SONDERDRUCK Zeit und Heimat 13. Juli 1995 .Nr. 2 Beiträge zur Geschichte, Kunst und Kultur Seit 1924 Beilage der "Schwäbischen Zeitung" 38. Jahrgang von Stadt und Kreis Biberach Ausgabe Biberach an der Riß

Die Biber(b )acher Sephe und der "Zwerg von Achstetten" Ein Beitrag zur Kriminalgeschichte Oberschwabens

Von Monika Machnicki M. A., im Vorspann der von ihm im Jahre 1799 herausge- Städtische Sammlungen Biberach gebenen und in Tübingen gedruckten Oberdischin- ger Diebsliste.! Durch einen Anstieg der Zahl der Am 20. Juli 1994 jährte sich zum 175. Mal der To- Kriminellen innerhalb der vorangegangenen 15 destag des Xaver Hohenleiter, besser bekannt unter Jahre und die Entstehung ganz neuer "Gattungen dem Namen "Schwarzer Veri".Sein im Jahre 1819 von Betrügern und Jaunern" sah er sich zur Her- durch einen Blitzschlag herbeigeführter Tod, der ausgabe dieser Liste veranlaßt. Er widmete seine schon von seinen Zeitgenossen als gerechtes Arbeit daran, die er "um des gemeinen Wohles wil- Gottesurteil empfunden wurde, hat ihn sozusagen len" vollbrachte, der Schwäbischen Kreisver- "unsterblich" gemacht. Der "Schwarze Veri" gilt sammlung. manchem als der "bekannteste Oberschwabe" Die Fürsten und Stände des Schwäbischen Krei- schlechthin. Dazu beigetragen haben natürlich ses hatten nach der Beendigung des Dreißigjähri- auch die Abbildungen der oberschwäbischen Räu- gen Krieges mehrfach Verordnungen zur Bekämp- berbanden durch den Biberacher Maler J ohann fung des Vagantenunwesens erlassen, so im Jahre Baptist Pflug. Von besonderem Reiz ist in diesem 1670 gegen "das schädliche Zigeunervolk" und Zusammenhang, daß die Bilder auf Porträtstudien "falsche Bettler:", In dieser Verordnung forderte zurückgehen, die der Maler bei seinen Besuchen der Schwäbische Kreis bereits, daß zur Beförde- der Räuber im Gefängnis angefertigt hat. rung des gemeinen Nutzens die Nachbarn zusam- Dennoch mag manchem, der die alljährliche menhalten sollten. In kurzen Zeiträumen wurden "Wiederauferstehung" des "Schwarzen Veri" beim diese Patente und Verordnungen wiederholt und Biberacher Schützenfest und anderen Heimatfe- den neuen Erfordernissen angeglichen, so Ulm sten des Oberlandes erlebt, nicht klar sein, daß die 1693, Ulm 1699, Memmingen 1699, Memmingen oberschwäbischen Banden des Xaver Hohenleiter, 1700, Memmingen 1705, Ulm 1710, 1716, des Anton Rosenberger und des Bregenzer Seppel Augsburg 1732, Ulm 1734, Ulm 1737, Ulm 1747, nur den Endpunkt einer Entwicklung markieren, Ulm 1749, 1750 und 1751, 1754, 1763, 1796, Augs- die ihren eigentlichen Höhepunkt vor 1800 hatte.' burg 1797, Ulm 1801.6 Schätzungen zufolge gehörten im 18. Jahrhundert Was sollte nun mit diesen Patenten bezweckt etwa 10 Prozent der Bevölkerung zur Gruppe der werden? Zunächst einmal läßt sich an ihnen die Vaganten, der Menschen ohne festen Wohnsitz. Da- Sorge um die öffentliche Ruhe und Sicherheit able- von war etwa die Hälfte dauerhaft auf der Straße." sen. So heißt es 1699, daß, nachdem nun der Frie- Die Gruppe der Vagierenden umfaßte neben den den wiederhergestellt sei, wieder eine größere An- durch Krieg und Not heimatlos Gewordenen, die zahl Bettler den Landmann bedränge, der sich ihren Lebensunterhalt durch Betteln fanden, ent- doch kaum erholt habe. Auch habe man Bedenken, lassene oder desertierte Soldaten, Gaukler, Zirkus- daß viel größeres Unheil über das Land käme, leute, Abdecker, Hausierer, aber auch eine Reihe wenn dem nicht rechtzeitig gegengesteuert würde. von Leuten, die ihren Beruf nur im Umherwandern 1734 werden wegen der Unsicherheit der Straßen ausüben konnten wie Pfannen- und Kesselflicker. negative Auswirkungen auf "Handel und Wandel" Dazu kamen die auf Wanderschaft befindlichen befürchtet. Handwerksburschen. Zur Abwendung des Unheils werden für 1699 Im Jahre 1784 stellte der Bürgermeister von Alt- folgende Maßnahmen ins Auge gefaßt: dorf (heute: Weingarten) fest, nahezu ein Drittel Fremde, die sich nicht ausreichend legitimieren der Leute in seinem Marktflecken seien Bettler.' könnten, sollten erst gar nicht ins Land gelassen werden. In Not und Armut geratene eigene Unter- tanen dürften, wenn sie aufs Betteln als Lebensun- Diebslisten und Jauner-Patente terhalt angewiesen seien, mit "gewissen ihnen "Von jeher ist Schwaben für Jauner und Bettel- angehängten Zeichen" in ihren Pfarreien oder in Gesindel ein Lieblings-Aufenthalt gewesen." Dies ihnen zugewiesenen Gebieten betteln. Alle anderen schrieb Reichsgraf Franz Ludwig Schenk von Ca- jedoch, "eingeschlichene und herum vagierende stell, der "Malefiz-Schenk" aus Oberdischingen, Zigeuner, Gart-Brüder (Bettler), Jauner und Her-

