Der Gute Gott Von Manhattan

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Der Gute Gott Von Manhattan View metadata, citation and similar papers at core.ac.uk brought to you by CORE provided by OTHES DIPLOMARBEIT Titel der Diplomarbeit „Was noch niemals war: kein Ende“ Strukturen der Zeiterfahrung in Ingeborg Bachmanns Hörspiel Der gute Gott von Manhattan Verfasser Andreas Karl Niedermayr angestrebter akademischer Grad Magister der Philosophie (Mag. phil.) Wien, 2010 Studienkennzahl lt. Studienblatt: A 190 333 020 Studienrichtung lt. Studienblatt: Lehramtsstudium: UF Deutsch Betreuer: Univ.-Doz. Dr. Roland Innerhofer Im Andenken an meinen Großvater Karl Cepek geistiger Nachfahre aus dem Geschlecht der Trottas - V - Vorwort Das Verfassen einer Diplomarbeit ist in vielfacher Weise ein einsamer Kampf mit der Zeit und gegen die Uhr, zumal sich während der unzähligen Stunden vor dem Bildschirm nicht selten der Verdacht erhärtet, dass das eigentliche Leben notorisch gerade dort in Erscheinung tritt, wo der Schreibende auf Grund seiner kontemplativen Versenkung nicht präsent sein kann. Und doch generiert der Prozess des Schreibens jene seltenen Momente, in denen er in den Akten seines Denkens, Fühlens und Interpretierens ganz gegenwärtig, ganz da und bei sich selbst ist. Es ist die schöpferische Langsamkeit, die träge Produktivität, die durch das Verweilen im gelesenen und geschriebenen Wort den Blick für die Nähe und das Nahe, fürs Detail und fürs Besondere ermöglicht. Diese Erfahrung ist mir in überaus angenehmer Weise zuteil geworden. Mein aufrichtiger Dank gebührt dem Haus Dachsberg, allen voran Ferdinand Karer, der mit unermüdlichem Einsatz Tag für Tag einen besonderen Ort der Begegnung am Leben erhält, wie es wahrscheinlich nicht viele davon gibt. Sein leidenschaftlicher Tiefsinn und sein ausgeprägtes Sensorium für die „Zeichen der Zeit“ machen ihn zu einem unverzichtbaren Weggefährten und Freund, ohne den die Sonne nur halb so hell scheinen würde. Danken möchte ich weiterhin meiner Oma, meiner Tante, meinem Onkel und meiner Cousine für die wertvolle familiäre Unterstützung. Durch ihr fürsorgliches Wohlwollen ist mir vieles ermöglicht worden. Familie Pühringer hat mich in freundschaftlichen Gesprächen zu entscheidenden Gedanken inspiriert – manche Einsicht kam mir auch während der zahlreichen Sonntagsspaziergänge im schönen Haibach ob der Donau. Es gibt sie also doch noch, die unbeschwerten und „zeitlosen“ Orte! Das gilt auch für Matthias Bartha, Alois Doppler, Roman Ganglmair, Markus Kraxberger und Karin Steinmann, von denen ich über die Jahre hinweg unschätzbare Unterstützung und ermutigenden Zuspruch erfahren habe. Ihnen allen bin ich sehr zu Dank verpflichtet. Meinem Diplomarbeitsbetreuer Herrn Univ.-Doz. Dr. Roland Innerhofer danke ich an dieser Stelle für sein Vertrauen in meine Arbeit sowie für das wertvolle Diskussionsforum, das er den Studentinnen und Studenten in seinem Kolloquium bereitstellte. Wien, im Februar 2010 Andreas Karl Niedermayr - VII - Inhaltsverzeichnis Vorwort ……………………………………………………………………….V Zur Zitierweise ………………………………………………….………….IX 1. Einleitung…………………………….………………………….……..1 2. Zeitsignaturen im Werk Ingeborg Bachmanns ………….19 2. 1 Der Anspruch der Gegenwart als Ausgangspunkt utopischen Richtungnehmens…………………………………..