12. Jg. / Nr. 3 ALFRED KLAHR GESELLSCHAFT September 2005 MITTEILUNGEN Preis: 1,1– Euro

Die KPÖ in der Konzentrationsregierung 1945–1947: Energieminister Karl Altmann WINFRIED R. GARSCHA

er im „Österreich-Lexikon“ war – und hier ist den Autoren der Par- Das, was über die Kenntnis einer bis- nach Karl Altmann sucht, fin- teigeschichte zuzustimmen – der Ab- lang unbekannten Facette der öster- Wdet einen dreieinhalbzeilige schluss einer Entwicklung, die bereits reichischen Nachkriegsgeschichte hinaus Eintrag mit den Geburts- und Sterbeda- mit der Ersetzung der kommunistischen am Wirken Altmanns als Energiemini- ten, dem Berufstitel (Obersenatsrat der durch ehemalige Nazi-Polizisten ab dem ster von Interesse ist, bezieht sich vor al- Gemeinde Wien) und der Mitteilung, Frühjahr 1947 in größerem Umfang be- lem auf die Bedingungen, unter denen er dass der KPÖ-Politiker 1945–47 Bun- gonnen hatte und ihren Höhepunkt mit kommunistische Politik betrieb: In einer desminister für Elektrifizierung und En- der Abberufung des kommunistischen absoluten Minderheitsposition als einzi- ergiewirtschaft gewesen sei.1 Leiters des staatspolizeilichen Büros der ger Minister seiner Partei in einer Regie- Auf den immerhin fast 600 Seiten der Bundespolizeidirektion Wien, Heinrich rung, deren übrige Mitglieder in ihm eine KPÖ-Geschichte2 wird Karl Altmann Dürmayer, im September 1947 erreicht Art Agenten der sowjetischen Besat- ganze zwei Mal kurz erwähnt. Einmal im hatte. Der internationale Bezug war der zungsmacht erblickten (was mit ihrem Zusammenhang mit seiner Entsendung 1947 voll ausbrechende Kalte Krieg, in eigenen Selbstverständnis als bedin- in die Bundesregierung als KPÖ-Mini- ganz Nord-, West- und Südeuropa wur- gungslose Parteigänger des „Westens“ ster, der der Partei eine „Kontrollmög- den kommunistische Minister aus den korrelierte), mit einem Beamtenapparat, lichkeit über die Regierungspolitik“ si- Regierungen gedrängt (übrigens viele der – von ganz wenigen, durch ihn selbst chern sollte (S. 349), und ein zweites Monate vor der kommunistischen eingesetzten Spitzenbeamten abgesehen Mal im Zusammenhang mit dem 13. Par- Machtübernahme in Prag, die allerdings – in ihm einen politischen Gegner sah, teitag im April 1946, auf dem Altmann selten in diesen Kontext gestellt wird). und das alles unter den Bedingungen der den Bericht über den organisatorischen Während also das Ausscheiden des vierfachen Besetzung des Landes und Zustand der Partei erstattete (S. 351). letzten kommunistischen Ministers aus seiner Abschottung gegenüber den Thema der Schilderung der Tätigkeit der der österreichischen Regierung schon Nachbarstaaten, auf deren Kohle man KPÖ in der Konzentrationsregierung bisher Thema der Geschichtsschreibung angewiesen war und an die Strom zu lie- sind das Spannungsverhältnis zwischen war, ist seine Tätigkeit als Minister selbst fern war. Was mich beim Studium der Regierungsbeteiligung und Massenaktio- bisher weitestgehend unbekannt, auch Akten beeindruckte, war die Phantasie nen, die von der Parteiführung teilweise innerhalb der KPÖ selbst. Mein Beitrag und Flexibilität, mit der es Altmann ge- gebremst wurden, und das Hinausdrän- verfolgt den Zweck, an Hand einiger we- lang, Schwierigkeiten zu überwinden, gen der KommunistInnen aus der staatli- niger Beispiele zu zeigen, dass es hoch Bündnisse zu schließen, und sich durch chen Verwaltung, vor allem in der Poli- an der Zeit wäre, das politische Wirken Engagement und Fleiß, vor allem aber zei, durch Innenminister Helmer. dieses kommunistischen Juristen und durch die von ihm – mit Hilfe seines Ex- Das Ausscheiden des letzten kommuni- Verwaltungsexperten zu untersuchen, pertenteams – erworbenen fachlichen stischen Ministers aus der Bundesregie- zumal hierfür ein reichhaltiger Aktenbe- Qualifikationen, Ansehen sowohl im ei- rung als Reaktion auf das Währungs- stand im Archiv der KPÖ existiert und genen Haus als auch bei den Minister- schutzgesetz im November 1947 wird nur außerdem die Ministerratsprotokolle der kollegen zu verschaffen. Diese kleine – im Zusammenhang mit der Darstellung Regierung Figl I derzeit der Öffentlich- Gruppe kommunistischer Experten, die der Änderung der Parteilinie im Zuge des keit zugänglich gemacht werden.3 ihm zuarbeitete, hat Durchschriften aller beginnenden Kalten Krieges – in einem Karl Altmann wurde am 8. Jänner 1904 Schriftstücke, die über den Schreibtisch Halbsatz erwähnt. Dass der kommunisti- in Wien geboren und ist hier wenige Tage des Ministers gingen, erhalten, ausge- sche Minister innerhalb der Konzentrati- vor seinem 56. Geburtstag, nämlich am wertet und darauf aufbauend ihre Emp- onsregierung irgendetwas geleistet haben 29. Dezember 1960, gestorben. Er gehör- fehlungen an Altmann formuliert. Der könnte, das über die erwähnte Kontroll- te schon der provisorischen Regierung dabei entstandene Aktenbestand bildet funktion hinausgegangen wäre, ist der Renner an, wo er das Amt des kommuni- die wichtigste Quelle dieses Beitrags.4 Parteigeschichte nicht zu entnehmen; stischen Unterstaatssekretärs für Justiz man hat eher den Eindruck, als wäre die bekleidete; zwischen 20. Dezember 1945 KPÖ und nationale Regierungsbeteiligung etwas, auf das und 20. November 1947 leitete er als ein- Frage 1946/47 man nicht gerade stolz sein kann. ziger kommunistischer Minister in der Eines der zentralen Politikfelder der Das Ausscheiden aus der Regierung Dreiparteienregierung das neu geschaffe- KPÖ in der unmittelbaren Nachkriegs- hatte nichts mit der Tätigkeit des kom- ne Bundesministerium für Elektrifizie- zeit war, entsprechend ihrem seit Mitte munistischen Ministers zu tun, sondern rung und Energiewirtschaft. der dreißiger Jahre entwickelten Selbst- 2 Beiträge verständnis als Bannerträgerin des natio- tionen unterstützt, an deren Organisie- Um seinen Vorschlag einer Gebietsfor- nalen Freiheitskampfes, die nationale rung die KPÖ übrigens einen führenden derung an Deutschland in die Formulie- Frage. Es ist hier nicht der Platz, um über Anteil hatte. Erst mit dem so genannten rung der österreichischen Verhandlungs- die verschiedenen Aspekte der nationa- Gruber-De-Gasperi-Abkommen (5. Sep- position in London einzubringen, wählte len Politik der KPÖ in der unmittelbaren tember 1946) verzichtete Österreich end- Altmann übrigens den Umweg einer In- Nachkriegszeit zu räsonieren. Um Alt- gültig auf die Wiedervereinigung Tirols, tervention bei Bundespräsident Karl manns Wirken auf diesem Politikfeld was auch die österreichische Position ge- Renner, der sich damals aktiv in die Vor- einschätzen zu können (und als Mitglied genüber den damals noch von der So- bereitung der Staatsvertragsverhandlun- der Bundesregierung stand er diesbezüg- wjetunion unterstützten Ansprüchen Ju- gen einschaltete. lich auf einer besonders exponierten Po- goslawiens auf Teile Südkärntens stärkte. Bei der Ausarbeitung der Position ge- sition), ist es aber notwendig, die natio- Interessant ist nun, wie sich der einzige genüber Italien ein Jahr zuvor hatte Alt- nale Politik der KPÖ jener Jahre wenig- kommunistische Minister in dieser Frage mann anders agiert. Drei der sechs Punk- stens kurz zu charakterisieren, zumal positionierte: Forderungen an Deutsch- te einer Note der Bundesregierung an über diese erst jüngst wieder – gestützt land, Entgegenkommen gegenüber Italien. den Alliierten Rat, die am 14. Jänner auf einen Dokumentenfund in einem Obwohl sich im Laufe des Jahres 1946 1946 im Ministerrat behandelt wurde, Moskauer Archiv5 – Auffassungen in das Prinzip der Unantastbarkeit der betrafen Energiefragen, wobei Altmann Umlauf gesetzt wurden, die mit der hi- Grenzen als Regierungslinie durchge- für besonders weitgehende Konzessio- storischen Realität nur wenig zu tun ha- setzt hatte, formulierten Altmanns Be- nen plädierte – sein Ressort beteiligte ben. Obwohl sich diese Politik nach wie amten noch im Vorfeld der Londoner sich an Überlegungen, was Italien alles vor mit den unter maßgeblicher Mitwir- Staatsvertragsverhandlungen im Jänner angeboten werden könnte, um die Über- kung Alfred Klahrs erarbeiteten theoreti- 1947 Grenzberichtigungswünsche ge- gabe Südtirols an Österreich verkraftbar schen Erkenntnissen der Jahre 1936– genüber Deutschland – zwei Grenzstrei- zu machen: Beibehaltung des italieni- 1938 begründet wurde, unterschied sie fen von knapp 20 km² im Achenwald, schen Eigentums an den bestehenden sich im politischen Alltag oft nur gradu- nördlich des Tiroler Achensees. In einem Gesellschaften auch im Falle der geplan- ell vom bürgerlichen Nationalismus der umfangreichen Memorandum7 begrün- ten Verstaatlichung der österreichischen ÖVP. Auch in den KPÖ-Zeitungen und dete der Energieminister die angestrebte Energiewirtschaft und Rücksichtnahmen -Zeitschriften fand sich immer wieder ei- Grenzrevision mit Ausbauplänen für das auf italienische Interessen bei der Er- ne unkritische Überhöhung alles Öster- Achenseewerk bei Jenbach: „Sofern schließung der Wasserkräfte im Raum reichischen im Gegensatz zum Deut- nicht im Gebiet um den Aachenwald aus Kärnten-Salzburg-Tirol. schen, wurde der Faschismus oft als eine anderen Gründen Grenzkorrekturen zu Eine ähnliche Herangehensweise ver- „deutsche“ Angelegenheit und der öster- Gunsten Österreichs vorgenommen wer- folgte das Energieministerium übrigens reichische Nationalsozialismus als etwas den, ist das [...] Gebiet beim Aachenpaß8 auch beim Ausbau des Verbundnetzes „Un-Österreichisches“ hingestellt. und das Aachental nebst dem Zufluß des 1946/47, als italienische Hilfe in An- So verständlich diese Haltung ange- Walchen in die Isar von Deutschland an spruch genommen wurde, um die enge sichts der Erfahrungen der kommunisti- Österreich abzutreten, damit die geplan- Koppelung der westösterreichischen schen WiderstandskämpferInnen zur te Staumauer für die Talsperre Aa- Kraftwerke an das deutsche Stromnetz Zeit der NS-Diktatur auch war, mit einer chenwald auf österreichisches Gebiet aufzubrechen. emanzipatorischen oder gar marxisti- fällt. Die Sperre Aachenwald bildet ei- schen Herangehensweise an die nationa- nen zusätzlichen Speicher für das Kraft- Zur Energie-SSituation in le Frage hatte sie nur wenig gemein. Dies werk Aachensee, das dadurch seine Ka- Österreich 1945/1946 zeigte sich besonders daran, dass ins pazität um 100 Mio kWh im Jahre er- Als im April 1945 die Provisorische Re- Zentrum der nationalen Politik nicht nur höhen würde. Deutschland ist zu ver- gierung gebildet worden war, hatte die der Bundesregierung, sondern auch der pflichten, der Errichtung der Sperre für KPÖ als einzige Partei eine Frau in ihrem KPÖ, die Behauptung und womöglich den Aachenwaldspeicher und die Was- Team – Hella Postranecky(-Altmann). Es Erweiterung des Territoriums des wie- serüberleitung aus der Dürach jede Er- ist bezeichnend, dass bei der Aufteilung dererrichteten Staates rückte. leichterung zu gewähren (das betrifft der Ressorts in der Regierung Renner dem In welchem Ausmaß sich die KPÖ insbesondere die Einrichtung von Bau- ersten weiblichen Regierungsmitglied in diesbezüglich engagierte, wird nicht nur stellen, die Unterbringung der Bauarbei- der österreichischen Geschichte das Un- am Beispiel der kompromisslos ableh- terbelegschaften etc.).“9 Nach dem terstaatssekretariat für Volksernährung zu- nenden Haltung gegenüber den – eben- Rücktritt Altmanns im November 1947 gewiesen wurde: Für das, was auf den falls nationalistisch motivierten – jugos- wurden die Pläne zum Aufstau der Ache Tisch kommt, sind die Frauen zuständig... lawischen Gebietsforderungen bezüglich österreichischerseits nicht mehr weiter Ganz zufällig waren auf diese Weise (weil der gemischtsprachigen Gebiete Kärntens verfolgt, während Bayern 1948 mit dem es eben nur diese eine Frau in der Regie- deutlich, sondern auch an der positiven Kraftwerksausbau an der oberen Isar be- rung gab) für die Verwaltung des Haltung zu österreichischen Gebietsfor- gann. Am 29. Juni 1948 unterzeichneten schlimmsten Mangels der ersten Nach- derungen an Deutschland. Während es die österreichische Bundesregierung und kriegsmonate – nämlich die des Hungers – um diesen vor allem salzburgisch-bayri- die amerikanisch-britischen Militärregie- die Kommunisten verantwortlich. schen Grenzkonflikt6 bald ruhig wurde, rung für Deutschland das Übereinkom- Die Ernährungssituation verbesserte wurde die von der Bundesregierung ge- men über Ableitungen aus dem Rißbach-, sich, doch der drückende Mangel an Ener- genüber den Alliierten erhobene Forde- Dürrach- und Walchengebiet10, das die gieträgern blieb, was die strengen Winter rung nach einer „Rückkehr“ Südtirols zu Ableitung der Dürrach in den Tiroler 1945/46 und vor allem 1946/47 zu einer Österreich zu Beginn des Jahres 1946 in Achensee und des Rißbach in den bayri- Katastrophe werden ließ – die Sicherheit ganz Österreich durch Massendemonstra- schen Walchensee regelte. eines geheizten Raums hing für sehr viele

3/05 Beiträge 3 Menschen davon ab, ob jemand in der Fa- zu über 50 % der Württemberger Elektri- arlberg selbst gar nicht verbraucht wer- milie in der Lage war, Holz zu sammeln. zitätswerke AG und der AEW, die oberö- den konnten. Gleichzeitig war das ostö- 1946 wurde die Situation durch den ex- sterreichische OKA zu 25 % den AEW).11 sterreichische Verbundnetz nur sehr un- trem trockene Sommer verschärft. Weil Das Vorarlberger Netz lieferte nach zureichend in der Lage, den Strombe- die Speicher der Kraftwerke leer blieben, Württemberg (die Verlängerung ins darf, der auf Grund der Zerstörungen in musste die anderswo benötig- den letzten Kriegsmonaten te Kohle zur Stromversor- und des Rohstoffmangels gung herangezogen werden. ohnehin weit unter dem Auf Grund der damals noch Normalbedarf lag, zu wenig fortgeschrittenen Elek- decken. Nur die Kraftwerke trifizierung der österreichi- am unteren Inn, die schen Eisenbahnen hieß das, während der NS-Zeit zur dass der Bahnverkehr bereits Stromversorgung der Al- im Herbst 1946 nur mehr uminiumwerke beiderseits durch Zuschüsse der Alliier- des Flusses (Ranshofen und ten aus ihren eigenen Koh- Töging) errichtet worden lenvorräten aufrechterhalten waren, belieferten auch werden konnte. Durch die so- Österreich; allerdings sahen wjetischen Besatzungsbehör- die amerikanischen Besat- den erfolgten solche Zu- zungsbehörden in Bayern in schüsse nicht, sodass im Di- der Abgabe von Strom aus rektionsbereich Wien der diesen Kraftwerken (der ins Staatseisenbahnen ab 22. Ok- Ranshofen nicht benötigt tober 1946 der Zugsverkehr – wurde) an das ostöster- obwohl nahezu der gesamte reichische Verbundnetz ei- Kohleimport aus dem Ruhr- nen vertragsbrüchigen Stro- gebiet in die sowjetische Be- mexport. Daraus ergab sich satzungszone floss – auf 25 die groteske Situation, das Prozent des Verkehrs im Au- trotz der Tatsache, das zwei gust reduziert und am 27. Ok- der drei österreichischen tober schließlich gänzlich ein- Stromnetze fast ausschließ- gestellt werden musste. lich für den deutschen Be- Zufällig ergab es sich bei darf produzierten, ein Saldo der Ressortverteilung in der zuungunsten Österreichs Regierung Figl nach den No- auftrat, da die Lieferungen vemberwahlen 1945, dass für der Vorarlberger Illwerke in den einzigen kommunisti- die französische Zone von schen Minister ausgerechnet Dr. Karl Altmann, Unterstaatssekretär für Justiz 1945, Bundesmi- den amerikanischen Besat- das Energieministerium übrig nister für Energiewirtschaft und Elektrifizierung 1945–1947 zungsbehörden nicht mitein- blieb – womit ein kommuni- gerechnet wurden. stischer Minister für die unzähligen Netz- Ruhrgebiet war 1945 unterbrochen), das Auf deutscher Seite gab es aus ver- zusammenbrüche und Stromausfälle ver- Tiroler Netz nach Bayern, und sogar das ständlichen Gründen kein Interesse, antwortlich wurde. ostösterreichische Netz hing sowohl über Österreich entgegenzukommen – sei es In Österreich bestanden 1945 drei von- die Schiene Partenstein-Passau auch in Form eines Stromaustauschs (Liefe- einander getrennte Stromnetze: auch über das Umspannwerk St. Peter rung von Strom aus Bayern nach Oberö- a) Vorarlberg mit den Gesellschaften „Vor- (bei Braunau) und die beiden Innkraft- sterreich als Kompensation für die aus arlberger Illwerke“ (zu 90 % deutsches Ei- werke Ering und Obernberg eng mit dem Vorarlberg und Tirol nach Deutschland gentum, wovon fast die Hälfte auf die Rhei- bayerischen Netz zusammen. Wien wur- gelieferten Strommengen) oder in Form nisch-Westfälischen Elektrizitätswerke/ de im wesentlichen – außer durch seine einer Verrechnung der österreichischen RWE entfiel) und „Vorarlberger Kraft- eigenen Kohlenkraftwerke – durch Op- Stromlieferungen mit Kohlelieferungen werke“ (zu 90 % im Besitz des Landes). ponitz und Gaming versorgt, und trotz aus dem britisch besetzten Ruhrgebiet. b) Tirol mit den Gesellschaften „TI- einer Verbindung zwischen dem Um- In der österreichischen Bundesregie- WAG“ (zu über 98 % im Eigentum der spannwerk Ernsthofen und Gresten ge- rung herrschte Übereinstimmung zwi- im deutschen Reichsbesitz befindlichen langte kaum Strom aus Oberösterreich schen Peter Krauland (ÖVP-Minister für „AlpenElektro-Werke“/AEW) und „We- nach Wien, zumal die bautechnisch fer- Vermögenssicherung und Wirtschafts- sttiroler Kraftwerke AG“ (je zur Hälfte tiggestellten Ennskraftwerke nicht in Be- planung) und Karl Altmann, dass zur Lö- im Besitz von AEW und RWE), letztere trieb gehen konnten, weil eine fällige sung dieses Dilemmas zwei Maßnahmen zur Erschließung des Ötz- und Kauner- Lieferung von Generatorenlieferung aus erforderlich waren: tals gegründet. Berlin nicht erfolgt war. 1. Rasche Fertigstellung der beiden von c) Salzburg, Süd- und Ostösterreich, deren Von den westösterreichischen Kraft- den AEW während der NS-Zeit (unter Elektrizitätsgesellschaften einen unter- werke wurde nach Kriegsende weiter dem Einsatz von Zwangsarbeitern) begon- schiedlich hohen deutschen Besitzanteil Strom nach Deutschland exportiert, weil nenen Anlagen Gerlos und Kaprun und aufwiesen (die Salzburger SAFE gehörte die erzeugten Mengen in Tirol und Vor- 2. Herstellung einer Verbindung zwischen

