"Unser Parlament" : viel kritisiert, aber schwer zu ändern!

Autor(en): Fisch, Arnold

Objekttyp: Article

Zeitschrift: Bündner Jahrbuch : Zeitschrift für Kunst, Kultur und Geschichte Graubündens

Band (Jahr): 38 (1996)

PDF erstellt am: 06.10.2021

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-550561

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http://www.e-periodica.ch y «Unser Parlament» - Viel kritisiert, aber schwer zu ändern!

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Die a&tretercde ./a/mönc/jredafctjon /ia£ den WitrascA /u'nter/assen, Aira//e/en, öez/ednngrszeeise Unterschiede des /zendgren Par/a/nenis6efrze6es zzz /rzz/zeren Zeden azz/znzezgren, z'n denen der C/zronz'sî sezne 5erzc/z£ers£af£erîâfzgrfced znz fizzndes/zazzs azz^grenonzznen /iaf. Der Kergregrenzeärfz- grnngr jener Drz'nnernngren zznd z'/zre A'on/ronîaîzon nzz't der Gegrenzearf /za£ Spass grenzac/zf, o6zno/z/ grar nzc/zï so «s/zasszgf» z'sZ, zras/esïznsïeden zear.

Zunächst eine Klarstellung: Seit der Chronist derselben Örtlichkeit im zweiten Anlauf doch seine Tätigkeit unter der Kuppel des Bundes- noch die Wahl einer Bundesrätin durchge- hauses praktiziert hat, ist auch schon wieder drückt hat. Man hatte wieder mit Frauende- eine Weile vergangen. Altershalber hat er im monstrationen gerechnet, die dann allerdings Frühjahr 1978, nach 35 Jahren oft hektischer «ausser Haus», abgesehen von einer Gruppe, Betriebsamkeit, seinen Platz auf der Journali- die ihre Transparente vor dem Eingang des stentribüne geräumt. Und wenn er auch in den Parlamentsgebäudes aufgepflanzt und diesen seither verstrichenen bald anderthalb Dutzend mit gelben Ballonen garniert hatte, ausgeblie- Jahren den Kontakt mit dem einstigen Wir- ben ist. Statt Lärm eine freundliche Geste: den kungsbereich nie ganz aufgegeben, sich na- Eintretenden wurde ein Mimosensträusschen mentlich durch immer noch intensive Zei- in die Hand gedrückt. tungslektüre einigermassen auf dem laufen- den gehalten hat, wollte er, ehe er sich an diese * Aufgabe machte, wieder einmal am Tatort Im Nationalratssaal dann allerdings eine un- einen gründlichen Augenschein nehmen. Da- gewohnte Atmosphäre, in der dieselbe gelbe für hat er die Sitzungen vom 9. März 1994 ge- Farbe dominierte: Engagiert für die Sache der wählt, die im Nationalrat dem sogenannten Frau sich einsetzende Par/azTzezztarzerzzzzzezz, «Gleichstellungsgesetz» und im Ständerat der inklusive die Ratspräsidentin, hatten sich nicht «Kleinen Regierungsreform» gewidmet wa- damit begnügt, die «Sonnenbrosche» an ihr ren. Hüben die Einbindung verfassungsmässig Revers zu heften; sie hatten sich auf eine Gar- schon vor einem Dutzend Jahren garantierter derobe in Gelb verabredet. Und von diesem Ko- Frauenrechte in ein ausgeknobeltes Netz von stümfest offenbar zu erhöhter Betriebsamkeit Gesetzesartikeln - drüben ein neuer Versuch, angeregt, herrschte um Präsidenten- und Red- den ewig überlasteten Bundesrat mit einem nerpult ein farbiges Gedränge. Apparat längst «erfundener», aber mit neuen Was nun allerdings den immer noch domi- Kompetenzen auszustattender Staatssekretä- nant männlichen Rat nicht so zu beeinflussen re regierungsfähiger zu machen. vermochte, dass er von der in der vorberaten- Zugegeben kein ganz gewöhnlicher Sit- den Kommission vorgezeichneten Linie gross zungstag, sondern Verhandlungen, die von der abgewichen wäre. Zu den als allzu frauen- Regie so geplant waren, dass Erinnerungen an freundlich empfundenen Anträgen des Bun- den «Aufstand der Frauen» sich aufdrängten, desrates wurde Distanz genommen. Aber auch der fast auf den Tag genau ein Jahr zuvor an mit ihren abgeschliffenen Ecken und Kanten

