Aus Alten Tagebüchern Dossier Lilly Sauter

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Aus Alten Tagebüchern Dossier Lilly Sauter Hans Kestranek: Aus alten Tagebüchern Dossier Lilly Sauter (1913-1972) Interview mit Martin Walser Mitteilungen aus dem Brenner-Archiv Nr. 32/2013 innsbruck university press Johann Holzner, Anton Unterkircher: Brenner-Archiv, Universität Innsbruck Gedruckt mit Unterstützung des Dekanats der Philologisch-Kulturwissenschaflichen Fakultät der Universität Innsbruck, des Amtes der Tiroler Landesregierung (Kulturabteilung) und des Kulturamts der Stadt Innsbruck Unterstützt von ISSN 1027-5649 Eigentümer: Brenner-Forum und Forschungsinstitut Brenner-Archiv Innsbruck 2013 Bestellungen sind zu richten an: Forschungsinstitut Brenner-Archiv Universität Innsbruck (Tel. +43 512 507-4501) A-6020 Innsbruck, Josef-Hirn-Str. 5 [email protected] Druck: Steigerdruck, 6094 Axams, Lindenweg 37 Satz: Barbara Halder Umschlaggestaltung nach Entwürfen von Christoph Wild Nachdruck oder Vervielfältigung nur mit Genehmigung der Herausgeber gestattet. © innsbruck university press, 2013 Universität Innsbruck 1. Aufage Alle Rechte vorbehalten. Inhalt Editorial 5 Texte Hans Kestranek: Aus alten Tagebüchern (I) 7 Karl Lubomirski: Neue Gedichte 15 Dossier Lilly Sauter Sigrid Schmid-Bortenschlager: Lilly Sauter – Notizen zu einer Non-Karriere 23 Martin Sailer: Vor- und Nachband. Zur Hörfunkarbeit der Lilly Sauter 31 Verena Zankl: Pariser Impressionen. Lilly Sauter als Vermittlerin französischer Kultur 43 Karl Zieger: „Lust und Last des Übersetzens“. Lilly Sauter als Übersetzerin 57 Christine Riccabona: Das Bleibende. Anmerkungen zum Nachlass von Lilly Sauter mit Blick auf die Lyrik 69 Essays Michael Sallinger: Greve. Kleine Compositionslehre in einigen Abschnitten, der Erinnerung an Ludwig von Ficker 81 Eleonore De Felip: Zur Simultaneität von Glück und Schmerz in Friederike Mayröckers Gedicht „und so schreie ich zu mir / wie die Lämmer im Feld“ 89 Aus dem Archiv Eberhard Sauermann: Das Trakl-Grab 101 Ursula A. Schneider und Annette Steinsiek: Auf Umwegen ins Geradezu. Christine Bustas Weg zum Dialekt 131 Erika Wimmer: Von Schreibwehen und Textgeburten. Jürg Amann und Joseph Zoderer – eine Schrifstellerfreundschaf 153 Michael Lenhart: Zu Joseph Zoderers Amerika-Roman „Lontano“ und Peter Handkes „Der kurze Brief zum langen Abschied“. Eine Annäherung 169 Michael Schorner: Die Welt als „Black Box“. Das Ernst-von-Glasersfeld-Archiv 191 Aus dem Literaturhaus Michael Klein: Galizien – Erinnerungen an ein vergessenes „Königreich“ und an eine untergegangene Literaturlandschaf 199 Aus einer Dissertation Elisabeth Reinhard: Elias Canetti und Martin Walser – Wie Sprache lebendig bleibt 219 Interview mit Martin Walser 227 Notizen Bernhard Kathan: 63,69 | Zur niedrigen Lebenserwartung von Schrifstellern 235 Rezensionen und Buchzugänge 237 Bericht des Institutsleiters 253 Neuerscheinungen 259 Editorial Die Zeit werde bestimmt kommen, versicherte Ludwig von Ficker in seinem Nachruf auf Hans Kestranek, die das Vermächtnis dieses Denkers, „das vorläufg noch in Verborgenheit bewahrte“, entdecken würde. Kestranek (1873-1949), Maler, Architekt, Philosoph, Mitglied einer in Österreich höchst-angesehenen großbürger- lichen