Nr.3|31. März 2013

Aung SanSuu Kyi Ikone der Freiheit | Gabriela Adames˛teanu Der gleiche Weg an jedem Tag | Christian Haller Der seltsame Fremde| Aris Fioretos Die halbe Sonne |Interview mit Konrad Stamm über MinisterWalter Stucki| Kofi Annan Leben in Krieg und Frieden|WeitereRezensionen zu Jean Paul, Anne Sinclair,Oliver Sacks undanderen | Charles Lewinsky Zitatenlese NurCHF 129.- Entdecken Siedie neue Leichtigkeit desLesens!

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UnsereeBook-Tipps: . ewähr

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Volker Klüpfel, 10CFWMMQ7CQAwEX-TTrjfO5XCJ0kUUKL2biJr_V3B0FCNtMTvHkdHw474_zv2ZBJYwbp0cGSOa9zU394alJ0Q5qBu_y0X-6QaOVVBNxSCjijDB6OXRi5qBmmd4e1-vDyP6Wvp_AAAA

Franz Hohler EvelineHasler hn Michael Kobr Der Geister- Mit dem letzten Falken do Herzblut fahrer Schiff CHF 27.90 un CHF 21.90 CHF 19.90 CHF 22.90 MwSt. inkl. eise Pr Alle

wwwwww.b.buch.ch Inhalt Beim Betrachten des älteren Fotosvon Egon Friedell (Seite25) kammir Wenn ein Buch der Gedanke, wasfür eine Person sich hinter diesem umstrittenen mehr überzeugt Autor, Kabarettisten und Kulturhistoriker wohl verbirgt. Eine heutige Gender-Expertin würde ihm wohl am liebsten eine runterputzen. Doch als sein Autor damals warFriedell äusserst populär,auch bei Frauen. Oder –anderes Beispiel –was für ein Kotzbrocken eigentlich der Satiriker Jean Paul war, dessen 250. Geburtstag wir feiern: ein ungepflegter Sonderling, der soff und im Schlafrock dichtete. Der jedoch vonKritik und Publikum verehrt wird(S. 21). VonElias Canetti, dessen wunderbaren Charakter- kopf wir auf Seite27zeigen, ganz zu schweigen: ein Literat vonWelt- klasse,aber menschlich ein furchtbarer Despot. Washeisst das?Nicht hinter jedem überragenden Buch steht auch ein grosser Mensch. Keine Frage, dassessich lohnt, einen Roman, eine Erzählung, ein Sachbuch auch dann zu lesen, wenn einem der Schöpfer oder die Schöpferin garnicht behagt. Geradeinder Literatur weist das Werk oft weit über die Person hinaus. Vielleicht sollten wir diese Lehre auch in der Politik und im Zusammenleben mehr beherzigen. Wenn Siemögen, schauen Siesich doch einmal die grossen Namen in

Aung SanSuu Kyi dieser Nummer unter dieser Optik an: Kofi Annan, Aung SanSuu Kyi, (Seite19). PabloPicasso,OliverSacks, SherylSandbergund so fort. Viel Spassan Illustration von André Carrilho den Büchern vonund mit diesen Persönlichkeiten. UrsRauber

Belletristik Kurzkritiken Sachbuch 19 Jesper Bengtsson:Ikone der Freiheit –Aung SanSuu Kyi 4 Christian Haller: Der seltsame Fremde 15 Marti Olsen Laney: Die Macht der VonKathrin Alder VonManfred Papst Introvertierten 20 Anne Sinclair: Lieber Picasso,wobleiben 6 Laurent Mauvignier: Wasist ein Leben wert? VonKathrin Meier-Rust meine Harlekine? VonAngelikaOverath Erwin Bischof: Verräter und Versager VonKathrin Meier-Rust 7 E. L. Doctorow: Alle Zeit der Welt VonUrs Rauber Christine Eichel:Das deutsche Pfarrhaus VonSimone vonBüren Alain Claude Sulzer: Basel VonGerdKolbe 8 GünterKunert: Tröstliche Katastophen VonUrs Rauber 21 Helmut Pfotenhauer: Jean Paul –Das Leben VonThomas Feitknecht Al Imfeld:Auf den Strassen zumHimmel als Schreiben MarkusStegmann: Ingmar Alge VonGenevièveLüscher Günter de Bruyn: DasLeben des Jean Paul VonGerhardMack VonKirsten Voigt 9 ArisFioretos: Die halbe Sonne Sachbuch 22 Hans Giffhorn: WurdeAmerikainder Antike VonSandraLeis entdeckt? 10 Gabriela Adames˛teanu: Der gleiche Weg 16 DaronAcemoglu, James Robinson: Warum VonGenevièveLüscher an jedem Ta g Nationen scheitern David Blatner: Extremwelten VonStefana Sabin VonMichael Holmes VonAndré Behr 11 E-Krimi des Monats 18 Kofi Annan, Nader Mousavizadeh: Ein Leben 23 ChristofDejung: Die Fäden des globalen Hugh Howey: Silo in Krieg und Frieden Marktes VonChristine Brand VonAnna Trechsel VonAlexis Schwarzenbach Stefan Moses: Deutschlands Emigranten Kurzkritiken Belletristik VonKathrin Meier-Rust 24 Oliver Sacks: Drachen, Doppelgänger und 11 Felix Hartlaub: Italienische Reise Dämonen VonManfred Papst VonAnjaHirsch Marchesa Colombi: Ein BräutigamfürsLeben 25 BernhardViel: Egon Friedell VonRegula Freuler VonUrs Bitterli Sara Gran: DasEnde der Welt Reimer Gronemeyer: Das4.Lebensalter VonRegula Freuler VonKlaraObermüller HermannLenz: Neue Zeit 26 HubertWolf: Die Nonnen vonSant‘Ambrogio VonManfred Papst VonUrs Rauber Dasamerikanische Buch Interview Sheryl Sandberg: Lean In VonAndreas Mink 12 Konrad Stamm, Journalistund Autor Minister mit Maschinenpistole: Agenda WirtschaftsdiplomatWalter Stucki VonUrs Rauber 27 Renate vonMangoldt: Autoren VonManfred Papst Kolumne TO Bestseller März2013 ZPHO Belletristik und Sachbuch LU 15 Charles Lewinsky Gabriela Adames˛teanu beschreibt den Wegeiner jungen Agenda April 2013 Das Zitat vonW.Somerset Maugham Frau im Rumänien der 1960er Jahre(Seite10). Veranstaltungshinweise

Chefredaktion Felix E.Müller (fem.) Redaktion UrsRauber (ura.) (Leitung), Regula Freuler (ruf.), GenevièveLüscher (glü.), Kathrin Meier-Rust (kmr.), Manfred Papst (pap.) StändigeMitarbeit UrsAltermatt,Urs Bitterli, Manfred Koch, Gunhild Kübler,SandraLeis, Charles Lewinsky, Beatrix Mesmer,Andreas Mink, KlaraObermüller,AngelikaOverath, Martin Zingg Produktion Eveline Roth, Hans PeterHösli (Art Director), UrsSchilliger (Bildredaktion), Manuela Klingler (Layout), Korrektorat St.Galler Tagblatt AG Verlag NZZamSonntag, «Bücher am Sonntag», Postfach, 8021 Zürich, Telefon 0442581111, Fax04426170 70, E-Mail: [email protected]

31. März 2013 ❘ NZZamSonntag ❘ 3 Belletristik

Roman Der Aargauer Erzähler Christian Haller legt zu seinem siebzigsten Geburtstag mit «Der seltsame Fremde» ein so komplexeswie faszinierendes neues Buch vor MitMephistoin derDritten Welt

Daneben hatHaller aber auch häufig Sein Gesicht erscheint nicht im Spiegel. Christian Haller: Der seltsame Fremde. die kleine Form gepflegt und unter dem Underkann rauchen, ohne dassseine Luchterhand, München 2013. 381 Seiten, Titel«Die Stecknadeln des Herrn Nabo- Umwelt davonKenntnis nimmt. Das ist Fr.32.90,E-Book 23.90. kov» wundersame philosophische Mini- für einen passionierten Freund des Ta- aturen publiziert, die meist vonAlltags- baks ein enormer Vorteil, nicht zuletzt VonManfred Papst erfahrungen ausgehen und das anspre- auf Langstreckenflügen. chen, wasder Philosoph Günther An- Mit dem «Causeur», der den Fotogra- DassChristian Haller ein Romancier dersdie «Antiquiertheit des Menschen» fenClemens Lang begleitet, hatChris- vonhohem Rang ist, wissen wir spätes- genannt hat. tian Haller eine faszinierende,schillern- tens seit seiner «Trilogie des Erinnerns» Immer wieder hatChristian Haller de Figurgeschaffen. Sieist unter ande- (2001–2006). Sieumfasst drei autobio- uns mit seinen Büchern überrascht. Mit remeine versteckteHommageanden grafisch inspirierteRomane,indenen seinem Roman «Der seltsame Fremde» grossen Wiener Kulturhistoriker,Schau- der Autorsprachmächtig und präzis, tuteresaufsNeue. Noch einmal wagt er spieler und Feuilletonisten Egon Frie- musikalisch vielfältig und perspekti- etwasimWortsinn Unerhörtes. Die Ge- dell, den Haller verehrt und dessen visch aufgefächert vomLeben einer schichtebeginnt zwar unspektakulär. Werk er sehr genau kennt. Aber es spie- Schweizer Familie über ein halbes Jahr- Ein Fotograf sitzt in seiner Wohnung. len auch andereElementehinein. Der hundert hinwegerzählt. Haller umreisst Durchs Fenster sieht er den kanalisier- Causeur ist ein komplexer, kaum zu fas- hier eine ganzeEpoche der Schweizer tenFluss. Wirmüssen keine Hellseher sender Charakter und nicht zufällig die Geschichte. Sein Hauptwerk steht in der sein, um in der Szenerie HallersHeimat Titelfigur des Romans. Tradition Meinrad Inglins und ist in sei- Laufenburgund den Rhein zu erkennen. Clemens Lang reist in eine unbekann- ner Bedeutung bis heute noch nicht an- 1908 wurden hier Felsen gesprengt, um te Welt. Sieverwirrt und ängstigt ihn. nähernd erfasst. den Flusslauf zu beruhigen. HallersPro- UnsLesern geht es nicht anders. Dass Die «Trilogie des Erinnerns» ist indes tagonist beobachtet die bewegten Was- wir nicht wissen, wo wir sind, erhöht die bei weitem nicht das einzigebemer- sermassen und hält ihreSchönheit in Spannung. Befinden wir uns in einer in- kenswerteBuch dieses sperrigen Au- statischen Bildern fest. In diesem Wi- dischen oder südamerikanischen Met- tors,der in seinem Äusseren so sehr an derspruch kann man durchaus so etwas ropole? Der Autorhat die Antwort be- Samuel Becketterinnert. Vieles wäre wie den Bauplan des Romans erkennen. wusstausgespart. Er will uns keine lokal hier zu erwähnen, vonder herben, dich- zu verortende Story liefern, sondern tenLyrik bis zum 2008 erschienenen Auf Höllenfahrt nimmt uns mit auf eine Höllenfahrt. Wir Roman «Im Park», einem Schmerzens- Clemens Lang, so heisst der Fotograf, begleiten den skrupulösen Fotografen buch vonexistenzieller Wucht. wirdschon auf der ersten Seitedes mit äusserster Anspannung. Undwir re- Buchs freudig erschreckt. Eine Einla- agieren so irritiert und doch auch er- dung zu einem Kongress lockt ihn aus leichtert wie er,wenn der «seltsame seinem Schneckenhaus. Ängstlich und Fremde» wieder auftaucht. Wirbegin- Christian Haller neugierig bricht er auf.Seine Reise führt nen seine diabolischen Causerien zu lie- ihn in eine ferne,namenlose Metropole. ben. Wirliefern ihm uns zunehmend 1943 in Brugg geboren, studierte Lang soll im Rahmen eines Kongresses bereitwillig aus. Christian Haller Biologie und leitetedas seine Arbeit vorstellen. Er wähnt sich Gebannt begleiten wir Clemens Lang Gottlieb-Duttweiler-Institut in Rüschli- allein unterwegs. Doch schon am Flug- und seinen geisterhaftenBegleiter kon/Zürich. Seit vielen Jahren lebt er als hafen lernt er einen seltsamen Gefähr- durch die fremde Metropole. Wirbegeg- freier Schriftsteller und Dramaturg im tenkennen, der ihn fortan begleitet. nen unbekannten Menschen, Tieren, aargauischen Laufenburg. Er hatRo- Dieser ist ein rätselhafterGeselle. Ein Farben, Gerüchen. Schrittfür Schritt mane, Erzählungen, Essays und Gedichte anhänglicher Plauderer,der sich aber sind wir verunsichert und überwältigt. veröffentlicht. Seine Werkesind bei auch immer wieder entzieht. Offen- Doch unser Held trifft nicht nur auf eine Luchterhand sowie als Ta schenbuchaus- sichtlich haterEigenschaftenund Fä- irritierende Gegenwart. Er wirdauch gaben bei btb lieferbar. higkeiten, über die Normalsterbliche mit seiner Vergangenheit konfrontiert. nicht verfügen. Er kann Gedanken lesen. Die Reise durchs Labyrinth der unbe-

4 ❘ NZZamSonntag ❘ 31. März 2013 die Abenteuer vonClemens Lang und seinem geheimnisvollen Gefährten mit einer elaborierten Theorie des Bildes. Aber eben: Es verwebtsie. Es arbeitet sie in den Erzählflussein. Hättenwir denn jemals einem Thomas Mann vor- geworfen, dassinseinem «Doktor Faus- tus» etwasviel vonBeethovens Spät- werk,der Zwölftonmusik und anderen schwerverständlichen Dingen die Rede sei?Angesichts dessen, wasdie literari- sche Saison an so gestyltemwie an- spruchslosem Lesefutterhervorbringt, kann man nur ausrufen: Gottseidank wagt wieder einmal einer etwas! Zum Glück appelliert einer an unsereNeu- gier und Intelligenz –und nicht nur an unserebanale Fresslust. Keine simple Geschichte Nicht alles in Christian Hallersneuem Roman ist gleich gelungen. Bisweilen ächzt das Werk –wie andereseines Ka- libers–unter der Last seines Anspruchs. Aber das liegt an den verarbeiteten Stoffmassen und ihren vielfachen Spie- gelungen. Dieser Autorist kein Nebel- werfer,kein absichtsvoller Enigmatiker. Er schreibt so einfach wie möglich und so kompliziert wie nötig. Waseruns hier mitzuteilen hat, ist nun einmal keine simple Story.

AFIE «Der seltsame Fremde» ist ein Welt- GR und Lebensbuch für klugeund geduldi- OTO

TF ge Leser.Wer sich in dieses Labyrinth T& wagt, hatdurchaus etwasauszustehen. kannten Stadtwirdzueiner Reise ins ebenen und subtilen Brechungen. Es «Samuel Beckett» der Er wirdsich bisweilen einsam und ver- eigene Ich. Das ist ein wesentliches Ele- analysiert unter anderem auf hinreis- Schweizer Literatur: loren fühlen. Er wirdAngst haben. Er Der sperrigeAutor ment des Romans. In der Fremde spie- sende Weise die Geschichteder Bilder Christian Haller wirdhungern und frieren. Dafür aber gelt sich das Eigenste. Das Buch reflek- und ihrer Wahrnehmung vonder Erfin- entführtuns in eine wirderreich an Erfahrungen und Ideen, tiert aber anhand des geschilderten dung der Zentralperspektive bis zur di- unbekannteStadt, auch reich an beglückenden Sprachbil- Kongresses, an dem Lang bezeichnen- gitalen Fotografie. begleitet voneinem dern aus ihm auftauchen. Underwird derweise seinen eigenen Auftrittver- EinigeKritiker haben dem Werk des- geheimnisvollen ein anderer sein als zuvor. Mehr kann Fremden. passt, auch Fragen der modernen Wis- halb vorgeworfen, es sei theorielastig, man voneinem Roman kaum verlangen. senschaft, der Erkenntnistheorie,der bleiern, verkopft.Nichts könntefalscher Man wünscht diesem Werk deshalb Philosophie. «Der seltsame Fremde» ist sein. Gewiss: «Der seltsame Fremde» ist viele Leser –und den kommenden Auf- ein komplexesBuch mit vielen Erzähl- ein anspruchsvolles Buch. Es verwebt lagen weniger Druckfehler. l

31. März 2013 ❘ NZZamSonntag ❘ 5 Belletristik Erzählung Weil er in einem Warenhaus eine Dose Bier trank, prügelten vier Wachleute einen Mann zu Tode. Laurent Mauvignier rollt die brutale Tatineinem Monolog des Sterbenden auf Mord im Supermarkt

Laurent Mauvignier: Wasist ein Leben wert? Ausdem Französischen von Annette Lallemand. dtv, München 2013. 75 Seiten, Fr.14.90,E-Book 10.90.

