01/Herberger (Page 120)

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01/Herberger (Page 120) Die deutschen Fußballweltmeister nach dem 3 : 2-Sieg am 4. Juli 1954 mit Trainer Herberger (M.): Das Ergebnis Wie ein kleiner König Die lange Karriere des Sepp Herberger (II): Aus dem Jammertal zur Weltmeisterschaft / Von Jürgen Leinemann ie letzten Kriegsmonate erlebte Tätigkeit, zu Hause, duckte sich vor den „Den Endsieg“ Reichstrainer Sepp Herberger bei Tieffliegern, grübelte und sah in eine trü- D seinen Schwiegereltern in Wein- be Zukunft. Wie geht es Fritz? Hoffent- nannte Sepp Herberger sein Ziel bei heim an der Bergstraße, in der Karl- lich ist Hans Rohde nichts passiert – ein der Weltmeisterschaft 1954. Da straße 12. Seine eigene Wohnung in Brief war zurückgekommen. Graf war klingt noch die Diktion der Nazis Berlin, im Stadtteil Schöneberg, war seit verwundet. Klingler an der Ostfront ver- durch, unter denen der Fußballtrainer Januar 1944 „total ausgebombt“. Der mißt. Gellesch in ambulanter Behand- 1936 sein Amt antrat. Wie letzte Wo- Fußballsport lag darnieder, den Verei- lung. Er war, wie er eingestand, „einsa- che in der ersten Folge der SPIEGEL- nen gingen die Spieler aus, das letzte mer denn je“. Serie zu lesen, leistete er im Krieg Länderspiel hatte am 22. November Nach der Kapitulation der Deutschen Überlebenshilfe, indem er seine 1942 stattgefunden. Die Welt hatte sich am 8. Mai 1945 beschlagnahmten die Kicker von der Front loseiste. Nach gedreht und lag in Stücken. Amerikaner zahlreiche Häuser in Wein- 1945 knüpfte der Fußball-Besessene Im Frühjahr 1945 saß Herberger, 47 heim. 4000 US-Soldaten nahmen im er- dort wieder an, wo er als Reichstrai- Jahre alt, Nationaltrainer ohne Team und sten Nachkriegssommer hier Quartier. ner aufgehört hatte. Seine Biogra- Leute mit militärischen Funktionen und phie spiegelt die Widersprüche der © 1997 Rowohlt Berlin Verlag. – Der ungekürzte NS-Vergangenheit durften keine öffent- Text erscheint am 15. Januar 1997 unter dem Titel deutschen Nachkriegsgesellschaft. „Sepp Herberger. Ein Leben, eine Legende“; 494 lichen Aufgaben übernehmen. Denun- Seiten; 39,80 Mark. ziationen und persönliche Verfolgungen 120 DER SPIEGEL 1/1997 SERIE Zeugnis geben von dem strahlenden tere Frau Italia begegnet, die als Dolmet- Frohsinn, der immer lebendig war, so oft scherin bei der französischen Militärre- wie wir zusammen waren, und von der gierung arbeitete. starken, unverbrüchlichen Freundschaft, die uns alle verband.“ epp Herberger sorgte sich zunehmend Viele seiner Männer waren unauffind- Sum seine Entnazifizierung – er fürch- bar. Seit der russischen Offensive im tete, daß er Berufsverbot erhalten könnte. Januar, die alle konspirativen Pläne Ein „gewisses Aufstoßen vergangener zur „Entführung“ seines malariakranken Zeiten“, wie sein Trainerkollege Bruno Lieblings in den Schwarzwald durch- Lehmann schrieb, blieb auch Herberger kreuzt hatte, fehlte dem Trainer von Fritz nicht erspart. So einschneidend das Jahr Walter jede Spur. War er in einem Laza- 1945 war – für die Gesellschaft, den rett „irgendwo in der Welt des Ostens?