56 ren-lose Müssiggänger", sollten des Landes ver- nannt werden." Zwar gab es bereits Ansätze einer wiesen werden. Nach Ablauf von 14 Tagen sollte territorienübergreifenden Verbrechensverfolgung, eine General-Streife in allen Herrschaften und wie aus einer gedruckten Streifverordnung des Ämtern durchgeführt werden.Würden sie dabei Schwäbischen Kreises aus dem Jahre 1751 hervor- noch angetroffen werden, so seien sie "ad opus pu- geht. In dieser wird der Raum zwischen Bodensee blicum" (zu öffentlicher Arbeit) heranzuziehen, z. und Neckar in verschiedene Streifdistrikte aufge- B. zum "Schantzen" (bei Erdarbeiten für Befesti- teilt. Dennoch war die systematische Verbrechens- gung oder auch Straßenbau). Beim zweiten Mal je- bekämpfung in der Zeit des ausgehenden 18. Jahr- doch sollten sie auf die Galeeren oder in die Grenz- hunderts immer noch eher das Verdienst einiger für festungen geschickt werden oder Leib- und Le- diesen Bereich besonders enthusiasmierter Amts- bensstrafen erhalten "andern zum Schrecken und und Privatleute. Neben dem Oberamtmann Schäf- Beyspiel ".7 fer zu Sulz, der auch in den Lebenserinnerungen Im Patent von 1734 wird bedauert, daß eine nur Johann Baptist Pflugs erwähnt wird," und dem be- zwei Jahre vorher erlassene Verordnung so wenig reits erwähnten Grafen Schenk zu Castell war dies Wirkung gezeigt habe. Man habe vernehmen müs- auch der Hofrat Friedrich August Roth aus Em- sen, daß sich das "Gesindel" nun "truppenweise" mendingen im Breisgau. Diese drei hatten jeweils in den Wäldern befinde. Nun wurde in 16 Punkten umfangreiche Jaunerlisten verfaßt und standen genauestens festgelegt, daß niemand, sei es wan- untereinander in regem brieflichen Austausch.'! dernder Handwerksbursche oder französischer De- Die Oberdischinger Diebsliste, von der Herzog serteur, ohne Attest, Paß oder Routenbeschreibung Friedrich von Württemberg für die Ober- und angetroffen werden dürfe, aus denen man das Wo- Stabs ämter 120 Exemplare bestellt hatte.P umfaßt her und Wohin ablesen könne. ohne die Listen der Hingerichteten oder sonstwie Auch die Strafen wurden nun spezifiziert. Unter zu Tode Gekommenen die Namen und Steckbriefe Punkt 5 heißt es: Fremde und Ausländische müssen von 1487 Personen, darunter 503 Frauen. Die gewärtig sein, beim ersten Mal neben einer emp- Mehrzahl dieser Frauen war zwischen knapp 30 findlichen Züchtigung und der Abschwörung einer und gut 40 Jahre alt. Etwa ein Drittel von ihnen "Urphed" (Urfehde = Verzicht auf Rache) des Krei- war verheiratet. 28 Frauen waren mit einem Kind ses verwiesen zu werden. Beim zweiten Mal sollten unterwegs, 60 von ihnen hatten zwei und mehr sie "mit Ruten ausgestrichen" und in der Hand Kinder. In einigen Fällen hatten die Frauen sechs "gebrandmarkt" werden. Beim dritten Mal, auch bis sieben Kinder bei sich.In mehr als der Hälfte wenn sie keine weitere Untat begangen hätten, der Fälle wurden die Frauen des Diebstahls, vor- drohte ihnen die Todesstrafe. zugsweise des Marktdiebstahls oder der Sack- Unter Punkt 12 werden die "Leibesstrafen" für schneiderei oder Sacklangerei bezichtigt, die typi- Betrüger und für die Vaganten, deren Verfehlungen schen Frauendelikte. In 165 Fällen wurde kein für eine Verurteilung zum Tod nicht ausreichen, konkretes Delikt genannt, jedoch deuten die Be- näher beschrieben. Ihnen sollte ein Ohr abge- nennungen der Frauen als "Beihalterin" , "Bei- schnitten und sie des Schwäbischen Kreises ver- schläferin" oder einfach "das Mensch" an, wessen wiesen werden. Da, wo es bereits Zuchthäuser gab, man sie bezichtigte und was nach damaliger sollten sie "bey Wasser und Brod zu schwehrer Ar- Rechtsvorstellung ein handfester Straftatbestand beit" angehalten werden." Hier melden sich ganz war: "Und nachdeme die Erfahrung gelehret, daß zaghaft Gedanken der Aufklärung. die häuffig herum vagierende sogenannte stap- Verstümmelungsstrafen wurden im fortschrei- plende liederliche Weibs-Persohnen die eigentliche tenden 18. Jahrhundert immer weniger eingesetzt. Urquelle so vieles im Land vorgehenden Ubels, Die erhaltenen Steckbriefe in den Gaunerlisten Schand- und Lasterthaten seynd, indeme sie die verzeichnen kaum mehr solche "unveränderlichen junge Manns-Persohnen mit ihnen zuzuhalten an- Kennzeichen" wie fehlende Ohren und Nasenspit- reitzen, so fort zum Stehlen und Rauben verleiten, zen. Die Neue Zeit setzte zunehmend auf Besse- Anschläge und Rat darzu geben, das Gestohlne und rung und Erziehung des straffällig Gewordenen Geraubte verkauffen, vertuschen und aufzehren statt auf Vernichtung seiner Existenz. helffen; Als sollen solche auf dem Land gehende Schloß die Verordnung von 1699 noch mit dem Weibsbilder, wann sie in keiner Diebs-Rotte stehen, Hinweis "Wornach sich ein jeder zu richten / und sondern nur vor sich im Müßiggang dem Bettlen vor Schaden zu hüten wissen wird", so sollte sich und f. h. Huren nachlauffen, in die Zucht- und Ar- im 18. Jahrhundert niemand mehr mit Unwissen- beitshäuser ad castigandum & corrigendum ge- heit entschuldigen können. Die Patente sollten so- bracht, gegen diejenige aber, so bey dem Streiff in fort "an gewöhnlichen Orten" verkündet und "affi- Gesellschaft der Dieb- und Jauner aufgehoben und giert", d. h. ausgehängt werden. Für diejenigen, die beygefangen oder sonsten überführt werden, daß des Lesens