Masterarbeit

Titel der Masterarbeit:

„Wir werden weiter marschieren, wenn alles in Scherben fällt!“ - Der „Abwehrkampf“ der „Hitlerjugend“ in den letzten Kriegsmonaten mit besonderer Berücksichtigung des Kampfes um und des Kriegsendes in Tirol im Mai 1945

Verfasser:

Dominik ENDER, BA 01116297

angestrebter akademischer Grad:

Master of Arts (MA)

Innsbruck, 2018

Studienkennzahl lt. Studienblatt: C 066 803 Studienrichtung lt. Studienblatt: Masterstudium Geschichte

Betreuer: Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Thomas Albrich

„Wir werden weiter marschieren, wenn alles in Scherben fällt!“

Der „Abwehrkampf“ der „Hitlerjugend“ in den letzten Kriegsmonaten mit besonderer Berücksichtigung des Kampfes um Scharnitz und des Kriegsendes in Tirol im Mai 1945

HJ-Bann Patch, [http://www.alteregaliazone.net/wp-content/uploads/2016/01/HJ_FLAGBEARER.jpg], eingesehen 22.09.2017. Eigene Darstellung.

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Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung ...... 4 1. Quellenlage ...... 7 2. Die ideologische Prägung der Hitlerjugend ...... 8 2.1 Die „Wehrertüchtigungslager“ der Hitlerjugend ...... 13 2.2 Von der Hitlerjugend in die deutschen Streitkräfte ...... 16 2.3 Die „Verführung“ der Jugendlichen durch die SS ...... 18 2.4 Die Panzerdivision „Hitlerjugend“ ...... 22 2.5 Das „letzte Aufgebot“ an „Kindersoldaten“ ...... 29 3. Die Kampfschauplätze der Hitlerjugend in den „Alpen und Donaureichsgauen“ ...... 30 3.1 „Ostösterreich“ - Hitlerjungen im Kampf gegen die „Rote Armee“ ...... 30 3.1.1 Hitlerjugend im Kampf um die Steiermark ...... 33 3.1.2 Hitlerjugend im Kampf in Niederösterreich ...... 35 3.1.3 Hitlerjugend im Kampf um Wien ...... 38 3.1.4 Der „Abwehrkampf“ um Oberösterreich ...... 39 3.2 Kampfeinsatz der Hitlerjugend in Westösterreich ...... 41 3.2.1 HJ-Einsätze in Vorarlberg ...... 42 3.2.2 Tirol und der „Mythos“ Alpenfestung ...... 43 3.2.2.1 Alliierte Truppen ante portas ...... 52 3.2.2.2 Gauleiter Hofers Kalkül der „Standschützen“...... 52 3.2.2.3 Die militärische Lage in Tirol im April 1945 ...... 54 3.2.2.4 Mai 1945: Die „Divisionsgruppe--Nord“ in Stellung ...... 57 3.2.2.5 Die Hitlerjugend im Kampf um Scharnitz  „Wenn alles in Scherben fällt“ .... 59 3.2.2.6 Die Kontroverse der Verluste ...... 69 4. „On the road to Innsbruck“ ...... 79 4.1 Der Kampf ums Außerfern ...... 80 4.2 Die Befreiung Innsbrucks ...... 84 5. Kriegsende in Tirol ...... 91 6. Kriegsverbrechen der Hitlerjugend in Österreich ...... 94 7. „Stunde-Null“ der HJ-Funktionäre? ...... 96 Zusammenfassung ...... 96

Quellen- und Literaturverzeichnis ...... 101 Anhang ...... 109

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I. Einleitung Obgleich alliierte Verbände ab der zweiten Hälfte des Jahres 1944 immer schneller in Richtung der Grenzen des Deutschen Reiches vorrückten und das Kriegsende kurz bevor stand, wurden als „letztes Aufgebot“ noch Verbände aus „Kindersoldaten“ in Form von Jugendlichen, in anderen Worten Angehörigen der Hitlerjugend, geformt, die noch an die Fronten  entgegen jedem militärischen und moralischem Sinn  geworfen wurden um im „Endkampf“ für das „Dritte Reich“ unterstützend mitzuwirken und eben doch noch, dem damaligen Zeitgeist entsprechend  mit kämpferischer Verbissenheit dieser ideologisch aufgezogenen „‚herrischen und unerschrockenen‘ Burschen“1  einen Umschwung im Kriegsgeschehen zu erzwingen. Schubert-Weller kontrastiert, dass im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg, dem der Einsatz von Kindersoldaten das Kriegsende zuvorkam, der Zweite Weltkrieg genügend lange andauerte „[...] so daß die Jungen nicht nur Soldaten wurden in gleichsam geschützten ‚jungendgemäßen‘ Nischen des Krieges, [...] sondern daß sie wirklich im Kampfgeschehen an vorderster Front Einsatz und Tod fanden.“2 Der „Abwehrkampf“ der Hitlerjugend wurde nicht nur in den vormaligen besetzten Gebieten  wo der Rückzug nun mehr die Regel als die Ausnahme war  ausgefochten, sondern auch innerhalb des „Dritten Reiches“, so auch im damaligen „angeschlossenen“ Österreich. Im Speziellen war der Vormarsch der alliierten Truppen mit einem besonderen Odium behaftet. Einerseits stand der Roten Armee, die Ostösterreich und vor allem Wien als Ziel hatte, der so genannte „Südostwall“ und andererseits den Westalliierten, die sich in Richtung des Gaues Tirol-Vorarlberg vorankämpften, die mystifizierte „Alpenfestung“ bevor. Diese sollten die letzten groß angelegten Verteidigungsstellungen sein, die laut deutscher Propaganda fanatischer denn je verteidigt werden würden und den alliierten Streitkräften so herbe Verluste zuzuführen vermochten, um so doch noch eine Entscheidung zu Gunsten des Reiches und somit den „Endsieg“ herbeiführen zu können. Widergespiegelt wurde dieser Fanatismus des „Kampfes für den Sieg“ in den letzten Kriegstagen vor allem noch durch die Kadavertreue von Einheitskommandanten des NS-Regimes, die bereits vor den Scherben eines verlorenen Krieges liegend auf Grund ihrer Befehlsgewalt reguläre Truppen, aber auch wissentlich „Kindersoldaten“ in Form der Hitlerjugend in den „Abwehrkampf“ am „Ostwall“ und um die „Alpenfestung“ befehligten. In Bezug auf den Gau Tirol-Vorarlberg war dieser Durchhaltewille noch in den letzten Kriegstagen vom obersten Kommissar der

1 Gernot Zimmermann, Die Akte Pepeunig, in: Echo (12/2010), S. 54-61, hier S. 56. 2 Christoph Schubert-Weller, Hitlerjugend. Vom „Jungsturm Adolf Hitler“ zur Staatsjugend des Dritten Reiches, Weinheim 1993, S. 211. 4

Operationszone Alpenvorland und Reichsverteidigungskommissar des Reichsgaues, Gauleiter Franz Hofer, in einer Rundfunkansprache, am 30. April 1945, mit den Worten „Wenn es gelingt, unsere Heimat, in diesen entscheidenden Tagen frei von fremden Truppen zu halten, dann kann ihr vielleicht ein schweres Schicksal erspart bleiben, das sonst unabwendbar über unsere Heimat hereinbrechen würde“3, propagiert und in den Innsbrucker Nachrichten abgedruckt worden. Beispielhaft für diesen Aufruf stehen neben den Gefechten der Hitlerjugend gegen die Soldaten der Roten Armee im Osten Österreichs, die versuchten „Abwehrkämpfe“ gegen US-amerikanische Verbände auf Tiroler Boden am Scharnitzpass, obwohl das Kriegsende schon merklich bevor stand und jedwede Sinnhaftigkeit nicht mehr gegeben war. Die vorliegende Arbeit gliedert sich im Wesentlichen in drei Abschnitte. Der erste Teil thematisiert die „Hitlerjugend“ und deren Ideologie sowie die Rekrutierung von Hitlerjungen der deutschen Streitkräfte im Spiegel des damalig vorherrschenden Zeitgeistes. Dabei wird auf die Organisation der Hitlerjugend selbst, auf die Aufstellung der 12. SS-Panzerdivision „Hitlerjugend“ sowie auf die Kämpfe der „Kindersoldaten“ in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges mit besonderer Betrachtung von Ost- und Westösterreich, näher eingegangen. Der zweite Abschnitt fokussiert eines der letzten Gefechte auf Tiroler Boden, den Kampf um Scharnitz, und den dortigen „Abwehrkampf“ der Hitlerjungen. Dietrich kontrastierte in der Radio-Tirol Reportage im Jahr 2005 über das Gefecht bei der Scharnitzer Klause: „Als die Amerikaner 1945 vom Norden her nach Tirol vorstießen, kam es bei Scharnitz zu einem schweren Gefecht. So steht es zumindest in den Geschichtsbüchern. [...] Der Großteil der deutschen Truppen hatten [sic!] sich rechtzeitig abgesetzt. Doch stellte sich den anrückenden Panzern ein einsames Häuflein ebenso fanatisierter wie tollkühner Hitlerjungen entgegen.“4

In Bezug auf die Ereignisse dort in der Phase der letzten Kriegstage in Tirol ist, wie Spirk- Paulmichls Artikel in der Tiroler Tageszeitung ausführt, jedoch “[...] nicht [viel] überliefert über die Geschehnisse in Scharnitz, die nur ein Beispiel waren – allerdings ein besonders zynisches – für so viele andere Grausamkeiten, so viel Leid im Namen einer menschenverachtenden, gefährlichen Ideologie.“5 Den Abschluss bildet die Rekonstruktion des weiteren Kriegsverlaufs zur Befreiung Innsbrucks bis hin zum Kriegsende in Tirol.

3 Innsbrucker Nachrichten, 01.05.1945, S. 1. 4 Stefan Dietrich, Kampf in der Scharnitzer Klause 1945, Innsbruck 2005 (unveröffentlichtes Manuskript), S. 1. Kopie im Besitz des Verfassers. 5 Michaela Spirk-Paulmichl, Kriegsende in Tirol: Noch am letzten Tag Kinder geopfert, in Tiroler Tageszeitung Online (01.05.2015), [http://www.tt.com/panorama/9958936-91/kriegsende-in-tirol-noch-am- letzten-tag-kinder-geopfert.csp], eingesehen 17.05.2017. 5

Mit der Auswertung von bis dato nicht konsultierten Zeitzeugenberichten eines verwundeten ehemaligen Wehrmachtssoldaten in Scharnitz, eines Angehörigen der Innsbrucker Hitlerjugend und US-amerikanischer Soldaten, die selbst am Angriff auf Scharnitz teilnahmen, sowie Akten aus den National Archives aus Washington, Quellen aus dem Tiroler Landesarchiv, dem Tiroler Landesmuseum/Ferdinandeum, Zeitungen aus den letzten Kriegstagen, Datenverzeichnissen des Vereins für Kriegsgräberfürsorge und ausgewählter Fachliteratur erschließen sich im Folgenden Erkenntnisse, welche die Kämpfe der Hitlerjugend, vor allem in Verbindung mit dem HJ-Bann Innsbruck beim Gefecht um Scharnitz, sowie die Ideologie der HJ-Funktionäre und der NS-Zeit im Allgemeinen wiedergeben. Ralf Roland Ringler, ein ehemaliger Hitlerjunge, schrieb über einen Kampfeinsatz seiner Hitlerjungendeinheit Mitte April 1945 in Retrospektive: „Die großen Zweifel bleiben  ob diese Weltanschauung  und das Durchsetzten ihrer Ziele richtig war [...].“6 Jutta Rüdiger, die selbst Bund Deutscher Mädel-Funktionärin war, kontrastierte im Gegensatz zu Ringler, dass „[...] heute mit Recht gefragt [wird], ob der Einsatz dieses jungen deutschen Blutes in dieser Kampfesphase noch zu rechtfertigen war. Zweifellos wird dies heute verneint werden müssen“7, jedoch war, wie auch viele weitere NS-Mitläufer in Folge den Einsatz und den Tod von „Kindersoldaten“ abschwächend darstellten, laut Rüdiger „[...] damals [...] aber die Situation eine andere.“8 In folgender Arbeit ergibt sich die Fragestellung, ob „damals die Situation eine andere war“ und der Einsatz von Jugendlichen im Allgemeinen, und vor allem Tiroler Kindern in Form der Hitlerjugend überhaupt militärisch sinnvoll war, oder die Gefechte gegen die alliierten Truppen entgegen jeder Vernunft geschahen und schon im Vorhinein zum Scheitern verurteilt waren. Wenn in der Arbeit allgemein von deutschen Soldaten die Rede ist, werden sowohl die Angehörigen der als auch ein Flügel der Schutzstaffel (Waffen-SS) und des zur Endphase des Krieges operierenden Volkssturmes  im Tiroler Kontext als „Standschützen“ bezeichnet  sowie auch die im Kontext dieser Arbeit beleuchteten Hitlerjungen, angesprochen.

6 Ralf Roland Ringler, Illusionen einer Jugend. Lieder, Fahnen und das bittere Ende. Hitler-Jungend in Österreich. Ein Erlebnisbericht, St. Pölten – Wien 1977, S. 205. 7 Jutta Rüdiger, Die Hitlerjugend und ihr Selbstverständnis im Spiegel ihrer Aufgabengebiete, Lindhorst 1983, S. 91. 8 Ebd., S. 91. 6

1. Quellenlage In Bezug auf die Quellenlage stellen die Geschehnisse rund um den „Abwehrkampf“ gegen US-amerikanische Einheiten bei Scharnitz eine Ausnahmesituation dar. Im Tiroler Landesarchiv ist in Bezug auf die Hitlerjugend in Tirol nur ein Karton vorhanden, der jedoch keine Informationen über das Gefecht bei Scharnitz liefert. Jedoch existieren im Tiroler Landesarchiv Aufzeichnungen über das Gefecht bei Scharnitz in den Prozessakten involvierter NS-Kollaborateure, dahingestellt ob HJ-Bannführer oder NS-Kreisleiter, doch beinhalten diese in Retrospektive nach dem Krieg aufgenommenen Berichte jeweils nur begrenzte Ausschnitte der Ereignisse der letzten Kriegstage in Tirol und sind oftmals nicht in sich stimmig beziehungsweise widerspruchsfrei. Der Autor der vorliegenden Arbeit war auf Grund dessen größtenteils auf mündliche Aussagen von Tiroler und US-amerikanischen Zeitzeugen angewiesen, die in weiterer Folge entscheidende Hinweise zur Klärung des Gefechtes bei Scharnitz und dem Einsatz der Hitlerjungend lieferten, welche jedoch eine umso kritischere Auseinandersetzung mit sich zogen, da einerseits wiederum in der retrospektive Komponente der Berichte getrübte Erinnerungen, Verzerrungen, Fehleinschätzungen und gängige Mythen inkludiert sein konnten, wurde andererseits durch das Einbeziehen von schriftlichen US-amerikanischen Quellen aus den National Archives Washington in Form von Kriegsberichten und Kriegstagebüchern der 103. Infanteriedivision und deren untergeordneten Einheiten wesentlich bei der Rekonstruktion der damaligen Geschehnisse beigetragen, ließ jedoch, da es sich nur um ein Randgefecht im Zuge der Befreiung des NS-Jochs und Tirols handelte, manches unbeantwortet was jedoch im Zuge der vorliegenden Arbeit sukzessive geklärt werden konnte. Insbesondere wirft der derzeitige Forschungsstand bei den Zahlen der gefallenen Hitlerjungen drei unterschiedliche Strömungen auf. Einerseits bezieht sich die Literatur wie Beimrohrs Aufsatz für das Tiroler Landesmuseum „Kriegsende in Tirol“ aus dem Jahr 2005 darauf, dass beim Gefecht um Scharnitz alle eingesetzten Hitlerjungen den Tod fanden. Andererseits soll, laut den Forschungen von Rauchensteiner in „Der Krieg in Österreich 1945“, dessen Ergebnisse in Borths Aufsatz „Was geschah bei Scharnitz 1945“ sowie bei Riedmann in „Das Bundesland Tirol 1918-1970“ wiedergegeben werden und sich auf die Aussagen eines Zeitzeugenberichtes, aufbewahrt im Militärhistorischen Institut, beziehen, eine gewisse Anzahl an Hitlerjungen ihr Leben gelassen haben. Im Widerspruch hingegen stehen die Eigenaussage des eingesetzten HJ-Bannführers Hermann Pepeunig selbst, der die Hitlerjungen nach Scharnitz führte, die Aussagen des Zeitzeugen Ernst Ragg, der das Gefecht

7 bei Scharnitz persönlich verfolgte sowie Gerd Sallaberger, welcher selbst zum damaligen Zeitpunkt Angehöriger der Hitlerjugend in Innsbruck war, sowie Holzträgers Analyse und die eigenen Recherchen des Autors dieser Arbeit, welche keine Verluste an Hitlerjungen im Kampfeinsatz von Scharnitz konstatieren.

2. Die ideologische Prägung der Hitlerjugend Als am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg „ausbrach“, fanden sich frühere Angehörige der Hitlerjungend, die bei Kriegsbeginn achtzehn Jahre oder älter waren, nun als Soldaten der Wehrmacht wieder, um für das „Dritte Reich“ gegen Polen in den Krieg zu ziehen. Deren Einstellung war einerseits charakterisiert von einem grenzenlosen Optimismus und dem Glauben, dass Deutschland einen schnellen Sieg erringen würde. Andererseits spiegelte sich dies auch in der Sichtweise auf den Gegner wider  welche einer jahrelangen Indoktrination der NS-Ideologie entsprang und diesen als minderwertig und unterlegen klassifizierte.9 Maschmann skizziert ihre Erfahrungen in der Hitlerjugend bezüglich des Einflusses der NS- Ideologie auf die Jugendlichen wie folgt: „‚Diese Vergötzung des eigenen Volkes, deren Kehrseite die Verachtung der fremden Völker ist, war der zentrale Motor in unserer Erziehung der Jugend. Dabei konnten sich gewiß echte Tugenden entfalten, wie die des Mutes und der Selbstaufopferung. Aber sie wurden dadurch entwertet, daß die Bildung jener zentralen Tugenden unterdrückt wurde [...]. Niemand hielt uns zu selbstständigen Denken und zur Entwicklung eines selbstverantwortlichen ethischen Urteilsvermögens an. Unsere Parole hieß: Führer befiel, wir folgen!‘“10

Die bei Kriegsbeginn vorherrschende Begeisterung war auf Grund dessen derart stark, dass etwaige Verlustgefühle der Jugendlichen ausgeblendet wurden, die bei eigener Verwundung oder dem Tod eines Kameraden erlebt hätten werden können. Als mehr als drei Millionen Wehrmachtssoldaten auf drei breiten Fronten in Richtung Russland angriffen, erhöhten die anfänglichen schnellen Erfolge während des Sommers und des Herbstes die Vorstellung der Überlegenheit auch bei Hitlers jüngsten Soldaten.11 Koch konstatiert hierzu, dass „[d]er Ausbruch des Krieges [...] die Hitler-Jugend vorbereitet fand: die Beschwörung des Mythos von Langemarck, der Anspruch auf selbstlose Hingabe und Opfermut hatten das ihre beigetragen und taten es noch in den folgenden sechs Jahren.“12 In deren naiver Mentalität

9 Michael H. Kater, Hitler-Jugend, Darmstadt 2005, S. 147. 10 Melita Maschmann, Fazit. Mein Weg in der Hitler-Jugend, S. 169f., zit. in Hans Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend im Chaos der letzten Kriegsmonate, Dinklage 1995, S. 121. 11 Kater, Hitler-Jugend, S. 147-148. 12 Hansjoachim W. Koch, Geschichte der Hitlerjugend. Ihre Ursprünge und ihre Entwicklung. 1922 - 1945, Percha am Starnberger See 1975, S. 342. 8 sollte der nach dem Westfeldzug folgende Kampf gegen Russland ein weiterer „Blitzkrieg“ werden, vor allem war jedoch der Glaube an einen frühen „Endsieg“ vorherrschend.13 Die in Bezug auf die Soldaten der Roten Armee von der Hitlerjugend eingetrichterten Stereotypen von minderwertig-primitiven „Ivans“, die als Slaven mit jüdischen und asiatischen Elementen angesehen wurden, halfen die Angst vor dem Feind zu erhärten. Dieses Bild wurde zudem noch vom Faktum der elendiglich ausschauenden Kriegsgefangenen der Roten Armee verstärkt, die die deutsche Wehrmacht im Laufe der ersten Siege im Osten  bis Herbst 1941 bereits drei Millionen sowjetische Soldaten  gefangengenommen hatte. Bereits ab dem Beginn des deutschen Überfalles auf die Sowjetunion, dem so genannten „Unternehmen Barbarossa”, waren viele der nun jungen Soldaten und früheren Hitlerjungen als Bewacher von Kriegsgefangenen eingeteilt worden. Zugleich waren diese so Zeugen des Grauens in den Lagern, wo die sowjetischen Soldaten sich selbst überlassen wurden, zusammengepfercht und auf Grund von Hunger, Durst und oftmals durch Kannibalismus starben.14 Kater hält hierzu fest, dass „[…] die jungen deutschen Soldaten schon allein durch den Vergleich zwischen ihrem Leben und dem der russischen Feinde von der eigenen Überlegenheit überzeugt [waren] und [sich] zu weiteren Eroberungen ermuntert [fühlten].“15 Für die deutsche Jugendlichen galt zusätzlich das offizielle Dogma, dass ein deutscher Infanterist „zehn bis zwölf Mal“ so viel Wert wäre wie ein sowjetischer Soldat und zudem gaben sie sich dem Glauben hin, dass die Soldaten der Roten Armee  als ein Produkt einer brutalen Umwelt  erwarteten, eine solche Behandlung zu erfahren. Sogar nachdem Untaten an Kriegsgefangenen, Partisanen und Juden selbst mit angesehen oder verübt worden waren, hielten die jungen Angehörigen im deutschen Heer noch an dieser Einbildung fest. 16 Der Grundstock hierfür lag im Ausbildungsschema der Hitlerjugend. Körperliche Ertüchtigung, überwiegend körperliche Ausdauer und Stärke, sowie die Aneignung von Tugenden des alten deutschen Heeres  Persönlichkeit, Charakter, Idealismus, Entschlusskraft, Verantwortlichkeit  hatten Vorrang vor der geistigen Ausbildung. Dazu kam laut Schubert-Weller, die Vermittlung eines allumfassenden Selbstvertrauens, „[...] das im Grund ein völkisch-rassisches Überlegenheitsgefühl kultivieren soll[te].“17 In Bezug auf den ehemaligen Reichsjugendführer Baldur von Schirach war die Hitlerjugend Träger einer Weltanschauung. Laut Schirachs eigener Aussage war das Ziel der Hitlerjugend „[...] jenes

13 Kater, Hitler-Jugend, S. 147-148. 14 Ebd., S. 149. 15 Ebd., S. 149. 16 Ebd., S. 149-150. 17 Schubert-Weller, Hitlerjugend. Vom „Jungsturm Adolf Hitler“ zur Staatsjugend, S. 51. 9 politische Soldatentum, das die alte Garde des Nationalsozialismus überzeugender verkörpert[te] als jede andere Institution in Deutschland.“18 Dem vermeintlichen Nimbus der Unbesiegbarkeit und den ersten Erfolgen der Feldzüge am Balkan und in Nordafrika zum Trotz veränderte sich die militärische Lage kontinuierlich und somit auch der Bedarf an Soldaten zunehmend, mit dem Resultat, dass bis zum Jahr 1945 kontinuierlich neue HJ-Jahrgänge  viele Jugendlichen bereits mit 16 Jahren  in die deutschen Streitkräfte eingezogen wurden. Im „Dritten Reich“ wurde die Grundausbildung sowohl bis zum Ende fortgeführt, wobei zeitgleich mit der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht im Jahr 1935 als auch vor Kriegsende die Wehrertüchtigungsbemühungen der Hitlerjugend massiv verstärkt wurden. Der bis dato begeisternde Optimismus der Hitlerjugend wurde jedoch von den schweren Niederlagen und Rückschlägen im weiteren Verlauf des Zweiten Weltkrieges getrübt und eine Desillusionierung begann, besonders bei den jüngeren Soldaten der deutschen Streitkräfte, die fast ausnahmslos der Hitlerjugend entsprangen, einzusetzen.19 Für etliche Hitlerjungen war ein Einsatz an der Front trotz vorhergegangener Ausbildung und drillhaften Kriegsspielen ein „böses Erwachen“. Kater schreibt diesbezüglich, dass „[t]atsächlich keines der HJ-Kriegsspiele vermocht [hätte], diese jungen Soldaten auf den Tod und die Zerstörung vorzubereiten, die sie nun täglich verbreiten halfen und der viele von ihnen schließlich selbst zum Opfer fielen.“20 Zudem agierten wegen Kriegs- und Bombenneurosen viele ehemalige Hitlerjungen nur noch roboterhaft und die Anzahl derer, die darunter litten, vermehrte sich mit zunehmender Dauer des Krieges immens. Die Fronteinsätze in der „harten Wirklichkeit“ und die Erlebnisse der jungendlichen Soldaten im Einsatz unterschieden sich nämlich gravierend von den indoktrinierten Kriegsgeschichten und Kriegsspielen der Hitlerjugend.21 Beispielsweise waren die jungen Soldaten Zeugen, wie die eigenen Kameraden bereits in den ersten Kriegstagen im Polenfeldzug im Kampfgeschehen fielen oder in weiterer Folge im Zuge des „Partisanenkampfes“, vor allem in Griechenland und in Russland, grausam  erdrosselt mit einer Drahtschlinge um den Hals  um ihr Leben kamen. Als die alliierte Landung im Juni 1944 in der Normandie begann, waren es die Panzer des Bataillons „Hitlerjugend“, die diesen Angriff auf das Festland stoppen sollten. Jedoch fielen viele Jugendliche in den Kämpfen mit den alliierten Streitkräften und für tausende

18 Baldur von Schirach, Die Hitlerjugend. Idee und Gestalt, Leipzig 1938, S. 91. 19 Kater, Hitler-Jugend, S. 150-152. 20 Ebd., S. 153. 21 Ebd., S. 152-153. 10 deutsche Jugendliche, die bei lebendigem Leib in deren Panzern verbrannten, wurden diese Schlachten zum eisernen Grab.22 Die jungen deutschen Soldaten wurden somit mit Problemen konfrontiert, die diese nicht nur an ihrer eigenen Rolle im System, sondern auch an der NS-Führung und dem sich ausweitenden Kriegsverlauf zweifeln ließen. Manche begannen sogar, den Wert der Hitlerjugend zu hinterfragen, da die Organisation die nunmehrigen Soldaten in eine Situation gebracht hatte, die wie in den meisten Fällen, moralisch und physisch kompromittierend auf diese wirkte. Zusätzlich zeigen Tagebücher, Memoiren sowie auch amtlich zensierte Feldpost von den Hauptkampflinien, dass die praktizierten Taten von Vorgesetzten der ehemaligen Hitlerjungen mit Vorbehalt empfunden wurden, obwohl ihnen im Zuge der Hitlerjugendzeit ein gewisses Feindbild indoktriniert worden war. Bei vielen trat die Menschlichkeit zu Tage, als diese miterleben mussten, wie Polizeieinheiten und SS-Angehörige ganze Dörfer niederbrannten oder mitansahen, wie Wehrmachtskameraden Massenexekutionen ausführen mussten. Zudem kam der desillusionierende Umstand, selbst als 20-jähriger Jugendlicher ein Teil von befohlenen Erschießungen zu sein und durch die eigene Hand zu morden.23 Hierbei ist es laut Kater wenig überraschend, „[…] dass ab Ende 1941, als der Krieg einen negative Verlauf zu nehmen begann, bei immer mehr jungen Soldaten der Zweifel am Krieg und an der Kompetenz der oberen Führung aufkam.“24 Die folgenden und vor allem letzten Kriegsjahre veranschaulichen zudem eine zweigeteilte Entwicklung der Hitlerjugend. Einerseits war der aktive Kriegseinsatz der Hitlerjungen  Aufstellung von HJ-Flakhelfereinheiten, Luftschutzdienst, Wehrertüchtigung, Osteinsatz von HJ und BDM, Aufstellung einer Hitlerjugend-SS-Division  in allen Formen gesteigert und vertieft, sowie im Verbund mit dem Volkssturm, dem „letzten Aufgebot“ des „Dritten Reiches“, an die Front geworfen oder zu Schanzarbeiten in Frontnähe beordert worden. Klönne kontrastiert, dass diese Einsätze hierbei „[...] zum Teil zweifellos von echter Bereitschaft der HJ-Angehörigen getragen gewesen [waren] und stellten sozusagen einen der ‚Kampfzeit‘ vor 1933 vergleichbaren psychologischen ‚Höhepunkt‘ der HJ-Tätigkeit dar.“25 Andererseits vergrößerte sich der aktive und passive Widerstand im Anbetracht der militärischen Lage in den letzten Kriegsjahren, den Dienst in der Hitlerjugend zu versehen.26 Verstärkend wirkte ab Juli 1944 das Faktum, dass selbst eingefleischte junge Nationalsozialisten hinterfragen mussten, welche Gründe preußisch geprägte Offiziere

22 Kater, Hitler-Jugend, S. 153-154. 23 Ebd., S. 158-159. 24 Ebd., S. 159. 25 Arno Klönne, Hitlerjugend. Die Jugend und ihre Organisation im Dritten Reich, Hannover 1956, S. 22. 26 Ebd., S. 22. 11 veranlasst hatten, den Versuch zu unternehmen, den noch immer mit dem Odium der Unantastbarkeit behafteten eigenen Oberbefehlshaber zu ermorden.27 Überdies kontrastiert Kater, dass die vormaligen Hitlerjungen, sobald sie „[...] erst einmal miterlebt hatten, wie ihre Kameraden getötet bzw. verstümmelt wurden, oder auch mit kaum verhohlenem Entsetzen gesehen hatten, wie ihre Feinde auf der anderen Seite der Front das gleiche Schicksal ereilte, [...] die jungen Soldaten an[fingen], über den leichtfertigen Umgang mit ihrem Leben nachzudenken.“28

Der bei manchen vorherrschende Pessimismus äußerte sich hierbei in seiner stärksten Form, beispielsweise in der Tatsache, dass sich einige der jungen deutschen Landser den schnellen Tod von einem Fronteinsatz versprachen oder für einen Suizid eine Hand voll Patronen für sich behielten, weil der Glaube an den „Endsieg“ bereits verloren war.29 Nichtsdestotrotz blieb auch, wie bereits erwähnt, der Fanatismus einer großen Anzahl an HJ- Funktionären bis zum Kriegsende vorhanden.30 In Bezug auf Koch, „[...] fand der Krieg die deutsche Jugend, die Jugend Adolf Hitlers, nicht unvorbereitet. Das gesamte, von der Jungendbewegung übernommene Traditionsgut, die Jungendliteratur jener Zeit, das düster-feierliche und doch so beschwingende Zeremoniell hatten eine Generation mit einer Hingabe und einem Opfergeist durchtränkt, den sich das Regime sofort zunutze machte, denn es war sich der selbstlosen Begeisterungsfähigkeit seiner Jugend nur allzu bewusst.“31

Der ehemalige HJ-Jugendführer Ralf Roland Ringler konstatierte mit folgenden Worten, dass im Angesicht der letzten Kriegsjahre alle HJ-Jugendführer einen „Läuterungsprozess“ durchliefen: „Allmählich verwünschten wir den Krieg und wußten doch mit einem möglichen Ende nichts Rechtes anzufangen [...] .“32 Kater schreibt diesbezüglich jedoch, dass es heute bezweifelt werden mag, dass es sich bei dem „Läuterungsprozess“ der ehemaligen HJ- Jugendführer „[...] um einen wirklich intensiven ‚Läuterungsprozess‘ handelte, weil die meisten ehemaligen HJ-Führer weder die Reife besaßen noch  von den Schrecken des Krieges abgesehen  irgendeinen Leitfaden hatten, um das grundlegende Unrecht erkennen zu können.“33 In weiterer Folge dieser Arbeit wird sich zeigen, dass dieser von Ringler beschriebene und von Kater bezweifelte vermeintliche „Läuterungsprozess“ von HJ- Funktionären, selbst in den letzten Kriegstagen und am Beispiel eines kleinen Tiroler Dorfes, Scharnitz, tatsächlich nicht stattgefunden hatte.

27 Kater, Hitler-Jugend, S. 159. 28 Ebd., S. 159. 29 Ebd., S. 159. 30 Ebd., S. 159. 31 Koch, Geschichte der Hitlerjugend, S. 347. 32 Ringler, Illusionen einer Jugend, S. 112. 33 Kater, Hitler-Jugend, S. 160. 12

Doch nicht nur HJ-Funktionäre, sondern auch die Hitlerjungen selbst waren kein moralischer Wegweiser im Verlauf des Krieges. Obwohl gegen Kriegsende immer mehr Angehörige der deutschen Streitkräfte verweigerten, feindliche Soldaten mutwillig umzubringen, hatte dies nichts mit Heldenmut zu tun, den eigenen Tod mittels Verweigerung in Kauf zu nehmen, sondern basierte vielmehr auf der Tugend der Anständigkeit, denn diese Soldaten waren Zeuge, wie im Gegenzug ihre ehemaligen HJ-Kameraden immer noch willkürlich gegen feindliche Soldaten vorgingen und sich auch am Mord an Juden und Partisanen bedenkenlos beteiligten. Andere wiederum waren vom eigenen Egoismus beseelt, gingen in der Schlacht bewusst in den Tod und wurden zum Vorreiter des Heldentums erhoben.34

2.1 Die „Wehrertüchtigungslager“ der Hitlerjugend Nach der Annexion des Sudetenlandes und Österreichs betrug am Ende des Jahres 1938 die Gesamtstärke der Hitlerjugend 8,7 Millionen Jugendliche, wobei das Verhältnis von Jungen und Mädchen sich in der Waage hielt.35 Laut dem HJ-Reichsjugendführer war ein „[s]elbstloser Dienst [...] die Forderung der HJ an den einzelnen Angehörigen ihrer Kameradschaft, selbstloser [war] [...] auch die Parole, unter der die Gemeinschaft für den einzelnen eingesetzt w[u]rd[e].“36 Im Dezember 1936 wurde mit dem „Gesetz über die Hitlerjugend“ die allgemeine Dienstplicht für alle Jugendlichen im Alter von 10 bis 18 Jahren in der HJ veranschlagt.37 Zudem setzte die am 24. März 1939 erlassenen Durchführungsverordnungen des „Gesetzes über die Hitlerjugend vom 1.12.1935“ die Erziehung der Jugendlichen endgültig fest, indem die gesamte sittliche, körperliche und geistige Erziehung der Hitlerjugend außerhalb des Elternhauses und der Schule dem Aufgabenbereich der Hitlerjugend zufiel.38 Mit einer weiteren Durchführungsverordnung vom 1. Dezember 1939, exakt ein viertel Jahr nach Kriegsbeginn, wurden die Eltern der Kinder zwangsverpflichtet, die Teilnahme am Dienstbetrieb der Hitlerjugend zu gewährleisten.39 In Bezug auf Schubert-Weller war damit „[...] der Kriegseinsatz der gesamten deutschen Jugend gesetzlich sichergestellt.“40 Für einen Großteil der Jugendlichen brachte die endgültige Festlegung einer Dienstpflicht jedoch keine Änderungen mit sich, da diese willentlich oder nicht bereits schon Dienst in der Hitlerjugend versahen. Erst mit zunehmender Dauer des Kriegs und des Kriegsverlaufes gab

34 Kater, Hitler-Jugend, S. 160-161. 35 Klönne, Hitlerjugend, S. 19. 36 Schirach, Die Hitlerjugend, S. 91. 37 Schubert-Weller, Hitlerjugend. Vom „Jungsturm Adolf Hitler“ zur Staatsjugend, S. 197. 38 Klönne, Hitlerjugend, S. 20. 39 Schubert-Weller, Hitlerjugend. Vom „Jungsturm Adolf Hitler“ zur Staatsjugend, S. 197. 40 Ebd., S. 197. 13 es lageangepasste Umwälzungen in Bezug auf die Inhalte und Aufgaben des HJ-Dienstes.41 Der Einsatz der Hitlerjugend für den Krieg sollte somit einem „Einsatz für den Sieg“ gleichkommen. Alle von der HJ essentiell zu verrichtenden Arbeiten wurden hierbei unter dem Prädikat der „kriegswichtigen Arbeit“ gestellt und dadurch das gesamte Verhalten der Hitlerjugend vom NS-Regime mitbestimmt und bewusst unterstützt.42 In Bezug auf Koch hatten sich die Jugendlichen, die bereits in den frühen dreißiger Jahren oder während dieser in die Hitlerjugend eingetreten waren, „[...] 1941 zu kampferprobten Soldaten entwickelt, und viele derer, die ihnen an die Front folgten waren entschlossen, sich als das zu bewähren, was Hitler von der deutschen Jugend verlangt hatte: ‚schnell wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Krupp-Stahl‘ zu sein.“43 Die Ausbildung der zukünftigen Soldaten aus den Reihen der Hitlerjugend erfolgte in so genannten „Wehrertüchtigungslagern“, bei denen die Hitlerjungen im infanteristischen Kampf geschult und gedrillt wurden.44 Der weitere Zweck dieser Lager war, eine enge Bindung zwischen Heer und Hitlerjugend zu entwickeln. Von der Wehrmacht wurden beispielsweise Geräte und Ausbilder zur Verfügung gestellt, um die Hitlerjungen für den späteren „Dienst für das Dritte Reich“ in den Streitkräften vorzubereiten. Die Ausbilder waren zumeist nach einer Verwundung wiederverwendete Unteroffiziere, die über Fronterfahrung verfügten, sowie Angehörige der Waffen-SS. In den Wehrertüchtigungslagern wurden zudem auch Sonderausbildungen nach dem Schema von Funktionsgruppen der Wehrmacht, wie beispielsweise im Nachrichtendienst, Luftmeldedienst, Luftwaffe oder Gebirgsausbildung, angeboten. Im Allgemeinen kam es bei den Wehrertüchtigungslagern jedoch nicht auf den äußeren militärischen Schein an, sondern auf die bewusste Förderung der Ertüchtigung, die im militärischen Sinn zu erfolgen hatte, da der Zweck der Ausbildungen auf eine folgende Kriegsverwendung abzielte und somit unübersehbar war. Diese Lager wurden somit als altersangepasste Vorstufe zur folgenden Grundausbildung der regulären Streitkräfte angesehen, waren jedoch nicht identisch mit der Rekrutenausbildung in der Wehrmacht.45 Zudem dienten die Wehrertüchtigungslager, bei den Jugendlichen deren „natürliche Anlagen“ zu fördern, „angeborene Geschicklichkeit“ aufzuzeigen sowie eine „selbstständige Haltung“ zu entwickeln, um auf Grund dessen zu lernen, etwaige Strapazen besser aushalten zu können.46 Überdies verfehlten die Arbeit in den Wehrertüchtigungslagern, die körperliche

41 Schubert-Weller, Hitlerjugend. Vom „Jungsturm Adolf Hitler“ zur Staatsjugend, S. 197. 42 Ebd., S. 198-203. 43 Koch, Geschichte der Hitlerjugend, S. 357. 44 Ebd., S. 357. 45 Schubert-Weller, Hitlerjugend. Vom „Jungsturm Adolf Hitler“ zur Staatsjugend, S. 202. 46 Ebd., S. 203. 14

Erziehung sowie die wehrgeistliche Erziehung und weltanschauliche Indoktrinierung der Hitlerjugend während der letzten Friedensphase die erhoffte Wirkung nicht. Dem NS-Regime und der Hitlerjugend war es so geglückt, ein System von militärischer Erziehung und Ertüchtigung aufzuziehen.47 In Bezug auf Steiner wurde „[m]it den wöchentlichen Appellen, mit den Fahrten und Lagern und mit den Geländespielen als vormilitärische Ausbildung [...] das Ziel der NS-Sozialisation angegangen. Das Exerzieren der Kinder vom 10. Lebensjahr an und das bedingungslose Befolgen von Befehlen wenig älterer Kinder und Jugendlicher, das berüchtigte ‚Führerprinzip‘, führten bis zum Kriegsende zur Durchführung auch der sinnlosesten Befehle. Widerspruch oder gar Widerstand waren äußerst selten. Die Parole ‚Jugend soll von Jugend geführt werden‘ hatte zum Funktionieren der gesamten ‚Jugendarbeit im Dritten Reich‘ beigetragen.48

