf wirkliche Landwirte zu sondern auch mit Taten unterstütze. beschränken, um Mitnahmeeffekte wie z. B. bei der (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU landwirtschaftlichen Krankenversicherung künftig sowie bei Abgeordneten der SPD) auszuschließen. Andererseits — hier gehe ich wiederum mit dem (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Bauernverband konform — trägt die Bundesregierung Ernst Kastning [SPD]: Da rückt Ihnen aber auch Verantwortung für die wirtschaftliche und der Heereman auf den Pelz!) soziale Lage der deutschen Landwirtschaft. Ein weiterer Bereich, dem wir zukünftig unsere (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Aufmerksamkeit verstärkt widmen sollten, ist die sowie bei Abgeordneten der SPD) Förderung der Agrarwirtschaft. Auch ich, liebe Kolle- Ein Blick in den zu verabschiedenden Haushalt macht gen, möchte in diesem Zusammenhang einige Worte deutlich, daß sich die Bundesregierung dieser Verant- zu dem speziellen Gebiet der nachwachsenden Roh- wortung auch bewußt ist. stoffe sagen. (Horst Sielaff [SPD]: Zu dem Ergebnis kom Noch ist die Konkurrenzfähigkeit nachwachsender men wir nicht!) Rohstoffe im Vergleich zu konventionellen Energie- — Hören Sie mir jetzt zu! Dann kommen- Sie zu dem trägern zwar nicht gegeben; gleichen Ergebnis. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Es ist die Im Geschäftsbereich des Bundesministers für Frage, wie man rechnet!) Ernährung, Landwirtschaft und Forsten stehen für das aber es besteht hier ein erhebliches Entwicklungspo- kommende Jahr mehr als 14 Milliarden DM zur tential. Deshalb haben wir in den Beratungen zum Verfügung. Im Laufe der Beratungen wurden Einspa- kommenden Haushalt beschlossen, die Einrichtung rungen in Höhe von knapp 107 Millionen DM vorge- einer Fachagentur zu unterstützen nommen, und zwar überwiegend bei den Ausgaben für die Gemeinschaftsaufgabe. (Horst Sielaff [SPD]: Erst einmal abwarten, was die bringt!) Dennoch wird der Haushalt für 1993 im Vergleich zum laufenden Jahr um 2,3 % steigen. Diese Steige- — Sie haben recht, daß wir wirklich erst einmal rung kommt nicht zuletzt dem Ausgleich der wegge- gemeinsam abwarten sollten, was die bringt —, deren fallenen Entlastung der Landwirtschaft über die Aufgabe es ein soll, Produktions-, Absatz- und Ver- Umsatzsteuerregelung zugute. Dafür stehen 1993 ins- wendungsmöglichkeiten nachwachsender Rohstoffe gesamt 2 Milliarden DM zur Verfügung. Für 1994 und zu verbessern und die öffentliche Förderung zu koor- 1995 betragen die Aufwendungen 1,8 Milliarden DM dinieren. Ich erwarte aber, Herr Minister, daß entspre- bzw. 1,7 Milliarden DM. Letztere bedürfen allerdings chend den Beschlüssen der Förderalismuskommission noch der Abstimmung mit der EG, bevor die gesetzli- diese Fachagentur auch wirklich in den neuen Bun- che Grundlage für die Auszahlung der Mittel geschaf- desländern ihren Standort findet. fen werden kann. (Beifall bei der F.D.P. und der SPD — Horst Bei den Verhandlungen zur gemeinsamen Agrarre- Sielaff [SPD]: Schauen Sie mal, woher der form konnte bei den EG-Partnern aber bereits eine Beifall kommt! — Ing rid Matthäus-Maier positive Grundhaltung in dieser Frage erzielt werden. [SPD]: Was sagt denn der Finanzminister Deshalb kann davon ausgegangen werden, daß kein dazu?) Nachteil für die deutsche Landwirtschaft entstehen — Kollegen aus den neuen Bundesländern sind ja wird. wohl in allen Fraktionen. Als Entschädigung für verlorene Inventarbeiträge im Beitrittsgebiet können davon bis zu 180 Millionen Liebe Kolleginnen und Kollegen, während der DM geleistet werden. Beratungen der letzten Wochen ging es jedoch auch darum, schnell und unbürokratisch auf unvorherseh- Für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der bare Ereignisse wie z. B. auf die Auswirkungen der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" stehen wei- Dürrekatastrophe zu reagieren. Die Bundesregierung terhin 2,6 Milliarden DM bereit. hat nach kurzer Beratung beschlossen, für die betrof- Im übrigen wird der größte Anteil der Aufwendun- fenen Betriebe 200 Millionen DM bereitzustellen. Auf gen im Einzelplan 10 für die landwirtschaftliche die neuen Bundesländer entfallen davon 180 Millio- Sozialpolitik aufgewendet. Er beläuft sich mittler- nen DM. weile auf mehr als 50 % bzw. fast 7 Milliarden DM. An dieser Stelle möchte ich bemerken, daß die Die inzwischen recht konkreten Vorstellungen über Bereitstellung finanzieller Mittel im Bundeshaushalt die Reform der Agrarsozialpolitik finden meine zur Unterstützung der Bauern jedoch nur dann wirk- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10679

Dr. Sigrid Hoth sam werden kann, wenn die Umsetzung in den nur noch 43,8 % des Niveaus der alten Bundesländer Ländern entsprechend durchgeführt wird. Insofern erreichte? erfüllt mich schon mit Bitterkeit, wenn mir die Land- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Daran ist wirte aus Sachsen-Anhalt berichten — das wird in den aber nicht die Bundesregierung schuld!) anderen neuen Bundesländern nicht anders sein —, daß mit Stand vom Oktober 1992 lediglich die Anpas- — Darauf komme ich gleich, Herr Hornung. — Sie sungshilfe für das erste halbe Jahr ausgezahlt worden betrug einmal das 1,6fache. ist, während die Stillegungsprämie, die Investitions- (Susanne Jaffke [CDU/CSU]: Mehr essen!) zulage, die Mitverantwortungsabgabe, die Zinsver- billigung und die Zuschüsse für benachteiligte — Frau Jaffke, Sie wissen doch genau, daß die Gebiete sowie auch die Landesmittel zur Dürrehilfe ostdeutschen Bürger vielleicht sogar mehr essen als noch ausstehen. Daß, Herr Kollege Kastning, ist eine die westdeutschen. Das haben sie früher schon getan. wirkliche Tragödie. Ich komme gleich darauf. Angesichts der zur Zeit zum Teil sehr ernsten Die Folgen sind Vernichtung von Arbeitsplätzen in finanziellen Situation in den landwirtschaftlichen der Tierproduktion, in der Schlachtung und in der Betrieben fordere ich deshalb die Landesbehörden Verarbeitung und damit Vergrößerung der Arbeitslo- und -ämter auf, alles daranzusetzen, um die schnellst- sigkeit, die dem Bund zusätzliche Ausgaben verur- mögliche Auszahlung der bereitgestellten Mittel an sacht, und sind Betriebe, die weniger Steuern zahlen, die Landwirte zu sichern. also geringere Haushaltseinnahmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluß Es ist sicherlich eine unbestrittene Tatsache — da- möchte ich Ihnen sagen, daß die F.D.P.-Fraktion dem mit komme ich darauf zurück —, daß die Neubundes- vorgelegten Haushalt zustimmt und daß ich Ihnen für bürger nicht weniger essen als die alten Bundesbür- Ihre Aufmerksamkeit danke. ger. Das heißt, hier, wie auf anderen Gebieten, ver- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sorgt der Westen den Osten in erheblichem Maße sowie bei Abgeordneten der SPD) mit. - (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Im Osten ist Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster so viel geschehen; mehr konnte in den zwei spricht nun unser Kollege Dr. F ritz Schumann. Jahren gar nicht geschehen!) — Herr Hornung, Staatssekretär Gallus hatte recht, als Rückgangs der Viehbe- Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) (PDS/Linke er jüngst das Ausmaß des Liste): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! stände als anomalen Zustand charakterisierte und die Die PDS/Linke Liste verschließt sich vor dem Hinter- Befürchtung aussprach, daß die Schere zwischen grund gesamtwirtschaftlicher Schwierigkeiten und Viehaufkommen auf der einen Seite und Schlacht- angespannter Staatsfinanzen nicht dem Erfordernis und Verarbeitungskapazitäten auf der anderen Seite eiserner Sparsamkeit. Auch wir halten Einsparungen immer weiter auseinanderklafft. Nur, Herr Gallus, für unverzichtbar, allerdings auf anderen Feldern als sollte man nicht sagen, man hätte das nicht vorausse- die Bundesregierung. Das ist sicherlich auch ver- hen können. Herr Gallus, Sie sind ein intelligenter und ständlich. ein sehr engagierter Mensch. Frau Kollegin Hoth, ich kann Ihnen hier sagen, daß (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Na, na, na, auch wir im Interesse des Welthandels, der Weltwirt- wir wollen nicht übertreiben! — Weitere schaft und vor allem auch der vielen Länder der Zurufe von der SPD) Dritten Welt den Abschluß der GATT-Verhandlungen Ich hätte von Ihnen deshalb wirklich etwas anderes für sehr wichtig halten und deswegen mit dem gefun- erwartet. denen Agrarkompromiß einverstanden sind, auch wenn es manchmal schmerzt, wenn man als Landwirt (Georg Gallus [F.D.P.]: Hätte ich wissen kön Flächen stillegen muß. Aber man muß hier ganz nen, daß Sie eine so große Freude am Ver deutlich sagen: Im Interesse des Welthandels ist das kaufen haben?!) sicherlich richtig. Nicht nur wir, sondern auch die ostdeutschen Bau- Weitaus wichtiger und nachhaltiger als die Versu- ernverbände haben frühzeitig und wiederholt vor che der Konsolidierung der Staatsfinanzen per Rotstift einer solchen Entwicklung gewarnt. Sie ist in erster ist aber, daß die Bundesregierung endlich bessere Linie das Resultat von Rahmenbedingungen, die den Bedingungen schafft, damit die Wirtschaft florieren Aufschwung mehr behindern als fördern. Das muß kann. Dann kommt auch Geld in die Kassen von Bund, man hier deutlich sagen. Ländern und Kommunen und sicherlich auch zu den Obwohl in diesem Hause schon des öfteren darauf Menschen. Leider liegen auf diesem Feld die Haupt- verwiesen wurde, daß fehlende langfristige Pachtver- versäumnisse dieser Bundesregierung, und zwar auch träge für Treuhandflächen, die Belastung mit Alt- auf dem agrar- und ernährungswirtschaftlichen schulden ohne Gegenwert sowie eine schleppende Gebiet. Teilentschuldung, die ahistorische Regelung der Ver- (Beifall bei der PDS/Linke Liste und bei mögensauseinandersetzung in novellierten LAG Abgeordneten der SPD) — das muß man deulich sagen —, die Entwertung, der Wie aber soll Geld in die Kassen kommen, wenn in Verlust und der Abfluß von Betriebskapital, eine Ostdeutschland in dem Zeitraum von Januar bis unvorstellbare Bürokratie bei der betrieblichen För-

September 1992 z. B. die Pro-Kopf-Fleischerzeugung derung und bei der Erlangung von Neukrediten die 10680 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) Anpassung, die Umstrukturierung und den Auf- Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) (PDS/Linke schwung massiv erschweren, wurden bisher kaum Liste): Ich habe nur noch einen Satz, Frau Präsiden- Konsequenzen gezogen. tin. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ohne diese Leistungen wären alle Betriebe futsch!) Vizepräsidentin Renate Schmidt: Wunderbar. Heute ist ja gesagt worden — offenbar hat auch der Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) (PDS/Linke Agrar-Arbeitskreis der Koalition darüber beraten —, Liste): Unsere Gruppe hält gemäß ihrem Antrag des- daß das Entschädigungsgesetz jetzt so weit auf die halb die Weitergewährung von Anpassungshilfen für Reihe gebracht worden ist, daß zumindest zunächst notwendig. Sie sollten nicht von vornherein als eine langfristige Verpachtung vorgeschaltet wird und Geschenk des Staates gelten, sondern an Kriterien der daß dafür die Treuhand bzw. die BVVG den Auftrag Ergebnisverbesserung geknüpft werden. erhält. Ich halte es für wichtig, daß das jetzt endlich kommt. Aber das ist sehr spät — Herr Hornung, das (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Es muß nur wissen auch Sie —, und es hat viele Unsicherheiten in die richtigen Hände kommen!) verursacht. Bei nicht erreichter Verbesserung wären sie zurück- zuzahlen, d. h. der Staat soll das Geld nicht in Fässer (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Da gibt es ohne Boden stecken. einige, die vorher Träume in die Welt gesetzt haben!) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Völlig rich tig!) Wahrscheinlich ist das auch noch nicht einmal end- gültig. Aber ohne Hilfen würde vieles schlimmer und in der Konsequenz sehr viel teurer. Es ist doch eine Schande, wenn, wie die Treuhand Danke schön. jüngst verkündete, der Abschluß der Teilentschul- dung nicht vor Mitte 1993 zustande kommt. Damit (Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie bei wird die für Investitionen zur Sicherung der Wettbe- Abgeordneten der SPD) werbsfähigkeit unerläßliche Aufnahme von- Neukre- diten wiederum hinausgezögert. Wenn nicht endlich Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat der Mini- die Weichen in Richtung Erreichung höherer Betriebs- ster für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Herr ergebnisse gestellt werden, kann auch nicht genü- Ignaz Kiechle, das Wort. gend Geld in die Haushalte fließen und verteilt werden. Ignaz Kiechle, Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Frau Präsidentin! Meine Wie verkorkst die Rahmenbedingungen sind, zeigt sehr verehrten Damen und Herren! Es sind ja drei die Presseerklärung des Thüringer Landwirtschafts- Begriffe, die die Schwierigkeiten der Agrarpolitik ministeriums, nach der die in Thü- Flurneuordnung ganz kurz kennzeichnen. Das ist — nicht nur in den ringen Jahrzehnte dauern wird. Ich habe es nachge- neuen Bundesländern — der große Umstrukturie- rechnet: Sie würde mit der derzeitigen Flurneuord- rungsprozeß. Das sind die Anpassungen, die auf nung genau 172,5 Jahre dauern. Das ist kein Witz, Grund der EG-Agrarreform, die unvermeidlich war, sondern traurige Realität. nunmehr anstehen und sich erst ab dem nächsten Jahr (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist eine voll auswirken. Das sind letztlich die Konsequenzen falsche Rechnung!) aus den GATT-Regelungen — das ist dann ein welt- Bei solchen Rahmenbedingungen kann man, glaube weites Problem —, die nach Auffassung wohl aller im ich, gut und gern auf die für die Flurneuordnung Haus unumgänglich notwendig sind. vorgesehenen Mittel nicht nur für 1993, sondern auch Daß wir bei der Lösung solcher Probleme keinen für die Folgejahre verzichten. Glaubenskrieg um Einzelmaßnahmen oder einzelne Aber zurück zum Ausgangsbeispiel: Die Hauptur- Haushaltspositionen im Bereich Landwirtschaft brau- sache des überdimensionierten Viehbestandsabbaus chen, dürfte, so meine ich, allen klar sein. Was wir liegt darin, daß die meisten Betriebe auch am Beginn brauchen, ist Schulterschluß. Um den möchte ich des dritten Wirtschaftsjahres nach der Währungs- bitten, und zwar nicht im Interesse einer oder mehre- union gezwungen sind, von der Substanz zu leben, ihr rer Parteien, sondern weil die Landwirtschaft diesen Vermögen zu verzehren trotz erreichter Kostensen- Schulterschluß der demokratischen Parteien nötig kung und realisierter höherer Erzeugerpreise, die es hat. Sie bedarf der Hilfe; denn es gibt so viele — da muß ich Ihnen recht geben — natürlich gibt. Der Probleme und so viele Schwierigkeiten, daß man das Grund: Die erreichte Ergebnisverbesserung der ost- nicht allein auf ihrem Rücken austragen kann. deutschen Landwirtschaft wird durch den Subven- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge tionsabbau aufgefressen. Immerhin be trug dieser im ordneten der F.D.P.)

Wirtschaftsjahr 1991/92 gegenüber 1990/91 rund Die Reform der EG -Agrarpolitik stellt unsere Land- 50 %. Mit dem Wegfall der Anpassungshilfen für 1993 wirtschaft schon vor große Herausforderungen. Die würde diese Politik fortgesetzt, obwohl die Anpas- einigungsbedingten Kosten sind ja auch nicht gerade sungsprobleme — auch darüber sind wir uns sicher- so, daß wir sagen könnten, das seien Kleinigkeiten. lich einig — bei weitem noch nicht gelöst sind. Sie stellt uns vielmehr vor einmalige Finanzierungs- fragen. Man sollte das auch nicht einfach verteilen nach dem alten Schema: Die Opposition ist für nichts Vizepräsidentin Renate Schmidt: Könnten Sie bitte verantwortlich, und die Regierung ist an allem schuld. zum Schluß kommen. Ganz im Gegenteil: Wer das tut, hat die Zeichen der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10681

Bundesminister Ignaz Kiechle Zeit ganz bestimmt nicht erkannt. Parteipolitisches kommen und wie sie gesichert werden, müssen wir Taktieren liegt mir ohnehin fern. Aber in dieser Zeit ist zwar noch einmal reden, aber es gibt dafür eine gute es bei der Agrarpolitik ganz bestimmt nicht ange- Basis. bracht. Insofern möchte ich auch Ihnen, Herr Kast- Bitte schön, Herr Kollege. ning, dafür danken, daß Sie ein paar Punkte — wenn auch kritisch; das ist Ihr gutes Recht — angesprochen haben. Ernst Kastning (SPD): Als jemand, der seit zwei Handeln ist das Gebot der Stunde, und wir haben Jahren zwischen dem Wunsch steht, der Landwirt- doch gehandelt. Wir haben den Etat für Landwirt- schaft natürlich zu helfen, und dem Druck der Haus- schaft in der Zeit von 1983 bis 1992 mehr als verdop- hälter insgesamt — das ist ja eine ehrenwerte Gese ll pelt. Wir haben diesen Etat 1993 immerhin noch -schaft von mehr als 30 Abgeordneten —, immer einmal um 2,3 % auf 14,3 Milliarden DM erhöht. Das wieder zu gucken, wo man Geld sparen kann, habe ich ist mehr als anderes der Beweis für und Ausfluß von mich über Ihren Satz gefreut, daß Sie die Politik Taten, die man zu tun bereit ist. Reden nützt keinem fortsetzen, die gewährleistet, daß Geld für die Agrar- Landwirt etwas. Immerhin entfallen davon rund politik, auch für die soziale Sicherung, da ist. Ich 2,5 Milliarden DM auf einigungsbedingte Ausgaben. möchte Sie, Herr Minister, um der Seriosität willen Das ist ein Ergebnis, das wir, glaube ich, ohne Wenn fragen: Sind Sie wirklich fest davon überzeugt, daß und Aber vorzeigen können. dieser gemäßigte Aufwärtstrend des Agraretats über Ende Januar/Anfang Februar 1993 hinaus Bestand Insofern haben wir Wort gehalten. Wir setzen haben wird? Ich will hinzufügen, damit keiner andere unsere Politik für die Landwirtschaft auch konsequent Spekulationen anstellt: Ich meine damit den Nach- fort. Das heißt, finanzieller Schwerpunkt bleibt bei- tragshaushalt. spielsweise die Agrarsozialpolitik. Mit einer Steige- rungsrate von mehr als 12 %, einer Steigerung auf rund 6,8 Milliarden DM fließt 1993 fast die Hälfte der Ignaz Kiechle, Bundesminister für Ernährung, gesamten Etatmittel in diesen Bereich. Unsere Land- Landwirtschaft und Forsten: Das war ja auch eine Ihrer wirtschaft wird damit bei den Beiträgen- zu einer Fragen. Meine Antwort lautet, bezogen auf die Agrar- solchen sozialen Absicherung auch weiterhin in sozialpolitik auch für die kommenden Jahre, ja. Da bin erheblichem Maße entlastet. ich völlig sicher. Wir werden in dieser Legislaturperiode die Reform (Beifall bei der CDU/CSU — Horst Sielaff der agrarsozialen Sicherung abschließen. Oft ange- [SPD]: Vorsicht, das war sehr einge mahnt, vom Parlament unter bestimmten Kriterien schränkt! ) ausdrücklich gefordert, wird das nun geschehen. Wir — Ich kann das nicht für den gesamten Haushalt machen das — — sagen. Das kann niemand, der seriös argumentieren will. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Minister Wir sehen in der Gemeinschaftsaufgabe übrigens Kiechle, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kolle- einen weiteren Schwerpunkt unserer Agrarpolitik. gen Kastning? Der Ansatz wird im Jahre 1993 auf 2,63 Milliarden DM erhöht. Damit werden wir vor allem auch den Proble- men bei der Umstrukturierung der Landwirtschaft in Ignaz Kiechle, Bundesminister für Ernährung, den neuen Ländern Rechnung tragen. Landwirtschaft und Forsten: Wenn Herr Kastning mir erlaubt, diesen Satz noch zu beenden, dann sage ich ja Insgesamt werden 1993 1,745 Milliarden DM für dazu. Ausgleichsmaßnahmen für die Landwirtschaft zur Verfügung gestellt. Der Löwenanteil dieser Mittel Wir machen das, um die Beiträge für die Alterssi- wird für die Anschlußregelung des 3 %-Umsatzsteu- cherung möglichst stabil zu halten, um die effektive erausgleichs benötigt. Obwohl diese Maßnahme 1992 Beitragsbelastung für den einzelnen Betrieb gerech- letztmalig zur Anwendung kommen sollte, haben wir ter und familienfreundlicher zu gestalten und um den im Rahmen des Agrarreformpakets von der EG Bäuerinnen eine eigenständige Sicherung anzubie- Kommission eine Protokollerklärung erwirkt, nach ten. der eine zeitlich befristete degressive Fortführung Herr Kollege Kastning, vergessen Sie Ihre Frage geprüft wird. nicht. Sie haben vorhin schon eine Frage dazu — eine Wir werden 1993 bis zu 180 Millionen DM aus sehr berechtigte — gestellt. Die Kosten kann ich Ihnen diesen Bereichen — Entschädigungsleistungen für natürlich in D-Mark nicht genau sagen, aber sie verlorene Inventarbeiträge — bereitstellen. Freiwer- werden bei rund 700 Millionen DM pro Jahr liegen. dende, wegen EG-Regelungen nicht mehr auszahl- Daß das einer sorgfältigen Finanzplanung bedarf, ist bare Finanzmittel aus dieser Regelung wollen wir, mir klar. Ich möchte meinen Teil dazu beitragen — das soweit möglich, weiter für die Landwirtschaft einset- ganze Haus möchte dies sicherlich auch —, daß diese zen, Mittel seriös über absehbare Zeit, d. h. so lange, wie wir uns das vorstellen können, gesichert sind. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sehr gut!) (Beifall bei der CDU/CSU) besonders in den Bereichen der Sozialpolitik und Gemeinschaftsaufgabe. Dazu bedarf es nicht nur der Abstimmung mit dem Parlament, sondern auch der mit dem Finanzminister. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Dies ist geschehen. Sie dürfen versichert sein: Über Während wir also für das kommende Haushaltsjahr den Weg insgesamt, also darüber, woher die Mittel Vorsorge für eine Fortsetzung der Einkommenshilfen 10682 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Bundesminister Ignaz Kiechle getroffen haben, warten wir noch darauf, daß die SPD über Getreide hinaus fast alle gängigen Ackerkultu- ihren vielen vollmundigen Erklärungen zugunsten ren für den Nichtnahrungsbereich angebaut werden, direkter Einkommensübertragungen auch Taten fol- und dennoch erhalten unsere Bauern die volle Stille- gen läßt, und darauf, daß sich die SPD-Länder nun gungsprämie. endlich dazu durchringen, ihren Beitrag für die Das Jahr 1993, meine Damen und Herren, wird für Anschlußregelung des 3 % -Umsatzsteuerausgleich unsere Bauern und die Landwirtschaft eine Vielzahl 1992 zu leisten. tiefgreifender Veränderungen bringen. Wir können es (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — nicht ändern, wir können nur versuchen, die Entwick- Horst Sielaff [SPD]: Das machen sie doch! — lung zu steuern. Mit der ersten Stufe der Agrarreform Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber da ist beginnen wir den Einstieg in eine neue Agrarpolitik, die SPD schwach auf der Brust!) nämlich mehr direkte und weniger indirekte Einkom- Wir werden vor allem auch unsere Anstrengungen menspolitik. Europa und wir erhoffen uns davon erstens eine spürbare Entlastung der Agrarmärkte im Bereich nachwachsender Rohstoffe verstärken; denn mittel- bis langfristig braucht unsere Landwirt- und zweitens eine wirksame Stabilisierung der Ein- kommen unserer Landwirtschaft sowie einen wichti- schaft auf Grund der begrenzten Nahrungsmittel- märkte Produktions- und Verwendungsalternativen gen Beitrag zur Verbesserung der Umwelt. für ihre Produkte. Ich füge hinzu: Auch die Umwelt Wir werden die Folgen der Reformbeschlüsse genau braucht möglichst viele für sie freundlich und günstig im Auge behalten und dabei auf eine ausgewogene zu handhabende Rohstoffe. Entwicklung vor allem bezüglich des Einkommens- (Beifall bei der CDU/CSU) ausgleichs und der Marktentlastung achten. Es ist unser fester Wille, dafür zu sorgen, daß unsere Land- Für Forschungs-, Entwicklungs- und Demonstra- wirtschaft — damit meine ich auch die deutsche, aber tionsvorhaben stehen 1993 Projektmittel in Höhe von nicht nur sie — auch zukünftig ihre wichtigen Aufga- rund 55 Millionen DM zur Verfügung. Sie werden ab ben erfüllen kann. Deshalb dürfen auch die GATT 1993 ausschließlich im Agrarhaushalt veranschlagt.-Verhandlungen die Beschlüsse zur EG-Agrarreform Ihre Koordinierung erfolgt durch eine Fachagentur- für nicht in Frage stellen. nachwachsende Rohstoffe. Diese Fachagentur ist schon mehrere Male angesprochen worden. Am 18. und 19. November 1992 hat die EG hierzu in wichtigen Fragen mit den USA einen globalen Kom- Meine Damen und Herren, wenn Sie einem alten promiß gefunden. Dabei wurden gegenüber den Fahrensmann — ich bin immerhin über 20 Jahre in ersten Angeboten der USA durchaus entscheidende diesem Parlament — überhaupt etwas glauben — was Verbesserungen erzielt. ich nicht weiß —, dann kann ich Sie nur darauf hinweisen: Diese Fachagentur soll von seiten des In der Ölsaatenfrage verpflichtet sich die EG, nach Bundes mit rund 2 Millionen DM im Jahr subventio- Anwendung des üblichen Stillegungssatzes eine niert werden. Das Bundesland, in dem diese Fach- Anbaufläche von maximal 4 360 000 ha einzuhalten. agentur letztlich ihren Sitz hat, sollte denselben oder Das entspricht bei dem derzeitigen Ertragsniveau rein einen etwas höheren Betrag aufbringen. rechnerisch einer Produktion von über 10 Millionen t Ölsaaten. Ölsaaten als nachwachsende Rohstoffe kön- (Ernst Kastning [SPD]: Ein Wettbewerb der nen nach dieser Vereinbarung zusätzlich bis zu einer Reichen oder was?) Menge von 1 800 000 t angebaut werden. Die bei dem Diese Fachagentur hat nur dann einen Sinn und derzeitigen Ertragsniveau zulässige Produktions- bringt den Bauern in ganz Deutschland nur dann menge liegt damit insgesamt mit rund 12 Millionen t etwas, wenn sie bereits nach drei Monaten funktions- sehr nahe bei der jetzigen Produktionsmenge. fähig ist. Wir haben keine Zeit für eine zweijährige Die Ausgleichszahlungen im Rahmen der EG Aufbauphase und solche Scherze. Wenn man einen Agrarreform unterliegen eindeutig nicht einer Ab- solchen Standort findet, das Land seinen Beitrag baupflicht im GATT . leistet und Fachleute aus Wirtschaft, Politik und son- stigen Bereichen schnell berufen sind und dort arbei- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist der ten können, funktioniert das Ganze in drei Monaten. wichtigste Punkt dabei!) Für mich ist derjenige Standort der richtige, wo dies Damit wurde eine unserer wichtigsten Forderungen am ehesten gewährleistet ist. von den USA akzeptiert. Für Projekte, die diese Agentur vergeben kann, Bei Substituten wurde eine Konsultationspflicht stehen über 50 Millionen DM zur Verfügung. Sie — das ist ein bißchen wenig, aber immerhin viel mehr, können in ganz Deutschland realisiert werden. Sie als wir bisher hatten, nämlich nichts — bei Überschrei- werden wahrscheinlich in den neuen Bundesländern ten einer Basisimportmenge von rund 16,5 Millionen t in weitaus größerem Umfang realisiert als in den alten vereinbart. Leider konnten wir die Produktbündelung Bundesländern, weil in den neuen Bundesländern die bei Rücknahme unserer Agrarexporte um 21 % nicht dafür notwendige großflächige Landwirtschaft zur erreichen. Verfügung steht. So sollten wir handeln, statt dabei irgendeine Ideologie zu verfolgen. Zusammenfassend kann nach einer ersten Bewer- tung der bisher bekanntgewordenen Ergebnisse (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) — das muß man auch hinzufügen — davon ausgegan- Wir haben mit der EG-Agrarreform für die nach- gen werden, daß sich die Ergebnisse des bilateralen wachsenden Rohstoffe einen wichtigen Schritt getan. Kompromisses im Rahmen der Reformbeschlüsse Jetzt können auf der gesamten stillgelegten Fläche bewegen. Sie sind ohne Zweifel nicht ausschließlich Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10683

Bundesminister Ignaz Kiechle erfreulich, sondern beinhalten sozusagen Licht und gemeinsam zugunsten der deutschen und der euro- Schatten zugleich. Alles in allem können wir aller- päischen Bauern fortsetzen können. dings auch im Interesse Europas und eines funktionie- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. renden Welthandels dem Kompromiß unsere Zustim- sowie bei Abgeordneten der SPD) mung nicht einfach versagen. Das ist keine Frage der Begeisterung, sondern letztlich eine Frage der politi- schen Vernunft. Wer immer diese Vereinbarungen zu Vizepräsidentin Renate Schmidt: Frau Kollegin Fall bringt oder bringen will, muß auch die Verant- Ingrid Matthäus-Maier hat um das Wort zu einer wortung dafür tragen. Kurzintervention gebeten.

(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Leider wahr!) Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Meine Damen und Herren von der Koalition, ich höre von meinen Kolle- Herzlichen Dank sagen möchte ich den Abgeordne- gen und auch von anderswo, daß Sie sich dort, wo ich ten des Haushaltsausschusses und des Ernährungs- nicht anwesend bin, kritisch über mich und das, was ausschusses sowie den Abgeordneten der Koalition ich zu den EG-Agrarexportsubventionen sage, und der Opposition, die sich besonders den schwieri- äußern. Ich gebe Ihnen also hier, wo ich anwesend bin, gen Fragen nationaler, europäischer und weltweiter die Gelegenheit, sich auch kritisch zu äußern bzw. zu Agrarpolitik widmen. sagen, was Ihnen nicht gefällt. Ich meine folgendes — das habe ich auch gestern Ich darf Ihnen versichern, daß die Bundesregierung beim Kanzleretat gesagt —: unsere Landwirtschaft auch weiterhin mit größtem Einsatz auf ihrem schwierigen Weg unterstützen wird. (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das ist Ich bitte daher das Hohe Haus urn die Zustimmung nicht Inhalt einer Kurzintervention!) zum Einzelplan 10. Ich meine, unter dem Gesichtspunkt des dringend notwendigen Sparens müssen u. a. auch die EG Eine letzte Dreiviertelminute möchte ich- nutzen, um Agrarexportsubventionen gekürzt werden. zum Thema GATT ein Wort zusätzlich zu sagen. Ich Wenn ich Zeit habe, benutze ich zur Verdeutlichung fürchte, daß Frankreich, das eine sehr harte Haltung folgendes Beispiel. einnimmt — gemäß dem deutsch-französischen Freundschaftsvertrag wäre die Tatsache, daß m an ein (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Genau das Veto überstimmt, mit anderen Konsequenzen verbun- habe ich vorhin kritisiert!) den, die man sehr wohl abwägen muß, bevor m an Die EG-Kommission hat im letzten Frühjahr den solche Gedanken auch nur hegt, geschweige denn sie Export von 100 000 t Rindfleisch nach Brasilien geneh- äußert; das kann ein Verband leicht, aber ein Staat migt. Die Kosten für die EG beliefen sich pro Kilo auf nicht —, den Versuch unternimmt, durch Hinauszö- etwa 6 DM. Der Preis für die Brasilianer betrug etwa gern der Verhandlungen und durch eine gewisse 1 DM. Die Subvention pro Kilo machte also 5 DM aus. Härte in der verbalen Auseinandersetzung zu errei- Das halte ich fiskalisch nicht für möglich. chen, daß die Preise für Getreide schlicht und einfach (Zurufe von der CDU/CSU: Das ist nicht ohne jeden Schutz dem Weltmarktpreis angepaßt zulässig!) werden, dafür die direkte Einkommenssubvention noch einmal ein bißchen erhöht wird und im übrigen — Sie rufen der Präsidentin zu, das sei nicht zulässig. jede Verpflichtung für „set aside", also zu einer Aber Sie haben gerade wieder meinen Namen in die Beschränkung der Produktion dann entfällt, weil m an Debatte geworfen, und mein Kollege Kastning war so ohne Exportsubventionen ja so viel exportieren darf, nett, darauf zu antworten. wie man will. (Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein [CDU/CSU]: Frau Präsidentin, das ist keine (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das wäre Kurzintervention!) aber falsch!) Das ist fiskalpolitisch unsinnig. Es ist entwicklungs- politisch unsinnig, weil es die Ausfuhrmöglichkeiten Das wäre eine Politik, die den deutschen Bauern der anderen Länder kaputtmacht. nicht entgegenkäme; denn heute haben wir wenig- stens bei 23 DM eine Mindestsicherung. Das müssen (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Nein! Sie alle bedenken, die jetzt auf dem einen Bein laut hurra haben die deutsche Landwirtschaft ange schreien und andererseits von der Bundesregierung sprochen!) verlangen, sie solle sich dem Veto anschließen. So Es ist umweltpolitisch unsinnig, weil es die Über- einfach liegen die Dinge nicht. schußproduktion fördert. Es ist schließlich agrarpoli- tisch unsinnig, weil nur der kleinere Teil des Geldes (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Sehr gut! — bei den Bauern landet. Ernst Kastning [SPD]: Wie kann Herr Heere (Beifall bei der SPD — Siegfried Hornung man so etwas übersehen?) [CDU/CSU]: Sie haben die deutsche L and — Ich habe es hier öffentlich gesagt. Ich habe sehr wirtschaft angesprochen!) wohl gewußt, warum ich das hier sage. Außerdem sage ich immer dazu — das sage ich auch hier —: Das kostet in der EG etwa 25 Milliarden DM. Ich bedanke mich noch einmal bei Ihnen allen. Ich Wenn wir das herunterfahren, haben wir natürlich hoffe, daß wir unsere Agrarpolitik in den Grundsätzen nicht alle diese Milliarden zur Verfügung. Denn ein 10684 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Ingrid Matthäus-Maier Teil der eingesparten Mittel muß selbstverständlich markt in der Bundesrepublik Deutschl and ist in ein als Transferleistung an die Bauern gezahlt werden. bedrohliches Ungleichgewicht geraten. Eine Versor- Jetzt sagen Sie mir, was Sie gegen diese Position gung der Bevölkerung mit ausreichendem und haben, und sagen Sie das hier und nicht immer bezahlbarem Wohnraum ist nicht mehr gewährleistet. hinterrücks, wenn ich nicht dabei bin. Was wir uns aber gerade in dieser Zeit des sozialen Unfriedens überhaupt nicht leisten können, ist die (Beifall bei der SPD) Zunahme von Frust und Wut auf diesen Staat. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Jetzt, liebe Kolle- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ilja gin Matthäus-Maier, ist Schluß. Es waren zwei Minu- Seifert [PDS/Linke Liste]) ten — falls es irgendwelche Irritationen gibt — und Es ist unbestritten, daß auch und nicht zuletzt durch zwei Sekunden. Das ist im Rahmen des Läßlichen. mangelnde Versorgung mit Wohnraum und durch Zum anderen steht in unserer Geschäftsordnung eine schlechte Wohnsituation sowie in einem tristen nicht, worauf sich Kurzinterventionen zu beziehen Wohnumfeld die Unzufriedenheit der Menschen haben. Kurzinterventionen sind zu allem auf dieser wächst. Welt möglich. Sie sind sogar zu Äußerungen von (Beifall bei der SPD) Kollegen aus der eigenen Fraktion möglich. Es gibt nur eine einzige Beschränkung: Sie dürfen maximal Wir haben in den letzten Tagen sehr über die zwei Minuten dauern. Insoweit habe ich mich korrekt Ursachen von Gewalt nachgedacht — es wurde von verhalten. Wie die Äußerung der Kollegin Matthäus- Erziehung und Ausbildung geredet —, um dem bei- Maier zu bewerten ist, ist Sache der anwesenden zukommen. Wir haben uns gefragt: Wo kommt die Mitglieder. Sie sind dabei in Ihrem Gewissen vollstän- Gewaltbereitschaft her, und warum ist die Hemm- dig frei. schwelle so gesunken? Nunmehr schließe ich die Aussprache zu diesem (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Da sind Sie Einzelplan. auch auf die Familie gekommen?) Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst — Ich bin auch auf die Familie gekommen. über den Änderungsantrag der Gruppe -PDS/Linke Liste zum Einzelplan 10 auf der Drucksache 12/3828. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Die Sie Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthal- lange vernachlässigt haben!) tungen? — Damit ist dieser Änderungsantrag bei Aber u. a. spielt auch die Wohnsituation eine Rolle. einigen Enthaltungen abgelehnt. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sind Sie da Wer stimmt für den Einzelplan 10 in der Ausschuß- auch auf die Neue Heimat gekommen?) fassung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan 10 ist damit angenommen. — Es geht darum, daß die Menschen keine Wohnung Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des mehr finden. Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und (Beifall bei der SPD) Forsten zum Antrag der SPD zur Entlastung von Ich bin froh, daß wir die Neue Heimat noch haben. Sie landwirtschaftlichen Unternehmen in den neuen Län- kann so steuern, daß auch sozial Schwache noch eine dern auf den Drucksachen 12/2317 und 12/3234 ab. Wohnung finden. Der Ausschuß empfiehlt, diesen Antrag abzulehnen. Wer stimmt für diese Empfehlung? — Gegenprobe! — Wer nicht erkennt oder nicht erkennen will, daß die Stimmenthaltungen? — Damit ist die Beschlußemp- Ursache für Gewalt auch in dieser Situation liegt, wer fehlung angenommen. jetzt nicht mit Hochdruck daran arbeitet, ausreichend Wohnraum zur Verfügung zu stellen, und trotz dieser Jetzt rufe ich auf: Erkenntnis die entsprechenden Mittel im Einzel- Einzelplan 25 plan 25 nicht erhöht, der — ich sage das, auch wenn es hart klingt — macht sich mitschuldig an der Entwick- Geschäftsbereich des Bundesministers für lung, die in den letzten Monaten in der Bundesrepu- Raumordnung, Bauwesen und Städtebau blik Deutschland deutlich geworden ist. — Drucksachen 12/3522, 12/3530 — (Beifall bei der SPD) Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Pützhofen Der Einzelplan 25 in seiner heute vorliegenden Carl-Ludwig Thiele Fassung -- ich weiß, daß demnächst noch irgend Thea Bock etwas kommt — macht deutlich, daß die Bundesregie- Dazu liegen vier Änderungsanträge der Gruppe rung nicht gewillt ist, diese erkennbaren Probleme PDS/Linke Liste vor. anzunehmen und entsprechend Mittel im Haushalt umzuschichten. Die Ausgaben sind 1993 sogar noch Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die um 3 Millionen DM niedriger als 1992. Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es dazu irgendwelche Änderungswünsche? — Das ist nicht (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. die Ausgaben, Frau Kollegin: die Verpflich Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster der tungsermächtigungen! Das sage ich Ihnen Kollegin Thea Bock das Wort. als Nichthaushälter!) Auch die Sozialdemokraten sagen: Wir müssen Thea Bock (SPD): Frau Präsidentin! Frau Ministerin! sparen, aber nicht in diesem Bereich und schon gar Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Wohnungs- nicht in Zeiten abflauender Konjunktur. Denn es ist Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10685

Thea Bock eine Binsenweisheit — das wissen wir alle —, daß im Schnitt 34 % ihres Nettoeinkommens für Mieten Investitionen im Baubereich die Konjunktur beleben. aus, Sie können nicht an der Tatsache vorbeigehen, daß in (Zuruf von der CDU/CSU: 16 %!) der Bundesrepublik 2,5 Millionen Wohnungen fehlen. und viele Wohnungen auf dem freien 'Wohnungs- Diese Zahl lesen Sie selber in Statistiken. Bis zum markt sind für normal- und geringverdienende Bevöl- Jahre 2000 prognostiziert die unabhängige Woh- kerungsgruppen überhaupt nicht mehr erschwing- nungsbaupolitische Kommission des Deutschen lich. Volksheimstättenwerkes eine Erhöhung der Haus- halte um 4,2 Millionen. Das würde bedeuten: Um auf (Zuruf von der SPD: So ist es!) dem schon jetzt nicht ausreichenden Niveau zu blei- Immer mehr Menschen werden aus ihren Wohnungen ben, müßten pro Jahr mindestens 500 000 Wohnun- verdrängt. Insbesondere in den Ballungszentren kön- gen gebaut werden. nen Arbeitnehmerfamilien eine angemessene Woh- Zugleich verdeutlicht eine genaue Betrachtung der nung kaum noch bezahlen. bisherigen Entwicklung: Es sind noch nie so wenige Diese Situation, die durch den aufgezeigten steti- Wohnungen gebaut worden wie unter der Ägide gen Abbau des Wohnungsbaus entstanden ist, indem dieser Bundesregierung. die Regierung den Wohnungsbau kontinuierlich nach unten fährt, wird noch durch weitere Versäumnisse (Beifall bei der SPD) verschärft. Viele Familien haben auf Grund der gel- In den letzten zehn Jahren der sozialliberalen Koali- tenden Einkommensgrenzen, die seit mehr als zehn tion wurden 4,4 Millionen Wohnungen fertiggestellt. Jahren nicht angepaßt worden sind, heute überhaupt Dann kam die Wende, die auch zu einer Wende auf keine Berechtigung zum Bezug einer Sozialwohnung dem Wohnungsmarkt führte. Von 1982 bis heute mehr. Vor zehn Jahren haben ungefähr 70 % eine — auch das sind zehn Jahre — sind nur 2,9 Millionen öffentlich geförderte Wohnung beanspruchen kön- Wohnungen gebaut worden. Ich sehe nicht, wie Sie, nen; heute sind es nicht einmal mehr 30 %. die regierende Koalition, mit Ihrer verfehlten Woh- (Zuruf von der CDU/CSU: So gut geht es nungspolitik Ihr Wahlversprechen aus dem Jahre uns!) 1990, nämlich bis zum Jahre 1994 zusätzlich 2 Millio- — So gut geht es uns? Da fragen Sie einmal, was die nen Wohnungen zu bauen, einlösen wollen. Leute draußen dazu sagen! Die haben nicht deshalb (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Das den Anspruch nicht mehr, weil sie genug verdienen, wollen die doch auch gar nicht!) sondern weil Sie die Grenze nach oben nicht angepaßt Aber das ist nicht mein Problem. Das müssen Sie dann haben. Ihrer Bevölkerung erzählen. (Zuruf von der CDU/CSU: Aufhetzen!) ( [F.D.P.]: Wieso „Ihrer"? Wenn — Aufhetzen! — Diese Menschen sind nun schutzlos schon, dann „unserer" !) dem freien Wohnungsmarkt ausgesetzt. Auf Grund der Knappheit steigen die Mieten und steigen immer — Nein, Ihrer. weiter, und Sie schieben im Grunde genommen Ihre (Ina Albowitz [F.D.P.]: Habt Ihr eine andere politische Verantwortung auf den Markt ab. als wir? Wenn, dann ist das unsere!) Aber auch das funktioniert nicht so, wie Sie sich das vorstellen; denn trotz der weiter steigenden Mietent- — Es steht fest: Die Regierung hat den Wohnungsbau wicklung engagieren sich die Investoren nicht im schleifen lassen. Daran führt kein Weg vorbei. Wohnungsneubau, sondern verständlicherweise lie- (Beifall bei der SPD) ber im Erwerb von Bestandswohnungen. Weil und Wer jetzt nicht einsieht, daß diese Wohnungsnot solange der Erwerb von Bestandswohnungen steuer- bekämpft werden muß, tut mir fast leid. Bis 1982 lich begünstigt ist, wird der Umwandlung von Miet- in wurden noch durchschnittlich 140 000 Sozialwoh- Eigentumswohnungen und damit der Vernichtung nungen jährlich gebaut, und Sie haben es geschafft, von preisgünstigen Wohnungen nur weiter Vorschub daß das auf 50 % reduziert worden ist; zur Zeit sind es geleistet. Nach einer Umfrage des Deutschen Städte- noch 70 000 Wohnungen im Jahr. Das ist eine Bilanz, tages hat die Zahl der geplanten Umwandlungen die vernichtend ist. beträchtlich zugenommen. Allein die Anzahl der im dritten Quartal dieses Jahres beantragten Abge- Ich will das noch mit ein paar weiteren Zahlen schlossenheitserklärungen überstieg die in den Jah- erhärten. 1991 wurden ca. 65 000 Sozialwohnungen ren 1990 und 1991 jeweils erteilten Bescheinigun- gebaut, aber zugleich fällt pro Jahr bei 150 000 gen. Altwohnungen die Sozialbindung weg. Es geht also weiter in der Spirale nach unten, und zur Zeit gibt es Frau Kollegin nur noch 2,8 Millionen Sozialwohnungen. Das sind bei Vizepräsidentin Renate Schmidt: Bock, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen einem Wohnungsbestand von ca. 27 Millionen Woh- nungen in den Westländern nur etwa noch 10 %. Mahlo gestatten?

