Zeit Und Heimat 13
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SONDERDRUCK Zeit und Heimat 13. Juli 1995 .Nr. 2 Beiträge zur Geschichte, Kunst und Kultur Seit 1924 Beilage der "Schwäbischen Zeitung" 38. Jahrgang von Stadt und Kreis Biberach Ausgabe Biberach an der Riß Die Biber(b )acher Sephe und der "Zwerg von Achstetten" Ein Beitrag zur Kriminalgeschichte Oberschwabens Von Monika Machnicki M. A., im Vorspann der von ihm im Jahre 1799 herausge- Städtische Sammlungen Biberach gebenen und in Tübingen gedruckten Oberdischin- ger Diebsliste.! Durch einen Anstieg der Zahl der Am 20. Juli 1994 jährte sich zum 175. Mal der To- Kriminellen innerhalb der vorangegangenen 15 destag des Xaver Hohenleiter, besser bekannt unter Jahre und die Entstehung ganz neuer "Gattungen dem Namen "Schwarzer Veri".Sein im Jahre 1819 von Betrügern und Jaunern" sah er sich zur Her- durch einen Blitzschlag herbeigeführter Tod, der ausgabe dieser Liste veranlaßt. Er widmete seine schon von seinen Zeitgenossen als gerechtes Arbeit daran, die er "um des gemeinen Wohles wil- Gottesurteil empfunden wurde, hat ihn sozusagen len" vollbrachte, der Schwäbischen Kreisver- "unsterblich" gemacht. Der "Schwarze Veri" gilt sammlung. manchem als der "bekannteste Oberschwabe" Die Fürsten und Stände des Schwäbischen Krei- schlechthin. Dazu beigetragen haben natürlich ses hatten nach der Beendigung des Dreißigjähri- auch die Abbildungen der oberschwäbischen Räu- gen Krieges mehrfach Verordnungen zur Bekämp- berbanden durch den Biberacher Maler J ohann fung des Vagantenunwesens erlassen, so im Jahre Baptist Pflug. Von besonderem Reiz ist in diesem 1670 gegen "das schädliche Zigeunervolk" und Zusammenhang, daß die Bilder auf Porträtstudien "falsche Bettler:", In dieser Verordnung forderte zurückgehen, die der Maler bei seinen Besuchen der Schwäbische Kreis bereits, daß zur Beförde- der Räuber im Gefängnis angefertigt hat. rung des gemeinen Nutzens die Nachbarn zusam- Dennoch mag manchem, der die alljährliche menhalten sollten. In kurzen Zeiträumen wurden "Wiederauferstehung" des "Schwarzen Veri" beim diese Patente und Verordnungen wiederholt und Biberacher Schützenfest und anderen Heimatfe- den neuen Erfordernissen angeglichen, so Ulm sten des Oberlandes erlebt, nicht klar sein, daß die 1693, Ulm 1699, Memmingen 1699, Memmingen oberschwäbischen Banden des Xaver Hohenleiter, 1700, Memmingen 1705, Ulm 1710, Augsburg 1716, des Anton Rosenberger und des Bregenzer Seppel Augsburg 1732, Ulm 1734, Ulm 1737, Ulm 1747, nur den Endpunkt einer Entwicklung markieren, Ulm 1749, 1750 und 1751, 1754, 1763, 1796, Augs- die ihren eigentlichen Höhepunkt vor 1800 hatte.' burg 1797, Ulm 1801.6 Schätzungen zufolge gehörten im 18. Jahrhundert Was sollte nun mit diesen Patenten bezweckt etwa 10 Prozent der Bevölkerung zur Gruppe der werden? Zunächst einmal läßt sich an ihnen die Vaganten, der Menschen ohne festen Wohnsitz. Da- Sorge um die öffentliche Ruhe und Sicherheit able- von war etwa die Hälfte dauerhaft auf der Straße." sen. So heißt es 1699, daß, nachdem nun der Frie- Die Gruppe der Vagierenden umfaßte neben den den wiederhergestellt sei, wieder eine größere An- durch Krieg und Not heimatlos Gewordenen, die zahl Bettler