In weiterer Folge dieser Arbeit wird sich zudem zeigen, dass das Kalkül „Jugend soll von Jugend geführt werden“ praktische Anwendung und Verwirklichung im Kriegsgeschehen durch die 12. SS-Panzerdivision „Hitlerjugend“ fand. Denn laut Schubert-Weller kannten „[...] die Jungen in Deutschland [...] nach und nach keine andere Haltung mehr als die soldatische. In den sechs Friedensjahren des Dritten Reichs war intensiv und extensiv in der HJ daran gearbeitet worden, den ‚soldatischen Typus‘ zu züchten.“49 Eine von außen erwirkte Kriegsbegeisterung der Hitlerjugend war somit, wie bereits erwähnt, nicht nötig, da das NS- System schon im Laufe der Ausbildung mit auf kriegslagermäßige Zustände und dem dazugehörigen Dienst und den Wehrertüchtigungslagern schon dafür gesorgt hatte.50 Schubert-Weiler hält zudem fest, dass auf Grund dessen „[d]er Schritt in den Krieg [...] kein Schritt in etwas ganz anderes [war], womöglich noch Befreiendes, wie das manchen enthusiastischen Patrioten, gerade auch in der Jugend, 1914 erschienen war.“51 Zudem wurde der Krieg von den Angehörigen der Hitlerjugend  anfänglich  als Fortsetzung des Dienstalltages mit geringfügig veränderten Mitteln angesehen. Die gesamten bisher absolvierten Dienste und sozialen sowie allgemeinen Arbeiten in der Hitlerjugend hatten somit nur der Kriegsvorbereitung gedient  mit dem Kriegsbeginn bekamen diese jedoch „einen Sinn“.52

47 Schubert-Weller, Hitlerjugend. Vom „Jungsturm Adolf Hitler“ zur Staatsjugend, S. 207. 48 Fritz Steiner, Hitler-Jugend und Bund Deutscher Mädel im Gau Tirol-Vorarlberg, in: Tirol zwischen Diktatur und Demokratie (1930-1950). Beiträge für Rolf Steininger zum 60. Geburtstag, Innsbruck 2002, S. 55-76, hier S. 66. 49 Schubert-Weller, Hitlerjugend. Vom „Jungsturm Adolf Hitler“ zur Staatsjugend, S. 207. 50 Ebd., S. 198. 51 Ebd., S. 198. 52 Ebd., S. 198. 15

2.2 Von der Hitlerjugend in die deutschen Streitkräfte

Eine Woche nach der  aus deutscher Sicht  Niederlage von Stalingrad wurden auf Axmanns und Görings Weisung, 15 bis 17-jährige Oberstufenschüler als Flakhelfer rekrutiert. Unter der Obhut der Hitlerjungend, welche auch aus diesen Schülern zusammengesetzt war, sollten die Lehrer die Schüler, wenn nicht übend oder im Einsatz in der Fliegerabwehr stehend, neben ihren zugewiesenen FLAK-Batterien und Bunkern 18 Stunden pro Woche unterrichten. Jungendliche aus Berufsschulen waren bis zum Jahr 1944 vom Flakhelferdienst freigestellt. Nach dem zeitlich nicht näher definierten Dienst sollten die Flakhelfer in den Reichsarbeitsdienst (RAD) und in weiterer Folge zu den deutschen Streitkräften weitergereicht werden. Die ermüdenden HJ-Wehrertüchtigungslager wurden bei diesem Ausbildungsgang den Hitlerjungen an der FLAK und im RAD erlassen. Im Dienst des „Dritten Reiches“ standen auf diese Weise von den Anfangsmonaten des Jahres 1943 bis zu Kriegsende im Mai 1945 circa 200.000 Jungendliche. Um aus Kindern die jüngsten Soldaten des Zweiten Weltkrieges zu formen, wurden diese von der Luftwaffe ab Februar 1943 für einen Monat an der Kanone ihrer Flakbatterien geschult, bevor diese postwendend in den Einsatz geschickt wurden. Die zugewiesenen Batterien befanden sich anfänglich größtenteils in der Nähe des Heimatortes, der Schule oder deren HJ-Kommandos. Erst ab dem Jahreswechsel 1944/1945 wurden die Flakhelfer willkürlich an Orte wo je nach militärischer Lage deren Einsatz oder die Errichtung neuer Flakbatterien benötigt wurde, versandt.53 Oftmals erfuhren die Flakhelfer auch bis zu vier oder mehr Versetzungen im Jahr.54 Als militärische Ausbilder fungierten Unteroffiziere, welche die Jungendlichen in der Handhabung der Kanone selbst  laden, abfeuern und Zielerkennung mittels Radar  sowie im Umgang mit den verschiedensten Kalibern  vom 2,2 cm bis zum schweren 12,8 cm Geschütz  schulten und auch im Gefecht an deren Seite kämpften.55 In Bezug auf Kater kamen „[...] bei dem im Februar 1943 beginnenden Flakhelferprojekt [...] erstmals in der Geschichte des ‚Dritten Reiches‘ 15-Jährige als Soldaten zum Kampfeinsatz. Die Hilfestellung beim Abschuss feindlicher Flugzeuge wurde für die Heranwachsenden zu einer qualvollen Aufgabe, die bei ihnen psychische und physische Spuren hinterließ  ganz zu schweigen davon, dass hunderte von Jungen dabei umkamen und tausende verwundet wurden.“56

53 Kater, Hitler-Jugend, S. 169-170. 54 Koch, Geschichte der Hitlerjugend, S. 359. 55 Kater, Hitler-Jugend, S. 169-170. 56 Ebd., S. 170-171. 16

Obwohl die Flakhelfer erbittert ihre Kampfaufträge erfüllten, war die alliierte Lufthoheit den deutschen Batterien von Anfang an weitaus überlegen. Die Dimension der Verluste glich im Mai 1945 einer Tragödie.57 Nicht nur die hohe Ineffektivität des Abwehrfeuers gegen feindliche Flugzeuge sondern auch die eigene Lage, hin und hergerissen zwischen der Hitlerjungend und der Wehrmacht zu sein, kompromittierte die Position der Jugendlichen. Einerseits waren sie den Fängen der Hitlerjugend entglitten, ohne jedoch im Gegenzug vollwertig in die Streitkräfte eingegliedert worden zu sein. Andererseits wurde hierbei wegen dieser anomalen Situation das Selbstvertrauen der „Kindersoldaten“ vermindert, was zur Folge hatte, dass diese sich in überschwänglicher Pflichterfüllung zu beweisen suchten.58 Kater kontrastiert in weiterer Folge, dass „[...] dadurch die Autorität der HJ als nationaler [sic!] Jugendorganisation gegen Kriegsende weiter belastet, und die Wehrmacht [...] dafür verantwortlich gemacht [wurde], die jüngsten Soldaten des Oberbefehlshaber Adolf Hitler nicht richtig integriert zu haben.“59 Bei einer Beorderung zum Flakhelferdienst waren die Jungendlichen demnach stolz darauf, das Odium der als jungenhaft assoziierten Hitlerjugend abzuwerfen und ihr eigenes Schicksal als „Männer“ in die Hände der Wehrmacht zu legen und somit dem „Dritten Reich“ einen dementsprechenden Dienst leisten zu können.60 Das NS-Regime zwang die Jugendlichen förmlich zum Heranwachsen und einem Pseudo- Erwachsenendasein. Dabei war der Aufstieg aus der Hitlerjugend zum Flakhelfer ein erwünschter Folgeschritt. Für die Jugendlichen war dies nämlich eine willkommene Option, die Systematik des Heranwachsens zu umgehen und schon in diesem frühen Status eine bedeutende Rolle im NS-Machtgefüge zu spielen. Jedoch war die Phase vom Jungendlichen zum Erwachsenen mit diesem künstlichen Zwang des Systems für die „Kindersoldaten“ für immer verwirkt. Besonders prägend für die Flakhelfer waren in deren Grundausbildung die mehrwöchigen Übungen und der Drill, den die jungen Soldaten schon in abgeänderter Form bereits aus der Hitlerjugend kannten, der jedoch wiederum beim Frontdienst in den Reihen der Wehrmacht wie auch beim RAD in weiterer Folge Anwendung fand. Zudem wirkte der Umstand für die Flakhelfer beschämend, dass die Uniformen der Wehrmacht, die diese tragen mussten, nicht für Jugendliche ausgelegt waren und deren Köpfe oftmals im Stahlhelm verschwanden, schlechten Halt in den Wehrmachtsstiefeln hatten, die langen Unterhosen

57 Kater, Hitler-Jugend, S. 171. 58 Ebd., S. 172. 59 Ebd., S. 172. 60 Ebd., S. 172. 17

überall herausragten und auf Grund dessen viele der Flakhelfer sich nicht angemessen adjustieren konnten und lächerlich aussahen.61 Zudem wandelte der Flakhelferdienst die kollektive Persönlichkeit der eingeteilten Jungen. Während dieser Zeit spalteten die Veränderungen der Umfeldbedingungen die Jugendlichen von ihren gewohnten Autoritätspersonen und Altersgenossen sowie deren sozialer Umgebung. Dennoch wurde gleichzeitig keine Verschmelzung mit der angestrebten neuen Gesellschaftsschicht des Soldatentums, in der diese gerne integriert sein wollten, begangen. Auf Grund dessen entwickelte sich so ein neues der Gruppe der Falkhelfer zugeordnetes Identitätsgefühl.62 Laut Kater „[...] verwandelten sich [dabei] negative, von Selbstzweifeln bestimmte Empfindungen und die enorme Angst vor einem plötzlichen Tod in die subjektive Überzeugung, Teil einer Elite zu sein.“63 Die Flakhelfer fühlten sich so der Hitlerjugend entwachsen, bekamen jedoch eine ungenügende Schulausbildung und wurden zudem nicht als vollwertige Angehörige der deutschen Streitkräfte angenommen. Jedoch erfuhr die vormalige Ausbildung in der Hitlerjugend, deren Leitsätze und Drill an den Flakbatterien im Einsatz praktische Anwendung. Für die Jugendlichen war somit nicht die ideologische Frage bezüglich Flakhelferdienst oder Hitlerjugend ausschlaggebend, sondern der eigene Status des Erwachsenendaseins und -werdens.64 Denn die Frage nach dem Kriegseinsatz selbst „[...] bestärkte die meisten von ihnen in der Ansicht, dass es gerechtfertigt war, für Adolf Hitler und sein ‚Drittes Reich‘ Krieg zu führen.“65

2.3 Die „Verführung“ der Jugendlichen durch die SS Ein Faktum, welches zwischen dem ungehinderten Übergang der Hitlerjungen in die Wehrmacht stand, war die Organisation der Schutzstaffel (SS). Deren militärisch-bewaffneter Verband  genannt Waffen-SS  wurde bereits im August 1938 aufgestellt. Dieser militärische Flügel war, verglichen mit der Wehrmacht, eigenständig, institutionell und vor allem ideologisch dem „Reichsführer SS“, Heinrich Himmler, unterstellt. Für die Erreichung der Sollstärke der Waffen-SS Einheiten wurden routinemäßig aus den SS- Totenkopfverbänden, der Allgemeinen SS, der Polizei sowie auch Freiwilligen der Hitlerjungend rekrutiert.66 Laut Kater fühlten sich die Jugendlichen besonders „[...] zur SS hingezogen, weil die SS-Männer als ‚hart‘ galten, eine gutgeschnittene Uniform trugen, als

61 Kater, Hitler-Jugend, S. 173. 62 Ebd., S. 176. 63 Ebd., S. 176. 64 Ebd., S. 177. 65 Ebd., S. 177. 66 Ebd., S. 177. 18

Hitlers Prätorianergarde bei allen Parteikadern besonderes Ansehen genossen und persönlich die Ideologie und Überlegenheit des Nationalsozialismus verkörperten.“67 Überdies beanspruchte die SS „[...] die Elite der erneuerten deutschen Nation zu sein, und wurde als solche von vielen Jugendlichen verehrt.“68 Ab dem Beginn des Krieges im September 1939 steigerte sich die Reputation und das Ansehen der Waffen-SS, in dem deren Angehörige strenge Ordnung und Disziplin an den Tag legten, sowie einem Kampfeinsatz mit findiger und unverwüstlicher Einstellung gegenüberstanden und dieses Bild auch noch durch deren anscheinend voll überlegenen und vollmotorisierten Verbänden gesteigert wurde. Zum Vorteil der Waffen-SS erwies sich auch die Gegebenheit, dass innerhalb der eigenen Verbandsstrukturen und des Offizierskorps die soziale Klassenzugehörigkeit viel weniger Beachtung erfuhr als in den Reihen der Wehrmacht und deren traditionellen Waffengattungen. Zu Gunsten der Waffen-SS entwickelte sich zudem der Umstand, dass jene fanatischen Hitlerjungen, die von der rassischen Ideologie der ‚Herrenrasse‘ verblendet worden waren und sich der damit verbundenen vermeintlichen maskulinen Bedeutung des Schutzes zentraler Werte des „Dritten Reiches“ verschrieben hatten, am meisten von der Waffen-SS fasziniert und ließen sich  in deren Augen als nächsten natürlichen Schritt zum Abschluss eines erfolgreich durchlaufenen Hitlerjugend-Dienstes  zum Eintritt in deren Reihen, hinreißen.69 Die Idealvorstellung von Himmler bezüglich der Rekrutierung von Hitlerjungen war, dass ab dem Jahr 1938 alljährlich die Elite unter den 18-jährigen Abgängern der Hitlerjugend als Freiwillige der Waffen-SS beitreten sollte. Untermauert wurde dieses Bild zudem von der Tatsache, dass bereits ab 1933, und im Besonderen nach der Aufstellung des HJ- Streifendienstes (SRD) 1934, zwischen Hitlerjugend und SS gute Beziehungen bereits vorhanden waren. Obwohl der damalige Reichjugendführer Axmann den obersten SS-Führern Himmler und Heydrich wohl gesonnen war, sollte sich jedoch zeigen, dass die geplanten Rekrutierungsvorhaben der Waffen-SS, vor allem bei schon älteren Hitlerjungen, die besonders für die Waffen-SS geeignet schienen, an bereits vorhandene Grenzen stießen. Diese Grenzen entsprangen einerseits dem Umstand, dass im Gegensatz zu den traditionellen Waffengattungen der Wehrmacht, denen vom Oberkommando eine offizielle Rekrutierungsquote zuerkannt worden war, die Waffen-SS trotz aller Bemühungen gesetzlich benachteiligt war. Die Verteilung von Wehrpflichtigen und Freiwilligen belief sich bis zum Jahr 1942  etwaige jährliche Schwankungsbreiten vernachlässigt  auf Heer, Luftwaffe und

67 Kater, Hitler-Jugend, S. 177. 68 Ebd., S. 177. 69 Ebd., S. 177. 19

Kriegsmarine im Verhältnis 66 zu 25 zu 9. Hierbei wurde die Waffen-SS, welcher die Wehrmachtsführung immer von deren Ursprung an mit zweifelhafter Skepsis gesonnen war, als zu klein angesehen, um in der Verteilungssystematik der Wehrmacht integriert zu werden. Andererseits hatte jedoch Hitler selbst versprochen, ein paar bewaffnete militärische Divisionen aufzustellen und sowohl die Feinheiten der SS als auch der Wehrmacht zu übertragen.70 Laut Kater „[...] hatte der ‚Führer‘ wieder einmal dafür gesorgt, dass eine potentielle chaotische Situation letztlich nur von ihm zu klären war.“71 Im Endeffekt bedeutete dies, dass es Himmler gestattet war, ein großzügig angelegtes Kontingent von der Allgemeinen SS für die Zwecke der Waffen-SS zu rekrutieren, jedoch die Anzahl von Freiwilligen, die bei anderen Einheiten verfügbar waren oder wurden, für die Waffen-SS eingeschränkt war. Auf Grund dessen besaß die Wehrmacht bis zum Sommer des Jahres 1942 ein Rekrutierungsmonopol, bis Himmler die Freigabe erhielt, auch Wehrpflichtige in die Waffen-SS übernehmen zu dürfen, da Hitlers Kalkül ab diesem Zeitpunkt war, den Streitkräften vermehrt jüngere Soldaten zuzuführen. Jedoch hatte die Wehrmacht seit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im Jahr 1935, bereits 1938, verglichen mit der Waffen-SS in Bezug auf einsatzbereite Kampfverbände, einen entscheidenden Vorsprung von mehr als drei Jahren.72 Die Hitlerjugend, die wie auch die SS von der NSDAP aufgestellt wurde, jedoch nicht das Gros ihrer Angehörigen dazu bringen konnte, eher in die Waffen-SS als in die Wehrmacht einzutreten, wirft, laut Kater „[...] ein bezeichnendes Licht auf die Hitler-Jugend als dem primären Vermittler nationalsozialistischer Ideologie.“73 Des Weiteren neigten viele gewöhnliche Mitglieder und HJ-Führer „[...] im Gegensatz zu ihren enthusiastischen Kameraden dazu, Himmlers revolutionärem Korps aus dem Weg zu gehen und sich, wenn sie die Wahl hatten, lieber für das Heer, die Luftwaffe oder die Marine zu entscheiden.“74 Diese Tendenz wurde vom Jahr 1938 bis zum Ende des „Dritten Reichs“ im Mai 1945 beibehalten. Bis hin zu den damaligen präsenten Grenzen der Rekrutierung, versuchte die Waffen-SS mit Vehemenz und den guten Kontakten zu Axmann, ein großes Kontingent an Hitlerjungen für sich zu gewinnen und diese den Fängen der Wehrmacht zu entreißen. Anfänglich wurde geplant, ehemalige Angehörige des SRD  dahingestellt, ob erst nach einiger Zeit in der Allgemeinen SS oder nicht  zum „freiwilligen“ Eintritt zu bewegen, falls nur genügend Druckmittel angewendet werden würden. Größtenteils war jedoch der Fall, dass sich diese

70 Kater, Hitler-Jugend, S. 178. 71 Ebd., S. 178. 72 Ebd., S. 178-179. 73 Ebd., S. 179. 74 Ebd., S. 179. 20 bereits von der SS respektierten Jungen sich der Aufgabe nicht mächtig fühlten, in die Waffen-SS einzutreten. Das mit dem Begriff der Waffen-SS immer mitschwingende Odium einer elitären, körperlich harten und weltanschaulich unerbittlichen Einheit anzugehören, bewirkte, dass sich die Jugendlichen den als Alternative wirkenden, weniger belastenden und risikoloseren Dienst in der Wehrmacht bevorzugt zuwandten. Nichtsdestotrotz gab es auch Hitlerjungen der „ersten Stunde“ aus dem SRD oder der allgemeinen Hitlerjugend, die sich der Waffen-SS ohne zu zögern verpflichteten.75 Jene ehemaligen Hitlerjungen, die nun in den Reihen der Waffen-SS kämpften, schilderten im Heimaturlaub oft ihre Erfahrungen. Beispielsweise sprachen diese von einer übermäßigen Härte in der Ausbildung im Gegensatz zur Wehrmacht, ständigem Druck, sich der Kirche zu widersagen, sowie der aktiven Teilnahme oder Bezeugung von Gräueltaten im Feld gegen Partisanen, Juden oder Kriegsgefangene, was wiederum deren jüngere Kameraden von einem Eintritt in diesen vermeintlichen „Eliteverband“ abschreckte. Zudem blieben auch den Hitlerjungen die höheren Ausfälle und Verluste der Waffen-SS Divisionen nicht verborgen.76 Laut Kater gab es „[z]war viele, die von ihr fasziniert waren, andere jedoch wurden schon allein von der Blutgruppentätowierung abgestoßen, die jeder SS-Mann nahe der Achselhöhle erhielt, denn sie sahen darin ein Brandmal, das sie als Angehörige einer verschworenen Gruppe ausweisen würde  einer Gruppe mit zweifelhaftem Nimbus.“77 Um diesem Faktum der negativen Berichterstattung von der Front entgegenzuwirken, welches die Begeisterung von potentiellen SS-Anwärtern dämpfte, wurde von den Rekrutierern der Waffen-SS eine Taktik von Druck und gleichzeitiger Schmeichelei  in Form von Komplimenten über das eigene Aussehen  ausgeübt, um die Hitlerjungen zur freiwilligen Verpflichtung zu veranlassen. Zudem wurde die in den Wehrmachtskreisen kritisiert „kategorische Aufforderung zur freiwilligen Meldung“ von den Waffen-SS-Werbern angewandt, in welcher die Hitlerjungen von ihrer HJ-Führung an einem Ort zum Dienst einberufen wurden und nichts ahnend dort auf SS-Rekrutierer trafen.78 Erst mit den Personalengpässen in den Monaten und Wochen vor dem Fall von Stalingrad in positiver Korrelation mit den militärischen Erfolgen und der Vehemenz des unerbittlichen Einsatzes der Waffen-SS im Kampf, welche Hitler imponierte und bei den Waffen-SS Verbänden stets praktiziert wurde, genehmigte Hitler schlussendlich, dass der „Reichsführer SS“ zum eigenen Vorteil die festgeschriebene Rekrutierungsquote ändern könnte. Somit war

75 Kater, Hitler-Jugend, S. 179. 76 Ebd., S. 179. 77 Ebd., S. 179. 78 Ebd., S. 180. 21 der Waffen-SS das Tor geöffnet, ihre veranschlagten Kontingente mittels Einberufungen von Wehrpflichtigen aufzufüllen. Hitler achtete bei seinem Befehl jedoch darauf, nicht gegen die Wehrmacht zu opponieren, denn Himmler bezog die Wehrpflichtigen nicht aus dem Deutschen Reich selbst, sondern bediente sich anfänglich bei den so genannten „Volksdeutschen“ aus dem Balkan.79 Von den „innerdeutschen“ SS-Anwärtern, die primär von den 120 bestehenden und den 40 von der SS geführten Wehrertüchtigungslagern stammten, mussten ironischer Weise eine große Anzahl vom Eintritt in die Waffen-SS ausgeschlossen werden, da diese den elitären „Rassennormen“ von Himmler nicht erfüllten. Viele wurden abgelehnt, da sie beispielsweise nicht die richtige Größe hatten, oder ihre Schädelmaße nicht der Vorstellung eines Waffen-SS Soldaten entsprachen. Mit dem Fall von Stalingrad bekam Himmler die nächste Chance, die Kontingente der Waffen-SS zu füllen, da von Hitler die strengen „innerdeutschen“ Rekrutierungsmaßstäbe der SS entschärft wurden. Jedoch war dies nur ein stillschweigendes Übereinkommen zwischen Hitler und dem „Reichsführer SS“, denn es wurde keine offizielle SS-Einberufungsverordnung erlassen. Auf Grund dessen blieb wiederum nur die Taktik von „Zuckerbrot und Peitsche“, wobei jene Rekruten die ihre Verpflichtung auf Grund von Druck durch die SS unterzeichnet hatten, sich als psychisch und physisch ungeeignet erwiesen. Viele dieser Jugendlichen verweigerten beispielsweise den christlichen Glauben auf Befehl zu widersagen und Himmler interpretierte dieses Verhalten als ängstlich und verwies deren „Schwächen“ auf die Ausbildung in der Hitlerjugend.80 Laut Kater blieb somit „[d]en Rattenfängern der Waffen-SS [...] bis zum Frühjahr 1945 jedoch nichts anderes übrig, als im gesamten Zuständigkeitsbereich der HJ-Führung weiterhin diese scheußliche Mischung aus Überredung und Terror zur Anwendung zu bringen.“81

2.4 Die Panzerdivision „Hitlerjugend“ Im Zusammenspiel mit der Hitlerjugend in der Person von Reichjugendführer Axmann, konnte die Waffen-SS jedoch einen für sie entscheidenden Triumph verzeichnen, nämlich die Aufstellung einer neuen Panzerdivision, die  wenn auch der Verband verdammt war, nicht lange zu bestehen  fast nur aus Hitlerjungen zusammengesetzt wurde.82 Koch kontrastiert, dass „[i]m Zuge der Mobilisierung für den ‚totalen Krieg‘ [...] der Gedanke auf[kam], eine

79 Kater, Hitler-Jugend, S. 180. 80 Ebd., S. 181. 81 Ebd., S. 181. 82 Ebd., S. 181-182. 22 besondere Division der Hitler-Jugend innerhalb der Waffen-SS zu schaffen [...].“83 Hierzu wurde wiederum die Niederlage bei Stalingrad im Februar 1943, dieses Mal von Axmann, als Anlass genommen, bei Himmler und den zuständigen SS-Stellen vorzusprechen und erbrachte auf Grund seiner persönlichen militärischen Prestigeaufwertung den Vorschlag, eine HJ- Panzerdivision zu formieren. Axmanns Kalkül war, die Schwäche der Hitlerjungen für motorisierte Einheiten, die diese bis zu diesem Zeitpunkt nur aus der Ferne miterleben konnten, auszunutzen und deren kindlichen Spieltrieb für die militärischen Zwecke des „Dritten Reiches“ zu nutzen.84 Himmler, der wusste, im Geiste mit Hitler zu sein, fand Gefallen am Vorschlag Axmanns und ordnete an, den Panzerverband „Hitlerjugend“ nach dem Vorbild der als eine der ersten aufgestellten SS-Panzerdivisionen, der Panzerdivision „Leibstandarte Adolf Hitler“,  40.000 Soldaten mit einem 4.000 Soldaten starken Führungsstab  zu strukturieren. In der Organisationseinheit waren für die Aufstellung 30.000 Hitlerjungen ausgewählter Jahrgänge, kampferfahrenen Waffen-SS Soldaten aus anderen SS-Divisionen sowie Offizieren und Unteroffizieren der Wehrmacht die HJ-Erfahrung hatten, vorgesehen. Jedoch wurde bald sichtbar, dass es schwer möglich war, einerseits ein dermaßen großes Kontingent an Hitlerjungen aufzustellen und andererseits genügend Ausbilder zu stellen.85 Im Endeffekt wurde das Ausbildungskader für die Panzerdivision „Hitlerjugend“ aus den verbliebenen Truppenteilen der 1. SS-Panzerdivision „Leibstandarte Adolf Hitler (LAH)“ bezogen, die im Verbund mit der „Hitlerjugend-Panzergrenadierdivision“ das 1. SS-Panzer- Korps aufbieten sollten. Der SS-Verband „Leibstandarte Adolf Hitler“ hatte im Winter 1942/43 am Südflügel der Ostfront schwere Ausfälle zu verzeichnen. Entgegen ausdrücklichem Befehl von Hitler hatte sich die Division im Februar aus Charkow zurückgezogen und die Stadt im März wiederum in erbitterten Kämpfen zurückerobert. In weiterer Folge wurden die Teile „Leibstandarte“ aus der Ostfront herausgelöst und teilweise in der Nachwuchsschulung sowie zur Auffüllung anderer Truppenteile eingesetzt. Bei Kursk, im Rahmen der „Operation Zitadelle“, dem letzten Versuch die Initiative an der Ostfront wieder in deutsche Hände zu legen, fanden sich die Soldaten der 1. SS-Panzerdivision auf dem Schlachtfeld wieder.86 In Bezug auf die SS-Division „Hitlerjugend“ sollte die „Leibstandarte“ mit ihren noch vorhandenen Truppen-, Zug-, und Kompanieführern den Grundstock des neu aufzustellenden

83 Koch, Geschichte der Hitlerjugend, S. 364. 84 Kater, Hitler-Jugend, S. 181-182. 85 Ebd., S. 182. 86 Koch, Geschichte der Hitlerjugend, S. 365. 23

Verbandes bilden, jedoch kam durch den gravierenden Kadermangel der Umstand zu Tage, Zugführer bereits nach schneller Ausbildung zu Kompanieführern zu küren. Zudem wurden 50 Wehrmachtsoffiziere, die in den Anfängen HJ-Führer gewesen waren, der SS-Division dienstzugeteilt. Überdies wurden ehemalige Hitlerjungen aus den Wehrertüchtigungslagern rekrutiert, die eine außerordentliche „Eignung zu militärischer Führung“ an den Tag gelegt hatten und so für die Funktionen von Trupp-, und Zugführern geeignet schienen. Nach ihrer Grundausbildung wurden diese Auserwählten zu einem drei Monate angesetzten Führungslehrgang für Unteroffiziere nach Lauenburg zur Waffen-SS-Schule gesandt.87 Laut Koch hatten die Hitlerjungen, die den Führungslehrgang abschlossen, jedoch „[...] genau so wenig Kampferfahrung wie die, die sie befehligen sollten, sie versuchten diesen Mangel durch Todesverachtung und Tollkühnheit auszugleichen und erlitten dabei schwere Verluste.“88 Goebbels war anfänglich gegen die Deklarierung der 12. SS-Division mit dem Namen „Hitlerjugend“, da dieser befürchtete, dem „Feind“ neues anti-deutsches Propagandamaterial zu liefern. Goebbels Einwand wurde jedoch von Hitler abgeschmettert. Die offizielle Weisung zur Aufstellung der SS-Division „Hitlerjugend“ wurde am 24. Juni 1943 ausgegeben. Um die Reihen der Panzerdivision aufzufüllen, waren, wie bereits erwähnt, 17- und 18-jährige Hitlerjungen aus den Wehrertüchtigungslagern vorgesehen, wobei im Endeffekt auch 16-jährige und jüngere Hitlerjungen in der Division im Einsatz waren.89 Das vorgesehene Kalkül der NS-Führung in Bezug auf diese spezielle SS-Division war, laut der „[...] Hitler-Jugend-Parole für 1943 ‚Deutsche Jugend im Kriegseinsatz‘ [...] [diese] in die Tat um[zusetzen], denn die Hitler-Jugend-Division sollte, wenn sie sich bewährte, für weitere solcher Divisionen beispielgebend sein, besonders die Elitedivision ‚Großdeutschland‘ der Wehrmacht, die sich für den Einsatz größerer Kontingente von Jugendlichen eignete.“90

Dieses Vorhaben in Bezug auf die Wehrmacht wurde jedoch nie realisiert.91 Schlussendlich wurden in den von den SS-geführten Wehrertüchtigungslagern, beispielsweise in Beverloo in Belgien, die monatelange Ausbildung einer großen Anzahl von Jugendlichen betrieben.92 Dort trafen an die 10.000 Jugendlichen ein, die zum Großteil das siebzehnte Lebensjahr noch nicht überschritten und sich zudem nicht freiwillig für die SS-Panzerdivision gemeldet hatten. Ein Großteil hatte sich nämlich zuvor bei der U-Boot-Abteilung der Marine oder der Luftwaffe beworben, bei deren Einberufung zum Dienst waren diese jedoch in Kasernen der Waffen-SS

87 Koch, Geschichte der Hitlerjugend, S. 365. 88 Ebd., S. 365. 89 Ebd., S. 364. 90 Ebd., S. 364. 91 Ebd., S. 364. 92 Kater, Hitler-Jugend, S. 182. 24 aufgeschlagen. Andere wiederum, die schon eine Funktion im NS-Regime besaßen, wurden, wie schon beschrieben, bewusst unter Druck gesetzt, um sich als Freiwillige zur SS zu melden.93 In Bezug auf Koch spricht es „[...] immerhin für die Geschicklichkeit der Führung, daß es ihr sehr rasch gelang, die anfänglichen, durch diese Art der ‚Überredung‘ verursachten Übelstände zu überwinden und die jugendliche Division mit einem ausgeprägten Korpsgeist und einer kämpferischen Begeisterung zu beseelen, die sich ein Jahr später bei der Feuerprobe in der Normandie bewähren sollte.“94

Jedoch mangelte es der SS-Division kriegsbedingt an fronterfahrenen Unterführern und Führern. Um diesen Umstand auszumerzen, wurden, gemäß dem Leitsatz „Jugend führt die Jugend“, aus Teilen der Hitlerjugend selbst weiterhin in Schnellkursen Unteroffiziere hervorgebracht.95 Laut Schubert-Weller wurde „[d]er HJ-Grundsatz, daß Jugend durch Jugend geführt werden sollte, [...] so gewissermaßen auf das Geschäft des Krieges und der Kriegsführung übertragen  im Blick auf den Mangel an Kampf- und Fronterfahrung eine überaus heikle Sache.“96 Um dieses Faktum zu bereinigen, wurde bei der Vorbereitung bewusst die kämpferische Begeisterung der Panzerdivision „Hitlerjugend“ gefördert. Im Unterschied zu anderen SS-Divisionen erfuhren die Angehörigen der SS-Division „Hitlerjugend“ eine „jugendgemäße“ Ausbildung. Das Verhältnis zwischen Mannschaften und Offizieren wurde bewusst kameradschaftlich gehalten, außerdem gab es keinen Drill oder Stechschritt.97 Laut Koch war in „[...] Anbetracht des jugendlichen Alters der Rekruten [...] man der Ansicht, derartige Ausbildungsmethoden würden die Truppenmoral untergraben und entsprächen nicht der militärischen Lage und den bevorstehenden Kampfhandlungen.“98 Die Ausbildung der Hitlerjungen sowie die Strukturierung in ein Panzerregiment, zwei Infanterieregimenter, ein Artillerieregiment, ein Pionierbataillon, sowie ein Fliegerabwehr-, Panzerabwehr-, Späh- als auch Nachrichtentrupp erfolgte sofort, obwohl anfänglich nicht genügen Uniformen für die „Kindersoldaten“ vorhanden waren, um die gesamte Division ausrüsten zu können. Überdies hinaus waren im Kontingent des Panzerregiments, welches im Raum von Reims stationiert war, nur vier Panzer des Typs IV und vier Panzer vom Typ „Panther“, welche gegen den Befehl des OKH von der Ostfront abgezogen und nach

93 Koch, Geschichte der Hitlerjugend, S. 366. 94 Ebd., S. 366. 95 Schubert-Weller, Hitlerjugend. Vom „Jungsturm Adolf Hitler“ zur Staatsjugend, S. 211. 96 Ebd., S. 211. 97 Ebd., S. 211. 98 Koch, Geschichte der Hitlerjugend, S. 367. 25

Frankreich verlegt worden waren. Das Artillerieregiment hatte nur einige leichte Haubitzen im Stand.99 Erst mit der Gesamtverlegung der SS-Panzerdivision nach Hasselt in Belgien in den Wintermonaten 1943/1944 verbesserte sich die Materiallage der Division und so genannte „Feldübungen“  unter Aufsicht von Generalfeldmarschall von Rundstedt und Generaloberst Guderian  konnten getätigt werden, wobei die höhere militärische Führung sowohl den Wirkungsgrad der erst kurz zuvor aufgestellten SS-Division als auch deren Enthusiasmus besonders hervorhob. Das Schwergewicht der Ausbildung der Hitlerjungen wurde mit Lageeinspielungen geübt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit späteren Kampfeinsätzen ähnelten. Das Hauptaugenmerk dabei war, so realitätsnah wie möglich zu üben, wobei beispielsweise Gefechtsübungen standardmäßig mit scharfer Munition abgehalten wurden. Zudem wurde den Jugendlichen das richtige Tarnverhalten und die Verschlüsselung und Dechiffrierung von Funksprüchen  basierend auf der Expertise aus dem infanteristischen Kampf des Ostfeldzuges  gelehrt.100 Im Frühsommer 1944 wurden diese jungen Burschen an die „Westfront“ geschickt, um effektiv in das Kriegsgeschehen einzugreifen.101 Am 6. Juni 1944 bekam die SS- Panzerdivision „Hitlerjugend“ den Auftrag bei Caen den Kampf gegen die Westalliierten aufzunehmen. Bereits auf ihrem Marschweg in das 120 km entfernte Kampfgebiet war jedoch ihr Tross von schweren alliierten Luftangriffen unter Feuer genommen worden.102 Den ersten direkten „Feindkontakt“ mit den alliierten Streitkräften hatte die 12. SS-Panzerdivision „Hitlerjugend“ am 7. Juni 1944, als diese im Einsatz britischen, US-amerikanischen und kanadischen Sturmlandefahrzeugen gegenüberstanden. Die im Endeffekt 20.000 „Kindersoldaten“ vernichteten bei ihrem ersten Kampfeinsatz bereits 28 Panzer der kanadischen Einheiten.103 Die SS-Division selbst hatte hierbei nur sechs Panzerausfälle zu beklagen.104 In Retrospektive vermerkte ein ehemaliger Hitlerjunge der Panzerdivision: „Unsere Division hat sich tapfer geschlagen.“105 Koch kontrastiert, dass das Gefecht bei Caen, „[...] die erste Begegnung der Alliierten mit der Generation der Hitler-Jugend [war], einer Generation, fast ausschließlich im NS-Deutschland aufgewachsen. Ob sie damit

99 Koch, Geschichte der Hitlerjugend, S. 366-367. 100 Ebd., S. 367-368. 101 Kater, Hitler-Jugend, S. 182. 102 Koch, Geschichte der Hitlerjugend, S. 368. 103 Kater, Hitler-Jugend, S. 182. 104 Koch, Geschichte der Hitlerjugend, S. 368. 105 Rückblick über die Kämpfe der Panzerdivision Hitlerjugend von Klaus E. zit. in Lothar Steinbach, Ein Volk, ein Reich, ein Glaube? Ehemalige Nationalsozialisten und Zeitzeugen berichten über ihr Leben im Dritten Reich, Berlin 1983, S. 144. 26

‚fanatische Nazis‘ waren, ist unmöglich zu beurteilen; man darf aber nicht vergessen, daß sie einer Generation angehörten, deren Ansichten und Einstellung zum Feind durch das Erlebnis der alliierten Bombenoffensive auf die deutschen Städte bestimmt und beeinflußt war, einer Generation, von der Propaganda Dr. Goebbels‘ verführt, der man beigebracht hatte, die Alliierten wollten Deutschland nicht nur besiegen, sondern es zerstören und die Bevölkerung ausrotten  und die von den Bombenangriffen zerstörten Städte schienen diese Behauptung auch zu bestätigen.“ 106

Laut Albrich und Gisinger war zudem eine „[...] Diabolisierung der Alliierten und das Schreckgespenst einer deutschen Niederlage, die weit schlimmer sein würde als der Krieg selbst, [...] eines der letzten Propagandamotive des Krieges.“107 Der Fanatismus der Hitlerjungen reichte sogar so weit, dass auch bewusst das eigene Leben in Kampfeinsätzen, den so gennannten „Selbstmordkommandos“ aufs Spiel gesetzt wurde, die nicht einmal fronterprobte Wehrmachtssoldaten wagten, durchzuführen. Beispielsweise ließen sich die Hitlerjungen in ihrer Stellung von einem feindlichen Panzer überrollen, um diesen im Gegenzug von unten mit panzerbrechender Munition auszuschalten.108 Hierzu konstatiert Kater, dass selbst „[d]eutschen Kommandeuren wie Rommel und Heinz Guderian [...] die jungen Panzergrenadiere dadurch genauso viel Respekt [einflößten] wie ihren Feinden.“109 Dieser überschwängliche Fanatismus in Korrelation mit dem uneingeschränkten Glauben an sich selbst, ließ die „Kindersoldaten“ jedoch auch Kriegsverbrechen begehen, wie sich in weiterer Folge dieser Arbeit zeigen wird. Bezeichnend hierbei war das Faktum, dass die 16- bis 18-jährigen Hitlerjungen, die mit ihrer Panzerdivision im Kampfeinsatz standen, immer noch Kinder waren und statt wie die älteren Soldaten nicht Zigaretten, sondern Süßigkeiten bekamen.110 Koch schreibt hierzu, dass im Angesicht der Altersklassen der Hitlerjungen der SS-Division, „[...] die Jungen besondere Lebensmittelzuteilungen und bis zum achtzehnten Jahr Bezugskarten für Süßigkeiten statt Zigaretten [erhielten]  eine Bestimmung die den Betroffenen gar nicht gefiel und natürlich umgangen wurde.“111 Abschließend hält Koch fest, dass sie „[...] wohl zu jung [waren], um zu rauchen, aber alt genug, um zu sterben.“112 Mit jugendlichem Leichtsinn und dem Odium behaftet, einer SS-Division anzugehören, deren Reputation für mörderisch geführte Angriffe stand, kämpften die „Kindersoldaten“ so erbittert, dass bis Mitte Juli 1944 bereits über 3.000 von ihnen im Kampfeinsatz gefallen