87 Das «Vogelnest», von dem aus die Bundeshausjournalisten den Verhandlungen im grossen Nationalratssaal folgen. bringt die bereinigte Vorlage noch immer ein- stellt. Da wartete, schon in Hut und Mantel, be- schneidende Eingriffe in das herkömmliche sagter «Jakob»: «Chumm!» Er fasste den Jun- Rollenverständnis. Der «Sündenfall» war gen am Arm, geleitete ihn durch die düstere längst - am 14. Juni 1981 schon - begangen, Eingangshalle und über den breit ausladenden als der doppelgeschlechtliche Souverän den Treppenaufgang nach oben, wo hinter den noch einmal zehn Jahre früher eingeführten Drei Eidgenossen eine kleine Tür geöffnet wur- politischen Rechten der Frau die «Gleichen de. Fünf Schritte eine Holzstiege hoch. Da Rechte für Mann und Frau» im wirtschaftli- stand der Neuling, allen Blicken ausgesetzt, in chen Alltag beigefügt hat. Die Auseinanderset- einem der «Schwalbennester», die seitlich des zung im Grossen Saal, in der auch von einigen Präsidentenstuhls an die Saalfront geklebt Parlamentarierinnen kluge Zurückhaltung sind. empfohlen wurde, ist auf den Publikumstribü- Der Jakob hat ihm nicht lange Zeit gelassen, nen mit grossem Interesse verfolgt worden. sich in der nie zuvor erlebten Umwelt zurecht Der Andrang weiblicher Reisegruppen aus zu finden. Er hat ihn auf einen Stuhl gedrückt. dem ganzen Land war so gross, dass sie in sich Davor lagen auf einem Pult der angefangene ablösenden Schichten nur für eine abgemesse- Ratsbericht, ein Bleistift und ein Schlüssel: «Da ne Zeit jeweilen mithören konnten... hesch de Tribüneschlüssel und es Bleiwiiss. De Vor fünfzig Jahren ist das nicht einmal bei Pricht isch à jour. Und wenn'd nüd druss Bundesratswahlen üblich gewesen. Trotzdem chunsch, frogsch d'Ilse!» Weg war er. ist damals der erste Auftritt des frischgebacke- Die Ilse war ein Überbleibsel der ersten Ge- nen Journalisten an einem ganz gewöhnlichen neration der Bundeshausjournalisten-Gilde. Sessionstag unvergessen geblieben: Wegen Damals die einzige Frau. Sie sass in bis zum Ausfall des gewohnten Berichterstatters war Hals geschlossenem schwarzen Rock, ein Ka- mitten am Vormittag ein aufgeregter Anruf ins potthütchen auf dem schütteren Haar uner- Redaktionsbüro gekommen: «Der Fisch soll schütterlich auf ihrem Beobachtersitz. So- sofort ins Bundeshaus kommen - der Jakob gleich hat sie sich mit dem tröstlichen Spruch muss weg!» Es wurde ein Taxi besteht und der «Abah, was dä do seit, isch dumme Züg - das Fahrgast nach wenigen Minuten vor dem isch en Laferi» des unerfahrenen Kollegen an- Hauptportal des Parlamentsgebäudes abge- genommen und ihn so davor bewahrt, einfach

88 alles nachzuschreiben, was von den in rascher Folge wechselnden Rednern zum besten gege- ben wurde. Jedenfalls: Der erste Parlaments- hericht ist - wie alle andern Berichte - bei Sit- zungsschluss ablieferungsbereit gewesen.