…….19 2. 2 „Stirb und werde!“: Konturen eines paradoxen Zeitverhältnisses…………………..……42 2. 3 Kronos verschlingt seine Kinder. Eine erste Annäherung an das fragwürdige Dasein des Menschen in, mit und gegen die Zeit …………………………………………………………………..51 2. 4 Exkurs: Die Krankheit unserer Zeit ….……………...………………..89 2. 5 Dem „Mörder Zeit“ zum Trotz: Literatur als Utopie………......……..96 3. Die Phantasmagorie der „Gegenzeit“ …………….………108 3. 1 Der Austritt aus der Gesellschaft ……………………………………108 3. 2 Das Postulat des „erfüllten Augenblicks“ ………...…………..…….116 3. 3 „Keine neue Welt ohne neue Sprache“ ………………………….…119 3. 4 „Ma-na Hat-ta“: eine postreligiöse Reise ins Paradies……………126 3. 5 „Kein Ende“: Die Utopie des Paares ……………………..…………135 3. 6 „Herzzeit“: Fragment und Vollendung…………………………...….138 4. Abschließende Betrachtungen ………………………..…….142 Literaturverzeichnis ………………………………………….………….148 Anhang: Abstract ……..…………………………………………………161 Lebenslauf……………………………………………………..162 - IX - Zur Zitierweise Die Texte Ingeborg Bachmanns sowie einige Werke anderer Autoren werden unter Beibehaltung der alten Rechtschreibung mit folgenden Siglen und Seitenzahl, gegebenenfalls mit Band- und Seitenangaben (arabische Ziffern) in runden Klammern zitiert: Ingeborg Bachmann: Werke. Bd 1 – 4. Hrsg. von Christine Koschel, Inge von Weidenbaum und Clemens Münster. 5. Aufl. München und Zürich: Piper 1993. (= Serie Piper. 1701-1704.) Bd 1: Gedichte, Hörspiele, Libretti, Übersetzungen. Bd 2: Erzählungen. Bd 3: Todesarten: Malina und unvollendete Romane. Bd 4: Essays, Reden, Vermischte Schriften. GEDICHTE JG = Jugendgedichte G1 = Gedichte 1948-1953 GZ = Die gestundete Zeit AGB = Anrufung des Großen Bären G2 = Gedichte 1957-1961 G3 = Gedichte 1964-1967 HÖRSPIELE GG = Der gute Gott von Manhattan GmT = Ein Geschäft mit Träumen Zik = Die Zikaden ERZÄHLUNGEN DJ = Das dreißigste Jahr JöSt = Jugend in einer österreichischen Stadt All = Alles MuI = Unter Mördern und Irren SnG = Ein Schritt nach Gomorrha UND = Undine geht DWS = Drei Wege zum See - X - TODESARTEN MAL = Malina DFF = Der Fall Franza RFG = Requiem für Fanny Goldmann ESSAYS WE = Ludwig Wittgenstein – Zu einem Kapitel der jüngsten Philosophiegeschichte ItR = Ins tausendjährige Reich MuD = Musik und Dichtung Tagb = Tagebuch RADIO-ESSAYS MRE = Der Mann ohne Eigenschaften WRE = Sagbares und Unsagbares – Die Philosophie Ludwig Wittgensteins SW = Das Unglück und die Gottesliebe – Der Weg Simone Weils FRANKFURTER VORLESUNGEN Vo1 = Fragen und Scheinfragen Vo2 = [Über Gedichte] Vo3 = Das schreibende Ich Vo4 = Der Umgang mit Namen Vo5 = Literatur als Utopie REDEN Wahr = Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar OfZ = Ein Ort für Zufälle AWP = [Rede zur Verleihung des Anton-Wildgangs-Preises] VERMISCHTE SCHRIFTEN WG = [Wozu Gedichte] Jug = [Jede Jugend ist die dümmste] Zug = Zugegeben - XI - TKA = »Todesarten«-Projekt. Kritische Ausgabe. Unter Leitung von Robert Pichl hrsg. von Monika Albrecht und Dirk Göttsche München und Zürich: Piper 1995. Bd 1: Todesarten, Ein Ort für Zufälle, Wüstenbuch, Requiem für Fanny Goldmann, Goldmann/Rottwitz-Roman und andere Texte. Bd 2: Das Buch Franza. Bd 3.1 u. 2: Malina. Bd 4: Der »Simultan«-Band und andere späte Erzählungen. GuI = Ingeborg Bachmann: Wir müssen wahre Sätze finden. Gespräche