106 Koch, Geschichte der Hitlerjugend, S. 368-369. 107 Thomas Albrich/Arno Gisinger, Im Bombenkrieg. Tirol und Vorarlberg 1943-1945 (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 8), Innsbruck 1992, S. 223. 108 Kater, Hitler-Jugend, S. 183. 109 Ebd., S. 183. 110 Ebd., S. 181-182. 111 Koch, Geschichte der Hitlerjugend, S. 368. 112 Ebd., S. 368. 27 waren und Axmann und Himmler sich hastig um einen Ausgleich der Verluste bemühen mussten.113 Somit hatte die SS-Division nach nur einem Monat Kampfeinsatz bereits 40% an Verwundeten und Vermissten, 20% an Gefallenen zu beklagen, sowie 50% an Panzern und Panzerkampfwagen verloren und auf Grund dessen mehr als die Hälfte ihrer Gesamtstärke an Mensch und Material eingebüßt.114 Diesbezüglich ging es laut Kater „[...] wenn es ernst wurde, [...] bei ihnen genau wie bei den Flakhelfern nicht um Spiel, sondern um echten Kampf.“115 Die Hitlerjungen wurden im Juli von der Normandie-Front abgezogen, jedoch bereits sechs Tage später wieder in den Kampfeinsatz geschickt, da die Kampflinie zwischen Vendes und Maltot zusammenzubrechen drohte.116 Die schwerste Niederlage, welche in weiterer Folge Ernüchterung bei den Überlebenden der 12. SS-Panzerdivision „Hitlerjugend“ nach den vielen Frontereignissen brachte, geschah für die Hitlerjungen selbst im so genannten „Kessel von Falaise“, wo diese fast vollständig aufgerieben wurden. Im September 1944 wurde die SS-Division unter unermüdlichen alliierten Angriffen aus der Luft zermürbt und von unüberwindbaren alliierten Verbänden, etwa 30 Kilometer im Süden der Stadt Caen, welche die Hitlerjungen am 9. Juli selbst zurückerobert hatten, eingekesselt. Die SS-Division wurde fast komplett vernichtet. Wenngleich ohne Panzerunterstützung schafften die wenigen überlebenden Teile einen Ausbruch aus dem Kessel.117 Als die geschlagenen Reste der SS- Panzerdivision „Hitlerjugend“ am 4. September 1944 bei deren Rückzug die Maas bei Yvoir überquerten, war die Division nur noch 600 Mann stark, hatte alle Panzer verloren und keine Munitionen mehr für ihre Artilleriegeschütze.118 Nach der Tragödie von Falaise bestand die SS-Division „Hitlerjugend“ jedoch weiter, deren Angehörige wurden jedoch  wie bei allen anderen Einheiten zu diesem Zeitpunkt im Krieg  aus den allerletzten Reserven von Menschenmaterial aufgefüllt. Mitte September waren die Reste der SS-Division nach Deutschland zurückgekehrt, wo diese postwendend neu ausgerüstet und für die Ardennenoffensive vorberietet wurden. Die Hitlerjungen standen im Raum der Bastogne wiederum gegen die Westalliierten im Kampfeinsatz und wurden im Februar 1945 an die Ostfront nach Ungarn verlegt, um am deutschen Angriff am Plattensee und der Wiedereroberung von Bukarest teilzunehmen.119 Manche der Falaise-Kämpfer wurden auch der 6. SS-Panzerarmee unter der Führung von SS-Oberstgruppenführer Sepp Dietrich

113 Kater, Hitler-Jugend, S. 182-183. 114 Koch, Geschichte der Hitlerjugend, S. 369. 115 Kater, Hitler-Jugend, S. 182. 116 Koch, Geschichte der Hitlerjugend, S. 369. 117 Kater, Hitler-Jugend, S. 183. 118 Koch, Geschichte der Hitlerjugend, S. 370. 119 Ebd., S. 370. 28 unterstellt, der mit seinen Verbänden in einem letzten aussichtslos-verzweifelten Versuch das „Dritte Reich“ vor dem unaufhaltsamen Untergang bewahren sollte.120

2.5 Das „letzte Aufgebot“ an „Kindersoldaten“ Im Angesicht des stetigen Rückzuges der deutschen Truppen an allen Fronten und der drohenden militärischen Niederlage wurde ab Jänner 1945 die Anwerbung von kampfeinsatztauglichen 15-jährigen Jugendlichen effektiv durch die Mithilfe spezieller Reichsarbeitsdienst-, Wehrertüchtigungs- und Hitlerjugendlager forciert und vollzogen. Bereits einen Monat später wurde auch der Einsatz von Ende des Jahres 1930 geborenen Kindern  die zu diesem Zeitpunkt 14 Jahre alt waren  eingeplant. Während zudem bei älteren Jugendlichen noch Divergenzen für den Dienst für das „Dritte Reich“ bezüglich Pflicht und Freiwilligkeit geherrscht hatten, verfügte Wilhelm Keitel, der Wehrmachtsstabschef von Hitler, am 3. März 1945, die Wehrpflicht für alle Jugendlichen, die in den Jahrgängen vor dem Jahr 1930 geboren waren. Hitlers Planungen sahen zudem vor, alle Angehörigen des Jahrganges von 1928 aus den Volkssturmverbänden direkt zu den Streitkräften an die Front zu verlegen und diese an den Hauptkampflinien einzusetzen  die so genannten „vordersten Linien“ lagen zu diesem Zeitpunkt schon recht nahe an den Städten des Reichsgebiets. Im Gegensatz sollten die jungen Jahrgänge von 1929/30 in Axmanns speziell geschaffenen Panzerabwehrdivisionen oder in Volkssturmbrigaden eingesetzt werden, die bei oder in direkt feindbedrohten deutschen Städten in Stellung waren.121 Kater schreibt diesbezüglich, dass „[g]egen Ende März [...] sich in jenen Brigaden häufig Jungen, die schon andernorts viel gekämpft hatten [wiederfanden]; sie waren erschöpft, teilweise auch verwundet und stellten das allerletzte Aufgebot dar.“122 Reichsjugendführer Axmann selbst, der nach Traudl Junge, Hitlers Sekretärin, „einer jener ergebenen Gläubigen, ein blinder Idealist“123 war, hielt sich während den Kämpfen „seiner“ Hitlerjungen an allen Fronten im noch sicheren „Führerbunker“ bei seinem „Führer“ auf.124 Im Angesicht des Damoklesschwertes über dem „Dritten Reich“ und einer sich abzeichnenden Niederlage, waren jene „Kindersoldaten“, die in der Endphase des Krieges noch unter Zwang für den Kriegsdienst einberufen wurden, desillusioniert, demoralisiert und in Todesangst, egal wie groß deren jugendliche Energie und Ehrgeiz noch zu sein vermochten. Im Endeffekt waren die Jugendlichen in einer verzweifelten Situation. Bei

120 Kater, Hitler-Jugend, S. 183. 121 Ebd., S. 188. 122 Ebd., S. 188. 123 Traudl Junge, Bis zur letzten Stunde. Hitlers Sekretärin erzählt ihr leben, München 2003, S. 189. 124 Kater, Hitler-Jugend, S. 191. 29 erbitterten Kampfeinsätzen hatten sie gesehen, wie in den eigenen Stellungen ihre Kameraden fielen und insgeheim hofften die Hitlerjungen nur, den Krieg selbst heil zu überstehen.125 In Bezug auf Kater war aus dem Zweiten Weltkrieg somit “[...] inzwischen genau jener Überlebenskampf geworden, den die politische Führung in ihren Reden immer beschworen hatte, und die Anforderungen dieser entscheidenden letzten Kriegsphase ließen die Jungen, die genau wie ihre älteren Kameraden immer wieder gesagt bekommen hatten, dass sie einmal als Krieger das Reich schützen würden, besonders fanatisch werden. 1945 waren sie noch zu jung, und die Lage im Reich im Allgemeinen und ihre eigene, potentiell hochgefährliche Situation im Besonderen analysieren zu können. Nach hastiger Einberufung und oberflächlicher militärischer Grundausbildung wurden diese Jungen von Führern in den Kampf geworfen, die von einem leichten Sieg redeten und Parolen von sich gaben, denen ältere und reifere Kameraden wohl mit viel mehr Skepsis begegnet wären.“126

1943 sollte das „Jahr der deutschen Jugend im Kriegseinsatz“ und 1944, in Bezug auf die Hitlerjugend, das „Jahr der Kriegsfreiwilligen“ werden.127

3. Die Kampfschauplätze der Hitlerjugend in den „Alpen und Donaureichsgauen“ Kampfschauplätze mit alliierten Truppen und der Hitlerjugend fanden nicht nur innerhalb der ursprünglichen Grenzen des „Dritten Reichs“ und dessen vormals besetzten Ländern statt, sondern auch auf dem Gebiet des ehemaligen Österreichs in den damaligen so genannten „Alpen- und Donaureichsgauen“. Wegen des leichteren geographischen Verständnisses werden bei der folgenden Rekonstruktion die Namen der heutigen Bundesländer Österreichs in der vorliegenden Arbeit verwendet. Gegen die „Rote Armee“ wurde somit im Burgenland, Wien, Niederösterreich und der Steiermark gefochten, gegen die „Westalliierten“ großteils in Oberösterreich, Vorarlberg und Tirol. Salzburg blieb von etwaigen „Abwehrkämpfen“ verschont und wurde kampflos übergeben.128

3.1 „Ostösterreich“ - Hitlerjungen im Kampf gegen die „Rote Armee“ Auch in der „Ostmark“ wurde vom NS-Regime der Versuch unternommen, die Rote Armee von den Grenzen zu stoppen. Hierzu wurden Verteidigungsstellungen errichtet, Panzergräben ausgehoben und der Volkssturm  wenngleich mit nur ungenügender Bewaffnung und Munition  mobilisiert. Die Zuführung von Kräften durch das Einziehen des Jahrganges von 1929 half jedoch auch nicht mehr.129

125 Kater, Hitler-Jugend, S. 192. 126 Ebd., S. 192. 127 Koch, Geschichte der Hitlerjugend, S. 351. 128 Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 71; S. 113; S. 116. 129 Ebd., S. 71. 30

Die letzte Offensive der deutschen Heeresgruppe „Süd-Ost“ startete am 6. März 1945 mit dem Ziel, die sowjetischen Einheiten zwischen der Drau, dem Plattensee und der Donau vernichtend zu schlagen. Eine Schlechtwetterperiode, welche Tauwetter und Schlamm hervorrief und besonders einen deutschen Panzereinsatz behinderte, in Verbindung mit der allgegenwärtigen schlechten Treibstofflage, ließ das deutsche Unternehmen scheitern. Noch bevor der deutsche Verband neu aufgestellt werden konnte, startete die Rote Armee am 16. März 1945 eine Gegenoffensive beiderseits des Plattensees, die so genannte „Operation Wien“, mit sieben bis acht schnellen Korps und 48 Schützendivisionen. Dem hatte die deutsche Generalität nur geringfügig etwas entgegenzusetzen. Beispielsweise betrug das Stärkeverhältnis in Bezug auf die deutsche und sowjetische Luftwaffe 1:6 oder 1:10. Wegen der schlechten Betriebsstofflage  sowjetische Truppen hatten durch gezielte Fliegerangriffe die ungarischen Raffinerien fast gänzlich zerstört  mussten deutsche Jäger- und Panzereinheiten lange auf Treibstoff warten oder konnten nicht mehr mit Treibstoff versorgt werden und waren auf Grund dessen gezwungen, deren mechanisierte Teile oft zurückzulassen oder sogar selbst zu sprengen. In einer Lagemeldung an General Guderian konstatiert General Wähler am 30 März 1945 den Zustand seiner Truppen und deren prekäre Situation in einem Fernschreiben. Er gab an, dass die 9. SS-Panzerdivision nur noch 30% ihres Fuhrparks besaß. Zudem hatte die 6. Armee am 21. März 140 Verwundete aufgenommen, von denen 70% Angehörige der Waffen-SS waren.130 Die militärische Führung versuchte die aussichtslose Lage durch befeuernde Worte an die Soldaten herumzureißen. Beispielhaft hierfür steht eben General Wähler, der Kommandant der deutsch-ungarischen Einheiten, der seine Soldaten trotz auswegloser Situation in den letzten Wochen des Krieges zum verbissenen Kampfeinsatz aufrief: „Jeder deutsche und ungarische Soldat muß sich darüber im Klaren sein, daß die Absichten des Feindes zunichte gemacht werden müssen! [...] Ich befehle daher: Es darf kein Schritt Boden kampflos aufgegeben werden. Entschlossener denn je wollen wir kämpfen und siegen!“131 Die deutschen Truppen waren jedoch von den „Abwehrkämpfen“ schon derart ausgelaugt, dass neben dem Mangel an militärischen SS-Kommandeuren (Offizieren) als Folge der Kämpfe gegen die Rote Armee eine totale Übermüdung herrschte. Der Kommandant der „SS- Leibstandarte Adolf Hitler“ berichtete beispielsweise, dass Angehörige der Waffen-SS beim Kampf um Veszprem in ihren Stellungen vor Erschöpfung eingeschlafen und dabei im

130 Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 71-72. 131 General Wähler, Militärarchiv Freiburg, RH 19V/63, zit. in Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 72. 31

Schützengraben von sowjetischen Soldaten erschlagen worden waren.132 Im Endeffekt wurden die deutschen Verbände von den Einheiten der Roten Armee überrannt. Am 31. März eroberte die Rote Armee die noch letzten verbliebenen Gebiete in Westungarn. Zudem liefen auch eigene, ganze ungarische Truppenteile als Folge der schnellen Eroberungen zu den sowjetischen Truppen über und stellten sich gegen die eigenen Truppen der Honvéd.133 Laut Holzträger war dies „[e]ine düstere Lage der Heeresgruppe Süd an diesem letzten Tag im Frühlingsmonat März. Zum Panzer-[,] Betriebsstoff-[,] und Munitionsmangel kam immer mehr die körperliche und seelische Erschöpfung der Truppe.“134 Die so genannte „Reichsschutzstellung“, „Grenzschutzstellung“ oder „Südostwall“ bezeichnete Abwehrlinie war schon bald von den Verbänden der Roten Armee niedergekämpft und überrannt worden. Seit September 1944 hatten Kräfte der SA, Hitlerjungend, circa 30.000 ungarische Juden und Kriegsgefangene am Ausbau gearbeitet, jedoch waren bei der Offensive der Roten Armee teilweise keine deutschen Einheiten in den Stellungen. Nur in südlicher Richtung der Mur wurde der Südostwall bis zum Kriegssende gehalten. Die zuvor deutsch besetzten Stellungen sollten mit Volkssturmeinheiten, die aus Landwirten aus Niederösterreich und dem Burgenland bestanden, besetzt werden. Diese Widerstandsnester waren jedoch bereits auf Befehl des Gauleiters von „Niederdonau“ oder auf Eigeninitiative schon vor dem Angriff der Roten Armee verlassen worden. Die Bauern wurden nämlich dringend zur Feldarbeit benötigt. Überdies kamen die operativen Volkssturmreservebataillone aus dem Raum Wiener Neustadt, Neunkirchen, Tulln, Krems, Steyr und Linz, welche die Landwirte ablösen sollten, zu spät an der Hauptkampflinie an. Auch die Kampfkraft der regulären deutschen Soldaten war nur noch gering vorhanden. Obwohl die Heeresgruppe Süd immer noch über ein Kontingent von 800.000 Mann verfügte, war zu diesem Zeitpunkt jedoch nur jeder achte ein Angehöriger einer Kampftruppe.135 Der „Südostwall“ war zudem auch der erste Kriegsschauplatz, bei dem zum ersten Mal während des Zweiten Weltkriegs Hitlerjungen auf österreichischem Boden, im Raabtal am 1. April 1945, im Kampfeinsatz standen.136 Buchinger konstatiert in seinem Werk „Das Ende des tausendjährigen Reiches 1945“: „Die Reichsschutzstellung wurde von den Russen an den meisten Stellen überrannt. Zur Verteidigung setzte man blutjunge Hitler-Buben ein.“137 Auch in der Geschichte der 3. Panzerdivision wurde festgehalten, dass „HJ-Verbände [...] zur

132 Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 72. 133 Ebd., S. 72-73. 134 Ebd., S. 73. 135 Ebd., S. 73. 136 Ebd., S. 73-74. 137 Josef Buchinger, Das Ende des Tausendjährigen Reiches 1945, Baden bei Wien 1955, Bd.1, S. 31, zit. in Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 73. 32

Sicherung und zur Schließung der Frontlücken eingesetzt worden [waren].“138 Oftmals waren es jedoch nicht selbstständig operierende HJ-Einheiten, die an die Front kamen, sondern Einheiten, die in die Regimenter der Waffen-SS und der Wehrmacht eingegliedert wurden. Der Wehrmachtssoldat Pauly schilderte eine solche Integration von Hitlerjungen an der Front: „Wir wurden im Februar 1945 am Plattensee bei Stuhlweißenburg an der Front eingesetzt...und für ein paar Tage in Ruhestellungen zurückgenommen. In unsere Stellungen wurden junge Bürschchen eingegliedert. Da unsere Unterkünfte nicht weit weg waren von der HKL (Hauptkampflinie), hörten wir bei nächtlichen Schießereien auch die Angstschreie der Kinder.“139

Beispielshaft für eine solche Eingliederung von Hitlerjungen in Österreich stehen auch die „Kindersoldaten“ des „HJ-Wehrertüchtigungslager“ aus Enns an der Enns und Kammer- Schörfing in Oberösterreich. Diese wurden in Niederösterreich und Ungarn gegen die Rote Armee eingesetzt, jedoch nicht als selbstständiger Verband, sondern in den Reihen der Waffen-SS oder der Wehrmacht.140 Nicht nur auf deutschem Reichsgebiet, sondern auch in Österreich stieß die Rote Armee rasant vor. Am 4. April 1945 standen die ersten sowjetischen Vorausabteilungen vor den Toren Wiens am Stadtrand und drei Tage später, am 7. April, am Stadtgürtel. Ab diesem Zeitpunkt begann die konzentrische Offensive auf Wien. Die sowjetische 4. Gardearmee, Teile des 3. mechanisierten Korps und der 9. Gardearmee setzten hierbei zum Sturm an. Der letzte deutsche Widerstand in Wien verebbte am 13. April 1945.141

3.1.1 Hitlerjugend im Kampf um die Steiermark Zusammen mit der 6. deutschen Armee und dem Volkssturm gelang es den Hitlerjungen, einen Durchbruch der sowjetischen Truppen in das Raabtal abzuwehren und auf Grund dessen einen Großteil der Steiermark wie auch die Hauptstadt Graz bis zur endgültigen Kapitulation zu halten.142 Beispielsweise vermeldete am 13. April 1945 die Gauleitung aus der steirischen Hauptstadt, dass „Jagdkommandos der Hitler-Jugend, [...] in vorbildlicher Tapferkeit hinter den Feindeslinien operieren, [...] [und] eine große Anzahl von Bolschewisten [vernichten].“143 Zudem spiegelt sich der Einsatz der Hitlerjungend-Einheiten in der Steiermark auch in einem Fernschreiben der Parteikanzlei aus München an das

138 Geschichte der 3. Panzerdivision, Berlin 1967, S. 475, zit. in Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 73-74. 139 Brief von Oberstudienrat Pauly, Privatarchiv Holzträger, zit. in Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 74. 140 Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 74. 141 Ebd., S. 74. 142 Ebd., S. 74-75. 143 Bundesarchiv Koblenz, Schumacher 243, zit. in Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 73-75. 33

Führerhauptquartier und Bormann am 16. April 1945 wider. In diesem wird festgehalten, dass die Hitlerjungen unter dem Kommando des Kreisleiters Meißl, sich „[...] im Nahkampf und Nachtkampf um Fürstenfeld hervorragend bewährt haben.“144 Der SS-Kriegsberichterstatter Jürgen Funck schilderte den fanatischen Einsatz der Hitlerjungen: „So flitzten Sie auf ihren Rädern die Straße entlang, Handgranaten in Koppel und die Panzerfaust am Fahrradrahmen befestigt. Werden feindliche Panzer im Anmarsch gemeldet, sind diese Jungen mit ihren Rädern und leichten Motorrädern schnell in dem ihnen heimatlich vertrauten Gelände am Einsatzort. Geschickt nutzen sie jede Deckung, und bald haben sie ihr Plätzchen gefunden, von dem aus 60 m - Schuß bestimmten Sitz. Während schon die ersten Kampfgruppen die Ausbildungslager verlassen, strömen neue Freiwillige zu den Meldestellen. Alle wollen dabei sein, wenn es darum geht, den Heimatboden zu verteidigen.“145

Im Gegensatz zu den Tiroler Hitlerjungen die im Kampfeinsatz standen, trugen die HJ- Verbände in Ostösterreich Uniformen der Wehrmannschaften, die am linken Ärmel die Binde des Deutschen Volkssturms und oberhalb dieser das Gebietsdreieck der Hitlerjugend angenäht hatten. Verpflegungs- und besoldungsmäßig waren die Hitlerjungen wie die Angehörigen des Volkssturms klassifiziert und deren Bewaffnung und Ausrüstung waren an die der Wehrmacht angelehnt. Als Hauptbewaffnung wurde die Panzerfaust mitgeführt.146 Für die Steiermark wurde, so Holzträger, „[w]o Not am Mann war, [...] auch HJ in den Kampf geworfen, so Anfang April 45 ein HJ-Verband in Stammstärke (rd. 600 Hitlerjungen), der besonders mit Panzerfäusten ausgerüstet war. Diese Einheit wurde fast vollständig aufgerieben.“147 Damit alle Hitlerjungen auch verbittert Kämpfen würden, visitierte der Gauleiter der Steiermark HJ-Wehrertüchtigungslager und verkündete in seinen Reden, dass die „Mächte der Finsternis und des Judentums“148 der Grund für den „gewaltigen Aufruhr gegen Deutschland“149 seien. Der Einsatz der steirischen Hitlerjugend erfuhr, beispielsweise in Fischbach, traurige Vergeltung durch sowjetische Kräfte. Zwei 15-jährige Hitlerjungen aus Hartberg wurden von Angehörigen der Roten Armee durch Genickschüsse getötet, da diese die in die Ortschaft einströmenden sowjetischen Soldaten nicht bemerkt hatten und den Preis nun zahlen mussten, auf der so genannten Schanz, die Pforte zum Mürztal selbst und den Weg zu der dort ansässigen Waffenindustrie blockiert zu haben. In Fürstenfeld verteidigte sich eine Einheit an

144 Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 75. 145 Ebd., S. 75-76. 146 Ebd., S. 76. 147 Ebd., S. 76. 148 Ebd., S. 76. 149 Ebd., S. 76. 34

Hitlerjungen vergebens. Sechs weitere Hitlerjungen, die nicht mehr rechtzeitig den Rückzug von der Schanz antreten konnten, wurden von sowjetischen Soldaten auf der Straße von Fischbach gefesselt und von Lastkraftwägen überfahren.150 Wie sich in weiterer Folge dieser Arbeit zeigen wird, ging auch in Tirol, beim Gefecht um Scharnitz, ein Gerücht über eine ähnliche Praktik der alliierten Soldaten um, welches jedoch von Holzträger widerlegt wird. Für das steirische Dorf Fischbach ist dies jedoch nicht der Fall. Selbst noch am 8. Mai 1945 wurden einströmende sowjetische Soldaten von Hitlerjungen beschossen. Überdies haben sogar nach Kriegsende und der offiziellen Kapitulation des „Dritten Reiches“ so genannte „Werwolfgruppen“ von steirischen Hitlerjungen in den Alpen noch Gegenwehr geleistet.151

3.1.2 Hitlerjugend im Kampf in Niederösterreich Nördlich der Donau wurden besonders schwere Kampfhandlungen ausgefochten. Die 8. deutsche Armee verteidigte das Gebiet gegen eine Übermacht an Rotarmisten und Rumänen, die vergebens versuchten, in den Raum Mistelbach einzubrechen. Die deutschen Verteidiger der Heeresgruppe Süd bewerkstelligten es jedoch, in den letzten drei Wochen des Zweiten Weltkrieges alle Angriffsbestrebungen der sowjetischen Verbände abzuwehren. In fast allen Kämpfen waren dabei Verbände der Hitlerjugend beteiligt.152 Südlich der Donau war es der Auftrag der 6. Panzerarmee, sowohl Wien als auch Niederösterreich zu verteidigen. Um die sowjetische Offensive auf Wien zu verhindern, wurden östlich und südlich von Wien HJ-Verbände im Raum Biedermannsdorf - Laxenburg - Achau - Himberg - Hennersdorf in erbitterte, tagelange Kampfeinsätze geworfen. Die Hitlerjungen des Wehrertüchtigungslagers Laxendorf standen beispielsweise in den Biedermannsdorfer Schottergruben im Einsatz. Die Hitlerjungen gingen zwar euphorisch  wie es die Ideologie von ihnen verlangte und es ihnen jahrelang eingetrichtert wurde  in den Kampfeinsatz, hatten jedoch nur eine geringe militärische Gefechtsausbildung hinter sich. Zudem war Munition nur kaum mehr vorhanden.153 Als die Munition zur Neige gegangen war und sich Hitlerjungen, die nicht selbstständig operierten, sondern einer SS-Einheit integriert worden waren, die Intention hatten sich abzusetzen, „schlug die SS, - die sie befehligte - mehrere Jungen nieder.“154

150 Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 76-77. 151 Ebd., S. 77. 152 Ebd., S. 75. 153 Ebd., S. 77. 154 Josef Buchinger, Das Ende des Tausendjährigen Reiches 1945, Baden bei Wien 1955, S. 40-41, zit. in Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 77. 35

In einem Brief an Holzträger schilderte der Bürgermeister von Biedermannsdorf die Kämpfe zwischen Hitlerjugend und Waffen-SS gegen die sowjetischen Truppen: „‚Am 5.4.45 fand in den Sand- und Schottergruben von Biedermannsdorf zwischen Russen und einhundertdreizehn jungen Soldaten (HJ) und Angehörigen der Waffen-SS ein Schusswechsel statt. Die Deutschen hißten nach einiger Zeit die deutsche Flagge. Als aber ein russischer Leutnant mit zwei russischen Soldaten und einer weißen Fahne auf die Deutschen zuging, eröffneten die Deutschen das Feuer und töteten die russische Abordnung. Daraufhin stürmten die Russen von allen Seiten auf die Deutschen zu. Es wurden alle Deutschen entweder erschossen oder mit dem Spaten erschlagen.‘“155

Auf dem Zeilerberg, den 16-jährige Hitlerjungen vehement verteidigten, spielte sich das selbe Szenario wie in Biedermannsdorf ab. Sowjetische Soldaten schlossen die Hitlerjungen von allen Seiten ein. Es wird gemutmaßt, dass diese „Kindersoldaten“ gefangen genommen und in weiterer Folge getötet wurden. Um eine eigenständig operative Einheit handelte es sich bei den HJ-Verbänden, welche die Eingänge zum Triestingtal und den Weg zum Triesting selbst gegen feindliches Eindringen deckten. 156 Da das II. SS-Panzerkorps das nördliche Donauufer um Korneuburg sicherte, bereitete sich die 8. Armee bei Mistelbach und Laa an der Thaya, im Bezirk Gänserndorf, für einen „Abwehrkampf“ vor. Die Rote Armee setzte bis zum Kriegsende gerade auf diese Kampflinie ihr Schwergewicht ein, um endgültig den Widerstand an diesem Frontabschnitt zu brechen. Am 13. April vermerkte der Wehrmachtssoldat und NS-Funktionär Ralf Roland Ringler über den Führeraufruf: „‚Die letzten Worte prägen sich ein: ‚Berlin bleibt deutsch, Wien wird wieder deutsch; Europa niemals russisch!‘ Im Kommentar wird gesagt, dies sei die Wende wie im Siebenjährigen Krieg. Diese Nachricht löste heftige Debatten aus, wilde Vermutungen tauchten wieder auf.‘“157

Zudem gelang der Durchbruch den sowjetischen Truppen nicht.158 Dieser „Triumph“ wurde sogar in der propagandistischen deutschen Wochenschau, im Wehrmachtsbericht vom 14. April 1945, eingebettet. Hierzu hatte im Raum Manhartsbrunn ein Bataillon der Wiener Hitlerjugend für die Dauer von drei Wochen erfolgreich die Pforte zum Münchistal, welches auf drei Seiten von Hügeln und Bergen begrenzt ist, versperrt.159 Zudem schilderte Ringler, der selbst mit den Hitlerjungen bei Manhartsbrunn im Kampfeinsatz stand, die Gefechte im Raum wie folgt:

155 Brief des Bürgermeisters von Biedermannsdorf, Privatarchiv Holzträger, zit. in Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 78. 156 Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 78. 157 Ringler, Illusionen einer Jugend, S. 191. 158 Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 78. 159 Ebd., S. 78. 36

„Der Gebietsführer versichert, es wäre auf alle Fälle nur ein kurzfristiger Auftrag. Bei Manhartsbrunn klaffte eine Lücke in der Front, die in diesen Stunden nur wir schließen könnten [...]. Im Laufe der letzten Tage sind wir bereits mit dem modernen automatischen Maschinenkarabiner 44 ausgerüstet worden. Im ganzen [sic!] stellen wir daher eine beachtliche Feuerkraft dar. Zusätzlich haben wir drei MG 42 und etwa 50 Panzerfäuste. Mit erfahrenen Soldaten bin ich gut ausgestattet, so daß auf sechs bis acht Jungen ein Alter Landser kommt. Das Selbstbewußtsein ist dadurch enorm gestiegen. Dann erfolgt der Abmarsch zu den befohlenen Stellungen östlich von Manhartsbrunn.“160

Die Dorfbewohner berichteten, dass die Hitlerjugend Züge entweder mit Drillich- oder HJ- Uniformen durch die Straßen marschierten, im Verbund mit Angehörigen der SS.161 Den Soldaten der Roten Armee war es zwar gelungen, das Dorf zu besetzen, jedoch vollbrachten es die Hitlerjungen, das Dorf Manhartsbrunn bis zum 18. Mai 1945 immer wieder zurück zu erobern.162 Am 14. April vermerkte der Wehrmachtssoldat zum Gefecht: „Offensichtlich haben sie [die Soldaten der Roten Armee] unsere Stellungen noch nicht erkannt, vielleicht vermuten sie auch niemanden hier, sonst wäre der Angriff sicher mit Granatwerfern und Artillerie vorbereitet worden. Panzer sind ebenfalls keine zu bemerken. Wenn mir keiner durchdreht, liegen die Chancen bei uns [...]“163

Der Pfarrchronist von Manhartsbrunn vermerkte, dass „am 18. April [...] die Zurückwerfung der SS-HJ“164 erfolgte. Auf dem Friedhof der Gemeinde sind drei gefallene Hitlerjungen aus diesen Kämpfen beerdigt. Die Verluste der sowjetischen Soldaten beliefen sich bis 15. April 1945 bereits auf 90 Mann. Diese Zahl stieg in Bezug auf die Chronik von Groß Ebersdorf in den Folgetagen noch an. Hierbei kann darauf geschlossen werden, dass die in der Pfarrchronik angegebenen drei gefallenen Hitlerjungen nicht die reellen Verluste des Gefechtes um Manhartsbrunn wiedergeben, sondern, da die Hitlerjungen den sowjetischen Soldaten die Verluste zugefügt hatten, mehr Tote „Kindersoldaten“ zu beklagen waren.165 Laut Holzträger sind „[n]ach dem, was über Befragungen festzustellen war, [...] die Kämpfe des Wiener HJ-Bataillons ‚Werwolf‘ mit äußerster Härte geführt worden.“166 Seit Manhartsbrunn verloren ging und dort sich eine Lücke auftat, wurde die Front, die am Bisamberg und bei Flandorf begann, immer mehr eingedrückt, so dass das 2. SS-Panzerkorps in Korneuburg drohte, eingeschlossen zu werden.167 Zudem setzte die Rote Armee ein zweites Mal an, die deutsche Verteidigung im Raum Kettlasbrunn - Blumenthal - Wilfersdorf zu

160 Ringler, Illusionen einer Jugend, S. 193. 161 Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 79. 162 Ebd., S. 78-79. 163 Ringler, Illusionen einer Jugend, S. 196. 164 Pfarrchronik Manhartsbrunn, zit. in Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 79. 165 Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 79. 166 Ebd., S. 79. 167 Ebd., S. 79. 37 werfen und das Gebiet einzunehmen. Hierbei wurde wiederum ein operatives Ziel in den Fokus der Angriffsbestrebungen gelegt. Der deutsche Widerstand im Norden von Wien sollte eingeschlossen und endgültig aufgerieben werden.168 Über die Gefechte auf den Verteidigungslinien vermerkte Karl Schilling: „‚Sonntag, den 15., und Montag den 16. April 1945 waren im Wald gegen Obersulz und Blumenthal schwere Gefechte. Die Deutschen (SS) haben vor dem Wald Schützengräben aufgezogen, und zwar mehrere Schützengräben hintereinander. In den ersten Schützengräben wurden die Hitlerjungen aufgestellt. Die Russen konnten den ersten Schützengraben überrennen, wurden aber vom Zweiten gestoppt. Kettlasbrunn (Bz. Mistelbach) wurde Kampfgebiet. Die Russen lagen im Wald, die Deutschen in der Ortschaft. Über acht Tagte dauerte der Kampf. In den letzten brachte die SS 40-50 Hitlerbuben, gab ihnen Gewehre mit 5-10 Patronen und führt sie gegen Abend in den Schützengraben, der vor dem Wald war. Die Russen überrannten die Buben und töteten sie.‘“169

Die Hitlerjungen, die zwei Züge mit einer Gesamtstärke von 80 Mann darstellten, waren nicht älter als 15-16 Jahre. Die Todesopfer auf deutscher Seite beliefen sich in Blumenthal auf 127 und Kettlasbrunn auf 114 gefallene Soldaten und Hitlerjungen.170

3.1.3 Hitlerjugend im Kampf um Wien Der auf Axmann gefolgte Reichsjugendführer Baldur von Schirach, der auch der frühere Gauleiter Wiens war, appellierte an seine Jungen der Hitlerjungend im Völkischen Beobachter vom 3. April 1945, an deren Sinn für Pflichterfüllung. Der Reichsjugendführer selbst war nur wenige Tage bei Flandorf, nördlich der Donau, und tauchte vor der Ankunft der sowjetischen Truppen in Tirol unter. Zuvor hatte Schirach befohlen, in Pressburg das HJ-Bataillon „Werwolf“ mit sechs bis sieben Kompanien zusammenzustellen und für den Kampfeinsatz auszubilden. Das Bataillon wurde jedoch nach Wien beordert, als die Rote Armee vor den Toren Pressburgs stand.171 Schirach schrieb hierzu, dass Gebietsführer Lauterbach, seine Unterführer und der Stabsführer gegen den Befehl protestierten. Diese „begehrten dagegen auf - sie wollten kämpfen.“172 Zudem gibt Schirach an, das HJ-Bataillon aus dem Kampfeinsatz bis nach Gmunden in Oberösterreich und somit aus dem direkten Kriegsgebiet befohlen zu haben  was jedoch nicht der Fall war.173 Die Hitlerjungen standen nämlich laut Rauchensteiner, im Raum Hütteldorf im Gefecht mit den Soldaten der Roten Armee: „Der Gegenangriff einer Einheit der ‚Hitlerjugend‘ (HJ) aus der Gegend von Hütteldorf in

168 Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 83. 169 Brief von Karl Schilling, Privatarchiv Holzträger, zit. in Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 84. 170 Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 84. 171 Ebd., S. 85. 172 Baldur von Schirach, Ich glaubte an Hitler, Hamburg 1967, S. 56. 173 Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 85. 38

Richtung Mariabrunn bremste örtlich das sowjetische Vordringen, ja es gelang sogar, über Mariabrunn hinaus vorzustoßen und die Sowjets geringfügig zurückzuwerfen.“174 Nach diesem lokalen Erfolg bekamen die Hitlerjungen des „Werwolf“-Bataillons den Auftrag, die Höhen im Norden Hütteldorfs zu sichern. Die Hitlerjungen waren für deren Kommandeure eine Art „Frontfeuerwehr“, die als Panzervernichtungstrupps variabel eingesetzt werden konnten. Diesen gelang es in der Folge auch, eine sowjetische Panzeroffensive, die gegen den Wiener Westbahnhof gerichtet gewesen war, zu stoppen und diese zum Rückzug zu bewegen. Die Frontline vom Nussdorfer Spitz am Donaukanal, verlaufend über den Kahlenbergplatz - Silbergasse - Billrothstraße bis zum Donaukanal im Norden der Friedensbrücke wurde von Hitlerjungen gehalten und hielt weiteren zwei sowjetischen Offensiven, am 9. April 1945, stand. Die Hitlerjungen traten jedoch auf Grund der drohenden gravierenden sowjetischen Übermacht den geordneten Rückzug über den Donaukanal an.175 Des Weiteren standen HJ-Jagdkommandos außerhalb der Befehlsgewalt des „Werwolf“- Bataillons im Kampfeinsatz in Wien. Beispielsweise wurden am Karmeliterkloster drei sowjetische Panzer von Hitlerjungen abgeschossen, welche zudem auch noch von 5. auf 6. April 1945 über acht Stunden erbitterten Widerstand gegen die Soldaten der Roten Armee am Rudolfinerhaus leisteten. Auch der Zentralfriedhof wurde von eigenständig operierenden Hitlerjungen gehalten, die auch selbst zum Angriff ansetzten. Ein HJ-Jagdkommando hatte eine Gesamtstärke von 60 Jugendlichen. Sechzehn dieser „Kindersoldaten“-Einheiten waren am 6. April 1945, über die ganze Kampfzone Wien verteilt, einsatzbereit.176 Zusammenfassend führt Holzträger aus, dass „[...] die Kampfeinsätze der Hitlerjugend an der Ostfront in Ostösterreich [...] besonders [jene] in der Steiermark aber auch in Wien und Niederösterreich nördlich der Donau die Hitler-Jugend nicht unwesentlich dazu beigetragen ha[ben], den Vormarsch der Sowjets zu verlangsamen und Durchbrüche zu vereiteln.“177

3.1.4 Der „Abwehrkampf“ um Oberösterreich Im Gegensatz zu den in weiterer Folge dieser Arbeit kontrastierten Gefechten in Vorarlberg und Tirol trugen sich zwischen Hitlerjugend-Einheiten und US-amerikanischen Soldaten mehrere Kämpfe zu. In Peilstein, beispielsweise, war der Auftrag von fünf Hitlerjungen, eine Panzersperre mit Panzerfäusten gegen die anrückenden US-Amerikaner zu verteidigen. Bei diesem Unternehmen fielen alle fünf „Kindersoldaten“ im Einsatz. Gerüchten zu Folge hatte

174 Manfried Rauchensteiner, Krieg in Österreich 1945 (= Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums Bd. 5), Wien 1970, S. 169. 175 Ebd., S. 85-86. 176 Ebd., S. 85-86. 177 Ebd., S. 86. 39 auch ein einarmiger deutscher Feldwebel, der Hitlerjungen kommandierte, mehrere US- amerikanische Panzer vernichtet. In Braunau am Inn bekam ein Stoßtrupp Hitlerjungen die Anordnung, das Geburtshaus Hitlers zu sprengen. Die US-amerikanischen Soldaten verwickelten den HJ-Stoßtrupp jedoch in ein Feuergefecht, wobei zwei der Hitlerjungen starben und der Hitlerjungen-Führer aus Ried im Innkreis, Hans Hellwanger, einen Bauchschuss erhielt und daraufhin Selbstmord beging.178 Noch am 4. Mai nachmittags griff die 25. Waffen-SS-Grenadierdivision „Hunyadi“, zusammen mit einer stärkeren Hitlerjugend-Kampftruppe, zwischen Timmelkam und Vöcklabruck die 80. US-Division an. Den Hitlerjungen gelang es, einen US-amerikanischen Panzer abzuschießen. Fünf Hitlerjungen sollen bei diesem Angriff ums Leben gekommen sein.179 Eines der letzten Gefechte der Hitlerjugend  wenn nicht das letzte Gefecht des Zweiten Weltkrieges mit „Kindersoldaten“  wurde um die damalige Kreisstadt, die heute Bezirksstadt Schärding am Inn von Angehörigen der Waffen-SS und Kontingenten der Hitlerjungend gegen US-amerikanische Truppen ausgetragen. Ein SS-Mann erschwerte mit Feuer aus dem Kirchturm den US-amerikanischen Soldaten das Übersetzen über den Inn und fügte diesen herbe Verluste bei. Nachdem der Brückenkopf geschlagen war und der Angehörige der SS durch einen Artillerietreffer auf das Stiegenhaus nicht mehr flüchten konnte wurde dieser gestellt, erschossen und mit einem Sack über den Kopf in den Inn geworfen. Letztendlich „verteidigten“ nur noch die Hitlerjungen auf der Brunnenwiese in Schärding. Diese fielen jedoch alle im „letzten“ Gefecht.180 Anfänglich war von der Parteiführung „Oberdonau“, dem früheren Oberösterreich, in Form des Gauleiters Eigruber, ein bis aufs Äußerster geführter Einsatz der Truppe sowie auch eine Totalmobilisierung der Zivilbevölkerung geplant. Zu dieser vorgesehenen Mobilmachung kam es jedoch nicht mehr, da einerseits Kriegsmaterial für einen etwaigen „Abwehrkampf“ fehlte und andererseits die Moral der deutschen Soldaten im Raum Oberösterreich nur noch in geringem Ausmaß vorhanden war. Zudem kam noch der Umstand, dass die Partei nicht mehr die Handlungskompetenz besaß, militärische Probleme zu lösen. Auf Grund dessen war es den alliierten Verbänden möglich, rasch Gebietsgewinne zu erzielen.181