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Warum Dr. Dietrich Mahlo (CDU/CSU): Frau Kollegin, ent- reden Sie nur von Sozialwohnungen?) schuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche; aber was Gleichzeitig sind die Mieten für nicht preisgebun- glauben Sie, wer sich, wenn die gebrauchten Eigen- dene Wohnungen — besonders, aber nicht nur in tumswohnungen nicht mehr steuerbegünstigt sind, unseren großstädtischen Ballungsgebieten — schon aus der Mittelschicht Eigentumswohnungen über- nicht mehr zu bezahlen. Die Menschen geben heute haupt noch erlauben kann? 10686 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Thea Bock (SPD): Herr Dr. Mahlo, es ist bekannt, tion am brisantesten ist, die Sicherung und Erweite- daß nicht nur diejenigen aus der Mittelschicht, die rung des Wohnungsbestandes zu bewirken. jetzt eine Wohnung haben, dieses Instrument nutzen, sondern daß sich in erster Linie eine große Gruppe von (Beifall bei der SPD) Spekulanten gebildet hat, die genau auf diesem Stadterneuerung muß zur Sicherung von bezahlba- Gebiet arbeiten. ren Wohnungen beitragen. Wer Städten und Gemein- den die Mittel hierfür kürzt, schränkt ihre Instrumente (Zurufe von der CDU/CSU: Das ist keine ein. Diese Mittelkürzung ist auch nicht durch p rivate Antwort auf die Frage!) Investoren aufzufangen. Aus ordnungspolitischen Ich spreche von dieser Umwandlung, gerade auch in Gründen braucht jede Stadt Regelungsinstrumente, Ballungsgebieten. Ich kenne die Viertel in Hamburg, um die Ziele der Sicherung und Erweiterung des wo das passiert, wo alteingesessene Mieter mit gün- Wohnungsbestandes zu gewährleisten, ganz beson- stigen Mieten jetzt neuen Eigentümern weichen müs- ders in sensiblen Stadtbereichen. sen und aus ihren Wohnungen verdrängt werden. Das Außerdem gebe ich hier einmal zu bedenken: ist einfach eine Tatsache; die können sie hier nicht Bisher hat jede Mark an öffentlicher Förderung 7 bis wegreden. 8 Mark an Privatinvestitionen nach sich gezogen. (Zuruf von der CDU/CSU: Neue Heimat!) (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt!) Die Bundesregierung tut in diesem Moment nichts, —Jawohl, das stimmt. Dieser Multiplikatoreffekt wird und die Bundesbauministerin warnt noch vor einer durch die konzeptionslose Kürzung der Koalitionspar- Dramatisierung dieser Situation. Die Situation ist für teien zunichte gemacht, und durch die Streichung von die Betroffenen dramatisch! insgesamt 380 Millionen DM für die Städtebauförde- rung West gefährden Sie, meine Damen und Herren (Zuruf von der CDU/CSU) von der regierenden Koalition, zudem gerade im Wir haben Konzepte vorgelegt, um dies zu beenden; mittelständischen Gewerbe Tausende von Arbeits- die brauchen Sie nur aufzugreifen. plätzen und verstärken dadurch die wirtschaftliche Rezession. Ich sage es hier noch einmal: Die Bundesregierung ist mitverantwortlich dafür, wenn Wohnraumnot in (Beifall bei der SPD) Deutschland zum sozialen Sprengsatz wird. Eine Mil- Wenn man sich das vor Augen führt, dann sind Sie mit lion Menschen in der Bundesrepublik — in unserer Ihrer Brechstangenliste überall mit 10 % herangegan- reichen Bundesrepublik — sind heute von Obdachlo- gen und haben offenbar überhaupt nicht über die sigkeit bedroht oder sind bereits obdachlos. Konsequenzen nachgedacht. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das sind nicht Frau Ministerin, noch vor einem Monat haben Sie alles Penner!) das genauso gesehen. Ich zitiere aus der „Allgemei- — Das sind nicht alles Penner; das sind normale Leute. nen Bauzeitung" vom 30. Oktober 1992: Sie müssen sich Schicksale von Obdachlosen anguk- Als außergewöhnlich wichtige innenpolitische ken. Da sind teilweise Akademiker dabei, die durch Aufgabe bezeichnete Bundesbauministerin Irm- Krankheit oder sonst unverschuldet in Not geraten. gard Schwaetzer die Städtebauförderung. Für die Schlimm ist für mich, daß Sie die Mittel noch weiter alten Länder sind jeweils 380 Millionen DM herunterfahren wollen. Wenn man sich die mittelfri- vorgesehen. Mit ihrer direkten und indirekten stige Finanzplanung anguckt, wird deutlich, daß Sie Anschubfinanzierung erweise sich die Förderung nach der nächsten Bundestagswahl noch weiter redu- städtebaulicher Maßnahmen als den Arbeits- zieren wollen, und zwar auf nur noch 1,8 Milliarden markt belebend, sagte Schwaetzer. DM. Während die Menschen Angst haben, keine Ich frage Sie, Frau Ministerin — das ist einen Monat bezahlbare Wohnung zu finden, schrumpft der Woh- her —: Sieht so verläßliche Politik aus? Die Gemein- nungsetat im Jahr 1993 bei gleichzeitiger Erhöhung den und Städte haben geplant. Sie haben sich auf Ihre der Baukosten. Aussage verlassen. Die können ihre Pläne in die Damit nicht genug, um die Steuerlücke, die plötz- Schublade packen. lich aufgetaucht ist, zu füllen, geht die Koalition bei (Zuruf von der SPD: Das macht sie immer so! ihren Kürzungsvorschlägen wirklich nach dem Rasen- — Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Sie mäherprinzip vor. Z. B. fällt die Städtebauförderung hat Angst vor Frau Matthäus-Maier!) für Westdeutschland dem Rotstift zum Opfer. Bis 1997 werden der Städtebauförderung einschließlich der — Sie hat Angst, so? — Wir brauchen wirklich ein Kürzung 1993 insgesamt 380 Millionen DM entzogen. Konzept, ein Gesamtkonzept, um den Wohnungsbe- Das entspricht einer Kürzung von 27 %, und die stand zu erhöhen, zu erhalten und sozial gerecht zu Summe, die in den ursprünglichen Regierungsent- nutzen. wurf eingestellt war, war ohnehin schon urn ungefähr Ich wollte Ihnen, Frau Ministe rin, im Haushaltsaus- die Hälfte niedriger als 1992. Dies bedeutet den schuß zwei Millionen DM für die Jahre 1993 und 1994 Kollaps der Städtebaupolitik in den Städten und dazugeben. Diese Mittel sollten als Ausgaben für Gemeinden. Es geht hierbei nicht um die Kürzung von Darlehen an Länder für den Einsatz als Baudarlehen „Unser Dorf soll schöner werden" -Programmen; die im ersten Förderungsweg und als Ausgaben für Städtebauförderung ist ein entscheidendes Instru- Zuweisungen an Länder für Maßnahmen des sozialen ment, um gerade in Großstädten, dort, wo die Situa- Wohnungsbaus einschließlich der Modernisierung Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10687

Thea Bock und Instandsetzung in den neuen Ländern verwendet Ich komme nun zur Altschuldenfrage. Das ist wirk- werden. Gut, Sie wollten das Geld nicht haben. Also lich ein Trauerspiel. tragen auch Sie die politische Verantwortung dafür, (Zuruf von der CDU/CSU: Sie müssen einmal wenn der Frust und die Wut der Wohnungssuchenden hinfahren und sich erkundigen!) in diesem Lande zunimmt. — Diese Sprüche — „Sie müssen einmal hinfahren"! (Zuruf von der CDU/CSU: Wo haben Sie Wissen Sie denn, wie oft ich dort war? Wie können Sie denn das her?) denn einen solchen Quatsch sagen?! Ich will das nicht. Ich habe auch Angst davor. Deshalb (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ weise ich Sie ausdrücklich darauf hin, daß in diesem CSU) Bereich ganz anders gearbeitet werden muß. — Qualitativere Zwischenrufe fallen Ihnen wohl nicht (Beifall bei der SPD) ein. Es ist noch viel schlimmer in unseren neuen Bun- (Zuruf von der CDU/CSU: Wann waren Sie desländern. Zwei Jahre nach der deutschen Einheit denn zum letztenmal dort?) wird die Suche nach bezahlbaren Wohnungen in den Die Bundesregierung erweist sich auch bei dieser neuen Bundesländern immer hoffnungsloser. Sozial Altschuldenfrage als völlig unfähig, als handlungsun- Schwächere, Familien mit geringem Einkommen, kin- fähig. Monatelang wird dieses Problem vor sich her- derreiche Familien und alleinerziehende Frauen sind geschoben. Die Mitglieder der Bundesregierung besonders hiervon betroffen. Der Wohnungsneubau sagen überall etwas anderes. in den ostdeutschen Ländern ist fast völlig zusammen- gebrochen. Angesichts dieser Situation können wir Sozialdemokraten nicht verstehen, daß der Verpflich- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Frau Kollegin tungsrahmen für den Wohnungs- und Städtebau in Bock, würden Sie auch noch eine Zwischenfrage des den neuen Ländern um 1,1 Milliarden DM geringer Kollegen Krause gestatten? bestückt ist als im Jahre 1992. Es geht aber nicht nur um Geld. Wir sehen, in Ostdeutschland wird durch die verfehlte Eigentums- Thea Bock (SPD): Nein, jetzt nicht mehr. Es hat mir und Altschuldenregelung die Chance vertan, den gereicht. Wohnungsbestand schnell instandzusetzen und damit (Heiterkeit bei der SPD — Zuruf von der auch viele ortsgebundene Arbeitsplätze zu schaffen. CDU/CSU: Uns reicht es schon lange! Bitte Das spekulative Horten von Bauland blockiert den nicht kneifen!) Neubau von Wohnungen und führt dazu, daß auf der Die Bundesregierung hat in Kauf genommen — Sie „grünen Wiese" gebaut wird. Auch eine Bodenreform müssen sich das von mir sagen lassen, wie schön, daß ist nach Meinung der SPD dringend notwendig. Aber sie jetzt zuhören müssen, wenn Sie auch sonst die auch da ist bei Ihnen nichts in Sicht. Augen und Ohren zumachen —, daß die Wohnungs- Wir müssen registrieren, daß trotz eines Fehlbestan- unternehmen auf Grund der Nichtregelung der Alt- des von 1 Million Wohnungen und eines enormen schuldenfrage für die Modernisierung des Wohnungs- Investitionsbedarfes wegen qualitativ schlechter Bau- bestandes nicht einmal eigens für dieses Programm substanz in den neuen Bundesländern die Bautätig- aufgelegte Kredite von der Kreditanstalt für Wieder- keit dramatisch rückläufig ist. 1991 wurden lediglich aufbau bekommen. Die Bundesregierung hat mit den 25 000 Wohnungen gegenüber noch 62 000 Wohnun- Altschulden nichts zu tun, lautet die stereotype Ant- gen im Jahre 1990 fertiggestellt. Im laufenden Haus- wort immer, wenn wir gefragt haben. Dann hat sie sich haltsjahr 1992 werden voraussichtlich wieder nur in ein babylonisches Sprachgewirr verrannt. CSU- 25 000 Wohnungen gebaut. Finanzminister Waigel fährt der F.D.P.-Bauministerin (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Aber öffentlich über den Mund — und umgekehrt. eine halbe Million modernisiert!) (Zuruf von der F.D.P.: Dann steht es doch 1.1!) Wer angesichts dieser Tatsache von einer boomen- den Bauwirtschaft im Wohnungsbau spricht, verkennt Seit kurzem und wiederholt fordert die Bundesbau- schlicht die reale Situation. Im Gegenteil, vielen ministerin, der Bund müsse das Morato rium für die Handwerksbetrieben in den neuen Bundesländern Altschulden bis 1996 verlängern und sich über den fehlen Anschlußaufträge, obwohl die Wohnungsun- Kreditabwicklungsfonds am Schuldendienst beteili- ternehmen sofort große Instandsetzungs-, Instandhal- gen. Postwendend wurde Frau Bundesbauministerin tungs- und Modernisierungsaufträge vergeben könn- Schwaetzer vom Bundesfinanzminister immer wieder ten, denn die öffentlichen Förderprogramme, die hier zurückgepfiffen. Der Bund dürfe, so die Meinung des immer gelobt werden, laufen an den Wohnungsunter- Bundesfinanzministers, überhaupt nicht mit den Alt- nehmen vorbei, weil diesen wegen der immer noch schulden belastet werden. Die Bauminister in den unklaren Altschuldenfrage und der unklaren Eigen- ostdeutschen Ländern fordern wiederum die Bundes- tumsverhältnisse die notwendigen Eigenmittel für die regierung auf, endlich mit einem Konzept zu kommen, Inanspruchnahme dieser Programme fehlen. das die Altschuldenfrage regelt. (Beifall bei der SPD) (Zuruf von der F.D.P.: Das liegt doch auf dem Tisch!) Die meisten Mieter warten somit vergebens auf die Verbesserung der Wohnung. Da passiert überhaupt — Ein Konzept ist nicht in Sicht. nichts und die Mieten steigen. (Zuruf von der F.D.P.: Doch!) 10688 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Thea Bock — Wo liegt ein Konzept auf dem Tisch? Wir reden über Der zweite Punkt, den ich zuspitzen will: Die den Haushalt — jetzt. Das hat uns ja so geärgert. Hier sozialdemokratischen Berührungsängste bei der Um- liegt überhaupt nichts vor. Was im Bundeshaushalt wandlung von Sozialwohnungen scheinen zumindest nicht eingestellt ist, interessiert mich heute gar nicht. da ihre Grenzen zu haben, wo in Hamburg hochdo- Wir wollten verschieben, dann hätten Sie vorher mit tierte SAGA-Mitarbeiter im Wohnbestand der SAGA Ihren Konzepten kommen können. Ich rede hier nicht wohnen, ihre Wohnung für 160 000 DM umbauen über ungelegte Eier. lassen, während drüben eine alte Dame nach wie vor (Beifall bei der SPD) noch mit einer Kohle- und Koksheizung auskommen muß. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Frau Kollegin (Beifall bei der CDU/CSU) Bock, Sie müßten dann zum Ende kommen. Ich sage ganz bewußt, liebe Thea Bock: Ich habe das genauso zugespitzt wie der Vortrag zugespitzt war, Thea Bock (SPD): Ja, Frau Präsidentin. Ich glaube, den ich soeben gehört habe. dieses Problem ist so groß, daß ich eine Stunde lang viele, viele andere Probleme hätte ansprechen kön- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege nen. Ich glaube, ich habe aber aufgezeigt, daß so viele Pützhofen, ich habe hier den Wunsch nach zwei Probleme gelöst werden müssen, daß wir diesem Zwischenfragen, zuerst vom Kollegen Diederich und Haushalt in keinem Fall zustimmen können. dann von der Kollegin Bock. Lassen Sie diese zu?

Danke. Dieter Pützhofen (CDU/CSU): Beide sind mir gleich (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ lieb, wenn sie mir nicht angerechnet werden, aber die DIE GRÜNEN) von der Thea noch lieber.

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Jetzt der Kollege Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nein, freilich Pützhofen. nicht.

Dr. Nils Diederich (Berlin) (SPD): Herr Kollege Dieter Pützhofen (CDU/CSU): Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich stimme der Frau Pützhofen, ist Ihnen aus der Demographie zufällig Kollegin Bock, mit der mich ein gutes Arbeitsverhält- entgangen, daß es keine massive Abwanderung aus Deutschland gibt, daß es aber gleichwohl eine mas- nis verbindet, ausdrücklich zu, wenn sie sagt, — — sive Abwanderung aus den neuen Bundesländern (Beifall bei der SPD) gibt und daß dies sowohl mit der Frage der Arbeits- — Das ist immer die Sache mit den Relativsätzen. Man plätze, aber auch mit der Frage der allgemeinen muß immer warten, bis der Hauptsatz und der Neben- Lebensumstände, also auch der Wohnung, zusam- satz zu Ende sind. menhängt? Wir beraten mit dem Einzelplan 25 einen Haushalt, der mit seinen nüchternen Daten ganz elementar und Dieter Pützhofen (CDU/CSU): Es ist richtig, Herr ganz direkt in das Leben unserer Bürgerinnen und Kollege, daß das ein Tatbestand ist, der stattfindet. Bürger eingreift. Insofern sind wir uns einig. Er Das wissen wir. Aber das ist ein Tatbestand, der die berührt die Wohnung als eine der Grundvorausset- allgemeinen Lebensumstände betrifft, für die wir zungen menschenwürdigen Lebens und die Frage zugegebenermaßen nach 40 Jahren sozialistischer eines lebenswerten Umfeldes. Herrschaft in den ersten zwei Jahren nicht sofort und in vollem Umfang die Verantwortung übernehmen (Dr. Ilja Seifert [PDS/Linke Liste]: Und eines können, wo wir aber dabei sind, die Situation zu Menschenrechts!) verbessern. — Des Menschenrechtes ebenfalls. Danke. Dieser Haushalt ist Ausdruck der großen Verant- wortung, die der Bund in den Bereichen Raumord- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun die Kollegin nung, Wohnungs- und Städtebau übernimmt. Die Bock. Einsicht in die sozialen, aber auch die wirtschaftlichen Herausforderungen, die sich hier stellen, hat die Thea Bock (SPD): Herr Kollege Pützhofen, stimmen Haushaltsberatungen bis jetzt geprägt. Das gilt für die Sie mir zu, daß Sie jetzt eben einen sogenannten Beratungen im Fachausschuß wie im Haushaltsaus- SAGA-Fall geschildert haben, der durch nichts erhär- schuß gleichermaßen. Aber die Beratungen im Ple- tet worden ist, und daß es einen Untersuchungsaus- num scheinen wohl offensichtlich anderen Regeln zu schuß gibt und daß wir es für eine parlamentarische unterliegen. Während das im Haushaltsausschuß rela- Gepflogenheit halten, bevor nicht ein parlamentari- tiv sachlich ablief, leben wir hier im Plenum wohl ganz scher Untersuchungsausschuß den Fall untersucht offensichtlich von Übertreibungen. Deshalb lassen Sie hat, nicht darüber zu reden. mich zumindest zwei Dinge auch einmal zuspitzen, (Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU und der liebe Thea Bock: F.D.P.) Erstens. Nach den düsteren Schilderungen des Staates durch Sie müßte sich dieses Land ja eigentlich Dieter Pützhofen (CDU/CSU): Frau Kollegin Bock, entleeren. Das Gegenteil ist der Fall. Immer mehr ich stimme Ihnen zu, daß dies ein Bericht ist, den ich wollen rein. Jedenfalls ist die Zahl der emigrationswil- den Medien entnommen habe und der, sage ich jetzt ligen Deutschen eher eine Zahl, die man vernachläs- einmal, möglicherweise zugespitzt ist, und der in der sigen kann. gleichen Weise zugespitzt ist wie Ihr zwanzigminüti- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10689

Dieter Pützhofen ger Vortrag soeben zum Wohnungsbau in der Bundes- haltsentscheidungen können wir nur versuchen, den republik Deutschland. aus diesen Entwicklungen resultierenden Folgen für den Wohnungsmarkt zu entsprechen. Das haben wir (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — mit dem Haushalt 1993 getan. Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Unglaub lich!) Allerdings, es geht eben nicht nur um Haushaltsent- scheidungen. Von ebenso großer Bedeutung sind die Die wirtschaftliche Bedeutung des Einzelplans 25 denn alleine mit liegt vor allen Dingen in dem Beitrag, den gerade rechtlichen Rahmenbedingungen; öffentlichen Mitteln sind die Wohnungsmarktpro- dieser Haushalt zu einem kontinuierlichen bauwirt- bleme auch nicht im Ansatz zu lösen. Wenn wir schaftlichen Wachstum leistet. Meine heimatliche insgesamt im Westen und im Osten etwa 600 000 „Westdeutsche Zeitung" hat vorgestern von Wachs- Wohnungen bauen wollten, dann ist dies, vorsichtig tumsraten berichtet, die im Westen immerhin bei über gerechnet, ein Investitionsvolumen von ungefähr 4 % liegen und im Osten über 22 % betragen und sich 150 Milliarden DM. Das kann — das ist schnell weit über denen bewegen, die die Bauwirtschaft für ersichtlich — nur zu ganz geringen Teilen aus Haus- das Jahr 1992 eigentlich erwartet hat. Das widerlegt haltsmitteln finanziert werden. das, was hier soeben eingebracht wurde. (Zuruf von der SPD: Sprechen Sie einmal mit Die Lösung kann deshalb nur die p rivate Investition der Bauwirtschaft!) bringen. Dazu müssen wir die richtigen Rahmenbe- dingungen in Gang setzen. Es sind vernünftige miet- Mit diesem Haushalt sorgen wir nun dafür, daß die rechtliche Rahmenbedingungen gefordert, die dem Bauwirtschaft wichtige Stütze der gesamtwirtschaftli- privaten Investor Sicherheit geben. Das tun wir mit chen Entwicklung bleibt. Das gilt vor allen Dingen in den in der parlamentarischen Beratung befindlichen den neuen Ländern, in denen die Bauwirtschaft die mietrechtlichen Änderungen. Vorreiterrolle für die gesamte Konjunktur überneh- men muß. Dieser Prozeß ist in Gang gesetzt, und wir Ich denke, es ist aber auch notwendig, daß wir ein werden ihn mit den Entscheidungen des Haushalts weitverbreitetes Bild in der öffentlichen Meinung 1993 unterstützen und verstärken. - endlich einmal zurechtrücken. Gerade in Zeiten des Wohnungsmangels besteht Gefahr, daß Vermieter Die öffentliche Diskussion über den Wohnungs- mit dem Begriff „Spekulant" versehen werden. Meine markt ist derzeit geprägt von dem Stichwort Woh- Damen und Herren, angesichts der im Vergleich zu nungsmangel oder von dem Stichwort Wohnungsnot. anderen Anlagemöglichkeiten nicht gerade üppigen Wir haben soeben Beispiele dafür gehört. Dabei mag Rendite im Wohnungsbau ist das sicherlich kein man sich über den Begriff Wohnungsnot angesichts besonderer Anreiz, sich am Wohnungsmarkt zu enga- einer Pro-Kopf-Versorgung im Westen mit rund gieren. 37 Quadratmetern Wohnfläche noch streiten. Ich halte aber nichts von dem Streit um Begriffe. Tatsache ist, Zu den zentralen Rahmenbedingungen für eine daß das Wohnungsangebot im Westen und erst recht positive Wohnungsmarktentwicklung gehört das Bau- im Osten der Nachfrage nicht entspricht; das ist und Bodenrecht. Im vergangenen Jahrzehnt mag es richtig. Das geht zu Lasten der Einkommensschwä- Gründe für eine restriktive Baulandausweisung gege- cheren; das geht zu Lasten der Familien mit Kindern; ben haben. Heute ist erkennbar, daß wir uns von das geht zu Lasten der Alleinerziehenden. Deshalb diesen Restriktionen so schnell wie möglich trennen sind wir gefordert, hier die richtigen Rahmenbedin- müssen. gungen zu setzen, auch was öffentliche Fördermaß- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nahmen anlangt. Dem wird dieser Haushalt mit sei- nem Schwerpunkt in der Förderung des sozialen Dazu brauchen die Gemeinden das notwendige Wohnungsbaus allerdings gerecht. gesetzliche Rüstzeug. Es wird ihnen mit dem in der nächsten Woche im Bundeskabinett zur Beratung Die Gründe für die Schwierigkeiten am Wohnungs- anstehenden Wohnbaulandgesetz in die Hand gege- markt sind vielfältig, und sie sind bekannt. Zu nennen ben. sind die Zuwanderung aus Osteuropa, natürlich auch die Asylproblematik. Allein in den vergangenen drei Es gehört aber nicht nur gesetzliches Rüstzeug Jahren mußte dieser Wohnungsmarkt mehr als drei dazu, sondern auch das Wollen und der Mut, Bauland- Millionen Zuwanderer verkraften. Hinzu kommt eine ausweisungen auch gegen Widerstände durchzuset- stark gestiegene Wohnungsnachfrage auf Grund der zen. Wohlstandsentwicklung. „Auflockerungsbedarf" heißt das etwas sarkastisch. Wir haben uns in den (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) vergangenen Jahren pro Kopf und Jahr j eweils einen Wir erleben in unseren Städten ja oft genug, daß sich halben Quadratmeter Wohnfläche mehr geleistet, unter der Überschrift „Stopp dem Landschaftsver- einen halben Quadratmeter Wohnfläche pro Kopf und brauch" diejenigen zu Wort melden, die vorher zu Jahr in diesem Land! ihren eigenen Gunsten bereits die Landschaft in Gesellschaftliche Wandlungen tun ein übriges. Ich Anspruch genommen haben, nun aber weitere Flä- nenne nur die stark zunehmende Zahl der Haushalte, chenausweisungen verhindern. Ja, es gehört leider vor allem der Ein- und Zwei-Personen-Haushalte, heute Mut dazu, für nachwachsende Generationen deren Wohnflächenbedarf ja besonders hoch ist. die gleichen, guten Wohn- und Lebenschancen einzu- fordern, die vorher andere gehabt haben. All dies sind Entwicklungen, die wir mit Haushalts- entscheidungen nicht beeinflussen können. Mit Haus- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 10690 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Dieter Pützhofen Meine Damen und Herren, mit Blick auf die — das wird von manchen nicht gern gehört — bringt Begrenztheit der öffentlichen Mittel müssen wir ver- eben ein Höchstmaß an Leistungsbereitschaft und suchen, das, was zur Verfügung steht, so wirkungsvoll auch ein Höchstmaß an Investitionsbereitschaft. wie irgend möglich einzusetzen. Dies gilt vor allem für (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — die Förderung des sozialen Wohnungsbaus. Da kön- Thea Bock [SPD]: Wenn man es kann!) nen wir nach 50 Jahren nicht mehr bei den gleichen Förderstrukturen verharren, die den gewandelten Wir haben schon im vergangenen Jahr und in Anforderungen des Wohnungsmarktes einfach nicht diesem Jahr versucht, diesen Prozeß in Gang zu mehr entsprechen. bringen. Er ist auf große Schwierigkeiten gestoßen. Das gebe ich gerne zu. Sie waren begründet in den Der Bund hat mit dem dritten Förderweg, mit der eigentumsrechtlichen Fragen, in den vielfältigen vereinbarten Förderung, ermöglicht, die Zahl der rechtlichen Problemen, die mit der Aufteilung und geförderten Wohnungen zu erhöhen und zugleich Umwandlung in Wohneigentum verbunden sind. Es auch die soziale Treffsicherheit zu verstärken. gibt auch Grenzen — das wissen wir —, die durch die Auf diesem Feld sind wir allerdings darauf angewie- Bausubstanz, durch die Plattenbauten hervorgerufen sen, daß die Bundesländer, die ja eine Kernverantwor- werden. Da stoßen wir auf Grenzen, was die Privati- tung für den sozialen Wohnungsbau tragen, mitzie- sierung anbetrifft. hen. Ich möchte insbesondere die sozialdemokratisch Wir mußten zunächst Modelle entwickeln, die regierten Bundesländer auffordern, auch in diesem sicherstellen, daß bisherige Mieter durch den Erwerb Bereich ideologische Scheuklappen abzulegen und ihrer Wohnung nicht in unvertretbare wirtschaftliche diese neuen Förderwege mitzugehen. Risiken gestürzt werden. Um so wichtiger war es, daß (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wir immerhin mit 31 Modellprojekten erwiesen Wir sind uns übrigens in diesem Punkt mit der haben, wie diese Wege aussehen können. Sie haben Wohnungswirtschaft völlig einig, und ein Verband sich inzwischen als erfolgreich erwiesen. Deshalb wie der Gesamtverband der Wohnungswirtschaft setzen wir auch im kommenden Jahr den Weg der steht ja nun weiß Gott nicht im Verdacht, alle Maß- Privatisierung des Wohnungsbestands in den neuen nahmen, die die Bundesregierung durchführt, zu Ländern konsequent fo rt . beklatschen. Diesmal sind wir uns mit diesem Ver- (Achim Großmann [SPD]: Im Haushalt steht band einig. davon leider nichts drin! — Thea Bock [SPD]: Wir haben im Wohnungsbau — besser: in der Leertitel!)

Förderung des Wohnungsbaus — schon in den ver- Meine Damen und Herren, in der begleitenden gangenen Jahren viel geleistet. Dies werden wir Kritik der Opposition zu diesen Haushaltsberatungen fortsetzen und mit dem Haushalt 1993 steigern. Nun ist immer wieder unterstellt worden, der Bund werde will ich Ihnen einmal einige Vergleichszahlen nen- mit seinen Entscheidungen in diesem Bereich den nen, Frau Kollegin Bock; sie ist leider nicht mehr hier. sozialen Verpflichtungen nicht gerecht. Es wird Im Haushalt 1989 wurden an Bundesmitteln für den behauptet — ich habe das neulich in der „Frankfurter sozialen Wohnungsbau 300 Millionen DM bereitge- Allgemeinen" vom Kollegen Großmann gelesen, der stellt. Im Haushalt 1993 sind es 3,7 Milliarden DM. Im sich da vollmundig geäußert hat —, dem sozialen Haushalt 1989 wurden knapp 50 000 neue Sozialwoh- Wohnungsbau und dem Wohngeld drohe der Abbau. nungen gefördert. Im Haushalt 1993 erreichen wir ein Die jetzt für den Haushalt festgeschriebenen Zahlen Fördervolumen — anders, als Sie es gesagt haben, belegen eindeutig das Gegenteil. Frau Kollegin Bock — von rund 130 000 Wohnungen. Hier von Vernachlässigung des sozialen Wohnungs- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und baus durch die Bundesregierung zu sprechen, halte der F.D.P.) ich für abwegig. Auch die Entwicklung von Baufertig- Sie sind Garant dafür, daß Wohnungen und Wohnen stellungen und Baugenehmigungen spricht für sich. bezahlbar bleiben, daß der Wohnung in ihrem Cha- Wir können schon in diesem Jahr allein in den alten rakter als Sozialgut ebenso Rechnung getragen wird Bundesländern ein Fertigstellungsvolumen von fast wie ihrem Charakter als Wirtschaftsgut. 400 000 Wohnungen erreichen und werden diese Zahl Im Blick auf die Wohngeldleistungen gilt das vor im nächsten Jahr sogar noch übertreffen. allem für die neuen Bundesländer. Die im Vergleich (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — zum Westen außerordentlichen Wohngeldleistungen Zurufe von der SPD) waren und sind die soziale Flankierung der ebenso Eine der wesentlichen Stützen für den Wohnungs- notwendigen mietrechtlichen Entscheidungen. Ge- rade diese Mietentscheidungen erfordern allerdings bau ist heute und in der Zukunft die Eigentumsbil- dung. Hier hatten wir in den vergangenen Jahren politischen Mut. Aber, meine Damen und Herren, einen leichten Rückgang zu verzeichnen. Inzwischen wenn wir die Wohnsituation wirklich verbessern wol- ist dank der massiven Verbesserung der steuerlichen len, sind wir eben zu diesen mietrechtlichen Entschei- Fördermöglichkeiten seit Beginn dieses Jahres auch dungen gezwungen, sind diese eben unausweichlich. hier die Entwicklung wieder steil aufwärts gerichtet. Beim überwiegenden Teil der Bevölkerung in den Die Eigentumsbildung muß und wird gerade in den neuen Ländern haben wir sogar Verständnis dafür neuen Ländern eine zentrale Rolle bei der Verbesse- gefunden. rung der Wohnsituation übernehmen. Daneben spielt Meine Damen und Herren, das Schwergewicht der neben dem Neubau die Privatisierung eine wesentli- Leistungen in den Bereichen Raumordnung, Städte- che Rolle. Wohnen in privatem Eigentum bau und Wohnungsbau im Haushalt 1993 muß ohne Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10691

Dieter Pützhofen Zweifel in den neuen Ländern liegen. Hier stehen wir Gewalt auf die Ausweisung von Gewerbeland hinge- vor Aufbauaufgaben, die meines Erachtens bis zu arbeitet wird, die Ausweisung von Wohnbauland ihrer vollen Bewältigung noch eine ganze Generation dagegen deutlich zurücktritt. in Anspruch nehmen werden. Diese Aufgaben wer- Meine Damen und Herren, das ist eine Entwick- den auch nur in der Grundordnung einer sozialen lung, der wir jetzt unbedingt entgegensteuern müs- Wohnungsmarktwirtschaft zu lösen sein. Die verfal- sen. Bereits heute ist offenbar, daß wir ein Überange- lende Bausubstanz in den neuen Ländern, die wir von bot von Gewerbeflächen in den neuen Ländern Ihnen geerbt haben, ist der beste Beweis dafür, wohin haben. Das gilt besonders für Gewerbeflächen, die für eine allein staatlich gelenkte, dirigistische Woh- Einkaufszentren und ähnliches vorgesehen sind. Das nungspolitik führen muß. Angebot an gewerblichen Flächen in diesem Bereich Wenn wir in den neuen Ländern neben der Verbes- liegt — das habe ich gesagt — deutlich über dem, was serung des Wohnungsbestands, neben der Privatisie- vergleichbar in den westlichen Bundesländern zur rung auch den Wohnungsneubau enscheidend voran- Verfügung steht. Ich will es etwas überspitzt darstel- bringen wollen, dann müssen wir zuallererst auch die len: Das Verhältnis von Gewerbeflächen zu Wohn- Baulandfrage lösen. Meine Damen und Herren, hier siedlungsbereichen entwickelt sich dort zunehmend ist offenkundig in den vergangenen beiden Jahren ungesund. viel zuwenig geschehen. Im Blick auf die Baulandaus- weisungen stand in den neuen Ländern fast aus- Das kann meiner Meinung nach nicht undifferen- schließlich die Ausweisung von Gewerbeflächen im ziert weiter gefördert werden. Not tut in allererster Vordergrund. Ich verstehe ja die Gründe. Sie liegen Linie die Ausweisung von Wohnbauland. Darauf einmal in dem vermeintlichen Interesse der Gemein- müssen wir auch die zur Verfügung stehenden Mittel den. Da ist das Prinzip Hoffnung zu nennen, Hoffnung in anderen Einzelplänen, Frau Ministerin, konzentrie- auf die schnelle Schaffung von Arbeitsplätzen, Hoff- ren. nung bei der Versorgung mit Einzelhandelsbetrieben. Auch wenn in den vergangenen Jahren auf Grund Die finanzielle Belastung der Kommunen durch die der Wohnungsmarktentwicklung die unmittelbaren Ausweisung solcher Gewerbeflächen hielt sich in wohnungspolitischen Fragen sehr stark im Vorder- Grenzen. Teilweise wurden die Erschließungskosten grund standen, ist die Förderung des Städtebaus, die ja auch noch vom Investor voll übernommen. Auf der Förderung von Stadtsanierung, die Förderung von Investorenseite herrscht auch wieder das Prinzip Hoff- Stadterneuerung von unverändert großer Bedeu- nung. Auf der Investorenseite war es die durch hohe tung. steuerliche und direkte Förderung gestützte Erwar- tung auf relativ kurzfristig erzielbare Rendite. (Thea Bock [SPD]: Auch im Westen!) — Auch im Westen. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Pützhofen, Auch dem werden wir mit den Haushaltsentschei- würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert dungen für 1993 gerecht. Das sage ich trotz der gestatten? Entscheidung, in den alten Bundesländern für das Jahr 1993 neue Sanierungsmaßnahmen nicht anzu- Dieter Pützhofen (CDU/CSU): Ja, selbstverständ- setzen. lich, bitte, wenn mir die Zeit nicht angerechnet wird. (Achim Großmann [SPD]: Es bleibt Ihnen ja nichts weiter übrig!) Dr. lija Seifert (PDS/Linke Liste): Herr Kollege — Warten Sie, ich will Ihnen das gleich erklären. Das Pützhofen, weil Sie von Baulandausweisung spre- bedeutet im Haushalt 1993, wie Sie ja wissen, eine chen, die im Osten notwendig sei: Wissen Sie denn Reduzierung des Haushaltsansatzes um 38 Millionen nicht, daß mindestens 70 bis 80 % des Wohnungsbe- DM. Ich habe aber — deshalb verstehe ich die darfs im Osten gedeckt werden können, indem Häu- Überraschung bei der ganzen Sache nicht — bei der ser, die dort leerstehen, saniert werden? Man braucht Einbringung des Haushalts am 10. September bereits also gar nicht viel neues Bauland. Oder wollen Sie die darauf hingewiesen, daß wir nach 40 Jahren Städte- Gegend dort auch noch zubetonieren? bau in der alten Bundesrepublik darüber nachdenken müssen, ob die erreichten Standards in den alten Dieter Pützhofen (CDU/CSU): Herr Kollege, wir Ländern einerseits und die Probleme in den neuen haben ja im Westen solche Entwicklungen genauso Ländern andererseits nicht zu einer noch deutlicheren erlebt, wie wir sie jetzt im Osten erleben. Wenn Sie Verlagerung von Haushaltsmitteln in Richtung neue zum falschen Zeitpunkt bei der Baulandausweisung Länder führen müssen. Das, was ich damals angekün- auf die Bremse treten, werden Sie mit einem Time-lag digt habe, wird jetzt praktiziert. von zehn Jahren erleben, daß Sie den Wohnungsbe- (Achim Großmann [SPD]: Schade, daß Sie stand nicht mehr schaffen können, der dann notwen- das Frau Schwaetzer nicht gesagt haben!) dig ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Wir können nicht mehr — darin stimme ich meinem der F.D.P.) Fraktionsvorsitzenden ausdrücklich zu — alle Vertei- lungskämpfe nur noch mit Mitteln aus dem Zuwachs Daß heißt, neben das, was Sie zu Recht sagen, daß beantworten. Dieser Meinung ist auch die SPD, aus- nämlich die Sanierung des Wohnungsbestands betrie- genommen bei konkreten Maßnahmen. ben werden muß, muß die Ausweisung von Wohn- bauland treten. Was ich im Augenblick im Osten (Zustimmung bei der CDU/CSU und der unseres Vaterlandes feststelle, ist, daß mit aller F.D.P.) 10692 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Dieter Pützhofen Liebe Kollegin Bock, wir haben bei jedem Einzel- aber bitte auf diese Fragestellung an, Frau Präsiden- plan bei dieser Haushaltsberatung immer das gehört, tin. was Sie soeben gesagt haben: Es muß gespart werden, Ich habe Ihnen erstens gesagt: Die Menge des aber nicht bei diesem Einzelplan. — Wo soll denn dann gespart werden? Möglichen ist nur eine Teilmenge der Grundmenge des Wünschenswerten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Ihre beiden Abteilungen Matthäus-Maier und Bock Zweitens habe ich Ihnen gesagt: Es ist in der müssen Sie einmal koordinieren. Auf der einen Seite früheren Zeit so gewesen, daß Sie zumindest für die wird die Schuldenausdehnung beklagt, auf der ande- Erhöhungsanträge Deckungsvorschläge gemacht ha- ren Seite werden laufend neue Mittel gefordert. Man ben. Das haben Sie in diesem Jahr noch nicht einmal kann nicht grundsätzlich sagen: Sparen ja, aber nicht gemacht. Früher haben Sie jeweils auf den Verteidi- bei diesem Einzelplan, und das dann bei jedem gungsetat verwiesen, aber diesmal haben Sie im Einzelplan erklären. Wohnungsbaubereich etwas gefordert, ohne einen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deckungsvorschlag zu machen. (Achim Großmann [SPD]: Nein, das ist nicht Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Pützhofen, wahr!) würden Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Bock gestatten? Lassen Sie mich fortsetzen. Natürlich ist es nicht erfreulich, wenn wir in den alten Bundesländern 1993 Dieter Pützhofen (CDU/CSU): Wenn mir auch die keine neuen Sanierungsmaßnahmen beginnen. Na- nicht angerechnet wird, ja. Ich habe nur noch zwei türlich ist das nicht erfreulich; da bin ich Kommunal- Minuten. politiker genug, um das zu wissen. Das bringt mir auch im Vorstand des Deutschen Städtetages Erhebliches an Kritik ein. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Ich habe vorhin die Uhr nicht wieder eingeschaltet. Darum- werde ich Aber bevor wir jetzt wieder das tun, was Sie soeben Ihnen fetzte eine halbe Minute anrechnen und die gemacht haben, nämlich Chaos, Kollaps und Unter- andere halbe Minute nicht. gang zu rufen, schauen wir uns doch einmal die Zahlen an. Es ist richtig, daß im Rahmen der Städte- Dieter Pützhofen (CDU/CSU): Frau Präsidentin, Sie bauförderung in den alten Ländern 1993 mit Bundes- sind — — mitteln kein neues Projekt begonnen werden kann. Ob damit bereits eine Aussage für 1994 ge troffen ist, Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zu gütig, nicht? wird die Haushaltsentwicklung des kommenden Jah- res zeigen. Aber ebenso richtig ist, daß die Städtebau- Dieter Pützhofen (CDU/CSU): — großartig. förderungsmittel für die neuen Bundesländer von (Heiterkeit)) 380 Millionen DM auf 620 Millionen DM im Jahre Ich werde Sie auf allen Plätzen und Straßen dieser 1993 ansteigen. Republik loben. (Achim Großmann [SPD]: Dafür sind Mittel (Heiterkeit — Zuruf von der SPD: Das ist eine weggefallen! Unter dem Strich sind es sehr gute Idee: Auch in Bayern!) 10 Millionen weniger!) — Doch, nach dem bayerischen Parteitag sollte m an — Wenn Sie mir, Herr Kollege Großmann, als Aache- das tun, liebe Kolleginnen und Kollegen. ner — ach nein, Sie sind ja jetzt Würselener — schon Bitte schön. nicht Beifall klatschen, dann erwarte ich wenigstens den Beifall von den soziademokratischen Kollegen Thea Bock (SPD): Herr Kollege Pützhofen, es ist aus den neuen Ländern; richtig, daß im Haushaltsausschuß zum sozialen Woh- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nungsbau ein Erhöhungsantrag gestellt worden ist. der F.D.P.) Sie haben pauschal behauptet, daß überall Erhö- hungsanträge gestellt worden seien. Können Sie mir denn wir haben die Sanierungsmittel von 380 Millio- noch einen einzigen Einzelplan nennen, bei dem die nen DM auf 620 Millionen DM im Jahr 1993 ansteigen SPD einen Erhöhungsantrag gestellt hätte? lassen. Angesichts dieser Steigerung von einer Ein- stellung der Städtebauförderung zu reden ist Unsinn. Dieter Pützhofen (CDU/CSU): Nein, ich habe Das Engagement für die Städtebauförderung ist erhal- gesagt: Sie haben zu allen Einzelplänen gesagt, hier ten geblieben. könne nicht gespart werden, sondern irgendwo (Abg. Achim Großmann [SPD] meldet sich zu anders. Da Sie das bei jedem Einzelplan gesagt haben, einer Zwischenfrage) funktioniert das System nicht. Das ist der Punkt. — Schreiben Sie mir einen Brief, Herr Großmann. Ich (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Im Vertei beantworte ihn. digungshaushalt können wir Milliardenbe träge sparen!) (Achim Großmann [SPD]: Angsthase!) Frau Kollegin Bock, Sie haben bei den Mehrforde- Meine Damen und Herren, der Haushaltsentwurf rungen, die Sie bei diesem Haushaltsplan gestellt 1993, den wir hier beraten, gibt schließlich auch in haben, von mir zwei Dinge gesagt bekommen, die ich bezug auf die Haushaltsseite ein ganz wichtiges Ihnen gern wiederholen möchte. Das rechne ich jetzt Signal in Richtung Berlin. Mit diesem Einzelplan, mit Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10693

Dieter Pützhofen diesem Haushalt fällt der Startschuß für den Ausbau gehabt hat. Es gab also einen Rückgang bei anderen Berlins zur Bundeshauptstadt. Sparten der Bauwirtschaft und einen starken Anstieg Ich bedanke mich bei Ihnen, Frau Ministerin, und bei der Wohnungswirtschaft. Ihren Mitarbeitern für die Arbeit an diesem Einzel- (Vorsitz : Vizepräsident Dieter-Julius Cro plan. nenberg) Ich bedanke mich in der gleichen Weise beim Die Baufertigstellungszahlen sind von knapp Finanzminister und seinen Mitarbeitern für die Arbeit 200 000 im Jahre 1989 innerhalb von vier Jahren auf an diesem Einzelplan. fast 400 000 in diesem Jahr gestiegen. Somit hat es Mein letzter Dank gilt meinen Mitberichterstattern innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren fast eine Thea Bock und Carl-Ludwig Thiele für die kritische Verdoppelung der Ausbringung der Bauwirtschaft und fachkundige Zusammenarbeit. Für Thea Bock gegeben, während wir Mitte der achtziger Jahre noch muß ich das aber auf die Sitzungen des Haushaltsaus- verzeichnen mußten, daß viele Baufirmen mangels schusses beschränken. genügender Aufträge in Konkurs geraten sind. So Herzlichen Dank. gesehen erleben wir eine neue Blüte, gerade auch (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) durch den Wohnungsbau verursacht. (Beifall des Abg. Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]) Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat der Kol- lege Dr. Walter Hitschler das Wort. All dies geschah in den vergangenen Jahren bei äußerst ungünstigen Rahmenbedingungen für die Wirtschaft. Wir hatten und haben einen sehr hohen Dr. Walter Hitschler (F.D.P.): Frau Präsidentin! Fremdkapitalzins, allerdings — gottlob — jetzt mit Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frau etwas sinkender Tendenz. Dadurch, daß die Kommu- Kollegin Bock hat sich heute in einer Art der Schwarz- nen kein entsprechendes Bauland zur Verfügung malerei befleißigt, wie wir sie gelegentlich der Boule- stellten, hatten wir enorm steigende Baulandpreise vardpresse entnehmen können. Sie hat dabei- ein Bild und auch sehr stark steigende Baukosten. Trotz dieser gezeichnet, das nicht der wirtschaftlichen Realität ungünstigen Rahmenbedingungen sind die Zahlen entspricht. für den Wohnungsbau in die Höhe gegangen. Die (Thea Bock [SPD]: Kommt darauf an, wo man Zahlen lassen das auch für das nächste Jahr erwarten. ist!) Wir werden im nächsten Jahr wahrscheinlich zum erstenmal die Grenze von 400 000 fertiggestellten — Frau Bock, Sie versuchen immer noch, das Ammen- Wohneinheiten deutlich übersteigen. Ich will nicht so märchen zu verkaufen, daß die Bundesregierung in euphorisch sein, schon von 450 000 zu reden. Das den achtziger Jahren bewußt die Mittel für die wäre vielleicht ein bißchen zu euphorisch. Aber in Wohnungsbauförderung heruntergefahren hat. In jedem Fall werden wir die Grenze von 400 000 Wohn- Wirklichkeit ist es so gewesen, daß die Nachfrage an einheiten deutlich übersteigen. den Wohnungsmärkten ganz einfach nicht vorhanden war. Nun können Sie mit Recht sagen: Das ist angesichts (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Genau!) der großen Nachfrage, die wir haben, noch nicht genug. Aber dies zeigt doch die Tendenz, daß es Wir hatten in vielen Teilmärkten Leerstände zu ver- aufwärts geht in diesem Sektor und daß auch damit zeichnen. Gerade die Wohnungsbauminister der SPD gerechnet werden kann, daß auf Grund der günstiger regierten Bundesländer haben uns aufgefordert, das werdenden Rahmenbedingungen — wir haben näm- Wohnungsbauministerium aufzulösen. Sie waren der lich jetzt einen geringeren Anstieg der Baukosten zu Auffassung, wir müßten Rückbau betreiben. verzeichnen; wir haben leicht sinkende Tendenzen (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Hört! Hört!) bei den Fremkapitalzinsen und auch bei den Bauland- Sie selber haben in ihren eigenen Länderhaushalten preisen — die weitere Entwicklung positiv ist. Der die Mittel sehr viel stärker zurückgeführt, als das der Sachverständigenrat rechnet für das Jahr 1993 eben- Bund getan hat. Da sollte man ein bißchen bei der falls insbesondere in der zweiten Hälfte — mit Wahrheit bleiben. einem Wachstum. Es ist aber in der Tat richtig, daß dann Ende der Dieses Bild zeigt doch, daß die wohnungspolitische achtziger Jahre ein starker Nachfrageanstieg stattge- Begleitung durch diese Bundesregierung — ich funden hat, dem wir heute durch politische Begleit- schließe da die ehemalige Bauministerin Hasselfeldt maßnahmen gerecht zu werden versuchen. Aber in und unsere jetzige Bauministerin, Frau Dr. Schwaet- diesem Zusammenhang müssen Sie ganz einfach zer, ein — richtig war. Es sind die richtigen wohnungs- zugeben und sehen — das hat Herr Kollege Pützhofen baupolitischen Entscheidungen getroffen worden. soeben sehr überzeugend ausgeführt —, daß die Das zeigt, daß die Wohnungsbaupolitik der jetzigen Bauwirtschaft in der Bundesrepublik, und zwar im Regierung insgesamt positiv zu bewerten ist. Westen, zu einer eindeutigen Stütze unserer Konjunk- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) tur geworden ist, daß die Bauwirtschaft ein Bauvolu- men von 460 Milliarden DM bewegt, daß das Volumen Wir stellen fest, daß die Steuerungsmittel, die in der Bauwirtschaft im Westen um 4 % gesteigert Instrumente, die wir einsetzen — die steuerliche worden ist, also über der Wachstumsrate der normalen Förderung sowohl für den Mietwohnungsbau als auch Wirtschaft gelegen hat und daß darunter die Woh- für das selbstgenutzte Eigentum — völlig ausreichend nungswirtschaft einen Steigerungsanteil von 13 sind. Die Direktförderung, die wir betreiben, führt zu 10694 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Dr. Walter Hitschler steigenden Zahlen — auch bei den Sozialwohnun- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr gen. Dr. Hitschler, sind Sie bereit, eine Frage des Abgeord- neten Dr. Seifert zu beantworten? Man muß natürlich auch hier einmal darauf hinwei- sen, daß im wesentlichen auch die Lander in der Dr. Walter Hitschler (F.D.P.): Gerne. Verantwortung stehen, in ihren Förderrichtlinien sol- che Modelle zu entwickeln, daß möglichst viele Woh- Dr. lija Seifert (PDS/Linke Liste): Herr Dr. Hitschler, nungen gebaut werden. Leider wird der dritte Förder- darf ich Sie bitte einmal fragen, was der Bau von Ein- weg nicht immer in der richtigen Weise genutzt. und Zweifamilienhäusern, von dem Sie sprachen, unmittelbar mit der Schaffung von Eigentum aus dem Wir dürfen erwarten, daß durch die Zurverfügung- Bestand zu tun hat? Das leuchtet mir überhaupt nicht stellung militärischer Liegenschaften auch das Bau- ein. Sie haben es in einem Satz gesagt. landproblem etwas entschärft wird und daß durch das Freiwerden von Zehntausenden von Wohnungen, die Dr. Walter Hitschler (F.D.P.): Da haben Sie in der Tat bisher von Angehörigen der alliierten Streitkräfte recht. Das hat mit der Schaffung von Eigentum aus genutzt wurden, eine erhebliche Zahl von zusätz- dem Bestand in der Tat nichts zu tun. Aber es besteht lichen Wohnungen den Wohnungsmärkten zugeführt ein enormer Bedarf an Ein- und Zweifamilienhäusern, werden kann, die zu einer deutlichen Entlastung weil diese den Wünschen der Bürger drüben in den beiträgt. neuen Ländern entsprechen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall des Abg. Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]) Sie möchten in Ein- und Zweifamilienhäusern und nicht ausschließlich in Mietskasernen wohnen. Wir Frau Dr. Schwaetzer hat eine Initiative zur Förde- möchten mit der Privatisierung aus dem Bestand den rung eines Wohnbaulandgesetzes angekündigt, in einkommensschwächeren Mietern drüben die Gele- dem eine ganze Fülle von Maßnahmen enthalten sein genheit geben, ihre Wohnung, in der sie wohnen, zu werden, die Sie bereits aus den Pressedarstellungen- einem sozial verträglichen Preis und nicht zu den kennen und die geeignet sein werden, den Kommu- Preisen zu kaufen, die drüben von den Wohnungsbau- nen Hilfestellung zu geben, um diesen Engpaß, mit gesellschaften gegenwärtig als Phantasiepreise in die dem wir es eindeutig zu tun haben, zu überwinden. Welt gesetzt werden. Damit übernimmt der Bund im Prinzip eine Repara- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) turfunktion im Hinblick auf Fehlleistungen von Län- Zu solchen Preisen kann man Privatisierung in der Tat dern und Kommunen, im Hinblick auf unterlassene nicht betreiben; da gebe ich Ihnen recht. Entscheidungen, dort rechtzeitig entsprechende Pla- Zum Schluß möchte ich darauf hinweisen, daß bei nungen in die Wege zu leiten. Hier müssen wir, diesem Etat von über 8 Milliarden DM — das scheint obwohl wir dafür eigentlich gar nicht zuständig sind, mir besonders symptomatisch zu sein — der investive das ausbügeln, was dort im Prinzip versäumt Anteil immerhin 46 % beträgt. Das heißt, 46 % aller wurde. Mittel aus diesem Haushalt fließen in Investitionen. Das zeigt, daß von diesem Haushalt, zu dem ich Ihre Im Osten, in den neuen Bundesländern, ist die Zustimmung erbitte, doch erhebliche Impulse für Bauwirtschaft zum Motor der Konjunktur geworden. unsere Wirtschaft ausgehen. Dort haben wir es mit Wachstumsraten von über 20 % zu tun. Da stellen sich natürlich andere ganz beson- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) dere Aufgaben, die ich nur ganz kurz kennzeichnen will: Erstens. Wir haben es mit einem riesigen Instand- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort setzungs- und Modernisierungsbedarf zu tun. Dafür hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Ilja Seifert. stellen wir erhebliche zinsverbilligte Mittel über KfW Kredite zur Verfügung. Wir haben natürlich, Herr Dr. Ilja Seife rt (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! Dr. Seifert, einen enormen Nachholbedarf beim Bau Meine Damen und Herren! Herr Dr. Hitschler, wenn von Ein- und Zweifamilienhäusern, die eben in Zeiten ich nicht gebranntes Kind aus SED-Zeiten wäre, der DDR dort nicht errichtet wurden. Wir brauchen würde ich Ihre Rede vielleicht ganz nett finden. drüben in den neuen Ländern keine Sozialwohnun- (Ina Albowitz [F.D.P.]: Nur nett? Die war auch gen zu bauen; wir müssen dort Eigentumsmaßnahmen gut!) betreiben. Eine der zentralen Aufgaben wird eine Das „Es geht aufwärts" kommt mir sehr, sehr bekannt Veränderung der Wohneigentumsstruktur in den vor. neuen Ländern sein. Hier müssen wir die Privatisie- Aber warum sollte der Einzelplan 25 realistischer des kommunalen Wohnungsbestands anstoßen. rung sein als der gesamte Haushaltsentwurf? Ich glaube, das Angebot des Bundes an die Länder und an die Kommunen in der Altschuldenfrage, das (Dr. Walter Hitschler [F.D.P.]: Unsere Zahlen entgegen Ihrer Meinung inzwischen auf dem Tisch sind wenigstens statistisch nicht gefälscht!) liegt, ist fair. Wir meinen auch, daß die Mietanpassung — Na ja. — Nimmt man die Presseerklärung der bei großzügiger sozialer Absicherung durch das Son- Ministerin zur Hand, dann sieht man tatsächlich nur derwohngeld Ost dazu führen wird, daß wir die Erfolge. Die Wohnungssituation in Deutschland ist ja Probleme, die drüben bestehen, sich allmählich in auch wirklich erfolgreich, nämlich für Haus- und eine marktwirtschaftliche Wohnungsordnung einzu- Grundstücksbesitzer, also die „übergroße Mehrheit" gewöhnen, lösen. der gesamten Bevölkerung, nicht nur im Osten. Kata- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10695