unkundig waren, sollten sie vierteljähr- sie in einer dem gemeinen Wesen so höchst-schäd- lich vor der Kirche und den Rathäusern vorgelesen lichen Bande stehen, all äußerste Rechts-Schärffe werden. in der Bestraffung, wie bei denen Manns-Personen Das Patent von 1734 forderte die gründliche ohne alle Gnad und Barmhertzigkeit vorgekehret, "Examination" aller, die ohne triftigen Grund im und selbige sogleich aufgehangen werden. "13 Gebiet des Schwäbischen Kreises angetroffen wur- den. Aus solchen Kriminaluntersuchungen, die natürlich auch außerhalb des Schwäbischen Kreis- Die "Biber(b )acher Sephe" gebietes stattfanden, resultierten etwa seit Beginn Unter der Nr. 76 der Oberdischinger Diebsliste des 18. bis in den Beginn des 19. Jahrhunderts eine fällt der Steckbrief der "Biberacher Sephe" ins Reihe von Diebsbeschrieben oder Jaunerlisten. Als Auge. frühe Listen können hier die gedruckte Backnangi- "Biberacher Sephe, welche mit dem dahier im sehe Liste von 1725, der Hornberger Extract von Zuchthaus sizenden Christian Haygis, vulgo Auf- 1726 bis 1728 und die Sulzer Liste von 1755 ge- kireher geloffen; Ist eine Person von mittlerer

57 Größe, etlich und dreyßig Jahr alt, bleichen Ange- bliebener Prozeßakten, die über die Lebensrealität sichts mit einer Warze. Sie lag einst zu Münsingen der "Menschen auf der Straße" Auskunft geben im Arrest und wurde in das Ludwigsburger Zucht- können. Erst in letzter Zeit erhielten Einzelschick- haus verurteilt, nun aber ist sie wieder in der sale= oder auch die Schicksale ganzer Bevölke- Freyheit, und hat mit der Weißenburger Madel zu rungsgruppen-" wieder verstärkt Beachtung. Retschweiler bei einem Söldner ein Bett, Kißen, Schürz und Hauben gestohlen, dann hat sie selbe mit der hier processierten Maria Anna Klausin Die Alte Lisel mehrere Marktdiebstähle verübet, auch mit der schönen Victor und Krimmelfinger Käther ent- Eine Bande, deren Einzugsgebiet rund um den fremdete sie zu Nördlingen an einem Jahrmarkt Bodensee von Dinkelsbühl im Norden, Schaffhau- Band, und eine mit Silber beschlagene Tabacks- sen im Westen, Buchloe im Osten und im Süden bis pfeife, ihr dermaliger Kerl soll ein Schweizer nach Einsiedeln und Chur reichte und deren Spu- sein. "14 ren auch in Biberach zu finden sind, war die Bande Nachforschungen nach der Biberacher Sephe, der Alten Lisel. Sie "war die unbestrittene Anfüh- die eine so scheinbar typische "Karriere " als auf rerin der um sie gescharten Männer, Frauen und der Straße lebende Frau gemacht hatte, blieben Kinder, denn von ihrer Lebenserfahrung, ihrer fruchtlos, was die Biberacher Quellen betraf. Erst Routine im Kampf ums Uberleben profitierten das im Hauptstaatsarchiv Stuttgart aufbewahrte alle".23 Ende Januar 1732 wurde sie zusammen mit Kriminal-Archiv des Grafen Schenk von Castell ihrer 15jährigen Tochter Columbina und einer konnte helfen, einen Teil der Biografie dieser Frau gleichaltrigen Magd, ihrem "Galan" Thomas und zu rekonstruieren.> In der von F Roth gefertigten dem als ihrem "gevatter mann" bezeichneten General-Jauner-Liste, gedruckt in Karlsruhe im "Tüpfleten Hannes" in Lausheim bei ver- Jahre 1800, findet sich unter der Nr. 299 wiederum haftet. In ihrer Begleitung befanden sich noch zwei die "Bieberacher Sef" verzeichnet.'! Hier erfahren Ehepaare, die erst kurz vor der Verhaftung zu der wir auch zum ersten Mal ihren wirklichen Namen: Bande gestoßen waren. Die Richter des Reichsstif- "Maria J osepha Rottnerin". Beschrieben wird sie tes Salem machten der 40jährigen Elisabetha in dieser Liste als klein und schwarz mit schwarzen Frommerin - so lautete der richtige Name der Haaren. Sie wird als "J aunerin" bezeichnet. Ihr Alten Lisel - und ihrer Bande den Prozeß. Mit der Aufenthalt im Zuchthaus zu .Ludwigsburg wird Lisel verloren im Herbst 1732 mehr als 10 Men- ebenfalls erwähnt.Mindestens seit 1783 ist die Se- schen ihr Leben in Salem durch "Strang und phe aktenkundig, denn Roth bezieht sich in seinem Schwert"." Eintrag auf Informationen aus den Münsinger Li- Auch im Falle der Alten Lisel waren es die typi- sten von 1783 und 1785, in denen sie bereits auf- schen Frauendelikte, die das Fortkommen und den taucht. täglichen Unterhalt der Gruppe sicherten.Die Die Oberdischinger Untersuchungs akten aus Gruppe zog nacheinander in verschiedene Orte, in dem Jahre 1788 über Philipp Rottner, ihren Mann, denen Markt oder Messen abgehalten wurden, z. B. den sie nach unterschiedlichen Aussagen einmal in in Hayingen oder Nördlingen. Im Gedränge der Rom, ein anderes Mal in Ungarn geheiratet habe, Märkte wurden Waren, meistens Stoffe, Bänder enthüllen die weitere Identität der Sephe.l? oder Leder von den Marktständen gezogen und Danach stammte sie aus Markt Biberbach. In den später verkauft. Kleinere Gelddiebstähle gelangen, Akten findet man sie gelegentlich auch als "Augs- indem Händlern oder Bauern unbemerkt das Geld burger Sephe" bezeichnet. Ein weiteres Indiz, daß aus dem Beutel gezogen oder gar der ganze