178 Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 117. 179 Ebd., S. 117. 180 Ebd., S. 117. 181 Ebd., S. 113. 40

3.2 Kampfeinsatz der Hitlerjugend in Westösterreich Im Gegensatz zu den Kampfhandlungen im Osten Österreichs, wo laut Holträger oft „hart und erbarmungslos“182 gegen die Truppen der Roten Armee gefochten wurde, war Westösterreich fast ohne Widerstand von französischen und US-amerikanischen Einheiten erobert worden. Beispielhaft hierfür steht das Land Salzburg, das ohne Gegenwehr besetzt werden konnte. Nur vereinzelt kam es im Gau Tirol-Vorarlberg zu Scharmützeln und Gefechten, die sich jedoch  wie sich im weiteren Verlauf dieser Arbeit weisen wird  an der militärischen und menschenverachtenden Sinnlosigkeit dieser Gefechte in den letzten Kriegstagen, wie schon auch in Ostösterreich, nicht unterschieden haben. Aus bereits besetzten Gebieten des „Dritten Reiches“ stießen die 3. und 7. US-Armee aus dem Gebiet der Schwäbischen Alp in Marschrichtung der Alpen vor, gleichzeitig die 1. Französische Armee aus Baden-Württemberg. Alle drei alliierten Verbände trafen auf keine zusammenhängenden deutschen Verteidigungslinien mehr, da die 1. deutsche und 19. deutsche Armee, sowie die in Baden-Württemberg reorganisierte 24. Armee nur noch geringfügig in der Lage waren, einen „Abwehrkampf“ zu führen. Den neun an Kampfkraft, Munition, Sprit und Waffen mangelnden deutschen Truppen standen im Ganzen 30 vollmotorisierte alliierte Divisionen, inklusive Panzerdivisionen, gegenüber. Überdies war die deutsche Lufthoheit zu diesem Zeitpunkt bereits verloren und ein Großteil der deutschen Jäger am Boden beschädigt oder kampfunfähig. Durch die Planlosigkeit des Rückzuges hatte die deutsche Führung in diesem Gebiet zudem völlig den Überblick verloren. Mit den Gebietsgewinnen der alliierten Truppen summierten sich deren Gefangenenlager und nur wenigen versprengten deutschen Einheiten gelang es, sich bis in die Alpen zurückzuziehen.183 Im Alpengebiet selbst waren, wie bereits erwähnt, auf des Gauleiters Anordnung, einige Befestigungsanlagen erbaut worden. Jedoch mangelte es nicht nur an schweren Waffen und Truppen, sondern vor allem an solchen Soldaten, die überhaupt noch Willens waren, zu den Waffen zu greifen und Widerstand zu leisten. Der Volkssturm legte die Waffen nieder, sobald alliierte Soldaten vor dem Angriff standen und die wenigen zahlenmäßig weit unterlegenen Einheiten der Waffen-SS vermochten nicht, die Lage noch einmal zu wenden.184 Laut Holzträger konnte jedoch diesbezüglich „[v]on einer ‚Alpenfestung‘ [...] keine Rede“185 sein. Nichtsdestotrotz kam es sowohl in Vorarlberg als auch in Tirol zu letzten Gefechten, an denen

182 Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 113. 183 Ebd., S. 113-114. 184 Ebd., S. 114. 185 Ebd., S. 113. 41

Dutzende Tote und Verwundete zu verzeichnen waren, sowie „Kindersoldaten“ in Form der Hitlerjugend in die Kämpfe geführt wurden.186

3.2.1 HJ-Einsätze in Vorarlberg Im Kreise der Soldaten, die sich vom Bodenseeraum bis nach Vorarlberg zurückgezogen hatten, war auch eine Hitlerjugend Gruppe. Karl Norbert Lang, ein Offizier der Wehrmacht, beschrieb in seinem Tagebuch das Zusammentreffen mit fünfzehn Jungen der Hitlerjugend, die kaum 14 Jahre alt waren und von einem Feldwebel geführt wurden. Die Hitlerjungen kamen aus einem Kampfeinsatz, an der diese an zwei 2-cm Flakgeschützen in der Panzerabwehr eingesetzt worden waren und, nachdem ihre Munition verschossen war, nach Radolfzell verlegt wurden und nun auf eine Übersetzung über den Bodensee nach warteten.187 Der Wehrmachtsoffizier schilderte die Begegnung mit folgenden Worten: „Ich fragte den Jungen: ‚Habt ihr etwas gegessen? Habt ihr etwas zu essen?‘ Sie verneinten beides. Darauf sagte ich ‚wenn von unserm Kompanieessen etwas übrig bleibt, so sollt ihr es haben. Ihr geht auf den Schiffslandeplatz, rechts davon ist ein kleines Strandbad mit Sitzbänken, dort ruht ihr euch bis abends aus, und dorthin lasse ich euch etwas bringen.‘ Ich eilte also, so schnell ich konnte querfeldein in Richtung unserer Küche. Also, geschwinde warm machen, dann mit dem großen Topf und der großen Kelle mir nach! Jeder hatte gleich einen Schlag weg, und es begann ein eifriges Löffeln und Schmatzen. Die Freude jeder Mutter. Ich genoß dies an der Stelle der Mütter, ging die ganze Reihe ab. Aber mitten drin saß einer seitlich angelehnt ganz matt und aß nicht, er hatte auch nichts im Eßgeschirr. Ja, was ist denn los? Warum hast du nichts? Ich will nicht, sagte der kleine Mann. Ja warum denn nicht? Topf her und Kelle her? Der Koch war gleich da. Jetzt sagte der Junge: ‚Nein, nein, ich will nicht,‘ und hielt seine Hand auf das Eßgeschirr und sagte ganz ängstlich: ‘Nein, ich kann nicht!‘ Dem armen Kerl war das Entsetzen des Erlebten noch nicht aus der Seele gewichen. Da konnte ich freilich nicht helfen, daß muß die Zeit heilen.“188

Die Kinder der Hitlerjugend waren für einen definitiven Einsatz in Vorarlberg in die fixen Kampfplanungen, wie reguläre Truppen, berücksichtigt worden. Schelling konstatiert, dass „[v]on Lindau [...] eine Marscheinheit daher [kam], geführt von SS-Unteroffizieren, lauter junge Buben, der letzte Jahrgang [...] der Kinderstube, Vätern und Müttern entrissenes liebstes Gut, nun hilflos, ergeben, in ein unbestimmtes Schicksal geschleppt, Kanonenfutter.“189

186 Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 114. 187 Ebd., S. 114. 188 Tagebucheintrag Karl Norbert Lang, Privatarchiv Holzträger, zit. in Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler- Jugend, S. 114-115. 189 Georg Schelling, Festung Vorarlberg. Ein Bericht über das Kriegsgeschehen 1945 in unserem Lande, Bregenz 1947, S. 34 42

Beispielhaft für die sinnfreien Aufträge an die Kinder der Hitlerjugend stehen die verbrecherischen Befehle des HJ-Bannführers in Dornbirn. Zwei Untergebene bekamen den Befehl, bei den ersten Anzeichen eines Panzergeräusches das Lager mit 120 russischen Gefangenen mit zwei Panzerfäusten zu beschießen und zu vernichten. Weil ein Gendarmeriebeamter, der bereits im Dienste des österreichischen Widerstandes war, die Sprengkapseln der bereitgestellten Panzerfäuste bereits im Vorhinein entfernt hatte, kam es nicht mehr zu dieser Tat. Derselbe Bannführer ordnete zudem an, 100 Flaschen mit Benzin abzufüllen, die dann  dazu waren die Kinder der Hitlerjungend auserkoren worden  diese als Einzelkämpfer auf die Fahrzeuge der anrückenden französischen Einheiten werfen hätten sollen. Die Abfüllung der Flaschen geschah auch, jedoch erfuhr der österreichische Widerstand davon und tauschte das Benzin gegen Wasser aus.190 Die Hitlerjungen wurden jedoch laut den Kampfplanungen tatsächlich in den „Abwehrkampf“ integriert. In Lochau gelang es Hitlerjungen aus Dornbirn, mit Panzerfäusten bewaffnet, einen französischen Panzer in der Nähe des Wellenhofes abzuschießen. Die meisten „Kindersoldaten“ flohen jedoch bei diesem Gefecht. Hittisau konnte von Hitlerjungen gehalten werden und im Raum Egg gruben sich Hitlerjungen der Marine – 4 Kilometer südlich von Egg – bei der Lingenauer Brücke ein, die der Ideologie zum Opfer fielen und besonders fanatisch zum „Endkampf“ antraten. Dem österreichischen Widerstand gelang es jedoch, 45 Hitlerjungen, die noch dazu bestens ausgerüstet waren, in der Führerschule Andelsbuch zu stellen und an einem Einsatz zu hindern.191

3.2.2 Tirol und der „Mythos“ Alpenfestung In der Endphase des Krieges war eine Ressourcenknappheit bereits zu spüren und die allgemeinen Friktionen zu groß, um die noch wenigen vorhandenen Mittel effektiv für eine nützliche Verteidigung mittels Schanzbauten zu verwenden. Auch wenn vor dem Hintergrund einer „Alpenfestung“ noch  im Endeffekt unnütze  Festungsbauten und Sperrriegel errichtet worden waren, war die Idee eines sicheren Rückzugsgebietes nur eine Imaginationsvorstellung, die in der Praxis zu diesem Zeitpunkt des Krieges nicht mehr realisierbar war  unabhängig von dem Faktum, welcher propagandistische Effekt auf die Alliierten noch damit zu erzielen war.192 Nichtsdestotrotz wurden, je näher das Kriegende

190 Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 115. 191 Ebd., S. 115-116. 192 Albrich/Gisinger, Im Bombenkrieg, S. 222. 43 allmählich bevor stand, vor allem durch Schweizer Berichte eines „Alpenreduits“ die Gerüchte einer deutschen „Alpenfestung“ in der Vorstellung der Alliierten genährt.193 Bis April 1945 waren jedoch auf dem Gebiet des Gaues Tirol keine militärischen Befestigungsanlagen in Richtung der Nordgrenze vorhanden. Dies lag an dem Faktum, dass der Fokus auf den Kriegsverlauf in Italien gerichtet war und die Führungsstäbe auf Grund der sich ständig verschärfenden militärischen Bedrohungslage  mit einem zusätzlich mitschwingenden emotionalen Aspekt, begründet aus dem Ersten Weltkrieg  das Hauptaugenmerk mit fest ausgebauten Verteidigungsstellungen an die Südgrenze legten.194 Am 2. April 1945 bekam schlussendlich das Festungs-Pionierkommando XIV., in Person von Generalmajor Marcinkiewicz, den Befehl vom stellvertretenden Generalkommando des XVIII. Armeekorps, nach Norden ausgerichtete Sperren vorzubereiten. Laut Rauchensteiner war „[e]ine langfristige Planung von Sperren in dieser Richtung [...] wohl auch deshalb für unnötig erachtet worden, weil dies bedeutet hätte, daß man mit der Möglichkeit eines Feindvorstoßes in die zentralen Gebiete Deutschlands rechnete, und da gab es dann nicht mehr viel zu verteidigen.“195 Der Auftrag an Marcinkiewicz sah demnach vor, Sperrriegel gegen mechanisierte Fahrzeuge an allen von Norden und Westen in den Gau Tirol-Vorarlberg verlaufenden Pässe und Straßen vorzubereiten. Jedoch geschah ein einheitlicher Sperrenbau erst zwei Wochen nach Auftragserteilung, da beispielsweise eine der wichtigsten Bewegungslinien, die Scharnitzer Klause, die den direkten Weg nach Innsbruck darstellte, in einem anderen Kommandobereich, derer der Wehrmachtskommandantur Innsbruck und somit im Befehlsbereich von General Böhaimb, lag, der wiederum gesonderte Befehle erhalten hatte. Das Schutzgebiet unter dem Kommando von Böhaimb beinhaltete in etwa ein Drittel von Tirol, nämlich die Kreise Hall und Innsbruck, Landeck, Fulpmes und Schwaz.196 Gleichzeitig mit Marcinkiewiczs Auftrag sollte Böhaimb auf Weisung Gauleiter Hofers die „Alpenfestung“  die offiziell zu diesem Zeitpunkt nur in den Köpfen und am Papier bestand  erkunden. Böhaimb schlug vor, bei Scharnitz und im Leutaschtal Befestigungen zu errichten und auszubauen, da die alten Anlagen nicht mehr vorhanden waren. Sein Vorschlag zum Ausbau kam jedoch nur schleppend voran, bis der Stellungsbau des von der Wehrmachtskommandantur Innsbruck anvertrauten Abschnittes am 13. April unter die Obhut von Marcinkiewiczs Pioniertruppen gelegt wurde.197

193 Albrich/Gisinger, Im Bombenkrieg, S. 257. 194 Rauchensteiner, Krieg in Österreich 1945, S. 261. 195 Ebd., S. 261. 196 Ebd., S. 261-262. 197 Ebd., S. 262. 44

Eine „Alpenfestung“ und fest ausgebaute Verteidigungsstellungen hätte jedoch in Gauleiter Hofers Vorstellung schon lange bestehen sollen. Bereits am 6. November 1944 sandte Hofer eine Denkschrift an den Reichsleiter Martin Bormann, mit dem Gesuch, diese auf schnellstem Wege Hitler zur Durchsicht vorzulegen.198 Im Kalkül Hofers gewann die „Alpenfestung“ nämlich kontinuierlich an Gestalt, da von ihm die weiteren Entwicklungen eines möglichen negativen Kriegsverlaufes einkalkuliert worden waren. Diese Verteidigungsstellung hatte jedoch nur mit deren Verwirklichung einen Sinn. Wenn nämlich ein Verteidigungsfall eintreten sollte, so musste dieser eine effektive militärische Bedeutung als wirkungsvolle Festung zukommen.199 Überdies wäre es für die Führung, laut Rauchensteiner, hilfreich gewesen „[d]och auch dann, wenn es lediglich darum ging, die Alliierten zu einer politischen Lösung zu bringen [...] etwas ‚vorzuweisen‘ und anzubieten zu haben.“200 Auf Grund dessen wurde die „Alpenfestung“ von Hofer als „Faustpfand“ angesehen. Im Memorandum bat der Gauleiter Tirols unter anderem „[...] sofort zu befehlen, daß eine ‚Alpen-Festung‘ [...] mit dem Einsatz aller Mittel raschest errichtet und entsprechend versorgt“201 werden sollte, um, laut Hofers Ansichten, einerseits die Möglichkeit nicht verstreichen zu lassen, doch noch ein Argument auf dem diplomatischem Parkett zu haben, um in letzter Instanz verhandeln zu können und andererseits, um durch diesen „Faustpfand“ „vor allem aber das Gefühl [zu erwirken] ‚[n]och immer ein Eisen im Feuer zu haben‘ [welches] sich zweifellos für die Weiterführung des Kampfes nur günstig auswirken [konnte].“202 Hofer plädierte hingehend dafür, dass „[...] die Errichtung einer ‚Alpen-Festung‘ in einer derartigen Form vorwärts zu treiben, daß sie auch tatsächlich für den Gegner sichtbar zu dem von ihm befürchteten Bollwerk in den Alpen wird‚ [...] dessen Niederkämpfung 6 bis 8 Monate länger brauchen würde, als die der übrigen Gebiete und ein Mehrfaches an Toten und Verwundeten verursachen würde, die der bisherige Kampf in Europa die Amerikaner gekostet hat, so daß kein Oberbefehlshaber der amerikanischen Truppen in Europa, angesichts der zu erwartenden unverhältnismäßig großen Verluste den Kampf um das ‚Alpen-Reduit‘ verantworten, sondern ‚aussparen‘ würde [...].‘“ 203

198 Mario Muigg, Mythos Alpenfestung, in: Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies (2/2007), S. 97-113, hier S. 105. 199 Manfried Rauchensteiner, Gauleiter Hofers „Alpenfestung“ und die militärische Befreiung Nordtirols, in: Geschichte 1945. Ende und Anfang in Vorarlberg, Nord- und Südtirol, hrsg. v. Gerhard Wanner, Lochau 1986, S. 35-44, hier S. 37. 200 Ebd., S. 37. 201 Bericht Franz Hofer, Alpen-Stellung, Alpen-Festung zit. in Karl Stuhlpfarrer, Die Operationszonen „Alpenvorland“ und „Adriatisches Küstenland“ 1943-1945 (=Publikationen des Österreichischen Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien 7), Wien 1969, S. 164. 202 Bericht Franz Hofer, Alpen-Stellung, Alpen-Festung zit. in Stuhlpfarrer, Die Operationszone, S. 164. 203 Ebd., S. 164. 45

Doch aus Berlin kam, trotz Hofers wöchentlichen Nachdrucks, keine Antwort. Des Gauleiters Denkschrift wurde von Bormann zurückgehalten, denn dieser sah auf Grund der militärischen Situation, dem „Führer“ den Vorschlag einer letzten Verteidigungsstellung in den Alpen vorzutragen, als zu verfrüht an.204 Somit stach in Berlin Hofers „Spielkarte“ in Form der „Alpenfestung“ nicht. Mit dem Argument der Unzeitmäßigkeit und Unwichtigkeit wurde seinem Vorschlag wenig Beachtung geschenkt und vorerst verworfen.205,206 Erst mit der Überquerung des Rheins von US-amerikanischen Truppen im März 1945 und der Benachrichtigung Hitlers über die Befürchtungen der alliierten Streitkräfte in Bezug auf eine „Alpenfestung“ durch den deutschen Geheimdienst, konnte die Thematik offen behandelt werden und Hofers „Führervorlage“ kam zur Geltung. Alsbald wurde Tirols Gauleiter am 9. April 1945 nach Berlin geladen, um die Pläne einer „Alpenfestung“ vorzutragen.207 Muigg konstatiert hierzu: „Doch eines war klar: Hatte man im Sommer und Herbst 1944, bei einer realen Einschätzung der deutschen Möglichkeiten, eventuell die Chance auf eine zumindest teilweise Realisierung gehabt, so besprach man im April 1945 nur noch eine Illusion.“208 Gerüchten zu Folge soll Tirols Gauleiter versucht haben, Hitler davon zu überzeugen, sich und seinen Stab  sprich das gesamte „Führerhauptquartier“  nach Tirol in die „sichere Alpenfestung“ zu verlegen. Hitler nahm Hofers Angebot jedoch nicht an.209 In Bezug auf die „Alpenfestung“ kann jedoch ausgeschlossen werden, dass es Gauleiter Hofer darum ging, obwohl die Selbstdarstellung eines getreuen und selbstlosen Prätorianer Hitlers im Gau Tirol- Vorarlberg wirken musste, Hitler und der NS-Führung das eigene sowie politische Überleben zu sichern.210 Hitler verwies in der Lagebesprechung am 23. April jedoch selbst darauf, dass die militärische Lage im Süden des Deutschen Reiches sich nicht mehr zum Vorteil der deutschen Seite entwickeln konnte und schloss seinen Rückzug in das Innere der „Alpenfestung“ kategorisch aus: „Südwestdeutschland ist brüchig. [...] Eines weiß ich: Es ist völlig zwecklos, im Süden zu sitzen, weil ich dort keinen Einfluß und keine Armee habe. [...] Einen süddeutsch- ostmärkischen Gebirgsblock könnte ich nur halten, wenn auch Italien als Kriegsschauplatz behauptet werden könnte. Aber auch dort herrscht ein völliger Defätismus bei der Führung, die von oben herunter zerfressen ist.“211

204 Muigg, Mythos Alpenfestung, S. 106. 205 Rauchensteiner, Gauleiter Hofers „Alpenfestung“, S. 38. 206 In Italien war das Gebiet Südtirol/Trentino seit 1943 von deutschen Truppen besetzt und als „Operationszone Alpenvorland“ deklariert. 207 Muigg, Mythos Alpenfestung, S. 106. 208 Ebd., S. 106. 209 Albrich/Gisinger, Im Bombenkrieg, S. 256. 210 Rauchensteiner, Gauleiter Hofers „Alpenfestung“, S. 37. 211 o. A., „...warum dann überhaupt noch leben!“. Hitlers Lagebesprechungen am 24., 25. und 27 April, Der Spiegel (3/1966), S. 32-46, hier S. 34. 46

Da die Situation jedoch gebot, nicht mit aller Vehemenz auf die „Alpenfestung“ zu verweisen, da in Berlin sonst der Anschein erweckt werden hätte können, dass der Gauleiter Tirols abtrünnig werden würde und nicht mehr mit dem Glauben an den „Endsieg“ beseelt war, blieb Hofer keine andere Option übrig, als nur in verklausulierter und sondierender Weise die Möglichkeit einer letzten Verteidigungsstellung in den Alpen vorzuschlagen. Hierbei verstrich ein ungenutzter Zeitraum von Wochen und Monaten. Als sich jedoch die Gesamtlage immer weiter verschlechterte, begann auch Hofer offen über seine Gedankengänge zu sprechen und fand dabei auch Gleichgesinnte, denen seine Vorstellungen an sich „logisch“ erscheinen. Die „Alpenfestung“ musste nach außen somit den Anschein vermitteln, eine Festung zu sein die für einen etwaigen „Endkampf“ auch benutzt werden würde.212 Schlussendlich gab Hitler am 28. April den Befehl zum Ausbau der „Alpenfestung“  am selben Tag, als US-amerikanische Einheiten die Tiroler Nordgrenze im Außerfern bei Vils überschritten. Am darauffolgenden Tag meldete die Führung der deutschen Wehrmacht in Italien, dass bereits mit den Alliierten verhandelt werden würde und noch am selben Tag erfolgte die Unterzeichnung der Kapitulation im Süden, die ab 2. Mai 1945 Gültigkeit erlangte. Somit war bereits ab 29. April die gesamte Südfront des „Dritten Reiches“ zusammengebrochen und der Kriegsschauplatz in Italien beendet.213 Hofer hatte jedoch selbst, ohne dafür den ausdrücklichen „Führerbefehl“ erhalten zu haben, die Tage nicht gänzlich untätig verstreichen lassen, sondern bereits mit der Umsetzung einer „Alpenfestung“  wenngleich nicht in umfassendem Ausmaß, was ohne direkten Befehl aus Berlin auch nicht im Bereich des Möglichen gelegen wäre  begonnen. Im Westen und Süden waren Anzeichen eines Stellungsbaues bereits im März 1945 sichtbar, der Norden war hingegen, wie beschrieben, vernachlässigt worden.214 In Bezug auf die Nordgrenze Tirols, konnten am Fernpass, im Raum Reutte, Zirlerberg, Kufstein und Unken sowie in der Scharnitzer Klause nur einige Panzersperren errichtet werden. Eine Gesamtbefestigung aller Grenzen nach den Vorstellungen einer „Alpenfestung“ war schon alleine aus Zeitgründen nicht realisierbar.215 Hofer wollte sich dadurch mehrere „Optionen“  vor allem aber in persönlicher Hinsicht bezüglich seines eigenen Nachkriegsschicksals  offenhalten. Einerseits konnte Tirols Gauleiter mit Berlin nicht brechen und andererseits die Karten seines Kalküls zum

212 Rauchensteiner, Gauleiter Hofers „Alpenfestung“, S. 37. 213 Muigg, Mythos Alpenfestung, S. 108. 214 Ebd., S. 106. 215 Rauchensteiner, Krieg in Österreich 1945, S. 262-263. 47 persönlichen Überleben auch nicht offenlegen. Zudem hatte Hofer auch nicht die Absicht, mit der bereits aufgekommenen und erkannten Tiroler Widerstandsbewegung  die selbst im Unklaren über Hofers Absichten waren, welches Endspiel ihm vorschwebte  brechen. Der Gauleiter tat aber auch nichts, um diese Freiheitsbewegung zu unterstützen, da diese ihm zu diesem Zeitpunkt persönlich hätte gefährlich werden können. Gleichzeitig war Hofer jedoch dem Terror des Sicherheitsdienstes und deren radikalem Durchgreifen schon abgeneigt, da dieser wiederum an sein persönliches Schicksal nach dem Regimewechsel dachte. Hierzu dient auch das Beispiel des US-amerikanischen Agenten, Sergeant Fredy Mayer, der in einer Kommandoaktion über dem Sulztaler Gletscher abgesprungen, kurz darauf jedoch dem Sicherheitsdienst in die Hände gefallen und dieser schlussendlich von Hofer auf seinem angeeigneten „Erbhof“, dem Lachhof, unter seiner Protektion verwahrt wurde, um ihn in späterer Stunde, gegenüber den US-Alliierten und seinem persönlichen Nutzen, sozusagen als „Trumpfkarte“, ausspielen zu können.216 Die Beurteilung der militärischen Lage durch die offiziellen militärischen Stellen ließ die direkte Bedrohung Tirols durch alliierte Bodentruppen aus südlicher Richtung am ehesten möglich erscheinen, da die Front sich kontinuierlich in Richtung der Alpen vorschob.217 Vor den vollendeten Tatsachen wandelte sich alsbald die persönliche Einstellung des Gauleiters. Laut Rauchensteiner schienen bei Hofer „[g]ewisse bewußte tirolerische Tendenzen sowie ganz einfach der Gedanke an eine Kapitulation, bei der er selbst sowie sein Gau möglichst glimpflich davonkommen sollten, [...] durchgekommen zu sein.“218 Nachdem die Realisierung einer „Alpenfestung“ gescheitert war, war Hofers gegenwärtiges Kalkül, Tirol im besten Fall ganz von Kampfhandlungen auszusparen. Seine eigene Parole diesbezüglich war, unbesonnene Reaktion zu vermeiden und die folgenden Tage im besten Fall tatenlos verstreichen zu lassen. Um den äußeren Anschein zu bewahren, nahm Tirols Gauleiter jedoch keine richtungsweisende Haltung ein. Einerseits unterstütze Hofer  wenn auch nur halbherzig  die Sonderkapitulationsverhandlungen mit den Alliierten in Italien um andererseits ein Zerwürfnis mit General Kesselring, dem Oberbefehlshaber West, zu vermeiden. Die hierbei entstandene Unvereinbarkeit aller vorhandenen und divergierenden Strömungen  die Grenze zu verteidigen, Tirol von der Okkupation alliierter Truppen zu schützen, zeitgleich mit dem italienischen Raum die Waffen niederzulegen und das Verhältnis

216 Rauchensteiner, Gauleiter Hofers „Alpenfestung“, S. 38. 217 Riedmann, Das Bundesland Tirol 1918-1970, Bozen 1988, S. 1129. 218 Rauchensteiner, Krieg in Österreich 1945, S. 263. 48 mit Kesselring nicht zu trüben  allesamt unvereinbare Ansätze, die sich auf den weiteren Kriegsverlauf und das Schicksal des Gaues Tirol-Vorarlberg auswirken sollten.219 Obwohl die militärische Lage des „Dritten Reiches“ somit nicht mehr viel Hoffnung auf den „Endsieg“ zuließ  deutsche Truppenverbände aus Wehrmacht, SS und dem „Volkssturm“ waren bereits an allen anderen Fronten in der Defensive beziehungsweise auf dem Rückzug und der „Führer“ stand kurz vor seinem Selbstmord  und „[i]n nahezu allen Gebieten der ‚Alpenfestung‘ [...] Ende April 1945 das Chaos um sich zu greifen.“220 begann, versuchte der Gauleiter von Tirol-Vorarlberg am 30. April 1945 über Rundfunk, trotz aussichtsloser Lage, die letzten zum Kampf fähigen Soldaten und Einheiten zu motivieren: „Standschützen, Hitler-Jugend und Einheiten der deutschen Wehrmacht stehen an den Grenzen des ‚Landes im Gebirge‘ zum Schutze der Heimat. Von den bewährten Parteigenossen und Parteigenossinnen erwarte ich in dieser Stunde, daß sie vorbildlich und unbeirrt ihre Pflicht erfüllen, daß sie, soweit sie nicht in den Standschützen-Kampfgruppen die Heimat verteidigen, gemeinsam mit all den Männern, denen auch die Ordnung in der Heimat am Herzen liegt, Schulter an Schulter im Standschützenordnungsdienst in entscheidender Stunde im Herzen tragen: Die Liebe zur Heimat.“221

Appellierend an eine „vorbildlich[e] und unbeirrt[e]“222 Pflichterfüllung im Sinne der „Heimatliebe“ sollten so die Verteidiger des Gaues Tirol-Vorarlberg den Kampf  mit dem Rückhalt einer „Alpenfestung“  gegen die anrückenden alliierten Truppen aufnehmen. Hierbei hielt laut Muigg „Gauleiter Franz Hofer [...] in dieser turbulenten Phase unbeirrt am Konzept der ‚Alpenfestung‘ fest [...]“223 Obwohl in Bezug auf Steiner dieser und andere Nazi- Größen bereits „[...] ihren geordneten Rückzug in die Demokratie vorbereiteten, wurden schlecht bewaffnete Hitlerjungen zur Verteidigung der ‚Alpenfestung‘ abkommandiert.“224 Beispielhaft für diesen Aufruf und die unnachgiebige Ideologie dahinter stehen die „Abwehrkämpfe“ in Scharnitz und im Außerfern, die sich lediglich nur in der Zusammensetzung der Truppenteile, jedoch nicht in deren Sinnlosigkeit des Blutvergießens in den letzten Kriegstagen unterschieden. Riedmann konstatiert hierbei, dass die Kampfhandlungen in Tirol und der damit verbundene „[...] Vormarsch der Amerikaner [...] von diesem sinnlosen Drama kaum beeinträchtigt“225 waren.

219 Rauchensteiner, Krieg in Österreich 1945, S. 263. 220 Muigg, Mythos Alpenfestung, S. 107-108. 221 Innsbrucker Nachrichten, 01.05.1945, S. 1. 222 Ebd., S. 1. 223 Muigg, Mythos Alpenfestung, S. 108. 224 Steiner, Hitler-Jugend und Bund Deutscher Mädel, S. 73. 225 Josef Riedmann, Das Bundesland Tirol 1918-1970, Bozen 1988, S. 1134. 49

Des Gauleiters Aufruf der „vorbildhaften Pflichterfüllung“ nahm sich vor allem ein HJ- Bannführer namens Hermann Pepeunig an. Dieser sorgte im Laufe der NS-Herrschaft, wie auch viele andere auch, dass aus den Jugendlichen des „Dritten Reiches“ eine gewalttätige und grausame Jugend hervorgebracht wurde. Hierzu kontrastiert Zimmermann, dass am 1. Mai 1945, „[...] dann eine Truppe dieser ‚herrischen und unerschrockenen‘ Burschen traurige Berühmtheit [erlangte].“226 Der Kommandant des HJ-Bannes Innsbruck verlegte nach eigener Aussage227 am 1. Mai unmittelbar auf direkten Befehl des Kreisleiters und dessen Weisung, mit Hitlerjungen die Standschützeneinheit aufzufüllen, zusammen mit 20 Hitlerjungen in den Kampfraum Scharnitz. Pepeunig gab zu Protokoll, dass „[a]ls die amerikanischen Truppen Reutte beschossen, [...] ich vom Kreisleiter den Befehl [bekam], meine beiden Trupps einzuberufen und nach Scharnitz abzurücken. Ich begab mich am nächsten Tag mit meinen beiden Trupps (20 Hitlerjungen) nach Scharnitz, meldete mich dort beim Kampfkommandanten und bezog im Laufe des Tages die Stellung nördlich Scharnitz.“228

Diese Darstellung ist jedoch von zweifelhaftem Wert, da durch Pepeunig selbst bereits am 27. April 1945, in Innsbruck eine Standschützen-Alarmkompanie im Verbund mit Hitlerjungen, die zwischen 14 und 16 Jahre alt waren, aufgestellt worden war.229 Mit Karabinern und Handgranaten bewaffnet, stellten sich Pepeunigs blindgehorsame Hitlerjungen gegen die bei Scharnitz einrückenden US-Truppen.230 Im Gegensatz zu Voralbergs Hitlerjugend fehlte es den Tiroler Kindersoldaten jedoch größtenteils an Gewehren und Panzerfäusten.231 Zudem wurden die Hitlerjungen  ganz nach dem heroischen Gedankengut des Zeitgeistes  mit Uniformen der Tiroler Standschützen in das Abwehrgefecht geführt.232 Somit verwickelten „[a]n jenem 1. Mai 1945 – der Krieg war für Hitlerdeutschland endgültig verloren, der Führer hatte am Vortag Selbstmord begangen und in Wien war bereits die provisorische Renner-Regierung zusammengetreten – [...] von Pepeunig befehligte Hitlerjungen anrückende US-Panzer in ein sinnloses Gefecht bei Scharnitz.“233

Laut Steiner war dies „[g]enau diese verantwortungslose Haltung der NS-Führung von Hitler bis hinunter zum letzten Bannführer der HJ [...] dafür verantwortlich, dass in den letzten

226 Zimmermann, Die Akte Pepeunig, in: Echo (12/2010), S. 54-61, hier S. 56. 227 Bundespolizeidirektion Innsbruck Staatspolizeiliche Abteilung an Staatsanwaltschaft Innsbruck, 13.3.1946. TLA, Landesgericht Innsbruck, 10 Vr 599/52 Z LG 1952 10 Ur 24/52-P, Zl. Präs. III-Zl.: 368/3-1946. 228 Beschuldigteneinvernahme bei der Sicherheitsdirektion Innsbruck, 17.08.1945. TLA, Landesgericht Innsbruck, 10 Vr 599/52 Z LG 1952 10 Ur 24/52-P, Bl. 7-8. 229 Fred Borth, Nicht zu jung zum Sterben. Die „Hitlerjugend“ im Kampf um Wien 1945, Wien 1988, S. 292. 230 Gernot Zimmermann, Ehre, wem Ehre gebührt, Echo Online (2012), [http://www.echoonline.at/news- detail/?no_cache=1&tx_ttnews%5Btt_news%5D=3534&cHash=ed5132b9c4a8dde54ec127cd64fa5822], eingesehen 22.05.2017. 231 Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 115. 232 Manfred Stoppel, „Uns wächst eine herrliche Jugend heran!“ Die Geschichte der Hitlerjugend in Vorarlberg von 1930-1945, Norderstedt 2004, S. 205. 233 Zimmermann, Die Akte Pepeunig, in: Echo (12/2010), S. 54-61, hier S. 56. 50

Wochen vor Kriegsende Tausende Kinder und Jugendliche in einem sinnlosen ‚Endkampf‘ für ‚Führer, Volk und Vaterland‘ ihr Leben verloren.“234 Zudem bekam nicht nur das Innsbrucker „Standschützenbataillon“ samt Hitlerjungen den Auftrag nach Scharnitz zu verlegen, sondern auch die Telfer Standschützen, die einen Flügel der „Kampfgruppe Scharnitz“ darstellen sollten. Am 27. April wurden die Telfer Standschützen schlussendlich in die beordert um sich dort für einen Kampfeinsatz vorzubereiten. Gemeinsam mit dem Luftwaffen-Nachrichtenbataillon bekamen die Telfer Standschützen die Flankensicherung übertragen, um ein Durchstoßen der US-amerikanischen Streitkräfte mittels eines Umgehungsangriffes ins Leutaschtal zu verhindern.235 Jedoch bereits bei der Abfahrt von Telfs in Richtung des Kampfraumes, war die Sollstärke des Standschützenbataillons nicht mehr gegeben. In der Telfer Volksschulchronik wurde vermerkt: „Nur die Hälfte der Stsch. Baon rückte ab. Drohungen des Baonsführers Bertram halfen nichts. 3 Lastwagen wurden mit Proviant beladen, die Einheit bekam Marschbefehl nach Oberleutasch.“236 Zudem verringerte sich die Anzahl der anrückenden Telfer Standschützen kontinuierlich, da in unbeobachteten Augenblicken immer wieder Soldaten von den Fahrzeugen absprangen und den eigenmächtigen Rückzug antraten. Die restlichen Truppenteile wurden in ein Gasthaus in der Leutasch einquartiert und warteten auf den Kampfeinsatz.237 In der Telfer Volksschulchronik beschreibt der Eintrag vom Standschützen August Thielmann am Anschaulichsten die Lage vor dem Gefecht bei Scharnitz: „Im Gasthof ‚Zugspitze‘ wurde die Mannschaft, geführt von Komp. Führer Mayerhofer Klemens und Härting Ferdinand, einquartiert. Als ich am Nachmittag mit dem Gepäck nachfuhr, zogen durch die Unterleutasch eine Kompagnie Hitler-Jugend (15jg.) mit Panzerfäusten ausgerüstet, zum Einsatz. Um 7 Uhr bleiben die Nachschubwagen in der Munde-Knie-Senke in Schneewächten stecken. Ich benachrichtige Bertram und gab zugleich die Meldung, daß der Sender ‚Freies Deutschland‘ den Tod Adolf Hitlers meldete. Hierauf bestieg der Baonsführer sein Motorrad und flüchtete. [...] den Telfern und Leutaschern gab ich den Rat, in ihre Heimatdörfer zu gehen und damit unnötige Blutvergießen zu vermeiden.“238

As die US-amerikanischen Streitkräfte am 1. Mai 1945 zum Angriff auf Scharnitz antraten, waren im Leutaschtal kein einziger Telfer Standschütze mehr anzutreffen.239

234 Steiner, Hitler-Jugend und Bund Deutscher Mädel, S. 73. 235 Stefan Dietrich, Telfs 1918-1946, Innsbruck 2004, S. 430. 236 Telfer Volksschulchronik, o.S., zit. in Stefan Dietrich, Telfs 1918-1946, Innsbruck 2004, S. 431. 237 Dietrich, Telfs 1918-1946, S. 431. 238 Telfer Volksschulchronik. Eintrag August Thielmann, o.S., zit. in Stefan Dietrich, Telfs 1918-1946, Innsbruck 2004, S. 431. 239 Dietrich, Telfs 1918-1946, S. 431. 51

3.2.2.1 Alliierte Truppen ante portas Im März 1945 gelang es den französischen und US-amerikanischen Einheiten, ihr Operationsgebiet über den Rhein zu verlegen und dementsprechende Gebietsgewinne zu verzeichnen. Laut Riedmann konnten „[d]ie völlig ausgelaugten deutschen Verbände [...] nur noch hinhaltenden Widerstand leisten.“240 Das Ziel der Alliierten war  vor dem Hintergrund einer deutschen „Alpenfestung“  möglichst schnell alle essentiellen Gebirgseingänge zu erobern.241 Die Monate April und Mai sollten Schicksalswochen für die Verteidiger der vermeintlichen „Alpenfestung“ werden. Im Westen des Gaues Tirol-Vorarlberg bahnte sich die 1. französische Armee ihren Weg über die Gaugrenzen, während an der Tiroler Nordgrenze drei US-amerikanische Divisionen der 7. US-Armee zum Angriff ansetzten. Die 44. Infanteriedivision hatte den Auftrag, zusammen mit der 10. Panzerdivision über Vils und Reutte anzugreifen, um den Raum um den Fernpass und das obere Inntal zu gewinnen. Der 103. Infanteriedivision wurde beordert, von Mittenwald aus über den Scharnitzpass eine Offensive mit Panzerunterstützung zu starten und Innsbruck einzunehmen. Somit hatte die 36. Infanteriedivision, die über München über die Grenze Tirols vorstoßen sollte, Kufstein als Angriffsziel.242

3.2.2.2 Gauleiter Hofers Kalkül der „Standschützen“

Bereits im September 1944  obwohl sich seine Intentionen bezüglich eines militärischen Kampfes auf Tiroler Boden noch ändern sollten  proklamierte Gauleiter Hofer in Gröden einen „unerbittlichen Kampf bis zum Sieg“ in Bezug auf die „Reichsfestung Tirol“. Dieses Kalkül stimmte perfekt mit dem am 25. September 1944 verkündeten „Führererlass“, der ab 18. Oktober die getätigte Weisung der Aufstellung des so genannten „Deutschen Volkssturmes“ befahl, überein. Der Zweck der Mobilmachung dieses „letzten Aufgebots“, bestehend aus 16 bis 60-jährigen, war, die Wende im Krieg zu Gunsten des „Dritten Reiches“ noch herbeizuführen. Ab Oktober 1944, in dem Monat als auch in Tirol wieder vermehrt Luftangriffe begannen, wurde auch die Aufstellung von „Volkssturm“- Einheiten vorangetrieben.243 Wie Schreiber konstatiert, trug in Bezug auf den Gau Tirol-Vorarlberg „[...] dieses ‚letzte Aufgebot‘ der 16- bis 60jährigen die offizielle Bezeichnung ‚(Militante)

240 Riedmann, Das Bundesland Tirol 1918-1970, S. 1129. 241 Ebd., S. 1129. 242 Wilfried Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/ landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 243 Albrich/Gisinger, Im Bombenkrieg, S. 222-223. 52

Standschützen(kompanien)‘.“244 Hofers militärisches Kalkül der Standschützen, die eine vom Gauleiter Jahre zuvor geformte paramilitärische Einheit aus aufgelösten Traditionsverbänden aus Vorarlberg und Tirol darstellten und zudem mit älteren Jahrgängen der Hitlerjugend verstärkt und zusätzlich mit rekrutierten älteren Männern aufgefüllt wurden, sollte demnach als „Volkssturm“ die Gaugrenzen schützen.245 Damit bemächtigte sich das NS-Regime bewusst der Tradition und dem Vermächtnis derer im Ersten Weltkrieg an der Südfront im Einsatz stehenden Standschützen, die in den Kämpfen einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Verteidigung Tirols geleistet hatten. Die „Standschützenpropaganda“ entsprang so zu einem Großteil aus den historisch- mythologisierten Wurzeln und Versatzstücken in Bezug auf die Landeseinheit oder  in Gauleiter Hofers Vorstellung  dem Kampf um die „Reichsfestung Tirol“.246 „Den Standschützen von 1915 fehlte eigentlich jede militärische Ausbildung, sie waren gewiß auch keine Truppe, mit der operative Aufgaben zu lösen gewesen wären, aber schießen konnten sie. Darauf gestützt und im Bewußtsein, durch ihren Einsatz ihre engste Heimat zu schützen, haben sie im Verteidigungskampf unerhörte Leistungen gebracht.“247

Riedmann führt in Bezug auf die militärische Lage in Tirol aus, dass „gerade bei diesem Kriegsschauplatz [...] der Einsatz der Standschützen starke emotionale Motivationen hervorrufen [hätte] können, wenn es wiederum darum ging, die Heimat in den Südalpen zu verteidigen.“248 Laut Beimrohr hatten die Standschützen genannten Verbände „[d]em üblichen Volkssturm, wild zusammen gewürfelten Haufen von jungen und alten Männern, die sich als letztes Aufgebot dem Feind entgegen stemmen sollten, [...] einiges voraus: Sie waren besser organisiert, besser geschult und besser mit Waffen ausgerüstet.“249 Direkt nach der Kapitulation der deutschen Soldaten in Italien gab Hofer den Auftrag, sich die italienischen militärischen Ausrüstungen und Waffen aus den Beständen der ehemaligen Verbündeten und nunmehrigen nutzlosen Wehrmachtsbeständen, für den etwaigen Einsatz der Standschützenverbände, anzugeignen.250 Die Kampfkraft und Effizienz der Standschützen- Verbände waren jedoch wegen unterschiedlicher Befehlsstrukturen gemindert und zudem

244 Horst Schreiber, Schule in Tirol und Vorarlberg 1938-1948 (=Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte), Innsbruck 1996, S. 254. 245 Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/ landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 246 Albrich/Gisinger, Im Bombenkrieg, S. 222-223. 247 Alpenheimat 1945, Familienkalender für Stadt und Land. 7. Jg., Bozen 1944, S. 32, zit. in Albrich/Gisinger, Im Bombenkrieg, S. 223. 248 Riedmann, Das Bundesland Tirol 1918-1970, S. 1129. 249 Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/ landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 250 Rauchensteiner, Gauleiter Hofers „Alpenfestung“, S. 38. 53 deuteten zahlreiche Hinweise darauf hin, dass der Wille und die Motivation für einen Kampfeinsatz bis zum widersinnigen Ende nur eingeschränkt präsent waren.251 Die Innsbrucker Nachrichten betitelten am 19. Oktober 1944 den „Appell des Deutschen Volkssturmes“ und in unzähligen Artikeln sollte die Bevölkerung in dieser Phase des Krieges propagandistisch auf einen Kampfeinsatz der „Standschützen als Volkssturm“ aufmerksam gemacht werden. In Innsbruck waren erstmals Verbände der neu formierten Standschützeneinheiten ab 22. Oktober 1944 sichtbar. Zudem erweiterte Gauleiter Hofer kontinuierlich seinen Machtbereich als „Reichsverteidigungskommissar“ vor dem Hintergrund des „Tiroler Volkssturms“ als „Befehlshaber der Standschützen“. Bereits ab 1938 hatte Tirols Gauleiter, als designierter „Landesoberschützenmeister“, die traditionellen Werte der Standschützen einerseits bewusst für die Partei und andererseits für seinen persönlichen Nutzen vereinnahmt.252 So ist es auch wenig verwunderlich, dass der von Sepp Tanzer komponierte „Standschützenmarsch“  nach der Vorlage des alten Tiroler Schützenliedes „Hellau! Mir sein Tirolerbuam!“  im Jahre 1940 komponiert und zur damaligen Zeit Gauleiter Hofer gewidmet wurde. Zu einer Gesamtmobilmachung der „Standschützen“ sollte es jedoch auch nicht mehr kommen. Nur mancherorts, so auch in Scharnitz und am Fernpass  wenngleich mit unterschiedlichem Kampfwillen  wurden diese Einheiten in den Einsatz gegen die US- amerikanischen Truppen geworfen.

