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Dokumentation Gerhard Schreiber

Zur Kontinuität des Groß- und Weltmachtstrebens der deutschen Marineführung

Kontinuität als geschichtswissenschaftliche Kategorie fragt zum einen, ob und wann ein historisches Kontinuum möglich ist, und sie beschreibt zum anderen — allgemein gesehen — eine geschichtliche Einheit, die auf der weitgehenden Identität der Mo- mente beruht, die in einem zeitlichen Längsschnitt zueinander in Beziehung gesetzt werden. Mit Kontinuität ist somit weder Kausalität noch Determiniertheit der histori- schen Entwicklung gemeint, sondern die Ähnlichkeit und die Erklärbarkeit des Späte- ren mit dem Früheren1. Mit einem derartigen Vorverständnis stellt die vorliegende Dokumentation die Frage nach der Sichselbstgleichheit der Machtpolitik im preußisch-deutschen Nationalstaat, dem Deutschen Reich zwischen 1871 und dem Ende des Zweiten Weltkrieges2. Das eigentliche Untersuchungsfeld soll dabei — quasi idealtypisch — auf eine konservative Führungselite, die Marineführung3, eingeengt werden. Zur Diskussion steht die These, daß es zwischen den imperialistischen Zielsetzungen der Marine, wie sie späte- stens mit dem Beginn des Großflottenbaus zutage traten, und den Überlegungen zu einer deutschen Weltvorherrschaft, die im Dritten Reich in diesem Wehrmachtteil an- gestellt wurden, eine ungebrochene machtpolitische Kontinuität gab. Die dem spezifi- schen Denksystem der Marineführung immanente ideologische Kohärenz konkreti- sierte sich in diesem Zusammenhang vor 1918, vor 1933 und bis 1945 in der einem ri- gorosen Navalismus oder Mahanismus verpflichteten Absicht, das Deutsche Reich von der kontinentaleuropäischen Großmacht zur überseeischen Weltmacht zu erhe- ben. Eo ipso Schloß jedes derartige Wollen die Konfrontation mit Großbritannien ein, und der Antagonismus zu ihm wurde — wenn auch aus taktischen Beweggründen zeit- weise camoufliert — die Konstante im Weltmachtstreben dieser Führungselite. Tir- pitz, seit dem 18. Juni 1897 Staatssekretär des Reichs-Marine-Amtes4, ließ bereits in einer Anfang Juli des Jahres verfaßten Denkschrift über »Allgemeine Gesichtspunkte bei der Feststellung unserer Flotte nach Schiffsklassen und Schiffstypen«5 keinen Zweifel daran aufkommen, daß die deutsche Seemacht gegen England aufgebaut werden sollte. Zur See war dieses seiner Meinung nach der für Deutschland »zur Zeit gefährlichste Gegner« 6, und unter dieser Prämisse erfordere die militärische Lage »Li- nienschiffe in so hoher Zahl wie möglich«7. Nun sind zugegebenermaßen Vorbehalte gegenüber einer historischen Analyse mög- lich, die sich ausschließlich auf die Exegese von Äußerungen verantwortlich handeln- der Personen stützt. Dies gilt auch dann, wenn diese in Spitzenstellungen tätig waren. Denn nur zu oft übergingen die Akteure die erkannte Realität mit propagandistischen Scheinargumenten oder wichen in eine hypertrophe Attitüde aus. Derartiges trifft selbstverständlich auch für die Angehörigen der hier zu untersuchenden Marinefüh- rung zu. Unbeschadet eines solchen Vorbehaltes müssen jedoch Absichtserklärungen innerhalb dieser Führungselite als repräsentativ für deren Intentionen anerkailnt wer- den, wenn sie — bei unterschiedlicher Provenienz und angemessener Vielfalt — über einen langen Zeitraum mit demselben Tenor vorgetragen wurden. Für die historische Verbindlichkeit verbaler Bekundungen ist es dabei nicht conditio sine qua non, daß sie — wie im Kaiserreich unbestreitbar — mit der materiellen Wirklichkeit korrespon- dieren. Und hinsichtlich der Beurteilung des aus ihnen erhellenden Wollens ist es gänzlich unerheblich, falls die gesetzten Ziele aufgrund von Fremdeinwirkungen 101 MGM 2/79 nicht erreicht werden konnten. Gegen Ende dieser Einleitung wird zu zeigen sein, daß man die antibritische Ausrich- tung der deutschen Flottenpolitik von Wilhelm II. bis Hitler innerhalb der Marine als Kontinuum verstanden hat. Zweifellos geriet dieses Selbstverständnis zeitweise in Konflikt mit der offiziellen Außenpolitik. Selbst im Kaiserreich war ja eine derartige Auffassung keineswegs unumstritten. Aber daß sich das ihr zugrundeliegende Welt- machtstreben von Anfang an nicht allein auf Tirpitz und die Marineführung be- schränkte, sondern, was für das Selbstgefühl des Wehrmachtteils bedeutsam werden sollte, eine Art Communis Opinio weiter Kreise darstellte, läßt sich an Hand einiger — mühelos zu ergänzender — Beispiele leicht nachweisen. So meinte Wilhelm II. im Juli 1900, daß der Ozean für Deutschlands Größe unent- behrlich sei und auf ihm »in der Ferne, jenseits von ihm, ohne Deutschland und ohne den Deutschen Kaiser keine große Entscheidung mehr fallen« dürfe®. Für sich allein- stehend wäre das eine kaum wägbare Bemerkung, aber im Rahmen der damaligen po- litischen Entwicklung handelte es sich eben um mehr als Prahlerei aus gegebenem An- laß. Schon wenige Jahre später, 1903, setzte sich ein Immediatvortrag beim Kaiser al- len Ernstes mit den »Grundlagen für die Kriegführung Deutschlands gegen die Verei- nigten Staaten« auseinander9. Unter anderem hieß es in ihm: »Für die Kriegführung Deutschlands gibt es nur ein Ziel, den... Druck auf die amerik.[anische] Ostküste und die volkreichen Städte vor allem New York, d.h. also rücksichtsloseste Offensive mit dem Zweck durch Verbreitung von Schaden und durch Schädigung des feind.[li- ehen] Handels u[nd] Eigenthums, die Lage für das amerikanische Volk zu einer im- mer unerträglicheren zu machen. In solcher Offensive liegt gleichzeitig der beste Schutz für unsere eigene verletzliche Stelle, den Seehandel, denn durch unser Vorge- hen zwingen wir die feindliche Flotte [sich] zum Schutz ihrer Küste oder ihrer westin- dischen Besitzungen zu sammeln und wir verhindern dadurch ihre Betheiligung im Kreuzerkrieg.« Natürlich wußte man in der kaiserlichen Marine, daß derartige Pla- nungen, sofern das eigentliche Kriegsziel, die »Seeherrschaft in den amerikanischen] Küstengewässern d.h. die Vernichtung der amerik.[anischen] Flotte« erreicht werden sollte, zumindest einen Stützpunkt voraussetzten. Ihn zu gewinnen hielt der Chef des Admiralstabes 1903 unter gewissen Voraussetzungen für ebenso möglich wie die Ver- wirklichung der oben angedeuteten Operationsplanung. Im selben Jahr behandelte ein anderer Immediatvortrag den »Krieg England u[nd] Deutschland«10. Wurde am Beispiel Amerika erahnbar, in welchen Dimensionen die deutsche Marineführung auf lange Sicht zu planen wagte, so war die — keineswegs singulare — Untersuchung über eine deutsch-britische Auseinandersetzung im wesent- lichen von den herrschenden seestrategischen Denkkategorien der Tirpitzschule ge- prägt. Bereits einleitend stellte man fest, daß der »innere Grund eines Krieges zwi- schen Großbritannien] und Deutschl[an]d... ein wirtschaftlicher sein« werde: »Das steigende Bedürfnis Englands, Handel u[nd] Industrie Deutschlands in ihrer Entwick- lung zu hemmen und dadurch den unbequemen Konkurrenten auf beiden Gebieten unschädlich zu machen. Hiermit [sei] das Angriffsobjekt für Großbritannien] gege- ben:... der deutsche Handel und die deutsche Industrie. Die direkten Angriffsziele [seien]: Das Abreißen deutscher Handelsverbindungen durch Unterbrechung der Schiffahrt, die Schädigung unserer Industrie durch Verhinderung jeglicher Zufuhr von Rohstoffen, jeglicher Ausfuhr von fertigen Handelsprodukten. Das Angriffsmittel [werde] also... die Blockade [sein], der möglichst absolute Abschluß Deutschlands von der See.« Da dies den »Ruin des Volkswohlstandes« und darüber hinaus eine »schwere dauernde Beeinträchtigung der ganzen Volkskraft« bedeute, müsse man al- les tun, um eine »solche Blockade auf Dauer unmöglich zu machen«, was am besten mittels der vom Kaiser durch die Flottengesetze angestrebten »starke[n] Hochsee- 202 flotte« geschehe. Der Vortrag befaßte sich dann eingehend mit den Einsatzgrundsät- zen der deutschen Marine. Die Gefahr, daß sich die Royal Navy gar nicht zur Schlacht stellen werde, sondern das Deutsche Reich durch den Aufbau einer weiten Blockade von den lebenswichtigen Zufuhren abschneiden könnte, wurde zwar zutref- fend erkannt, aber man führte dagegen an, daß dies der »Tradition der Engländer« nicht entsprechen würde11. Falls sie dennoch dazu übergehen sollten, müsse es die »zweite Aufgabe« der deutschen Flotte sein, offensiv gegen die Briten vorzugehen. Eine derartige Konzeption bedingte geradezu zwangsläufig ganz bestimmte militäri- sche Forderungen. Aber obwohl der Offensivgedanke dann bis zum Beginn des Er- sten Weltkrieges das militärische Kalkül der Marineführung weitgehend beherrschte, entsprach dem tatsächlichen operativen Vermögen der Seestreitkräfte im Grunde le- diglich die Defensive. Die Gegenmaßnahmen der britischen Admirale hatten nämlich die »antienglische Stoßrichtung des Flottenplans« — auch auf See — ins Leere gehen lassen12. Das Scheitern der deutschen Flottenkonzeption darf freilich nicht dazu verführen, de- ren programmatische Motivation in Frage zu stellen. Kein geringerer als Bethmann Hollweg hat dazu 1903 als preußischer Innenminister festgestellt, daß es die »erste und Grundidee« des Kaisers sei, die »Weltstellung Englands zugunsten Deutschlands zu brechen«. Deshalb, das sei Wilhelms II. »feste Überzeugung«, benötige das Deut- sche Reich seine Flotte13. Im August 1916 sah Kurt Riezler dann den Sinn des Ersten Weltkrieges unter anderem im Kampf mit »England um die Weltherrschaft«14. Der Nachfolger Ludendorffs als I. General-Quartiermeister, Wilhelm Groener, stellte im Mai 1919 vor den Offizieren der Obersten Heeresleitung fest, daß letztere fälschli- cherweise15 angestrebt wurde, ehe Deutschland seine »Kontinentalstellung festge- macht« hatte. Angesichts der deutschen Bemühungen, die Kriegsschuldthese der Sie- ger zurückzuweisen, verstand es sich von selbst, daß er das Ganze als »unbewußtes« Tun charakterisierte16. Tatsächlich aber hatte Deutschland mit dem Krieg von 1914, der im übrigen für die Marine auch dann zu früh kam, wenn die Änderung der briti- schen Einsatzgrundsätze unberücksichtigt bleibt17, seinen Vormachtanspruch ange- meldet18. Er Schloß, insbesondere aus der Sicht der überseeisch orientierten Imperiali- sten, die Beseitigung der britischen Suprematie zur See a priori ein19. In welch hohem Maße die Flottenplanung des Kaiserreichs ein Indikator für diese In- tention gewesen ist, hat wohl nach 1945 zuerst Stadelmann nachgewiesen, der in der Konzeption der Tirpitzschen Marine den Versuch erkannte, »sich mit einer ebenbür- tigen Flotte den Weg durch die englische Barriere hindurchzubahnen«, um endlich die Deutschen an die Stelle der Briten treten zu lassen20. Dehio betonte einige Jahre danach den offensiven Charakter, der dem Großflottenbau auf Grund seiner Zielset- zungen eigen gewesen sei. Die vordergründige, mit der Defensive arbeitende Argu- mentation verfälsche die Tatsachen insofern, als sie darüber hinwegzutäuschen versu- che, daß Deutschland entschlossen war, auf jeden Fall — wenn auch nicht unbedingt auf dem Weg des militärischen Konflikts, sofern das Mittel der machtpolitischen Pression gegriffen hätte — seinen Eintritt in den Club der Weltmächte selbst gegen britischen Widerstand durchzusetzen21. Entscheidend war dabei, daß auch der Druck, die »kalte Offensive«, wie Dehio meint, gemäß den »Gesetzen des kalten Krieges notwendig... das Risiko des heißen in sich« einschloß22: eine der Marinefüh- rung bewußte und von ihr bejahte Konsequenz23. Letztlich mußte die deutsche Rü- stungspolitik, die nicht nur aus britischer Perspektive darauf hinauslief, »neben der stärksten Landmacht auch die stärkste Seemacht des Kontinents zu werden«24, zu ei- ner Instabilität der Mächtekonstellation in Europa und dadurch auch zu erhöhter Kriegsgefahr führen. Nach Steinbergs detaillierter Untersuchung zur Entstehung der deutschen Schlachtflotte25 haben schließlich Berghahn26 und Deist27 die bis heute gül- 103 tige Summe der Forschungen zum deutschen Großflottenbau im Kaiserreich vorge- legt28. Alles in allem darf man danach, trotz der abweichenden Meinung einiger Au- ßenseiter, von einem gesicherten Forschungsstand sprechen, wenn festgestellt wird29, daß der Großflottenbau — dessen innen- und sozialpolitische Bedeutung an dieser Stelle nicht zu erörtern ist30 — etwa seit 1897/98 den militärischen Konflikt mit Groß- britannien förmlich herausforderte. Das Faktum, daß der »Tirpitz-Plan« aus verschie- denen Gründen bereits vor 1914 objektiv gescheitert war — es gab ja auch eine Rück- besinnung auf die Kontinentalkonzeption31 — vermag daran nichts zu ändern. Natürlich kann man es als eine »militärisch gesehen völlig >normale< Forderung« be- trachten32, daß Deutschland eine Flotte zu bauen versuchte, die dem »qualitativen und quantitativen Vorbild« — der britischen — gleichzukommen versuchte33. Allein, Normalität ist in diesem Kontext eine sehr fragwürdige historische Kategorie, war sie doch — um die Jahrhundertwende, im europäischen Rahmen und in ihrer Radikalität — exklusiv deutsch34. Um die Brisanz des Unterfangens zu ermessen, ist freilich auch die Tatsache zu berücksichtigen, daß die Vormachtstellung Großbritanniens in der Welt, die zumindest für den Zeitgenossen in erster Linie auf der Überlegenheit der britischen Seemacht beruhte35, als Folge der internationalen Entwicklung im Flotten- bau ohnehin in Gefahr zu geraten drohte. London hatte seine Marinedoktrin zu mo- difizieren36; denn während die Briten 1883 noch über 38 Schlachtschiffe verfügten— diese waren damals der allgemein anerkannte Maßstab für den Kampfwert der Flotte37 —, besaßen alle übrigen Seemächte lediglich 40. Aber schon 1897 hatte sich das Bild grundlegend verändert. Die Briten zählten jetzt 62 im Dienst oder im Bau be- findliche Schlachtschiffe, der Rest der Welt jedoch 9638. Just in diesem Moment, als sich abzeichnete, daß Londons herkömmliche Politik der »splendid isolation« kaum länger aufrechtzuerhalten sein würde39, setzte der — paradoxerweise selbst in seiner defensiven Zielsetzung — offensiv gegen Großbritannien gerichtete deutsche Groß- flottenbau ein. Er veranlaßte Großbritanniens Politiker zu außen- und rüstungspoliti- schen Schritten, die Europas Mächtekonstellation völlig veränderten40. Vor diesem Hintergrund liefert die Behauptung, es sei ein »militärisch legitimes Ziel verantwortlicher Soldaten im Zeichen des Imperialismus und seiner noch gültigen >Großmacht<-Definition« gewesen, die deutsche Flotte gegen die britische zu bauen, zwar den Nachweis, sich vollkommen in die besonderen »Denkformen« der deut- schen Flottenplaner einfühlen zu können, doch birgt ein derartiger Autismus die Ge- fahr in sich, den Tirpitz-Plan, der als »legitimes Ziel« bekanntermaßen selbst im Kai- serreich sowohl unter Politikern als auch Militärs aller Wehrmachtteile durchaus um- stritten war, losgelöst von der politischen Gesamtentwicklung Europas vor dem Er- sten Weltkrieg zu interpretieren41. Im besten Fall könnte eine solche ressortspezifi- sche Betrachtungsweise auf historische Glasperlenspielerei hinauslaufen, der, das läßt sich ohne weiteres prognostizieren, die Tendenz innewohnen würde, jene für die Epoche charakteristische Präponderanz des Militärischen gegenüber dem Politischen unkritisch hinzunehmen42. Die Grenzen des autistischen Ansatzes zeigen sich aber auch dann, wenn man die Tatsache berücksichtigt, daß im Kontext des historischen Prozesses vor 1914 einer der wichtigsten Folgeeffekte des Großflottenbaus darin be- stand, daß er, die »Isolierung des deutsch-österreichischen Kernraums« auslösend, ur- sächlich zu dem um sich greifenden Gefühl, einer »Bedrohung und Umklammerung ausgesetzt zu sein«, beitrug. Für diesen objektiven historischen Befund ist es unerheb- lich, ob die Verantwortlichen den »Kausalzusammenhang zwischen deutscher Rü- stungspolitik und sog. Einkreisung« erkannten oder nicht43. Diese Überlegungen sollen hier nicht vertieft werden. Im Rahmen einer Einführung muß es genügen, in Übereinstimmung mit dem gegenwärtigen Forschungsstand fest- zuhalten, daß die Tirpitzsche Flotte a priori gegen England gebaut wurde. Im folgen- 104 den ist nun der Frage nachzugehen, wie die Marineführung auf den Zusammenbruch im Ersten Weltkrieg reagierte: gab es 1918 einen Bruch in ihrer antibritischen See- machtideologie? Bevor jedoch auf die weitere marinepolitische Entwicklung und deren ideologische Fundamente einzugehen ist, sind einige klärende und grundsätzliche Bemerkungen zur Methode dieser Untersuchung und zur Kritik an den in ihr vertretenen Thesen zu machen. Ausgegangen wird von der Erkenntnis, daß Abhandlungen über die deutsche Marine- geschichte nach dem Ersten Weltkrieg, die davon absehen, die machtpolitischen Im- plikationen der seit dem September/Oktober 1918 in den Vordergrund des marinein- ternen Kalküls drängenden zukunftsorientierten Programmatik auszuloten, die ei- gentlichen und langfristigen Zielsetzungen der Marineführung nicht zu erfassen ver- mögen. Und nur wenn man die Inhalte dieser »Programmatik« als Korrektiv bei der Interpretation des sogenannten maritimen Alltags heranzieht, wird es gelingen, die für eine gesamthistorische Epocheneinordnung der Marinepolitik relevanten Fakten zu erhellen. Untersuchungen, die darauf verzichten, beschreiben letztlich allein das, was die Marineführung unter dem Einfluß vielfältiger Sachzwänge bis zu einem be- stimmten Zeitpunkt zu erreichen vermochte, nicht aber, was sie, die den Krieg mit eindeutigen Absichtserklärungen beendete, tatsächlich wollte. Um dieses »Wollen« sichtbar zu machen, empfahl sich der Rückgriff auf Quellen unterschiedlicher Her- kunft, deren Aussagen von der materiellen Realität der Nachkriegszeit weitgehend unabhängig waren. Dies war in erster Linie bei theoretischen und politischen Erörte- rungen im weitesten Sinne, bei gewissen Lagebeurteilungen und Kriegsspielen der Fall. Daß jedoch die materielle Entwicklung den langfristigen Vorstellungen letztlich ebenfalls gerecht wurde, hat Dülffer in seiner eingehenden Untersuchung über »Reichspolitik und Flottenbau 1920—1939« überzeugend nachgewiesen. Die gedank- lichen Verbindungen zwischen den Schiffbauplanungen am Ausgang der Weimarer Republik und dem zweiten deutschen Großflottenbau unter Hitler — konkretisiert im Z-Plan — sind danach nicht mehr zu bestreiten44. Dieses Ergebnis war zwar nicht de- terminiert, aber von der Marineführung mit dem Ende des Ersten Weltkrieges pro- grammatisch angestrebt worden. Einwände gegen die These, daß in der Marine — in Fortführung der Tirpitzschen Tradition — ein kontinuierliches Weltmachtstreben existierte, wurden zuletzt von Rahn und Salewski anläßlich eines internationalen Symposiums in Hamburg im Mai 1977 erhoben45, wobei sie insbesondere für den Zeitraum zwischen 1919 und 1937 zu einer abweichenden Interpretation gelangten. Zu dieser Kritik ist freilich festzustel- len, daß Rahns Hinweis auf die Lücken in der Quellenüberlieferung — so zutreffend er in bezug auf die Archivbestände für die Zeit der ist — kein angemes- sener Vorbehalt gegenüber der in Frage stehenden These sein kann. Denn wenn man sich bemüht, die vorhandenen Dokumente umfassend auszudeuten — was nicht als die unterstellte Uberinterpretation mißverstanden werden sollte — und die Entwick- lung in der Weimarer Republik nicht isoliert, sondern als Teil eines historischen Pro- zesses zwischen dem 19. Jahrhundert und dem Dritten Reich interpretiert, dann wer- den genügend Anhaltspunkte gefunden, um die Weltmachtthese durchgehend zu be- legen. Die kritischen Anmerkungen Rahns sind letztlich auch nur verständlich, wenn man die bei ihm gegebene Scheu berücksichtigt, eine Analyse der Denkstrukturen der Marineführung in seine Betrachtungen einzubeziehen. Zwangsläufig führt ihn dies zu einer verhältnismäßig positivistischen, verengten Sicht, in der die Politik der Marine- führung in den zwanziger Jahren eindimensional als Aktion und Reaktion unter dem Diktat von Sachzwängen erscheint, als ob es den ideologischen Überbau gar nicht ge- geben habe. Die Grenzen, die ein derartiger Ansatz der wissenschaftlichen Durch- 105 dringung eines historischen Gegenstandes zieht, sind denn auch in Rahns — anson- sten sehr kenntnisreichen — Detailstudie über »Reichsmarine und Landesverteidi- gung« unübersehbar46. Ganz allgemein ist bei einer Zurückweisung von Vorbehalten, die sich auf eine angeb- lich unzureichende Quellenlage berufen, anzumerken, daß es wohl nicht angeht, die Verbindlichkeit von Forschungsergebnissen von der Vollzähligkeit der Quellen ab- hängig zu machen. Für zahlreiche Teilgebiete der Geschichtswissenschaft würde dies den Abschied von der Historiographie bedeuten. Außerdem ist darauf aufmerksam zu machen, daß auffallenderweise alle Belege fehlen, die das an Hand vieler, unter- schiedlicher und zeitlich weit auseinander liegender Quellen nachweisbare Konti- nuum marineinternen Weltmachtstrebens widerlegen. Wenn man diese Quellen nicht nur liest, sondern auch kritisch hinterfragt, wird evident, daß sich die Marinepolitik nach 1918 sozusagen auf zwei Ebenen entfaltete. Niemand wird z.B. behaupten, die Reichsmarine habe in der Weimarer Republik oder in den ersten Jahren des »Hitler- Staates« ernsthaft daran gedacht, man könne bereits wieder nach der Weltmacht grei- fen. Das war materiell und politisch völlig unmöglich. Aber aus dieser leicht verständ- lichen Einsicht in die faktische Unmöglichkeit eines derartigen Vorhabens in der da- maligen Zeit darf nicht undifferenziert, wie es die Kritiker der Weltmachtthese tun, darauf geschlossen werden, daß die Marineführung diese Zielsetzung als solche auf- gegeben hatte. Zu einer solchen Schlußfolgerung vermag man nur zu gelangen, wenn von einer Eindimensionalität der Marinepolitik ausgegangen wird, die, das beweisen die Quellen, nicht existierte. Zugegeben, die Realisierung der Wiederholung des Griffs nach der Weltmacht hing in keiner Weise vom Willen der Marineführung ab. Doch ist das insofern nebensächlich, weil es an dieser Stelle herauszufinden gilt, was diese wollte, nicht was sie konnte. In bezug auf dieses »Wollen« läßt sich natürlich auch die These aufstellen, daß das Bündnis mit Großbritannien das »Endziel« der marinepolitischen Konzeption nach 1918 gewesen sei. Aufrechtzuerhalten ist diese allerdings nur bei einer in zeitlicher Hinsicht engen und im interpretatorischen Rahmen kurzsichtigen Quellenauslegung. Um das offensichtlich Unhaltbare dennoch behaupten zu können, werden dann alle Zeugnisse, die diese vermeintliche Lehre des Ersten Weltkrieges zurückweisen, als Ausdrücke des »Schwadronierens« oder als »bizarrste Blüten« verwirrter Geister in der Marine abgetan47. Das freilich waren sie am allerwenigsten. Vielmehr müssen sie als Schlüsseldokumente für die dem maritimen Alltag übergeordneten Intentionen der Marineführung eingestuft werden: als ein unmittelbares Ergebnis des in ihr existenten Wollens. Hinsichtlich weiterer feuilletonistischer Auslassungen Salewskis zu diesem Problem mag es genügen, seine Einstellung zur Kontinuitätsfrage aus dem Jahre 1973 zu zitieren. Damals stellte er fest: »Wenn es zwischen dem Kaiserreich und dem Hit- lerschen Deutschland — die Weimarer Republik gleich mit eingeschlossen — Stränge in sich geschlossener Kontinuität gab, dann auf dem Sektor der deutschen Flottenpo- litik.