Deutscher Drucksache 17/5451

17. Wahlperiode 12. 04. 2011

Gesetzentwurf der Abgeordneten Ulrike Flach, , Dr. Carola Reimann, Dr. , , Heinz Lanfermann, , , (Peine), Christine Aschenberg-Dugnus, (Potsdam), Dr. Marlies Volkmer, , , Ingrid Arndt-Brauer, , (Münster), , Dr. Hans-Peter Bartels, Sören Bartol, Dr. , Bärbel Bas, Günter Baumann, (), , Florian Bernschneider, , (Heidelberg), Matthias W. Birkwald, Sebastian Blumenthal, , Claudia Bögel, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), , Nicole Bracht-Bendt, , Dr. , Klaus Breil, Rainer Brüderle, , , Dr. , , , , Sylvia Canel, , Petra Crone, Dr. , Helga Daub, Reiner Deutschmann, Dr. Bijan Djir-Sarai, Patrick Döring, Elvira Drobinski-Weiß, , Mechthild Dyckmans, Siegmund Ehrmann, Dr. , Dr. h. c. , Jörg van Essen, Karin Evers-Meyer, Hartwig Fischer(Göttingen), Dr. , , Peter Friedrich, Ingo Gädechens, Dr. Edmund Peter Geisen, Dr. , Iris Gleicke, , , Heinz Golombeck, Diana Golze, Angelika Graf (Rosenheim), , Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), , Dr. , Hans-Joachim Hacker, , Dr. Christel Happach-Kasan, Jürgen Hardt, Heinz-Peter Haustein, Dr. RosemarieHein, Ursula Heinen-Esser, Dr. Barbara Hendricks, Manuel Höferlin, Dr. Eva Högl, , Dr. , Birgit Homburger, Johannes Kahrs, Heiner Kamp, Dr. h. c. Susanne Kastner, , , , , Hans-Ulrich Klose, Dr. Lutz Knopek, Tom Koenigs, , Sebastian Körber, Fritz Rudolf Körper, Dr. Bärbel Kofler, Manfred Kolbe, Gudrun Kopp, Dr. h. c. Jürgen Koppelin, Dr. , , Holger Krestel, , Angelika Krüger-Leißner, , Ute Kumpf, Katrin Kunert, Patrick Kurth (Kyffhäuser), , Christian Lange (Backnang), , Dr. , Harald Leibrecht, , Steffen-Claudio Lemme, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. , , Lars Lindemann, Dr. Martin Lindner (), , Gabriele Lösekrug-Möller, Ulla Lötzer, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Erwin Lotter, , , , Petra Merkel (Berlin), Dr., Cornelia Möhring, Gabriele Molitor, Jan Mücke, Petra Müller (Aachen), Kerstin Müller (Köln), Burkhardt Müller-Sönksen, Dr. , Dr. (Lausitz), , , , Holger Ortel, Dr. Hermann Ott, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), , Rita Pawelski, Jens Petermann, Dr. , Drucksache 17/5451 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Richard Pitterle, , , Brigitte Pothmer, Dr. , Dr. Christiane Ratjen-Damerau, Dr. Birgit Reinemund, , Dr. Peter Röhlinger, Karin Roth (Esslingen), , , Axel Schäfer (Bochum), Frank Schäffler, Dr. Wolfgang Schäuble, , (Erfurt), Dr. Ole Schröder, Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden), , , , Dr. Martin Schwanholz, , , , Kathrin Senger-Schäfer, Dr., Werner Simmling, Dr. , Dr. , Peer Steinbrück, , Dr. Frank-Walter Steinmeier, Dr.Rainer Stinner, , Christoph Strässer, Hans-Christian Ströbele, Lena Strothmann, Sabine Stüber, Michael Stübgen, Dr. , , Serkan Tören, , , Jürgen Trittin, (Kleinsaara), Dr. Daniel Volk, , Andrea Wicklein, Wolfgang Wieland, Dr. Valerie Wilms, Dr. Claudia Winterstein, Dr. , Sabine Zimmermann,

Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik (Präimplantationsdiagnostikgesetz – PräimpG)