den Landmann bedränge, der sich ihren Lebensunterhalt durch Betteln fanden, ent- doch kaum erholt habe. Auch habe man Bedenken, lassene oder desertierte Soldaten, Gaukler, Zirkus- daß viel größeres Unheil über das Land käme, leute, Abdecker, Hausierer, aber auch eine Reihe wenn dem nicht rechtzeitig gegengesteuert würde. von Leuten, die ihren Beruf nur im Umherwandern 1734 werden wegen der Unsicherheit der Straßen ausüben konnten wie Pfannen- und Kesselflicker. negative Auswirkungen auf "Handel und Wandel" Dazu kamen die auf Wanderschaft befindlichen befürchtet. Handwerksburschen. Zur Abwendung des Unheils werden für 1699 Im Jahre 1784 stellte der Bürgermeister von Alt- folgende Maßnahmen ins Auge gefaßt: dorf (heute: Weingarten) fest, nahezu ein Drittel Fremde, die sich nicht ausreichend legitimieren der Leute in seinem Marktflecken seien Bettler.' könnten, sollten erst gar nicht ins Land gelassen werden. In Not und Armut geratene eigene Unter- tanen dürften, wenn sie aufs Betteln als Lebensun- Diebslisten und Jauner-Patente terhalt angewiesen seien, mit "gewissen ihnen "Von jeher ist Schwaben für Jauner und Bettel- angehängten Zeichen" in ihren Pfarreien oder in Gesindel ein Lieblings-Aufenthalt gewesen." Dies ihnen zugewiesenen Gebieten betteln. Alle anderen schrieb Reichsgraf Franz Ludwig Schenk von Ca- jedoch, "eingeschlichene und herum vagierende stell, der "Malefiz-Schenk" aus Oberdischingen, Zigeuner, Gart-Brüder (Bettler), Jauner und Her- 56 ren-lose Müssiggänger", sollten des Landes ver- nannt werden." Zwar gab es bereits Ansätze einer wiesen werden. Nach Ablauf von 14 Tagen sollte territorienübergreifenden Verbrechensverfolgung, eine General-Streife in allen Herrschaften und wie aus einer gedruckten Streifverordnung des Ämtern durchgeführt werden.Würden sie dabei Schwäbischen Kreises aus dem Jahre 1751 hervor- noch angetroffen werden, so seien sie "ad opus pu- geht. In dieser wird der Raum zwischen Bodensee blicum" (zu öffentlicher Arbeit) heranzuziehen, z. und Neckar in verschiedene Streifdistrikte aufge- B. zum "Schantzen" (bei Erdarbeiten für Befesti- teilt. Dennoch war die systematische Verbrechens- gung oder auch Straßenbau). Beim zweiten Mal je- bekämpfung in der Zeit des ausgehenden 18. Jahr- doch sollten sie auf die Galeeren oder in die Grenz- hunderts immer noch eher das Verdienst einiger für festungen geschickt werden oder Leib- und Le- diesen Bereich besonders enthusiasmierter Amts- bensstrafen erhalten "andern zum Schrecken und und Privatleute. Neben dem Oberamtmann Schäf- Beyspiel ".7 fer zu Sulz, der auch in den Lebenserinnerungen Im Patent von 1734 wird bedauert, daß eine nur Johann Baptist Pflugs erwähnt wird," und dem be- zwei Jahre vorher erlassene Verordnung so wenig reits erwähnten Grafen Schenk zu Castell war dies Wirkung gezeigt habe. Man habe vernehmen müs- auch der Hofrat Friedrich August Roth aus Em- sen, daß sich das "Gesindel" nun "truppenweise" mendingen im Breisgau. Diese drei hatten jeweils in den Wäldern befinde. Nun wurde in 16 Punkten umfangreiche Jaunerlisten verfaßt und standen genauestens festgelegt, daß niemand, sei es wan- untereinander in regem brieflichen Austausch.'