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Zoologisch-Botanische Datenbank/Zoological-Botanical Database

Digitale Literatur/Digital Literature

Zeitschrift/Journal: Carolinea - Beiträge zur naturkundlichen Forschung in Südwestdeutschland

Jahr/Year: 2011

Band/Volume: 69

Autor(en)/Author(s): Aly Christoph, Rösch Gabriel

Artikel/Article: Erweiterung des Natur- und Landschaftsschutzgebietes „Hochholz- Kapellenbruch“ 133-138 ©Staatl. Mus. f. Naturkde & Naturwiss. Ver. Karlsruhe e.V.; download unter www.zobodat.at carolinea, 69 (2011): 133-138, 1 Abb., 4 Farbtaf.; Karlsruhe, 15.12.2011 133

Erweiterung des Natur- und Landschaftsschutz- gebietes „Hochholz-Kapellenbruch“

Ch r i s t o p h Al y & Ga b r i e l Rö s c h

Kurzfassung Autoren Am 10. Februar 2011 konnte das Natur- und Land- Dr. Ch r i s t o p h Al y , Regierungspräsidium Karlsruhe, Re- schaftsschutzgebiet (NSG/LSG) „Hochholz-Kapellen- ferat 55 – Naturschutz, Recht, 76247 Karlsruhe, Tel.: bruch“ 20 Jahre nach der ersten Ausweisung als Schutz- 0721-926-4362, E-Mail: [email protected]. gebiet mit einer neuen Verordnung versehen und um Ga b r i e l Rö s c h , Alte Rathausgasse 4, 69254 , 121 ha NSG-Fläche erweitert werden. Zwanzig Jahre Tel.: 07253-24689, E-Mail: [email protected]. beharrliche Naturschutzarbeit hatten zu einer beeindru- ckenden naturschutzfachlichen Aufwertung dieses Teils der Kinzig-Murg-Rinne zwischen Malsch (bei Heidel- berg) und geführt: wo 1991 noch überwiegend 1 Gebietsentwicklung, Schutzwürdigkeit Ackerflächen auf anmoorigen Böden bestellt wurden, finden sich heute ausgedehnte Wiesen und Hochstau- Das Natur- und Landschaftsschutzgebiet „Hoch- denfluren. Weiter ist das Gebiet charakterisiert durch ein holz-Kapellenbruch“ liegt östlich und westlich der Grabensystem mit gut entwickelten Schilf- und Röhricht- Eisenbahntrasse Karlsruhe- zwischen säumen sowie Schwarzerlen-Eschen-Auwälder und Ei- chen-Hainbuchen-Sternmierenwälder. Detaillierte vege- den Ortschaften Wiesloch-Frauenweiler, St. Le- tationskundliche Kartierungen (Rö s c h 2009) legten es on-Rot, Rauenberg-Malschenberg und Malsch. nahe, nun auch den zentralen, bisher als LSG geführten Es ist Teil der am Ende der Würm-Eiszeit entstan- Bereich des Gebietes als Naturschutzgebiet auszu- denen Kinzig-Murg-Rinne, die sich heute durch weisen. Die Unterschutzstellung würdigt das Erreichte, naturschutzfachlich wertvolle Feuchtgebiete wie richtet die land- und forstwirtschaftliche Nutzung auf das Weingartener Moor, den Bruchgraben bei das naturschutzfachliche Ziel aus, reduziert Störungen Baden-Baden, das Federbachbruch, das Schif- durch Freizeit-Aktivitäten und hilft, den zur Pflege dau- tunger Bruch oder das Rastatter Ried auszeich- erhaft erforderlichen Einsatz von Naturschutzmitteln zu net. Gewann- und Wegnamen des rund 120 ha sichern. Die Wiederbesiedlung mit gebietstypischen Vogelarten, die teilweise nur noch als Wintergäste zu großen Kapellenbruchs weisen auf die Jahrhun- beobachten waren, ist angelaufen und wird weiter be- derte alte Nutzung als Wiese oder Allmendweide obachtet werden. hin („Bruchwiesen“, „Furtwiesen“, „Viehweg“ auf den Gemarkungen Rauenberg und Malsch). Abstract 1933 beendete die Anlage eines Entwässerungs- 20 years after the declaration of the nature reserve systems durch den Reichsarbeitsdienst diese Nut- “Hochholz-Kapellenbruch”, located in the communi- zung, anstelle der Moore, Sümpfe und feuchten ties Malsch, Rauenberg, St-Leon Rot and Wiesloch Wiesen entstanden Ackerflächen. Im Jahr 1991 (Baden-Wuerttemberg, ), it was possible to wurde der zentrale Bereich des Gebietes zu ca. expand the protection of the legal ordinance to addi- tional 121 hectares. 1991, this area was in intensive 90 % als Mais- oder Getreideacker genutzt und agricultural use, which was made possible by drainage deshalb als „begleitendes LSG“ ausgewiesen, of the former bogs, swamps and wet meadows in 1933. u. a. mit dem Schutzzweck der Extensivierung. Now, wet grasslands in extensive use replace most of Diese Extensivierung wurde in den vergangenen the former fields. The trenches are held operational; 20 Jahren Zug um Zug durch Flächenkauf, Pflege they are accompanied by broad bands of rushs, sedg- und Vertragsnaturschutz realisiert. Aktiv beteiligt es, and reed. Still in forestral use are Stellario-Carpine- waren die Kommunen, die Liegenschafts- und tum oak-hornbeam forests and residual alluvial forests Naturschutzverwaltung des Landes und des with Alnus glutinosa. The legal ordinance regulates the Landkreises, sowie zahlreiche Vertreter des pri- agricultural and forestral use, reduces the disturbances caused by leisure activities, and helps to secure the vaten und des Verbands-Naturschutzes. needed public money for landscape management. Typi- Rund 85 % der 1991 noch als Acker genutzten cal and rare species of birds are present, some of them Fläche sind heute Wiese. Dabei handelt es sich only during migration; their re-establishment as breed- in erster Linie um Glatthaferwiesen, deren Ar- ing species will be monitored. tenzusammensetzung mit den gegebenen Nähr- ©Staatl. Mus. f. Naturkde Karlsruhe & Naturwiss. Ver. Karlsruhe e.V.; download unter www.zobodat.at