A.Problem Der Staat trägt einebesondere Verantwortung für den Schutz des geborenen und ungeborenen Lebens. Dies schließt den Schutz von Frauen vor schweren körper- lichen und seelischen Belastungen im Hinblick auf die Schwangerschaft sowie die Vermeidung von Spätabbrüchen, die einen oftmals bereits selbstständig lebensfähigen Embryo betreffen, mit ein. Viele Paare mit einer genetischen Vorbelastung befinden sich in einem Konflikt. Sie haben den Wunsch, einem gesunden Kind das Leben zu schenken, wissen aber um das Risiko einer Schwangerschaft und die möglichen Lebensrisiken für ihr Kind, dem eventuell eine schwere Krankheit mitgegeben wird. Es sind vor allem solche Paare, die be- reits ein schwer krankes,vielleicht schon verstorbenes Kind haben oder die nach einer Pränataldiagnostik und einer ärztlichen Beratung eine Abtreibung haben vornehmen lassen. Seit gut zwei Jahrzehnten gibt es mit der Präimplantationsdiagnostik (PID) die medizinische Möglichkeit, schwere Erbkrankheiten und Chromosomenanoma- lien an künstlich erzeugten Embryonen noch vor deren Implantation zu erken- nen. Dadurch können bereits vor Einleitung der Schwangerschaft Fehl- und Tot- geburten unddie Weitergabe von besonders schweren Erkrankungen an das zukünftige Kind verhindert und schwere Belastungen, insbesondere von den be- troffenen Frauen aber auch den Familien insgesamt, abgewendet werden. Mit seinemUrteil vom 6. Juli 2010 hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dass die PID zurEntdeckung schwerer genetischer Schäden des künstlich erzeugten Embryos nachgeltendem Recht unter bestimmten Voraussetzungen straffrei ist. Dabei hat der Bundesgerichtshof darauf hingewiesen, dasses widersprüchlich wäre, einerseits die belastenden Schwangerschaftsabbrüche nach § 218a Absatz 2 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5451 des Strafgesetzbuchs straffrei zu lassen und andererseits die PID, die auf einem weitaus weniger belastenden Weg dasselbe Ziel verfolgt, bei Strafe zu untersa- gen. Damit stehtzwar fest, dass die PID in der vom Bundesgerichtshof zu entschei- denden Konstellation nach geltendem Recht nicht strafbar ist. Eine eindeutige gesetzgeberische Grundentscheidung, ob und inwieweit die PID in Deutschland Anwendung finden soll, steht jedoch aus.

B.Lösung DiePräimplantationsdiagnostik soll in Ausnahmefällen zulässig sein. Um Rechtssicherheit für die betroffenen Paare unddie Ärzte herzustellen, ist das Embryonenschutzgesetz um eine Regelung zu ergänzen, die die Voraussetzun- gen und das Verfahren einer PID festlegt. Zur Vermeidung von Missbräuchen soll die PID nach verpflichtender Aufklärung und Beratung sowie einem positi- ven Votum einerinterdisziplinär zusammengesetzten Ethik-Kommission in den Fällen zulässig sein, in denen ein oder beide Elternteile die Veranlagung für eine schwerwiegende Erbkrankheit in sich tragen oder mit einer Tot- oder Fehlgeburt zu rechnen ist. Im Vorfeld der PID soll eine sorgfältige Diagnostik bei beiden Partnern nach strengen Kriterienerfolgen. Zur Gewährleistung eines hohen me- dizinischen Standards soll die PID an lizenzierten Zentren vorgenommen wer- den.

C.Alternativen Keine. Eine Beibehaltung des derzeitigen Embryonenschutzgesetzes bedeutet für die betroffenen Paare und Ärzte eine unzumutbare Rechtsunsicherheit. Ein explizites Verbot der PID, das einschlägigvorbelasteten Paaren es praktisch un- möglich machte, eigene genetisch gesunde Kinder zu bekommen, wäre hinge- gen verfassungsrechtlich bedenklich und stünde im Widerspruch zu der Mög- lichkeit der Frau, bei einem im Wege einer Pränataldiagnostik festgestellten schweren genetischen Schaden des Embryos und bei Vorliegen der medizini- schen Indikation die Schwangerschaft abbrechen zu lassen. Auch die Polkörper- diagnostik scheidet als Alternative zur PID aus. Nur die weibliche Eizelle bildet während der meiotischen Teilung Polkörper, deren genetische Diagnostik Rück- schlüsse auf die genetische Ausstattung der Eizelle ermöglichen. Die genetische Ausstattung des männlichen Spermiums kann mit dieser Methode nicht diagnos- tiziert werden. Crossing-over-Ereignisse während der ersten meiotischen Tei- lung können zudem zu Fehldiagnosen führen.