3/05 4 Beiträge diesen beiden Kraftwerken durch eine Lei- lers, denn sonst „zerfalle das ganze Ver- „Bayern durch Nichteinhaltung des tung über die Gerlosplatte, um endlich Ti- bundnetz. Es bestehe dann die Gefahr, Stromlieferungsvertrages an das Alumi- rol an das Verbundnetz anzuschließen. daß große Umschaltwerke zugrunde ge- niumwerk Ranshofen zuerst die beste- Die Fertigstellung des (später zum na- hen und die ganze Elektrizitätswirtschaft henden Verträge gebrochen“. Retorsi- tionalen Symbol des österreichischen in Unordnung gerate. Ohne die Möglich- onsmaßnamen habe Österreich erst er- Wiederaufbaues gewordenen) Kraft- keit harter Maßnahmen werde man nicht griffen, als es durch die eigene Not dazu werkkomplexes Kaprun wurde eines der auskommen“.15 Auch die ÖVP-Minister, gezwungen war. (Vor allem der bereits zentralen Anliegen Altmanns als Ener- die um die Autonomie der Länder – vor mehrere Meter unter den Normalspiegel gieminister. Neben spektakulären Aktio- allem im Bereich des Wasserrechts – gefallene Wasserstand des Achensees nen in der Öffentlichkeit führte Altmann fürchteten, stimmten schließlich zu. Alt- hatte die Einstellung der Tiroler Liefe- hierfür auch einen zähen Kampf im Mi- mann verwies ihnen gegenüber darauf, rungen an Bayern nahegelegt.) Minister nisterrat. Ein erster Erfolg war bereits im dass die Alliierten in den einzelnen Bun- Krauland erklärte, dass er es bedauerlich März 1946 die Aufnahme eines Titels desländern für derlei Bedenken wenig finde, „aus dem Ton und [der] Argumen- „Wasserbauten“ ins Budget12, was er al- Verständnis zeigten, und ohne eine bun- tation der amerikanischen Vertreter aus lerdings nur durchsetzen konnte, indem desgesetzliche Regelung die Gefahr be- Berlin entnehmen zu müssen, daß sich er seinen Weiterverbleib in der Regie- stehe, dass von den alliierten Militärre- diese absolut den Berliner und deutschen rung davon abhängig machte, dass die gierungen „alles durchgeführt werde, Interessen verschrieben hätten und einen Kompetenz für den Bau bzw. Weiterbau ohne daß wir darauf Einfluß haben“. eindeutig deutschen Standpunkt gegenü- von Wasserkraftwerken vom Bundesmi- Angesichts der herannahenden Ener- ber den berechtigten Ansprüchen Öster- nisterium für Handel und Wiederaufbau gieversorgungskatastrophe wurde reichs vertreten haben. Er betonte, daß (das für Hochbauten zuständig war) auf schließlich am 28. September 1946 von er aus österreichischer Erfahrung her- das Energieministerium überging.13 den drei Bundesministerien für Energie- aus der Meinung sei, daß eine wirksame Nach Auffassung Altmanns sollte die wirtschaft und Elektrifizierung, für Ver- Argumentation gegen diese in Österreich Leitung über die Gerlosplatte durch eine mögenssicherung und Wirtschaftspla- aus der Nazizeit so bekannte Haltung weitere Leitung über den Arlberg ergänzt nung sowie für Handel und Wiederauf- nur durch harte Maßnahmen und durch werden, um auf diese Weise eine West- bau das Energieverteilungsdirektorium Strenge möglich sei. Diese Härte sei erst Ost-Verbindung herzustellen, was die gebildet. Der damals nur als vorüberge- durch die Fertigstellung der Verbin- Verhandlungsposition Österreichs in der hende Einrichtung gedachte Bundeslast- dungsleitung Gerlos Kaprun möglich Frage des deutsch-österreichischen Strom- verteiler bestand übrigens in dieser Form und nur durch diese Zwangsabschaltung austauschs schlagartig verbessern würde. bis Mitte der siebziger Jahre. werde man die Deutschen und damit die Bereits im Herbst 1945 hatten sich die den deutschen Standpunkt vertretenden Leiter der größten Elektrizitätsversor- Wie der „Stromkrieg“ mit Amerikaner zu einer Anerkennung der gungsunternehmen Österreichs zum Bayern gewonnen wurde Rechte Österreichs bringen können.“18 „Österreichischen Elektrizitätswirt- Mit der Fertigstellung der Leitung über Allerdings wurde vorläufig 9 Tage weiter schafts Komitee“ zusammengeschlossen, die Gerlosplatte bekam Österreich ein Spitzenstrom an Bayern geliefert, um ei- um die Lastverteilung zu regeln, wobei Druckmittel gegenüber Bayern in die nen Schlichtungsversuch der amerikani- man auf Erfahrungen mit den Lenkungs- Hand. Anfang Oktober 1946 konnte Mi- schen Besatzungsbehörden abzuwarten. maßnahmen der Nazi-Kriegswirtschaft nister Altmann dem Energieverteilungs- Das österreichische Ultimatum bewirk- (Reichslastverteiler) aufbaute. Ausge- direktorium berichten, er habe bei einer te, dass sich Vertreter des amerikanischen hend von den Erfahrungen dieses Komi- Besprechung im amerikanischen Haupt- und britischen Elements der Alliierten tees wurde im neu gebildeten Bundesmi- quartier den Eindruck gewonnen, der be- Kontrollrates für Deutschland bereit fan- nisterium für Energiewirtschaft und vorstehende Zusammenschluss des ostö- den, nach Wien zu kommen, um mit Ver- Elektrifizierung ein Gesetz erarbeitet, sterreichischen Netzes mit dem Tiroler tretern der österreichischen Bundesregie- das mit dem ein Bundeslastverteiler als Netz habe in Bayern Alarmstimmung rung und der alliierten Behörden in Öster- ein zentrales Lenkungsorgan des Ener- ausgelöst. Übergeordnete Stellen hätten reich Verhandlungen über ein formelles gieministeriums geschaffen wurde, das der Militärregierung empfohlen, doch Stromaustauschabkommen zu führen.19 jeweils täglich die erforderlichen Eins- wieder die Hälfte des Stroms der Werke Das Ergebnis der Beratungen war ein parungen verfügen konnte. Anfang Fe- Innkraftwerke Ering und Obernberg an Übereinkommen betreffend den Ener- bruar 1946 setzte sich Altmann im Mini- Österreich abzugeben. Außerdem werde gieaustausch zwischen Österreich und sterrat mit seinen Vorstellungen über den man in München mit amerikanischen Of- Bayern, das in den folgenden Jahren als quasi-diktatorischen Charakter des Bun- fizieren des Alliierten Kontrollrates für (erstes) „OMGUS20-Abkommen“ be- deslastverteilergesetzes14 durch. Die Deutschland weiterverhandeln.16 Diese zeichnet wurde und bis 31. März 1947 in Funktion eines allen lokalen Elektrizi- Konferenz führte aber zu keiner Annähe- Kraft war.21 Die amerikanische Militärre- tätsversorgern gegenüber weisungsbe- rung, obwohl sich der Vertreter des ame- gierung in Deutschland sagte außerdem fugten Bundeslastverteilers war bereits rikanischen Elements im Alliierten Rat zu, sich für eine Erhöhung der Ruhrkoh- vorher auf Anordnung des Alliierten Ra- für Österreich für die österreichischen lenlieferungen an Österreich einzusetzen. tes für Österreich eingerichtet worden. Interessen einsetzte.17 Noch am Abend Für die bereits erwähnten Londoner Altmann kam den Bedenken dadurch nach der Rückkehr der österreichischen Staatsvertragsverhandlungen im Jänner entgegen, dass er ständige Vertreter der Delegation befasste sich das Energiever- und Februar 1947 bereitete das Bundes- Kammern und sonstigen Interessenver- teilungsdirektorium mit den Ergebnissen ministerium für Energiewirtschaft und tretungen (z.B. der Exportwirtschaft) im der Konferenz. Minister Altmann mein- Elektrifizierung ein umfangreiches Me- Beirat vorsah, bestand aber auf dem te, schließlich habe den „Stromkrieg“ morandum vor, in dem unter anderem Durchgriffsrecht des Bundeslastvertei- nicht Österreich begonnen, sondern die Erlaubnis für den Bau einer Verbin-

3/05 Beiträge 5 dungsleitung von Bregenz zum oberö- dem Bau der Leitung sterreichischen Umspannwerk St. Peter über die Gerlosplatte. über deutsches Gebiet und über mehrere Wenn eine Verbin- Jahre hindurch außerdem die Nutzung dung des Vorarlberger des bestehenden deutschen Leitungsnet- Netzes mit dem öster- zes für den österreichischen West-Ost- reichischen Verbund- Energietransit verlangt wurde. Ange- netz hergestellt würde, sichts des schleppenden Fortgangs der konnte bei den Strom- Staatsvertragsverhandlungen schien es austauschverhandlun- aber ratsamer, durch bilaterale Verhand- gen mit den amerika- lungen zu einem neuen Abkommen zu nisch-britischen Be- gelangen. Obwohl es bis 31. März nicht satzungsbehörden in gelang, Einigung zu erzielen, wurden die Deutschland auf den Stromlieferungen an Bayern vorläufig Verhandlungspartner auch im April und Mai 1947 fortgesetzt. Druck ausgeübt wer- Nachdem jedoch das Energieverteilungs- den, einer für Öster- direktorium in seiner Sitzung am 12. Mai reich akzeptablen Ge- 1947 den Export elektrischer Energie aus samtregelung zuzu- Tirol nach Italien genehmigt hatte22, stimmen. Es war die wurde die TIWAG angewiesen, die Lie- Leitung der TIWAG, ferungen an Bayern zu verringern. die im Herbst 1946 Infolge der auch im Frühjahr 1947 an- gemeinsam mit den haltenden Trockenheit hatte der Achen- Illwerken das Projekt see noch immer nicht den Sollspiegel er- einer 110-kV-Leitung reicht, weshalb in Tirols größtem Spei- über den Arlberg ent- cherkraftwerk für Juni mit einem Plan- wickelte und es Ende minus von ca. 20 Mio kWh gerechnet November 1946 einer wurde. Das Energieministerium erklärte Kommission des Bun- der TIWAG, man wolle geschlossene desministeriums für Verträge einhalten – und ein solcher be- Energiewirtschaft und Karl Altmann mit Franz Honner und Ernst Fischer beim Ju- stehe im Augenblick eben nur mit Italien Elektrifizierung, die gendtag der „Freien Österreichischen Jugend“ (FÖJ) 1947 und nicht mit Bayern. zur Überprüfung der Von der Verringerung der Tiroler Lie- Stromsparmaßnahmen nach Tirol gekom- Heizwerk zur Verfügung und erlangte ferungen wurde übrigens nicht die Mi- men war, unterbreitete.24 Nach den Vor- dafür die Zusicherung zusätzlicher Stahl- litärregierung informiert, sondern nur der stellungen der TIWAG sollte die Leitung lieferungen nach Italien. bayrische Hauptlastverteiler in Mün- vom Bund vorfinanziert werden und spä- Während der Vertrag vom 7. Juli 1947 chen. Um die Alliierten nicht einschalten ter in das Eigentum von TIWAG und Ill- (zweites Stromaustauschübereinkommen zu müssen – der Telefon- und Telegra- werken übergehen. Die Trassenführung zwischen Vertretern der deutschen „Bizo- fenverkehr zwischen Deutschland und sollte so gewählt werden, dass die für spä- ne“ [amerikanisch-britisches Besatzungs- Österreich war nach wie vor unterbun- ter geplante 380-kV-Schiene nicht behin- gebiet] und Österreich) noch unbefriedi- den -, beauftragte das Energieministeri- dert wurde. Der Wiener Kommission wur- gend gewesen war, erreichte Österreich um Bundeslastverteiler Karl Lausch, die de ein fertiges, ausgefeiltes Projekt über- mit diesem Schritt, dass die deutsche Sei- Verringerung der TIWAG-Lieferungen geben, das auch die Anwerbung der te (bzw. die amerikanisch-britische Mi- als Telefondepesche an den bayerischen benötigten Bauarbeiter und die Aufbrin- litärregierung, welche die Verhandlungen Hauptlastverteiler, Leonhardt Wolf, gung des Baumaterials berücksichtigte. führte) im Dezember 1947, nach Inbe- durchzugeben und dabei das Betriebste- Als günstigste Variante ergab sich die triebnahme der Leitung, einlenkte und ei- lefon zu nutzen, welches das Alumini- Auftragsvergabe an eine italienische Fir- ner Regelung der Preisfragen zustimmte, umwerk Ranshofen mit den Innkraftwer- ma, die durch österreichische Heizöle und die auch die Interessen Österreichs ken Ering und Obernberg verband. Zur Stähle bezahlt werden sollte. Nach länge- berücksichtigte. Die Arlbergleitung wur- Verheimlichung der Nachricht vor der ren Diskussionen stimmte das Energiever- de daraufhin in erster Linie für Notfälle alliierten Telefonzensur wurde sie inner- teilungsdirektorium der Umleitung eines bereitgehalten; die bereits während des halb Wiens durch einen Boten zum Sitz größeren Postens Heizöl aus der monatli- Krieges von Siemens geplante 380-kV- des Hauptlastverteilers Am Hof ge- chen Produktion von Zistersdorf nach Ita- Schiene über den Arlberg wurde hingegen bracht. Zwischen Wien und Ranshofen lien zu, während sich die sowjetischen auch in den folgenden drei Jahrzehnten wurde die oberste Leitung des Überland- Stellen bereit erklärten, im Kulanzweg der nicht verwirklicht, sodass die 110-kV- kabels verwendet. Auf der bayrischen Stadt Wien weiterhin die bisher gelieferte Leitung über die Arlberg die Verbin- Seite wurde das Betriebstelefon zum Al- Menge (die für die Umleitung nach Italien dungsstelle zwischen Vorarlberg und dem uminiumwerk Töging sowie das Über- herangezogen worden war) zukommen zu übrigen österreichischen Netz blieb. landkabel nach München benutzt.23 lassen. Da das in Österreich hergestellte Nach ihrer Fertigstellung wurde die Um zu dauerhaften Lösungen zu gelan- Heizöl den italienischen Qualitätsnormen Arlbergleitung zum Gegenstand heftiger gen, wählte das Energieministerium eine nicht entsprach, wurde es jedoch vom ita- politischer Auseinandersetzungen, vor ähnliche Vorgangsweise wie vor Ab- lienischen Zoll wieder zurückgeschickt; allem in Tirol, wo Landeshauptmann- schluss des OMGUS-Abkommens mit das EVD stellte es der VÖEST für ihr stellvertreter Dr. Hans Gamper gegen