134 carolinea, 69 (2011) stoff- und Wasserverhältnissen variiert. Auf den (Sparganium erectum). Bemerkenswert sind aus- trockeneren Kiesrücken finden sich grasreiche, gedehnte Bestände der gefährdeten Wasserfeder noch artenarme Ausprägungen, während in den (Hottonia palustris); die 1989 noch weit verbreitete feuchteren Senken bereits artenreiche Formen Kanadische Wasserpest (Elodea canadensis) ist zu finden sind, im Übergang zu binsen- und dagegen weitgehend verschwunden. seggenreichen Nasswiesen und Flutrasen mit Zwischen dem bereits unter Naturschutz ste- Flatter-, Glanz- und Blaugrüner Binse (Juncus henden Wald westlich der Bahnlinie und den effusus, J. articulatus, J. inflexus), Stumpfblütiger o. g. Wiesenflächen liegen etwa 32 ha Kom- Segge und Sumpfsegge (Carex subnodulosus, munalwald, dessen Aufnahme in das Natur- C. acutiformis), Wasserminze (Mentha aquatica), schutzgebiet ebenfalls gelang. Auf den feuchten Gemeinem Gilbweiderich (Lysimachia vulgaris) Standorten der Randsenke handelt es sich um sowie zahlreichen weiteren Blütenpflanzen. Auf Schwarzerlen-Eschen-Auwälder mit gut ausge- einer Wiesenfläche unterstreicht das Vorkommen bildeter Krautschicht: u. a. Wasser-Schwertlilie des gefährdeten (Einstufung: Br e u n i g & De m u t h (Iris pseudacorus), Einbeere (Paris quadrifolia), 1999) Fleischfarbenen Knabenkrauts (Dactylo- Buschwindröschen (Anemone nemorosa) und rhiza incarnata) das naturschutzfachliche Poten- Bärlauch (Allium ursinum). Auf den trockeneren, tial der Flächen. lehmüberdeckten Kiesrücken stocken Sternmie- Bemerkenswert sind die (wandernden) Alt- ren-Eichen-Hainbuchen-Wälder mit Waldziest grasstreifen, die im Rahmen des Vertragsnatur- (Stachys sylvatica), Waldveilchen (Viola reichen- schutzes oder der beauftragten Pflege entstehen bachiana), Hoher Schlüsselblume (Primula elati- und die Flächen tierökologisch aufwerten. Insek- or) und Maiglöckchen (Convallaria majalis). Bei- ten profitieren hier vom Blütenangebot auch zum de Waldtypen werden für Baden-Württemberg Zeitpunkt der Heuernte, Spinnen haben durch- als schwer bzw. kaum regenerierbare, gefähr- gängig Gelegenheit zum Netzbau, zahlreiche dete Biotoptypen eingeordnet (Br e u n i g 2002). Wirbeltiere wie Amphibien und Vögel finden Die Entwicklung der Avifauna im Hochholz-Ka- ganzjährig Deckung. pellenbruch ist gut dokumentiert1. Aktuell sind Die extensive Wiesenführung erlaubt nun breite 66 Brutvogelarten nachgewiesen, bei 6 weiteren Übergänge zwischen Wiese und Waldrand bzw. Arten – darunter der in Baden-Württemberg Wiese und Fließgewässer, wo früher bis an die stark gefährdete (Einstufungen auf der Roten Li- nutz- und befahrbare Grenze (und oft genug ste Baden-Württemberg (RL) nach h ö l z i n g e r et auch darüber hinaus) umgebrochen wurde. Hier al. 20072) Wendehals (Jynx torquilla) – besteht wachsen heute Schilffelder, Röhrichte, Seggen- zumindest Brutverdacht. 33 Arten nutzen das riede und Hochstaudenfluren mit Wasserschwa- Gebiet auf dem Zug und/oder als Nahrungsgast. den (Glyceria maxima), Wasser-Schwertlilie (Iris Die folgende Darstellung beschränkt sich auf die pseudacorus), Rohrglanzgras (Phalaris arun- Vorkommen in den Flächen, die aktuell zum Na- dinacea), Pfeifengras (Molinia caerulea), der turschutzgebiet aufgewertet wurden. Gewöhnlichen und der Salz-Teichbinse (Schoe­ Entlang des Alten Kehrgrabens wurden Pirol noplectus lacustris und S. tabernaemontani), (Oriolus oriolus, RL V), Turtel- und Hohltaube Breit- und Schmalblättrigem Rohrkolben (Typha (Streptopelia turtur, Columba palumbus, RL V), latifolia und T. angustifolia), Mädesüß (Filipendu- Schwarzspecht (Dryocopus martius) und Wei- la ulmaria) und Blutweiderich (Lysimachia vulga- denmeise (Parus montanus, RL V) nachgewie- ris). Diese teilweise bis zu 50 m breiten Struk- sen. In den benachbarten Rauenberger Wiesen turen sind ein wesentliches, seit 1991 deutlich brütet die Feldlerche (Alauda arvensis, RL 3) re- aufgewertetes Merkmal des Gebietes. Hier findet gelmäßig. Es ist zu erwarten, dass der Bereich sich der Brut-, Deckungs- und Nahrungsraum für mit den Jahren auch von Mittel- und Buntspecht eine Vielzahl von Vogelarten und Lebensraum ei- (Picoides medius, P. medius, letzterer RL V), ner vielfältigen Spinnen- und Insektenwelt. Grau- und Trauerschnäpper (Muscicapa striata, Die das Gebiet durchziehenden, langsam flie- Fidecula hypoleuca, beide RL V) und weiteren ßenden Gewässer – Alter und Neuer Kehrgraben Meisenarten besiedelt wird. sowie nördlicher Kahlbach – sind außerordentlich vielfältige Standorte der o. g. Röhrichte, Seggen- 1 riede und Schilffelder sowie von Kleinröhrichten mit Die hier genannten Nachweise verdanken wir Gu i d o Wa l d - m a n n , . Aufrechtem Merk (Berula erecta), Wasserschwa- 2 es bedeutet: 1 = vom Aussterben bedroht, 2 = stark gefähr- den (Glyceria maxima) und Ästigem Igelkolben det, 3 = gefährdet, V = Art der Vorwarnliste. ©Staatl. Mus. f. Naturkde Karlsruhe & Naturwiss. Ver. Karlsruhe e.V.; download unter www.zobodat.at