* Es würde verlocken, jetzt ein Loblied auf die Ilse anzustimmen, die schon als fünfzehnjähri- ges Mädchen ihrem Vater, dem Korresponden- ten der «Appenzeller Zeitung» namens Hohl, Handlangerdienste geleistet hat und nach des- sen Tod selbstverständlich in die Lücke getre- ten ist. Die 7/se F/o/zZ ist der gute Geist in einem Journalistenzimmer gewesen, in dem damals noch keine dreissig Kollegen ihre Schreibma- schinen malträtiert haben. Jetzt sollen es hun- dert Medienvertreter sein, die — zu einem we- sentlichen Teil allerdings technisches Personal von Radio und Fernsehen - während der Rats- tagungen das Bundeshaus unsicher machen. Eine von der jungen Garde hat auf dem Stuhl Die Korrespondentin der «Appenzeller Zeitung», //se Z/o/z/. Sie hat ihrer Zeitung als Nachfolgerin ihres Vaters der Ilse vor dem nostalgischen Rückkehrer ge- von 1891 bis 1948 in selbstverständlicher Pflichterfiil- sessen: eine junge Frau im «Hosenträger- lung während eines Menschenalters treu gedient. Dress». Womit die Überleitung zu den personellen 57 den Rat präsidierte, vertreten. Der Freisin- Veränderungen geschaffen wäre: Nicht nur die nige Adolf Nadig komplettierte das Team. Im Berichterstatterfront hat so starke Einbrüche Kleinen Saal wurde der Stand Graubünden erfahren, dass nicht einmal mehr von denen, vom Demokraten Albert Lardelli und dem KK die beim Rücktritt noch da waren, mehr als ein Josef Vieli repräsentiert. Aus späteren Jahren, paar Gesichter bekannt geblieben sind. Von in denen der Chronist vornehmlich aus dem denen unten im Saal, mit denen er persönliche Ständerat berichtete und im andern Saal nur Kontakte gehabt hat, ist nicht einer mehr vor- so viel noch hospitierte, als er Stoff für seinen handen. Der am längsten Überlebende ist der Tageskommentar benötigte, sind die Erschei- Helmut Hubacher, aber mit dem hat er sich nie nung von Arno Theus (Ständeratspräsident unterhalten. Erst recht ist aus der Zeit, da er 1970/71) und selbstverständlich das Wirken sein Metier aufgenommen hat, keine der Per- des nachmaligen Bundesrates sönlichkeiten übrig geblieben, die dem Paria- präsent geblieben, der nach acht Jahren als ment einst das Gesicht gegeben haben! Volksvertreter von 1974 bis 1978 im Ständerat Die Jahrbuchleser dürfte immerhin interes- sass. sieren, wie vor fünfzig Jahren die ßzzzzc/zzerZte- Sc/z/zzzzzp/s PVa/zZ m die /.anc/esregr/eram/, die Zez/atzo/z zusammengesetzt war: Im National- in diesem Zusammenhang noch besonders ge- rat sassen die drei Demokraten Ruben Lanic- würdigt sei, war nach zwei Dutzend von der ca, Georg Sprecher und - von allen der Be- Journalistentribüne aus verfolgten Bundes- kannteste - Andreas Gadient. Die Katholisch- ratswahlen die erste, die der Chronist wieder Konservativen - damals noch mit dem Kürzel im «Fussvolk» miterlebt hat. Er stand an jenem «KK» gekennzeichnet - waren durch Luigi 5. Dezember 1979 inmitten der 2000 Bündner Albrecht und Joseph Condrau, der dann 1956/ auf dem Bundesplatz, die hergereist waren,