Beutel auf keinen Fall Biberach, sondern wohl das Augs- mit einem Messer abgeschnitten wurde. Mit den burg nächstgelegene Biberbach gemeint ist.!" Männern der Gruppe gemeinsam wurden Ein- Die Sephe zog von Ort zu Ort, ihre Begleitungen, bruchdiebstähle geplant und durchgeführt. Den verschiedene Frauen und Männer, wechselten. So Winter 1730/31 über hielt sich die Lisel mit ihrer gab die 28jährige Josepha Hollenwanger zu Proto- Tochter in Fenken bei auf und "be- koll, sie habe die Sephe zu Pfersee (bei Augsburg) suchte" von dort aus die oberschwäbischen kennengelernt. Etwa anderthalb Jahre seien sie Märkte." Opferstockangeleien trugen ebenfalls beisammen gewesen, bis sie sich trennten. Die Se- zum Lebensunterhalt der Gruppe bei. Dazu wur- phe sei dann nacheinander mit verschiedenen den Bleiplättchen in der Größe eines Batzens mit Männern unterwegs gewesen, so mit dem schönen einem Brei bestrichen und an einem Faden in den Österreicher und dem schwarzen Jakel, bis sie an Opferstock herabgelassen in der Hoffnung, daß Philipp Rottner, ihren Mann, geriet. Der Aktions- Geldstücke daran kleben blieben.s'' radius der Biberbacher Sephe reichte bis nach Ti- Wie schon beschrieben, waren im 18. Jahrhun- rol. Zusammen mit Elisabeth Gaßner, der dert die Jauner- oder Diebslisten ein Hilfsmittel "Schwarzen Lies"!", und der Mariana Müllerin, ge- der obrigkeitlichen Ermittlungsbehörden zur Fest- nannt "die Näslende Marian" , soll sie in Bozen stellung von Delikten und Identitäten eingefange- während eines Puppenspiels Geld erbeutet haben. ner Räuberinnen und Räuber. Man sei sich jedoch uneinig geworden, da sich die Ein weiteres Hilfsmittel, das bereits in diesen Sephe von der Lies betrogen glaubte. Philipp Rott- Frühzeiten der systematischen Kriminalermittlung ner sagte aus, daß die Sephe mit dem roten Bastel funktionierte, war der Austausch von Verhörproto- von Pfersee und der bayerischen Anna Miedel "ge- kollen der Ermittlungsbehörden untereinander. loffen" sei. Sie sei über die Märkte gegangen und Auf diese Weise wurden die Gefangenen, die sich habe dort zugelangt. bemühten, ihre wahre Identität so lange als mög- In den Archiven ruhen - seit den frühen akten- lich zu verbergen und sich daher oftmals mit mäßigen Aufarbeitungen, deren letzte die von Max falschen Pässen oder Wanderbüchern ausstatteten, Planck über die oberschwäbischen Banden aus mit den Aussagen anderer Bandenmitglieder kon- dem Jahre 1866 ispo - eine Vielzahl unbeachtet ge- frontiert und dadurch häufig überführt.>?

58 Johann Baptist Pflug, Die Kartenlegerin, 1833. Öl auf Blech, 27,5 x 33,5 cm, Städtische Sammlungen (Braith- Mali-Museum), Biberach. Obwohl auch die Wahrsagerei unter Strafe stand, waren vornehmlich Frauen als "Kartenschlägerinnen" auf den Bauernhöfen unterwegs.Beiläufig konnten dadurch auch lohnende Einbruchs- ziele aufgespürt und an die anderen Bandenmitglieder verraten werden.

Johann Haas, der und Verderben menschlicher Glieder, Totenberau- "Zwerg von Achstetrerr" bung, Grobe Injurien, Schmähungen, Schelten, Ausstellen falscher Briefe, Urkundenfälschung, Wie effektiv dieses Hilfsmittel auch in kleineren Gebrauch falscher Siegel oder Petschaften, Münz- Herrschaften eingesetzt wurde und nach welchen fälscherei, in Umlaufbringen von Falschgeld, Fäl- Regeln ein Prozeß im 18. Jahrhundert ablief, zeigt schung von Maßen und Gewichten, Betrug, Sach- der Fall des Johannes Haas, genannt der "Zwerg beschädigung an Fenstern und Türen, Gebrauch von Achstetten", der im Jahre 1774 der Kriminal- von Stich- und Schußwaffen, sofern jemand da- gerichtsbarkeit des Reichsgotteshauses Gutenzell durch geschädigt wird, Beschädigung von Mahl- anheimfiel. 28 Bäumen und Mahl-Steinen, Schädigung von Ge- Erst im November des Jahres 1768 war das wässern aller Art, Verfertigen von "schändlichen Reichsgotteshaus mit einem Teil der "Hoch- und Schmachschriften und Pasquillen", Wahrsagerei, malefizischen Obrigkeit" in einem feierlichen Akt Totschlag, Körperverletzung." in der "oberen Redstube" des Klosters belehnt Am 22. August 1769 wurden dann Pranger und worden. Von diesem Datum an konnte das Zister- Galgen mit allen gewöhnlichen Zeremonien - mit zienserinnen-Kloster nach allerhöchster kaiser- Trommeln und Pfeifen - aufgerichtet.Den Amts- lich-königlicher Genehmigung!" in folgenden "Ho- knechten und dem Scharfrichter von Ochsenhau- hen Obrigkeits und Malefiz-Fällen" tätig werden: sen wurde ein Mahl gegeben, die Gerichtsmänner, bei Zauberei,Kirchenbrechen (Einbruch in Kir- nun zum ersten Mal eingesetzt, wurden feierlich chen), Blutschande, Notzüchtigung, einfachem und ins Hochamt geführt." doppeltem Ehebruch, Räuberei,Mord, Mordbren- Die Klosterchronik berichtet, daß im Jahre 1772 nerei, im Falle, daß einer jemandem auf der Gasse zum erstenmal ein Spitzbube eingefangen wurde. auflauerte, um diesen umzubringen oder zu be- Dieser wurde nach dem Verhör mit Ruten ausge- schädigen, Giftmord, Meineid,Entführung einer peitscht und entlassen. Für das Jahr 1774 berichtet Witwe oder Jungfrau, Bigamie, Sodomie, Unzucht die Chronik dann über den Fall Haas. Dieser sei aller Art, Holz- und Felddiebstähle, Hehlerei, Ge- der erste gewesen, den man habe hinrichten müs- währung von Unterkunft an Diebe, Abschneiden sen.Er habe zwar verdient gehenkt zu werden,