Al y & Rö s c h : Natur- und Landschaftsschutzgebiet „Hochholz-Kapellenbruch“ 135

In den Hochstaudenfluren und Röhrichten sind & Di e t e r l e n 2003) , Wasserfledermaus (Myotis – teilweise wieder, und teilweise in erstaunlicher daubentonii, RL 3), Großes Mausohr (Myotis my- Dichte – Feldschwirl (Locustella naevia, RL V), otis, RL 2), Rauhautfledermaus (Pipistrellus na- Sumpf- und Teichrohrsänger (Acrocephalus pa- thusii), Mückenfledermaus (Pipistrellus pygmae- lustris, RL V, A. scirpacaeus), Rohrammer (Em- us) und Braunes Langohr (Plecotus auritus, RL beriza schoeniclus, RL V) sowie das Schwarz- 3). Hinzu kommen Arten, die sich tagsüber in Ge- kehlchen (Saxicola rubicola) zu hören. Ursache bäuden aufhalten und den Wald zur Jagd aufsu- hierfür ist ohne Zweifel die gute Entwicklung die- chen: Breitflügelfledermaus (Eptesicus serotinus, ser grabenbegleitenden Säume, deren Pflege seit RL 2), Zwergfledermaus (Pipistrellus pipistrellus, 1990 auf der Grundlage eines naturschutzfachlich RL 3), Große oder Kleine Bartfledermaus, My- optimierten Gewässerpflegeplans durchgeführt otis brandtii, RL 1, oder M. mystacinus, RL 3). wird (Kö n i g 1990). Drossel- und Schilfrohrsänger Alle Arten überwinden während einer Nacht mit (Acrocephalus arundinaceus, A. schoenobaenus, Leichtigkeit die Entfernungen zwischen den ein- beide RL 1) sowie das Braunkehlchen (Saxicola zelnen Waldbereichen des Gebiets. Damit besitzt rubetra, RL 1) und der Rohrschwirl (Locustella lu- das Gebiet in der jetzt erreichten Ausdehnung scinioides, RL 2) wurden in den 80er Jahren noch eine artenreiche und überaus individuenreiche als Brutvögel nachgewiesen, eine Wiederbesied- Fledermaus-Gesellschaft, die in hohem Maße lung des Gebietes wird erhofft. In den Gräben schutzwürdig und schutzbedürftig ist. selbst kommt das Teichhuhn (Gallinula chloropus, Alle genannten Fledermausarten sind in Anhang RL 3) vor. Graureiher (Ardea cinerea) und Weiß- IV der FFH-Richtlinie (An o n y m u s 2006) enthalten. storch (Ciconia ciconia, RL V, seit 2008 wieder Dies bedeutet, dass Störungen oder die Besei- Brutvogel, seit 2010 sogar mit zwei Paaren) nut- tigung von Höhlenbäumen auch im Zusammen- zen hier die großen Bestände der Wasserfrösche hang mit ansonsten ordnungsgemäßer Forst- als Nahrungsgrundlage. wirtschaft nicht zulässig sind, sollte sich dadurch Auf Wiesen und Gewässern sowie in den Röh- der Erhaltungszustand der lokalen Population richten wurden während der Winterzeit u. a. verschlechtern (§ 44 (4) Bundesnaturschutzge- folgende Arten nachgewiesen: Bekassine (Gal- setz). linago gallinago, RL 1), Grauammer (Emberiza Eine Besonderheit im Herzen des Gebietes ist calandra, RL 2), Grünschenkel (Tringa nebularia), ein ehemaliges Gewerbegebiet auf Gemarkung Kanadagans (Branta canadensis), Kornweihe Rauenberg. Ohne den erfolgreichen Flächen- (Circus cyaneus, RL 1), Krickente (Anas crecca, kauf durch die Kommune und das Land Baden- RL 1), Schilfrohrsänger (Acrocephalus schoe­ Württemberg wäre dieser Bereich durch die nobaenus, RL 1), Schwarzkehlchen (Saxicola bereits geplante Wiederansiedlung von Indus- rubicola), Steinschmätzer (Oenanthe oenanthe, triebetrieben naturschutzfachlich völlig entwer- RL 1) und Wiesenschafstelze (Motacilla flava). tet worden und zu einem zentralen Störfaktor Auch der Graukranich (Grus grus) hat das Ge- im Schutzgebiet geworden. Heute ist der durch biet in jüngerer Zeit als Ruheplatz während des Kiesabbau entstandene und nun nicht wie ge- Herbstzuges genutzt. Der Kiebitz (Vanellus va- plant im Rahmen der „Rekultivierung“ verfüllte nellus, RL 2) war bis zum Jahr 2004 Brutvogel. See ein vielfältiger Lebensraum mit reichhaltiger Jedes Jahr tauchen brutbereite Altvögel auf, es Unterwasser- und Ufervegetation. Er ist u. a. Le- kommt auch zu Brutversuchen, aber leider wurde bensraum des Kamm-Molchs (Triturus cristatus; seither keine erfolgreiche Brut beobachtet: Aus- gefährdet nach La u f e r et al. 2007), der Malermu- gerechnet eine besonders tief gelegene Fläche schel (Unio pictorum, gefährdet nach An o n y m u s auf Gemarkung Malschenberg, die im Frühjahr 2008) und zahlreicher Libellenarten (Fischbe- regelmäßig unter Wasser steht und daher für die satz und angelsportliche Nutzung finden nicht Vögel besonders attraktiv ist, wird noch als Acker statt). In angrenzenden Tümpeln laicht regel- genutzt. mäßig die Gelbbauch-Unke (Bombina variega- Aus der Gruppe der Fledermäuse konnten fol- ta, gefährdet). Der vom Aussterben bedrohte gende Waldarten nachgewiesen werden3: Gro­ Flussuferläufer (Actitis hypoleucus) nutzt das ßer und Kleiner Abendsegler (Nyctalus noctula, Areal als Trittstein während des Zugs. Auf dem N. leisleri, letzterer RL 2; Einstufung nach Br a u n ehemaligen Industriegelände selbst hat sich – exemplarisch genannt für Bewohner sonniger,