D.Kosten Durch die Anwendung der PID in der reproduktionsmedizinischen Praxis ent- stünden den Haushalten des Bundes und der Länder Kosten, wenn diese neue Methode über Steuermittel finanziert würde. Da Fachleute bei einer Zulassung der PID in dem vorgeschlagenenengen Rahmen bis auf weiteres nur mit weni- gen hundert Fällen im Jahr rechnen, wäre die Höhe der Kosten auf jeden Fall be- grenzt. Drucksache 17/5451 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik (Präimplantationsdiagnostikgesetz – PräimpG)

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen: (4) Ordnungswidrig handelt, wer entgegen § 3a Ab- satz 3 eine Präimplantationsdiagnostik vornimmt. Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu fünf- Artikel 1 zigtausend Euro geahndet werden. Änderung des Embryonenschutzgesetzes (5) Kein Arzt ist verpflichtet, eine Maßnahme nach Absatz 2 durchzuführen oder an ihr mitzuwirken. Aus der Das Embryonenschutzgesetz vom 13. Dezember 1990 Nichtmitwirkung darf kein Nachteil für den Betreffenden (BGBl. I S. 2746) wird wie folgt geändert: erwachsen. 1. Nach § 3 wird folgender neue § 3a eingefügt: (6) Die Bundesregierung erstellt in jeder Legislatur- „§ 3a periode, frühestens nach zwei Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes, einen Bericht über die Erfahrungen mit der Präimplantationsdiagnostik Präimplantationsdiagnostik. DerBericht enthält auf der (1) Wer Zellen eines Embryos in vitro vor seinem in- Grundlage der zentralen Dokumentation die Zahl der trauterinen Transfer genetisch untersucht (Präimplanta- jährlich durchgeführten Maßnahmen sowie eine wissen- tionsdiagnostik), wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem schaftliche Auswertung. Der Bericht beruht auf anony- Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. misierten Daten.“ (2) Besteht aufGrund der genetischen Disposition der 2. § 9 wird wie folgt geändert: Eltern oder eines Elternteiles für deren Nachkommen eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine schwerwiegende a) Nach Nummer 1 wird folgende neue Nummer 2 ein- Erbkrankheit, handelt nicht rechtswidrig, wer zur Herbei- gefügt: führung einer Schwangerschaft nach dem allgemein an- „2. die Präimplantationsdiagnostik,“. erkannten Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik einen Embryo in vitro vor dem intrauterinen b) Die bisherigen Nummern 2 und 3 werden die Num- Transfer auf die Gefahr dieser Krankheit untersucht. mern 3 und 4. Nicht rechtswidrig handelt auch, wer eine Präimplanta- 3. § 11 Absatz 1 wird wie folgt geändert: tionsdiagnostik zur Feststellung einer schwerwiegenden Schädigung des Embryos vornimmt, die mit hoher Wahr- a) In Nummer 1 wird das Wort „oder“ durch ein Komma scheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führen wird. ersetzt und folgende neue Nummer 2 eingefügt: (3) Eine Präimplantationsdiagnostik nach Absatz 2 „2. entgegen § 9 eine Präimplantationsdiagnostik darf nur nach einer medizinischen und psychosozialen vornimmt oder“. Beratung und schriftlichen Einwilligung der Mutter von fachlichgeschulten Ärzten nach einem positiven Votum b) Die bisherige Nummer 2 wird Nummer 3. einer interdisziplinär zusammengesetzten Ethikkommis- sion und in für die Präimplantationsdiagnostik lizenzier- ten Zentren vorgenommen werden. Die im Rahmen der Artikel 2 Präimplantationsdiagnostik durchgeführten Maßnahmen Inkrafttreten werden in einer Zentralstelle dokumentiert. Das Nähere wird durch Verordnung der Bundesregierung geregelt. Das Gesetz tritt am … in Kraft.