VonAngelikaOverath

Laurent Mauvignier,1967 in Toursgebo- ren, gehört zu den wichtigsten französi- schen Autorender Gegenwart. Bislang sind drei seiner Romane auf Deutsch erschienen, zuletzt 2011 «Die Wunde» (französisch «Des hommes»), ein Text über die psychischen Folgen des ver- drängten Algerien-Kriegs. Seine jüngsteErzählung «Was ist ein Leben wert?» (französisch «Ceque j’appelle oubli») nimmt die Thematik vonGewalt und ihrer Tabuisierung wie- der auf,aber sie reflektiert zugleich, was das Erzählen leisten kann. Das Buch, vonAnnette Lallemand brillant über- setzt, ist der Versuch einer sprachlichen Vergegenwärtigung vonunfasslicher banaler Gewalt. Im Dezember 2009 be- richtet eine Zeitungsnotiz, dassSuper- markt-Aufseher in Lyon einen Mann zu Tode prügelten, weil er eine Büchse Bier GER aus dem Regalnahm und austrank. Die- ser journalistische Splitter, diese uner- NZENBER hörteBegebenheit, wurdezur Provoka- /A ARS

tion für die dichterische Vorstellungs- PIP

kraft. Wasgenau ist geschehen?Wie NIS ging das vorsich?Wie reagiert eine zivi- JA le Gesellschaft? Der Supermarkt wird der Sicht des Opfers («ihr seid so alt wie liebt, der in der Zooabteilung des Kauf- in der Erzählung des ich, du, du bist noch jünger,und du, he, hauses die Vögel beobachtet, der bet- Franzosen Laurent Tod in Zeitlupe Mauvignier zumOrt du? weisst du nicht, wie es ist, wenn telnd oder wenigstens auf Geld wartend, In Momentaufnahmen entwickelt Mau- unfassbarer Gewalt. man Durst hat») wie aus der Sicht des am Bahnhofherumhockt, dieser Typin vignier ein Kaleidoskop vonPsycho- Erzählers(«der Schrecken, die Panik, der Jogginghose und dem komischen grammen zwischen dem Opfer, den vier nein, nicht Panik, nicht schon Panik –, schwarz-gelben T- Shirt wirdzueinem Tätern, Familien, Nachbarn. Er will den dieses mulmigeGefühl, als er sie näher eigenartigen Helden. Vorfall zurückrufen, um ihn zu begrei- kommen sieht, immer noch steht er Zwar stirbt er einen erbärmlichen fenund, sichtbar gemacht, dem Verges- ganz nah bei den Bieren»). Tod, den er nicht versteht und nicht ak- sen zu entziehen. Der Text ist radikal. Er Beide Perspektivenkönnen fliessend zeptiert («nicht jetzt, nicht jetzt, nicht beginnt erst nach einer halben leeren ineinander übergehen und geratenin so,nicht jetzt –»). Aber wir begreifen, Seite, mitteninder Zeile,mittenimSatz: eine weitereDynamik, wenn der Bruder dassergerne auf dieser Welt war, dass «und das, wasder Staatsanwalt sagte, des Opfers als Adressatdes Erzählens er etwashatte,was viele eben nicht war, dassein Mensch wegensoeiner angesprochen wird(«das sage ich dir, haben. Denn er genosses, «sich in einem Kleinigkeit doch nicht sterben dürfe, weil du sein Bruder bist») und Kind- Körper lebendig zu fühlen» und spürte, dassesungerecht sei, wenn ein Mensch heitserinnerungen sich über ihn öffnen. «dassdas Leben absolutnicht knausrig sterbe wegeneiner Dose Bier.» Undnun Erreicht wirdeine unglaubliche Nähe,ja mit ihm umgegangen sei». zieht sich dieser einzigeSatzbis zum Intimität. Der Leser scheint hautnah da- Undsoentfernt sich dieser Erschla- Ende des Textes, wo er abbricht mit der beizusein, erst zwischen den Super- gene am Ende als ein Alter egodes Au- finalen Todeshoffnung des Sterbenden: marktregalen, später im Kühlraum, wo tors,ein Bruder vielleicht auch für uns: «Wie im letzten Moment, als da diese er –das Erzählen springt assoziativwie «Keine Sorge,würde ich dir sagen, mein Stimme war, die immer wieder nur wie- das fragende Erinnern, wie das suchen- Todist nicht das traurigsteEreignis in derholte, nicht jetzt, nicht so,bis auch de Nachdenken –die Gewalttat in ihren meinem Leben, wastraurig ist in mei- sie verstummteund sich in einem Flüs- Details noch und noch einmal miterle- nem Leben, das ist diese Welt mit Auf- tern, einem Hauch, einem Pfeifen verlor, ben muss, quälend, in Zeitlupe. passern und Leuten, die übereinander seine Stimme,die in seinem Kopf wei- hinwegsehen in ihren verdorrten und termurmelteund unaufhörlich wieder- Vom Opfer zum Helden verblassten Leben, dieser ständige, all- holte, nicht jetzt, nicht jetzt, nicht so, Doch im Verlauf der Geschichtege- tägliche Tod, dassdies endlich aufhört, nicht jetzt –.» Damit aber kommt der schieht etwasErstaunliches. Das Opfer glaube mir,das ist nicht so bedauerns- Text nahtlos zum Anfang zurück. Der löst sich aus der Demütigung. Sukzessiv wert, wie die Lust an Wein oder Bier zu Satz ist ein Kreis, ein In-sich-Kreisen, in lernen wir einen Menschen kennen, der verlieren, die Lust am Küssen, sich für dem das Sterben und Leben des zu Tode uns erstaunt. Dieser Mann vomRand Menschen in der Métroein Schicksal Geprügelten aufbewahrt wird. der Gesellschaft, der im öffentlichen auszudenken und die Lust, Stunden um Der Leser teilt das Geschehen in Se- Schwimmbad duscht und, vonSpannern Stunden durch die Strassen zu laufen, kunden-Wahrnehmungen, und zwar aus belästigt, auf den Kieseln an der Loire und noch tausenderlei anderes.» l

6 ❘ NZZamSonntag ❘ 31. März 2013 Storys Neue und alteErzählungen vonE.L.Doctorow Kleine Texteeines grossen Autors

zig Jahren. Einigewirkenwie Übungen, E.L. Doctorow:Alle Zeit der Welt. Aus so etwa das ausschliesslich in Dialogen dem Amerikanischen vonG.Krueger geschriebene «Edgemont Drive»über und A. Praesent. Kiepenheuer &Witsch, einen Mann, der sich auf unheimliche Köln 2013. 352 S., Fr.28.90,E-Book 27.20. Weise den Bewohnern seines ehemali- S genElternhauses aufdrängt. Andere GE VonSimone vonBüren mutenanwie Skizzenfür längereTexte, IMA

zum Beispiel «Jolene: ein Leben» über GETTY E.L. Doctorow ist ein literarischer Gi- eine 25-jährigeMehrfach-Witweauf der E. L. DoctorowsKurzgeschichtendrehen sich um Menschen am Rand. gant, bekannt für seine preisgekrönten Flucht vorgewalttätigen Männern; oder Romane –grosseTexte,die vongrossen die Titelgeschichte, in der ein NewYor- Verbunden sind die Storysdurch die historischen Ereignissen ausgehen. Erst kerOpfer künstlicher Intelligenz zu sein Randposition ihrer Protagonisten, die spät haterbegonnen, Storysvorzulegen, glaubt. Ein weiterer Text erschliesst sich sich in Konflikt mit gängigen Moralvor- die so typisch amerikanische Kurzform. nur in Bezug auf Doctorows Roman stellungen befinden, im Rückzug von In seiner wie eine Rechtfertigung klin- «BillyBathgate» (1990). der Welt, im Kampfmit ihrer Eifersucht genden Abgrenzung der Story vom Starksind diejenigen Storys, die sich und Wut. Ein zweifelnder Pfarrer,aus Roman im Vorwort zur neusten Samm- auf einen Moment der Einsicht oder dessen Kirche das Kreuz geraubt wird; lung spricht der 82-jährigeAutorvom Verunsicherung einlassen, der alles ver- ein Sektenanhänger,dessen Frau zur «schnellen Ertrag einer ästhetischen In- ändert: Die über den Anwalt, der eines «Purifikation» mit dem Guru schläft. vestition». Abends stattinsein Haus in die Kam- Vieles in diesem Band ist souverän Schnell scheint es jedenfalls bei der mer über seiner Garagegeht und dort erzählt und sprachlich auf hohem Ni- Zusammenstellung des Bandes gegan- sein «Talent zur Verwahrlosung» ent- veau. Wenn E.L. Doctorow keine Roma- genzusein. «Alle Zeit der Welt» ist eine deckt. Oder die über den Dreizehnjähri- ne geschrieben hätte,würde man seine willkürliche Mischung vonbereits be- gen, den die «Dreifaltigkeit aus Mutter Storyswahrscheinlich loben. Gemessen kannten und bisher unveröffentlichten und Hauslehrer und Vater(…) aus sei- an seinen grossen Texten aber enttäu- StorysDoctorows aus den letzten vier- nem Leben exkommuniziert». schen sie. l

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31. März 2013 ❘ NZZamSonntag ❘ 7 Belletristik Aufzeichnungen VonGünter Kunert erscheint ein zweiter Band seiner Erinnerungen «Man kann nichtPessimist genugsein»

Katastrophen», der die Aufzeichnungen scher Gruppen, vonder Verflachung der Günter Kunert: Tröstliche Katastrophen. von1999 bis 2011 enthält. Medien. Aufzeichnungen 1999–2011. Hrsg. Hubert Im Gegensatzzum ersten Band, der «Erinnerung an einen Planeten» hiess Witt.Hanser,München 2013. 384 Seiten, nach Themen geordnet warund da- der ersteGedichtband, den Kunert 1963 Fr.34.90. durch schubladisierend und einengend im Westen publizierte. Der Autorlebte wirkte, ist der zweiteBand chronolo- damals noch in Ostberlin, wo er anfäng- VonThomas Feitknecht gisch angelegt und lässt den Gedanken lich vomKulturbund-Präsidenten Jo- freien Lauf.Die Aufzeichnungen gleiten hannes R. Becher gefördert worden war. Seit 35 Jahren hält Günter Kunert seine fast unmerklich ineinander über: Be- Auch an diese Zeit denkt Kunert in den Erinnerungen, Träume und Gedanken trachtungen über Häuser und über die «Tröstlichen Katastrophen» zurück. Als fest, schneidet aus Zeitungen bemer- moderne Architektur werden vonKind- Reaktion auf die Ausbürgerung seines kenswerteoder verstörende Meldungen heits-Erinnerungen an den Zirkus abge- Kollegen verliesser1979 aus, die er als «Reflexionsgegenstand» löst, ihnen folgen Überlegungen zum die DDR und lebt heute in einem klei- benutzt. Er nennt diese Aufzeichnungen Heldenkult im Krieg, zur überborden- nen DorfinSchleswig-Holstein mit 76 sein «Big Book» und beruftsich dabei den Technik und zur Vergänglichkeit Einwohnern. Wenn er zuweilen –inAn- gerne auf «Inspiratoren» wie Michel de und schliesslich zum Gegensatzzwi- spielung auf seinen Wohnort –die Montaigne,Friedrich Hebbel und Franz schen Altem und Neuem. Eine Konstan- männliche «Kassandravon Kaisborstel» Kafka.Als erster Band wurde«Die Bot- te ist die Zivilisationskritik. Immer wie- genannt wird, so lässt sich seine Verkün- schaftdes Hotelzimmersanden Gast» der ist vonder «Barbarei» der Gegen- dung des drohenden Unheils bis auf den zu Kunerts 75.Geburtstag im Jahre2004 wart die Rede,vom Wachstumswahn, Gedichtband «Erinnerung an einen Pla- veröffentlicht. Jetzt erscheint, wieder- vomVerlust der seelischen und trans- neten» zurückverfolgen. Denn bereits um vonHubert Witt herausgegeben, ein zendentalen Bindungen, vonder alltäg- dort finden sich Visionen vomUnter- zweiter Band mit dem Titel«Tröstliche lichen Gewalt, vomTerror extremisti- gang dieses Planeten. In den jüngsten Aufzeichnungen wirdKunert unmiss- verständlich: «Man wirft mir stets vor, ich sei zu pessimistisch, aber man kann Malerei Träume vom trauten Heim nicht pessimistisch genug sein, sobald man bereit ist, Lehren aus der Geschich- te zu ziehen.» Kunerts Buch «Tröstliche Katastro- phen» ist ein Buch der Abschiede –auch vonseiner Frau Marianne. Als Gefährtin der vergangenen fünf Jahrzehnteist sie stets präsent in den Aufzeichnungen der Erlebnisse und Träume. Ihr,«der Mitrei- senden meines Lebens», «der liebens- werten Zensorin», hatKunert seine frü- heren Bücher gewidmet: «Immer wie- der deswegen/Und immer noch / Darum». Unvermittelt notiert er nun im Sommer 2007: «Nüchtern herausgesagt: Marianne ist mit schwererDemenz ins Heim gebracht worden.» Wenn Kunert in den folgenden Wo- chen seine Frau besucht, gibt es keine Verständigung mehr zwischen den bei- den: «Von dem Menschen, den ich ja langekannteoder gekannt zu haben glaubte, sind kaum noch Restevorhan- den.» Marianne erinnert sich an nichts mehr,auch nicht an die Katzen, die doch «ihr ein und alles gewesen sind». Zur eigenen Verwunderung registriert Ku- nert schon kurzeZeit nach der Tren- nung vonMarianne eine Veränderung auch bei sich selber: «Das Zusammenle- ben mit E., als wäredieser Zustand von jeher so gewesen, eine erstaunliche Selbstverständlichkeit, mit der ich kaum So sehenheute wohl Orte aus, an denen die Sehn- Schnell kamen die Ikonen der Befreiungsphantasien gerechnet hatte.Gleichklang.» Unddas sucht nach Vertrautheit sich mit derjenigen nach hinzu: Wohnwagen, Strände, Strassen und Flughäfen, neue Buch enthält die Widmung: «Für Fremde verbindet: Ein Wohnwagensteht an einem die wir nutzen, um gesichertauf Abenteuer zu gehen. Erika, die Lebensreiche». Strand. Hier istman wegvon Arbeit und Haus und via Seit geraumer Zeit malt der 1971 in Höchstgeborene Beidiesen intimen Stellen kommt das Satellitenschüssel doch jederzeit mit der ganzen Welt Künstler auch, wie Migranten in die Pseudoidylle Widersprüchliche der menschlichen verbunden. Washinter den Jalousien vorsich geht, eindringen. Er tutdas mit derselben sachlichen Existenz, das Kunert im Titelseines Bu- wissen wir nicht. Dass es nicht das reine Glück ist, Unterkühlung, die seine Malerei insgesamt bestimmt. ches benennt, am besten zum Ausdruck. nehmen wir hin. Der blaue Himmel schwebt über der Werdie ersteumfangreiche Monografie über den Siezeigen die Sensibilität des Dichters, bünzlig akkuraten Bleibe wie ein Damoklesschwert. Maler durchblättert,sieht: Da istein wenig AlexKatz, die manchmal unter dem Poltern gegen Ingmar Algekennt die Träume vomtrauten Heim seit eine deutliche Nähe zumGenerationskollegen Tim die globale «Barbarei» verloren zu Kindertagen: Er istineiner VorarlbergerBaufirma Eitel und doch eine ganz eigene Fremdheit in der gehen droht. Wenn Kunert über seine gross geworden. Und er hatsie vonAnfang an zum Welt, wie man sie wohl nur in Vorarlbergkennt. eigenen «Tröstlichen Katastrophen» Gegenstand seiner Malerei gemacht. Penibel sind die GerhardMack schreibt, erweist sich der 84-Jährigeals Bausparerhäuschen im vorarlbergischen Dornbirn auf Markus Stegmann (Hrsg.): Ingmar Alge. Hatje Cantz, Meister des wachen Denkens und der seinen Bildern vonjeder menschlichen Zutat Ostfildern 2013. 184 Seiten, 195Abbildungen, knappen, treffenden Sprache,die ihn gereinigt, bis sie Chiffren der Unbehaustheit wurden. Fr.53.90. seit je ausgezeichnet haben. l

8 ❘ NZZamSonntag ❘ 31. März 2013 Hommage Der schwedische Schriftsteller Aris Fioretos erzählt die Geschichteseines nach Skandinavien ausgewanderten Vaters Anatomie derSehnsucht

Aris Fioretos: Die halbe Sonne. Ein Buchübereinen Vater. Ausdem Schwedischen vonPaul Berf.Hanser, München 2013. 192Seiten, Fr.26.90, E-Book 21.90.

VonSandraLeis

Mit seinem Roman «Der letzteGrieche» (2011) hatder Literaturwissenschafter und Übersetzer Aris Fioretos den litera- rischen Durchbruch geschafft:Darin er- zählt er,der 1960 als Sohn eines griechi- schen Arztes und einer österreichischen Künstlerin in Göteborgzur Welt gekom- men ist, ebenso klug wie vergnüglich vonder Migration im 20.Jahrhundert. Im Zentrum des weitverzweigten Ro- mans steht die Geschichteeines mittel- losen Griechen, den der Vaterdes Au- tors eines Tagesnach Hause brachte und ein halbes Jahr beherbergte. Diesem «Kellergriechen» widmet der Autorauch in seinem jüngsten Buch ein kurzes Kapitel. Er schreibt, dassdie bei- den abends gerne über die Krisen im alten Land und die Arbeitsverhältnisse im neuen diskutiert haben. «Am liebs- tenuntersuchen sie jedoch die Anato- mie der Sehnsucht.» Dies umso mehr, S als im April 1967 die Militärjuntadie GE

Macht in Griechenland übernimmt und IMA die beiden Männer endgültig zu Aus- landsgriechen werden. GETTY Immer auf Achse: Aris nen 15 Jahregepflegt hat. Er stirbt mit 79 griechisches Heimatdorfmit 16 verlas- Heimweh-Griechen Fioretos beschreibt Jahren, dahingerafft vonParkinson und sen (warum, bleibt auch dem Sohn viele in seinem Roman das Während Aris Fioretos in seinem ruhelose Leben seines Demenz. Der schreibende Sohn, das äl- Jahreverborgen). In Athen besucht er grossen Epos «Der letzteGrieche» die griechischen Vaters in testevon vier Kindern, macht sich auf das Gymnasium und hisst während des komplexe Familiengeschichteeines Schweden. zu einer Spurensuche nach dem Vater Bürgerkrieges ein schwarzes Hemd als Mannes erzählt, dem er als Siebenjähri- und erzählt die Biografievom Ende her Flagge. Unfreiwillig verlässt er als gerbegegnet und der dann wieder sei- bis zum Anfang. Keineswegs linear,son- 19-Jähriger Griechenland, studiert in ner Wege geht, porträtiert er in «Die dern lückenhaft, in Episoden, dialogi- Wien Medizin, bleibt in Schweden hän- halbe Sonne» den eigenen Vater, zwei- schen Szenen, Stimmungsbildern, origi- genund heiratet eine österreichische felsohne seine wichtigstemännliche Be- nellen Stichwörtern zur Person des Va- Kunststudentin. Siebekommen vier zugsperson. Liegt es an der fehlenden ters und oft belanglosen Thesen über Kinder,ziehen im Schnittalle zwei Jahre Distanz des Autors zu seinem Sujet oder ausländische Väter,die Fioretos übers um und leben konsequent über ihreVer- am allfälligen Zeitdruck, dem der Über- ganzeBuch verteilt. Da heisst es etwa: hältnisse. «Nicht aus Leichtsinn oder setzer Paul Berf ausgesetzt war? Schwer «Auch ein ausländischer Vatermussge- Dummdreistigkeit, sondern weil er kei- zu sagen. Festzuhalten aber ist, dassPaul schützt werden. ZumBeispiel durch nen Grund sieht, sich vonHindernissen Berf mit dem Roman «Der letzteGrie- Nachsicht.» hemmen zu lassen, die er als läppisch che» eine überaus eleganteund ge- oder beleidigend empfindet.» Nach schmeidigeÜbersetzung gelungen ist. Patriarch mit vier Kindern dreissig Jahren im Ausland erhält der Nicht nur die Geschichte, vorallem die Solche Allerweltsweisheiten sind der Vaterden Auftrag, in Griechenland eine makellose Sprache hatden Leser in Lektüreabträglich; Leben und Persön- neue medizinische Fakultät aufzubauen. Bann geschlagen. lichkeit des Vaters aber sind Stoffgenug Er kehrt zurück, nimmt sich dieser Her- In «Die halbe Sonne. Ein Buch über für ein Buch. Er sahaus wie Dr.Schiwa- kulesarbeit an und baut auch ein Haus einen Vater» hingegen stolpert man go und verströmtedie Aura eines Pro- für seine Familie. immer wieder über die Sprache und minenten. Selbst der österreichische Stetiger Aufbruch gehört zu diesem liest Sätzewie «Das Talent des Vaters, Bundeskanzler Bruno Kreisky, dem die «Vierkinderpatriarchen», der mit reich- den WeginandereMenschen zu finden, Eltern eines Tageszufällig in einem lich Energie und Optimismus und einer zu Stellen, an denen sie nicht fertig sind, Wiener Museum begegnet sind, mar- liebenden Ehefrau gesegnet ist, bis die sondern gewillt, sich zu verändern, ist schiertequer durch den Saal und schüt- Lebensuhr schliesslich abläuftund der vielfach bezeugt.» «Hilflosigkeit fusselt teltedem Vaterenthusiastisch die Hand. Vater«dünn und struppig» wird, «glei- in seiner Brust.» Oder: «Der Vaterent- Aris Fioretos schreibt: «Später lachte chermassen Herbariumpflanzeund Leib hält vieles, wasden Sohn beschäftigt.» der Gegenstand der Aufmerksamkeit aus Fleisch und Blut, wie er dort kissen- Der Text ohne Gattungsbezeichnung über den Vorfall, aber ein Teil vonihm gestützt in seinem Krankenhausbett Roman oder Erzählung setzt ein im Juni konntenie ganz das Gefühl abschütteln, liegt». Obwohl diese Hommagelitera- 2010 mit der Nachricht vomTod des Va- er habe sie verdient.» risch kein Meisterwerkist –die Figur ters,telefonisch überbracht vonder 1931 als siebtes und letztes Kind zur des kosmopolitischen griechischen Va- Mutter, die ihn während der vergange- Welt gekommen, mussder Vatersein ters bleibt haften. l