89 den sich abzeichnenden Triumph zu feiern, (der erst Ende 1943 dem Regierungskollegium dass einer der Ihren das mächtige , das beigetretene erste Sozialdemokrat) und - am seit Bestehen des Bundesstaates ununterbro- 14. Dezember 1944 in der ersten miterlebten chen einen Sitz im «Rat der Sieben» inngehabt Bundesratswahl für den enttäuscht zuriickge- hatte, austrumpfen könnte. Nach dem Rück- tretenen Marcel Pilet-Golaz zugewählt — Max tritt von Rudolf Gnägi war zwar der Anspruch Petitpierre. der SVP wieder unbestritten, doch erstmals Doch zum Parlament: Besagte Bundesrats- seit Rudolf Mingers Zeiten war den Bernern in ersatzwahl der Bundesversammlung ist vom der eigenen Partei von einem Nicht-Berner konservativen Freiburger Pierre Aeby, einem ernsthafte Konkurrenz erwachsen. Dem von Rechtsprofessor mit dem Habitus des feinsin- ihnen aufgestellten Werner Martignoni stand nigen Gelehrten, geleitet worden. Und im wei- eben der Bündner Schlumpf gegenüber. ten Rund des Grossen Saals sassen unter den Schlumpf machte die Sache schon im ersten von den Bürgern ihrer Herkunftskantone in die Wahlgang, in dem er es auf 159 Stimmen Bundesstadt delegierten Volks- und Standes- brachte, während Martignoni nur auf 72 Stirn- Vertretern Persönlichkeiten, die in so originel- men kam, klar. Dem Stand Graubünden war 1er Substanz einem vielleicht zu wohlwollen- damit zum dritten Mal - nach Simeon Bavier den Erinnern der heutigen Politikergarnitur (1878-83) und (1913-20) - die überlegen erscheinen. Ehre beschieden, der Landesregierung anzu- Besonders lebendig steht unter den damali- gehören. Und sein Mandatar hat sich der Ehre gen Freisinnigen der in der hintersten Bank- würdig erwiesen. Es wurde ihm das Verkehrs- reihe sitzende Zürcher Hermann Häberlin zu- und Energiewirtschaftsdepartement zugeteilt, vorderst in der «Ahnengalerie». Dieser Spross das mit dem gleichzeitigen Wechsel des Solo- einer alten Politikerdynastie, die im Thurgau thurner Sozialdemokraten zu von Alfred Eschers Freund Eduard Häberlin den Finanzen frei geworden war. Als Schlumpf begründet, von dessen Bruder Heinrich und nach seinem auf Ende 1987 erklärten Rücktritt dessen Sohn, Bundesrat Heinz Häberlin, fort- wieder durch einen Berner - durch - gesetzt und über einen Neffen des Industrie- ersetzt wurde, durfte er besonders für seine Vertreters Eduard, den Zürcher Arzt Hermann gegenüber ausländischen Zumutungen feste Häberlin, eben mit dessen Sohn, dem Juristen Haltung im Verkehrsbereich von allen Seiten Hermann, endete, war das Vorbild eines guten anerkennende Worte entgegennehmen. In der Debattierers, der jederzeit wohlbegründet in ihm persönlich nahestehenden «Zürichsee- freier Rede in eine Auseinandersetzung ein- Zeitung» wurde er als «der schweizerischste greifen und diese nicht selten zum Guten wen- der heutigen Bundesräte» gewürdigt. den konnte. Neben ihm waren die Freisinnigen Wer Bündnervolk und Stand Graubünden mit Männern wie dem Zürcher Theodor Gut heute in Bern vertritt, das ohne Gedächtnis- dem Älteren, dem Luzerner Max Wey und dem stütze zu wissen, darf den politisch interessier- vom Aargauer Volk abgeordneten späteren ten Lesern des Jahrbuchs wohl zugetraut wer- Ständerat Ernst Speiser im Kräftemessen stets den... dabei. Von den welschen «radicaux» haben * der exklusive und der Waadt- Der Rückblick sei auf Persörc/ic/zfceiferc non länder , der auch als Bundesrat <7esamîsc/î«;eizensc/îer ßedeufwng ausgewei- eine volksverbundene Persönlichkeit blieb, je- tet, die den jungen Mann in seinen Anfangsj ah- nèr Garde der ersten Stunde angehört. Wobei ren beeindruckt haben. Zunächst in der Rei- Lachenal von der ersten miterlebten Frak- henfolge ihrer Anciennität die Bundesrats- tionssitzung her allerdings in eher unangeneh- équipé, die der Chronist 1944 angetreten hat: mer Erinnerung geblieben ist, weil er seinen , , Walter Stampfli, allzu begeisterungsfähig gebliebenen jungen , , Fraktionskollegen Urs Dietschi aus Solothurn