Berlin, den 12. April 2011

Ulrike Flach Katherina Reiche (Potsdam) Dr. Dietmar Bartsch Peter Hintze Dr. Marlies Volkmer Bärbel Bas Dr. Carola Reimann Mechthild Rawert Günter Baumann Dr. Petra Sitte Jens Ackermann Marieluise Beck (Bremen) Jerzy Montag Ingrid Arndt-Brauer Uwe Beckmeyer Heinz Lanfermann Rainer Arnold Florian Bernschneider Edelgard Bulmahn Daniel Bahr (Münster) Peter Beyer Michael Kretschmer Doris Barnett Lothar Binding (Heidelberg) Hubertus Heil (Peine) Dr. Hans-Peter Bartels Matthias W. Birkwald Christine Aschenberg-Dugnus Sören Bartol Sebastian Blumenthal Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/5451

Steffen Bockhahn Manuel Höferlin Petra Müller (Aachen) Claudia Bögel Dr. Eva Högl Kerstin Müller (Köln) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Elke Hoff Burkhardt Müller-Sönksen Gerd Bollmann Dr. Anton Hofreiter Dr. Philipp Murmann Nicole Bracht-Bendt Birgit Homburger Dr. Martin Neumann (Lausitz) Norbert Brackmann Johannes Kahrs Dirk Niebel Dr. Helge Braun Heiner Kamp Omid Nouripour Klaus Breil Dr. h. c. Susanne Kastner Thomas Oppermann Rainer Brüderle Michael Kauch Holger Ortel Angelika Brunkhorst Uwe Kekeritz Dr. Hermann Ott Christine Buchholz Eckart von Klaeden Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Dr. Martina Bunge Ewa Klamt Petra Pau Ulla Burchardt Hans-Ulrich Klose Rita Pawelski Ernst Burgbacher Dr. Lutz Knopek Jens Petermann Marco Buschmann Tom Koenigs Dr. Joachim Pfeiffer Sylvia Canel Jens Koeppen Roland Claus Sebastian Körber Gisela Piltz Petra Crone Fritz Rudolf Körper Richard Pitterle Dr. Peter Danckert Dr. Bärbel Kofler Yvonne Ploetz Helga Daub Manfred Kolbe Ruprecht Polenz Reiner Deutschmann Gudrun Kopp Brigitte Pothmer Dr. Bijan Djir-Sarai Dr. h. c. Jürgen Koppelin Dr. Sascha Raabe Patrick Döring Dr. Rolf Koschorrek Dr. Christiane Ratjen-Damerau Elvira Drobinski-Weiß Anette Kramme Dr. Birgit Reinemund Garrelt Duin Holger Krestel Ingrid Remmers Mechthild Dyckmans Gunther Krichbaum Dr. Peter Röhlinger Siegmund Ehrmann Angelika Krüger-Leißner Karin Roth (Esslingen) Dr. Dagmar Enkelmann Fritz Kuhn Krista Sager Dr. h. c. Gernot Erler Ute Kumpf Manuel Sarrazin Jörg van Essen Katrin Kunert Axel Schäfer (Bochum) Karin Evers-Meyer Patrick Kurth (Kyffhäuser) Frank Schäffler Hartwig Fischer (Göttingen) Christine Lambrecht Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Edgar Franke Christian Lange (Backnang) Tankred Schipanski Dagmar Freitag Sibylle Laurischk Carsten Schneider (Erfurt) Peter Friedrich Dr. Karl Lauterbach Dr. Ole Schröder Ingo Gädechens Harald Leibrecht Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Dr. Edmund Peter Geisen Sabine Leidig Jimmy Schulz Dr. Wolfgang Gerhardt Steffen-Claudio Lemme Ewald Schurer Iris Gleicke Sabine Leutheusser- Marina Schuster Michael Glos Schnarrenberger Dr. Martin Schwanholz Nicole Gohlke Dr. Ursula von der Leyen Rolf Schwanitz Heinz Golombeck Ingbert Liebing Stefan Schwartze Diana Golze Lars Lindemann Detlef Seif Angelika Graf (Rosenheim) Dr. Martin Lindner (Berlin) Kathrin Senger-Schäfer Kerstin Griese Christian Lindner Dr. Carsten Sieling Miriam Gruß Gabriele Lösekrug-Möller Werner Simmling Joachim Günther (Plauen) Ulla Lötzer Dr. Hermann Otto Solms Olav Gutting Dr. Gesine Lötzsch Dr. Max Stadler Dr. Gregor Gysi Dr. Erwin Lotter Peer Steinbrück Hans-Joachim Hacker Oliver Luksic Kersten Steinke Bettina Hagedorn Karin Maag Dr. Frank-Walter Steinmeier Dr. Christel Happach-Kasan Caren Marks Dr. Rainer Stinner Jürgen Hardt Petra Merkel (Berlin) Gero Storjohann Heinz-Peter Haustein Dr. Matthias Miersch Christoph Strässer Dr. Cornelia Möhring Hans-Christian Ströbele Ursula Heinen-Esser Gabriele Molitor Lena Strothmann Dr. Barbara Hendricks Jan Mücke Sabine Stüber Drucksache 17/5451 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Michael Stübgen Dr. Kirsten Tackmann Stephan Thomae Serkan Tören Florian Toncar Markus Tressel Jürgen Trittin Volkmar Vogel (Kleinsaara) Dr. Daniel Volk Daniela Wagner Andrea Wicklein Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Sabine Zimmermann Brigitte Zypries Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/5451