31. März 2013 ❘ NZZamSonntag ❘ 9 Belletristik Roman Die rumänische Autorin Gabriela Adames¸teanu erzählt beklemmend vomrealsozialistischen Alltag in den 1950er Jahren Dorfpomeranzewird zurStadtintellektuellen

lernt, sich durchzusetzen. Sieveröffent- Gabriela Adames¸teanu: Der gleiche Weg licht einen ersten Artikel in einer philo- an jedem Ta g. Ausdem Rumänischen logischen Fachzeitschrift, wehrt die vonGeorgAescht. Schöffling &Co., Übergriffigkeit der Kommilitoninnen Frankfurt 2013. 440Seiten, Fr.32.90, ab,behält einen kühlen Kopf während E-Book 21.90. einer heissen Liebesbeziehung –die Dorfpomeranzeentpuppt sich als Stadt- VonStefana Sabin intellektuelle. «So langehatte es mir ge- schienen, als würde mir nie etwasBe- «Zujener Zeit habe ich düster gedacht, sonderes passieren, als wiederholtesich mir würde nie etwasBesonderes passie- immer wieder ein und derselbe Tag. ren.» So beginnt ein langer innerer Mo- Dabei warsovieles passiert.» So be- nolog, in dem eine jungeFrauihr Er- schliesst Letit¸ia ihren Rückblick. wachsenwerden rekapituliert. Sieheisst Letit¸ia Branea und ist die Protagonistin Regimekritische Töne des Romans «Der gleiche Weganjedem Mit diesem Roman, in dem sie die Be- Tag», mit dem die rumänische Schrift- findlichkeit ihrer Figureninstrengem stellerin Gabriela Adames¸teanu 1975de- Zusammenhang mit der politischen bütierteund der nun in der flüssigen Wirklichkeit beschriebund eine subtile deutschen Übersetzung vonGeorg Charakterdarstellung ohne psychologi- Aescht erschienen ist. sierende Mittelschuf,etabliertesich Ga- Es ist ein Bildungsroman, der aus briela Adames¸teanu als eine realistische autoskopischer Erzählperspektive die Stimme in der rumänischen Literatur- Selbstwerdung der Protagonistin wie- landschaft. dergibt; ein Entwicklungsroman, der Der sozialistische Alltag warihr den intellektuellen und emotionalen Thema, aber die sozial- und regimekriti- Reifeprozess mit der geografischen schen Töne,die ihren Roman durchset- Bewegung vonder Peripherie ins Zent- zen, bleiben implizit –vielleicht deshalb rum –also aus der Provinz in die Haupt- zeigtesich die kommunistische Zensur stadt–verknüpft;und es ist ein politi- ihr gegenüber gnädig. NurwenigePas- scher Roman, der vorführt, wie die sagen, darunter die Beschreibung einer diktatorische Staatspolitik den Alltag Osternachtzeremonie,mussten bei der durchdringt und den gesamtgesell- Erstveröffentlichung 1975herausge- schaftlichen Zusammenhalt zersetzt. schnittenwerden, und der Roman wurdesogar mit den Preisen der rumä- Aus der trostlosen Provinz nischen Akademie und des Schriftstel- S

Als historischer Hintergrund der Hand- GE lerverbands ausgezeichnet. lung dienen die späten fünfziger und die IMA Nach dem Ende des kommunisti- frühen sechziger Jahredes vorigen Jahr- schen Systems wurde«Der gleiche Weg hunderts –als geografischer Hinter- GETTY an jedem Tag» mehrmals, zuletzt 2008, grund dient zuerst eine trostlose rumä- wurdeseinerseits seiner Stellung an der Der autobiografisch in Neuauflagen herausgebracht, die die nische Provinzstadt, in der Adames¸tea- Universität enthoben und arbeitet als gefärbteRoman ehedem zensurierten Passagenenthiel- vonGabriela nus Protagonistin Letit¸ia aufwächst, und Lehrer.BegründeteÄngsteverdunkeln Adames¸teanu handelt tenund jedes Mal der selbstkritischen dann die quirligeHauptstadtBukarest, die jugendliche Lebensfreude von vonden politischen Überarbeitung durch die Autorin unter- wo sie geistig und seelisch erwachsen Letit¸ia. Eine existenzialistische Unsi- Schikanen an worfen wurden. Die jetzt erschienene wird. cherheit bestimmt ihr Weltgefühl. einer rumänischen deutsche Übersetzung basiert auf der Letit¸ia mussschon sehr früh die Un- Immer wieder wehrt sie sich gegen«die Universität. letzten, der fünftenrumänischen Aufla- berechenbarkeit des totalitären Systems stumme Leeredes Augenblicks», ver- ge,inder die Handlung in drei Teile ge- und die permanenten Schikanen erle- sinkt sie in «die festeLeeredes Nach- gliedert ist. ben, denen ihreFamilie unterworfen mittags»oder aber lässt sie sich vonder In allen drei Teilen –inden ersten wird. Letit¸ias Vatersitzt im Gefängnis, «wirbelnden Leereder Hoffnung» tra- Zeilen des ersten Teils, in der Mitte des ohne dassman je genau erfahren hätte, gen. Die Hoffnung auf ein besseres zweiten und schliesslich ganz am Ende wasihm vorgeworfenwurde. Der Onkel Leben beginnt für sie erst, als sie trotz des drittenTeils –erklingt die Frage ihres «schlechten Dossiers», also ihres «Wer ist Letit¸ia Branea?», und die Hand- politisch problematischen Familienhin- lung des Romans ist die sich langsam tergrunds, zum Studium zugelassen verfestigende Antwort darauf: ein Reife- «Das authentischste Prosabuch wirdund nach Bukarest, in die Haupt- prozess,der nicht linear,sondern in lan- dergrossen Dichterin.» Ernst Halter stadt, geht. Aber das studentische Leben genErzählschleifen nach dem Muster schliesst nicht nur Ausflüge, Tanzaben- des Nouveau Roman vorangeht und sich de und Flirts ein, sondern auch ständige im Rhythmus jener «wirbelnden Leere Erika Bu10CAsNsjY0MDAx1TW0NDIxNAQAJ1dDHg8AAAA= rkart politische Überprüfungen und Parteisit- der Hoffnung» vollzieht, die bis zuletzt Am Fe10CFWMMQ7CMBAEX3TW7q3PxrhE6SIKlP6aiJr_V8R0FNuMZnbfZxT89tiex_aaBGoYh1dyMqIMtAv20tkn5HRQd0K6YIs_38DRBOVyDDJnEiY33pLek1oPuWrU8jnfX4is7MuAAAAA nster, wo die zungen. Letit¸ias Selbst-und Weltwahrnehmung Letit¸ia erlebt, wie Angst und Miss- prägt. Nicht zuletzt diese melancholi- Nachteinbricht trauen Kollegialität und Freundschaft sche Stimmung zwischen nostalgischem Aufzeichnungen unterwandern, und entwickelt eine fast Lebensrückblick und zeitgeschichtli- 304 Seiten,gebunden,Fr. 38.– Limmat Verlag heldenhafte Zivilcourage. Überhaupt cher Beschreibung verleiht dem Roman schüttelt sie ihreSchüchternheit ab und seinen besonderen Charme. l

10 ❘ NZZamSonntag ❘ 31. März 2013 E-Krimi des Monats Kurzkritiken Belletristik Ein Leben unter der Erde

Felix Hartlaub: Italienische Reise. Hrsg. Marchesa Colombi: Ein Bräutigam fürs Hugh Howey: Silo. Piper,München 2013. vonNikola Herweg und Harald Tausch. Leben. Roman. Deutsch v. Christine Gräbe. 544Seiten, Fr.28.90,E-Book 19.65. Suhrkamp,Berlin 2013. 105Seiten, Fr.27.90. Edition fünf,Gräfelfing 2013. 135 S., Fr.26.90. Heute gibt es Bücher,die wären nie zu einem gedruckten Buch geworden, wenn es keine E-Books gäbe. «Silo» vonHugh Howeyist ein solches Buch. Unddies, obwohl der 38-jährigeUS- Amerikaner eigentlich garkeines hat schreiben wollen. Er publizierteeine Erzählung im Internet. Das Echo war enorm, die Leserschaftwuchs –und sie wolltemehr.Also setzteHoweydie Ge- schichtefort, schriebeinen zweiten, dritten, vierten und einen fünftenTeil. Der Bremer Schriftsteller Felix Hartlaub Natalia Ginzburghat diesen aus feinster Mittlerweile haterüber eine Million (1913–1945) hatzuLebzeiten nur wenig Ironie gewobenen Roman von1885als Leser.«Silo» wirdals Gesamtband in veröffentlicht. Bekannt wurdeerpos- Kind zigfach gelesen; als Erwachsene Buchform gedruckt, und die Filmrechte tum durch seine Aufzeichnungen aus hatsie ihn 1973 Italo Calvino (damals sind verkauft. den Kriegsjahren. Er hatte Romanistik, Lektor bei Einaudi) empfohlen, der Der Thriller «Silo» spielt in einer Geschichteund Kunstgeschichtestu- ebenso begeistert war. Man kann der auf Zukunft, in der es sich auf dieser Welt diert, wurdezur Wehrmacht eingezogen anspruchsvolle Literatur aus Frauen- nicht mehr leben lässt: Der Planet ist und arbeiteteu.a.inParis und Berlin als hand spezialisierten Edition fünf nicht vergiftet, die Luft ist nicht mehr zum Archivar. In den letzten Kriegstagen genug danken, dasssie das Büchlein er- Atmen. Trotzdem gibt es Überlebende: kamerunter ungeklärten Umständen neutwiederentdeckt hat. «Unmatrimo- Seit Generationen wohnen die Men- ums Leben. Seine Berichteaus dem Füh- nio in provincia» erzählt in Ich-Form die schen unter der Erde in einem Silo.Die rerhauptquartier faszinieren durch ihre Backfischjahreder schönen, naiven Regeln sind streng, die Hierarchien ungeschminkteDirektheit. Siewurden Denza. «Treudoof» himmelt sie den di- klar: Je weiter oben jemand lebt, desto 1955 in bearbeiteter Form vonseiner cken Mazzucchetti an. Er wählt eine an- höher sein Status. Das Silo scheint de- Schwester Geno Hartlaub ediert; erst dere, doch Denzamacht am Ende auch mokratisch regiert –doch die wahr- 2002 erschien eine verbesserteAusgabe. keine schlechtePartie –nur dasssie es genommene Realität ist eine falsche. Die «Italienische Reise» ist ein faszinie- nicht merkt. Hinter dem Pseudonym Je mehr der Leser über die wahren rendes, bislang unveröffentlichtes Ju- MarchesaColombi verbirgt sich die Au- Machtverhältnisse erfährt, destostär- gendwerk aus dem Marbacher Nachlass. torin Maria Antonietta Torriani (1840– kererinnert das Silo im Untergrund an Es entstand 1931 und schildert in Worten 1920), Soziologin und Frauenrechtlerin einen diktatorisch geführten, vonallen und Federzeichnungen eine Studien- mit dem sprechenden Spitznamen anderen Ländern isolierten Staat, in fahrt, an welcher der damals 18-jährige «Marchesahighlife», zeitweiligeGattin dem das unterdrückteVolk nur das Odenwaldschüler teilnahm. des «Corrieredella Sera»-Gründers. sieht, wasessehen soll. In dem die Manfred Papst Regula Freuler Menschen beispielsweise Tausende vonStufen steigen müssen, damit die Sara Gran: DasEnde der Welt. Deutsch Hermann Lenz: Neue Zeit. Roman. vonunten es nicht bis nach oben schaf- vonEva Bonné. Krimi. Droemer,München Insel, Berlin 2013. 431 Seiten, Fr.32.90, fen–dassman Fahrstühle bauen könn- 2013. 367Seiten, Fr.22.40,E-Book 19.40. E-Book 24.60. te,wissen sie nicht. Oder sie müssen für Briefeund deren Träger teuer be- zahlen, womit die Kommunikation er- schwert wird–dassesFunkgerätegäbe, ahnt keiner.Und niemand weiss, wie es draussen wirklich aussieht. Doch es gibt Aufmüpfige.Sheriff Holston, der sich entschliesst, die strengsteRegel zu brechen: Er will das Silo verlassen. Werdiesen Wunsch aus- spricht, wirdsofort nach draussen ver- bannt. SheriffHolston etwa,der seinen TodinKauf nimmt, um zu erfahren, Erst letztes Jahr hatdie Amerikanerin Der autobiografisch grundierteRoman wassich hinter der Luke befindet, wel- Sara Gran (*1971) mit «Die Stadtder «Neue Zeit» des ErzählersHermann che die Bewohner gefangen hält. Oder Toten» ein fulminantes Debüt in der Lenz (1913–1998) erschien erstmals 1975 seine Nachfolgerin Juliette Ni- Krimi-Literaturwelt hingelegt, für das und zählt zu seinen wichtigsten Bü- chols, die als erstes den Mord sie gefeiert wurde. ZumGlück folgt be- chern. Er schildert die Zeit des Natio- an der Bürgermeisterin zu reits der zweiteFall mit ClaireDeWitt, nalsozialismus und des Zweiten Welt- klären hat, der kein Mord der «besten Ermittlerin der Welt». Ei- kriegsaus der Sicht vonLenz’ Alter Ego sein darf. Nichols beginnt, gentlich sind es mehrereFälle,denn Eugen Rapp.Von Anpassung und Wi- Zusammenhängezuerken- neben dem Mord an einem Freund löst derstand ist die Rede,vom Kampfums nen, und lehnt sich gegen DeWittauch das Rätsel um verschwun- Überleben eines Münchner Studenten das geheime Regime auf; dene Minipferdesowie um eine vorJah- der Kunstgeschichte, der mit einer Frau mit fatalen Folgen. renabgetauchteJugendfreundin. Als aus jüdischer Familie verlobt ist, einge- «Silo» zeichnet eine Detektivin ist DeWitteine wilde Mi- zogenwirdund erst nach Frankreich, verstörende Zukunftsvision. schung aus Hardboiled, Old School und dann nach Russland kommt. Das Buch Der Roman handelt vonLüge, NewAge,der stets ihregrossstadtver- überzeugt durch seine Aufrichtigkeit Mord und Verrat,aber auch wahrlosteVergangenheit in die Quere und die dichterische Kraftder Verge- vonder Menschlichkeit kommt. Nicht andersin«Das Ende der genwärtigung. PeterHandkehat es zu und Tragik unhinter- Welt», wo die Drogenverlorenheit von Recht gerühmt. Die Neuausgabe des fragter Regeln. Teenagern den Tonbestimmt. Werden Werks, Band 3der 9Bände umfassenden Von schrulligen KommissarAdamsbergvon Rapp-Reihe,ist ergänzt um Briefevon Christine Fred Vargas mag, wirdauch ClaireDe- Hermann Lenz und seiner späteren Frau Brand l Witt sofort ins Herz schliessen. Hanne aus den Jahren 1937 bis 1945. Regula Freuler Manfred Papst

31. März 2013 ❘ NZZamSonntag ❘ 11 Interview Der DiplomatWalter Stucki (1888–1963) gehört zu den herausragenden Figurender Schweizer Politik im 20.Jahrhundert. Zum50. Todestag erscheint die ersteBiografieüber ihn. UrsRauber hatderen Verfasser Konrad Stamm zum Berner Chefbeamten befragt Minister mit Maschinenpistole

