Das Mahrleinbuch Flir Meine Lieben Nachbarsleute. in Zwei Bandchen

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Das Mahrleinbuch Flir Meine Lieben Nachbarsleute. in Zwei Bandchen ANMERKUNGEN 1 Peter Kling: Das Mahrleinbuch flir meine lieben Nachbarsleute. In zwei Bandchen. Leipzig 1799. 2 Das mir vorliegende Exemplar aus der Berliner Staatsbibliothek stammt aus der Bibliothek der Briider Jacob und Wilhelm Grimm. Es enthalt einige handschriftliche Notizen von der Hand Jacob Grimms. Auf dem Vorsatz steht: >>Dem Stil nach vom Vf. des sonst schlechteren Buchs: Schwarze Rettiche Leipzig 179. Zum Neuen Jahr 1812- im October 1811 -<<. Dieser Hinweis bezieht sich auf [Johann Gottlieb Munch:] Schwarze Rettiche, gebaut von meinem Haus-Satyr. Leipzig 1798. (Standort: Bayer. Staatsbibliothek Miinchen). Die Satiren richten sich z. B. auf Humanitatsapostel mit guten Absichten und schlechten Erfolgen; auf Zeitungsschreiber, die nur Wind machen; auf einen Kantianer, bei dessen Tatigkeit nichts Brauch bares herauskommt; auf eingebildete Schulmeister und ahnliches der Art. Den stilistischen Be fund Jacob Grimms kann man nur bestatigen. Klings >>Mahrleinbuch<< wird kurz vorgestellt in Richard Benz: Marchen-Dichtung der Roman­ tiker. Gotha 1908. S. 67f. Benz gibt >>Peter Kling<< als Pseudonym flir J. G. Miinch an, aber nicht, worauf er sich dabei stiitzt. 3 DaB der Ausdruck >>Freudenmadchen<< zu der Zeit bereits unter der heutzutage gelaufigen Be­ deutung verstanden werden konnte, notiert das Grimmsche Worterbuch: >>nach dem fr. fille de joie, wol erst nach 1750 aufgenommen<<. 4 Die Vermutung liegt nahe, die Zeit des Mahrleins als >>Freudenmiidchen<< und >>Liebeskind<< konnte auf die Epoche der Aufnahme frz. Feenmarchen in Deutschland, etwa durch Wieland, verweisen. Der Pfarrer August Jakob Liebeskind war Wielands Mitarbeiter am dritten Band der Sammlung >>Dschinnistan<< (1786-89), die durchaus erotisch-pikante Szenen enthalt, und selber durch die Sammlung orientalischer Fabeln und Marchen >>Palmblatter. Erlesene mor­ genlandische Erzahlungen flir die Jugend<< (Jena 1786-1800) bekannt geworden. Diese Samm­ lung, von Herder angeregt, verbreitet ausgesprochen moralische Grundsatze. Es spricht einiges dagegen, daB Kling iiber die Bezeichnung >>Liebeskind<< den Typus frivoler Feenmarchen a Ia Wieland und seiner Freunde assoziiert haben mochte. Die deutschen Feenmiirchen sind wie ihre Vorbilder, die franzosischen Feenmarchen, Produkte des Salons. In der ersten Phase deren Rezeption in Deutschland wurden sie im Original gelesen. Das bedeutendste und frivolste Pro­ dukt dieser speziellen Gattung in Deutschland, Wielands >>Geschichte des Prinzen Biribinker<< ( 1764), setzt in time Kenntnis der parodierten Origin ale unbedingt voraus. An welchem gesell­ schaftlichen Ort Wielands Marchen passend vorzustellen sind, zeigt Goethes Bemerkung in der »Italienischen Reise<<, da er sich in einen unerwartet priichtigen Palast Neapels eingeladen fin­ det: >>An beiden Seiten derselben [Treppe] hinaufwiirts, in kostbarer Livree, Bedienten gereiht, die sich, wie ich an ihnen vorbeistieg, aufs tiefste biickten. Ich schien mir der Sultan in Wie­ lands Feenmarchen und faBte mir nach dessen Beispiel ein Herz.