«48. Deren letztlich antibritische Zielsetzung hat Salewski — wenn auch als »ul- tima ratio« — in seiner schon angeführten Kritik an Berghahn immerhin anerkannt. Erste Hinweise auf Bestrebungen der Marineführung, ein ungebrochenes Selbstver- ständnis in die Nachkriegszeit hinüberzuretten, lieferten die Reaktionen im Kom- mando der Hochseestreitkräfte und in der Seekriegsleitung, als am 5. Oktober 1918 aus der Rede des Reichskanzlers Prinz Max von Baden erhellte, daß die Niederlage zugleich unabwendbar und absehbar geworden war. Am 4. Oktober hatte man des- halb — nach diesbezüglichen dringlichen Appellen Ludendorffs — an Präsident Wil- son ein Waffenstillstandsgesuch gerichtet49. Im Flottenkommando war damals be- kannt, daß der I. General-Quartiermeister eine Auslieferung der Flotte an Großbri- tannien nicht mehr ausschloß. Für die Marineführung, deren Selbstgefühl durch die 106 Unruhen von 191750 und die Tatsache erschüttert war, daß die Hochseeflotte ihre strategische Aufgabe nicht erfüllt hatte, mußte dies eine unerträgliche Zukunftsvision sein51, die unkalkulierbare Risiken für das Fortbestehen des Wehrmachtteils herauf- zubeschwören schien. Retrospektiv bemerkte Tirpitz, der sich schon im August 1914 wegen der Folgen einer defensiven Einsatzstrategie gesorgt hatte, zu diesem Problem: das »deutsche Volk [habe] die See nicht verstanden«, da es darauf verzichtet habe, in seiner »Schicksalsstunde« die Flotte einzusetzen52. Wie auch immer man zu derartigen Überlegungen stehen mag, die Marineführung versuchte jedenfalls noch unmittelbar vor dem Zusammenbruch, ein solches Verdikt auszuschließen. Ihr ging es dabei gewiß auch um das Prestige, aber die entscheidende Motivation resultierte aus einem zukunftsorientierten Stirb-und-Werde-Denken. Vordergründig schien dieses einer romantischen Grundhaltung zu entstammen. Tat- sächlich war ihm allerdings ein in hohem Maße politisierter Chiliasmus eigen. Als der Chef des Stabes der Hochseestreitkräfte, Trotha, in diesem Rahmen am 6. Oktober seine bekannten »Überlegungen in ernster Stunde« formulierte, handelte es sich — so gesehen — um eine an der Nachkriegszeit ausgerichtete programmatische Gedankenführung. Denn was er zwischen allerlei militärischen Argumenten skiz- zierte, war nicht mehr und nicht weniger als der Plan, das Prestige des - teils durch ein Purgatorium der Flotte wiederherzustellen. Zumindest die emotionale Basis des deutschen Seemachtanspruchs sollte auf diese Weise gerettet werden. Tro- tha sandte seine »Überlegungen« bereits am 8. Oktober mit Billigung des Flotten- chefs, Hipper, an die Seekriegsleitung in Berlin53. Verbal ging er in ihnen davon aus54, daß alle Absichten der Forderung nachzuordnen seien, den »Ubootskrieg in stärkster Wirkung« zu erhalten55. Solange dies der Fall sein sollte, blieb die Flotte zu dessen Unterstützung gebunden. Allerdings konnte ein »Vorstoß der gesamten Hochseestreitkräfte, um einen Erfolg auf dem Wasser zu su- chen, auch auf das Risiko des vollen Einsatzes hin«, in Frage kommen: »[...] b. wenn der Ubootskrieg völlig aufgegeben wird. c. wenn eine schwere Schädigung der englischen Seemacht mehr Vorteil für [Deutschland] verspricht als die Weiterführung des U-Krieges oder d. [die deutsche] Flotte sonst einem schmachvollen Ende entgegengeht«56. Im An- schluß daran hieß es, daß der Flotte »ein solcher Schlußkampf als höchstes Ziel vor Augen« stehe, um den Krieg nicht beschließen zu müssen, »ohne daß die in ihr stek- kende nationale Kraft voll zur schlagenden Wirkung gekommen« sei. Trotha begrün- dete diese Einstellung folgendermaßen57: »[...]Aus einem ehrenvollen Kampf der Flotte, auch wenn er ein Todeskampf wird in diesem Kriege, wird — wenn [das deut- sche] Volk nicht überhaupt national versagt — eine neue deutsche Zukunfts-Flotte hervorgehen; einer durch schmachvollen Frieden gefesselten Flotte ist die Zukunft ge- brochen. [...].« Trothas Überlegungen könnten zunächst, trotz der sehr starken Aussagen in bezug auf den »Todeskampf«, den Eindruck hervorrufen, daß er offen zwischen dem U- Boot-Krieg und dem Einsatz der Schlachtflotte abwog. Aber die Tatsache, daß er in seinem Begleitbrief an den Chef des Stabes der Seekriegsleitung, v. Levetzow, den U-Boot-Krieg völlig überging, spricht doch dafür, daß er beim Niederschreiben sei- ner »Überlegungen« bereits dem Schlachtflotteneinsatz zuneigte. Ganz auf den letz- ten Einsatz eingestimmt, liest man, es liege »auf der Hand, daß [die Marine] ein Schrecken der Scham erfaßt bei dem Gedanken, die Flotte könne, ohne zum Schla- gen gekommen zu sein, der inneren Vernichtung überliefert werden. Der Einsatz, um mit Ehren unterzugehen, lohn[e] doch auch noch, denn eine schwere Wunde würden 107 [die Schiffe] England schon noch beibringen.«58 Das deckte sich vollkommen mit der Gedankenführung des Admirals v. Tirpitz, der wenige Wochen nach Kriegsbeginn, aus Furcht, die Armee werde den Sieg erringen, ehe die Flotte ihre Daseinsberechti- gung nachgewiesen habe, im Gegensatz zu dem auf einer »fleet in being« beruhenden Verwendungsvorstellungen des Reichskanzlers v. Bethmann Hollweg, auf den offen- siven Einsatz der Seestreitkräfte drängte, um so zu verhindern, daß in der Nach- kriegszeit ein die imperialistische Ambition des Deutschen Reiches gefährdendes Des- interesse an der maritimen Rüstung entstand. Es artikulierte sich durch Tirpitz die alte Furcht der überseeisch orientierten Imperialisten vor der Kamarilla der Agrarier. Um auch in der Zukunft ihren Einfluß zu behalten, müsse die Hochseeflotte bei Frie- densschluß, »wenn nicht siegreich, so doch ruhmreich gekämpft« haben59. Die ent- scheidenden Männer in der kaiserlichen Marineführung, v. Hipper, als Chef der Hochseestreitkräfte60, v. Levetzow61 und der Chef des Admiralstabes, Scheer62, teil- ten Trothas Anschauung. Der Direktor des Allgemeinen Marinedepartements im Reichs-Marine-Amt, Michaelis, der, wie Trotha, eine der Schlüsselfiguren in der Reichsmarine nach 1919 wurde, sprach sich ebenfalls für den Flotteneinsatz aus. Durch einen »glatte[n] Hazard« hoffte er, die »Generalkatastrophe«, d. h. den Unter- werfungsfrieden vielleicht doch noch ausschließen zu können63. Michaelis versuchte zu einem Verhandlungsfrieden zu kommen, nannte in diesem Zusammenhang auch nur militärische Zielsetzungen. Im Oktober 1918 taugten sie aber wohl kaum noch, um das Angestrebte auch zu erreichen. Offensichtlich war dies der Marineführung bewußt, jedenfalls setzten sich Trothas irrationale Motive durch. Am 6. Oktober hatte er zwischen der Einstellung des uneingeschränkten U-Boot- Krieges und dem Einsatz der Hochseeflotte eine unmittelbare Abhängigkeit kon- struiert, in der bereits eine Axiomatik des »Schlußkampfes« angedeutet war. Die Ent- scheidung, das signalisierte der deutsch-amerikanische Notenwechsel von Anfang an, war daher direkt mit der Entwicklung der Waffenstillstandsverhandlungen verbun- den. Von größter Relevanz für die Beurteilung der Vorbereitungen war außerdem die Einstellung der Verantwortlichen zur Gretchenfrage des Krieges im Oktober 1918: wann würde Deutschland wegen allgemeinen Kräftemangels gezwungen sein, die Kampfhandlungen einzustellen? Große Erwartungen wurden jedoch gerade in dieser Beziehung nicht mehr gehegt. Als die Reichsregierung am 21. Oktober — eine Konse- quenz aus den amerikanischen Vorbedingungen für einen Waffenstillstand — den U- Boot-Krieg einstellen ließ, trug sie dadurch im maritimen Bereich de facto lediglich der Tatsache Rechnung, daß das Scheer-Programm wegen materieller und personel- ler Engpässe ohnehin vor dem Scheitern stand64. Aus der Perspektive der Marinefüh- rung aber wurde es jetzt geradezu unverzichtbar, den seit dem 10. Oktober vorberei- teten Flottenvorstoß in die Dover-Straße, dem der berühmt-berüchtigte O-Befehl Nr. 19 vom 24. Oktober dienen sollte, in die Tat umzusetzen. Aus einer rational schwer verständlichen Thermopylen-Mentalität heraus hielt man es in der Seekriegsleitung schon seit dem 16. Oktober, als die für die Einstellung des U-Boot-Krieges maßge- bende zweite Note Wilsons bekannt geworden war, für »unmöglich, daß die Flotte alsdann in dem Endkampf, der einem baldigen Waffenstillstand vorausgeh[en werde], untätig bleibfe]. Sie [müsse] eingesetzt werden. Wenn auch nicht zu erwarten [sei], daß hierdurch der Lauf der Dinge eine entscheidende Wendung erfährt, so [sei es] doch aus moralischen Gesichtspunkten [eine] Ehren- und Existenzfrage der Marine, im letzten Kampf ihr Äußerstes getan zu haben.«65 Angesichts dieser »Einsichten« in der Marineführung ist es phantastisch, wenn apolo- getisch unterstellt wird, eine derartige Operation, die schon auf Grund der techni- schen Voraussetzungen, welche die deutsche Flotte mitbrachte, in jeder Hinsicht limi- tiert sein mußte, hätte eine sinnvolle militärische Zielsetzung verfolgt66. Der Flotten- 108 vorstoß — Ausdruck einer sowohl innen- als auch außenpolitisch brisanten Verselb- ständigung der marinespezifischen Programmatik gegenüber der offiziellen Politik67 — war selbst aus der Sicht Trothas nur zum Teil eine »unbedingte militärische Not- wendigkeit«. Bezeichnenderweise leitete er allerdings die angebliche »Notwendigkeit« einzig aus der Existenz der Flotte ab, nicht etwa aus dem Vorhandensein eines loh- nenden militärischen Zieles. Darüber hinaus aber stellte die Operation für ihn den Versuch der Marineführung dar, durch »vollen Einsatz und ehrenhaften Untergang der schmachvollen Auslieferung« zu entgehen68: eine »Todesfahrt« war also im O-Be- fehl Nr. 19 durchaus eingeschlossen, eine überflüssige obendrein. Vor diesem Hintergrund trifft die Charakterisierung der Matrosenrevolte, die am 29. Oktober begann, als »Tatbestand gemeiner Meuterei«, der »unwürdig« in der Form und bar jeder »Beziehung zu einem ethisch abgeleiteten Widerstandsrecht« gewesen sei69, ganz einfach nicht zu. Denn es handelte sich zunächst einmal um die Rebellion von Untergebenen gegen Offiziere, die ihren selbstgefälligen Ehrbegriff über das Staatsinteresse stellten, und so gesehen schützten die Matrosen und Heizer die neue parlamentarische Führung des Reiches vor den Admiralen des Kaisers. Später aber führten die veränderten Gegebenheiten im Innern, zu deren Herbeiführung die Auf- lehnung der Flotte entscheidend beigetragen hatte, zu dem a priori keineswegs aus- sichtslosen, wenn auch letztlich gescheiterten Bemühen, die Intention der Marinefüh- rung zu unterbinden, dasTirpitzsche Seemachtstreben in die Republik zu tradieren. Man zählte die letzten Tage der Regierung der Volksbeauftragten, die aus den Wah- len zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 hervorgegangene neue Zentralge- walt schickte sich an, das Rätesystem zu demontieren, und im Zuge dieser Bestrebun- gen hatte der das Reichs-Marine-Amt bisher kontrollierende Zentralrat der Marine am 6. Februar einem Ausschuß Platz machen müssen, der diese Dienststelle nur noch beraten durfte70, als der Marine-Kongreß in Hamburg am 7. Februar — noch vor der Bildung der ersten parlamentarisch gewählten Regierung — eine alternative Konzep- tion zur herkömmlichen Hypertrophie des Wilhelminischen Seemachtdenkens aufzu- zeigen versuchte71. Die Forderungen des Kongresses an die in Weimar zusammenge- tretene Nationalversammlung berührten politische, wirtschaftliche und militärische Themenkreise. Gewünscht wurde grundsätzlich eine »Anpassung an die veränderte Lage, die den Ab- bau einer deutschen Macht- und Weltpolitik« verlange. Vor allem den »Verzicht auf Pläne nach Wiedererrichtung einer Kriegsflotte« wollten die Versammelten. Es war ihnen durchaus bewußt, daß der deutsche Flottenbau eine ausgesprochen verhängnis- volle Rolle beim Entstehen des Ersten Weltkrieges gespielt hatte. Deshalb hielten sie jede »Wiederherstellung einer solchen Flotte [für] politisch unklug«, da sie das Miß- trauen — auch bei an sich verständigungswilligen Ententeländern — gegenüber Deutschland am Leben erhalten werde. Die vorhandene Kriegsflotte solle aus diesem Grunde »in eine Art Seepolizei, die den Wachdienst an der Küste zu versehen« habe, umgewandelt werden. Außerdem sei ein tüchtiger Sozialist als Staatssekretär des Reichs-Marine-Amtes damit zu beauftragen, »alle irgendwie entbehrlichen und ge- wissermaßen reaktionären Offiziere und Beamte zu entlassen«. Der Beschluß des Ma- rine-Kongresses blieb ohne praktische Folgen, wie letztlich die gesamte »Friedens- konzeption der Radikalen Linken«, die unter dem Einfluß der gesellschaftlichen Ver- hältnisse nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs keine realistische Chance er- hielt, verwirklicht zu werden. Daraus jedoch — und dies gilt uneingeschränkt für die Alternative vom 7. Februar — läßt sich, wie zutreffend festgestellt worden ist, weder darauf schließen, daß es sich um eine in sich untaugliche Konzeption gehandelt habe, noch, daß diese bei einer eventuellen Verwirklichung den Erfolg garantiert hätte72. Den Verfassern des Gesetzes über die Bildung einer Vorläufigen Reichsmarine vom 109 16. April 1919 schienen die Überlegungen des Marine-Kongresses allerdings nicht un- bekannt zu sein. Denn die Aufgaben der Reichsmarine sollten danach sein: »Siche- rung der deutschen Küsten, Ermöglichung sicheren Seeverkehrs durch die Ausübung der Seepolizei, durch Minenräumen und sonstige Unterstützung der Handelsschiff- fahrt, Gewährleistung der ungestörten Ausübung der Fischerei, Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung.«73 Aber eine einseitige Abrüstungsverpflichtung beabsich- tigte die seit dem 13. Februar amtierende Regierung Scheidemann keinesfalls einzu- gehen. Sie erklärte sich lediglich bereit, der »Schaffung einer internationalen Seepo- lizei« beizupflichten, »an der alle seefahrenden Nationen nach einem besonders zu vereinbarenden Schlüssel« beteiligt sein würden. Darüber hinaus wäre ein internatio- nales Verbot zu erlassen, daß, »abgesehen von dieser Polizei, bewaffnete Schiffe das Meer befahren«. Die »Beibehaltung der Machtmittel, die zur Küstenverteidigung er- forderlich« waren, wurde ebenfalls vorgesehen74. Seitens der Marineführung hatte man dagegen keine gewichtigen Einwände. Trotha, seit dem 26. März Chef der Admiralität, schlug dem Reichswehrminister diesbezüg- lich am 17. Mai vor, der Reichsregierung folgende Verhandlungstaktik zu empfeh- len75: »Deutschland könnte in [eine] weitere maritime Abrüstung nur einwilligen: ... wenn es mit dem Friedensvertrage Mitglied des Völkerbundes würde und die Gegner bereit sind, für sich und alle Mitglieder vertragliche Bindungen für eine entspre- chende Abrüstung einzugehen. Die Bindungen der wechselseitigen Verpflichtung müßten zuvor erörtert werden. Auf das U-Boot und die Luftwaffen kann Deutsch- land militärisch nur verzichten, wenn dies eine allgemeine Forderung für den Völker- bund wird. Deutschland darf in dieser Beziehung nicht anders gestellt werden, als die Mitglieder des Völkerbundes. Der Deutschland verbleibende Flottenrest muß billigen Ansprüchen an eine moderne und brauchbare Küstenschutzmarine entsprechen. Deutschland muß befähigt bleiben, sich selbst vor mutwilligen Angriffen zu schützen, für solche Fälle, wo eine Schutzaction des Völkerbundes zu spät kommen würde.