Bücher am Sonntag: Wiesind Sieauf die Figur rund 20 Jahren handelteder Chefbeamtedes «Aasgeier Europas», wurden Beschuldigungen vonWalter Stucki gekommen? Bundes sämtliche Wirtschaftsverträgeinder erhoben, die zwar nicht alle falsch, aber in ihrer Konrad Stamm: Ichhabe Stucki nie gesehen, Zwischenkriegszeit aus. Dabei liesssich Walter Auswahl sehr einseitig waren. Anderseits muss- aber ich wohnteschräg vis-à-vis des Hauses in Stucki nie klein kriegen, egal ob er mit einem te unser Land akzeptieren, dassesimKrieg – Bern, wo er gelebt hat, bevorerindie «Villa deutschen General, einem französischen Präsi- teils aus eigenem Verdienst, teils dank glückli- Stucki» an der Seftigenstrasse eingezogen ist. denten oder einem amerikanischen Sonder- cher Umstände –einigermassen gutwegge- Es warjenes Haus, das er 1934 Bundesrat Etter delegierten verhandelte. Er trat solchen Perso- kommen war. vermietet hat, der nach seiner Wahl mit zehn nen auf gleicher Augenhöhe entgegenund war- Kindern nach Bern kamund dringend ein Dach tete nicht darauf,obfür die Schweiz vomTisch Die Alliierten forderten vonder Schweiz eine suchte. Ichbin zudem als Bub in einer Familie der Grossen ein paar Brosamen abfielen. Wiedergutmachung von560 Millionen Dollar. aufgewachsen, in der man mittags um halb eins Stucki konntediese Summe auf 250Millionen die Nachrichten vonRadio Beromünster gehört Ist aus Ihren Worten eine Kritik an der heutigen herunterhandeln. Es wareine Art Busse für das hat. Da hatmein Vateroft gesagt: Nunhat Stu- Schweizer Diplomatie herauszuhören? Verhalten der Schweiz im Zweiten Weltkrieg, cki wieder eine neue Aufgabe übernommen. IchzitiereimBuch den pensionierten Handels- insbesonderedas Horten vonNazi-Raubgold. diplomatenLuzius Wasescha, der unlängst ge- Im weiteren verlangten die Alliierten die Werwar der «grosse» Walter Stucki? sagt hat: «Deutliche Wortegepaart mit Sach- Durchsetzung ihres Rechts auf Schweizer Ter- Stucki wargemässDienstbüchlein 187 Zentime- kompetenz sind oft zielführender als diplomati- terhoch –«hoch», nicht gross, wie er selbst sche Leisetreterei: Wirkönnten gegenüber dem schrieb. Durch sein sehr bestimmtes Auftreten Ausland allezeit offensiverauftreten.» Das «Walter Stucki pflegte ein schuf er eine gewisse Distanz, deren Überwin- könnteauch Walter Stucki gesagt haben. dung für Leute um ihn herum schwierig war. weltmännisches Gehabe und Man sieht auf Bildern, wie alle immer etwas Wenn SieMinister Stucki eine «Karrierevon trat nicht einfach als Abstand vonihm nahmen. weltmännischem Format» attestieren –was weist an ihm über das Schweizerische hinaus? bescheidener Schweizer mit Siebezeichnen ihn aber als grosse Persönlichkeit. Zuerst mal seine Tätigkeit: Stucki hateinen dem Sennenkäpi auf.» Wasfaszinierteanihm? grossen Teil seiner Zeit als «Wanderniere» im Er warwahrscheinlich der besteUnterhändler, Ausland verbracht. Er reistevon Konferenz zu den die Schweiz für langeZeit hatte.Während Konferenz, vonVerhandlung zu Verhandlung. ritorium, um deutsche Auslandsvermögen zu Als Schweizer Gesandter lebteeranderthalb konfiszieren. Damit wollten sie ihreKriegskos- JahreinParis, dann vier JahreinVichy. Auch tendecken. Stucki hatte aber vomBundesrat wenn er zuhause war, wareroft auf Reisen. Er den Auftrag, in diesem Punkt keine Konzessio- Konrad Stamm pflegteein weltmännisches Gehabe,tratnicht nen einzugehen, um nicht fremde Richter ak- als bescheidener Schweizer mit dem Sen- zeptieren zu müssen. Konrad Stamm (*1944) nenkäpi auf,sondern fühltesich den Grossen schloss ein Geschichts- auf dem internationalen Parkett ebenbürtig. Wiebeurteilen Siedie Gesamtbilanz vonStuckis studium in Bern ab und Verhandlungsführung? promovierte 1972 mit einer Eine vonStuckis Glanzleistungen wardas Beider schwarzen Listehatte er Erfolg, sie Dissertation über Washingtoner Abkommen von1946. Die Schweiz wurdegestrichen, nach einem Jahr konnten «Die guten Dienste der warals kriegsverschontes neutrales Land, das Schweizer Firmen mit den westlichen Sieger- Schweiz». Er arbeitete mit Nazi-Deutschland Handel getrieben und ihm mächten wieder Handel treiben. Auch die Blo- 30 Jahreals Journalistin Raubgold abgekaufthatte, unter grössten wirt- ckadeder Schweizer Vermögen in den USA der Redaktion des «Bund», schaftlichen und politischen Druck der Alliierten wurdeaufgehoben. Doch ausgerechnet bei der von1995 bis 2001 als Chef- geraten: In den USA wurden Schweizer Vermö- Vermögensbeschlagnahmung –dem aus recht- redaktor,danach bei der genblockiert, schweizerische Firmen auf eine licher Sicht wichtigsten Punkt –musstedie NZZ. Seit 2007 istStamm freier Autor. schwarzeListegesetzt.Stucki stand den drei Schweiz Konzessionen machen: Siemusstedie Sein neuestesBuch «Der ‹grosse Stucki› –eine Delegationen der USA, Grossbritanniens und deutschen Vermögen in der Schweiz beschlag- schweizerische Karrierevon weltmännischem Frankreichs gegenüber.Wie kameraus dieser nahmen und in langen Verfahren, die teilweise Format. MinisterWalter Stucki (1888–1963)» ist schwierigen Situation heraus? bis in die 1960er Jahrereichten, abwickeln. soeben bei NZZLibroerschienen (420Seiten, Die Amerikaner hattengegen die Schweiz eine Wichtig warnoch etwasanderes: Beiden deut- 96 Abb., Fr.52.90). Es istdie erste, detailreiche, eigentliche Kampagne ausgelöst: Im US-Aus- schen Vermögen in der Schweiz ging es weni- zudem brillant geschriebene Biografie über den senwirtschaftsdepartement produzierteman gerumGelder vonNazigrössen, sondern auch international geachteten Chefbeamten. Unterlagen, die man unter der Hand an die um viele kleine Vermögen zwischen 10000 und

Presse weitergab. Gegen die Schweiz, den 50 000 Franken, die vonJuden und anderen ▼

12 ❘ NZZamSonntag ❘ 31. März 2013 UETHRICH SW MA TO Der Verfasser der Stucki-Biografie, Konrad Stamm, in seinem Haus in Tschingel über dem Thunersee. Büsi «Mitsa» istein Ferienmitbringsel aus Griechenland.

31. März 2013 ❘ NZZamSonntag ❘ 13 Interview

▼ Flüchtlingen stammten. Auch gegenderen Galt Stucki als Linksfreisinniger? Herausgabe hattensich die Schweizer Behör- Er wurdesogar als Kommunist und Landesver- den gewehrt. Stucki bezeichnetedas Resultat räter etikettiert. Mit seiner Idee warerder Zeit denn auch als «annehmbar,aber nicht mehr». voraus. 1943 wurdeder ersteSozialdemokrat, Seine harteund dennoch flexible Verhand- Ernst Nobs, in den Bundesrat gewählt. Dieser lungsführung warletztlich erfolgreich. lobteStucki später als weitsichtigsten Politiker im Jahr 1936. Schon 15 Jahrevorher hatte Stucki einen interna- tionalen Auftrittbeim Völkerbund in Genf. MannannteStucki ja gelegentlich den «achten In einer aufsehenerregenden Rede vordem Bundesrat». Völkerbund gabStucki 1931 die Abkehr der Worauf er jeweils zu antworten pflegte: «In die- Schweiz vonden Illusionen des Multilateralis- sem Gremium wäreich sicher nicht der Achte.» mus und die Hinwendung zum Bilateralismus Für die meisten Bundesrätehatte Stucki nicht in der Handelspolitik bekannt. Man proklamie- so viel übrig, vorallem nicht für seinen Chef re bei internationalen Konferenzen ständig die Pilet-Golaz. Ihm gegenüber beging er sogar of- Solidarität und den freien Handel, sagteer, in fene Befehlsverweigerung: Als ihn der Departe- der Praxis aber lebe diesem Phantom niemand mentschef 1944 «immédiatement» vonVichy nach. StattHandelshemmnisse abzubauen, nach Bern zurück beorderte, leisteteStucki der baue man neue Zollmauern. Stucki warder Aufforderung einfach keine Folge. Im Militär- Erste, der den Muthatte,dies klar und öffent- departement wäreihm deswegenwohl fristlos lich zu benennen. Danach begann die Schweiz, gekündigt worden. Doch im Volk genosserun- mit allen Ländern, mit denen sie Handel trieb, geheureVerehrung. neue Verträgeauszuhandeln. Warereine Art wirtschaftspolitischer General Wardas die Geburtsstunde des Bilateralismus, Guisan? den die Schweiz bis heutepraktiziert? Ja.Eigentlich hätte es Stucki verdient, dassin In einem gewissen Sinne,ja. Bei Diplomatenbesuch betreuteWalter Stucki auch das all den Haushalten, wo über dem Buffetein Damenprogramm: Hier 1935 auf der Kleinen Scheidegg. General-Guisan-Bild hing, auch ein Stucki-Por- Stuckis Widerpart in den Wirtschaftsverhand- trät angebracht worden wäre. lungen mit Deutschland in den 30er Jahren war Streitkräftender Alliierten und der Résistance der rabiatedeutsche Wirtschaftsminister und eingenommen wurde. Für diese Tatwirderbis Die Schweiz steht auch heutewieder internatio- Nazi Hjalmar Schacht. Eine Herausforderung... heute vonder französischen Bevölkerung ver- nal unter Druck. Wiesoll sich unser Land in Hier warStucki der Richtige, um mit den Nazis ehrt. Er hatdarüber auch ein Buch geschrieben. einem solchen Umfeld behaupten? zu verhandeln. Als Schacht in einer Rede in Ichbin der Meinung, man solltemehr aussen- Basel 1933 heftigeVorwürfe an die Schweiz Offensichtlich bewegtesich Stucki ziemlich politischen Stuckismus pflegen –sprich: mit richtete, waresStucki, nicht der Bundesrat,der furchtlos im militärischen Chaos? diesen Angriffenöffentlich entgegentrat. Stattsich zu tarnen fuhr Stucki in seinem Ge- sandtschaftswagenmit einer grossen Schwei- «Es ist Stucki zu verdanken, Herrschteein eigentlicher Wirtschaftskrieg zwi- zerfahne durch die Fronten und verschaffte schen der Schweiz und Deutschland? sich lauthupend Platz, wasimGuerilla-Kampf dass Vichy im September So ist es. Stucki stand mehrmals vorder Situa- des französischen Widerstandes nicht unge- 1944 ohne einen Schuss von tion zu entscheiden, ob er den Deutschen ent- fährlich war. Aufseinen Knien hatte er oft eine gegenkommen oder die Gegenseitedie Ver- Maschinenpistole,die er allerdingsnur für der deutschen Besatzungs- handlungen platzenlassen wolle. Deutschland Warnschüsse benutzte. warschon damals der wichtigsteHandelspart- Dazu eine kleine Episode: Stucki hatte diese macht befreit wurde.» ner der Schweiz. Undesgab wiederholt Situa- Waffebei der Kriegstechnischen Abteilung in tionen, in denen alles auf der Kippe stand. Bern für vier Jahreausgeliehen, wie ich einer mehr Selbstbewusstsein und Stolz agieren statt Quittung entnehmen konnte, die ich in seinen sich klein zu machen, in der Meinung, man Von1938 bis 1944vertrat Stucki die Schweiz als Akten fand. Als sich herumgesprochen hatte, könne gegendie Grossen –die USA, die EU,die BotschafterinFrankreich und leistete, wie Sie dassich zu dieser Biografierecherchiere, kam Deutschen –ohnehin nichts ausrichten. schreiben, wertvolle Vermittlerdienste. jemand aus Stuckis Verwandtschaftund erzähl- Die Schweiz vertrat in Vichydamals als Schutz- te,erhabe beim Räumen im Estrich eine Ma- Siehaben 1972 eine Dissertation über «Die guten macht die Interessen der USAund von20wei- schinenpistole gefunden. Ichverglich die Seri- Diensteder Schweiz» geschrieben. Hatsich die terenStaaten gegenüber Frankreich, bezie- en- und Modellnummer dieser Waffemit den Schweizer Aussenpolitik seither gewandelt? hungsweise der Okkupationsmacht Deutsch- Angaben auf der Quittung und stelltefest, dass 1972 konnteein einzelner Diplomatnoch mehr land. Als die Deutschen im November 1942 in es die besagteMaschinenpistole aus Vichywar. bewirken. Heute sind viele Beziehungen zwi- Vichydie amerikanische Botschaftstürmten, Ichhabe sie dann mit dem Einverständnis der schen den Staatendurch internationale Ab- tauchteStucki auf dem Platz auf,strecktesein Nachkommen mitsamt Quittung, aber mit kommen, multilaterale Vereinbarungen und Schweizer Armeesackmesser den deutschen 70-jähriger Verspätung, dem Rüstungschef zu- Staatenbündnisse mit eigenen Schiedsverfah- rückgebracht. rengeregelt. Auch die früheren «GutenDiens- te», zum Beispiel Schutzmacht-Mandate für «1936 traf sich Walter Stucki Walter Stucki sass von1935 bis 1937 als Berner Dritte,gibt es in Europanicht mehr,sondern FDP-Nationalrat auch im Parlament. Dort ver- nur noch in Afrikaund Asien. mit Robert Grimm (SP), suchteerunter anderem eine Koalition der Mitte Ernst Wetter (FDP) und zu bilden. Worum ging es? Hatdie aktive Neutralitätspolitik damit ihre Stucki realisiertewährend seines Wirkens im Bedeutung verloren? Roman Abt (BGB), um eine Ausland, dassdie Welt auf einen Krieg zusteu- Die Zeit der spektakulären Aktionen zwischen Koalition zu schmieden.» erte. Er fand, dassesinder polarisierten Situa- den Fronten –sowie es Frau Calmy-Reyvor ein tion zwischen links und rechts eine Regierung paar Jahren versucht hat, als sie die Grenzezwi- des nationalen Konsenses brauche. So traf er schen Süd- und NordkoreainTurnschuhen Maschinengewehren entgegenund erklärte: sich im Juni 1936 auf fast verschwörerische Art überschritt–ist überholt. Wenn die Schweiz Als Schweizer gehe ich nicht unbewaffnet in mit Robert Grimm (SP), Ernst Wetter(FDP) heute solche Aufgaben noch pflegt, dann als einen solchen Kampf! Er brachteesfertig, dass und Heinrich Roman Abt (BGB), um eine Koa- Mandatinternationaler Organisationen wie zur die noch in Vichyverbliebenen Amerikaner un- lition der Mitte zu schmieden. Die Situation Zeit etwa für Russland in Georgien. behelligt den Ort verlassen konnten. Eine typi- wargünstig, da sich die Sozialdemokraten sche Stucki-Demonstration! unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Ist auch die Zeit des grossen Diplomaten vorbei? Bedrohung zur Landesverteidigung bekannten Mit dem Botschafts-Mercedes und der Schwei- Walter Stucki scheint in Vichyeine der wenigen und der Diktatur des Proletariats abschworen. zerStandartezwischen den Fronten zu pendeln Respektspersonen gewesen zu sein? Das Projekt scheiterteallerdingsamWider- und zu vermitteln, ist natürlich kaum mehr Es warihm zu verdanken, dassVichyimSep- stand nicht zuletzt seiner eigenen Partei, der möglich. Aber ein Verhandlungsführer wie Stu- tember 1944 ohne einen Schussvon der deut- FDP,und wohl auch, weil Stucki es zu rasch und cki würde in internationalen Verhandlungen schen Besatzungsmacht befreit und vonden zu eigensinnig vorantreiben wollte. auch heute noch eine gute Figurmachen. l

14 ❘ NZZamSonntag ❘ 31. März 2013 Kolumne Charles Lewinskys Zitatenlese Kurzkritiken Sachbuch

Für das Schreiben Marti Olsen Laney: Die Macht der Erwin Bischof: Verräter und Versager. eines Romans gibt es Introvertierten. Hans Huber,Bern 2013. Stasi-Spione unterwanderten die Schweiz. drei Regeln. Leider 302 Seiten, Fr.35.40. Interforum, Bern 2013. 255 Seiten, Fr.47.90. kennt sie niemand.

ONE W. Somerset Maugham ST EY Y/K LL BA AN

GAËT In den Kursen, in denen man das Der AutorCharles Schreiben lernt … Lewinskyarbeitet in Nein: In den Kursen, für die sich die den verschiedensten Leute anmelden, weil sie meinen, sie Sparten. Sein neues würden dort zu Schriftstellern gemacht, Buch «Schweizen – vierundzwanzig bekommt man auf die Fragenach der Extrovertiert und introvertiert sind Der Berner PR-Berater Erwin Bischof Zukünfte»ist soeben Motivation der Studenten vonmanchen Wörter,die wir ganz selbstverständlich hatmit dem Buch «HoneckersHand- im Verlag Nagel & die Antwort: «Ich will hier lernen, wie gebrauchen. Doch wissen wir,was sie schlag» 2010 den ersten Gesamtüber- Kimche erschienen. man schreibt, und wenn ich es dann ge- bezeichnen?Ein introvertierter Mensch blick über die politischen Beziehungen lernt habe,werde ich schreiben.» Und ist weder schüchtern noch menschen- Schweiz-DDR vorgelegt. Nunpubliziert man weiss: So sehr sie sich auch an- scheu oder kontaktunfähig, erklärt die der frühereHistoriker und Diplomatein strengen, so viele Handbücher der amerikanische Psychologin Marti Olsen neues Bändchen über das Wirkenvon Romankonstruktion sie auch studieren Laney. Vielmehr gehe es bei diesem Stasi-Spionen in der Schweiz im Kalten –das sind keine richtigen Schreiber.Sie Begriffnur darum, woher ein Mensch Krieg zwischen 1949 und 1989. Zwar könnten mit einem anderen Hobbybe- seine Energie bezieht. Während Extro- sind die meisten historischen Fälle be- stimmt glücklicher werden. Den Eiffel- vertierte–das sind drei Viertel aller kannt, doch Erwin Bischofdeckt auch turm aus Streichhölzern zusammenkle- Menschen –ihreEnergie aus der Aus- neue auf.Zum Beispiel jenen vonJoa- ben, zum Beispiel. Das soll sehr ver- senwelt beziehen, durch Aktivitäten und chim Staritz alias «IM Robert». Dieser gnüglich sein, höreich. Kontakt mit anderen Menschen, findet pflegteKontakt mit zahlreichen linken Beiden richtigen Schreibern kommt die Minderheit der Introvertierten Ener- Parteigängern vonPoch bis SPS sowie man meist garnicht dazu, die Fragezu gie im Kontakt mit ihrer inneren Welt, mit Radiojournalisten. Auch manche stellen. Weil sie einen schon unter der mit ihren Ideen, Emotionen. Wiedie Schweizer Prominentewie PeterVoll- Tür abfangen und einem erklären, sie beiden TemperamenteimHirn verdrah- mer oder Jean Rudolf vonSalis kriegen hättenda, ganz zufällig, ein eigenes tetsind, wie man mit ihnen gutlebt, wie wegenihrer Beschönigung der DDR- Manuskript in der Tasche,und ob man mit extrovertierten und introvertierten Diktatur ihr Fett ab.Erwin Bischofs nicht so nettsein wolle,das bis morgen Kindern umzugehen ist –dies und vieles Buch stellt eine Art Ehrenrettung mal durchzulesen. Es seien auch nur mehr erklärt die –natürlich introvertier- des bürgerlichen Antikommunismus im bescheidene fünfhundert Seiten. te –Autorin in diesem erhellenden Buch. Kalten Krieg dar. Man weissdann noch nicht, ob aus Kathrin Meier-Rust UrsRauber diesem Mann mal ein guterAutoroder aus dieser Frau mal eine gute Schrift- Alain Claude Sulzer: Basel. Al Imfeld: Aufden Strassen zumHimmel. stellerin werden kann, aber man weiss: Hoffmann und Campe,Hamburg2013. Rotpunkt, Zürich 2013. 203Seiten, Fr.39.90, Die sind am richtigen Ort. Denn in die- 126 Seiten, Fr.26.50. E-Book 27.90. sem Gewerbe gilt nur eine einzige Definition. Ichbitte um Verzeihung, wenn ich sie auf Englisch hinschreibe,aber so perfekt kann man es auf Deutsch nicht formulieren: Awriter is someone who writes. Punkt, aus, Ende der Durchsage. Alles andereist Kommentar und Fussnote. Ichweissnicht, ob es an den Genen liegt, ob irgendwann eine Muse ins Kinderzimmer geflattert kommt und dem zum Schriftsteller bestimmten In der rund zwei Dutzend Städteund Al Imfeld, Priester,Landwirtschafts- Säugling einen Kuss appliziert, oder ob Regionen umfassenden Porträt-Reihe experte, Journalist und Weltreisender, ein Virus die Schuld trägt. Ichweiss des Hoffmann und Campe Verlages er- hatwieder ein Büchlein veröffentlicht. nur,dassich noch nie einen Schreiber scheint als neustes Bändchen Alain Es setzt die im gleichen Verlag erschie- getroffenhabe,der nicht bei jeder Gele- Claude SulzersBilderbogen über seine nenen Kindheitsgeschichten «Wie die genheit geschrieben hat. HeimatstadtBasel. Natürlich darfdarin Arche Noah auf den Napf kam» fort und Oder,wenn er gerade unter der «Daig» ebenso wenig fehlen wie der erzählt vonden «Bubenjägern» im Lu- Schreibstau littoder vonder Angst vor Schnitzelbangg, der VogelGryff und der zerner Hinterland. Diese Vertreter von dem leeren Bildschirm geschüttelt Lällekönig. Undwie es sich für einen Missionsgesellschaftensammelten bei wurde, zumindest wusste,dasser progressiven Schriftsteller gehört, ar- den Bauernfamilien geeigneteBuben eigentlich hätte schreiben sollen. beitet er sich auch an Christoph Blocher ein, um sie für den Dienst in Afrikaoder Wernicht vondiesem Virus befallen ab,dem «milliardenschwerenZürcher China auszubilden. Imfeld, der selber ist, bei wemdas Kinderzimmerfenster Populisten», und seiner Tochter Mi- auf diese Weise in die Mission geraten keine Musenklappe hatte,wer nicht riam, die –oh, Schreck –seit 2007sogar war, begleitet die Patres auf ihren Ein- unter diesem seltsamen Gendefekt lei- Eigentümerin des Läckerli Huus ist. sätzen, porträtiert dort die Brüder und det, dem können auch hundert Stärkersind Alain Claude SulzersFla- Schwestern bei ihrer Arbeit, liebevoll, Semester Creative Writing nicht neur-Geschichten dort, wo sich der in aber durchaus auch kritisch. Fotosaus weiterhelfen. Um nochmal Somerset Riehen geborene und teils im Elsassauf- der MissionsgesellschaftBetlehem in Maugham zu zitieren: gewachsene Autorerzählend selbst ein- Immensee aus den 50er und 60er Jahren «Wir schreiben nicht, bringt, durch eine Vielzahl einheimi- bebildern die kurzen, leicht lesbaren weil wir wollen. Wir scher Beizen streiftund liebevoll Basler Texteüber die –längst untergegangene schreiben, weil wir Originale porträtiert. –Welt der Heiden-Mission. müssen». UrsRauber GenevièveLüscher

31. März 2013 ❘ NZZamSonntag ❘ 15 Sachbuch

Lebensstandard Weder Geografienoch Kultur spielen die Hauptrolle im grossen Drama der Geschichte. Über den Wohlstand vonNationen entscheiden vielmehr ihreInstitutionen Demokratie besiegtdi

DaronAcemoglu, James Robinson: Warum Nationen scheitern. Die Ur- sprüngevon Macht, Wohlstand und Armut. S. Fischer,Berlin 2013. 608 Seiten, Fr.35.40.

