Erinnerung Kann Man Nicht Befehlen Martin Walser Und Rudolf Augstein Über Ihre Deutsche Vergangenheit

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Erinnerung Kann Man Nicht Befehlen Martin Walser Und Rudolf Augstein Über Ihre Deutsche Vergangenheit Titel Erinnerung kann man nicht befehlen Martin Walser und Rudolf Augstein über ihre deutsche Vergangenheit AUGSTEIN: Martin, wir haben ja ein Jahr- AUGSTEIN: Du hast ihn beruhigt. hundertthema, das Hitler-Reich, selbst er- WALSER: Ich habe gelacht und gab mich lebt. Inzwischen ist das über 50 Jahre her. unheimlich viel lockerer, als ich war, und Sind wir Deutschen wieder ein ganz nor- habe gesagt: Mein Gott, Sie wissen offen- males Volk – ich habe das ja auch schon ge- bar zu wenig über die Leute in Deutsch- schrieben. Oder wünschen wir uns das nur land. Nach meiner Kenntnis ist von diesen – als ältere Zeitgenossen? Menschen, die ich durch all diese Jahr- WALSER: Ich war gerade in Amsterdam und zehnte kenne, nichts mehr zu befürchten. habe die Frage eines holländischen Intel- Abgesehen davon, daß einer Bevölkerung, lektuellen beantworten müssen: „Was kön- die das einmal hinter sich gebracht hat wie nen Sie den europäischen Nachbarn sa- die Deutschen, so etwas nie wieder pas- gen zur Beruhigung über die wiederer- sieren kann. Das ist so. Das ist eine Immu- starkte Großmacht Bundesrepublik, sprich nisierung. Deutschland?“ Da habe ich gesagt: „Sie AUGSTEIN: Das ist ja klar. Aber was heißt sprechen wie aus dem 19. Jahrhundert, wie das schon? Daß die Menschen aus der Ge- zu Bismarcks Zeiten, als es noch hegemo- schichte nichts lernen, ist ein Satz, der Gesprächspartner Augstein, Walser*: „Wir niale Probleme gab, mit denen dieser Bis- ebenfalls ziemlich sicher gilt. Sie werden marck wunderbar jonglierte. Seine Nach- dasselbe wieder machen, aber an einer an- die nehmen uns – wie ich hinzufügen folger haben es dann verpfuscht. Und Sie deren Stelle und unbewußt. Sie werden möchte – den ersten übler als den zweiten. reden jetzt wieder so, als hätten wir noch dasselbe nicht an derselben Stelle machen. WALSER: Und danach kommt Versailles. einmal das Ende des 19. Jahrhunderts.“ Allerdings haben wir aus dem Ersten Welt- Und erst dann ’33 und so weiter. 1918 war AUGSTEIN: Du hättest ihm auch mit dem krieg auch nichts gelernt. kein Frieden, sondern war wirklich Dik- früheren amerikanischen Außenminister WALSER: Von dem Golo Mann – wie ich tat. Und die wirtschaftliche Misere danach James Baker antworten können: Deutsch- finde, zu Recht – gesagt hat: Es ist die Mut- ermöglichte Hitlers Aufstieg. land ist an der Leine. terkatastrophe des Jahrhunderts. AUGSTEIN: Hitler hat schon 1920 in einer WALSER: Nein, auch das wäre gefährlich. AUGSTEIN: Ja, das ist wohl richtig. Aber es seiner frühesten Reden gesagt, die Juden Etwas, was an der Leine ist, das kann plötz- ist Quatsch zu sagen, niemand habe ihn müßten weg. lich losbrechen und beißen. Auch das ist gewollt. Das stimmt nicht. Der Erste Welt- WALSER: Das hat 1885 auch schon dieser nicht der Fall. Aber gerade das wollte der krieg war natürlich … Philosoph Paul de Lagarde gesagt. Holländer ja von mir wissen. WALSER: … die Mutterkatastrophe … AUGSTEIN: Der wollte sie nach Madagaskar AUGSTEIN: … eine Bankrotterklärung. Und schicken. Ja, ja. Aber er hat doch nicht ge- die Engländer, wohl auch die Franzosen, sagt, die müssen ausgelöscht werden. Hit- reden bis heute vom „Großen Krieg“ und ler selbst hat ja nicht gewußt, wie er das meinen damit nicht den Hitler-Krieg, die machen würde. Das hat er seinen Kumpa- meinen den Ersten. Der Zweite Weltkrieg ist eben dann der zweite Weltkrieg. Und * An der Küste Südfrankreichs. 