Familie, hat die meisten seiner Arbeiten, darunter auch sein Hauptwerk, die Politeia, nie veröfentlicht. Sein Nachlass (ein Teil wird in der Wiener Albertina, der weitaus größte Teil wird im Brenner-Archiv aufewahrt) ist indessen ein Goldschatz: wert endlich gehoben zu werden, als ein gewichtiges Korrektiv des kul- turellen Gedächtnisses. – Die Auszüge aus seinen Tagebüchern, mit deren Abdruck wir in dieser Nummer der Mitteilungen beginnen, geben nicht nur neue, nüchterne Einblicke in das gesellschafliche Leben in Österreich um und nach 1900, nament- lich in die Konstellationen der Griensteidl-Gesellschaf, sie verraten auch, was Wien im Vergleich mit anderen europäischen Metropolen (aus der Sicht eines jungen Künstlers) damals geboten bzw. versäumt hat. Ältere Texte wiederzuentdecken (ohne dabei einer Praxis zu verfallen, die Hubert Lengauer nicht-ganz-liebevoll als „Exhumistik“ bezeichnet hat), das gehört ebenso zu den Aufgaben unseres Instituts wie die Präsentation neuer Texte, die vorzugswei- se von der Literaturhaus-Abteilung übernommen wird; im einen Fall ist der Kanon, im anderen Fall sind die Festschreibungen der Literaturkritik (wie die Longlist des Deutschen Buchpreises) nicht unbedingt jeweils als letzte Richtschnur zu be- trachten. In diesem Hef bringen wir neue Gedichte des aus Tirol stammenden, in Brugherio lebenden Dichters Karl Lubomirski. Außerdem die Beiträge eines Symposions, das wir am 19. Juni 2013 auf Schloss Ambras veranstaltet haben: Lilly Sauter (1913-1972). Zum 100. Geburtstag. Dazu, wie immer: Essays und Aufsätze aus dem Archiv, ferner einen Vortrag von Michael Klein über die Literaturlandschaf Galizien, ein Interview, das Elisabeth Reinhard im Zuge ihrer Dissertation (Elias Canetti und Martin Walser. Gegenseitige Beeinfussung von Sprache und Wahrnehmung. Innsbruck 2013) mit Martin Walser geführt hat, u.a.m. Die Mitteilungen aus dem Brenner-Archiv sollen, darin sind sich alle Mitarbeiter/ innen des Instituts einig, weitergeführt werden. Der Unterzeichnete aber, liebe Leserin, lieber Leser, verabschiedet sich aus der Redaktion; denn er erhält ab dem 1.10.2013 seine Bezüge nicht mehr von der Leopold-Franzens-Universität, sondern von der Pensionsversicherungsanstalt. 5 Hans Kestranek: Aus alten Tagebüchern (I) Anfang 1913 begann Hans Kestranek „aus alten Tagebüchern mit Auslassungen und Ergänzungen“ zu übertragen. Es entstand ein ‚neues‘ Tagebuch mit 188 durchnum- merierten Seiten. Der erste Eintrag datiert vom 1.2.1892, der letzte stammt vom 19.1.1948. Das erste in der Sammlung Familie Kestranek erhaltene ‚alte‘ Tagebuch beginnt tatsächlich am 1. Februar 1892. Wie nicht anders zu erwarten ist der dortige Eintrag wesentlich umfangreicher, rund 1½ Seiten lang. Kestranek hat die betref- fende Stelle nicht wörtlich übernommen, sondern 1913 im Rückblick teilweise neu formuliert und refektiert. Die Stelle lautete ursprünglich: „Indem ich keinen Halt in mir habe tauche ich immer tiefer in Mich hinab um auf Grund zu kommen. Das führt mich auf d. verdammte Studium der Philosophie, die eigentlich ja das einzige Heilmittel dafür ist. Ob sie mich dazu führen wird, daß ich sie nimmer brauche? Wie der gesundende Lahme die Krücke wegwirf.