VonMichael Holmes

Keiner der derzeit sieben Milliarden Probanden hatsich freiwillig zum gröss- tenjemals durchgeführten Experiment gemeldet. Wiralle wurden zufällig einer der über 190 Versuchsgruppen zugeord- net, die erheblichen Einflussauf die Qualität und Dauer unseres Lebens aus- üben. Abermillionen sind der Mega- studie,die wir Geschichtenennen, be- reits zum Opfergefallen. Unsbleibt nur, die Zwischenergebnisse auszuwerten. Warum sind in einigen Ländern wohlha- bende und humane Gemeinwesen ent- standen?Diese Fragemüssen wir so prä- zise wie möglich beantworten, wenn die weniger vomGlück gesegneten Länder rasch nachfolgen sollen. Seit vielen Jahren suchen der MIT- Ökonom Daron Acemoglu und der Har- vard-PolitologeJames Robinson mit ausgeklügelten Statistikprogrammen in gewaltigen Datensammlungen nach Antworten. Ihr monumentales Haupt- werk «Warum Nationen scheitern» ent- hält die wichtigsten Zahlen, Länderana- lysen aus allen Weltregionen und Zeital- tern sowie ein wohldurchdachtes Denk- gerüst, das den gesellschaftlichen Er- folgsfaktor Nummer eins erfassen soll. Siebelegen, dassüber das Wohlergehen einer Nation vorallem ihreInstitutio- nen entscheiden. Extraktiv versus inklusiv Um das Verständnis ihrer Philosophie zu erleichtern, stellen sie zwei Grund- für Probleme aller Art beteiligen. Indem Mugabe gewinnt die Staatslotterie von modelle einander schroffgegenüber, sie Gewalt und Betrug minimieren, er- Zimbabwe. welche die Extrempole der sozialen Ent- möglichen und belohnen sie komplexe Vordem 18. Jahrhundert sind inklusi- wicklung repräsentieren. Scheiternde Formen der freien Kooperation. ve Institutionen eine Seltenheit. Das Gesellschaftenbesitzen extraktive Insti- Die Autorenbesprechen die sehr un- Buch demonstriert, wie inklusive Ele- tutionen, die den Eliten die Macht ver- terschiedliche Nutzung extraktiverIns- mentedie Ökonomien der römischen leihen, sich auf Kosten der Mehrheit die titutionen in einer imposanten Vielfalt Republik und der Handelsmacht Vene- Taschen zu füllen. SienutzenGewalt vonGewaltsystemen. Mit viel Detail- dig wachsen liessen. Der bedeutendste und Betrug, um komplexe Formen der liebe analysieren sie Feudal-, Kolonial- Durchbruch inklusiverInstitutionen ge- Ausbeutung zu erzwingen. Die erfolg- und Apartheidregime sowie nationalis- lingt England nach der Glorreichen Re- reichsten Gesellschaftenbesitzen inklu- tische,religiöse und kommunistische volution von1688. Die Mitsprache- und sive Institutionen, welche die politi- Diktaturen. Wirstaunen und erschre- Eigentumsrechtestetig wachsender Be- schen und ökonomischen Grundrechte cken. Usbekistans Herrscher zwingen völkerungskreise legten die Grundlagen schützen, allen Bürgern freien Zugang Schulkinder zur Feldarbeit. Kim Yong Il für die Industrielle Revolution. Auch die gewähren und die gesamteBevölkerung füllt einen siebenstöckigen Vergnü- Entstehung der USA, die Französische an der Suche nach optimalen Lösungen gungspalast mit teuren Spielsachen. Revolution und die japanische Meiji-

16 ❘ NZZamSonntag ❘ 31. März 2013 dieArmut

Inklusive Institutionen dagegen bil- den Tugendkreise,weil sich mit jedem 125 S. Geb.sFr 21,90(UVP) /€14,95 neuen Menschenrecht weitereRechte „Jonas Lüscher erzählt erkämpfenlassen. Die Moderne ent- von reichen Engländern, stand den AutorenzufolgeinWesteuro- pa,weil glückliche Zufälle ein komple- die in einem tunesischen xesZusammenspiel zunehmender Frei- Oasenressort eine Hochzeit heiten gestatteten. Auch anderswo ge- feiern, üppig, ausschwei- lang dies trotz widriger Umstände. In fend, rücksichtslos.“ Botswana etwa verbesserten demokrati- sche Regierungen den Schutz ökonomi- Elke Heidenreich, Die Welt scher Freiheiten, das Bildungswesen „Es macht schlicht und und die Verkehrswege.Das resultieren- de Wirtschaftswunder stärktedie fried- einfach enormen Spass.“ liche Parteienkonkurrenz. Tages Anzeiger Ermutigende Streitschrift Acemoglu und Robinson setzen sich

eingehend mit wichtigen Alternativ- 10CAsNsjY0MDAx1TW0sDA3NgMAi9eK4g8AAAA=

hypothesen auseinander.Sie liefern eine 10CFWMMQ4CMQwEX-Ro144Tm5ToutMViN4Noub_FQodxXQzc57LG37cj-t5PBaB7sKIaWPRvSXGmuGNORdMqaDd2C1J1fHnC5jDYLUdgYmy2MVCNCtmFm0fatfo7fN6fwH98WpwgAAAAA== Fülle vonIndizien und Argumenten für ihreThese,dassKultur und Geografie kaum je die Hauptrolle in den grossen Geschichtsdramen spielen. Die massi- venUnterschiede im Lebensstandard zwischen Nord-und Südkorea lassen sich nur auf institutionelle Faktoren zu- rückführen. Das Gleiche gilt, wie das Buch zeigt, für das Wohlstandsgefälle zwischen der US-amerikanischen Stadt Nogales und der mexikanischen Stadt gleichen Namens. Gegen die Kultur- These spricht zudem, dassChina und die islamische Welt jahrhundertelang weiter entwickelt warenals das christli- che Europa. Die Geografieerklärt nicht, warum etwa die amerikanischen Hoch- kulturen bis zur Ankunftder Europäer 351S.Geb.sFr 28,50(UVP) /€19,95 in völlig verschiedenen Klimazonen AIF entstanden. „Eine begnadete Autorin.“ E/L

SS Extraktive Systeme können hohe J.M. Coetzee SA Wachstumsraten erzielen, wenn sie wie TIN die Sowjetunion unter Stalin die Bevöl- „In einer anderen Haut“ ist MAR kerung mit grausamer Gewalt zur Arbeit von einer messerscharfen Restauration förderten das Wirtschafts- Nordkorea schränkt treiben oder wie China heute begrenzt emotionalen Intelligenz, wachstum nachfolgender Jahrzehnte, die Willkür seiner inklusive Wirtschaftsinstitutionen zu- Machtelitenicht ein. glänzend geschrieben und indem sie den Mächtigen stärkere Fes- Kein Wunder,fehlt lassen. Den Autorenzufolgestossen je- seln anlegten. es diesem Staatan doch solche Fortschritte eher früher als arrangiert. Gesellschaftengeraten in Teufelskrei- wirtschaftlichem später an unüberwindbareGrenzen. Sie se,wenn sich extraktive Institutionen Wachstum(Pjöngjang nennen zahlreiche Gründe,warum sich wechselseitig stärken. Häufig fliesst ein Februar 2013). der Kampfgegen die Armutnicht vom Teil der erpressten Gelder in den Aus- Kampffür Menschenrechtetrennen bauder Repressionsmaschine. So wurde lässt. Deshalb fordern sie,zivilgesell- Guatemala über ein halbes Jahrtausend schaftliche Gruppen stärkerzuunter- lang vonFamilien beherrscht, die weni- stützen, wenn sie für die Grundrechte gerals ein Prozent der Bevölkerung aller Bürgerstreiten. Diese faktenreiche ausmachten. Im Kongo, in Äthiopien und ermutigende Streitschriftlehrt uns, und vielen anderen Ländern übernah- dassdie Geschichteglücklich enden C.H.BECK men Revolutionäredie kleptokratischen kann, wenn ihr kein Mensch mehr als www.chbeck.de Strukturen der gestürzten Regime. Versuchsobjekt dient. l

31. März 2013 ❘ NZZamSonntag ❘ 17 Sachbuch Autobiografie Der ehemaligeUno-Generalsekretär Kofi Annan blickt auf sein Lebenswerk zurück Viel Krieg, wenigFrieden

wand und als erstes Land südlich der cherung in den frühen neunziger Jah- Kofi Annan mit Nader Mousavizadeh: Saharadie Unabhängigkeit erlangte–im ren». Warum wardie Weltorganisation Ein Leben in Krieg und Frieden. DVA, Jahr 1957,als der 19-jährigeKofiAnnan unfähig, Kriegeabzuwenden oder Kon- München 2013. 463 Seiten, Fr.39.90. den College-Abschlussmachte. Sein fliktezuberuhigen?Annan nennt den Vaterarbeiteteals Manager für eine mangelnden Willen der Grossmächte, VonAnna Trechsel europäische Firma, waraber auch sich angemessen an friedenssichernden Stammeshäuptling. So wuchs Kofi in Missionen zu beteiligen, finanziell und Im Juli 2003 wurdeimBerner Hotel einem Umfeld auf,indem afrikanische personell. Konkret richtet sich seine Bellevuehoher Besuch erwartet: Kofi Tradition und europäisches Denken Kritik an den Uno-Sicherheitsrat und Annan, Generalsekretär der Vereinten Hand in Hand gingen, wie er selber seine fünf ständigen Mitglieder,die Nationen, einer der weltweit wichtigs- schreibt. Trotz seiner Begeisterung für durch ihr Veto alles blockieren können: tenDiplomaten. Im eleganten Roten das unabhängigeGhana sollteAnnan, die USA, England, Frankreich, Russland Salon fanden sich Journalisten ein, um der sich gern als Afrikaner bezeichnet, und China. über das Ereignis zu berichten. Aller- dem Kontinent den Rücken kehren: Er Die Uneinigkeit zwischen der Organi- dingserschien allein die Lokalpresse: packtedie Gelegenheit, mit einem Sti- sation und ihren Mitgliedstaaten– Annan kam, weil das Berner Kinderpar- pendium in den USAzustudieren, kam Annan nennt sie die zwei Unos –ist ein lament dem Uno-Generalsekretär eine dann nach Genf und begann mit 22 in wiederkehrendes Motiv, und offensicht- Auszeichnung überreichen wollte, für der WHO,der Weltgesundheitsorgani- lich auch eine Quelle der Frustration. Kinderfreundlichkeit. sation, zu arbeiten. Annan wurdezum Dennoch fällt auf,dassAnnan dazu Sechs Jahrenach seinem Abgang von Weltbürgerund die Unozuseiner neuen neigt, Fehlleistungen entweder dem Si- der Spitzeder Weltorganisation legt der Heimat. cherheitsrat anzukreiden oder dafür in- heute 75-jährigeAnnan nun seine Auto- stitutionelle Mängel auszumachen. Be- biografievor,die er zusammen mit sei- Annan scheut Verantwortung sondersaugenfällig wirddas im düste- nem ehemaligen Mitarbeiter Nader Abgesehen vondem kurzen Ausflug zu renKapitel zu Rwanda: Annan unter- Mousavizadeh geschrieben hat. Der seinen Anfängen, gibt Kofi Annan nur schlägt die Tatsache nicht, dassder Lei- Titel«Ein Leben in Krieg und Frieden» wenig Persönliches preis, und vonden terder Uno-Mission vorOrt, Romeo ist programmatisch, doch man ist ver- 50 Jahren, in denen er der Unodiente, Dallaire, bereits Monate vordem Geno- sucht zu sagen: Viel Krieg, wenig Frie- richtet er sein Augenmerkallein auf die zid gewarnt hatte,esdrohten Massaker den. Mehr als persönliche Lebensge- neunziger und nuller Jahre. Unddie an Tutsis. Er vermeidet es aber,dafür schichteist das gut460 Seiten starke warengeprägt vonKrieg: Somalia, Verantwortung zu übernehmen, dass Werk ein Rückblick auf Annans Tätig- Rwanda, Bosnien, Kosovo, Darfur,Ost- Dallaires verzweifelter Bitte,die Missi- keit bei der Unoinden vergangenen Timor,Libanon, Gaza, Afghanistan, Irak. on aufzustocken, nicht stattgegeben zwanzig Jahren, zuerst in der Abteilung In Annans Zeit als Untergeneralse- wurde. für Friedenssicherung, danach als Gene- kretär der Abteilung für Friedenssiche- ralsekretär.Sowar zu erwarten, dass rung (1993 bis 1996) fielen das Scheitern Plädoyer für die Uno Annan uns keine leichteLektürevorset- der Friedensmission in Somalia, das Kofi Annan und Vier Jahrenach dem Völkermordvon zenwürde. Massakervon Srebrenica während des Bundesrätin 1994,als 800000 Tutsis und gemässigte Aufknappem Raum schildert der Bosnienkrieges und das Abgleiten Micheline Calmy-Rey Hutus ermordet worden waren, reist bedanken sich beim Ghanaer zunächst seine Jugend in West- Rwandas in einen Völkermord. Annan Kinderparlament Annan mit seiner Frau Nane nach Rwan- afrika, den Aufbruch jener Jahre, als spricht denn auch unumwunden von in Bern für den Ole- da, um der Opferzugedenken. Hier fin- seine Heimatden Kolonialismus über- den «Katastrophen bei der Friedenssi- Preis, 1.Juli 2003. den sich die stärksten und spannendsten Passagendes Buches: Wenn Annan nicht einfach wichtigeEreignisse nach- erzählt, sondern persönlich wirdoder einen Blick hinter die Kulissen erlaubt. So beschreibt er etwa ausführlich, wie er 2003 vergeblich versuchte, die amerika- nische Invasion in den Irak abzuwen- den. Der Diplomatscheutsich auch nicht vorKritik: George W. Bush, Tony Blair,Benjamin Netanyahu, Yasir Arafat und viele anderekriegen ihr Fett ab. Seine Ernüchterung über die Fehlent- wicklungen in Afrikaist erfrischend. An Kofi Annans Menschlichkeit, seinem Engagement und seiner Loyalität gegen- über der Unogibt es keine Zweifel. Vonder seinerzeitigen Begegnung im Berner Bellevuevor zehn Jahren bleibt die Erinnerung an einen überaus würde- vollen und charmanten Herrn mit grau- meliertem Bart, der den Kindern auf- merksam zuhörte, die Vorzügeder De- mokratie pries und dann wieder ver- schwand. Liebenswürdig, freundlich und unergründlich. Wasist das für ein Mensch, der sich die Zeit nimmt, Berner Schüler zu treffen, während er die gröss- te Organisation der Welt leitet und auf Kriegsschauplätzen erscheint? Man wünscht sich, Annans Buch wäremehr persönliche,anekdotische Autobiogra- ONE fieals nur ein Plädoyerfür die Uno. Le- YST

KE senswert ist es allemal. l

18 ❘ NZZamSonntag ❘ 31. März 2013 Burma Jesper Bengtsson porträtiert die Oppositionsführerin Aung SanSuu Kyials starke und einfühlsame Verfechterin der Demokratie Fünfzehn Jahreunter Hausarrest

Jesper Bengtsson: Ikone der Freiheit – Aung SanSuu Kyi. EineBiographie. Rotbuch, Berlin 2013. 317Seiten, Fr.28.90, E-Book 21.90.