«76 Die Auslassungen der Marineführung sind freilich als rein taktische Erörterungen ein- zustufen, sobald man sich erinnert, daß gerade die Admiralität vom britischen Nein zu derartigen Vorschlägen absolut überzeugt gewesen ist. Außerdem bestätigen ver- schiedene, ebenfalls in jenen Wochen entstandene Denkschriften die Annahme, daß die in der Abrüstungsfrage bekundete Zugänglichkeit lediglich dazu dienen sollte, die deutsche Position bei den Friedensverhandlungen zu verbessern. Nicht beabsichtigt war jedoch, die traditionelle Vorstellung über die eigene Seemacht zu relativieren. Im Gegenteil, der Anspruch auf sie ließ sich sogar um so überzeugender anmelden, je deutlicher die Weigerung der übrigen Mächte zutage trat, der deutschen Anregung zu folgen. Die Marineführung, das kann auf Grund der recht guten Quellenlage zu diesem Komplex im Frühjahr 1919 festgehalten werden, glaubte jedenfalls nicht, daß der Völkerbund in absehbarer Zeit die Abrüstungsfrage voranbringen könnte. Letzte- rer gab sie im Grunde überhaupt keine realistische Chance, wobei an dieser Stelle dar- auf hinzuweisen ist, daß sich die Marineleitung spätestens 1922 in ihrer Lagebeurtei- lung bestätigt sehen konnte. Auf der Konferenz in Washington kam es damals ja nicht zu einer Abrüstung, die ein Umdenken in den Fragen der Seemacht angekündigt hätte, sondern lediglich zu Beschlüssen, die — unter dem Druck der anglo-amerikani- schen Interessengemeinschaft — eine zeitlich beschränkte Limitierung der Seerüstun- gen bewirkten. Selbst die Entscheidung, 1,7 Millionen Tonnen Schiffsraum ab- zuwracken, führte, so spektakulär sie sich ausnahm, nicht zu einer Abrüstung, son- dern zur Modernisierung der Flotten. Sie war eine schon aus technischen Gründen zu erwartende Maßnahme77. In einer Ausarbeitung der Friedenskommission78 im Reichs-Marine-Amt über »Ent- stehung und Ausbau der deutschen Wehrmacht zur See«79 wurde die sich anbahnende HO ideologische Kontinuität unübersehbar. Das Hauptanliegen der Denkschrift war es — wie zahlreiche andere Bemühungen theoretischer und praktischer Natur vor dem Ab- schluß des Friedensvertrages am 28. Juni 1919 — die These von der deutschen Kriegs- schuld zu widerlegen, wobei der Großflottenbau im Zentrum stand. Wie in der Vor- kriegsdiskussion wurde er als ein ausschließlich defensiven Zwecken dienendes Unter- fangen charakterisiert. Deutschland mußte Seemacht werden, um seine wirtschaftli- chen Interessen in der Welt schützen zu können. Im Rahmen dieser Bestrebungen, das gaben die Verfasser der Denkschrift freimütig zu, wurde auch der militärische Konflikt mit Großbritannien einkalkuliert. Allein, die Schuld an dem seit 1904 er- kannten deutsch-britischen Gegensatz lasteten sie einseitig der englischen Politik an. Denn im Grunde habe sich alles, auch der Krieg, aus dem britischen Handelsneid er- geben. Für die Interpretation der langfristigen Marinepolitik gegenüber London gilt es im Blick zu behalten, daß die Marineführung ihrem politischen und militärischen Kalkül die aus ihrer Perspektive unumstößliche Tatsache zugrunde legte, daß Großbritan- nien jeden ihm gefährlich werdenden Rivalen gewaltsam unterdrücken würde. Gleichzeitig ging sie jedoch vom ökonomischen Wiedererstarken Deutschlands aus, dem gemäß ihrer ureigensten Doktrin ein entsprechender Ausbau der deutschen See- macht folgen mußte. Damit aber war — und Wegener hat dies Mitte der zwanziger Jahre unzweideutig formuliert — aus der Sicht der Marineführung der nächste deutsch-britische Konfliktfall geradezu programmiert. Vor diesem gedanklichen Hintergrund kann es kaum noch verwundern, daß man aus dem Verlauf des Ersten Weltkrieges die Erkenntnis gewann, sein Ausgang habe in »keiner Weise gegen die Notwendigkeit und Berechtigung einer deutschen Flotte in der Stärke, wie sie 1914 bestand«, gesprochen. Er habe vielmehr bewiesen, daß die »deutsche Seemacht zum Schutze der ungeheuren wirtschaftlichen Interessen, wie sie im Kriege auf dem Spiel standen, zu klein war«. Aber auch der Englandhaß tradierte sich, wobei die damaligen Gegebenheiten — Bei- behaltung der Blockade nach dem Waffenstillstand, Kriegsschuldthese und die Forde- rung auf Auslieferung der sogenannten Kriegsverbrecher etc. — derartigen Gefühlen durchaus förderlich gewesen sein mögen. Nur, innerhalb der Marineführung wurde auf einer ganz anderen Ebene argumentiert, wenn es z.B. hieß80: »Der grundsätzliche Standpunkt, den England bei allen Rüstungsverständigungsverhandlungen und Vor- schlägen eingenommen hat, unterscheidet sich in nichts von dem, den es heute ver- tritt: Den Gedanken der Freiheit der Meere bezeichnet es als für sich unannehmbar; seine Staatsmänner betonen, von der gesamten Presse unterstützt, daß England seine Vormachtstellung zur See nicht aufgeben, daß es seinen Flottenbau demgemäß nicht vermindern könne, also auch jetzt nicht, nachdem der früher allein als gefährlich be- zeichnete Feind praktisch als Seemacht nicht mehr mitzählt. Die Grundlinien der eng- lischen Politik bleiben die gleichen, die sie immer waren: Vertretung eines durch Ge- waltherrschaft gestützten, einseitigen Machtstandpunktes und unbeugsamer brutaler Vernichtungswillen gegen jeden, der den weitgehenden Machtanspruch Englands als Welthandelsmacht und Weltseemacht nicht rückhaltlos anerkennt.« Der Chef der neuen Admiralität, Trotha, war ein prononcierter Anhänger solcher Vorstellungen, aus denen nach 1918 der Wille zur Revision der Kriegsergebnisse seine anhaltende Dynamik gewann. Verständlich, daß er, dem die Marine das »Sym- bol nationaler vorwärtstreibender Kraft« war, das Scheitern des deutschen »Griffs nach der Weltmacht« mit besonderer Verbitterung kommentierte. Für Trotha hatte die Regierung beim »Zusammenbruch gegen englischen vergifteten Haß, gegen rück- sichtslose englische Unmenschlichkeit, Hetze und Hunger« nicht Schiffe, sondern das Sinnbild deutscher Weltgeltung ausgeliefert. Und dies, obwohl man »unbesiegt von 111 den Waffen der ganzen Welt« gewesen sei81. In derartiger Gedankenführung paarte sich Anglophobie, Dolchstoßlegende, Systemfeindlichkeit und der Wille, die traditio- nelle Flottenideologie — mit allen ihren Konsequenzen — am Leben zu erhalten. Des- halb kann Trotha kaum als unpolitischer Offizier der Wilhelminischen Zeit charakte- risiert werden82. Seine und seiner Gesinnungsgenossen — nicht nur in der Marine — Entscheidung, im Dienst zu bleiben, war zutiefst politisch und erfolgte in der Absicht, das Alte zu erneuern. Dem entsprach, daß die Trothas den Status quo nie akzeptier- ten, stets mehr wollten, auch wenn sie über Jahre hinaus nicht einmal das Vorhandene auszufüllen vermochten. Auf der Basis einer derartigen Gegenposition zur politischen Realität antwortete Tro- tha, als ihn Tirpitz ermunterte, sich nur die »Hoffnung nicht rauben« zu lassen, daß er für den »Beginn eines Wiederaufbaues [deutscher] See- und Weltgeltung« berufen sei83. Der Chef der Admiralität erklärte, bereit zu sein, als ein Mann, der am »Tradi- tionellen klebt mitten in der Wende einer neuen Zeit«, gemeinsam mit denen, »die das umgestoßen haben«, was ihm das »Höchste war und ist«, mit Männern also, mit wel- chen er »innerlich nie warm werden« könne, der »Marine durch diese furchtbare Zeit hindurchzuhelfen«84. Trotha war, von seinem nur kurze Zeit amtierenden Vorgänger Rogge einmal abgesehen, der Mann der ersten Stunde. Doch die von ihm vertretene Ideologie, die Erneuerung und Revanche als Ziele deutscher Politik postulierte, wurde schließlich bis zum Zusammenbruch des Dritten Reiches in diesem Wehr- machtteil nie in Frage gestellt85. Selbst als die Marineführung sich im Frühjahr 1919 den Sachzwängen fügen mußte und anzuerkennen hatte, daß sich eine von den Siegermächten geforderte Verringe- rung des Schiffsbestandes nicht umgehen lassen würde, änderte sich nichts in ihrer langfristigen Konzeption. Unter den gegebenen Umständen konzentrierten sich die Überlegungen zwar darauf, die Notwendigkeit für die Beibehaltung einer Flotte nachzuweisen86, doch geschah dies in der Uberzeugung, daß sie die Keimzelle der wiederherzustellenden deutschen Seemacht sein werde. Wobei die Marineführung grundsätzlich darauf hoffte, daß die Sogwirkung der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung den Weg zur Rückgewinnung der einstigen Größe ebnen würde. Noch unter Hitler diente dieses marineinterne Axiom dazu, die Unzulänglichkeiten der Wirklichkeit zu verdrängen87. Und in das Umfeld solchen Denkens gehörte natürlich auch die dogmatisch verfochtene Kausalbeziehung zwischen nationaler Weltgeltung und Flottenstärke88. Wesentlich gegenwartsbezogener in der Weimarer Zeit war die antibolschewistische Argumentation der Marineführung im Rahmen ihrer Flottenbegründung89. Hier nutzte sie nicht ungeschickt die politische Konjunktur, denn zweifellos hatten die Sie- germächte dem Deutschen Reich eine Art Riegelfunktion gegenüber der Sowjetunion zugedacht. Die Frontstellung gegen die UdSSR ließ sich somit verhältnismäßig über- zeugend dafür einsetzen, um die Existenzberechtigung einerseits und eine bestimmte Mindestgröße andererseits zu belegen. Freilich, die operativen Planungen befaßten sich dann in erster Linie mit Frankreich und Polen. Als Konstanten der marineinternen Bemühungen im Hinblick auf die militärische Re- vision des Friedensvertrages lassen sich insgesamt lokalisieren: ein taktisch eingesetz- ter Antikommunismus, die Frontstellung gegen das pejorativ beurteilte Polen, eine ausgeprägte Frankreichfeindlichkeit und die pragmatische Anlehnung auf Zeit an Großbritannien. Selbstverständlich hatte jede Aktualisierung derartiger Planungen nationale und internationale Veränderungen zur Voraussetzung. So meinte man in der Marineführung denn auch, daß die »Gedanken an eine auf eine Flotte aufgebaute Organisation« des Wehrmachtteils so lange zu vertagen waren, »bis der weltfremde Völkerbundstraum ausgeträumt« sei, und die »Finanzlage« es gestatten werde, wieder 112 erweiterte, der deutschen »Größe entsprechende Machtmittel zur See« zu schaffen90. Bis dahin standen die geistige Regenerierung und die innere Restauration der Marine im Zentrum aller Anstrengungen. Zu diesen gehörte auch die Selbstversenkung der in Scapa Flow internierten Hochseeflotte. Wie der verhinderte letzte Flotteneinsatz ist sie mit Sachzwängen — etwa dem Informationsdefizit des Admirals ν. Reuter — nicht angemessen zu erklären; denn in Wahrheit handelte es sich um eine hochgradig poli- tische Demonstration, die sowohl für die Gegenwart des Juni 1919 als auch für die Zukunft gedacht war: ein Beitrag der Marineführung zu der das politische Klima in der Republik vergiftenden Lüge, man sei »zur See und im Felde unbesiegt« gewesen91. Sie gehörte — von Trotha bis Boehm — zum ständigen Repertoire. Später hieß es — z.T. mit direktem Bezug auf diese Vorgänge — in einer offiziellen Dienstvorschrift, daß die »Reichsmarine nach den befreienden Taten der Freikorps und von Scapa Flow nicht geruht, sondern mit unverwüstlichem Lebenswillen neben dem Aufbau der 15000 Mann-Marine Mittel und Wege gefunden hat, die Keime für eine zukünftige größere Entwicklung zu legen«. Die Rede war vom »Kampf der Ma- rine gegen Versailles«, d. h. von der Verhinderung der Durchführung der Friedensver- tragsbestimmungen, von Rüstungsmaßnahmen, die ohne Wissen der Regierung und der gesetzgebenden Körperschaften in den Jahren 1923 bis 1927 betrieben wurden, von solchen, die mit Wissen der Regierung, aber »hinter dem Rücken« der Volksver- treter durchgeführt wurden, und von der getarnten Aufrüstung im Dritten Reich. Es ging um U-Boote, um Flugzeuge, um Geschütze, um heimliche Personalvermehrun- gen und um die Unterbindung der parlamentarischen Kontrolle bei der Vorbereitung auf die beabsichtigte Revision von Versailles92. Bereits im Juni 1920 versuchte man, Gedanken, die auf eine großzügige Erneuerung der deutschen Seemacht abzielten, an den Reichswehrminister heranzutragen. So in der Denkschrift des Leiters der Flottenabteilung, Kapitän zur See Oldekop, über die »Notwendigkeit des Wiederaufbaus der Marine« 93. Zwar sprach er in erster Linie und vordergründig Gegenwartsbedürfnisse an, aber aus den marginal wirkenden Bemer- kungen erhellten die darüber hinausgehenden zukunftsbezogenen Zielvorstellungen. Und seine These, die »Willensfreiheit und damit die Möglichkeit zur Schaffung gün- stigerer Lebensbedingungen« sei um so größer, je »stärker die Rüstung« eines Landes sei, stellte u.a. eine direkte Wechselbeziehung zwischen nationaler Prosperität und Seemacht her. Zwar hat Michaelis diesen Gedanken gestrichen, aber dies allein des- halb, weil er ihn für derzeit inopportun gehalten hat, nicht jedoch, weil er ihn abge- lehnt hätte. Raeder brachte Überlegungen dieser Art gegenüber Hitler später auf die plakative Formel, daß die »Weltgeltung der Nationen« mit der »Skala ihrer See- macht« identisch sei94. Das war Navalismus in der besten Tirpitzschen Tradition. In ihm geriet die militärische Potenz eines Staates, hier seine Seemacht, zum Maßstab seiner Souveränität und internationalen Gravitation. Vor diesem gedanklichen Hin- tergrund entstand auch Trothas Überzeugung, daß die Siegerstaaten in den Abrü- stungsbestimmungen des Friedensvertrages ihren Willen bekundeten, die staatliche Souveränität des Deutschen Reiches zu vernichten95. Nahezu gleichzeitig mit Oldekops Ausarbeitung lag Michaelis' Denkschrift »Gedan- ken zur Begründung der Notwendigkeit der Marine in dem durch den Friedensver- trag vorgesehenen Umfang« vor. Michaelis war damals — in Vertretung des über den Kapp-Lüttwitz-Putsch gestolperten Trotha — Chef der Admiralität. Wie in Oldekops Betrachtung, in der die zunächst ins Auge fallende Bescheidenheit in der gegenwarts- bezogenen operativen Konzeption letztlich doch von zukunftsorientierten Großflot- tenvorstellungen überlagert worden ist, fiel auch bei Michaelis das Bestreben auf, die diktierten Beschränkungen nur auf Zeit zu akzeptieren. Schließlich bleibe eine gut ausgebildete Marine immer ein Machtfaktor, eine Basis, die es kommenden Genera- tionen möglich machen werde, sich »einmal wieder eine größere Seemacht zu ver- schaffen, wenn sie dies für erforderlich halten«96. Michaelis persönlich war von der »Notwendigkeit einer Marine für Deutschland« stets überzeugt geblieben, »auch wenn das deutsche Volk« in jener Zeit zu glauben schien, auf sie verzichten zu kön- nen. Im Grunde umschrieb dies die Gegenposition der Marineführung zum 7. Februar 1919, denn eine Seepolizei strebten Männer wie Michaelis mitnichten an. Vielmehr hielten sie es für ihre Pflicht, »aus dem großen Zusammenbruch die noch brauchbaren Bausteine zu sammeln und zu pflegen, bis die Zeit kommt, die wieder eine Entwick- lung zur Größe ermöglicht«97. In derartigen Auslassungen wird der Erwartungshorizont sichtbar, den die mit dem Aufbau der Reichsmarine beauftragten Offiziere besaßen. Die Schwächung der deut- schen Wehrmacht interpretierten sie als eine vorübergehende Erscheinung, an deren Abbau noch vor ihrem eigentlichen Zustandekommen gearbeitet wurde. 1920 war dann bereits wieder die Rede von der Bündnisfähigkeit im Tirpitzschen Sinn, was sich nun mit Sicherheit nicht auf die damalige Flotte beziehen konnte. Zur Relativierung der offiziell gepflegten Zurückhaltung gehörte auch die Überlegung, daß die vorhan- denen Schiffe ausreichen würden, um entsprechendes Personal auszubilden, das spä- ter den »Übergang aufs Großkampfschiff... spielend« erlauben werde98. Was nun die strategischen Planungen der Marineführung anbelangte, so entwickelten sie sich seit jenem Zeitpunkt potentiell wieder in Richtung einer atlantischen Krieg- führung, als Frankreich zum Gegner wurde: letztlich also mit dem Friedensschluß! Unter dem Druck der materiellen Gegebenheiten mußte man sich selbstverständlich vorerst auf die Ostsee beschränken99. Aber schon 1923 wurde der Schwerpunkt der deutschen Seekriegführung erstmals — aber in der Folgezeit keineswegs konsequent beibehalten — in die Nordsee verlegt. Gemeinhin galten Frankreich und Polen in je- nen Jahren als die Hauptgegner, zu denen im Winter 1922/23 — vorübergehend — Dänemark trat 10°. Als Summe dieser frühen Überlegungen läßt sich feststellen, daß es selbstverständlich sowohl gegenüber dem angenommenen West- als auch Ostgegner ein legitimes Si- cherheitsinteresse gab. Die Marineführung hat dieses Faktum zum Zwecke ihrer revi- sionistischen Bemühungen auch gebührend ausgenutzt. Doch — unbeschadet seiner zeitweiligen Aktualität — der Bezug auf einen atlantischen Gegner war für sie auch eine Argumentationsebene, auf der sich ihre langfristigen Zielsetzungen erfolgver- sprechend in die Diskussion einbringen ließen. Das zeigte sich vor allem nach 1925, als die durch die verschiedenen Krisen des Wehrmachtteils erzwungene innere Kon- solidierung abgeschlossen war101. Das Führerkriegsspiel des Winters 1925/26 rückte — im Unterschied zu früheren Ausgangslagen — die Versorgung aus den Vereinigten Staaten und Großbritannien in den Vordergrund. Auch dies ein Schritt in den Atlantik, wobei man annahm, daß die schweren Einheiten der französischen Marine — wegen der unsicheren Haltung Ita- liens und Englands — im Mittelmeer gebunden bleiben würden102. Zwar beabsichtigte die Marine, sich zunächst noch auf den Schutz der Importe in der Nordsee zu be- schränken; eine größere Gefährdung des Nachschubs im Atlantik schloß sie damals aus, aber selbst dazu benötigte Deutschland moderne Einheiten, eine offensive opera- tive Konzeption und eine Flottenstruktur, die sich am treffendsten als Absage an die Idee der Küstenmarine beschreiben läßt. Auf jeden Fall wünschte die Marineführung den »Schlüssel zur Nordsee« zu besitzen, d. h. das Seegebiet zwischen den Shetland- Inseln und Norwegen zu beherrschen. Hilfskreuzer sollten an der afrikanischen Westküste und im Mittelmeer operieren. Die wesentlichen Ergebnisse dieses Kriegsspiels gingen als »Aufstellung operativer Ziele« an die Heeresleitung103. Aus der Perspektive der Marineführung waren sie so- 114 mit weder »phantastisch«104 noch marineinternes Spielmaterial. Vielmehr besaßen derartige Ergebnisse eine konkrete Aufgabe im Rahmen der Kriegsvorbereitungen. Fast immer dürfen in ihnen auch mehr oder weniger versteckte Forderungen an die politische Führung erkannt werden. Dies gilt gerade für die Marine, die bei ihren langfristigen strategischen Absichten von der Wunschvorstellung ausging, daß die of- fizielle Außenpolitik ihr — nicht aber umgekehrt — zu dienen habe105. Daß die Marineführung genuine Vorstellungen zur politischen Entwicklung besaß, die, als Ergebnis ihrer ressortspezifischen Ideologie, nicht unerheblich von der Politik der Reichsregierung abwichen, das zeigten die im Juli 1926 diskutierten »Richtlinien und Ziele der deutschen Marinepolitik«, deren Inhalt nichts Außergewöhnliches wie- dergibt106, sondern völlig auf der Linie politisch relevanter Aussagen der Marinefüh- rung in jenen Jahren liegt: Amibolschewismus, rassistische Tendenzen gegenüber den Völkern des europäischen Ostens, Frankophobie, Faschismusaffinität, antidemokrati- sche Grundhaltung und die im Kontext der revisionistischen Nahziele einzuordnende Annahme, daß deutsch-britische Friktionen für die nächste Zukunft auszuschließen seien107. Freilich, der Glaube daran war bereits in der Weimarer Republik nicht unerschüttert. So ging Zenker in seiner Schlußbesprechung des »strategischen Manövers« im Sep- tember 1926, dem fast traditionell wieder der Krieg mit Frankreich und Polen zu- grunde lag108, davon aus, daß London zu neigen würde. Sofern man bedenkt, daß die Marineleitung am 22. Juli 1926 festgestellt hatte, die »Freunde der Bolschewi- ken« seien Großbritanniens Feinde109, dann wird diese — vorübergehende — Skepsis gegenüber der Position, die England in einer europäischen Auseinandersetzung bezie- hen würde, verständlich. Vieles spricht dafür, daß die Marine in diesem Kriegsspiel erstmals die Folgen der — von ihr weiterhin abgelehnten — deutsch-sowjetischen Ko- operation berücksichtigte. Immerhin hatte Stresemann mit Krestinskij am 24. April 1926 den deutsch-russischen Freundschaftsvertrag unterzeichnet, der in London er- hebliche Beunruhigung auslöste uo. Bemerkenswerterweise ging Zenker, der inzwischen stolz darauf hinwies, daß man jetzt wieder als »Angreifer gegen die Zufuhr des Gegners« auftreten könne, auch da- von aus, daß sich Italien gegenüber Frankreich wohlwollend verhalten werde. Dies bedeutete, wie er sagte, daß man das Problem »in seiner schwersten Form« untersu- chen wollte. Gewiß ist in alldem noch keine Abkehr von den an sich anerkannten Vorbedingungen der deutschen Seekriegführung in den zwanziger Jahren zu erken- nen, der neutralen, möglichst wohlwollend neutralen Haltung Großbritanniens und Italiens, aber in derartigen Äußerungen zeigte sich doch ein zunehmend selbstbewuß- ter werdendes expansiv orientiertes Denken und Wollen. Dis Führerkriegsspiel des Winters 1927/28111 bestätigte dies; denn in ihm ließ die Marineleitung — als eigentliche strategische Aufgabe — erstmals offiziell untersuchen, »welche Aussichten... sich für die deutsche Seekriegführung aus einem Bündnis mit Italien« ergeben konnten. Die politischen Annahmen des Spiels resultierten aus der in- nerhalb der Marine ständig strapazierten deutsch-französischen Erbfeindschaft. Und von da gelangte man zu Annäherungsempfehlungen an Italien und das ebenfalls dik- tatorische Spanien sowie zum Rekurs auf Tirpitzsche Bündnisfähigkeit durch See- macht, wobei der Chef der Marineleitung davon überzeugt zu sein schien, daß die deutsche Flotte — im Bündnis mit einer größeren europäischen Seemacht, die nur Ita- lien sein konnte — in naher Zukunft einen »beträchtlichen Einfluß auf den Gesamt- verlauf des Krieges auszuüben« vermöge. In solchen Annahmen artikulierte sich die Hoffnung der Marine auf die Effizienz ihrer neuen Panzerschiffe. Zenker sah in der dann erreichten »Weltgeltung« Deutschlands sogar verschiedene Möglichkeiten, »die jetzige politische Lage einschneidend zu verändern«. 