3 Alle Fledermaus-Nachweise verdanken wir Ha n s -Jo ac h i m trockener Ruderalstandorte – die Blauflügelige ­F i s c h e r , . Ödlandschrecke (Oedipoda caerulescens; ge- ©Staatl. Mus. f. Naturkde Karlsruhe & Naturwiss. Ver. Karlsruhe e.V.; download unter www.zobodat.at

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fährdet nach De t z e l 1998) und die Zauneidech- im Zuge des Erlasses von Schutzgebietesver- se (Lacerta agilis, Art der Vorwarnliste nach La u - ordnungen kein Gebrauch gemacht werden. Hier f e r et al. 2007) angesiedelt. können nur die Eigentümerinnen – in diesem Fall Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das sind dies die Gemeinden – durch entsprechende Gebiet die Eigenschaften einer wegen ihrer Pachtauflagen im Sinne des Schutzzwecks der Seltenheit, Vielfalt, besonderen Eigenart, natur- Verordnung tätig werden. Die Honorierung dauer­ haften Ausstattung und hervorragenden Schön- hafter Nutzungsverzichte über das Ökokonto der heit schützenswerten Landschaft in repräsenta- Gemeinden ist möglich (An o n y m u s 2010) und wird tiver Weise besitzt. Auch die zentralen Flächen gegenwärtig angegangen. verfügen nun über eine schutzwürdige Ausstat- Der im Gebiet mit guter Akzeptanz wahrgenom- tung mit ausgedehnten Wiesen, Hochstauden- mene Vertragsnaturschutz bietet keinen dauer- fluren und Sonderbiotopen, die u. a. Lebensraum haften, über die 5-jährige Vertragslaufzeit hinaus- gefährdeter Arten sind. Deren Zunahme ist zu er- gehenden Schutz: Es steht dem Bewirtschafter warten, wenn es gelingt, die im Folgenden aus- der Flächen frei, die Verträge nach Ablauf zu ver- geführten Gefährdungen fernzuhalten. längern oder nicht zu verlängern. In Zeiten guter Preise für Mais führt dies zum Umbruch von Wie- sen, auf der sich im Laufe von 10 oder 15 Jahren 2 Schutzbedürftigkeit und unter Einsatz öffentlicher Mittel bereits wie- der vollwertige Wiesengesellschaften eingestellt Gefährdungen für dieses Gebiet sind: hatten. Hier wird eine wesentliche Schwachstelle  die Wiederaufnahme intensiver Wiesen- oder des Vertragsnaturschutzes deutlich: Einen zeit- Ackernutzung mit der Folge der Verarmung lich unbefristeten Schutz wie der Flächenkauf oder des vollständigen Verlusts der Wiesenge- oder der Erlass einer entschädigungspflichtigen sellschaften; Beschränkung des Eigentums bietet er nicht.  die Vertiefung oder das Mulchen der Gräben Die Beibehaltung der forstwirtschaftlichen Nut- mit der Folge des Verschwindens der dort vor- zung begrenzt den Altholzanteil sowie die An- handenen spezifischen Pflanzen- und Tierwelt reicherung von stehendem Totholz („Urwald- und der Beeinträchtigung der gewässerbeglei- charakter“). Diese Begrenzung ist zwar keine tenden Röhrichte, Schilffelder, Seggenriede Gefährdung des Waldes, wohl aber ein Verzicht und Hochstauden; auf die Ausschöpfung seines ökologischen Po-  die Entfernung von stehendem Totholz und tentials. Bekannt und in Kapitel 1 genannt sind die Habitatbäumen mit der Folge des Verlusts der Vorkommen von Fledermäusen: Ihnen, sowie ei- auf diese Strukturen angewiesenen Tierarten; ner Reihe