59 mals keinen Haubt-Diebstahl auch nicht bey der Nacht begangen". Sein Weg führte ihn von Kirchberg, wo er ein sil- bernes Zeichen vom Altar nahm, nach Eistingen a. d. Donau und nach Billenfingen (Billafingen), wo er Wachskerzen und ein Wachskindlein stahl. In Schemmerberg, Steinberg, Wiblingen und an anderen Orten entwendete er ebenfalls silberne Zeichen von den Altären sowie Rosenkränze.Den Rosenkranz, den er in Baltringen von einer hölzer- nen Muttergottes nahm, verkaufte er an den Wirts- sohn zu Mönchshöfe. Dem Grafen von Schwendi Ketten mit Fuß- und Handschellen. Städtische Samm- stahl er fünf Zinnteller. lungen (Braith-Mali-Museum), Biberach. Mit Ketten Im übrigen habe er öfters etwas mitgenommen dieser Art wurden im 18. und im 19. Jahrhundert übli- von dem Ort, wo er übernachtete, so in Kaufbeuren cherweise die Gefangenen angeschlossen. einmal Schuhe, weil er zur Winterszeit keine ge- habt habe. Auch im Wirtshaus zu Hürbel habe ihn die Not veranlaßt, ein paar Schuhe und alte Strümpfe mit gewiß schon 7 Löchern zu nehmen. aber weil er der erste war, habe man ihm gnaden- Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die Zeit, wenn halber das Haupt abgeschlagen." Haas auf die Frage, warum er denn nur alte Schuhe Aber bevor es soweit war, mußte er zunächst ein- genommen habe, antwortet: "man laße dermalen mal verhaftet sein. Dies geschah am 5. August keine Neue und sonst nichts Gutes mehr in der 1774. Da meldete nämlich der Amtsknecht Mat- Stube" .34 Außer Kleidung und Nahrungsmitteln thias Schenziger, daß er den Johannes Haas "in all- hatte Haas wohl häufiger Gegenstände aus Metall hiesiger Herrschaft attrapiret" (gefangengenom- aus Wagenhäusern und Schuppen von Schlössern men) habe. Haas wurde durchsucht. Dabei fand und Klöstern entwendet, Teile von Zuggeschirren man seinen in Stücke gerissenen Paß sowie einige und Kutschen oder auch Werkzeug, das er weiter- auf den Namen Erasmus Lang von Bierstetten lau- verkaufte und zum Teil bei seiner Verhaftung noch tende Kundschaften, von denen Haas behauptete, mit sich trug. daß er sie gefunden habe. Da bei seiner Visitierung Obwohl Haas, wie häufig in den verschiedenen auch offensichtlich wurde, daß er zu einer früheren Schreiben erwähnt wird, seine Verfehlungen "güt- Zeit gebrandmarkt worden war und er der Unter- lich einbekennt", verzichtet die gutenzellische Ob- suchungsbehörde auch "ansonsten sehr verwegen" rigkeit nicht auf die "Verifizierung" der von ihm zu sein schien, wurde er einem Verhör unterzogen. angegebenen 73 Diebstähle. So will es die Vor- In diesem Verhör gab er an, daß er etwa 50 Jahre alt schrift. Es werden Anfragen an die verschiedenen sei, ledig und ohne Profession (Beruf). In einem Herrschaften versandt, in denen sich Haas etwas "Informatorium" über ihn heißt es: " ...Johannes zuschulden kommen ließ. Der Rat und Kanzleiver- Haaß von Achstetten freyherrlich von Waldisch: walter Willibald Theodor Henzler wirkt als "Cri- Herrschaft gebürtig ist überaus dick, aber sehr minalcommissario". Die Zusendung von Akten aus kurzer Postur, schwarzer Haaren, braunlechten Bregenz wird erbeten und auch gewährt. Am Augen, einer langen vorderhalb etwas stumpfen 17.August 1774 erfolgt die Bitte darum. Das Ant- Nase, breitem Mund mit stark aufgebogener Lef- wortschreiben des Kaiserlich-Königlichen Ober- zen, dickem Kopf, kurzem Hals, breiten Schultern, amtes Bregenz datiert bereits vom 4. September. eingebogenen Füßen, er hat eine sehr laute und Anfragen gehen auch an das Reichsgotteshaus helle Stimme. Von Gemüthsart ist er sehr beherzt, Ochsenhausen und an den Herrn Obervogt von überaus beredtsam und durchtrieben, ... "33 Hürbel, an den Grafen Stadion in Warthausen, an Seinen Lebensunterhalt habe er sich lange Zeit das Vogtamt Wain, das Kloster Wiblingen und die als Bedienter beim Grafen Schwendi verdient. Auf Reichsstädte Kaufbeuren und Zürich sowie eine die Frage, warum er dort außer Diensten gekom- Reihe anderer Herrschaften. Manchmal schon am men sei, bestand er zunächst darauf, es sei deswe- nächsten oder übernächsten Tag werden sie beant- gen gewesen, weil sich die Gräfin an ihm gestört wortet. Die Vernehmung der Bestohlenen und an- habe. Er mußte jedoch auf Nachfrage zugeben, daß derer Zeugen durch ihre jeweiligen Ortsbehörden er abgetragene Kleidung des verstorbenen Grafen wird veranlaßt und schriftliche Protokolle darüber heimlich aus der Garderobe entwendet hatte. Als werden eingefordert. Begründung gab er an, der Graf habe ihn niemals Die eingeholten Auskünfte zeichnen ein Bild der für seine Dienste bezahlt. Des weiteren gab er zu, letzten 22 Jahre des Lebens von Johannes Haas. sechs bis