VonKathrin Alder

Am 16.Juli 2012 hielt die burmesische Oppositionsführerin Aung SanSuu Kyi in Oslo eine Rede,die sie eigentlich schon vor21Jahren hätte halten sollen: ihreNobelpreisrede. Doch 1991, als ihr der Preis zugesprochen wurde, stand sie in Burma bereits seit zwei Jahren unter Hausarrest. IhreFamilie nahm den Preis entgegen, ihr älterer Sohn Alexander hielt eine bewegende Dankesrede. Alle warensie voller Hoffnung, dassdie MilitärjuntaAung SanSuu Kyibald frei- lassen würde. Bis sie ihr Heimatland allerdings unbesorgt verlassen durfte, vergingen 21 Jahre. Während dieser Zeit kämpfte sie trotz grosser Entbehrungen und persönlicher Opferunermüdlich für ein AP demokratisches Burma. In «Ikone der Aung SanSuu Kyi sofort in ihreHeimat. Dort musstesie Wegabbringen, auch nicht ein Militär- Freiheit» lässt der schwedische Autor am 26.Februar 2012 miterleben, wie die Militärjuntaden kapitän, der seinen SoldatenamRande auf Wahlkampagne und Journalist Jesper Bengtsson den in der burmesischen Aufstand des burmesischen Volkes bru- einer Wahlkampfveranstaltung befahl, Leser an diesem Kampfteilhaben. Provinz. talniederschlug. Mehreretausend Men- auf sie zu schiessen. Schliesslich verbot Bereits zu Beginn der 1970er Jahre schen starben. In diesem aufgeheizten ihr die Junta, für die Wahl zu kandidie- schriebAung SanSuu Kyiineinem Brief politischen Klima entschied sie sich, die ren, und stelltesie unter Hausarrest. an den englischen Professor Michael Führung der burmesischen Demokratie- Fortan konntesie ihr Elternhaus in Ran- Aris, den sie zwei Jahrespäter heiraten bewegung zu übernehmen. ZurBekräfti- gun15Jahrelang nicht mehr verlassen, sollte: «Ich möchtedich nur darum gung hielt sie an der Shwedagon-Pagode nicht einmal, als ihr Mann in Oxford bitten, dassdumir hilfst, meine Pflicht eine Rede,vor einer halben Million Zu- aufgrund einer Krebserkrankung im zu erfüllen, falls mein Volk mich brau- schauer.Viele vonihnen warenüber Ki- Sterben lag. chen sollte.» Es schien, als hätte sie ihr lometer marschiert, nur um sie zu hören. Bengtssons Biografielebtvon auf- Schicksal vorausgeahnt. Ihr Vater, Gene- Es warder Auftakt zum Wahlkampf. schlussreichen Geschichten und unter- ralAung San, befreiteBurma nach dem Zusammen mit anderen Oppositionel- haltsamen Beobachtungen. Der Leser Zweiten Weltkrieg vonder Kolonial- len hatte Aung SanSuu Kyidie Partei lernt Aung SanSuu Kyikennen, als macht Grossbritannien und warauf dem NLD gegründet, die «National League selbstlose,starke und zugleich einfühl- Weg, der erstedemokratisch gewählte forDemocracy». Die Juntaschien dem same Freiheitskämpferin. Kritische Premierminister seines Landes zu wer- Druck der Strassenachzugeben und ver- Stimmen hingegen lässt er nur spärlich den. Dann wurdeervon einer Gruppe kündete, 1990 eine demokratische Wahl zu. Undauch die Frage, wie sich die Soldatenerschossen. durchzuführen. SuuKyi reisteimgan- nunmehr freie Oppositionsführerin Suu SuuKyi wusste immer um das Ver- zenLand umher und mobilisierteMas- Kyiinder Rolle der Staatspolitikerin zu- mächtnis ihres Vaters und 1988 nahm sie sen, die Juntadiskreditierteund sabo- rechtfinden könnte, lässt er offen. Von es an. Damals erlittihreMuttereinen tiertesie,wosie nur konnte. Doch sämt- einem Journalisten und ausgewiesenen Schlaganfall und SuuKyi, die zusammen liche Einschüchterungsversuche perlten Burma-Kenner wäreindieser Hinsicht mit ihrer Familie in Oxfordlebte,reiste an ihr ab.Nichts konntesie vonihrem mehr zu erwarten gewesen. l

VomErfolgsautor,der alle wirtschaftlichen Entwicklungen

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31. März 2013 ❘ NZZamSonntag ❘ 19 Sachbuch Malerei Die französische Starjournalistin Anne Sinclair schreibt die Geschichtedes Kunsthändlers Paul Rosenberg IhrGrossvaterwar Picassos Galerist

lung 1923 in NewYorkweder Besucher Anne Sinclair: Lieber Picasso,wobleiben noch einen einzigen Käufer gefunden meine Harlekine? Mein Grossvater,der hatte.1936,inParis, verzeichneteeine Kunsthändler Paul Rosenberg. Picasso-Ausstellung dann 600 Besucher Kunstmann, München 2013. proTag. 207Seiten, Fr.28.40. Ob verrückt oder erleuchtet –Rosen- bergwar für seine Künstler weit mehr VonKathrin Meier-Rust als nur Händler,erwar ihr Impressario, Beraterund Vorkämpfer, und im Falle Anne Sinclair warinFrankreich mit vonPicasso auch ein naher Freund. einer eigenen Politsendung längst ein Über zwanzig Jahrewohnten die beiden Star,bevor sie durch den Vergewalti- Familien in Paris Haus an Haus. Man sah gungsskandal ihres Ehemannes Domi- sich täglich, «Pic» malteRosenbergs nique Strauss-Kahn auch international Frau und Kinder,«Rosi» schriebihm

bekannt wurde. Inzwischen vonDSK VED Briefe, kümmertesich um sein Bank- ER

geschieden, ist die 64jährigeSinclair ES kontound die Leinwand. heute Leiterin der französischen Ausga- SR Dann kamder Krieg. Die ganzeFami- be der renommierten Internetzeitung lie Rosenbergfloh, erhielt dann in Lissa- RIGHT

«Huffington Post». LL bon dank Pauls ausgezeichneten Bezie- Vonalledem ist wenig zu spüren in /A hungen zur amerikanischen Kunstwelt der Biografie, die Anne Sinclair ihrem CHIV das verzweifelt begehrteVisum für die Grossvater mütterlicherseits, dem USA. In NewYorkeröffneteereine

Kunsthändler Paul Rosenberg, widmet. MILIENAR neue Galerie,hier wurde1948auch die Weil sie erst 11 Jahrealt war, als dieser FA Enkelin Anne geboren. An der Ruede Grossvater 1959starb,und auch weil sie Die 20-jährigeAnne Paul Rosenbergwar mit 16 Jahren in Boétie 21 installierten die Nazis derweil sich als linkspolitisch Engagierteihrem Sinclair mit Picasso den Kunst-und Antiquitätenhandel sei- ein «Institutzur Erforschung der Juden- vorseinem Haus in Vater, einem Résistancekämpfer, näher Notre-Dame-de-Vie nes Vaters eingetreten, seine Ausbil- frage». Hundertevon Bildern wurden fühlte, habe sie die mütterliche Familie in der Nähe vonNizza dung bestand vorallem im Besuch der konfisziert und in alle Welt verscha- Rosenberg, die den Krieg «bequem» im (1968). europäischen Museen. Undwie sein chert. Die Suche nach ihnen wirdPaul Exil in NewYorkverbrachte, weniger Vatermit der älteren Akademie-Malerei Rosenbergnach dem Krieg bis an sein interessiert. Erst nach dem Todder Mut- das Geld verdiente, um die verfemten Lebensende beschäftigten. In Zürich terstiesssie beim Ordnen der Familien- Impressionisten kaufen zu können, so habe ihm Emil Bührle einen Deal ange- papierewieder auf den langeverstorbe- handelteauch Paul zunächst mit den boten, erzählt Sinclair: 80 Prozent der nen Grossvater und beschloss, ihm eine Impressionisten, um die neuen «Unbe- gekauftenBilder wollteBührle zurück- kleine Hommagezuwidmen. kannten» zu kaufen, denen seine Begeis- geben, wenn er den Rest behalten könne. Ausder Hommagewurde eine höchst terung galt. In seiner hocheleganten Ga- Rosenbergschlug das Angebot aus und persönliche,bei aller Leichtigkeit sehr lerie in der RuedelaBoétie 21, wo die zogvor Gericht. differenzierteBiografiejenes Kunst- Familie auch wohnte, stellteerdie Anhand der Orteund Häuser der händlers, der über Jahrzehntedie neue «Zeitgenössischen» unermüdlich aus Rosenbergs,gestützt auf das Familien- Malerei vonPicasso,Matisse,Braque und verhalf ihnen damit zum Durch- archiv, mit eigenen Kindheitserinnerun- oder Léger propagierte, kaufte und ver- bruch. Auch in den USA: «Man muss genund einem wunderbaren Bildteil kaufte wie kein zweiter und der,imUn- verrückt sein wie ich, oder erleuchtet ergänzt, erzählt Sinclair die Geschichte terschied zu seinem späteren Konkur- wie ich, um etwasDerartiges zu unter- dieser grossbürgerlichen jüdischen Fa- renten Daniel-Henry Kahnweiler,bis nehmen», schriebRosenberganPicas- milie in Frankreich –klug, menschlich heute keinen Biografengefunden hat. so,nachdem die erstePicasso-Ausstel- und leicht zu lesen. l

Sozialisation Das protestantische Pfarrhaus haterstaunlich viele Menschen fürsLeben geprägt Wo Geistund Ungeistherrschten

schreibt, ist sie doch selbst Tochter spiel, EduardMörike, Klopstock und Christine Eichel: Dasdeutsche Pfarrhaus. eines Landpfarrers, die unmittelbar Lessing, , Ingmar Berg- Hort des Geistes und der Macht. erlebte, «wie fröhliches Gottvertrauen mann und C. GJung. Schier endlos ist Quadriga, Berlin 2012. 367 Seiten, und eisernes Pflichtbewusstsein Hand die Reihe derer,welche die banale Fr.32.90,E-Book 19.90. in Hand gingen». Spruchweisheit widerlegen, die da lau- Das Buch handelt vomprotestanti- tet: «PfarrersKinder,MüllersVieh ge- VonGerdKolbe schen Pfarrhaus, wo immer es existiert. deihen selten oder nie.» Denn Eichels Betrachtungen machen Anfangsliest sich das Buch wie eine Man könnteChristine Eichels Buch nicht an Staatsgrenzen halt. So erfährt Lobeshymne. Doch dann folgen auch «Das deutsche Pfarrhaus» eine Fleiss- der Leser nicht nur,dassdie beiden zur- dunkle Kapitel. ZumBeispiel der Weg, arbeit nennen, bestünde nicht die Ge- zeit höchsten Repräsentanten Deutsch- den die RAF-Terroristin Gundrun Enss- fahr,dies als Abwertung zu missdeuten. lands, Bundespräsident Joachim Gauck lin wählte. Oder die Tatsache,dasses In der Tathat die Autorin eine Fülle von und Bundeskanzlerin Angela Merkel, Gewalt, Misshandlung und Missbrauch Material zusammengetragen, die Ge- Pfarrer und Pfarrerstochter sind. Ge- auch in Pfarrersfamilien gab. Christine schichtedes protestantischen Pfarrhau- schildert wirdetwaauch, wie der Eichels Blick in die Zukunftfällt melan- ses seit Martin Luther nachgezeichnet, Pfarrerssohn Friedrich Dürrenmatt die cholisch aus. Das Pfarrhaus verlierean dabei jede MengeLiteratur durchforstet Isolierung in einem kleinen schweizeri- Bedeutung, klagt sie. Denn viele Pfarrer, und in einer Vielzahl vonEinzelgesprä- schen Dorfzuspüren bekam. Man ihreFrauen und Familien wollten nicht chen differenzierende Urteile zutage staunt, wenalles das evangelische Pfarr- mehr wie früher rund um die Uhr ver- gefördert. Eichel weiss, worüber sie haus prägte: zum Bei- fügbar sein. l

20 ❘ NZZamSonntag ❘ 31. März 2013 Romantik Zwei neue Biografien zum 250. Geburtstag des originellen SatirikersJean Paul (1763–1825) Empfindsamer Dichter desBilderrauschs

nimmt es in «Jean Paul –Das Leben als Denken, ein stupender Hang zur frei- Helmut Pfotenhauer: Jean Paul –Das Schreiben», Lebens- und Werkentwick- denkerischen Fantastik, die Passion für Leben als Schreiben. Biographie. Hanser, lung des empfindsamen Satirikersnach- emphatische Naturschilderungen und München 2013. 509Seiten, Fr.37.90, zuzeichnen und beides ausführlich zu ein hellsichtiges Interesse an Psycholo- E-Book 29.90. interpretieren. Jean Paul versuchte gie. Nicht ohne Grund wurdeder fol- Günter de Bruyn: DasLeben des Jean dichtend das Leben vorzudenken, sich gende Satz des «Traumexperimenta- Paul Friedrich Richter. EineBiographie. mit einem ununterbrochenen Fabulie- tors»und Dichtersdes (Bilder-)Rauschs S. Fischer,Frankfurt a. M. 2013. renden Todvom Leib zu halten. Pfoten- zu einem seiner bekanntesten: «Wir ma- 350Seiten, Fr.14.90,E-Book Fr.23.20. hauer hebt dabei auf die frappierende chen aber vondem Länderreichtum des Modernität Jean Pauls ab,die sich unter Ichallzu kleine oder engeMessung, VonKirsten Voigt anderem in der nimmermüden Refle- wenn wir das ungeahnteReich des Un- xion des Schreibprozesses manifestiert, bewussten, dieses wahreinnereAfrika «Seine Schriftensind wie Ananas, aus- in Jean Pauls überwältigendem Erfin- auslassen.» wendig aus lauterDistel und Dorn, bis dungsreichtum und dem Mutzuoffenen Alles andereals PfotenhauersKon- man in das süsse innereLeben einge- und düsteren Enden, zu einer Ästhetik zeption, den Schwerpunkt seiner pro- drungen ist.» Der Lobredner,der dies der unabsehbaren Fortsetzungen und funden Darstellung auf die Nachzeich- schrieb, hiessJohann PeterHebel, der Umdichtungen. nung dieses Schreib-Lebens zu legen, literarische Ananas-Züchter Jean Paul, Mit Pfotenhauer folgt man dem auf- wärevor allem deshalb verfehlt, weil ursprünglich Ludwig Richter. klärerischen, neugierigen Selbstdenker Günter de Bruyn schon 1975seine an Jean Paul erfuhr in seinem –gewiss auf verschlungenen philosophischen prägnanter Plastizität und erzähleri- auch aufgrund übermässigen Alkohol- Pfaden durch die zeitgenössischen Dis- scher Eleganz kaum überbietbareLe-

konsums –nur 62 Jahrewährenden APP pute,uminein Werk der Extreme hin- bensbeschreibung Jean Pauls veröffent- Leben begeistertes Lob und höchsteAn- einzufinden. In ihm begegnen sich Idyl- licht hat. Leicht bearbeitet erscheint sie erkennung. Sein «Hesperus» schlug FELDR le und kosmische erneut–völlig unverstaubt, ergänzt um Goethes «Wilhelm Meister» beim Pub- Visionen, rationa- einen Anhang mit dem Nachweis der Zi-

likum an Beliebtheit. Im Jahr 1817erhielt REINHARD les und religiöses tateund zahlreichen Abbildungen. Jean Paul auf die Empfehlung Hegels hin den Ehrendoktor der Universität Hei- Umschwärmter Sonderling delberg. Für die Gesamtausgabe seiner Beide Bücher zusammen ergeben ein Werke bot ihm der Verleger Reimer zeithistorisch farbiges und geistesge- 35000 Taler und zahlteihm damit ein schichtlich tiefenscharfesBild eines höheres Bogenhonorar als Kleist oder Hochoriginellen. Damen umschwärm- Heine. Unddennoch hatte Jean Paul tenden berühmten, oft ungepflegten nie die Furcht vorder Notabstreifen Sonderling, der im Schlafrock schrieb, können, die er als Kind eines Pfar- den Provinzialismus lobteund lebte, rers und Lehrersaus Wunsiedel Goethe und Schiller deshalb wie «vom kennengelernt hatte. Mond gefallen» erschien, sich viermal verlobte, bevorerheiratete, und wirk- Leben in Armut lich alles zu Dichtung umformte. Man- Dem jungen Mann, der am che Leserin legteesdarauf an, durch die 21. März 1763, also vor250 Begegnung mit ihm zur unsterblichen Jahren und mit dem Früh- Romanfigur zu werden. ling –darauf warerstolz – Nichts allerdingswar Jean Paul wich- zur Welt gekommen war, tiger als sein Schreiben. Auch dessen stellteman in Hof, um ihm zu technische Seitenahm der sonst so Hu- helfen, ein veritables Armuts- morvolle unnachgiebig ernst, die Zube- zeugnis aus. Es sollteihm als reitung der Tinte, die Sicherstellung Theologiestudenten in Leipzig eines VorratsanGänsekielen, die vom wenigstens die Gebühren für linken Flügel des Vogels sein mussten, Einschreibung und Studium er- weil sich die Feder dann günstiger an sparen. Dennoch führteJean Paul den Schreibdaumen schmiegteund ein auch dort ein Hungerleider-Dasein. rascheres Dichten erlaubte. Diese Armutmachteihn zu einem Jean Paul fand sein Glück in der Be- tüchtigen und süchtigen Exzerptor – schränkung, aus der er Grossartiges 12000 Seiten kamen zusammen. machte. Schliesslich nach den zu vielen Selbst als nicht mehr armer Mann Toden seiner Freunde,vor allem seines leisteteersich kaum Bücher,war Sohnes Maximilian im Jahr 1821, blieb dennoch einer der gebildetsten ihm nur noch, «Literatur an der Grenze Köpfe der Goethe-Zeit und des Schweigens», so Pfotenhauer,zu schriebinkärglich eingerichte- schaffen. Auch dies liessihn zu einem tenArbeitszimmern. Künstler werden, den Ludwig Börne in Wersich Jean Paul im Jubilä- Er leistete sich seinem Nachruf lächelnd an der Pforte umsjahr wirklich umfassend kaum Bücher: zum 20.Jahrhundert warten sah, bis sein nähern will, solltemindestens Der Romantiker «schleichend Volk ihm nachkomme». –neben dem «Schulmeister- Jean Paul war Auch wersich im 21. Jahrhundert auf lein Wutz», dem «Hesperus», dennoch Jean Pauls Spur setzt, mussmit unerhör- einer der dem «Titan», dem «Sieben- gebildetsten tenÜberraschungen und Sätzen wie käs» –zweiBiografien lesen. Köpfe diesem rechnen: «Man kommt leichter HelmutPfotenhauer unter- seiner Zeit. zu jedem andern als zu sich.» l

31. März 2013 ❘ NZZamSonntag ❘ 21 Sachbuch Kulturgeschichte Wieder einmal ist Amerikafrüher entdeckt worden –angeblich durch die Kelten Wenn dieFantasiedurchbrennt

und durch den Regenwald den Amazo- aber geläufig war. Am leichtesten zu zie- Hans Giffhorn: WurdeAmerikainder nas hoch bis in die Anden gelangt sein hen ist die untersteKartedes Kons- Antikeentdeckt? Karthager, Kelten und sollen. Die Chachapoya seien die Nach- trukts: Die angeblich komplette Zerstö- das Rätsel der Chachapoya.C.H.Beck, folger dieser Keltokarthager! rung Karthagos durch die Römer 146 v. München 2013. 288 Seiten, Fr.27.40, Wäredas Buch nicht im renommier- Chr., welche die Flucht der Überleben- E-Book 18.20. tenC.H.Beck-Verlag erschienen, würde den über den Atlantik ausgelöst haben man seine Zeit nicht weiter damit ver- soll. Längst weissdie Forschung, dass VonGenevièveLüscher geuden. Aber im Klappentextwirdes Karthagonicht völlig zerstört, sondern sogar als «bahnbrechend» bezeichnet – romanisiert wurde, seine Traditionen In den peruanischen Anden stiessman man fragt sich wofür? lebten bis in die Spätantikefort. vorwenigen Jahrzehnten auf die Bauten Der Autor, dessen wissenschaftliches Wirklich hieb- und stichfesteBeweise der «rätselhaften» Chachapoya.Die Renommee sich auf ein paar Dokumen- für seine These bleibt der Autorschul- rund 1000 Jahrealten Rundhäuser und tarfilme über Floraund Fauna des Ur- dig. Andrerseits, und das gehört zum Festungen finden lautdem AutorHans walds beschränkt, schafft es geschickt, Wesen der Pseudowissenschaft, lassen Giffhorn nirgendwo in Amerikaihres- ein Kartenhaus vonIndizien, Vermutun- sich seine Behauptungen auch nicht wi- gleichen, dafür entsprechen sie «bis ins genund Theorien zu konstruieren, das derlegen. Gemässdem Philosophen Karl Detail den zweitausend Jahrealten Rui- Kapitel für Kapitel in die Höhe wächst. Popper ist aber eine Behauptung, die nen vonBauwerkenspanischer Kelten». Ebenso geschickt vermeidet er es, sich sich nicht widerlegen lässt, als Erklä- Damit ist die Geschichteumrissen, die festzulegen, stellt sich selber immer rung für eine Beobachtung unbrauchbar. Giffhorn –erbezeichnet sich als «Kul- wieder in Frage, lässt alles im Vagen, so Fazit: Wäredas Werk tatsächlich «das turwissenschaftler» –inseinem Buch dassHintertüren offenbleiben. Unpas- Ergebnis vonvierzehn Jahren interdiszi- erzählt. Siegipfelt in der Hypothese, sendes wirdwegdiskutiert, wie zum Bei- plinärer Forschung», wie der Beck’sche dasskeltische Krieger im Verbund mit spiel das Rad, das in den Andenkulturen Klappentextweismachen will, so sähe Karthagern über den Atlantik gesegelt unbekannt, den Kelten und Karthagern es für diese wahrhaftig nicht gutaus. l