von anderen Wirbeltierarten, bietet ein  die Pflanzung von standortfremden Bäumen alter Wald in weitaus höherem Maße Versteck-, mit Folge der Entwertung standortheimischer Rast- und Brutmöglichkeiten, als dies einem be- Wälder; wirtschafteten Wald möglich ist. Darüber hinaus  die Störung durch Freizeit-Nutzungen mit der wäre beispielhaft die große und überproportional Folge des Verschwindens bzw. der Nicht-An- gefährdete Gruppe der xylobionten Käfer zu nen- siedlung störempfindlicher Brutvögel und nen: Diese Arten leben schwerpunktmäßig in al-  die Ablagerung von Materialien oder das Ab- ten, teilweise abgestorbenen Bäumen; sowie die stellen von Fahrzeugen mit der Folge des Ver- Gruppe der Baumpilze, die selbst wieder Lebens- lusts von Biotopflächen und der Beeinträchti- raum einer spezialisierten Gruppe von Käferarten gung des Landschaftsbildes. sind. Daher wäre es naturschutzfachlich äußerst Teilweise standen diese Gefährdungen bereits wünschenswert, wenn in den überwiegend stand- durch die LSG-Verordnung unter Erlaubnisvor- orttypischen Wäldern des Gebietes zu Gunsten behalt. Aktuelle Übertretungen wie das Auffüllen des Habitatschutzes auf die wirtschaftlich ori- einer Ackerfläche oder das eigenmächtige Mul- entierte Nutzung verzichtet werden könnte. Da chen von Grabenrändern zeigten jedoch, dass dies in einer Verordnung nicht ohne Entschä- dies nicht ernst genommen wurde. digung festgelegt werden kann und in Baden- Die Aufgabe von Nutzungen, die den Naturschutz- Württemberg dieser Weg nicht vorgesehen ist zielen widersprechen, kann die Verordnung nicht (siehe oben), sind auch hier die Gemeinden als vorschreiben: Von der Möglichkeit der entschädi- Eigentümerinnen aufgerufen, diese Möglichkeit gungspflichtigen Beschränkung des Eigentums in eigener Verantwortung und zu Gunsten ihres gemäß § 68 (1) Bundesnaturschutzgesetz kann Ökokontos in die Tat umzusetzen. ©Staatl. Mus. f. Naturkde Karlsruhe & Naturwiss. Ver. Karlsruhe e.V.; download unter www.zobodat.at

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Abbildung 1. Lage und Übersichtskarte des Natur- und Landschaftsschutzgebietes „Hochholz-Kapellenbruch“. – Kartografie: Referat für Naturschutz und Landschaftspflege am RP Karlsruhe.

Die Forderung nach wirksamer Grabenreini- die Naturschutzverwaltung umgesetzt (Kö n i g gung begleitet die Naturschutzarbeit in diesem 1990). Darüber hinaus wurde – nach nicht Gebiet seit zwei Jahrzehnten. Eine ökologische enden wollenden Klagen – gemeinsam ein Belange berücksichtigende Vorgehensweise hydrologisch-hydraulisches Gutachten in Auf- (nur einseitige, abschnittsweise Räumung, trag gegeben, welches die Abfluss- und Grund- keine routinemäßige Sohlräumung, Krauten wasserverhältnisse untersuchte und aufzeigte, nur in der 39.-44. Kalenderwoche) wurde be- dass nasse Äcker nicht auf eine unzureichende reits 1990 erarbeitet und wird seitdem von den Grabenreinigung zurückzuführen sind (Wa l d & Gemeinden mit finanzieller Förderung durch Co r b e 2005). ©Staatl. Mus. f. Naturkde Karlsruhe & Naturwiss. Ver. Karlsruhe e.V.; download unter www.zobodat.at