“ So entstand aus alten Tagebüchern ein Tagebuch, das von Beginn an zugleich im- mer auch ein gegenwärtiges war. Da Kestranek immer sporadischer an seinem neuen Tagebuch schrieb – die ganze Zeit des Ersten Weltkriegs gibt es keinen Eintrag –, so blickte er erst 1922 auf seine Kriegserlebnisse zurück. Ob er sich dabei wieder auf ein altes Tagebuch stützte, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Aber auch Kestraneks letzte Einträge von 1944 und 1948 gerieten zu einem Rückblick, zu einer Refexion über das Tagebuchschreiben, das ihn auf seinem Weg der Selbsterkenntnis begleitete und diese zugleich hinterfragen half. Wir danken Jennifer Moritz für die Rohtranskription der ausgewählten Stellen. Der orignalgetreuen Wiedergabe stellten sich einige Schwierigkeiten entgegen. Weder war Kestranek in der Groß- und Kleinschreibung ganz sattelfest, noch ist dies of eindeutig zu entscheiden. Auch die Satzzeichensetzung ist eigenwillig, manch- mal nicht vorhanden; zudem war beispielsweise die Unterscheidung zwischen einem Punkt und einem Gedankenstrich nicht immer eindeutig möglich. Wir danken Miguel Herz-Kestranek, der seit 2009 im Familienarchiv stöbert und laufend die Sammlung Familie Kestranek im Brenner-Archiv mit den Neufunden ergänzt, für die Schenkung dieser wertvollen Materialien. J.H. und A.U. [S. 1-3] 1. Feb. 1892. Um Halt zu fnden tauche ich in mich hinab nach Grund suchend. Philosophie als Heilmittel. Wird sie mir einmal entbehrlich werden? Wie der gesundende Lahme seine Krücken wegwirf? 2. Feb. Aussen trübe. Innen müde. Skeptisch gegen alle eigenen und fremden Gedanken. Wer denkt etwas Ganzes? Irrgänge überall und Herumfaniren in der weiten Welt. – So verliert sich jeder Glaube jede Unbefangenheit. 3. Febr War ich je ganz heiter? Wie trübe Wolken ziehen fremde Welten fremde Menschen über mich. All unser Lernen ist öde und unklar. – Ich träume von einer Fussreise durch die Alpen. In Entbehrung und Sonnenbrand und – Schönheit mich läutern!! 7 Können wir so völlig Wahrheit sprechen? Der Gedanke und die Empfndung sind wol unser aber das Wort ist fremd! Bleibt das Meiste nicht immer unausgesprochen? Und ist das Ausgesprochene nicht nur Gerippe des lebendig Gedachten? 4. Febr Wie wird mir jetzt beim Lesen von Werther’s Leiden so frei. – Wie ist die Sprache so füssig und trefend. Auf Schritt und Tritt stehen eigene ungereife Gedanken in Reife u. Vollendung vor mir. – Einst genoss ich dies Werk wie im Rausch. Wie mannhaf und präcise scheint es mir heute. Wie die rasch verfüch- tigenden Gestalten in der Natur, Wolken und Wellen scheint es, die doch ihren strengen Gesetzen folgen und im Grunde nicht weniger solide sind als ein Gebirge von Granit. 12. Febr Heute Abend im Prater. Im tiefsten Teil des Himmels der klare volle Mond. Licht und dufig der Horizont mit wenigen leichten Wolken in ihm, dagegen in Silhouette das feine Baumgeäste stand. – Ein warmer wilder Frühlingsturm lässt die Bäume knarren und die leichten Blätter tanzen, die Schnee und Frost noch nicht in die Erde gepresst. Aus einer rohen Welt voll Lärmen und Kümmernis trete ich in die Stille und nur ein weitentferntes Brausen kündigt noch die Weltstadt. – Ist man mitten im Gelärme wie ersehnt man Ruhe, Einsamkeit – fndet man sie steht man befangen in ihr.
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