30 Jahre Literarische Turnhalle Weilheimer Anthologie 1980–2010
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30 Jahre Literarische Turnhalle Weilheimer Anthologie 1980 – 2010 Vorwort: Hans Maier Reading is to the mind what exercise is to the body. Was der Sport für den Körper ist, ist das Lesen für den Geist. (Joseph Addison 1710 in der Zeitschrift e Tatler) 66 Weilheimer Hefte zur Literatur 1 Das erste Weilheimer Heft – Ilse Aichinger: Gedichte und Prosa – erschien am Vorwort 23. April 1980. 1995 wurde der 23. April (der Todestag von Cervantes und von Shakespeare) von der UNESCO zum Welttag des Buches erklärt. Eine Anthologie, ganz anders als andere Sammlungen, mit Gedichten, Szenen und Prosatexten aus 30 Jahren, mit den Namen vieler zeitgenössischer Autoren, mit zahlreichen, oft überraschenden Informationen über sie und ihre Interpreten – ein Heft, das ganz selbstverständlich daherkommt und zu dem es doch kein Dem Andenken des in der Nähe von Weilheim Gegenstück gibt (ich kenne keines!). Literatur, gelesen und gehört in Weilheim, beheimateten Dichters Albrecht Haushofer in der inzwischen weitbekannten »Literarischen Turnhalle«. Eine kleine große gewidmet, der vor 65 Jahren, am 23. April 1945, Summe der Gegenwartsliteratur, bequem in die Tasche zu stecken und überall zu in Berlin von der SS ermordet wurde lesen, zu Hause, in der Bahn, im Flugzeug. Selten, daß Literatur so unkonventionell, so lebendig dargeboten wird wie hier. Das Umschlagbild auf der Vorder- und Rückseite gibt etwas wieder von der At- mosphäre der Lesungen in Weilheim, der Aufmerksamkeit und Spannung im Pu- blikum, der Neugier auf die Sprecher und ihre Texte, dem Vergnügen am Wort, an der Sprech- und Dichtkunst. Und die Autoren: auch sie nehmen gern einmal »ein Bad in der Menge«, statt immer nur mit Verlegern und Lektoren zu korre- Die Weilheimer Hefte zur Literatur werden herausgegeben von den Deutschlehrern am Gymna- sium Weilheim, Murnauer Straße 12, D 82362 Weilheim i. OB. spondieren, man sieht es ihnen an. Reden, Erzählen, Zuhören, Mitdiskutieren Herausgeber sind bzw. waren: Hermann Summer (Schulleiter seit 2004), Hans Heck (Schulleiter – davon leben die Weilheimer Abende bis heute. Man schaue hinein in dieses 1984 – 2004), Alfred Loos (Schulleiter bis 1984, † 2005); Käthe Bader (1980 – 81), Elisabeth Bayer Heft, es gibt einen lebhaften Eindruck davon. Hat man einmal angefangen zu (1981 – 86, † 2009), Walter Brandsch (1980 – 83), Ingrid Klingner (1998 – 2002), Robert Kramer lesen, kommt man von der Lektüre nicht mehr los. Kann man Besseres von einen (1985 – 92), Hans Oberauer (1986 – 98), Alfred Proksch (1986 – 94, † 2003), Heinrich Rühle (1986 literarischen Schulheft sagen? – 2001), Rosmarie Schlickenrieder (1980 – 81), Franz Schreiber (1981 – 85, † 2000), Dr. Hans Peter Syndikus (1981 – 92), Dr. Friedrich Wambsganz (2001 – 09). Redaktionsmitglieder sind bzw. waren: Beatrix Aigner (seit 2001), Gerhard Auers (1980 – 99, † 2005), Friedrich Denk (1980 – 2004), Helmut Fietzek (seit 2001), Irene Gesele (seit 2005), Bernhard München, im Januar 2010 Grießhammer (1980 – 2001), Claudia Herdrich (seit 2008), Jürgen Kossegg (1994 – 2003), Uta Lechner (1999 – 2009), Peter Lippert (1980 – 96), Piroschka Pongratz (seit 