“ Staat, das politische System und die insti- Daß er so gar nichts tun konnte, machte tutionelle Ordnung –, so wenig empfan- Herberger schier verrückt. Er forschte den die meisten Menschen in Deutsch- noch nach Fritz Walter, als der – mit Glat- land dieses Jahr als eine Wende in ihrem ze und Untergewicht – am 28. Oktober persönlichen Leben. Stunde Null? Das 1945 schon wieder in Kaiserslautern ein- Leben ging weiter. Und wo es aufgehört getroffen war. hatte – über sieben Millionen Deutsche Sein ganzes „Sinnen und Trachten“ kamen im Krieg um –, da hatte es schon sei damals auf die Wiedergeburt der Na- längst vorher aufgehört. tionalmannschaft gerichtet gewesen, er- Nicht daß es an Augenblicken des Er- zählte Herberger später. Dabei kreisten schreckens, der Scham, ja des Entsetzens die Gedanken vor allem um seinen gefehlt hätte: „Groß ist das Elend, das Fritz. Um den bemühte sich auch der uns bedroht, unabsehbar die Katastrophe, 1. FC Nürnberg – auf dem Wege aus der in der wir stecken“, schrieb Herberger. Gefangenschaft hatten ihn schon die „Wir werden dafür büßen müssen.“ Doch Wiener dabehalten wollen, und daheim wie die überwältigende Mehrheit der lagen ihm Angebote von Racing Paris Deutschen wies er persönliche Schuld und anderen französischen Profiklubs weit von sich: „Alles perdu, das verdan- vor. ken wir unserem einmaligen Führer!“ Es dauerte bis zum Februar 1946, bis In einem Druckereiverlag, der die Her- der Neu-Weinheimer zum erstenmal die ausgabe einer Sportzeitung plante, hatte Walter-Elf des 1. FC Kaiserslautern spie- Herberger Arbeit gefunden. Im März len sah. Mit 12:3 gewann sie gegen den 1946 schrieb er an seinen Kollegen Meu- VfR Frankenthal, und Herberger schrieb sel: Nein, als Trainer arbeite er noch an seinen früheren Untermieter, den Ex- nicht, obwohl an Angeboten kein Mangel Nationaltorwart Helmut Jahn: „Fritz hat sei – „aber ich muß halt auch erst rehabi- nichts verlernt.“ Der Trainer war’s zufrie- litiert sein“. den. Dem Kaiserslauterer „Spielmacher“ „Reichstrainer“ – das war jetzt auf BPK stand der Sinn nicht nach einem Vereins- einmal ein wunder Punkt. Der alliierte zielstrebiger und hartnäckiger Arbeit wechsel. Ihm war inzwischen seine spä- Kontrollrat verlangte von allen Parteige- sorgten für Unruhe. Das Geld war wert- los, der Tauschhandel blühte. Daß sie in Weinheim noch Glück ge- habt hatten, das wußte Herberger sehr wohl. „Weinheim hat ja durch Kriegs- einwirkung nicht besonders gelitten“, schrieb er Freunden, „aber was sich drum herum tat, ist einfach furchtbar. Mannheim, Darmstadt, Frankfurt, Lud- wigshafen, Pforzheim und noch unend- lich mehr an einst so schönen und schmucken Städten sind alle ein Opfer unseres Wahnsinns. Ganz zu schweigen von dem, was sonst noch verbrochen und zerbrochen wurde.“ Und unmißverständ- lich hielt er fest: „Wir Deutschen sind selbst schuld.“ Seine Geburtsstadt Mannheim war von den alliierten Flugzeugen zu Schutt und Asche zerbombt worden. Nun saß Her- berger, knapp 20 Kilometer von den brandigen Ruinen entfernt, an seinem Schreibtisch und starrte auf ein Foto sei- ner Fußballnationalmannschaft, das vor dem Spiel gegen Kroatien 1942 in Stutt- gart aufgenommen worden war. „Ich sehe AP nur lachende Gesichter, die ein beredtes Taktiker Herberger 1949: Prinzipien abgefedert durch Erkenntnis DER SPIEGEL 1/1997 121 SERIE nossen, daß sie entnazifiziert werden Aber er unterlag so