3.2.2.3 Die militärische Lage in Tirol im April 1945 In Bezug auf Albrich und Gisinger stellte sich vor allem „[...] die Frage, wer denn nun diese letzten Abwehrkämpfe in der ‚Alpenfestung‘ führen sollte.“253 In Tirol waren bis zum Beginn dieses „umfassenden Abwehrkampfes“ keine regulären Wehrmachtstruppen oder SS- Einheiten stationiert.254 Nachdem im Osten die Rote Armee unaufhaltsam vorgestoßen war, wurde auch das Eindringen der sowjetischen Kräfte in die Gebirgstäler von Gauleiter Hofer vermutet. Hierzu wurden von Tirol aus Anfang April sukzessive die obligatorischen Sicherungs- und Alarmverbände vom Wehrkreiskommando XVIII. in die Steiermark gesandt.255 Mitte April wurden zudem zwei Gebirgsjägerkompanien, die in Landeck stationiert waren, nach Vorarlberg verlegt.256 In Tirol verblieben als Soldaten der regulären deutschen

251 Riedmann, Das Bundesland Tirol 1918-1970, S. 1129. 252 Albrich/Gisinger, Im Bombenkrieg, S. 223. 253 Ebd., S. 222. 254 Rauchensteiner, Krieg in Österreich 1945, S. 262. 255 Ebd., S. 262. 256 Riedmann, Das Bundesland Tirol 1918-1970, S. 1129. 54

Streitkräfte somit nur noch Ausbildung- und Ersatzeinheiten, zusammengesetzt aus zwischen vier und sechs Wochen schlecht ausgebildeten Rekruten, Verwundeten und Wiedergenesenen.257 Der Umstand, dass im ganzen Gau Tirol-Vorarlberg ein Mangel an Waffen und Munition war, kam noch als erschwerender Faktor hinzu.258 Durch den Fehlbestand an Gewehren, konnten zudem nicht alle vorhandenen Soldaten bewaffnet werden, leichte Maschinengewehre waren nur ungenügend und schwere Waffen überhaupt nicht verfügbar. Beispielsweise hatte die Innsbrucker Panzerjägerkompanie 137 zu Ausbildungszwecken nur zwei Beute-Panzerabwehrkanonen im Stand, jedoch ohne Munition.259 Bei den letzten kampffähigen Wehrmachtssoldaten der deutschen 1. und 19. Armee, welche kontinuierlich ab dem 20. April 1945 im Gau Tirol-Vorarlberg eintrafen, waren nur wenige für einen Einsatz in Tirol bereit.260 Die Schlagkraft der beiden deutschen Armeen war somit nicht mehr gegeben. Besonders prekär war hierbei die Situation der 19. Armee, dessen Einheiten während des Kriegsverlaufes schon großteils aufgerieben worden und bereits Auflösungserscheinungen ersichtlich waren, während auch das Faktum der Demoralisierung bei den Soldaten mitschwang. Die Anzahl der einsatzbereiten Verbände im April 1945 betrug sieben schwache Bataillone, welche eine Gesamtstärke von rund 2.000 Mann aufwiesen. Im Vergleich dazu lag die Sollstärke einer Infanteriedivision der Wehrmacht zu Kriegsbeginn bei 12.000 Mann.261 Der General der Gebirgstruppe, Feurstein, verzeichnete in seinem Kriegstagebuch am 28. April 1945 bezüglich der militärischen Lage in Tirol: „Die 19. Armee (General Brandenberger) flutete von Bayern herein. Ein trauriges Bild des Rückzuges. [...] Dass sie die feindliche Lawine aufzuhalten vermöge, sei kaum mehr zu erwarten, ebensowenig wie unsere paar Standschützenkompanien, die auch keine Wunder wirken konnten.“262

Ab 22. April 1945 wurde die Befehlsgewalt über die einzelnen Bereiche im Gau Tirol- Vorarlberg endgültig fixiert. Als Oberkommandant wurde General Jordan bestellt, die Nordfront erhielt General Feurstein und die Westfront oblag General Schmidt-Hartung. Der Wehrmachtskommandantur Innsbruck kam der Auftrag zu, einen taktischen Stab zu bilden,

257 Rauchensteiner, Krieg in Österreich 1945, S. 262. 258 Riedmann, Das Bundesland Tirol 1918-1970, S. 1129. 259 Rauchensteiner, Krieg in Österreich 1945, S. 262. 260 Muigg, Mythos Alpenfestung, S. 108. 261 Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/ landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 262 Kriegstagebuch General Valentin Feurstein, zit. in Thomas Albrich, Luftkrieg über der Alpenfestung 1943- 1945. Der Gau Tirol-Vorarlberg und die Operationszone Alpenvorland, Innsbruck 2014, S. 195. 55 um eine Widerstandslinie im Raum des Nordrandes von Scharnitz inklusive des Leutaschtales bis zum Südrand vom Achensee zu organisieren.263 General Feurstein jedoch, der vor seiner Bestellung zum Verteidigungskommandanten der Befehlshaber der Standschützen war und sich sowohl über die Lage in Italien als auch in Tirol im Klaren war, hatte die Auffassung, dass der Abschnitt „Tirol“ vollkommen im Befehlsbereich Kesselrings lag. Hierzu befahl Feurstein  was auch im stillen Eigeninteresse Gauleiter Hofers war  die Nordgrenze gegen etwaige einsickernde Teile der deutschen 19. Armee abzuriegeln.264 Laut Rauchensteiner wird „[i]n dieser Episode [...] vollends deutlich, daß es Hofer zuletzt nur mehr darum ging, Tirol Kampfhandlungen zu ersparen und sich selbst damit einen passablen Abgang zu verschaffen.“265 Feurstein rechtfertigte sein Vorgehen gegenüber General Brandenberger und seinen unterstellten Truppen, dass er, Feurstein, den Oberbefehl über alle in den Alpenraum zurückströmenden Truppenteilen, somit auch über die Soldaten der 19. deutschen Armee, übertragen bekommen hätte und diese somit ihm unterstellt waren.266 Nach Rauchensteiner dürfte Gauleiter Hofer „[...] nach wie vor der Ansicht gewesen sein, daß für den Fall, daß auch den deutschen Truppen ein Eindringen nach Tirol vom Norden her verwehrt werden könnte, diese gezwungen würden, nochmals vor den Grenzen Tirols den Alliierten Widerstand zu leisten, und das so lange, bis eine Gesamtkapitulation Wirklichkeit geworden wäre.“267

General Brandenberger hatte jedoch Verbindung mit Kesselring gehalten und kurz darauf bekam Feurstein vom Stabschef Kesselrings die Weisung, dass ihn die Nordgrenze von Tirol nicht zu tangieren brauche. Da Feuerstein dieser Anordnung nicht nachkam, vermutete Kesselring, dass Feurstein tatsächlich den Befehl hatte  um die Kapitulation der Heeresgruppe C nicht zu beeinflussen  die Teile der 19. deutschen Armee nicht in Richtung Süden passieren zu lassen. Nach dem Niederlegen der Waffen in Italien wurde über den Oberbefehlshaber West, wie dieser vermutete mit Beteiligung von Feurstein, eine Nachrichtensperre verhängt. Daraufhin wurde Feurstein am 29. April auf Befehl Kesselrings abgesetzt und dessen Befehlsbereich an General Jaschke übertragen, welcher wiederum auf General Böhaimb, der die Vertretung von Jaschke einnahm, am 30. April übergeben wurde.268 Trotz allem Befehlswirrwarr war Nordtirol in Verteidigungsbereiche aufgespalten. Hierbei wurde der Verteidigungsraum von Hall in westlicher Richtung bis zum Arlberg der 19. Armee

263 Rauchensteiner, Krieg in Österreich 1945, S. 263. 264 Ebd., S. 263-264. 265 Rauchensteiner, Gauleiter Hofers „Alpenfestung“, S. 39. 266 Rauchensteiner, Krieg in Österreich 1945, S. 263-264. 267 Ebd., S. 264-265. 268 Ebd., S. 263-264. 56 aufgetragen, die zusätzlich mit der so genannten „Divisionsgruppe-Innsbruck-Nord“  welche im Endeffekt die Hauptlast des Kampfes um Scharnitz trug  verstärkt worden war. Der Abwehrauftrag der 1. Armee reichte von Schwaz über Kufstein und Kitzbühel bis auf Salzburger Gebiet.269 Beimrohr gibt in seinem Aufsatz für das Tiroler Landesmuseum/Ferdinandeum an, dass im Gegensatz zur 19. deutschen Armee die 1. deutsche Armee auf Waffen-SS Soldaten zurückgreifen konnte, die im Kontingent der 19. Armee nicht vorhanden waren.270 Jedoch kann diese Aussage widerlegt werden, da  wie sich im folgenden Kapitel über das Gefecht bei Scharnitz zeigen wird  auch Soldaten der Waffen-SS, genauer gesagt der Waffen-SS- Hochgebirgsschule aus Neustift im Stubaital, in Scharnitz und somit im Einsatzraum der 19. Armee im „Abwehrkampf“ standen.

3.2.2.4 Mai 1945: Die „Divisionsgruppe-Innsbruck-Nord“ in Stellung Da am 23. April 1945 der Befehl an General Böhaimb ergangen worden war, vom Nordrand von Scharnitz bis zum Südrand vom Achensee eine Widerstandslinie zu errichten, wurden zwei Kampfgruppen in Bataillonsstärke, einerseits für den Raum Achensee und andererseits für das Gebiet um Scharnitz, gebildet. Die „Kampfgruppe Achensee“ bestand hierbei aus dem Kampfkommandanten, dem Kommandoregiment Ersatzbataillon Schwaz, drei Kompanien des Gebirgspionierersatzbataillons und des Ausbildungs-Bataillons 83 aus Schwaz. Die „Kampfgruppe Scharnitz“ wurde aus dem Kampfkommandanten, Kommandoregiment Gebirgsfliegerabwehr Ersatz und Ausbildungsabteilung 700 (Hall) unter dem Kommando von Hauptmann Hermann Pedrotti, zwei Kompanien der Gebirgsfliegerabwehr Ersatz- und Ausbildungsabteilung 700 und ein Bataillon mit drei Kompanien eines Aufstellungsstabes aus dem Raum Innsbruck zusammengesetzt.271 Überdies trafen auch Verstärkungen in Form eines Nachrichtenzuges, zweier Pionierbataillone, eines Panzerzerstörzuges, eines Gebirgsgeschützes der Gebirgsjägerschule Mittenwald sowie acht 8,8 cm Fliegerabwehrkanonen aus Innsbruck ein. Die Pionierbataillone hatten zudem den Auftrag, alle Straßen auf den Linien Seefeld - Zirl und Seefeld - Telfs abzuriegeln.272 Die weiteren Soldaten, die neben dem bereits erwähnten HJ-Bannes und ihres Bannführers Pepeunig den Raum Scharnitz und Seefeld verteidigen und halten sollten, wurden auf

269 Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/ landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 270 Ebd. 271 Rauchensteiner, Krieg in Österreich 1945, S. 270. 272 Ebd., S. 270-271. 57

Gauleiter Hofers Befehl, aus Truppenteilen der Waffen-SS-Hochgebirgsschule aus Neustift im Stubaital geformt. Landwehr schreibt diesbezüglich: „In April 1945, a major portion of the Neustift facility was comandeered by the Gauleiter for and the instructors and trainees were formed into battlegroups that were deployed around Scharnitz and Seefeld”273 deren Verteidigungsbestrebungen, wie später vom US-amerikanischen Soldaten Martin in seinem „Headquarters-Bericht” aufgezeichnet, als „[…] bitter resistance by German OCS274 students at Scharnitz”275, betitelt werden sollten. In Scharnitz waren somit nicht nur die 10- bis 17-jährigen „Kindersoldaten“ des HJ-Bannes Innsbruck, sondern auch Soldaten der Waffen-SS-Hochgebirgsschule im Einsatz. Aus den Kriegsgräbern der gefallenen Soldaten am Waldfriedhof bei Seefeld geht zudem hervor, dass auch reguläre Soldaten der Wehrmacht in den Reihen des durchmischten Kampfverbandes am Abwehrgefecht beteiligt waren. Wie zudem schon erwähnt, setzten sich diese letzten kampffähigen Wehrmachtssoldaten aus der deutschen 1. und 19. Armee zusammen. Somit sollte laut Muigg, mit einem letzten Aufgebot an Wehrmachtssoldaten im Zusammenspiel „[...] mit zusammengewürfelten Tiroler Standschützen und HJ-Einheiten, die militärische Verteidigung der ‚Alpenfestung‘ in Angriff [genommen werden] [...]. Dass es sich dabei um ein aussichtsloses Unterfangen handelte, muss nicht weiter betont werden.“276 Der für die Verteidigung von Scharnitz zusammengewürfelte Verband mit dem Namen „Divisionsgruppe Innsbruck-Nord“ bezog auch gemäß ihrem Auftrag im Raum Scharnitz ihre Stellungen und setzten die Hitlerjungen des „HJ-Bannes Innsbruck“ an vorderster Front, an der späteren Hauptkampflinie, ein.277 Zudem schreibt auch Rauchensteiner in „Geschichte 1945. Ende und Anfang in Vorarlberg, Nord- und Südtirol“, dass die Hauptlast des „Abwehrgefechts“ bei Scharnitz von den Hitlerjungen getragen wurde. 278 Laut Rauchensteiner lagen somit die Soldaten der deutschen Divisionsgruppe „[...] nicht in vorderster Front, denn noch weiter vorne, in der Porta Claudia, waren 40 Hitlerjungen des HJ-Bannes Innsbruck eingesetzt worden.“279 Auch Dietrich konstatiert, dass „[i]m Gelände davor, mutterseelenallein ein paar Innsbrucker Hitler-Jungen, die, vom verbrecherischen

273 Richard Landwehr, Italian volunteers of the Waffen-SS: 24. Waffen-Gebirgs-(Karstjäger) Division der SS and 29. Waffen-Grenadier-Division der SS, Glendale 1987, S. 32. 274 OCS steht als Abkürzung für Officer Candidate School. 275 Lucas C. Martin, The Last Four Days. . Mai 1-4, 1945, [http://103divwwii.usm.edu/assets/martin- consoldidated.pdf], eingesehen 20.05.2017. 276 Muigg, Mythos Alpenfestung, S. 108. 277 Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/ landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 278 Rauchensteiner, Gauleiter Hofers „Alpenfestung“, S. 42. 279 Manfried Rauchensteiner, Der Krieg in Österreich, Wien 1984, S. 323. 58

Regime aufgehetzt, ihr Leben riskierten [...].“280 Nach Zimmermann waren die Hitlerjungen im Allgemeinen „[...] bei den GI`s mehr gefürchtet, als die erfahrenen Frontkämpfer der Deutschen Wehrmacht, denn die hatten den Krieg schon längst verloren gegeben. Aber diese Gruppe von Tiroler Buben sah – aufgehetzt von ihren Führern – im Nahkampf mit den Amerikanern ihre große Bewährungsprobe. Genau das also, worauf sie jahrelang vorbereitet wurden.“281

Die Frau eines Scharnitzer Zeitzeugen gab bezüglich der Ideologie der Hitlerjungen, die in Scharnitz in den Kampfeinsatz gingen, zudem an: „Des wor‘n jo bis zum Schluss so Fanatiker – a Scharnitzer hot gsogg‘ sie sollen decht die Bruggen [über die ] nit sprengen, donn hobn se zu dem donn gsogg‘, wenna nit still isch, donn daschiaßns ihn.“282 Somit hatte die damalige Propaganda des „Dritten Reichs“ auch die Tiroler Hitlerjugend „verblendet“, die selbst noch in den letzten Kriegstagen von einem Endkampf beseelt war.

3.2.2.5 Die Hitlerjugend im Kampf um Scharnitz  „Wenn alles in Scherben fällt“

Ein Gefecht von geringerem Kampfwert  wenn auch im gleichen Sinne wider der Vernunft wie der in weiterer Folge dieser Arbeit rekonstruierte Kampf um das Außerfern  wurde bei Scharnitz, an der so genannten Porta Claudia, begangen.283 Laut Albrich und Gisinger war in Bezug auf Tirol der 1. Mai 1945 jener „[...] Tag, an dem sich nur noch jene an die Möglichkeit einer Kriegswende klammerten, die nichts mehr zu verlieren hatten [...].“284 Aus der Stoßrichtung Mittenwald kommend, war das 1. Bataillon des 409. Infanterieregiments der 103. Infanteriedivision in den Morgenstunden des 1. Mai 1945 in Sturmausgangsstellung. Das 2. und 3. Bataillon bildeten die Nachhut.285 In der Nacht vor dem Angriff hatte sich jedoch sowohl die Ausgangslage für die US-amerikanischen Streitkräfte als auch die deutschen Verteidiger geändert, da heftiger Schneefall einsetzte. Laut Dietrich war „[...] auch von der auf dem Papier viele hundert Mann starken deutschen ‚Kampftruppe‘ nicht viel zu sehen.“286 Der damals 22-jährige Scharnitzer Ernst Ragg, der auf Grund einer schweren Verwundung bereits im Februar 1945 aus den deutschen Streitkräften entlassen worden war, beobachtete von einer Anhöhe in Scharnitz aus, der so genannten „Adlerkanzel“, das Kriegsgeschehen.287

280 Dietrich, Kampf in der Scharnitzer Klause 1945, S. 1. 281 Zimmermann, Die Akte Pepeunig, in: Echo (12/2010), S. 54-61, hier S. 56. 282 Interview Stefan Dietrich mit Ernst Ragg, Scharnitz 2005. 283 Riedmann, Das Bundesland Tirol 1918-1970, S. 1134. 284 Albrich/Gisinger, Im Bombenkrieg, S. 268 285 William East/William Gleason, The 409th Infantry in World War II, Washington 1947, S. 149. 286 Dietrich, Kampf in der Scharnitzer Klause 1945, S. 1. 287 Ebd., S. 1. 59

Neben dem Mangel an regulären deutschen Soldaten fielen diesem zudem die Hitlerjungen aus Innsbruck auf: „Es warn ja fast kuane mehr da, es waren ja kuane mehr da, nit. Die haben sich ja alle zurückgezogen. Kampfhandlungen in dem Sinn waren des ja kuane. Aber nach sein die Buam kemmen, Hitlerjugend. Die war oben im Schulhaus einquartiert. Dei sein von Innsbruck außer kemmen. So Burschn hald mit, der Jüngste hald mit 14 Jahr. 15, 16 17 Jahr sein die g’wesn. Da sein mir schon ob g’wesn, da ha’st g’hoaßn, iatz kemmen se. Da hat’s g’hoaßn, die Amerikaner sein in Garmisch. Und nacha, iatz wern se nimmer lang aus sein. Und es isch a so g’wesn.“288

289

Im so genannten „Unit Journal, Headquarters First Battalion“, dem Kriegstagebuch des als Speerspitze auf Scharnitz vorrückenden US-amerikanischen Verbandes, wurden die Gefechte und essentiellen Wendepunkte des Kampfeinsatzes, phasenweise festgehalten. Um 10:04 Uhr wurde mit der Offensive auf Scharnitz von alliierter Seite begonnen. Das übergeordnete Kommando des Bataillons vermerkte dies mit den Worten “1004 - „B[attalio]n crossed

288 Interview Stefan Dietrich mit Ernst Ragg, Scharnitz 2005. 289 Marschroute der US-amerikanischen Streitkräfte und die deutschen Verteidigungsstellungen ab 01.05.1945, eigene Darstellung. 60

German border into Austria. C[ommand] P[ost] at Scharnitz opened.“290 Die Taktik der US- Verbände war, die Vorstöße der eigenen Infanterieeinheiten durch schweres Feuer des 10. Panzervernichtungsbataillons auf die feindlichen Stellungen zu decken und Scharnitz „einzukesseln“. Luke und Gary Martins, die selbst Angehörige der angreifenden US-Truppe in Scharnitz waren, kontrastierten in deren Memoiren in Retrospektive, dass deren „[…] first battalion was supported from [the] attached 10th tank destroyer battalions [which] penetrated the area, [and] flanked the town […].”291 Vor dem Angriff der US-amerikanischen Truppen war die Scharnitzer Bevölkerung in die umliegenden Dörfer geflüchtet.292 Laut Ernst Ragg war eine Panzersperre zwar vorhanden, jedoch vor dem Angriff nie ganz fertig gestellt worden.293 Obwohl die erst halb ausgebaute Panzersperre beim vormaligen Scharnitzer Zollhaus unbesetzt blieb294, hatten die deutschen Verteidiger auf dem Gelände, welches sie gegen die angreifenden US-Verbände unbedingt halten wollten, jedoch noch weitere gründliche Vorkehrungen getroffen, um die Angriffsbestrebungen des Gegners zu erschweren. Laut der Scharnitzer Gendarmeriechronik sprengte die „Divisionsgruppe-Innsbruck-Nord“ Eisenbahnbrücken sowie Straßenbrücken.295 Das Kriegstagebuch des 1. Bataillons hält zudem auch fest, dass einerseits die Brücke gesprengt und andererseits auch Straßensperren am Rand des Dorfes errichtet worden waren: „Bridge blown also road blocks at edge of town.”296 Überdies skizziert eine Bildunterschrift in East und Gleasons Werk über die 409. Infanteriedivision die damalige Situation für die sich im Angriff in dem von den deutschen „versauten“297 Raum befindenden US-Soldaten in „Scharnitz: The 1st Battalion attacking through a German roadblock and tank-delaying hedgehogs.“298 Die Verbissenheit der Verteidiger von Scharnitz und deren Bemühungen, die US- amerikanischen Truppen entscheidend auf ihrem Vormarsch aufzuhalten, geht jedoch am Anschaulichsten aus den inoffiziellen Kriegsjournalaufzeichnungen des als ersten in den

290 The National Archives, Unit Journal, Headquarters First Battalion, 409th Infantry, 010001 B May 1945 – 012400 B May 1945, Bestand “3103 – INF (409) – 0.3 27290 Opns – France, Germany, Austria, May ‘45“ (Record Group 407)“. 291 Luke Martin/Gary Martin, 103d Infantry Division History: Cactus Men. Audio Story CD 7: Track 1, Innsbruck and the End of War, [http://103divwwii.usm.edu/assets/track01-cd-7---vol-1.mp3], Minute 2:20- 2:43. 292 Dietrich, Kampf in der Scharnitzer Klause 1945, S. 1. 293 Interview Stefan Dietrich mit Ernst Ragg, Scharnitz 2005. 294 Dietrich, Kampf in der Scharnitzer Klause 1945, S. 1. 295 Gendarmeriechronik Scharnitz, Mikrofilm Nr. 2307 (Abschnitt 2) Scharnitz. TLA. 296 The National Archives, Unit Journal, Headquarters First Battalion, 409th Infantry, 010001 B May 1945 – 012400 B May 1945, Bestand “3103 – INF (409) – 0.3 27290 Opns – France, Germany, Austria, May ‘45“ (Record Group 407)“. 297 Im militärischen Jargon bedeutet ein Gebiet zu „versauen“, dieses bereits im Vorhinein durch Sperren, Minen oder Sprengfallen schwerer zugänglich für angreifende Teile zu machen. 298 East/Gleason, The 409th Infantery, S. 151. 61

Kampf verwickelten Aufklärungszuges, nach deren Überschreiten der deutschen Feuereröffnungslinie, hervor: „[…] it was the turn of the 614th Reconn[aissance] platoons to lead. […] Just as the reconn[aissance] platoons were crossing the German-Austrian border on the outskirts of Scharnitz, Austria, the leading armored car ran into heavy fire from anti tank weapons and machine guns. S/Sgt. Leroy Williams in the leading vehicle returned the fire but was struck in the arm by the recoil of his own gun. Lt. Keeby, in the second vehicle, attempted to move around him to bring his own weapons to bear on the enemy, but his car struck a mine. Helpless, the men left their armored cars to fight from the ground. Lt. Keeby, in attempting to get his 50 caliber machine gun of the vehicle was instantly killed, as were Sgt. Williams, T/5 Austin Johnson, T/5 Robert L Smith. and Pfc. James C. Harper […]. Pvt. Thomas J. Phillips was seriously wounded and Pvt. Clifton Moody was captured, but both were found in Innsbruck when our troops reached the city.”299

Der US-amerikanische Soldat Wilk der 103. Infanteriedivision schilderte in seinen Memoiren, welche unmittelbar nach dem Kampfeinsatz verfasst wurden, den Vorstoß auf Scharnitz und die überraschende Gegenwehr der dort verteidigenden deutschen Einheiten wie folgt: „Finally we crossed the border and moved into a small town in Austria. Everything was peaceful and quiet for a while. Then, all of a sudden, all hell broke loose. The mountains surrounding us seemed to be full of snipers and machine guns. Then our guns opened up. It was dark and gun flashes could be seen all over. This was one time we really observed blackout.”300

Die deutsche Panzerabwehrstellung stellte die schwerste Bedrohung für die angreifenden Truppen dar und bedrohte, beziehungsweise verzögerte, den schnellen Vormarsch der US- Einheiten. Ernst Ragg berichtet hierzu über einen vermeintlichen „Erfolg“ der Hitlerjungen, denen es geglückt war einen US-amerikanischen Panzer abzuschießen, wie folgt: „Mir haben oag’schaugt, i habs Glas g’habt. Und bei der Gelegenheit hab’n mir g’sehgn, da hat’s kracht – a! Ja, iatz habns an Panzer, mit der Panzerfaust, hat sich dann herausg’stellt, hab’n die Buam den Panzer knackt.“301 Im „Feindaufklärungsjournal G3“ der US-amerikanischen Streitkräfte wurde die Verzögerung der ersten alliierten Angriffsbestrebungen durch den Panzerabschuss der Hitlerjungen um 09:10 Uhr sogar mit den Worten: „S[urface] A[ttack] [hit] and one 88 hit at outskirts [of] SCHARNITZ“302 vermerkt, welches bedeutete dass

299 o. A., 614th Tank Destroyer Battalion in World War II, [http://www.tankdestroyer.net/images/stories/ArticlePDFs/614th_Unit_History_-_Complete.pdf], eingesehen 18.05.2017, S. 32. 300 Immanuel J. Wilk, Memories of the Last Weeks. Written in Innsbruck May - July 1945, [http://103divwwii.usm.edu/assets/ldow.pdf], eingesehen 20.05.2017. 301 Interview Stefan Dietrich mit Ernst Ragg, Scharnitz 2005. 302 The National Archives, G3-Journal, 0001 1 May 45 - 2400 1 Mai 45, Bestand “3103 – 3.2 G – 3 Journal 103D Inf. Div. May 1945“ (Record Group 407)“. 62

Panzerfausttreffer sowie ein Treffer einer 8,8cm Fliegerabwehrkanone (8,8cm FLAK) die US- amerikanischen Truppen vorerst zum Stehen brachte. Unter dem Titel „AUSTRIAN BORDER FIRE FIGHT. Scharnitz Pass, Austria“303 dokumentierte ein Filmteam der US-amerikanischen Streitkräfte die Kampfhandlungen in Scharnitz und beschrieb, dass vorerst die Infanterieeinheiten der einzelnen Kompanien des ersten Bataillons auf Grund des deutschen Beschusses in Deckung gingen und die deutschen Stellungen nun selbst mit Feuer eindeckten: „[…] Infantrymen of Co[mpanie]s “A”, “B”, and “C”, 1st Bn, 409th Regt, 103rd Div, supported by M-4 tanks and halftracks, take cover and fire weapons across snow-covered terrain.”304 Erst mit der Anforderung von Artillerieunterstützung und schwerem Feuer konnten die Stellungen der Hitlerjungen von den US-amerikanischen Soldaten gestürmt werden, gerieten jedoch sofort in das Sturmabwehrfeuer der Ausweichstellungen der zweiten deutschen Widerstandslinie.305 Der Umstand einer deutschen Panzerabwehrstellung mitsamt eines Geschützes war dem 103. US- amerikanischen Regiment jedoch bereits um 08:45 Uhr bekannt: „One A[nti] T[ank] gun and small arms fire located in Scharnitz [...].“306 Durch das „Feindaufklärungsjournal“ der US- amerikanischen Streitkräfte geht somit hervor, dass in der deutschen Widerstandslinie knapp hinter den Stellungen der Hitlerjugend eine Panzerabwehrstellung errichtet und mit einer 8,8 cm FLAK bestückt worden war und die anrückenden US-amerikanischen Truppen, zuerst im Kampf der verbundenen Waffen mit der Hitlerjugend, und nun alleine als „schwerste Waffe“ auf deutscher Seite, die Angreifer erfolgreich – wenn auch nur temporär – aufhielt. Im „Headquarters-Bericht“ der 103. Infanteriedivision wurde dies mit den Worten: „Advance was held up by the vicinity by an antitank ditch […]”307, vermerkt. Nur durch den Einsatz eines US-amerikanischen Leutnants, der dafür mit seinem Leben bezahlte, konnte die eigentliche deutsche Panzerabwehrstellung lokalisiert und schlussendlich ausgeschaltet werden. Im inoffiziellen Tagebuch des Aufklärungszuges wurde seine Tat wie folgt festgehalten: „[…] when the leading vehicle of a task force was hit by enemy fire, LIEUTENANT KEEBY immediately took the lead position in his armored car. Disregarding heavy enemy antitank, small arms and machine gun fire, he moved forward to seize critical bridges located in the town. When an anti-tank shell knocked out his armored car he

303 The National Archives Washington, 111-ADC-4417, Austrian Border Fire Fight (Scharnitz Pass, Austria) 1 May 45. 304 Ebd. 305 Borth, Nicht zu jung zum Sterben, S. 292. 306 The National Archives, Unit Journal, CT 409, 0001 1 May 45 - 2400 1 Mai 45, Bestand “3103 – INF (409) – 0.3 27290 Opns – France, Germany, Austria, May ‘45“ (Record Group 407)“. 307 The National Archives, Narrative 104th Infantry Regiment from 1 to 1o May 1945, Bestand “3103 – INF (409) – 0.3 27290 Opns – France, Germany, Austria, May ‘45“ (Record Group 407)“. 63

was fatally wounded by machine gun fire. His aggressive actions which [sic!] disclosed the enemy gun positions and led to the capture of the town […].”308

Im 2. Bataillon wurde die Tat des US-amerikanischen Leutnatns lediglich um 09:15 Uhr mit den Worten: „Recon[aissance] elements have entered Scharnitz“309 aufgezeichnet. Auf US- amerikanischer Seite gab es durch den fanatischen Widerstand der deutschen Kampftruppe bereits nach zehn Minuten die ersten Verluste. Das Ausschalten der einzigen Panzerabwehr- Stellung brachte jedoch die entscheidende Wende für eine erfolgreiche Weiterführung der Offensive durch die mechanisierten Einheiten der Alliierten. Im Regimentsjournal wurde um 10:15 Uhr dies mit den Worten „Tanks knocked out (1) A[nti] T[ank] gun”310 vermerkt. Nachdem die „schwerste Waffe” auf deutscher Seite ausgeschaltet worden war, wurden „[t]he 409th rifleman […] again called upon [as previously at Garmisch] to clear the enemy from the hills, town and roadblocks.”311 Wiederum zehn Minuten später, um 10:25 Uhr wurde im US-Kriegsjournal verzeichnet, dass deren C-Kompanie bereits den Fluss  die Isar  bei Scharnitz erreicht hatte, somit Boden gegen die deutschen Truppen gewinnen konnte, „Reached river at Scharnitz. Co[mpany] ‘C’ crossing river”312, und schon im Prozess des Übersetzens war, um weitere Angriffswellen gegen die Stellungen der deutschen Verteidiger von Scharnitz voranzutreiben und diese im Häuserkampf endgültig zu werfen. So berichtete auch das US-amerikanische Filmteam, dass nun „[…] soldiers, covered by M-4 tank, enter[ed] village, [and] pass[ed the] road sign [and] cautiously enter[ed] b[ui]ld[in]gs.”313 Aus dem Kriegstagebuch des 1. US-amerikanischen Bataillons geht zudem hervor, dass um 10:25 Uhr 25 deutsche Soldaten als PW’s (Prisoners of War) in US-amerikanische Kriegsgefangenschaft gerieten: „Receipt for 25 PWs to PW Cage.“314 Das Kommando des

308 o. A., 614th Tank Destroyer Battalion in World War II, [http://www.tankdestroyer.net/images/stories/ArticlePDFs/614th_Unit_History_-_Complete.pdf], eingesehen 18.05.2017, S. 32-33. 309 The National Archives, Unit Journal, Headquarters Second Battalion, 409th Infantry, 010001 B May 1945 – 012400 B May 1945, Bestand “3103 – INF (409) – 0.3 27290 Opns – France, Germany, Austria, May ‘45“ (Record Group 407)“. 310 Ebd. 311 Luke Martin/Gary Martin, 103d Infantry Division History: Cactus Men. Audio Story CD 7: Track 1, Innsbruck and the End of War, [http://103divwwii.usm.edu/assets/track01-cd-7---vol-1.mp3], Minute 2:20- 2:43. 312 The National Archives, Unit Journal, Headquarters First Battalion, 409th Infantry, 010001 B May 1945 – 012400 B May 1945, Bestand “3103 – INF (409) – 0.3 27290 Opns – France, Germany, Austria, May ‘45“ (Record Group 407)“. 313 The National Archives Washington, 111-ADC-4417, Austrian Border Fire Fight (Scharnitz Pass, Austria) 1 May 45. 314 The National Archives, Unit Journal, Headquarters First Battalion, 409th Infantry, 010001 B May 1945 – 012400 B May 1945, Bestand “3103 – INF (409) – 0.3 27290 Opns – France, Germany, Austria, May ‘45“ (Record Group 407)“. 64

409. Infanterie Regiments vermerkte um 14:50 Uhr, dass deren „C“ Kompanie Scharnitz bereits unter US-amerikanische Kontrolle gebracht hätte und dass deren „A“ Kompanie eine deutsche Einheiten, die unter dem unrühmlichen Namen „Krauts“  einem Synonym für deutsche Soldaten in US-amerikanischem Soldatenjargon  in Kompaniestärke um 14:50 Uhr „umzingelt“ hatte: „C CO[mpany] in Scharnitz; everything under control; A CO[mpany] has a CO[mpany] of Krauts surrounded.”315 Eine militärische „Kompanie“ besteht aus mindestens zwei „Zügen“ und maximal 4 „Zügen“, mit einem Gesamtkontingent von durchschnittlich 60-130 Mann inklusive aller Kommandanten.316 Der Vermerk der Gefangennahme von 25 deutschen Soldaten sowie „Einkesselung“ von einer deutschen Kompanie lässt einerseits Aufschluss über die Gesamtstärke des im Dorf Scharnitz stehenden deutschen Kampfverbandes zu. Andererseits wird so wie zuvor beschrieben, bestätigt, dass die angewandte Taktik der US-Truppen, den Gegner unter Feuer zu nehmen und flankierend anzugreifen, verwirklicht wurde. Rossiwall schrieb hierzu, dass eine US-amerikanische Infanteriekompanie von ihrem Befehlshaber den Auftrag bekam, über Römerweg durch den Ahrntalkopf durchzustoßen um die deutschen Verteidiger über ihrer Flanke in den Rücken zu fallen.317 Dabei ergibt sich laut den US- amerikanischen Aufzeichnungen und der Aussage Pepeunigs eine durchschnittliche Mindestgesamtstärke aus den „eingekesselten“ kompaniestarken 60 Mann, die sich aus den genannten zusammengewürfelten SS-Truppen, welche laut Landwehr so genannte „battlegroups“  Kampfgruppen  darstellten und somit deren Stärke über einer Gruppe aber unter einem Zug („platoon“) liegen musste, würden im Schnitt zwischen 14 und 28 Soldaten gewesen sein, sowie den, laut Pepeunigs Aussagen, 20 Hitlerjungen. Die das Dorf Scharnitz verteidigenden deutschen Kräfte beliefen sich demnach auf mindestens 85 Mann und 15 Hitlerjungen, wobei die bereits gefallenen, verwundeten und sich zurückgezogenen Soldaten nicht berücksichtigt beziehungsweise enthalten sind. Somit würde sich im Endeffekt eine maximale Gesamtstärke zwischen 85 und 145 Mann ergeben, die im Dorf Scharnitz und an der Porta Claudia im Einsatz standen. Zudem zeichnete das US-amerikanische Dokumentationsteam wie folgt auf, dass mit sich ergebenden deutschen Soldaten nicht nachgiebig verfahren wurde „[…] two German soldiers running toward US soldiers with hands raised. An American soldier kicks one of the German