2007), Beate Rieger (1990 Hans Maier – 94, – 2005 Herausgeberin), Christian Rühle (seit 2006), Brigitte Schmieschek (1980–85), " omas Schröer (1980 – 2005), Friedrich Werner (1982 – 90, 1980 –82 Herausgeber), Gerhard Werthan (1996 – 2007), Alexandra Wiegand (2005 – 6). In den 30 Jahren seit 1980 haben also insgesamt 30 Deutsch- lehrerinnen und Deutschlehrer sowie drei Schulleiter am Projekt Weilheimer Hefte mitgewirkt. Wir danken 30 Rechteinhabern für die freundliche Erlaubnis, die Texte für diese Anthologie aus den Weilheimer Heften 1 bis 64 bzw. aus den Originalausgaben abdrucken zu dürfen (nähere Angaben und ein Abkürzungsverzeichnis $ nden sich auf S. 78, ein Inhaltsverzeichnis auf S. 79). Zu den Überschriften: Das Heft enthält 41 Gedichte, sieben kurze Prosatexte (von Mario Adorf, Peter Bichsel, Robert Gernhardt, Wolfgang Hildesheimer, " omas Hürlimann, Michael Krüger und Hans Joachim Schädlich), zwei kurze Szenen (von Loriot und Polt) sowie 34 Ausschnitte aus Dramen und Prosawerken: Bei drei Romananfängen (Ilse Aichinger, Gertrud Fussenegger und Sten Nadol- ny) wurde die Überschrift des ersten Kapitels übernommen, die Überschriften zu den 31 übrigen Texten wurden von der Redaktion formuliert. Die Schreibung der Texte folgt den Druckvorlagen. Graphische Gestaltung: " omas Rücker. Weilheim, zum 23. April 2010 2 3 Mitwirkende am Projekt Ilse Aichinger, Weilheimer Heft 1 : Gedich- Ilse Aichinger: Die große Ho+ nung »Literarische Turnhalle« te und Prosa, Erscheinungsdatum: 23. April 1980. Lesung am 26. September 1980 im Rund um das Kap der Guten Ho+ nung wurde das Meer dunkel. Die Schi+ ahrts- H. G. (Hans Günther) Adler (1910 Prag – Musiksaal. W. Heft 23: Rede an die Jugend. linien leuchteten noch einmal auf und erloschen. Die Fluglinien sanken wie eine 1988 London): Vortrag im Musiksaal am Weilheimer Literaturpreis 1988 (Laudatio: Vermessenheit. Ängstlich sammelten sich die Inselgruppen. Das Meer über% utete Joachim Kaiser) am 10.3.1988. Mitwirkung 9.5.1986 über Die Prager deutsche Literatur alle Längen- und Breitengrade. Es verlachte das Wissen der Welt, schmiegte sich wie (Einführung: Ivan Diviš). Lyriker, Erzähler bei der Gedenkfeier für Hans Werner Rich- und Historiker, überlebte die Konzentra- ter am 12.11.1993 und der 20-Jahrfeier der schwere Seide gegen das helle Land und ließ die Südspitze von Afrika nur wie eine tionslager # eresienstadt (wo seine Eltern Weilheimer Hefte am 30.3.2000. Ahnung im Dämmern. Es nahm den Küstenlinien die Begründung und milderte ihre starben), Auschwitz (wo seine Frau ermor- Geb. am 1.11.1921 in Wien. Schulzeit im Zerrissenheit. det wurde) und Buchenwald. Bis 1947 wie- Sacré Coeur. Der Kriegsbeginn zerstörte die Die Dunkelheit landete und bewegte sich langsam gegen Norden. Wie eine große der in Prag, dann Exil in London. Nannte Ho+ nung, wie ihre Schwester emigrieren zu Karawane zog sie die Wüste hinauf, breit und unaufhaltsam. Ellen schob die Matro- sich nur noch H. G. Adler, da der Orga- können. Die Großmutter wurde 1942 de- senmütze aus dem Gesicht und zog die Stirne hoch. Plötzlich legte sie die Hand auf nisator der Judenverfolgung im »Protekto- portiert. Die Mutter lebte mit ihr in größ- das Mittelmeer, eine heiße kleine Hand. Aber es half nichts