115 An der Schlußbesprechung dieses Kriegsspiels nahmen erstmals auch Vertreter des Auswärtigen Amtes teil, aus deren Kommentar zuverlässig hervorgeht, wie weit sich die marineinterne, zunehmend aggressiver werdende revisionistische Planung von der offiziellen Politik entfernt hatte112. Offensichtlich vergeblich versuchten die Diploma- ten den Marineoffizieren zu erklären, daß es wegen der »komplizierten europäischen Lage und der Auswirkungen von Genf und Locarno«, deren Folgen für die deutsche Sicherheitspolitik die Marineführung so gut wie nicht zur Kenntnis nahm, schwerlich zu einem überraschenden »bewaffneten internationalen Konflikt« kommen würde. Außerdem hätten grundsätzlich nicht Kriegsvorbereitungen im Mittelpunkt der politi- schen und militärischen Überlegungen zu stehen, sondern jene Möglichkeiten, die es gestatten könnten, sich bei einer europäischen Krise zu sichern und der »Hineinzie- hung in den Krieg möglichst lange zu entgehen«. Demgegenüber wünschte die Mari- neführung ihre »Gedanken« aus der Enge der Nachkriegsverhältnisse wieder auf den »großen europäischen Konflikt hinzulenken«. Die Vertreter des Auswärtigen Amtes meinten auch, die Marine bewerte die »Bedeutung Deutschlands als maritimen Fak- tor« viel zu optimistisch. Auf ihre Kritik stieß ferner die Neigung der Marineleitung, »Italien als Kriegsgenossen« zu überschätzen und »Frankreich als den gegebenen Feind« einzustufen. Die bisherigen Ausführungen betrafen die Entwicklung der Reichsmarine unter Tro- tha, Behncke und Zenker. Als letzterer am 30. September 1928 sein Amt als Chef der Marineleitung abgeben mußte, folgte ihm mit Raeder einer der getreuesten Tirpitzia- ner nach. Er konnte das, was sich unter seinen Vorgängern allmählich ausgeformt hatte, bald konsequent fortsetzen: die Konzipierung einer offensiven, auf den Atlan- tik gerichteten deutschen Seestrategie, auch wenn zugegebenermaßen die Ostseepro- bleme 1928 und 1930 noch einmal ins Zentrum der operativen Untersuchungen rück- ten113. Operative Überlegungen, die sich in Studien und Kriegsspielen niederschlagen, bilden allerdings nur einen Bereich, in dem sich militärische Absichten konkretisieren. Die für jede historische Ortsbestimmung der Planungen unverzichtbare Erhellung ihrer politischen Relevanz gelingt jedoch meist erst bei Heranziehung jener Quellen, die den operativ-militärtechnischen Themenkreis sprengen, was insbesondere in den Aus- lassungen von Marineoffizieren, die sich kompetent zur strategischen Situation des Wehrmachtteils äußerten, der Fall gewesen ist. Dies zeigte sich einmal mehr in zwei Stellungnahmen des nachmaligen Generaladmi- rals Boehm. Die erste, im November 1928 als Beitrag für eine Rede Groeners verfaßt, fand zwar nicht den Beifall des Reichswehrministers, muß aber trotzdem, da sie mit Billigung der unmittelbaren Vorgesetzten des ersten Admiralstabsoffiziers in der Flot- tenabteilung — einschließlich Raeders — vorgelegt wurde, als aufschlußreiches Doku- ment für die gedankliche Struktur der Marineleitung anerkannt werden. Boehm be- kannte zunächst, daß es unter den obwaltenden Umständen vorerst ausgeschlossen bleibe, Großbritannien als Gegner einzukalkulieren. Aber das war nichts weiter als der übliche, zeitlich eingeschränkte, Vorbehalt. Angesichts der materiellen Lage ließ er sich auch gar nicht umgehen. Ansonsten betonte der Kapitän jedoch bereits wieder, daß sich Deutschland nicht von der internationalen Entwicklung in den Fragen der Seerüstung abkoppeln dürfe. Augenscheinlich meinte man in der Marineführung, daß der weltweite »erbitterte politische Kampf im Frieden«, der von ihr verzeichnet wurde, nichts anderes darstelle als das Streben der einzelnen Staaten nach dem »Aus- bau der Seemacht«. Die verschiedenen Abkommen und Konferenzen über Rüstungs- fragen dienten aus solcher Sicht keineswegs der Abrüstung, sondern standen in un- mittelbarer Beziehung zu dem »Kampf... um See-, also Weltmacht«. Letztlich geriet auf diese Weise die gesamte internationale politische Entwicklung seit 1918 zum Rin- Hß gen um »Seemacht im Hinblick auf [den] künftigen Krieg«. Mit der Ausarbeitung Boehms mahnte die Marineleitung, hier den Anschluß zu halten. Als Nahziel forderte sie deshalb die Flottenparität mit Frankreich. Darüber hinaus aber machte sie den Reichswehrminister fordernd darauf aufmerksam, daß »Deutschland auf das lebens- wichtige Meer und seinen Platz an der Sonne« nicht verzichten dürfe. 1928 ging es nicht mehr um die Existenzberechtigung des Wehrmachtteils, sondern um kaum noch camouflierte expansive Zielsetzungen. Und in diesem Zusammenhang fehlte natürlich auch nicht der im Verständnis der Marineführung geradezu programmatische Hin- weis, daß Deutschland den letzten »Krieg als Wirtschaftskrieg« verloren habe114. Noch deutlicher wurde Boehm im Januar 1929, damals schon Leiter der Flottenabtei- lung, als er vor einem Lehrgang für Führergehilfen über die »Kriegsaufgaben der Ma- rine« referierte115. Vieles in diesem Vortrag erinnert an Loewenfelds Ausführungen im Juli 1926. So hielt Boehm einen friedlichen Ausgleich mit den Franzosen weiterhin für unmöglich, da Frankreich nicht nur am Friedensvertrag festhalte, sondern, zusam- men mit seinen Vasallen, die »Vernichtung Deutschlands« anstrebe. Auch die Koali- tion mit Italien forderte Boehm erneut, da Mussolini in »scharfem Gegensatz« zu Frankreich stehe. Wobei er den Führergehilfen bedauernd mitteilte, daß die »innere Einstellung der Linksparteien« dies noch immer verhindere. In gleicher Weise meinte er die deutsch-spanischen Beziehungen beurteilen zu müssen. Die Marineführung zeigte für eine derartige Einstellung der Regierung keinerlei Verständnis und unter- stellte, daß diese es lediglich auf Grund des Vorbehaltes der Linken nicht wage, sich mit Deutschlands »natürlichen Freunden« zusammenzutun, obwohl doch jedermann sehen könne, daß die in Genf so nachhaltig betriebene Annäherungspolitik an Frank- reich und Großbritannien erfolglos verlaufe! Die verhältnismäßig unverhohlene Distanzierung gegenüber Großbritannien war 1929 noch ungewöhnlich, wenn auch nicht völlig neu, wie Zenkers Überlegungen im September 1926 gezeigt hatten. Eventuell spielte für Boehms Skepsis der 1928 zwi- schen Paris und London ausgehandelte Flottenkompromiß eine gewisse Rolle116. Und auf der Suche nach Koalitionspartnern, die es gestatten könnten, die französische Umklammerung zu sprengen, näherte sich Boehm rein theoretisch der Sowjetunion, teilte also in etwa die Lagebeurteilung der Heeresleitung. Allerdings ist dabei zu be- rücksichtigen, daß er dies nicht nur sofort verwarf, weil ein derartiges Zusammenge- hen Deutschland in den Gegensatz zu Großbritannien brächte, sondern wohl auch 1929 im Grunde von dem überzeugt war, was er 1932 feststellte. Damals bezeichnete er die UdSSR als ein Land, das »infolge seiner innerpolitischen Struktur und seiner Weltanschauung selbst bei einer zeitweiligen Zusammenarbeit« mit dem Deutschen Reich letzten Endes auch in ihm »nur einen Gegner sehefi« werde, an dessen »Be- kämpfung und Sturz es arbeiten« müsse117. In seinen den operativen Problemen gewidmeten Passagen gab Boehm eine im ganzen gesehen recht realistische Schilderung der deutschen Lage. Im Mittelpunkt stand, wie gehabt, der Krieg gegen Frankreich und Polen, in dem man — ungeachtet der großen Erwartungen, die in die Panzerschiffe gesetzt wurden — auf einen Koalitionspartner angewiesen blieb. Schon um diesen zu gewinnen, müsse Deutschland rüsten, habe es sich als beachtenswerter Faktor in das internationale Kräftespiel einzuschalten. Letzt- lich war es dann die Hoffnung auf die sich abzeichnende innenpolitische Entwick- lung, die ihn mit einem ermutigenden Appell an die Führergehilfen schließen ließ118, der den Rechtsruck im Innern offen begrüßte und mit einem — für die ideologische Kontinuität innerhalb des Wehrmachtteils unter Raeder — signifikanten Zitat von Tirpitz Schloß: »Ein Sklavenvolk sind wir noch nie gewesen. Seit 2 Tausend Jahren hat unser Volk nach jähem Sturze stets wieder sich emporgehoben.«119 Alles in allem hatte sich Ende der zwanziger Jahre innerhalb der Marineführung eine 117 prononcierte Propagierung des deutschen Seemachtanspruchs durchgesetzt. In ihr verschmolzen Gedanken Tirpitz', Trothas, Loewenfelds und Wegeners zu einer ag- gressiven Mischung aus nationalem Pathos, dogmatisiertem Revanchedenken und mi- litaristischer Programmatik. Selbst ausgesprochen zurückhaltende Interpreten der deutschen Marinepolitik wie Rahn kommen nicht umhin, festzustellen, daß die »von der Marineleitung [damals] erhobene Forderung nach quantitativer und qualitativer Parität mit dem Gegner... nicht das Ergebnis einer nüchternen strategischen Analyse [war], sondern in erster Linie eine machtpolitische Zielvorstellung«, die sich in Wei- mar nicht durchsetzen ließ120. Für ihre Verwirklichung benötigte man eine auf militä- rische Revision oder mehr bedachte Regierung, brauchte die Marineführung einen Mann wie Hitler. Kein anderer als Raeder hat darauf hingewiesen, daß dies in der Marine frühzeitig erkannt wurde, so daß der gesamte innere Aufbau des Wehrmacht- teils konsequent darauf abgestellt werden konnte. Retrospektiv äußerte er sich zu die- sem Problem im Januar 1943 gegenüber seinen Mitarbeitern121: »Ich glaube, Sie wer- den mir zustimmen, daß es mir gelungen ist, im Jahre 1933 die Marine geschlossen und reibungslos dem Führer in das Dritte Reich zuzuführen. Das war dadurch zwanglos gegeben, daß die gesamte Erziehung der Marine in der Systemzeit... auf eine innere Haltung hinzielte, die von selbst eine wahrhaft nationalsozialistische Ein- stellung ergab. Aus diesem Grunde hatten wir uns nicht zu verändern, sondern konn- ten von vornherein aufrichtigen Herzens wahre Anhänger des Führers werden.« Unübersehbar, daß es Wolfgang Wegeners Studie über die »Seestrategie des Welt- krieges« gewesen ist122 — sie wurde zunächst nur in einem relativ kleinen Kreis älterer Seeoffiziere, bald aber recht allgemein verbreitet in der Marine gelesen123 —, die auf das Denken der maßgeblichen Offiziere großen Einfluß ausübte124. Zwar wurde We- gener in seiner Analyse der Operationsstrategie der Marine im Ersten Weltkrieg kei- neswegs vorbehaltlos beigepflichtet125, aber das braucht an dieser Stelle nicht weiter zu interessieren, denn seine Kritik am Seekrieg 1914—1918 gab lediglich den Rahmen ab, in dem er die neue Flotte forderte, die von Anfang an für eine Auseinanderset- zung mit der britischen konzipiert werden sollte. Damit Schloß sich der Kreis. Was die Marine-Friedenskommission 1919 skizziert hatte, wurde nun auf breiter Basis und unter Beteiligung der Spitzen der Reichsmarine diskutiert. Wegeners Bestrebungen waren keineswegs neu. Schon 1917 hatte er eine Denkschrift vorgelegt, in der das Problem einer gegen England gerichteten Flotte im Mittelpunkt stand. Um innenpolitische Schwierigkeiten auszuräumen, empfahl er, die Seemacht- forderungen mit der geographischen Position zu begründen, wobei letztere allerdings erst noch zu gewinnen war. Damals meinte Wegener126, das Flottengesetz sei für »viele Deutsche nicht einleuchtend gewesen«, weil die Grundlage seiner »Begrün- dung, weit in die Zukunft schauend, fast divinatorisch war«. Stehe man aber erst ein- mal am Atlantik, was seiner Meinung nach im Ersten Weltkrieg zu erreichen war, so trete die Richtigkeit der deutschen »Flottengründung klar vor Augen«. Denn dann werde das »Flottengesetz von der mehr oder weniger theoretischen auf die realste al- ler Grundlagen gestellt, die es gibt, nämlich die der bitteren Notwendigkeit«. Sobald Deutschland am Atlantischen Ozean stehe, werde die Frage, ob es eine »Großkampf- schiff-Flotte« benötige oder nicht, ebenso »allen parlamentarischen Erwägungen ent- rückt sein« wie die Frage, ob das »Heer schwere Artillerie« brauche: »Einmal am At- lantik, besteht kein Zweifel mehr, daß wir uns nicht gegen England verteidigen müs- sen, sondern der Kampf mit England um die Seeherrschaft steht so klar vor aller Au- gen, daß jede Vergrößerung unserer Kampfflotte von jedem Deutschen verstanden werden wird. Mit dem Atlantik lösen wir die Flottenfrage.« Nach seinem eigenen Bekunden gab diese Denkschrift die Grundlage für Wegeners »Seestrategie des Weltkrieges« ab. Die Variation der sonst üblichen Rechtfertigung deutscher Seemacht war situationsbedingt. In Erwartung eines weiten Ausgreifens nach Westen traten die weltwirtschaftlichen Argumente in den Hintergrund. Als Basis der deutschen Seemacht wünschte Wegener die uneingeschränkte Verfügungsgewalt über Jutland, die Beherrschung der Kanalküste, den Besitz von Brest und die Kon- trolle der Zugänge zur Ostsee, so daß diese ein »Mare clausuni« werde. Wegener ging damit im Westen weit über die Vorstellungen Tirpitz' und des Admiralstabes hinaus, deren Forderungen sich 1915/16 in erster Linie auf Belgien und die französi- sche Kanalküste bis Boulogne erstreckten. Aber seit 1938 wurden seine Zielsetzungen innerhalb der Marineführung aufgegriffen. Er hatte sich auf der ganzen Linie durch- gesetzt, auch, das wurde 1941 deutlich, mit seiner Überzeugung von der Auseinan- dersetzung zwischen dem von Deutschland dominierten Europa und der »atlanti- schen Welt« w. Wie Trotha, Michaelis und alle die anderen bereits genannten Offiziere der Marine- führung war Wegener weit davon entfernt, sich mit den Ergebnissen des Ersten Welt- krieges abzufinden. Und da die »Lehren der Geschichte« für den Vizeadmiral »ein- fach wie die Naturgesetze und groß in ihrer Monotonie« waren, nur das »historische Gewand, in das die Zeit sie kleidet«, schien sich für ihn zu ändern, war es konse- quent, wenn er als ersten Schritt zur Wiederholung des »Griffs nach der Weltmacht« das Erkennen und Abstellen der Fehler forderte, die man vor 1914 gemacht hatte. Vor allem müsse die Marine »Heer und Politik lehren, daß es die kontinentale Ein- stellung war«, die Deutschland »zu Tode gebracht« habe, da sie verhinderte, daß es wurde, was es hätte werden müssen: Seemacht! Wegener wußte aber auch, daß das »nächste Ziel, [die] Befreiung vom Versailler Diktat, ein kontinentales Ziel« war. Ihm schien deshalb eine entsprechende »Aufklärungsarbeit« um so dringlicher zu sein, denn die »Gefahr, die dem Seemachtsgedanken« durch diese zwangsläufige Zielset- zung drohe, sei »nicht zu unterschätzen«. Man wisse schließlich, daß die Armee »ih- rem Wesen nach kontinental« eingestellt sei, und da ihr »in nächster Zukunft mit Recht die erste Rolle« zufallen werde, könne die Marine »leicht zum Anhängsel des Heeres werden und nicht das erhalten, was nötig« sein werde. Der Admiral meinte in diesem Kontext, Deutschland werde wohl »noch für Jahre hin- aus keinen Gegensatz zu England« haben. Auf lange Sicht sei dieser jedoch unver- meidbar. Wegener führte dabei alle jene Argumente und Kausalitäten an, die inner- halb der Marineführung seit der Denkschrift der Friedenskommission, die sich ihrer- seits wieder direkt der Begründung des Großflottenbaus in der Ära Tirpitz bediente, benannt worden waren. So kam er zu dem Schluß, daß, wenn die Deutschen »wieder einmal als Volk und Staat in Form sind, dann taucht auch wieder das Verlangen nach der See und Seegeltung und mit ihm die Angelsachsen als Gegner auf«. Das deutsche Wachstum stellte sich ihm — in der Zeit nach der Jahrhundertwende — als »weltpoli- tisch-maritime Aufgabe dar«, zu deren Lösung man nach wie vor einer »Kampfflotte und der nötigen strategischen Position« bedürfe. Aus dieser Voraussetzung ergebe sich schlüssig, daß sich »England mit seiner ganzen Macht [Deutschlands] Wieder- aufstieg entgegenstemmen und ihn gegebenenfalls zum Kriegsanlaß nehmen« werde m. Der Admiral formulierte damit klar, was die Marineführung seit dem Ende des Ersten Weltkrieges gedanklich bewegte: Revisionismus und Weltmachtstreben. Als 1938 die revisionistischen Nahziele im wesentlichen erreicht waren, konzentrier- ten sich die Planungen der Marineführung fortan auf das Fernziel, die Auseinander- setzung mit Großbritannien. Ohne Zweifel wurde nationalsozialistische Außenpolitik von der Marine weder maßgeblich beeinflußt noch gesteuert, doch in ihrem Ergebnis entsprach sie vollkommen deren Wollen. Wegeners Denkschrift wurde 1929 unter Weglassung einiger besonders brisanter Pas- sagen veröffentlicht. Rund ein Jahr später beschrieb dann Schuster, zu diesem Zeit- 119 punkt Leiter der Führergehilfenausbildung, ganz in dessen Verständnis die Kriegsauf- gaben der Marine. Dabei zeigte sich, daß die Marineführung die von Groener 1919 geäußerte Auffassung teilte, nach der Deutschland im Ersten Weltkrieg gescheiten sei, weil es nach der »Weltherrschaft« gestrebt habe, ehe die »Kontinentalstellung festgemacht« worden sei. Derartiges sollte sich nicht wiederholen, das nächste Mal wollte man es besser machen. Und in diesem Sinne führte Schuster aus, die »großen Entscheidungen im Ringen von We/ivölkern werden im wesentlichen auf den Weiten der Ozeane vorbereitet. Wir Deutschen haben das als junge Nation vor 1914 noch nicht erkannt — wo es erkannt war, wurden die Folgerungen nicht daraus gezogen: zu Lande so stark zu sein, daß wir über See den Lebensraum erringen konnten —. Wir beiden, Heer und Marine, bereiten uns — nach den bitteren Lehren des verlorenen Krieges — jetzt gemeinsam darauf vor, das Tor zur Welt mit beiden Armen aufzusto- ßen und offen zu halten, weil wir beide davon überzeugt sind, daß Deutschland in der muffigen Enge Europas nur vegetieren — nicht leben kann.«129 Die Zukunft der Marine wurde also bereits wieder recht optimistisch beurteilt. 1932 bekundete Boehm seine Uberzeugung, daß die deutsche Flotte dabei sei, ein »beach- tenswerter politischer Faktor zu werden«, der Deutschland wieder zu einer »bündnis- fähigen Nation« mache 13°. Und wenige Monate nach Hitlers Machtergreifung sprach Schuster131 — in Erweiterung seines oben zitierten Vortrags — von der jetzt zu erwar- tenden Festigung der Kontinentalposition, der danach anzustrebenden See- und Weltgeltung sowie der daraus resultierenden »Sicherheit des neu erstandenen Bis- marck-Reiches«. Er meinte, diese könne — »bei starker außen- und innenpolitischer Führung« — seitens der weiterhin vorstellbaren »Koalition von Feinden« dann bereits nicht mehr gefährdet werden. In seinen Auslassungen wurde aber auch einmal mehr deutlich, daß die Marineführung neben ihrem äußeren Feindbild ein inneres pflegte: die Sozialdemokratie. Nicht zuletzt in bezug auf sie besaß der Nationalsozialismus — die »nationale Revolution« — Erlöserfunktion. Mit Hitler wurden jene »Kräfte in der Marine frei, die in den letzten 14 Jahren zersplittert waren durch Kämpfe im Parla- ment, durch überwinden oder umgehen all der infamen Sabotage-Versuche sozialde- mokratischer Doktrinäre und Pazifisten«. Es war die machtpolitische Kontinuität in den Zielvorstellungen der Marineführung, die zur Frontstellung gegen Gruppen führte, die sich der militaristischen Ambition dieser Führungselite widersetzten. Seit den frühen Äußerungen Trothas gegenüber Tirpitz läßt sich dieses innenpolitische Verhaltensmuster durchgängig nachweisen. Ebenso zweifelsfrei korrespondierte mit dem revisionistischen Bemühen der Marineführung eine ausgeprägte Faschismusaffi- nität und Demokratiefeindlichkeit. Natürlich dachte man in der Marine in diversions- strategischen Kategorien, selbstverständlich besaß Italien einen ganz bestimmten Platz im operativen Kalkül der Marineführung, das zeigen schließlich fast alle Kriegs- spiele jener Jahre. Aber man interpretiert die beispielhaft zitierten Äußerungen Loe- wenfelds, Boehms, Schusters und Raeders — Aussagen von Offizieren also, die ganz wesentlich die Erziehung in der Marine beeinflußten — wohl doch zu vordergründig und eng, wenn sie, losgelöst von ihrem Bezug zur innenpolitischen Entwicklung, als eine »vor allem strategisch begründete Argumentation« ausgedeutet werden132. Dar- über hinaus ist ein solches Vorgehen aber auch grundsätzlich fragwürdig, denn die Elemente der sogenannten strategischen Argumentation, hier die operativen und mili- tärtechnischen Überlegungen, und die nachgewiesenen faschismusaffinen und demo- kratiefeindlichen Momente im machtpolitischen Kalkül der Marine waren letztlich nur die beiden Seiten ein und derselben Sache: der Überwindung von Versailles und des Systems von Weimar als Voraussetzungen für den Aufstieg zur ozeanischen Welt- macht. Dennoch sah insbesondere Raeder dem Jahr 1933 zugegebenermaßen keineswegs 120 völlig unbekümmert entgegen. Denn einige Presseverlautbarungen Hitlers hatten bei ihm eine gewisse Irritation ausgelöst133. Sollte der Spitzenkandidat der NSDAP tat- sächlich Reichskanzler werden, so würden, falls er seine Äußerungen ernst meinte, Gedanken wie der, daß die »Sicherheit der deutschen Zufuhr für jeden Kriegsfall auch heute [1932] nur mindestens durch Parität mit England« zu gewährleisten sei, vermutlich auf wenig Resonanz stoßen134. Aber Hitlers Verhalten signalisierte dann sehr bald, daß derartige Skepsis unbegründet war. Die Marineführung fand ihre mit der Machtergreifung