Dr. Ilja Seifert strophal ist die Lage nur für die paar Mieterinnen und nalen Wohnungsbauprogramm für ganz Deutschland Mieter, für die Alleinerziehenden, für die Menschen — die Probleme bestehen nicht nur im Osten — zu mit Behinderungen oder für wohnungssuchende Stu- erreichen. denten. Für Obdachlose, die gerade wieder einmal Städtebauliche, ökologische und soziale Aspekte planmäßig zu erfrieren beginnen, spielt die Woh- sollten dabei ebenso wie die Schaffung von Arbeits- nungslage sowieso keine Rolle, denn sie haben ja plätzen und, bitte schön, auch die Ankurbelung der keine Wohnung. Also schreitet eine verhinderte Konjunktur gleichrangig beachtet werden. Unsere Außenministerin fröhlich voran, die keine Träne übrig Forderung ist daher, mittelfristig mindestens 8 % des hat angesichts zigtausendfacher Obdachlosigkeit Volumens der öffentlichen Haushalte für die Verwirk- — davon haben Sie, Herr Hitschler, nämlich nicht lichung dieses Menschenrechts einzusetzen. Auf dem gesprochen —, angesichts 3 Millionen fehlender Woh- Wege dorthin sollte bereits durch die Verdoppelung nungen und angesichts explodierender Mieten, die der 1993 für die Wohnungsbauförderung, für das zunehmend mehr Menschen zu Wohngeld- oder Sozi- Wohnumfeld und für den Ausbau der sozialen Infra- alhilfeempfängern machen. struktur angesetzten Beträge ein deutliches Zeichen Seit Beginn der 80er Jahre ist die Zahl der gebauten gesetzt werden. Wohnungen rückläufig, bis 1989 im Westen viel Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, besinnen stärker als im Osten. Im gleichen Zeitraum stiegen die Sie sich doch auf Ihre kommunale bzw. regionale Mieten schneller als die Einkommen und als die Herkunft und Bindung, die uns nämlich verpflichtet, allgemeine Preisentwicklung. die Interessen der Bürgerinnen und Bürger dort zu (Dr. Walter Hitschler [F.D.P.]: Das ist nicht vertreten. Prüfen Sie bitte unter diesem Gesichtspunkt wahr!) die vorliegenden Änderungsanträge der PDS/Linke Liste zum Einzelplan 25 und nicht nur unter dem Dies ist das Ergebnis, wenn man allein auf Markt- ideologischen Vorbehalt „Was von der PDS kommt, kräfte schwört, statt sich als Staat auf die Sozialpflich- wird sowieso abgelehnt". ten zu besinnen. Es wurde von Ihrem Fraktionsvorsit- zenden darauf hingewiesen, daß alle nur von Rechten Bei aller Akzeptanz finanzieller Engpässe wäre die sprechen und keiner von Pflichten. Ich spreche von Annahme der Anträge „Programm zur Förderung des den Pflichten des Sozialstaats. sozialen Wohnungsbaus in Deutschland" und „Städ- tebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnah- Die Gruppe PDS/Linke Liste bekräftigt ihre Auffas- men" ein erster Schritt zu einer Wende in der Woh- sung, daß, obwohl inzwischen alle Parteien eine nungspolitik der Bundesrepublik Deutschland, zu Wohnungsnot in Deutschland konstatieren, der Haus- einer Wende in die richtige Richtung. halt 1993 verdeutlicht, daß die Bundesregierung nicht einmal den Versuch macht, die in Deutschland zuneh- Der dritte Änderungsantrag betrifft die sogenann- mende Wohnungsnot zu bekämpfen. Von dem im ten Altschulden der Wohnungswirtschaft. Nach Auf- vergangenen Jahr groß angekündigten wohnungspo- fassung des Gesamtverbandes der Wohnungswirt- litischen Konzept der Regierung redet inzwischen schaft, des Deutschen Städtetages und anderer Ver- niemand mehr; es wäre auch vergebliche Liebes- bände, gestützt u. a. auf das Rechtsgutachten von mühe. Für die direkte Förderung des Wohnungsbaus Herrn Scholz, handelt es sich dabei keineswegs um sind wie in den vergangenen Jahren im Vergleich zu echte Schulden im Sinne des bürgerlichen Rechts, anderen Etatbereichen lächerliche Summen vorgese- sondern nur um Rechengrößen im System der DDR- hen, und das im Wissen, daß auch der finanzielle Planwirtschaft. Die Belastung der Wohnungsbauge- Spielraum der Länder und Kommunen für den Woh- sellschaften und der Wohnungsgenossenschaften mit nungsbau eher geringer wird, anstatt zu wachsen. diesen rd. 36 Milliarden DM fiktiver Schulden, die Statt den Kommunen vorzuwerfen, daß nicht alle zudem durch Wucherzinsen Jahr für Jahr um weitere Fördertöpfe voll ausgeschöpft werden, sollte sich die 4 bis 5 Milliarden DM anwachsen, hätte verheerende Regierung fragen, warum das so ist. Gerade für Folgen. Insofern würde ein Aufschub, ein Moratorium ostdeutsche Kommunen sind Eigenleistungen von auch nicht viel nützen. einem Drittel der Bausumme zum Teil illusorisch; die Vor allem für die neueren Wohnungsbestände müß- vielen ungeklärten Eigentumsfragen tun das übrige. ten zur Bedienung des Kapitaldienstes die Quadrat- Mehr noch: Die rapide sinkenden Ansätze im Haus- metermieten bis zu 10 DM je Monat angehoben haltsplanentwurf für die Wohnungsbauförderung werden. Der Vorschlag des Bundesfinanzministers, machen deutlich, daß die Regierung auf diesem die Altschulden bei 350 DM pro Quadratmeter zu Gebiet einen Crashkurs fährt. De facto soll die Woh- kappen, macht die Sache nicht viel besser, denn pro nungsbauförderung auf massive Steuergeschenke für Quadratmeter müßten dann immer noch mehr als die Reichen reduziert werden. 3 DM für den Kapitaldienst aufgebracht werden. Auch Wir fordern demgegenüber, endlich mit der Ausar- bei diesem Rechenexempel wäre der Spielraum für beitung und Realisierung eines nationalen Woh- die Wohnungsunternehmen, Kredite für die Instand- nungsbauprogramms zu beginnen, das diesen Na- setzung oder Modernisierung aufzunehmen, gleich men auch verdient. Dafür sind die Prioritäten in den null, vom Neubau ganz und gar abgesehen. Letztend- öffentlichen Haushalten neu zu setzen. Wir sind für lich wären sie gezwungen, ihren Wohnungsbestand eine effektive und leistungsfähige Bau- und Woh- zu verkaufen. Das aber wäre zugleich für die ostdeut- nungswirtschaft. Aber in erster Linie sind wir dafür, schen Kommunen das Ende ihrer Möglichkeiten, daß das Recht auf bezahlbare Wohnungen für alle als sozial dringliche Wohnungsprobleme entsprechend Menschenrecht durch die praktische Politik verwirk- dem fortgeltenden Gesetz über Belegungsrechte zu licht wird. Dies ist nur mit einem umfassenden natio- lösen. 10696 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Dr. Ilja Seifert Verantwortungslos ist das schändliche Spiel der bei der derzeitigen menschenrechtsverletzenden Regierung mit dem kommunalen und genossenschaft- Wohnungspolitik lichen Wohnungsbestand im Osten. Die sozial unver- (Widerspruch bei der CDU/CSU — Zuruf von träglichen Mieterhöhungen zum 1. Januar 1993 und der CDU/CSU: Frechheit!) logischerweise zum 1. Januar 1994, wenn die weiteren Dinge hinzukommen, sowie die Umlage von Instand- nicht wort- und tatenlos zusehen. Zunehmend mehr setzungs- und Modernisierungskosten werden die Mieterinnen und Mieter werden sich wehren. Men- Mieten mehrheitlich über das Niveau von Westmie- schenrecht ist nun mal unteilbar; da beißt die Maus ten, von Mieten westdeutscher Sozialwohnungen keinen Faden ab. Man kann das nicht nur auf die DDR heben. beziehen.

(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Abso Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr luter Quatsch, was Sie erzählen!) Dr. Seifert, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich Ihnen über das rote Licht signalisiere, daß Sie — Herr Kansy, Sie werden es ja in der Praxis sehen. seit geraumer Zeit Ihre Redezeit überschritten haben. Viele Menschen in Ostdeutschland sind der Mei- nung, in einer Sozialwohnung zu leben. Dies wäre auch Rechtens, sind doch die meisten Wohnungen aus Dr. Ilja Seife rt (PDS/Linke Liste): Sie dürfen mich Mitteln des Staatshaushaltes der DDR bezahlt wor- darauf aufmerksam machen, Herr Präsident. den. Trotzdem werden entsprechend dem sogenann- Ich danke für die Aufmerksamkeit. ten Einigungsvertrag alle DDR-Wohnungen in den freien Wohnungsmarkt überführt. Damit gibt es in (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Ostdeutschland bei Vernachlässigung der wenigen nach 1990 gebauten Sozialwohnungen keine Woh- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile nung mit Sozialbindung mehr. Die Folgen sind heute nunmehr dem Abgeordneten Dr. Krause (Bonese) das nur erahnbar. - Wort zu einer Kurzintervention. Statt in dieser Situation alles zu tun, um den kommunalen Wohnungsbestand zu erhalten, soll er Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese) (CDU/CSU): nun mit Regierungsgewalt privatisiert werden. Die Erstens. Herr Dr. Seifert, die Sozialbindung ist das Mehrzahl der ehemaligen DDR-Bürger wird mit dem Wohngeld, was erstmalig für Mieter und auch für Kauf ihrer Wohnung überfordert sein. Aber es geht Wohneigentümer gilt. auch gar nicht darum, den Menschen, die ihre Woh- Zweitens. Frau Bock, es gibt Wohnungen in den nung kaufen möchten, dies zu ermöglichen. Die neuen Ländern, die verschuldet sind. Sie sind fast alle Privatisierungsvorhaben der Bundesregierung sind nach 1960 gebaut. Alle in ordentlicher Bauweise von ein Jahrhundertgeschäft für die Immobilienbranche. 1920 bis 1960 gebauten Wohnungen sind im Prinzip schuldenfrei. Warum werden diese nicht privatisiert? Durch die Privatisierung der DDR-Wohnungen wer- Nicht weil soviel Schulden drauf sind, sondern weil den genausowenig Wohnungen neu geschaffen wie durch Umwandlung der Miet- in Eigentumswohnun- die postsozialistischenWohnungsverwaltungsgesell- schaften kein Interesse daran haben, sich durch eine gen. Die Wohnungsnot wird zunehmen, privates Geld Privatisierung arbeitslos zu machen. und Steuergeschenke fließen in den vorhandenen Wohnungsbestand und nicht in den dringend benötig- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ten Wohnungsneubau. Das können christlich, sozial Nächster Punkt. Es gibt einen Bauboom im Woh- und demokratisch gesonnene Menschen doch nicht nungsbau in den neuen Ländern, dort, wo es sich um wollen. privates Wohneigentum handelt und wo keine Büro- kratie ihre Hand dazwischen hat. Es gibt Zehntau- Wir fordern die Bundesregierung auf, ihre Verzöge- sende neu erschlossener Wohnungen durch Bezug rungstaktik zur Regelung der sogenannten Altschul- von leerstehenden Häusern auf dem Lande. Dort denproblematik endlich aufzugeben und sozialver- klappt es sehr gut, und gerade dort sind ja die 20 % trägliche Regelungen herbeizuführen. Das beste wäre Steigerung. nach unserer Überzeugung, die betreffenden Beträge in unverzinsliche Fördermittel des Bundes umzuwan- (Zuruf von der SPD: Und in den Aufsichtsrä deln mit der Maßgabe, daß die betreffenden Wohnun- ten sitzen lauter CDU-Leute!) gen mit entsprechender Mietpreisbindung und Bele- Wohnungsbaugenossenschaften sind keine Genos- gungsbindung im Sinne des Zweiten Wohnungsbau- senschaften im Sinne des deutschen Genossenschafts- gesetzes umgewandelt werden. gesetzes. Wir werden dort ein ähnliches Genossen- schaftsanpassungsgesetz brauchen, wie wir es in der In diesem Sinne hat die PDS/Linke Liste mit dem Landwirtschaft haben, damit das Ziel erreicht wird, Antrag zur Umwandlung der sogenannten Altschul- gegen den Willen der postsozialistischen Verwal- den und dem vorliegenden Änderungsantrag zum tungseinrichtungen auf Wunsch der Mieter zu priva- Haushaltsplan einen Vorschlag auf den Tisch dieses tisieren. Überall dort, wo es sich um privates Wohnei- Hohen Hauses gelegt. Meine Damen und Herren, daß gentum handelt, haben wir bereits einen Bauboom. die PDS/Linke Liste dem Einzelplan 25 nur unter Die Sache ist so ernst, daß man es unserer Bevölke- Berücksichtigung unserer Änderungsanträge zustim- rung sagen muß. Wer Wohngeld verschweigt, ist men kann, ist wahrscheinlich naheliegend. Ich werde einfach unredlich. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10697

Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese) Ich danke den Oppositionsparteien, daß sie es uns Aber Frau Bock, ich muß Ihnen auch sagen: Die mit diesen Auslassungen so leicht machen. Zahlen, die Sie genannt haben, sind im wesentlichen (Zuruf von der SPD: Daß Sie sich nicht falsch. Das betrifft vor allem die Bauvolumina, es schämen!) betrifft auch die Mietbelastung. Da ich aber leider weniger Redezeit als Sie habe, werde ich Ihnen das in einem Brief mitteilen, den ich auch der Öffentlichkeit Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zu einer zugänglich machen werde. Erwiderung erteile ich dem Abgeordneten Dr. Seifert das Wort. Ich möchte Ihnen allerdings in einem Punkt wider- sprechen —und da bedaure ich es, daß Sie wieder den Zahlen, die Ihnen sicherlich Herr Großmann geliefert Dr. Ilja Seifert (PDS/Linke Liste): Sehr verehrter hat, auf den Leim gegangen sind —, Herr Kollege, Sozialbindung ist doch nicht auf das (Lachen und Zurufe von der SPD) Wohngeld zu reduzieren, sondern hat etwas damit zu tun, daß die Kommunen Belegungsrechte und derglei- nämlich den Durchschnittszahlen über die Woh- chen haben. Über Wohngeld brauchen wir doch nicht nungsbauförderung der 80er Jahre. extra zu reden; das macht m an in jeder anderen Rede (Abg. Thea Bock [SPD] meldet sich zu einer auch. Zwischenfrage) Vielen Dank. — Bevor Sie sich zu Zwischenfragen melden, sollten Sie erst einmal zuhören, was dazu zu sagen ist. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Dr. Hitschler, es tut mir schrecklich leid: Auf eine Kurzin- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Frau Mini- tervention kann nicht mit einer Kurzintervention sterin, das heißt, Sie sind nicht bereit zu antworten — geantwortet werden. Lediglich der Redner hat die später? Möglichkeit, noch einmal darauf einzugehen. Sie sind von Dr. Krause nicht angesprochen worden. Das ist Ihr Pech. Sonst könnte ich es anders gestalten.- Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin für Nunmehr hat die Bundesministerin für Raumord- Raumordnung, Bauwesen und Städtebau: Später. — nung, Bauwesen und Städtebau, Frau Dr. Schwaetzer, Ich möchte die Kollegin Bock darauf hinweisen, daß das Wort. der sozialdemokratische Bausenator von Hamburg 1988 — wenn ich mich richtig erinnere, waren Sie damals noch in der Hamburger Bürgerschaft; da hat Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin für Hamburg nicht einen Pfennig für den sozialen Miet- Raumordnung, Bauwesen und Städtebau: Herr Präsi- wohnungsbau ausgegeben — dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Haushalt 1993 dokumentiert, daß die Bundesregie- (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Un rung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen den glaublich! — Gegenrufe von der SPD) enormen Herausforderungen des aufs höchste ange- in der Bürgerschaft ausdrücklich darauf hingewiesen spannten Wohnungsmarktes Rechnung tragen. Es ist hat, daß vor dem Hintergrund leerstehender Wohnun- ein Haushalt, der diese großen Anstrengungen in gen jeder Pfennig für den sozialen Mietwohnungsbau allen seinen Teilen dokumentiert. ein verschwendeter Steuergroschen gewesen wäre. Ich möchte ganz besonders die Tatsache heraushe- Das ist die Situation gewesen. Insofern bringt diese ben, daß wir mit den Mitteln für den Sozialen Woh- Durchschnittszahl, die Sie da immer zitieren, über- nungsbau in einer Höhe von insgesamt 3,7 Milliarden haupt nichts, denn sie verschleiert nur die Wahr- DM einen Verpflichtungsrahmen des Bundes erreicht heit. haben, der viel höher ist, als er Anfang der 80er Jahre (Zurufe von der SPD) war. Das zeigt doch, daß diese Bundesregierung das Deswegen ist es wichtig, darauf zu achten, daß wir die tut, was notwendig ist und was nach den Kräften der in Anstrengungen, die wir seit 1988 mehr als verdoppelt der Tat sehr schwierigen Finanzlage zu verantworten haben, auch auf diesem sehr hohen Niveau weiterfüh- ist, um genau dort anzusetzen, wo auch wir den ren. Das werden wir auch tun. Die Erfolge stellen sich großen Bedarf sehen, nämlich dafür zu sorgen, daß in der Tat ein. Familien mit Kindern eine Wohnung bekommen kön- nen. Wir werden mit 380 000 bis 400 000 Fertigstellun- gen allein in diesem Jahr auch eine Verdoppelung der Frau Bock, ich stimme Ihnen in einem zu, nämlich Fertigstellungszahlen seit 1988 erreicht haben. Die- darin, daß die Wohnungssuche, die über längere Zeit ses müssen wir auf einem sehr hohen Niveau und auch erfolglos verläuft, zu enormen Frustrationsgefühlen noch auf einem höheren Niveau über etliche Jahr führen muß und damit auch zu einer Verunsicherung fortführen, um die zweifellos sehr schwierige Lage in bezug auf die gesamte gesellschaftliche Struktur. bewältigen zu können. Gerade deswegen haben wir das wohnungspolitische Programm vom Herbst des vergangenen Jahres auf- (Beifall bei der F.D.P. und bei Abgeordneten gelegt. Herr Seifert, das Programm ist im Herbst des der CDU/CSU) vergangenen Jahres für 1992, 1993 und 1994 Das tun wir sowohl im sozialen Wohnungsbau als beschlossen worden. Damit finden Sie es selbstver- auch mit den Mitteln der Eigentumsförderung. Die ständlich auch im Haushalt wieder. Das macht deut- Zuwachsraten bei den Eigenheimgenehmigungen lich, das ist ein Haushalt der kontinuierlichen von etwa 10 % bei Einfamilienhäusern und von annä- Anstrengungen und ein Haushalt der Stetigkeit. hernd 20 % bei Zweifamilienhäusern zeigen doch, daß 10698 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Bundesministerin Dr. Irmgard Schwaetzer hier nicht nur der Eigentumsgedanke in den Augen was Sie zitiert haben. Ich stehe auch dazu. Deswegen der Bevölkerung ganz vorherrschend ist, sondern daß möchte ich noch einmal unterstreichen: Die Städte- wir hier auch enorme Zuwachsraten haben und damit bauförderung West ist für ein Jahr bei den Neuzusa- einen wichtigen Ansatzpunkt zur Bewältigung der gen unterbrochen, sie wird bei den gegebenen Zusa- Probleme; übrigens vor allen Dingen bei Familien mit gen selbstverständlich weitergeführt und auch weiter mittleren Einkommen. finanziert, und es wird auch wieder neue Zusagen im (Beifall bei der F.D.P. und bei Abgeordneten Westen geben. Aber eines ist auch klar: Wenn ich den der CDU/CSU) Sanierungsbedarf von S tralsund, Schwerin, Erfurt, Meißen, Dresden, von all diesen Städten sehe und ihn Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Frau Mini- mit Stuttgart, Hamburg, Frankfurt, München, Köln sterin, sind Sie nun bereit, eine Frage zu beantwor- vergleiche, dann muß ich wirklich sagen: Es geht hier ten? nicht in erster Linie um den Ausbau West, sondern es geht um den Aufbau Ost. Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin für (Lebhafter Beifall bei der F.D.P. und der Raumordnung, Bauwesen und Städtebau: Aber bitte, CDU/CSU) und bitte nicht anrechnen. Aufbau Ost, meine Damen und Herren, das ist in der Tat die ganz große Herausforderung, vor der wir Bitte sehr, Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: stehen. Wenn ich mir die Situation im Wohnungsbe- Frau Abgeordnete Bock. stand im Osten ansehe, so kann ich verstehen, daß viele Bürger sich wünschen, es ginge schneller. Wir rin, stimmen Sie mir Thea Bock (SPD): Frau Ministe können heute sagen, daß in etwa 25 % der Wohnun- zu, daß es eine Diskriminierung einer Haushälterin ist, gen mit den ersten notwendigen Sanierungen begon- wenn Sie einer Haushälterin den Vorwurf machen, nen worden ist. Ein Teil der Sanierungsmaßnahmen daß ein Dritter die Zahlen aufschreibt? ist abgeschlossen. Aber wir wünschen uns natürlich (Widerspruch bei der CDU/CSU) alle, daß es schneller geht. Zwei Drittel der Bevölke- Und glauben Sie, daß das der Zusammenarbeit sehr rung sehen es auch, sie konstatieren, daß es losgegan- förderlich ist? Ich hatte den Eindruck, daß wir auch in gen ist und daß saniert wird. den Berichterstattergesprächen sehr offen und kolle- Wir werden auch hier im Haushalt 1993 zusätzliche gial miteinander umgegangen sind. Es würde mich Akzente für den Aufbau Ost setzen. Gerade weil die freuen, wenn Sie diesen Vorwurf zurücknehmen wür- Sanierung des Bestandes so sehr im Vordergrund den. — Danke. steht, werden wir die Mittel für die zinsverbilligten Kredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau auf Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Frau Ab- 30 Milliarden DM aufstocken. Dies ist eine große geordnete Bock, ich unterstelle mal, daß Sie auch eine Investitionsspritze, die ganz notwendig ist. Wichtig ist Antwort haben wollen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn allerdings auch, daß die Mietenanhebung zum 1. Ja- Sie sich an die Sitten des Hauses halten würden und nuar 1993 den Wohnungsunternehmen die nötigen die Antwort stehend entgegennähmen. Mittel liefert, um zusätzliche Kredite auch finanzieren zu können. Dr. Irmgard Schwaetzer, Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau: Liebe Frau Damit das alles in Gang gesetzt wird, ist eine Bock, ich bestätige Ihnen sehr gerne, daß wir gerade Regelung der Altschuldenfrage notwendig. Hierzu bei den Berichterstattergesprächen und auch im hat Herr Waigel bereits gesprochen. Herr Großmann, Haushaltsausschuß eine sehr sachliche und vernünf- ich nehme an, Sie haben hier gesessen; ich habe Sie tige Diskussion geführt haben. Ich habe von dieser allerdings nicht gesehen. Aber wenn Sie Herrn Waigel Diskussion in Ihrer Rede heute, außer dem Beginn, zugehört hätten, dann hätten Sie die Elemente des leider nichts wiedergefunden. Angebots der Bundesregierung gehört. (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der ( [CDU/CSU]: Es lohnt sich CDU/CSU: Das ist leider wahr!) immer, Herrn Waigel zuzuhören! — Dr.-Ing. Lassen Sie mich hinzufügen: Ich glaube, den größ- Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Sofern das ten Frust erleiden die Bürger unseres Landes bei Mikrophon geht!) Fensterreden hier im Deutschen Bundestag. Es ist notwendig, die Altschulden bei einem (Beifall bei der CDU/CSU) bestimmten Betrag — nach unserer Vorstellung Deswegen hätte ich mir gewünscht, daß wir auf der 350 DM pro Quadratmeter — zu kappen. Es ist gleichen Ebene weiter so miteinander umgegangen notwendig, den Wohnungsunternehmen und Genos- wären. Deshalb noch einmal die Bestätigung, daß senschaften für mehrere Jahre eine Überbrückungs- Durchschnittszahlen auch Wahrheit verbergen und hilfe zu gewähren, weil sie zunächst nicht in der Lage verschleiern können. Als Haushälterin sind Sie nicht sind, die Zinsen aus ihren eigenen Einnahmen zu für Durchschnittszahlen der Wohnungsbautätigkeit in finanzieren. Es ist notwendig, daß der Fonds, der aus den 80er Jahren zuständig, das vermute ich mal. Das den gekappten Beträgen gebildet wird, auch aus wird Ihnen vielmehr ein anderer geliefert haben. Aber Privatisierungserlösen gespeist wird. damit sind Sie eben genau an der Wahrheit vorbeige- Wir müssen dafür sorgen, meine Damen und Her- gangen. ren, daß wir eine gemeinsame Verantwortung für die Meine Damen und Herren, nur ein Wort zur Städ- Finanzierung der Überbrückungshilfe und auch des tebauförderung West. Es ist alles richtig, Frau Bock, Fonds zwischen Bund und neuen Ländern herstellen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10699

Bundesministerin Dr. Irmgard Schwaetzer Das bedeutet, daß jetzt die neuen Länder am Zuge Wer stimmt für die Drucksache 12/3834? sind. Wir haben unser Angebot auf den Tisch gelegt, (Zurufe von der CDU/CSU: Wer ist das?) die Bauminister haben gesagt, die neuen Länder — Alles Änderungsanträge der PDS/Linke Liste. tragen Verantwortung. Die Finanzminister haben sich Andere Änderungsanträge habe ich nicht vorliegen. bisher verweigert. Sie sind jetzt am Zuge. Also noch einmal: Wer ist für den Änderungsantrag Ich möchte noch darauf hinweisen, daß wir zusätz- auf der Drucksache 12/3834? — Dagegen? — Enthal- liche Akzente im Haushalt 1993 setzen. Insofern, Herr tungen? — Mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen Großmann, müssen Sie Ihren Zwischenruf vielleicht abgelehnt. korrigieren. Wir werden auch im Bereich Städtebau- Wer stimmt für den Einzelplan 25 in der Ausschuß- förderung die Mittel für Planungskosten und Erschlie- fassung? — Dagegen? — Mit den Stimmen der Koali- ßungsmaßnahmen gegenüber dem Haushalt 1992 aufstocken. Das ist im Parlament auch bereits disku- tionsfraktionen angenommen. tiert worden. Wir werden sie für ein Erschließungs- programm für Wohnungsbauland aufstocken. Wir Ich rufe nunmehr auf: werden zusätzliche Mittel für die Privatisierung zur Einzelplan 16 Verfügung stellen. Wir werden die Eigentumsförde- Geschäftsbereich des Bundesministers für Um- im Bereich des sozialen Wohnungsbaus zu einem rung welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Schwerpunkt machen und hier ein Modellprogramm zur Selbsthilfe im Siedlungsbau ebenfalls auf den Weg — Drucksachen 12/3516, 12/3530 — bringen. Wir fördern den Neubau von Mietwohnun- Berichterstattung: gen im sozialen Wohnungsbau. Wir werden im näch- Abgeordnete Hans Georg Wagner sten Jahr ein Plattenbausanierungsprogramm star- Dr. Sigrid Hoth ten, um hier den dringendsten Bedarf, der sich aber Michael von Schmude noch über viele Jahre erstrecken wird, zu decken. Der Ältestenrat schlägt eine Debattenzeit von einer Alles dies, meine Damen und Herren, macht sehr Stunde vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Das deutlich, daß diese Bundesregierung ihrer Verantwor-- ist offensichtlich der Fall. tung nachkommt, die sie gegenüber den Bürgern und Zunächst darf ich dem Abgeordneten Hans Georg ihren Erwartungen in den neuen Bundesländern Wagner das Wort erteilen, der sich sogar an seinem hat. Geburtstag erlaubt, hier zu sprechen. Zunächst ein- Zum Schluß möchte ich den Haushältern für die mal herzlichen Glückwunsch, Herr Abgeordneter! konstruktive Mitarbeit sehr herzlich danken, die bei (Beifall) diesen zweifellos sehr schwierigen Haushaltsberatun- gen notwendig gewesen ist. Hans Georg Wagner (SPD): Herr Präsident! Meine Der Haushalt des Bauministeriums setzt Akzente, sehr verehrten Damen und Herren! So oft wie heute ist die notwendig sind. Er setzt Akzente für die Bewälti- mir noch nie zum Geburtstag gratuliert worden. Ich gung riesiger Probleme. Ich bin davon überzeugt, daß bedanke mich bei allen Seiten des Hauses, auch beim wir auf einem guten Weg sind — im Interesse der amtierenden Präsidenten. Bürger, die darauf warten. (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist vermut Ich danke Ihnen. lich auch der einzige Beifall, den wir Ihnen spenden!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) — Da bin ich mir nicht so sicher. Denn in vielen Punkten waren wir uns ja bei der Beratung des Haushaltsplans des Umweltministers einig. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine Eigentlich kann man bei der Betrachtung des Haus- Damen und Herren, wir können nunmehr zur Abstim- halts des Bundesumweltministers nur Mitleid haben. mung kommen. Einem Vertreter der Opposition stellt sich die Frage, ob zu einem solch schmalbrüstigen Haushalt über- Ich lasse zuerst über die Änderungsanträge der haupt die Mühe lohnt, sich intensivere Gedanken zu Gruppe PDS/Linke Liste abstimmen, und zwar machen, statt einfach, schlicht, kurz und bündig nein zunächst über die Drucksache 12/3829. Wer stimmt zu sagen. für diesen Änderungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste? — Dagegen? —Stimmenthaltungen? — Dann ist Es ist schon ein Jammer, wie die Koalition mit dem bei einer Enthaltung und bei Zustimmung der PDS/ Bundesumweltminister umgeht: Zunächst kann er Linke Liste der Änderungsantrag durch den Rest des sich beim Bundesfinanzminister nicht durchsetzen, Hauses abgelehnt. sein Haushalt wird drastisch gekürzt, im Kabinett werden ihm leere Versprechungen gemacht, und Wir stimmen ab über den Änderungsantrag auf dann langen die Haushälter der Koalition noch einmal Drucksache 12/3830. Wer stimmt dafür? — Dagegen? hin. Mit minus 6 % gegenüber dem Haushalt 1992 Wer enthält sich? — Mit den gleichen Mehrheits- geht Herr Töpfer in das Jahr 1993. Erschwerend für die verhältnissen abgelehnt. Arbeit, fürwahr! Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksa- Und mit welchem Verkündigungstourismus hat er che 12/3831. Wer stimmt dafür? — Dagegen? — sich geplagt, Versprechungen bis in den letzten Flek- Enthaltungen? — Mit den gleichen Mehrheitsverhält- ken dieser Erde gemacht, Zusagen vielerorts, Hoff- nissen abgelehnt. nungen erweckt — und nun das! Wenn nicht die 10700 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Hans Georg Wagner Medien alles berichtet hätten, könnte man auf den Er verkündet zwar tapfer, oftmals unterstützt auch Gedanken kommen, Klaus Töpfer habe dies alles nur von der SPD, viele gute Dinge. Nur: Wenn es ans geträumt. Aber im Gegenteil: Alle Verkündigungen Umsetzen geht, entweicht die heiße Luft. sind belegbar. Und doch bewegt mich der Gedanke, wie es um den Gemütszustand eines solchen weltweit (Zurufe von der CDU/CSU) blamierten Umweltmessias bestellt sein muß. Ich habe Da fordert er europaweite Aktivitäten — zu Recht —, volles Verständnis dafür, daß er jetzt zielgerichtet eine muß aber akzeptieren, daß zunächst einmal abgewar- neue Karriere bei den Vereinten Nationen anpeilt. tet werden muß, wie die Vereinigten Staaten und Hier ist wirklich nichts mehr zu bestellen, und Erfah- Japan beispielsweise über eine Energiesteuer den- rungen als Job-hopper hat er nun einmal in langen ken, die er europäisch betrieben hat. Das ist ja eine Jahren gesammelt. Aktivität, auf die Sie recht stolz sind, und sie gehört auch zu Ihrem Ressort. (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Im Saarland!) Umweltkommissar Ripa de Meana schämte sich sogar, das Ergebnis der Verhandlungen auf dem — Nicht nur im Saarland, gnädige Frau. Umweltgipfel in Rio de Janiero überhaupt zu vertre- Als infolge des Reaktorunfalls von Tschernobyl ten. Er blieb einfach zu Hause. Nicht so unser Kanzler flugs ein Umweltministerium gegründet wurde, wollte und unser Umweltminister. Sie nutzten die Gelegen- man damit Aktivitäten vortäuschen, deren Umsetzung heit, weltweit damit anzugeben, was bei uns schon man eigentlich nicht im Sinne hatte. alles möglich sei. Nur: In allen Fällen drängen sich am Ende doch die Wirtschaftsinteressen vor die Umwelt- (Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich! — interessen, und allen vielen Worten folgen keine Weitere Zurufe von der CDU/CSU) konkreten Taten. Die Haushaltsrealität für die Umweltpolitik dieser Als schließlich die OECD seine, d. h. Töpfers Ener- Bundesregierung könnte organisatorische Verände- giesteuer beschloß, regten sich auch dort sofort rungen innerhalb der Bundesregierung bewirken. - besorgte Stimmen, die Wettbewerbsnachteile für die Nachdem die Bedeutung des Umweltministeriums europäische Wirtschaft ausmachten. Schnellstens durch die Koalition — auch durch Sie, Frau Albo- wurde wiederum ein Vorbehalt eingebaut. Erst wenn witz — auf die Größe einer Abteilung eines anderen auch die energiesteuerfreien Konkurrenten aus Ost- Ministeriums herunterfinanziert wurde, kann man asien, insbesondere Korea und Taiwan, sich klimapo- sich durchaus eine Wiedereingliederung als Fachab- litische Zügel anlegen, kann der Klub der Reichsten teilung ins Innenministerium vorstellen. Zumindest — nämlich wir — tun, was ökologisch vernünftig ist. die Kosten der Führungsebene des Ministeriums könnte man dabei einsparen. Denn so, wie es jetzt ist, Dabei hätte der Minister, wollte er seinen eigenen kann es nicht mehr weitergehen. Ansprüchen gerecht werden, darauf verweisen müs- sen, daß sich umweltbedingte Standortnachteile (Zuruf von der CDU/CSU: Das könnte man in schnell in Vorteile umwandeln können, wie beispiels- Saarbrücken auch!) weise die Technikentwicklung im Bereich der Koh- lekraftwerke und ihrer Nachsorge belegt. Deutsches — Darüber reden wir in Saarbrücken, nicht im Deut- Know-how — das wissen Sie; Sie haben das ja selbst schen Bundestag. Aber wir können das gern tun, falls betrieben, etwa in der Ukraine — bei der Rauchgas- ich die Zeit dazu habe. entschwefelung, bei Entstickungsanlagen ist Welt- Dabei hat gerade die Umwelt, die Natur, für unsere spitze und wird zunehmend zu einem Exportschla- Erde den höchsten Rang in der menschlichen Werte ger. skala. Der ökologische Umbau der Industriegesell- (Zuruf von der CDU/CSU: Die hat Töpfer schaft ist die Aufgabe Nr. 1. Denn wer die Umwelt eingeführt! — Weitere Zurufe von der CDU/ wirksam schützen will, muß bei den Schadensursa- CSU) chen ansetzen. Es kommt beispielsweise darauf an, weniger Energie zu verbrauchen. Dabei gilt die Sie, Herr Minister, haben unlängst bei der Vorstel- Devise: Wer Energie verschwendet, soll dafür zahlen, lung des neuen Umweltprogramms der CDU von der wer Energie spart, soll belohnt werden. „Eigenbedeutung der Natur" gesprochen. Nur: Die Umsetzung Ihres an sich richtigen Ansatzes wird Bei diesem Thema zeigt sich in brutaler Deutlichkeit durch die Eigenbedeutung der Ökonomie erheblich die Handlungsunfähigkeit des Bundesumweltmini- geschmälert. Wer die Eigenbedeutung der Natur sters. durchsetzen will, muß auch deutlich sagen, daß dies nur gelingt, wenn die Eigenbedeutung der Ökonomie (Zuruf des Bundesministers Dr. Töpfer) reduziert wird. Hierzu ist ein Wertewandel erforder- — Hatten Sie eine Zwischenbemerkung gemacht? lich. (Beifall bei der SPD) (Zuruf des Bundesministers Dr. Töpfer) — Ja, das merken Sie als ständig im Flugzeug befind- Sieht man Ihren Haushalt, Herr Minister, in dieser licher natürlich nicht, daß Energiepolitik ein ganz Zielrichtung durch, erschrickt m an angesichts der wesentlicher Teil der Umweltpolitik ist. Vielleicht Realitäten: Es bleibt dabei aber auch überhaupt nichts lesen Sie da mal etwas nach, Herr Bundesminister! mehr von dem übrig, was nach Ihren Worten gesche- hen soll und was nach den Beschlüssen der Koalition (Zurufe von der CDU/CSU) sein dürfte. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10701

Hans Georg Wagner Nun ist ja mittlerweile klar, daß wir im Frühjahr soll, von vornherein blockiert, beweist seine energie- 1993 über Nachbesserungen zum Haushalt werden politsiche Bewegungslosigkeit. reden müssen. Sie haben also noch Zeit, sich einmal Es ist einfach leichtsinnig, immer nur die Steinkohle sichtbar durchzusetzen — im Interesse unserer im Zusammenhang mit der CO2 - Belastung zu erwäh- Umwelt. Falls Sie sich erneut nicht durchsetzen soll- nen. Wer den Hauptverursacher der CO2-Belastung ten, dann empfehle ich Ihnen im Interesse Ihrer weltweit, nämlich das Mineralöl, das mit 50 % betei- eigenen Glaubwürdigkeit, das von Ihnen vorgestellte ligt ist, nicht nennt, wirkt als Umweltminister nicht Kapitel „Umwelt" des CDU-Programms im Frühjahr gerade glaubwürdig. 1993 gar nicht erst zur Diskussion freizugeben. Es wäre, wie Ihr Haushalt, reine Makulatur. (Beifall bei der SPD) (Zuruf von der CDU/CSU: Wie Ihre Rede!) Eigentlich sollte das Vorhandensein eines Wirt- schaftsministeriums und eines Umweltministeriums in Nachdem der Rotstift der Koalitionssparer auch vor einer Regierung mithelfen, den Widerspruch von Ihrem Personalhaushalt nicht haltgemacht hat, ist dem Ökonomie und Ökologie aufzulösen oder wenigstens Ministerium ein solcher Substanzverlust entstanden, zu minimieren. daß in der Tat die Umwandlung in eine Fachabteilung des Innenministeriums der eigentliche Weg der Wahr- Sieht man sich demgegenüber das tatsächliche heit in der Umweltpolitik wäre. Regierungshandeln an, erkennt man, daß in der Realität letztlich der Wirtschaftsminister stets das Wir von der SPD wissen natürlich um die mißliche letzte und damit das entscheidende Wort hat. Ich Finanzsituation, in die Sie die Bundesrepublik erinnere in diesem Zusammenhang nur an das Bun- Deutschland durch Nichtbeachtung, ja durch Diffa- Im übrigen, Herr Minister, mierung warnender Stimmen getrieben haben. Von desnaturschutzgesetz. haben Sie heute die Chance, ein Jubiläum zu bege- daher sind umweltpolitische Zielsetzungen natürlich hen: Es wäre heute das 25. Mal, wenn Sie erneut die und zwangsläufig ebenfalls den Finanzen anzupas- baldige Vorlage des Bundesnaturschutzgesetzes an- sen, aber nicht, wie jetzt geschehen, hoffnungslos unterzuordnen. Ihr Haushalt, Herr Bundesumweltmi- kündigen würden. nister, hält einer umweltpolitischen Prüfung- in kein (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Und das an ster Weise stand. deinem Geburtstag!) Meine Damen und Herren, wenn ich von der — Das an meinem Geburtstag, in der Tat. Energiepolitik gesprochen und einige kritische Auch forschungspolitisch soll der Bundesumwelt- Anmerkungen gemacht habe, darm auch vor dem Hintergrund der Rede von Herrn Töpfer am 28. Okto- minister 1993 trockengelegt werden. Gegenüber dem Haushalt 1992 wurden die Forschungsmittel um ber 1992 in Berlin vor der Gesellschaft für Anlagen- 17,5 % gekürzt, also um fast ein Fünftel. Auch dies ist, und Reaktorsicherheit. Herr Minister, ein Substanzverlust, der die Aufrecht- (Zuruf des Bundesministers Dr. Töpfer) erhaltung eines eigenständigen Ministeriums in — Wenn Sie sagen, das gehöre nicht zu Ihrem Haus, Frage stellt. dann frage ich mich, was Sie dort zu diesem Thema zu Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß reden haben. Wenn die Rede wirklich so gehalten die Koalition den Bundesumweltminister mit dem worden ist, wie Sie veröffentlicht wurde, dann ist dies straffen und schroffen Streichen disziplinieren eine Demaskierung der wirklichen Absichten der möchte, da er stets weltweit unterwegs ist und nicht Bundesregierung in der Energiepolitik. dort arbeitet, wo er seine eigentlichen Aufgaben zu Es wird auch verständlich, warum die Koalition bis erfüllen hat. heute die Einsetzung der sogenannten Ueberhorst Wenn es noch eines Beweises für diese Haltung Kommission verhindert. Man will nämlich gar keinen bedarf, verweise ich auf den Bericht der „Süddeut- Konsens mit der SPD, sondern tut nur so. schen Zeitung" vom gestrigen Mittwoch, in der steht: (Zurufe von der CDU/CSU) „Urteil gegen Bonner Umweltpolitik", „Trinkwasser- richtlinie der EG zu spät umgesetzt". Der Luxembur- Und ich füge hinzu: Bei anderen diskutierten Namen ger Gerichtshof hat die Bundesregierung verurteilt, da — etwa Professor Birkhofer — haben die Sozialdemo- sie dieses Konzept, das schon seit 1980 auf dem Tisch kraten ganz erhebliche Probleme, da mitzumachen. liegt, zu spät umgesetzt hat. — Das ist ein Beweis Wenn es zu einem Konsens kommen soll, dann über- dafür, daß man Ihre weltweiten Aktivitäten, Herr legen Sie sich andere Namen, falls Sie nicht mit Herrn Minister, beschneiden möchte, damit Sie im Lande die Ueberhorst überkommen wollen. Arbeit erbringen, die im Interesse der Bevölkerung Man will die Zukunft der Stein- und Braunkohle eigentlich notwendig wäre. — so Töpfer —, die Förderung der alternativen Ener- Aktionismus und Verkündigungstourismus des Mi- giearten und die Zustimmung dazu an den weiteren nisters beengen immer mehr seine eigenen umwelt- Aus- und Umbau der Kernenergie binden. Das ist mit politischen Handlungsfähigkeiten. Er hat sich haus- der SPD nicht zu machen. haltspolitisch selber handlungsunfähig gemacht. (Ina Albowitz [F.D.P.]: Die SPD weiß wieder Dabei potenzieren sich täglich die Umweltbelastun- nicht, wovon die Rede ist!) gen, wird die Nahrungskette immer menschengefähr- Wer schon die Bildung einer Kommission — Frau dender, werden die notwendigen Lösungen immer Albowitz, Sie waren ja mitbeteiligt —, die einen weiter hinausgeschoben, Abfall droht uns zu erstik- nationalen Konsens in der Energiepolitik vorbereiten ken, Gauner betrügen den Staat durch illegale Müll- 10702 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Hans Georg Wagner transporte ins Ausland. Das ist die tägliche Realität, Spanien in Ordnung; es seien gute Sozialisten, hieß es, eine brutale Realität. und jetzt sind es wieder schlechte Sozialisten. Sie (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Herr müssen sich schon auf eine Formel einigen. Für mich Kollege Wagner, wo geht der saarländische gibt es nur gute Sozialisten und gute Sozialdemokra- Müll hin?) ten, keine schlechten — damit Sie es genau wissen. — In dieser Phase erleben wir einen Bundesumwelt- minister, der seine politische Verantwortung durch (Beifall bei der SPD — Steffen Kampeter ständig neue Ankündigungen wahrzunehmen glaubt. [CDU/CSU]: Und ich habe gedacht, alle Dies schadet einer ernsthaften Umweltpolitik. Sozialisten sind im Prinzip schlecht!) Die Sauberkeit unserer Flüsse und Bache, d. h. ihre Wiederherstellung, ist ein riesengroßes Problem, dem Ich sage noch einmal: Herr Töpfer hat zwar versucht, die Bundesregierung viel zuwenig Bedeutung zumißt. in Kopenhagen eine Linie hineinzubringen, aber er ist Oder nehmen Sie die neuesten Waldschadensbe- auch dort — wieder einmal — europaweit geschei- richte: Der Wald stirbt weiter, wie alle Berichte tert. ausnahmslos ausweisen. Nur sind wir alle — ich betone: wir alle! — in den letzten Jahren bezüglich des Im übrigen habe ich Verständnis, daß er jetzt Waldsterbens zur Tagesordnung übergegangen. Des- versucht, hier den Flattermann zu machen und jen- halb muß für die Erhaltung unserer Natur wieder ein seits des großen Teichs eine neue Karriere zu begin- stärkeres Problembewußtsein entwickelt werden. nen. Ich würde ihm, wenn es ihm gelänge, viel Glück wünschen, weil dort dann einer säße, der aus dem Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen, Saarland kommt. Aber ich habe meine Zweifel, ob das der eigentlich nicht Herrn Töpfer, sondern Frau funktioniert. Schwaetzer betrifft. Ich meine die nach wie vor drohende Zersiedlung unserer Landschaft. Mit immer (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Waren neuen Wohnungsbauprogrammen, die nur auf Neu- Sie bei Jo Leinen? Wollen Sie den anbie bauten abstellen, geht eine weitere Zersiedlung der - ten?) Landschaft einher, gegen die eigentlich alle sein müßten. — Der drängt sich nicht nach New York. Oder haben (Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Soeben Sie andere Nachrichten? Dann wäre ich völlig über- haben wir genau das Gegenteil gehört!) rascht. Dann müßte ich sofort in das Saarland zurück; Der hohe Neubaubedarf im Wohnungsbau muß mit denn dann gäbe es dort neue Posten zu verteilen. äußerster Sorgfalt gedeckt und geplant werden, so daß dadurch nicht ständig weitere Flächen belastet Vor einiger Zeit hat Herr Minister Töpfer in einem werden. Noch stärker müssen wir Ausgleichsmaßnah- Interview gesagt: Jetzt wird es ernst. — Ich will men sichern. In diesem Punkt unterstützen wir den angesichts der fortgeschrittenen Zeit darauf verzich- Bundesumweltminister gegenüber der Städtebaumi- ten, hier jetzt all die schönen Einzelheiten vorzulesen, nisterin ausdrücklich. In der Tat muß der Renovierung die seinerzeit verkündet, versprochen und der stau- alter Bausubstanz Vorrang vor blindwütigem Neubau nenden Bevölkerung übermittelt worden sind. Nur, auf der grünen Wiese eingeräumt werden. alles, was gesagt wurde, wurde nicht gemacht. Nun hat der Minister wirklich Pech: Heute geht Wenn Sie Ihren Haushalt ansehen, der jetzt ein durch die Presse, daß der Bundeswirtschaftsminister Volumen von etwas mehr als 1,2 Milliarden DM hat, in das Umweltgeschäft einsteigen möchte. Mölle- wenn man die Reduzierung beim Personal bedenkt, mann will die Mineralölsteuer aus Umweltgründen die wirklich wehtut — denn der Substanzverlust ist erhöhen. Auch Sie haben das schon einmal gefordert, offenkundig —, wenn man die Probleme kennt, die allerdings mit einer anderen Zielrichtung. Sie, Herr insbesondere in den neuen Ländern entstanden sind, Töpfer, haben einen ganz anderen, einen richtigen wenn man weiß, welche großen Aufgaben das Ansatz in diesem Bereich. Jetzt haben wir den Wider- Umweltbundesamt, das Strahlenschutzamt und an- spruch: Wirtschaftsminister — Umweltminister, wer dere Ämter wegen der Altlasten haben, deren Besei- setzt sich letztlich durch? Ich sage heute: In einem Jahr tigung in den neuen Ländern nun einmal von uns hat sich Möllemann durchgesetzt, und der Bundesum- übernommen werden muß, dann ist es eigentlich weltminister ist erneut auf der Strecke geblieben. unverständlich, daß die Koalition den Haushalt so Auf der Strecke geblieben sind Sie auch gestern in zusammenstreicht, daß er wirklich nur noch der Größe Kopenhagen, Herr Minister. Es ist von Ihnen groß einer Fachabteilung eines anderen Ministeriums ent- angekündigt worden, was Sie alles durchsetzen wol- spricht. len. Außer einer kleinen Verkürzung haben Sie inhaltlich überhaupt nichts durchgesetzt, obwohl Sie Ich bitte Sie um volles Verständnis, daß wir Sozial- der Meinung waren, daß jetzt endlich der Durchbruch demokratinnen und Sozialdemokraten eine solche hätte erzielt werden müssen. Umweltbeleidigung in Form des Bundesumwelthaus- haltes nicht mitmachen können. (Zuruf von der CDU/CSU: Die Sozialisten in Frankreich!) Vielen Dank. — Ach so, das ist natürlich interessant. Jetzt sind es die Sozialisten in Frankreich, die dagegen waren. Heute (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und morgen waren die Sozialisten in Frankreich und in dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10703