3/05 6 Beiträge seinen Parteifreund Walter Senn von der Anmerkungen: Westteil des Salzburger Flachgaues zwischen TIWAG zu Felde zog und ihm die Ko- 1/ Richard und Maria Bamberger/Ernst Bruck- der Salzach und dem Waginger See mit den operation mit dem inzwischen zurückge- müller/Karl Gutkas (Hg.), Österreich-Lexikon in Städten Freilassing, Laufen und Tittmoning, tretenen kommunistischen Energiemini- zwei Bänden, Neuausgabe, Wien 1995, Bd. 1, dessen historische Bezeichnung „Rupertiwinkel“ ster vorwarf. Die Polemik fand, nicht S. 29. In der 1. Auflage war noch ein Satz ange- sich zwar damals in der österreichischen Publi- zuletzt wegen Gampers Vorschlag (der fügt gewesen, der Altmanns Ausscheiden aus zistik fand, in Bayern aber ungebräuchlich war zu Karikaturen Anlass gab), die Arlber- der Regierung in den Zusammenhang mit dem und für das Gebiet um Reit im Winkel verwen- gleitung zum Wäscheaufhängen freizu- beginnenden Kalten Krieg stellte: Richard Bam- det wurde. geben, regen publizistischen Widerhall. berger/Franz Maier-Bruck (Hg.), Österreich-Le- 7/ Aktenzahl 2070 Präs./47 vom 15.1.1947. Ei- Da sich die Leitung aber bald für den in xikon in zwei Bänden, Wien–München 1966, ne Kopie wird im KPÖ-Wirtschaftsarchiv (Signa- Gang kommenden Stromaustausch zwi- Bd. 1, S. 35. tur: YV1a) aufbewahrt. Dem Memorandum war schen dem südwestdeutschen Raum und 2/ Historische Kommission beim ZK der KPÖ eine genaue Kartenskizze der von Deutschland Oberitalien als nützlich erwies, ver- (Hg.), Die Kommunistische Partei Österreichs. abzutretenden Gebiete beigefügt. stummte die Kritik schließlich. Beiträge zu ihrer Geschichte und Politik, 2. 8/ MRP 1946–01–14, in: Mähner/Mentzel (Hg.), Aufl., Wien 1989. Kabinett I, Bd. 1, a.a.O., S. 64 f. Schlussbemerkung 3/ Peter Mähner/Walter Mentzel (Hg.), Protokol- 9/ Schreibweise der topographischen Bezeich- Wenn man die Ministerratsprotokolle le des Ministerrats der Zweiten Republik, Kabi- nungen (Aachen statt Achen, Dürach statt Dür- studiert, hat man mitunter das Gefühl, nett Leopold Figl I, Bd. 1, Wien 2004; Bd. 2, Wi- rach) wie im Original. dass der einzige Kommunist in dieser en 2005. 10/ Übereinkommen zwischen der US/UK-Militär- Runde auf einem anderen Stern lebt, was 4/ Der Beitrag referiert teilweise die bis heute regierung für Deutschland und der österreichi- sich darin äußert, dass er auch Fragen in unpublizierten Ergebnisse eines 1986/87 im schen Bundesregierung über Ableitungen aus die Diskussion einbringt, die mit der Auftrag des Bundesministeriums für Wissen- dem Rißbach-Dürrach- und Walchengebiet (29. Welt, in der sich die übrigen Minister be- schaft und Forschung durchgeführten For- Juni 1948), Bundesarchiv Koblenz, Z 35/178. wegen, nicht kompatibel sind. Das wohl schungsprojekts des Autors zum Thema 11/ KPÖ-Wirtschaftsarchiv YD7, o.D. krasseste Beispiel hierfür findet sich im Deutsch-österreichische Beziehungen 1945– 12/ MRP 1946-03–19, in: in: Mähner/Mentzel (Hg.), Ministerratsprotokoll vom 12. Februar 1949. Eine auf der Basis der inzwischen zu- Kabinett Leopold Figl I, Bd. 1, a.a.O., S. 358. 1946. Unter dem Tagesordnungspunkt gänglich gewordenen Quellen in österreichi- 13/ Protokoll des Wirtschaftlichen Ministerkomi- „Berichte der Bundesminister“ verwies schen Archiven überarbeitete Veröffentlichung tees 1946–03–15, in: Ebenda, S. 506. Altmann auf den „Mangel Österreichs an ist für 2006 unter dem Titel „Österreichisch- 14/ Wegen eines Einspruchs des Alliierten Rats qualifizierten Arbeitskräften auf dem Ge- deutsche Nachkriegsbeziehungen (1945– wurde das am 6. März 1946 vom Nationalrat be- biete der geistigen und besonders der ma- 1949). Forschungsbericht und Dokumentation schlossene Bundesgesetz über Maßnahmen nuellen Arbeit. Die Rückkehr der österr. zur politischen Abgrenzung und ökonomischen zur Sicherstellung der Elektrizitätsversorgung Emigranten habe bisher allerlei Schwie- Wiederannäherung“ vorgesehen. (Lastverteilungsgesetz) erst am 8. Juni 1946 rigkeiten begegnet. Er rege deshalb an, 5/ „KPÖ drängte auf Teilung Österreichs“, Die verlautbart (BGBl. 83/1946). daß die österr. Bundesregierung die in Presse 31. März 2005: „Die Kommunistische 15/ MRP 1946-02-05, in: Protokolle des Mini- den verschiedenen Ländern der Welt be- Partei Österreichs hat in der zweiten Hälfte der sterrats der Zweiten Republik, a.a.O., S. 167., findlichen Emigranten auffordere, 40er Jahre die sowjetische Führung aktiv dazu 16/ KPÖ-Wirtschaftsarchiv, YD7, 22.9.-7.10.46. zurückzukommen, um sich für den Wie- gedrängt, die Teilung Österreichs ins Auge zu 17/ Gedächtnisniederschrift über die Verhand- deraufbau zur Verfügung zu stellen. Die- fassen: Dies ist eine der neuen historischen Er- lungen der österreichischen Delegation in Mün- ser Wunsch der Regierung soll auf dem kenntnisse, die ein [...] Projekt über die sowjeti- chen am Freitag, den 11. X. und Samstag, den Wege unserer diplomatischen Vertretun- sche Besatzung in Österreich 1945 bis 1955 [...] 12.X.1946 (o.D.), Ebenda, YD7, 11.–12.10.46. gen zur Verlautbarung gelangen.“25 zu Tage gebracht hat.“ Der Wiener Historiker 18/ Ebenda, YVla, 12.10.46. Altmanns Vorschlag wurde von Innen- Wolfgang Mueller bezieht sich auf ein Schrei- 19/ ACA – Minutes of Plenary Sessions of a minister Helmer und Außenminister Gru- ben des internationalen Sekretärs, Andrej Shda- Special Committee Meeting held at the Allied ber sofort aufgegriffen – aber wie! Hel- now, an die KPÖ-Führung, in dem dieser ener- Secretariat Building, 4 Stalinplatz, , on mer beklagte Unzukömmlichkeiten bei gisch Vorstellungen entgegen trat, dass eine 17th, 18th and 21st October, 1946, to discuss diversen Österreicher-Komitees, Gruber Teilung Österreichs der Arbeiterklasse irgend- with the representatives from the Control Com- beruhigte ihn, dass er das bei seiner welche Vorteile bringen könnte. Abgesehen da- mission in Germany (U.S. and British Elements) Amtsübernahme sofort bemüht habe, „al- von, dass ein Einzeldokument wohl kaum eine the question of exchange of electric power bet- le diese Repatriierungskomitees, die sich Gesamtanalyse der Politik einer bestimmten ween and Germany (22. Oktober 1946), überall gebildet haben“, unter „unsere Gruppe oder Partei ersetzen kann, beinhaltet KPÖ-Wirtschaftsarchiv YD7, 17.10.46. Kontrolle zu bringen“.26 Man muss diese das Dokument nichts sensationell Neues: Be- 20/ OMGUS = Office of Military beiden Wortmeldungen zweimal lesen: Es reits in Hugo Portischs Fernsehserie der siebzi- Government/United States (d.h. die amerikani- ist darin von den Sudetendeutschen und ger Jahre, „Österreich II“, hatte die später aus sche Militärregierung in Deutschland). den während der Nazizeit ins „Altreich“ der KPÖ ausgetretene Witwe des langjährigen 21/ Agreement between the Austrian Govern- übersiedelten Österreichern die Rede. KPÖ-Vorsitzenden Johann Koplenig, Hilde Ko- ment and OMGUS (28. Oktober 1946). Weder der SPÖ- noch der ÖVP-Minister plenig, berichtet, dass es zwar einzelne Stim- 22/ KPÖ-Wirtschaftsarchiv, YD7, 12.5.47. gingen auch nur mit einer Silbe darauf men bis hinauf in die Parteiführung gegeben ha- 23/ Ebenda, YH5bD, 6.6.47. ein, dass Altmann selbstverständlich be, die über die Möglichkeit einer Teilung spra- 24/ Ebenda, YD7 29.11.–4.12.46. – Die im fol- nichts mit den Sudetendeutschen im Sinn chen, dass dies aber weder die offizielle Parteili- genden beschriebenen Maßnahmen sind alle in hatte, sondern verlangt hatte, die vertrie- nie war noch die Meinung der überwiegenden YD7 dokumentiert. benen Juden und geflüchteten Nazigegner Mehrheit der Parteimitglieder darstellte. 25/ MRP 1946–02–12, in: Ebenda, S. 210 f. zur Rückkehr aufzufordern... 6/ Es ging in erster Linie um den ehemaligen 26/ Ebenda, S. 211.

3/05 Beiträge 7 Kurs auf Liquidierung der Neutralität THOMAS SCHÖNFELD

ene Kräfte in Österreich, die die liches Element der Politik der Neutra- „wesentlich vielfältiger, unberechenbarer Neutralität schon lange Zeit abge- litätsgegner in Österreich ist die Herstel- und diffuser geworden sind. … Die neu- Jlehnt haben und abgebaut sehen lung enger Beziehungen zur NATO. Das en Bedrohungen können ohne lange Vor- wollten, haben ihre Bemühungen um wird später genauer erörtert werden. warnzeiten auftreten. Wir müssen schnel- Liquidierung der Neutralität und Anbin- Der Kampf um die Aufrechterhaltung ler als bisher handlungsfähig sein. Eine dung Österreichs an die NATO bzw. die der Neutralität Österreichs ist also heute Bewältigung von Bedrohungen muss militärischen Funktionen der Europäi- in seinem Zusammenhang mit den auch im geografischen Vorfeld stattfin- schen Union nach dem Zerfall der So- Bemühungen zu sehen, Machtpolitik den und nicht mehr auf das eigene Terri- wjetunion und der Auflösung des War- aus den internationalen Beziehungen zu torium beschränkt bleiben. … Die Ko- schauer Vertrages 1989/1990 intensi- eliminieren und für diese Beziehungen operation der Staaten ist der Schlüssel zur viert. Die mit diesem Ziel auf verschie- die umfassende Wirksamkeit der Charta Bewältigung der neuen Bedrohungen und denen Ebenen unternommenen Schritte der Vereinten Nationen, ständig voran- Herausforderungen.“ (www.bmlv.gv.at/ sollen hier diskutiert werden. Zunächst schreitende Abrüstung und eine Aus- php-docs/download_file.php?adresse=/ ist auf die Bedeutung von Neutralität weitung völkerrechtlicher Vereinbarun- download_archiv/pdfs/10_jahre_pfp.pdf) für die heutigen internationalen Bezie- gen durchzusetzen. Der Sinn solcher sicherheitspolitischer hungen hinzuweisen. In der österreichischen Bevölkerung Formulierungen liegt auf der Hand. Neutralität steht im Widerspruch zu genießt der Status der Neutralität große Wenn die Bedrohungen unberechenbar Machtpolitik, denn diese ist auf eigene Unterstützung. Alle Meinungsumfragen und diffus sind, kann es eigentlich keine Überlegenheit, vor allem auf militäri- der letzten Jahre haben ergeben, dass klare Festlegung der zu ergreifenden mi- schem Gebiet und durch geeignete zwei Drittel der Bevölkerung die Auf- litärischen Maßnahmen geben, und dann Bündnisse ausgerichtet, während durch rechterhaltung der Neutralität auch unter kann auch keine öffentlich-politische Neutralität ein Staat oder eine Region den veränderten politischen Verhältnis- Kontrolle, die den militärpolitisch Ver- aus dem Wirkungsbereich von Machtpo- sen in Europa und insbesondere in Öster- antwortlichen stets unerwünscht ist, ver- litik herausgehalten werden kann. Neu- reichs Nachbarschaft wünschen. Eine langt werden. Stets kann argumentiert tralität passt hingegen in den Rahmen Aufhebung des Bundesverfassungsgeset- werden, dass die durchgeführten bzw. von internationalen Beziehungen, die zes über die Neutralität – sei es durch ei- geplanten Maßnahmen den zu erwarten- durch Gleichberechtigung von Staaten, nen Gesetzesbeschluss des Parlaments den Bedrohungen am besten Rechnung durch den Verzicht auf militärische oder durch eine Volksabstimmung – er- tragen. Als Begründung für neue Rü- Überlegenheit, durch Gewährleistung scheint den Feinden der Neutralität daher stungsmaßnahmen kann auf die „vielfäl- von Sicherheit aller durch internationale nicht gangbar. Sie nehmen Kurs auf tigen und unberechenbaren Bedrohun- Verträge und durch wirkungsvolle Zu- schrittweisen Abbau, auf eine allmähliche gen“ hingewiesen werden. sammenarbeit der Staaten auf möglichst Liquidierung der Neutralität. Dazu agie- Mit militärischen Aktionen „im geo- vielen Gebieten gekennzeichnet sind. ren sie auf verschiedenen Ebenen, insbe- grafischen Vorfeld“ wird auf Auslands- Das sind die Ziele für die Entwicklung sondere mit sicherheitspolitischen Argu- einsätze und zwar auf Kampfeinsätze der internationalen Beziehungen die menten, mit Gesetzesänderungen, durch orientiert, mit denen bedrohliche, feind- 1945 in der Charta der Vereinten Natio- die Bezüge auf das Neutralitätsgesetz eli- liche Kräfte ausgeschaltet werden sollen. nen formuliert wurden. Neutralität kann miniert werden, mit Änderungen der Da es sich nicht um eine selbständige also zum Zurückdrängen von Machtpoli- Beiträge Österreichs zu den Aktionen der Rolle Österreichs als internationaler Po- tik beitragen, sie dient daher nicht nur ei- Vereinten Nationen, mit Intensivierung lizist handeln kann, wird hier der Einsatz nem Staat, der diesen Status angenom- der Mitwirkung Österreichs an der NA- österreichischer Verbände als Hilfstrup- men hat, sondern ist von allgemeinerer, TO-Partnerschaft für den Frieden, und pen für eine von den USA oder der NA- friedenssichernder Bedeutung. durch Formulierung einer neuen Sicher- TO angeführte Militärintervention ir- Die Gegner der österreichischen Neu- heits- und Verteidigungsdoktrin 2001. gendwo auf der Welt ins Auge gefasst. tralität orientieren sich aber nicht auf eine Das Neutralitätsgesetz erschwert aller- solche Perspektive, sondern sie halten an Falsche Argumente, dings die Verwirklichung solcher Pläne. den alten Kategorien von Machtpolitik falsche Orientierung fest. Da Österreich nicht zur Großmacht Gefälschte Bedrohungsbilder spielen in Hinweise auf das Neutralitäts- werden kann, sehen sie die Rolle Öster- der Argumentation der Neutralitätsgeg- gesetz sollen eliminiert werden reichs als Unterstützerin der einzigen ner eine wesentliche Rolle. Da wird be- Das 1997 beschlossene „Bundesver- heutigen Supermacht, der USA. Europa hauptet: Im Kalten Krieg habe es eine re- fassungsgesetz über Kooperation und als Supermacht ist eine unwahrscheinli- lativ beständige und daher überschaubare Solidarität bei der Entsendung von Ein- che Perspektive. Dass die in der EU be- Macht- und Bedrohungskonstellation ge- heiten und Einzelpersonen in das Aus- stimmenden Kräfte die Notwendigkeit geben. Die jetzige Weltordnung sei aber land“ (KSE-BVG, BGBl. I 38/1997) zeigt enger militärischer und politischer Zu- durch Unübersichtlichkeit und neue Un- die Absicht der Neutralitätsgegner, Hin- sammenarbeit mit den USA und mit der sicherheiten gekennzeichnet. Der Bun- weise auf das Neutralitätsgesetz in der NATO, in der die USA die dominierende desminister für Landesverteidigung österreichischen Gesetzgebung zu lö- Rolle spielen, immer wieder betonen, ist Günther Platter hat am 14. März 2005 da- schen und Möglichkeiten für Kriegs- dafür ein deutliches Zeichen. Ein wesent- von gesprochen, dass die Gefahren heute einsätze österreichischer Soldaten zu