gestiegenen Zukunftserwartungen gerechtfertigt. Endlich schie- nen die Voraussetzungen für eine großzügige Expansion des Wehrmachtteils gegeben zu sein. In diesem Sinne wurde der Nationalsozialismus als »Fundament« verstanden, auf dem sich die seit langem angestrebte neue deutsche Seemacht begründen ließ135. Raeder, unbeschadet seiner Vorbehalte gegen die Person des neuen Reichskanzlers, ein überzeugter Nationalsozialist und sowenig eine unpolitische Figur wie alle übri- gen um System- und Status quo-Veränderung bemühten Offiziere, erörterte Ende März oder Anfang April 1933 mit diesem erstmals die Absichten und Vorstellungen der Marineführung. Hitler vermied inzwischen jede Kritik an der Seekriegführung im Ersten Weltkrieg, und seine Einwände gegen den Bau von Schlachtschiffen waren wie weggeblasen. Im Gegenteil, er sprach sich dezidiert für eine Verwirklichung der bis dahin eingeplanten Projekte aus. Und der Chef der Marineleitung zögerte nicht, nach dieser Unterredung mit Hitler »endgültig auf dessen Linie« einzuschwenken136. Der Übergang der Marine in das Dritte Reich verlief in der Tat problemlos. Rückblickend hat man in ihr das Jahr 1933 als den Zeitpunkt definiert, zu dem die Wehrmacht — unter anderem — auch wieder offiziell auf die »westlichen Verteidigungsaufgaben« ausgerichtet wurde137. In diesem Zusammenhang hatte Raeder schon am 10. Februar eine Neugliederung der Marineleitung genehmigt, die in den Umkreis der durch den Friedensvertrag untersagten Mobilmachungsvorbereitungen gehörte138. Wenig später, im Juli 1933, ließ er die bisherigen Parolen, die sich propagandistisch gegen den Ver- sailler Vertrag richteten, durch den erheblich umfassenderen Anspruch auf Verteidi- gungsfähigkeit ersetzen139. Die Zeit der demütigenden Tarnung näherte sich allmäh- lich ihrem Ende. Der Nationalsozialismus, dessen »Führer« sich bald zum überzeug- ten Verfechter der Marinepolitik zu entwickeln schien, machte es nun auch wieder möglich, das deutsche Volk erneut an das »Seemachtdenken« heranzuführen. Eine Selbstverständlichkeit unter den maritimen Forderungen nach 1933 war der An- spruch auf Parität mit Frankreich. Er berührte natürlich die Interessen Großbritan- niens, wobei zur Erläuterung darauf hinzuweisen ist, daß man damit — ohne auf die vielschichtigen politischen Implikationen eines derartigen Vorhabens und seine kom- plexen Verflechtungen mit dem deutsch-britischen Flottenvertrag ehizugehen140 — immerhin eine Verdrei- bis Vervierfachung der im Friedensvertrag zuerkannten Flot- tenstärke anvisierte. Das war eine ganze Menge, und die Marineführung rechnete deshalb mit englischem Protest. Um vorzubeugen, ließ Raeder in entsprechenden Un- terredungen den Bündnisgedanken einfließen, da er wohl annahm, London werde — angesichts der britisch-amerikanischen Gegensätze — an einer deutschen Aufrüstung zur See gelegen sein141. Letztlich waren dies freilich lediglich Beschwichtigungsversu- che, Denkmodelle, so alt wie der deutsche Großflottenbau, die den Briten die deut- sche Seemacht schmackhaft machen sollten. Tatsächlich wurden sie bereits durch den Ersten Weltkrieg ad absurdum geführt, was man in der Marineführung auch 1919 ganz klar erkannt und formuliert hatte. Und so ging es Raeder im Grunde — weiter- hin — nur um taktisches Changieren, mit dem er die Gefährdungen der Aufbauphase reduzieren wollte. Ernsthaft jedoch machte 1934 niemand mehr den Ausbau der deut- schen Flotte vom Beifall Großbritanniens abhängig. Dieser war gewiß erwünscht, denn er würde vieles erleichtern, aber gebaut werden sollte auf jeden Fall — und nicht bescheiden! Anfang April sahen die Planungen vor: 8 Panzerschiffe, 3 Flugzeugträ- ger, 18 Kreuzer und 72 U-Boote. Das war zwar noch keine Z-Plan-Flotte, aber in der Forschung hat man zwischen ihr und dem »Mammutkonzept« von 1938/39 in über- zeugender Weise eine gedankliche Kontinuität angedeutet142. Die Untersuchung der Kriegsspiele in den ersten zwei Jahren unter dem Nationalso- zialismus erlaubt die Feststellung, daß mittlerweile die unprovozierte Aggression als operatives Element, die forcierte Aufrüstung im Hinblick auf ein »ferneres Ziel« und die anhaltende Strapazierung Frankreichs als des axiomatisch vorgegebenen Gegners — mit allen Implikationen einer atlantischen Kriegführung — das strategische Denken der Marineführung beherrschten143. Eines dieser ferneren Ziele wurde benannt, als Raeder und Hitler am 27. Juni 1934 zusammentrafen: Großbritannien1**. Sicher, Rae- ders »Ansicht«, daß die »Flotte später doch gegen England entwickelt werden müsse, daß daher von 1936 an die großen Schiffe mit 35 cm-Geschützen armiert werden müßten (wie [die] King George-Klasse)«, war noch keine Planung, aber sie doku- mentiert die Perspektive, aus der die deutsche Seemacht entworfen wurde. Außerdem darf nach dieser Meinungsäußerung Raeders Notiz anläßlich seiner ersten Bespre- chung mit Hitler, daß nämlich »England nie wieder als Gegner f.[ür] Marine« in Frage komme, als gegenstandslos betrachtet werden145. Der Flottenvertrag vom 18. Juni 1935 ist daher nicht in Beziehung zur Besprechung im März/April 1933 zu sehen, sondern im Kontext des von Raeder im Juni 1934 auf- gezeigten Erwartungshorizonts zu deuten. Dem entsprach, daß die 35%-Formel, die Deutschlands Flotte in direkte quantitative Abhängigkeit von der Royal Navy brachte, vielen Marineoffizieren von Anfang an unverständlich blieb. Schließlich war der Weltmachtanspruch innerhalb der Marine nie aufgegeben worden, und der Hin- weis auf die angebliche Gesetzmäßigkeit, mit der jeder neuen deutschen Seemacht die Frontstellung zu Großbritannien folgen mußte, gehörte zum ständigen Repertoire der Marineführung. Alles in allem dauerte dementsprechend, trotz der Artikel einiger Of- fiziere, wie des Admirals a. D. Gladisch oder des Vizeadmirals a. D. Freiherr v. Frey- berg, in denen das deutsch-britische Zusammengehen vorbehaltlos begrüßt wurde, die Überzeugung an, daß es zwischen dem Dritten Reich und England eine geradezu schicksalhafte Rivalität gebe, auf Grund deren die Konfrontation nicht nur möglich, sondern von einem bestimmten Zeitpunkt an unvermeidlich sein werde. Das Abkom- men ist deshalb auch nur als der gelungene Versuch gewertet worden, das britische Mißtrauen in der besonders prekären Aufbauphase der Marine zu beschwichtigen144. Es war in diesem Sinne die Krönung der seit dem Ende des Weltkrieges betriebenen Politik des Baldrians, aber keine Tendenzwende. Denn weder die Militärs noch die Politiker dachten im entferntesten daran, das Vertragswerk als wahrhaft »endgültige« Regelung der Flottenfrage zu akzeptieren147. Für sie diente es in erster Linie dazu, möglichst lange und umfassend ungestört aufrüsten zu können, um sozusagen mit britischem Einverständnis einen Standard zu erreichen, der es gestatten würde, die zunächst einmal anerkannten Limitierungen gefahrlos aufzukündigen148. Dies gilt es zu berücksichtigen, wenn von der »Wunschvorstellung« der Marinefüh- rung gesprochen wird, sich bis 1937/38 »nicht gegen, sondern mit England« zu ent- wickeln 149. Nun ist es keine Frage, daß das britische Einverständnis als sehr angenehm empfunden wurde, aber die Zufriedenheit mit der gelungenen Täuschung besagte nichts über die Fernziele. Was man 1935 festschrieb, war eine Anpassung auf Zeit. Churchill hat das Abkommen deshalb, mit Blick auf die langfristigen deutschen Ab- sichten, durchaus zutreffend als einen Vertrag charakterisiert, der dazu führen werde, daß die Royal Navy »zum größten Teil in der Nordsee vor Anker gehen« müsse 15°. Insgesamt scheint es zulässig zu sein, den Flottenvertrag als diplomatischen Betrug einzustufen, der »Hitlers außenpolitischem Programm und Raeders Vorstellung von 122 der Zukunft der deutschen Marine« gleichermaßen entsprach151. Irrig ist es allerdings, zu unterstellen, Raeder hätte 1935 seine »Ansicht« von 1934 aufgegeben, weil er jetzt annehmen durfte, seine Flotte in einem — angestrebten — Bündnis mit England von der 35%-Bindung befreien zu können152. Diese These, die ihr Autor insofern relati- viert, als er meint, bei einem Scheitern der Hitlerschen Bündnispolitik hätte Raeder wieder auf seinen Gedanken, daß die Flotte langfristig gegen England gebaut werden müßte, rekurriert, trennt nicht hinreichend scharf zwischen dem Einfluß außenpoliti- scher Sachzwänge und dem originären Wollen der Marineführung. Diese fand sich mit dem Flottenabkommen ganz einfach deshalb ab, weil ihr gar nichts anderes übrig- blieb, denn der Chef der Marine bestimmte nicht die Politik. Aber das bedeutete eben nicht, daß man die Flotte nur noch im Bündnis mit den Briten auf- und ausbauen wollte. Bezeichnenderweise hat Raeder dann auch, nachdem Hitler am 28. April 1939 den Flottenvertrag kündigte, an der anhaltenden Verhandlungsbereitschaft Londons keinerlei Interesse gezeigt: im Gegenteil153. Strategisch und operativ blieb nach 1935 vorerst Frankreich der Hauptgegner. Und die Neutralität Großbritanniens war dabei »bis auf weiteres« die Voraussetzung für einen deutschen Erfolg im angenommenen Zweifrontenkrieg. Doch wurde gleichzei- tig bedauernd angemerkt, daß dieser Sachverhalt den »Verzicht auf eine von Eng- lands Haltung unabhängige Weltmachtpolitik« bedeute154. In dem sich hier artikulie- renden Unbehagen, mit dem man in der Marineführung die Bindung an die Briten verfolgte, trat einmal mehr die seit der Tirpitz-Zeit gültige Maxime der Marinepolitik zutage, daß die Ausrichtung der deutschen Interessen an England dem Weltmachtan- spruch des Deutschen Reiches widerspreche. Als Raeder dann am 2. Februar 1937 — unter anderen — vor Hitler, Blomberg und Hess über »Grundsätzliche Gedanken der Seekriegführung« referierte155, ging er zwar weiterhin von der Neutralität Großbri- tanniens aus, aber er wagte es bereits nicht mehr, die Art dieser Neutralität zu kenn- zeichnen. Immerhin deuteten sein Hinweis auf die sich schnell ändernden politischen Konstellationen, und die Anmerkung, daß die »möglichen Gegner der Zukunft« in das militärische Kalkül einzubeziehen seien, auf eine zunehmende Skepsis gegenüber London hin. Das von Raeder verordnete Tabu, Großbritannien nicht einmal gedanklich als Geg- ner zu berücksichtigen, ist zu keiner Zeit strikt eingehalten worden. Aber als das Oberkommando der Kriegsmarine (OKM) 1937 den »oberen Frontstellen und Am- tern« seine Untersuchung über die »Aufgaben der Seekriegführung 1937/38« zuge- hen ließ, fiel es endgültig weg156. Die Ausarbeitung sollte zum einen die Grundlage schaffen für die »einheitliche Beurteilung der seestrategischen Lage« und zum ande- ren diente sie als »Unterlage für die neuen Kampfanweisungen«. In ihr zeigte sich, daß man im Oberkommando der Kriegsmarine Hitlers »Mein Kampf« inzwischen ge- lesen hatte. Die in ihm niedergelegten Grundsätze wurden als strategische Maximen zitiert, als es um den gleichzeitigen »Krieg gegen Rußland und England« ging. Dabei blieb Frankreich der axiomatische Gegner, dem sich im Extremfall nur die Sowjet- union oder Großbritannien zugesellen durfte. Grundsätzlich aber sei der Krieg gegen die UdSSR möglichst mit britischer, der gegen England mit sowjetischer Hilfe zu füh- ren. In dieser Hinsicht Schloß sich die Marine Hitler vorbehaltlos an. Pessimismus stellte sich allerdings ein, sobald die wünschenswerte Konstellation an der wahr- scheinlichen gemessen wurde. Die politische Lage in Europa machte es nämlich ab- sehbar, daß Deutschland — »praktisch auf sich allein gestellt« — in überschaubarer Zukunft mit einer ähnlichen Übermacht zu rechnen habe wie 1914. Ein »aktives engli- sches Eingreifen gegen Deutschland« sei auf Dauer kaum auszuschließen, wenn es zum Krieg mit Frankreich kommen sollte. Aus der Sicht des Jahres 1937 schien dann ein entscheidender deutscher Erfolg nicht mehr möglich zu sein. Außer dem Krieg mit Frankreich untersuchte man die Feindkombinationen Deutsch- land gegen Frankreich/Sowjetunion und gegen Frankreich/Großbritannien/UdSSR, wobei die Seekriegsleitung zu dem Ergebnis gelangte, daß der Zweifrontenkrieg ohne England der »äußerste« erfolgversprechende Konfliktfall sei. Man ging auch weiterhin von ihm aus, obwohl die britischen Reaktionen in diesem Zusammenhang immer unkalkulierbarer wurden. Die Marineführung wollte und konnte die Wende gegen England noch nicht vollziehen, weil dafür die materiellen Voraussetzungen fehlten. Ein langfristiger Vorbehalt aber war dies nicht. Signifikant für die Einschätzung der gegenwärtigen Lage und der weiteren Entwick- lung waren die Antworten der verschiedenen Kommandos, die zu Stellungnahmen aufgefordert worden waren. Aus der Marinestation der Nordsee kam der Kommen- tar, daß ein Krieg mit Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion einzig zum »Verzweiflungskampf« geraten könne, um auf diese Weise zumindest die »Ehre zu retten«. Darüber hinaus hielt es Admiral Schultze für geradezu »gefährlich«, in einer »dienstlichen Denkschrift überhaupt von dieser Möglichkeit« zu sprechen. Dagegen beurteilte er die deutsche Position im Normalfall, dem Zweifrontenkrieg gegen Frankreich und die UdSSR, günstiger als die Autoren der OKM-Denkschrift. Das Flottenkommando unter Admiral Carls stimmte der Studie uneingeschränkt zu, und im Grunde tat das auch Admiral Albrecht, der Chef der Marinestation der Ostsee. Al- lerdings hob dieser deutlich die Realitätsferne der vom Oberkommando der Kriegs- marine vorerst beibehaltenen Ausgangslage hervor. Denn wenn auch »außer Zweifel« stehe, daß der »Zweifrontenkrieg de[n] äußerstefn] Kriegsfall« für die Wehrmacht darstelle, so bedeute dies keineswegs, daß er der »wahrscheinlichste Kriegsfall« sei. Nach Albrecht mußte deshalb bei den Überlegungen über einen kommenden militäri- schen Konflikt die Kräftepaarung gegen London-Paris-Moskau angemessen berücksichtigt werden. Spätestens nach der Weisung des Reichskriegsministers vom 24. Juni 1937 wußte das Oberkommando der Kriegsmarine, wie realistisch und dringlich derartige Konse- quenzen waren. Die Gegnerschaft Londons ließ sich ernsthaft nicht mehr ausschlie- ßen. Zwar hatte Blomberg in dieser Weisung für die »einheitliche Kriegsvorbereitung der Wehrmacht« betont, daß sich die politische Führung darum bemühen werde, ei- nen Kriegseintritt Großbritanniens zu verhindern, aber man mußte eben auch einge- stehen, daß dessen Haltung in einem deutsch-französischen Konflikt unwägbar ge- worden sei. Dementsprechend wurde in der Weisung auch die »Erweiterung Rot/ Grün« erwähnt, was besagte, daß man über den Fall »Rot«, den Zweifrontenkrieg mit Schwerpunkt im Westen, und den Fall »Grün«, den Zweifrontenkrieg mit dem Schwerpunkt im Südosten, hinaus, auch die Kriegsbeteiligung Großbritanniens, Po- lens und Litauens einkalkulierte157. Eine Zäsur in der bisherigen Argumentation Hit- lers brachte dann seine berühmt-berüchtigte Ansprache vom 5. November 193715S. Raeder behauptete nach dem Krieg, eine Abkehr von England sei den Ausführungen nicht zu entnehmen gewesen159. Das klingt unwahrscheinlich, denn tatsächlich ließ Hitler keinen Zweifel daran aufkommen, daß er ein rassisch geprägtes Großreich an- strebe, der Weg zu ihm der der Gewalt sein werde, und die »Haßgegner« London und Paris im Zuge der »deutschen Koloß[bildung] inmitten Europas«, die aber mit- nichten den Verzicht auf überseeische Expansion impliziere, nicht zu umgehen seien. Von einer deutsch-britischen Bündnisplanung war bereits nicht mehr die Rede. Sie hatte in Hitlers Augen wohl erheblich an Wahrscheinlichkeit verloren. Schon vor der Schlußbesprechung des nächsten großen Kriegsspiels im April 1938 un- tersuchte man in der Seekriegsleitung die Folgen einer militärischen Auseinanderset- zung mit Großbritannien für die deutsche Erzzufuhr aus Skandinavien. Und bei der Schlußbesprechung selbst herrschte Übereinstimmung, daß die zunächst noch einkal- 124 kulierte Neutralität Englands bald in die Parteinahme für Frankreich umschlagen werde160. In der Marineführung wußte man, daß sich die Wende gegen England all- mählich vollzog. Ende April 1938 teilte Raeder dem Oberkommando der Wehrmacht dann auch mit, daß ein »Kriegsfall, der die Neutralität Englands zur Voraussetzung hat, zur Zeit unwahrscheinlich« sei161. Früher als wünschenswert und erwartet wurde die Marineführung mit der deutsch-britischen Auseinandersetzung konfrontiert, die sie stets als unausweichlich angesehen hatte. Uberraschend war dabei nur, daß diese nicht aus der deutschen Seemacht resultierte, denn die existierte erst auf dem Papier. Die weitere Entwicklung verlief zielstrebig. Noch im Mai drängte Hitler auf die schnelle Fertigstellung der Schlachtschiffe, weil man im nächsten Krieg neben Frank- reich auch Großbritannien zum Gegner haben werde162. Im Juli wiederholte Hitler an Bord des Avisos »Grille« seine Gedanken über einen kommenden Krieg mit London und Paris163. Einen Monat später stellte das Auswärtige Amt fest: »Auf dem Wege weiterer Ausdehnung und Festigung des III. Reiches ist Frankreich unser sicherster Widersacher, England unser gefährlichster Feind.«164. Zur selben Zeit lag die von Fre- gattenkapitän Heye, dem Referenten für Operationen des Seekrieges in der Gruppe Operation der Seekriegsleitung, ausgearbeitete, im Juni 1938 in Auftrag gegebene Denkschrift über die »Seekriegführung gegen England und die sich daraus ergeben- den Forderungen für die strategische Zielsetzung und den Aufbau der Kriegsmarine« vor165. Heyes Gedankenführung im Bereich der operativen Fragen lehnte sich unmit- telbar an Wegener an. Auch das Festmachen der Kontinentalstellung, wie es Groener 1919 benannte, tauchte wieder als Forderung auf. Denn neben dem Erwerb übersee- ischer Stützpunkte bringe jede »Erweiterung der deutschen Küstenbasis in der Nord- see (Holland, Dänemark, Norwegen)... taktische Vorteile und verbesser[e] für Kriegsmarine und Luftwaffe den Ansatz gegen England und die englische Blockade- stellung«. Allerdings wirke sie sich »solange nicht strategisch aus, als diese Verbreite- rung der Operationsbasis innerhalb der englischen Blockadestellung« bleibe166. In Norwegen hätte man also zum Beispiel Trondheim besitzen müssen — und die deut- schen Nachkriegsplanungen sahen dementsprechend die dauernde Verfügung über diesen Hafen vor167 —, um die britische Blockadelinie Bergen—Shetlands—Schottland zu umgehen168. Von »ausschlaggebendem Wert für die Kriegführung der Kriegsma- rine und der Luftwaffe [werde es] sein, wenn die Zielsetzung der Landoperationen die Inbesitznahme der Festland-Kanalküste bis zum Westausgang (Brest) vorsehen könnte«169. Im Rahmen der materiellen Kriegsvorbereitungen darf man in der Denkschrift Heyes durchaus die theoretische Begründung jener Flottenbauvorhaben sehen, die schließ- lich im sogenannten Z-Plan ihren vorläufigen Höhepunkt erreichten170. Die damit entstehende Flotte war aber nicht dazu gedacht, zumindest nicht aus der Perspektive der Marineführung, Großbritannien zugleich zu locken und zu bedrohen171. Denn in der Marine hatte man die Lektion von 1914 gelernt, hatte man erkannt, daß die Tir- pitzsche Bündniskonzeption für eine dauernde Regelung des deutsch-britischen Ver- hältnisses untauglich gewesen ist. Diese neue Seemacht sollte, das hat kein anderer als Raeder bei Kriegsbeginn ausgesprochen, dazu dienen, die »englische Flotte zu schla- gen und die englischen Zufuhren abzuschneiden, d.h. die Endlösung der englischen Frage zu finden«172. Daß die Marineführung 1938 meinte, Hitlers Politik ziele in diese Richtung, und daß sie glaubte, dieses Ziel nach Fertigstellung der anvisierten Flotte erreichen zu können, das beweist ein Memorandum von Admiral Carls, der, ein Favorit Raeders173, im September in radikaler Form die Konsequenzen der bishe- rigen Entwicklung formulierte: »1. Wenn Deutschland nach dem Willen des Führers eine in sich gesicherte Weltmachtstellung erwerben soll, bedarf es neben genügendem Kolonialbesitz gesicherter Seeverbindungen und gesicherten Zugang zum freien Ozean. 2. Beide Forderungen sind nur gegen englisch/französische Interessen erfüllbar und schränken deren Weltmachtstellung ein. Sie mit friedlichen Mitteln durchsetzen zu können ist unwahrscheinlich. — Der Wille zur Ausgestaltung Deutschlands als Welt- macht führt daher zwangsmäßig zur Notwendigkeit entsprechender Kriegsvorberei- tung. 3. Der Krieg gegen England bedeutet gleichzeitig Krieg gegen das Empire, gegen Frankreich, wahrscheinlich auch gegen Rußland und eine große Reihe überseeischer 2 Staaten, also gegen V2 bis /3 der Gesamtwelt. Er hat innere Berechtigung und Aus- sicht auf Erfolg nur, wenn er sowohl wirtschaftlich wie politisch und militärisch vor- bereitet und der Zielsetzung entsprechend geführt wird: Deutschland den Weg zum Ozean zu erobern.