90 in arroganter Weise in den Senkel gestellt hat. Weck und Joseph Piller vertreten lassen. Doch Ein verglichen mit heute noch eindrück- sämtliche Originale wurden vom noch zu Bern licheres Bild bot die sozialdemokratische Frak- gehörenden Nordjurassen Jean Xavier Gressot tion, in der sich die ruhmreichen Gestalten ge- in den Schatten gestellt, der als Double des auf genseitig die Fersen abtraten: Die Spitzenposi- seine besondere Art berühmten «Fernandel» tion nahmen in der seit einem Jahr erst an der in die Ratsgeschichte eingegangen ist. Regierung beteiligten Partei die Berner ein: Grundverschieden die Erinnerungen an die Robert Grimm und Robert Bratschi, Ernst damals repräsentativen Vertreter der BGB auf Reinhard, Max Weber, der 1953 nach der ge- der einen und der Fraktion der Liberalen auf scheiterten Finanzreform mit seiner Demis- der andern Seite. Bei den Bauern und Gewerb- sion nach nur zwei Bundesratsjahren die Par- lern die auch mit der körperlichen Fülle ge- tei in den «Gesundbrunnen der Opposition» wichtigen Männer: der Zürcher Gewerbever- geführt hat, sowie die grossen Namen Konrad treter Paul Gysier oder der Aargauer Arzt und Ilg und Arthur Steiner. Weiter seien der Schaff- Oberstdivisionär Eugen Bircher, die mit ihrem hauser Walther Bringolf und der St. Galler Jo- Ungestüm ihre überlegteren Kollegen Karl Re- hannes Huber, der als Präsident der damali- nold (Aargau) oder (Bern) gen Vollmachtenkommission so etwas wie öfters in Verlegenheit bringen mochten. Dem- «der achte Bundesrat» war, besonders hervor- gegenüber nun die kleine, aber elitäre Gruppe gehoben. Der eigenwilligste Kopf war wohl der der Liberalen, der als einziger «Nicht-Ro- Walliser Carl Dellberg, der noch als Handlan- mand» der erfahrene Aussenpolitiker Albert ger am Simplontunnel mitgebaut hat. Unter Oeri aus Basel angehörte. Ihr überlegener Chef den Welschen ist immer wieder , war der Genfer Albert Picot, dem trotz stets ge- der spätere Waadtländer Bundesrat mit gei- übter Zurückhaltung die für einen Angehöri- streichen Interventionen aufgefallen. Und im gen der «Kleinen» ausserordentliche Ehrung stillen Ständerat bewies der Basler Gustav beschieden war, 1947/48 Nationalrat und Wenk-Vater, dass sehr wohl auch aus der Op- Bundesversammlung zu präsidieren. Neben position heraus wohlüberlegtes Wirken mög- Picot sei mit einem freimütigen Ausspruch, den lieh ist. - Der Reigen sei mit der kontrastrei- er über die gelegentlich widersprüchliche Poli- chen Zürcher Delegation geschlossen, die tik seiner Parteifreunde getan, nur noch des- ebenfalls im Ständerat mit dem Zürcher Stadt- sen Landsmann Aymon de Senarclens zitiert: Präsidenten Emil Klöti einen illustren Vertre- «Les libéraux, c'est une bande de schizophrè- ter hatte und im übrigen mit dem Namen Hans nés!» Oprecht brillierte. Dazwischen funkten immer * wieder die politischen Naturtalente Jakob Kägi Fehlt noch Gottlieb Duttweiler. Er, der ein und «Otti» Schütz aus dem Gewerkschaftsla- eigenes Kapitel füllen könnte und in seinem ger mit oft viel belachten Stellungnahmen. Landesring der Unabhängigen vorübergehend An Originalen hatte auch die alte KK-Frak- eine illustre Gesellschaft von Geistesgrössen zu tion keinen Mangel: Hier fielen damals mehr sammeln vermochte - es seien nur der Genfer als der mit emsigem Fleiss sich zum Bundesrat William Rappard und der Basler Felix Moesch- emporarbeitende Walliser Josef Escher oder lin genannt -, leitet über zur Aufsplitterung der 33 Jahre junge Obwaldner Standesherr der Parteienlandschaft, die sich damals erst Urgestalten wie der Freibur- abgezeichnet hat, heute aber für die Einhai- ger Krauskopf Quartenoud auf, der mit der Ge- tung eines klaren Kurses belastend ist. wait eines «Munis» losstürmen konnte. Ehe Zu dieser Entwicklung hat wohl auch der Quartenoud 1947 aus der Volkskammer in die Fintritt der Frcrnen in die PoiifiÄ; beigetragen. Ständekammer hinüberwechselte, hatte sich Zwar hat die erste Politikerinnen-Generation der ehrenwerte Stand Freiburg im Kleinen im Bundeshaus viel weniger Aufsehen erregt, Saal von den gewandten Politikern Bernard de als dies von Skeptikern befürchtet worden