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3 Besondere Bestimmungen der Verordnung dig beobachten, darüber auch in der Presse berichten und Exkursionen anbieten; den Kolleginnen und Kolle- Die Bestimmungen der Verordnungen zum be- gen, die in Kommunen, Landkreis- und Landesverwal- stehenden Naturschutzgebiet hatten sich im tung alles dafür getan haben, das Gebiet durch Pflege, Flächenkauf und Extensivierung voranzubringen; den Wesentlichen bewährt. Präziser gefasst wurden Kommunen, die das Unterschutzstellungsverfahren be- die Bestimmungen zum Schutz des Gebietes vor grüßt und unterstützt haben. störenden Freizeit-Nutzungen wie Einsatz von Luftsportgeräten oder Laufenlassen von Hun- Literatur den. Insbesondere letzteres hat sich in den letz- An o n y m u s (2006): Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom ten Jahren zu einem ernsten Problem entwickelt 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebens- („Hunde-Tourismus“ mit dem PKW). Die dadurch räume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen verursachten Störungen der Vogelwelt werden in (FFH-Richtlinie) (ABl. EG Nr. L 206 S. 7), zuletzt ge- der Regel von den Haltern nicht ernst genom- ändert durch Richtlinie 2006/105/EG des Rates vom men („der Hund macht doch nichts“). Im natur- 20. November 2006 (ABl. EG Nr. L 363 S. 368). An o n y m u s (2008): Rote Liste und Artenverzeichnis der schutzfachlichen Kontext sind sie jedoch aus der Schnecken und Muscheln Baden-Württembergs. – Perspektive des Vogels zu bewerten: Bei ihm löst Naturschutz-Praxis, Artenschutz, 12: S. 3-185. der querfeldein laufende Hund die Flucht aus, An o n y m u s (2010): Verordnung des Ministeriums für in deren Folge Gelege oder Jungvögel erkalten Umwelt, Naturschutz und Verkehr über die Aner- oder Nesträubern zum Opfer fallen können. An kennung und Anrechnung vorzeitig durchgeführter regelmäßig nur bestimmten Linien (Wegen) fol- Maßnahmen zur Kompensation von Eingriffsfolgen gende Hunde können sich die Brutvögel hinge- (Ökokonto-Verordnung – ÖKVO) vom 19. Dezember gen anpassen. 2010, GBl. 2010, S. 1089. Die Bestimmungen zur forstlichen Nutzung wur- Br a u n , M. & Di e t e r l e n , F. (2003): Die Säugetiere Baden- Württembergs, Band 1. – 687 S.; Stuttgart (Ulmer). den stärker auf das naturschutzfachliche Ziel Br e u n i g , T. (2002): Rote Liste der Biotoptypen Baden- – Förderung standortheimischer Wälder – aus- Württembergs. – Naturschutz und Landschaftspfle- gerichtet. Deshalb wurde die bisherige Bestim- ge Baden-Württemberg, 74: 259-308. mung der Maximalgröße eines Kahlhiebs und Br e u n i g , T. & De m u t h , S. (1999): Rote Liste der Farn- die Fixierung