«174 Die Neuorientierung der marineinternen Strategie seit dem April 1938175 führte dann im Herbst des Jahres zu ersten Überlegungen im Hinblick auf einen globalen Koali- tionskrieg zwischen den Demokratien — eventuell auch der Sowjetunion — und den Achsenmächten sowie Japan. Die Gedanken schweiften dabei bis zur Vernichtung der britischen Mittelmeer- und Nahost-Stellung sowie zu der Bedrohung Indiensm. Auch die Kriegsspiele 1938/39 entsprachen der veränderten strategischen Lagebeurteilung. Von der Marinestation der Nordsee wurde im Januar 1939 der Krieg zwischen Deutschland und Italien gegen Großbritannien und Frankreich durchgespielt177. Das letzte große Kriegsspiel vor dem September 1939 war das in Oberhof178. In seiner Schlußbesprechung stellte man fest, daß im Jahre 1938 »Großdeutschland« entstan- den sei, die Revision war abgeschlossen. Das Reich, somit wieder Großmacht gewor- den, stehe jetzt am »Beginn einer neuen Periode« des deutschen »politischen Lebens und Strebens«. Schon jetzt müsse seine Flotte höher bewertet werden als die kaiserli- che Hochseeflotte. Und mit der »Geltendmachung weltumspannender Interessen und überseeischer Ansprüche« des Dritten Reiches sei für die Wehrmacht der Zeitpunkt gekommen, sich wieder auf die Auseinandersetzung mit den Weltmächten vorzube- reiten. Der zweite »Griff nach der Weltmacht« schien möglich zu werden. Das hieß allerdings noch nicht, daß die Marineführung mit einer Auseinandersetzung mit Großbritannien in naher Zukunft rechnete. Dazu waren die Kriegsvorbereitungen längst noch nicht abgeschlossen, denn erst am 27. Januar 1939 hatte Hitler auf Drän- gen Raeders befohlen, daß der von ihm »angeordnete Aufbau der Kriegsmarine allen anderen Aufgaben einschließlich der Aufrüstung der beiden anderen Wehrmachtteile und einschließlich des Exports« vorgehe179. Aber insgesamt bewegte man sich nach Meinung der Marineführung in die richtige Richtung, waren die Weichen entspre- chend den »Lehren der Geschichte« gestellt. In diesem Sinne hieß es in der Schlußbe- sprechung des Kriegsspiels Α in Oberhof: »Wer rückblickend die Entwicklung der Vor- und Nachkriegszeit betrachtet, wird die geschichtliche Bedeutung [der neuen überseeischen Expansionsansprüche] für die Kriegsmarine ermessen können. Der Schritt von der Küstenmarine aus den Anfängen deutscher Seemacht zur Tir- pitz'schen Hochseeflotte, das Herauswachsen der operativen Gedankengänge aus dem engräumigen Seegebiet der Ostsee in den Nordseeraum und das Vorstoßen in die ozeanischen Räume der Vorkriegszeit, die Wiederholung dieser Entwicklung in der Nachkriegszeit — aber mit der Steigerung einer aus der Kriegserfahrung erwach- senden Erkenntnis von der Notwendigkeit einer umfassenden ozeanischen Kriegfüh- rung — sind die Grundlagen des sich aufdrängenden Vergleichs.« In diesem Zusam- menhang sei die offene Wende gegen England möglich geworden, weil Deutschland seit 1938 zu Japan, Italien und Spanien enge politische Beziehungen besitze, somit also seine strategische Isolierung relativiert habe. Die Wende sei aber auch notwendig geworden, weil sich in den »Krisen des Jahres 1938« gezeigt habe, daß London und 126 Paris einen geschlossenen »Machtblock« bildeten. Allerdings werde selbst eine deutsch-italienische Koalition diesem militärisch vorerst noch nicht gewachsen sein, denn im Seekrieg seien entscheidende Erfolge nur zu erwarten, wenn die Kriegsma- rine ungefähr die Stärke der Royal Navy erreicht habe. Das Kriegsspiel bestätigte so gesehen die seit 1919 programmatisch umgesetzte Erkenntnis des Ersten Weltkrieges. Die Marineführung hatte fortan die »Endlösung der englischen Frage« im Blick, durch die Deutschlands maritime Vorherrschaft, nicht etwa Gleichberechtigung, her- beigeführt werden sollte. In diesem Zusammenhang sprach Raeder anläßlich der deutsch-italienischen Marinebesprechungen im Juni 1939 von der nächsten Auseinan- dersetzung mit Großbritannien und Frankreich als einem »Krieg auf Leben oder Tod«, dem sich auch die USA und die UdSSR nach gewisser Zeit anschließen wür- den180. Als der Krieg dann gekommen war, erklärte ihn die Marineführung ganz in dem Sinne, in dem sie die Entstehung des Ersten Weltkrieges interpretiert hatte: Großbri- tannien habe ihn vom Zaun gebrochen, weil die Überzeugung von »seiner angebli- chen europäischen und weltpolitischen Sendung, seine Überheblichkeit und seine Tradition eine Partnerschaft mit Deutschland« ausschlossen181, wobei die Marinefüh- rung lediglich vom Zeitpunkt des Kriegsausbruchs überrascht wurde, nicht aber von der Entwicklung als solcher. Auf sie hatte man sich schließlich seit 1919 ideologisch eingestellt. Konsequenterweise wurde innerhalb dieser Führungselite die Vergangen- heit im Verständnis eines »äußeren und inneren Kampfes« gegen England erlebt, den »Deutschland und die deutsche Marine über 30 Jahre lang seit der Tirpitz-Zeit in ste- tig zunehmender Schärfe geführt« hätten182. Im Juli 1940, nach den Siegen im Osten, Norden und Westen, wurde innerhalb der Seekriegsleitung nicht ausgeschlossen, daß es zu einem Zwischenfrieden kommen werde, in dem London seine »große Seemacht zum Schutz seines Weltreiches« behal- ten würde183. Im Rahmen derartiger Überlegungen spielte bemerkenswerterweise u. a. die »Furcht« eine Rolle, daß Deutschland »noch nicht reif« sei, ein so »gewaltiges Erbe«, wie es das britische Empire darstelle, anzutreten. Um die in Frage stehenden Gebiete dem »Einfluß der weißen Rasse zu erhalten«, müsse zunächst noch ein »Kompromißfrieden« geschlossen werden184. Für diesen Fall war weiterhin von »einer immer bestehenden möglichen Gegnerschaft Englands« auszugehen. Und Deutsch- land werde als Folge davon »zwangsläufig und schicksalhaft... den Weg zu einer ozeanischen Seemacht ersten Ranges« gehen müssen, womit freilich nur eine sich über »Jahrhunderte erstreckende, vielerlei Irrtümern und Fehlern unterworfene Ent- wicklung der deutschen Seemacht zu einem endgültigen Abschluß« gelange185. Es gab aber auch Stimmen im Oberkommando der Kriegsmarine, die einem wesentlich radi- kaleren Verfahren das Wort redeten. Für sie war jeder Vergleich mit den Briten ganz einfach »unsinnig«. Der Friede müsse England vielmehr für alle Zeit die »Möglichkeit seines Vernichtungskampfes gegen Deutschland« nehmen. Erneut artikulierte sich in dieser Forderung die unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg formulierte Überzeu- gung der Marineführung, daß die deutsch-britische Rivalität auf eine kompromißlose Entscheidung dränge. Diese schien 1940 um so notwendiger zu werden, da sich auf Grund des Gegensatzes zwischen der »nationalsozialistischen Wirtschaftsauffassung« und der in Amerika existenten »demokratisch-liberalen Wirtschaftsform« der Kampf mit den Vereinigten Staaten um die »Weltherrschaft« abzeichnete. Angesichts der Tatsache, daß die USA Deutschlands »nächster Gegner« seien, müsse man »so schnell wie möglich die vollständige Niederwerfung Englands« erreichen, um eine Allianz zwischen Washington und London zu verhindern186. 1941 glaubte die Marineführung dann dieser »Vorbedingung für die Verwirklichung aller Pläne und Hoffnungen« ein entscheidendes Stück näher gekommen zu sein. Sie 127 ging nun davon aus, daß das Inselreich nach dem erwarteten umfassenden Sieg der Wehrmacht dem deutschen Machtblock nur noch in einem »vegetierenden Zustand« vorgelagert sein würde. Doch gemäß der seit der Tirpitz-Zeit nachweisbaren Logik des marinepolitischen Kalküls war selbst dann nicht von Befriedung und Stabilität auszugehen, denn wie im Juli 1940, so hieß es auch jetzt wieder, daß man nach der »Niederschlagung des englischen Weltreiches« die Konfrontation mit den Vereinig- ten Staaten — eventuell auch mit Japan — vorzubereiten habe. All das stellte keine Zä- sur im machtpolitischen Denken der Marineführung dar, weder 1940 noch 1941 läßt sich von einer Stunde Null sprechen. Die Marineführung aktualisierte lediglich, was in ihrem navalistischen Weltbild stets als eine realisierbare Vorstellung existierte: den Griff nach der Weltherrschaft1'7. In den nun einsetzenden Überlegungen über »Flot- tenstärke u. Schiffstypen« der an einer derartigen Zielsetzung zu messenden »Wehr- macht zur See« entwickelte die Marine einen Stufenplan. In allen Phasen sah dieser eine »starke Schlachtschiff-Flotte als Kern und Rückgrat der Seemacht..., mit einer ausreichenden Zahl von Flugzeugträgern... und Kreuzern« vor. Die künftige Flotte sollte auf jeden Fall bereits im Frieden auf alle denkbaren Gegner einschüchternd wir- ken. Im Kriege hatte sie in der Lage zu sein, ihre Aufgaben im »offensiven Sinne« zu lösen. Eine »Vernichtung gegnerischer Streitkräfte in offener Seeschlacht« zählte dazu ebenso wie das »Erringen der Seeherrschaft für gewisse Zeit in bestimmten Ge- bieten«, wobei man grundsätzlich davon ausging, daß der Kampf an die gegnerischen Stützpunkte herangetragen werden müsse m. Was die Marineführung demgemäß an- visierte, war eine Flotte für die Auseinandersetzung mit dem Rest der Welt. Als ei- gentliches »Fernziel« schwebten ihr dabei bis zu 80 Großkampfschiffe, 20 Flugzeug- träger, 225 Kreuzer, 500 U-Boote und rund 1250 andere Kriegsschiffe vor. Da aber derartige Vorstellungen in absehbarer Zeit nicht zu verwirklichen waren, forderte man als »vorläufiges Endziel«. 50 Großkampfschiffe, 12 Flugzeugträger, 105 Kreuzer, 500 U-Boote und etwa 1100 weitere Kampfeinheiten. Freilich überstieg auch dieses Programm vorerst noch die deutschen Möglichkeiten. In seinem Rahmen wurde des- halb 1941 lediglich eine »Erstforderung« ins Auge gefaßt, gemäß der in 12 bis 15 Jah- ren eine Flotte gebaut werden sollte, die 25 Großkampfschiffe, 8 Flugzeugträger, 50 Kreuzer, 400 U-Boote und mindestens 765 sonstige Kriegsschiffe zählte189. Im Ver- gleich zum sogenannten Z-Plan war das eine gewaltige Steigerung. Dieser hatte 1939 eine in rund 10 Jahren zu bauende Flotte vorgesehen, die sich folgendermaßen zu- sammensetzte: 10 Großkampfschiffe, 15 Panzerschiffe, 4 Flugzeugträger, 5 Schwere Kreuzer, 22 Leichte Kreuzer, 22 Spähkreuzer, 249 U-Boote und mindestens 470 wei- tere Kampfeinheiten190. Noch im Winter des Jahres, in dem die Marineführung ihrem seit mehr als vier Jahr- zehnten verfolgten Ziel so nahe gekommen zu sein schien, scheiterte die deutsche Strategie vor Moskau. Der Siegeszug der Wehrmacht war zwar damit noch nicht ab- solut beendet, aber die Kriegführung des Dritten Reiches zeigte sich außerstande, in der Folgezeit die strategische Entscheidung herbeizuführen191. Auch in der Marine- führung hatte sich einige Zeit später die Überzeugung verbreitet, daß Flottenbaupla- nungen für die Nachkriegszeit nicht mehr im »Mittelpunkt der gegenwärtigen Aufga- ben« standen192. Im Sommer 1943 entstand im Oberkommando der Kriegsmarine zwar der »Flottenneubauplan 1943«, aber er war ausschließlich an den Erfordernissen und Bedingungen der Kriegslage orientiert. Wenn man theoretisch voraussetzt, daß keine Verluste eingetreten wären, so würde bis 1948 folgende Flotte entstanden sein: 2400 U-Boote, 40 Zerstörer, 60 Torpedo- boote, 424 Schnellboote, 500 Minensuchboote, 480 Räumboote und 5230 andere Kriegsfahrzeuge. In keiner Weise stellte diese von allen bisherigen Vorstellungen ab- weichende Zusammensetzung der Seestreitkräfte jedoch den »Abschluß einer säkula- ren Diskussion zwischen den Vertretern einer >Hochsee-< bzw. >Schlachtflotte< und den Befürwortern einer >Kreuzer-< bzw. >U-Bootflotte<« dar193, denn auch wenn die- ses Thema 1943 nicht gerade aktuell war, so blieb es doch weiterhin in der Diskus- sion. Noch im Juli 1943 lagen neue »Überlegungen zum Bau einer deutschen Hochsee- flotte nach dem Kriege« vor, die, einer privaten Initiative des Kapitäns zur See (Ing.) Heimberg entstammend, im Flottenkommando und in der Seekriegsleitung Interesse erregten und aufmerksam kommentiert wurden194. Sie galten als »wertvolle Unterlage für die Durchdenkung des Problems an sich«, und es herrschte offensichtlich die Auf- fassung, daß die Frage einer Hochseeflotte in der Nachkriegszeit erneut in den Mit- telpunkt der deutschen Planungen treten würde195. Auch darin zeigt sich, daß es 1943 keine Neuorientierung in der Flottenideologie gab, sondern lediglich eine Konzentra- tion auf die Gegenwartsbedürfnisse. Die Gründe dafür sind ebenso leicht einsehbar wie die Tatsache, daß das »Flottenprogramm 1943« nicht einmal ansatzweise den Be- dürfnissen einer Weltmacht mit Kolonialbesitz gerecht zu werden vermochte. Den Anspruch auf sie hatte man in der Marineführung keineswegs aufgegeben. Und be- zeichnenderweise richtete sich die Kritik an der Ausarbeitung Heimbergs fast aus- schließlich gegen dessen technische und flottenkompositorische Vorschläge, nicht aber gegen seine machtpolitischen Vorstellungen196. Diesbezüglich ging er nämlich, ganz im Sinne der Denkschriften aus den Jahren 1940/41, weiterhin davon aus, daß es zur »Auseinandersetzung zwischen den Kontinenten« kommen werde, auf die sich die Marine nach dem Sieg im gegenwärtigen Krieg einzustellen habe. In ihr werde es allerdings nicht möglich sein, Amerika mit U-Booten »entscheidend zu treffen«, wes- halb Deutschland letztlich eine »starke Hochseeflotte« benötige. In der Tat hielt man innerhalb der Marineführung bis zum Zusammenbruch des Drit- ten Reiches an der traditionellen Seemachtideologie fest. Mitten im Inferno der Jahre 1944/45 dokumentierte sich dies erneut in einer Untersuchung des Generaladmirals Saalwächter über die Frage: »Welche Stützpunkte braucht Großdeutschland für seine Seekriegführung?« Gemeint war damit natürlich die Nachkriegszeit. Saalwächter ver- zichtete auf jede Auseinandersetzung mit technischen Einzelheiten, die Heimbergs Studie über weite Strecken beherrschten. Dennoch machen es seine Ausführungen, die alles in allem dem seestrategischen Denkansatz Wegeners folgten, leicht, sich die Flotte vorzustellen, die der von ihm entworfenen deutschen Machtposition entspre- chen sollte. Der Generaladmiral hatte bei seinen Auslassungen offensichtlich das dem eigentlichen »Fernziel« von 1941 entsprechende Flottenvolumen im Blick. Insgesamt stellt seine Ausarbeitung ein beeindruckendes Dokument für die Kontinuität mariti- men Weltmachtstrebens von der Tirpitz-Zeit bis zum Ende des Dritten Reiches dar. In ihr wurde noch einmal eine Bestandsaufnahme all dessen vorgelegt, was die Mari- neführung an Zielsetzungen im Hinblick auf den »Griff nach der Weltmacht« entwik- kelt hatte, die Weltvorherrschaft eingeschlossen. Einmal mehr manifestierte sich in Saalwächters Gedankenführung die herkömmliche Überzeugung in dieser Führungs- elite, daß eine überlegene Idee und die Macht des Willens im Grunde unbesiegbar seien. Augenscheinlich sollte diese Einstellung auch jetzt wieder über die deprimie- rende Wirklichkeit hinweghelfen. Weltmachtanspruch und den Glauben an den deut- schen Endsieg, beides bewahrte man sich. Saalwächter variierte einzig die materiellen Vorstellungen zur deutschen Hegemonie in Europa und zum überseeischen Besitz von »Großdeutschland«. Dies geschah sowohl im Sinne eines Mehr als auch eines Weniger, wenn man seine Studie mit den entsprechenden Untersuchungen der Mari- neführung seit dem Ersten Weltkrieg vergleicht. Darüber hinaus jedoch macht dieses Dokument eines Kontinuums maritimer imperialistischer Sehnsüchte deutlich, in wel- chem Maße die Marineführung zu einer nachgerade verblüffenden machtpolitischen 129 Interessengemeinschaft mit dem nationalsozialistischen Regime gelangte, und wie un- problematisch sie zum Erfüllungsgehilfen Hitlers im Kontext seiner megalomanen Zielsetzungen wurde197. Die bisher zitierten und die nachstehend zusammengestellten Quellen sind den ver- schiedensten Bereichen der Marine entnommen. Mit dieser bewußt heterogenen Aus- wahl soll dem eventuellen Vorwurf der Eindimensionalität in der Beweisführung be- gegnet werden, der bei Konzentration auf eine bestimmte Quellengruppe aus einem einzigen Bereich erhoben werden könnte. Absichtlich ist darauf verzichtet worden, den ständigen Bezug zwischen den Vorstellungen der Marineführung und denjenigen anderer Führungseliten herzustellen, da dies den Rahmen dieser Dokumentation ge- sprengt hätte. Außerdem ist mit dem einleitend gegebenen Hinweis auf einen idealty- pischen Ansatz angedeutet, daß es nach Meinung des Verfassers zwischen Militär, Wirtschaft und Diplomatie, um nur die wichtigsten Gruppierungen zu nennen, eine weitgehende Interessenidentität gab. Gleiches gilt natürlich für die Entwicklung des militärischen Revisionismus, dem man nicht nur in der Marine, sondern auch im Heer anhing. Das Problem der Einflußnahme Hitlers auf die maritime Planung konnte aus- gespart werden, weil es vor einiger Zeit von Dülffer und jüngst von Deist — in »Ursa- chen und Voraussetzungen der deutschen Kriegspolitik« — kenntnisreich und er- schöpfend untersucht worden ist. Insgesamt verteilen sich die herangezogenen Dokumente auf einen Zeitraum, der von 1897 bis 1945 reicht. Sie sind somit zwischen den beiden wichtigsten Zäsuren deut- scher Marinegeschichte angesiedelt: dem Beginn des antibritisch ausgerichteten Großflottenbaus unter Wilhelm II. und dem Zusammenbruch des Dritten Reiches. Die im Anhang abgedruckten Quellen wurden bisher noch nicht veröffentlicht, ledig- lich Auszüge aus ihnen liegen zum Teil vor. Zusammen mit den in der Einleitung zi- tierten Quellen, die zum einen den historischen Hintergrund für eine Einordnung der publizierten Dokumente liefern und zum anderen zur Verifizierung der Weltmacht- these dienen, machen sie deutlich, daß der Schlüssel für den Nachweis der Kontinui- tät in den machtpolitischen Zielsetzungen der Marineführung in der Analyse ihrer Seemachtideologie liegt. Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei darauf aufmerksam gemacht, daß es keineswegs das Anliegen der Dokumentation ist, eine vorgefaßte Meinung unter Außerachtlassung ihr entgegenstehender Zeugnisse zu belegen. Ein solcher Vorwurf wird ja gerne erhoben, wenn liebgewordene Klischees in Frage ge- stellt werden. Allein, der Vergleich zahlreicher Unterlagen aus den verschiedensten Bereichen deutscher Marinegeschichte von 1897 bis 1945 liefert keinerlei Hinweis darauf, daß die Marineführung zu irgendeiner Zeit definitiv darauf verzichtete, das Weltmachtstreben im Verständnis einer Zielsetzung der deutschen Politik zu propa- gieren und sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten für seine Realisierung vorzubereiten. Sie hat — navalistisch argumentierend — auch nach 1918 an der Forderung, Deutsch- land zur ozeanischen Weltmacht zu erheben, festgehalten, wobei ihr bewußt war, daß dies zur Konfrontation mit Großbritannien führen würde, aus ihrer Sicht sogar mußte. Aus dieser dogmatisch vertretenen Überzeugung von einer schicksalhaften deutsch-britischen Rivalität resultierte konsequenterweise die langfristig ins Auge ge- faßte Absicht, die deutschen Seestreitkräfte auch nach 1918 wieder als das zu konzi- pieren, was sie seit der Tirpitz-Zeit waren: eine Flotte gegen England. Darüber sollte man sich nicht hinwegtäuschen lassen, nur weil im marinepolitischen Kalkül ein — verständlicherweise — evolutionärer Entwicklungsprozeß vorgesehen war, der zu- nächst sogar die pragmatische Anlehnung an Großbritannien bedingte. In Wahrheit war diese zeitlich limitiert, was kein anderer als Raeder 1934 erkennbar machte, und diente nur dazu, die »Endlösung der englischen Frage« — wie es 1939 hieß — mög- lichst gefahrlos und unauffällig vorzubereiten. Dabei zeigte sich allerdings, daß Groß- britannien — aufgrund seiner geostrategischen Lage und seiner Seemacht — nur der erste Gegner Deutschlands im Kampf um den Aufstieg zur ozeanischen Weltmacht war, nicht etwa der letzte. Denn als Ergebnis der spezifischen Axiomatik, mit der für die Marineführung Feindkonstellationen entstanden, konnte deren militaristische Ambition — das wurde spätestens 1940/41 klar — nur in der Weltvorherrschaft zur Ruhe gelangen. 1. Auszug aus der Denkschrift der Friedenskommission des Reichs-Marine-Amts aus dem Jahre 1919 über »Entstehung und Ausbau der Deutschen Wehrmacht zur See«. BA-MA RM 6/233m