315 The National Archives, Unit Journal, CT 409, 0001 1 May 45 - 2400 1 Mai 45, Bestand “3103 – INF (409) – 0.3 27290 Opns – France, Germany, Austria, May ‚45“ (Record Group 407)“. 316 Bundesministerium für Landesverteidigung, Dienstvorschrift „Die Jägerkompanie”, Wien 2005, S. 27. 317 Theo Rossiwall, Die letzten Tage. Die militärische Besetzung Österreichs 1945, Wien 1969, S. 271. 65 soldiers as he passes.”318 Georg Schulz aus München, der ein Angehöriger des III. Geb. Jäger-Regiments 98 und unter den erwähnten gefangengenommenen deutschen Verteidigern war, schilderte seine seine Gefangennahme und ein Zusammentreffen von befreiten Juden aus dem KZ-Dachau in Mittenwald – dessen Umstand der Autor dieser Arbeit in weiterer Folge noch behandeln wird – wie folgt: “Teilweise mit dem Gewehrkolben schlagend angetrieben, erreichten wie die ersten Häuser von Mittenwald [...] Auf der Isarbrücke, kurz nach dem Verbandsplatz, überließ uns der Amisoldat den dort wartenden KZ-lern, die uns prügelnd empfingen und alles abnahmen, was sie für nützlich fanden. Nicht Brauchbares warfen sie in die Isar.“319

Um 16:08 Uhr wurde die Meldung „Town almost cleared”320 ins Kriegstagebuch des 409. Regiments eingetragen. Jedoch stellte dies nicht das Ende der Kampfhandlungen dar, denn vereinzelte Widerstandsnester, die zum Großteil Heckenschützenstellungen waren, verteidigten immer noch Gelände um Scharnitz. Im US-Journal wurde diesbezüglich vermerkt: „Scharnitz was cleared […] by the 1st Battalion following scattered resistance including much sniper fire.”321 Hierzu wurde dem 3. nachrückenden US-Infanteriebataillon befohlen, endgültig die letzten widerstandleistenden deutschen Soldaten im umliegenden Raum Scharnitz zu werfen. Der Befehl dazu lautete: „[...] clear out snipers at Scharnitz at once.”322 Elfeinhalb Stunden nach Beginn des Gefechtes schwiegen die Waffen in Scharnitz, da alle deutschen Einheiten entweder gefangengenommen oder gefallen waren, beziehungsweise sich zum Großteil zurückgezogen hatten. Das 1. Bataillon vermerkte die endgültige Eroberung von Scharnitz mit den Worten „2130 Scharnitz occupied and cleared.”323 East und Gleason konstatieren hierzu, dass die Verteidiger von Scharnitz kurz, aber verbissen, um ihre Verteidigungsstellungen gerungen haben: „After a sharp but short fight at Scharnitz, a

318 The National Archives Washington, 111-ADC-4417, Austrian Border Fire Fight (Scharnitz Pass, Austria) 1 May 45. 319 Bericht von Georg Schulz über seine Gefangennahme an der Porta Claudia, zit. in Thomas Albrich/Stefan Dietrich, Todesmarsch in die „Alpenfestung“. Der „Evakuierungstransport“ aus dem KZ-Dachau nach Tirol Ende April 1945 in: Geschichte und Region (6/1997), S. 13-50, hier S. 38. 320 The National Archives, Unit Journal, Headquarters First Battalion, 409th Infantry, 010001 B May 1945 – 012400 B May 1945, Bestand “3103 – INF (409) – 0.3 27290 Opns – France, Germany, Austria, May ‘45“ (Record Group 407)“. 321 The National Archives, Headquarters 103d Infantry Division APO 470, U. S. Army, Annex No. 7, Narrative from 1 May- 10 May, Bestand “3103 – INF (409) – 0.3 27290 Opns – France, Germany, Austria, May ‘45“ (Record Group 407)“ 322 The National Archives, Unit Journal, CT 409, 0001 1 May 45 - 2400 1 Mai 45, Bestand “3103 – INF (409) – 0.3 27290 Opns – France, Germany, Austria, May ‘45“ (Record Group 407)“. 323 The National Archives, Unit Journal, Headquarters First Battalion, 409th Infantry, 010001 B May 1945 – 012400 B May 1945, Bestand “3103 – INF (409) – 0.3 27290 Opns – France, Germany, Austria, May ‘45“ (Record Group 407)“. 66

Germany-Austria frontier town, the 409th plowed through troops who bitterly defended their prepared positions in the mountains.”324 Unter dem Titel „RESULTS OF OPERATION“ wurde im periodischen US-amerikanischen „Feindaufklärungsreport“ nach dem Gefecht bei Scharnitz vermerkt: „Div[ision] continued advance in sector, with 409th Inf attacking on Left [sic!]. Numerous road blocks, road craters, and blown bridges impeded the advance during period. SCHARNITZ cleared at 1500B by 409th Inf, and advance continued to Northern outskirts of SEEFELD.“325 Zudem wurde im Bericht auch die Kampfeffizienz der eigenen Truppen – die in direkter Korrelation mit den eigenen Verlusten im Kampfeinsatz stand und diese somit indirekt auch widerspiegelt – mit dem Prädikat „Excellent“ verzeichnet worden.326 Ernst Ragg traf nach Ende des Gefechts auf dem Weg ins Tal einige Hitlerjungen, die sich bereits abgesetzt hatten und sich gerade auf dem Rückzug befanden. Er schilderte das Zusammentreffen wie folgt: „Nach kemmen die Buam daher, Innsbrucker Buam. Ja wo kemmt’s denn her? Ja, do und do. Der uane hat an Revolver g’habt. Ja, und wohin iatz? Miar mechtn nach Innsbruck, nit. Ja Buam, wia wellt’s iatz nach Innsbruck? Sie hoban gmoant übers Gleirschtal. Und da hat’s ja Schnea g’hobt. Do kemmt’s nit eini! [...] Da war vielleicht drei Meter Schnea aui, oder? Wia willsch’n da nach Innsbruck gian? Außerdem warn se a nit so super bekleidet, die warn in der Nacht derfroarn. Nacha – hauts nur ab, sinscht ham mer lei Schwierigkeiten. Nach sein se wieder oba zur Isar, links von Dorf sein se dann darhau. Mir haben dann nicht mehr g’segn und nichts mehr g’heart.“327

In Bezug auf Dietrich könnten dies die Angehörigen der Hitlerjugend gewesen sein, denen es gelungen war, den US-amerikanischen Panzer abzuschießen. Am Faktum, dass diese an vorderster Front gekämpft hatten bestand kein Zweifel, denn die Jugendlichen hatten amerikanische Zigaretten am Mann. Ernst Ragg berichtete hierzu: „Ja, Zigrettn haben se a g’habt, amerikanische Zigaretten. Ja, weil nach hab’n’s g’sagt - rachst a uane? Ja, Camel, moan i. „Kamel“, haben mir g’sagt, weil mir hab’n nit g’wusst, was de isch. Dei Bursch sein nach og’haut.“328 In Bezug auf die Hitlerjungen schilderte Ragg zudem, dass sich die Hitlerjungen nach dem ersten „Feindkontakt“ „[...] olle aufgelöst [haben], de sein a kommandolos daherkemmen, de Buam.“329 Pepeunig hingegen schilderte bei seiner Befragung nach Kriegsende bei der Sicherheitsdirektion Innsbruck im August 1945, dass er „[n]ach

324 East/Gleason, The 409th Infantry, S. 141. 325 The National Archives, G3-Periodic Report, 0001 1 May 45 - 2400 1 Mai 45, Bestand “3103 – 3.1 103D Inf. Div. Periodic Reports 1-10 May 1945“ (Record Group 407)“. 326 Ebd. 327 Interview Stefan Dietrich mit Ernst Ragg, Scharnitz 2005. 328 Ebd. 329 Ebd. 67 aussichtslosem Kampf [seine] [...] Hitlerjungen aus den Stellungen heraus [gezogen]“330 und zusammen mit „seinen“ Hitlerjungen von Scharnitz nach Seefeld den Rückzug angetreten hatte. Des Weiteren hätte er vom Innsbrucker Kreisleiter Primbs befohlen bekommen, neuerlich ein Widerstandsnest zwischen Leithen und Reith bei Seefeld zu beziehen und den Kampf fortzuführen. Er selbst aber, so Pepeunig, bat den Kreisleiter, die Hitlerjungen nach Innsbruck verlegen zu dürfen und diese dort außer Dienst zu stellen. Pepeunig bekam demnach die volle Handlungsfreiheit zugesprochen und entließ die Hitlerjungen schlussendlich dort aus deren Dienst.331 Das Gefecht bei Scharnitz kam auch im späteren Prozess gegen den Innsbrucker Kreisleiter Primbs zur Sprache, da dieser sich am 1. Mai 1945 noch als selbsternannter Kommandeur und übergeordneter „Kampfkommandant“ betätigt hatte, obwohl, wie bereits erwähnt, de facto Gauleiter Hofer alle Tiroler „Standschützenbataillone“ unterstanden. Primbs rechtfertigte bei der Vernehmung durch die Bundespolizeidirektion Innsbruck am 16. August 1947 sein Eingreifen und Handeln bei Scharnitz wie folgt: „Nachdem die Alpenfestung Tirol deklariert war, sollte in Scharnitz einen [sic!] Auffangstelle gebildet werden und zwar durch Wehrmacht und Standschützen. Dieser Auftrag wurde von Generalfeldmarschall Kesselring erteilt. Als am 1.5.1945 die Amerikaner gegen Scharnitz anfuhren waren meine beiden Standschützenbat. bereits in Auflösung sodass ich den Rest vor einem Einsatz nach Hause schickte. Mein nächster Befehl erging an den Bannführer der HJ Pepeunig, dass er sofort die HJ aus der Kampflinie herausziehen muss und sie nach Seefeld zurückführen soll was er auch tadellos durchführte. In Seefeld erstattete er mir den Vollzug meines Befehles. In Scharnitz kämpfte lediglich noch Hauptm. Petrotti [sic!] mit 2 Kompanien Geb. Jg.. Als er dort fiel fuhr ich seinen Leichnam zurück nach Seefeld und brachte ihn in das dortige Lazarett.“332

Hier ergeben sich wiederum Divergenzen in Pepeunigs und Primbs Aussagen, da Pepeunig, wie bereits erwähnt, verlautbarte, er hätte den Kreisleiter um Abzug der Hitlerjungen gebeten und dies nicht wie Primbs zu Protokoll gab, befohlen bekommen und auf Grund dessen durchgeführt hatte. In den Anfangskämpfen um Scharnitz war auch der bayrische Bataillonskommandeur, Hauptmann Pedrotti, im Einsatz gefallen, der  wie sich in weiterer Folge dieser Arbeit zeigen wird  wie alle anderen gefallenen deutschen Soldaten am Waldfriedhof bei Seefeld begraben wurde. Laut Kaltenegger geschah dies, als der Hauptmann eigenmächtig die an der

330 Beschuldigteneinvernahme bei der Sicherheitsdirektion Innsbruck, 17.08.1945. TLA, Landesgericht Innsbruck, 10 Vr 599/52 Z LG 1952 10 Ur 24/52-P, Bl. 7-8. 331 Ebd., Bl. 7-8. 332 Beschuldigteneinvernahme bei der Sicherheitsdirektion Innsbruck, 16.08.1947. TLA, Landesgericht Innsbruck, 10 Vr 1322/57 Präs. III Zl. 7321/46, Bl. 12. 68

Hauptkampflinie stehenden Hitlerjungen aus dem Kampfeinsatz ziehen wollte.333 Ein anderer Zeitzeuge berichtete zudem im Interview mit Dietrich gesehen zu haben, dass der deutsche Kampfkommandant Pedrotti nicht im Zuge des Ablösens der Hitlerjungen beziehungsweise im Kampf viel, sondern von seinen eigenen Soldaten, die nicht mehr die Intention hatten bis zur letzten Patrone zu kämpfen, erschossen worden war.334 Auf die Frage ob sich in Scharnitz hierbei ein „Heldenkampf“ abgespielt hätte schilderte Ernst Ragg: „Na, na, in keiner Weise.“335 Zudem traf, laut Rauchensteiner, genau das ein, was der Scharnitzer Zeitzeuge beschrieben hatte: „Nachdem der Kampfkommandant von Scharnitz gefallen war, zeigten sich Auflösungserscheinungen, die Sperren wurden geräumt und die Soldaten fluteten zurück.“336 Laut Ernst Ragg waren „De poor Soldoten de no do sein [sic!], de sein obkaut dorten, [...] des wor jo koa Kunst nit durch die Wälder darhau links und rechts, nit, und do hot sich, do hots koane Gfongenen geben in dem Sinn, nit.“337 Die „Kampfgruppe Innsbruck Nord“ hatte sich demnach bereits fast vollständig aufgelöst, bevor schwerere Kampfhandlungen gegen die US-amerikanischen Truppen überhaupt begonnen hatten. Hierzu konstatiert Dietrich: „Wie es sich darstellt, hatten damals alle beteiligten Einheiten mit Ausnahme der HJ keine große Lust zu kämpfen und dachten nur daran, sich abzusetzen.“338 Im Gegensatz zu den Telfer Standschützen gelang es den Soldaten die bei Scharnitz im Kampfeinsatz gestanden waren nicht allen, sich vor dem Gefecht abzusetzen. Die vermeintliche Erschießung des Hauptmann Pedrotti durch eigene Truppen dient zudem als ein weiteres zynisches Beispiel neben einem Einsatz von Jugendlichen an vorderster Front vor den Scherben eines bereits verlorenen Krieges.

3.2.2.6 Die Kontroverse der Verluste Laut Zimmermann fanden „[v]iele junge Tiroler Burschen [...] in diesen Stunden einen besonders sinnlosen Tod.“339 Die Anzahl der sich bei Scharnitz im Abwehrkampf befundenen Hitlerjungen und deren im Kampf Gefallenen wird jedoch in der Literatur widersprüchlich angegeben.

333 Roland Kaltenegger, Operation „Alpenfestung“: das letzte Geheimnis des „Dritten Reiches“, München 2005, S. 305. 334 Email Stefan Dietrich an Dominik Ender, 13.09.2017. 335 Interview Stefan Dietrich mit Ernst Ragg, Scharnitz 2005. 336 Rauchensteiner, Der Krieg in Österreich 1945, S. 324. 337 Interview Stefan Dietrich mit Ernst Ragg, Scharnitz 2005. 338 Email Stefan Dietrich an Dominik Ender, 13.09.2017. 339 Zimmermann, Ehre, wem Ehre gebührt, Echo Online (2012), [http://www.echoonline.at/news- detail/?no_cache=1&tx_ttnews%5Btt_news%5D=3534&cHash=ed5132b9c4a8dde54ec127cd64fa5822], eingesehen 22.05.2017. 69

Zimmermann macht in der Echo-Ausgabe über die „Akte Pepeunig“ keine genaue Angabe bezüglich der Hitlerjungen in Scharnitz, sondern spricht von einer „Truppe [...] ‚herrische[r] und unerschrockene[r]‘ Burschen“340, wobei der Begriff „Truppe“ im eigentlichen Sinn keine genaue Aussage über die Anzahl der kämpfenden „Kindersoldaten“ im Form der Hitlerjugend zulässt, sondern sich vielmehr auf die Klassifizierung eines spezifischen Teilkontingentes  in diesem Fall einer Einheit der Hitlerjugend  bezieht. Stoppel beziffert die Anzahl der eingesetzten Hitlerjungen an der Hauptkampflinie mit einer „Gruppe von Hitlerjungen.“341 Die durchschnittliche Gruppenstärke in militärischen Infanterieverbänden beträgt durchschnittlich sieben Soldaten samt Kommandant.342 Beimrohr hingegen gibt an, dass „die vorderste Kampflinie von einem Zug 15- bis 16jähriger Hitlerjungen des ‚HJ-Bannes Innsbruck‘“343 gehalten wurde. Die militärische Größenordnung „Zug“ entspricht einer Stärke von vier Gruppen und einer Gesamtstärke von 28 Mann.344 Beide Autoren nennen in ihren Werken jedoch keine genaue Anzahl der Todesopfer unter den Hitlerjungen. Etschmann spricht, wie Beimrohr, davon, dass ein Zug Hitlerjungen, der im Raum Scharnitz an der Porta Claudia eingesetzt war, dieser jedoch im Gesamten in den Kämpfen geopfert wurde.345 Dies würde wiederum einer Anzahl von 28 gefallenen Kindern bedeuten. Wie bereits erwähnt, beziffert der damalige Bannführer Pepeunig 20 Hitlerjungen die er in das Gefecht bei Scharnitz führte. Seine Aussagen wurden aber fast ein Jahr nach dem Kampfeinsatz bei Scharnitz aufgenommen und erscheinen  einerseits im retrospektiven Aspekt und andererseits im Angesicht eine etwaige Schuld, Hitlerjungen in den Tod geschickt zu haben und um diesen Umstand zu mindern  teilweise von zweifelhafter Natur zu sein. Pepeunigs Aussagen stellen sich nämlich zu gewissen Teilen in sich widersprüchlich dar. Bei der bereits erwähnten Befragung nach Kriegsende gab dieser an, mit 20 Hitlerjungen nach Scharnitz in den Kampfeinsatz gegangen zu sein. In einem Brief an Holzträger gibt dieser jedoch an „Mit zehn Hitlerjungen, [die mit] den Uniformen der Tiroler Standschützen [...]“346 adjustiert waren, in Scharnitz eingerückt zu sein. Des Weiteren gab Pepeunig bezüglich der Verluste an, dass es außer einer Flucht und einer Verwundung eines Hitlerjungen, keine gab, denn, laut seiner eigenen Aussage, trug sich nur zu, dass „einer vermutlich in Gefangenschaft

340 Zimmermann, Die Akte Pepeunig, in: Echo (12/2010), S. 54-61, hier S. 56. 341 Stoppel, „Uns wächst eine herrliche Jugend heran!“, S. 205. 342 Bundesministerium für Landesverteidigung, Dienstvorschrift „Die Jägergruppe”, Wien 2005, S. 18. 343 Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/ landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 344 Bundesministerium für Landesverteidigung, Dienstvorschrift „Der Jägerzug”, Wien 2005, S. 18. 345 Wolfgang Etschmann, Die Kämpfe um den Fernpass Ende April, Anfang Mai 1945, Wien 1985, S. 23. 346 Brief von Hermann Pepeunig an Hans Holzträger, Privatarchiv Holzträger, zit. in Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 116. 70 geriet, [...] ein zweiter Hitlerjunge [...] verwundet [wurde] und [...] sich ins Karwendelgebirge zurückgezogen [hatte]“347 was Pepeunig auch im Brief an Holzträger mit den Worten „[k]einer der Jungen ist gefallen“348 wiederholte jedoch mit der Aussage „keiner wurde verwundet“349 wiederum widersprüchlich darstellt. Im Gegensatz zu Pepeunigs Aussagen bilanziert Zimmermann, dass zahlreiche Hitlerjungen in US-amerikanische Kriegsgefangenschaft kamen.350 Der Scharnitzer Zeitzeuge Ernst Ragg gab im Interview eine ähnliche Angabe wie Pepeunig selbst an, nämlich dass die Hitlerjungen, „[...] de Buam sein olle herkemmen, de sein olle do drein [in Innsbruck] gwesen und do Schual gongen [...] a vierzehn, fuchzehn Buam seins eia kemma do [...].“351 Ein Zeitzeuge berichtete Rauchensteiner, dass dieser mit 15 Jahren zu den Tiroler Standschützen kam und vorher, wie seine 14- bis 16-jährigen Altersgenossen die in der Hitlerjugend waren, die Hans-Schemm-Schule352 oder Innsbrucker Gymnasien besucht hatten.353 Der Autor der vorliegenden Arbeit stand während des Verfassens mit der Direktorin der ehemaligen Hans-Schemm-Schule in Kontakt, welche auf die Anfrage bezüglich Schülerlisten der Jahrgänge 1928 und 1929 angab, dass „[...] leider keine Schülerlisten von diesen Jahrgängen [mehr bestünden]  diese enden bei uns [im Schularchiv] mit dem Jahrgang 1942.“354 Borth bezieht sich hierbei jedoch auch darauf, dass 40 HJ-Fronthelfer zwischen 14 und 16 Jahren nach Scharnitz geführt wurden und laut Rauchensteiners Zeitzeugen, im Raum um die Porta Claudia in vier Zehnergruppen aufgeteilt worden waren wobei 28 der „Kindersoldaten“ im Gefecht um Scharnitz starben.355 Laut Rauchensteiner waren die „Hitlerjungen [...] heftig beschossen w[o]rden. 28 dieser 15- und 16jährigen wurden getötet.“356 Auch Riedmann bezieht sich auf Rauchensteiners Zahlen und führt an, dass an der Hauptkampflinie in Scharnitz „[...] 40 Hitlerjungen des HJ-Bannes Innsbruck [...] [eingesetzt waren] worauf 28 dieser Fünfzehn- und Sechzehnjährigen den Tod fanden.“357 Auch Schreiber nennt, dass „[...] rund 30 Hitlerjungen des HJ-Bannes Innsbruck [...] getötet

347 Beschuldigteneinvernahme bei der Sicherheitsdirektion Innsbruck, 17.08.1945. TLA, Landesgericht Innsbruck, 10 Vr 599/52 Z LG 1952 10 Ur 24/52-P, Bl. 7-8. 348 Brief von Hermann Pepeunig an Hans Holzträger, Privatarchiv Holzträger, zit. in Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 116. 349 Ebd., S. 116. 350 Zimmermann, Die Akte Pepeunig, in: Echo (12/2010), S. 54-61, hier S. 56. 351 Interview Stefan Dietrich mit Ernst Ragg, Scharnitz 2005. 352 Die „Hans-Schemm-Schule“ wurde nach Kriegsende in „Renner-Schule“ umbenannt und trägt gegenwärtig die Bezeichung „NMS-Pembaurstraße“. 353 Alfred Borth, Was geschah 1945 bei Scharnitz? in: Die Kameradschaft. Unabhängiges Mitteilungsblatt für ehemalige und aktive Soldaten (1986/4), S. 6. 354 Email Ulrike Rainer an Dominik Ender, 06.09.2017. 355 Borth, Was geschah 1945 bei Scharnitz, S. 6. 356 Rauchensteiner, Der Krieg in Österreich, S. 223-224. 357 Riedmann, Das Bundesland Tirol 1918-1970, S. 1134. 71 wurden.“358 Zudem stellt auch Steiner fest, dass „[b]ei diesem Kampfeinsatz gegen die kriegserfahrenen und bestens ausgerüsteten Soldaten der 103. US-Infanteriedivision [...] zwei Tage vor der Befreiung Innsbrucks 28 der 40 dort eingesetzten Jugendlichen ihr Leben verloren.“359 Hans Holzträger hingegen, der mit zahlreichen Augenzeugen des „Abwehrkampfes“ in Kontakt war und verschiedenste Archivquellen heranzog, schreibt, dass „[v]on 28 bzw. 30 Hitlerjungen, die bei den Kämpfen umkamen [...][,] sich keinerlei Hinweise [finden].“360 Gerd Sallaberger, ein am 14. Juli 1928 geborener Zeitzeuge, stand im Jahr 2005 mit Dietrich in Kontakt, der genau zur Zeit des Gefechts bei Scharnitz Angehöriger der Hitlerjugend in Innsbruck war. Bezüglich der Kontroverse um die im Kampfeinsatz vermeintlich getöteten Hitlerjungen gab Sallaberger im Gespräch an, dass es „[...] vollkommen ausgeschlossen [sei], dass in Scharnitz auch nur zwei oder drei Hitlerjungen gefallen wären, ohne dass man dann in Innsbruck in seinen Kollegenkreisen davon erfahren hätte. Geschweige denn 20 oder 30!“361 Laut Ernst Ragg waren die Verluste auf deutscher Seite im Allgemeinen jedoch nur gering ausgefallen.362 Auf die Frage nach dem von Rauchensteiner verwendeten Bericht und der Angabe von 28 gefallenen Hitlerjungen sowie der Möglichkeit, dass 28 Hitlerjungen getötet wurden, erwiderte Ernst Raggs Frau: „Na, do hot ma nia wos keat“363 und Ernst Ragg selbst: „Des woas i nit wo de gwesen [hätten] senn [sollen] [...] koane gsegn [...].“364 Somit waren laut den Schilderungen des Zeitzeugen „[k]eine Spur von den in manchen Geschichtsbüchern kolportieren 30 Gefallenen“365 zu sehen. Wegen des bereits beschriebenen massiven US- amerikanischen Artillerieeinsatzes dürften, neben den Kampfhandlungen, laut Dietrich, versprengte deutsche Soldaten gefallen sein.366 Rossiwall schreibt zur Thematik, dass im Gesamten 16 deutsche Soldaten bei dem Gefecht um Scharnitz umgekommen waren – was wiederum die Anzahl der vermeintlichen 28-40 gefallenen Hitlerjungen in Frage stellt.367 Auch der ehemalige Leiter des Tiroler Landesarchivs, Steinegger, berichtete bezüglich der Verluste, dass

358 Schreiber, Schule in Tirol und Vorarlberg 1938-1948, S. 254. 359 Steiner, Hitler-Jugend und Bund Deutscher Mädel, S. 73. 360 Hans Holzträger, zit. in Stoppel, „Uns wächst eine herrliche Jugend heran!“, S. 276. 361 Interview Stefan Dietrich mit Gerd Sallaberger, Innsbruck 2005. 362 Interview Stefan Dietrich mit Ernst Ragg, Scharnitz 2005. 363 Ebd. 364 Ebd. 365 Dietrich, Kampf in der Scharnitzer Klause 1945, S. 1. 366 Interview Stefan Dietrich mit Ernst Ragg, Scharnitz 2005. 367 Rossiwall, Die letzten Tage, S. 269. 72

„‚laut hier vorliegendem Gendarmeriebericht [...] bei den Kampfhandlungen am 1. Mai 1945 in Scharnitz 16 deutsche und 9 amerikanische Soldaten gefallen [...] [sind]. Während die 9 amerikanischen Soldaten nach Mittenwald überführt wurden, sind die 16 deutschen Soldaten, von denen der jüngste Mann 20 Jahre alt war, zunächst in Scharnitz bestattet und dann im Jahre 1947 wieder exhumiert und im neugeschaffenen Waldfriedhof [...] wieder beigesetzt worden.‘“368

Das Faktum, dass einerseits dieser Eintrag jedoch nicht unmittelbar nach den Kampfhandlungen, sondern erst nach Kriegsende getätigt worden war und andererseits der dazugehörige Vermerk, dass die toten Soldaten an „Ort und Stelle“ beigesetzt wurden, die Toten jedoch alle auf dem Seefelder Waldfriedhof begraben wurden, könnte an der Aussagekraft dieser Quelle zweifeln lassen. Ernst Ragg verwies hierzu, dass auf deutscher Seite „[...] lediglich die vier, fünf Soldoten, de do stationiert [und] de nit weck sein [gefallen waren] – de kennen ober a durch Granatsplitter oder sowos draufgongen sein, jedenfolls de hot ma donn do drüben [an Ort und Stelle] eingroben – noch Seefeld sein donn achte oder zehn Leut‘ auffi kemma – do woren bestimmt drei Dachauer [Häftlinge] dabei tat i sogn.“369

Die von Ernst Ragg hier erwähnten Dachauer Häftlinge stellen ein trauriges Kapitel eines Nebenschauplatzes des Kampfes um Scharnitz dar. Jüdische Häftlinge aus dem KZ-Dachau sollten mit der Eisenbahn und in langen „Todesmärschen“ nach Tirol „evakuiert“ werden, um entweder beim „Ausbau der Alpenfestung“ oder beim Bau eines Großwindkanals im Ötztal, auf diese Weise den Tod zu finden.370 Die Zeitzeugenaussagen von Ernst Ragg bestätigen jedoch einerseits den Postenbericht der Gendarmerie Scharnitz, dass die gefallenen Soldaten anfänglich wirklich in Scharnitz an „Ort und Stelle“ begraben und in weiterer Folge exhumiert und im Endeffekt in Seefeld bestattet wurden.371 Andererseits erweisen sich die Aussagen von Ernst Ragg als treffend, da die Häftlinge durch Kriegswirren der letzten Tage und der Flucht ihrer Bewacher vor den anrückenden US-amerikanischen Truppen tatsächlich von Mittenwald über Scharnitz bis in den Raum Seefeld verstreut waren. Der Kriegskorrespondent Meyer Levin, der zusammen mit dem Kriegsfotographen Eric Schwab auf überlebende umherirrende jüdische Häftlinge im Gebiet um Seefeld traf, schilderte eine Begegnung wie folgt: „Auf der kurvenreichen Bergstraße sah man nichts als Schnee und bereifte Bäume, die im Neben verschwanden. Ein Windstoß wirbelte den Schnee auf und verwandelte den Nebel in eine eisige Wolke, in der wir plötzlich zwei dunkle Gestalten erkannten. Sie

368 Stellungnahme vom Leiter des Tiroler Landesarchivs bzgl. der Gefallenen bei Scharnitz, zit. in Borth, Was geschah 1945 bei Scharnitz?, S. 6. 369 Interview Stefan Dietrich mit Ernst Ragg, Scharnitz 2005. 370 Albrich/Dietrich, Todesmarsch in die „Alpenfestung“, S. 17. 371 Gendarmeriechronik Scharnitz, Mikrofilm 2307, (Abschnitt 2) Scharnitz. TLA. 73

kamen immer näher, stolperten auf uns zu, gebeugt, schwankend geisterhaft. Es waren [...] [z]wei Männer, hungrig, ausgezehrt, mit fieberglänzenden Augen, die Füße in Lumpen gewickelt. Die dünnen gestreiften Häftlingshosen blähten sich um die streichholzdünnen Beine. Mir war klar, dass es sich nur um Juden handeln konnte [...]. Sie waren auf einem der letzten Transporte gewesen; ihre Bewacher waren geflohen.“372

Auf die Frage, ob es insgesamt viele gefallene Soldaten nach dem Gefecht bei Scharnitz gab, erwiderte und wiederholte Ernst Ragg: „Na, wenna ochte, zehne woren, glaub i, und de Soldoten hot ma nochand natürlich wieder – sprich exhumiert, ausgroben wieder, nit, bold amol drauf, und dia sein olle auf Seefeld auffi kemma auf den Friedhof.“373 Zudem, wie bereits erwähnt, wurden auf US-amerikanischer Seite selbst von offizieller und inoffizieller Seite her acht gefalle GIs und nicht neun vermerkt, die nach Mittenwald gebracht worden waren. Jedoch waren, laut dem Eintrag, keine unter 20-jährigen Gefallenen, deren Alter dem von Hitlerjungen entsprochen hatte, verzeichnet worden, was  wie sich in weiterer Folge dieser Arbeit zeigen wird  dem Gendarmeriebericht wiederum Glaubhaftigkeit zukommen lässt. Eine Stellungnahme der Gemeinde Seefeld am 14. Jänner 1986 konstatiert, dass „[n]ach Durchsicht des Beerdigungsbuches der Gemeinde Seefeld [...] keine Namen von 15 bis 17jährigen auf[scheinen], welche im Kriegsfriedhof am Waldfriedhof beigesetzt wurden. Auch in den Privatgräbern befinden sich keine Gefallenen der sogenannten Jahrgänge“374 Dies kann jedoch widerlegt werden. Laut der Liste des „Schwarzen Kreuzes“ der Landesstelle Tirol bezüglich der Belegung des Soldatenfriedhofes in Seefeld, sind 45 Soldaten verzeichnet, davon 35 namentlich und 10 als „unbekannte“ Gefallene. Bezüglich der Thematik dieser „Unbekannten“ vermerkte das Gendarmeriepostenkommando Scharnitz in der Ende 1945, dass „[z]ur damaligen Zeit [...] in Scharnitz ein großer Schneesturm [herrschte] und es war unheimlich kalt. Dieser Umstand hat noch dazu beigetragen, daß insgesamt 10 entlassene KZ-Häftlinge, die ohnehin schon sehr abgeschwächt waren, in Scharnitz verstorben sind. Diese verstorbenen KZ-Häftlinge wurden [...] in Scharnitz beerdigt. Die Namen der Häftlinge konnten nicht festgestellt werden, weil keinerlei Dokumente vorhanden waren, um die Leichen zu identifizieren.“375

372 Bericht des Kriegskorrespondenten Meyer Levin über die Begegnung mit überlebenden Juden im Raum Seefeld, in: Albrich/Dietrich, Todesmarsch in die „Alpenfestung“, S. 37. 373 Interview Stefan Dietrich mit Ernst Ragg, Scharnitz 2005. 374 Stellungnahme der Gemeinde Seefeld bezüglich der Gefallenen in Scharnitz, zit. in Borth, Was geschah 1945 bei Scharnitz?, S. 6. 375 Gendarmeriepostenkommando Scharnitz an BH Innsbruck, 12.12.1945. TLA. BH Ibk. 1946 AM III 1997/11 (Fasz. 719). 74

Auf der Lageskizze des Gendarmeriepostens Scharnitz wurden ein Massengrab mit acht unbekannten Juden sowie zwei Einzelgräber in Scharnitz verzeichnet.376 Durch die Aussagen von Ernst Ragg über die Exhumierung von Toten in Scharnitz in Verbindung mit den Aufzeichnungen der Gendarmeriechronik Scharnitz über die verstorbenen KZ-Häftlinge sowie einer Liste der Gefallenen des Schwarzen Kreuzes377 geht somit hervor, dass diese „Unbekannten“, im Gesamten 10 Personen, zusammen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit den gefallenen deutschen Soldaten auf dem Waldfriedhof bei Seefeld beigesetzt worden waren – da die dort beigesetzten „Unbekannten“ einer genauen Anzahl von 10 entsprechen. Von den 35 namentlich vermerkten Gefallenen würden laut Geburtsdatum und dem Alter der Gefallenen entsprechend 7 Hitlerjungen dort begraben sein, wobei ein Geburtsdatum, des von Richard Stozkyj falsch eingetragen wurde. Somit kämen 8 auf dem Seefelder Waldfriedhof bestattete Jugendliche als Hitlerjungen in Frage. Die weitere Forschung des Autors mit den Datenbanken des „Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge“ kam zum selben Ergebnis, das der Altersklasse der Hitlerjugend und dem Todesort entsprechend 8 bei Scharnitz gefallene Scharnitz-Kämpfer auf den Seefelder Waldfriedhof beerdigt worden waren, nämlich Manfred Graf (geb. 03.04.1928/gest. 01.05.1945), Ernst Geyer (geb. 01.07.1928/gest. 02.05.1945), Richard Stozkyj (21.11.1929/gest. 02.05.1945), Otto Wagner (geb. 28.09.1928/gest. 02.05.1945) und Werner Lindau (geb. 13.05.1928/gest. 01.05.1945), Gerhard Weihe (geb. 31.07.1927/gest. 01.05.1945), Lothar Kuhn (geb. 17.03.1927/gest. 01.05.1945), Josef Jagenteufel (geb. 05.02.1927/gest. 01.05.1945) und Franz Bachmair (geb. 07.02.1927/gest. 01.05.1945). Somit ist die Anzahl der gefallenen Jugendlichen bei Scharnitz mit der Liste des „Schwarzen Kreuzes“ deckungsgleich. Jedoch sich laut der Recherche des Autors dieser Arbeit die erwähnten Jugendlichen, die altersmäßig dem HJ-Bann zugeordnet werden könnten, keine Tiroler Kinder und auch von ihrer Funktionszuteilung im Krieg auch keine Hitlerjungen zum Zeitpunkt des Gefechts gewesen. Manfred Graf378 war Angehöriger des Reichsarbeitsdienstes (RAD) und kam aus Weingarten/Baden-Württemberg, Otto Wagner379 war ein Kanonier aus Bad Dürkheim/Rheinland Pfalz, Werner Lindau380 war ein

376 Albrich/Dietrich, Todesmarsch in die „Alpenfestung“, S. 39. 377 Liste des „Schwarzes Kreuzes“ bezüglich der Belegung des Waldfriedhofs Seefeld. (Im Besitz des Autors). 378 Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge - Manfred Graf, [http://www.volksbund.de/graebersuche/detailansicht.html?tx_igverlustsuche_pi2%5Bgid%5D=e0c8a96 8f4c510cdc149adbaedb2e8d7&cHash=96e46cade46dcfd2f79fa405ccf1a28e], eingesehen 08.07.2017. 379 Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge - Otto Wagner, [http://www.volksbund.de/graebersuche/detailansicht.html?tx_igverlustsuche_pi2%5Bgid%5D=f555c3363 bee998b5758d81fe90e948e&cHash=a49c606bf3359298d3ca2a74b2b342fe], eingesehen 08.07.2017. 380 Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge - Werner Lindau, [http://www.volksbund.de/graebersuche/detailansicht.html?tx_igverlustsuche_pi2%5Bgid%5D=7022e1a 0e229643475590123f4a1e1b2&cHash=cd0b55929c8ba08a98fb25ee539c0f97], eingesehen 08.07.2017. 75 regulärer Soldat aus Hohenlochau an der Elbe/Sachsen-Anhalt, Richard Stozkyj381, als Soldat deklariert und gebürtiger Ukrainer aus Drohobyez (Drohobytsch), Gerhard Weihe382 der aus Helmstedt/Niedersachsen kam und Angehöriger der Fliegertruppe war und nicht bei Scharnitz sondern in Reith bei Seefeld fiel. Lothar Kuhn383 war aus Baden und bereits als Wehrmachtssoldat mit dem Rang „Jäger“ deklariert, selbiges galt für Josef Jagenteufel384, der aus Kroisbach stammte und ebenfalls „Jäger“ in den Reihen der Wehrmacht war. Franz Bachmair385 war bereits ein regulärer Soldat aus Stuhlfelden/Pinzgau, sowie Ernst Geyer386 ein Soldat aus München. Somit kann keine Verbindung mit Tiroler Kindern, die Hitlerjungen waren und in Innsbruck zur Schule gingen sowie dem HJ-Bann Innsbruck angehörten und bei Scharnitz im Kampfeinsatz fielen, hergestellt werden. Holzträgers Analyse sowie Pepeunigs eigener Aussage nach Kriegsende und dem Bericht des Zeitzeugen Ragg, dass bei Scharnitz keine Hitlerjungen fielen, kann somit Glauben geschenkt werden. Obwohl Jugendliche im Hitlerjungenalter und auch Hitlerjungen des HJ-Bannes Innsbruck in Scharnitz eingesetzt wurden, waren somit jene Jugendlichen, die in den Kämpfen ums Leben kamen, keine Angehörigen des HJ-Bannes Innsbruck. Borth schreibt zudem, dass es in Absprache mit der VDK-Zentrale in Kassel im Bereich des Möglichen sei, dass „weitere junge Gefallene in der Nachkriegszeit in ihre Heimatorte überführt wurden oder ihre letzte Ruhestätte im Nahen Bayern fanden.“387 Dies scheint auch eine plausible Aussage zu sein  jedoch stellen diese „jungen Gefallenen“ im Regelfall nicht Angehörige des HJ-Bannes Innsbruck dar  vor allem wenn dies einer vermeintlichen Anzahl von 28-40 gefallenen Hitlerjungen entsprochen hätte sollen und diese „Umbettung“ oder deren Gräber bzw. Vermissten- oder Aufenthaltsort  auch vor dem Hintergrund eines