91 sehr auf die Wahrung besonderer Frauenin- teressen ausgehen, ihres Erfolges wohl gewiss wären! * Nun soll nicht die Meinung aufkommen, dass erst dem neuen Element Frau zunehmende Arz'tlh am Par/amentsöetrfeö zu unterschieben wäre. Diese Kritik ist zum Teil auf«Gesetzmäs- sigkeiten» des Parlaments zurückzuführen, die sich mit menschlichen Schwächen schlecht vertragen. So hat es, als sich einst eine Schul- klasse in einem Brief an die erste Nationalrats- präsidentin ob der Undiszipliniertheit des von der Tribüne beobachteten Ratsgeschehens enttäuscht äusserte, die angeschriebene Eli- sabeth Blunschy in einem freundlichen Ant- wortbrief klargestellt: «Über Sünden und Män- Im Ständerat, der noch immer ohne Rednertribüne aus- gel des Parlamentsbetriebes ist immer geklagt kommt, hat die moderne Kommunikationstechnik mit das der indiskret herummanövrierten Fernsehkamera Ein- worden, solange es Parlament gibt. Bei zug gehalten. Vergleichen mit ausländischen Parlamenten würde die Bundesversammlung hinsichtlich war. Die erste «Rätin» in Bern ist die Genfer Disziplin, Ernst und Speditivität der Arbeitser- Ständerätin Lise Girardin gewesen, die nicht ledigung nicht schlecht abschneiden...» erst den eidgenössischen Volksentscheid vom Das ist 1977 geschrieben worden. — Eine we- 14. Februar 1971 über die Gewährung des all- niger von Besuchern als von «Insidern» immer gemeinen Frauenstimm- und -Wahlrechts ab- wieder zu hörende Kritik ist die Beanstandung warten musste, sondern im fortschrittlichen der papierenen Vielrednerei. Dazu hat einer, Frauenstimmrechtskanton Genf schon vorher der eigentlich Parlamentsberichterstatter ihres Einsitzes in der Bundesversammlung ge- war, aber für kurze Zeit selber im Ratssaal ge- wiss war. Tatsächlich hat diese Frau von der sessen hat, Dr. Alfred Griitter, in seiner «Tat» ersten Stunde an als wohlgelittene «Copine» folgende Erfahrung festgehalten: Vertrauen erweckt. Vielleicht hat sie später «Da ist der grosse Aaftona/ratssaa/ mit sei- allzu masculin politisiert und mit der Übernah- nen POO PuZten undSesseZn, oben dze mächtige me von Verwaltungsratsmandaten den Ruf Pwbd&nmsZrzbnne. Wer zw dem z'n Deratung weiblicher Unabhängigkeit von j eglicher Inter- stehenden Gegenstand sprechen wZZZ, hat sz'ch essenpolitik strapaziert. - Unter den National- beim .Präsidenten zu meZden, zzm azz/ dz'e Ped- rätinnen der «Ersten Stunde», die aus den nerZZste gesetzt zzz zcerden. Dann znz'rd er Im Herbstwahlen 1971 als Siegerinnen hervorge- VerZau/ der VerhandZungen azz/gerzz/en. /fr gangen waren, bleiben die freisinnige Zürche- mzzss nzzn non seznem Platz dzzrch den SaaZ rin Martha Ribi und ihre Landsfrau aus der so- schreiten zznd azz/ein erhöhtes Podlzzm steigen, zialdemokratischen Fraktion, Hedi Lang, Bei- //ler sieht er sich zwischen dem Präsidenten spiele von Politikerinnen, die ebensowenig ans und dem Patsbüro cor ein NtehpzzZt gestellt Vor ihrem Frausein ein Wesen machten, in bester seinen Augen der Mnop/ des MZfcrophons, das Erinnerung. Sie haben wenig Nachfolgerin- seine Worte an die zahlreichen Lautsprecher nen, die es ihnen gleichtun und deshalb, wie Im SaaZ, au/der PubZILums- und der Pressefr!- beispielsweise die Zürcher Freisinnige Vreni hüne weiterleitet, z'n den PeZZer zur simultanen Spoerry, bei einer allfälligen Bundesratskandi- Übersetzung und nicht zuletzt zu den «rede- datur im Unterschied zu Kandidatinnen, die zu schrz/tZIch» geschuZten Stenographezz, dz'e das