Begründung

A. Allgemeiner Teil Die Notwendigkeit, die PID gesetzlich zu regeln, reicht al- lerdings nur so weit, wie es die Legitimierung des Grund- I. rechtseingriffs gebietet. Das Nichtimplantieren eines ge- Das medizinische Verfahren der Präimplantationsdiagnostik schädigten Embryos wird auch nach einer begrenzten (PID) wurde Ende der 80er-Jahre entwickelt. Mit Hilfe der Zulassung der PID für viele Ärzte und Eltern eine Frage des PID, die ausschließlich bei einer künstlichen Befruchtung Gewissens bleiben. Die Freiwilligkeit der Vornahme bzw. angewandt wird, sind konkrete Aussagen über genetische Teilnahme hebt der Entwurf in besonderem Maße hervor Schädigungeneiner oder mehrerer in vitro befruchteter Em- – auch um einem möglichen Trend in der Gesellschaft vor- bryozellennoch vor der Einsetzung in die Gebärmutter mög- zubeugen, der das gesetzliche Recht auf eine PID einmal lich. Beidem Verfahren der PID wird das Erbgut eines Em- quasi zur Pflicht werden lassen könnte. bryos durch die Entnahme von ein bis zwei Zellen ca. drei Geradeim Bereich persönlicher Lebensgestaltung, in dem Tage nach derBefruchtung hinsichtlich bestimmter krank- regulative staatliche Eingriffe besonderer Rechtfertigung be- heitsrelevanter Mutationen oder Chromosomenanomalien dürfen, bringt eine begrenzte Zulassung der PID den indivi- untersucht. Genetisch stark vorbelasteten Eltern, die zum duellen Freiheitsanspruch auf der einen und den Schutz all- Teil bereits ein schwer krankes Kind haben oder die nach gemeiner Rechtsgüter durch den Staat auf der anderen Seite einer Pränataldiagnostik und einer ärztlichen Beratung eine am ehesten zu einem gerechten Ausgleich. Denn eine derar- Abtreibunghaben vornehmen lassen, gibt diese Methode die tige Zulassung ermöglicht den Paaren, die eine PID wahr- Möglichkeit, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen. nehmen wollen, die verantwortungsvolle Ausübung ihres International ist das Verfahren in vielen Ländern etabliert. In Grundrechts auf Fortpflanzungsfreiheit, ohne dass damit die Europa zählen dazu Großbritannien, Frankreich, Spanien, moralische Position derjenigen, die die PID strikt ablehnen, Skandinavien, Belgien und die Niederlande. In den meisten abgewertet oder für unhaltbar erklärt würde. dieser Länder beruht die Behandlungspraxis auf besonderen Gesetzen, die das Verfahren beim Risiko einer schweren III. Erbkrankheit zulassen. Die Erfahrungen zeigen, dass die Zu- Der Gesetzentwurf dient dem Ziel, durch eine ausdrückliche lassung der PID unter strengen Auflagen eine verantwor- Bestimmung im Embryonenschutzgesetz (ESchG) die ge- tungsvolle medizinische Diagnose ermöglicht und hohe ethi- setzliche Grundlage für eine eng begrenzte Anwendung der sche Kriterien erfüllt. PID in Deutschland zu schaffen. Bei der Abwägung zwi- Der Bundesgerichtshof hat am 6. Juli 2010 entschieden, dass schen den Ängsten und Nöten der Betroffenen und ethischen die PID zur Entdeckung schwerer genetischer Schäden des Bedenken wegen der Nichtimplantation eines schwer geschä- extrakorporal erzeugten Embryos unter bestimmten Voraus- digten Embryos trifft dieser Gesetzentwurf eine Entschei- setzungen straffrei ist. Er hat festgestellt, dass die PID im dung zugunsten der betroffenen Frau. Einklang steht mit dem durch das Embryonenschutzgesetz Über die Durchführung der PID ist jedoch in jedem Einzel- verfolgten Zweck des Schutzes von Embryonen vor Miss- fall gesondert zu entscheiden. Dieser Einzelfall liegt dann bräuchen. Zudem sei die PID geeignet, schwerwiegende vor, wenn ein für die PID geschulter Arzt als Angehöriger ei- Gefahren infolge eines späteren ärztlich angezeigten nes lizenziertenZentrums für Fortpflanzungsmedizin eine Schwangerschaftsabbruches zu vermeiden. Ein strafbewehr- hohe Wahrscheinlichkeit attestiert, dass das von dem Paar tes Gebot, Embryonen auch bei genetischen Belastungen der gezeugteKind von einer besonders schweren Erbkrankheit Eltern ohne Untersuchung zu übertragen, berge hohe Risiken betroffen sein wird oder eine Fehl- bzw. Totgeburt