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile auch im Bereich der Forschungs- und Technologie- nunmehr dem Abgeordneten Dr. Briefs das Wort. politik zu erbringen sind, dort aber nicht erbracht (Manfred Richter [Bremerhaven] [F.D.P.]: Er werden, entzieht selbst kleinen ökologischen Fort- ist der einzige, der das noch steigern schritten wiederum den Boden. Die Forschungs- und kann!) Technologiepolitik ist nach wie vor auf die industrie- politische Inzucht (Zuruf von der CDU/CSU: Inzest heißt Dr. Ulrich Briefs (fraktionslos): Herr Präsident, schö- das!) nen Dank für den prominenten Platz. Aber ich hatte natürlich erwartet, daß sich, wenn ich erneut am Ende von mächtigen High-Tech-Sektoren hin orientiert, reden kann, der Saal wieder füllt. die jedoch die ökologischen Probleme verschärfen. High Tech — genüßlich zitieren— ist High Dreck, wie Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das der F.D.P.-Fraktionsvorsitzende Döring aus Baden- Leben des Menschen beruht auf dem ständigen Stoff- Württemberg sagt. wechsel mit der Natur. Jede menschliche Tätigkeit und jede Lebensäußerung sind daher auch umweltre- High Tech bringt aber auch hohe Risiken mit sich. levant. Deshalb ist — so Greenpeace — die geplante Novel- lierung des Gentechnikgesetzes gefährlich. Der Erst mit dem Aufkommen der modernen Industrie, Schutz der Menschen und der Natur wird von dieser des modernen Verkehrs und der auf Massenkonsum Bundesregierung auf dem Altar des wirtschaftlichen beruhenden entsprechenden Lebens- und Konsum- Wachstums geopfert. weise sind die Umweltbelastungen entstanden, die den Planeten für Menschen unbewohnbar zu machen (Zuruf von der CDU/CSU: Oh, wie billig!) drohen. Die Umweltbelastung und die Umweltzerstö- Spitzentechnologien machen Spitzenvorkehrungen rung sind durch Maßnahmen zu bekämpfen, die in zum Schutz der Umwelt notwendig, aber nicht nur den Poren des gesellschaftlichen Lebens, an den zum Umweltschutz, sondern auch zum Datenschutz. Ursachen dieser Zerstörung ansetzen. Der Umweltverschmutzung entspricht nämlich die Das sind viele Elemente unserer Verbrauchs- und Innenweltverschmutzung durch mangelhaften Daten- Lebensweise, z. B. der Hausmüllanfall. Es sind Dinge schutz. wie die zum Teil schwachsinnige Werbung, die Die Privatisierung der Bundespost wird mit dem erstens desinformiert, zweitens zur Konsumsteige- Ziel betrieben, das Wirtschaftswachstum zu fördern. rung mit eskalierendem Ressourcenverbrauch verfüh- (Zuruf von der CDU/CSU: Wie skurril!) ren soll und die drittens zudem 2 % aller Umweltbela- stungen verursacht; denn in Deutschland werden sage Allein das ist ökologisch in hohem Maße zumindest und schreibe 2 % des Bruttosozialprodukts allein für problematisch. Diese Privatisierung bedroht aber Werbung ausgegeben. Die Mittel für ökologisch auch die Vorkehrungen zum Datenschutz und zur orientierte Verbraucheraufklärung und -erziehung sozialen Beherrschung der Informations- und Kom- dagegen umfassen gerade einen Bruchteil dieser munikationstechnologien. Die Telekom, der Post- Summe. dienst und die Postbank Um Ökologie entsprechend der Verursachung von (Zuruf von der CDU/CSU: Was hat Töpfer mit ökologischen Schäden zum allgemein praktizierten der Bundespost zu tun?) Prinzip in allen Lebensbereichen zu machen, müssen müssen daher auch wegen ihrer Infrastrukturaufga- daher entsprechende Mittel bereitgestellt werden. ben weiter unter öffentlicher Kontrolle bleiben. Das ist weder im Bundesetat insgesamt noch im Herr Präsident, ich danke Ihnen. Haushalt des BMU der Fall. (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Eduard Noch schwieriger sind aber die Probleme mit den Oswald [CDU/CSU]: Das waren vier Hände Hauptverursachern ökologischer Schäden, mit der zuviel! — Zuruf von der F.D.P.: Das war eine Wirtschaft, speziell der Industrie, und dem Verkehr. rhetorische Umweltverschmutzung!) Das BMU, dessen Etat angesichts der Dringlichkeit ökologischer Probleme sowieso ein Kümmerdasein fristet — z. B. im Vergleich zum Verkehrs-, sprich: Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nunmehr Autostraßenausbauhaushalt —, sieht für die notwen- erteile ich dem Abgeordneten von Schmude das digen ökologischen Umbauprozesse des Verkehrssy- Wort. stems und der Industrie kaum Mittel vor. Die Mittel fehlen deshalb, weil die Konzepte fehlen. Die Konzepte fehlen, weil die ökologischen Ziele Michael von Schmude (CDU/CSU): Herr Präsident! fehlen. Die fehlenden ökologischen Konzepte und Meine Damen und Herren! Auf die Ausführungen des Ziele wiederum machen das BMU zum Ankündi- Kollegen Briefs will ich nicht näher eingehen. Wenn gungsministerium, zum Alibiministerium, fast ohne ihm an einer sachlichen Auseinandersetzung gelegen faktische Durchsetzungs- und Realisierungsmacht. wäre, würden wir uns gelegentlich einmal im Haus- haltsausschuß darüber unterhalten können. Da er Die Abschiebung der Umweltproblematik in dieses aber fast nie anwesend ist, ist das nicht möglich. Alibiministerium verhindert übrigens, daß eines der wichtigsten Elemente ökologischer Umbaupolitik rea- (Manfred Richter [Bremerhaven] [F.D.P.]: Da lisiert wird: die umfassende und rechtzeitige ökologi- kann man es mal wieder sehen!) sche Mitbestimmung am Arbeitsplatz und in den Dem Kollegen Wagner möchte ich auch von dieser Betrieben. Daß wichtige Beiträge zur Ökologie, aber Stelle aus ganz herzlich zum Geburtstag gratulieren. 10704 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Michael von Schmude Lieber Hans Georg, weiterhin alles Gute! Ich verbinde Der Herr Bundesminister hat dankenswerterweise das auch mit einem Dank für die gute, kollegiale sehr schnell eine erste Bestandsaufnahme zur Zusammenarbeit. Umweltsituation vorgelegt, (Zuruf von der SPD: Und wo bleibt das (Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]: Wirk Geschenk?) lich?) mit der Eckwerte für die ökologische Sanierung und Dann muß ich aber auch schon ein bißchen Wasser Entwicklung vorgegeben wurden. Die Bestandsauf- in den Wein gießen. Nicht alles, was hier vom Kolle- nahmen bezüglich der Altlasten laufen jedoch weiter. gen Wagner vorgetragen wurde, hält der Wahrheits- Dies gilt insbesondere für die Liegenschaften der prüfung stand. Das beginnt eigentlich schon damit, ehemals sowjetischen Streitkräfte. Inzwischen sind in daß er gesagt hat, er habe an seinem Geburtstag noch den Industrieregionen der ostdeutschen Bundeslän- nie so viele Glückwünsche bekommen wie heute. Im der Sanierungskonzepte nicht nur erarbeitet worden, vorigen Jahr fand die Aussprache über den Einzel- sondern sie werden auch bereits umgesetzt. Mit dem plan 16 auch an seinem Geburtstag statt. Ich bin mir Bau und der Sanierung von insgesamt 35 kommuna- ganz sicher, daß es damals genauso viele Glückwün- len und 24 industriellen Kläranlagen, die sich im sche gegeben hat. wesentlichen auf das Elbeeinzugsgebiet konzentrie- (Heiterkeit und Beifall) ren, werden zunächst einmal die größten Defizite im Gewässerschutz beseitigt. Meine Damen und Herren, eine Geburtstagsrede (Zuruf von der SPD: Darauf warten wir!) war das aber auch nicht. Zu der konstruktiven Bera- tung im Haushaltsausschuß, bei der wir in fast allen Im Rahmen des Ostseesanierungsprogramms liegen Punkten Einvernehmen erzielt haben — die Kollegin fertige Pläne für insgesamt 27 Kläranlagenprojekte Hoth von der F.D.P. bestätigt das —, stehen die vor. Aussagen vom Kollegen Wagner hier in einem völli- Im Etatansatz „Investitionen zur Verminderung gen Widerspruch. Ich meine schon, daß man hier nicht grenzüberschreitender Umweltbelastungen" haben mit Wiederholungen und der Äußerung, der- Minister wir im neuen Haushaltsjahr 4 Millionen DM Barmittel sei auf der Strecke geblieben, argumentieren kann. und weitere 40 Millionen DM Verpflichtungsermäch- Nein, die Wahrheit ist wegen Oberflächlichkeit auf tigungen vorgesehen. Unter anderem wollen wir der Strecke geblieben, lieber Kollege Wagner! Dem damit den Bau eines deutsch-polnischen Klärwerks in Haushalt des Bundesumweltministers wird man nicht Swinemünde fördern, das auch drei deutsche Nach- gerecht, wenn man nur oberflächlich über die einzel- bargemeinden auf der Insel Usedom mit entsorgen nen Positionen hinweggeht. wird. Meine Damen und Herren, wir haben Übereinstim- (Beifall bei der CDU/CSU) mung erzielt, daß sich die Bundesrepublik Deutsch- Ich glaube, diese Anlage kann auch für weitere land in vier wichtigen Bereichen umweltpolitischen grenzüberschreitende Zusammenarbeit Vorbild- Herausforderungen zu stellen hat. Ich meine zuerst charakter haben. den ökologischen Handlungsbedarf in den neuen Bundesländern. Wir stehen hier vor einer großen (Beifall bei der CDU/CSU) Bewährungsprobe. Wir haben hier eine Vorbildfunk- Bis 1996 werden wir mit der GroBfeuerungsanla- tion, an der wir auch im Ausland gemessen werden. gensanierung in den neuen Bundesländern eine Sen- Die zweite Aufgabe ist unsere umweltpolitische kung der Staubbelastung um 1,3 Millionen t pro Jahr Zusammenarbeit mit den ehemaligen Ostblockstaa- und eine Senkung der Schwefeldioxydbelastung um ten. Ich sage gleich dazu: Die Hoffnungen, die auf uns 4,2 Millionen t pro Jahr erreichen. Von dieser Sanie- gerichtet werden, sind größer als das, was wir bei rung werden insgesamt 278 Großfeuerungsanlagen realistischer Betrachtungsweise an Hilfe erbringen erfaßt: 10 Braunkohlegroßkraftwerke, 142 Industrie- können. kraftwerke und 126 Heizkraftwerke. (Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Das alles Drittens denke ich an den europäischen Einigungs- hat der Wagner unterschlagen!) prozeß, der zu einer weiteren Harmonisierung der Umweltgesetzgebung führen wird. Im wesentlichen handelt es sich dabei um eine Auf- gabe der Energieversorgungsunternehmen. Darüber Der vierte Bereich sind die globalen Umweltpro- hinaus sind entsprechend der TA Luft bis zum 1. Juli bleme, die Gefahren für die Erdatmosphäre und die 1994 fast 7 000 luftverunreinigende Anlagen in den Weltmeere. neuen Bundesländern zu sanieren. Der ökologische Aufbau in den neuen Bundeslän- Die Altlastensanierung wird vorrangig in den dern, d. h. die Schaffung gleichwertiger Lebensver- besonders belasteten Regionen durchgeführt. Dabei hältnisse auf dem Gebiet der Umwelt, wird — das war wollen wir die modernste Technologie nicht nur uns von Anbeginn an klar — einen langen Zeitraum in anwenden, sondern versuchen, sie nach erfolgter Anspruch nehmen. Die Bestandsaufnahme, die wir Sanierung dort möglichst auch anzusiedeln. machen, ist noch nicht abgeschlossen. Sie zeigt, daß (Zustimmung bei der CDU/CSU) Gesundheitsschutz und Gefahrenabwehr besonders dringliche Probleme darstellen. Darüber hinaus ist die Interessant ist in diesem Zusammenhang — das unter Beseitigung von Altlasten eine wichtige Vorausset- streicht eindrucksvoll die Erfolge unserer Umweltpoli zung für Investitionen. tik, Herr Minister —, daß der japanische Wirtschafts- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10705

Michael von Schmude minister eine Zusammenarbeit zwischen japanischen Etat zwar um 5,7 % unter dem Ansatz des Vorjahres, und deutschen Firmen auf dem Gebiet der Umwelt- aber Ihre Kritik, lieber Herr Kollege Wagner, steht auf technologie für wünschenswert hält — man höre! —, schwachen Füßen. Wir hatten 1992 einen Anstieg weil wir Deutsche auf diesem Gebiet weltweit führend dieses Etats um 11,9 % zu verzeichnen. Weiterhin muß sind. man sehen, daß die Ausgaben des Bundes für den (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Umweltschutz eben nicht nur aus diesem Etat gespeist werden, sondern sich auf verschiedene Einzelpläne Als konkrete Maßnahmen zur Altlastensanierung verteilen. Danach geben wir 1993 für den Umwelt- sind geplant: sechs Bodenbehandlungszentren im schutz insgesamt 8,48 Milliarden DM aus, was einer Großraum Halle/Leipzig mit immerhin 1,5 Milliarden Steigerung von 6 % gegenüber 1992 entspricht. DM Investitionsvolumen, fünf thermische Anlagen zur Behandlung kontaminierter Böden mit nochmals rund (Zuruf von der CDU/CSU: Warum weiß der 1 Milliarde DM Investitionsvolumen und darüber Wagner das alles nicht?) hinaus insgesamt mehr als 50 Deponien, Sonderab- Dies, lieber Herr Kollege Wagner, wäre auch Ihnen falldeponien sowie Untertagedeponien mit einem bei einer gründlichen Auseinandersetzung mit den Investitionsvolumen von noch einmal 8 Milliarden Daten des Haushalts nicht verborgen geblieben. DM. Der Bund vergibt darüber hinaus in ganz erhebli- Meine Damen und Herren, die Untersuchungen chem Umfang Kredite für Maßnahmen im Bereich des und Sanierungsmaßnahmen in den Uran-Bergbauge- Umweltschutzes; diese werden nicht im Bundeshaus- bieten werden vorangetrieben. Allein die Verdachts- halt erfaßt. Allein gut 2 Milliarden DM stammen aus flächen umfassen 1 500 Quadratkilometer, dem ERP-Sondervermögen; Umweltschutzkredite der (Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: A lles Banken des Bundes haben einen Umfang von zusätz- Erblasten!) lich 1,5 Milliarden DM. Darüber hinaus haben die Umweltschutzmaßnahmen des Bundes eine ganz auf denen 3 000 zum Teil radioaktive, zum Teil auch erhebliche Anstoßwirkung für Folgeinvestitionen, die schwermetallführende Abraumhalden vorhanden ich gar nicht alle aufführen kann. sind. Das ist eine schlimme Hinterlassenschaft- der früheren DDR. Grundlage der umweltpolitischen Maßnahmen die- ser Bundesregierung ist das Verursacherprinzip. Die Für die Zusammenarbeit mit den GUS- und MOE Ausgaben des produzierenden Gewerbes und des Staaten sind 1993 für Beratungshilfe 5,1 Millionen DM Staates für Abfallbeseitigung, Gewässerschutz, Luft- vorgesehen. Wir werden die Ausbildung von Mitar- reinhaltung usw. belaufen sich 1993 — hochgerech- beitern der Kernkraftwerke der Länder der GUS und net — auf 43 Milliarden DM. Das entspricht einer der MOE-Staaten in Greifswald fortsetzen. jährlichen Steigerungsrate von 5 %. Diese Zahl unter- (Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Eine gute streicht mehr als alles andere, daß wir uns auf einem Investition!) überaus erfolgreichen Weg befinden, eine ökologisch verträgliche Soziale Marktwirtschaft zu entwickeln. — Eine sehr gute Investition, Herr Kollege Roth. — In dem dortigen ehemaligen Kernkraftwerk der früheren (Beifall bei der CDU/CSU) DDR, das wir aus Sicherheitsgründen sofort nach der Diese Erfolgsbilanz kann sich weltweit sehen las- Wiedervereinigung stillgelegt haben, bestehen auf sen. Grund der vorhandenen Simultananlage hervorra- gende Schulungsmöglichkeiten, die sehr stark fre- Wir haben im Bereich der Gewässerreinhaltung quentiert werden. große Fortschritte gemacht. Die Wasserqualität der Elbe hat sich innerhalb kurzer Zeit nachhaltig verbes- Die Beschlüsse auf dem jüngsten G-7-Gipfel von sert. München in diesem Jahr bringen der Bundesrepublik neue Aufgaben. Wir leisten einen Beitrag zu einem (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Sehr rich multilateralen Sicherheitsfonds für die Verbesserung tig!) der technischen Sicherheit von Kernkraftwerken Bei der Entsalzung der Werra kommen wir voran. sowjetischer Bauart in Höhe von 21 Millionen DM. Wir haben für 1993 21 Millionen DM an Haushaltsmit- Darüber hinaus stellen wir im Haushalt 1993 für den teln für diesen Zweck zur Verfügung gestellt. Wir gleichen Zweck — für bilaterale Hilfe — weitere konnten durch Sparmaßnahmen erreichen, daß zur 5 Millionen DM an Barmitteln und 32 Millionen DM in Verringerung von Umweltbelastungen statt der im Form von Verpflichtungsermächtigungen bereit. Wir Regierungsentwurf vorgesehenen 180 Millionen DM begrüßen es mit Nachdruck, daß nun auch andere 208,8 Millionen DM eingesetzt wurden. Länder — wie übrigens auch die Europäische Gemeinschaft — bereit sind, sich an der Verbesserung (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Hört! des Sicherheitsstandards dieser Kernkraftwerke zu Hört!) beteiligen. Zusätzlich haben wir für die internationale Diese zusätzlichen Mittel stehen ausschließlich für Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Reaktorsicher- Maßnahmen in den neuen Bundesländern zur Verfü- heit noch weitere 14,4 Millionen DM vorgesehen. Das gung. Damit können wir nicht nur Pilotprojekte, ist eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 5 Mil- sondern auch, wie das Ministerium es wünscht, Anla- lionen DM. gen fördern, die jeweils dem neuesten St and der Die Eckwerte für den Gesamthaushalt 1993 wirken Technik entsprechen. sich auch auf den Haushalt des Bundesumweltmi- Ich stelle abschließend fest: Die SPD hat im Haus- nisters aus. Mit 1,26 Milliarden DM Volumen liegt der haltsausschuß keine eigenen Kürzungsvorschläge 10706 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Michael von Schmude gemacht, sondern die Vorstellungen der Koalition mäßig zwar zu den kleineren Haushalten, er ist jedoch akzeptiert. Darüber hinaus — auch das ist ein im Laufe der Haushaltsberatungen unter Wahrung Novum — sind im Haushaltsausschuß von den Sozial- der gesetzten Prioriäten, nämlich die Erfordernisse demokraten keine Anträge auf Ausgabenerhöhungen der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte mit gestellt worden, lieber Herr Kollege Wagner. Ich den Ausgabewünschen und -erfordernissen in Ein- möchte das ausdrücklich betonen. klang zu bringen, stark verändert worden. — Herr Wagner, ich bedaure sehr, daß diese Prioritäten Ihnen Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr von anscheinend nicht ganz klar gewesen sind. — So Schmude, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage von wurden erhebliche Umschichtungen vorgenommen. Herrn Schnell zu beantworten? Der Etat wurde um 28,9 Millionen DM gekürzt, so daß nunmehr noch 1,26 Milliarden DM zur Verfügung Michael von Schmude (CDU/CSU): Wenn das nicht stehen. auf meine Redezeit angerechnet wird, gerne. — Bitte Die erfolgreiche Durchführung von Maßnahmen im schön. Umweltschutz ist jedoch nicht allein von der Höhe der bereitgestellten Mittel, sondern in großem Umfang Dr. Emil Schnell (SPD): Ich verhelfe Ihnen zu etwas von der Effizienz ihrer Verwendung und den gegebe- mehr Redezeit. — Kollege von Schmude, ist Ihnen nen Rahmenbedingungen abhängig. Deshalb ist auch bekannt, warum die Elbe zur Zeit weniger ver- der von den eingesetzten parlamentarischen Bera- schmutzt ist? Kann das daher rühren, daß die ganzen tungsgruppen und von Bundesminister Töpfer vorge- Industriebetriebe zusammengebrochen sind? schlagene Maßnahmenkatalog zur Beschleunigung und Vereinfachung von Genehmigungsverfahren, Michael von Schmude (CDU/CSU): Einige Indu- insbesondere für immissions- und abfallrechtliche striebetriebe sind stillgelegt worden. Grund für die Zulassungsverfahren, zu begrüßen; er sollte schnell- vergleichsweise höhere Wasserqualität der Elbe ist stens umgesetzt werden. nicht nur, daß Betriebe zusammengebrochen sind, sondern das liegt auch daran, daß wir darauf hinge- Die bisher bekannten Vorschläge beinhalten keine wirkt haben, daß Betriebe ihre umweltschädliche,- Absenkung der derzeitigen Standards im Umwelt- belastende Produktion einstellen. Darüber hinaus schutz, sondern sollen die Vereinfachung und sind Kläranlagen in Betrieb gegangen. Beschleunigung von Zulassungsverfahren ermögli- (Widerspruch bei der SPD) chen. Sie bewirken gleichzeitig eine Verbesserung der Umweltbedingungen und eine Attraktivitätsstei- — Selbstverständlich ist das so! — Es sind auch neue gerung für den Wirtschaftsstandort neue Bundeslän Kläranlagen im Bau, deren Inbetriebnahme eine Ver- der. besserung der Gewässerqualität zur Folge haben wird. Da für alle Veränderungen von Genehmigungsver- (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der fahren jedoch die Zustimmung der Länder notwendig SPD: Seit wann ist eine Betriebsstillegung ist, appelliere ich von dieser Stelle aus an die Mitglie- eine Umweltschutzmaßnahme?) der des Bundesrates, im Interesse der Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen sowie im Interesse der Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. schnellstmöglichen Angleichung der Umweltinfra- Noch im Vorjahr hat die SPD Mehrausgaben im struktur und der Umweltbedingungen den Verfah- Geschäftsbereich des Bundesumweltministers von rensvereinfachungen, die wirklich keine Abstriche im 570 Millionen DM gefordert und dafür nur 25 Millio- Umweltschutz bedeuten, ihre Zustimmung zu ge- nen DM Deckung vorgeschlagen. Wenn man ben. bedenkt, daß rund 200 Millionen DM Haushaltsmittel ohnehin nicht ausgegeben werden konnten, dann (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) zeigt sich, wie wenig realitätsbewußt die Sozialdemo- Ein weiteres Problem für den praktischen Umwelt- kraten in diesem Bereich gewesen sind. schutz in den neuen Bundesländern besteht darin, daß (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Nicht nur die Schadensverursacher häufig nicht mehr zur Ver- da!) antwortung gezogen werden können. So gibt es z. B. Die SPD müßte auf Grund ihrer positiven Beglei- nach heutigem Kenntnisstand in den neuen Bundes- tung der Haushaltsausschuß-Beratungen dem Einzel- ländern ca. 50 000 Altlastenverdachtsflächen. Allein plan 16 eigentlich zustimmen. Wir von der Union die Kosten für Gefährdungsabschätzung jedenfalls tun dies und bedanken uns bei Bundesmi- (Unruhe bei der SPD) nister Professor Dr. Klaus Töpfer für seine hervorra- gende Arbeit auf dem Gebiet der Umweltpolitik. — das ist kein Thema zum Lachen, Herr Kollege! —, Schönen Dank. Erstuntersuchung und Gefahrenabwehr werden auf (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 7 Milliarden DM beziffert. Langfristig wird mit zwei- stelligen bis dreistelligen Milliardenbeträgen gerech- net, ohne daß dabei die Kosten für die Aufarbeitung Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nunmehr der militärischen Altlasten und der Rüstungsaltlasten hat die Abgeordnete Frau Dr. Sigrid Hoth das Wort. berücksichtigt sind. Dr. Sigrid Hoth (F.D.P.): Sehr verehrter Herr Präsi- Deshalb ist es notwendig, einen Prioritätenkatalog dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der hier zu zu erarbeiten, durch verwaltungsorganisatorische beratende Haushalt des Bundesministers für Umwelt, Maßnahmen die notwendige Koordinierung zu errei- Naturschutz und Reaktorsicherheit zählt volumen- chen und auch die Umsetzung der Bund-Länder- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10707

Dr. Sigrid Hoth Vereinbarungen über die Finanzierungsregelung zu diesem Hause eigentlich keiner weiteren Diskussion, sichern. da sie der Sicherung der Kernkraftwerke der sowjeti- Sicher ist es auch sinnvoll, diese Altlastenbeseiti- schen Bauarten dient. Das entspricht unserem ureige- gung gemäß § 249h Arbeitsförderungsgesetz in nen Sicherheitsinteresse. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen durchführen zu las- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) sen, da gerade im Altlastenbereich die Sanierung Deshalb sollte die Bereitstellung dieser Mittel nicht in dringlich und ohne Förderung kaum zu bewältigen einer solchen Art und Weise diskutiert werden. ist. (Zurufe von der SPD) Die Sanierung ökologischer Altlasten ist gleichwohl Die dafür zur Verfügung gestellten Mittel mußten ein riesiges Aufgabengebiet für mittelständische jedoch ebenfalls an anderer Stelle eingespart werden. Unternehmen, insbesondere für solche aus den neuen Obwohl insofern viele wichtige Aufgaben zurückge- Bundesländern, denen diese Aufgaben zunehmend stellt werden mußten, glaube ich, daß unter Wahrung auch übertragen werden sollten. der bereits angeführten Prioritäten mit diesem Haus- Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Rahmen der halt der Rahmen so gesetzt wurde, daß wir auf dem Haushaltsberatungen konnten wir jedoch auch erheb- richtigen Weg sind. liche Verbesserungen der finanziellen Mittel für die neuen Bundesländer erreichen. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Frau Dr. Hoth, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abge- (Susanne Kastner [SPD]: Das ist aber nett!) ordneten Schily zu beantworten? — Hören Sie mir doch erst einmal zu! — So wurden für Investitionen zur Verminderung von Umweltbela- Dr. Sigrid Hoth (F.D.P.): Ja; bitte. stungen 29 Millionen DM mehr und somit nunmehr 207,8 Millionen DM etatisiert. Diese Mittel sollen für Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Bitte Demonstrationsprojekte in großtechnischem Maßstab schön. zur Verfügung stehen, in den neuen Bundesländern aber auch für Umweltschutz-Sofortmaßnahmen, die Otto Schily (SPD): Frau Kollegin, Sie haben hier den neuesten Stand der Technik demonst rieren, ein- hervorgehoben, daß Mittel zur Hebung des Sicher- gesetzt werden können. heitsstandards der sowjetischen Atomkraftwerke (Susanne Kastner [SPD]: Trinkwasser!) nach dem Tschernobyl-Modell bereitgestellt werden. Könnten Sie uns sagen, welche Maßnahmen genau Angesichts der schweren Umweltschäden und der damit finanziert werden sollen? mangelhaften Infrastruktur ist dies unbedingt not- wendig. Dr. Sigrid Hoth (F.D.P.): Die Mittel sind auf Bitten Man wird sich jedoch darauf einstellen müssen, daß des Umweltministeriums erst für 1993 bereitgestellt die im Einigungsvertrag geforderte Angleichung der worden. Welche Maßnahmen damit im einzelnen Umweltbedingungen noch Jahre, wenn nicht Jahr- durchgeführt werden können, kann der Umweltmi- zehnte in Anspruch nehmen wird. Dies zu akzeptieren nister sicher besser beantworten als ich. Es geht in wird um so schwerer fallen, je mehr in den alten erster Linie darum, den Zustand der kerntechnischen Bundesländern der ohnehin bestehende gewaltige Anlagen zu sichern. Vorsprung ausgebaut wird. Zwar habe ich mich als (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Bürgerin der neuen Bundesländer in meinem Vortrag Ich muß hinzufügen: Ich bin kein Fachmann, bisher vorrangig auf die enormen Probleme meiner engeren Heimat konzentriert; aber ich habe dies nicht (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Schily zuletzt deshalb getan, weil Umweltverschmutzung auch nicht! Er ist noch weniger Fachmann als nicht an regionalen Grenzen, Ländergrenzen halt- Sie!) macht und in absehbarer Zeit weitreichende, wenn kein Physiker und kein Be treiber kerntechnischer nicht sogar globale Auswirkungen zu erwarten Anlagen. sind. In diesem Zusammenhang möchte ich auch den im Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Frau Kol- Lauf der Haushaltsberatungen eingestellten Betrag legin, der Abgeordnete Schily möchte eine Nachfrage zum multilateralen Fonds für die Verbesserung der stellen. Sicherheit von Kernkraftwerken sowjetischer Bauart in Höhe von 21 Millionen DM und die Verpflichtungs- Dr. Sigrid Hoth (F.D.P.): Ich lasse die Nachfrage ermächtigungen zu. (Zuruf von der SPD: Was ist das?) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Bitte in Höhe von 43 Millionen DM für 1994 erwähnen. — sehr. Wenn Sie nicht wissen, was das ist, dann sollten Sie vielleicht den Umweltetat gründlich lesen, bevor Sie Otto Schily (SPD): Frau Kollegin, meinen Sie nicht nachher dazu reden. Ich erkläre Ihnen das aber auch, daß man dann, wenn man über die Bereitstel- gern. lung von Mitteln berät und entscheidet, genau wissen Die Beteiligung an diesem im Jahre 1993 zu grün- muß, für welche Maßnahmen diese Mittel vorgesehen denden Fonds mit einem über drei Jahre verteilten sind? Gesamtvolumen von 600 Millionen DM bedarf in (Zurufe von der CDU/CSU) 10708 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Dr. Sigrid Hoth (F.D.P.): Die Tatsache, Herr Kollege, Ansicht bin, daß wir auf diesem Weg nur mit recht daß Sie diese Nachfrage hier stellen, zeigt mir, daß kleinen Schritten vorwärtsschreiten. auch Sie den Umweltetat und die Erläuterungen im Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Detail nicht gelesen haben. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Zurufe von der SPD) Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich die einzelnen Maßnahmen nicht konkret hier vortragen kann, weil Das Wort mir der Etat zur Zeit nicht vorliegt. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: hat die Abgeordnete Dr. Dagmar Enkelmann.

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nun ha- ben wir noch den Abgeordneten Diller als Zwischen- Dr. Dagmar Enkelmann (PDS/Linke Liste): Herr frager. Sie können fortfahren oder die Zwischenfrage Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beschäfti- zulassen, wie Sie wollen. gen uns jetzt mit einem der traurigsten Kapitel dieser Haushaltsberatungen, Dr. Sigrid Hoth (F.D.P.): Ich lasse auch diese Frage (Zuruf von der CDU/CSU: Hinterlassenschaft zu. der DDR! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU — Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Sie haben leider recht!) Karl Diller (SPD): Vielen Dank, verehrte Kollegin. — Da Sie nicht in der Lage sind, sich genau zu erinnern, und das in einem Jahr, in dem in Rio Versprechungen wofür das Geld verwendet werden soll, wie kommen über Versprechungen gemacht wurden. Ihre, Herr Sie denn eigentlich dazu, abzuschätzen, daß die Töpfer, habe ich ja noch halbwegs ernst genommen; bereitgestellten Mittel überhaupt ausreichend sind? beim Kanzler hatte ich da schon in Rio meine Schwie- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Haben Sie rigkeiten. einen Erhöhungsantrag gestellt?) (Zurufe von der CDU/CSU) — Wenn Sie alle durcheinandersprechen, kann ich Dr. Sigrid Hoth (F.D.P.): Ich habe nicht davon leider nichts verstehen. gesprochen, daß die bereitgestellten Mittel ausrei- War bereits im Etatentwurf des Umweltministers chend sind, sondern ich habe — Sie können das im eine Reduzierung um 3,5 % für 1993 vorgesehen, so Protokoll nachlesen — die Summe von 21 Millionen soll dieser Schrumpfetat jetzt noch weiter gekürzt DM erwähnt, die für das Jahr 1993 bereitgestellt werden, und zwar auf 1,259 Milliarden DM. Das worden ist, entspricht einer Reduzierung gegenüber dem Vorjahr (Zuruf von der F.D.P.: Jede Reise beginnt mit um real 6 %. Während der Jäger 90 weiter am Haus- dem ersten Schritt!) halt nagt, während im Forschungs- und Technologie- und ich habe erwähnt, daß für 1994 43 Millionen DM haushalt Milliarden für Atomtechnologie verbraten bereitgestellt worden sind. Ob diese Mittel ausrei- werden, wird der Umwelt der Hahn zugedreht. Sie, chen, ist sicher erst dann zu diskutieren, wenn das Herr Minister, sehen dabei mit traurigen Augen zu. Konzept des Umweltministeriums vorliegt und in Oder sehen Sie etwa schon weg? seinen konkreten Auswirkungen besprochen werden (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Er guckt sehr kann. Wir werden dann sicher im nächsten Jahr bei fröhlich! — Weitere Zurufe — Anhaltende den Haushaltsberatungen über die Höhe dieser Mittel Unruhe) befinden müssen. (Susanne Kastner [SPD]: Dann werden Sie Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine hoffentlich endlich wissen, was es ist!) Herren, etwas ruhiger! — Bitte schön.

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Frau Ab- Dr. Dagmar Engelmann (PDS/Linke Liste): Das ist geordnete, nun fahren Sie in Ihrer Rede fort. freundlich von Ihnen. Ich möchte hier konkret und aus aktuellem Anlaß (F.D.P.): Liebe Kolleginnen und Dr. Sigrid Hoth den Ausstieg aus dem unsinnigen europäischen Brü- Kollegen, ich möchte jetzt zum Schluß kommen. Ich ter-Projekt von der Bundesregierung einfordern. bleibe bei der Auffassung, daß es bedauerlich ist, daß Einen entsprechenden Antrag hat die PDS/Linke Liste wir infolge der gesetzten Prioritäten viele wichtige inzwischen eingebracht. Aufgaben zurückstellen mußten. Ich glaube, daß wir trotzdem auf dem richtigen Weg sind, auf dem Weg zu Die britische Regierung hat mit ihrem Ausstieg aus einer ökologischen Marktwirtschaft, die zu umweltge- diesem Faß ohne Boden rechteren Produkten und Produktionen führt, auf dem (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Faß ohne Weg zur Umsetzung der Konferenz von Rio, und zwar Deckel!) vor allem in den Bereichen Umwelt und Verkehr mehr Realitätssinn bewiesen als Herr Riesenhuber, sowie Energie und Umwelt, und auch auf dem Weg zu der Experte für Science Fiction, oder auch die Atom- einer konsequenten Abfallpolitik. pyromanen in Frankreich. (Zurufe von der SPD) Was wir heute und in Zukunft brauchen, sind keine Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch ohne die Eurobrüter, die schon in der Projektphase immer kritischen Zwischenfragen von seiten der SPD hätte höhere Kosten, Inflation und später Atommüll erbrü- mein Schlußsatz so gelautet, daß ich allerdings der ten. Was wir brauchen, sind z. B. Investitionen und Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10709

Dr. Dagmar Engelmann Forschungsmittel für eine umweltfreundliche Ener- Die Hoffnung vieler Gewerbetreibender auf gieversorgung in den Kommunen, und zwar gerade in schnellstmögliche Ansiedlung gerade im Osten, z. B. denen in Ostdeutschland. Hier hätten wir die Chance im Kreis Bernau mit zahlreichen Liegenschaften der für einen tatsächlichen Neuanfang. GUS-Truppen, kann so wohl begraben werden. Offensichtlich ist es wichtiger, neue Autobahnen in Frau Kollegin Hoth, Sie haben gerade von Effizienz die Landschaft zu fräsen, als tatsächlich Bedingungen der im Etat enthaltenen Mittel gesprochen. — Gerade für die Entwicklung mittelständischen Gewerbes zu im Osten ließe sich durch Sanierungsprojekte viel für schaffen. Daß „Immer mehr Straßen" ohnehin oberste die Umwelt und viel gegen Massenarbeitslosigkeit Priorität hat und der Schutz der Umwelt im Verkehrs- tun. bereich sowieso hinten runterfällt, haben wir schon (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Kommu heute mittag ausgiebig debattiert. nistische Altlast!) Uns ist nicht klar, welche Rolle Herr Töpfer im „Großen Umwelt-Streichkonzert" der Regierung Nötig wären hier Mittel für ABM-Stellen im Natur- eigentlich spielt. schutz und für Forschungsvorhaben auf diesem Gebiet, die langfristig Tausende von Dauerarbeits- (Hans Georg Wagner [SPD]: Die erste plätzen schaffen könnten. Mit Beispielen für solche Geige!) Projekte habe ich Sie in den Ausschüssen und hier im Vielleicht spielt er auch im falschen Stück, oder Theo Plenum bereits ausreichend genervt. Sollten Sie noch hat nicht die richtigen Noten dabei. Die zarten Pan- Bedarf haben, können Sei mich jederzeit fragen. flötenmelodien des Umweltministers gehen unter, wenn der Finanzminister den Bayerischen Defilier- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie waren im marsch nach Art des BDI mit der Kesselpauke letzten Monat doch gar nicht im Umweltaus spielt. schuß!) Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Notwendig ist die Sanierung von Seen und Flüssen. (Beifall bei der PDS/Linke Liste und bei Viele, die durch die Reduzierung der Braunkohleför- - Abgeordneten der SPD — Eduard Oswald derung ihre Arbeit in den Revieren der Lausitz und in [CDU/CSU]: Das ist ein richtiger Schmarrn, Bitterfeld verloren haben, könnten mit Mitteln aus ein Unsinn!) dem Umweltetat in der Sanierung von Altlasten eine sinnvolle Beschäftigung finden, wenn dies politisch nur gewollt wird. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Feige. Wir brauchen Mittel für die Anschubfinanzierung von innovativen Entwicklungen, wie es z. B. der Öko-Kühlschrank der dkk-Scharfenstein ist. Aber was Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- passiert, ist, daß bei den meisten Treuhandunterneh- NEN): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen men zuallererst die Forschungs- und Entwicklungsab- und Herren! Eigentlich wollte ich gar nicht herkom- teilung, also die Abteilung, die die Chance geboten men, weil ich mir dachte: Was lohnt es sich, für hätte, tatsächlich neu in die Produktion einzusteigen, 1 Milliarde DM hierherzukommen? geschlossen worden ist. (Heiterkeit und Beifall bei dem BÜND (Beifall bei der PDS/Linke Liste) NIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der PDS/Linke Liste) Wir brauchen natürlich ebenso Mittel für die Sanie- rung der geschundenen Landschaft im Ruhrgebiet, — Moment, moment! Nicht etwa deshalb, weil ich wo eine mehr als 100jährige Ausplünderung von nicht der Meinung wäre, daß dies einer der wichtigen Menschen und Umwelt ihre Spuren hinterlassen hat, Haushalte ist, sondern deshalb, weil ich glaube, daß die dort nur notdürftig zugedeckt wurden. Ich nenne die eigentliche Umweltdebatte heute früh stattgefun- hier die Altlasten um Dortmund herum, damit hier den hat, als der Verkehrshaushalt und der Wirt nicht nur einseitig über Ostaltlasten geredet wird. beraten worden sind. Da sind nämlich-schaftshaushalt die Ursachen für das gelegt, was mit dem Haushalt Ein besonderes Kapitel ist die Sanierung der militä- von Herrn Töpfer ausgeräumt werden soll. rischen Hinterlassenschaften. Giftgasgranaten, Mu- (Dr. Ulrich Briefs [fraktionslos]: Nicht ausge nition jeder Art und hochgiftige Sprengstoffe im räumt!) Boden, zum Teil noch aus dem letzten Weltkrieg, sind lebensgefährliche Altlasten, die dringend beseitigt Vergleichen wir das doch einfach einmal: Herr werden müssen. Dies gilt auch für die militärischen Möllemann und Herr Krause haben zusammen etwa Hinterlassenschaften in den Kasernen der GUS-West- 60 Milliarden DM, und das soll nun mit dieser gut truppe, für Depots der US-Armee und für Flugplätze 1 Milliarde DM aufgeräumt werden. — Ich bin also der britischen Rhein-Armee, z. B. in Wildenrath, die zutiefst entsetzt. nun geräumt werden und durch jahrzehntelangen Ich finde auch die Diskussion, die Art, wie wir an sogenannten militärischen Normalbetrieb ein ökolo- diesen Haushalt herangegangen sind, ein bißchen gisches Desaster hinterlassen. Die Bundesregierung peinlich. Erinnern wir uns doch an die Diskussion im aber streicht den viel zu knappen Mittelansatz des Umweltausschuß, in der wir gemeinsam — fraktionen- BMFT für die Herrichtung von freigegebenen militä- und gruppenübergreifend — gefordert haben — ich rischen Liegenschaften um 100 Millionen DM auf erinnere mich noch sehr gut an die Worte von Herrn gerade 40 Millionen DM zusammen. Baum —: Dieser Haushalt muß größer werden. — Herr 10710 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Dr. Klaus-Dieter Feige Töpfer, Sie erinnern sich gewiß daran, daß sogar ich Da lese ich heute früh erfreut, daß einer eine Idee mich kämpferisch für die Erhöhung Ihres Haushalts hat, nämlich der Herr Möllemann. In der „Süddeut- eingesetzt habe, ganz einfach deshalb, weil ich nicht schen Zeitung" steht: einsehe, daß wir da zurückstehen. Mit der für einen Wirtschaftspolitiker überra- (Zurufe von der CDU/CSU) schenden Forderung nach einer höheren Mine- ralölsteuer schwenkt Möllemann auf die Linie Und was ist passiert? — Soeben höre ich, daß nicht von Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) einmal die Koalition dieses Votum aus einem mitbe- ein. Töpfer macht sich aus Gründen der Energie- ratenden Ausschuß aufnimmt und etwas einbringt. Es effizienz ebenfalls für höhere Energiepreise gelingt Ihnen, daß alle den Eindruck haben müssen: stark... Bei einem Treffen am 8. Dezember Keiner hat ein Interesse daran gehabt, daß dieser wollen beide Minister über das Thema spre- Haushalt größer wird. — Das stimmt in diesem Sinn chen. einfach nicht! Das finde ich toll. (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Sie ha Da hat also mal einer eine Idee. Ob das geistiger ben noch gar nichts zur Sache gesagt!) Diebstahl ist, ist mir völlig egal; in der Politik liegt die Ich habe nicht vor, die vielen Kommentare, die es Verjährungsfrist für geistigen Diebstahl ja bei zehn schon zu Details gibt, zu untermalen. Minuten. Es kommt nur darauf an, daß er eine gute Idee aufgreift. Der Umweltausschuß hat also debattiert und gejam- mert. Herausgekommen ist nichts. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD — Steffen Kampeter [CDU/ (Zurufe von der CDU/CSU) CSU]: Jetzt sind es bloß noch fünf Minu Nun höre ich wieder die vielen Zahlenspielereien, ten!) höre, daß massenweise Milliarden in den vielen ande- Ich frage Herrn Möllemann heute: Wie sieht es nun ren Haushalten enthalten sind. aus? Stehen Sie zu dem Wort? — Und Herr Möllemann - schweigt. Er hatte die Chance, heute darauf zu ant- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das müs worten. sen auch Sie zur Kenntnis nehmen!) (Zurufe von der CDU/CSU) Es wäre wirklich peinlich, wenn Sie auch noch den Bundesverkehrswegeplan, den Herr Krause für den Weitere Zitate: ersten ökologischen hält, oder möglicherweise gar Lambsdorff sagte, eine höhere Kreditaufnahme alle Truppenübungsplätze unter „Ökologie und und Steuererhöhungen in den Jahren 1993 und Umwelt" einsortieren wollten. Dann könnten Sie 1994 kämen als Finanzierung des Aufbaus Ost gleich auch den ganzen Haushalt von Herrn Rühe nicht in Frage. Ausgenommen sei aber eine dazunehmen, und dann wäre das ganz phanta- Anhebung der Mineralölsteuer: „Das kann auch stisch. — Solche Zahlenspielereien bringen uns nichts. vor 1995 sein." Wir müssen die Realitäten sehen, wie sie sind. Und: (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Immer Die Umweltministerkonferenz hält eine deutli- noch nichts zur Sache!) che, spürbare und sofort wirksam werdende Ich zitiere Herrn Töpfer, der mich in der Debatte Erhöhung der Mineralölsteuer für erforderlich. vom 10. September gefragt hat: Usw. usw. Stimmen Sie mir zu, daß es eine gute Arbeitstei- Was ist denn nun los? lung ist, daß der Umweltminister das vorzule- (Zurufe von der SPD: Nichts!) gende Sanierungskonzept unabhängig beurteilt, die Finanzlast dann aber beim Besitzer, in diesem Der eine möchte sie für Verkehr, der andere für Fall beim Bundeswirtschaftsminister, aufzuneh- Umwelt. Weiß überhaupt noch jemand, ob es zu men ist? dieser wirklich sinnvollen Mineralölsteuererhöhung kommt? — Es geht um die Sanierung der Wismut. — Dazu muß Nehmen wir einfach einmal die Worte von Herrn ich sagen: Nein, da kann ich nicht zustimmen. Krause von heute, der sich dazu geäußert hat, daß Als wir die Große Anfrage zur Wismut-Sanierung diese Konflikte, die hier offen sind und die die Bürger debattiert haben, haben alle gesagt: Es muß mehr in diesem Lande sehr beunruhigen, ausgeräumt wer- Geld dafür da sein; die 150 Millionen DM reißen den. Da sagt also Herr Krause: Löcher. — Und heute ist — mit den Voten aller Ich kann sowohl aus der Sicht der wirtschaftlichen Fraktionen — wieder nichts passiert! Entwicklung in Deutschland als auch aus den Das wird nicht weiterb ringen. Wir erhoffen uns ja Gefahren, daß Deutschland als Dienstleister im etwas von den anderen Ministern und deren Haushal- Verkehr ... den Ansatz einer Mineralölsteuerer- ten. Aber wenn man bei Ihnen immer weiter stutzt und höhung in dieser Situation überhaupt nicht ver- wenn Sie irgendwann nichts mehr zu verwalten stehen. haben, dann wird auch Ihre vielbeachtete Aufsicht An späterer Stelle: dort nichts bringen. ... mit der „Käseglockentheorie Mineralölsteu Also: Kein Geld, kein Geld, kein Geld. ererhöhung" sei nicht alles zu machen. Er könne Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10711

Dr. Klaus-Dieter Feige

diese Forderung überhaupt nicht verstehen, Gilt das, was der VCI - Vorsitzende, Herr Hilger, von „allerdings gehe ich da von einem naturwissen- den Farbwerken Hoechst als Maßgabe abgegeben schaftlich intellektuellen Ansatz aus". hat, daß nämlich für zehn Jahre eine Ökopause (Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ einzutreten hat, oder gilt noch, was der Bundesum- NEN, der SPD und der PDS/Linke Liste) weltminister überall verkündet? Meint Krause, der Möllemann sei ein Depp? Das ist (Zurufe von der CDU/CSU: Wollen Sie der doch die Aussage! Pausenfüller sein? — Wir brauchen einen Pausenclown für die Zwischenzeit!) Ich bitte Sie, Herr Töpfer: Vielleicht können Sie als wirklich kompetenter Mann klar etwas dazu sagen: Wenn ich mir den Haushalt von Herrn Töpfer Wie wird es in Zukunft aussehen? Wird es zu einer anschaue — darüber ist heute schon sehr viel gesagt solchen Erhöhung kommen? worden —, dann, Herr Kollege Töpfer, würde mich schon interessieren, wie es sich mit Ihren großen (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Die Mine Ankündigungen unter dem Stichwort Klimaschutz ralölsteuer wird einfach nur für Nicht-Auto verträgt, daß der Verkehrshaushalt um fast 10 % fahrer erhöht!) erhöht wird, während ihr Haushalt am meisten gerupft Die Bürger in diesem Lande wollen sie. Die Wirtschaft wurde, nämlich um 6 %. braucht sie. Wir müssen endlich klar wissen: Gibt es eine neue Steuerlüge oder nicht? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS/Linke Liste) Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Es mag ja sein, daß wir das nicht auf den ersten Blick (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, nachvollziehen können, bei der SPD und der PDS/Linke Liste) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das war ein guter, weiser Beitrag!) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile sondern daß das nur dieser verehrte Herr, der Ihnen in dem Staatsminister für Energie, Umwelt und Bundes- der zweiten Runde nochmals fast doppelt soviel raus angelegenheiten des Landes Hessen, Joschka- Fi- gerupft hat wie der Finanzminister, das begreift. Aber scher, das Wort. es wäre interessant, von Ihnen zu hören, worin der (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das kann Klimaschutzaspekt der Ausweitung des Verkehrs- doch nicht wahr sein! Heute bleibt uns über haushalts und der überproportionalen Kürzung des haupt nichts erspart! Mollig ist er gewor Umwelthaushalts besteht. den!) (Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Haben Sie auch Ihren Haushalt dabei?)