lange einem Beschäf- erberger wurde in seiner stetig sich sollten. tigungsverbot, bis jener „Meldebogen“ Hverfestigenden Selbstrechtfertigungs- Bei den Konferenzen von Jalta im mit 131 Fragen ausgewertet war, den er haltung von jenen Oberen in der Hier- Februar und Potsdam im Sommer 1945 und seine Frau Eva wie 13 Millionen an- archie des Sports und des Fußballs waren die Siegermächte übereingekom- dere Deutsche in der amerikanischen während der Nazi-Zeit gestützt, die in- men, nicht nur die leitenden Funktionäre Zone ausfüllen mußten. zwischen auch wiederaufgetaucht waren des Nationalsozialismus zu verhaften und Deutlich machte sich damals ein Soli- – die ganze alte Berliner Garde: von Ge- alle Kriegsverbrecher umgehend abzuur- darisierungseffekt zwischen den nun fast org Xandry, dem promovierten DFB-Ge- teilen, sondern darüber hinaus sollten alle unterschiedslos betroffenen kleinen und schäftsführer, bis Carl Diem, von Peco NSDAP-Mitglieder, sofern sie nicht nur großen Nazis bemerkbar, denen die übri- Bauwens, dem Regelspezialisten, bis nominell Parteiangehörige waren, „aus ge Bevölkerung in wachsendem Maße Felix Linnemann, DFB-Chef seit 1925. den öffentlichen und halböffentlichen Äm- mit Mitleid begegnete. Insgesamt, konsta- Nur Otto Nerz, Herbergers Vorgänger als tern sowie von den verant- tierte der Philosoph Karl Reichstrainer, fehlte, der saß im Lager, wortlichen Posten in wich- Jaspers nach dem Krieg, beim Russen. tigen Privatunternehmun- „Ich habe immer entstand eine Stimmung, Daß eine Bildungsgröße wie Carl gen“ entfernt und durch „als ob man nach so Diem, Organisationschef der Olympi- Personen ersetzt werden, meinen Sport furchtbarem Leid gleich- schen Spiele 1936 in Berlin und eine Art „welche nach ihren politi- sam belohnt, jedenfalls Sport-Botschafter Hitlers im Ausland, schen und moralischen Ei- gelebt, um getröstet werden müßte, den Kontakt zu Herberger aufnahm, das genschaften fähig erschei- Politik habe ich aber nicht noch mit schmeichelte ihm. „Über Ihre Karte habe nen, an der Entwicklung Schuld beladen werden ich mich soooo gefreut“, schrieb Herber- wahrhaft demokratischer mich nicht dürfte“. ger am 29. Januar 1946 an Carl Diem in Einrichtungen in Deutsch- gekümmert“ Von Schuldbewußtsein Berlin-Grunewald. Es folgte eine hymni- land mitzuwirken“. war bald nicht mehr viel sche Passage der Verehrung für Diem, Zwar gehörte der Par- zu spüren. In einer Ende dem er gewiß in der Vergangenheit viel teigenosse Josef Herber- 1945 in der amerikani- verdankte, von dem er sich offenbar aber ger, Mitgliedsnummer 2208548, einge- schen Zone durchgeführten Umfrage auch für die Zukunft viel erhoffte. tragen am 1. Mai 1933, auch der Deut- hielten 50 Prozent der Befragten den Na- In „all den zurückliegenden Jahren“, schen Arbeitsfront, der NS-Volkswohl- tionalsozialismus für eine gute Idee, die so schrieb er an Diem, „habe ich die Zeit fahrt, dem Reichsluftschutzbund und nur schlecht ausgeführt worden sei. Nur herbeigesehnt und mich darauf gefreut, dem NS-Reichsbund für Leibesübungen 20 Prozent akzeptierten die deutsche wenn die im Herzen so sportfremden an, dem letzteren in führender Tätigkeit, Schuld am Krieg, während 70 Prozent Scharlatane
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