mehr. Die Dunkelheit rat Böhmen und Mähren« Hans Günther ter Gefahr in einem Zimmer im 4. (o/ zi- war in die Häfen von Europa eingelaufen. geheißen hatte. ! eresienstadt 1941 – 1945, ell: III.) Stock in der Marc-Aurel-Str. 9 im Schwere Schatten sanken durch die weißen Fensterrahmen. Im Hof rauschte ein Brun- Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft, 1955 1. Bezirk, nah am Donaukanal, der Salztor- nen. Irgendwo verebbte ein Lachen. Eine Fliege kroch von Dover nach Calais. / Eine Reise, E. 1962 / Panorama, R. 1968. und der Gonzagagassse und schräg gegen- Ellen fror. Sie riß die Landkarte von der Wand und breitete sie auf den Fußboden. über vom Gestapo-Hauptquartier. Mario Adorf, Weilheimer Heft 57, Le- Und sie faltete aus ihrem Fahrschein ein weißes Papierschi+ mit einem breiten Segel sung am 4. Dezember 2003 (s. S. 6). Nach dem Krieg studierte sie Medizin und Helga Aichinger, geb. am 1. November begann zu schreiben. In der Gruppe 47, in der Mitte. 1921 in Wien: Zwillingsschwester von deren Preis sie 1952 erhielt, lernte sie Gün- Das Schi+ ging von Hamburg aus in See. Das Schi+ trug Kinder. Kinder, mit denen Ilse Aichinger, % oh im Juli 39 mit dem ter Eich kennen und heiratete ihn 1953. Sie irgend etwas nicht in Ordnung war. Das Schi+ war vollbeladen. Es fuhr die West- letzten Kindertransport der Quäker nach lebten in Breitbrunn am Chiemsee, Leng- küste entlang und nahm immer noch Kinder auf. Kinder mit langen Mänteln und London, wohin ihre jüdische Mutter, bis gries und Großgmain. 1972 starb Günter ganz kleinen Rucksäcken, Kinder, die % iehen mußten. Keines von ihnen hatte die März 1938 Ärztin an einer Kinderklinik in Eich, 1998 Sohn Clemens. Viele Preise, zu- Erlaubnis zu bleiben und keines von ihnen hatte die Erlaubnis zu gehen. Wien, ihre Großmutter und ihre »halbjü- letzt der Joseph-Breitbach-Preis 2000 (auch Kinder mit falschen Großeltern, Kinder ohne Paß und ohne Visum, Kinder, für die dische« Schwester folgen sollten. den Büchner-Preis hätte sie verdient). niemand mehr bürgen konnte. Deshalb fuhren sie bei Nacht. Niemand wußte davon. Beim ersten Wiedersehen nach dem Krieg Die größere Ho% nung, R. 1948 / Der Gefessel- Sie wichen den Leuchttürmen aus und machten große Bogen um die Ozeandampfer. erkundigte sich Helga bei Ilse nach dem te, E.n 1953 / Werke (8 Bände) 1991 / Film Wenn sie Fischerbooten begegneten, baten sie um Brot. Um Mitleid baten sie nie- »sympathischen deutschen Arzt«, der Mit- und Verhängnis, Blitzlichter auf ein Leben, manden. (Die größere Ho% nung, Roman (Anfang), 1948, 1960) te der 30er Jahre an der Kinderklinik ihrer 2001 / Unglaubwürdige Reisen, 2005. Mutter in Wien hospitiert, sich für Zwillings- Carl Amery (1922 – 2005) wirkte bei der forschung interessiert und sie mehrmals zu Feier für Hans W. Richter mit. Die Kapitu- Hause besucht hatte. lation oder Dt. Katholizismus heute, 1963 / Gonzagagasse – Weißt du noch, wie er geheißen hat? Der Untergang der Stadt Passau, R. 1975. – Nein. – Dr. Mengele! (Vgl. Imre Kertész) Winfried Arenhövel, geb. 1949 in Weimar, Die Flammen aus den Speichern hat der Himmel genährt, Durch Helga Michie geb. Aichinger lern- Musiker in Greiz, wo R. Kunze 1962 – 1977 er zog sie auf, er lehrte sie brennen, er begeisterte