Staatsminister Joseph Fischer (Hessen): Herr Präsi- Was, Herr Töpfer, ohne jeden Zweifel Ihre Umwelt- dent! Meine Damen und Herren! Wenn man hier politik auszeichnet, ist, daß Sie allemal gute Werbung zuhört, kann einem der Bundesumweltminister fast machen. schon leid tun. ( [CDU/CSU]: Gut ist (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wieso nicht nur die Werbung!) denn das?) Anläßlich der letzten Bundesratssitzung konnte man Wenn man den Haushalt liest, dann möchte man fast etwa dem „FAZ-Magazin" eine Anzeige mit der in Tranen ausbrechen. Überschrift „Rio gegen Baumtod" entnehmen. (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Das ist (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Das wahr!) hat Sie getroffen!) Man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll. — Das hat mich überhaupt nicht getroffen, sondern Dabei ist es eigentlich bitter ernst; denn wenn man die erfreut. Lage der Umwelt, den Stand der Umwelpolitik heute In dieser Anzeige heißt es: betrachtet Um den Wald in den Entwicklungsländern zu (Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: In Hes schützen, stellt die Bundesregierung in ihrem sen!) Tropenwaldprogramm jährlich rund 300 Mio. DM — in Deutschland! —, dann muß man feststellen, daß zur Verfügung. die Umweltpolitik mehr und mehr unter die Räder der Wirtschaftskrise zu geraten droht. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr gut!) Darum halte ich es für wichtig, an Hand des In Deutschland wurde der Startschuß für eine Haushalts über die Lage der Umwelt zu diskutieren. ökologische Waldwirtschaft Die Frage, die der Bundesumweltminister beantwor- — hört! hört! — ten muß, ist: Was gilt eigentlich noch in der Umwelt- politik dieser Bundesregierung? nicht erst in Rio gegeben. Seit 1982 werden zahlreiche Maßnahmen zur Luftreinhaltung (Rudolf Purps [SPD]: Nichts!) durchgeführt. Beispielsweise konnte der Ausstoß Das ist die entscheidende Frage! von Schwefeldioxid allein in den 80er Jahren um (Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Haben Sie 60 Prozent reduziert werden. denn mal Ihren Haushalt mitgebracht?) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Aha!) 10712 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Staatsminister Joseph Fischer (Hessen) Der Ausstoß von Staub ging um 40 Prozent betont hatte, zu der wichtigen Erkenntnis: „Diese zurück. Auch bei Stickoxiden wurden wichtige Erfolge jedoch werden fast aufgehoben, weil die Erfolge erzielt. Stickoxyde aus dem Verkehr — trotz der Einführung des Katalysators — weiter wachsen. " Die „Frankfurter (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Richtig!) Allgemeine Zeitung" fuhr fort: „Drastische Maßnah- Jetzt geht es darum, die Kohlendioxidemissionen men scheinen dennoch nötig, selbst wenn sie erheblich zu vermindern. schmerzlich sind. " (Michael von Schmude [CDU/CSU]: Weiter Die drastische Maßnahme dieser Bundesregierung so!) besteht darin, den Haushalt des Bundesumweltmini- Vor Rio dabei — nach Rio erst recht. Wenn Sie sters um 6 % zu kürzen und den Haushalt des Ver- mehr über Rio und unsere Umwelt wissen wollen, kehrsministers um fast 10 % zu erhöhen. Das versteht dann schreiben Sie an Bundesumweltminister diese Bundesregierung offensichtlich unter ökolo- Dr. Klaus Töpfer. gisch drastischen Maßnahmen. (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei dem (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der SPD und der PDS/Linke Liste — Adolf der PDS/Linke Liste) Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Und was wollen Sie selber?) Ich hoffe, Sie klatschen jetzt gleich auch, wenn ich einen Bericht von Landwirtschaftsminister Kiechle Die Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz mit der zitiere. Wenige Tage später stieß man bei der Zei- Landwirtschaftsklausel ist, glaube ich — es mag ja tungslektüre darauf, daß von Ihrem Kollegen Kiechle sein, daß das noch nicht bis zu mir durchgedrungen der Öffentlichkeit hier in Bonn der Waldschadensbe- ist —, schon in der letzten Legislaturperiode angekün- richt vorgestellt wurde. Die „Süddeutsche Zeitung" digt worden. Wir haben davon eigentlich nichts mehr schrieb am 13. November 1992 „Waldschadensbericht gehört. meldet weitere Verschlechterung — Forstbesitzer (Hans Georg Wagner [SPD]: Ab ins Mu werfen Bundesregierung Untätigkeit vor- — Minister seum!) Kiechle: Zu viele Schadstoffe gelangen in die Um- welt / Zustand der Bäume in Ostdeutschland sehr Bodenschutzgesetz, Umweltinformationsgesetz, Ver- ernst". Ich zitiere weiter — jetzt klatschen Sie merk- waltungsvorschriften zur Umsetzung des UVP-Geset- würdigerweise nicht mehr —: zes — man fragt sich: Wo bleibt das alles gegenwärtig? Die CO2-Abgabe, einer der Kernbereiche in der Die vor allem durch die Schadstoffe in Luft und Koalitionsvereinbarung dieser Bundesregierung und Boden verursachten Waldschäden haben in auch einer der Kernbereiche unter dem Gesichts- Deutschland weiter zugenommen. Wie Bundes- punkt des Klimaschutzes, den sich dieser Bundesum- ernährungsminister Ignaz Kiechle bei der Vor- weltminister völlig zu Recht aufs Panier geschrieben stellung des Waldzustandsberichts 1992 in Bonn hat, ist vertagt. Sie wurde zuerst nach Brüssel vertagt; sagte, sind inzwischen 68 Prozent der Bäume von Brüssel wurde sie nach Washington vertagt; und geschädigt. Das sind vier Prozentpunkte mehr als man weiß nicht, wohin sie von Washington aus noch 1991. Der Anteil der deutlich geschädigten weitervertagt wird. Bäume nahm um zwei Prozentpunkte auf 27 Pro- zent zu. „Der Zustand des deutschen Waldes hat (Zuruf von der CDU/CSU: Nach Hessen!) sich 1992 leider verschlechtert", faßte der CSU- Sie kommt nicht. Politiker die Ergebnisse zusammen. Auch die Mineralölsteuererhöhung spielt eine ent- Das sind die harten Fakten. Das andere war teure scheidende Rolle. Man stellt sich auch die Frage: Wo Werbung, Hochglanzwerbung. bleibt die Smog-Verordnung nach § 40 Abs. 2 des (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bundes-Immissionsschutzgesetzes? Die Wärmenut- und der SPD) zungsverordnung, die Chemikalienverbotsverord- Dioxinverordnung — alles angekündigt. Da erwarten wir eine Erklärung, Herr Bundesminister, nung, die Das hat sich nicht die Opposition ausgedacht, sondern wie sich das miteinander verträgt. das sind alles Ankündigungen des Bundesumweltmi- Die „Frankfurter Rundschau" überschrieb am nisters. 20. Oktober 1992 einen Artikel mit den Worten: „Auch der Katalysator half dem Wald nur wenig — Schadens Ich wäre davon ja überzeugt, wenn er uns jetzt bilanz 1992 vorgelegt / Bloß fünf Prozent der älteren mitteilte, welches der Sachstand ist. Er wird immer Buchen tragen noch volles Laub" . wieder sagen: Der Referentenentwurf ist fast fertig, wir stehen kurz vor der Kabinettseinbringung bzw. es (Michael von Schmude [CDU/CSU]: Zitieren ist im Kabinett eingebracht worden, aber ich bin dort Sie mal die „taz"!) auf die Ökologen Waigel und Möllemann gestoßen! Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung", die ja nun Das ist dann in der Regel das Ende vom Lied. wirklich über jeden grünen Verdacht erhaben ist, Herr (Heiterkeit und Beifall bei dem BÜND Kollege Töpfer, NIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Gott sei PDS/Linke Liste) Dank!) Man könnte dies weiterführen. Ich erinnere auch an kam am 13. November 1992, nachdem sie die Erfolge die Abfallabgabe. Der Bundesumweltminister wird bei der Vermeidung von Schwefeldioxidemissionen sich gleich hier hinstellen und sicher auch auf das Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10713

Staatsminister Joseph Fischer (Hessen) hinweisen, was er außerhalb von Haushaltsveran- nen Beitrag zur Finanzierung der deutschen Einheit schlagungen tatsächlich erreicht. zu leisten? (Michael von Schmude [CDU/CSU]: Das (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der habe ich Ihnen doch schon erzählt!) CDU/CSU) Wenn das richtig ist, sollte man meines Erachtens Herr Minister, können Sie mir zweitens zustimmen, dem Bundeskanzler dringend zu einem Wechsel in daß es umweltpolitisch eigentlich falsch ist, in den der Ressortbesetzung raten. Dann wäre Herr Töpfer alten Ländern immer mehr Mittel für den Umwelt- nämlich der ideale Sanierer für die Bereiche, in denen schutz bereitzustellen, während — wir haben alle hohe Subventionen vorhanden sind. Er müßte die ausführlich darüber debattiert — in den neuen Bun- Industrie dann tatsächlich dazu bewegen, Subven- desländern erheblich mehr Mittel für den Umwelt- tionsabbau im Sinne freiwilliger Leistungen zu betrei- schutz bereitgestellt werden müßten? ben. Das ist ja im wesentlichen das, was er sich zugute hält. (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Darüber denkt er nicht nach! — Steffen Kampeter Ich habe vorhin gesagt, das alles sei eigentlich zum [CDU/CSU]: Er will ja zurück nach Bonn! — Lachen. In Wirklichkeit ist es zum Weinen, Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Der Wan (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Was denn dervogel!) nun?) weil der Zustand der Umwelt in diesem Lande — das hat der Waldschadensbericht klargemacht — nach Staatsminister Joseph Fischer (Hessen): Frau Kolle- wie vor traurig ist. gin Hoth, ich glaube, wir sind da gar nicht so weit auseinander. Die Behauptung, wir hätten einen Spitzenplatz bei der Umweltsanierung und im ökologischen Umbau (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist eine dieser Industriegesellschaft, gefährliche Aussage!) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das bestätigt Wir sind nur in dem Punkt auseinander, daß Sie sagen, - Ihnen jeder!) die alten Bundesländer hätten sich bisher verweigert. kann man jetzt an Hand harter Zahlen — sowohl des Ich darf Sie darauf hinweisen: Wir hatten das Konzept Waldschadensberichts als auch der Haushaltszah- einer Abfallabgabe. Diese Abfallabgabe sollte in der Größenordnung von Milliardenbeträgen vom Bund len — verifizieren. Dabei stellt man fest: Die Umwelt- und von den Ländern gemeinsam aufgebracht und zur politik hat bei dieser Bundesregierung die Schluß- lichtfunktion. Sie ist die rote Laterne im Haushaltsge- Altlastensanierung eingesetzt werden. Die alten Län- leitzug dieser Bundesregierung. der waren bereit — Hessen hat sich immer dafür verwendet , auf Grund der besonderen Belastun- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, gen, die den neuen Ländern auferlegt sind, für einen der SPD und der PDS/Linke Liste — Adolf längeren Zeitraum, etwa fünf Jahre, 40 % des Auf- Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Jetzt erklären Sie kommens aus dieser Abfallabgabe auf dem Weg von mal, warum Sie aus Hessen weggehen wol Staatsverträgen an die neuen Bundesländer abzutre- len!) ten. — Wollen Sie wissen, wie groß unser Umwelthaushalt (Ulrich Klinkert [CDU/CSU]: Das können sie für Hessen ist, ein Land mit 5,5 Millionen Einwoh- doch machen!) nern? Unser Umwelthaushalt be trägt über 400 Millio- nen DM. Rechnen Sie das einmal proportional auf das — Nein, das können wir nicht. um, was der arme Kollege Töpfer hier vorzuweisen (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie können hat. Dann werden Sie diese Frage nicht noch einmal dort von Ihren 400 Millionen so viel investie stellen. ren, wie Sie wollen! — Abg. Dr. Sigrid Hoth [F.D.P.] meldet sich zu einer weiteren Zwi schenfrage) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Staatsminister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage der — Herr Präsident, ich höre das sehr gerne. Vorausset- Abgeordneten Frau Dr. Hoth zu beantworten? — Bitte zung ist, daß Sie das Zuhören und das Antworten auf sehr, Frau Abgeordnete. die Fragen nicht auf meine Redezeit anrechnen. Ich weise die Behauptung zurück, die alten Bundes- länder hätten sich der Solidarität verweigert. Dr. Sigrid Hoth (F.D.P.): Herr Minister, ich stimme Ihnen zu, daß die Senkung des Umweltetats sehr (Michael von Schmude [CDU/CSU]: Mit bedauerlich ist. Ich persönlich als Berichterstatterin Nachdruck sage ich das!) für diesen Etat hätte gern eine Erhöhung gesehen. Ich füge sogar hinzu — völlig ungeschützt —, daß ich (Karl Diller [SPD]: Warum hast du denn auch in der Umweltpolitik für eine Vorrang-Ost- nichts beantragt? Warum hast du mitge Politik bin, macht?) (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Minister, können Sie mir aber zustimmen, daß und der SPD) erstens die reichen alten Bundesländer einen weit d. h. für die Überlegung, wieweit es sinnvoll wäre, das größeren finanziellen Spielraum für die Verwirkli- Nordseeschutzprogramm — das ich überhaupt nicht chung umweltpolitischer Maßnahmen haben, da sie kritisiere, sondern das ich richtig finde — auf das sich bisher stets geweigert haben, einen angemesse Elbe-Einzugsgebiet zu konzentrieren, inwieweit wir 10714 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Staatsminister Joseph Fischer (Hessen) hier also bestimmte gesetzliche Änderungen vorneh- land mit schlimmen politischen Folgen kommt. Ich men sollten. hoffe, wir können uns auf solch eine Position auch (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Was sagt über die Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg eini- denn der Engholm dazu?) gen. Ich bin nämlich der Meinung, daß eine in Leipzig oder Worauf wir uns allerdings nicht einigen können, das Halle eingesetzte Mark wesentlich mehr bringt, als ist die Schwächung der Umweltpolitik in dieser Bun- wenn wir sie in Frankfurt, Kassel, Gießen und Stutt- desregierung. gart einsetzen. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der SPD und der PDS/Linke Liste) und der SPD sowie bei Abgeordneten der Wir können nicht akzeptieren, daß auf der einen Seite CDU/CSU und der F.D.P. — Steffen Kampe verkündet wird, Klimaschutz habe oberstes Ziel zu ter [CDU/CSU]: Welch neue Töne!) sein — die Gründe hat der Kollege Töpfer hier jeweils Dasselbe gilt natürlich für Straßenbaumittel und wunderbar dargestellt —, und auf der anderen Seite, andere Verkehrsinvestitionen. wenn es Ernst wird, wenn Mittel zugunsten des (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der Klimaschutzes umgeschichtet werden müßten, wenn SPD) Strukturen verändert werden müssen, etwa in der Verkehrspolitik — der Bundesverkehrswegeplan ist Ich bin der klaren Meinung: Wer jetzt im Westen noch das Gegenteil von Klimaschutzpolitik —, Straßenbau betreibt, der hat sie nicht mehr alle. — Jetzt dürfen Sie klatschen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS/Linke Liste) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) regelmäßig gekniffen wird. Denn die hessische CDU fordert verstärkten Straßen- bau im Westen, meine Damen und Herren. Ich befürchte, wenn ich diesen Haushalt sehe — da mag bei mir überhaupt keine Freude aufkommen —, daß neben allen Differenzen in einzelnen Sachpunk- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg:- Herr ten die Umweltpolitik in der sich abzeichnenden Staatsminister, die Kollegen klatschen natürlich nicht Wirtschaftsrezession kaum noch eine Chance haben auf Ihre Anweisung hin. wird, innerhalb dieser Bundesregierung das nötige Die Frau Kollegin Dr. Hoth möchte gerne nachfas- Gewicht zu bekommen. Das wird Konsequenzen sen. haben. Es hat schlimme ökologische Konsequenzen. (Lothar Fischer [Homburg] [SPD]: Die Es wird letztendlich auch Konsequenzen für den möchte sich nochmals blamieren!) Wirtschaftsstandort Deutschland haben. Wenn wahr wird, was Bundeskanzler, VCI und andere verkündet haben, nämlich daß für zehn Jahre mit Umweltinve- (F.D.P.): Herr Minister, kann ich auf Dr. Sigrid Hoth stitionen, mit notwendigen rahmenrechtlichen Verän- Grund Ihrer Ausführungen davon ausgehen, daß von derungen und ähnlichem mehr Schluß sein soll, wer- Ihnen demnächst konkrete Maßnahmen vorgeschla- den wir um zehn Jahre zurückfallen, gen werden — und im Bundesrat versucht wird, diese Maßnahmen umzusetzen —, deren Finanzierung (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Bodenlose schwerpunktmäßig von den alten Ländern getragen Schwarzmalerei!) wird — und nicht wie bisher vom Bund — und die Wir müssen den ökologischen Umbau auch in der ausschließlich den neuen Ländern zugute kommen? Wirtschaftskrise weiter vorantreiben. Der Haushalt, (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.]) den Sie heute hier vorlegen, fährt in die völlig falsche, in die entgegengesetzte Richtung. Es ist ein Haushalt des ökologischen Rückwärtsgangs. Staatsminister Joseph Fischer (Hessen): Frau Kolle- gin Hoth, wir haben darüber etwa mit dem Kollegen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Sickmann aus Thüringen gesprochen. Es gab eine bei der SPD und der PDS/Linke Liste — Initiative auf der letzten UMK. Ich konnte wegen Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: In der unseren Haushaltsberatungen nicht dort sein. Wir in Sache hat er nichts gesagt!) Hessen sprechen uns dafür aus. Aber es ist kein Geheimnis, daß eine Mehrheit unter den alten Bun- desländern hier anders denkt. Ich sage Ihnen noch- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile mals: Ich bin der festen Überzeugung — deswegen nunmehr dem Minister für Umwelt, Naturschutz und habe ich es auch öffentlich gesagt —, daß wir gerade Reaktorsicherheit, Dr. Klaus Töpfer, das Wort. im Umweitsanierungsbereich, aber auch bei allen anderen Infrastrukturinvestitionen und auch bei Wis- senschaftsinvestitionen eine Politik des Vorrangs Ost Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Umwelt, machen sollten, und zwar aus fachlichen Gründen, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! andererseits aber auch wegen der Tatsache, daß es, Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist wenn wir in den neuen Bundesländern innerhalb unbestritten: Der Unterhaltungswert des Kollegen eines überschaubaren Zeitraums eine moderne Infra- Fischer ist umgekehrt proportional zu der Sachaus- struktur investiv hinbekommen, zu einem selbsttra- sage, die er einbringt. genden Aufschwung kommt. Dieser selbsttragende (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Aufschwung ist für mich die Voraussetzung, daß es Michael von Schmude [CDU/CSU]: Der nicht zu einer dauerhaften Zweiteilung in Deutsch- Unterhaltungswert war heute auch nicht Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10715

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer groß! — Hans Georg Wagner [SPD]: Sie sind Vielleicht ist ihm folgendes entgangen — deswegen nicht einmal unterhaltsam!) will ich ihn daran erinnern —: Wir haben die von ihm Das hat er heute erneut wundervoll gezeigt. Über den soeben zitierten Minderungen der Luftbelastung bei Unterhaltungswert des Kollegen Wagner braucht man Schwefeldioxid, bei Staub und bei Stickoxiden gar nicht zu streiten, geschweige denn über die dadurch erreicht, daß wir eine Verordnung gemacht Sachaussage, die er gebracht hat. Von daher hatten haben, und nicht dadurch, daß wir Haushaltsmittel wir eben eine große Bandbreite. bereitgestellt haben. Wir haben damit 25 Milliarden DM bewegt. Sie sind über Energiepreise bezahlt (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Was machen worden, wie es richtig ist, und nicht über Haushalts- wir mit einem, dem beides fehlt?) mittel. Das ist der entscheidende Unterschied. Wir alle in diesem Hohen Hause sind uns darüber (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) einig, daß die Qualität der Umweltpolitik in der Durchsetzung des Verursacherprinzips liegt. Diese Politik wollen wir weiterführen. Herr Kollege, (Beifall des Abg. Dr. Klaus-Dieter Feige wir brauchen ein Ministerium nicht dafür, um Haus- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) haltsmittel besser zu verteilen. Aber alle fragen beim Haushalt, wieviel Gemein- (Hans Georg Wagner [SPD]: Dann kann es lastprinzip wir durchgesetzt hätten. Ist es überhaupt eine Abteilung machen!) schon jemandem aufgefallen, daß da eine große sondern um verursacherorientierte Politik zu machen Diskrepanz gegeben ist? und andere dafür zahlen zu lassen, was sie an Umwelt- (Karl Diller [SPD]: Mit diesem Argument schäden hinterlassen haben. können Sie Ihren Haushalt abschaffen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das ist richtig. Daher kann ich das, was die Kollegin Hoth gesagt hat, nur unterstreichen. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- geordneter Diller, Sie haben im Moment wirklich (Uta Titze [SPD]: Wer soll in Bitterfeld zah nicht das Wort. - len?) Es ist zu unterstreichen, daß das in den jungen Bundesländern nicht klappt. Es klappt deswegen Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Umwelt, nicht, weil erstens die Verursacher nicht mehr da sind Naturschutz und Reaktorsicherheit: Aber er nimmt es — Frau Enkelmann hat einen bedeutsamen Beitrag sich außerordentlich gern, Herr Präsident. Ich werde dafür geliefert und weil zweitens die Bürgerinnen und durch ihn sicherlich gut beraten. Bürger in den jungen Bundesländern noch nicht die Das Schwierige ist — hier sehen Sie die Konse- Einkommen haben, um verursacherorientierte Preise quenz, die wir haben —, Umweltpolitik nach dem zu zahlen. Also machen wir das dort anders. Verursacherprinzip durchzusetzen. Denn dabei müs- Wir haben z. B. — darüber ist heute noch kein Wort sen diejenigen zahlen, die die Verursacher sind. verloren worden — eine Regelung über die ökologi- Deswegen lese ich im Augenblick in den Wirtschafts- schen Altlasten bekommen, nämlich eine Aufteilung teilen der deutschen Zeitungen nicht gerade einen der Finanzmittel bei Großprojekten von 25 % zu 75 % Lobgesang auf den Bundesumweltminister, sondern zu Lasten des Bundes. Ich sage Ihnen dazu, damit Sie ich sehe an jeder Ecke und Kante, daß wir eine das mitnehmen können, daß wir für Sanierungsmaß- verursacherorientierte Umweltpolitik durchgesetzt nahmen im Braunkohletagebau dadurch 1,5 Milliar- haben. Mir wird der Vorwurf gemacht, daß wir damit den DM pro Jahr verfügbar machen. 75 % davon zahlt eine Standortbelastung für die Wirtschaft bewirken, der Bund, 25 % zahlen die Länder. Genauso werden und nicht, daß wir sie in ganz besonderer Weise wir diese Großprojekte in der Chemie machen. Erkun- entlasten. digen Sie sich bitte bei Ihrem Fraktionskollegen Werden Sie sich bitte darüber einig, was Sie wollen. Rappe danach, was er davon hält, daß wir in einem Wir setzen das Verursacherprinzip durch. Das ist Braunkohlebüro die Koordinierung machen, um Alt- zugegebenermaßen sehr schwer. Aber es ist auch lastensanierung nicht nur zu bereden, sondern mit richtig. Denn nur über das Verursacherprinzip verän- dem dafür richtigen Ansatz über die Treuhand ganz dern wir Preise. Wenn wir Preise verändern, verän- konkret durchzuführen. dern wir erstens das Verhalten und zweitens die Technik. Darüber haben wir nicht nur mehr als einmal (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Ein guter geredet, sondern wir haben es auch gemacht, meine Weg!) Damen und Herren. Gleiches machen wir bei den Altlasten, die nicht auf (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Großprojekte bezogen sind. Dort ist die Aufteilung 60 % zu 40 % zu Lasten des Bundes. Es gibt jährlich Vielleicht ist es dem Kollegen Fischer entgangen, 1 Milliarde DM für die nächsten zehn Jahre, also aber es ist dennoch so: — — 10 Milliarden DM für die Altlastensanierung in den (Michael von Schmude [CDU/CSU]: Er hört jungen Bundesländern. Ich meine, das ist eine drin- jetzt gar nicht zu!) gende Notwendigkeit. — Wenn ich mit der Frau Kollegin Matthäus-Maier Zur Klimapolitik. Meine Damen und Herren, wir spreche, höre ich bei anderen auch nicht zu. Dafür haben einen Kabinettsbeschluß zur Minderung um habe ich volles Verständnis. Das ist eine hinreichende 25 % bis 30 %. Wo setzen wir die erste Priorität? Wir Erläuterung. setzen sie dort, wo man am schnellsten und am 10716 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer wirksamsten vorankommt, nämlich bei der dringend — Wir sind dabei, das durchzuführen. Es gibt genug notwendigen Umstrukturierung der Energieversor- Diskussionen darüber. Interessanterweise ist diese gung in den neuen Bundesländern. Die alte DDR war Diskussion mit den Kollegen der Bundesländer auch Vizeweltmeister in der Pro-Kopf-Emission von CO2. in einer hohen Weise sachlich und gut, wenn wir in Wir haben im letzten Jahr der DDR 320 Millionen unserer Kaminrunde zusammensitzen und darüber Tonnen Braunkohle gefördert und verstromt, mit der diskutieren, wie wir das alles machen. Da sehe ich Folge der CO2-Emission. Wir gehen jetzt in neuen diese Unterschiede nur sehr bedingt. Braunkohlekraftwerken auf etwa 100 Millionen t zurück, wiederum nicht in irgendeinem Haushalt, Kollege Wagner hat an seinem Geburtstag — zu sondern über die Energieversorgungsunternehmen dem ich ihm natürlich auch herzlich gratuliere — ein finanziert und durch Preise zu bezahlen, und das ist sehr bemerkenswertes Beispiel einer sachlichen Rede richtig, meine Damen und Herren, weil damit Ener- gehalten, die, davon bin ich überzeugt, selbst den giesparen endlich einmal eingefordert wird. Was Adressaten im Saarland so nicht erreichen wird. Aber wollen Sie denn eigentlich mehr haben, meine Damen er wird es immer wieder gern versuchen. Ich werde und Herren? die Nervenkraft aufbringen, diese 20 Minuten zu überstehen. Das schaffen wir immer wieder, Herr (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Kollege Wagner. Das ist wirklich erfreulich. ordneten der F.D.P.) Heute morgen ist gefragt worden: Wo macht ihr Das ist doch eine in sich ganz schlüssige Politik. Ich ernst mit der Deregulierung? Damit machen wir ernst. kann Ihnen sogar sagen, Herr Kollege Fischer, daß wir Das Kreislaufwirtschaftsgesetz ist sicherlich heiß durch diese Umstellung in den jungen Bundesländern umstritten und diskutiert und kritisiert, und — neben- in der Energiepolitik etwa 15 bis 17 % Co2-Einsparun- bei — doch nicht nur von der Wirtschaft. Sprechen Sie gen bekommen. Das ist doch völlig richtig, daß wir erneut einmal mit Ihrem Kollegen Rappe vom Indu- dort anfangen. Erstens dient es den Menschen in den strieverband — nein, von der Industriegewerkschaft jungen Bundesländern; zweitens ist dort die Mark am Papier, Chemie, Keramik. — Sie bringen mich ganz besten eingesetzt, weil sie am schnellsten- eine Min- durcheinander; das können Sie doch nicht machen. — derung ermöglicht. Die sagen dann auch: Augenblick einmal, sind wir denn nicht so weit, daß wir tatsächlich die externen Sie sagen doch dauernd, wir sollten das über Kosten zu internen machen, aber dann unsere Wett- machen. Das tun wir, und dann kriti- Energiepreise bewerbsfähigkeit in Europa und damit Arbeitsplätze sieren Sie, daß im Haushalt keine Budgetmittel für aufs Spiel setzen? Nicht nur die von Ihnen immer Klimaschutz enthalten sind. Machen wir es über wieder herausgearbeiteten großen Herrn wie Hilger Preise — und Sie haben immer und immer wieder über von Hoechst, sondern auch die Vorsitzenden der Preise geredet —, dann kommen Sie doch nicht und Gewerkschaften fragen nach: Wie machen wir das sagen, das müsse im Haushalt enthalten sein. Dies denn, daß es wirklich ökologische Entlastung und wäre genau der umgekehrte Ansatzpunkt. Sicherung von Arbeitsplätzen bedeutet? (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich habe keine Kritik daran zu nehmen, daß man Es kann also überhaupt keine Rede davon sein, daß sehr genau nachprüft: Was tun wir, um die Kreislauf- die Bundesregierung ihren Kabinettsbeschluß zur wirtschaft durchzusetzen? Können wir das tun, ohne Minderung um 25 bis 30 % CO2-Ausstoß aufgekün- daß alle anderen folgen? Das kann ich nicht als eine digt hätte. Das Gegenteil ist der Fall. Wir arbeiten Majestätsbeleidigung ansehen, sondern als eine not- intensiv daran, ihn umzusetzen, und wir werden das wendige kritische Überprüfung dessen, was wir vor- erreichen. legen.

Es ist für mich ganz unstrittig, daß wir in den jungen Wir werden uns nicht davon abbringen lassen, das Bundesländern ansetzen mußten, und das werden wir, durchzusetzen. Ich sage noch einmal: All dies ist nicht wie ich meine, vernünftig voranbringen. Ankündigung, sondern Tatsache. Faszinierend ist ja, daß mir diejenigen, die davon betroffen sind, perma- Wir kommen endlich dazu, daß wirklich im Ver- nent vorwerfen, ich machte zuviel, und die, die nicht kaufspreis von Waren auch die Entsorgungskosten betroffen sind, sagen: Ich kündige etwas an. Also enthalten sind. Ich will nicht in irgendeinem Haushalt unterhalten Sie sich einmal mit denen, die betroffen Geld für Abfallbeseitigung wiederfinden, sondern das sind, um dann wirklich zu sagen, was wir für eine muß reprivatisiert werden, und im Verkaufspreis einer umweltpolitische Weiterentwicklung hinter uns ge- Ware muß auch der Kostenansatz dafür drin sein, was bracht haben. diese Ware kostet, wenn sie entsorgt wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das ist ökologische Marktwirtschaft, meine Damen Meine Damen und Herren, gänzlich faszinierend ist und Herren, nur hat man das an der einen oder es, sich die Darstellung der Kolleginnen und Kollegen anderen Stelle noch nicht ganz mitbekommen. aus der Opposition zur globalen Umweltpolitik anhö- ren zu dürfen. Das war wirklich ganz besonders (Zuruf von der CDU/CSU: Hessen vorn! — bemerkenswert, Herr Kollege Wagner. Zuruf von der SPD: Durchführen müssen Sie es!) (Zuruf von der CDU/CSU: Dürftig!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10717

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer Zu sagen, daß wir jetzt sogar in Kopenhagen geschei- des Weltmarkts für Solartechnologie in den Hän- tert seien, ist wirklich die Umkehrung dessen, was den; 1990 haben deutsche und japanische Kon- Tatsache ist. kurrenten unseren Anteil auf 30 % gedrückt. (Hans Georg Wagner [SPD]: Das habe ich Früher haben wir die restliche Welt mit unserer nicht gesagt! Sie hören nicht zu! Entweder Technologie zur Kontrolle von Luftverschmut- sind Sie nicht da, oder Sie hören nicht zu!) zung versorgt; heute müssen wir 70 % dieser Technologie einführen. — Das habe ich mir angewöhnt, Herr Kollege Wagner; ja sicher, deswegen. Das Gegenteil ist nun wirklich Ich kann gern weiter zitieren. Meine Damen und der Fall. Wenn Sie sich einmal damit beschäftigen, Herren, dies ist die Bewertung, die Bill Clinton dieser wissen Sie es. Wir haben 1985 den Ausstieg in einer Umweltpolitik macht. Verordnung angekündigt und am 1. August 1991 auf (Zuruf des Abgeordneten Otto Schily Ende 1995 festgelegt. Da war man weltweit noch der [SPD]) Meinung, man könne das frühestens im Jahr 2000 — Darauf habe ich gerade gewartet, daß Kollege machen. In Kopenhagen ist man jetzt endlich weltweit Schily jetzt, wo es gerade ein bißchen spannend auf unser Ausstiegsdatum gekommen, nicht deswe- geworden war, durch einen dazu eigentlich nicht ganz gen, weil andere das gewollt haben, sondern weil wir passenden Zwischenruf die Aufmerksamkeit ablen- das eingefordert haben, und in der Zwischenzeit ist es ken würde. Das ist eine alte rheto rische Qualität; die uns möglich geworden, 1993 damit zu Ende zu kom- kennen wir bei Ihnen. Das ist auch insgesamt eine men. Es wäre wirklich notwendig, daß Sie einmal die ganz interessante und gute Sache. Position der Bundesregierung in der weltweiten Umwelt-Außenpolitik zur Kenntnis nehmen würden, Nur kann mich das nicht davon abhalten, eines damit Sie sehen, daß wir das, was wir in Rio in Gang festzuhalten, meine Damen und Herren: daß wir gesetzt haben, wirklich weiter verfolgen. Umweltpolitik wirklich so gemacht haben, wie es schwerer ist, als nur nach Haushaltsmitteln zu suchen, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — sie so zu machen, daß Verursacher dadurch belastet Hans Georg Wagner [SPD]: Ozonkiller!) werden, und das bei den Belastern in einem interna- Meine Damen und Herren, viele haben Zeitungen- tional schwerer gewordenen Wettbewerb durchzuset- zitiert. Offenbar ist das gut und richtig; also werde zen. Das ist wirklich eine schwierige, aber dringlich auch ich es machen. Vor 14 Tagen ist in der Wochen- notwendige Arbeit; denn nur so kommen wir zu einer zeitung „Die Zeit" ein schöner Artikel unter der ökologischen Volkswirtschaft und nicht zu einer, die Überschrift „Von Japan und Deutschland lernen" über das Gemeinlastprinzip eigentlich alle das zahlen erschienen. läßt, was einige verursachen. Das ist in der Tat nicht unsere Politik. Wer so den Haushalt beurteilt, beurteilt (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/ ihn immer falsch. Sie werden es mit Sicherheit im DIE GRÜNEN]: Es ging wohl um die nächsten Jahr wieder genauso machen, und wir Geschwindigkeitsbegrenzung!) werden eine verursacherorientierte, ökologische — Nein, „Von Japan und Deutschl and lernen" steht Volkswirtschaft durchsetzen. da. Das sind nur drei Spalten; man kann das also (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) relativ schnell zur Kenntnis nehmen. Der Autor dieses Artikels ist interessant. Der Autor dieses Artikels ist Bill Clinton, der gewählte Präsident der Vereinigten Ich erteile Staaten, der sich als Vizepräsidenten den guten Kol- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: dem Abgeordneten Müller (Düsseldorf) zu einer Kurz- legen Gore genommen hat. Wenn ich mit das vor- intervention das Wort. Ich bitte aber sehr darum, die nehme — das kann man sich fast einrahmen und an Debatte nicht noch einmal zu eröffnen. Wir liegen in seine Bürowand heften lassen: „Von Japan und der Zeit schon sehr, sehr weit zurück. Ich wäre sehr Deutschland lernen" —, dann lese ich da z. B.: daran interessiert, daß wir die vielen Menschen, die Wir haben im Wahlkampf gehört, übertriebener im Hause tätig sind, nicht auch heute abend wieder zu Umweltschutz sei einer der Hauptgründe für den lange beschäftigen. Niedergang unserer Volskwirtschaft und die Amerikaner müßten zwischen einer gesunden Umwelt und einer starken Volkswirtschaft wäh- Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Herr Bundesum- len. Beides, so wird behauptet, können wir nicht weltminister, Sie stellen zu Recht heraus, daß die haben. Diese Wahlmöglichkeit führt in die Irre. Frage des Klimaschutzes eine Frage der Menschheit Es geht weiter: ist und es gerade hier darauf ankommt, daß die Politik seriös ist und nicht trickst. Unsere Konkurrenten Die Bundesregierung hat Ende 1990 beschlossen, — also Japan und Deutschland — die energiebedingten CO2-Emissionen um 25 bis 30 % haben begriffen, daß eine gesunde Umwelt und und um einen deutlich höheren Ansatz in den neuen eine gesunde Volkswirtschaft einander nicht Bundesländern zu reduzieren. Das steht im Kabinetts- widersprechen, sondern zusammengehören. beschluß. Gleichzeitig haben Sie zu diesem Kabinetts- beschluß erklärt: Die Bundesregierung wird unabhän- Er fährt fort: gig von der Festsetzung internationaler Rechtsinstru- Die Beweise liegen auf dem Tisch. Bedeutende mente national eine CO2-Abgabe einführen. Das ist Märkte sind uns Amerikanern bereits verlorenge sozusagen die Ausgangssituation, mit der Sie in den gangen. 1980 hielten die USA noch drei Viertel Wahlkampf gegangen sind. 10718 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Michael Müller (Düsseldorf) Sie haben ein Jahr später einem Kabinettsbeschluß Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Umwelt, „Eckpunkte für die Energieversorgung im vereinigten Naturschutz und Reaktorsicherheit: Wir haben da Deutschland" zugestimmt. Dort haben Sie mit Ihrer unterschiedliche Meinungen. Das kann m an sicher- Stimme festgeschrieben, daß die CO2-Emissionen im lich austragen. Selbst wenn ich auf Ihre 27 % gehe, Jahre 2000 stagnierten und nicht reduziert werden. kann ich nur sagen: Unsere CO2-Konzeption, die Das ist die Konsequenz dieses Beschlusses. jedem zum Lesen vorliegt, sagt aus, daß wir bei dem Sie haben zum zweiten — auch das müssen Sie Sektor eine Stabilisierung der CO2-Emissionen sehen — in der Zwischenzeit einen Brief des Bundes- haben. Der gesamte Minderungsansatz bleibt also kanzlers vor die Nase gesetzt bekommen, in dem er an bestehen. Wenn wir den Verkehrsbereich stabilisie- den Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen ren können, ist das im Einklang mit der Gesamtmin- Industrie schreibt: Eine nationale Abgabe ist nicht derungsrate von 25 bis 30 %. Genau das ist unsere mehr vorgesehen. Dann geht es weiter: Tyll Necker Aussage, und sie bleibt auch so. Ich kann Ihnen hat Bedenken geäußert gegen die wirklich sehr harm- deutlich sagen: Wir werden von unserer Zielsetzung lose Vorlage der EG-Kommission zur Reduktion von nicht abweichen, und wir werden sie umsetzen. CO2. (Zuruf des Abgeordneten Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- geordneter Müller, ich darf Sie bitten, sich kurzzufas- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- sen. geordneter Müller, ich möchte Sie allen Ernstes bitten, sich einigermaßen zu mäßigen und zurückzuhalten! Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Da schreibt er: (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Die Bundesregierung wird bei den weiteren Beratun- Zu einer persönlichen Erklärung erteile ich dem gen für eine europaweite CO2-Abgabe die deutsche Abgeordneten Ulrich Klinkert das Wort. Industrie nicht beeinträchtigen. Herr Umweltminister, wenn Sie Clinton zitieren, Dr. Ulrich Klinkert (CDU/CSU): Herr Präsident! zitieren Sie seinen wichtigsten Satz: Es ist Zeit für Meine Damen und Herren! Ich gestehe, als umwelt- einen Wechsel. politischer Sprecher meiner Fraktion hätte auch ich (Beifall bei der SPD) mir einen etwas höheren Haushalt des Bundesum- weltministers gewünscht, Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ihr hat der Herr Bundesminister Dr. Klaus Töpfer. hättet es durchsetzen können!) dies vor allen Dingen natürlich für Projekte der Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Umwelt, ökologischen Sanierung der neuen Bundesländer. Naturschutz und Reaktorsicherheit: Die Zeit für den Aber die Haushaltslage ist nun mal so, wie sie ist. Wechsel hat uns Herr Kollege Fischer schon beant- Steuereinnahmen kann man sich nicht wünschen. wortet. Er hat nämlich gesagt: Für die nächsten zehn Man muß sie gewissenhaft errechnen, und das ist Jahre wird nichts mehr passieren. Er hat uns also die gemacht worden. nächsten zehn Jahre der Regierung zugeschrieben. Insofern ist auch er der Meinung, daß die Zeit für den Trotzdem gab es eine wesentliche Nachbesserung Wechsel nicht da ist. ohne eine Belastung des Haushalts des Bundesum- weltministers. Klaus Töpfer hat die Zahlen erwähnt: Zur Frage der CO2-Reduzierung: Ich bin Ihnen ja 1 Milliarde DM für allgemeine ökologische Altlasten, außerordentlich dankbar, Herr Kollege Müller, daß 1,5 Milliarden DM für das Megaprojekt Braunkohle- Sie noch einmal danach gefragt haben. Damit kann sanierung. Weitere Megaprojekte sind in Vorberei- ich klarmachen: Wir bleiben bei der Verminderung tung. von 25 bis 30 %. Daß wir auf 30 % gegangen sind, haben wir mit dem deutschen Einigungsprozeß ver- (Zuruf von der CDU/CSU: Insgesamt 5 Milli- bunden. Vorher war eine 25%ige Minderung vorge- arden DM!) sehen. Wir haben das entsprechend erhöht. Dies alles ist ein Mehrfaches dessen — — Zum zweiten: Wir sind natürlich nicht der Meinung, daß jeder Sektor, aus dem CO2-Emissionen kommen, Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- gerade 25 % erreichen muß. Der Verkehr liegt etwa geordneter Klinkert, § 31 unserer Geschäftsordnung bei 20 % der gesamten CO2-Belastungen in Deutsch- gibt Ihnen das Recht, zur Abstimmung eine Erklärung land. abzugeben und nicht einen erneuten Debattenbeitrag zu leisten. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das bei (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Bei Ihren Formulierungen ein bißchen berücksichtigen 27 %!) würden. — Sie meinen doch mit Sicherheit den Straßenver- kehr. Den habe ich genannt, und der liegt bei etwa Ulrich Klinkert (CDU/CSU): Herr Präsident, ich 20%. danke für den Hinweis. Ich sage also, daß ich diesem (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Der ist Haushaltsentwurf zustimmen werde, und versuche zu schwach!) begründen, daß es keine Alternative dazu gibt und von der Opposition auch keine genannt wurde. Ich Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- habe, bevor ich meine Entscheidung zur Zustimmung geordneter Müller, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie getroffen habe, auf Ihre Alternative gewartet. Da ist wenigstens zuhören würden. die einzige gekommen, die immer kommt, und die ich Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10719

Ulrich Klinkert für primitiv halte, weil immer nur verlangt wird, daß Kollegen Austermann und Zywietz sehr, sehr danken im Osten weniger Straßen gebaut werden. Denn zu für alles, was sie getan haben. einer gesunden Ökologie gehört auch eine gesunde ( [CDU/CSU]: Sie wissen ja Ökonomie. Und die verlangt nun einmal eine funktio- schon alles! Ist ja toll! — Sagen Sie, was nierende Infrastruktur. Schnell sagt! — Zuruf von der F.D.P.: Und Sie Vielen Dank. werden alles madig machen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Er wird dann in eine Endlosschleife übergehen, indem er erzählt, was er in letzter Zeit in seinem Hause alles Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Meine Tolles verbrochen hat. So wird das ablaufen, und so ist Damen und Herren, nun können wir zur Abstimmung es immer. Das ist nicht befriedigend. kommen. Die Haushaltsberatungen, meine Damen und Her- Ich bitte diejenigen, die dem Einzelplan in der ren, sind beendet bzw. für kurze Zeit unterbrochen, Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand- da, wie wir gehört haben, der Nachtragshaushalt noch zeichen. Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — vor Weihnachten kommen soll, zumindest wenn es Niemand. Einzelplan 16 ist mit den Stimmen der nach Möllemann geht. Koalitionsfraktionen gegen den Rest des Hauses angenommen. Ich bin bereit, durchaus auch in der Vorweihnachts- zeit Haushaltsberatungen durchzuführen, um die Frage „Aufschwung Ost" abzuklären, und sehe an der Ich rufe Punkt III 35 auf: großen Zustimmung meiner Fraktion, daß auch sie Einzelplan 30 bereit wäre, Haushaltsberatungen für diesen guten Geschäftsbereich des Bundesministers für For- Zweck durchaus auch in der Vorweihnachtszeit zu schung und Technologie machen. — Drucksachen 12/3523, 12/3530 — (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Zuruf Berichterstattung: von der SPD: Die Frage ist nur, wer dann der Abgeordnete Dr. Emil Schnell Nikolaus ist!) Dietrich Austermann Denn die wirklich großen Herausforderungen, meine Werner Zywietz Damen und Herren, sind im Haushaltsentwurf und in Zu diesem Geschäftsbereich liegt ein Änderungsan- den Haushaltsberatungen nicht enthalten. Das gilt für trag der Gruppe PDS/Linke Liste vor. viele Einzelpläne, auch für den des Ministers Riesen- Der Ältestenrat empfiehlt Ihnen eine Debattenzeit huber. Es zeigt sich hier ganz klar: Dem Forschungs- von einer Stunde. Meine Damen und Herren, ich minister hat die Kraft und offensichtlich auch der mache darauf aufmerksam: Die Stunde darf auch letzte Wille zum Umsteuern gefehlt. Er befindet sich unterschritten werden. Das Verfahren kann auch damit im Würgegriff des Finanzministers. beschleunigt werden, indem sich der eine oder andere (Dr. Peter Struck [SPD]: Theo, der Würger!) entschließt, seine Rede zu Protokoll zu geben. Zunächst erteile ich Herrn Dr. Emil Schnell das Er steht damit stellvertretend für Koalition und Regie- Wort, rung. Wir haben in den letzten Wochen wirklich mit Dr. Emil Schnell (SPD): Meine sehr verehrten großem Aufwand wenig erreicht. Das kann nicht Damen und Herren! Ich freue mich, auch die vielen befriedigen. Ich sage Ihnen — und die Kollegen Nichthaushälter zu dem Geschäftsbereich Forschung wissen es selbst —, wir haben in einzelnen Titeln ein und Technologie begrüßen zu können. Ich weiß nicht, paar Tausender, auch einmal einige Millionen DM ob der Finanzminister noch zugegen ist. hin- und hergeschichtet; wir haben uns darum gestrit- ten. Die Fachausschüsse haben sich in einen angereg- (Dr. Theodor Waigel: Jawohl!) ten Zustand versetzen lassen; viele tausend Be troffene Herr Minister, von Ihrem Kollegen Töpfer kam ein haben sich sehr, sehr nach vorne gewagt und haben sehr vernünftiger und plausibler Vorschlag, wie er versucht, durch ihren Einfluß bestimmte Dinge zu sich selbst einsparen kann. Er hat gesagt, durch das ändern. Verursacherprinzip ließen sich die Probleme alle lösen. Ich erwarte von Minister Riesenhuber ähnliche Zum Schluß wissen wir doch, daß über globale Vorschläge, wie er sich selbst einsparen kann: Viel- Einsparungen, über globale Minderausgaben — in leicht geht das auch in Richtung Verursacherprinzip; Größenordnungen — all diese kleinen Einsparvor- denn die Sachen, die Sie verursachen, gehen auch in schläge letztlich über den Haufen geworfen werden. die Richtung. Damit ist die Schwerpunktsetzung, die wir zum Teil vorhatten — das werden mir meine Kollegen auf Ich möchte Ihnen sagen, wie das Ritual hier ablau- Grund der Erfahrungen der Vorjahre bestätigen müs- fen wird. Das war schon die ganze Zeit so. Es wird so sen —, in einigen Bereichen hinfällig. Da muß man sein, daß der Kollege Austermann nach mir sagen fragen: Was sollen diese Haushaltsberatungen, wenn wird, was der Minister alles Hervorragendes geleistet das so abläuft? hat, was für tolle Sachen er gemacht hat. Was immer das auch sei, ich bitte niemand, neugierig zu sein. Der Herr Kollege Austermann, Herr Kollege Zywietz, Kollege Zywietz wird sagen, welche hervorragende Sie waren auch mit dem Gedanken schwanger gegan- Dinge dort gelaufen sind. Dann wird zum Schluß gen — zumindest noch beim Berichterstatterge-

Minister Riesenhuber ähnliches sagen. Er wird den spräch — , daß zum Nachtragshaushalt eventuell noch 10720 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Dr. Emil Schnell Signale hinsichtlich einer Verstärkung der Mittel für raumbereich kann man noch kräftig sparen; es ist die neuen Länder für den Bereich Forschung und allerdings notwendig — — Technologie kommen können. Das hat sich leider (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Da haben nicht bewahrheitet. Insofern war, glaube ich, nicht nur wir aber eine Menge gemacht!) ich enttäuscht, sondern auch meine Kollegen waren etwas enttäuscht. — Sie haben gespart in vorsichtigen kleinen Portio- nen; da ist aber wesentlich mehr d rin, Herr Finanzmi- (Zuruf von der SPD: Nur Theo nicht!) nister. Ich denke, Sie werden beim nächstenmal Ich sehe dem Gesicht von Minister Riesenhuber an, genauer hinschauen, das dann aber nicht wegneh- daß auch er enttäuscht war und ist. men, weil der Forschungshaushalt das an anderer Stelle tatsächlich braucht. Das scheint Ihnen nicht so (Zuruf von der CDU/CSU: Der macht doch richtig klar zu sein. ein sehr getragenes Gesicht!) (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Das neh Meine Damen und Herren, der Plafonds des For- men Sie aber zurück! Das sind ja ungeheure schungsministers liegt noch immer unter 10 Milliar- Vorwürfe! — Heiterkeit bei der CDU/CSU) den DM. Alle sind sich einig, daß das nicht ausreichen kann, zumal neue Schwerpunktsetzungen nicht zu Es ist allerdings notwendig, das auch den europäi- erkennen sind. schen Partnern zu sagen, die eigentlich nur darauf warten, klar zu hören, daß die Deutschen das Geld für Professor Simon empfahl der Regierung: Wenn das die nächsten zehn Jahre dafür nicht im bisherigen Geld knapp ist, muß man Prioritäten setzen, d. h. Umfang zur Verfügung haben werden. Das Geld geht Kürzungen im Bereich der bemannten Raumfahrt und nach Europa; keiner weiß so genau, wo es bleibt. Für Umschichtungen hin zur Umwelt- und Energiefor- die nationale Forschung bleiben in dem Bereich nach schung; da können wir voll mitgehen und zudem noch Abzug der Personalkosten — hören Sie bitte gut zu — weitere Probleme anmahnen. Ich denke dabei an die ganze 18 %. IT-Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, die Gentechnologieanwendung — ich verweise hier (Zuruf von der F.D.P.: Bei der Rede fällt das auch auf die aktuelle Diskussion — und -nicht zuletzt Zuhören aber sehr schwer!) die Kernenergie- und Fusionsforschung. Das sind — Sie müssen sich auch anstrengen, um zuzuhören; Bereiche, bei denen man sparen kann, bei denen man das ist doch völlig klar. Sie können auch qualifizierte aber auch zulegen muß. und intelligente Zwischenfragen stellen; (Dr. Hans-Peter Voigt [Northeim] [CDU/ (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das ist CSU]: Wie denn das?) auch nicht so einfach! — Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Aber Zwischenfragen müssen — In bestimmten Bereichen Kernenergie- und Fusionsforschung -- sollte man, denke ich, sparen, sich aus den Ausführungen ergeben!) dagegen habe ich überhaupt nichts, aber das wird (Zuruf von der CDU/CSU: Ach so!) wohl nicht passieren. und in anderen Bereichen sollte man das Ersparte Wenn Herr Riesenhuber sagt, Hermes sei nicht vielleicht drauflegen; finanzierbar, dann stimmt das ausnahmsweise fast. (Zuruf von der CDU/CSU: Das gleicht sich Aber er sagt das nicht so; er sagt, wir machen ein dann ja wieder aus!) Technologieprogramm daraus. Er trickst damit im wesentlichen herum, was das Zeug hält. vielleicht findet das Ihr Verständnis. Die geringe Steigerung des Haushalts um ca. 2,1 % Was der Minister dagegen macht, ist ein Versteck- ist symptomatisch für die Einstufung von Forschung spiel mit Haushaltsmitteln für die Weltraumfahrt bzw. und Technologie in den Köpfen der Regierungsmit- die Weltraumforschung, bei der DARA, bei der DLR, glieder. bei der GUS-Hilfe, bei anderen Projektträgern und schließlich bei der ESA. (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Sparen wir jetzt, oder sparen wir nicht?) Der Mediendienst der Fraunhofer-Gesellschaft sagt zur Sinnhaftigkeit der Raumfahrtforschung folgendes — Sie gehören auch mit dazu. — hören Sie ruhig zu —: Der wissenschaftliche und Die Steigerung in den nächsten Jahren um 0,8 % ökonomische Nutzen der Raumfahrttechnik ist im laut mittelfristiger Finanzplanung sagt endgültig Vergleich zu dem in anderen Bereichen der Spitzen- alles, meine sehr verehrten Damen und Herren, näm- forschung allenfalls durchschnittlich, wenn nicht lich daß Forschung und Technologie einen abneh- unterproportional. Die Ausstrahlungseffekte in an- menden Stellenwert haben. dere Wirtschaftszweige sind offensichtlich nicht so (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Warum hoch, daß sie einen besonderen Aufwand an öffentli- schauen Sie immer mich an?) chen Fördermitteln für die Raumfahrt begründen könnten. — Das ist übrigens ein Ergebnis einer Studie — Weil Sie offensichtlich etwas damit zu tun haben. im Auftrag des BMFT und der DARA. Sie sind der Würger dieses Plafonds. Wer denn sonst? Ich denke, bei den Weltraumprojekten kann es nur um folgendes gehen: erstens um Verzicht auf (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Sie sollen bestimmte Projekte, zweitens um Streckung von Pro- mit dem ganzen Parlament einen Dialog jekten, drittens um weltweite Kooperation. Im Welt- aufnehmen!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10721