1933 Reichstags- eröffnung in Potsdam: Händedruck zwischen Reichspräsident von Hindenburg und Hitler 1936 Francos Militär- SIPA putsch gegen die Volks- 1936 Charlie Chaplin frontregierung löst in in seinem Film „Moder- DPA Spanien Bürgerkrieg aus FOCUS / AGENTUR / MAGNUM R. CAPA ne Zeiten“ 48 der spiegel 45/1998 Gleichzeitig mußte man am Leben bleiben und nicht vom Regime zermalmt werden. WALSER: Du bist ja nur vier Jahre älter. Ich bin Jahrgang 1927. Daß meine Mutter, de- ren Eintritt in die NSDAP ich in meinem letzten Roman erzählt habe, in der Partei war, habe ich erst nach 1945 erfahren. Mit- gekriegt, nicht erfahren. AUGSTEIN: Wie mitgekriegt? WALSER: Das war nicht so, daß man darüber gesprochen hat: „Ach, arme Mutter. Du warst in der Partei.“ Das war eine Mittei- lung, die ist durchgesickert, ohne daß man sagen könnte, von wem zu wem und ohne Bewertung. AUGSTEIN: Für mich waren die Familien- erzählungen sehr wichtig. Mein Großvater muß ein ziemlich unausstehlicher Mensch gewesen sein. Mein Vater durfte bei ihm nicht in seiner Militäruniform als einjährig freiwilliger Offiziersanwärter erscheinen. Er mußte sich bei einem Freund Zivilklei- dung anziehen. Geld für ein privat gehal- tenes Artilleriepferd war freilich da. Wenn meinem Vater vom Finanzprüfer vorge- halten wurde: Sie machen ja Spesen wie ein preußischer General, dann sagte er, ich bin auch soviel wie ein preußischer Gene- ral. Er wählte die katholische Zentrums- partei und haßte die Nazis. WALSER: Es gibt Familien, die sind nicht auf M. ZUCHT / DER SPIEGEL Tradierung angelegt, verstehst du, daß der können uns nicht wegstehlen aus der Geschichte“ eine dem anderen was erzählt. Diese Fa- milie, aus der ich komme, konnte sich nen überlassen. Er wollte damit auch nicht WALSER: Hast du denn das alles damals abendliche Plaudereien über Vorfahren behelligt werden. Aber es war ganz klar schon gewußt? nicht leisten. Die war immer viel zu sehr von Anfang an seine Absicht, zwei Ziele zu AUGSTEIN: Nein, wissen konnte ich das nicht, mit dem Überlebenskampf beschäftigt. verwirklichen: den Ostraum zu beherr- aber die Atmosphäre in meiner Familie war AUGSTEIN: Na ja, bei uns reichten die gol- schen, direkt von Archangelsk bis zum Per- danach. Ich habe erst, als mein Vater tot denen Jahre der Weimarer Republik auch sischen Golf und indirekt das übrige Ruß- war, bemerkt, wie politisch gebildet der war. nur bis 1928/29. Bis dahin war mein Vater land dazu. Das war das eine. Das zweite Ich hatte ihn immer unterschätzt. Aber er noch in Besitz von Produktionsmitteln. war die Vertreibung und Vernichtung der wußte genau Bescheid. In dem Sinne hatte WALSER: Er hatte eine Fabrik? europäischen Juden. Und daran hat er sich ich natürlich großes Glück. Für uns stand AUGSTEIN: Ja, die produzierte Kameras und gehalten. Hätte er das Gegenteil befohlen, von Anfang an fest: „finis Germaniae“. fotografisches Gerät. Aber mein Vater – der hätten alle das Gegenteil getan. Allerdings WALSER: Ihr wußtet von Anfang an das war nicht sehr tüchtig, glaube ich, als Kauf- konnte er sich wohl auf einen gewissen Ende? mann – mußte die Fabrik, bevor sie in Kon- Antisemitismus stützen, den es