sieben Jahre zuvor in St. Blasien im Nicht nur des fortlaufenden Diebstahls in dieser Schwarzwald wegen eines gemeinschaftlich be- Zeit wird er bezichtigt, sondern auch des Vagabun- gangenen Diebstahls von 60 Ellen Zwilchs von der dierens in einem Zeitraum von 12 bis 14 Jahren und Bleiche und eines Bettuches aus einem Hause be- des "Lasters der Beischläferei mit Weibspersonen", straft worden zu sein. Man habe ihm dort das die sich gleichfalls aufs Stehlen verlegt oder der Brandmal auf den Rücken gesetzt, auch habe er Dieberei verdächtig gemacht haben. eine "starke Viertelstunde" am Pranger stehen Drei Frauen teilten in dieser Zeit sein Leben, die müssen. Man droht ihm, in St. Blasien Erkundi- er teilweise als seine Ehefrauen ausgab: Anna Ma- gungen einzuziehen, falls er nicht freiwillig die ria Meyerin, die zu Bregenz mit ihm verhaftet und Wahrheit gestehe.So gesteht er, Schuhe, Strümpfe dort zur Schwertstrafe verurteilt wurde und eine und auch Eßwaren gestohlen zu haben, "Kleinig- nicht weiters bekannte Maria Anna aus der gräfl. keiten", wohl auch Kirchensachen wie Wachsker- Warthausensehen Herrschaft, die wegen Dieb- zen und Rosenkränze (Nuster), "doch habe er nie- stahls gebrandmarkt und danach des Landes ver-

60 wiesen wurde. Die dritte schließlich war Catharina keine Besserung mehr erwartet wurde. Das Gut- Rhanin, eine Konvertitin von Ulm, die auf einer achten fordert, daß der Richter den zukünftigen Bettelfuhr= im Kindbett samt ihrem Kind ver- Lebenswandel mitbeurteilen müsse und es läge im starb. Ermessen des "vernünftigen " Richters, ob mil- Johannes Haas wurde in Gutenzell nicht im dernde Umstände zum Tragen kämen. Im Falle von Blockhaus eingeschlossen, sondern im Turm. Bei Haas hieß es: "Die Vernunft ist also allerdings voll- beginnender rauher Witterung im Herbst wurde er kommen überzeuget, daß man eine Besserung vom in die obere Torstube in einen Raum mit Tageslicht Inquisiten (Angeklagten) nimmermehr zu hoffen verlegt, der auch beheizbar war. Vom Amtsknecht habe." Er werde seinen Lebenswandel fortsetzen wurde er "so fleißig und säuberlich" verpflegt, daß und "das Publikum mit noch empfindlicherem er wegen der guten Kost eher zu- als abnahm. Haas Nachteil belästigen". wurde mehrfach von einem Arzt versorgt. Auf- Das Urteil nimmt neben dem Zitieren einer Reihe grund seines "unerlaubten Umgangs mit dem an- von Rechtsgelehrten auch Bezug auf das Patent des deren Geschlecht" mußte er wegen einer Hoden- Schwäbischen Kreises vom 6. Mai 1720, erneuert schwellung mit Medikamenten behandelt werden. am 12. Oktober 1736, das die schärfste Lebens- Das Warten auf sein Urteil drückte auf seine Stim- strafe auf derlei herumschwärmende Personen vor- mung, da er die Todesstrafe befürchtete. Er mußte sieht, "qui quasi ex rapto vivere constituerunt", deshalb "öfters deswegen getröstet" werden. also die Hinrichtung derer, die sich entschlossen Inzwischen hatte das Gericht des Reichsgottes- haben, aus dem Rauben ihre Lebensgrundlage zu hauses Gutenzell das Urteil verfaßt und die Inqui- beziehen. sitions-Akten des Haas an das Reichsstift Salem Die Rettung und Aufrechterhaltung der öffentli- mit der Bitte um Erstellung eines rechtlichen Gut- chen Sicherheit, so das Reichsstift Salem, erfor- achtens gesandt. Unter dem Datum des 8. Novem- derte es, daß J ohann Haas von der menschlichen ber 1774 empfehlen der Geheim-Kanzler, Rat und Gesellschaft abgesondert und aus der Mitte dersel- Oberbeamte des Reichsstiftes, den Delinquenten ben "hinweggeraumet" werde. statt zum Strang zum Tod durch das Schwert zu Am 17. November 1774 wurde dem Johannes verurteilen. Auch erteilen sie den Gutenzellern, für Haas das Todesurteil "von hiesiger Taffern herab die das ja der erste Fall war, noch ein wenig "Nach- publiciret", d. h. am Gasthaus öffentlich bekannt hilfeunterricht": Nach den Vorschriften der Con- gemacht und er im Anschluß mit dem Schwert hin- stitutio Criminalis Theresiana (Theresianische gerichtet. Der Körper des armen Sünders wurde Halsgerichts-Ordnung) sollten die Antworten in aus besonderer Gnade in geweihtes Erdreich gebet- der ersten Person (Ich-Form) in das Protokoll auf- tet. genommen und auch so niedergeschrieben werden. Neben den Delikten, die das Rechtsgutachten pein- lich genau aufführt, enthält es auch eine Auflistung Anmerkungen und Diskussion von "Zweifelsgründen". Hier wird zusammengetragen, was der Beschuldigte selbst an 1 Einen guten Überblick über die vorgekommenen Kri- Milderungsgründen angibt und die gutenzellischen minalfälle im Zeitraum zwischen 1741 und 1755 gibt die "Oberländer Spitzbuben-Chronik", die von Paul Verfasser seines Urteils "in Abmangel einer Beck nach dem Tagebuch der Schussenrieder Patres Schutz-Schrift"36 selbst vorzubringen haben. Als Pankratius Nothelfer und Johann Nepomuk Stampf mögliche Milderungsgründe werden hier genannt: zusammengestellt wurde.Teilweise veröffentlicht in: das gütliche Bekennen der Taten sowie die Michael Barczyk, Die