Dr. Emil Schnell Sparen ist wichtig. kommen aber aus den letztgenannten Ressorts. Der (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Richtig, Wirtschaftsminister hat nun einmal Verantwortung für das war der beste Satz!) die industrienahe Forschung in den neuen Ländern. Er nimmt sie nicht wahr. Das aber bei den schon sehr engen, reduzierten Projektmitteln zu machen, zeigt, daß der Minister bei In den Beratungen des Haushaltsausschusses kam seinen politischen Gestaltungsmöglichkeiten am schon fast peinlich zum Ausdruck, daß die Minister Ende ist. Es ist letztlich ein „Weiter so" mit weniger Möllemann und Kiechle das genannte Problem über- Mitteln. haupt nicht erkannt und für voll genommen hatten. Ich denke, das ist ein untragbarer Zustand, und ich (Dr. Hans-Peter Voigt [Northeim] [CDU/ fordere die Kollegen von der Koalition auf, die noch CSU]: Dazu gehört viel Intelligenz!) bestehenden Forschungs-GmbH mit der industriena- Ich komme nun zu speziellen Problemen von For- hen Forschung in den alten Ländern gleichzustellen schung und Technologie besonders in den neuen und sie gerecht zu behandeln. Das heißt, die empfoh- Ländern. Auch wir sind der Meinung, daß nur eine lene Grundfinanzierung muß sichergestellt werden, stabile Wirtschaftsentwicklung in den alten Ländern und die Projektfördermittel, von denen diese Einrich- die Voraussetzung für den erfolgreichen Aufschwung tungen zur Zeit ausschließlich überleben sollen, das Ost sein kann, aber nicht können, müssen beibehalten werden. Es bedarf keiner sonderlich großen Anstrengung, und (Helmut Esters [SPD]: Jawohl!) man braucht auch nicht unanständig viel Geld, um das Das bezieht sich auf die Wirtschaft, die Industriefor- Problem zu lösen. Der Wille muß allerdings vorhanden schung und gleichermaßen auf die Grundlagenfor- sein, und es muß auch einmal gelingen, zwischen schung, die Technologieentwicklung usf. Ohne For- mehreren Ressorts eine Abstimmung dazu zustande schung hat die Industrie im Osten keinerlei Chance. zu bringen. Wenn der schwarze Peter zwischen Möl- Es wird auf Dauer ohne Forschung und ohne die lemann, Kiechle und auch dem Forschungsminister, zügige Umsetzung von Forschungsergebnissen keine der im Prinzip nicht verantwortlich ist, hier und dort neuen weltmarktfähigen Produkte geben, zumal die aber etwas tut, hin- und hergeschoben wird, kann man alten Ostmärkte auf absehbare Zeit nicht mehr existie- das Problem nicht lösen, und ich denke, die Zeit für die ren und wir verstärkt in die Westmärkte vordringen Betroffenen läuft in diesem Bereich dramatisch ab. müssen. (Zuruf von der CDU/CSU: Deine auch!) Ich möchte zuerst am Beispiel der Forschungs- GmbH zeigen, was in den neuen Ländern zur Zeit Im Sechs-Punkte-Programm von Minister Waigel ist schiefläuft. Herr Kollege Professor Diederich ist heute von 100 Millionen DM für 1993 und 1994 für die vormittag nur mit einem Satz darauf eingegangen; ich industrienahe Forschung die Rede. Wir erwarten mit möchte hier detaillierte Ausführungen machen. Wir Nachdruck, daß dieses Geld auch genau für den hier hatten einmal 104 Forschungs-GmbH; zur Zeit sind es genannten Bereich, also für die Sockelfinanzierung noch 47. Man kann zusehen, wie es wöchentlich der Überlebenden, bereitgestellt wird. Ich denke, daß weniger werden. ich dazu nachher auch von den Kollegen aus der Koalition etwas hören kann. Die gesamte Forschungslandschaft in den neuen Ländern wurde evaluiert. Eine wesentliche Aussage Was sind nun die Probleme der umgewandelten dieser Evaluierung ist, daß der ostdeutschen For- AdW-Einrichtungen: Blaue Liste, Großforschungsein- schung neben der Gründung von Blaue-Liste-Institu- richtungen, Max-Planck- oder Fraunhofer-Einrich- ten, Großforschungseinrichtungen und der Anbin- tungen? dung an Bundesforschungsanstalten sowie der außer- Die Mittel für Investitionen fehlen in Größenord- universitären Forschung in Forschungs-GmbH eine nungen. Das ist bekannt. Gerätebeschaffung, Gebäu- Grund- und Anschubfinanzierung gewährt werden desanierung, Neubau sind vordringliche Angelegen- muß, um die Möglichkeiten innovativer Entwicklung heiten. Für die Einstellung von Spitzenleuten als im industriellen Bereich zu erhalten. Führungspersonal in den neuen Forschungseinrich- Diese Forschungseinrichtungen befinden sich in tungen fehlen entsprechende Gehälter, um entspre- Treuhandbesitz und sind damit nur eingeschränkt chend gute Leute zu bekommen. Ich freue mich mit wirtschaftlich handlungsfähig. Ihnen gemeinsam, daß wir im Ausschuß unkonventio- nell die C-4-Problematik gelöst haben. Die Empfehlungen des Wissenschaftsrats sahen vor, eine degressiv zu staffelnde Anschubfinanzie- Wichtig ist gleichermaßen die Bereitstellung von rung, ausgehend von 74 % — innerhalb von fünf Wohnraum für wissenschaftliche Führungskräfte, von Jahren auf 33 % des Budgets sinkend —, zu gewähren. Wissenschaftlerwohnheimen und Begegnungszen- Das steht bis heute aus und ist nach den Erklärungen tren. Das ist ein dringender Hinweis an Länder und des Wirtschaftsministers auf Grund fehlender Mittel Kommunen, die hier auch Verantwortung tragen und nicht mehr vorgesehen. handeln müssen. So weit so schlecht. Der Forschungsminister hat die Ein weiteres Problem ist die Durchmischung von Empfehlung des Wissenschaftsrates ziemlich ernstge- Wissenschaftlern aus den neuen und den alten Län- nommen und entsprechend gehandelt. Das ist kein dern, aber auch aus dem Ausland. Leider zeigt sich Grund zur Euphorie, aber im Vergleich zu seinen jetzt zunehmend, daß der Anteil von Wissenschaftlern Ressortkollegen erwähnenswert. Der Landwirt- aus den neuen Ländern besonders in Leitungsberei- schaftsminister und der Wirtschaftsminister haben chen nicht entsprechend eingehalten wird. ich bitte dies komplett ignoriert. Wesentliche Projektmittel das im Blick zu behalten und die daraus resultieren- 10722 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Dr. Emil Schnell den Probleme gar nicht erst aufkommen zu lassen. Sie damit seine Beamten im Hause wieder zur normalen wissen ja, Vorurteile lassen sich nicht widerlegen. Arbeit übergehen können, und das Jammerlied von Auch muß klargestellt werden, wie die Zukunfts- fehlenden Planstellen wäre damit zugleich erledigt. aussichten aller entstandenen Forschungseinrichtun- Er hätte auch längst darauf Einfluß nehmen können, gen aussehen, d. h. auch, wie die Forschergruppen die Verzahnung von Grundlagenforschung und indu- später angebunden werden oder zu Institutionen strieller Anwendung zu befördern, was sicherlich ein werden. Man muß auch darüber nachdenken, wie das Hauptproblem ist, wenn es darum geht, die vielen Mißverhältnis von Blaue-Liste-Einrichtungen und guten Grundlagenforschungsergebnisse möglichst Großforschungseinrichtungen gegenüber den alten schnell in die industrielle Anwendung umzusetzen, Ländern in Ordnung gebracht werden kann. was in Deutschland ein Problem ist und in Zukunft Da geht es schließlich auch um ungerechte Haus- verstärkt ein Problem sein wird, da wir wissen, daß der haltsmittelbelastungen der neuen Länder. Man muß weltweite Wettbewerb härter wird. darüber nachdenken, ob nicht z. B. mehr Aninstitute Ich möchte abschließend den Mitberichterstattern zu gründen sind, um auch mehr qualitativ hochwer- und den Beamten des Forschungsministeriums für tige Forschungskapazitäten zu retten. ihre hilfreiche Arbeit danken. Ein Wort noch zu Bessi II: Ich denke, wir haben hier Wir lehnen den Einzelplan 30 ab. im Ausschuß den Forschungsminister auf den Pfad der (Beifall bei der SPD) Tugend gezwungen, indem einvernehmlich der Hin- weis kam, daß Bessi II in den neuen Ländern, in Adlershof, wo ohnehin schwerwiegende Probleme bestehen, anzusiedeln ist. Er ist dem gefolgt. Hätten Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort wir das nicht gemacht, wäre das — so nehme ich an — hat nunmehr der Abgeordnete Diet rich Auster- irgendwo in Bayern gelandet. Das war ja vorgesehen, mann. und ich habe auch schon gesehen, wie er umkippte. Ich denke, daß das Problem so gut gelöst ist. Es ist im - Prinzip das einzige neue Großforschungsgerät in den neuen Ländern und stellt sicherlich damit auch einen Dietrich Austermann (CDU/CSU): Herr Präsident! gewissen Kristallisationspunkt für die umgebende Meine Damen und Herren! Solange der Finanzmini- Forschungslandschaft dar. Ich bin ganz froh, daß wir ster hier war, hatte ich etwas Schwierigkeiten, dem das so erreicht haben. Wir haben auch hier sozusagen Kollegen Schnell zu antworten, weil er behauptet hat, den Minister aus dem Waigelschen Würgegriff der Forschungsminister befände sich im Würgegriff befreit. desselben. Wenn man den Haushalt genau kennt, (Beifall bei der SPD) lieber Kollege Schnell, wird man das nicht bestätigen können. Ich scheue mich allerdings jetzt nicht, das zu Das sind einige Fragen, die ich hier aufgeworfen sagen, weil der Finanzminister nicht hier ist. Ich habe, die spätestens im nächsten Jahr voll beantwor- glaube, der Forschungsetat ist ganz anständig behan- tet werden müssen. delt worden. Es sind eine Menge Mittel da „Die Grundlagenforschung ist weltweit Spitze", (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Nach- schreibt der BMFT in einer Pressemitteilung. lesen!) (Dr. Hans-Peter Voigt [Northeim] [CDU/ — nein, nein, das brauche ich überhaupt nicht abzu- CSU]: Das stimmt auch!) lesen, Herr Diederich —, Nach einem Zahlenvergleich kann das ja sein, aber (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Nein, der die Frage ist, was man mit all den schönen Ergebnis- Finanzminister wird es im Protokoll nach sen anfängt. Sie schreiben selbst: lesen!) Angesichts der immer knapper werdenden Haus- mit denen man viel Vernünftiges durchsetzen kann. haltsmittel muß sich die Grundlagenforschung gerade im Hinblick auf ihre bisher vorzügliche Wenn ich mir jetzt vorstelle — ich sage das beson- Dotierung in finanzieller Hinsicht in Deutschland ders für die Zuschauer, weil man ja manchmal den mehr denn je bemühen, auch dem Bürger den Eindruck hat, hier werde pausenlos nur gestritten —, Sinn, Nutzen und Stellenwert der Grundlagenfor- was wir, die Kollegen Mitberichterstatter, gemeinsam schung klarer als bisher zu verdeutlichen. Sie in dem Bereich des Wahlkreises des Kollegen Schnell, muß eine Offensive der Verständlichkeit starten, Potsdam und Umgebung/Berlin, und überhaupt in um dem Bürger den Nutzen der Grundlagenfor- den neuen Bundesländern erreicht haben, was dort schung am konkreten Projekt darzulegen. Hier- durchgesetzt worden ist, auf hat der Bürger und Steuerzahler ein (Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!) Anrecht. nicht weil sich einer etwas zugeschoben hat, sondern (Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!) weil es sachlich und forschungspolitisch gerechtfertigt Man könnte meinen, Herr Minister Riesenhuber will war zu den Haushältern überwechseln. Er müßte dann als (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Es muß ja erstes die Mittel für Öffentlichkeitsarbeit dramatisch nicht immer Itzehoe oder Pinneberg sein!) kürzen, — wenn man das vergleicht, schneidet er besser ab —, (Zustimmung bei der SPD) dann würde der Kollege Emil Schnell wahrscheinlich Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10723

Dietrich Austermann ganz rot werden, weil er ein schlechtes Gewissen dungen gekommen sind, um das Gentechnikgesetz zu hätte, was alles durchgesetzt werden konnte. verbessern. (Zuruf von der CDU/CSU: Er ist doch schon (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Wissen rot!) Sie, daß über 100 von CDU-Ländern waren, Ich glaube, es wäre auch für die Bürger von Inter- weil der Entwurf so schlecht war?) esse, zu erfahren, daß die Forschungspolitik im Hin- Das kann nicht das Ziel sein, wenn man tatsächlich blick auf die neuen Länder einen ganz entscheiden- vorankommen will und diese Fortschrittsbremsen den Schritt nach vorn gemacht hat, um dort die wegräumen will. Forschungslandschaft neu zu strukturieren, zu reorga- nisieren und bessere Voraussetzungen für die Zukunft Ein Beispiel dafür dürfte die Mikroelektronik sein. der Wissenschaftler und der gesamten Forschungs- Die staatlichen Impulse seit Mitte der 80er Jahre struktur in den neuen Bundesländern zu schaffen. haben nicht dazu führen können, daß sich bestimmte Elektronikunternehmen auf Dauer mutig nach vorne gewagt haben. Es dürfte nicht zu leugnen sein, Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- geordneter Austermann, mit diesen Bemerkungen (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Sie waren schon ein bißchen mutig!) haben Sie offensichtlich eine Frage provoziert. Herr Dr. Schnell, bitte schön. daß angesichts der starken Position japanischer und amerikanischer Chipproduzenten Sorge um die inter- nationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen infor- Dr. Emil Schnell (SPD): Ja, Herr Präsident, das war mations- und kommunikationstechnischen Industrie schon eine schwerwiegende Anschuldigung. angebracht ist. Deutschland braucht eine eigenstän- Kollege Austermann, würden Sie bestätigen, daß dige, weltweit tätige und wettbewerbsfähige informa- ich in meiner Arbeit als Berichterstatter und im tions - und kommunikationstechnische Industrie. Haushaltsausschuß bemüht bin, nicht ausschließlich (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Gut, daß für meinen Wahlkreis irgendwelche positiven Dinge Sie das auch so sehen! — Brigitte Baumeister zu erreichen, sondern für die gesamte deutsche- For- [CDU/CSU]: Richtig!) schungslandschaft, und würden Sie auch sehen, daß Sie in Ihrem Wahlkreis in der Vergangenheit auch — Sie teilen offensichtlich diese Auffassung, Frau besondere Aktivitäten entfaltet haben und daß das Kollegin. sicherlich bei mir wesentlich unterproportional zu Meines Erachtens kann unsere Indust rie weder auf betrachten ist? eine eigene Produktionsstätte für Speicherchips in Europa verzichten noch auf eine Eigenproduktion von Dietrich Austermann (CDU/CSU): Lieber Emil, ich mikroelektronischen Bauteilen oder Produktionsge- halte es in der gegenwärtigen Situation für völlig räten. Sie ist eine entscheidende Voraussetzung, um legitim, daß Kollegen aus den neuen Bundesländern eine moderne Produktion anwendungsspezifischer mit Nachdruck darauf dringen, einen Ausgleich im Chips, also von ASICs, aufnehmen zu können. Hier ist Bereich der Forschungslandschaft in Deutschland vor allem die angewandte Forschung bedeutsam. Die herzustellen. Ich halte das für richtig. Wir unterstützen Mittel müssen dort verstärkt werden. das. Der Kollege Zywietz hat das im Haushaltsaus- Ich glaube, wir können ganz generell sagen: In der schuß immer mitgemacht. gegenwärtigen Situation müssen wir dazu kommen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) daß wir schneller — wie das Professor Syrbe auf einer Veranstaltung heute vormittag gesagt hat — vom Meine Damen und Herren, anläßlich der Einbrin- Gedanken zum Produkt kommen: von dem, was sich gung des Forschungshaushalts habe ich unterstri- Forscher ausgedacht haben, zu einem marktfähigen chen, daß die Forschungspolitik den Auftrag hat, dem Produkt, das wirtschaftsmäßig umgesetzt wird und kostenintensiven Standort Bundesrepublik Deutsch- das die Wettbewerbssituation für die deutsche Indu- land im internationalen Wettbewerb einen festen strie und die deutschen mittelständischen Betriebe Spitzenplatz zu sichern. Ich habe einiges zu den verbessert. Aufgaben gesagt. In den letzten zweieinhalb Monaten seit der Ein- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) bringung des Forschungsetats haben sich die Rah- Dazu muß meines Erachtens die Forschungspolitik, menbedingungen erheblich verschärft. die Mikroelektronikpolitik einen entscheidenderen Ich will ein Zitat dafür als Beispiel nehmen. Es geht Beitrag leisten. Aber wir erwarten natürlich auch, daß um eine Aussage des Präsidenten der Bundesvereini- die Industrie einmal gefaßte Ziele, die sie sich selber gung der Arbeitgeberverbände, der als Reaktion auf vorgegeben hat, durchsetzt und durchhält. So sollte die Rezessionsgefahr unter anderem gefordert hat, in meines Erachtens bald eine klare Aussage zum Deutschland Fortschrittsbremsen entscheidend zu Thema 64-Megabit-Chip kommen. Es geht darum, ob lockern; nur mit neuen Technologien könnten wir auf der tatsächlich bis 1995 oder 1996 in Deutschland internationalen Märkten bestehen. produziert wird. 1993 sollte auch die Entscheidung Ich hätte mir gewünscht, daß der Kollege Schnell zu bekanntgegeben werden, ob der neue Chip in dem Thema Fortschrittsbremsen, zur Einstellung der Regensburg oder in der Nähe von Paris gefertigt werden würde. SPD zum Thema Gentechnik heute etwas gesagt hätte. Ich kann mich noch erinnern, daß im Jahre 1990 (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: In Böblin allein im Bundesrat von seiten der SPD 211 Einwen- gen!) 10724 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Dietrich Austermann — Nein, ich glaube, daß die neuen Bundesländer eher Lassen Sie mich einen dritten Punkt ansprechen. Es ein geeigneter Standort wären. ist der Beitrag der Forschung für eine umweltfreund- liche Energiegewinnung. Vorhin fand die Umweltde- Der Bund kann nicht Forschungsprojekte unterstüt- batte statt. Es wurde kritisiert, daß der Umweltetat zu zen, wenn die Unternehmen den Mut verlieren, sie klein sei. Ich meine, daß Umweltminister Töpfer durchzuführen. Wir sollten dabei bleiben: Wenn die überzeugend argumentiert hat, daß es nicht nur um europäische Elektronikindustrie bereit ist, eine neue Geld geht, sondern daß auch Vorschriften Wesentli- Produktionsanlage für die Chips, den Rohstoff der ches bewirken können. Wir können darüber hinaus Zukunft, zu errichten, dann sollte dies in den neuen deutlich machen, daß der Forschungsetat immerhin Bundesländern mit einer vernünftigen Unterstützung auch an die 350 Millionen für ökologische Forschung geschehen. bereitstellt. Meine Damen und Herren, Prognosen der OECD Aber wir haben auch die Aufgabe, für eine bessere, sehen die Elektronik im Jahr 2000 an der Spitze aller umweltfreundlichere Energiegewinnung zu sorgen. Industriezweige mit der Mikroelektronik als Antriebs- Die Kernenergie hat heute ihren festen Platz bei der feder. Wenn der Staat schon fördern soll, dann muß Stromerzeugung in der Bundesrepublik. Ihr Anteil dies auch vorrangig der Wettbewerbsfähigkeit unse- beträgt ca. 30 %. An der Entwicklung und dem Aufbau rer Firmen dienen. Das muß dann auch — anders als hatte das Forschungsministerium in den letzten Jahr- sich JESSI jetzt zu entwickeln scheint — zu einer zehnten erheblichen Anteil. Immerhin wurden 41 Mil- Plattform für die europäische und die deutsche Indu- liarden DM seit 1956 für die Förderung der Kernfor- strie werden, denn es geht ja um Marktanteile. Ganz schung und der Kerntechnik aufgewendet; darunter wesentlich müssen dabei kleine und mittlere Unter- auch viele Beiträge für die Errichtung von For- nehmen unterstützt werden, die intelligente Produkte schungsreaktoren. brauchen und herstellen. Wenn man das weiß, sieht man natürlich die beson- Ich glaube, es ist erfreulich, nach der letzten Sitzung dere Verpflichtung, die daraus entsteht, heute mit des Treuhandausschusses in Dresden festzustellen, ganzer Kraft auch andere Energieträger entsprechend daß mit Hilfe der Treuhandanstalt eine Neustrukturie- zu unterstützen; insbesondere nachdem man weiß, rung der Mikroelektronik in den neuen Bundeslän- daß durch Rückbau - und Stillegungsmaßnahmen der dern begonnen worden ist; unbefriedigend sicher, Haushalt des BMFT in den folgenden Jahren ganz was die Zahl der Arbeitsplätze betrifft, aber von der deutlich belastet wird. Allein für Rückbaumaßnahmen Grundstruktur her sicher richtig. wird im nächsten Jahr mit rund 300 Millionen DM (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) gerechnet. Dies ist übrigens überhaupt kein Anlaß für Sozial- Lassen Sie mich nach der Mikroelektronik ein demokraten, dicke Backen zu machen, wenn man zweites Thema ansprechen. Es ist das Thema Raum- ganz genau weiß, daß ein wesentlicher Teil der fahrt. Nach der Einbringung des Haushalts konnte Projekte, die wir nun zurückbauen und entsorgen inzwischen auch Klarheit über die Weiterentwicklung müssen, zu Zeiten von sozialdemokratischen Bundes- der europäischen Raumfahrt gewonnen werden. Hier kanzlern ins Werk gesetzt wurden. haben sich die Rahmenbedingungen in mehrfacher Hinsicht geändert. Die ehemalige Sowjetunion steht (Heinrich Seesing [CDU/CSU]: Das kann als künftiger Partner bereit. Kosten können durch eine man nicht oft genug sagen!) europäische Zusammenarbeit gespart, größere Tech- Ich glaube, daß es wichtig ist, daß wir darauf nologiesprünge erzielt werden. hinweisen, welches enorme finanzielle Belastung aus Herr Minister, wir begrüßen ausdrücklich die dieser Politik entsteht, ohne daß ich damit nicht noch Ergebnisse der Granada-Konferenz, die eine Neude- einmal unterstreiche: Wir werden einen wichtigen

finition und Beschränkung des ESA-Programms Beitrag zu einer besseren und zu einer umweltfreund- gebracht hat. Es wird jetzt klargestellt, was gemacht licheren Energieversorgung ohne die Kernenergie auf werden soll. Es ist klargestellt worden, was nicht absehbare Zeit nicht leisten können. gemacht werden soll. Mir persönlich scheinen die Ich möchte nun etwas zu anderen umweltfreundli- 130 Millionen für ein HERMES-Nachfolgeprogramm chen Energieträgern der Zukunft sagen. Seit vielen oder — wie immer man das nennt — Technologiepro- Jahren investieren wir in erneuerbare Energien. Wir gramm immer noch zu hoch zu sein. Aber es ist haben immerhin erreicht, daß die Windenergie mit wichtig, daß wir international bzw. europäisch Klar- Hilfe des Forschungshaushalts zu einer wirtschaftli- heit haben. Ich glaube, man muß auch deutlich sagen, chen Stromquelle entwickelt werden konnte. Aber sie daß ein wesentlicher Teil von dem, was dort investiert wird selbstverständlich nicht der Energieträger der wird, nach Deutschland zurückkommt. Zukunft sein. (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Richtig! Gleiches gilt für die Photovoltaik und die Wasser- Und daß wir verläßliche Partner sind!) stofftechnologie, die sich in den nächsten Jahren noch Es bleibt dabei, daß sich Deutschland über die ESA nicht als Alternativen anbieten. — Versuche mit an verschiedenen Projekten beteiligen wird. Die Ver- Rapsöl und Bioethanol konnten noch keine abschlie- pflichtung aller Beteiligten bleibt darzustellen, daß ßenden Ergebnisse bringen. diese enormen Ausgaben für den Bereich Raumfahrt Aber ich meine wohl, daß es nach dem Zwischen- eine Bringschuld sind: Dem Bürger muß immer wieder bericht, Herr Minister, den Sie vor kurzem vorgelegt deutlich gemacht werden, wo dafür konkret der haben, durchaus angebracht ist, daß wir die guten Nutzen liegt. Ansätze verstärken. Es gibt gute Ansätze im Bereich Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10725

Dietrich Austermann der Nutzung von Biomasse für erneuerbare Energie. sichts der finanziellen Rahmenbedingungen sicher Machbarkeitsstudien sind auf dem Weg. Ich wünsche auch nicht zuwenig. mir als nächstes Ziel in diesem Bereich das erste Wir haben in den neuen Bundesländern einiges Biomasse- oder Biokraftwerk mit Unterstützung des erreicht. Viele Institute sind neu geschaffen worden; Forschungsministeriums. es gibt 25 neue Technologiezentren. Eine Fülle inno- Wenn man weiß, welche Flächen in absehbarer Zeit vativer Unternehmen zeigt, daß die Entwicklung aus der Landwirtschaft — aus der landwirtschaftli- neuer Produkte in Richtung mehr Wettbewerb weist. chen Produktion, aus der Nahrungsmittelproduk- Es gibt 9 Fraunhofer-Institute, 14 Außenstellen und tion — genommen werden — allein 5 Millionen ha in eine ganze Reihe von Instituten der Max-Planck- der Bundesrepublik —, dann weiß man, welche Kapa- Gesellschaft; 27 Institute stehen allein im neuen zität dort zur Verfügung steht, um z. B. Biomasse als Haushalt. Bezieht man Industrieforschung und Hoch- Energieträger zu nutzen. Ich halte dies für richtig und schulerneuerung ein, haben wir insgesamt ein Ergeb- wichtig, zumal wir dann auch die Möglichkeit haben, nis, das sich sehen lassen kann. den Landwirten einen Weg zu eigenem Einkommen Wir haben in den Beratungen im Haushaltsaus- zu schaffen schuß in der Tat deutliche Akzente bei den erneuer- baren Energien, der Mikroelektronik, der Meeres- (Beifall des Abg. Heinrich Seesing [CDU/ technik einschließlich der Schiffstechnik gesetzt. Wir CSU]) haben ebenfalls klare Aussagen zu anderen Berei- chen gemacht, auch zu einem Projekt, das wir drin- und ihnen das zukommen zu lassen, was ihnen gend für unterstützungsbedürftig halten: der Gewin- tatsächlich zusteht. Die Voraussetzungen in den nung von im neuen Bundesländern, aber auch in Osteuropa spre- Rohstoffen Off-shore-Bereich. chen ebenfalls dafür, diesen Weg zu verstärken. Wir haben deutlich gemacht: Unsere Unterstützung für den Technologietransfer muß wieder stärker wer- Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen. den. Das sind keine Subventionen, sondern das ist Ich habe zum Thema Gentechnologie etwas gesagt. Zukunftsvorsorge. Auch hier sind wir ein Stückchen weiter als vor zwei Wir brauchen eine behutsame Kurskorrektur: mehr Monaten. Wir haben unsererseits die Absicht erklärt, angewandte Forschung, weniger Grundlagenfor- bis zur Sommerpause des nächsten Jahres ein neues schung, mehr Prosa, weniger Lyrik. „Was bekomme mit den entsprechenden Verord- Gentechnikgesetz ich an Erkenntnissen?" muß eher gefragt werden. Wir nungen zu erlassen. Dies ist unbedingt erforderlich für müssen schneller vom Gedanken zum Produkt kom- Mensch und Umwelt, um die vernünf- Biotechnologie men. tig zu nutzen. Es darf nicht mehr sein, daß Naturwis- senschaftler aus der Bundesrepublik abwandern müs- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich schlie- sen, weil sie hier nicht die Arbeit leisten können, die ßen. Mit den eindeutigen Schwerpunkten bei Infor- im Interesse neuer Produkte dringend geboten ist. Wir mationstechnik und Mikroelektronik, Materialfor- werden das Gesetz im nächsten Jahr verabschieden. schung und Verarbeitungstechnologie, Biotechnolo- Ich hoffe hier auf Unterstützung aller Einsichtigen. gie und Medizin, Energietechnik und Umwelttechno- logie sowie Verkehrstechnik und Raumfahrt gibt es (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ein schmaleres Spektrum als früher. Es gibt weniger klare Ziele, aber dafür sind diese deutlicher defi- Der Bundesrat darf nicht wieder technikfeindliche niert. Stoppsignale setzen. Es muß verhindert werden, daß einzelne Landesverwaltungen oder Regierungspräsi- Wir sind der Meinung, das Forschungsministerium, denten, wie z. B. in Köln, im Genehmigungsverfahren der Minister hat eine gute Arbeit geleistet, was ihm ihre eigene Forschungspolitik betreiben. übrigens auch in Umfragen bestätigt wird, die ich gerne einmal erwähnen möchte. Deshalb stimmen wir Der neue Forschungsetat setzt aber auch deutliche diesem Etat, von uns kräftig verstärkt, für das Jahr Zeichen für den Aufbau und Ausbau der Forschung in 1993 mit voller Kraft zu. den neuen Ländern. Ich habe einiges nicht nur zum Herzlichen Dank. Standort Potsdam, sondern auch zu den neuen Bun- desländern insgesamt gesagt. 1993 stehen 1,75 Milli- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) arden DM zur Verfügung. Hinzu kommen die Mittel des Hochschulerneuerungsprogramms — 188 Millio- Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Das Wort nen DM — und für den Bau, die Sanierung und die hat der Abgeordnete Werner Zywietz. Gerätebeschaffung in außeruniversitären For- (Zurufe von der SPD: Die Rede kannst du zu schungseinrichtungen — ein Betrag, der vom Redner Protokoll geben! — Mußt du denn dauernd der Opposition vergessen worden ist —, 50 Millionen reden?) DM in bar. Im Haushaltsausschuß haben wir gemein- sam dazu beigetragen, weitere 100 Millionen DM an Verpflichtungsermächtigungen einzustellen. Werner Zywietz (F.D.P.): Ja, gute Kräfte werden bei uns häufig eingesetzt. Das ist halt so. Wir sind eine Wenn ich das alles addiere und das abziehe, was für Leistungspartei. die nachwachsenden Rohstoffe in den Agraretat gegangen ist, komme ich auf eine Größenordnung des (Heiterkeit bei der F.D.P. und der CDU/CSU Forschungsetats von rund 10 Milliarden DM. Ange- — Zurufe von der SPD) sichts der Aufgaben, die unsere Wirtschaft, unsere — Soll ich nun sagen, das kann ich verstehen? Aber ich Forschungspolitik hat, sicher nicht zuviel, aber ange- werde mich nicht ablenken lassen, 10726 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Werner Zywietz Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Bildhaft gesprochen — wenn es mir nicht verübelt der Phase der, wie ich es sehe, größten Herausforde- wird —, möchte ich meinen, man braucht so etwas wie rung für deutsche Politik seit langem, nämlich der ein Trüffelschwein, das herausfindet, welches die Vervollkommnung der deutschen Einheit und auch Produkte von morgen und übermorgen sind. Das steht der Vervollkommnung des europäischen Marktes, ja nirgends an der Wand geschrieben. Wer könnte brauchen wir nicht eine Klagementalität, wie ich sie denn dieses Trüffelschwein sein? aus den einleitenden Darlegungen seitens der SPD (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wer den doch sehr deutlich herausgehört habe, und auch nicht größten Rüssel hat!) eine Wettbewerbsverteilungsmentalität, sondern eine Fortschritts- und Leistungsmentalität. Nun kann man sagen: Wer sich mit der Wissenschaft beschäftigt, hat am ehesten ein Gefühl und einen (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Eindruck davon, welche Produktlinien — Mikroelek- ten der CDU/CSU) tronik, Optik, Biotechnologie, was immer es auch sein Diese ist im rauher gewordenen Wettbewerb um mag — diese Zukunft haben könnten. Aber auch die ökonomische und wissenschaftliche Spitzenpositio- Industrie ist hier sehr gefordert. Die Politik muß auch nen äußerst erforderlich, denn leistungsfähige Länder darauf hören, welche Zeichen von denen kommen, die um uns herum sind nicht gerade langsam, sondern auch Forschung — sogar den wesentlichen Teil — sehr tüchtig. betreiben, nämlich auf die Industrieunternehmen. Die Signale aus der Marktnähe für das, was Menschen in Der gute Ruf Deutschlands und das Bild vom tüch- der Zukunft brauchen, müssen in der Politik aufge- tigen, verläßlichen Deutschland war neben anderen nommen, verstärkt und unterstützt werden, wenn das Eigenschaften immer auch gepaart mit hoher Lei- Werk — so möchte ich einmal sagen — gelingen soll. stungsfähigkeit im dualen Bildungssystem, im beruf- Wir sind dabei, das hinzubekommen. lich orientierten Bereich, aber vor allem auch im Bereich von Wissenschaft und Forschung. Aber wir (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) alle wissen, solche guten Plätze sind immer hart Lieber Kollege Emil Schnell, das ändert auch nichts umkämpft. Es gibt keinen Erbanspruch- darauf, son- daran, daß der Finanzanzug — aus Gründen, die ich dern das muß immer wieder erkämpft werden. Gerade nicht weiter ausführen muß — in der Tat ein bißchen dieser Haushalt legt Grundlagen, die uns eine faire sparsamer als in der Vergangenheit ist. Aber auch da Chance geben, einen solchen Spitzenplatz im wissen- gibt es zwei Bilder. Man kann sagen: Der Anzug muß schaftlichen und forschungspolitischen Wettbewerb immer größer werden, dann wächst auch die Körper- zu erhalten. fülle. Aber das sieht weder gut aus, noch ist das zum Nach dem, was ich gehört habe, ist — entgegen Schluß sonderlich leistungsfähig. Man kann auch dem, lieber Emil Schnell, was du heute zum Ausdruck sozusagen ein umgekehrtes Bild nehmen und sagen: gebracht hast — zumindest in der Fraktionsspitze der Den Anzug proportionieren wir auf einen gut trainier- SPD erfreulicherweise die Erkenntnis etwas gewach- ten Körper, auf einen wissenschaftlichen Körper. Das sen — ich habe mir das aus der Rede des Fraktions- macht auch Sinn. Ich will dieses Bild nicht überstra- vorsitzenden Klose notiert —: Wir müssen mehr auf pazieren, d. h. aus dem sportlichen Körper soll nicht Produkte der neuen Generation setzen. eine schwindsüchtige Wissenschaftsfigur werden. Aber nur „mehr, mehr" zu sagen, was die Finanzen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU anbelangt, heißt noch lange nicht, die Leistungsfähig- sowie bei Abgeordneten der SPD) keit gesteigert zu haben. Da kann ich nur sagen: Sehr wahr. Diese Erkenntnis Deswegen würde ich die doch etwas pauschale können wir — so entnehme ich dem Beifall — auf allen Kritik, die Finanzmittel reichen nicht, es gibt Ver- Seiten unterschreiben. Man muß das jetzt nur organi- säumnisse im Wissenschaftsbereich, mir nicht zu sieren und richtig auf den Weg bringen. eigen machen. Im selektiven Sparen liegt auch eine (Jürgen Timm [F.D.P.]: Das hat so seine Chance. Aber man muß es nicht mit dem Rasenmäher Schwierigkeiten!) machen, man muß gutes Saatgut — was Wissenschaft für den wirtschaftlichen Forschritt ist — haben. Man — Ja, das hat so seine Schwierigkeiten. Daran sind soll Saatgut allerdings nicht verspeisen. Das macht nämlich viele beteiligt, und Zukunft ist immer unge- man nur in der größten Not, aber dann hat m an sich wiß. Sich sozusagen anzunähern hat so seine Schwie- auch um seine Zukunft gebracht. Wenn man die rigkeiten. Saatkartoffeln verspeist und nicht in den Boden Es ist wichtig, daß wir den Weg vom Erkennen zum bringt, dann ist es um die Zukunft eigentlich gesche- menschlichen Nutzen organisieren, konzentrieren hen, dann wird es ganz schlimm. Also muß man sehen, und zuordnen. Da gibt es die Beteiligten, die Forscher, daß dieses Saatgut schön selektiv in den Boden da gibt es aber auch die Wirtschaft, die Manager, die kommt. Verantwortlichen der Wirtschaft, und da gibt es poli- (Zuruf von der SPD: Er scheint aus der tisch Verantwortliche. In diesen Tagen ist immer Landwirtschaft zu sein!) soviel vom Soliarpakt die Rede, den ich gar nicht in Abrede stellen will. Aber gerade in der jetzigen Zeit — Nein, aber mein Vater war Landwirt. Das des härteren Wettbewerbs und der knapperen ökono- genügt. mischen Ressourcen scheint mir ein weiteres Bemü- Glauben Sie mir, an dem Bild ist eine Menge dran. hen — wir bemühen uns zweifelsohne auch jetzt Wir bemühen uns, dieses Saatgut nicht nur in den schon —, einen solchen Forschungspakt wirklich richtigen Branchen einzubringen, sondern auch in effizient zu machen, sehr vonnöten zu sein. Gesamtdeutschland. Deutscher Bundestag — 12. Wahlpe riode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10727

Werner Zywietz Ein paar Schlußbemerkungen zu den kritischen auch emotionale Kraft gebraucht wird, um das herbei- Anmerkungen der SPD. Ich kann überhaupt nicht zuführen. nachvollziehen, daß wir die Chancen für eine Wissen- Welche Gedanken bedrücken jene Menschen, die schaftslandschaft in den neuen Bundesländern, in der den wissenschaftlich-technischen Fortschritt des Ex-DDR, nicht wahrgenommen hätten. Wenn ich alle 20. Jahrhunderts aktiv mitbestimmt haben? Da ist Daten zusammenlege, wird deutlich: Die Zahl der zunächst eine moralisch hochbrisante und erschrek- Stellen ist erhöht. Vom Bund sind 730 Millionen DM kende Bilanz zu ziehen: zwei Weltkriege, die den für den Haushalt 1993 vorgesehen. Die Länder mit wissenschaftlich-technischen Fortschritt sehr frag- ihren Anteilen bringen es auf etwas über 1 Milliarde würdig umgesetzt haben — mit Giftgas im Ersten DM. Das sind Zahlen, die sich sehen lassen können: Weltkrieg und Atombomben im Zweiten Weltkrieg. 1992 pro Forschungsplatz 36 000 DM, im neuen Haus- Dazu kommen der High-Tech-Krieg am Golf und die halt pro Forschungsplatz im Schnitt 46 000 DM. Die technisch verfeinerte und auf den höchsten Entwick- qualitative Abstützung des Handwerkszeugs wird lungsstand gebrachte übliche Waffentechnik. Was dadurch besser. Das soll ja das Bild sagen. sind das für Fortschritte! Als ich kürzlich durch das sympathische Potsdam gefahren bin, lieber Emil, habe ich kaum noch ein Auch heute wird mit Waffenexporten ein gutes repräsentatives Haus gesehen, an dem nicht „For- Geschäft gemacht, werden hohe Gewinne erzielt. In schungsinstitut für ... " stand. Dort scheinen alle Jugoslawien, der Türkei und anderen Spannungsge- besseren Immobilien für forschungspolitische Einrich- bieten werden Menschen mit deutschen Waffen tungen vergeben zu sein. Dort und in der weiteren umgebracht. Wir wissen das und lassen es geschehen, Umgebung von Berlin herrscht daran also kein Man- weil wir ohnmächtig sind. gel. Wir sollten unseren Erfindungsgeist besser auf Hochtechnologien zum Ausschalten und Unwirksam

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- machen konventioneller Waffen konzentrieren. Es geordneter Zywietz, sollten Sie es einmal schaffen, geht nicht um die eigene Bewaffnung von Bundesbür- wenn ich während einer Haushaltsdebatte präsidiere,- gern hinter der Wohnungstür — wie es in Amerika ohne Aufforderung das Rednerpult zu verlassen, dann schon lange üblich ist mit Waffen, die denen der gebe ich Ihnen einen halben Liter aus. Angreifer gleichen, sondern mit Waffen, die eine (Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause) Blockierung von Angriffswaffen bewirken. Die Bearbeitung dieser Aufgabe wurde wahr- Werner Zywietz (F.D.P.): Herr Präsident, das ist ein scheinlich noch nicht mit Nachdruck öffentlich einge- äußerst verführerisches Angebot. Ich habe den Ein- fordert. Sie ist aber dringend notwendig. Waffenblok- druck, wir sehen uns heute noch wieder. kierungsgeräte sind Bedarfsartikel geworden. Sie Ich sage: Wir haben für eine Forschungslandschaft könnten ein Exportgut werden, das Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern Gutes getan und werden schaffen und hohe Absatzmöglichkeiten haben kann im Haushalt 1993 noch mehr leisten. und das den Frieden auf unserer Erde sichern hilft. Weiter möchte ich feststellen: Die F.D.P. ist sehr Der erfinderische Geist der Menschen ist reich. Es zufrieden, daß wir für den Haushalt 1993 Akzente wird eine lösbare Aufgabe sein. Natürlich müssen gesetzt haben, wie sie der Kollege Austermann skiz- dafür viele, viele Kräfte eingesetzt werden. ziert hat. Der meiner Meinung nach zu großzügige In unserer Zeit einer eskalierenden Gewalt müssen Aufwuchs in der Luft- und Raumfahrt wird auf ein wir grundsätzlich neue Wege beschreiten. Das Heim- erträgliches und notwendiges Maß zurückgeschraubt. All dies sind Zeichen, die uns mit Hoffnung erfül- zahlen mit gleicher Münze geht einfach nicht mehr. Es ist moralisch schon lange überholt. Auch staatliche len. Gewalt ist überholt. Wir brauchen eine sanfte Gewalt, Das Ressort, ausgestattet mit diesen Mitteln und welche die Menschen nicht verletzt. Möglichkeiten, ist bei Ihnen, Herr Minister, in den besten Händen. Wir danken Ihnen. - Aggressivität kann auch psychologisch beeinflußt werden, z. B. durch Polizisten, die gut ausgebildete (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Psychologen und mit Abwehrwaffen ausgerüstet sind, die nicht verletzen, sondern nur kampfunfähig Vizepräsident Dieter -Julius Cronenberg: Das Wort machen. Auf Gewaltabwehr und Gewaltausübung hat nunmehr die Abgeordnete Frau Ingeborg Phi- trainierte Polizisten sind emotional überfordert. Auch lipp. Polizisten sind unsere Mitmenschen, die wir vor Scha- den bewahren müssen. Ingeborg Philipp (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das vor uns liegende Jahr Aber das gilt auch für unsere jungen Leute und 1993 ist ein Jubiläumsjahr besonderer Art: Wir treten unsere Kinder. Sie müssen in eine friedliche Zeit in das dritte Jahrtausend unserer Zeitrechnung ein. Es hineinwachsen können. Horrorfilme und Gewaltsze- ist nämlich ein Zeitrechnungsfehler von sieben Jahren nen dürfen ihr Leben nicht mehr begleiten und passiert. Das Jahr 1993 ist wirklich das 2 000. Geburts- vergiften, sondern die Probleme des Friedenschaffens jahr von Jesus. zwischen den Menschen müssen ihr Denken und Fühlen bewegen. Zu einem solchen Zeitpunkt sollte ein großer Wunsch frei sein, ein großer Wunsch an die For- Wir brauchen ein friedliches drittes Jahrtausend. schung: Sie sollte aktiv für den Frieden auf unserer 2 000 Jahre Kriege und Konflikte reichen. Wir müssen Erde arbeiten. Ich weiß, daß sehr viel geistige und den Sprung in eine friedliche Welt schaffen. Dafür hat 10728 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Ingeborg Philipp zehn Jahre vor Marx der glaubwürdige Christ Wil- Nicht nur Sie, sondern auch die Kollegen von der helm Weitling eine wichtige Vorarbeit geleistet. In Koalition haben durchaus versucht, den Haushalt seinen Büchern und Schriften orientiert er auf Arbeit noch um eine gewisse Größe vernünftig aufzustocken. und Genuß für alle, auf das Prinzip „nicht strafen, Weshalb wird, nachdem das nicht geglückt ist, diese sondern heilen" und auf Gewaltlosigkeit. Diese Zufriedenheit zur Schau gestellt? Gedanken sollten wir praxiswirksam umsetzen. Ich wünsche mir, daß viele von uns die revolutionä- ren Anforderungen des Christentums ernst nehmen Dr. Heinz Riesenhuber, Bundesminister für For- und mit dem allgemein üblichen Vorteildenken schung und Technologie: Lieber Herr Schnell, es gibt Schluß machen. Um unserer selbst und unserer Kinder zwei Ebenen der Debatte. Die erste ist, daß man willen brauchen wir Menschen, die, wie Bischof versuchen muß, für den Bereich, für den wir Verant- Mitzenheim sagte, das Nebeneinander und auch wortung tragen, das Bestmögliche zu erreichen. Gegeneinander in ein Miteinander und Füreinander Die zweite hat das gleiche Gewicht: Wir müssen verwandeln. Erst dann werden wir die verlorengegan- Respekt haben vor der sehr schwierigen Situation des gene Lebensfreude in das Leben vieler zurückholen Gesamthaushalts, wo wir nur mit Kompromissen zu können. einer vernünftigen Lösung kommen können. Deshalb Schon Bertha von Suttner sagte: „Habt doch endlich freue ich mich über das, was jetzt mit einer guten den Mut zur Liebe!" Diesen Mut wünsche ich vielen Zusammenarbeit mit dem Haushaltsausschuß erreicht von uns und einen großen Erfindungsreichtum für die worden ist. Aber ich freue mich über jede Mark, die Gestaltung des Friedens zwischen den Menschen. der Haushaltsausschuß in seiner Weisheit und Güte Danke. mir in künftigen Verhandlungen geben kann. Wir können sie dringend für die Aufgaben brauchen, vor (Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie des denen wir stehen. Abg. Dr. Ulrich Briefs [fraktionslos]) (Zuruf von der SPD: Und der dritte Punkt ist !) Vizepräsident Dieter -Julius Cronenberg: Das Wort hat nunmehr der Bundesminister für Forschung- und Das heißt, wir werden, Herr Schnell, noch öfter Technologie, Dr. Riesenhuber. gezwungen sein, uns entscheiden zu müssen. Dann kommen wir auch zu sehr grundsätzlichen Entschei- (Gerhard Pfeffermann [CDU/CSU]: Zu Proto dungen, etwa zur Frage, ob wir mehr in den koll!) Konsum oder mehr in die Zukunft stecken wollen. Das wird eine Frage sein, die auch über den Forschungshaus- Dr. Heinz Riesenhuber, Bundesminister für For- halt hinaus grundsätzlich gestellt werden muß. schung und Technologie: Herr Präsident! Meine sehr Nun fragt der Herr Kollege Zywietz in dem Zusam- verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ger- menhang, wie man unter den Bedingungen knapper hard Pfeffermann kennt mich genau. Er weiß seit Haushalte ungefähr 30 Jahren, was ich sicher nicht tun werde, Prioritäten setzt. Das ist eine richtige Frage: sie ist von einer anderen Seite auch von Herrn besonders deshalb, weil meine Rede erst entsteht, Schnell aufgegriffen worden. Es ist eindeutig, daß wir indem ich zuhöre, was die Kollegen sagen. mit großer Konsequenz seit 1982 Prioritäten gesetzt Ich möchte zum Niveau des Haushalts gar nicht haben. Die Nukleartechnik ist wieder genannt wor- mehr viel sagen. Herr Kollege Austermann hat das mit den. Bei Nukleartechnik haben wir die Projekte seit großer Präzision dargelegt. 1982 auf ein Sechstel zurückgefahren, bei Kohlefor- (Zuruf von der SPD: Und Herr Schnell!) schung auf ein Drittel; nicht, weil ich etwas gegen — Und Herr Schnell. Er gab nämlich Herrn Auster- Nukleartechnik oder Kohle hätte, sondern deshalb, mann die Gelegenheit, zu korrigieren, was hier falsch weil wir die neuen Prioritäten dort setzen müssen, wo gesehen worden ist. neue Aufgaben für uns entstehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben auch im letzten Haushalt einen stetigen Insofern ist es eine wichtige Leistung gewesen. Zuwachs der prioritären Bereiche gehabt. Hier ist Umweltforschung angesprochen worden, auch in Ich will nicht die Zahlen im einzelnen durchgehen. Anknüpfung an die Debatte, die soeben mit Herrn Ich muß ganz offen sagen, daß wir noch mehr Geld Töpfer geführt worden ist. In der Umweltforschung sinnvoll ausgeben könnten, auch in Bereichen wie haben wir den Ansatz wieder überproportional gestei- etwa der industriellen Forschung, Herr Kollege gert. Bei Gesundheit, bei Ökologie, bei Klimafor- Schnell. Aber der Kern der Sache ist, daß wir unter schung haben wir Steigerungsraten von jeweils um schwierigen Verhältnissen einen Haushalt erstellt die 7 %. Im Haushalt des Forschungsministers hatte haben, der es nach seinem Volumen und seiner die Vorsorgeforschung 1982 einen Anteil von 9 %; Struktur erlaubt, Forschung in Deutschland voranzu- jetzt ist sie mit 18 % beteiligt. Dort, wo der Staat bringen. Verantwortung trägt, setzen wir einen Bereich von Prioritäten, weil wir eine Verantwortung für unsere

Vizepräsident Dieter -Julius Cronenberg: Herr Mini- Umwelt haben. Das haben wir in einer überzeugen- ster, das hat Herrn Dr. Schnell schnell veranlaßt, eine den Weise angegangen. Frage zu stellen. Wo wir noch weiter einschneiden können, müssen wir uns genau anschauen. Das wird eine schwierige Dr. Emil Schnell (SPD): Herr Minister, Sie sind alle so Debatte sein. Herr Austermann hat nachdrücklich für zufrieden. Wie kann man dann folgendes erklären: die erneuerbaren Energien plädiert. Hier haben wir Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10729

