„Das Ideal: Entblößung Und Verbergung Gleich Extrem
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Universität Regensburg Institut für Germanistik „Das Ideal: Entblößung und Verbergung gleich extrem. Also eine Entblößungsverbergungssprache.“ 1 Martin Walser und die Shoah Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät IV (Sprach- und Literaturwissenschaften der Universität Regensburg). vorgelegt von: Alexander Krisch Theodor-Heuss-Platz 16 93051 Regensburg 1 Martin Walser, Meßmers Gedanken, in: Martin Walser, Werke in zwölf Bänden - herausgegeben von Helmuth Kiesel unter Mitwirkung von Frank Barsch, Band 8, Frankfurt am Main 1997, S.489-541, hier: S.492. Vorlage der Arbeit bei der Fakultät im Jahr 2007. Erstgutachter: Professor Dr. Georg Braungart, Universität Tübingen Zweitgutachter: Professor Dr. Jürgen Daiber, Universität Regensburg INSTITUT FÜR GERMANISTIK ......................................................................................... 1 I. EINLEITUNG....................................................................................................................... 1 I.I EINLEITENDE GEDANKEN............................................................................................ 1 I.II GANG DER UNTERSUCHUNG........................................................................................ 6 II. HISTORISCHE ASPEKTE: DEUTSCHLAND NACH AUSCHWITZ ..................... 10 II.I VERHÄLTNIS WALSERS ZUR DEUTSCHEN GESCHICHTE ............................................. 10 II.II AUFFASSUNG DES SCHRIFTSTELLERS VON VERGANGENHEIT UND GEGENWART ....... 27 III. PSYCHOLOGISCHE ASPEKTE: GEWISSENSFRAGEN IM UMGANG MIT DER SHOAH .......................................................................................................................... 35 III.I GEWISSENSBEGRIFF BEI WALSER ............................................................................. 35 III.II VERSCHIEDENE KULTUREN - UNTERSCHIEDLICHES GEDENKEN............................... 43 III.III FORMEN DES GEDÄCHTNISSES..................................................................................... 57 IV. LITERATURTHEORETISCHE UND MEDIENKRITISCHE ASPEKTE: DIE INSZENIERUNG DES HOLOCAUST................................................................................ 70 IV.I TOD EINES KRITIKERS - EIN SCHLÜSSELROMAN?........................................................ 70 IV.II LITERATURTHEORETISCHE ÜBERLEGUNGEN ............................................................. 82 IV.III DER ANTISEMITISMUSVORWURF GEGEN TOD EINES KRITIKERS............................. 93 V. SCHLUSS: EINORDNUNG DER ARBEIT IN DEN ZUSAMMENHANG DER KULTURWISSENSCHAFTLICHEN ERINNERUNGSDEBATTE.............................. 153 V.I DER UMGANG DEUTSCHLANDS MIT SEINER VERGANGENHEIT ...................................... 153 V.II MODERNE MEDIEN ALS MÖGLICHKEIT DER TRADIERUNG VON HISTORIE.................... 170 V.III THEMATISIERUNG DES HOLOCAUST IN POLITIK UND KUNST................................... 174 VI. FAMILIENROMANE ALS MITTEL DER LITERARISCHEN VERARBEITUNG DER DEUTSCHEN GESCHICHTE DURCH NACHFOLGENDE GENERATIONEN ................................................................................................................................................ 182 LITERATURVERZEICHNIS ............................................................................................ 204 PRIMÄRLITERATUR................................................................................................................ 204 SEKUNDÄRLITERATUR ........................................................................................................... 210 ZEITUNGS- UND ZEITSCHRIFTENARTIKEL............................................................................... 215 ZITIERTE RADIO- UND FERNSEHSENDUNGEN SOWIE INTERVIEWS............................................ 222 ZITIERTE ARTIKEL UND INTERVIEWS AUS DEM INTERNET ........................................................ 224 LEXIKON - ARTIKEL .............................................................................................................. 226 SONSTIGE QUELLEN ............................................................................................................. 228 1 „Das Ideal: Entblößung und Verbergung gleich extrem. Also eine Entblößungsverbergungssprache.“ 2 Martin Walser und die Shoah Dissertation von Alexander Krisch I. Einleitung I.I Einleitende Gedanken „Welche Fassade belieben Sie heute zu präsentieren?“3: Die Journalistin Sandra Maischberger hat mit dieser Frage an den Schriftsteller Martin Walser einen wichtigen Aspekt von dessen Œuvre erfasst. Walsers Texte weisen oft auf die Figur des Autors, gleichzeitig bleibt diese Figur des Autors ungreifbar, da sie sich konkreten Festschreibungen entzieht: „Ich bin nicht, der ich bin.