3/05 8 Beiträge eröffnen. Dieses Gesetz trat an die Stelle gen Österreichs, auf die Grundsätze der handlungen der EU verhindern. Das des 1965 beschlossenen „Bundesverfas- Vereinten Nationen, sowie der Schlus- kann auch die Stimme eines kleinen Lan- sungsgesetzes über die Entsendung sakte von Helsinki und auf die Gemein- des wie Österreich sein. (Damit eine österreichischer Einheiten zur Hilfeleis- same Außen- und Sicherheitspolitik der kriegswillige Mehrheit von EU-Staaten tung in das Ausland auf Ersuchen inter- EU …Bedacht zu nehmen sei“. Diese ihre Pläne auch bei einer kritischen Hal- nationaler Organisationen“ (BGBl. Formulierung soll offensichtlich einer tung anderer Mitgliedstaaten verwirkli- 173/1965). Mit dem früheren Gesetz Bundesregierung, die eine Truppenent- chen kann, wurde die „konstruktive Ent- sollte vor allem eine österreichische sendung beabsichtigt, einen großen In- haltung“ in den Vertrag aufgenommen. Teilnahme an friedenssichernden Einsät- terpretationsspielraum geben. Welche Nicht-kriegswillige Staaten, die so votie- zen im Auftrag der Vereinten Nationen völkerrechtlichen Verpflichtungen ren, müssen zwar an der beschlossenen ermöglicht werden. Die Entscheidung Österreichs sind da eigentlich zu berück- Aktion nicht teilnehmen, sie dürfen sie über solche Entsendungen wurde der sichtigen? Mit der Bezugnahme auf die aber auch in keiner Weise behindern. Bundesregierung übertragen „unter Be- „Grundsätze der Vereinten Nationen“ „Konstruktive Enthaltung“ führt also dachtnahme auf die immerwährende wird darauf verzichtet, die entscheiden- nicht zur Verhinderung einer EU-Mi- Neutralität Österreichs“. Im neuen Ge- den Festlegungen der UN-Charta zu be- litäraktion. Zweifelsohne würden größe- setz (1997) gibt es aber keinen Hinweis nennen, nämlich dass militärische Aktio- re EU-Mitgliedstaaten, die eine Mi- auf die Neutralität, es heißt nur, dass nen nur auf Grund eines Beschlusses des litäraktion durchsetzen wollen, auf kriti- „auf die völkerrechtlichen Verpflichtun- UN-Sicherheitsrates zulässig sind. Mit sche kleinere Staaten Druck ausüben, auf der quasi gleichrangigen Auflistung der ein „Nein“ zur beantragten Aktion zu Charta der Vereinten Nationen und der verzichten und sich mit „konstruktiver Irak-KKrieg 2003 Gemeinsamen Außen- und Sicherheits- Enthaltung“ zu „begnügen“. Der Hand- Nationaler Sicherheitsrat geht von politik der EU wird eine Abwertung der lungsspielraum eines kleineren EU-Staa- Österreichs Neutralität aus UN-Charta vorgenommen. So wird ja tes, der eine Militäraktion der EU ab- verschleiert, dass die Charta das grundle- lehnt, wäre unter den Bedingungen der ährend die Regierungsparteien gende Dokument des Völkerrechts unse- starken Vernetzung der EU-Mitglieder, und ihre Minister bei jeder Ge- W rer Zeit ist, was von der Gemeinsamen vor allem durch ökonomische Mechanis- legenheit behaupten, das Neutralitäts- Außen- und Sicherheitspolitik der EU men, sehr begrenzt.) gesetz sei praktisch bedeutungslos ge- keinesfalls behauptet werden kann. In Verbindung mit der Ratifizierung worden, wurde zum „Ernstfall“ des des Amsterdamer Vertrags wurde im Irak-Krieges im Nationalen Sicher- Amsterdamer Vertrag und Art. 23f Parlament am 18. Juni 1998 auch eine heitsrat am 24. März 2003 eine Stel- der österreichischen Verfassung Neufassung des Artikel 23f der Bundes- lungnahme beschlossen, in der die Mit dem Amsterdamer Vertrag (unter- verfassung beschlossen. Sie regelt die Neutralität Österreichs ein Kernpunkt zeichnet am 2. Oktober 1997, in Kraft Entscheidungskompetenz für das öster- ist. Im Nationalen Sicherheitsrat, der getreten am 1. Mai 1999) haben die EU- reichische Stimmverhalten im Europäi- die Regierung beraten soll, führt der Mitgliedstaaten wesentliche sicherheits- schen Rat wenn dort über friedenserhal- Bundeskanzler den Vorsitz und es und verteidigungs-politische Aufgaben, tende Aufgaben und über militärische gehören ihm die mit internationalen also auch militärische Aufgaben, der Kampfeinsätze der EU abzustimmen ist. Angelegenheiten befassten Minister Union übertragen. Die bis dahin zum Diese Neufassung wurde nicht als Regie- sowie Vertreter der Parteien mit Na- Wirkungsbereich der Westeuropäischen rungsvorlage sondern in Form eines ge- tionalratsmandaten an. Der Beschluss Union (WEU, einer 1949 gegründeten meinsamen Antrages der Klubobmänner zum Irak-Krieg enthält die „Empfeh- militärischen Bündnisorganisation der der Regierungsparteien, Peter Kostelka lung an die Bundesregierung, dass europäischen NATO-Mitglieder) (SPÖ) und Andreas Khol (ÖVP) einge- sich das neutrale Österreich an keiner- gehörenden Aufgaben, wurden nun als bracht, und wurde daher keinem bei Ge- lei militärischen Operationen gegen Aufgaben der EU übernommen. Diese setzesvorlagen üblichen Begutachtungs- den Irak beteiligt und auch keine militärischen Aufgaben wurden einige verfahren unterzogen. Eine öffentliche Überflugsrechte einräumt“ (Punkt 2). Jahre davor in einem WEU-Beschluss Diskussion und die Einholung der Mei- Maßnahmen auf nationaler Ebene (Juni 1992) als „Petersberger Aufgaben“ nung kompetenter Fachleute über diese werden dann im Punkt 5 angespro- formuliert: Rettungs- und Katastro- Verfassungsänderung wurde durch die- chen, wobei der Bundesregierung pheneinsätze, friedenserhaltende Einsät- se Vorgangsweise von den Regierungs- empfohlen wird, „alle zur Verfügung ze, Kampfeinsätze bei der Krisenbewäl- parteien verhindert. stehenden Mittel zur Wahrung der tigung einschließlich friedenschaffender Die im gegebenen Zusammenhang Souveränität und der Verpflichtungen Maßnahmen. Die letztgenannte Katego- wichtigen Absätze 3 und 4 des neuen Ar- aus dem Neutralitätsgesetz einzuset- rie von Aufgaben „Kampfeinsätze bei tikel 23f lauten (siehe BGBl I 83/1998): zen.“ (siehe z.B. Österreichische Mi- der Krisenbewältigung einschließlich (3) Bei Beschlüssen betreffend frie- litärische Zeitschrift 4/2003) friedenschaffender Maßnahmen“ bedeu- denserhaltende Aufgaben sowie Kampf- Damit haben der Bundeskanzler tet: Die EU kann Kriegshandlungen einsätze bei der Krisenbewältigung, und die anderen Regierungsmitglie- durchführen, sie kann demnach Kriegs- einschließlich friedenschaffender Maß- der die Aktualität und Gültigkeit des partei werden. Es bedarf dazu allerdings nahmen, sowie bei Beschlüssen gemäß Neutralitätsgesetzes bestätigt und die eines einstimmigen Beschlusses im Eu- Art. 17 des Vertrags über die EU in der von ihnen bei anderen Gelegenheiten ropäischen Rat, dem die höchsten Reprä- Fassung des Vertrags von Amsterdam vorgetragenen Argumente, die auf die sentanten aller EU-Mitglieder an- betreffend die schrittweise Festlegung Liquidierung der Neutralität abzielen, gehören. Eine (!) ablehnende Stimme einer gemeinsamen Verteidigungspolitik schlagend widerlegt. kann einen solchen Beschluss von Krieg- und die engeren institutionellen Bezie-

3/05 Beiträge 9 hungen zur Westeuropäischen Union ist das Stimmrecht im Einvernehmen zwi- schen dem Bundeskanzler und dem Bun- desminister für auswärtige Angelegen- heiten auszuüben. (4) Eine Zustimmung zu Maßnahmen gem. Abs. 3 darf, wenn der zu fassende Beschluss eine Verpflichtung zur Ent- sendung von Einheiten oder einzelnen Personen bewirken würde, nur unter dem Vorbehalt gegeben werden, dass es diesbezüglich noch der Durchführung des für die Entsendung von Einheiten oder einzelnen Personen in das Ausland verfassungsrechtlich vorgesehenen Ver- fahrens bedarf.“ Wenn eine neutralitäts- und völker- rechtskonforme Regelung angestrebt worden wäre, so hätte im neuen Artikel 23f unbedingt auf die Verpflichtung hin- Mit einer großen Salami hat die Friedensbewegung bei Aktionen 1998 auf die Re- gewiesen werden müssen, dass bei einer gierungspolitik einer scheibchenweisen Liquidierung der Neutralität hingewiesen. Entscheidung über das österreichische Stimmverhalten das Neutralitätsgesetz einen etwaigen Einsatz österreichischer dert werden, an der sich Deutschland, und die Charta der Vereinten Nationen Truppen die Entscheidungsmechanismen Tschechien und Österreich beteiligen. zu berücksichtigen sind, letztere in dem des Entsendegesetzes anzuwenden sind, Wenn auch mit der Einmeldung von Sinn, dass Militäreinsätze nur auf Grund aber Bundeskanzler und Außenminister Verbänden zur Teilnahme an Kampf- eines Mandats des Sicherheitsrates der entscheiden allein, ob Österreich eine gruppen die Notwendigkeit eines (ein- Vereinten Nationen bzw. zur unmittelba- EU-Militäraktion durch ein „Nein“ ver- stimmigen) EU-Beschlusses über eine ren Abwehr eines Angriffs erfolgen dür- hindert oder sie durch Zustimmung bzw. militärische Aktion nicht aufgehoben fen (siehe Präambel der Charta und die „konstruktive Enthaltung“ ermöglicht. wird, so entsteht mit einer solchen Teil- Artikel 2(4), 42, 45 und 51). Der neue Artikel 23f wird von den nahme ein schwer abzuwendender In den Erläuterungen zum Antrag der Gegnern der Neutralität oft zur Stützung Druck, einem in einer kritischen Situati- Abgeordneten Kostelka, Khol und Ge- ihrer Behauptung angeführt, dass das on beantragten Einsatz einer EU-Kampf- nossen wurde offen ausgesprochen, dass Neutralitätsgesetz nur mehr sehr einge- gruppe und der Teilnahme der eigenen der Amsterdamer-Vertrag Beschlüsse schränkt gültig ist. Eine Prüfung der Ge- eingemeldeten Verbände daran zuzustim- von Militäraktionen auch ohne Mandat setzeslage bestätigt das keineswegs. Mit men. Mit der Bereitschaft zur Teilnahme des UN-Sicherheitsrates vorsieht, dass dem Artikel 23f wurde aber eine Bestim- österreichischer Verbände an Kampf- also durch diesen Vertrag und demnach mung geschaffen, die die Gegner der gruppen wurden also die Weichen für de- durch Artikel 23f Beschlüsse möglich Neutralität ermuntert, gegen das Neutra- ren tatsächlichen Kampfeinsatz gestellt. werden, die als Verletzung der UN- litätsgesetz zu verstoßen. Charta anzusehen sind. PfP: Auf dem Weg in die NATO Die wesentliche Festlegung des Absat- EU-KKampfgruppen Durch die Teilnahme Österreichs an zes 3 des Artikels 23f, die die Entschei- und Österreich der NATO-Partnerschaft-für-den-Frie- dung über das österreichische Stimmver- Im Zug des mit dem Amsterdamer- den (PfP – Partnership for Peace) wird halten in einer Frage von „Krieg oder Vertrag eingeleiteten Militarisierungs- die Zusammenarbeit mit der NATO lau- Frieden“ allein dem Bundeskanzler und prozesses und der beschlossenen Peters- fend intensiviert. Zu prüfen ist: Kommt dem Außenminister überträgt ist aus ver- berger-Aufgaben hat die EU den Aufbau es da nicht bereits zu einer Verletzung fassungsrechtlicher und demokratiepoli- einer EU-Eingreiftruppe und dann von der wesentlichen Verpflichtung aus dem tischer Sicht inakzeptabel. Während bei schnell einsatzbereiten Kampfgruppen Neutralitätsgesetz, in dem ausdrücklich Verhandlungen im Rahmen der EU die („battle groups“) beschlossen. Die EU- angeführt ist „Neutralität bedeutet keine verhandelnden österreichischen Bundes- Eingreiftruppe soll 60 000 Soldaten stark Zugehörigkeit zu einem Militärbünd- minister das Einvernehmen mit dem sein. Als Kampfgruppen sollen zunächst nis“? Eine kritische Prüfung dieser Frage Hauptausschuss des Nationalrates herzu- 7 bis 9 Gefechtsverbände von je 1500 ist geboten, von Regierung und Militär- stellen haben, kann über das österreichi- SoldatInnen aufgestellt werden, die je- führung ist sie allerdings nicht zu erwar- sche Stimmverhalten hinsichtlich von denfalls auch für Kampfeinsätze („am ten. Denn von dieser Seite wird einer- EU-Militäreinsätzen, das gravierende oberen Ende des Petersberger-Aufgaben- seits behauptet: Österreichs Teilnahme Konsequenzen für Europa und für die in- spektrums“) und außerhalb des Gebietes an der PfP ist kein Beitritt zur NATO, ternationale Entwicklung im Allgemei- der EU herangezogen werden können. die PfP sei kein Militärbündnis sondern nen haben kann, von zwei Regierungs- Verteidigungsminister Günther Platter nur eine Zusammenarbeit bei bestimm- mitgliedern alleine – ohne jede parla- hat Ende 2004 bekannt gegeben, dass ten Programmen. Andererseits wird ge- mentarische Kontrolle oder Mitbestim- Österreich Einheiten für die EU-Kampf- rade in Schriften des Bundesministerium mung – entschieden werden. Der Absatz gruppen zur Verfügung stellen wird. Sie für Landesverteidigung behauptet, „die 4 des Artikel 23f legt zwar fest, dass über sollen in eine Kampfgruppe eingeglie- Neutralität sei nun völkerrechtlich und

3/05 10 Beiträge Bereits jetzt sieht die NATO-Operati- onsplanung vor, dass PfP-Staaten in ver- schiedenen Phasen einer Militäroperati- on einbezogen werden können – bei vor- bereitenden Konsultationen, der Operati- onsplanung und bei der Kommando- strukturierung für den tatsächlichen Ein- satz. Die Entscheidungshoheit verbleibt allerdings immer beim Nordatlantikrat, dem höchsten NATO-Gremium. Die konkreten Formen der Zusammen- arbeit, an denen Österreich im Rahmen der PfP teilnimmt, sind als Vorbereitung für Einsätze österreichischer Militärver- bände bei NATO-Operationen zu verste- hen. Es geht insbesondere darum, die „NATO-Interoperabilitätskriterien“ bei österreichischen Verbänden anzuwen- den. Österreichische Offiziere nehmen an den „PfP-Elementen“ teil, die auf ver- schiedenen Kommandoebenen der NA- TO eingerichtet wurden. Dadurch soll verfassungsrechtlich äußerst einge- Die im Rahmen der PfP-plus vorgesehe- gesichert werden, dass konkrete Aktions- schränkt und ist heutzutage sowohl fak- nen Bereiche der Zusammenarbeit ent- pläne eines NATO-Kommandos von tisch als auch mittlerweile rechtlich sprechen nun etwa den Petersberger-Auf- österreichischen Verbänden wirkungs- kaum mehr gegeben“ (siehe G. Hauser, gaben, umfassen also auch „Kampf- voll unterstützt werden. Österreich leitet Truppendienst 2/2005). Solche Behaup- einsätze bei der Krisenbewältigung und Expertengruppen zu Fragen regionaler tungen sind wohl nicht als persönliche friedenschaffende Maßnahmen“, also Stabilität in Südost-Europa, im südlichen Einschätzung eines einzelnen Artikelver- Kriegseinsätze. Streitkräfte von PfP-Part- Kaukasus und in Zentralasien, an denen fassers anzusehen, denn sie werden si- nerstaaten sollen nun auch für Einsätze Vertreter der Verteidigungsakademien cherlich nicht ohne Approbierung durch der NATO zur Wiederherstellung von von PfP- und NATO-Staaten teilnehmen. eine dem Bundesministerium für Lan- Frieden eingesetzt werden können. Von Es handelt sich offensichtlich um Regio- desverteidigung unterstehende Schrift- österreichischer Seite wurde dann 1998 nen, für die die Möglichkeit von NATO- leitung abgedruckt. Man hat also den beschlossen, dass die Zusammenarbeit Einsätzen im Auge behalten wird. Eindruck: Die Neutralität ist für das Ver- Österreichs im Rahmen der PfP alle von Von 1995 bis 2003 hat Österreich an teidigungsministerium praktisch nicht der NATO ins Auge gefassten Aufgaben- über 70 NATO-PfP-Übungen teilgenom- mehr existent, und daher ist auch nicht bereiche umfassen soll. Die Ziele der Zu- men. Mehr als vier Jahre, von Dezember zu überlegen, ob PfP-Aktivitäten Öster- sammenarbeit wurden in einem damals 1995 bis März 2000, gab es eine enge reichs neutralitätswidrig sind. erschienenen Überblick genannt: „Ent- Zusammenarbeit zwischen österreichi- Die Teilnahme Österreichs an der PfP wicklung kooperativer militärischer Be- schen und US-amerikanischen Mi- hat sich schrittweise in Richtung einer ziehungen zur NATO in Hinblick auf litäreinrichtungen zur Versorgung der Vorbereitung auf Kampfeinsätze ent- Planung, Ausbildung, Übungen und die Einheiten der US-Armee, die in Bosnien wickelt. Die Institution PfP wurde 1994 Fähigkeit zu gemeinsamen Einsätzen zu im Einsatz waren. Bei Bruckneudorf von der NATO beschlossen um die Zu- erhöhen ... auf lange Sicht: Entwicklung wurde ein Versorgungsstützpunkt einge- sammenarbeit mit Nicht-NATO-Mitglie- von Streitkräften, die besser mit jenen der richtet, der der Abwicklung des Transits dern zu intensivieren und so eine bessere NATO zusammenarbeiten können“ (H. von US-Militärpersonal und Versor- Kontrolle über ihre militärischen Akti- Malat, Truppendienst 3/1988). Als Berei- gungsgütern diente. Dort wurde auch vitäten ausüben zu können. Österreich che der Zusammenarbeit Österreichs mit amerikanisches Personal stationiert. hat den Beitritt zur PfP 1995 erklärt. In der NATO werden dann genannt: Kon- 20.000 US-Soldaten haben auf dem der damals abgegebenen österreichischen fliktverhütung, Friedenschaffung, Frie- Stützpunkt genächtigt, wurden dort ver- Erklärung über die gewünschten Berei- denserhaltung, Friedensdurchsetzung. pflegt und ihre Fahrzeuge wurden auf che der Zusammenarbeit mit der N ATO Für Militärs bedeuten die meisten dieser der Fahrt durch Österreich betankt. wurden vor allem humanitäre Aufgaben, Begriffe Kampfeinsätze. An anderer Stel- Bei einem Symposium im Parlament wurde die Zusammenarbeit bei Rettungs- le wurde formuliert, dass die PfP dazu aus Anlass „10 Jahre österreichische und Katastropheneinsätzen und bei frie- dient, die „Partner für eine Teilnahme an Mitgliedschaft in der PfP“ (am 14. März denserhaltenden Einsätzen genannt. In multinationalen friedens-/unterstützen- 2005) hat Verteidigungsminister den Jahren darauf folgte jedoch eine Ver- den Operationen vorzubereiten und sie Günther Platter angekündigt, dass Öster- schiebung zur Betonung einer Vorberei- dazu an Struktur und Verfahren der NA- reich sein Engagement in der PfP weiter tung auf militärische Kampfeinsätze. TO heranzuführen“. In entsprechenden ausbauen wird, dass also die österreichi- 1997 wurde von der Situationen würde es dann bis zur vollen sche Militärführung die Zusammenarbeit NATO eine Ausweitung der PfP-Akti- Einbeziehung der Militärverbände von mit der NATO verstärken will. Er geht vitäten beschlossen, d.h. zu einer „ver- PfP-Partnern wie Österreich in Operatio- dabei von einer Lobpreisung der NATO tieften PfP“oder „PfP plus“ überzugehen. nen der NATO nicht weit sein. aus: „Die NATO wird auch in Zukunft