381 Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge - Richard Stozkyj, [http://www.volksbund.de/graebersuche/detailansicht.html?tx_igverlustsuche_pi2%5Bgid%5D=b38999 ccc1488d648c8c7a7b63b94c6d&cHash=951b65305dabd3c82dcb48fdecabb94a], eingesehen 08.07.2017. 382 Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge - Gerhard Weihe, [http://www.volksbund.de/graebersuche/detailansicht.html?tx_igverlustsuche_pi2%5Bgid%5D=1bea54da 8d8956f8bf3e9d30bf60c151&cHash=611226b0a78a6651502bc81df9f297fc], eingesehen 08.07.2017. 383 Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge - Lothar Kuhn, [http://www.volksbund.de/graebersuche/detailansicht.html?tx_igverlustsuche_pi2%5Bgid%5D=7c80a0af9 b89d0d5d2c375893f429043&cHash=8f77b53872a999db72249df16f649b5c], eingesehen 08.07.2017. 384 Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge - Jagenteufel Josef, [http://www.volksbund.de/graebersuche/detailansicht.html?tx_igverlustsuche_pi2%5Bgid%5D=805e5177d 2bbabc13da9a3965010e92b&cHash=f177441a013339ae7e0662366ec86ae5], eingesehen 08.07.2017. 385 Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge - Franz Bachmair, [http://www.volksbund.de/graebersuche/detailansicht.html?tx_igverlustsuche_pi2%5Bgid%5D=84afd7d 834f2503d189ce987e169b8af&cHash=3de37191fa63589273c49c9847c83105], eingesehen 08.07.2017. 386 Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge - Ernst Geyer, [http://www.volksbund.de/graebersuche/detailansicht.html?tx_igverlustsuche_pi2%5Bgid%5D=c0b17 ad2d78d138b5bb6526b2d1a6a81&cHash=f9141545b9865d6dfcc58a75ea92fe6a], eingesehen 08.07.2017. 387 Borth, Was geschah 1945 bei Scharnitz?, S. 6. 76 chaotischen Kriegsendes  nirgends Erwähnung fand beziehungsweise verzeichnet wurde und der Autor dieser Arbeit mit den Datenbanken des Vereins für Kriegsgräberfürsorge in den umliegenden Gemeinden von Scharnitz, Innsbruck sowie Garmisch keine dem Alter und Funktion der Hitlerjungen, sowie dem Todesdatum entsprechenden gefallene verzeichnete Jugendliche finden konnte. Laut dem neuesten Forschungsstand sind somit die in der Literatur kolportierten Zahlen von 28 bis 40 Hitlerjungen nicht die entsprechenden Verluste der ins Gefecht geführten Hitlerjungen. Dies schmälert jedoch nicht den eigentlichen Umstand, Jugendliche in den letzten Kriegstagen vor dem kurz bevorstehenden Kriegsende gegen eine Übermacht in ein Unternehmen ohne Aussicht auf Erfolg in einen mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tod bringenden Kampfeinsatz befehligt oder aktiv geführt zu haben. Laut Zimmermann waren auf beiden Seiten mehrere Tote zu verzeichnen.388 Die Verluste der US-amerikanischen Truppen im Gefecht um Scharnitz betrugen im Gesamten acht Soldaten. Sechs davon wurden unter „killed in action (KIA)“ vermerkt, einer unter „lightly wounded in action (LWA)“ verzeichnet und ein Soldat kam laut den US-Aufzeichnungen des Aufklärungszuges in Gefangenschaft.389 Bezüglich der Verluste auf US-amerikanischer Seite schreiben Riedmann390 und Schreiber391, dass es den „Kindersoldaten“ des Innsbrucker HJ- Bannes im Endeffekt gelungen war, zwei US-Panzer zu vernichten. Wie schon der Zeitzeuge Ragg schilderte, konstatiert auch Borth in seinem Aufsatz „Was geschah 1945 in Scharnitz?“, dass „[d]ie jugendlichen Standschützen (HJ-Fronthelfer) [...] zwei Panzer der 103. US- Division ab[schossen], bevor diese sowohl Flieger- als auch Artillerieunterstützung anforderten.“392 Holzträger schreibt zugleich auch, dass es den Soldaten des HJ-Bannes geglückt war, „[...] zwei amerikanische Panzerspähwagen mit Panzerfäusten ab[zuschießen] und [...] einen farbigen amerikanischen Soldaten gefangen [zu nehmen].“393 Zudem konstatiert auch Rauchensteiner, dass „[z]wei amerikanische Panzer [...] abgeschossen werden [konnten]. Die Treffer gingen, so scheint es auf das Konto der Hitlerjungen die

388 Gernot Zimmermann, Die Akte Pepeunig, in: Echo (12/2010), S. 54-61, hier S. 56. 389 The National Archives, Headquarters 103d Infantry Division APO 470, U. S. Army, Annex No. 7, Narrative from 1 May- 10 May, Bestand “3103 – INF (409) – 0.3 27290 Opns – France, Germany, Austria, May ‘45“ (Record Group 407)“; vergleiche auch: List of the dead and wounded 2. Mai 1945, zit in o.A., 614th Tank DestroyerBattalion in World War II, [http://www.tankdestroyer.net/images/stories/ArticlePDFs/614th_Unit_ History_-_Complete.pdf], eingesehen 18.05.2017, S. 37. 390 Schreiber, Schule in Tirol und Vorarlberg 1938-1948, S. 254. 391 Riedmann, Das Bundesland Tirol 1918-1970, S. 1134. 392 Borth, Was geschah 1945 bei Scharnitz?, S. 6. 393 Brief von Hermann Pepeunig an Hans Holzträger, Privatarchiv Holzträger, zit. in Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 116. 77 daraufhin heftig beschossen wurden.“394 Im US-amerikanischen „G3-Report“ wurde bezüglich der eigenen mechanisierten Verluste vermerkt, dass die US-amerikanische „A“- Kompanie des 1. Bataillons insgesamt 3 gepanzerte Fahrzeuge als „Lost During Period“ angab  welche im Endeffekt in offiziellen Aufzeichnungen somit die beiden Panzerabschüsse sowie den Verlust des gepanzerten Aufklärungsfahrzeuges widerspiegeln.395 Die internen Kriegsaufzeichnungen des US-Aufklärungszuges sind diesbezüglich deckungsgleich mit Borths und Holzträgers und Rauchensteiners Analyse, auch wenn aus dem US-amerikanischen Journal nicht hervorgeht, welche deutsche Einheit die US- amerikanischen Panzer kampfunfähig machte beziehungsweise den US-amerikanischen Soldaten festnahm. Zusätzlich zu der Kontroverse der Verluste ging das Gerücht über eine „Panzermythos“ um, welche in Scharnitz die deutschen Verteidiger im Kampf mutwillig und in grausamer Art und Weise kampfunfähig gemacht hätten. Hierzu zitiert Schreiber einen ehemaligen Tiroler Luftwaffenhelfer, der selbst vom Kampfgeschehen flüchten konnte: „Das war ein total sinnloser Einsatz, war ein Verbrechen, daß man da die jungen Leut‘ noch  die haben ja keine Ahnung gehabt  die Panzer sind gekommen und haben die Leut‘ einfach überfahren, die haben dreimal geschossen, mit einem Gewehr, und je näher die gekommen sind, desto hoffnungsloser war es.“396 In Bezug auf die bei Scharnitz im Einsatz gestandenen Hitlerjungen und das „Panzergerücht“ schreibt Stoppel nach Rücksprache mit Hans Holzträger in seinem Werk wie folgt: „[...] [Manfred Stoppel] sprach mit Hans Holzträger im Dezember 1997, der im Kontakt mit einer großen Zahl von Zeitzeugen stand und eine Unmenge an Archivmaterialien durchforstete. Hierbei dürfte es sich um ein reines Gerücht handeln.“397

Der in Schreibers Werk abgedruckte Zeitzeugenbericht scheint somit wenig glaubwürdig und entspricht eher dem damaligen Zeitgeist, da Holzträger die Aussagen einer größeren Menge an Zeitzeugen analysierte und nicht nachgewiesen werden konnte, dass US-Panzer deutsche Soldaten im Kampf um Scharnitz mutwillig überfuhren, um diese kampfunfähig zu machen.398

394 Rauchensteiner, Der Krieg in Österreich 1945, S. 323. 395 The National Archives, G3-Periodic Report, 0001 1 May 45 - 2400 1 Mai 45, Bestand “3103 – 3.1 103D Inf. Div. Periodic Reports 1-10 May 1945“ (Record Group 407)“. 396 Schreiber, Schule in Tirol und Vorarlberg 1938-1948, S. 254. 397 Stoppel, „Uns wächst eine herrliche Jugend heran!“, S. 276. 398 Ebd., S. 276. 78

4. „On the road to Innsbruck“ Die Gesamtlage in Tirol war am 1. Mai 1945 noch nicht endgültig zu Gunsten der alliierten Kräfte geschlagen, jedoch der Ernst der Lage bereits unmissverständlich erkennbar. Ernst Kaltenbrunner informierte das Führerhauptquartier mittels Heeresfernschreibnetz über die Situation im Westen Österreichs wie folgt: „Salzburg, sehr stabile Führung. Tirol schlechte Stimmung. Hofer braucht ständige Injektionen, weil von teilweisem Zerbrechen Italienfront stark beeindruckt und durch Flüchtlingsstrom Verkehrs- und Ernährungsschwierigkeiten, Ernährungslage zunehmend kritisch [...]. Heil, mein Führer, Kaltenbrunner.“399

Ohne in ein weiteres Feuergefecht verwickelt worden zu sein, war es den US-amerikanischen Einheiten jedoch möglich, weiter in Richtung Seefeld vorzustoßen. Die Ortschaft wurde auf Grund der vorhandenen tausenden Flüchtlingen und Verwundeten, die dort evakuiert und untergebracht wurden, nicht in die Verteidigungspläne aufgenommen.400 Die nächsten deutschen Widerstandslinien begannen erst wieder bei Reith bei Seefeld und am Zirlerberg, in der die alliierten Einheiten durch massiven deutschen Artillerieeinsatz wiederum aufgehalten wurden. Die US-amerikanischen Streitkräfte drohten, Innsbruck zu bombardieren, falls deren Forderung auf Einstellung des Widerstandes und die Übergabe der Gauhauptstadt nicht nachgekommen werden würde.401 Am 2. Mai konnte nach Mittag die deutsche Verteidigungsline bei Reith von den alliierten Verbänden überrannt werden und bis zum Vormittag des nächsten Tages, nachdem die deutsche Artillerie keine Gegenwehr mehr leistete und alle Sperren am Zirlerberg fortgeschafft waren, stieß die 103. Infanteriedivision nach Zirl vor. 402 Gleichzeitig tätigte am 2. Mai 1945 Gauleiter Hofer abermals über Rundfunk einen Aufruf  welcher sein letzter sein sollte  an die Bevölkerung: „Es ist alles vorgesorgt, um den Gegner von heute vor dem Kern unseres Landes im Gebirge abzuhalten. In Innsbruck selbst wird es also unsererseits zu Kampfhandlungen nicht kommen! In meiner Eigenschaft als Reichsverteidigungskommissar im Operationsgebiet habe ich die vorgesehenen Sprengungen von Brücken innerhalb der Gauhauptstadt verboten. Umso zäher aber wollen wir uns an die Berge krallen“403.

399 Bericht Ernst Kaltenbrunner an das Führerhauptquartier, zit. in Albrich/Gisinger, Im Bombenkrieg, S. 268. 400 Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/ landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 401 Riedmann, Das Bundesland Tirol 1918-1970, S. 1134. 402 Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/ landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 403 Hofers letzte Durchhalteappelle, zit. in Rauchensteiner, Gauleiter Hofers „Alpenfestung“, S. 35. 79

Jedoch war beim Gauleiter zu diesem Zeitpunkt die Handlungsfreiheit schon nicht mehr gegeben. Dies äußerte sich auch signifikant in einem Ferngespräch mit Friedrich Rainer, dem Gauleiter Kärntens und Obersten Kommissar der Operationszone Adriatisches Küstenland, in dem Gauleiter Hofer erklärte, dass er „die Lage einfach nicht mehr beherrsche“ .404

4.1 Der Kampf ums Außerfern Ab 29. April, als die deutschen Soldaten der Heeresgruppe C in Italien die Waffen streckten und französische Truppen erstmals die österreichische Grenze in Vorarlberg überschritten, begann wie Albrich und Gisinger dies bezeichnen, ein „Finale in der Alpenfestung“. Dieses Finale der letzten Phase des Krieges war jedoch  abgesehen von einem sinnlosen Opfergang, wie beispielsweise im schon näher erläuterten Gefecht bei Scharnitz  für den Gau Tirol- Vorarlberg nicht „episch“, sondern relativ kurz, wenn auch zu Teilen dramatisch.405 Der rechte Flügel der 19. deutschen Armee auf der Linie Füssen - Mindelheim war bereits am 26. April nicht mehr existent und somit die Grenze zur 1. deutschen Armee nur noch illusorisch. Das Generalkommando LXIV., welchem die Befehlsgewalt oblag, kommandierte nur noch Splitterverbände, die durch Restteile der geschlagenen Divisionen des LXXX. Armee verstärkt wurden. Auf Grund dessen konnte das Generalkommando LXIV. den alliierten Verbänden nur noch wenig entgegensetzen und hatte selbst nur wenig Aussicht, sich auf die Alpeneingänge zurückzuziehen. Die Situation für die deutschen Truppen war so desolat, so dass das vorrückende VI. US-Korps bereits mit nur wenigen Stoßtrupps in der Lage gewesen wäre, den deutschen Soldaten den Weg abzuschneiden bevor diese die Pässe nach Tirol erreicht hätten. Zudem verzögerten die funktionslosen Soldaten aus Stäben, Luftwaffen- und Marinesoldaten sowie Flakeinheiten, die sich auf dem Rückzug befanden, einen geordneten Rückzug.406 Am 27. April musste die 19. Armee zudem eine schwache Division in Form der 189. Infanteriedivision an die 1. Armee abtreten. Als Reaktion darauf gaben sich das LXIV. Armeekorps dem Versuch hin, mit der aus wenigen hundert Mann bestehenden 257. Volks- Grenadierdivision in Eigenverantwortung im Raum Wertsch und Iller die Linien Illerbeuern- Ottobeuren-Schlingen mit den letzten Kräften abzuriegeln. Die Widerstandslinie wurde jedoch noch am gleichen Tag von der 44. US-amerikanischen Division überrannt, die so Kempten einnehmen konnte.407 Laut Rauchensteiner war „[w]enn überhaupt, dann [...] jetzt

404 Albrich, Luftkrieg über der Alpenfestung, S. 198. 405 Albrich/Gisinger, Im Bombenkrieg, S. 258. 406 Rauchensteiner, Krieg in Österreich 1945, S. 265-266. 407 Ebd., S. 266. 80 der letzte Moment gekommen, die Alpeneingänge zu sperren.“408 Am selben Tag noch wurde dem LXIV. Armeekorps der Befehl erteilt, mit allen noch verfügbaren Truppen den anrückenden US-Alliierten die Grenzüberschreitung bei Reutte zu vereiteln.409 Mit dem Einfließen der deutschen Truppen in die Alpen wurden diese dem Befehlsbereich von General Böhaimb untergeordnet. Zudem unterstellte das Kommando Oberrhein die Festungs-Pionierstäbe 3 und 11 und beorderte diese am Fernpass in Stellung. Der von General Marcinkiewicz bereits erwähnte Festungs-Pionierstab XIV. bekam hierbei den Auftrag, die Bergstraße von Zirl abzuriegeln. Am 28. April wurden am Vormittag in der Enge zwischen Musau und Pflach deutsche Abwehrstellungen errichtet. Zudem wurden schwache Kontingente des Landecker Gebirgsjäger-Ersatzbataillons 137 bei Vils in Stellung gebracht, die vom Stab des 257. Volks-Grenadierbataillons, einer ungenügend bewaffneten Einheit des Reichsarbeitsdienstes, einem Standschützenbataillon sowie von zwei 8,8 cm Fliegerabwehrkanonen verstärkt wurden. Deren Auftrag war es, den Weg in das Inntal über den Fernpass abzuriegeln. Gleichzeitig wurden schwache deutsche Kontingente in den Raum des Heldensees beordert, um die Routen nach Hindelang und die Linie Pfonten-Grän zu besetzen.410 Der 44. Infanteriedivision, welche die Vorgabe hatte, über Vils und den Fernpass ins obere Inntal vorzustoßen, kam der verlustreichste und schwierigste Auftrag zu.411 Die Vorausabteilungen der 44. US-amerikanischen Division überschritten am 28 April 1945 um 10 Uhr am Vormittag die Tiroler Grenze und drangen kampflos in Vils ein.412 Den Vormarsch der 44. US-Infanteriedivision behinderte somit anfänglich weniger der deutsche Widerstand als starker Schneefall und gesprengte Brücken.413 Da es den US-amerikanischen Verbänden jedoch auf Grund eines nun einsetzenden deutschen Widerstandes nicht gelang, auf Reutte vorzustoßen, warteten diese ihre eigene Truppenmassierung ab und begannen mit voller Schlagkraft, den Angriff am Nachmittag des 29. April weiter voranzutreiben.414 Bei Bach bei Reutte wurden RAD-Einheiten bereits auf das letzte Gefecht eingeschworen. Ganz im Sinne der Ideologie gaben sich 15- bis 16-jährige Jugendliche dem Glauben hin, dort noch eine kriegsentscheidende Schlacht schlagen zu können. Der Bürgermeister verhandelte mit den RAD-Führern, drei Jungen des RAD waren jedoch schon mit Panzerfäusten in

408 Rauchensteiner, Krieg in Österreich 1945, S. 265-266. 409 Ebd., S. 266. 410 Ebd., S. 266-267. 411 Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/ landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 412 Rauchensteiner, Krieg in Österreich 1945, S. 267. 413 Albrich/Gisinger, Im Bombenkrieg, S. 258. 414 Rauchensteiner, Krieg in Österreich 1945, S. 267. 81

Richtung Elbingenalp auf dem Weg in den Kampfeinsatz. Am 29. April wurde zudem noch von einem Hitlerjungen die Lechbrücke, nach vermutlichem Befehl der SS, gesprengt.415 Die sich bei Pflach und Musau in Stellung befundenen Soldaten wurden nach kurzem Kampfgeschehen aufgerieben, während Heiterwang besetzt wurde. Dem LXVI. Korps blieb somit kein anderer Ausweg, als sich unter Feuer und Bewegung auf den Fernpass abzusetzen. Da gleichzeitig ein US-amerikanischer Funkspruch abgefangen wurde, der der US- amerikanischen 10. Panzerdivision den Durchbruch über Garmisch auf Innsbruck befahl, wurde ausgehend von Lermoos der Weg von Grießen nach Garmisch abgeriegelt.416 Am 30 April 1945 meldete das LXIV. Armeekorps, dass die Stellungen der 257. Volks- Grenadierdivision geworfen worden waren und die Soldaten der 44. US-amerikanischen Division auf dem Vorstoß nach Lermoos waren.417 Nach anfänglichen schnellen Erfolgen zwangen ein Wetterumschwung mit Schnee und Regen sowie massiver deutscher Widerstand südlich von Biberwier die anrückenden US-amerikanischen Verbände am 30. April zum Halten.418 Schlussendlich konnte Lermoos jedoch eingenommen werden und die US-Soldaten drangen über Moos nach Ehrwald vor, was jedoch eine direkte Auswirkung auf die französischen Alliierten hatte, da diesen somit die Chance genommen wurde, über den Oberjochpass schneller als die US-Amerikaner nach Landeck vorzustoßen und die Verbindungswege in das Inntal zu kontrollieren.419 In Vils, Reutte und Lermoos waren im Endeffekt auch Hitlerjungen im Kampfeinsatz gewesen, wobei in den Verlustmeldungen von Reutte und Lermoos verzeichnet wurde: „Der jüngste Gefallene war der 12jährige Ferdinand Bader.“420 Am Fernpass kam den deutschen Verteidigern  wie schon bei Scharnitz eine zusammengewürfelte Divisionsgruppe  ihnen bekanntes und den US-amerikanischen Soldaten unbekanntes Terrain und Gelände zu Gute. Wie schon bei Scharnitz bot der Fernpass somit idealste Bedingungen, um die Einnahme des Inntales und somit den weiteren Vormarsch der US-amerikanischen Einheiten innerhalb Tirols zu unterbinden.421 Rauchensteiner rekonstruiert, dass sich „[...] für das deutsche LXIV. Armeekorps [...] am Fernpaß die letzte Möglichkeit [bot], an geländemäßig günstiger Stelle einen Widerstand

415 Schreiber, Schule in Tirol und Vorarlberg 1938-1948, S. 254. 416 Rauchensteiner, Krieg in Österreich 1945, S. 267. 417 Ebd., S. 268. 418 Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/ landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 419 Rauchensteiner, Krieg in Österreich 1945, S. 268. 420 Verlustmeldung Gemeinde Reutte, zit. in Borth, Zu jung zum Sterben, S. 293. 421 Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/ landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 82 aufzubauen.“422 Auf deutscher Seite gelang es, zwei Marinekompanien und ein schwaches Jägerbataillon für den Kampfeinsatz aufzubieten, welche der Generaladmiral Wilhelm Marschall, der Oberbefehlshaber des Marineoberkommandos West, gestellt hatte. Zudem verstärkten eine gemischte Fliegerabwehrbatterie mit sechs 2 cm Geschützen und vier 8,8 cm Fliegerabwehrkanonen, sowie ein Zug schwerer Kanonen, die artilleristische Komponente des Abwehrriegels.423 Eigentlich waren auch 16-jährige Angehörige des Reichsarbeitsdienstes vorgesehen, am Fernpass im Kampfgeschehen mitzuwirken. Einem Offizier der 14. Jägerdivision war jedoch einem Kampfeinsatz von „Kindersoldaten“ zuwider und dieser berichtete nach Kriegsende  obwohl auch hier wieder die persönliche Intention hinterfragt werden muss , dass „[e]rst in zeitraubendem Bemühen [...] es zum Beispiel [gelang], einen Arbeitsdienstführer von der Sinnlosigkeit des Einsatzes mehrerer hundert Reichsarbeitsdiensthelfer zu überzeugen  etwa 16jährige, nicht ausgebildete und kaum bewaffnete Knaben.“424 Von 1. bis 2. Mai fand das schwerste Gefecht auf Tiroler Boden am Fernpass statt. Unter massivem deutschen Artilleriefeuer stehend und in der Bewegung durch Straßensperren und Hangabsprengungen aufgehalten, war es den US-amerikanischen Soldaten nicht möglich, den Angriffsschwung fortzuführen. Ein erster Umgehungsversuch der deutschen Stellungen scheiterte. Erst mit der Hilfe einiger einheimischer Soldaten, die Angehörige des Widerstandes waren und den alliierten Soldaten den Weg zeigten, gelang es dem US- Bataillon, den deutschen Verteidigern in den Rücken zu fallen und den Widerstand auszuschalten.425 Was sich hierbei bei der Hilfeleistung durch einheimische Widerstandskämpfer zugetragen hatte, visualisiert der „After Action Report“ der 44. US- Infanteriedivision: „Bei der Einnahme des Fernpasses...wurde die Haltung zumindest eines Teils der Österreicher gegenüber der Deutschen Wehrmacht erhellt, die der Division insgesamt und dem 71. Infanterie-Regiment im besonderen [sic!] zugutekam. Das 3. Bataillon des 71. Regiments, das sich schon am Vortag (1.Mai) über die Hangabsprengungen und heftig verteidigten Straßensperren in Richtung Fernpass vorgekämpft hatte, kam gegen den Widerstand einer aus etwa 300 Mann bestehenden Streitmacht, die den Paß nachhaltig verteidigte, nicht mehr vorwärts. Das 1. Bataillon desselben Regiments, das sich entlang der Straße vorarbeitete, um den Widerstand auf der wichtigen Paßhöhe niederzukämpfen, wurde in seinem rückwärtigen Gebiet von einer Gruppe bestehend aus einem Leutnant und vier Soldaten, alles Österreicher, die die Uniform österreichischer Gebirgsjäger trugen, kontaktiert. Diese Gruppe bot an, das 1.

422 Rauchensteiner, Krieg in Österreich 1945, S. 269. 423 Ebd., S. 269. 424 Rossiwall, Die letzten Tage, S. 269. 425 Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/ landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 83

Bataillon über einen kaum bekannten Weg über die Berge, um den Fernpaß herum nach Fernstein zu führen, einer kleinen Siedlung südlich des Passes, die an einer über eine tiefe Schlucht führenden Brücke lag. Das Angebot der Österreicher wurde akzeptiert. Die vier österreichischen Soldaten wollten ihre Uniform gegen amerikanische tauschen. Diesem Verlangen wurde so gut es mit den vorhandenen Mitteln ging, entsprochen. Der österreichische Leutnant wollte dagegen lieber seine österreichische Gebirgsuniform behalten, da er offenbar meinte, daß diese ihn ausreichend von den Deutschen abhob. Nachdem die Vorbereitungen abgeschlossen und die Garderoben gewechselt waren, setzten sich die fünf Österreicher an die Spitze und führten das 1. Bataillon durch die Wälder und über einen Berg nach Fernstein, das vom Bataillon eingenommen und gesichert wurde. Währenddessen stürmte das 3. Bataillon weiterhin von Norden gegen den Fernpaß. Nachdem das 1. Bataillon Fernstein genommen hatte, begannen Teile des Battaillon den Angriff gegen den Paß von Süden her, zur vollkommenen Überraschung der Verteidiger. Der Widerstand brach kurz darauf zusammen...“426

Somit war am Nachmittag des 2. Mai der Fernpass „clear“, jedoch hatten die Kämpfe auf beiden Seiten relativ hohe Verluste gefordert. Jede Kriegspartei hatte an die hundert tote und verwundete Soldaten zu verzeichnen. Dies sollte der letzte gravierende Widerstand gewesen sein, den das US-Bataillon in Tirol antraf. Am 3. Mai wurde Telfs und am 4. Mai Imst befreit.427 Beispielhaft für das schnelle Vorstoßen in den Tiroler Raum ist zudem der Umstand, dass ein Großteil der US-amerikanischen „After Action Reports“ die Grenzüberschreitungen ihrer eigenen Soldaten nicht einmal in ihren offiziellen Aufzeichnungen vermerkt hatten.428 Laut Rauchensteiner besaßen die militärischen „[...] die Ereignisse in Tirol [...] somit in mehrfacher Weise den Cahrakter [sic!] des Unzeitgemäßen und Unsinnigen.“429

4.2 Die Befreiung Innsbrucks Der 2. und 3. Mai 1945 sollten richtungsweisend für das Schicksal von Innsbruck werden, da sich die Ereignisse in der Stadt überschlugen. Einerseits war das Ziel einer Widerstandsbewegung, sich Innsbrucks zu bemächtigen, und andererseits waren die US- amerikanischen Truppen, die nur wenige Kilometer vor der Stadt in Stellung waren, weitgehend im Dunkeln darüber, was in der Stadt geschah.430

426 After Action Report der 44. US-Infanteriedivision, zit. in Rauchensteiner, Gauleiter Hofers „Alpenfestung“, S. 42. 427 Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/ landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 428 Rauchensteiner, Gauleiter Hofers „Alpenfestung“, S. 40. 429 Ebd., S. 42. 430 Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/ landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 84

Noch vor dem Einmarsch der alliierten Streitkräfte über die Grenzen des Gaues Tirol- Vorarlberg, hatten sich im März 1945 Regimegegner, die zum Großteil aus konservativen Kreisen stammten, zu einer Widerstandsgruppe vereinigt.431 Zudem hatte sich die Tiroler Widerstandsbewegung, der geographischen Situation entsprechend, auch in den Talschaften aufgestellt. Dort hielt die Freiheitsbewegung ihre politischen Führer bereit, die gezielt schon Vorbereitungen für die Machtübernahme trafen.432 Ein Manko in deren Reihen war bis April 1945 jedoch der Umstand, dass Leute mit militärischer Erfahrung, oder militärische Führer, die in der Lage waren, schnell auf militärische Lageänderungen zu reagieren, fehlten. Erst mit dem Eintritt von Josef Schneeberger, einem Major aus der Deutschen Wehrmacht, der über jahrelange Fronterfahrung verfügte, wurde der benötigte Mann  der sich bereit erklärte, für die Ziele des Tiroler Widerstandes entsprechende Taten zu setzen  gefunden. Obwohl Schneebergers Name nach Krawallen in Innsbruck gegen einen Fackelzug zu Hitlers Geburtstag, bei einem Verhör des Sicherheitsdienstes in Innsbruck gefallen war, wurde dieser nur als Kampfkommandeur  die Aufgabe war ihm nach der Vernichtung seiner Einheit an der Front zugeteilt  von Scharnitz herausgelöst und in Arrest gegeben. Mehr wurde ihm glücklicherweise nicht angetan. Die Freiheitsbewegung kam jedoch auf Grund dessen ihr militärischer Kopf abhanden. Ersatz war jedoch in der Person von Major Zdenko von Paumgartten schnell gefunden. Der seit Kriegsbeginn im Feld gewesene Zdenko hatte der Deutschen Wehrmacht seinen Aufstieg und seine Karriere zu verdanken.433 Laut Rauchensteiner kann hierbei „[s]ein Wechsel zur Widerstandsbewegung [...] als Beweis dafür gelten, daß das Offizierskorps dem Regime die Treue aufsagte.“434 Mit dem Umschwenken des Offiziers in das Lager der NS-Gegner zog auch ein großer Teil des Ersatztruppenkörpers der Wehrmacht nun am Strang der Freiheitsbewegung, da diese keinen Kampfwert mehr in der Fortsetzung der kriegerischen Auseinandersetzungen sahen.435 Das Netz des Tiroler Widerstandes spann sich im Endeffekt von der österreichischen Widerstandsbewegung O5 bis in die Innsbrucker Wehrmachtsdienststellen, Gendarmerie, Polizei und Telegraphen- sowie Postdirektion. Sogar bei der GESTAPO gab es Konfidenten. Zudem bestand eine Funkverbindung mit dem alliierten Geheimdienst.436

431 Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/ landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 432 Rauchensteiner, Gauleiter Hofers „Alpenfestung“, S. 39. 433 Ebd., S. 39-40. 434 Ebd., S. 40. 435 Ebd., S. 40. 436 Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/ landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 85

Nachdem die alliierte Drohung publik wurde, Innsbruck einerseits im Falle eines Widerstandes und andererseits, falls die noch regierenden NS-Funktionäre die Stadt nicht alsbald kampflos den Westalliierten überlassen würde, zu bombardieren, fasste die Widerstandsgruppe um Karl Gruber den endgültigen Entschluss, die wichtigsten zivilen und militärischen Schaltstellen und Schlüsselpositionen etappenweise in die Hände des Widerstandes zu bringen.437 Laut Schreiber gelang es der Aktionsgemeinschaft jedoch auf diese Weise, „[...] eine mögliche Bombardierung der Landeshauptstadt zu verhindern.“438 In Bezug auf Beimrohr war das Unternehmen „[...] ein Risiko, wenn auch ein kalkuliertes, denn mit einem ernsthaften Gegenschlag war nicht zu rechnen, jedenfalls nicht von Seiten Gauleiter Hofers.“439 Denn, wie bereits erwähnt, verbot Gauleiter Hofer  wohl wissentlich auf das Kriegsende und seinen eigenen persönlichen Vorteil achtend  Innsbruck nicht willentlich von den eigenen Truppen zu zerstören. Der Versuch der Übernahme Innsbrucks begann schlussendlich am 2. Mai 1945, da Hofer, welcher aufgefordert wurde, in Innsbruck die Regierungsgewalt abzugeben, sich dieser Aufforderung verwehrte. Bis zum Abend konnten die Gendarmeriekaserne sowie auch die Wehrmachtskasernen in Innsbruck von den Widerstandskämpfern im Handstreich unter Kontrolle gebracht werden.440 Das Hauptquartier des Widerstandes war bis zu den Abendstunden in die Klosterkaserne verlegt worden. Wegen des Eintreffens von SS-Einheiten mussten die genommenen Kasernen bis auf die Klosterkaserne wieder aufgegeben werden, jedoch hatte sich die Lage bereits zu Gunsten der Aktionsgemeinschaft gewendet, da sämtliche Waffen und Munition nun im Besitz des Widerstandes waren. Die Wehrmachtsgarnisonen waren zudem durch die Verhaftungen von NS-Offizieren und Kommandeuren ihrer Kommandostruktur bereits beraubt.441 Überdies gelang es einer halbzugsstarken Einheit, sich in den Abendstunden unbemerkt auf die Hungerburg zu schleichen und dort den kommandieren General der Divisionsgruppe Innsbruck-Nord, General Johannes Böhaimb, inklusive seines Stabes zu stellen und gefangen zu nehmen. Jedoch verhandelten US-amerikanische Abgesandte bereits mit dem deutschen General wegen der Kapitulationsbedingungen und der Widerstand musste, ohne ihren Erfolg auskosten zu können, wieder umkehren. Eine Falschmeldung veranlasste um 3 Uhr am Morgen des 3. Mai die Kämpfer der Aktionsgemeinschaft, einige ihrer bereits bezogenen Schlüsselpositionen

437 Horst Schreiber, Innsbruck 1938-1945. Eine Einführung, in: Zeit-Raum-Innsbruck 2003, S. 7-29, hier S. 21. 438 Ebd., S. 21. 439 Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/ landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 440 Ebd. 441 Schreiber, Innsbruck 1938-1945, S. 21. 86 aufzugeben, da verlautbart wurde, dass eine Einheit der Waffen-SS mit einer Gesamtstärke von 1.500 Mann von der Wattener Lizum in Richtung Innsbruck am Vormarsch wäre, um dort die Situation zu bereinigen und den Aufstand niederzuschlagen. Das Resultat war ein Gefecht mit einer überraschten Pioniereinheit im Stadtteil Mühlau.442 Den finalen Schlag unternahmen die Tiroler Widerstandskämpfer am 3. Mai. Die Polizeidirektion konnte besetzt und durch eine Täuschung der Sender in Aldrans übernommen werden.443 Sofort wurden durch die Tiroler Widerstandsbewegung mit dem Printmedium der „Tiroler Nachrichten“  welche ihre einzige Auflage an diesem Tag hatten  sowie durch ständige Rundfunkschaltungen, Aufrufe an die Tiroler Bevölkerung getätigt. „Österreicher! Tiroler! Innsbrucker! Die Stunde eurer Befreiung ist gekommen. Die gesamte Südfront hat kapituliert. Die alliierten Truppen stehen vor Innsbruck. Jeder weitere Widerstand wäre nicht nur zwecklos, sondern er ist ein Verbrechen an Volk und Staat. Wer die Waffen weiter führt, wird als Verbrecher bestraft. Sieben Jahre bitterster Knechtschaft und Bedrückung sind restlos vorbei. Die Alliierten kommen als unsere Befreier und Retter. Ihnen gilt in dieser historischen Stunde der Wiedergeburt unseres Tirols und eines freien Österreichs und unseres engeren Heimatlandes trotz aller Gefahren in all den Jahren der Knechtschaft arbeiteten, litten und starben. Hißt von allen Häusern die Fahnen! Nicht weiße sollen es sein, sondern rot-weiß-rote und rot-weiße, die Farben unseres heißgeliebten Österreichs, unsers Tirols.