und Interviews. Hrsg. von Christine Koschel und Inge von Weidenbaum. München und Zürich: Piper 1983. KA = Ingeborg Bachmann: Die kritische Aufnahme der Existentialphilosophie Martin Heideggers. (Diss. Wien 1949.) Aufgrund eines Textvergleichs mit dem literarischen Nachlaß hrsg. von Robert Pichl. Mit einem Nachwort von Friedrich Wallner. München und Zürich: Piper 1985. HZ = Herzzeit. Ingeborg Bachmann - Paul Celan. Der Briefwechsel. Mit den Briefwechseln zwischen Paul Celan und Max Frisch sowie zwischen Ingeborg Bachmann und Gisèle Celan Lestrange. Hrsg. u. kommentiert von Bertrand Badiou, Hans Höller, Andrea Stoll [u.a.]. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2008. MoE = Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. Roman. 2 Bde. Hrsg. von Adolf Frisé. Sonderausgabe. 2. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2000. Bd 1: Erstes und Zweites Buch. Bd 2: Aus dem Nachlass. MGW = Robert Musil: Gesammelte Werke. Bd II: Prosa und Stücke, Kleine Prosa, Aphorismen. Autobiographisches. Essays und Reden. Kritik. Hrsg. von Adolf Frisé. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1978. SuZ = Martin Heidegger: Sein und Zeit. 13., unveränd. Aufl. Tübingen: Niemeyer 1976. Tlp = Ludwig Wittgenstein: Logisch-philosophische Abhandlung. Tractatus logico-philosophicus. Kritische Edition. Hrsg. von Brian McGuinness und Joachim Schulte. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1989. „Ich sage dir: Steh auf und geh! Es ist dir kein Knochen gebrochen.“ (DJ, S. 137) - 1 - 1. Einleitung „Wir, in die Zeit verbannt und aus dem Raum gestoßen, wir, Flieger durch die Nacht und Bodenlose.“ (G1, S. 19) „Es ist da eine Niedertracht von Anfang an, und keine Blasphemie wird ihr Ausmaß erreichen“ (GG, S. 316): deutlicher könnte wohl die sichtlich konsternierte Anklage Jans gegen das zeitliche Gebundensein der menschlichen Existenz nicht ausfallen. Der „Fall in die Zeit“ oder – biblisch gesprochen – die „Vertreibung aus dem Paradies, aus der Ewigkeit der Zeitlosigkeit, aus der Schuldlosigkeit eines unendlichen Bewusstseins“,1 zeichnet verantwortlich für die unüberwindbare Kluft zwischen individueller Wunschgröße und begrenzter Lebensfrist. Gleich einem unbehausten Wesen, das „in die Zeit verbannt und aus dem Raum gestoßen“ (G1, S. 19) in eine ungewisse Zukunft irrt, erfährt der Mensch Zeit im Bewusstsein eines existentiellen Mangels: „So wenig Zeit. Viel zu wenig Zeit“ (GG, S. 316), so das mehrfach attestierte Zeitgefühl der beiden Protagonisten in Ingeborg Bachmanns Hörspiel Der gute Gott von Manhattan (1957). Die Türen zur zeitlos-ewigen Vollkommenheit sind verschlossen, was bleibt sind Tod und Endlichkeit als die große „Kränkung“ des Lebens: „Ist da nicht zu wenig verklagt in der wenigen Zeit? Reißen wir unsere Herzen aus für ein Nichts und um mit dieser jämmerlichen Klage die Leere zu füllen, und stirbst du dafür!“ (GG, S. 316) Die Sehnsucht nach einer radikal „anderen“, gerade nicht linearen Zeit gestaltet sich im Guten Gott als utopische Suche nach dem „verlorenen Paradies“, in der „die unverrückbare lückenlose Saturation und die unausgesetzte Nicht-Bewegung und Nicht-Veränderung herrschen“2. Was in biblischen Zeiten als statischer Ur-Zustand in seiner zeitlos-
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