Die Frage: »Welche der am Weltkriege beteiligten Großmächte hat den Ausbruch des Krieges heraufbeschworen?« ist schon bald nach Kriegsbeginn aufgeworfen worden. — Hierzu wird von Seiten der Entente gegen uns der alte englische Vorwurf erhoben, daß Deutschland insofern der Hauptschuldige am Ausbruch des Krieges gewesen sei, als es im Ausbau seiner Flotte nicht Maß zu halten wußte, und weil es damit den anderen Groß- mächten Anlaß gegeben habe zu einem »Wettrüsten zur See«. Das Unhaltbare dieser An- schuldigung soll in nachstehendem nachgewiesen werden199. Bevor hier auf die Entwicklung der gesamten deutschen maritimen Politik und ihre Konse- quenz, den Flottenbau, eingegangen wird, muß etwas Grundsätzliches vorausgeschickt werden. — Jedes Volk hat das Recht und die Pflicht, diejenigen Güter, auf die sich seine Existenz und sein Leben aufbauen, mit denjenigen Machtmitteln gegen alle Eventualitäten zu schützen, die es für diesen Zweck für erforderlich hält. Solange ein »Völkerbund« nicht bestand oder besteht200, solange jeder Staat in diesem Sinne auf sich selbst angewiesen war, war die Beschaffung militärischer oder maritimer Machtmittel der von allen Völkern gegangene Weg, um das Ziel, Schutz seiner Lebensinteressen, zu erreichen. Für das engli- sche Weltreich ist die englische Riesenflotte ausgesprochenermaßen noch heute die Vor- aussetzung für seinen Bestand und sein Zusammenhalten. England hat auch erklärt, nie- mals auf dieses Machtmittel verzichten zu wollen201. Die wirtschaftliche Struktur des Deutschen Reiches hatte sich im Laufe des 19. Jahrhun- derts völlig umgestaltet, im besonderen waren nach dem siegreichen Kriege von 1870/71 große Veränderungen darin vor sich gegangen. Von einem überwiegenden Agrarland war Deutschland mehr und mehr zu einem auf den überseeischen Warenaustausch angewiese- nen, exportierenden und importierenden, Staat geworden, dessen stark anwachsende in- dustrielle Bevölkerung ohne den überseeischen Handelsverkehr weder in Ruhe leben, noch soziale Fortschritte machen konnte. Umfang und Intensität des Außenhandels stei- gerten sich schließlich noch mehr gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit dem wachsenden Bedürfnis, die neu erworbenen Kolonien dem Wirtschaftsgefüge der Heimat einzuglie- dern202, und mit dem Bestreben, ihre Produktion und Konsumtion auf die Leistungsmög- lichkeiten der Heimat abzustimmen203. Bei Beginn der Flottengesetzgebung im Jahre 1898 betrug der Wert des gesamten deut- schen Außenhandels bereits annähernd 10 Milliarden Mark jährlich, er stieg bis zum Be- ginn des Krieges auf nahezu 20 Milliarden Mark und blieb damit nicht wesentlich hinter dem englischen zurück. Von Jahr zu Jahr wäre jede Störung dieser wirtschaftlichen Bezie- hungen für Deutschland katastrophaler geworden. Es ist das Verdienst weniger deutscher Männer, diese Dinge und ihre Zukunftsmöglichkeiten schon in den 90er Jahren richtig er- kannt zu haben. Diese Erkenntnis auszusprechen, war ihre Pflicht. Einmal bekanntgege- ben, wurden sie zum Allgemeingut des deutschen Volkes; die Berechtigung eines deut- schen Flottenbaues wurde für jeden Denkenden in Deutschland auf Grund der statisti- schen Zahlen ein zwingendes Argument für seine Notwendigkeit. Jeder Kaufmann, jeder Besitzende sichert seinen Besitz, seine Lebensnotwendigkeiten durch eine Versicherungsprämie. Das Deutsche Reich tat nur dasselbe, als es sich zum Schutz seiner Seeinteressen eine deutsche Flotte schuf. Die aufgewendeten Mittel für die- sen Zweck überschreiten nicht den Betrag, den prozentualer jeder Privatmann für seine Feuerversicherung aufzuwenden pflegt. Niemals haben die deutschen Flottenbaupläne eine aggressive Tendenz gehabt: Erhaltung des Erreichten, Sicherung der Zukunftsmög- lichkeiten und Notwendigkeiten waren ihr ausschließlicher Zweck. Jede amtliche Denk- schrift und jede Verlautbarung im Reichstage durch die Regierungsvertreter erhärten dies, ebenso wie das tatsächliche Vorgehen im gesetzmäßigen Ausbau und im Ausmaß der Rü- stungen. Was das deutsche Volk wollte und anstrebte, lag klar vor der Welt, niemals ist es über seine öffentlich bekanntgegebenen Absichten hinausgegangen. Wären die Gründe für einen Flottenausbau nicht so überzeugend klar gewesen, so würde es unmöglich sein, den 132 Gedanken selbst im Volke populär zu machen204. Daß er populär wurde, daß nahezu alle Parteien in Deutschland sich dem Gewicht der wirtschaftlichen und politischen Argumente nicht mehr verschließen konnten, beweist seine Berechtigung besser als alles andere. Die äußerst unglückliche Lage Deutschlands in der Mitte Europas, die historisch feststehende Tatsache, daß es in jedem Kriege der Tummelplatz der Heere und der Kriegführenden ge- wesen ist, nötigt Deutschland, seine nach beiden Seiten hin geographisch ungeschützten Grenzen durch eine starke Armee zu sichern. Ohne wirklich zureichenden Zwang würden der deutsche Reichstag und das deutsche Volk es abgelehnt haben, die schon großen Rü- stungsausgaben noch durch weitere Aufwendung für einen Flottenbau zu vermehren. Um seinen Platz in der Welt zu halten, um seinen Handel und seine Wirtschaft zu sichern, mußte Deutschland »Seemacht« werden. Das deutsche Volk erkannte das und handelte danach205. Die Abgelegenheit Deutschlands von den Weltmeeren, auf die es angewiesen war, die Art seiner Küstenbildung zwangen Deutschland bei der Entwicklung seiner Seemacht ganz be- stimmte organisatorische Grundlagen auf. Der Flottenausbau hat dieses berücksichtigt. Schon daraus geht hervor, daß er sich nicht ausdrücklich gegen eine bestimmte Macht — wie unterstellt wird: England — gewandt hat, er sollte vielmehr alle Eventualitäten eines gegnerischen Angriffs decken, oder richtiger: diesem überhaupt vorbeugen. Selbstver- ständlich war darin eingeschlossen auch die Möglichkeit eines wirtschaftlichen oder politi- schen Konflikts mit der stärksten Seemacht206. Im Vordergrunde der technischen Erwägun- gen aber stand bei Beginn der deutschen Seerüstung vielmehr der damals die europäische Politik beherrschende Gegensatz zum Zweibunde. Der deutsch-englische Gegensatz ist durch die englische Politik seit 1904 überhaupt erst geschaffen worden207. Die Geschichte lehrt, daß gerade das wirtschaftliche Aufblühen eines Staates jedesmal Englands Habgier gereizt und »Abwehrmaßnahmen« in Form einer offensiven Politik gezeitigt hat. Die Schicksale von Spanien, Holland, Frankreich sind sprechende Beispiele! Jeden Versuch ir- gendeiner Macht, ihre Seegeltung in Einklang zu bringen mit ihrem wirtschaftlichen An- wachsen, hat England immer noch als eine Beeinträchtigung seiner Interessen empfunden. Dazu kommt als bedeutsames Moment, daß die englische Politik nicht nur die Entstehung der deutschen Flotte, als Kraftexponenten des deutschen Wirtschaftslebens, als hinderlich für sich selbst und als feindlich ansah, sondern daß sie, den Dingen auf den Grund ge- hend, das Aufblühen der deutschen Handelskonkurrenz als das wirklich lästige und stö- rende empfand208. Das beweist unter anderem der berühmt gewordene Artikel in der »Sa- turday Review« mit dem Schluß: »Germaniam esse delendam«, geschrieben im Jahre 1897, zu einer Zeit also, als in Deutschland das Mißverhältnis zwischen der Bedeutung des Überseehandels und der Wehrmacht zur See seinen Höhepunkt erreicht hatte, als es eine deutsche Flotte im nachmaligen Sinne des Wortes noch gar nicht gab209. In dem deutschen Flottenausbau beanstandete und bekämpfte England nicht eigentlich die militärische Be- drohung seiner Seemachtstellung, sondern vielmehr die immer drückender empfundene deutsche Konkurrenz auf dem Weltmarkte, die zugleich als die ungern konstatierte Be- rechtigung für die Bestrebungen Deutschlands, sich einen Schutz und ein Sicherungsmittel zu schaffen, anerkannt werden mußte210. Bei der überwiegenden Überlegenheit der engli- schen Seemacht an allen Bestandteilen, aus denen sich dieser Begriff zusammensetzt — schwimmende Machtmittel, Flottenstützpunkte in allen Weltteilen, Kabel —, hat die engli- sche Politik und haben die englischen Admirale die entstehende deutsche Flotte niemals als eine wirkliche Gefahr eingeschätzt. Die Tatsache, daß Deutschland als wirtschaftlicher Konkur- rent anerkannt wurde, daß es sich hierbei um eine ständig fortschreitende, nicht aufzuhal- tende Entwicklung handelte, und daß Deutschland fest entschlossen war, hieraus seine Konsequenzen zu ziehen, hat die Spannung zwischen England und Deutschland entstehen lassen und fortdauernd verschärft; man beanstandete die deutschen Rüstungen zur See und meinte dabei innerlich das rapide Anwachsen der überseeischen Interessen Deutsch- lands. Natürlich besteht zwischen diesen beiden Faktoren der Seemacht eine innere Wechselwir- kung. Aber die »Seeinteressen« sind das Primäre und Ursprüngliche, der Flottenausbau nur die Konsequenz und das Sekundäre. Da es für England keine mit den Mitteln friedli- cher Politik vertretbare Möglichkeit gab, das wirtschaftliche Erstarken Deutschlands zu verhindern, mußten sich — in Vorbereitung eines gewaltsamen, vielleicht kriegerischen Vorgehens — alle seine Bestrebungen gegen die maritime Sicherung des Außenhandels, den Flottenausbau, wenden. Hätte Deutschland auf seine Rolle als wirtschaftlicher Kon- kurrent Englands verzichtet, wäre es in der Lage gewesen, auch nur in Aussicht zu stellen, daß für die Zukunft seine Konkurrenz nicht weiter anwachsen würde, so hätte England dem deutschen Flottenausbau wahrscheinlich wenig Hindernisse in den Weg gelegt211. Der Kriegsverlauf hat diese Auffassung von Anfang an als richtig erwiesen. Die Bestrebun- gen Englands gingen vom ersten Tage des Krieges an dahin, die Voraussetzung für die deutsche Seemacht, die überseeische Konkurrenzposition Deutschlands, zu zerschlagen. Das ist England gelungen. Die deutsche Seemacht, ausgedrückt in der Schlachtflotte, ist niemals das ernsthafte Objekt eines englischen Angriffs gewesen, sie ist schließlich als Frucht der Revolution, die letzten Endes in ihrer technischen Auswirkung ein Ergebnis der englischen Staatskunst ist, unbesiegt in die Hände Englands gefallen. Die Rolle, die die deutsche Flotte im Kriege gespielt hat, beweist schlagend, daß sie nie zu einem Instrument des Angriffs gegen England gedacht und gebaut war, sie hat ihre Aufgabe, auch der stärk- sten Seemacht gegenüber abschreckend und friedenserhaltend zu wirken, nicht erfüllen können, weil die deutsche Staats-Politik nicht mit den ihren Rüstungen zu Grunde liegen- den Anschauungen in Übereinstimmung gebracht wurde212. Der Kriegsausgang spricht aber in keiner Weise gegen die Notwendigkeit und Berechti- gung einer deutschen Flotte in der Stärke, wie sie im Jahre 1914 bestand. Man muß im Ge- genteil argumentieren, daß die deutsche Seemacht zum Schutze der ungeheuren wirt- schaftlichen Interessen, wie sie im Kriege auf dem Spiel standen, zu klein war. Gegen eine Koalition, wie sie als Resultat der deutschen auswärtigen Politik gegen uns entstanden war, wäre auch eine viel stärkere Flotte, als Deutschland sie im Jahre 1914 besaß, nicht ausreichend gewesen. Unter der Voraussetzung, daß in Deutschland die auswärtige Poli- tik und die Rüstungs-Politik gegeneinander abgestimmt gewesen wären, würde die deut- sche Flotte, »niemand zuliebe und niemand zuleide«, die ihr zugedachten Aufgaben ohne Zweifel erfüllt haben213. Daneben muß aber noch erwiesen werden, daß Deutschland kei- neswegs der Schrittmacher auf dem Gebiete der maritimen Rüstung gewesen ist. Es muß betont werden, daß es das Milliardenwerte exportierende und importierende Deutschland sträflicherweise unterlassen hatte, sich rechtzeitig eine mit seinen Seeinteressen anwach- sende Seerüstung zu schaffen und daß es bei Beginn des Flottenbaues Versäumtes nachzu- holen hatte, was schon seit Jahrzehnten hätte eingeleitet und begonnen werden müssen. Wäre dies geschehen, so würde die Kurve unserer berechtigten Wehrhaftigkeit zur See langsam und allmählich, den wachsenden Seeinteressen entsprechend, angestiegen sein, und viele Argumente der englischen Agitation würden ohne weiteres entfallen. Unsere frü- here Unterlassung rächt sich also in dem Sinne, daß Deutschland scheinbar 1898 und 1900 etwas unternahm, was dem mißgünstigen Nachbarn ungewöhnlich und aggressiv erschei- nen konnte, in der Tat war aber dazu keine Berechtigung vorhanden; nur Selbstverständli- ches geschah und Unterlassenes wurde nachgeholt. Nachdem nun einmal der erste Schritt getan war, nachdem erst einmal ein Grund gelegt war, nachdem wir bedeutet hatten, fort- ab nicht mehr von der Erlaubnis anderer abhängig sein zu wollen, wenn wir auch unsere deutschen Hände im freien Meere waschen wollten, war England diejenige Stelle, die fort und fort auf eine Steigerung der maritimen Rüstung der ganzen Welt hingedrängt hat. Deutschland folgte nur gezwungen auf dem einmal betretenen Wege, allerdings mit dem festen Vorsatz, das einmal gesteckte Ziel festzuhalten und schließlich zu erreichen. Um dies näher zu erläutern, ist ein marine-politischer Rückblick auf die letzten drei Jahr- zehnte notwendig, wie er in der folgenden Denkschrift niedergelegt ist214.