3/05 Beiträge 11 eine Stütze der Stabilität und der Sicher- tralität sind zu registrieren. Bundespräsi- ter an der PfP teilnimmt ist eine parlamen- heit sein; das war sie auch in Zeiten des dent Heinz Fischer hat in seiner Eröff- tarische Kontrolle einzurichten, die vor al- Kalten Krieges.“ Und er orientiert die nungsansprache beim Internationalen lem dem Neutralitätsstatus widerspre- österreichische Sicherheitspolitik letzt- Bertha-von-Suttner-Symposium am 27. chende oder ihn untergrabende Aktivitä- lich auf die NATO, denn er schätzt ein, Mai 2005 in der Stadthalle von Eggen- ten zu unterbinden hätte. dass weder die Vereinten Nationen noch burg erklärt: „Diese (die Neutralität) hat – Die vom Nationalrat am 12. Dezember die OSZE noch die EU ohne Abstützung auch heute einen besonders hohen Stel- 2001 beschlossene „Sicherheits- und auf NATO-Mittel agieren können. Also lenwert, weil sie nach wie vor aktuell ist. Verteidigungsdoktrin“ ist durch eine folgert er: „Österreich wird eine komple- Die Neutralität besagt, dass wir keinem neue Richtlinie für die Politik der Bun- mentäre und enge Zusammenarbeit zwi- Militärpakt beitreten und dass wir keine desregierung zu ersetzen. Aufzuheben schen EU und NATO unterstützen und ausländischen Truppen in Österreich sta- wird sein die Ermächtigung der Bundes- seine eigenen Beziehungen zum transat- tioniert haben. Neutralität ist auch mög- regierung, Bemühungen im Rahmen der lantischen Bündnis konsequent weiter- lich, wenn man sich positiv zu Europa EU für eine gemeinsame europäische entwickeln“. (Hinweis auf den Wortlauf und zur EU bekennt und ist vereinbar mit Verteidigung zu unterstützen. Eine enge der Rede im www – siehe oben) Solidarität und friedenserhaltenden Maß- Zusammenarbeit von EU und NATO ist nahmen“ (siehe www.Hofburg.at, Re- aus dem Zielkatalog österreichischer Po- Sicherheits- und Verteidi- den). Kurz nach seiner Ernennung zum litik zu streichen. Vor allem ist der jetzt gungsdoktrin 2001 Staatssekretär im Bundesministerium für enthaltene Punkt über die Prüfung der Als Teil der Bemühungen zur Liqui- auswärtige Angelegenheiten im Juli Möglichkeiten einer NATO-Mitglied- dierung der Neutralität und zur verteidi- 2005 hat Dr. Hans Winkler in einem schaft Österreichs zu eliminieren. gungspolitischen Integration Österreichs Fernsehinterview betont, dass die Auf- Mit der Durchsetzung solcher Forde- in die EU begannen im Jahr 2000 in Re- rechterhaltung der Neutralität – als we- rungen würde den Vorstellungen der gierung und Parlament Bemühungen zur sentliches Element der Außenpolitik – großen Mehrheit der Österreicherinnen Beschlussfassung einer neuen Sicher- für ihn ein wichtiges Anliegen ist. und Österreicher entsprochen werden: heits- und Verteidigungsdoktrin. Versu- Solche Aussagen sind natürlich zu be- Sicherung der vor fünfzig Jahren be- che zur Ausarbeitung einer von allen vier grüßen. Doch um die Bestrebungen zur schlossenen immerwährenden Neutra- Parlamentsparteien getragenen „Dok- Liquidierung der Neutralität in die lität – im Interesse Österreichs und als trin“ scheiterten – vor allem weil die Re- Schranken zu weisen, muss ihnen mit Beitrag zu einer friedlichen internatio- gierungsparteien eine „Rutsche in Rich- klarer Kritik entgegengetreten werden nalen Entwicklung. tung NATO“ legen wollten (Formulie- und es müssen definitive Schritte gefor- rung des Sprechers der SPÖ Caspar Ei- dert werden. Sonst werden auch Stellung- nem in der Parlamentsdebatte) – sodass nahmen mit positiver Bewertung der In eigener Sache am 12. Dezember 2001 eine neuer Si- Neutralität Lippenbekenntnisse bleiben. cherheitsdoktrin als Orientierung für die Es bedarf eines Forderungsprogramms ie Mitteilungen der Alfred Klahr Politik der Bundesregierung mit den für die Absicherung der Neutralität Öster- DGesellschaft werden vier Mal im Stimmen der Regierungsparteien, ÖVP reichs. Dieses sollte jedenfalls beinhalten: Jahr neben den Mitgliedern unserer und FPÖ, im Nationalrat beschlossen – Die Priorität des Neutralitätsgesetzes Gesellschaft auch an zahlreiche Insti- wurde. In Übereinstimmung mit der Ori- muss in allen österreichischen Gesetzen tutionen, Vereine und Gesellschaften, entierung von EU und NATO auf Mi- und Verordnungen, die sicherheits- und sowie an Personen, die an den Akti- litäreinsätze auch weitab von den eigenen verteidigungspolitische Fragen betreffen, vitäten und Publikationen der AKG Territorien wird darin auch für Österreich klar zum Ausdruck kommen. interessiert sind, gesendet. die Möglichkeit einer Teilnahme an Mi- – Artikel 23f der Verfassung ist zu no- Nachdem wir nicht nur mit einer litärinterventionen weit weg von unserem vellieren. Das Abstimmungsverhalten weiteren Erhöhung der Posttarife, Land formuliert. Befürwortet wird eine Österreichs im Rahmen der EU über sondern auch mit einer insgesamt vertiefte Zusammenarbeit von EU und Einsätze von Streitkräften von EU-Mit- schwierigen finanziellen Situation NATO, und die Bundesregierung wird gliedstaaten ist vom Ministerrat und konfrontiert sind, bitten wir all jene, beauftragt, die Option einer NATO-Mit- dem Hauptausschuss des Nationalrates die an einem Weiterbezug der Mittei- gliedschaft Österreichs im Auge zu be- mit Zwei-Drittel-Mehrheit zu be- lungen der Alfred Klahr Gesellschaft halten. Österreichs Status soll nicht mehr schließen. Eine Zustimmung zu einem interessiert sind und nicht Mitglied un- als „neutral“ sondern als „allianzfrei“ Kampfeinsatz von Streitkräften der EU- serer Gesellschaft sind, als Beitrag zu verstanden werden. (Anlage zu 939 der Staaten darf es nur geben, wenn ein den Druckkosten und zum Versand un- Beilagen zu den Stenographischen Proto- Mandat des Sicherheitsrates der Verein- seres Periodikums ein Jahresabonne- kollen des Nationalrats XXI. GP) ten Nationen vorliegt. ment zum Preis von 4,4– Euro (vier – Die Teilnahme Österreichs an der NA- Ausgaben) bzw. ein Förderabo in einer Gegenstimmen: Die Neutralität TO-Partnerschaft-für-den-Frieden (PfP) selbst zu bestimmenden Höhe zu lösen. ist weiter aktuell ist zu beenden, da sie eine enge Zusam- Bitte überweisen Sie diese Summe Nicht alle Politiker in verantwortlichen menarbeit mit dem Militärbündnis NATO auf das Konto der Alfred Klahr Ge- Positionen ziehen bei den Bemühungen darstellt. Diese Zusammenarbeit orientiert sellschaft (PSK 92023930, BLZ zur Liquidierung der Neutralität mit bzw. auf Mitwirkung österreichischer Verbän- 60.000), bzw. senden Sie uns ein e- wird die Behauptung, dass es die Neutra- de an NATO-Militäroperationen, bei de- mail ([email protected]) mit lität kaum noch gibt, nicht allgemein un- nen der österreichische Status dem eines dem Subject „Abonnement“. Wir las- terstützt. In den letzten Monaten vorge- NATO-Mitglieds weitgehend angegli- sen Ihnen in diesem Fall einen Erlag- tragene positive Bewertungen der Neu- chen sein würde. Solange Österreich wei- schein zukommen.

3/05 12 Beiträge Neutralität „zum Wohle Österreichs selbst und der Erhaltung des europäischen Friedens“ Ein Grundgedanke von Heinrich Lammasch GERHARD OBERKOFLER

Das 50-jährige Bestehen des Bundes- […] Der Hofrat Lammasch bleibe der bungen, Europa so bald als möglich aus verfassungsgesetzes vom 26. Oktober Menschheit und dem Vaterland erhal- der Hölle des gegenwärtigen Krieges 1955 über die immerwährende Neutra- ten, damit sie wieder zueinander kom- herauszuführen und dessen weiteres lität Österreichs gibt Anlass, an die men! So niedrig die Zeit ist, in der er Ausbluten zu hindern, begrüßen, mögen große österreichische Persönlichkeit lebt – er lebe hoch!“1 sie woher auch immer kommen, wenn Heinrich Lammasch zu erinnern. Hein- Was war der Anlass dieser leiden- nur die wirklichen Lebensbedingungen rich Lammasch, Wiener Straf- und Völ- schaftlichen Parteinahme von Kraus für seines Volkes ebenso wie die der ande- kerrechtler, k. k. Ministerpräsident und den „Richter von Haag, dessen Zeugen- ren durch den Friedensschluß erhalten Mitglied des Internationalen Schiedsge- schaft für Haag alle Mörser übertönen bleiben. […] Drei Jahre lang war in ei- richtshofes im Haag, ist in Konsequenz müßte“?2 Der große österreichische Völ- nem großen Teil des Proletariats die Er- seines aktiven Einsatzes für den Frieden kerrechtslehrer Heinrich Lammasch kenntnis verdunkelt, daß die Arbeiter der und für die Gestaltung von internationa- (* 21.5.1853 Seitenstetten, + 6.1.1920 verschiedenen Staaten weit mehr Inter- len Beziehungen, die Kriege ausschließt, Salzburg)3 hatte sich mitten im Welt- essen miteinander gemeinsam haben als als erster für die immerwährende Neu- krieg im Herrenhaus, als dessen Mitglied Arbeiter und Unternehmer desselben tralität Österreichs eingetreten. In der er seit 11. September 1899 auf Lebens- Landes, daß darum jeder Krieg für sie Zeit, in der er lebte, waren die Hinder- dauer berufen worden war, am 28. Juni ein Bruderkrieg ist. Und haben sie auch nisse für die Verwirklichung solcher 1917, am 27. Oktober 1917 und am 28. weniger materielle Güter durch einen Vorstellungen unüberwindbar. Februar 1918 gegen die herrschende Krieg zu verlieren als andere Schichten Klasse, die seine eigene war, mit Reden der Gesellschaft, so steht doch in ihrer ür Lammasch“ – so titelt Karl entgegengestellt, die wie Granaten ein- persönlichen Arbeitskraft für sie alles Kraus (1874–1936) im Frühjahr schlugen. Österreich sollte die Initiative auf dem Spiele. Der Verlust des die Fa- F1918 einen seiner Vorträge, der im für einen Frieden ohne Annexionen er- milie ernährenden Oberhauptes, die Ver- Maiheft 1918 in der von ihm herausge- greifen, verbunden mit Rüstungsein- minderung der Erwerbsfähigkeit des ver- gebenen Die Fackel abgedruckt ist. Dort schränkungen, Gleichberechtigung der stümmelten oder durch Krankheit ge- lesen wir weiter: „Die politisch-geistige Nationen und friedlicher Schlichtung schwächten Vaters, die Zerrüttung der Gaswelle, der wir uns überlassen haben künftiger internationaler Streitigkeiten. Gesundheit der in der Sorge für das täg- und die uns heillos in die verkehrte Rich- Zu der Politik des Friedens ohne Anne- liche Brot erschöpften Mutter, der Man- tung treibt, kann nicht verhindern, daß xionen gehöre auch, andere Völker nicht gel an Unterricht, die verwahrloste Er- reinere und im tieferen Sinn patriotische in eine militärische, politische, ökonomi- ziehung der im Kriege aufgewachsenen Herzen unverändert und mit jeder Stun- sche oder andere Abhängigkeit zu zwin- Kinder, die Schwierigkeit, wieder in ge- de nur noch inbrünstiger das fühlen, was gen. Lammasch verurteilte den „Geist ordnete Erwerbsverhältnisse zurückzu- zu sagen manchmal verpönt ist. Allzuvie- von Potsdam“, den er als Geist der Bar- finden, kann für sie durch keinen Gewinn le in diesem Lande, das so gern sein We- barei und als Geist der Brutalität qualifi- an räumlicher Ausdehnung und an poli- sen zum Opfer bringt, sind es nicht. We- zierte. Jene aristokratischen und bürger- tischer Macht ausgeglichen werden, den nige sind es, die den Inbegriff eines gut- lichen Mitglieder des Herrenhauses, die ihr Vaterland aus dem Kriege zöge. Von gearteten Österreichertums bilden und zu Anwälten der rheinisch-westfälischen dem Gewinn, den daraus die Banken, die den einzigen Schatz, der uns der Welt als Schwerindustrie hinab gesunken waren, Reeder, der Großhandel, die Großindu- dem Absatzmarkt innerer Werte – die würden Verrat an den Interessen des strie ziehen, fällt nur ein so winziges Pofelware scheint auf ihn definitiv ver- österreichischen Volkes üben. Noch vor Prozentchen auf sie, daß es begreiflich zichten zu wollen – fürder empfehlen seinen Herrenhausreden hatte der rö- wird, wenn gerade sie von Gebietserwer- könnte. Aber zu diesen, deren Bild im misch katholische und kaisertreue Pro- bungen größeren Umfangs nichts wissen Gasdunst getrübt wird, daß Verdienst als fessor Lammasch in der Arbeiter-Zei- wollen, um derentwillen der Krieg noch Schuld und Treue als Verrat erscheint, tung (7. Juni 1917) die Einberufung der verlängert werden sollte. Darum ist ihre gehört der Hofrat Heinrich Lammasch, internationalen sozialistischen Friedens- Losung der Friede ‚ohne Annexionen‘, den Weisheit und Leidenschaft mehr als konferenz nach Stockholm (5.–12. Sep- von denen sie nur zu gut aus der Erfah- die Pairswürde zieren, dessen Vorzug tember 1917) begrüßt, die dann ein Ma- rung wissen, daß sie nur den Keim le- es ist, sich im Verkehr mit Historikern, nifest annahm, in dem zur Beendigung gen zu künftigen Kriegen. […].“ Zwei- Zeitungsreportern, Berufspolitkern und des Krieges durch proletarische Mas- fellos war er für die Sozialdemokratie ähnlichen Parasiten am Geiste und am senaktionen aufgerufen wurde, aber kei- selbst ein Fortschritt, dass in ihrem Or- Blute jene Blöße zu geben, die seine ne konkrete Maßnahmen festlegte. Auf gan Lammasch einen Frieden ohne An- Menschlichkeit ist, und der, wie die Seite 1 brachte die Arbeiter-Zeitung je- nexionen forderte. Im ersten Welt- Neue Freie Presse meint, das Unglück nen Artikel von Lammasch, der so be- kriegsjahr hat (1870–1950) gehabt hat, >in Widerspruch zu den An- ginnt: „Jeder Freund der Menschheit die prinzipielle Ablehnung von Anne- sichten des Blattes gekommen zu sein<. und der Menschlichkeit muß alle Bestre- xionen als „ganz unsinnig“ bezeichnet.

3/05 Beiträge 13 gierte. Die Konferenzen sollten auf dem und wenn dieser ihn nicht in der erwarte- Erfahrungen als Völkerrechtler Hintergrund des imperialistischen ten Weise unterstützt“ (28 f.). Diese Aus- und Schiedsrichter im Haag Wettrüstens vor allem der Kodifikation sage verschärft bzw. beschränkt er 1916 Heinrich Lammasch, einziger Sohn des Rechtes der friedlichen Beilegung in seinem Artikel „Die Grenze der Ver- des früh verstorbenen k. k. Notars im internationaler Streitfälle sowie des tragstreue im Völkerrecht“: „Das Resul- Wiener Bezirk Neubau Heinrich Lam- Kriegs- und Neutralitätsrechtes dienen. tat dieser Erörterungen läßt sich daher zu- masch (1823–1865) und der Anna geb. Die Kriegsgefahr war in dieser Periode sammenfassen, daß Verträge nicht ver- Schauenstein (1829–1891), hatte zuerst durch die Aufrüstung enorm. Karl Kauts- bindlich sind, durch die ein Staat sich ei- eine für die Monarchie typische Lauf- ky (1854–1938) meinte in seiner 1909 nem andern gegenüber verpflichtet, aus bahn eines k. k. o. ö. Universitätsprofes- veröffentlichten Broschüre „Der Weg zur einem Grunde, der zunächst diesen ande- sors der Rechts- und Staatswissenschaf- Macht“, die als seine letzte marxistische ren Staat betrifft, für den Fall eines (mehr ten hinter sich gebracht. In Wien für Schrift vor seinem offenen Übergang zu oder weniger bestimmt bezeichneten) Strafrecht habilitiert (1879) war er 1885 zentristischen Positionen gilt, weil er dar- künftigen Ereignisses in den Geschicken auf die ordentliche Professur für Straf- in den revolutionären Kampf zum Pro- eben dieses Staates, einen Krieg zu recht, Rechtsphilosophie und Völker- blem der unmittelbaren Gegenwart er- führen, oder daß doch solchen Verträgen recht an die Innsbrucker Universität be- klärte, dass die politischen Verhältnisse gegenüber zum allermindesten die clau- rufen worden, von dort 1889 auf das Or- in Europa schon längst zum Krieg geführt sula rebus sic stantibus angerufen werden dinariat für Strafrecht und Völkerrecht in hätte, „wenn nicht eben diese Alternative kann.“7 Über das Hauptwerk von Lam- Wien, was für Georg Jellinek (1851– der Revolution hinter dem Kriege noch masch während des Krieges „Das Völ- 1911) der Anlass war, beleidigt seine näher stände als hinter dem bewaffneten kerrecht nach dem Kriege“ (= Publicati- Wiener Stellung aufzugeben, weil er ge- Frieden. Es ist die steigende Kraft der ons de l'Institut Nobel Norvegien tome glaubt hatte, einen Anspruch auf das Proletariats, die seit drei Jahrzehnten je- III) (Kristiania 1917, 218 Seiten) schreibt Völkerrecht zu haben. Es hatte sich dazu den europäischen Krieg verhindert, die der Schweizer Völkerrechtler Otfried eine Pressepolemik entwickelt, indem auch jetzt jede Regierung vor einem sol- Nippold (1864–1938)8: „Es ist der wah- Lammasch als Exponent der antisemiti- chen zurückschaudern lässt“.5 re, echte Geist des Völkerrechts, der uns schen Klerikalen eingeschätzt wurde. Im Lammasch wusste sehr genau, welches hier entgegentritt! Wäre er bei allen Völ- Strafrecht vertrat Lammasch strikt kon- Unheil Österreich von seinem Bündnis kerrechtslehrern vorhanden, dann servative Positionen, sodass Isidor Ing- mit Deutschland droht, er forderte des- brauchte uns um die Zukunft der Völker- wer (1866–1942) in der sozialdemokrati- halb Österreich auf, das Bündnis mit rechtswissenschaft wahrlich nicht bange schen Monatszeitschrift Der Kampf Deutschland zu überprüfen. In seiner Ab- zu sein.“9 Lammasch hat in diesem Werk meinte, der von Lammasch mit ausgear- handlung über „Vertragstreue im Völker- die Auffassung vertreten, „alle Sonder- beitete, aber vom Abgeordnetenhaus recht?“6 publizierte Lammasch auf dem bündnisse (auf beiden Seiten) stünden im nicht verabschiedete Regierungsentwurf Hintergrund des imperialistischen Krie- Widerspruch mit einem allgemeinen Ver- für ein neues Strafgesetzbuch von 1909 ges den Grundsatz, dass militärische bande zur Sicherung des Weltfriedens, sei „ein Ragout in der Hexenküche der Bündnisse ungültig werden können und der notwendig ist, wenn der Friede ein Reaktion“.4 Was Ingwer nicht gesehen Bündnispartner berechtig sind, Separat- dauernder sein soll“.10 hat, waren die weitgehenden Forderun- frieden zu schließen: „Am häufigsten Als Mitglied des ständigen Internatio- gen von Lammasch zum Schutz von wird sich die Notwendigkeit, von Verträ- nalen Schiedsgerichtshofes in Den Haag Körper, Gesundheit und Arbeitskraft der gen abzugehen, im Kriege ergeben. Nicht wurde Lammasch viermal zum völker- Arbeiter. Lammasch ordnete seine Ab- bloß zwischen den Kontrahenten, die nun rechtlichen Schiedsrichter berufen. Erst lehnung der Todesstrafe hinter das mas- Feinde gegeneinander geworden sind. indem Lammasch mit dieser Tätigkeit die senweise Töten von Menschen durch ei- […] Ja sogar einem durch eine Offensiv- prinzipiellen Interessen der Menschheit nen Krieg ein, welche Meinung von in oder Defensivallianz Verbündeten kann an einer friedlichen Entwicklung auf- der Dimension der strafrechtlichen Auf- es unmöglich werden, die Pflicht, keinen nahm, erhob er sich über das graue rüstung denkenden Professoren wie Separatfrieden abzuschließen, einzuhal- Durchschnittsniveau eines Professors und Wenzeslaus Graf Gleispach (1876– ten. Sind die Kräfte eines der Verbünde- wurde zu einer großen Persönlichkeit. 1944) schroff zurückgewiesen wurde. ten der Erschöpfung nahe oder könnte er Die Schiedsgerichtsbarkeit gibt es schon Hauptsächlich durch sein Buch über sich nur durch eine Unterstützung seines seit dem frühen Altertum und war in den „Auslieferungspflicht und Asylrecht. Ei- Verbündeten erhalten, durch die er in Sklavenhalterstaaten Vorderasiens sowie ne Studie über Theorie und Praxis des völlige Abhängigkeit von diesem geriete, in Athen und Rom bekannt. In der Epo- internationalen Strafrechtes“ (Leipzig dann wird die Versuchung für ihn eine che des Feudalismus wurden in West- 1887, XVI und 912 Seiten), das die bür- fast unwiderstehliche sein, sich an jene und Osteuropa oft Schiedsgerichte ange- gerlich demokratischen Errungenschaf- Verpflichtung nicht länger zu halten. Für rufen, wobei als Einzelschiedsrichter ten in dieser Frage präzisierte, gewann diesen formellen Bruch der Vertragstreue überwiegend Vertreter der kirchlichen Lammasch auf dem Gebiet des Völker- wird er umso eher Indemnität vor dem Hierarchie sowie Monarchen tätig wur- rechts großes internationales Ansehen, Urteil der übrigen Staaten und der Ge- den. Die Macht der Gerichte verstärkte weshalb er 1887 in das Institut de Droit schichte erlangen, als er dadurch der Ge- sich mit der Entwicklung des Kapitalis- International gewählt wurde. Dieses In- samtheit die Leiden des Krieges abkürzt, mus, was Karl Marx (1818–1883) und stitut war an den Vorbereitungen der bei- nicht nur sich selbst rettet, sondern sich Friedrich Engels (1820–1895) veranlas- den Haager Friedenskonferenzen 1899 um alle verdient macht, mit Ausnahme ei- ste, die Rolle der Schiedsgerichtsbarkeit und 1907 beteiligt, an denen Lammasch nes oder einiger. Besonders dann wird in den internationalen Beziehungen her- als wissenschaftlicher Berater der öster- dies geschehen, wenn nicht er, sondern vorzuheben.11 Es waren die erfolgreichen reichisch-ungarischen Delegation fun- der andere Teil zum Krieg gedrängt hatte Schiedssprüche, an denen Lammasch