“4, so heißt es kryptisch, wohl in Anlehnung an die Äußerung Jagos in Shakespeares Othello5, in seinem Aphorismusband Meßmers Reisen von 2003. Er greift an dieser Stelle das Motiv vom Entblößungs- und Verbergungsspiel seiner Figur Meßmer wieder auf. Dieses nahtlose Ineinandergreifen zwischen literarischer Fiktion und der Wirklichkeit ist der Grund, warum Martin Walser zum Gegenstand mehrerer Skandale werden konnte, die ein großes Medienecho hervorriefen. Gleichzeitig hat sich der Autor immer wieder als Opfer des Zeitgeistes in Szene gesetzt. So heißt es in einem anlässlich seines 2 Martin Walser, Meßmers Gedanken, in: Martin Walser, Werke in zwölf Bänden - herausgegeben von Helmuth Kiesel unter Mitwirkung von Frank Barsch, Band 8, Frankfurt am Main 1997, S.489-541, hier: S.492. 3 Sandra Maischberger im Interview mit Martin Walser, das Gespräch wurde am 29.08.2001 zwischen 17.15 Uhr und 18.00 Uhr im Sender N-TV ausgestrahlt. Eigene Transkription. 4 Martin Walser, Meßmers Reisen, Frankfurt am Main 2003, S.56. Auch die Literaturnobelpreisträgerin des Jahres 2004, Elfriede Jelinek, hat Skrupel, ihr Innerstes preiszugeben. So sagte sie zu ihrer Weigerung, ihr Konterfei für eine Briefmarkenedition der österreichischen Post zur Verfügung zu stellen: „... zur Ikone eigne ich mich zuallerletzt. Ich kann ja mein Originalgesicht kaum in der Öffentlichkeit zeigen, wie soll ich es da aushalten, gleich zu so vielen aufzutreten, die alle ich sind? Das hielte ich nicht aus.“, Das hielte ich nicht aus! - Gespräch mit Elfriede Jelinek, die Fragen stellte Rose-Maria Gropp, in: FAZ, 25.01.2005, S.33. 5 William Shakespeare, Othello - der Mohr von Venedig, Werke in vier Bänden, erster Band, Tragödien I, Herrsching, Copyright für diese Ausgabe: 1979 by Verlag „Das Bergland-Buch“ Salzburg, S.307-398, hier: S.314. Wahrscheinlich verfremdet Walser hier Jagos Ausspruch „I am not what I am.“ 2 Verlagswechsels zu Rowohlt im Spiegel veröffentlichten Brief: „Ich bin dreimal ins Blitzlicht einer Zeitgeistfraktion geraten, die sich auf die Aufklärung beruft und nach Autorität trachtet.“6 Ein Charakteristikum bei Walser ist sein Oszillieren zwischen authentischer Autorschaft und deren Verschwinden in seinen Texten; seine literarischen Figuren zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht eindeutig zu verorten sind. Diese Eigenart des Walserschen Schaffens zeigt sich an einem Text, den der Spiegel am 13.08.2001 unter dem Titel Streicheln und Kratzen veröffentlichte. Als das Nachrichtenmagazin die schriftliche Fassung eines neunstündigen, von Arno Luik mit dem Schriftsteller geführten Interviews veröffentlichen wollte, verweigerte Walser hierzu seine Zustimmung und schickte dem Spiegel als Alternative ein eigenes Manuskript. Dabei handelt es sich um ein von dem Autor selbst verfasstes Interview, laut Spiegel „...ein Essay, der aussieht wie ein Interview, aber ein Selbstgespräch ist darüber, wie Interviews und öffentliche Meinungen entstehen.“7 Dort wehrt sich Walser vehement gegen die ihm seitens des Interviewers entgegengebrachte Polemik wie „...Stammtisch; stolz darauf ein Deutscher zu sein; rechte Ecke...“8 und stellt sich im Gegenzug als Opfer des jeweiligen Zeitgeistes dar, welcher durch „Simplifizierung“ und „...Heruntertransformieren von doch wohl differenzierterer Rede...“9 der Öffentlichkeit ein falsches Bild von ihm vermittelte. Nach Ansicht des Schriftstellers bestünde das Lebensgesetz der öffentlichen Meinung nämlich darin, dass andauernd Unsinn produziert werde, der erst durch den Widerspruch der Getroffenen in Sinn verwandelt werde. Man reize prominente Persönlichkeiten nur der Quote wegen. „L: Man reizt, weil es ein Recht gibt, wenn auch kein geschriebenes, aber es gibt ein gesellschaftliches Naturrecht, wenn Sie das Paradox gestatten, ein gesellschaftliches Naturrecht, euch öffentliche Figuren nicht nur so zu sehen und zu nehmen, wie ihr euch am liebsten zeigt, von eurer schönsten beziehungsweise unangreifbaren Seite, wir sind zuständig für eure Kehrseite, für das Unvorbildliche oder gar Desaströse in aller Prominenz. Ihr seid versessen darauf, gestreichelt zu werden. Wir wollen wissen, was herauskommt, wenn wir euch kratzen, wenn der Lack weg ist. W: Sie steuern zu auf meinen wichtigsten Satz, den ich hoffentlich nie widerrufen werde, der heißt: Nichts ist ohne sein Gegenteil wahr.“10 Das Lavieren zwischen authentischer Autorschaft und deren gleichzeitiger Auflösung hat zur Folge, dass Walsers Schaffen weder nach biographischen oder psychologischen, noch nach 6 Offener Brief von Martin Walser über seinen Abschied vom Suhrkamp-Verlag, in: Der Spiegel 10 (2004), 01.03.2004, S.162-163, hier: S.162f. 7 Martin Walser, Streicheln und Kratzen – Der Dialog nach dem Interview. Ein Selbstgespräch von Martin Walser, in: Der Spiegel, 13.08.2001, S.104-105, hier: S.104. 8 Martin Walser,