<< In: Berliner Ausgabe. Bd. 14 S. 369 f. Auf diese Stelle weist schon hin: Siegfried Mauermann (Hrsg.): Dschinnistan oder aus­ erlesene Feen- und Geistermiirchen. Berlin 1938. S. A7. Mit dem historisch noch nicht entriickten Faktum, daB Feenmiirchen jener erotischen Spielart allein von der hoheren Gesellschaft aufgenommen und gepflegt wurden, IieBe sich ftir den Le- Anmerkungen 157 ser die Klingsche Mlirchen-Personifikation nicht verbinden, die zu Beginn der Erzlihlung auf der StraBe ihren Ort hat. Vor allem fehlt der Figur in diesem Stadiumjegliches Kennzeichen, das inhaltlich speziell aufFeenmlirchen verweist, wenn man nicht das Geriicht der >>Siinde<< fUr einen solchen Hinweis nimmt. Mir scheint, daB die Ubertragung der Bedeutung in umgekehr­ ter Richtung lliuft. Zu der Einschlitzung, daB die Gattung Mlirchen keinen guten Ruf habe, sucht Kling die Figur, die diesen Zustand versinnlicht, also ein Freudenmlidchen. Eine Verbin­ dunq zwischen Freudenmlidchen und literarischem Geschmack, der unterm Strich sei, zieht auch Johann Friedrich Jiinger in seinem Roman »Fritz«, in dem er >>Gymnasiasten und Freu­ denmlidchen, jiidische Belletristinnen und christliche Landpredigertiichter, Studenten und La­ dendiener« als Stiitzen der schlechten deutschen Romankultur hinstellt. F. J. Junger; Fritz. Ein komischer Roman. Neue Auflage. Fiinfter Teil. Leipzig 1807. S. 2. 5 Als ein Beispiel daflir, wie Kling in seinem Band vorgefundene Mlirchen erzlihlt, sei das siebte kurz skizziert. Jacob Grimm hat neben der Inhaltsangabe u. a. handschriftlich notiert: >>Die sie­ ben ersten die besten«. Das siebte Marchen (S. 113-130), es hat keinen Titel, ist eine Version des Tierbrliutigams. Ein Kaufmann hat drei Tochter, denen er von der Reise etwas mitbringen soll, die jiingste wiinscht sich drei Eicheln an einem Zweig. Auf der Suche nach dem Eichel­ zweig gerlit der Kaufmann in einen tiefen Wald und in die Gewalt eines Baren, der die jiingste Tochter heiraten will. So geschieht's. Nach einigen Proben und Priifungen, die von der jungen Frau abzulegen sind, wird der verwunschene Bar erliist und die Familie gliicklich. Nach seinem erzlihlten Geschehensablauf durchaus ein Volksmlirchen, aber nicht stets in der Art des Erzah­ lens. Das wird am Ende besonders deutlich: >>und manche Ehfrau hat noch den Glauben an drei Eicheln, und die klugen Miitter rathen ihren Tiichtern keinen Baren zum Mann zu neb­ men. Daher denn Asmodi, der Spottvogel, der Mligdleinverflihrer, wie manche Ehefrauen wis­ sen wollen, die Tliuschung gebrauchet, und erst nach den Flitterwochen die Manner in diese Thiere verwandelt, und will die Stadtchronik und das Ehgericht dies vorziiglich bei alten Mlin­ nern undjungen Weibern behaupten.« (S. 130). Asmodi ist in der hebrliischen Mythologie ein nach Frauen liisterner Damon, der Eheteufel. Scherzhaft wird das Volksmlirchen in alltligliche Verhaltnisse hinein verllingert. AmEnde zielt alles auf menschliche Schwlichen und eine Mo­ ral von der Geschichte a b. Der zugleich moralische wie frivole Gestus miichte sich den Unter­ haltungen hiiherer Gesellschaftsschichten anpassen, andererseits auch den Interessen eines stadtischen biirgerlichen Publikums (Stadtchronik, Ehgericht). Dies siebte Mlirchen kommt also zu dem selben SchluB, den >>Das Mahrlein« im voraus angegeben hat: Akkommodierung des Gewohnlichen an das Feinere. Dem Rezensenten in der »Allgemeinen Literatur-Zeitung« erscheint dies nicht gelungen. DaB man in vielen Stiicken des Bandes keine moralische Ten­ denz bemerken konne, konnte noch hingehen; daB aber der Vortrag fehlerhaft sei und miindli­ ches Erzlihlen schlecht nachahme, zeige wahl an, daB der Verfasser sein Biichlein >>Lesern von gebildetem Geiste« nicht bestimmt habe. In: Allgemeine Literatur-Zeitung. Nr. 157 (4. 