zu erwar- in sich. ten ist. Die PID darf nur nach Zustimmung einer interdiszip- linär zusammengesetzten Ethik-Kommission zu dem Zweck II. durchgeführt werden, die Anlagen für dieses Leiden zu er- mitteln. Das Gesetz verzichtet bewusst auf eine Auflistung Angesichtsder Hochwertigkeit der betroffenen Rechtsgüter von Krankheiten als Indikation für eine PID. Die Entschei- ist es zur Gewährleistung hoher medizinischer und ethischer dung, in welchen eng definierten Fällen eine PID durchge- Standardserforderlich, die Voraussetzungen und Verfahren führt werden kann, obliegt dem verantwortlich handelnden der PID zu regeln. So ist es nur in bestimmten Fällen medi- Arzt und dem Votum der Ethik-Kommission. Über jeden Fall zinisch vertretbar, künstlich gezeugte Embryonen vor der wird einzeln entschieden. Einpflanzung in den Mutterleib auf Erbkrankheiten oder Schädigungen, die zu einer Fehl- bzw. Totgeburt führen Das Gesetzdefiniert eine Pflicht zum Beratungsgespräch vor könnten, zu untersuchen. Da eine Regelung wesentlich in der Durchführung einer PID. Die medizinische und psycho- Grundrechtspositionen Beteiligter eingreift, ist der Gesetz- soziale Beratung soll die Paare über Wesen, Tragweite und geber gehalten, Rechtssicherheit zu schaffen. Bei einer ge- Erfolgsraten der genetischen Untersuchung aufklären und setzlichen Regelung der PID verfügt der Gesetzgeber über den Paaren helfen, eine verantwortliche und gewissenhafte einen weitenGestaltungsspielraum, unterliegt jedoch den Entscheidung zu treffen. Eine genetische Untersuchung oder Grenzen der Verfassung. Ein absolutes Verbot der PID wür- Analyse darf nur vorgenommen und eine dafür erforderliche de gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot verstoßen. Der Ge- genetische Probe nur gewonnen werden, wenn die betroffene setzentwurf trägt dem durch eine an enge Voraussetzungen Frau in die Untersuchung und die Gewinnung der Probe gebundene Zulassung der PID Rechnung. schriftlich gegenüber der verantwortlichen ärztlichen Person Drucksache 17/5451 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode eingewilligt hat. Auch nach Vorliegen des Untersuchungser- ren Erbkrankheiten wesentlich unterscheiden. Bezüglich der gebnisses der PID ist den Paaren eine genetische Beratung betreffenden Krankheit muss bei dem zu behandelnden Paar anzubieten. ein „hohes genetisches Risiko“ vorliegen. Dies ist eine hohe Die PID ist nur in entsprechend lizenzierten Zentren zuzulas- Wahrscheinlichkeit, die vom üblichen Risiko der Bevölke- sen und zu konzentrieren. rung der Bundesrepublik Deutschland wesentlich abweicht. Zum anderen ist die Eintrittswahrscheinlichkeit nach den Die Bundesregierung erstellt in jeder Wahlperiode einen Be- Gesetzlichkeiten der Übertragbarkeit und Kombination erb- richt über die Erfahrung mit der PID, der dem Deutschen licher Anlagengenetisch einzuschätzen: Eine Wahrschein- Bundestag zugeleitet wird. Der Bericht enthält auf der Basis lichkeit von 25 bis 50 Prozent wird als hohes Risiko bezeich- der zentralen Dokumentation die Zahl der jährlich durchge- net. Das „Risiko des Paares“ muss nicht auf einer Belastung führtenMaßnahmen sowie eine wissenschaftliche Auswer- beider Partner beruhen, sondern kann sich auch bei nur tung. Der Bericht beruht auf anonymisierten Daten. einem Partner ergeben. Eine Fehlgeburt ist eine Schwangerschaft, die endet, bevor B. Einzelbegründung der sich entwickelnde Embryo bzw. Fetus lebensfähig ist. Bis zur 12. Schwangerschaftswoche nennt man das Kind Zu Artikel 1 (Änderung des Embryonenschutz- Embryo, danach Fetus. Unter Totgeburt (intrauteriner gesetzes) Fruchttod) versteht man die Geburt eines toten Fetus von Zu Nummer 1 (§ 3a P– neu – Präimplantationsdiagnostik) 500 Gramm und mehr Geburtsgewicht oder einem Gesta- tionsalter vonmindestens 22 vollendeten Wochen. Eine Um die ethische wie rechtliche Bedeutung der PID und die Vielzahl von Faktoren kann zu einer Fehl- oder Totgeburt Klarstellungsfunktion der Gesetzesänderung zum Ausdruck führen. Es gilt heute als sicher, dass