Bundesminister Dr. Heinz Riesenhuber einen enormen Haushalt, verglichen mit konkurrie- nem letzten Gutachten darauf hin, daß die Wirtschaft renden Nationen. Können wir das weiter tun? Sollen die Verantwortung hat, aus Grundlagenforschung wir das weiter tun? Können wir darauf verzichten? So Neues zu entwickeln, und daß der Staat dafür einzu- kritisch und schmerzhaft werden die Fragen sein. Bei stehen hat, daß die Grundlagenforschung stark und Umwelttechniken sind viele Fragen abgearbeitet, gut ist. andere müssen wir noch angehen. Die Altlasten in den neuen Bundesländern gehören zu den Fragen. Wo Ich will jetzt nicht wiederholen, was zu den Zahlen schneiden wir hier noch schärfer ein? gesagt worden ist. Wir haben eine exzellente Grund- lagenforschung. Ich akzeptiere, daß wir in diesem Das heißt, wir haben in den vergangenen Jahren Jahr bedauerlicherweise keinen Nobelpreisträger das Profil geschärft. Wir werden es auch noch weiter gehabt haben. Die Grundlagenforschung ist exzellent schärfen. Aber wir müssen uns darüber klar sein, daß mit hochengagierten Forschern, mit einem Glanz in wir unter den Bedingungen von sehr knappen Haus- der internationalen Community, der auch für die halten versuchen müssen, Prioritäten zu setzen. Zukunft tragfähig ist. Die Forschung weiß, daß sie in Das gilt auch für die Techniken. Wir haben einiges Jahren knapper Haushaltsmittel nicht mehr alles im Bereich der neuen Techniken aufgebaut. Ich bin kriegen kann, was wünschenswert oder interessant sehr dankbar für die Unterstützung bei der Informa- wäre. Aber sie weiß auch, daß die Zukunft und das, tionstechnik, die der Kollege Austermann vorgetra- was sie erreichen will, von ihrer eigenen Kreativität gen hat. Wenn wir jetzt von den Technologien des und ihrem Unternehmungsgeist abhängen wird. 21. Jahrhunderts sprechen und dafür schon 250 Mil- Bei der Umsetzung kann der Staat an einigen lionen DM eingesetzt haben, dann ist das ein sehr Stellen etwas machen. Wir haben die Auftragsfor- beachtlicher Betrag, der auch eine überproportionale schung begonnen, damit Unternehmen und Institute Wachstumsrate bedeutet. überhaupt enger zusammenarbeiten. In den neuen Die Frage ist, wie man die Strategie im ganzen Ländern bauen wir jetzt die gleichen Strukturen von anlegen soll. Herr Zywietz hat gefragt: Wie soll man vornherein auf, damit sie sich gemeinsam entwickeln die neuen, richtigen Bereiche finden? Er hat mich und aufeinander zugehen, damit sie miteinander liebenswürdigerweise einerseits mit einem hypotheti- vernetzt sind, damit sie sich gegenseitig tragen. schen Trüffelschwein verglichen, andererseits hat er beim die Schlankheit von Körpern gewürdigt. Das sind Wir haben die Kooperation Austausch von entwickelt. Wir haben Strategien entwickelt, beides richtige Betrachtungsweisen. Personal bei denen gemeinschaftliche Projekte aufgebaut wor- (Heiterkeit im ganzen Hause) den sind. Sie können sehen, was in den vergangenen Bei der Frage, wie m an die neuen Themen findet, Jahren in Deutschland entstanden ist, etwa beim wenn wir von Techniken sprechen, gibt es, glaube ich, Verbundprojekt Eureka, wie Euro-Laser im Maschi- nichts Besseres als den Markt. Wir haben uns immer nenbau wirksam geworden ist mit einer neuen Gene- darauf verlassen, daß die Verantwortung der Unter- ration von Lasern, wie sich Fertigungstechniken, neue nehmer hier die Themen und Techniken findet. Je Materialien am Markt durchgesetzt haben, und zwar mehr der Staat versucht, Zukunft vorzugeben, desto aus der Grundlagenforschung entwickelt. geringer wird Dynamik und Kreativität. Deshalb Nun räume ich ein, daß das Tempo der Umsetzung haben wir es von unten her aufgebaut. bei uns noch nicht so schnell ist, wie es sein müßte. Ich (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) hätte es auch gern schneller. Der Staat kann nur an einigen Stellen Voraussetzungen schaffen und die Was wir bei dieser Strategie entwickelt haben, ist Zusammenarbeit organisieren, z. B. mit den Kollegen eine Vielfalt von Fragestellungen, über die wir an aus den anderen Ressorts. Bei den nachwachsenden anderer Stelle diskutiert haben. Wir versuchen, das Rohstoffen setzen wir das z. B. zusammen mit dem beste Wissen aus unterschiedlichen Bereichen früh- Landwirtschaftsministerium um über die Agentur, die zeitig heranzubringen. Die Großmann-Kommission, wir jetzt gründen werden und mit der wir das ver- die Delphi-Umfrage bei 3 000 Experten, die Untersu- markten wollen. chungen, die wir über ISI machen lassen, viele Gesprächskreise mit unterschiedlichen Wissen- Mit dem Verkehrsminister reden wir über unser schaftsbereichen, die Gesprächskreise mit der Indu- Projekt Prometheus, aber dann von der „intelligenten strie, mit den Forschungschefs der Wirtschaft — dies Straße" her, einer Straße, bei der eine von intelligen- alles ist der Versuch, viele Trüffelschweine auf einen ter Informationstechnik geprägte Infrastruktur fruchtbaren Eichenwald loszulassen, die dann glück- schnellen Verkehrsfluß gewährleistet und Unfälle lich nach Hause ziehen, weil sie was gefunden vermeidet. haben. Wir reden mit dem Umweltminister über die Tech- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und niken, um sie bei der Sanierung von Altlasten einzu- der F.D.P.) setzen. Wir entwickeln neue Techniken bei Buna, wir Was sich hier entwickelt, ist nicht etwa eine Strategie, entwickeln neue für die unterschiedlichsten Bereiche bei der der Staat die Ziele vorgibt. Aber er gibt kontaminierter Böden. Voraussetzungen und Instrumente. Wir sprechen mit dem Postminister über das digitale Hier ist die Frage gestellt worden — sie ist zu Recht Autotelefon. Er hat es durchgesetzt und eingeführt. gestellt worden —: Wie setzen wir die Ergebnisse um? Wir haben die Projekte Anfang der 80er Jahre begon- Auch hier ist es zuerst eine Frage an die Wirtschaft. nen. Das gilt genauso für den digitalen Hörfunk. Das Auch der Wirtschaftssachverständigenrat weist in sei- ist ein Riesenmarkt mit enormen Chancen. 10730 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Bundesminister Dr. Heinz Riesenhuber Wenn der Staat die Voraussetzungen schafft — und Aber ich weiß natürlich, daß wir bei der Industrie- wir schaffen sie in einem Zusammenspiel der Res- forschung, bei den Forschungs - GmbHs ein Problem sorts —, dann werden wir neue Märkte und Produkte haben. Aber dieses Problem ist durch Staatsgeld nicht bekommen. Hier hat der Staat Ausgaben als Voraus- zu lösen. Heute schon ist es so, daß jeder zweite setzung für die Entwicklung der Märkte, aber nicht in Forscher durch BMFT-Mittel bei der marktorientier- der Bestimmung der Inhalte der Märkte und der Ziele. ten Forschung unterstützt wird. Ja, wie weit sollen wir So sind wir es in der Bundesregierung in einer noch gehen? 340 Millionen DM! geteilten Verantwortung, aber in einer engen Zusam- Sie sprachen von den Forschungs-GmbHs. Hier menarbeit angegangen. haben wir mit der Treuhand eine Strategie vereinbart, Es ist zu Recht bemerkt worden — Herr Austermann die die große Zahl der Forschungs-GmbHs einzeln hat darauf hingewiesen —, daß wir durch Gesetze, evaluiert und festgestellt hat, wo man privatisieren z. B. durch das Gengesetz, neue Rahmenbedingun- und umsetzen kann. gen schaffen müssen. Wir werden das auch schaf- Wir haben eine Förderung von neugegründeten fen. technikorientierten Unternehmen aufgebaut. Wir Wenn ein Pakt zur Forschung eingefordert worden haben da eine Vielfalt von neuen Aufgaben. Aber die ist, dann könnte er in diesem Zusammenhang heißen: Arbeit kann nur von den Menschen selbst getan Wir schaffen die Rahmenbedingungen durch ein Gen- werden. Man darf nicht nach dem Geld schauen, das gesetz, daß die Forschung ermöglicht, ermutigt und von hier überwiesen wird, man muß auf die eigene voranbringt. Die Wirtschaft konzentriert sich darauf, Arbeit schauen, die man anlegt. Die Zukunft entsteht auch in der Industrie und auch in der Produktion unter nur aus der Arbeit, aus dem Unternehmungsgeist der den neuen Bedingungen Forschung aufzubauen. Es Leute in den Betrieben und in der Wissenschaft in den kann nicht sein, daß wir Rahmenbedingungen schaf- neuen Ländern. So haben wir hier im Westen die fen, die dann von der Forschung, aus der Wirtschaft, Republik aufgebaut, und so werden wir im Osten das aus den Unternehmen, aus der Wissenschaft nicht Land aufbauen. Wir helfen mit Geld; aber die Zukunft offensiv aufgegriffen werden. Beides gehört zusam- entsteht aus eigener Arbeit und aus Zielbewußtsein. men, und beides gehört zu dem Verständnis, von dem Da wollen wir ermutigen, wo immer es geht. wir reden. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sie haben auf die Frage Weltraum hingewiesen. Zum Reden gehört auch, daß jeder auch aus seiner Herr Austermann hat dies so umfassend kommentiert, Verantwortung heraus spricht. Die Wirtschaft beklagt daß ich es jetzt eigentlich gar nicht mehr aufdröseln manchmal das technikfeindliche Klima in Deutsch- will. In der Tat: Es ist uns nach einem Diskussionspro- land. Hier hat die Politik einiges zu sagen, aber die zeß über fünf Jahre gelungen, in Granada ein Konzept Wirtschaft und die Wissenschaft genauso. Man glaubt zu erhalten, das Dauerhaftigkeit verspricht. Ich sage nur den Leuten, die kompetent und aus eigener nicht, daß alle Probleme gelöst sind. Wir werden noch Verantwortung die Sache kennen, d. h. denen die Probleme haben, gewichtige Probleme. Aber wir vertrauensschaffend zu den Fragen sprechen kön- haben eine Strategie angelegt, die den finanziellen nen. Vorgaben entspricht. Wir sind jetzt in einem kontrol- Der Sachverständigenrat hat darauf hingewiesen, lierten Bereich. Wir haben Strukturen eingesetzt, um daß es eine der wesentlichen Aufgaben ist, die tech- die Kostenentwicklung zu kontrollieren. Wir haben nikfeindliche Stimmung in Deutschland zu bekämp- Beschlüsse für die Projekte getätigt, die wir brau- fen. Das Starren auf wirkliche oder vermeintliche chen. Restrisiken — sagt der Sachverständigenrat — führt 220 Millionen DM sind von der ESA für die Zusam- dazu, daß die wirklichen Risiken des Verzichts auf menarbeit mit den GUS -Staaten eingeplant, weil wir eine Technik nicht mehr erkannt werden. Und dann hier eine langfristige Partnerschaft haben wollen. wird die Landschaft schwierig und gefährlich. (Zuruf von der SPD: Auf drei Jahre!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) — Jawohl, aber rechnen Sie dies einmal nach dem Wenn wir ein Höchstmaß an Sicherheit und heutigen Kurs in Rubel um. Wenn ein Wissenschaftler Umweltschutz erreicht haben, dann muß das die dort 25 D-Mark im Monat hat, ist das ein enormer Voraussetzung dafür sein, daß jetzt die neue Technik Anstoß und eine Möglichkeit, Strukturen zu verän- entsteht. dern und langfristige und dauerhafte Kooperationen Nun hat Herr Schnell gesagt, das sei in den neuen aufzubauen, die wir wollen. Ländern noch nicht in dem Maße angegangen wor- In dieser Zeit wäre es elementar falsch gewesen, den, wie das wünschenswert sei. Herr Schnell, der irgendeinen Zweifel an der Festigkeit unserer Zusam- Zuwachs bei den neuen Ländern ist jetzt, glaube ich, menarbeit mit den USA, unserem alten und starken 7,5 %. Das ist ein Vielfaches des Zuwachses im Haus- Partner, zu lassen. Deshalb war es richtig, Columbus halt. Die absolute Summe liegt bei über 1,7 Milliarden. und vor allem das angedockte Labor durchzuziehen. Wir haben ein Hochschulerneuerungsprogramm, das Deshalb war es richtig, das Programm schlanker zu Wissenschaftler-Integrationsprogramm, wir haben machen, Geld zu sparen. Aber es war auch richtig, hier ein neues Investitionsprogramm für die Institute, bei eine Partnerschaft verläßlich zu halten, und dies denen der Bund drei Viertel zahlt und die Länder nur haben wir gemacht. ein Viertel. Wir haben in den Bereichen, in denen der Bund gestalten kann, in großer und umfassender Es war richtig, daß wir die Erdbeobachtungen als Weise Voraussetzungen geschaffen. einen Schwerpunkt mit wachsender Bedeutung neu Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10731

Bundesminister Dr. Heinz Riesenhuber eingeführt haben. Es war richtig, daß wir das Wissen- Ich rufe auf: schaftsprogramm angehoben haben und auf der Linie Einzelplan 13 halten, die wir jetzt haben. Es war auch richtig, daß wir Geschäftsbereich des Bundesministers für Post Hermes zu einem Technologieprogramm gemacht und Telekommunikation haben. Denn darin steckt die Chance, die neuesten Techniken, die Rußland entwickelt hat, in eine — Drucksachen 12/3513, 12/3530 — gemeinsame europäische Strategie zu integrieren. Berichterstattung: Abgeordnete Manfred Kolbe (Zuruf von der SPD: Es ist zu spät!) Werner Zywietz — Es ist nicht zu spät. Es ist die eigentliche Chance, Rudi Walther (Zierenberg) hier Kompetenz einzubeziehen und in Bereichen, in Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Stunde Debat- denen Rußland stark ist, eine dauerhafte Partnerschaft tenzeit vor, die auch diesmal unterschritten werden mit Rußland zu entwickeln. kann. Wir nehmen also auch Reden zu Protokoll. Aber Ich stimme denen zu, die gesagt haben, daß wir auf wenn Sie grundsätzlich damit einverstanden sind, eine Strategie hinauswollen, die langfristige welt- verständigen wir uns zunächst einmal auf diese weite Kooperationen ermöglicht. Die Projekte sind Debattenzeit. — Das ist offensichtlich der Fall. groß, und wir haben eine Welt, in der die Konkurrenz Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abge- der Blöcke im alten Sinne nicht mehr gilt, in der die ordneten Arne Börnsen das Wort. Voraussetzungen gegeben sind, weltweit zusammen- zuarbeiten, in der gemeinsame Probleme und gemeinsame Chancen mit gemeinsamer Bündelung Arne Börnsen (Ritterhude) (SPD): Herr Präsident! der Kräfte erreicht werden können. Es ist eine Welt, in Meine Damen und Herren! Es wäre sicherlich interes- der wir friedlich zusammenarbeiten können und fried- santer, wenn wir heute über das Ergebnis dessen lich zusammenarbeiten müssen. Das ist die Vorausset- sprechen könnten, was morgen beginnen soll, näm- zung für die technische Zusammenarbeit. Aber auch lich die hoffentlich letzten Verhandlungen über die die technische Zusammenarbeit kann Frieden über mögliche Postreform II. Heute, am Vorabend dieser längere Fristen sichern. Verhandlungen, wird sicherlich vieles verschwiegen, was an diesem Thema und am Einzelplan 13 sowie mit Mir scheint es eine eindrucksvolle Sache zu sein, mit den damit verbundenen Themen eigentlich sp annend welcher Begeisterung und Offenheit die russischen wäre. Aber sicherlich bietet dies auch die Möglichkeit, Wissenschaftler die Partnerschaft suchen. Ich habe daß wir einige Gründe nennen, die zu der Notwendig- gestern wieder Besuch von Professor Prochorow keit geführt haben, über eine Postreform II zu disku- gehabt, einem Nobelpreisträger aus Moskau, der mit tieren. Vielleicht kann auch einiges zu dem klarge- seinem Institut eine exzellente Forschung betreibt. Er stellt werden, was in der Öffentlichkeit heute an hat mit mir über die Probleme und über die Not Eindrücken herrscht und warum diese Postreform II gesprochen, in denen Rußland und die Forschung dort nach meiner Überzeugung notwendig ist. jetzt sind. Er hat jedoch mehr über das gesprochen, Es wird insbesondere auch durch den Bundespost- was sie bei uns als Partnerschaft gefunden haben, minister immer wieder darauf hingewiesen, daß nach ausgehend von alten Verbindungen zu der alten DDR seiner Meinung 1982 eine technisch desolate und und ihren Instituten, weitergeführt mit Firmen und finanziell angeschlagene Bundespost von ihm über- Instituten in den neuen Ländern. nommen wurde. Das ist mit den Tatsachen überhaupt Das scheint mir die Chance für die Zukunft zu sein: nicht in Übereinstimmung zu bringen. Wenn man die Partnerschaft aufzubauen aus gemeinsamen Aufga- Jahresberichte der Deutschen Bundespost aus dem ben und gemeinsamen Zielen, aus dem gemeinsamen Jahre 1982 und davor betrachtet und dem die Ergeb- Willen, eine Welt mit einer enormen Vielfalt von nisse der Bundespostunternehmen von 1991 und 1992 Problemen, aber auch an Chancen und an Zukunft zu gegenüberstellt, dann stellt man fest, daß im Jahre gestalten. In diesem Geist, in dem Geist der Verant- 1982 und in den Jahren davor eine finanziell gesunde wortlichkeit und der weltweiten Partnerschaft wollen Deutsche Bundespost geführt wurde, während das wir unseren Teil mit einbringen. heute nicht mehr der Fall ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Zuruf von der CDU/CSU) Einer der Gründe dafür, daß wir die Postreform II machen müssen, ist ja auch die Tatsache, daß die wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung der Post Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine nicht mehr gesichert ist. Sonst würden Sie doch drei Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung, Jahre nach der Postreform I nicht schon wieder eine und zwar zunächst über den Änderungsantrag der solche Reform anfassen. Gruppe PDS/Linke Liste, der Ihnen der Drucksache Es muß auch darauf hingewiesen werden, daß die 12/3835 vorliegt. Wer stimmt für diesen Änderungs- wesentlichen technischen Entwicklungslinien — Da- antrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? tenübermittlung, Digitalisierung, Erprobung der Damit ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen Glasfaser, neue Dienste wie Telefax, Se rvice 130 und der SPD, der CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt. Satellitendienst — von den Amtsvorgängern von Wer nun für den Einzelplan 30 in der Ausschußfas- Herrn Schwarz-Schilling erdacht, eingeleitet und sung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — umgesetzt wurden, nämlich von Herrn Gscheidle und Wer stimmt dagegen? — Mit den Stimmen der Koali- Herrn Matthöfer. Das, was in den letzten zehn Jahren tionsfraktionen ist der Einzelplan 30 angenommen. von Herrn Schwarz-Schilling in die Praxis umgesetzt 10732 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Arne Börnsen (Ritterhude) werden konnte, ist von seinen Vorgängern eingeleitet menhang auf das Sondergutachten des Bundesrech- worden. Darauf sollte hier einmal hingewiesen wer- nungshofes. Aber ich schenke mir einmal die Begrün- den. Meine Damen und Herren, wenn wir offen und dung; wir wissen das sowieso alle. ehrlich mit diesem Thema umgehen wollen, dann (Gerhard O. Pfeffermann [CDU/CSU]: sollten Sie von der Verfälschung, die in der Politik Meinst du da den Btx-Teil?) leider manchmal üblich ist, abweichen und zu den Realitäten -- was Ihre Amtsvorgänger eingebracht — Laß gut sein, Gerd; wir sprechen hier über wesent- haben — zurückkehren. liche Momente und nicht über Randbedingungen. Meine Damen und Herren, als 1982 der Regierungs- Meine Damen und Herren, dann kam 1987 die wechsel kam, wurde eine der wenigen neuen techni- Initiative zu dem Poststrukturgesetz I, mit dem Ziel der schen Entwicklungen eingeleitet, nämlich die Breit- Schaffung der Post 2000, mit dem Ziel, die Post bandverkabelung. Das ist einer der wenigen Dienste, fitmachen zu wollen für die Zukunft. die in den vergangenen zehn Jahren wirklich neu Ich bestreite nicht einige Kernpunkte, die auch in eingesetzt wurden. Das Ziel war offensichtlich und der Gesetzesinitiative, die Anfang der 70er Jahre nicht eindeutig: Ohne Rücksicht auf Kosten und Erträge realisiert werden konnten, enthalten waren. Aber ich wurde ein Dienst forciert und sollte flächendeckend muß heute, drei Jahre nach Inkrafttreten der Post- eingeführt werden, der von Anfang an katastrophale strukturreform I feststellen, daß der Infrastrukturauf- Kostendeckungsgrade aufwies. trag gefährdet ist, und zwar auf Grund mangelnder Meine Damen und Herren, das ist auch kein Wun- politischer Zielvorgaben, auf Grund der Gefährdung der: Herr Schwarz-Schilling war in der Zeit, bevor er der finanziellen Basis insbesondere der Telekom Postminister wurde, medienpolitischer Sprecher sei- durch Erosion der Monopole und nicht zuletzt auf ner Fraktion. Das erste, was die Jahre in seiner Grund politischer Eingriffe und Regulierungen zu Amtszeit beherrschte, war Medienpolitik und weniger Lasten der Unternehmen. Postpolitik. Die Konsequenz: Die Beibehaltung der heutigen Wenn wir die Zielsetzung von damals einmal mit Struktur der Telekom gefährdet den Infrastrukturauf- den Realitäten von heute vergleichen, dann- werden trag und die Absicherung des Monopols. Aufgabe für wir feststellen, welche große Lücke zwischen dem, uns ist aber, diese Zielsetzungen zu sichern. was erwartet wurde, und dem, was heute eingetreten Für uns als SPD ist die Sicherung des Infrastruktur- ist, klafft. Ob das, was medienpolitisch durch die auftrages, also eine flächendeckende Bereitstellung Breitbandverkabelung eingeleitet wurde, gerade von moderner Leistungen der Post und Telekommunika- Ihnen so uneingeschränkt gutgeheißen werden kann, tion, eine unverzichtbare staatliche Aufgabe. das wage ich einmal zu bezweifeln. (Beifall bei der SPD) Wenn ich daran denke, mit welchen großen Worten 1982 davon gesprochen wurde, daß durch die Initiati- — Ich bedanke mich ausdrücklich. ven, durch die Breitbandverkabelung ein Investitions- Die vergangenen drei Jahre bestätigen, daß die stau aufgehoben werde, muß man doch fragen, ob gegenwärtige Struktur der Bundespostunternehmen diese Behauptung von damals heute überhaupt noch und der politischen Rahmenbedingungen ungeeignet ernst genommen werden kann. ist. Es ist z. B. zu kritisieren, daß die Monopole dem Tatsache ist, daß die finanziellen Auswirkungen Bund übertragen sind und daß es seiner Entschei- auf die Postunternehmen, heute auf die Telekom, dung, in diesem Fall der Entscheidung des Ministers negativ waren, daß eine der Ursachen — nicht die obliegt, in welcher Form die Monopole von den Hauptursache, aber eine der Ursachen — für das Unternehmen wahrgenommen werden können. Die mangelnde Eigenkapital in den wesentlichen und Telekom z. B. hat jedoch keinen Anspruch auf diese erheblichen Investitionen im Bereich der Breitband- Monopole. verkabelung zu suchen sind. Festzustellen ist, daß die Ich möchte hier noch einen wesentlichen Punkt Flächendeckung, die damals angestrebt wurde, nennen, der für uns und für mich persönlich entschei- inzwischen aufgegeben ist. Festzustellen ist weiter- dend ist, wenn es um die Frage geht, ob wir uns an hin, daß die technologische Entwicklung die Breit- einer Postreform II beteiligen sollten, falls die entspre- bandverkabelung inzwischen überholt hat. chenden Eckpunkte, die wir versuchen wollen zu Meine Damen und Herren, es kann natürlich darauf diskutieren, eine solche Beteiligung rechtfertigen. hingewiesen werden, wie es in den „Neuen Postpoli- Das ist die Postversorgung auf dem Lande. tischen Informationen" geschieht, daß die Deutsche Der Bundestag hat im Jahre 1981 einstimmig ein Bundespost/Telekom im europäischen Vergleich füh- Konzept zur Postversorgung auf dem L ande beschlos- rend ist. Insgesamt hat die DBP/Telekom — steht hier sen und damit die Grundsätze der Amtsstellenorgani- — mehr Kunden in ihren Kabelfernsehnetzen als alle sation und die Voraussetzung für das Aufheben orts- übrigen europäischen Länder zusammen. fester Amtsstellen vorgegeben. Die Unternehmen der Grund dafür ist sicherlich auch das gute Preis- Post und der Postbank h andeln heute so, als ob es Leistungs-Verhältnis. Wenn man ein solches künstli- diesen politischen Willen des Gesetzgebers nicht ches Preis-Leistungs-Verhältnis auflegt ohne Berück- gäbe. sichtigung der tatsächlichen Kosten, dann kann das Wir müssen feststellen, daß die Aufteilung der Post allerdings so behauptet werden. Aber die Kostenun- und der Postbank, verursacht durch die Poststruktur terdeckung wird weiterhin von der Telekom getragen reform I, dazu geführt hat, daß die damit verbundene werden müssen. — Ich verweise in diesem Zusam- Kostenorientierung die Postunternehmen zwingt, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10733

Arne Börnsen (Ritterhude) eine Berechnung der Inanspruchnahme der Schalter- Personalkosten Ost rein technisch umgebucht worden dienstleistungen von Post durch die Postbank vorzu- wären. So sind wir zu einer Ausgabensteigerung von nehmen, mit dem Ergebis, daß die Postbank mit 3,3 % gelangt, 18 Millionen DM mehr als 1992, 1,9 Milliarden DM pro Jahr belastet werden soll. 559 Millionen DM Ausgabevolumen. Diese Einspar- Wir wissen, auch wenn diese Summe durch Sie, leistung ist aber dennoch sehr hoch einzuschätzen, da Herr Minister, reduziert worden ist, daß, wenn diese die überproportional gestiegenen Personalkosten im Summe in dieser Größenordnung beibehalten wird, Einzelplan 13 einen Anteil von 45 % gegenüber ledig- die Existenz der Postbank gefährdet ist, daß die lich 12 % im Durchschnitt des Bundeshaushalts aus- Postbank geradezu gezwungen wird, zu prüfen, ob sie machen. im Amtsstellennetz der Post verbleiben kann oder ob Bei den Einnahmen ist die Ablieferung der drei es für sie nicht rentabler ist, eine eigene Vertriebsor- Unternehmen der Deutschen Bundespost die bei wei- ganisation aufzubauen. tern wichtigste Position. Sie sinkt auf Grund gesetzli- Wenn dieses der Fall ist, dann wird die Post nicht cher Festlegungen und Vereinbarungen mit dem mehr in der Lage sein, die heutige Struktur der Bundesfinanzminister von 9,1 Milliarden DM in 1992 Poststellen auf dem Lande sicherzustellen. Dann — auf 7,2 Milliarden DM in 1993. Abgesehen von der das muß man ganz offen sagen — ist die Struktur allgemeinen Finanzverwaltung und der Bundes- existentiell extrem gefährdet und ist die Postversor- schuld ist damit der Einzelplan 13 der Einzelplan mit gung auf dem Lande nicht mehr aufrechtzuerhalten, den höchsten Einnahmen. jedenfalls nicht mehr in der gegenwärtigen Struk- tur. Ausgabenseitig ist der Einzelplan 13 ein reiner Verwaltungshaushalt. Die Personalkosten steigen um (Martin Göttsching [CDU/CSU]: Das sagen 13,1 %, die sächlichen Verwaltungskosten um 10,1 %, Sie jetzt schon zum drittenmal!) die Investitionen um 1 %. — Soweit ein paar einfüh- — Das mag ich zum drittenmal sagen, Herr Kollege. rende Daten. Wenn es allerdings dazu kommt, verehrter Freund, dann werden Sie die Prügel draußen durch die Bürger Im Mittelpunkt der Haushaltsberatungen stand der bekommen, die nicht mehr ihre Poststellen im Lande, Bericht des Bundesrechnungshofes über die Prüfung auf der Fläche haben. der Organisation und Personalausstattung des Bun- desministeriums für Post und Telekommunikation. Die Frage lautet, meine Damen und Herren: Haben Das Bundesministerium wurde, wie allgemein be- wir Möglichkeiten, eine solche Erosion der Postver- kannt, 1989 im Zuge der Postreform I organisatorisch sorgung auf dem Lande zu verhindern? Wir wissen, völlig umgestaltet. Nach dem Postverfassungsgesetz daß in den Diskussionen, die wir geführt haben, solche blieben ihm die politischen und hoheitlichen Aufga- Modelle erarbeitet worden sind. Für mich ist eine der ben, während die betrieblichen und unternehmeri- entscheidenden Fragestellungen, ob wir eine gemein- schen Aufgaben den drei neu errichteten Unterneh- same Konzeption finden können, daß diese den Bür- men der Deutschen Bundespost übertragen wurden. ger direkt betreffende Dienstleistungsversorgung auf- rechterhalten wird. Der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundesta- Wir können uns keine akute Gefährdung dieser ges hat deshalb am 27. September 1989 den Bundes- Infrastrukturversorgung leisten. Deswegen zwingt rechnungshof gebeten, die Organisation des Bundes- uns diese Entwicklung zum Handeln. Wir stehen auch ministeriums zu überprüfen und empfohlen, die Zahl vor der Frage, ob wir die negative Entwicklung, die, der Abteilungen zu überdenken und Kleinstreferate wie geschildert, durch eine mögliche Verweigerung möglichst zu vermeiden. von uns mitverantwortet werden muß, akzeptieren Dieser Bericht wurde im September 1992 in die wollen oder ob wir durch eine kritische Bereitschaft laufenden Haushaltsberatungen eingebracht. Nach zur Mitgestaltung bewirken wollen, daß die Post den Prüfungserkenntnissen des Bundesrechnungsho- tatsächlich fitgemacht wird für die Zukunft. Ich hoffe, fes sind die allgemeinen Organisationsgrundsätze daß uns dies gelingen wird. beim Bundesministerium nicht hinreichend beachtet, Herzlichen Dank. für die Aufgabenwahrnehmung sind zu viele Abtei- (Beifall bei der SPD) lungen, Unterabteilungen und Referate eingerichtet worden. Demgegenüber hat der Bundespostminister die kritisierte Organisation mit der Aufgabenvielfalt, Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile seiner politischen Verantwortung sowie der anstehen- nunmehr dem Abgeordneten Manfred Kolbe das den Postreform II begründet. Als Ergebnis seiner Wort. Prüfung hat der Bundesrechnungshof vorgeschlagen, von insgesamt 451 Stellen 52 einzusparen, von denen allerdings die Hälfte, 26 Stellen, bereits mit kw- Manfred Kolbe (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Vermerken versehen war. Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sparen lautete ein Motto dieser Haushaltsdebatte. Ich glaube, Wir haben dann sehr intensiv im Rechnungsprü- der Einzelplan 13 hat seinen Beitrag dazu geleistet. fungsausschuß, im Unterausschuß, und dann im Haus- haltsausschuß darüber beraten und uns entschieden, Nach dem Eckwertebeschluß der Bundesregierung noch einmal zusätzliche 14 Planstellen, insgesamt also vom 5. Mai soll die Ausgabensteigerung bis 1996 auf 40 Planstellen zu streichen bzw. mit nackten kw- plus 2,5 % jährlich begrenzt werden. Diese Forderung Vermerken zu versehen. hätte der Einzelplan 13 mit lediglich 2,1 % sogar übererfüllt, wenn jetzt nicht aus dem Einzelplan 60 die (Helmut Esters [SPD]: Das sind die besten!) 10734 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Manfred Kolbe — Herr Esters, nackt bedeutet natürlich, daß der Bis 1997 baut die Deutsche Bundespost Telekom Planstelleninhaber immer noch bekleidet im Ministe- das Fernmeldenetz im Osten mit einem Investitions- rium erscheint. volumen von rund 55 Milliarden DM zum modernsten Telekommunikationsnetz der Welt aus. 1991 sind (Helmut Esters [SPD]: Das sind aber die 550 000 neue Telefonanschlüsse, darunter 150 000 besten Vermerke!) Anschlüsse für Geschäftskunden und 1992 rund — Ja, Herr Esters, wir haben uns auch bemüht zu 600 000 neue Telefonanschlüsse eingerichtet worden. sparen. Es freut mich, daß Sie das anerkennen. Bis Ende dieses Jahres werden wir in den östlichen Danke. Bundesländern gut 3 Millionen Telefonanschlüsse Insbesondere im Spitzenbereich konnten wir drei haben. Zwei Jahre nach der Wiedervereinigung sind von neun B-6-Stellen und acht von 34 B-3-Stellen dies fast doppelt so viele wie vor der Einheit. einsparen. (Gerhard O. Pfeffermann [CDU/CSU]: Es (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch schon sind wirklich so viele, weil vorher Doppel- was!) und Vierfachanschlüsse mitgezählt wurden! — Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Die werden — Danke. auch nicht abgehört!) Als zusätzliche Härte für das Bundespostministe- Wenn alle Bereiche so erfolgreich wären, könnten wir rium habe ich es allerdings empfunden, daß über uns wahrhaft glücklich schätzen. diese weitgehenden Einsparungen hinaus auch noch die 1 %ige generelle Stelleneinsparung gefordert (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: — und wurde. Diese Einsparung hat das Ministerium über- wenn der Kollege Kolbe so lobend über die proportional getroffen. Aufbauleistungen im Osten spricht!) Als Fazit bleibt festzuhalten, Sparen ist auch bei — Herr Kollege, das ist ein Bereich, bei dem man obersten Bundesbehörden und bei Spitzenpositionen wirklich nur loben kann. möglich. Und das ist gut so. Deshalb möchte ich (Beifall bei der CDU/CSU) anregen, daß wir derartige Organisationsprüfungen durch den Bundesrechnungshof auch einmal in ande- Das ist leider nicht bei allem so. ren Häusern durchführen, um zum einen Gerechtig- Damit darf ich auch zu einem kritischen Punkt keit unter den Häusern walten zu lassen und weil zum kommen, zum zweiten Aspekt dieses Investitionsvo- anderen nach Aussagen des Bundesrechnungshofes lumens, zur Vergabe öffentlicher Aufträge. Diese im Ausschuß für Post und Telekommunikation auch öffentlichen Investitionen haben natürlich auch die andere Ministerien eventuell gegen diese Organisa- Aufgabe, den Mittelstand im Osten anzukurbeln. Mit tionsgrundsätze verstoßen sollen. diesen 55 Milliarden DM können wir bis 1997 einiges Ein anderer Schwerpunkt dieser Beratungen in den bewirken. Wie sieht es da aus? letzten drei Tagen war der Aufbau Ost. Hier müssen (Zuruf von der CDU/CSU: Schlecht!) auch weniger das Ministerium als die Unternehmen der Deutschen Bundespost, insbesondere die Tele- Die drei großen Postunternehmen vergeben in diesem kom einen wesentlichen Beitrag leisten. Ähnlich wie Jahr schätzungsweise Aufträge in Höhe von rund die Investitionen im Verkehrsbereich haben die Inve- 24 Milliarden DM. Bis Mitte 1992 waren davon nur stitionen für die Telekommunikation eine doppelte Aufträge in Höhe von rund 1,25 Milliarden DM an Funktion. Einerseits sollen sie so rasch wie möglich die Firmen in den östlichen Bundesländern gegangen. Kommunikationsinfrastruktur im Osten dem West- (Zuruf von der CDU/CSU: Schlecht!) niveau annähern. Insofern spielt auch der Zeitfaktor Hochgerechnet auf das Jahr sind das rund 10 %. eine große Rolle. Andererseits sollen Investitionen der Telekom mit einem Volumen von rund 55 Milliarden (Zuruf von der CDU/CSU: Zu wenig!) DM bis 1997 aber auch mittelständischen Firmen, Ende September 1992 war es noch etwas kritischer. Da insbesondere ostdeutschen Existenzgründern einen betrug das Auftragsvolumen Ost 1,693 Milliarden DM Start in die Marktwirtschaft ermöglichen. und ist damit im dritten Quartal unter die 10-%-Marke (Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Sehr gut!) gesunken, so daß wir am Jahresende unterhalb der 10-%-Marke liegen. Obwohl der Ausbau der Telekommunikation von ganz entscheidender Bedeutung ist, spielt er in der (Zuruf von der CDU/CSU: Noch schlechter! sehr lebhaften Debatte um den Aufbau Ost in den — Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Das müssen letzten Monaten politisch doch eine untergeordnete wir ändern, Herr Kollege!) Rolle. Warum ist dies so? Dies ist deshalb so, weil die — Herr Kollege Rose, das sollten wir versuchen, Telekommunikation einer der Bereiche ist, wo es im gemeinsam zu ändern. Hier würde ich Ihnen gerne für Osten Deutschlands wirklich energisch und schnell die Zusammenarbeit danken, wie wir auch immer gut aufwärts geht. Dafür möchte ich Ihnen auch an dieser zusammenarbeiten. Stelle ganz herzlich danken. (Zuruf von der SPD: Der Herr Kollege Rose (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) hilft!) Wir diskutieren in dem einen oder anderen Bereich Leider sieht es auch in anderen Ressorts ähnlich aus. über einen Kurswechsel, hier diskutiert niemand über Hier hat sich der Kollege Nitsch mit seiner Arbeits- einen Kurswechsel. Danke. gruppe zum Solidarpakt sehr verdient gemacht. Diese (Zuruf von der CDU/CSU: Weiter so!) Zahlen stammen vom Kollegen Nitsch. Im Geschäfts- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10735

Manfred Kolbe bereich des Bundesministers des Innern sollen ledig- welcher Höhe auch immer, zu leisten. Das ist, wie lich 8 % des Auftragsvolumens und beim Bundesmini- gesagt, auf Dauer nicht zumutbar. Den Deutschen im ster der Verteidigung nur 3 % des Auftragsvolumens Osten ist es aber auf Dauer auch nicht zumutbar, von an Firmen in die östlichen Bundesländer gehen. Die diesen Transfers zu leben. 3 % beim Bundesminister der Verteidigung haben (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sicher ihre Gründe, doch sind es trotzdem zuwenig. der F.D.P.) Eine positive Ausnahme bildet lediglich das Bundes- verkehrsministerium. Dort gehen ohne die Deutsche Auch sie wollen ihren Wohlstand selber erarbeiten. Reichsbahn 42 % des Auftragsvolumens an Finnen im (Dr. [F.D.P.]: So ist es!) Osten. Deshalb sollten wir ihnen Gelegenheit dazu geben. (Zuruf von der F.D.P.: Krause ist doch Mini Deshalb ist der Aufbau Ost auch eine gesamtdeutsche ster aus dem Osten!) Aufgabe. Wenn wir uns darauf verständigen können, daß hier Ich möchte mich zum Abschluß noch bei meinen für uns alle ein Betätigungsfeld liegt, glaube ich, wäre beiden Mitberichterstattern, bei dem Herrn Vorsit- es ein Erfolg. zenden Walther und dem Kollegen Zywietz, bedan- ken. Ich möchte mich ferner für die gute Zusammen- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- arbeit mit den Mitarbeitern Ihres Ministeriums bedan- geordneter Kolbe, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage ken, Herr Bundesminister. zu beantworten? Ich bitte Sie, den Einzelplan 13 in der Ausschußfas- Manfred Kolbe (CDU/CSU): Selbstverständlich, das sung anzunehmen. kann ich einem Fraktionskollegen schlecht verweh- Danke. ren. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Dann bitte schön, Herr Bartholomäus Kalb. - Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort hat nun der Abgeordnete Jürgen Timm. Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Herr Kollege Kolbe, können wir uns darauf verständigen, daß für alle öffentlichen Aufträge die begünstigenden Aus- schreibebedingungen für Unternehmen im Osten gel- Jürgen Timm (F.D.P.): Herr Präsident! Liebe Kolle- ten und damit natürlich auch für die Unternehmen der ginnen, liebe Kollegen! Herr Kollege Börnsen hat es Deutschen Bundespost? schon gesagt: In den nächsten beiden Tagen sollen in Sachen Post entscheidende Dinge geschehen. Herr Manfred Kolbe (CDU/CSU): Ja. Börnsen, um es einmal ganz konkret zu sagen: Es macht ja keinen Sinn, sich hinter der Postreform I zu Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das war verstecken. Vor allen Dingen der Minister braucht eine kurze und knappe Antwort. Bitte fahren Sie sich nicht dahinter zu verstecken, denn damals wäre fort. es aus liberaler Sicht ja gar nicht denkbar gewesen, die notwendigen Schritte schon zu unternehmen, Manfred Kolbe (CDU/CSU): Der Aufschwung Ost nämlich die Post zu privatisieren und zu diesem verläuft derzeit gespalten; ich glaube, das haben Zweck das Grundgesetz zu ändern. So weit sind wir ja meine Ausführungen exemplarisch gezeigt. Handel noch nicht einmal heute. und Dienstleistungen gehen gut. Die Versorgung mit Die Postreform I war also ein wichtiger Schritt auf Dingen des alltäglichen Lebens — das war ja jahr- dem Wege dahin, die notwendige Transparenz zu zehntelang das Thema in der ehemaligen DDR — schaffen. Ich gebe Ihnen recht: Die Transparenz ist ja spielt in der politischen Diskussion keine Rolle mehr. erst dadurch geschaffen worden, daß die drei Postun- Demgegenüber — das zeigt auch die Auftragsver- ternehmen so weit verselbständigt wurden, daß man gabe — bricht die Produktion weitgehend zusammen. überhaupt erkennen konnte, wie sich die Einnahmen Die Industrie erreicht nur noch 30 % des Volumens und Ausgaben darstellen. Es ist natürlich immer sehr der Industrie in der ehemaligen DDR. Man muß sagen, leicht zu kritisieren, daß Unternehmen wie beispiels- in manchen Landstrichen steht die Entindustrialisie- weise die Postbank oder der Postdienst noch keine rung teilweise bevor. schwarzen Zahlen schreiben können. Dafür gibt es Hier müssen wir alle massiv gegensteuern. Auch verschiedene — auch staatspolitische — Gründe wie der Bundeskanzler hat sich ja vor zwei Tagen ganz z. B. die Abführung an den Bundeshaushalt. dezidiert zum Erhalt industrieller Kerne bekannt. Ein (Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]: Das ist Mittel zum Erhalt industrieller Kerne ist die Auftrags- eine Schweinerei!) vergabe durch die öffentliche Hand, hier in concreto: durch die drei Postunternehmen. Wir hätten zwar schon vor längerer Zeit dafür sorgen können, daß es solche Abführungen heute nicht mehr Der Aufschwung im Osten liegt im Interesse aller gibt, aber die Postreform I war eben nicht anders Deutschen. durchzusetzen, da sie nur mit der Mehrheit der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Regierungskoalition — gegen den Widerstand der Den Deutschen im Westen ist es kaum zumutbar, noch Opposition — verabschiedet werden konnte. Es sollte jahrzehntelang Sozialtransfers in der Größenordnung sichergestellt werden, daß hier ein Ende absehbar ist. von 50 Milliarden DM — wie in diesem Jahr — oder in Das ist ja auch durchaus positiv. 10736 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Jürgen Timm Im übrigen möchte ich persönlich, um das noch nebeneinanderstellen, dann, meine ich, können wir anzufügen, den Breitbandkabelanschluß, der mittler- auch durchaus erwarten, daß sie selber in der Lage weile bei mir zu Hause installiert wurde, nicht missen, sind, zu vereinbaren, wie sie miteinander umgehen denn jetzt kann ich wirklich selbständig und frei möchten. Wenn sie nicht einmal das können, dann entscheiden, was ich im Fernsehen sehen wi ll . frage ich mich, was für AGs wir eigentlich schaffen. Aber wir sind ja noch nicht soweit. Wir diskutieren (Hermann Rind [F.D.P.]: Abschalten!) noch darüber. Ich habe Ihnen gesagt, wie wir die — Einschließlich abschalten. Sache sehen. (Arne Börnsen [Ritterhude] [SPD]: Nicht Ich denke, es ist schon viel Zeit ins Land gegangen. immer, aber immer öfter!) Man hätte manches früher erreichen können, wenn Aber die Vielzahl der Möglichkeiten und die Qualität man es schneller und mit mehr Übereinstimmung hätte anpacken können. Offensichtlich war die Zeit der technischen Übertragung sind doch etwas anderes dafür nicht reif. Ich hoffe, daß die Zeit in den nächsten als das, was einem vorher geboten wurde. Ich gebe Tagen dafür reif ist. Wenn wir das erreicht haben, was Ihnen recht: Es ist manches dabei, was mehr des wir uns als Ziel gesetzt haben, und wenn wir das dann Abschaltens als des Ansehens würdig ist. Die große auch im parlamentarischen Raum durchgesetzt Auswahl ist aber positiv zu beurteilen. haben, dann sind wir auch in der Lage, den drei (Beifall bei der F.D.P.) Unternehmen klare Funktionen zuzuweisen und Im übrigen hätten wir uns ja auch damals schon einen Infrastrukturauftrag zu kreieren. Dann sind wir darauf verständigen können, mehr Monopole abzu- auch in der Lage, die Postunternehmen für die zukünf- schaffen. Dann hätten wir nicht das Problem gehabt, tige technologische Entwicklung fit zu machen, und z. B. bei der technischen Ausrüstung in den neuen dann sind wir auch in den Stand versetzt, den Staat mit Bundesländern noch mehr Privatlizenzen zu verge- seiner großen Macht, soweit es nur irgend geht, aus ben, sie vor allen Dingen schneller zu vergeben und diesen Unternehmen herauszuhalten. Es war ja, sie von der Genehmigung durch den Monopolträger meine ich, bisher unser Ziel, das übereinstimmend freizustellen. Das alles war nicht möglich. formuliert worden ist, den politischen Einfluß auf die Unternehmensgestaltung zu beenden. Dann können Es ist zwingend erforderlich, die Postreform II so wir den politischen Einfluß nicht wieder durch die schnell wie möglich und so konsequent wie möglich Hintertür einführen. Wir jedenfalls werden das zu zu verwirklichen und die notwendigen Weichenstel- verhindern suchen. Ich hoffe, Sie alle machen mit. lungen vorzunehmen. Ich kann Sie nur dazu auffor- dern. Wir sitzen ja morgen und übermorgen an einem Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Tisch und werden darüber verhandeln. Dann werden (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) wir sehen, wie weit wir kommen. (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Das hoffe ich!) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile Die drei Postunternehmen haben unterschiedliche nunmehr dem Abgeordneten Peter Paterna das Probleme. Die Telekom ist unser bestes Pferd im Stall Wort . und sorgt dafür, daß die Post insgesamt als gutes Unternehmen darzustellen ist. Daß wir den Postdienst und die Postbank mit weniger guten Seiten haben, Peter Paterna (SPD): Herr Präsident! Meine Damen zwingt uns, zu überlegen, wie wir das ändern können. und Herren! Es ist einer Haushaltsdebatte angemes- Bezüglich des Postdienstes ergeben sich meiner sen, sich in erster Linie mit Zahlen zu beschäftigen, Ansicht nach keine schlechten Aussichten. Die Lage und das will ich tun. Dann wollen wir einmal gucken, dort wird sich ganz sicher schnell verbessern, auch wie gesund das Pferd ist, von dem Sie gerade geredet wenn z. B. das Ergebnis des Jahres 1991 in den neuen haben, und ob es Sie, bevor es endgültig zusammen- Bundesländern noch sehr schlecht war, weil die gro- bricht, noch einmal tritt. ßen Investitionen, die dort zu tätigen waren, noch gar Das Fernmeldewesen galt anderthalb Jahrzehnte nicht abgeschlossen werden konnten. Das gleiche gilt als Huhn, das goldene Eier legt, und zwar so viele, daß für die Telekom, die mit großem Einsatz etwas Moder- es den notleidenden Schwestern bedenkenlos noch nes schafft und auch schon viel verwirklicht hat, aber genügend abgeben kann. Diese Zeiten sind vorbei: noch nicht alles erreichen konnte. Auch in diesem Die roten Zahlen rücken in greifbare Nähe. Wenn der Bereich war das Ergebnis gar nicht so gut. Minister glauben machen will, dies sei in erster Linie Bei der Postbank haben wir ein ganz großes Pro- oder ganz überwiegend einer zusätzlichen Belastung blem am Halse. Wir müssen uns nämlich überlegen, auf Grund der deutschen Einheit zuzuschreiben, dann was wir in Zukunft aus der Postbank machen sollen. ist das eine Täuschung der Öffentlichkeit. Ich will das Das ist die entscheidende Frage. Es gibt ganz sicher hier aus Zeitgründen nicht im einzelnen vorrech- eine Methode, ihr ein Ende zu bereiten, nämlich nen. indem man ihr keine Zukunftsperspektiven einräumt. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist auch Das ist die Position der F.D.P.: Wir müssen auch der schwierig! — Gerhard O. Pfeffermann [CDU/ Postbank eine Zukunftsperspektive eröffnen. CSU]: Das wäre aber hochinteressant!) (Beifall bei der F.D.P.) — Es läßt sich deswegen sehr leicht beweisen, weil, Dann haben wir auch die Sicherheit, daß sie parallel lieber Herr Kollege, die Postunternehmen mit zwei zum Postdienst als ein selbständiges Unternehmen getrennten Haushaltsplänen arbeiten, einem Ost- und existieren kann. Wenn wir einmal beide Unternehmen einem West-Plan. Da können Sie genau ablesen, was Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10737