6. 1800). Sp. 520. 6 Friedrich Wilhelm Zachariae: Hinterlassene Schriften. Ein Anhang zu der neuesten rechtmaBi­ gen Auflage seiner Poetischen Werke. Hrsg. von Johann Joachim Eschenburg. Braunschweig 1781. Die folgenden Zitate aus dem >>Vorbericht« findet manS. 38f. 7 Der Rezensent der Messeneuheit in den >>Frankfurter Gelehrte Anzeigen« (vom 29. 9. 1772) in­ des stiiBt sich grad an diesem Andersmachen. Der die Marchen versifiziert habe, versifiziere fein, salle dem ungeachtet keine Mar mehr versifizieren; denn ihm mangele der >>Blinkelslin­ gersblick«, der die Welt anschaut, wie sie in den Quadraten seiner Bilder erscheint. Der Re­ zensent sieht das Problem darin, daB sich aus Marlein und Liedern, >>die unter Handwerkspur­ schen, Soldaten und Magden herumgehen«, wahl ein neuer Ton fUr die Literatur gewinnen Iie­ Be, legitim und angemessen nur dann, wenn der Marchenneuschreiber den naiven Standpunkt ernst nimmt. Was ihm an Zachariaes Mlirlein fehlt, ist eben Naivitat in Freude und Trauer, die sinnlich direkten Aktionen und die Komprimierung des Geschehens. Der Rezensent ist Goe­ the, der Mentor seiner Kritik Herder. 8 Allgemeine deutsche Bibliothek, 20. Bd., II. Stiick. ( 1773). S. 585 f. Der Rezensent zeichnet mit >>Ab.«. Das ist Muslius nach Gustav C. F. Parthey: Die Mitarbeiter an Friedrich Nicolai's All- 158 Anmerkungen gemeiner Deutscher Bibliothek nach ihren Namen und Zeichen in zwei Registern geordnet. Hildesheim 1973 (Nachdruck der Ausgabe Berlin 1842). S. 54. 9 Wielands Gesammelte Schriften. Hrsg. von der Deutschen Kommission der PreuBischen Aka­ demie der Wissenschaften. Erste Abteilung: Werke. 18. Bd.: Dschinnistan oder auserlesene Peen- und Geistermiirchen. Hrsg. von Siegfried Mauermann. Berlin 1938. S. Sf. 10 ebd. S. 9. 11 Johann Karl August Musiius: Volksmiirchen der Deutschen. Vollstiindige Ausgabe, nach dem Text der Erstausgabe von 1782-86. Miinchen 1961. Die folgenden Seitenangaben im Text be­ ziehen sich auf diese Ausgabe. Der Kuster David Runkel, den Musiius als Adressaten seines Vorberichts ausgibt und dessen Physiognomie er als bekannt voraussetzt, da sie im Gottingischen Taschenkalender des Jahres 1782 zum Monat April abgekupfert sei (priizis in dessen Teil: »Taschenbuch zum Nutzen und Vergniigen furs Jahr 1782. Mit Kupfern von Chodowiecki, nebst den neuesten Frauenzimmer­ Moden, in Kupfer.<<), muB man als eine Figur des ironischen Vorbehalts ansehen. Der Kupfer­ stich zeigt den Kiister nicht ernsthaft bei seinem Amtsgeschiift, sondern vor der Kirche im leut­ seligen Tete-a-tete mit einem wohlgeputzten Frauenzimmer. Der Kommentar zu den Kupfern sagt dazu: »Der Kiister gehort mit zur Kirche, die hier abgebildet steht aber nicht absolute zu der Kirche, deren Bau sich nicht zeichnen liiBt. Er scheint sich auf
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