92 Gesprochene nachschreien, c/anzrfesschh'ess- überlasteten Bundesrates propagierten h'ch anch noch gea/rac/T im /lanh'chen S/eao- Staatssekretäre ausgetragen wurde. Es ist bei graphischen 7?a//ef/rc erscheint - 14 er zu einem diesem Geschäft an besagtem Morgen, soviel Gefirensianc/ has Wort ergra/ea an'//, sieht sich der Rückkehrer davon mitbekommen hat, aa/r/iese Preise hi/(//ich and hörper/ich in einen noch immer wie früher gewesen: gescheiter /Ipparai .gespannt, hen am weniger Götze au7- Austausch von Argumenten und Gegenargu- /en in Gang za setzen, haam hie Mähe menten in konziser Form. Die nähere Erkundi- /ohnf...» Gratter, A, Mänge/ im Par/aments- gung bei einem jüngeren Kollegen, der schon hetrieh, in; 7at, 76. 7h. 7956. länger dabei ist, haben allerdings auch hier Die Ausführungen mündeten in Vorschläge, eine Retouche des guten Eindrucks gebracht. die darauf angelegt waren, an die Stelle derbe- «Der Ständerat» - so lautete die Auskunft - ziehungslosen Folge von Referaten wieder die «der sich früher stets punkto Qualität der De- spontane Rede, die echte Debatte in Rede und batte und der Quantität der Voten vom Natio- Gegenrede treten zu lassen. Weshalb Redner- nalrat abgehoben hat, beginnt mehr und mehr pult, Mikrophon und Stenographisches Bulle- auch im Stil der Grossen Kammer zu arbei- tin verschwinden miissten und jedermann zu ten!» In der aussenpolitischen Debatte zum verpflichten wäre, von seinem Platz aus zu Beispiel hätten zwei Drittel der «Senatoren» sprechen. Diesen Plätzen wäre der Tisch, der gesprochen. «Die Disziplin, die früher auf- zum Lesen und anderweitigen Arbeiten ver- grund von Absprachen in den einzelnen Frak- lockt, wegzunehmen. Einfache Bänke-wie im tionen praktiziert wurde und beispielhaft war, britischen Unterhaus - würden genügen. Na- ist endgültig dahin!» Die Folge: Nachmittags- mentlich wäre das Verbot der belebenden Zwi- Sitzungen, die bis vor kurzem noch eine abso- schenrufe aufzuheben. lute Seltenheit waren, werden auch im Stände- So revolutionär solche «Gewaltmassnah- rat zur Gewohnheit. Pendenzen müssen von men» dem Parlamentarier von heute vorkom- einer Session in die andere hinübergeschoben men mögen, ganz neu wären sie selbst für die- werden: «Wegen der zunehmenden Disziplin- sen Saal nicht: Ältere Kollegen mochten sich und Masslosigkeit der Damen und Herren - noch erinnern, dass auch im schweizerischen und nicht wegen der grösseren Geschäftslast - Nationalrat vom Platz aus gesprochen wurde. hat die Kleine Kammer an Qualität enorm ein- Ohne Mikrophon! Wenn sich die Worte im wei- gebüsst!» ten Rund verloren, haben jeweilen, so Interes- Apropos Geschäftslast: Dazu hat einst der santes vermutet wurde, die Ratsherren den gerne mit Revisionsgedanken spielende Urner Sitz des Sprechenden umstanden. Je dichter Ständerat Franz Muheim nüchtern festgestellt, die Reihe der Zuhörer, desto wichtiger hätte dass unser Parlament, so es richtig organisiert das Votum auch geschienen, so dass die Pres- wäre, nicht überfordert sein miisste. Man seberichter, die aus der Ferne nicht viel mitbe- miisste es nur fertigbringen, die Kompetenzen kommen hatten, nachher in die Wandelhalle etwas besser zu verteilen. Der konservative In- rannten, um sich das nur halb Gehörte von nerschweizer mit offenem Blick in die Welt hat einem der dabeigestanden, wiedererzählen zu daran gedacht, nicht mehr jeden «Hafenkäs» lassen. Die Zuhörertrauben seien geradezu ein im Plenum durchzudiskutieren, sondern - wie Gradmesser für die Höhepunkte des Ratsge- es längst auch für die Exekutive gefordert wird schehens gewesen. — zweitrangige Entscheidungen untergeordne- * ten Gremien zu überlassen, die ja ebenfalls Damit der versprochene 7?//c£ in den G7önc/e- nach dem Parteiproporz zusammengesetzt rat, wo immer noch vom Platz aus gesprochen werden könnten. wird und an jenem Morgen zwischen Staats- * rechtsprofessoren das Duell um die politische So wäre man glücklich beim Thema Par/a- Bedeutung der als «Verbeiständer» eines mercisre/orm angelangt, wovon der Chronist