bestimmte Chromoso- zu bringen, fasst der Entwurf die notwendigen Änderungen menanomalien die häufigste Ursache für eine Fehl- oder Tot- in einemeigenen Paragrafen zusammen. Eine Einfügung der geburt darstellen, ohne dass chromosomale Veränderungen Bestimmung nach § 3 empfiehlt sich wegen einer Vergleich- bei den Eltern vorliegen. barkeit der Regelungsinhalte: § 3 Satz 2 lässt aus schwerwie- genden genetischen Gründen eine Ausnahme von dem Als gesetzgeberischer Anknüpfungspunkt für den neuen § 3a grundsätzlichenVerbot des Satzes 1 zu, eine Samenzelle für Absatz 2 ESchG ist § 218a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs die künstliche Befruchtung nach dem Geschlecht auszuwäh- (StGB) gewählt worden, weil hier wie dort (BVerfGE 88, len; § 3a will aus entsprechenden Gründen – allerdings für 203 ff., 274) das Vorliegen einer ärztlichen Indikation festge- den Fall einer Nichtimplantation bereits befruchteter Eizel- stellt werden muss. Ebenso wie der Abbruch nach medizini- len – eine begrenzte Ausnahme vom grundsätzlichen Schutz scher Indikation vom Gesetz ausdrücklich als „nicht rechts- der Embryonen regeln. widrig“ erklärt wird, ist demnach auch die Gesamtmaßnah- me der PID mit der Rechtsordnung vereinbar. Bei § 218a Zu Absatz 1 Absatz 2 StGB erklärt sich die negative Formulierung „nicht rechtswidrig“aus dem Gegensatz zum rechtswidrigen Ab- Absatz 1 trifft die gesetzgeberische Grundentscheidung für bruch nachAbsatz 1. Aus Gründen der Rechtsklarheit und ein grundsätzliches Verbot der PID. gesetzgeberischen Eindeutigkeit könnte in § 3a ESchG die positive Aussage „handelt rechtmäßig“ gewählt werden. An Zu Absatz 2 dieser Stelle muss jedoch sowohl aus systematischen Grün- Absatz 2 regelt, unter welchen Voraussetzungen die PID den, als auch, um unterschiedliche strafrechtliche Interpreta- nicht rechtswidrig ist. tionen zu vermeiden, die Formulierung „nicht rechtswidrig“ gewählt werden. Vom Sinn des Behandlungsverfahrens her ist die PID ein dreigeteiltes Verfahren (In-vitro-Fertilisation, genetische Untersuchung, Implantationsentscheidung). Die ersten bei- Zu Absatz 3 den Schritte sind eine logische Einheit, da der Arzt zunächst Absatz 3 nennt Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Er- eine künstlicheBefruchtung vornehmen muss, um den Em- mächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung, die die bryo auf das genetische Risiko untersuchen zu können. Die Voraussetzungen festlegt, unter denen die Anwendung einer Formulierungen „zur Herbeiführung einer Schwanger- PID zulässig ist. Die dabei verwendeten unbestimmten schaft“ und„vor dem intrauterinen Transfer […] untersucht“ Rechtsbegriffe bedürfen jedoch für ihre Anwendung in der halten ausdrücklich fest, dass diese Schritte von einem Arzt Praxis einer Konkretisierung. Darüber hinaus sind den das nur mit dem Ziel, einen Embryo zu implantieren, unternom- Verfahren anwendenden Ärzten möglichst präzise Vorgaben men werden dürfen. Auf diese Weise wird das gesamte Be- an die Hand zu geben. handlungsverfahren unter bestimmten engen Voraussetzun- gen als nicht rechtswidrig definiert. Zu Absatz 4 Der Begriff „schwerwiegende Erbkrankheit“ des Kindes nimmt auf einevom ESchG bereits in § 3 Satz 2 verwendete Wer den gesetzlichen Vorgaben des Absatzes 3 nicht ent- Formulierung Bezug. Unter „Erbkrankheiten“ sind nach der- spricht, muss ein Bußgeld entrichten. So handelt ordnungs- zeitigem Kenntnisstand der Gendiagnostik monogen beding- widrig, wer entgegen Absatz 3 eine PID ohne vorhergehende te Erkrankungen und Chromosomenstörungen zu verstehen. Beratung, die schriftliche Einwilligung der Mutter, das posi- „Schwerwiegend“ sind diese insbesondere, wenn sie sich tive Votum der Ethikkommission oder in einem nicht lizen- durch eine geringe Lebenserwartung oder Schwere des zierten Zentrum vornimmt. Ordnungswidrig handelt auch, Krankheitsbildes und schlechte Behandelbarkeit von ande- wer der Rechtsverordnung nach Absatz 3 zuwiderhandelt, Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/5451