Peter Paterna wäre, wenn die deutsche Einheit nicht zustande Text, Daten oder Bild nicht bekannt ist. Wenn man so gekommen wäre. mangelhaft Kundenbedürfnisse analysiert, kann man (Zuruf von der CDU/CSU: Trotzdem zusam auf den Ergebnissen natürlich auch keine zukunfts- trächtigen Strategien aufbauen. menrechnen!) Das läßt sich leicht nachweisen. Ein besonders ärgerliches Kapitel — von meinem Kollegen Börnsen schon angesprochen — ist das Für 1993 erwartet die Telekom keinen Nettoge- Thema Breitbandverkabelung. Ich will nur die Zahlen winn. Der Schuldenstand durchbricht erstmals die 100-Milliarden-DM-Grenze. Die Umsatzrendite wird nachtragen. Im Geschäftsfeld Breitbandverkabelung im kommenden Jahr von 13 % auf 12 %, die Eigenka- werden pro Jahr 1,9 Milliarden DM umgesetzt. Davon ist 1 Milliarde DM Verlust. Was das mit einem soliden pitalquote von 24 % auf 23 % zurückgehen. Sie liegt kaufmännischen Verhalten zu tun hat, Herr Minister dann bereits 10 % unter dem gesetzlichen Mindest- — Sie haben inzwischen mit 10 Milliarden „Tutti- soll. Das ist Ihr gesundes Pferd im Stall, lieber Herr frutti" und anderes mit den Gebühren des Telefon- Timm. kunden subventioniert —, kann ich nur sehr schwer (Jürgen Timm [F.D.P.]: Wir wollen es doch nachvollziehen. Zum Lächeln scheint mir da wenig machen, damit es besser wird!) Anlaß zu sein. Die medienpolitische Bewertung dieser Der Finanzminister hat kein Geld, um die Verpflich- Veranstaltung ist eine Geschmacksfrage. Die will ich tungen des Eigentümers zu erfüllen. anderen überlassen. Statt der verordneten Vielfalt gibt es jedenfalls für meinen Geschmacksnerv mehr Im wesentlichen der Minister und nur zu einem Einfalt. kleinen Teil der Vorstand haben auch zu verantwor- ten, daß die Postbank praktisch pleite ist. Ein Jahr- Weitere Verlustbringer sind sogenannte Informa- zehnt lang sind eine Modernisierung der betriebsin- tions- und Operatordienste — zu deutsch: überwie- ternen Strukturen und ein kundenorientierter Ausbau gend die Auskunft — mit einem jährlichen Betriebs- der Dienstleistungen verschlafen worden. ergebnis von minus 760 Millionen DM, Telekomser- Die wirtschaftliche Lage des Postdienstes- ist besser vice mit einem rechnerischen Verlust von 700 Millio- als ihr Ruf. Würde der Finanzminister anders als seine nen, öffentliche Telefonstellen mit einem jährlichen elf EG-Kollegen die gelbe Post nicht mit 10 % vom Betriebsergebnis von minus 400 Millionen und das Umsatz abkassieren, würde sie — wenn auch nur ganz Endgerätegeschäft mit Privatkunden mit einem kleine — schwarze Zahlen schreiben. Das neue Minus von ca. 450 Millionen pro Jahr. Lieber Kollege Frachtkonzept hat einige Chancen, in eine wettbe- Timm, bevor Sie wieder ein Pferd begutachten, werbsfähige Zukunft zu führen. Daß es so überstürzt schauen Sie ihm einmal aufs Maul und unter die Hufe. entwickelt und umgesetzt wird, ist im wesentlichen Dann werden Sie die faulen Stellen besser erkennen, eine Folge der Untätigkeit des verantwortlichen Mini- als wenn Sie nur auf das glänzende Fell starren. sters während seiner ersten acht Amtsjahre. Da ist Andere Geschäftsfelder mit kleineren Umsatzvolu- nämlich auf diesem Sektor gar nichts passiert. Die mina lasse ich aus Zeitgründen hier weg. Ich will aber Erfolgschancen des in der Entwicklung befindlichen darauf aufmerksam machen, daß es mir außerordent- Briefkonzepts lassen sich noch nicht zuverlässig ein- lich bedenklich erscheint und einmal wirklich genau schätzen. Daß das Schalterkonzept völlig in der Luft analysiert werden muß, ob man weiter verantworten hängt, ist Folge der Tatsache, daß der verantwortliche kann, daß bei einem Umsatzvolumen von . derzeit Minister entgegen den Warnungen auch von Sachver- 47 Milliarden DM 30 Milliarden DM pro Jahr inve- ständigen aus seiner eigenen Fraktion mit der Tren- stiert werden. Damit ich nicht falsch verstanden nung von Post und Postbank ein bis heute nicht werde: Es geht mir nicht um den Teil Ost. Dieser ist beherrschbares Chaos ange richtet hat. politisch nicht strittig. Das ist so in Ordnung. Da kann (Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]: Weil er man auch nicht Umsatz und Investitionen vergleichen. noch nie hinter dem Schalter gesessen Aber wenn Sie im Westteil 44 Milliarden Umsatz und hat!) 20 Milliarden Investitionen haben, dann scheint mir Nun zu einigen Teilaspekten der Telekom: Der bei dieser Relation einiges aus dem Lot gegangen zu Telefonnetzdienst Privatkunden hat einen geschätz- sein. Wenn man, weil einem die Analyseinstrumente ten Jahresumsatz von 18,5 Milliarden DM. Er ist fehlen, nicht einmal auf zwei, drei Milliarden genau belastet durch stark defizitäre analoge Anschlüsse, weiß, ob man an den richtigen Stellen investiert, dann einen hohen Anteil an Gesprächen im Billigtarif und bedarf dieses dringend kritischer Nachprüfung, weil am nicht kostendeckenden Ortstarif und zusätzlich hier sonst Schuldenberge mit Erblasten für die bedroht durch Substitutionseffekte vom Mobilfunk. Zukunft aufgehäuft werden, die die Telekom wirklich Für das Jahr 1998 rechnet Telekom intern mit einem in ernste Existenznöte bringen können. Verlust pro privatem Hauptanschluß von 50 DM. Ich nenne diese Einzelheiten nicht, um damit in Der Umsatz mit Anschlüssen von Geschäftskunden erster Linie den neuen Vorstand und Aufsichtsrat zu und Großkunden des Telefonnetzdienstes wird zwar kritisieren. Ich kritisiere vielmehr, daß hier durch den als profitabel eingeschätzt. Bis zu 25 % des Umsatzes verantwortlichen Minister eine Erblast von bedrohli- sind aber durch eine mögliche Erosion des Telefon- cher Größenordnung aufgetürmt worden ist. Die Ver- dienstmonopols und einen Ausbau privater Netze säumnisse, transparente Kosten- und Ergebnisrech- bedroht, so daß mit Wachstumsraten zwischen minus nungen, wirksame Management-, Akquisitions- und 0,8 % und günstigstenfalls 3,8 % pro Jahr gerechnet Controlling-Instrumente zu schaffen, lassen sich nicht wird. Problematisch ist, daß der Anteil von Sprache, in kurzer Zeit beheben. Die zehn Jahre lang ver- 10738 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Peter Paterna schleppte Überarbeitung der Tarifstrukturen wird Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort demnächst bei der Telekom zu ähnlich schmerzlichen hat nunmehr der Minister für Post und Telekommuni- Korrekturen führen wie gerade beim Postdienst für kation, Dr. Schwarz-Schilling. Drucksachen. Das ist nämlich im wesentlichen auch eine Folge von Nichtstun während der 80er Jahre und von politischer Feigheit. Dr. Christian Schwarz-Schilling, Bundesminister für Post und Telekommunikation: Herr Präsident! Meine Auf die Schwachstellen der Leistungs- und Kosten- sehr verehrten Damen und Herren! In den letzten rechnung habe ich immer wieder hingewiesen. Das Jahrzehnten sind Übertragungstechnik, Datenverar- war bislang vergeblich. Seit der viel gelobten Postre- beitung und Bürokommunikation in revolutionärer form ist die Lage noch skandalöser geworden. Es ist Weise zusammengewachsen. Wir haben einen tech- nämlich so, daß die Wirtschaftspläne von den Vorstän- nologischen Sprung erlebt, wie er bisher eigentlich den und Aufsichtsräten beschlossen werden. Der nur vor hundert Jahren bei der Erfindung des Telefons Minister hat die Genehmigungspflicht. Das Parlament gemacht wurde. bekommt die Wirtschaftspläne allerdings nicht zu Es ist weltweit eine Revolutionierung der Märkte sehen. Insofern gibt es überhaupt keine Möglichkeit, entstanden. Dienste und Produkte sind in unvorstell- nachzuprüfen, inwieweit er seiner Verantwortung barer Weise gegenüber früher zu dem Telefon hinzu- gerecht wird. Ich halte dies für einen außerordentlich getreten. Das Telefon war über Jahrzehnte hinweg ein bedenklichen Zustand. schwarzer Kasten mit einer Leitung. Heute ist es ein riesiges Netz mit entsprechend zahlreichen Dien- (Zuruf von der CDU/CSU: Das haben wir so sten. beschlossen! Das ist Gesetzeslage!) Telekommunikation ist zum größten Wachstums- geworden. Gerade in unserer konjunkturellen — Herr Kollege, Sie sind ja Jurist, wie ich mir habe markt Lage haben wir allen Anlaß, dafür zu sorgen, daß sagen lassen. Dann müßten Sie wissen, daß es einen dieser Wachstumsmarkt als Lokomotive erhalten Art. 65 im Grundgesetz gibt—mit der Ministerverant- bleibt. Wir haben genügend andere Bereiche mit wortung vor dem Parlament. Wenn Sie wissen wollen strukturellen Verwerfungen, die wir nie in Ordnung und beurteilen wollen, ob dieser Minister seiner bringen können, wenn wir nicht auch einige Wachs- Verantwortung gerecht wird, dann bedarf es tumsbereiche nicht nur schützen, sondern fördern, bestimmter Informationen, die dem Parlament nicht damit sie sich weltweit nach vorn entwickeln. vorenthalten werden dürften. Wir werden lediglich im Anhang mit ein paar Globalzahlen abgespeist. Der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Teufel steckt aber im Detail. Einige solcher Teufel Nur das schafft im übrigen Arbeitsplätze. In einer habe ich Ihnen hier in Zahlen vorgeführt. Daß ich Zeit, in der viele Reden über Arbeitsplätze gehalten diese Zahlen als Parlamentarier nicht auf ordentli- werden, ist es das Wichtigste, daß dieser Bereich chem Wege bekomme, sondern hintenherum besor- vorankommt; denn dort werden jeden Tag Arbeits- gen muß, ist der eigentlich bedenkliche Zustand. plätze geschaffen. Erschwerend kommt dann noch hinzu — das ist ein (Beifall bei der CDU/CSU) gravierender Mangel an diesem System —, daß der Minister per Verwaltungsanweisung die Monopolge- Auf Grund dieser Entwicklung ist in den anderen bühren und Wettbewerbsbedingungen ohne jede Ländern eine Aufbruchphase entstanden. In den Ver- demokratisch legitimierte Kontrolle regulieren kann. einigten Staaten ist in den 70er Jahren der quasi Wenn dies zu jährlichen Einnahmeverlusten von meh- Monopolist AT & T durch Prozesse mit IBM gezwun- reren Milliarden DM führt, dann ist auch dies nicht gen worden, zu deregulieren. Das heißt, Vielfalt ist länger erträglich. entstanden. Wir haben mehr als sieben „bell opera- ting companies" bekommen, die voll selbständig und Es sind schon ein paar Gedanken auf den morgigen heute weltweit aktiv sind und damit den Wachstums- Tag verschwendet worden. Ich will mich hier nicht in markt der Vereinigten Staaten auf diesem Gebiet in Wahrsagerei versuchen. Aber wenn das Spiel so läuft, unvorstellbarer Weise in G ang gebracht haben. daß der Minister deshalb so vehement seine Vorliebe In Großbritannien ist im Jahre 1981 die erste für Aktiengesellschaften entdeckt, obwohl er vor drei Postreform — auch auf Grund der Entscheidungen in Jahren Privatisierungspläne noch als böswillige den Vereinigten Staaten — erfolgt, in Jap an zur Unterstellung gebrandmarkt hat — dafür habe ich gleichen Zeit. viele Zitate —, dann könnte das darauf zurückzufüh- Meine Damen und Herren, es ist interessant, festzu- ren sein, daß ihm inzwischen gedämmert ist, daß es stellen, wie die einzelnen Lander reagiert haben. In um seinen Nachruf relativ schlecht bestellt ist, wenn fast allen Ländern, in denen sich die Telekommunika- die, Öffentlichkeit merkt, welchen Substanzverzehr er tion in staatlicher Verwaltung befand, ist die Reform hier bei diesen Unternehmen betrieben hat, die er als in zwei Schritten erfolgt: erster Schritt „Herauslösung wirtschaftlich gesunde Unternehmen von der SPD aus staatlicher Administration und Überführung in übernommen hat. Wenn der Gang an die Börse nur ein eigenständige Unternehmen", zweiter Schritt „Priva- Verschleierungsversuch hinsichtlich dieser Verant- tisierung". wortung ist, dann werden wir uns daran jedenfalls nicht beteiligen. In Australien: der erste Schritt 1989, der zweite Schritt 1992. In Dänemark: der erste Schritt 1987, der Vielen Dank. zweite Schritt 1992. In Frankreich: der erste Schritt 1990 — aus diesem Grunde ist der zweite Schritt noch (Beifall bei der SPD) nicht getan worden. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10739

Bundesminister Dr. Christian Schwarz-Schilling In Großbritannien: der erste Schritt 1981, der zweite 1991 39 000 Aufträge im Werte von 2,4 Milliarden DM 1984. Island gehört zu den Ländern, die noch keinen an Handel, Handwerk, mittelständische Industrie Schritt getan haben. Man merke sich sehr wohl, und Unternehmen mit Geschäftssitz in den neuen welche Länder nichts gemacht haben. Bundesländern vergeben.

In Italien war die Telekommunikation schon immer (Gerhard O. Pfeffermann [CDU/CSU]: Un ein öffentlich-rechtliches Unternehmen mit staatli- mittelbar!) chen Anteilen, quasi teilprivatisiert. In Japan: erster Schritt schon 1952, zweiter Schritt 1985. In Kanada — Unmittelbar. gab es schon immer die Privatisierung. In Luxemburg — wie in Island —: kein Schritt. In Neuseeland: 1987 An den Handel, das Handwerk und die mittelstän- der erste Schritt, 1990 der zweite. In den Niederlan- dische Industrie gingen davon allein ca. 30 000 Auf- den: 1989 der erste Schritt, 1990 der zweite. In träge mit einem Gesamtwert von einer Milliarde DM. Österreich: kein Schritt. Das widerlegt übrigens auch die Behauptungen, es gebe zu große Stückelungen, so daß die kleinen Ich wiederhole die drei Länder, die keinen Schritt Unternehmen nicht teilhaben könnten. getan haben: Island, Luxemburg und Österreich. Durch Existenzgründungen und ähnliches mehr In Portugal: 1990 der erste Schritt, 1991 der zweite. In Schweden war der erste Schritt nicht notwendig, sind mindestens 50 000 bis 80 000 Arbeitsplätze denn es gab dort schon immer ein eigenständiges außerhalb der Postunternehmen geschaffen worden. Unternehmen. Der zweite Schritt, die Privatisierung, Nun sagen Sie, das sei zuwenig, und die 10 %- ist 1991 erfolgt. In der Schweiz: der erste Schritt 1992; Grenze werde nicht erreicht. Wir können aber doch dadurch konnte der zweite noch nicht erfolgen. In bei der Betrachtung der 10 %-Grenze nur diejenigen Spanien: schon seit 1924 Privatisierung. Die Entwick- Leistungen rechnen, die in den fünf neuen Bundeslän- lung in den Vereinigten Staaten hatte ich gerade dern auch erbracht werden. Es können doch nicht die genannt. 20 Milliarden im Westen, die zum großen Teil hoch- Meine Damen und Herren, angesichts dieses- Sze- wertige Digitaltechnik beinhalten — die einzelnen narios und der Tatsache, daß die Bundesrepublik Unternehmen haben bis zu zwei Milliarden DM an Deutschland den ersten Schritt 1989 gegangen ist, Entwicklungskosten zu tragen —, auf die fünf neuen möchte ich betonen, lieber Herr Kollege Börnsen, daß Bundesländer übertragen werden. Das ist völlig aus- die Logik, weil wir nun einen zweiten Schritt täten, geschlossen. Es besteht gar keine Angebotsmöglich- müßte hier vorher alles schiefgelaufen sein, weltweit keit für die Unternehmen in den neuen Ländern. widerlegt ist. Das ist reine Polemik, das wissen Sie Diejenigen Unternehmen, die Angebote machen ganz genau. wollten, müßten eine Milliarde DM investieren oder (Arne Börnsen [Ritterhude] [SPD]: Ich mache Lizenzen nehmen. Das einzige, was funktioniert, ist, doch keine Polemik!) daß die Unternehmen, die in diese Entwicklungen investiert haben, heute Gott sei D ank auch in den fünf Meine Damen und Herren, nachdem wir die erste neuen Bundesländern Unternehmen übernehmen Postreform gemacht hatten, haben wir gesagt, daß wir und daß bereits zunehmend die High-Tech-Zuliefe- sie Mitte der 90er Jahre auf den Prüfstein stellen, um rungen von ihren Standorten aus erfolgen. Das sind dann den zweiten Schritt zu gehen. Das waren die SEL in Arnstadt, Siemens in Leipzig und andere Aussagen, die ich selber gemacht habe. mehr. Die Weltgeschichte verläuft allerdings nicht nach dem Zeitplan der Postreform in Deutschland. So ist es Das ist ein Prozeß, der natürlich nicht innerhalb von gekommen, daß wir im Jahre 1990 nicht der Imple- ein paar Monaten abläuft. Es ist vielmehr ein langwie- mentierung unserer ersten Postreform Priorität einge- riger Prozeß: Ausbildungen müssen vorgenommen räumt haben, sondern sich das gerade eingesetzte werden, entsprechende technologische „Klimaanla- neue Management durch die Wiedervereinigung gen" und ähnliches mehr müssen geschaffen werden, Deutschlands zunächst um eine ganz andere Priorität damit dies alles funktioniert. zu kümmern hatte, nämlich um den Wiederaufbau der Ich bin insofern wohlgemut angesichts dessen, daß fünf neuen Bundesländer. Plötzlich entstand eine in diesem Jahr zwischen 2,4 Milliarden und 2,5 Milli- weltweite Situation der Liberalisierung, indem in ganz arden DM durch solche Aufträge direkt in die fünf Osteuropa, in den baltischen Staaten bis hin zu den neuen Bundesländer fließen. GUS-Staaten eine Liberalisierung und Deregulierung mit einer entsprechenden Aufteilung der Märkte (Gerhard O. Pfeffermann [CDU/CSU]: Das ist stattfand. zuwenig!) Die internationalen Carrier, die zur Stelle sind, — Das ist zuwenig? Dann kann ich Ihnen als Alterna- werden die Märkte bekommen, nicht die anderen, die tive nur nennen: Wir warten, bis weitere Unterneh- dazu nicht in der Lage sind. Aus diesem Grunde ist die men in den fünf neuen Bundesländern Angebote in Frage, wo wir stehen werden, außerordentlich brenz- dieser Größenordnung unterbreiten können. Dann lig. Wir sind diese. erste Priorität — ich bin dankbar, müssen wir unsere Pläne, im Telefonbereich in den daß das anerkannt worden ist — mit Konsequenz nächsten Jahren durch entsprechende Leitungs- und angegangen. Digitaltechnik in den fünf neuen Bundesländern eine Ich möchte Herrn Kolbe durchaus auf die Frage Modernisierung vorzunehmen, strecken. Dann kön- nach den Aufträgen antworten. Wir haben im Jahre nen in den fünf neuen Bundesländern im nächsten 10740 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Bundesminister Dr. Christian Schwarz-Schilling Jahr eben nicht 800 000, sondern nur 200 000 würden Sie wahrscheinlich die staatlichen Möglich- Anschlüsse erstellt werden. keiten voll ausschöpfen, um bei der Bundespost ent- sprechende Verbesserungen herbeizuführen. (Gerhard O. Pfeffermann [CDU/CSU]: Herr Minister, vergessen Sie nicht, hinzuzufügen, (Gerhard O. Pfeffermann [CDU/CSU]: Herr daß das keine Alternative ist!) Matthöfer hat die Abgaben erhöht!) Darf ich Sie daran erinnern, daß dieses leider Gottes — Das wollte ich damit eigentlich zum Ausdruck ein Muster aller Regierungen ist, ob Sie regieren oder gebracht haben. — ob wir regieren. Das ist leider Gottes so. Das möchte Das Wichtigste ist das Tempo, weil es auf die ich hier auch ganz selbstkritisch anmerken. Damals, gesamte Volkswirtschaft Auswirkungen hat. Ich zu Ihrer Zeit, als Sie in Haushaltsschwierigkeiten möchte betonen: Die Deutsche Bundespost ist der gekommen sind, hat der Finanzminister Matthöfer die größte Auftraggeber in den fünf neuen Bundeslän- Abgabe auf den Umsatz von 62/3 % auf 10 % erhöht. dern. Das sollte man auch einmal anerkennen. Dabei ist es bis heute geblieben. Von daher gesehen ist es unfair zu sagen, das sei eine Sache dieser (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Regierung. Ich hätte mich auch gefreut, wenn wir das sowie des Abg. Arne Börnsen [Ritterhude] schneller hätten zurückdrehen können. Aber in der [SPD]) Lage, in der wir uns heute befinden, ist davon wohl nicht auszugehen. Lassen Sie mich ein Weiteres sagen. Die technolo- gischen Entwicklungen, von denen wir hier gespro- Deshalb muß die Deutsche Bundespost von diesem chen haben, gehen im Westen voll weiter. Die Welt Auf und Ab der staatlichen Wirtschaft völlig unabhän- bleibt ja nicht stehen, weil wir die Wiedervereinigung gig werden, weil ein so riesiges Unternehmen nach haben. Wir haben die Digitalisierung, das ISDN, den ganz anderen Gesichtspunkten Investitionen und Mobilfunk, die Satelliten, die Glasfaser. Wir müssen Marktbearbeitungen vornehmen muß. Das ist nicht in den westlichen Bundesländern rund 18 bis 20 Mil- mit dem Konjunkturzyklus des Staatshaushalts der liarden DM investieren, damit Deutschland als Stand- Bundesrepublik Deutschland in Übereinstimmung zu ort im Wettbewerb des europäischen Marktes beste- bringen. Das ist der Grund. hen kann. Wir müssen 20 plus 10 Milliarden DM, also Deswegen sage ich: Die Aktiengesellschaft ist wohl insgesamt 30 Milliarden DM, investieren, d. h. in die richtigere Möglichkeit, weil dann verhindert wird, diesen fünf Jahren annähernd 200 Milliarden DM. Das daß sich der Staat die Sachen interventionistisch holt, ist die größte Finanzbelastung — das ist richtig —, die wenn es ihm paßt oder wenn er es notwendig hat, die Bundespost jemals erlebt hat. dann aber wieder ein bißchen Erleichterung gewährt, wenn es ihm möglich ist. Sie werden in keiner Rede von mir gefunden haben, daß ich im Jahre 1982 von der Bundespost als einem Meine Damen und Herren, wir haben es mit rasan- im finanziellen Bereich maroden Unternehmen ten Veränderungen der Märkte zu tun. Sie haben gesprochen habe. Meine Kritik bezog sich damals auf ganz andere Gründe, lieber Herr Paterna, als etwa die technologische Rückstände: beim Kabel, beim Satel- Regulierungstätigkeit. Da Sie ein guter Zahlen- liten, bei den Glasfasern und ähnlichen Bereichen. mensch sind, hätte ich von Ihnen gern einmal die Diese Aufholjagd haben wir in den 80er Jahren Aufschlüsselung der mehreren Milliarden Mark, die veranstaltet. Die Eigenkapitalquote, die ich damals durch die Regulierung verlorengehen. Vom Vorstand übernommen habe, die 43 % betrug, haben wir bis der Telekom habe ich dies noch nicht bekommen. 1989 voll gehalten, obwohl wir die Investitionen von Ich kann Ihnen nur eines sagen: Das, was dort an 12 Milliarden DM auf 20 Milliarden DM pro Jahr Preisen reduziert wird, ist eine Konsequenz aus dem erhöht haben. Das war die Leistung. Von daher zunehmenden Wettbewerb und den internationalen gesehen verstehe ich die Kritik überhaupt nicht. Strukturen, die weit über das hinausgehen, was ich Wenn Herr Paterna sagt, das könne man alles überhaupt als Regulierung angeregt oder verordnet auseinanderrechnen, möchte ich ihn bitten, sich die habe. Wenn ich es irgendwo getan habe, dann des- Jahre 1988 und 1989 genau anzuschauen. Vor der halb, um die Telekom wenigstens in Schritten an den Umwandlung stand die Bundespost bei 43 % Eigenka- Wettbewerb heranzuführen, damit sie nicht eines pital, und diese Umwandlung ist, wie ich eben darge- Tages von einem riesig hohen Preisniveau mit einem legt habe, ohne jegliche Verringerung des Eigenkapi- Schlag eine Bauchlandung macht. Davor sollte man tals gelungen. Das ist die Leistung der Mitarbeiterin- sie bewahren. nen und Mitarbeiter in den 80er Jahren, die das Wir wissen auch, daß die Bundespost nicht in der ermöglicht hat. Dafür danke ich. Lage ist, alle Anforderungen zu erfüllen, die große internationale Unternehmen heute stellen. Wir haben (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) eine Gruppe von Wettbewerbern. Hier gehen der Diese Leistungen können wir allerdings wirklich Telekom auf Grund fehlender Serviceleistungen und nur durch ein börsengängiges Unternehmen erbrin- zu hoher Entgelte laufend Marktanteile verloren. Da gen, also unter Kapitalzufuhr aus dem privaten die Telekommunikation nicht das Kerngeschäft dieser Bereich. Sie meinen vielleicht, das könnte auch der Unternehmen darstellt, dürfte hier für die Telekom ein Staat. Wenn Sie einmal regieren, künftiger Markt für systemintegrierte Lösungen lie- gen. Zu dieser Gruppe der Wettbewerber zähle ich (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Das dauert beispielsweise Amadeus, die Dresdner B ank, die noch!) Commerzbank, VW. Das sind alles Dinge, die der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10741

Bundesminister Dr. Christian Schwarz-Schilling Telekom verlorengehen, weil sie nicht das passende gen, durch Infrastrukturaufträge entsprechend auszu- Angebot hat. Warum hat sie dieses nicht? balancieren. Das haben wir auch gegenüber p rivaten Unternehmen gemacht. Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Minister, Jetzt stehen wir vor einer Wegscheide. Die eine gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Möglichkeit ist, die Dinge aus dem Beginn des Dr. Struck? 20. Jahrhunderts bis in das 21. Jahrhundert hineinzu- tragen, und zwar mit einem Unternehmen, das auf Dr. Peter Struck (SPD): Herr Minister, darf ich Sie eine Verwaltung zugeschnitten ist und keine Lei- fragen, wieviel Zettel Sie noch zu verarbeiten beab- stungsgesichtspunkten entsprechenden Aspekte auf- sichtigen? Wäre es nicht auch Ihrer Meinung nach weist. Die andere Möglichkeit ist, wir ziehen nun angemessen und ein Gebot der Höflichkeit gegenüber endlich auch die Konsequenzen, die andere Länder, den nachfolgenden Kollegen, daß Sie Ihre Redezeit und zwar kleinere und weniger bedeutende Länder, endlich einhalten? längst gezogen haben. Ich glaube, es wird wirklich Zeit, daß im Lande Ludwig Erhards moderne Werk- zeuge, Wettbewerbsfähigkeit und technologische Bundesminister für Dr. Christian Schwarz-Schilling, Pionierleistungen den Unternehmen wieder möglich Post und Telekommunikation: Ich bedanke mich für werden. diese Belehrung. Ich glaube allerdings, daß es auf Grund der Weggabelung, vor der wir in diesen Tagen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) in Fragen der Telekommunikation stehen, ganz gut Das hätte unsere Volkswirtschaft bitter nötig. Die ist, wenn einige, die sich sonst damit nicht so nahe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Telekom haben beschäftigen können, über diese Fragen informiert für ihre eigene Tätigkeit verdient, daß sie die gleichen werden. Voraussetzungen wie diejenigen Unternehmen ha- (Dr. Peter Struck [SPD]: Es wäre trotzdem ben, die ihnen heute als Meßlatte im Wettbewerb gut, wenn Sie ein bißchen Rücksicht auf die gehalten werden. Nur das ist ein faires Angebot. Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung und Ich danke Ihnen. auf die nachfolgenden Kollegen nähmen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) — Das will ich gerne tun. Meine Damen und Herren, die Eilbedürftigkeit, die hier gegeben ist, ergibt sich aus dem Zwang der Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und internationalen Entwicklungen. Wir müssen auch die Herren, ich schließe die Aussprache. Der Minister hat seine Redezeit um mehr als sieben Minuten über- Quersubventionierung schnellstens abbauen, weil die Telekom nicht in der Lage ist, diese auf Dauer zu schritten. Das will ich hier nur anmerken. Sie wissen bezahlen. Ich gebe Ihnen völlig recht, Herr Börnsen: selbst, wie die verfassungsmäßigen Rechte der Regie- Das Herausziehen von Postdienst und Postbank aus rung sind. der Fläche ist nicht unsere Politik. Bei der Postre- Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt dem form II werden wir auch die Erfahrungen, die wir in Einzelplan 13 in der Ausschußfassung zu? — Wer den letzten zwei Jahren gewonnen haben, positiv in stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Der Ein- diesem Sinne zu verwerten haben. Da werden Sie bei zelplan 13 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- uns auf eine absolut positive Antwort stoßen. Das ist nen angenommen. kein Punkt, über den wir streiten müssen. Die entspre- chenden Schalternutzungen müssen wir gemeinsam Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich rufe in die Lösung dieser Frage einbringen. nunmehr Punkt 37 der Tagesordnung auf: Morgen beginnen die entscheidenden Verhandlun- gen. Meine Damen und Herren, ich bin der Auffas- Haushaltsgesetz 1993 sung, daß wir nur dann in der Lage sind, der Verant- — Drucksachen 12/3590, 12/3591 — wortung für die Zukunft dieser Unternehmen gerecht Berichterstattung: zu werden, wenn wir das beste Modell herbeiführen. Abgeordnete Ich möchte hier keine Ausführungen dazu mehr Adolf Roth (Gießen) machen; Sie wissen ganz genau, welche Auffassun- Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) gen ich dazu habe. Wir werden jetzt die einzelnen Helmut Wieczorek (Duisburg) Argumente miteinander austauschen. Helmut Esters Wir werden auch die Infrastruktur — das ist eben- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll falls ein Anliegen von Ihnen — wohl bedenken. Ich entgegen der ursprünglichen Absicht eine ganz kurze muß Ihnen allerdings sagen, daß sich bei entwickelten Debatte stattfinden. Industriestaaten die Akzente etwas verlagern: Nicht Ich erteile daher das Wort zunächst unserem Kolle- die Grundversorgung, nicht die Infrastruktur fehlt, gen . sondern die Frage wird sein, ob differenzierte maßge- schneiderte Angebote und die Vielfalt der Dienstlei- stungen von der Telekom kommen, damit die künfti- Christoph Matschie (SPD): Herr Präsident! Liebe gen Märkte bedient werden. Das wird die Aufgabe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn Sie heute sein. Die andere Frage wird im Grunde genommen schon sehr viele Reden über sich ergehen lassen von sekundärer Bedeutung sein. mußten, möchte ich Ihre Aufmerksamkeit doch noch Die Erosion des Monopols wird damit zwangsläufig auf einen Gegenstand lenken, der etwas über den fortschreiten. Wir versuchen, das durch Pflichtleistun- Tellerrand unserer nationalen Grenzen hinausweist. 10742 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Christoph Matschie Die SPD-Fraktion bringt auf Initiative der jungen dung des Elends zu finanzieren. Die bisherige Ent- Abgeordneten den Antrag ein, den Haushalt für wicklungszusammenarbeit deckt knapp die Hälfte. Entwicklungszusammenarbeit 1993 um 2 Milliarden Übrigens hat der Direktor des Internationalen Wäh- DM aufzustocken. rungsfonds, Herr Camdessus, der nicht gerade des (Beifall des Abg. Dr. Ulrich Briefs [fraktions jugendlichen Leichtsinns zu bezichtigen ist, los]) (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Ich kenne und diese Erhöhung durch Einsparungen im Gesamt- ihn!) haushalt zu finanzieren. Ich habe mir sagen lassen, in Rio die Überzeugung geäußert, daß die Industrie- daß man das „globale Minderausgabe" nennt. staaten über genügend Geld verfügen, um diese Hilfe zu geben. Voraussetzung sei allerdings, daß wir Der Antrag, den wir vorlegen, steht im Zusammen- unsere „abartigen Ausgaben für militärische und hang mit einem Entschließungsantrag zur dritten protektionistische Ziele" einstellen. Lesung, der vorsieht, die Mittel für Entwicklungspoli- tik bis zum Jahr 2000 auf 0,7 % des Bruttosozialpro- (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Hat er dukts zu erhöhen. Die 2 Milliarden DM Aufstockung wirklich „abartig" gesagt?) für 1993 stellen also einen ersten Schritt dar. — Ja, er hat „abartig" gesagt. Das Versprechen der Industriestaaten zum 0,7 %- (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Da muß ich Ziel der Entwicklungszusammenarbeit besteht seit ihn aber nochmals fragen!) zwanzig Jahren. Im Haushalt 1993 stehen 50,8 Milliarden DM für Der Deutsche Bundestag hat am 5. März 1982 Verteidigung, 44,2 Milliarden DM für Verkehr, aber einstimmig beschlossen, die 0,7 % baldmöglichst zu nur knapp 8,5 Milliarden DM für Entwicklungszusam- erreichen. Damals betrug der Anteil für Entwick- menarbeit zur Verfügung. Der Bundeskanzler wollte lungszusammenarbeit 0,48 % des Bruttosozialpro- in Rio die Bewahrung der Schöpfung und die Bekämp- dukts. 1993 wird er nach den bisherigen Planungen fung der Armut „in den Mittelpunkt der internationa- weit darunter liegen. len Politik stellen". - Der Bundeskanzler hat im Juni dieses Jahres bei (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Das hat er sener Rede zum Erdgipfel für Umwelt und Entwick- aber auch erreicht!) lung in Rio gesagt: Die Zahlen, Herr Kollege Waigel, sprechen eine Kommende Generationen werden unser Handeln andere Sprache. in erster Linie daran messen, ob wir unserer (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Nein!) Verpflichtung zur Bewahrung der Schöpfung und Rhetori auch zur Bekämpfung der Armut nachgekommen sche Klimmzüge an Rednerpulten allein rei- sind. In ihrem Interesse wollen wir alle diese chen nicht aus, die Aufgaben der Zukunft zu bewälti- gen. lebenswichtige Aufgabe fortan in den Mittel- punkt der internationalen Politik stellen. (Beifall bei der SPD — Dr. Theodor Waigel Er hat in Rio ferner gesagt: [CDU/CSU]: Nur soweit Rednerpulte vor handen sind! Im neuen Plenarsaal war das Wir bekennen uns zur Verstärkung der öffentli- ganz schlecht!) chen Entwicklungshilfe und bestätigen aus- — Im neuen Plenarsaal war es schlecht, und der drücklich das 0,7 %-Ziel. Bundeshaushalt sieht noch schlechter aus. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht hier nicht (Beifall bei Abgeordneten der SPD — um irgend etwas, es geht um gewaltige Herausforde- Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Das war rungen, ja letztlich um das gemeinsame Überleben in kein Rednerpult! Da kann man keinen der einen Welt. Wir dürfen dabei auch nicht verges- Klimmzug machen!) sen, daß durch den Zusammenbruch des Ostblocks weitere Quasi-Entwicklungsländer hinzugekommen Herr Finanzminister, ich glaube, wir brauchen sind. außer diesen rhetorischen Klimmzügen auch Taten. Die müssen sich auch in diesem Haushalt niederschla- Ich weiß, daß es mit mehr Geld allein nicht getan ist. gen. Ich weiß, daß die Entwicklungsländer selbst einen gewichtigen Beitrag leisten müssen. Aber ohne mehr Ich bitte Sie deshalb alle, unserem Antrag zuzustim- Geld wird es nicht gehen. men. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Klaus (Beifall bei der SPD) Rose [CDU/CSU]) Die in Kopenhagen gerade beschlossene magere Ausstattung des Montreal-Fonds, der den Entwick- lungsländern beim Ausstieg aus der ozonzerstören- Vizepräsident Helmuth Becker: Jetzt hat unser Kol- den FCKW-Produktion helfen soll, ist in meinen lege Adolf Roth das Wort. Augen ein Skandal. (Beifall bei der SPD) Adolf Roth (Gießen) (CDU/CSU) (von Abgeordne- Laut Weltbank benötigen die Entwicklungsländer ten der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! jährlich zusätzliche Hilfen in Höhe von 120 bis Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich fürchte 160 Milliarden DM, um die in Rio beschlossenen — bei allem Respekt vor dem Anliegen des jungen Maßnahmen zur Erhaltung der Erde und der Überwin thüringischen Kollegen Matschie und seiner Mit- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10743

Adolf Roth (Gießen) unterzeichner —, daß er weder der von ihm vertrete- abend wird auf dem Umweg über das Haushaltsgesetz nen Sache nach der SPD einen Gefallen get an hat. eine Einzelplananhebung um sage und schreibe (Beifall bei der CDU/CSU) knapp 20 % ohne sachliche Begründung hier vorge- legt. Daß er der SPD keinen Gefallen tut, muß uns nicht weiter beschweren. Aber, Herr Kollege Matschie, (Zurufe von der SPD: Nicht ohne Begrün wenn in einem so besonderen Anliegen 32 Kollegen dung! — Dr. Peter Struck [SPD]: Laß es gut der SPD-Fraktion und deren Fraktionsvorsitzender sein!) Klose einen so spontanen, unabgestimmten und in der Das ist nicht im Sinne dessen, was wir an sachlicher Sache wahrlich unüberlegten Antrag — darauf Zusammenarbeit hier gepflegt haben. komme ich noch — einbringen, hätte ich wenigstens erwartet, daß die Unterzeichner dieses Antrags heute (Anhaltende Zurufe von der SPD — Gegen abend hier im Saal sind. rufe der CDU/CSU) (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Vizepräsident Helmuth Becker: Kollege Roth, Herren, entweder tritt Ruhe ein, oder wir unterbre- gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen chen die Sitzung. Dr. Struck? (Heiterkeit und Beifall) Die Sache ist ganz einfach. Dr. Peter Struck (SPD): Herr Kollege Roth, wollen Sie so freundlich sein, zur Kenntnis zu nehmen, daß es sich um einen von der SPD-Bundestagsfraktion beschlossenen Antrag handelt, und wollen Sie bitte Adolf Roth (Gießen) (CDU/CSU): Meine Damen freundlicherweise auch zur Kenntnis nehmen, daß und Herren, über das gemeinsame Ziel der Entwick- z. B. der Fraktionsvorsitzende Hans-Ulrich Klose lungspolitik herrscht hier soviel Einvernehmen, daß genauso wie der Fraktionsvorsitzende der- CDU aus ich eigentlich erwartet hätte, daß wir im Blick auf die terminlichen Gründen an dieser Debatte heute nicht Dimension dieses Themas auch zu einer seriösen mehr teilnehmen kann? Zusammenarbeit in diesem Hause gefunden hätten. Ich habe selbstverständlich — das ist unsere Pflicht als Vertreter der Regierungskoalition — Ihr Sofortpro- (Gießen) (CDU/CSU): Herr Kollege Adolf Roth gramm, beschlossen vor einer Woche auf einem Son- Struck, ich bin bereit, hier alles möglich zur Kenntnis derparteitag, gelesen. Da steht nichts anderes drin, als zu nehmen. der Bundeskanzler in Rio für die Bundesrepublik (Beifall des Abg. Dr. Klaus Rose [CDU/ Deutschland erklärt hat, CSU]) (Beifall bei der SPD — Abg. Peter Struck Nur kann ich eine Stilwidrigkeit dieser Art, [SPD]: Dann können Sie doch zustimmen!) (Dr. Peter Struck [SPD]: Wo ist eine Stil nämlich daß die öffentlichen entwicklungspolitischen widrigkeit?) Leistungen der Bundesrepublik Deutschland bis zum überfallartig eine Stunde vor Beginn einer an sich Jahr 2000 schrittweise auf 0,7 % des Bruttosozialpro- anders verabredeten Debatte duktes erhöht werden sollen. (Dr. Peter Struck [SPD]: Das verstehe ich Nur eines haben Sie nicht hinzugefügt; aber das hat überhaupt nicht!) der Bundeskanzler in Rio getan, und das ist auch in diesen Antrag hier unterzuschieben, in dieser Form dieser Woche in diesem Hause diskutiert worden: Wir nicht akzeptieren. Hier sind viele Haushaltskolle- haben vor dem Hintergrund unserer Probleme mit der gen. Einheit Deutschlands und vor dem Hintergrund histo- Jetzt möchte ich den wenigen verbliebenen Zuhö- rischer Umbrüche in Europa, über das klassische rern dieser Debatte folgendes sagen: Ausgangsziel der Hilfe für den entwicklungsbedürfti- gen Süden hinausgreifend, uns ein großes gemein- (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Ich bin sames Ziel in Europa gestellt, nämlich eine Hilfe für auch da! — Beifall bei der CDU/CSU) die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten und für die Sie waren einmal Haushälter. Sie haben diesen anderen Staaten in Mittel- und Osteuropa. Die Bun- Antrag mit unterschrieben. desrepublik Deutschland — ich darf Ihnen das nur (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Wenn man kurz in Erinnerung bringen — hat bis zur Stunde in will, kann man da sein!) diesem Leistungskatalog für die GUS-Staaten und für die anderen Länder in unserer osteuropäischen Nach- Außer dem Kollegen Jungmann haben die anderen barschaft sage und schreibe 100 Millionen DM an interessanterweise nicht persönlich unterschrieben. Leistungen erbracht und zugesichert. Am gestrigen Abend war die Debatte über den Entwicklungshaushalt hier anberaumt. Die Berichter- (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: So ist es! — statter der Fraktionen haben einvernehmlich hier zu Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Protokoll gegeben, daß wegen der gründlichen Aus- sprache zum Einzelplan 23 im Haushaltsausschuß eine zusätzliche, gesonderte Beratung hier im Hohen Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Roth, Hause nicht notwendig sei, und sie haben ihre Reden gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen gestern abend hier zu Protokoll gegeben. Heute Wieczorek? 10744 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Adolf Roth (Gießen) (CDU/CSU): Ich möchte jetzt sagen kann, was für ein guter Mensch man gewesen meinen Gedanken zu Ende führen! ist!?

(Zuruf von der F.D.P.: Schauantrag! — Zuruf Nein, dann muß ich Vizepräsident Helmuth Becker: von der CDU/CSU: Das wird es sein!) Ihnen sagen, daß Ihre Redezeit ohnehin abgelaufen ist, und ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen. Mir fällt es deshalb etwas schwer, weil ich, ehrlich gesagt, nicht ganz sicher bin, ob nicht hier die SPD- Adolf Roth (Gießen) (CDU/CSU): Herr Präsident, Fraktion, das Establishment, die Herren, die das alles ich habe das eben anders gesehen. Jetzt läuft sie gut im Griff haben, die jungen Kollegen, die das mit ab. diesem Antrag vielleicht ganz ernst meinen, absicht- Ich möchte feststellen, daß wir diesem Antrag nicht lich in etwas hineinlaufen lassen. zustimmen, und ich möchte die SPD auffordern, zur Seriosität der Beratungen zurückzukommen. Wir ver- (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Herr Wiec treten hier unsere deutschen Mitbürgerinnen und zorek, jetzt sind Sie dran!) Mitbürger und Steuerzahler. Niemand kann 2 Milliar- Wenn das so wäre, dann wäre es besonders unange- den DM ohne irgendeinen Vorlauf in einem Jahr nehm. Ich erinnere mich, Frau Kollegin Titze, gut an sauber für Entwicklungshilfeprojekte ausplanen, die die Zeit, als Sie noch ganz neu hier waren und gesagt es auf dem Reißbrett überhaupt noch nicht gibt. Dies haben, Sie wollten eine Reihe von Dingen anders ist ein reiner Show-Antrag, der dem Anliegen unserer machen. Gerade Sie wollten eine Reihe von Dingen Entwicklungspolitik nicht gerecht wird. anders machen, als hier das übliche Rollenspiel wäre. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich habe dann aber am Schluß festgestellt: Es geht leider vielleicht doch nicht so leicht, wie Sie es sich wohl selbst gedacht haben. Jedenfalls findet es nicht Vizepräsident Helmuth Becker: Jetzt hat das Wort der Kollege Wolfgang Weng. statt. Ich finde es schade, wenn die jungen Kollegen - hier in irgend etwas hineinlaufen. Wenn sie wissen, was sie tun, kann man das locker ablehnen, weil es Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (F.D.P.): Herr Prä- wirklich der Versuch ist, die Bürger draußen zu sident! Meine Damen und Herren! Wenn man mit verdummen; dieser Versuch ist nicht erforderlich. Wir einer gewissen Vorgabe zu diesem Antrag hier ins haben das vorhin unten in anderem Zusammenhang Plenum gekommen ist und der Debatte bisher gefolgt gesagt: Derjenige, der meint, wenn er sich im Wahl- ist, fällt es nicht ganz leicht, die Vorgabe einzuhalten, kreis besonders aufführt, sich möglichst weit von da nicht ganz klar ist, wie ernst das Anliegen war, ob Geflogenheiten entfernt, dann nützt ihm das: er wird hier ein wirklich ernstes Anliegen mit einer ungeeig- sich täuschen. Er wird sich wundern, wenn der Wähler neten Methode vorgetragen wird oder ob hier etwas ihm dann die entsprechende Quittung gibt. ganz anderes stattfindet. Die Sache ist nicht ganz einfach. Ich drehe es einmal um, meine Damen und Herren. (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Beides!) Ich habe den SPD-Parteitag noch ganz gut in Erinne- rung. Da hat Herr Rau unter donnerndem Jubel Ich stelle folgendes fest: Zu der Frage globaler gesagt: Kanzlerkandidat, Herr Engholm, das ist nichts; habe ich mich in meiner Etatrede Minderausgaben aber Kanzler, das ist etwas! Es heißt auch, und die geäußert. Ich habe den Kollegen Zander von der SPD Äußerungen des Herrn Engholm lassen darauf schlie- im Auge, und zwar aus der Zeit, in der wir gemeinsam ßen, daß er Kanzler werden will. Mal unterstellt, er Berichterstatter waren, wäre das, dann wäre ein solcher Antrag der SPD (Zuruf von der SPD: Das ist lange her!) Fraktion hier sicher nicht gekommen, weil er bis ins der die einzige globale Minderausgabe im Bundesetat Letzte unseriös ist. mit mir zusammen immer heftig kritisiert hat, weil eine globale Minderausgabe im Grundsatz eigentlich (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und parlamentarische Rechte abgibt. Ich habe gut be- beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — Dr. Jür gründet, warum wir im laufenden Etat für das Jahr gen Rüttgers [CDU/CSU]: Das wissen wir 1993 bei den globalen Minderausgaben die eine oder aber, daß er es nicht wird! — Zuruf von der andere Änderung vornehmen mußten. Aber eine SPD: Jetzt ist die Redezeit aber abgelaufen, globale Minderausgabe in der Weise einzusetzen, wie Herr Präsident!) das dieser Antrag plant, ist tatsächlich nicht zumut- bar. — Jede Logik, die in diese Richtung führt, Herr Rüttgers, ist natürlich erlaubt. Der zweite Teil betrifft eine Mehrausgabe in dieser Höhe. Meine Damen und Herren, Kollege Roth hat es Ich bin noch nicht am Ende. Das Warum ist begrün- gesagt: Sie können eine solche Mehrausgabe, die det. Ich habe mir dann überlegt: Wenn dieser Antrag nicht irgendwo ordnungsgemäß verplant ist, die nicht seriös ist, dann muß m an gucken; wer alles ihn ordnungsgemäß diskutiert ist, tatsächlich nicht als unterschrieben hat. Dann fällt auf: Es ist eigentlich nur zumutbar ansehen. ein Haushälter dabei. Bei allen, die unterschrieben Da stellt sich natürlich die Frage: Ist das hier der haben, ist nur ein Haushälter. reine Schauantrag? Geht es hier um das übliche Rollenspiel: Man braucht noch ein bißchen, was m an (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Wer war nachher der Öffentlichkeit erzählen kann, damit man das?) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10745

Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Wenn er nicht dabei gewesen wäre, dann wäre mir die mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abge- Ablehnung noch leichter gefallen, und ich hätte lehnt. gesagt: Es hat noch nicht einmal ein Haushälter mit unterschrieben. Aber Kollege Jungmann hat das mit Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag der unterschrieben, und damit entfällt die Begründung Fraktion der SPD auf Drucksache 12/3857 ab. Wer der Unseriosität mangels Haushälter. stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! (Heiterkeit — Dr. Theodor Waigel [CDU/ — Stimmenthaltungen? — Der Änderungsantrag ist CSU]: Hat der Peter S truck unterschrie mit der gleichen Stimmenmehrheit wie vorher abge- ben?) lehnt. Es ist aber — es ist ja immer gut, wenn man einen Wir kommen jetzt zur Abstimmung über das Haus- Schritt weiter geht — unter denen, die unterschrieben haltsgesetz 1993 einschließlich des Gesamtplans in haben, keiner der Haushälter, die für den Bereich der Ausschußfassung. Wer stimmt dafür? — Wer wirtschaftliche Zusammenarbeit zuständig sind — das stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Das ist ja der eine Teil, den dieser Antrag be trifft —, und es Haushaltsgesetz 1993 ist damit in zweiter Beratung ist keiner der Haushälter dabei, der den Bereich mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenom- Allgemeine Finanzverwaltung oder Bundesschuld men. vertritt. Das ist der zweite Teil. (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Das läßt (Gerhard O. Pfeffermann [CDU/CSU]: Bei tief blicken!) Abwesenheit von PDS/Linke Liste sowie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN!) Die Sachkundigen, diejenigen, die von der Sache etwas verstehen, haben nicht unterschrieben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich rufe (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Wie nun Tagesordnungspunkt III. 38 auf: kommt Peter Struck dazu?) Kollege Struck hat sich, wenn ich das richtig sehe, Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- hinter „Klose und Fraktion" versteckt. - haltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unter- richtung durch die Bundesregierung (Heiterkeit) Der Finanzplan des Bundes 1992 bis 1996

— Drucksachen 12/3100, 12/3541, 12/3759 — Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Weng, Berichterstattung: es ist ja hochinteressant; nur Ihre Redezeit ist abge- Abgeordnete Jochen Borchert laufen. Ich bitte Sie noch um einen Schlußsatz. Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Helmut Wieczorek (Duisburg) Adolf Roth (Gießen) Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (F.D.P.): Vielen Helmut Esters Dank, Herr Präsident; die Redezeit ist tatsächlich abgelaufen. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Ich glaube, daß alles, was ich hier gesagt habe, Wir kommen deshalb gleich zur Abstimmung über klarmacht, daß wir nicht in der Lage sind, unter diesen die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses Umständen diesem Antrag zuzustimmen, und ich bitte auf Drucksache 12/3759. Wer stimmt für diese die verantwortungsvolle Mehrheit dieses Hauses, mir Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimment- zu folgen. haltungen? — Die Beschlußempfehlung ist mit den (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen. beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich nehme an dieser Stelle einen Zuruf des Kollgen Pfeffermann auf: Die beiden letzten Tagesordnungs- punkte wurden in Abwesenheit der Gruppe PDS/ Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Linke Liste und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herren, ich schließe die Aussprache. NEN behandelt. Ich sage das vorsorglich wegen Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungs- etwaiger Einwendungen. antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/3809. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegen- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind probe! — Stimmenthaltungen? — Der Änderungsan- damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. trag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- destages auf morgen, Freitag, den 27. November (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 1992, 8.00 Uhr ein. Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/3810 ab. Wer Die Sitzung ist geschlossen. stimmt für diesen Änderungsantrag? — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Änderungsantrag ist (Schluß der Sitzung: 22.03 Uhr) 10746 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992

Berichtigung

122. Sitzung, Seite 10383 C: In der Rede des Abgeord- neten Lowack muß ab der dritten Zeile der Satz richtig lauten: „Am 8. September dieses Jahres hat der Bundesfinanzminister eine von ihm vielbeachtete Rede gehalten." Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 124. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1992 10747*

Anlage zum Stenographischen Bericht

Anlage entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich

Liste der entschuldigten Abgeordneten Dr. Holtz, Uwe SPD 26. 11. 92 Homburger, Birgit F.D.P. 26. 11. 92 entschuldigt bis Abgeordnete(r) Ibrügger, Lothar SPD 26. 11. 92 einschließlich Kolbe, Regina SPD 26. 11. 92 Kretkowski, Volkmar SPD 26. 11. 92 Andres, Gerd SPD 26. 11. 92 Kubatschka, Horst SPD 26. 11. 92 ** Böhm (Melsungen), CDU/CSU 26. 11. 92 * Dr. Graf Lambsdorff, Otto F.D.P. 26. 11. 92 Wilfried Dr. Lippold (Offenbach), CDU/CSU 26. 11. 92 Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 26. 11. 92 Klaus W. Marx, Dorle SPD 26. 11. 92 Carstensen (Nordstrand), CDU/CSU 26. 11. 92 Peter Harry Dr. Müller, Günther CDU/CSU 26. 11. 92 ** Clemens, Joachim CDU/CSU 26. 11. 92 Müller (Pleisweiler), SPD 26. 11. 92 Albrecht Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 26. 11. 92 ** Oesinghaus, Günther SPD 26. 11. 92 Ganseforth, Monika SPD 26. 11. 92 ** Rempe, Walter SPD 26. 11. 92 Gattermann, Hans H. F.D.P. 26. 11. 92 Reuter, Bernd SPD 26. 11. 92 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 26. 11. 92 Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 26. 11. 92 Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 26. 11. 92 Ingrid Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 26. 11. 92 Gries, Ekkehard F.D.P. 26. 11. 92 Dr. Seifert, Ilja PDS/LL 26. 11. 92 Hollerith, Josef CDU/CSU 26. 11. 92 Dr. Sperling, Dietrich SPD 26. 11. 92

* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- Vosen, Josef SPD 26. 11. 92 lung des Europarates Welt, Jochen SPD 26. 11. 92 ** für die Teilnahme an der Jahreskonferenz der Interparlamentari Union -schen Wettig-Danielmeier, Inge SPD 26. 11. 92