Kosmos Der Informatiker David Blatner lässt uns einen Blick ins Unendliche werfen VomGrollen derSchwarzen Löcher

uns ein Leben lang immer wieder er- Schallwelle voneinem Schwarzen Loch David Blatner: Extremwelten. Unser staunen. im Galaxienhaufen Perseus ausgeht, der unfassbares Universum vonunendlich In den sechs Kapiteln seines neusten 250Millionen Lichtjahrevon uns ent- klein bis unendlich. Berlin Verlag, Berlin Werksführt uns David Blatner die faszi- fernt ist. 2013. 192Seiten, Fr.28.90,E-Book 23.90. nierenden Grössenordnungen vonZah- Die Informationsdichtedes Buchs ist len, der Grösse selbst, vonLicht, Schall, immens. ZumGlück lockert Blatner sie VonAndré Behr Wärme und Zeit vorund schärft damit mit schmucken Abbildungen und amü- die Sinne und unser Empfinden. Oder santen Zitaten auf.Andas Ende des Pas- Der 47-jährigeUS-Amerikaner David wie der englische AnthropologeGrego- sus über das Grollen der Löcher etwa Blatner,der in der kalifornischen IT- ry Batson schrieb, den Blatner zitiert: stellt er Platons Aphorismus «Der leere HochburgPalo Altolebt, hatals Soft- «Information ist der Unterschied, der Topf klappert am meisten». Eine ironi- ware-Spezialist wie als Autorvon mehr einen Unterschied macht». Das tiefste, sche Wendung, die uns helfen kann, mit als einem Dutzend unterhaltenden Bü- jemals nachgewiesene Schallphänomen den Füssen auf dem Boden zu bleiben, chern ein breites Themenspektrum. Auf beispielsweise,stammt vonfernen kos- wenn wir nach den Sternen greifen. So mathematischem Gebiet ist er 1997 mit mischen Ereignissen. Es liegt weit un- beeindruckend die technischen Fort- seinem wunderbar gestalteten Büchlein terhalb des Infraschallgrollens vonLa- schritte auch sind, all die Erkenntnisse, «The JoyofPi» aufgefallen, das der winen oder Erdbeben, eine Million Mil- die Blatner aufführt, zeigen, wie aber- Kreiszahl Pi gewidmet ist. Ihn scheinen liarden Mal niedriger als der tiefsteTon, witzig klein unseremenschliche Erden- nicht schwerblütigeAnalysen anzutrei- den wir hören können. Ein B, wie Astro- welt ist und wie wenig wir verstehen. ben, sondern lustvolles Zusammenstel- nomen gemessen haben, das 57 Oktaven Das ist keine neue Botschaft, aber es len vonkomplexenPhänomenen, die unter dem mittleren Cliegt und als macht Sinn, sie öfters zu wiederholen. l

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22 ❘ NZZamSonntag ❘ 31. März 2013 Firmengeschichte Christof Dejung zeichnet die Expansion des Handelshauses Gebrüder Volkart in Ostasien nach In Winterthur liefen dieFäden des indischen Baumwollexportszusammen

ebenfalls gutdokumentiert, darunter schweizerische nicht doch ein wenig zu ChristofDejung: Die Fäden des globalen der Einflussdes Ersten Weltkriegsauf kurz gekommen ist. So handelt die über Marktes. EineSozial- und die Selbstdarstellung vonVolkart als 500-seitigeStudie die komplizierten Fa- Kulturgeschichtedes Welthandels am einem spezifisch schweizerischen Un- milienverhältnisse der Volkarts und Beispiel der Handelsfirma Gebrüder ternehmen oder der Aufbau eines Ver- Reinharts auf weniger als zwei Druck- Volkart 1851–1999.Böhlau, Wien 2013. triebsnetzes in Europaund den USA. seiten ab und lässt Frauen und Töchter 516Seiten, Fr.78.90. Daraus ergaben sich im 20.Jahrhundert grösstenteils unerwähnt, obwohl sie für wichtigeImpulse wie der Einstieg ins bedeutende Zu-und Abflüsse vonKapi- VonAlexis Schwarzenbach Kaffeegeschäft. talverantwortlich waren. Auch das mit Methodologisch ist die Studie der an der sozioökonomischen Lageder Stadt Als der 28-jährigeSalomon Volkart aus der Universität Konstanz besondersge- Winterthur und ihrer Konkurrenz zu dem zürcherischen Niederglatt 1844zu pflegten Globalgeschichteverpflichtet, Zürich aufsengsteverbundene Kultur- seiner ersten Indienreise aufbrach, deren Thesen bei jeder Gelegenheit am engagement der männlichen Teilhaber stand noch nicht fest, dasserdamit der Beispiel der Welthandelsfirma Volkart wirdnicht analysiert, sondern mit der Grundstein für eine Firma legte, die im überprüftwerden. Während dies für Bemerkung abgetan, Figurenwie Oscar 19. Jahrhundert zu einem der Haupt- Fachleute zweifellos interessant ist, Reinhart hätten«weniger dem Typus exporteureindischer Baumwolle wer- drängt sich nicht nur im Hinblick auf der eindimensionalen Unternehmerper- den sollteund im 20.Jahrhundert zu eine breitereLeserschaftdie Frageauf, sönlichkeit» entsprochen als andere einem Global Playerdes Kaffeehandels. ob deswegender Blick auf das Lokal- Unternehmer ihrer Zeit. l Der erstaunlichen Geschichtedes Win- terthurer Handelshauses Gebrüder Volkart ist der Konstanzer Historiker Christof Dejung in seiner Habilitation Fotografie Deutschlands Emigranten nachgegangen. Dazu hatte er ungehin- derten Zugang zum Firmenarchiv. Da die Bestände über das Indiengeschäft besondersaussagekräftig sind –imGe- gensatzzuChina oder Japan, wo Volkart ebenfalls schon seit dem 19. Jahrhundert präsent war–sind die wichtigsten Kapi- telden Entwicklungen auf dem Subkon- tinent gewidmet. Die ersteVolkart-Niederlassung be- fand sich in Bombay,wosich der jüngere Bruder vonSalomon Volkart, Johann Georg, um den Aufbau einer An- und Verkaufsorganisation kümmerte, wäh- rend sich Salomon in Winterthur nie- derliess, der Heimatstadtseiner Frau Emma Sulzberger. Begünstigt durch den Bau der indischen Eisenbahnen und im Bestreben darum, eine möglichst gleich- bleibende Baumwollqualität zu errei- chen, baute das Unternehmen ab den 1870er Jahren ein immer dichteres Netz vonEinkaufsagenturen im indischen Hinterland auf.Inden 1920er Jahren war Volkart –zusammen mit dem grie- chisch-britischen Konkurrenten Ralli – in praktisch jeder Sammelstelle für Roh- baumwolle präsent, zu der lokale Produ- zenten ihreErntebrachten. Dank der gutenQuellenlagekann De- jung nicht nur die «Rückwärtsintegrati- on» vonBombay ins Hinterland im De- tail beschreiben, sondern auch die kom- plizierten Finanzmechanismen analy- sieren, welche die Expansion ermög- EinfröhlichesRentnerpaar auf Reisen?Auch das seine Aufgabe darin «Menschen festzuhalten, bevor lichten. Die effizienteZusammenarbeit warensie, ab und zu,Teofila und MarcelReich- sie verloren gehen». 100deutsche Emigranten, in der Einkaufsagenturen mit lokalen Ranicki, hier 1994 in Augsburg. Der streitbare alphabetischer Reihenfolgevon Adorno bis Zadek Geldverleihern, die mit den Verhältnis- Literaturkritiker und seine Frau sind zwar nicht aus geordnet, zeigt nun sein Band, viele vonihnen lange sen vorOrt vertrautwaren und Klein- Deutschland emigriert, sondern aus Polen, doch als nach dem Krieg aufgenommen. Die Bilder werden von bauern Kreditevergaben, warein Grund Überlebende des Warschauer Ghettoshat der Foto- kurzen, treffenden Texten des HistorikersChristoph dafür,warum ausländische Newcomer graf Stefan Moses sie gleichwohl aufgenommen in Stölzl begleitet, der auch das exzellenteVorwortund wie Volkart und Ralli die alteingesesse- seine Porträtgalerie deutscher Emigranten. Moses, das biografische Registerzum Buch beigesteuerthat. nen indischen Handelshäuser Bombays 1928 in Niederschlesien geboren, überlebteVer- Kathrin Meier-Rust als wichtigsteBaumwollexporteuredes folgung, Krieg und Vertreibung im eigenen Land, Stefan Moses: Deutschlands Emigranten. Textevon Subkontinents ablösen konnten. Weite- bevorersich 1950 in München niederliess. Zeitlebens Christoph Stölzl. Nimbus, Wädenswil 2013. re Aspekteder Firmengeschichtesind verstand er Fotografie als «Erinnerungsarbeit», sah 191Seiten, Fr.59.90.

31. März 2013 ❘ NZZamSonntag ❘ 23 Sachbuch Hirnforschung In seinem neuen Buch erklärt NeurologeOliverSacks, wie Halluzinationen entstehen Menschen,die Stimmenhören

Oliver Sacks: Drachen, Doppelgänger und Dämonen. ÜberMenschen mit Halluzinationen. Rowohlt, Reinbek 2013. 416 Seiten, Fr.32.90.

VonAnja Hirsch

Bücher wie «Der Mann, der seine Frau mit einem Hutverwechselte» oder «Awakenings–Zeit des Erwachens» machten den amerikanischen Neurolo- genOliverSacks bekannt. Sein neues Buch erzählt vonMenschen mit Halluzi- nationen, zum Beispiel vonEdda: An Parkinson erkrankt, vergisst sie Wörter und Gedanken. Schlimmer aber sind die kleinen Menschen, die nachts um ihr Bett laufen und miteinander zu spre- chen scheinen. Manchmal sieht sie Rat- tenund fühlt sie sogar in ihrem Bett; auch Fische,die an ihren Füssen knab- bern. An gutenTagen spielen ihr Men- schen in Hawaii-Kostümen vordem Fenster ein Ständchen. Schade nur,dass sie die Musik nicht hört. Bilderwerkstatt im Kopf So wie Edda geht es vielen der Betroffe- nen, die OliverSacks hier erzählen lässt. WieFilme legen sich die Halluzinatio-

nen über die normale Ansicht. Siekom- T Halluzination durch men aus dem Nichts und verschwinden AR Drogen: Jimi Hendrix. urplötzlich. Manche bleiben Minuten, Farblithografie andereeine Woche,wie die riesige «Explosion» von Blume,die Ellen O. nach einer Hirnope- BRIDGEMAN Martin Sharp, 1967. ration im linken Gesichtsfeld sah. Als Götter, Dämonen, Engel, Dschinne (ara- se,wie etwa bei Dostojewski untersucht, die Blume ging, kamKermit, der Frosch bische Fabelwesen) gelten kulturüber- nur Folgehirnphysiologischer Anomali- aus der Sesamstrasse,der für die Dame greifend gerne als Schöpferund Bewoh- en?Oder gehen sie ihrerseits aus einer eigentlich keinerlei Bedeutung hat. Die ner dieser zweiten Realität. Mit neuen Sensibilisierung hervor,wie sie im spiri- Halluzinationen lösten sich nie auf. Methoden in der Hirnforschung kippt tuellen Bereich durch Gebeteoder Me- Ellen lerntenur,friedlicher mit ihnen das. Die Visionen etwa einer Jeanne ditation geübt wird? All das wirdaber zusammenzuleben. d'Arcdürften im Rückblick eher Folge nur gestreift. Undsoist das Buch trotz «Drachen, Doppelgänger und Dämo- einer Epilepsie mit ekstatischer Aura ge- Sacks' Versuch einer systematischen nen» ist zunächst einmal eine abenteu- wesen sein. Gruppierung eher ein Sammelbecken erliche Reise durch die frei flottierende Versuche mit Menschen in wasser- geworden für alles, wasirgendwie mit Bilderwerkstattdes Gehirns: Bestimmte gefüllten Isolationstanks in den 1960er Halluzinationen zusammenhängt. Areale sind in solchen Phasen hyperak- Jahren stärkendie Vermutung, dassHal- tiv. Undeine der aufregendsten Erkennt- luzinationen vorallem als Reaktion auf Originell, doch unscharf nisse für Laien ist, dassnicht immer Reizentzug auftreten: Das Hirn will ar- Darunter fallen erwartungsgemässDro- Krankheit dafür verantwortlich ist, zu- beiten. Lässt man es nicht, übernimmt genexperimente, denen OliverSacks mindest nicht jene,mit der man Hallu- es selbst die Führung. Eine ganzeReihe eigene hinzufügt. Dassernach Einnah- zination naturgemässassoziiert. Auch solcher einschränkender Lebensum- me des Parkinsonmittels Artane mit Sehbehinderung und Blindheit können stände nennt Sacks als Auslöser: Ge- einer Spinne hochphilosophische Ge- Lichtkleckse oder komplexe Visionen fängnisaufenthalte, Bewegungsmangel spräche führteund imaginäreFreunde verursachen, bekannt als Charles-Bon- durch Parkinson oder Polio-Epidemien, bewirtete–nun ja.Jenach Erlebnis- net-Syndrom (CBS). Vorsicht ist also Autismus, Migräne oder die Schlaf- bericht liest sich das originell und sogar geboten beim Stigma «verrückt». Ganz krankheit Narkolepsie. Dasserdabei auf unterhaltsam. Es definiert aber nur im Gegenteil gehört eine gehörigePorti- eigene Bücher zurückgreift, mag man unzureichend, wo exakt die Grenzezwi- on Geistesgegenwart dazu, um beim ihm nicht verdenken. Schwererwiegt schen Tagträumen und Halluzinationen Anblick einer Schein-Rinderherde nicht seine Entscheidung, Schizophrenie aus- verläuft. Wenn Sacks schreibt, das eine panisch zu reagieren. Diese alltägliche zusparen. Das typisch begleitende sei «Privattheater», das andereaber Teil NotimUmgang mit solchen Bildern, Stimmenhören, also ausgerechnet die «äusserer Räume», merkt man die Er- auch die Scham, sie zu teilen, vermittelt häufigsteakustische Halluzinations- klärungsnot. Andererseits verbeisst er sich am Rande dieser Berichte. form überhaupt, ist dadurch notwendi- sich auch nicht in wissenschaftliche Sacks will aber nicht nur Fallbeispiele gerweise untervertreten. Scheinbegrifflichkeit. Sein Sammeltrieb aneinanderreihen, sondern eine «Natur- Viele Fragen bleiben ausserdem un- macht ihn hellhörig für imaginäre geschichte» oder gar«Anthologie» der beantwortet. Siezustellen, ist freilich Begleiter vonKindern, für Trauer- Halluzinationen vorlegen –ein zu hoher spannend genug: Ist die Sagenwelt von halluzinationen nach Verlust oder Anspruch. Deutlich wirdeher Nahe- halluzinierten Liliputanern oder Feen- albtraumhafte Trugbilder nach Kriegs- liegendes, etwa,dasssolche Phänomene wesen inspiriert? Sind etwa die Zinnen- traumata.Nebeneinandergestellt, ergibt bis ins 18. Jahrhundert –inunaufgeklär- muster,die viele Migränekrankesehen, das ein ebenso beängstigendes wie be- tenGegenden noch heute –übernatürli- nur ein fotografischer Abdruck der Zel- reicherndes Mosaik unseres Lebens, chen Instanzen zugeschrieben werden. len?Sind religiöse Erweckungserlebnis- nicht mehr nur eines Symptoms. l

24 ❘ NZZamSonntag ❘ 31. März 2013 Biografie Egon Friedells «Kulturgeschichteder Neuzeit» warjahrzehntelang ein populäres Standardwerk Genialer Dilettant

Das Leben Friedells ist nicht sonder- BernhardViel: Egon Friedell. Der geniale lich gutdokumentiert. Es fehlt an auto- Dilettant. Eine Biographie. C.H. Beck, biografischen Zeugnissen und Korres- München 2013. 352 Seiten, Fr.35.40. pondenzen, und so lässt sich beispiels- weise wenig darüber sagen, welche Art VonUrs Bitterli vonBeziehung Friedell mit der geschie- denen Gattin des berühmten Architek- Der österreichische Schriftsteller Egon tenLoos und mit seiner Haushälte- Friedell steht bei den Historikern in ge- rin Hermine Schimann verband. Umso ringem Ansehen. Zwar findet eines sei- höher ist zu werten, dassesBernhard ner Hauptwerke,die vordem Zweiten Viel gelingt, aus vielen Bruchstücken Weltkrieg erschienene «Kulturgeschich- ein überzeugendes Lebensbild zusam- te der Neuzeit», noch immer viele Leser menzusetzen. Ein Nachteil dieser Bio- und wirdsogar als Hörbuch angeboten. grafie aber ist, dassaus Friedells Werk Aber in einem Fachgebiet, in dem man kaum je ausführlicher zitiert wird. Wer dazu neigt, den kommerziellen Misser- das Œuvredes Schriftstellersnicht be- folg als Merkmal wissenschaftlicher reits kennt, kann sich so vonder Quali- Qualität zu betrachten, macht solch an- tät seiner Textekeine Vorstellung ma- dauernder Erfolg verdächtig. chen und solltezueiner Friedell-Antho- Der umstrittenen Persönlichkeit Frie- logie greifen, die als nützliche Einfüh- dells hatder Münchner Germanist und rung bei Diogenes erschienen ist (Egon Historiker BernhardViel eine lesens- Friedell: VomSchaltwerk der Gedanken. werteBiografiegewidmet. Egon Fried- AusgewählteEssays.Diogenes 2007). mann, wie er eigentlich hiess, wurdeals An seiner «Kulturgeschichteder

Sohn eines jüdischen Tuchfabrikanten Neuzeit», die noch immer im Beck-Ver- GNO

1878 in Wien geboren. Er durchlief die lag erscheint, arbeiteteFriedell zwi- IMA Schulen nicht ohne Mühe und promo- schen 1922 und 1931. Nach deren grossem Egon Friedell beim sommerlichen Turteln, um 1930. viertemit einer Dissertation über Nova- Erfolg schob er noch eine «Kulturge- lis, die heutzutage wohl den Plagiatsver- schichtedes Altertums» nach. Bernhard JakobBurckhardt tat.Nein –für die Ge- dacht auf sich ziehen würde. Stärkerals Viel verzichtet auf eine eingehende Kri- schichtswissenschaftist Egon Friedell die Schule zogihn das Caféhaus an. tik dieses umfangreichen Werks, aber er nicht zu retten. Aber als geistreicher Schon um die Jahrhundertwende tauch- kennt und bezeichnet genau dessen und origineller Schriftsteller wirder te er in die jungeWiener Literaturszene Mängel: einen Hang zur Geschichtsphi- weiterhin seine Leser finden. ein, lerntePeter Altenberg, Hermann losophie in der Art vonSpenglers«Un- Egon Friedell warkein politisch enga- Bahr, und andereken- tergang des Abendlandes» und die Nei- gierter Mensch. Als Hitler im März 1938 nen und entschlosssich, Schriftsteller gung, historische Figurenzuüberzeich- in Österreich einmarschierte, reagierte und Schauspieler zu werden. nen, das Geschehen zu dramatisieren er mit Fassungslosigkeit. Den Vorschlag Mit zwanzig Jahren konvertierteer und Anekdoten zu grosse Bedeutung zu emigrieren, schlug er aus. Als die zum Protestantismus und nanntesich einzuräumen. Nazis bei ihm klingelten, stürzteersich Egon Friedell. VomKriegsdienst dispen- Noch viel anderes wäreaus wissen- aus dem Fenster seiner Wohnung. Er siert, betätigteersich als Feuilletonist, schaftlicher Sicht zu bemängeln. Frie- liegt auf dem Wiener Zentralfriedhof Stückeschreiber und Kabarettist, trat in dell liebteeszudem, gegenakademische begraben. l verschiedenen Wiener Theatern und Gelehrtenarroganz zu wettern, wasüb- UrsBitterli ist emeritierter Professor für auch in Berlin auf. rigens, freilich auf mildereArt, auch NeuereGeschichteander Uni Zürich.