3/05 14 Beiträge mitgewirkt hatte, dass der Völkerbund zu pressen. Hoffentlich ist der Herr Fun- 1919 war Lammasch in untergeordneter die Schiedsgerichtsbarkeit als ein wesent- der nicht allzu neugierig, zu erfahren, wie Rolle als Sachverständiger der öster- liches, ja vielleicht wesentlichstes Mittel Lammasch über die Kriegsschuld, der reichischen Delegation in St. Germain. zur Erledigung von Streitigkeiten propa- Habsburger sowohl wie ihrer journalisti- Wortführer der Delegation war Karl gierte. Zu den Ergebnissen der Haager schen Lakaien, gedacht und ob er, in der Renner, der bei der Abreise am Wiener Konferenzen veröffentlichte Lammasch Frage nach der Gesinnung im Krieg wie Westbahnhof die Erklärung abgegeben „Die Lehre von der Schiedsgerichtsbar- insbesondere nach der Bestrafung vor ei- hatte, das Verhandlungsziel der Österrei- keit in ihrem ganzen Umfange“.12 nem internationalen Gerichtshof, etwa ei- cher sei der Anschluss Österreichs an Lammasch meinte, dass internationale nen Unterschied zwischen einem erz- Deutschland. Österreichs Sozialdemo- Untersuchungskommissionen „gegenü- christlichen und einem erzjüdischen Zei- kratische Partei war bei allen ökonomi- ber den einseitigen, leidenschaftlich tungsherausgeber gemacht hat.“16 schen Kampfzielen und Kampferfolgen übertreibenden und aufreizenden Dar- explizit an der Erhaltung der Herrschaft stellungen der befangenen Presse der am Für eine Neuorientierung der Bourgeoisie in Form der bürgerli- Streite beteiligten Staaten, möglicherwei- Österreichs chen Demokratie interessiert. Obschon se auch gegenüber parlamentarischen Am 27. Oktober 1918, als die Völker sich stets als Neuerer darstellend, war Brandstiftungsversuchen von allergröß- der Monarchie selbst die Initiative ergrif- Renner an diesem Wendepunkt der tem Werte für die Erhaltung des Friedens fen hatten, ernannte Kaiser Karl (1887– österreichischen Geschichte offener Re- sein [können]“.13 Die kriegshetzerische 1922) Lammasch als Nachfolger von aktionär. Deshalb überrascht es nicht, Journaille verachtete Lammasch zutiefst. Max Hussarek (1865–1935) zu seinem dass er nicht zwanzig Jahre später für die In Österreich ist, auch wenn wir in einer „österreichischen Ministerpräsidenten“. am 10. April 1938 anberaumte Volksab- anderen historischen Periode leben, deren Die Aufgabe von Lammasch bestand dar- stimmung für den „Anschluss“ Öster- scheußliche Rolle im Zusammenhang mit in, die durch das kaiserliche Manifest reichs an Deutschland sein der Nazipro- der NATO-Bombardierung von Serbien vom 16. Oktober 1917 schon eingeleitete paganda hoch willkommenes Ja-Wort im März 1999 aufs neue deutlich gewor- und von der Revolution vorangetriebene abgab.18 Schon in der Resolution des so- den. Österreichs Boulevard für Intellektu- Auflösung des alten österreichischen Ein- zialdemokratischen Parteitages vom 1. elle wie Die Presse oder Der Standard heitsstaates möglichst ohne blutige November 1918 hatte es geheißen, dass schrieben nie von den Alternativen zum Kämpfe durchzuführen. Es soll nicht ver- Deutschösterreich, auf sich selbst ge- Eingreifen der NATO, beglückwünsch- gessen werden, dass der von der Repu- stellt, kein wirtschaftlich lebensfähiges ten vielmehr Deutschland zur ersten mi- blik hofierte Wiener Spitzenjurist Hans Gebilde sei. Für einen innovativen histo- litärischen Aggression nach dem zweiten Kelsen (1881–1973) in den ersten Okto- rischen Prozess offen war dagegen die Weltkrieg. Am liebsten wäre es ihnen ge- bertagen 1918 am Grünen Tisch des k. u. Auffassung von Lammasch, die davon wesen, wenn Österreich mit Deutschland k. Kriegsministeriums als spiritus rector ausging, dass Österreich zwar verhältnis- mitbomben hätte dürfen. Karl Kraus einer Konferenz der höchsten militäri- mäßig arm an materiellen Ressourcen sprach in Salzburg mit Lammasch von schen Prominenz agierte, die hinter dem war, doch ausgestattet ist mit einer aus- der Mitschuld der Presse am Krieg. Rücken der Völker der Monarchie nach baufähigen landwirtschaftlichen und in- Kraus meinte, dass Millionen Menschen einer „für alle Verhältnisse passenden“ dustriellen Grundlage und, als Erbe der am Leben geblieben wären, „wenn man Wehrmachtskonstruktion suchte.17 Nicht Monarchie, mit qualitativ hoch stehen- rechtzeitig die hervorragendsten Zei- zuletzt deshalb, weil die Völker an seiner den bürgerlich rechtsstaatlichen Institu- tungsherausgeber gehenkt hätte, vor al- Ehrlichkeit und Gesinnungsaufrichtigkeit tionen und mit starken zivilgesellschaft- lem den Benedikt“. Lammasch rief dazu keinen Zweifel hatten, gelang Lammasch lichen Einrichtungen, deren Bedeutung aus: „Aber den Funder auch!“ Ange- die verhältnismäßig friedliche Auflösung für die bürgerliche Gesellschaft Antonio sprochen waren die einflussreichen, kei- der Habsburgermonarchie. In seinem Mi- Gramsci (1891–1937) betont. Am 15. ner Schufterei abgeneigten Schreiblakai- nisterium war Prälat Mai 1919 veröffentlichte Lammasch in en der Bourgeoisie der Neuen Freien (1876–1932) Sozialminister, dessen der in Basel als Organ für Handel und In- Presse Moritz Benedikt (1849–1920) und schiesswütiger Hass auf die Arbeiterbe- dustrie erscheinenden National-Zeitung der Reichspost Friedrich Funder wegung zu dieser Zeit noch nicht erkenn- unter dem Pseudonym „Von einem Oe- (1872–1959).14 Schon unmittelbar nach bar war. Am 11. November 1918 gab sterreicher“ den hervorragenden Artikel dem Ableben von Lammasch hat Kraus Kaiser Karl zu der ihm von Lammasch, „Die norische Republik“, in der er für gesprochen: „Aber der Herr Funder mö- dessen Ministerium auch als ein bloßes ein unabhängiges, im Völkerbund einge- ge von mir den Rat annehmen, sich mit Kollegium von Beratern des Monarchen bundenes Österreich mit neutralem Sta- seinen Beziehungen zu Lammasch nicht betrachtet werden kann, vorgelegten Er- tus eintrat. Das österreichische Volk zu mausig zu machen. >Afterchristen< ist klärung seine Zustimmung. Der Kaiser dürfte von dieser Veröffentlichung kaum gar kein Wort, das an jene Charakterisie- verzichtet „auf jeden Anteil an den Kenntnis erhalten haben, Lammasch rung heranreichen würde, die Lammasch Staatsgeschäften“, anerkennt „im voraus“ dachte an die Pariser Delegationen und für ein Christentum übrig hatte, das sich die Entscheidung, „die Deutschösterreich vielleicht an diplomatische Unterstüt- fünf Jahre lang unter der Kanone be- über seine künftige Staatsform trifft“, und zung aus der Schweiz. Während Renner, währt, den Weltkrieg aus der Perspektive enthebt seine „österreichische Regierung hinter dem die parteiorganisatorisch gut der als Kriegsandenken heimgebrachten ihres Amtes“, ohne dabei diese als ge- fundierte Sozialdemokratie die weit Russenlebern und Serbenbeuscheln be- schäftsführend vorübergehend zu bestäti- überwiegende Mehrheit der österreichi- grüßt, und in Verehrung eines entmensch- gen oder eine neue Regierung einzuset- schen Arbeiterklasse sammeln konnte, ten Soldatenvaters, zwischen Marschall- zen: „Das Volk hat durch seine Vertreter ohne irgend eine wissenschaftliche Un- stab und Kernstock15, empfohlen hatte, die Regierung übernommen.“ tersuchung die Lebensfähigkeit des klei- aus Welschlandfrüchtchen blutroten Wein Vom 13./14. Mai 1919 bis 10. Juni nen Österreich a priori bezweifelte, war

3/05 Beiträge 15 Lammasch der wissenschaftlich begrün- von denen manche zudem Ausländer sind stände, die in ihm zu überwinden waren deten Auffassung, dass nicht nur die Be- – bestehende Jagdrechte aufgehoben und die nun glücklich weggefallen sind. dingungen für eine selbständige Existenz sein werden, wird Deutschösterreich […].“ Die Konzeption von Lammasch vorhanden sind, sondern dieser Rumpf- ausgedehntes Weideland besitzen, auf nach einem etwas vergrößerten Öster- staat eine selbst bestimmte, gestaltbare dem sein Viehbestand verdoppelt und reich war gut gemeint, aber idealistisch. Zukunft vor sich haben Die wesentlichen politi- könnte. Die Restauration schen Kräfte Öster- der Monarchie hielt Lam- reichs orientierten sich masch für unmöglich: ganz auf einen An- „[…] Die Sünden der Mi- schluss Österreichs an litärregierung, der höhe- Deutschland, die West- ren und höchsten Offizie- mächte dachten an die re sind so ungeheuerlich ihnen zuarbeitenden gewesen, deren Erkennt- Staaten in Europa und nis hat das ganze Volk die Nachfolgestaaten derart bis in die tiefste der Monarchie hätten Seele durchdrungen, daß, keine Gebietsabtretun- solange die Erinnerung gen an ein größeres daran nicht völlig ver- Österreich akzeptiert. blaßt ist, eine Wiederkehr Die revolutionäre Ar- der Dynastie ausge- beiterbewegung kämpf- schlossen ist, obwohl de- te zur selben Zeit um ren Haupt – nicht so alle die Macht und für die ihre Glieder – daran un- Einrichtung von Rätere- schuldig war […].“ In publiken wie in Ungarn Bezug auf die wirtschaft- und Bayern, es ging ihr liche Lebensfähigkeit des nicht um Grenzen und neuen Staates argumen- Staatsgründungen. tiert Lammasch: „[…] Lammasch hat die Zweckdienlicher als eine Aggressivität des deut- allgemeine Erörterung schen Imperialismus des Pro und des Contra und dessen Machtmittel mag es vielleicht sein, in zentraler europäi- sich einmal genauer zu scher Lage immer als vergegenwärtigen, wie ei- Bedrohung des Frie- ne solche deutsch-öster- dens betrachtet und reichische Republik be- wollte den Namen schaffen sein könnte. Ihr „Deutschösterreich“ in Zentrum wären die Alpen- der vorausschauenden länder (Vorarlberg, Annahme, dass eine Deutsch-Tirol, Salzburg, Heinrich Lammasch, österreichischer Völker- und Strafrechtsgelehrter künftige großdeutsche Ober- und Niederöster- Propaganda daran an- reich, sowie die deutschen Teile von vielleicht verdreifacht werden kann. knüpfen würde, vermeiden: „[…] Selbst- Kärnten und Steiermark). Nach nationa- Durch die Angliederung der fruchtbaren verständlich muß der Staat der Deut- len und wirtschaftlichen Gesichtspunk- Gebiete West-Ungarns und Südmährens schen auf dem ehemalig österreichischen ten gehören dazu aber auch die fast aus- würde sein Getreideland bedeutend ver- Gebiet ein völlig neuer werden. Es darf schließlich von Deutschen bewohnten größert und die Verpflegung Wiens, die keine Fortsetzung des alten Österreich südlichen Grenzgebiete Mährens und ja auch bisher zum größten Teil von die- sein. Das sollte schon in seinem Namen Böhmens, sowie Teile der westungari- sen Gebieten aus erfolgte, gesichert. zum Ausdruck kommen. Darum soll er schen Komitate Oedenburg, Wieselburg Daran, daß die Bedingung für eine nicht Deutschösterreich heißen. Etwa und Steinamanger. Dieses Gebiet umfaßt selbständige Existenz dieses Gebietes könnte man ihn norische Republik oder etwas mehr als sieben Millionen Ein- von etwa 100.000 Quadratkilometer Noricum heißen. Würde er doch in sei- wohner fast durchweg deutscher Natio- Oberfläche, also der doppelten Ausdeh- nem Kern mit der Provinz Norica des rö- nalität, also eine Volkszahl, die jene der nung der Schweiz, vorhanden wären mischen Kaiserstaates zusammenfallen, Schweiz sehr erheblich übertrifft und vor kann nicht gezweifelt werden. Solche wenn er sich auch an manchen Orten ihr den Vorzug nationaler Geschlossen- Zweifel kann nur derjenige hegen, der über deren Grenzen ausdehnte, an an- heit besitzt. Das alpine Gebiet ist reich sich von der Erinnerung nicht losreißen dern hinter ihnen zurückbliebe. Aber an Holz, an Salz, an Eisenerzen, besitzt kann, daß dieses Gebiet bisher Bestand- dasselbe gilt von Belgien, dessen Gebiet zwar wenig gute Kohle, dafür aber aus- teil eines größeren Ganzen war. Er über- auch mit jenem der gleichnamigen römi- gezeichnete Wasserkräfte, die für viele sieht dabei aber die Schwierigkeiten, die schen Provinz nicht identisch ist. Zwecke die Kohle zu ersetzen vermögen. sich aus der durchaus unhomogenen Na- Seiner Stellung in Europa zufolge wäre Wenn endlich die im Interesse einiger tur dieses Ganzen für dessen Entwick- dieser Staat gewissermaßen eine Fort- weniger Aristokraten und Finanzleute – lung ergaben, die mannigfachen Wider- setzung der Schweiz, ein Pufferstaat zwi-