Spitzbubenchronik. Ober- Schwere und Häufigkeit der Diebstähle. So sah die schwäbische Räuberbanden. Wahrheit und Legende. Theresianische Halsgerichts-Ordnung bei Dieb- Ravensburg 1982. stahl ab einer bestimmten, in Geldwert zu bestim- 2 Andreas Blauert, Sackgreifer und Beutelschneider. menden Höhe bei zweimaliger Wiederholung den Die Diebesbande der Alten Lisel, ihre Streifzüge um Tod durch den Strang vor. Aber auch die soziale den Bodensee und ihr Prozeß 1732. Konstanz 1993, S.22. Lage des Delinquenten konnte als Milderungs- 3 Peter Lahnstein, Schwäbisches Leben in alter Zeit. grund dienen, wenn nämlich die "Begehung der Ein Kapitel deutscher Kulturgeschichte 1580-1800. Dieberey aus Dürftigkeit, Armut und Not bei den München 1983. S. 243. gewesten teuren Zeiten"37 geschah und dieser we- 4 Werner Kreitmeier (Bearb.), Ernst Arnold. Oberdi- der einen Beruf noch sonst eine Möglichkeit zum schingen, der Malefizschenk und seine Jauner. Neu- anderweitigen Lebensunterhalt fand. Abgewogen druck der Ausgabe von 1911,erweitert um die Oberdi- wird die Behauptung von Gelehrten der Rechts- schinger Diebsliste von 1799. Herausgegeben von der und Polizei-Wissenschaft, daß die Sicherheit des Gemeinde Oberdischingen. Oberdischingen 1993. Im folgenden zitiert als Kreitmeier (1993). Staates vor Beschädigung des Übeltäters geht ge- 5 HStA Stuttgart B 83 Bü 2. gen die Überlegung, daß Arbeit statt Leibesstrafe 6 Der Schwäbische Kreis war in verschiedene Viertel das Mittel der Wahl sei. Der Ubeltäter solle der Ge- eingeteilt. Der genannte Ort bezieht sich auf den je- sellschaft nicht weiters schaden und durch Arbeit weiligen Versammlungsort, an dem die Verordnungen der Besserung zugeführt werden. Auch wird der erlassen bzw. erneuert wurden. Nach 1720 wurden in berühmte Rechtsgelehrte Benedikt Carpzov Buchloe und Ravensburg Kreisviertelszuchthäuser als (1595-1666) zitiert, mit dem Hinweis, mehr zur Zucht- und Arbeitshäuser gegründet. Diese waren Milde als zur Verschärfung der Strafe zu neigen. "gleichermaßen" Fürsorge- wie Strafvollzugsanstal- Allein diese ausführliche Diskussion half dem ten. Blauert 1993,S.86. Delinquenten Johannes Haas nicht. Sein Todesur- 7 HStA Stuttgart B 83 Bü 2. 8 HStA Stuttgart B 83 Bü 2. teil wurde durch das Rechtsgutachten bestätigt 9 HStA Stuttgart B 83 Bü 4 u. 5. und nur in die "mildere Form" des Schwertstreichs 10 Julius Ernst Günthert (Hrsg.), Aus den Erinnerungen umgewandelt. des Genremalers Johann Baptist Pflug. Bilder aus der Der Entscheidungsgrund, der letztendlich zu Zopf-, Räuber- und Franzosenzeit Oberschwabens. diesem Urteil führte, war, daß bei Johann Haas Mit 7 Tafeln. Bearbeitet von Matthäus Gerster. Ulm

61 o. D., S. 4 f. Im Jahre 1786 hatte Schäffer die Räuber- dargestellt von Dr. M(ax) P(lanck). Mit sechs Holz- bande des Hannikel in Chur dingfest gemacht und schnitten nach Originalzeichnungen Joh. Baptist durch Oberschwaben nach Sulz transportiert. Dabei Pflugs. Stuttgart. Verlag von Albert Koch. 1866. wurde auch Station vor der Post in Biberach gemacht. 21 Blauert (1993), op. cit. 11 Kreitmeier (1993), S.199. 22 Im Rahmen der Erforschung der Geschlechterge- 12 Die Druckauflage ist unbekannt. Schriftliche Mittei- schichte wurden auch die Lebensbedingungen und lung von Werner Kreitmeier, Oberdischingen. ("Über-")Lebensstrategien der Vagantinnen Gegen- 13 Verfügung des Schwäbischen Kreises zur Bekämpfung stand neuer Betrachtungen. der Jauner-Vaganten und anderen herrenlosen Gesin- Wolfgang Scheffknecht: Arme Weiber. Bemerkungen dels.Ulm, den 27. Juni 1747 HStA Stuttgart B 83 Bü 2; zur Rolle der Frau in den Unterschichten und vagie- das Mensch = Dienstmädchen, abfällige Bezeichnung renden Randgruppen der frühneuzeitlichen Gesell- für Frauen; zuzuhalten anreizen = zum Beischlaf ver- schaft - in: Alois Niederstätter und Wolfgang Scheff- führen; stapplende = bettelnde, auch hochstapelnde; knecht (Hrsg.): Hexe oder Hausfrau. Das Bild der Frau ad castigandum & corrigendum = zur Bestrafung und in der Geschichte Vorarlbergs. Sigmaringendorf 1991. Besserung. Dorothee Breucker und Gesa Ingendahl: Blickwinkel. 14 Oberdischinger Diebsliste, zit. nach Kreitmeier (1993) Leben und Arbeit von Frauen in Ravensburg.Ein hi- S. 212. Krimmelfinger Käther = Katharina aus Grim- storisches Lesebuch. Ravensburg 1993. melfingen; entfremden = entwenden, stehlen. 23 Blauert (1993), S.24. 15 HStA Stuttgart, B 83 Bü 69-70. 24 Blauert (1993), S.81. 16 HStA Stuttgart B 83 Bü 2. 25 Blauert (1993), S.41. 17 HStAStuttgart, B 83 Bü 69-70. 