! dernder Handwerksbursche oder französischer De- Die Oberdischinger Diebsliste, von der Herzog serteur, ohne Attest, Paß oder Routenbeschreibung Friedrich von Württemberg für die Ober- und angetroffen werden dürfe, aus denen man das Wo- Stabs ämter 120 Exemplare bestellt hatte.P umfaßt her und Wohin ablesen könne. ohne die Listen der Hingerichteten oder sonstwie Auch die Strafen wurden nun spezifiziert. Unter zu Tode Gekommenen die Namen und Steckbriefe Punkt 5 heißt es: Fremde und Ausländische müssen von 1487 Personen, darunter 503 Frauen. Die gewärtig sein, beim ersten Mal neben einer emp- Mehrzahl dieser Frauen war zwischen knapp 30 findlichen Züchtigung und der Abschwörung einer und gut 40 Jahre alt. Etwa ein Drittel von ihnen "Urphed" (Urfehde = Verzicht auf Rache) des Krei- war verheiratet. 28 Frauen waren mit einem Kind ses verwiesen zu werden. Beim zweiten Mal sollten unterwegs, 60 von ihnen hatten zwei und mehr sie "mit Ruten ausgestrichen" und in der Hand Kinder. In einigen Fällen hatten die Frauen sechs "gebrandmarkt" werden. Beim dritten Mal, auch bis sieben Kinder bei sich.In mehr als der Hälfte wenn sie keine weitere Untat begangen hätten, der Fälle wurden die Frauen des Diebstahls, vor- drohte ihnen die Todesstrafe. zugsweise des Marktdiebstahls oder der Sack- Unter Punkt 12 werden die "Leibesstrafen" für schneiderei oder Sacklangerei bezichtigt, die typi- Betrüger und für die Vaganten, deren Verfehlungen schen Frauendelikte. In 165 Fällen wurde kein für eine Verurteilung zum Tod nicht ausreichen, konkretes Delikt genannt, jedoch deuten die Be- näher beschrieben. Ihnen sollte ein Ohr abge- nennungen der Frauen als "Beihalterin" , "Bei- schnitten und sie des Schwäbischen Kreises ver- schläferin" oder einfach "das Mensch" an, wessen wiesen werden. Da, wo es bereits Zuchthäuser gab, man sie bezichtigte und was nach damaliger sollten sie "bey Wasser und Brod zu schwehrer Ar- Rechtsvorstellung ein handfester Straftatbestand beit" angehalten werden." Hier melden sich ganz war: "Und nachdeme die Erfahrung gelehret, daß zaghaft Gedanken der Aufklärung. die häuffig herum vagierende sogenannte stap- Verstümmelungsstrafen wurden im fortschrei- plende liederliche Weibs-Persohnen die eigentliche tenden 18. Jahrhundert immer weniger eingesetzt. Urquelle so vieles im Land vorgehenden Ubels, Die erhaltenen Steckbriefe in den Gaunerlisten Schand- und Lasterthaten seynd, indeme sie die verzeichnen kaum mehr solche "unveränderlichen junge Manns-Persohnen mit ihnen zuzuhalten an- Kennzeichen" wie fehlende Ohren und Nasenspit- reitzen, so fort zum Stehlen und Rauben verleiten, zen. Die Neue Zeit setzte zunehmend auf Besse- Anschläge und Rat darzu geben, das Gestohlne und rung und Erziehung des straffällig Gewordenen Geraubte verkauffen, vertuschen und aufzehren statt auf Vernichtung seiner Existenz. helffen; Als sollen solche auf dem Land gehende Schloß die Verordnung von 1699 noch mit dem Weibsbilder, wann sie in keiner Diebs-Rotte stehen, Hinweis "Wornach sich ein jeder zu richten / und sondern nur vor sich im Müßiggang dem Bettlen vor Schaden zu hüten wissen wird", so sollte sich und f. h. Huren nachlauffen, in die Zucht- und Ar- im 18. Jahrhundert niemand mehr mit Unwissen- beitshäuser ad castigandum & corrigendum ge-