93 während seiner aktiven Zeit immer wieder ge- rechte eines demokratischen Staatswesens hört hat und an welcher noch immer gearbei- fest, was allerdings immer neu in Frage gestellt tet wird. Sie hat, angetrieben von den bitteren wird. Erfahrungen der Mirage-Affäre, als die Kon- * trolle Regierung und Parlament recht eigent- Bliebe als zwar nicht ganz neues, aber mit lieh entglitten war, 1967 zu einer Verstärkung dem Aulkommen der elektronischen Medien der Verwaltungskontrolle geführt: die Ge- forciertes Phänomen des politischen Betriebes Schäftsprüfungskommissionen beider Räte die offenbare Mediensüc/bigdreif.- Man hat eine wurden ausgebaut und - analog der immer bemühende Auswirkung dieser Krankheit, die ernster genommenen Finanzkontrolle - mit leider nicht nur eine Kinderkrankheit ist, son- einem eigenen Sekretariat ausgestattet. Mit dern epidemischen Charakter hat, ausgerech- dieser Verstärkung des Geschäftspriifungsap- net an dem Morgen erlebt, als der Nationalrat parates war schon 1962 eine Totalrevision zwischen der tags zuvor nach weitschweifigen des sogenannten Geschäftsverkehrsgesetzes Erörterungen beendeten aussenpolitischen zwecks Verbesserung der Verfahrensvor- Debatte und dem Beginn der Auseinanderset- Schriften für den Verhandlungsabiauf in Gang zung über das Gleichstellungsgesetz die gebracht und sind 1972 Ausbau und systemati- bundesrätliche Antwort auf die bedeutsame schere Organisation der sogenannten Paria- Frage, wie es unser Staat im Zeichen der Annä- mentsdienste beschlossen worden. herung an Europa mit der Neutralität zu halten Und wie könnte es anders sein: Jene Ansätze habe, erhalten sollte. Die Ratsvorsitzende hat haben nach dem Parkinsonschen Gesetz es den Vertretern der Landesregierung un- Frucht getragen. Aus einem aus 25 Männlein missverständlich zu verstehen gegeben, dass und Weiblein zusammengesetzten Apparat für ihnen dafür und den ganzen Rest eine Stunde Dokumentation, Übersetzungen und allerhand eingeräumt werde. Nachher sei das Fernsehen Erleichterungen der Arbeit des einzelnen Par- für die Live-Übertragung der Anliegen der lamentariers ist inzwischen ein einhundert Frau aufgeboten, und daran sei nicht mehr zu Mann starker Dienstzweig mit allen einem sol- rütteln. chen Betrieb eigenen Besonderheiten gewor- Nun, Europa ist offenbar noch weit, und es den, ohne dass man der erhofften Effizienz des wird noch öfters über diese Frage diskutiert «Parlaments der Zukunft» näher gekommen werden. Aber es ist bezeichnend, dass die Pu- wäre. In einem letzten Anlauf hat man es 1992 blizität heute den Vorrang hat. Um nochmals in mit einem schwergewichtig auf den vermehr- den Ständerat zurückzukehren: Es hat bei der ten Einsatz «Ständiger Kommissionen» ange- nostalgischen «Heimkehr» in den würdevollen legten Versuch probiert, der auf der Erwar- Kronleuchtersaal bestürzt, auch hier einem in tung basiert, dass wenn schon die immer glei- der Raummitte stationierten Aufnahmegerät chen Interessenvertreter ihre immer gleichen zu begegnen, das mit der Mattscheibe von Ge- Interessen vertreten, dies am rationellsten in sieht zu Gesicht gedreht wurde, um den jewei- einem Fachgremium geschieht, das nicht im- ligen Redner ins Bild zu bekommen und mit mer neu zusammengesetzt wird... den aufgezeichneten Worten nach irgendwo- Was hingegen in der Volksabstimmung vom hin weiterzugeben. Das wäre früher undenk- 29. September gleichen Jahres zum x-ten Mal bar gewesen. Aber eben: böse Mäuler sagen es sich als Sperriegel erwiesen hat: der Souverän unverhohlen, dass ein Politiker, wenn er der hat einmal mehr als übersteigert empfundene entsprechenden Publizität gewiss ist, auch zur höhere Entschädigungsansprüche der Paria- Prostitution bereit wäre. mentarier abgelehnt. Man hält hierzulande - Da war man einst zurückhaltender: Als es vielleicht utopischerweise, aber nicht ohne Ge- 11848 in der ersten Session des neu konsti- fühl für guten Stil - noch immer an einem Stück tuierten Parlaments auch um die Veröffentli- Ehrenamtlichkeit bei der Ausübung der Vor- chung der Reden ging, nämlich ob diese im

94 oben erwähnten, damals noch zur Diskussion Bemerkung gegen dieses Vorhaben votiert, gestellten Stenographischen Bulletin publi- dass es im Grunde nur die Redner selber seien, ziert werden sollten, hat der radikale Bündner «die gerne ihre langen Reden wiederlesen und Johannes Rudolf Brosi mit der abschätzigen glauben, alle Welt sei begierig darauf».

„Manchmal ist alles einfach klar"

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