3/05 16 Beiträge schen Deutschland und Italien, zwischen terlich verfolgte er sein großes Ziel und Neuerscheinung Deutschland und dem Balkan. Er würde nützte den folgenden Aufenthalt in der ebenso eine Verbindung zwischen dem Schweiz für die junge Republik Öster- Krise des Arbeitsrechts Süden und Norden, als eine Ausbreitung reich, dennoch wurde er von ihr weder Symposium zur Erinnerung an Deutschlands nach dem Ostern hindern, als Gesandter in Bern noch als Vertreter also jenen Tendenzen entgegenstehen, beim Völkerbund in Genf nominiert. Eduard Rabofsky die Europa mit schweren Gefahren be- Beides wäre nahe liegend gewesen. hg. von Anja Oberkofler drohen müßten. Um dieser Aufgabe zu Verlag der Alfred Klahr Gesell- entsprechen, sollte er neutralisiert wer- Anregungen für einen Völkerbund schaft, Wien 2005 (Quellen & Studi- den. Zwar scheint es, als ob im Völker- zur Bewahrung des Friedens en, Sonderband 6), 52 S., 5 Euro bund Neutralität überhaupt nicht mehr Nach seiner Enthebung als Minister- ISBN 3–9501986–1–X möglich wäre. Aber das ist doch nur ein präsident hatte Lammasch den öster- trügerischer Schein. Allerdings kann reichischen Entwurf eines Völkerbund- kein Mitglied des Völkerbundes gegenü- Vertrages vollendet, der Anfang 1919 in ber dem vertragsbrüchigen Genossen sich deutsch und französisch in der Schweiz ebenso verhalten, wie gegenüber jenem, veröffentlicht wurde: „Der Völkerbund der von diesem angegriffen wurde. Im- zur Bewahrung des Friedens. Entwurf ei- merhin aber kann einzelnen Mitgliedern nes Staatsvertrages mit Begründung“ mit Rücksicht auf ihre besondern Verhält- (Olten 1919, 87 Seiten) bzw. „Le mainti- nisse das Recht gewährt werden, an einer en de la Paix“. Es wird darin der Ab- gemeinsamen Aktion der Uebrigen zur schluss eines Verbandes von Staaten zur Bestrafung des Friedensbrechers nicht Aufrechterhaltung des Friedens für teilnehmen zu müssen. Dieses Recht wäre zunächst zwanzig Jahre mit Institutionen namentlich solchen Staaten zuzugestehen, der internationalen Gerichtsbarkeit, des deren Territorium sonst allzu leicht zum internationalen Verständigungsrates und Kriegsschauplatz würde. Das träfe aber der internationalen Konferenz vorgese- gerade auf die norische Republik ebenso hen. Lammasch hatte die Idee, den Na- zu, wie auf die Schweiz. […].“ men „Völkerbund“ durch den des „Frie- Für Lammasch war die Schweiz ein densverbandes der Staaten“ zu ersetzen. wichtiges Vorbild, wie ja auch im „Mo- Den Begriff Friedensverband verwendet skauer Memorandum“ vom 15. April Lammasch für eine 1918 veröffentlichte 1955 ausdrücklich darauf hin gewiesen Broschüre „Der Friedensverband der wird, dass Österreich sich international Staaten“.19 Grundgedanke des Völker- dazu verpflichtet, immerwährend eine bundes ist, so Lammasch, „die Selbsthil- Neutralität der Art zu üben, wie sie von fe aus dem Verkehr der Staaten soviel als der Schweiz gehandhabt wird. Zum möglich auszuschalten und sie wirklich Eduard Rabofsky (1911–1994), Au- Schluss resümiert Lammasch: „So würde bloß als ultima ratio zuzulassen. toschlosser, kommunistischer Wi- die Aufrichtung einer neutralisierten no- Zunächst sollen auch die Staaten für ihre derstandskämpfer, war nach der Be- rischen Republik nicht nur dem Wohle Konflikte ernstlich eine friedliche freiung Österreichs als Jurist in der Oesterreichs selbst und der Erhaltung Schlichtung anstreben und nur dann, Wiener Arbeiterkammer tätig und des europäischen Friedens, sondern auch wenn eine solche friedliche Beilegung leistete mit seiner praktischen und dem Wohle der Nachbarstaaten dienen.“ sich als unmöglich erwiesen hätte, soll theoretischen Arbeit wesentliche Zum Schluss stellt Lammasch die auf ei- ihnen die Befugnis zu gewaltsamer Aus- Beiträge zur Stärkung der Rechte ne Volksabstimmung abzielende Frage: tragung des Streites nicht verwehrt sein. der Arbeiterklasse. „Wird aber das österreichische Volk Erstens soll für jene Differenzen, die ei- Aus Anlass seines zehnten Todes- selbst eine solche Gestaltung wollen? Die ner Entscheidung nach anerkannten tages fand im Juni 2004 mit Unter- derzeitige Regierung Deutsch-Oester- Rechtsgrundsätzen fähig sind, das stützung der Arbeiterkammer Wien reichs versichert fortwährend das Gegen- schiedsgerichtliche Verfahren obligato- ein Gedächtnissymposium der Al- teil. Hält sie aber nicht etwa nur ihre risch werden und zweitens sollen sich die fred Klahr Gesellschaft zu Ehren Wünsche für Tatsachen? Ein Referendum Staaten verpflichten, auch für solche In- von Eduard Rabofsky statt. Der vor- in den einzelnen Ländern des deutsch- teressenkollisionen, zu deren Behebung liegende, von Anja Oberkofler her- österreichischen Gebietes allein kann ei- Rechtsnormen nicht zu Gebote stehen, ausgegebene Band vereint die dort ne authentische Antwort auf diese Frage zunächst eine Vermittlungsaktion einzu- gehaltenen Referate von Josef geben. Nur muß freilich dieses Plebiszit leiten oder zuzulassen, ohne daß sie so- Cerny, Peter Goller, Johann J. Ha- frei sein von dem Terrorismus der der fort ihretwegen zu den Waffen greifen gen, Hermann Klenner, Theo May- Wiener Parole folgenden Arbeiter- und dürften. Gelingt diese Vermittlung nicht, er-Maly und Alois Obereder. Soldatenräte und der von ihnen abhängi- so soll ihnen aber die Selbsthilfe nicht gen ‚Volkswehr‘. […].“ versagt sein. Dafür zu sorgen, dass jene Zu beziehen über die Alfred Klahr Lammasch war in der österreichischen Pflicht, zunächst die Vermittlung anzuru- Gesellschaft, Drechslergasse 42, Delegation nur Aufputz, er war trotz sei- fen oder sich gefallen zu lassen, nicht auf 1140 Wien, FAX: 01/982 10 86/18, nes Renommees bloß ein Zählfaktor, dem Papier bleibe, sondern zur Tatsache [email protected]. weshalb er vorzeitig abreiste. Der Mis- werde, dafür ist der ‚Völkerbund‘ beru- serfolg entmutigte ihn nicht, unerschüt- fen. Er ist es, der seine Mitglieder zur

3/05 Beiträge 17 Erfüllung jener Verpflichtungen anhal- zeichnet hatte, gab in einem Artikel in glücklichen Karl beiwohnen. Meine ten soll.“20 Posthum und vorbereitet von der Prawda vom 4. Jänner 1934 der Frau und ich, die wir während des Krie- Hans Sperl (1861–1959) erschien von Hoffnung Ausdruck, der Völkerbund ges durch seine große Güte, durch die Lammasch das Buch „Völkermord oder könne trotz des Austrittes Deutschlands Klarheit seiner Sicht Unterstützung er- Völkerbund?“ (Haag 1920, 128 Seiten), und Japans oder vielleicht gerade des- fuhren, waren zu Tränen gerührt. So be- in dem er vorschlug, den Völkerbund zu halb „zu einem gewissen Faktor werden, gräbt man die Besiegten unsterblicher einem Instrument der kollektiven Sicher- der die Eröffnung von Kriegshandlungen Ideen! […].“ Und doch war gerade die- heit auszubauen. hemmt oder verhindert. […] Ja, falls die se vollständige Abwesenheit der Trauer- Der Völkerbund konstituierte sich auf geschichtlichen Ereignisse diesen Lauf masken seiner dem Zeitgeist, wer immer Initiative von Thomas Woodrow Wilson nehmen, ist es nicht ausgeschlossen, daß das gerade ist, nachjagenden akademi- (1856–1924) am 14. Februar 1919 auf wir den Völkerbund trotz all seiner ko- schen und politischen Kollegen eine be- der Pariser Friedenskonferenz. Die Ver- lossalen Mängel unterstützen werden.“22 sondere Auszeichnung der einzigartigen wirklichung der Zielsetzung, als Instru- Der Volkskommissar für auswärtige An- Menschlichkeit von Lammasch. ment des Friedens und der stabilen inter- gelegenheiten Maxim M. Litwinow Karl Kraus sprach am 11. Januar 1920 nationalen Ordnung zu dienen, gelang in (1876–1951) war mit seiner Delegation in Wien über „Lammasch und die Chri- dieser Periode des Weltimperialismus unermüdlich bemüht, durch Vorschläge sten“: „Nach seinem Hingang bleibt der nicht. Die Ideen von Lammasch waren für die Aufrechterhaltung und Festigung Wunsch zurück, daß die Zeit, die seines weitergehend und finden in der Satzung der kollektiven Sicherheit den Völker- Lebens nicht würdig war, durch sein An- der Vereinten Nationen (24. Oktober bund doch noch in ein praktikables Sy- denken Ehre gewinnen möge.“24 Der 1945) insofern Widerhall, als diese zur stem der kollektiven Sicherheit umzu- Wunsch von Kraus bleibt tatsächlich gegenseitigen Achtung der Gleichheit wandeln. Der Gedanke von Lammasch, zurück. Dem Salzburger Historiker Ernst und der Souveränität aller ihrer Mitglie- der Völkerbund könnte ein wenigstens Hanisch (*1940), der von Helene Mai- der, zur friedlichen Regelung aller auf- schwaches Werkzeug des Friedens sein, mann (*1947) den Lesern der Die Presse tretenden internationalen Streitigkeiten, wurde so für eine kurze Zeitspanne als „Doyen der österreichischen Zeitge- zum Verzicht auf die Vorbereitung, durch die Sowjetunion wieder belebt. schichte“ angeboten wird,25 ist in seinem Androhung oder Anwendung von Ag- 599 Seiten langen Werk „Der lange gressionshandlungen und zur Nichtein- Was bleibt in der historischen Schatten des Staates. Österreichische mischung in die inneren Angelegenhei- Erinnerung und in der politi- Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhun- ten fremder Staaten verpflichtet. Als bür- schen Praxis Österreichs dert“ (Wien 1994) Lammasch keine ein- gerlicher Pazifist war Lammasch in Hin- Völlig zurecht schildert Albert Fuchs zige Erwähnung wert, obschon die als sicht auf ein Bündnis mit der Arbeiter- (1905–1946) in seinem 1949 posthum Druck publizierte Verzichtserklärung klasse zögerlich. Wahrscheinlich aber erschienenen und bis heute unübertrof- von Kaiser Karl mit der Gegenzeichnung hätte Lammasch die Hegemonie der fenen Buch über „Geistige Strömungen von Lammasch als Illustration verwen- führenden antisowjetischen Völkerbund- in Österreich. 1867–1918“ Lammasch det wird. Lammasch befindet sich dabei mächte Großbritannien und Frankreich, als einen herausragenden Österreicher, in der guten Gesellschaft eines Erwin die die Sowjetunion mit einem Cordon konservativ in vielen Bereichen seines Schrödinger (1887–1961), Wolfgang sanitaire zu isolieren trachteten und da- rechtlichen Wirkens, widersprüchlich, Pauli (1900–1958) und vieler anderer bei das Erstarken des Faschismus in und doch wieder ganz und gar nicht kon- Wissenschaftler, die unser Weltbild er- Kauf nahmen, abgelehnt. Die Interessen servativ, vor allem in seiner konsequen- heblich erweitert haben, aber in der zeit- der Mitglieder dieses Völkerbundes wi- ten Ablehnung des Krieges und solcher genössischen „Österreichischen Gesell- dersprachen sich und konnten neue im- politischen Maßnahmen, die zu irgend- schaftsgeschichte“ keinen Platz mehr ha- perialistische Kriege nicht verhindern. einer Gefährdung des Friedens führen ben. Der Zusammenhang der Naturwis- Wladimir Iljitsch Lenin (1870–1924) hat konnten.23 Nimmt es Wunder, dass das senschaft mit der Umgestaltung der Ge- früh dieses notwendige Versagen des Begräbnis des erst 66-jährigen Lam- sellschaft wird ebenso völlig ausgeblen- Völkerbundes angeprangert.21 Chauvi- masch in Salzburg ein stilles war? Ste- det wie eine Analyse der Klassenkämpfe. nismus und Kriegsvorbereitung wurden fan Zweig (1881–1942) schreibt am 10. Der EU-Imperialismus benötigt eben ein wie vor 1914 zu den Hauptelementen der Jänner 1920 an seinen Freund Romain irrationales, antimaterialistisches Ge- Außenpolitik und waren mit der Nieder- Rolland (1866–1944), der sich damals schichtsbild, seine parasitäre Intelligenz haltung der Arbeiterklasse und Repressa- der jungen Sowjetmacht annäherte: produziert einen miesen Abklatsch der lien nach Innen verbunden. Als Deutsch- „[…] Ich kann nicht umhin, Ihnen heute nach 1918 verbreiteten lebensphiloso- land und Japan, die sich unmittelbar auf zu schreiben: ich komme vom Begräbnis phischen Weltanschauungsliteratur, de- die Entfesselung des Krieges vorbereite- Heinrich Lammaschs. Nie im Leben ha- ren Funktion Georg Lukács (1885–1971) ten, aus dem Völkerbund austraten, trat be ich eine solche Beerdigung gesehen, so treffend dargestellt hat.26 Diesen als die UdSSR 1934 in diese Organisation so ärmlich, so traurig, wir waren fünf Seelendoktoren des EU Kapitals fungie- ein, um eine bessere Position im Kampf Personen am Grabe eines ehemaligen renden Historikern ist naturgemäß, Ein- für den Frieden zu haben. Die Sowjetuni- Ministerpräsidenten eines Dreißig-Mil- blicke in die „historische Situation“ mit on erhielt einen Sitz im Ständigen Rat lionen-Landes, des großen und berühm- Philisterklatsch zu geben und beispiels- des Völkerbundes. Josef W. Stalin ten Gelehrten, eines großen Heros des weise Otto Weininger (1880–1903) und (1879–1953), der 1928 den Völkerbund Denkens. Nicht ein einziges Mitglied der sein Frauenbild im gespreizten „Dis- mit seinen Friedensappellen auf dem Regierung, keiner seiner einstigen Par- kurs“ anzubieten. Hintergrund der realen Gefahr von neuen teigänger; alle hatten sie Angst, für Erich Zöllner (1916–1996) hat in sei- Kriege und Interventionen als Instrument Monarchisten zu gelten, wenn sie dem ner in mehreren Auflagen erschienenen des „imperialistischen Pazifismus“ be- Begräbnis des letzten Getreuen des un- und von den Studierenden der Geschich-

3/05 18 Beiträge tätig sein, sehr tätig sein, um Kriegen Heinrich Lammasch und die Neutralität Österreichs vorzubeugen, den Frieden zu vermitteln, wirksam zu gestalten und zu uch für die künftige Rolle und dung zwischen Neutralitätspolitik und bewahren.“31 Hans Thalberg (1916– AEntwicklung der österreichischen Friedenspolitik deutlich, ein Auftrag, 2003) hielt diese Auffassung für beson- Neutralität ist die Frage nach ihren der ja dann später in die Außenpolitik ders wichtig, wie er aus Blonay am 14. Wurzeln in der jüngeren österreichi- der 2. österreichischen Republik begin- Juni 1993 dem Autor schreibt: „Am in- schen Geschichte von besonderer Be- nend vor allem in den Jahren Bruno teressantesten erscheinen mir die Hin- deutung. Entscheidend ist vor allem die Kreiskys Eingang finden wird. weise von Lammasch, dass Neutralität Frage, ob diese von der österreichi- Die Bedeutung dieser Einsichten nicht ‚Stillesitzen‘ bedeutet; und dass die schen Republik 1955 gewählte und an- wird sicher nicht dadurch geschmälert, Mediation zwischen den potentiellen genommene außenpolitische Lebens- dass seine Zeitgenossen und viele ihrer Konfliktparteien durch den Neutralen ei- form lediglich ein Geschöpf des Kalten Nachfahren die Bedeutung von Neutra- ne ‚Kulturpflicht‘ ist.“32 Krieges war, oder ob sich in ihr nicht lität und Friedenspolitik als Existenz- Österreich ist nach seiner Neutralität- Entwicklungslinien und Zielvorstellun- grundlage eines unabhängigen und serklärung 1955 in seiner Neutralitätspo- gen widerspiegeln, die sich auch schon selbstbestimmten Österreich nicht er- litik gleich in den ersten Monaten sehr in früheren Perioden österreichischer kennen wollten oder dass eben ein neu- weit gegangen, durch den Beitritt zur Geschichte, natürlich vor allem des trales Österreich in bestimmten Phasen UNO und zum Europarat, auch durch sei- 1918 entstandenen mitteleuropäischen der europäischen Politik anderen ne sehr früh geäußerte Sympathie für ei- Kleinstaates finden. Auf diese Fragen Mächten – nach 1918 etwa Frankreich, nen Beitritt zur Montanunion. Auf mi- geben Werk und Politik Heinrich Lam- nach 1945 der UdSSR – in ihr jeweili- litärischem Gebiet hat es seine Pflichten masch wichtige Antworten. Darin führt ges Konzept zu passen schien. in dieser Frühphase der Neutralität ge- nämlich eine gerade Linie von der von Gerade auch ein heutiger Blick auf wissenhaft erfüllt, was im Spätherbst ihm auch schon in verschiedenen Heinrich Lammasch zeigt dann aber 1956 für Europa ein entscheidender Frie- früheren Funktionen – vor allem als auch, dass Friedenspolitik, wie von densfaktor war. Der Grazer Rechtshisto- Vorsitzender des Haager Internationa- ihm verstanden und – mit den Mitteln riker Hermann Baltl (1918–2004) nahm len Schiedsgerichts aber auch als Dele- seiner Zeit – praktiziert, keineswegs 1962 in seinem Buch „Probleme der gierter zu den Haager Friedenskonfe- an bestimmte Phasen der europäi- Neutralität betrachtet am österreichi- renzen – immer wieder vertretenen schen- oder Weltpolitik gebunden ist, schen Beispiel“ auf diesem Hintergrund Friedenspolitik zu seiner daraus abge- sondern ein weit darüber hinausrei- die Positionen von Lammasch auf, ohne leiteten Schlussfolgerung für einen neu- chendes Konzept darstellt, das auch in ihn aber ausdrücklich zu zitieren, viel- tralen Status der neuen österreichischen Zukunft Bedeutendes für das außenpo- leicht ohne seine Schriften damals über- Republik, die er in St. Germain und bei litische Profil eines mitteleuropäi- haupt näher zu kennen. Für den immer- Missionen in Bern 1919 vertreten wird. schen Kleinstaates leisten kann. während neutralen Staat ergebe sich, so Gerade aus der Ideenwelt Heinrich DR. Baltl, aus der Zugehörigkeit zu den UN Lammasch wird so die enge Verbin- BUNDESMINISTER A. D. eine Verhaltenspflicht: „Der Neutrale wird damit zwar nicht zum Lehrmeister der Staaten in der Einhaltung der Char- te gern benützten „Geschichte Öster- Verzichtserklärung von Kaiser Karl geht ta, aber doch zu einem Vorbild, wird reichs. Von den Anfängen bis zur Gegen- die Kirchenhistorikerin der Wiener Uni- zwar nicht zu einem Wächter des interna- wart“ (Wien, 1. A. 1961) Lammasch – versität Elisabeth Kovács (*1930) aus- tionalen Rechts aber doch zu einem Weg- „ein mutiger Vorkämpfer der Friedens- führlich ein.29 Georg Wagner bereiter für die Ethisierung des interna- bewegung“ – mit viel Sympathie er- (1916–1985), bürgerlich konservativer tionalen Rechts.“33 Baltl und andere Ex- wähnt. Stephan Verosta (1909–1998) be- Historiker und von der österreichischen perten halten es für unzulässig, dass ein tont in seinen Studien zur Geschichte der Zeitgeschichte kaum zur Kenntnis ge- neutraler Staat einer Organisation an- immerwährenden Neutralität Österreichs nommen, hat den Vorschlag von Lam- gehören kann, die den Beitritt anderer den Gedanken von Lammasch, dass ne- masch, Österreich als neutralen Staat zu Staaten ausschließt oder beschränkt. ben der dauernd neutralen Helvetischen entwickeln, angemessen berücksichtigt. Eduard Rabofsky (1911–1994), der sich Republik der Schweiz „im Interesse der In einer von ihm herausgegebenen Do- wiederholt mit Österreichs Neutralität be- Sicherheit und des Friedens in Europa“ kumentation wird die Eröffnungsanspra- fasst hat, hat diesem Aspekt große Auf- die ebenfalls dauernd neutrale Republik che von Rudolf Kirchschläger merksamkeit geschenkt und das Buch Österreich treten sollte.27 Gerald Stourzh (1915–2000) aus Anlass der Eröffnung von Baltl unter dem Titel „Neutralitäts- (*1929) stellt in seinem Standardwerk des „Austriaca – Studienzentrums“ der politik als Rechtspflicht“ ausführlich be- „Um Einheit und Freiheit. Staatsvertrag, Gesellschaft Pro Austria 1972 über die sprochen.34 Was für den immerwährend Neutralität und das Ende der Ost-West- „Möglichkeiten einer friedensschöpferi- neutralen Staat gilt, muss sinngemäß Besetzung Österreichs 1945–1955“ schen Neutralitätspolitik Österreichs“ wohl auch für dessen politische Parteien Lammasch als Persönlichkeit von ge- abgedruckt: „Die Friedenspolitik gibt gelten. Deshalb ist es im Widerspruch zur samtösterreichischer Bedeutung vor, die der Neutralitätspolitik ihren Sinn, ihre Neutralität Österreichs, wenn die Kom- mit besonderer Konsequenz das Beispiel raison d'être. Sie schließt die Unabhän- munistische Partei Österreichs der EU- der neutralen Schweiz auf ein vor dem gigkeitspolitik mit ein.“30 Dieses aktive Linkspartei mit ihrer ausschließenden Anschluss zu bewahrendes Österreich Element der Neutralität hat Lammasch Gestalt beigetreten ist. In der Gegenwart anwenden wollte.28 Auf die federführen- besonders betont: „Nicht ‚stillesitzen' al- wird wegen der Zugehörigkeit Öster- de Mitwirkung von Lammasch an der so ist der Beruf der Neutralen, sondern reichs zur EU, insbesondere wegen der