26 Die Hoffnung trog meistens nicht. Das Angeln mit 18 Die Verwechslung Biberach-Biberbach ist auch schon Hilfe von bleiernen Zeichen" war durchaus gängige in verschiedenen anderen Zusammenhängen vorge- "Räubertechnologie" . Auch die Dreifaltigkeitskapelle kommen, man denke nur an das berühmte "Herrgöttle in Oberdischingen blieb nicht verschont. Hier war es von .. " oder das angebliche Konzert Mozarts in Biber- "der schwarze Hans", 31 Jahre alt, katholisch, gebür- ach, das in Wirklichkeit 1766 in Markt Biberbach tig aus Steinhausen an der Rotturn. Ein Vagabund, stattfand. Kaum 20 km Luftlinie liegen zwischen Bi- verheiratet, der bereits wegen verschiedener Dieb- berbach und Rommelsried. In diesem Ort wurde im stähle in Laupheim und Schemmerberg im Arrest ge- Jahre 1788 der "Schwarze Veri" geboren. legen und auch dort am Pranger gestanden hatte. Man 19 Elisabeth Gaßner wurde einer großen Anzahl von in- hatte ihn mit Ruten ausgehauen und ihm den Galgen nerhalb 20 Jahren begangener Diebstähle für schuldig "auf den Buckel" gebrannt. Danach war er des Gebie- befunden und am 16. Juli 1788 in Oberdischingen mit tes von Schemmerberg, Heggbach und Gutenzell ver- dem Schwert hingerichtet. Ihre wohl spektakulärste wiesen worden. HStA Stuttgart B 83 Bü 27. Tat war der im Jahre 1782 begangene Diebstahl von 27 Dies trifft sowohl für die Schwarze Lisel zu wie auch 1400 Thalern, nach Aussage des Bestohlenen von 1700 für die Mitglieder der Bande des Schwarzen Veri. Thalern in der Hofkapelle zu Ludwigsburg in Anwe- Blauert (1993), S. 31. senheit des Großfürsten. Der Bestohlene war der StA Ludwigsburg Bestand E 350 Bü 71. Hier werden Reichsgraf Schenk von Castell. Kreitmeier (1993), die Wanderbücher von Xaver Hohenleiter und Fried- S.135 f. rich Klumpp, dem "schönen Fritz" aufbewahrt, dar- 20 Bekannte Mörder und Räuber wie Jakob Reinhard, unter auch ein gefälschtes auf den Namen Heinrich besser bekannt unter seinem Namen Hannikel, wie Jo- Krauß aus Laufenburg, das einst dem "Schwarzen hann Baptist Herrenberger, genannt der Konstanzer Veri" gute Dienste leistete. Hans, wie der rheinische Schinderhannes und der 28 Die Akten des Falles Haas liegen im Klosterarchiv Wilddieb Mathias Klostermayr, der sogenannte Gutenzell, Archiv des Landkreises Biberach. Bayerische Hiesel sowie andere wurden im Anschluß 29 Das Kloster Gutenzell erhielt die Belehnung von der an ihre Verurteilung Gegenstand von literarischen vorderösterreichischen Landvogtei Oberschwaben. Darstellungen, die in eindeutig erzieherischer Absicht Daher galt hier nicht die Constitutio Criminalis Caro- verfaßt wurden und die Entwicklung der Verbrecher, lina (die Carolinische Peinliche Gerichtsordnung), das ihre Taten und ihr Ende im Zuchthaus oder am Galgen erste allgemeine deutsche Strafgesetzbuch, das unter als abschreckendes Beispiel vor Augen fiihren sollten. Kaiser Karl V im Jahre 1532 zum Reichsgesetz erho- Die Darstellung von M. Planck aus dem Jahre 1866 ben wurde, sondern die österreichische Theresianische steht noch ganz in dieser Tradition. Peinliche Halsgerichts-Ordnung. Leben und Ende des berüchtigten Anführers einer 30 Diese Aufzählung richtet sich nach der den Akten bei- Wildschützenbande, Mathias Klostermayrs, oder des gefügten Liste, übersetzt aber die Delikte in eine heute sogenannten Bayerischen Hiesels, aus gerichtlichen gebräuchliche Sprache. Urkunden gezogen und mit genau nach den Umstän- 31 Chronik des Klosters Gutenzell, Anno 1769, S. 148. den jeder Begebenheit gezeichneten Kupfern gezieret. Kreisarchiv Biberach. Augspurg, -cfiktiv:» Frankfurt und Leipzig, bey Jakob 32 Die Begnadigung zum Schwert war ein durchaus übli- Andreas Friedrich. 1772. cher Gnadenakt. Die in der Chronik gegebene Begrün- (Christian Friedrich Wittich), Hannikel oder die Räu- dung, "weil er der erste war", konnte anhand der Pro- ber-und Mörderbande, welche in Sulz am Neckar in zeßakten nicht nachvollzogen werden. Verhaft genommen und am 17ten Juli 1787. daselbst 33 Informatorium den Inquisiten Joh. Haaß betr., Guten- justificirt worden. Ein wahrhafter Zigeuner-Roman zell, 4. Sept. 1774. Klosterarchiv Gutenzell im Archiv ganz aus den Kriminal-Akten gezogen. Tübingen o. J. des Landkreises Biberach. Von sehr kurzer Postur = (1787). kleinwüchsig; Lefzen = Lippen. (Johann Ulrich Schöll), Konstanzer Hanß.Eine 34 Protokoll vom 5. August 1774. Klosterarchiv Gutenzell. Schwäbische Jauners-Geschichte aus zuverläßigen 35 Zur "Bettelfuhr" s.Adalbert Nagel, Armut im Barock. Quellen geschöpft und pragmatisch beabeitet. Stutt- Die Bettler und Vaganten Oberschwabens. Weingarten gart 1789. 1986. Kranke Bettler, die sich nicht mehr selbst ver- Actenmäßige Geschichte der Räuberbanden an den sorgen konnten, wurden auf einer Karre zur Verkösti- beyden Ufern des Rheins. Erster Teil. Enthaltend die gung von Tag zu Tag "weitergereicht".Auf dem Land Geschichte der Moselbande und der Bande des Schin- waren meist die Roßbauern dafür zuständig, in Städ- derhannes. Verfaßt von B. Becker, Sicherheits-Beam- ten die Siechenhäuser. ten des Bezirks von Simmern. Cöln 1804. 36 In dieser "Schutz-Schrift" wird man wohl den Vorläu- Die letzten Räuberbanden in Oberschwaben in den fer der Funktion eines Verteidigers bei Gericht sehen Jahren 1818/19. Ein Beitrag zur Sittengeschichte. dürfen. Nach den Akten und nach mündlicher Überlieferung 37 gewest = vergangen.

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