immerzu AUGSTEIN: Finis Germaniae war für alle Anti- kurs ging, für 35000 Mark verkaufen. Das überall gegeben hat. Das Wort Antisemit Preußen – und das war mein Vater ja – ein war 1930. Und er ist das Schlimmste gewor- setzte übrigens als erster der Schriftsteller geflügeltes Wort. Ab 1933 schon. Man wuß- den, was man auf der Welt werden kann. Wilhelm Marr in Umlauf, er war, soweit te, daß Krieg kommen würde. Man wußte, WALSER: Handelsvertreter. ich weiß, Hamburger. Um 1880 herum gab daß man ihn verlieren würde. Und das war AUGSTEIN: Das ist entsetzlich. So was Er- er die „Deutsche Wacht“ heraus, ein ju- der Punkt. Und insofern hat man einfach niedrigendes, eine ständige Demütigung. Da denfeindliches Blatt. seine Rolle in der Gegnerschaft gesehen. haben wir im Familienrat gesagt, das muß 1936 Olympische Spie- le in Berlin: US-Leicht- athlet Jesse Owens ge- winnt vier Goldmedaillen 1937 Desaster von / DER SPIEGEL MAX EHLERT Lakehurst (USA): Der 1937 Massenaufmarsch und Zeppelin „Hindenburg“ Lichtdome auf dem Nürnber- BPK geht in Flammen auf AP ger NSDAP-Reichsparteitag der spiegel 45/1998 49 Titel Augstein (2. v. l., 1926) im Familienkreis, Walser (ca. 1937): „Wir sind in den Kindheitserinnerungen zutiefst unähnlich“ ein Ende haben. Also haben wir ihn de fac- AUGSTEIN: Das dachte ich auch schon. Nur, sondern ich hatte die Gnade der Vor-Kohl- to gezwungen, sich ein kleines Fotogeschäft mein Urgroßvater war bloß Bäckermeister, Geburt. Als ich zehn war, da war das Jahr zu kaufen. Viel war das nicht für den Sohn der dann erst später mit dem Weinhandel 1933. Mein Vater brachte mich zur Ein- eines der reichsten Männer von Bingen. anfing. Ich stamme aus keiner vornehmen schulung in ein Gymnasium, das am wei- WALSER: Also doch. Das hätte ich gleich Familie. Reich war sie, darum habe ich testen weg war von all den anderen Gym- sagen können, dein Großvater war reich. auch eine Kinderfrau gehabt, was ja nicht nasien in Hannover, weil er dachte, da sind AUGSTEIN: Der Mann war aber ein Em- alle hatten. So war das eben. mehr Katholiken.Waren aber nicht. Da ka- porkömmling. Er hat sich aus Amerika WALSER: Ich rechne mich zu den Kleinbür- men auch schon SA-Männer in Uniform, eine Hausorgel besorgen lassen. Und er hat gern. die ihre Kinder hinbrachten. in Bingen den ersten Tennisplatz angelegt. AUGSTEIN: Ich würde niemanden einen WALSER: Bist du sicher? Das gibt es doch WALSER: Für sich oder öffentlich? Kleinbürger nennen. Das ist ein sehr schil- gar nicht, daß jemand, um sein Kind in die AUGSTEIN: Für sich. Er hat nicht gespielt, lernder Begriff, man weiß ungefähr, was Schule zu bringen, die SA-Uniform anzog. aber angelegt hat er ihn, um zu zeigen, daß gemeint ist.Aber oft ist sehr Verschiedenes Das halte ich für die nachträgliche Insze- er sich das erlauben kann. Er war der Prä- damit gemeint. nierung eines Films. sident des Binger Weinhändlerverbands, WALSER: Nach meiner Definition ist Klein- AUGSTEIN: Ich weiß es noch. Sonst hätte es ein Weingutsbesitzer.Als er starb, war mein bürger der, der sich selber ausbeutet. sich mir ja nicht eingeprägt. So was kann Vater 18 Jahre alt und mußte insgesamt AUGSTEIN: Mithin wären Schiller, Robes- man nicht erfinden. Und da hat mein Vater eine Million Goldmark nachzahlen, die pierre und Kant Kleinbürger. zu mir gesagt: „Guck die Büste da vorne mein Großvater hinterzogen hatte.
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