auf die Naturverjüngung fallen ge- und Samenpflanzen Baden-Württemberg. – Natur- lassen: Zur Beseitigung standortfremder Forste schutz-Praxis, Artenschutz, 2: 3-161. kann ein Kahlhieb mit nachfolgender Pflanzung De t z e l , P. (1998): Die Heuschrecken Baden-Württem- standorttypischer Gehölze naturschutzfachlich bergs. – 580 S.; Stuttgart (Ulmer). sinnvoll sein. Kahlhiebe dürfen jedoch nur noch Hö l z i n g e r et al. (2007): Rote Liste und kommentiertes Verzeichnis der Brutvogelarten Baden-Württem- zur Bewirtschaftung standortfremder Forste bergs. 5. Fassung. Stand 31.12.2004. – Naturschutz- durchgeführt werden, nur standortheimische Ge- Praxis, Artenschutz, 11: 3-171. hölze dürfen gepflanzt werden. Altholzinseln, Ha- Kö n i g , A. (1990): Gewässerpflegeplan für das Kehrgra- bitatbäume und Totholz sollen „in einem mit den bensystem im gepl. Natur- und Landschaftsschutz- Anforderungen des Naturschutzes und einer na- gebiet „Hochholz-Kapellenbruch“. – 46 S.; unveröf- turnahen Waldbewirtschaftung vereinbaren Um- fentlichtes Gutachten im Auftrag der Bezirksstelle für fang“ erhalten werden: Es wird also auch weiter Naturschutz und Landschaftspflege Karlsruhe. auf eine fruchtbare Zusammenarbeit von Forst- La u f e r , H. et al. (2007): Die Amphibien und Rep- und Naturschutzverwaltung ankommen. tilien Baden-Württembergs. – 807 S.; Stuttgart (Ulmer). Die „ordnungsgemäße landwirtschaftliche Bo- Rö s c h , G. (2009): Das Natur- und Landschaftsschutz- dennutzung“ bleibt auch in diesem Naturschutz- gebiet „Hochholz-Kapellenbruch“: Landschafts- gebiet weiter zulässig; nicht zulässig ist der kundlich-vegetationsökologische Untersuchung mit Umbruch von Grünland, die Anwendung von einer Bewertung der Pflege- und Entwicklungsmaß- Pflanzenbehandlungsmitteln außerhalb von nahmen. – 130 S.; unveröffentlichte Diplomarbeit, Ackerland und die Gülledüngung der Wiesen. Institut für Landschafts- und Pflanzenökologie der Universität Hohenheim. Wa l d , J. & Co r b e , J. (2005): Hydrologisch-hydraulische Danksagung Untersuchung des Kehrgrabensystems im Bereich Unser besonderer Dank gilt: den zahlreichen privaten des NSG/LSG „Hochholz-Kapellenbruch“ bei Rau- und in Naturschutzverbänden tätigen Naturfreunden enberg und des Kehrgrabens im Bereich von St. (die erweiterte Unterschutzstellung konnte allein mit Leon-Rot. – 51 S.; unveröffentlichtes Gutachten im ehrenamtlich erhobenen Daten durchgeführt werden!), Auftrag der Gemeinden Bad Schönborn, Malsch, die das Gebiet teilweise seit Jahrzehnten sehr sachkun- Rauenberg, St. Leon-Rot und Wiesloch. ©Staatl. Mus. f. Naturkde Karlsruhe & Naturwiss. Ver. Karlsruhe e.V.; download unter www.zobodat.at