3/05 Beiträge 19 wirtschaftlichen Verflechtungen, der me- siehe Peter Goller: Geschichte der Arbeits- das kapitalistische Eigentum war.“ chanische Schluss gezogen, dass das aus rechtswissenschaft in Österreich. Hg. von der 22/ J. W. Stalin, Werke, Band 13 (1955), 250 f. der Geschichte heraus erwachsene und Alfred Klahr Gesellschaft (= Quellen und Studi- 23/ Neuauflage des Nachdrucks der Ausgabe vom österreichischen Volk sorgfältig ge- en. Sonderband 5). Wien 2004. 1949 mit einem Vorwort von Friedrich Heer. Wi- pflegte System der nationalen Existenz 5/ Karl Kautsky: Der Weg zur Macht. Anhang: en 1984, bes. 265–270. Österreichs als immerwährend neutraler Kautskys Kontroverse mit dem Parteivorstand. 24/ Die Fackel, Nr. 521–530, 153. Staat nicht mehr den Erfordernissen ent- Hg. und eingeleitet von Georg Fülberth. Frank- 25/ Die Presse vom 21.6.2005. spricht, ja wir erleben seine bloße Negati- furt a. M., 100 f. 26/ Die Zerstörung der Vernunft. Der Weg des on zu Gunsten eines EU-Raumes, dessen 6/ Österreichische Zeitschrift für öffentliches Irrationalismus von Schelling zu Hitler. Akade- Vorfeld durch das österreichische Bun- Recht, 2. Jg. (1915–1916) 1–37. mie Verlag Berlin 1955. desheer unter deutschem Kommando am 7/ Die Friedenswarte 1916, Heft 4, 1–5, hier 5. 27/ Stephan Verosta: Die dauernde Neutralität. Hindukusch „verteidigt“ wird. 8/ NDB 19 (1999), 284 (Andreas Thier). Ein Grundriß. [Erweiterter Sonderdruck des für Der reaktionäre Flügel der österreichi- 9/ Schweizerische Juristen-Zeitung, 15. August den Dritten Österreichischen Juristentag erstat- schen Bourgeoisie hat mit Lammasch 1918, 308–310. teten Gutachtens] Wien: Manz 1967; derselbe: und seinem Denken nie etwas anzufan- 10/ So an die Redaktion der Neuen Freien Pres- Theorie und Realität von Bündnissen. Heinrich gen gewusst. Die infame Rolle von Alois se am 18.3.1918 aus Salzburg. Lammasch, Karl Renner und der Zweibund. Wi- Mock (*1934) bei der Aushöhlung der 11/ MEW 3 (1969), 326: „Grade in der Epoche en 1971; derselbe: Geschichte und Vorge- Unabhängigkeit und Neutralität Öster- zwischen der Herrschaft der Aristokratie und schichte der immerwährenden Neutralität Öster- reichs, bei der Zerschlagung Jugoslawi- der der Bourgeoisie, als die Interessen zweier reichs 1918–1955. In: 25 Jahre Österreichischer ens oder der Anhetzung des Krieges ge- Klassen kollidierten, als der Handelsverkehr un- Staatsvertrag. Symposium, veranstaltet von der gen Serbien ist viel zu wenig erkannt. ter den europäischen Nationen bedeutend zu Österreichischen Akademie der Wissenschaften Die österreichischen Grünen unterstüt- werden begann und das internationale Verhält- und der Akademie der Wissenschaften der zen die imperialistische Außenpolitik ih- nis daher selbst einen bürgerlichen Charakter UdSSR in der Zeit vom 12.–19. April 1980 in rer deutschen Kameraden. Auch am annahm, fing die Macht der Gerichte an, bedeu- Moskau. Wien 1981, 5–37, hier 9. rechten Flügel der aktiven Generation tend zu werden, und unter der Bourgeoisherr- 28/ 4., völlig überarbeitete und wesentlich er- sozialdemokratischer Außenpolitiker ist schaft, wo diese ausgebildete Teilung der Arbeit weiterte Auflage, 242–244. Im speziellen Zu- Neutralitäts- und Friedenspolitik im Sin- unumgänglich nötig ist, erreicht sie ihre höchste sammenhang kommt Stourzh auf Lammasch zu ne von Lammasch nicht mehr modern. Spitze. Was sich die Knechte der Teilung der sprechen: Erschütterung und Konsolidierung Das Friedensvolksbegehren, das sich ge- Arbeit, die Richter, und nun gar die professores des Österreichbewusstseins – Vom Zusammen- gen die EU-Militarisierung und NATO- juris dabei einbilden, ist höchst gleichgültig.“ bruch der Monarchie zur zweiten Republik. In: Annäherung und für die aktive Friedens- 12/ Handbuch des Völkerrechts. Die Ergebnisse Was heißt Österreich? Inhalt und Umfang des politik und Neutralität Österreichs aus- der Haager Konferenzen. Das Kriegsverhü- Österreichbegriffs vom 10. Jahrhundert bis heu- spricht, wird kaum unterstützt. Wolfgang tungsrecht. Stuttgart 1914, XII u. 239 S. te (= Archiv für österreichische Geschichte Petrisch (*1947) amtierte als EU-Vogt 13/ Die Lehre von der Schiedsgerichtsbarkeit in Band 136). im Balkankolonialgebiet der EU. In der ihrem ganzen Umfange, 239. 29/ Untergang oder Rettung der Donaumonar- älteren Generation sozialdemokratischer 14/ Die Fackel Nr. 657–667 (August 1924), 42 f. chie? Die österreichische Frage. Kaiser und Kö- Außenpolitiker hat der Name von Hein- 15/ Ottokar Kernstock (1848–1928), Chorherr nig Karl I. (IV) und die Neuordnung Mitteleuro- rich Lammasch allerdings einen guten des Stiftes Vorau, Kriegslyriker und Verfasser der pas (1916–1922) (= Veröffentlichungen der Klang, Hans Thalberg hat sich gegenüber Hymne der ersten österreichischen Republik. Kommission für Neuere Geschichte Österreichs dem Autor als „alter Verehrer von Lam- 16/ Lammasch und die Christen. Gesprochen 100/1). Köln – Weimar 2004; Überblick bei Wil- masch“ (6. Juni 1993) bezeichnet, das am 11. Januar. Die Fackel Nr. 521–530, Febru- helm Brauneder: Deutsch – Österreich 1918. zeigen aber auch beispielsweise das Es- ar 1920, 153–155, hier 153 f. Die Republik entsteht. Wien – München 2000, say von Erwin Lanc (*1930) im Falter 17/ Dazu Gerhard Oberkofler – Eduard Rabofs- 140–142. (2. März 2005) oder die beiliegenden Ge- ky: Hans Kelsen im Kriegseinsatz der k. u. k. 30/ Österreich. Von der Staatsidee zum Natio- danken, die Peter Jankowitsch (*1933) Wehrmacht (= Rechtshistorische Reihe 58). nalbewußtsein. Studien und Ansprachen mit ei- der Alfred Klahr Gesellschaft freundli- Frankfurt a. M. [u. a.] 1988. nem Bildteil zur Geschichte Österreichs. Hg. im cherweise zur Verfügung gestellt hat. 18/ Dazu Karl Renner: die Gründung der Repu- Auftrag der Gesellschaft Pro Austria von Georg blik Deutschösterreich, der Anschluß und die Wagner. Verlag der Österreichischen Staats- Anmerkungen: Sudetendeutschen. Dokumente eines Kampfes druckerei, Wien 1982, 182. 1/ Nr. 474–483, 46–49. ums Recht, herausgegeben, eingeleitet und er- 31/ Der Beruf der Neutralen. Sonderabdruck 2/ Die Fackel, Nr. 474–483, Mai 1918, 137. läutert. Mit einer Einführung von Eduard Ra- aus „Internationaler Rundschau“. 1. Heft, Juni 3/ Gerhard Oberkofler – Eduard Rabofsky: bofsky. Wien 1990. 1915. Zürich. Heinrich Lammasch (1853–1920). Notizen zur 19/ Der Neue Geist Verlag, Leipzig 1918, 43 S. 32/ Über Thalberg seine Erinnerungen: Von der akademischen Laufbahn des großen öster- 20/ Der Sinn des Völkerbundes. Sonderabdruck Kunst, Österreicher zu sein. Erinnerungen und reichischen Völker- und Strafrechtsgelehrten. aus der Österreichischen Rundschau. LVII, Heft Tagebuchnotizen. Wien [u. a.] 1984. Innsbruck 1993. Siehe jetzt auch Erich Kus- 1, 7 S., hier 2. 33/ Probleme der Neutralität betrachtet am sbach: Heinrich Lammasch, Scholar of Public 21/ Z.B. Lenin, Werke 30 (1974), 439: „Und wir österreichischen Beispiel (= Grazer Rechts- und International Law and Austrian Statesman. Mis- haben gesehen – das ist das beste Beispiel Staatswissenschaftliche Studien 8). Graz – Köln kolc Journal of International Law, Vol 1 (2004), dafür -, wie dieser berüchtigte ‚Völkerbund', der 1962, 53. No. 2, 64–78. versuchte, Mandate zur Verwaltung von Staaten 34/ Tagebuch 18 (1963), Nr. 1, 1 f.; Gerhard 4/ Isidor Ingwer: Zur Reform unseres Strafge- zu verteilen, die Welt zu teilen, wie dieser Oberkofler: Eduard Rabofsky. Jurist der Arbei- setzes. Der Kampf, 2. Band (Oktober 1908 bis berüchtigte Bund sich als eine Seifenblase er- terklasse. Eine politische Biographie. Innsbruck September 1909), 65 f., hier 65. Über Ingwer wies, die sofort zerplatzte, weil seine Grundlage – Wien 1997.

3/05 20 Ankündigung

Symposium der Alfred Klahr Gesellschaft Kontinuität und Wandel der österreichischen Geschichtsmythen Eine kritische Bilanz des Gedenkjahres 2005

Impulsreferate von: Mitteilungen der ALFRED KLAHR GESELLSCHAFT Dr. Karin Liebhart (Univ. Wien, Inst. f. Politikwissenschaft) Herausgeber und Medieninhaber: Univ.-Prof. Dr. Hans Hautmann (Univ. Linz, Inst. f. Neuere u. Zeitgeschichte) ALFRED KLAHR GESELLSCHAFT Mag. Manfred Mugrauer (Alfred Klahr Gesellschaft) Präsident: Univ.-Prof. Dr. Hans Hautmann Ass.-Prof. Dr. Valentin Sima (Univ. Klagenfurt, Inst. f. Geschichte) weitere MitarbeiterInnen dieser Ausgabe: Dr. Lisa Rettl (Univ. Klagenfurt, Inst. f. Geschichte) Winfried R. Garscha, Peter Jankowitsch, anschließend Diskussion Gerhard Oberkofler, Thomas Schönfeld Layout: Manfred Mugrauer eschichtsbilder haben ein zähes chiven präsentiert mit dem Anspruch, Adresse: Drechslergasse 42, 1140 Wien GBeharrungsvermögen, das umso dass sie Anlass für künftige „Neube- Tel.: (+43–1) 982 10 86 größer ist, je mehr deren Züchtung wertungen“ der Geschichte der Zwei- FAX: (+43–1) 982 10 86 DW 18 und Pflege im Interesse der Machteli- ten Republik zu sein hätten. e–mail: [email protected] ten liegt. Ihre Wirkung wurzelt in ei- Das Symposium der Alfred Klahr Internet: www.klahrgesellschaft.at ner über lange Zeiträume tradierten Gesellschaft setzt sich mit diesen Fra- Vertragsnummer: GZ 02 Z 030346 S und damit gleichsam automatisierten gen auseinander und zielt ab, ein kriti- P.b.b., Verlagspostamt 1140 Wien Abrufbarkeit simplifizierender Er- sches Resümee aus der Sicht „von un- klärungsmuster in den Köpfen der ten“ gegenüber der Dominanz offiziö- Archivzugänge Masse der Menschen. Trotz gewisser ser Gedenkkultur zu ziehen. Neben der Von Helli Neuhaus erhielten wir zahlrei- Akzentverschiebungen in Teilberei- allgemeinen Einschätzung der man- che Bücher für die Bibliothek. chen, deren Uminterpretation im Jahr nigfachen Aktivitäten des Gedenkjah- vor der turnusmäßigen Übernahme res 2005 (Ausstellungen, Publikatio- des Vorsitzes im Rat der Europäi- nen, Widerhall in den Massenmedien) www.klahrgesellschaft.at schen Union politisch opportun er- kommen Themen wie die angeblichen schien, ist die Grundsubstanz der her- Teilungs- und Machtergreifungspläne – Sämtliche Beiträge aus den „Mitteilun- gebrachten Klischees vom offiziellen der KPÖ, das Geschichtsbild über die gen“ der Jahrgänge 1994–2004 Österreich im Gedenkjahr 2005 in Besatzungszeit, die Gedenkkultur in – Übersicht über aktuelle und bisherige keiner Weise angetastet worden. Ne- Kärnten und die ihr in diesem Bundes- Veranstaltungen der AKG benher hat man vermeintlich Aufse- land gegenübergestellten alternativen – Informationen über die Sammlungen hen erregende Entdeckungen aus Ar- Konzepte zur Sprache. des Archivs der AKG – Beiträge und Bibliographien zur Ge- Samstag, 29. Oktober 2005, 10.00–14.00 schichte der KPÖ – Publikationen der AKG Universitätscampus Altes AKH, ehem. Kapelle Spitalgasse 2–4/Hof 2, 1090 Wien (Linie 5, 33, 43, 44 Lange Gasse)

Neuauflagen Willi Weinert: Willi Weinert: „Mich könnt ihr löschen, „Ich möchte, dass sie Euch alle immer aber nicht das Feuer“ nahe bleiben...“ Ein Führer durch den Ehrenhain der Biografien kommunistischer Widerstands- Gruppe 40 am Wiener Zentralfriedhof kämpferInnen in Österreich für die hingerichteten Widerstands- Mit Anmerkungen zum Widerstandskampf kämpferInnen (Mit einem Beitrag von der Kommunistischen Partei Österreichs Heimo Halbrainer) und einer Opferliste

Wien: Verlag der Alfred Klahr Gesell- Hg von der Alfred Klahr Gesellschaft schaft 2005 (2. Aufl.), 192 S., ca. 400 und der KPÖ Steiermark Abbildungen, Lageplan und Gräber- Wien: Verlag der Alfred Klahr Gesell- verzeichnis der Gruppe 40 schaft 2005 (2., verb. u. erw. Aufl.), 15.– Euro (exkl. Versandkosten) 96 S., 5.– Euro (exkl. Versandkosten) Bestellungen per e-mail an [email protected]

3/05