Es lebe die Freiheit, es lebe Tirol, es lebe Österreich!“444

Die im Text proklamierte Gesamtkapitulation war jedoch eine bewusst getätigte Falschmeldung, um den letzten verbliebenen, etwaigen fanatischen Kampfeinheiten aus Wehrmacht, SS und NS-Parteifunktionären noch die letzte Hoffnung auf etwaige fruchtende Widerstandsaktionen zu nehmen.445 Zudem wurde, laut Beimrohr, sogleich „[...] zu Ruhe und Ordnung [aufgerufen], gewarnt vor Plünderungen. Das war auch unumgänglich, denn inzwischen brach in Innsbruck ein heilloses Durcheinander aus [...].“446 Nach Innsbruck waren inzwischen deutsche Soldaten auf ihren Rückzügen geflüchtet und irrten ungeordnet durch die Stadt, Lager wurden geplündert und Waffen und Armbinden von den Widerstandskämpfern ausgegeben. Gruber gab an, dass die Gesamtstärke der Freiheitsbewegung zu Beginn des Versuchs der Übernahme von Innsbruck 150 Mann nicht überschritten.447

442 Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/ landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 443 Ebd. 444 Tiroler Nachrichten, 04.05.1945, S. 1. 445 Schreiber, Innsbruck 1938-1945, S. 22. 446 Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/ landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 447 Ebd. 87

Vor dem Hintergrund eines immer mehr verebbenden NS-Machteinflusses und dem immer gewisser werdenden Faktum, dass die alliierten Streitkräfte kurz vor dem endgültigen Sieg über Hitlerdeutschland standen, war die Kampfmotivation der Tiroler Aktionsgemeinschaft kontinuierlich gestiegen. Die Unterstützung der Freiheitsbewegung, die sich vor allem aus dem christlich-konservativen Lager und auch Linken formte, war anfänglich nur gering vorhanden. Erst in der letzten Phase der NS-Herrschaft begann sich die Einstellung eines Gros der Tiroler Bevölkerung in Bezug auf den Nationalsozialismus zu wandeln.448 Laut Schreiber „[...] war weniger eine klare politische Ablehnung des Nazismus an sich [ausschlaggebend], als eine Umorientierung angesichts wachsender Verzweiflung, Ängste im Gefolge der sich deutlich abzeichnenden totalen Niederlage.“449 Jedoch transformierten sich tausende Tirolerinnen und Tiroler erst nach der Befreiung zu „Freiheitskämpfern“.450 Gehlers Aufsatzüberschrift „...ist auf einmal alles jetzt ‚Widerstandsbewegung‘ gewesen...‘“451, beschreibt hierbei die damalige Situation in Innsbruck ab diesem Zeitpunkt treffend. Hofers Kalkül, Tirol aus Schlusskämpfen auszusparen, erwies sich somit als gescheitert. Schlussendlich spielte dem Gauleiter jedoch die Einleitung der Gesamtkapitulation der Deutschen Wehrmacht durch den nunmehrigen Oberbefehlshaber und Reichspräsidenten, personifiziert durch den Großadmiral Karl Dönitz, in die Hände, der damit begann, Teilkapitulationen gegenüber der westlichen Alliierten zu erlauben.452 In Bezug auf die US- amerikanischen Einheiten, die vor den Toren Innsbrucks warteten, um weitere Aktionen zu setzen, war die Lage innerhalb Innsbrucks jedoch nicht erkennbar. Von deutscher Seite aus war zwar von General Brandenberger, dem Befehlshaber der 19. Armee, sowie auch von Gauleiter Hofer zugesichert worden, Innsbruck als „offene“ Stadt vorzufinden. Eine offizielle Kapitulation wurde jedoch nicht proklamiert. Auf Befehl der Widerstandsbewegung schlug sich Ludwig Steiner in den Nachtstunden von 2. auf 3. Mai 1945 zu den US-amerikanischen Linien durch, um diese von eigenmächtigen Handlungen abzuhalten und zugleich zuzusichern, dass in Innsbruck keine Gegenwehr zu befürchten sein werde.453 Am frühen Nachmittag des 3. Mai, gegen 13 Uhr, „dankte Gauleiter Hofer im Landhaus ab“, und Rot-Weiß-Rote Fahnen wurden alsbald von der Widerstandsbewegung an der

448 Schreiber, Innsbruck 1938-1945, S. 23. 449 Ebd., S. 23. 450 Ebd., S. 23. 451 Michael Gehler, „...ist auf einmal alles jetzt ‚Widerstandsbewegung‘ gewesen...“ Keine „Stunde Null“ oder vom Anfang vom Ende der Tiroler Resistance im Jahre 1945, in: Tirol und Vorarlberg in der NS-Zeit, hrsg. v. Rolf Steininger/Sabine Pitscheider (=Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 19), Innsbruck-Wien- München-Bozen 2002, S. 403-424, hier S. 403. 452 Rauchensteiner, Gauleiter Hofers „Alpenfestung“, S. 42. 453 Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/ landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 88

Außenfassade gehisst. Eine Unzahl von Bewohnern der Landeshauptstadt schienen nun gewillt, sich der Widerstandsbewegung anzuschließen, denn diese strömten unentwegt durch die Straßen.454 Innerhalb weniger Stunden standen an die 2.000 Männer und Frauen in Innsbruck unter Waffen, jedoch bestand immer noch Gefahr für Leib und Leben durch die Gestapo, die bis Ende April noch 13 Todesurteile für die zuvor 100 internierten Regimegegner ausgesprochen hatten und zudem bis zuletzt Verhaftete, wie zum Beispiel Robert Moser, noch zu Tode folterten.455 Das bereits geräumte Innsbrucker Landhaus wurde somit am selbigen Tag um circa 14 Uhr  der genaue Zeitpunkt wird in der Literatur verschieden dargelegt  vom Tiroler Widerstand besetzt und für einen etwaigen Verteidigungsfall eingerichtet, denn die Situation in Innsbruck hatte sich noch nicht gebessert. Immer noch kamen, koordiniert und vor allem unkoordiniert, sich auf dem Rückzug befindende Wehrmachtssoldaten in die Stadt und waren nicht immer Willens, den Anweisungen der Aktionsgemeinschaft gegen die NS-Herrschaft Folge zu leisten. Hierbei kam es in Einzelfällen zu kleineren Scharmützeln und Schießereien  irrtümlich oder mutwillig  untereinander. Ein tragisches Beispiel hierfür stellt jedoch der Lehrer Franz Mair dar, der bei einer solchen Auseinandersetzung in der Maria-Theresien-Straße in der Nähe des heutigen Kaufhauses Tyrol mutmaßlich von Soldaten der Waffen-SS tödlich getroffen wurde und seinen Verletzungen erlag.456 Ein Bericht des US-amerikanischen Beobachters in Innsbruck spiegelt wider, welche Szenen sich in Innsbruck im Laufe des 3. Mai abgespielt haben: „Schwerbewaffnete Österreicher schwärmten über den ganzen Platz aus und der ganze Aufzug sah aus wie ein drittklassiger Hollywoodfilm ... Einige waren in deutschen Uniformen, einige in Zivilkleidern, alle trugen weiß-rote Armbinden der Widerstandsbewegung. Sie alle schienen aufgeregt und gespannt ... Ihre Haltung war sehr freundlich ... Alle schienen aufgeregt und besorgt, dass SS-Truppen hereinkommen würden.“457

Soweit sollte es allerdings nicht kommen. Die US-amerikanischen Streitkräfte machten sich am Nachmittag des 3. Mai, vorangegangen die 103. Infanteriedivision, von ihrer Stellung bei Zirl in Marschrichtung Innsbruck auf den Weg. Die Stadt wurde ohne Kampfhandlung besetzt

454 Schreiber, Innsbruck 1938-1945, S. 22. 455 Ebd., S. 22. 456 Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/ landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 457 Bericht eines US-amerikanischen Beobachters, zit. in Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 89 und die GIs erfuhren eine für sie gänzlich ungewöhnliches Bild bei der Einnahme einer Stadt.458 Der Berichterstatter der 103. Infanteriedivison vermerkte hierzu, dass es „[...] wie die Befreiung von Paris [war]. Der Jubel war ungeheuer. Männer, Frauen und Kinder schrien den einmarschierenden Truppen Begrüßungsworte zu und streuten ihnen Blumen. Den Soldaten wurden Cognac- und Weinflaschen angeboten. Hübsche Mädchen kletterten auf Panzer und Jeeps, um die Soldaten zu küssen. Österreichische Fahnen wehten überall in der Stadt. Man sah keine weißen Fahnen. Die Menschen schienen den Einmarsch der US-Truppen als Befreiung zu betrachten. Deutsche Soldaten standen, immer noch in Uniform, am Straßenrand; sie trugen ihre Waffen, aber auch Armbinden mit ´Freies Österreich´ und riefen uns zu ‚Heil den Amerikanern!‘ Die Szene unterschied sich vollkommen von allem, was die Soldaten in deutschen Städten erlebt hatten.“459

Für Innsbruck war der Krieg und die NS-Herrschaft somit am 3. Mai 1945 beendet. In Bezug auf Schreiber „[...] atmeten [die Innsbrucker und Innsbruckerinnen] angesichts des ersehnten Kriegsendes [jedoch auch] auf. Dies gelang umso eher, als nicht die von den Nazis dämonisierten Russen, deren Rache gefürchtet wurde, sondern die Amerikaner einmarschierten.“460 Im Landhaus wartete eine ständig verfügbare Abordnung des Tiroler Widerstandes, auf das Eintreffen des Befehlshabenden US-Offiziers mit der insgeheimen Hoffnung, die Regierungsverantwortung für Tirol zu erhalten.461 Die Gesamtanzahl an gefallenen Widerstandskämpfern in Innsbruck belief sich auf 21 Opfer.462 Der Fall der NS-Herrschaft in Innsbruck und im gesamten Land Tirol kann jedoch nicht allein der Freiheitsbewegung  wenn auch deren verdienstvoller Einsatz gewürdigt werden muss  zugesprochen werden. Denn für die NSDAP sowie dem Gefüge aus Gestapo/SS/SD stellte der Widerstand nie die Gefahr dar, eine effektive Bedrohung für den NS-Komplex zu sein. Überdies waren innerhalb des Machtgefüges des NS-Staates und der Partei zu viele Tiroler und Tirolerinnen verstrickt. Somit hätten die Ketten des NS-Jochs ohne das militärische Eingreifen der Alliierten in Tirol und ihrem Sieg sowie der damit verbundenen Niederwerfung der Ideologie, in Bezug auf das Land Tirol, Innsbruck und die Tiroler Bevölkerung, nicht gesprengt werden können. Der Einsatz der alliierten Streitkräfte wirkte dadurch wie ein Nährboden für die gesetzten und realisierten Aktionen des Widerstandes in der letzten Phase des Krieges. Hierbei gestaltet sich die oftmals romantisierende Darstellung

458 Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/ landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 459 Berichterstatter der 103. Infanteriedivison zit. in Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 460 Schreiber, Innsbruck 1938-1945, S. 24. 461 Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/ landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 462 Schreiber, Innsbruck 1938-1945, S. 22. 90 der Freiheitsbewegung bezüglich der Rettung Innsbrucks vor der Zerstörung als deren alleiniger Verdienst als nicht haltbar. Erst die Waffenstillstandsunterzeichnung der Heeresgruppe Süd sowie die sich bis dato entwickelte militärischen Gesamtlage, hatten Gauleiter Hofer in die Hände gespielt, der so im letzten Augenblick auf Kampfhandlungen in Innsbruck und so auf die Verteidigung der Stadt verzichten, und dies verkünden konnte.463 Laut Schreiber versuchte Hofer „[...] so auch seine eigene Haut zu retten.“464 Jedoch muss auch das Einzigartige der Tiroler Freiheitsbewegung hervorgehoben werden, nämlich dass auf deren Eigeninitiative und noch vor dem Einmarsch der US-amerikanischen Truppen die Beseitigung des NS-Herrschaftsapparates gelang. Ab der zweiten Hälfte des Aprils 1945 war neben Wien Innsbruck und Umgebung das Schwergewicht der österreichischen Freiheitsbewegung geworden.465 Die Hinterlassenschaft der NS-Herrschaft war jedoch verheerend. Die Landeshauptstadt war geprägt von Zerstörung, zudem war Wohnungsnot und Hunger allgegenwärtig und für viele Innsbruckerinnen und Innsbrucker bis viele Jahre nach Kriegsende spürbar. Neben den 2.062 Gefallenen der Wehrmacht und 1.228 Invaliden waren, laut den Innsbrucker Statistiken, 504 Bombenopfer während des Kriegsverlaufes zu beklagen. Mit einberechnet werden müssen hierbei auch jene, die auf Grund von politischen oder rassischen Anschuldigungen dem NS- Regime zum Opfer fielen, verfolgt und ermordet wurden, sowie die unbekannte Anzahl an Zwangs- und Fremdarbeitern, die sich zu Tode schuften mussten, getötet wurden oder aus sonstigen Gründen um ihr Leben kamen.466

5. Kriegsende in Tirol Bereits am 4. Mai attestierten die Innsbrucker Nachrichten mit der Schlagzeile „Die Befreiung unserer Heimat Tirol“ das endgültige Ende des Krieges in Tirol, was jedoch nicht den Status quo darstellte. In vielen Gebieten Tirols waren die Unsicherheit und das Ungewisse noch zwei weitere Tage vorhanden. Beispielsweise standen die endgültigen Kapitulationen der 1. und 19. deutschen Armee weiterhin aus, aber es ergab sich, auf Grund sich auflösender NS-Machtgefüge, die zum Großteil durch lokale Widerstandsgemeinschaften gefüllt werden konnten, dennoch ein nicht zu unterschätzender Schwebezustand.467

463 Schreiber, Innsbruck 1938-1945, S. 23-24. 464 Ebd., S. 24. 465 Ebd., S. 24. 466 Ebd., S. 24. 467 Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/ landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 91

Am Tag von Innsbrucks Befreiung waren aus militärischer Sicht das Inntalgebiet von Hall bis Telfs sowie der Raum Außerfern in alliierten Händen. Am Vormittag des 4. Mai wurde die Verbindung durch motorisierte Teile der 103. Infanteriedivision, die in der Nacht noch über den Brenner passierten, mit den US-Streitkräften der 5. US-Armee, die in Südtirol Stellung bezogen hatten, bei Sterzing hergestellt. Drei Tage später war am Reschenpass die Verbindung mit der 5. US-Armee geschlossen.468 Auf Anordnung des französischen Generals, de Lattre de Tassigny, vom 28. April 1945, war die Besetzung des westlichen Teils von Tirol in einem von zwei Teilunternehmen zu vollziehen. Der erste Plan der Durchführung sah vor, die 5. Panzerdivision entlang der Schweizer Grenzlinie in Marschrichtung Arlberg vorstoßen zu lassen. Die zweite Teiloperation war für die 1. Panzerdivision vorgesehen, die den Auftrag bekam, über Immenstadt Landeck einzunehmen.469 Im Tiroler Oberland wurde die bei Imst operierende 44. US-Infanteriedivision am 4. Mai noch in ein letztes Gefecht verwickelt, konnte aber bis zum Vormittag des 5. Mai weiter nach Landeck vorrücken und die Stadt vor den französischen Verbündeten erreichen und einnehmen. Am darauffolgenden Tag wurde im Stanzertal jedoch die Verbindung zu den Einheiten der französischen Armee, die Vorarlberg befreit und über den Arlbergpass vorangestoßen waren, hergestellt. Neben den letzten Kampfhandlungen war jedoch die Versorgung der an die 15.000 deutschen Soldaten, die sich im Laufe des 1. bis 5. Mai ergeben hatten, das größte Problem der 44. US-Infanteriedivison.470 Im Tiroler Unterland gestaltete sich die Lage bei der Befreiung durch US-amerikanische Streitkräfte jedoch schwieriger, denn die deutsche 1. Armee, die sich, wie bereits erwähnt, auch aus Kontingenten der Waffen-SS zusammensetzte, war nicht willens, kampflos die Waffen niederzulegen. Am 4. Mai rückte die 36. US-Infanteriedivision in Kufstein ein. Bei Itter jedoch wurde des letzte Gefecht des Krieges in Tirol, genauer gesagt um das Schloss Itter, welches ein Prominentengefängnis des KZ Dachau darstellte, zwischen Waffen-SS Einheiten, kommandiert vom SS-Major Buchner, und den US-Streitkräften, dem Tiroler Widerstand, sowie Wehrmachtstruppen, die sich diesen angeschlossen hatten, ausgetragen. Bei den Kampfhandlungen wurde ein deutscher Major, Sepp Gangl, auf Seiten des Widerstandes durch MG-Feuer tödlich verwundet und das Schloss Itter eingenommen.471

468 Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/ landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 469 Albrich/Gisinger, Im Bombenkrieg, S. 259. 470 Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/ landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 471 Ebd. 92

Die deutsche 19. Armee kapitulierte am 5. Mai 1945 in Innsbruck und die deutsche 1. Armee am selben Tag in München. Somit waren im Raum Nordtirol endgültig die Waffen niedergelegt und der Krieg offiziell beendet.472 Laut Rauchensteiner „[...] verröchelte [der Krieg] mehr, als daß dieser mit einem Finale Furioso zu Ende gegangen wäre.“473 Des Gauleiters letzte Rundfunkansprache, vorbereitet für den 5. Mai 1945, wurde jedoch, obwohl von US-amerikanischer Seite gewünscht, nicht mehr gesendet, sondern nur durch Mundpropaganda verbreitet.474 Die Worte lauteten: „Tiroler und Vorarlberger! Schweres haben wir erlebt und noch viel Schwereres steht uns bevor! Unsere Standschützen, HJ., und die bei uns gestandenen Einheiten der Deutschen Wehrmacht haben tapfer gekämpft. Trotzdem gelang es nicht, die äußerst technisierte durch Erfolge siegesgewisse amerikanische Armee an den Grenzen des ‚Landes im Gebirge‘ zum Stehen zu bringen. Landsleute! Wir wollen uns klar sein, dass wir zwar alle diesen Krieg verlieren! Es ist keine Gruppe unter uns berechtigt sich als Sieger zu fühlen! Gesiegt haben werden, so bitter diese Feststellung für uns sein mag, nur die Amerikaner! In so fürchterlicher Lage ist heute keine Zeit, uns nach verlorener Schlacht untereinander zu zanken! Unser aller Schicksal ist leider viel bitterer als 1918!“475

Diese stellt jedoch nicht mehr den Durchhaltewillen, wie bei den beiden zuvor getätigten propagandistischen Aufrufen, die Motivation der „Abwehrkämpfer“, für einen Einsatz zu fördern und deren Heimatgefühl anzuregen  obwohl nichts Konkretes gesagt worden war und nur die Not nach 1918, jedoch kein historisches kämpferisches Vorbild, betitelt wurde  sondern nun die private Kapitulation Hofers dar. Auf Tiroler Boden waren nur wenige, jedoch teilweise erbitterte  wenngleich die Sinnhaftigkeit der Einsätze und vor allem der eingesetzten Soldaten und „Kindersoldaten“ nicht gegeben war  Kämpfe statt.476 Zudem war die Region Osttirol, die seit 1938 nicht mehr zu Tirol gehörte, sondern Kärnten einverleibt wurde, von jeglichen Kampfhandlungen verschont geblieben. Britische Einheiten, die ihre Marschroute über den Plöckenpass hatten, rückten am 8. Mai kampflos in Lienz ein.477 In Bezug auf Gehler handelte es „[...] sich weder um ein glattes ‚Ende‘ noch einen radikalen ‚Neubeginn‘, sondern um vielfältige mentalitätsspezifische, personelle, strukturelle und institutionelle Wandlungen, Kontinuitäten, Überlappungen und Verschränkungen in einem, wobei

472 Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/ landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 473 Rauchensteiner, Gauleiter Hofers „Alpenfestung“, S. 37. 474 Ebd., S. 35. 475 Ebd., S. 37. 476 Ebd., S. 35-37. 477 Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunst-kultur/ landesarchiv/downloads/kriegsende1945.PDF], eingesehen 18.05.2017. 93

althergebrachte und traditionelle Lebensformen und Identitäten eine bemerkenswerte Überlebenskraft bewiesen.“478

Eine Zäsur mit der Bedeutung der unmissverständlichen Abkehr von der Vergangenheit war schwerer zu eruieren, in Gegenüberstellung mit den nahtlosen Übergängen bei der abermaligen Anpassung voller Erwartung, Unterordnung und Adaption an eine erneute Fremdherrschaft.479 Zudem war, laut Gehler, 1945 „[...] in Tirol keine ‚Stunde Null‘ und die Befreiung mit vielen Ernüchterungen und Enttäuschungen verbunden.“480 Die Bilanz der letzten Kriegswoche in Tirol  wenn auch tragischer Blutzoll entgegen jedweder Vernunft gefordert wurde  war in Bezug auf die materiellen und menschlichen Verluste vergleichsweise gering. Im Laufe der Kampfhandlungen auf Tiroler Boden vielen einige hundert Soldaten, großteils auf deutscher Seite. Zudem ließen an die 20 Widerstandskämpfer ihr Leben für die Befreiung Tirols. Laut Rauchensteiner war „[g]emessen an den wochenlangen Kämpfen, die die Deutsche Wehrmacht in Ostösterreich mit der Roten Armee durchgefochten hatte und die in der Schlacht um Wien gipfelten, [...] Tirol glimpflich davongekommen. Der Luftkrieg hatte wesentlich größere Schäden verursacht als der Landkrieg.“481 In Bezug auf Gauleiter Hofer schreibt Rauchensteiner, dass abgesehen von Hofers Vorstoß als erster seinen Gau als „judenfrei“ gemeldet zu haben und mit äußerster Grausamkeit gegen Regimegegner vorgegangen zu sein, Hofer das Faktum positiv angerechnet werden kann  wenn auch nicht ohne Absicht einen eigenen persönlichen Nutzen für die Nachkriegszeit zu ziehen  keine Aktionen getätigt oder befohlen zu haben, die in seinem Sinn den Krieg künstlich verlängert hätten. Zudem hätte dieser alles in seinem Kompetenzbereich liegende versuchte  auch dem grausamen Umstand entsprechend, bei Scharnitz einen Hitlerjungen- Einsatz toleriert zu haben  das Kriegsgeschehen von Tirol abzuhalten.482

6. Kriegsverbrechen der Hitlerjugend in Österreich In Bezug auf die von Hitlerjungen verübten Kriegsverbrechen in Österreich waren beispielsweise sieben Hitlerjugend-Unterführer am 30. März 1945 an Judenerschießungen beteiligt. Auf Anordnung des Bannführers, Alfred Weber, bekamen die Hitlerjungen den Auftrag, 60 ungarische Juden im burgenländischen Dorf Deutsch-Schützen an eine

478 Gehler, „...ist auf einmal alles jetzt ‚Widerstandsbewegung‘ gewesen...“, S. 424. 479 Ebd., S. 424. 480 Ebd., S. 424. 481 Rauchensteiner, Gauleiter Hofers „Alpenfestung“, S. 44. 482 Ebd., S. 44. 94

Waldlichtung zu führen und alle Anfahrtswege zu sperren. Die Exekutionen selbst wurden von zwei Angehörigen der SS vollzogen.483 Nach den Morden bekamen die Hitlerjungen den Auftrag, die erschossenen im Wald zu verscharren, wobei einer der Opfer der SS-Männer noch lebte und diesem erneut von einem SS-Angehörigen in den Kopf geschossen wurde.484 Keiner der beiden SS-Täter konnten nach Kriegsende der Justiz zugeführt werden, da die Schuldingen nicht mehr auffindbar waren. Die Hitlerjungen hingegen wurden wegen ihrer Mittäterschaft an Kriegsverbrechen zur Verantwortung gezogen. Fünf von ihnen wurde ein Strafmaß von 15 Monaten bis zu drei Jahren auferlegt.485 Ein weiteres Beispiel von verübten Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Hitlerjungen ereignete sich in Reichenau an der Rax. Dort hatten sich Hitlerjungen, welche mit Pistolen und Maschinenpistolen ausgerüstet waren, im Gegensatz zu Deutsch-Schützen, aktiv am Mord an Juden beteiligt, da die Hitlerjungen Angehörige des Erschießungskommandos waren. Nach dem Eindringen der Roten Armee waren drei der Täter verhaftet und in die Sowjetunion überführt worden. Laut sowjetischer Benachrichtigung kamen zwei am 14. Mai 1945 im Internierungslager ums Leben. Der dritte Hitlerjunge war nach Kriegsende wieder nach Österreich zurückgekehrt.486 Kater konstatiert bezüglich der begangenen Kriegsverbrechen der „Kindersoldaten“, dass „[i]hr fanatischer Glaube an sich selbst und die eigene Sache [...] [die Hitlerjungen] Kriegsverbrechen begehen [ließen].“487 Vor dem Hintergrund der Radikalisierung in Bezug auf die Kriegsführung der damit verbundenen radikalisierten Verblendung von Jungendlichen ist das Faktum von Hitlerjungen vollbrachten Taten gegen Kriegsende, die gegen die Genfer Konvention verstießen  in anderen Worten Kriegsverbrechen  nicht verwunderlich. Einerseits waren dies jedoch „Kindersoldaten“, die unter Zwang Kriegsverbrechen begingen, die zu Kriegsbeginn höchstens von Angehörigen der Todesschwadrone der SS oder Wehrmacht sowie KZ-Wächtern vollzogen wurden. Andererseits waren es auch Hitlerjungen, die in nationalsozialistischen Widerstandsbewegungen, den so genannten „Werwölfen“, während der letzten Kriegstage  wenn auch in der Literatur oftmals romantisierend dargestellt  Verbrechen gegen die Menschlichkeit begingen.488 Hierzu schreibt Kater: “Um jugendliche HJ-Mitglieder an unmenschliche Taten zu gewöhnen, sie zu Komplizen nationalsozialistischer Verbrechen zu machen und sie an den mörderischen Ruf des ‚Dritten

483 Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 126. 484 Kater, Hitler-Jugend, S. 193. 485 Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 126-127. 486 Ebd., Anhang 1. 487 Kater, Hitler-Jugend, S. 183. 488 Ebd., S. 192-193. 95

Reiches‘ zu binden, befahlen ihnen ihre Führer, Gräueltaten zu begehen.“489 Bezüglich der Schuldfrage von Hitlerjungen im Krieg ist es schwierig, die individuelle moralische Schuld von Jugendlichen, die der Indoktrination des NS-Regimes ausgesetzt waren, zu eruieren, so wie auch derer, welche als Angehörige der Waffen-SS und Wehrmacht im Einsatz waren und Gräueltaten verübten.490 Die Hitlerjungen dienten „[...] ob mit oder ohne Befehl, der tödlich rassischen Ideologie des ‚Dritten Reichs‘ und halfen, sie umzusetzen. Ihr jungendliches Alter macht die Frage der Schuldhaftigkeit äußerst schwierig, bestehen bleibt aber die Frage der Komplizenschaft.“491 Nichtsdestotrotz wurden im Laufe des Zweiten Weltkrieges nicht nur von den Angehörigen der Wehrmacht und der SS Kriegsverbrechen begangen, sondern auch von Hitlerjungen  und zudem nicht nur außerhalb des „Reichsgebietes“, auch auf österreichischem und deutschem Boden.

7. „Stunde-Null“ der HJ-Funktionäre? Die Geschichte der Hitlerjugend in Tirol im Einsatz endete mit dem Gefecht bei Scharnitz in den letzten Tagen des Krieges sowie dem Einmarsch der US-amerikanischen und französischen Besatzungstruppen Anfang Mai 1945. Dennoch gab es auch hier keine so genannte „Stunde Null“  der „Führer“ ging, jedoch blieben die Ideologie und die Nazis. Ebenso fehlerhaft wäre die Annahme, dass die gesellschaftliche Entwicklung des gesamten NS-Apparats mit dem letzten Tag des Krieges verebbt wäre. Zusammenfassend kontrastiert Koch: „Hitler war tot, das Dritte Reich und seine Jungendorganisation zertrümmert. Und das gilt auch für die deutsche Jugendbewegung als kämpferische Massenbewegung. Einige ihrer ehemaligen Mitglieder werden noch hie und da an die Zeit zurückdenken, als die Krise, die nackte Angst und der Glaube an ihr Vaterland sie verband. [...] Aber eine solche Anwandlung von Nostalgie findet ein jähes Ende, denkt man zwangsläufig an die Opfer, an die Unschuldigen und den entsetzlichen Mißbrauch, der mit ihrem Idealismus und ihrer Bereitschaft zur Selbstaufopferung getrieben wurde. Sie waren einer besseren Sache wert als jener Mann, dessen Namen sie einst trugen, zu bieten hatte.“492

Wie bereits beschrieben, gab der ehemalig HJ-Führer, Ringler, an, bereits vor Kriegsende einen „Läuterungsprozess“ durchlaufen zu haben. Ringler kontrastiert zum militärischen Einsatz von Hitlerjungen in den letzten Kriegstagen wie folgt: „Der militärische Einsatz der Hitler-Jugend war ein Fehler. Wir als ihre Führer hatten nicht erkannt, daß die Lage

489 Kater, Hitler-Jugend, S. 193. 490 Ebd., S. 193. 491 Ebd., S. 193. 492 Koch, Geschichte der Hitlerjugend, S. 377. 96 aussichtslos war. Diejenigen, die es kraft ihrer Stellung und Erfahrung hätten wissen müssen, haben uns im Stich gelassen.“493 Im Widerspruch gegen Ringlers These stehen jedoch Pepeunigs und Rüdigers eigene Aussagen nach Kriegsende. Pepeunig verlautbarte unverhohlen „noch nach Beendigung des Krieges, daß er binnen einem Jahr wieder die ganze Jugend um sich versammelt haben [werde]“494, was wiederum den grenzenlosen Fanatismus und NS-Gehorsam  selbst während der Befragung in der Bundespolizeidirektion  widerspiegelte und absolut keinen Läuterungsprozess darstellte. Auch Rüdiger, die mit ihren Aussagen lange Zeit nach dem Krieg noch diesen ungebrochenen NS-Fanatismus in Bezug auf die Hitlerjugend zu Tage legte und zu einer Fragestellung dieser Arbeit beitrug, flüchtet sich, wie schon viele andere HJ und NS-Funktionäre vor ihr, in die Ausrede, dass „damals die Zeit eine andere war“ und dient als weiteres Beispiel, dass ein etwaiger Läuterungsprozess nur bei den wenigsten nach dem Ende des Krieges stattgefunden hatte. Die Geschichte selbst veranschaulicht jedoch, dass selbst in Hitlerdeutschland Menschen waren, die gegen diesen „Zeitgeist“ opponierten und oft  um nur das Beispiel der Männer und Frauen des deutschen und österreichischen militärischen oder zivilen Wiederstandes zu nennen  bewusst das Risiko im Angesicht dessen, dass „die Situation damals eine andere war“, in Kauf nahmen und ihren Einsatz mit ihrem Leben bezahlten.

493 Ringler, Illusionen einer Jugend, S. 222. 494 Bericht der Bundespolizeidirektion Innsbruck (staatspol. Abt.) Präs. III Zl. 11/93/3/1945. ÖStA, AdR/Gauakt Pepeunig Hermann 02/BMI, EA Zl. 349/391. 97

Zusammenfassung Um die anfänglichen Fragestellungen der vorliegenden Arbeit, ob „damals die Situation eine andere war“ und der Einsatz von Jugendlichen im Allgemeinen und vor allem Tiroler Kindern in Form der Hitlerjugend überhaupt militärisch sinnvoll war oder die Gefechte gegen die alliierten Truppen entgegen jeder Vernunft geschahen und schon im Vorhinein zum Scheitern verurteilt waren, zu beantworten, kann folgendes festgehalten werden. Die Erziehung sowie Indoktrination in der Hitlerjugend waren der ausschlaggebende Faktor, der das NS-Dogma bei den Jugendlichen verankerte. Ab 1936 per Gesetz dem Dienst in der Hitlerjugend unterworfen, wurde die deutsche Jugend in der Hitlerjugend selbst, in so genannten Wehrertüchtigungslagern oder beim Flakhelferdienst in den Dienst des „Dritten Reichs“ gestellt und so gleichzeitig zu „Kindersoldaten“ für einen weiteren Kriegseinsatz in den deutschen Streitkräften geformt. Hierbei verwundert es nicht, dass die Hitlerjungen der NS-Ideologie erlagen, die sich sowohl bei den nachfolgenden Jahrgängen als auch bei den ehemaligen Angehörigen der Hitlerjugend, welche bei Kriegsbeginn reguläre junge Soldaten innerhalb der deutschen Streitkräfte darstellten, niederschlug und auch deren Einstellung zum Krieg sowie deren „Feindbild“ maßgeblich prägte. Gemäß dem Leitgedanken „Jugend führt die Jugend“ wurden ab 1944 kontinuierlich „letzte Aufgebote“ an Hitlerjungen geformt, um effektiv in den Krieg  sei es in der 12. SS- Panzerdivision „Hitlerjugend“, in den „Abwehrkämpfen“ am Plattensee oder in Tirol  einzugreifen und doch noch eine Wende zu Gunsten Hitlerdeutschlands herbeizuführen. Die Verblendung der Jugend spiegelte sich einerseits in der kämpferischen Verbissenheit im Zuge der langjährigen Indoktrination wider, die sich beispielsweise nicht nur in der Normandie 1944, sondern auch auf österreichischem Boden, wo Hitlerjungen in fast allen Bundesländern im Kampfeinsatz standen, auswirkte. Jene Jugendlichen, die ein durchschnittliches Alter von 14 bis 16 Jahren hatten und an die Fronten geworfen wurden, hatten im Endeffekt einen gewissen Kampfwert – besonders in den östlichen Bundesländern Österreichs  der jedoch nur kriegsverzögernd, aber nicht kriegsentscheidend wirkte. Ein zynisches Beispiel für den Einsatz und das „Verheizen“ von Jugendlichen entgegen jeglichen militärischen Sinn  bereits vor der Situation einer sich abzeichnenden Gesamtniederlage  stellt die 12. SS- Panzerdivision „Hitlerjugend“ dar, die kurz nach ihrer Aufstellung von US-amerikanischen Streitkräften aufgerieben wurde. Stalingrad und andere militärische Friktionen des Kriegsverlaufes wurden zunehmend als Anlass genommen, um immer jüngere Jahrgänge in die deutschen Streitkräfte einzuziehen und an die Fronten zu schicken. Erschwerend erweist sich auch der Umstand, dass 98

Hitlerjungen, oft auf Befehl oder im Verbund mit SS-Soldaten, Kriegsverbrechen als Kinder ihrer Zeit verübten. Maßgeblich wirkten bei den Fronteinsätzen jedoch nicht nur Wehrmacht oder Waffen-SS, sondern auch HJ-Führer, wie am Beispiel Hermann Pepeunig verdeutlicht wurde, mit, die dem NS-Fanatismus erlagen und, wie sich im Verlauf dieser Arbeit am Beispiel von Scharnitz verdeutlichte, der Einsatz in der nicht vorhandenen „Alpenfestung“ entgegen jedweder Vernunft und der Kampfeinsatz bei Scharnitz zudem mit keinem Kampfwert behaftet war. Erstaunlicherweise kamen bei diesem Einsatz  entgegen der kolportierten Meinung der Fachliteratur und der Kontroverse der Verluste  bei diesem Einsatz keine Hitlerjungen um ihr Leben. Dies mindert jedoch nicht den Umstand, in den letzten Kriegstagen noch Kinder an die Hauptkampflinie geworfen zu haben, obwohl die militärische Sinnhaftigkeit  hervorhebend sei hier auch die moralische Komponente  in allen Bundesländern Österreichs und vor allem im Kampfschauplatz Tirol zu keinem Zeitpunkt gegeben war. Überdies fand bei den HJ-Führern kein Läuterungsprozess nach Kriegsende statt, sondern einerseits nur selbstbeschönigende Rechtfertigungsstrategien und anderseits ein noch immer vorherrschender Fanatismus. Nur durch die Tätigkeiten des österreichischen Widerstandes konnten oftmals verbrecherische Einsätze der Hitlerjungen vereitelt werden beziehungsweise durch das gewissenhafte Eingreifen von eigenen Soldaten vermieden werden. In Bezug auf Gauleiter Hofer, der den Einsatz von Hitlerjungen nicht unterband, waren in den letzten Kriegstagen sein eigener Weg in die Nachkriegszeit und somit seinen persönlichen Vorteil wichtiger als einem Kampfeinsatz von Jugendlichen zuwider zu sein. Hofers Bemühungen, den Krieg vom „Land im Gebirge“ fernzuhalten, war nichtsdestotrotz getrieben von der NS-Ideologie und einem grenzenlosen Karrierismus, denn mit Berlin wurde auch in den letzten Kriegstagen, als selbst Hitler nicht mehr lebte, nicht gebrochen. Im Laufe der letzten Kriegsphase konnte sich der Tiroler Widerstand immer mehr auszeichnen. Einerseits in der aktiven Mitwirkung um die Befreiung Innsbrucks und andererseits, wie am Beispiel der Kämpfe um den Fernpass ersichtlich, im Verbund mit US- amerikanischen Soldaten in aktiv-unterstützender Weise  der Kampfeinsatz der Hitlerjungen in Tirol hatte keine Auswirkungen auf die Aktionen der Widerstandsbewegung. Der vermeintlichen Rechtfertigungsstrategie, dass „damals die Situation eine andere“ war, kann somit nicht hingenommen werden. Der Einsatz von Jugendlichen im Allgemeinen und vor allem Tiroler Kindern in Form der Hitlerjugend bei Scharnitz war, nicht einmal kriegsverzögernd, schon gar nicht kriegsentscheidend und wie alle militärischen Gefechte und Einsätze gegen die alliierten Truppen militärisch nicht mehr sinnvoll und zum Großteil ohne 99 echtem Kampfwert. In Bezug auf die Gemeinde Scharnitz, so laut Dietrich, „[...] dankte man dem Himmel, dass alles – obwohl es vereinzelte Tote unter den flüchtenden Verteidigern gegeben hatte – halbwegs glimpflich abgelaufen war. Denn eines ist klar: Die Aktion der HJ- Buben hätte auch für den Ort und seine Bewohner böse ins Auge gehen können [...]“495 Doch nicht nur in den letzten Kriegstagen in Tirol, sondern im Allgemeinen geschahen Hitlerjugend-Einsätze entgegen jedweder Vernunft, da diese schon im Vorhinein zum Scheitern verurteilt waren und für Hitlerdeutschland nur die drohende Niederlage hinausgezögert wurde und auf Grund des Widerstandes der Hitlerjugend-Verbände, ein schlimmeres „Nachkriegsschicksal“ hätte drohen können.

495 Dietrich, Kampf in der Scharnitzer Klause 1945, S. 2. 100

Quellen- und Literaturverzeichnis

The National Archives Washington

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Österreichisches Staatsarchiv

Bericht der Bundespolizeidirektion Innsbruck (staatspol. Abt.) Präs. III Zl. 11/93/3/1945. ÖStA, AdR/Gauakt Pepeunig Hermann, 02/BMI, EA Zl. 349/391.

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Tiroler Landesarchiv

Beschuldigteneinvernahme bei der Sicherheitsdirektion Innsbruck, 17.08.1945. TLA, Landesgericht Innsbruck, 10 Vr 599/52 Z LG 1952 10 Ur 24/52-P, o.Zl.

Bundespolizeidirektion Innsbruck Staatspolizeiliche Abteilung an Staatsanwaltschaft Innsbruck, 13.3.1946. TLA, Landesgericht Innsbruck, 10 Vr 599/52 Z LG 1952 10 Ur 24/52- P, Zl. Präs. III-Zl.: 368/3-1946.

Gendarmeriechronik Scharnitz, Mikrofilm Nr. 2307 (Abschnitt 2) Scharnitz. TLA.

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Bericht von Georg Schulz über seine Gefangennahme an der Porta Claudia, zit. in Albrich/Dietrich, Todesmarsch in die „Alpenfestung“, S. 38.

Bericht des Kriegskorrespondenten Meyer Levin über die Begegnung mit überlebenden Juden im Raum Seefeld, zit. in. Albrich/Dietrich, Todesmarsch in die „Alpenfestung“, S. 37.

Berichterstatter der 103. Infanteriedivison zit. in Beimrohr, Das Kriegsende 1945 in Tirol, [https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/kunstkultur/landesarchiv/downloads/kriegsende194 5.PDF], eingesehen 18.05.2017.

Brief von Hermann Pepeunig an Hans Holzträger, Privatarchiv Holzträger, zit. in Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 116.

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Brief von Karl Schilling, Privatarchiv Holzträger, zit. in Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler- Jugend, S. 84.

Brief des Bürgermeisters von Biedermannsdorf, Privatarchiv Holzträger, zit. in Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 78.

Brief von Oberstudienrat Pauly, Privatarchiv Holzträger, zit. in Holzträger, Kampfeinsatz der Hitler-Jugend, S. 74.

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Stellungnahme der Gemeinde Seefeld bezüglich der Gefallenen in Scharnitz, zit. in Borth, Was geschah 1945 bei Scharnitz?, S. 6.

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Zeitungen

Innsbrucker Nachrichten.

Tiroler Nachrichten.

108

Anhang

The National Archives, Unit Journal, Headquarters First Battalion, 409th Infantry, 010001 B May 1945 - 012400 B May 1945, Bestand “3103 – INF (409) – 0.3 27290 Opns – France, Germany, Austria, May ‘45“ (Record Group 407)“. 109

The National Archives, Unit Journal, Headquarters First Battalion, 409th Infantry, 010001 B May 1945 - 012400 B May 1945, Bestand “3103 – INF (409) – 0.3 27290 Opns – France, Germany, Austria, May ‘45“ (Record Group 407)“.

The National Archives, Narrative 104th Infantry Regiment from 1 to 1o May 1945, Bestand “3103 – INF (409) – 0.3 27290 Opns – France, Germany, Austria, May ‘45“ (Record Group 407)“.

110

The National Archives, Unit Journal, CT 409, 0001 1 May 45 - 2400 1 Mai 45, Bestand “3103 – INF (409) – 0.3 27290 Opns – France, Germany, Austria, May ‘45“ (Record Group 407)“.

111

The National Archives, Unit Journal, CT 409, 0001 1 May 45 - 2400 1 Mai 45, Bestand “3103 – INF (409) – 0.3 27290 Opns – France, Germany, Austria, May ‘45“ (Record Group 407)“.

112

The National Archives, Unit Journal, Headquarters Second Battalion, 409th Infantry, 010001 B May 1945 - 012400 B May 1945, Bestand “3103 – INF (409) – 0.3 27290 Opns – France, Germany, Austria, May ‘45“ (Record Group 407)“.

The National Archives, G3-Journal, 0001 1 May 45 - 2400 1 Mai 45, Bestand “3103 – 3.2 G – 3 Journal 103D Inf. Div. May 1945“ (Record Group 407)“.

113

The National Archives, G3-Journal, 0001 1 May 45 - 2400 1 Mai 45, Bestand “3103 – 3.2 G – 3 Journal 103D Inf. Div. May 1945“ (Record Group 407)“.

The National Archives, G3-Periodic Report, 0001 1 May 45 - 2400 1 Mai 45, Bestand “3103 – 3.1 103D Inf. Div. Periodic Reports 1-10 May 1945“ (Record Group 407)“.

List of the dead and wounded 2. Mai 1945, zit in: o.A., 614th Tank Destroyer Battalion in World War II, [http://www.tankdestroyer.net/images/stories/ArticlePDFs/614th_Unit_History _-_Complete.pdf], eingesehen 18.05.2017, S. 37.

114

Martin, Lucas C., The Last Four Days. Austria. Mai 1-4, 1945.

115

The National Archives Washington, 111-ADC-4417, Austrian Border Fire Fight (Scharnitz Pass, Austria) 1 May 45.

Bericht der Bundespolizeidirektion Innsbruck (staatspol. Abt.) Präs. III Zl. 11/93/3/1945. ÖStA, AdR/Gauakt Pepeunig Hermann, 02/BMI, EA Zl. 349/391.

116

Liste des Schwarzen Kreuzes der am Seefelder Waldfriedhof bestatteten gefallenen Soldaten.

117

Dankesworte Mein spezieller Dank ergeht an Herrn ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Thomas Albrich für die Betreuung meiner Masterarbeit, der mich in vollstem Vertrauen an meine Kompetenzen professionell unterstützte.

Ein großes Dankeschön gilt, meinen Kompaniekommandanten Mag.(FH) Hptm Christoph Seidner und Hptm Hans-Georg Feiersinger, BA, die mir das Masterstudium mit allen Mitteln ermöglichten.

Mein Dank gilt auch dem Historiker Mag. Dr. Stefan Dietrich, der mir mit hilfreichen Ratschlägen und Materialien zur Seite gestanden ist.

Bedanken möchte ich mich auch herzlichst bei meinem geschätzten Studienkollegen, Herrn Mag. Dr. Thomas Lintner, für das Korrigieren der Arbeit.

Einen ganz herzlichen Dank möchte ich an dieser Stelle meinem Bruder, Mag. Andreas Ender aussprechen, der mich immer wieder zu neuerlichen Studienleistungen motiviert hat.

Abschließend möchte ich meinen Eltern, vor allem meinem Papa Albert und meiner Mama Sigrid danken, die mir während meiner Studien immer die vollste Unterstützung zukommen ließen.

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Eidesstattliche Erklärung

Ich erkläre hiermit an Eides Statt durch meine eigenhändige Unterschrift, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel verwendet habe. Alle Stellen, die wörtlich oder inhaltlich den angegebenen Quellen entnommen wurden, sind als solche kenntlich gemacht.

Die vorliegende Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form noch nicht als Magister-/ Master- /Diplomarbeit/Dissertation eingereicht.

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Datum Unterschrift

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