Gesundheit Demenz wirdzunehmend zu einer Begleiterscheinung des Greisenalters Plädoyer füreineneueGastfreundschaft

fund zum Anlass, über die Bedeutung eine Haltung, die Menschen mit körper- Reimer Gronemeyer: Das4.Lebensalter. vonDemenz in der modernen Gesell- lichen oder geistigen Defiziten in der Demenz ist keine Krankheit. Pattloch, schaftnachzudenken. Oder besser: das Mitte der Gesellschaftwillkommen München 2013. 288 Seiten, Fr.29.90, Nachdenken darüber in eine neue Rich- heisst. E-Book 21.60. tung zu lenken und die Demenz, wie er Wiediese GastfreundschaftimFalle sich ausdrückt, aus dem Ghetto von vonDemenz konkret aussehen könnte, VonKlaraObermüller Krankheit und Pflegeherauszuholen. verrät der Autorallerdingsnicht. Gro- Demenz ist für Gronemeyerkeine nemeyers Stärke liegt in der Gesell- Der Befund klingt alarmierend: Rund Krankheit, die man heilen kann, sondern schaftsanalyseund weniger im Aufzei- 1,5Millionen Menschen sind zurzeit al- eine Begleiterscheinung der Hochaltrig- genpraktischer Lösungsansätze. «Nicht lein in Deutschland vonDemenz betrof- keit, die nach einer veränderten Einstel- die Bekämpfung der Demenz steht an fen. Bis ins Jahr 2050 könnten es bereits lung gegenüber der menschlichen Ge- oberster Stelle der Agenda, sondern die 3Millionen sein. Da die klassischen Fa- brechlichkeit verlangt. Bereitschaft, die Demenz als etwaszu milienverbände sich aufgelöst haben Eine Lösung der Probleme erwartet begreifen, das zum Altwerden gehören und Einzelpersonen mit der Pflegede- er deshalb weder vonder Pharma- noch kann.» So lauteteiner der Kernsätzedes menter Angehöriger auf Dauer überfor- vonder Versorgungsindustrie. Wasihm Buches. Wiesie die Forderung umset- dert sind, kommt zumeist nur die Unter- vorschwebt, ist eine Gesellschafts- zenwollen, müssen die Leser selber bringung in einer Pflegeeinrichtung in reform, in der stattder bislang üblichen herausfinden. Gronemeyerliefert dazu Frage. Die anfallenden Kosten sind lang- Versorgungsmentalität eine neue «Kul- Denkanstösse,die die Lektüreseines fristig kaum zu bewältigen. tur des Helfens» im Mittelpunkt steht. Buches, trotz mancher Überspitzung, zu Der in Giessen lehrende Soziologe Gronemeyerprägt dafür den Begriffder einem überaus inspirierenden Erlebnis Reimer Gronemeyernimmt diesen Be- «Gastfreundschaft» und meint damit machen. l

31. März 2013 ❘ NZZamSonntag ❘ 25 Sachbuch Inquisition Im Nonnenkloster Sant’Ambrogio in Romfanden Mord und sexueller Missbrauch statt HeiligeoderHure?

dreister Weise den Nonnenalltag: Sie Wälzer aus den Akten, beschreibt die HubertWolf: Die Nonnen von empfing Visionen und handschriftliche priesterlichen Segnungen durch Zun- Sant’Ambrogio. EinewahreGeschichte. Botschaftendirekt vonder Gottesmut- genkuss; wie die Novizenchefin die C. H. Beck, München 2013. 544Seiten, terMaria; verführteihren jesuitischen Neuen sexuell betasteteund mit ihnen Fr.35.40, E-Book 24.30. Beichtvaterzusexuellen Kontakten; «Liquor» (Scheidenflüssigkeit) aus- zwang neueintretende Novizinnen zu tauschte–all die Obszönitäten, Beicht- VonUrs Rauber lesbischen Handlungen; suchteunlieb- geheimnisverletzungen und Mordversu- same Mitschwestern zu vergiften. Den- che. Die wahreGeschichteeines italieni- noch wurdesie,von der selbst die Äbtis- Gelegentlich fragt man sich, ob der schen Frauenklostersim19. Jahrhundert sin abhängig war, vonihren Anhänge- vergessene Klosterskandal nicht etwas enthält alle Ingredienzien eines Thril- rinnen als Heiligeverehrt. gestraffter hätte erzählt werden können. lers: Inquisition, Sex, Vergiftungen, Ende 1859 wurdedas Geheimnis von Der Verfasser spart zwar nicht mit kräf- Komplott, Scheinheiligkeit. Komponiert Sant’Ambrogio durch eine geflohene tigem Tadel an die Adressevon Papst, hatihn der Münsteraner Theologeund Nonne zur Anzeigegebracht. In einem Jesuitenorden und Vatikan, geht aber Ordinarius für KirchengeschichteHu- minutiösen Ermittlungsverfahren unter- erstaunlich unkritisch vonder Korrekt- bert Wolf auf der Basis eines Aktenbe- suchtedie Römische Inquisition diesen heit des Inquisitionsverfahrens aus. Ob standes der römisch-katholischen In- Fall «angemasster Heiligkeit» und die abgelegten Geständnisse tatsächlich quisition, den er in den Vatikanischen «weiblicher Sodomie» (wie sie es nann- nicht manipuliert waren, bleibt eine of- Archivenaufgespürt hat. te) und brachteihn zur Anklage. Papst fene Frage. Man denkenur an ähnliche Ort des historisch belegten Skandals und Kardinalskongregation verurteilten Säuberungsprozesseunter totalitären ist das 1806 gegründetefranziskanische 1862 die Hauptbeschuldigtenach erfolg- weltlichen Regimen. Frauenkloster Sant’Ambrogio in Rom, in temGeständnis zu 18 Jahren Isolations- Dem Verfasser ist aber zugute zu hal- unmittelbarer Nähe zum Vatikan. Hier haftineinem Kloster und hoben das ten, dasssein Report dank der zahlrei- beherrschteinden 1850er Jahren die Frauenkloster Sant’Ambrogio auf. chen Quellenverweise und dem um- «jungeschöne Novizenmeisterin» Ma- Fleissig und in epischer Ausführlich- fangreichen Literaturverzeichnis wis- ria LuisaRidolfiinabsolutistischer,ja keit zitiert Wolf in seinem 500-Seiten- senschaftlich gutfundiert ist. l

Dasamerikanische Buch Frauen, erobert Amerikas Führungsetagen!

Kaum ein Buch hatinjüngerer Vergan- Davonist zweifellos die Mehrheit der genheit schon Wochen vordem offi- Amerikanerinnen betroffen. Diese ziellen Erscheinen eine derart intensive treten den KampfumJobs und Chan- Diskussion in den USAausgelöst wie cenohne Mentoren und Abschlüsse Lean In. Women, Work, and the Will to vonEliteuniversitäten an. Obendrein Lead von Sheryl Sandberg (Knopf, 228 suchen sie im Beruf allzu oft nicht Seiten). Dies geht gleichermassen auf Macht und Selbstverwirklichung, son- die Autorin zurück wie ihreBotschaft. dern vorallem den Lebensunterhalt für Die 43-JährigedürfteAmerikas bekann- ihreFamilien. Praktische Hürden vieler testeGeschäftsfrau sein. Siehat die Frauen wie fehlender Mutterschafts- HarvardBusinessSchool mit Bestnoten urlaub,Vorurteile gegenHeimarbeit abgeschlossen, folgteihrem Mentor oder unbezahlbareKindertagesstätten Larry Summersindas US-Finanz- sind SherylSandbergohnehin nur am ministerium und stieg dort zur Stabs- Ende des Buches ein paar Sätzewert. chefin auf,ehe sie Leitungspositionen bei Google und Facebook übernahm. Obwohl sie Betty Friedan und Gloria Dem Social-Media-Konzern dient Steinem zitiert –und mit letzterer be- sie seit 2008 als Geschäftsführerin. S freundet ist –, übergeht das Buch fun- GE

IMA damentalereFragen, welche ältere In den letzten Jahren entwickeltedie Feministinnen an die Schreibtische und Managerin zudem ein Profil als Vertre- GETTY auf die Strassegetrieben haben. So be- terin eines neuen Feminismus. «Lean Wachsende Macht Dies sorgt für eine ebenso aufschluss- trachtet SandbergKinder eher als Ma- In» baut auf Vorträgen zu der klassi- am Arbeitsplatz reiche wie anregende Lektüre. Indem nagementproblem denn als kreative bringt grössere schen Fragenach der Balancezwischen Gestaltungsräume für sie offeneigene Schnitzer und Rück- Aufgabe,die ebenso sinnstiftend sein Beruf und Familie auf,die sie etwa 2011 die Kinderbetreuung, schlägeschildert, will Sandbergauch kann wie der Beruf.Die Facebook- am Frauen-CollegeBarnardgehalten istFacebook-Chefin den Vorwurfentkräften, sie sei eine feh- Chefin geht noch weiter.Sie lehnt die hat. Sandbergs Antwort ist bereits dem Sheryl Sandberg lerfreie «Superfrau» und könne kein für das Bürgertum konstitutive Tren- Titelzuentnehmen: JungeFrauen sol- (unten)überzeugt. Beispiel für die Mehrheit der Amerika- nung zwischen Privat-und Arbeits- len sich im Beruf «reinhängen» und nerinnen sein. Dennoch schlägt genau leben ausdrücklich ab und fordert ihren Willen zur Führung entwickeln, diese Kritik «Lean In» bereits seit Mitte jungeAmerikanerinnen auf,sich rück- stattinVorwegnahme späterer Mutter- Februar entgegen. Frauen in den Medien haltlos in ihreKarrieren einzubringen. schaftHerausforderungen auszuwei- und im akademischen Bereich halten chen. Je erfolgreicher –und wichtiger der prominenten Multimillionärin Rea- Gleichzeitig ruftSandbergauch nach für ihreArbeitgeber –sie beruflich litätsferne vor. Schliesslich habe sie Solidarität. «Lean In» soll die Bildung werden, destoleichter wären dann nicht nur das Geld für Kinderfrauen und eines landesweiten Frauennetzwerks Pflegeund Erziehung der Kinder zu sonstiges Personal, sondern auch einen anregen, um Amerikas Führungsetagen bewältigen: Wachsende Macht am Ar- sehr hilfreichen Gatten. Zudem erklärt femininer zu machen. Davonerhofft beitsplatz bringt Frauen lautSandberg etwa die prominentePolitologin Anne- sich Sandbergeine Humanisierung der grössereSpielräume für die Gestaltung Marie Slaughter in der «New York Arbeitswelt und eine gerechtere ihres Familienlebens. Sieillustriert Times –Book Review», viele Unterneh- Lastenverteilung zwischen den Ge- diese relativsimple These mit vielen G men nähmen immer noch kaum Rück- schlechtern. Diese Vision findet in den Beispielen aus ihrer eigenen Karriere sicht auf die besonderen Umstände USAbei aller Kritik regenZuspruch. OOMBER

und ihrem elitären Umfeld. BL weiblicher Angestellten. VonAndreas Mink l

26 ❘ NZZamSonntag ❘ 31. März 2013 Agenda Fotografie Porträts von Literaten Agenda April 2013

Basel Donnerstag, 4.April, 19 Uhr Christian Haller: Der seltsame Fremde. Lesung, Fr.17.–. Literaturhaus, Barfüsser- gasse3,Tel. 061 261 29 50.

Dienstag, 16.April, 19 Uhr Aris Fioretos: Die halbe Sonne. Lesung, Fr.17.–. Literaturhaus, Barfüssergasse3, Tel. 061 261 29 50.

Mittwoch, 24.April, 19.30Uhr Yvette Kolb: Die Löschhorn Sinfonie. Buchvernissage und Lesung, Apéro. Kulturhaus Bider &Tanner,Aeschen- vorstadt2,Tel. 061 206 99 96. Bern Dienstag, 9. April, 20 Uhr Christine Brand: KalteSeelen. Lesung. Thalia im Loeb, Spitalgasse 47/51, Tel. 031 320 20 40.

Freitag, 19.April, 20.30Uhr Criminale 2013 mit Ingrid Noll, HelgaBey- ersdörferund Marlene Bach. Lesungen, Fr.20.–. Thalia im Loeb, Spitalgasse 47/51, Viele ihrer Porträts sind zu Ikonen geworden. Weran literatur vonItalo Calvino bis V. S. Naipaul hatsie Tel. 031 320 20 40. oder an denkt, an Ingeborg abgelichtet. Die deutschsprachigeLiteratur aber hat Bachmann oder FriederikeMayröcker,anPeter sie mit einer Akribie und in einer Vollständigkeit Dienstag, 23.April, 19 Uhr Handkeoder Gisela Elsner,dem stehen die eindring- dokumentiert, die ihr Werk einzigartig machen. Nun Irena Brežnà, Arno Camenisch und Thilo lichen Schwarzweiss-Bilder vonRenate Mangoldt vor liegt es in einem sorgsam gestalteten Band vor. Krause: Gewinner des Eidgenössischen Augen(hier , hinter ihm LarsGustafs- Erinnerungen der Fotografin sowie ein Interviewvon Preises für Literatur 2012 lesen aus ihren son). Seit einem halben Jahrhundertbegleitet die mit ihr ergänzen ihn. Manfred Papst Werken, Fr.16.–inkl. Apéro. Buchhand- 1940 in Berlin geborene Fotografin deutschsprachige Renate vonMangoldt: Autoren. Steidl, Göttingen lung Haupt, Falkenplatz 14. Autorinnen und Autoren. Auch Grössen der Welt- 2013. 544 Seiten, Fr.54.90. Zürich Mittwoch, 3. April, 19.30Uhr Bestseller März 2013 Isabelle Flükiger: Bestseller.Lesung, Fr.18.– inkl. Apéro. Literaturhaus, Limmatquai 62, Tel. 044254 50 00.

Belletristik Sachbuch Montag, 8. April, 19.30Uhr 1o JahreXanthippe-Verlag: Es lesen Jonas Jonasson: Der Hundertjährige. Rolf Dobelli: Die Kunstdes klaren Denkens. Christine Fivian, Maya Onken, Barbara 1 Carl’sBooks. 412 Seiten, Fr.21.90. 1 Hanser.246 Seiten, Fr.24.90. Ryffel. Kunsthaus Zürich, Vortragssaal. Info: www.kunsthaus.ch. Jussi Adler-Olsen: DasWashington-Dekret. Rolf Dobelli: Die Kunstdes klugen Handelns. 2 Dtv. 656Seiten, Fr.27.90. 2 Hanser.248 Seiten, Fr.24.90. Mittwoch, 10.April, 19.30Uhr Ralph Dutli: Soutines letzteFahrt. Lesung, Eveline Hasler: Mit dem letzten Schiff. Isabelle Neulinger: MeinenSohn bekommt Fr.18.– inkl. Apéro. Literaturhaus (s.o.). 3 Nagel&Kimche.224 Seiten, Fr.27.90. 3 ihr nie. Nagel&Kimche.204 Seiten, Fr.25.90. Mittwoch, 17.April, 20 Uhr Paulo Coelho: Die Schriftenvon Accra. Thomas Jaenisch, Felix Rohland: myboshi – David Guterson: Der Andere. Lesung, 4 Diogenes. 192 Seiten, Fr.25.90. 4 mützenundmehr. Frech. 111 Seiten, Fr.21.90. Fr.28.–. Kaufleuten, Festsaal, Pelikanplatz 1, Tel. 0445000. Volker Klüpfel, Michael Kobr: Herzblut. Frank Schirrmacher: Ego–Das Spiel des 5 Droemer/Knaur.400 Seiten, Fr.28.90. 5 Lebens. Blessing.352 Seiten, Fr.29.90. Donnerstag, 18. April, 19.30 Anne Weber: Talder Franz Hohler: Der Geisterfahrer. Wilfried Meichtry: VerliebteFeinde. Herrlichkeiten. Lesung, 6 Luchterhand. 576 Seiten, Fr.28.50. 6 Nagel&Kimche.647 Seiten, Fr.39.90. Fr.18.– inkl. Apéro. Literaturhaus (siehe oben). Timur Vermes: Er istwieder da. Duden.Die deutsche Rechtschreibung. 25. 7 Eichborn. 396 Seiten, Fr.27.90. 7 Aufl. Bibliogr.Institut. 1216 Seiten, Fr.35.90. Mittwoch, 24.April, 20 Uhr NedBeauman: Egon Loesers. Lesung, Thomas Meyer: Wolkenbruchs wunderliche Pola Kinski: Kindermund. Fr.25.–. Kaufleuten(siehe oben). 8 Reise. Salis.276 Seiten, Fr.29.-. 8 Insel.267 Seiten, Fr.28.40. Bücher am Sonntag Nr.4 Vina Jackson: 80 Days –Die Farbe der Lust. Florian Illies: 1913 –der Sommer des Jahr- 9 Carl's Books. 384Seiten, Fr.18.90. 9 hunderts. Fischer.319 Seiten, Fr.28.90. erscheint am 28.4.2013

Charles Lewinsky: Schweizen –24Zukünfte. Manfred Lütz: Bluff! Die Fälschung der Welt. WeitereExemplare der Literaturbeilage«Bücher am 10 Nagel&Kimche.176 Seiten, Fr.25.90. 10 Droemer/Knaur.188 Seiten, Fr.27.90. Sonntag» können bestellt werden per Fax044 2581360 oder E-Mail [email protected]. Oder sind –solange Vorrat –beim Kundendienstder NZZ, Falkenstrasse 11, Erhebung Media Control im Auftragdes SBVV;19.3.2013. Preise laut Angaben vonwww.buch.ch. 8001Zürich, erhältlich.

31. März 2013 ❘ NZZamSonntag ❘ 27 Damit Ihre Neugierde gestillt wird: Wir unterstützen gute Literatur.

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