soweit sie für einen bestimmten Tatbestand auf diese Buß- geldvorschrift verweist.

Zu Absatz 5 Besonderen Wert legt der Entwurf darauf, dass die PID für alle Beteiligten – insbesondere den behandelnden Arzt und die behandelte Frau – freiwillig ist und diese Freiwilligkeit auch rechtlich abgesichert wird. Dem dient die „Gewissens- klausel“ des Absatzes 5.

Zu Absatz 6 Auf Grund der neuen Dimensionen, die sich für Eltern mit der begrenzten Zulassung der PID bei der Entscheidung über die Geburteines Kindes eröffnen, ist es notwendig, dass das Parlament eine verlässliche Grundlage erhält, um die Praxis der PID überprüfen zu können. Der in jeder Legislaturperio- de vorzulegende Bericht der Bundesregierung ist notwendig für eine verlässliche Einschätzung der Konsequenzen einer Anerkennungder PID. Zur Sicherung des Datenschutzes werden die Daten anonymisiert erfasst und anonymisiert im Bericht ausgewiesen.

Zu den Nummern 2 und 3 (Arztvorbehalt) Es handelt sich um Folgeänderungen für die Vorschriften des ESchG über den Arztvorbehalt und dessen Bewehrung (§§ 9 und 11). Die Durchführung der PID soll Ärzten vorbehalten bleiben, daschon für die künstliche Befruchtung der Arzt- vorbehalt gilt.

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