Al y & Rö s c h : Natur- und Landschaftsschutzgebiet „Hochholz-Kapellenbruch“ Tafel 1

a) Blick vom Storchenhorst in Richtung Osten (quer über die Kinzig-Murg-Rin- ne), im Hintergrund der Letzenberg mit der Ortschaft Malschenberg. – Foto: H. Pf e i f e r .

b) Blick von einem Hochsitz nach Norden in Richtung der Kinzig-Murg- Rinne, Gemarkung Malsch. – Foto: G. Rö s c h .

c) Wiesen und Weidengehölz auf Ge- markung Malschenberg, im Vorder- grund ein Graben mit Schmalblättrigem Rohrkolben. – Foto: B. Mar t e n s -Al y . ©Staatl. Mus. f. Naturkde Karlsruhe & Naturwiss. Ver. Karlsruhe e.V.; download unter www.zobodat.at

Tafel 2 carolinea, 69 (2011)

a) Kuckuckslichtnelken auf einer Feuchtwiese, Gemarkung Rauenberg. – Foto: B. Mar t e n s -Al y .

b) Altgras-Streifen (ganzjährig stehen- bleibend) in einer Wiese auf Gemar- kung Malsch. – Foto: G. Rö s c h .

c) Gute Entwicklung der Hochstauden- flur am optimal gepflegten Kehrgraben, Gemarkung Malsch. – Foto: G. Rö s c h . ©Staatl. Mus. f. Naturkde Karlsruhe & Naturwiss. Ver. Karlsruhe e.V.; download unter www.zobodat.at

Al y & Rö s c h : Natur- und Landschaftsschutzgebiet „Hochholz-Kapellenbruch“ Tafel 3

a) Vor der Rekultivierung gerettete Kiesgrube auf Gemarkung Rauenberg. – Foto: B. Mar t e n s -Al y .

b) Schilf, Wasser-Schwertlilie, Blutwei- derich und Gilbweiderich auf ehema- liger Ackerfläche (!) auf Gemarkung Malsch. – Foto: G. Rö s c h .

c) Erlenbruchwald auf Gemarkung Malsch. – Foto: B. Mar t e n s -Al y . ©Staatl. Mus. f. Naturkde Karlsruhe & Naturwiss. Ver. Karlsruhe e.V.; download unter www.zobodat.at

Tafel 4 carolinea, 69 (2011)

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