134 2. Memorandum des Reichs-Marine-Amts betr. Richtlinien für die künftigen Friedensver- handlungen vom 21. März 1919. BA-MA PG 60546

Abschrift!

Die Reichsregierung wird gebeten, vor Eintritt in die Vorfriedens- und Friedensverhand- lungen Beschluß zu fassen über die den deutschen Delegierten aufzugebende Haltung, falls seitens unserer Gegner die Forderung gestellt wird, daß das Deutsche Reich vorüber- gehend oder auf Dauer Verzicht leisten soll auf das Halten einer Kriegsmarine215. 1.) Das Halten einer seinen Bedürfnissen entsprechenden Wehrmacht zu Lande und zu Wasser ist das souveräne Recht eines Staates. Bindungen hinsichtlich der Seemacht sind (wenn auch noch nie praktisch erreicht) wohl denkbar und möglich, jedoch nur in Form der Gegenseitigkeit. Einseitige Bindung in diesem vornehmsten Ausdruck der Souveränität eines Volkes ist gleichbedeutend mit Unterwerfung. Darüber hinaus ist als besonders wesentlich für die praktischen Folgen dieser Frage festzu- halten, daß bis jetzt weder unsere Gegner, noch einer der neutralen Staaten daran denken, auf eine Seemacht zu verzichten. England und vor allen die Vereinigten Staaten von Nordamerika haben eine außerordentliche Stärkung ihrer Flottenrüstung in die Wege ge- leitet; Frankreich und Italien streben eine beträchtliche Vermehrung auf unsere Kosten an216; Japan, Holland, Schweden u.a. vermehren und vervollkommnen ihren Schiffsbe- stand. Alle diese Staaten üben damit nur ihr wohlverstandenes und allgemein anerkanntes Souveränitätsrecht aus. Auf der Basis der Gemeinschaft und Gleichberechtigung muß das Deutsche Reich mit Ab- schluß des Friedensvertrages das Recht für sich in Anspruch nehmen, frei und nach eige- nem Ermessen die Bedürfnisse seiner Wehrmacht zu bestimmen. Eine zeitweilige Bindung und Schwächung der Wehrmacht, wie wir sie im Waffenstill- stand haben zugestehen müssen217, ist bis zu dessen Ablauf mit dem Souveränitätsrecht vereinbar; ein erzwungener und einseitiger Verzicht auf die Wehrmacht über den Frie- densschluß hinaus ist jedoch gleichbedeutend mit Aufgabe des Souveränitätsrechts und da- her eine dauernde Entehrung des Staates. 2.) Einem Lande von der Größe, der wirtschaftlichen Bedeutung und der Entwicklungsfä- higkeit Deutschlands die Verteidigungsmöglichkeit zur See auf die Dauer zu unterbinden, ist ein Unding. Über kurz oder lang wird eine den wirtschaftlichen Verhältnissen und son- stigen Entwicklungsmöglichkeiten entsprechende Wehrmacht zur See doch wieder entste- hen218. Da wäre es nicht nur unökonomisch, sondern ein nie wieder gut zu machender Verlust, die Marine jetzt abzuschaffen und damit alle in ihr ruhenden militärischen, see- männischen, technischen Erfahrungen und Werte (die nicht nur materieller, sondern mehr noch personeller Art sind) preiszugeben, weil sie zu einem späteren Wiederaufbau, selbst im kleinsten Rahmen unentbehrlich sind. Ferner ist von besonderer Wichtigkeit der Umstand (siehe die Sorgen und Kalamitäten beim Grenzschutz Ost) 219, daß bei der ungeklärten Lage in Europa Deutschland sehr bald in die Lage kommen kann, seine Hoheitsgewässer in der Ostsee verteidigen zu müssen. Auch aus diesen Gründen ist die Beibehaltung einer wenn auch kleinen Kriegsmarine er- forderlich, wie sie von der Reichsregierung in dem von ihr gebilligten »Entwurf eines Ge- setzes über die Bildung einer vorläufigen Reichsmarine«220 vorgesehen wird. 3.) Das Verlangen unserer siegreichen Gegner nach gewissen militärischen Garantien hin- sichtlich ihrer künftigen politischen Sicherheit ist nach Lage der Dinge aus der Friedens- Diskussion nicht auszuschalten. In dieser Hinsicht bietet ihnen aber — mehr wie alle Ver- träge es tun können — eine Sicherheit: die aus unserer Niederlage resultierende wirtschaft- liche Ohnmacht. Sie wird uns auf Jahrzehnte hinaus zwingen, unsere Rüstungen zur See im allerengsten Rahmen zu halten, d. h. uns nur das Halten einer Kriegsmarine ermögli- chen, die nur engsten Verteidigungszwecken dienen kann. 4.) Auf den unlösbaren Zusammenhang zwischen Kolonialbesitz und Kriegsmarine wird nur allgemein hingewiesen. 5.) Die Reichsregierung wolle daher als Leitsatz für die deutschen Delegierten bei den Vorfriedens- und Friedensverhandlungen bezüglich der Wehrmacht zur See bindend fest- setzen: »Eine Forderung der alliierten und assoziierten Staaten, daß das Deutsche Reich einseitig vorübergehend oder auf Dauer auf das Halten einer Wehrmacht zur See Verzicht leisten soll, ist abzulehnen.«

Reichs-Marine-Amt gez. Rogge221

3. Niederschrift über eine Besprechung beim Chef der Marineleitung am 22. Juli 1926222. BA-MA Fasz. 7897

Uber die Richtlinien und Ziele der deutschen Marinepolitik223 Vortrag von A II224 Die Politik läßt sich für A II militärisch am besten vom Standpunkt der einzelnen Länder aus betrachtet erklären. Die größte Weltgefahr sind die Chinesen. Diese Gefahr kommt aber frühestens in 50 Jah- ren zum Ausbruch, wenn China, national geeint, in einer neuen Völkerwanderung expan- diert. Japan ist für die deutsche Marine von sekundärem Interesse, da es weit ab liegt und keine Kollisionspunkte mit Deutschland hat. In Wirtschaftsfragen ist Japan gegenüber größte Vorsicht geboten, da Japan nur eigene Interessen kennt. Das nächste Land ist Rußland. Wer mit A II der Ansicht ist, daß der Bolschewismus in Rußland nicht oder nur langsam verflacht, daß also der Bolschewismus der größte Feind der Kultur des Abendlandes ist, der muß in Rußland den augenblicklich größten Feind Deutschlands sehen. Polen ist nach einem in Deutschland allgemeinen Empfinden einer unserer Hauptfeinde. Man kann sich jedoch ein Polen denken, das uns aus wirtschaftlichen Gründen unsere Grenzen von 1914 wiedergibt und sich selbst auf Kosten von Rußland, Litauen, Kurland usw. gesund macht. Ein derartiges Polen würde einen Fender zwischen Deutschland (Abendland) nicht nur gegen den Bolschewismus, sondern auch gegen die slawische Welle bedeuten und unsere Unterstützung verdienen. Ob das jetzige Polen hierzu imstande oder auch nur gewillt ist, ist sehr fraglich. Ein Polen, das nicht nur nicht gewillt ist, die jetzigen unhaltbaren Grenzen zu revidieren, sondern sogar auf Danzig marschiert, ist Deutsch- lands Feind. Tschechien [!] wird voraussichtlich an sich selbst, an seinen Minoritäten, den Deutschen und Slowaken, zu Bruch gehen. Dänemark ist für die deutsche Marine von überragender Wichtigkeit als das Territorial- land der Zugänge zur Ostsee. Italien kämpft um die Vormachtstellung im Mittelmeer. Mussolini ist als Diktator und aus- gesprochener Zerstörer der italienischen Sozialdemokratie und der jüdischen Freimaurerei der Feind der deutschen Demokraten, er ist evtl. aber der Mann, auch mit Frankreich die Vormachtstellung im Mittelmeer auszukämpfen. Frankreich, unbelehrbar chauvinistisch gegen Deutschland, ist an und für sich, national- ökonomisch betrachtet, mit seiner Unterbevölkerung und seinen agrarisch günstigen Be- dingungen eigentlich der gegebene Bundesgenosse Deutschlands. Aber Frankreich ist vor- läufig eben unbelehrbar in seiner ausgesprochen deutschfeindlichen Einstellung, die es auch auf die Tschechen, Polen, Dänen und Belgier erfolgreich überträgt. England ist der augenblickliche Führer der Kultur des Abendlandes. Zerbricht England am Kommunismus oder zerbricht England durch Abfall seiner Kolonien, so ist die Gefahr der Bolschewisierung Europas brennend in die Nähe gerückt. England hat die Gefahr des Bol- schewismus erkannt, demnach sind die Freunde der Bolschewiken Englands Feinde. Die U. S.A. sind zu weit ab und zu wenig an Einzelheiten in Europa interessiert. 136 A II vorschlägt infolgedessen: 1) Abwägend, zielbewußt und taktvoll Anschluß an England zu suchen, im gemeinsamen Kampf gegen den Bolschewismus. 2) Ähnliche Anlehnung an Italien als Gegengewicht gegen Frankreich (wegen des inneren Widerstandes eines Teiles von Deutschland gegen die Maßnahmen Mussolinis, aber ge- heim und vorsichtig!). 3) Offen freundlich mit Spanien. 4) Streng korrekt und nicht provozierend gegen Polen. 5) Warm korrekt zu Dänemark. 6) Mit den Russen nur spielen; sie freundlich betrügen, ohne daß sie es merken. Den Ver- kehr zu Rußland nur betrachten einmal als Druckmittel gegen England, andererseits um uns nicht die bolschewistische Agitation noch mehr auf den Hals zu laden.

Hierzu nimmt der Chef der M.L. [Marineleitung] folgendermaßen Stellung: Der Chef be- tont den Einfluß der Wirtschaft auf die Politik. Nachdem durch den Krieg weite Absatz- gebiete der deutschen Wirtschaft verschlossen sind, muß Deutschland Absatz suchen nach Rußland. Die finanzielle starke Zusammenarbeit mit den U.S.A. zwingt auch zu einer ak- tiven Politik mit den Staaten. Trotzdem ist der Chef mit A II der Ansicht, daß für die Ma- rine in ihrer augenblicklichen Lage eine Zusammenarbeit mit England225 das Gegebene, und eine militärische Zusammenarbeit mit Rußland nur mit großer Vorsicht aufzunehmen ist. Polen geht seinem Zerfall entgegen. Die 4. Teilung Polens wird kommen, da der Staat in- folge der im Lande herrschenden Mißwirtschaft nicht lebensfähig ist. Der Chef glaubt nicht an die Möglichkeit eines Zusammengehens mit Italien gegen Frank- reich, ohne daß wir letzten Endes die italienischen Kastanien ohne Gegenleistung aus dem Feuer holen müssen226. Amtschef Β bittet um Richtlinien für die Zusammenarbeit mit der Türkei227. Der Chef d.M.L. erklärt die türkische Gagernmission228 als eine Art von »sentimentaler« Politik mit unseren ehemaligen Bundesgenossen, ähnlich wie unsere Politik mit Finnland. (I.v. S.)229. So sehr die Arbeit mit diesen beiden auch vom wirtschaftlichen Standpunkt zu begrüßen ist, so ist es bei den Türken doch sehr zweifelhaft, ob sie je Geld haben, um ihre U-Boote zu bezahlen, und die Finnen sind ein zu kleines Volk, um eine laute Politik mit ihnen zu rechtfertigen. Auf jeden Fall dürften ernstere Verwicklungen aus dem Zusammenarbeiten mit der Türkei und Finnland nicht entstehen.

Zur Verfolgung unserer marinepolitischen Ziele ist nach Ansicht des Chefs der Marinelei- tung folgende Haltung den einzelnen Ländern gegenüber am Platze:

1) U.S.A. in jeder Weise freundschaftlich, da nur mit ihrer Unterstützung weiterzukom- men ist. 2) England freundlich korrekt. Bei Konflikten England/Rußland kann Deutschland sich nur auf Englands Seite stellen, wenn Deutschland zur Parteinahme gezwungen wird230. 3) Rußland. Größte Vorsicht. Keine Bindungen, wie sie die H. L. (Heeresleitung) einge- gangen ist. Trotzdem Faden einstweilen nicht abreißen lassen, um gelegentlich Druck auf Angelsachsen ausüben zu können231. 4) Italien höflich und korrekt. Von den Italienern ist militärisch nicht viel zu erwarten. Austausch von Nachrichten über Frankreich ist zu fördern232 . 5) Spanien weiter wie bisher. 6) Japan zu entlegen, um uns nützen zu können. Behandlung freundlich ohne Bindungen fester Art. 7) Türkei nur insoweit Bindungen eingehen, als dadurch nicht Gegensätze gegen Eng- land-Amerika-Frankreich-Italien zu erwarten sind. Keine Sentimentalitäten. 8) Marinepolitik darf nicht durch wirtschaftliche Interessen I.v.S. geleitet werden. Mari- neleitung darf nicht233 als Aushängeschild des I.v.S. dienen; dies ist mehr als bisher zu be- achten234. 1.) Dem Chef d.M.L. vorzulegen235 2.) Bei A Β zur Kenntnis236 3.) z.d.A. bei Alle All237

4. Auszug aus der Schlußbesprechung zum strategischen Manöver 1926 vom 13.—15. Sep- tember 1926238.

BA-MA PG 34048 OKM Box 2

I. Zweck und Ausgangslage. 1.) Wenn wir unsere Kriegsspiele und Manöver seit dem Beginn des Wiederaufbaues der Marine rückschauend überblicken239, so zeigt sich, daß wir zunächst die Fragen des reinen Küstenschutzes in Angriff genommen haben, entsprechend den damals noch außerordent- lich beschränkten Seestreitkräften. Danach begannen wir mit der Untersuchung der Mög- lichkeiten, die Zufahrtstraßen über See für Erhaltung unserer Lebens- und Kampffähigkeit zu sichern240; diese Frage wird uns auch in Zukunft wegen ihrer überragenden Wichtigkeit immer wieder beschäftigen müssen. Das diesjährige Herbstmanöver ging wieder einen Schritt weiter: es sah uns als Angreifer gegen die Zufuhr des Gegners. Es sollte uns eine Anschauung von dem Kampf geben, den wir zu führen haben, wenn die Seeverbindung von einem241 westlichen zu einem242 östli- chen Feinde zu einem wesentlichen Faktor für die Entscheidung wird. Durch Teilnahme von Handelsschiffen und Mitteln des Kleinkrieges, wie wir sie im Ernst- fall aufstellen werden, sollten das Zusammenarbeiten zwischen Seestreitkräften und Hilfs- schiffen geübt und die Verhältnisse möglichst kriegsmäßig gestaltet werden. 2.) Es war angenommen, daß Deutschland (Blau) sich seit drei Wochen im Kriege mit Frankreich (Gelb) und Polen (Rot) befand. Die für Gelb243 wohlwollende Haltung Eng- lands u. Italiens244 ermöglichte es der gelben245 Seekriegsleitung, das Mittelmeer von allen schweren Streitkräften zu entblößen. Die Aufgabe wurde dadurch für die blaue Marine sehr schwierig; dies war beabsichtigt, um das Problem für uns in seiner schwersten Form zu untersuchen und uns vor Trugschlüssen möglichst zu schützen. Die roten246 Landstreit- kräfte galten als überwiegend durch Rußland gebunden, dessen Eingreifen zu Gunsten Blaus bevorstand.

5. Auszug aus dem Vortrag des Leiters der Flottenabteilung, Fregattenkapitän Boehm, vor den Führergehilfen über die Kriegsaufgaben der Marine vom Januar 1929. BA-MA 1IM 57/58™

Außenpolitische Lage.

Die außenpolitische Weltlage wird beherrscht von drei Problemen: I. Der Gegensatz zwischen England/Amerika, II. England/Rußland und III. Der Wille der Siegerstaaten den status quo des Versailler Vertrages aufrechtzuerhal- ten.

Zu /.; Der Gegensatz zwischen England/Amerika ist entstanden durch die überragende aufblühende249 Wirtschaftsmacht Amerikas, die Amerika durch eine großzügige Flotten- politik aufrechterhalten will, und durch den Versuch Englands, seine bisherige Seemachts- politik (Blockaderecht, Seebeuterecht) aufrechtzuerhalten. Amerika kann diese Vorherr- schaft Englands nicht mehr anerkennen; verlangt Revision des internationalen Seerechts, Beseitigung der Blockade und Freiheit der Meere250. Der Kampf um die Rohstoffmärkte der Welt (Englands Vorherrschaft in Gummi, Amerikas Vorherrschaft in Olproduktion und Baumwolle) macht die beiden Staaten zu besonderen Feinden. Die englische Politik der konservativen Parteien läuft darauf hinaus, getreu der historischen Überlieferung, den jeweils größten Gegner zur See in der Welt zu bekämpfen, wenn er im Stande ist, die eng- lische Seeherrschaft zu bedrohen. Nach Vernichtung der Seeherrschaft von Spanien251, Holland252, von Frankreich, von Dänemark und zuletzt von Deutschland wäre nunmehr Amerika der Gegner der englischen Flotte253. Diese Politik der konservativen Parteien wird jedoch zunächst254 in England von der liberalen Partei und der Arbeiterpartei nicht geteilt und selbst große Kreise der Konservativen in England stehen einem Kampf gegen Amerika ablehnend gegenüber. Erst die Wahlen im Jahr 1929, die sicherlich unter der Pa- role stehen werden »wie soll sich England Amerika gegenüber verhalten«, werden zeigen, welche Ansicht in England die Oberhand gewinnen wird. Ahnlich wie England vor 1914 ein Bündnissystem in der Welt geschaffen hat, das sich gegen den damaligen Hauptgegner Deutschland richtete, ist England jetzt dabei, gegen Amerika in der Welt einen Zusam- menschluß herbeizuführen. Das [!] Flottenkompromiß mit Frankreich ist zwar offiziell tot, besteht in Wirklichkeit seiner Wirkung nach fort und beweist allein schon durch Gewäh- rung einer unbeschränkten Zahl der für England in einem Kriegsfall so verhängnisvollen Küsten-U-Boote (unter 600 t), daß sich England auf lange Zeit255 hinaus an Frankreich gebunden hat und, daß England sich256 Frankreich, als das der englischen Insel zunächst liegende Land, bei einem etwaigen Kampf mit Amerika als Bundesgenossen257 gesichert hat. Die historischen Gegensätze zwischen Japan und Amerika, die Betonung japanischer Staatsmänner in letzter Zeit, daß das englisch-japanische Bündnis zwar offiziell aufgeho- ben, im Geiste aber fortbesteht, zeigt, daß es England nicht schwer fallen wird, auch Japan in dieses Bündnissystem gegen Amerika, wenn es England will, mithineinzuziehen. Die Gegensätze zwischen England/Amerika auf den Rohstoffmärkten zeigen sich überall auf der Welt (Abessinien, Brasilien) und am deutlichsten in dem auffallenden Verhalten Ame- rikas gegenüber China, in dessen Handel England bisher vorherrschend war und jetzt mehr und mehr von Amerika verdrängt wird. Italien steht in diesem Gegensatz Amerika/ England nach offiziellen Äußerungen und nach dem Verhalten der italienischen Presse of- fenbar auf Seiten Englands u. kann auch garnicht anders handeln258. Deutschland spielt in diesem großen Weltkampf keine Rolle. Infolge seiner militärischen Ohnmacht bildet es ei- nen völlig vernachlässigten Faktor. Wohl besteht zwischen Deutschland und Amerika seit den letzten Jahren eine sich immer mehr steigernde und höchst erfreuliche Sympathie auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet. Eine Hilfe Deutschlands in einem eventuell offe- nen Kampfe kann Amerika naturgemäß nicht259 erwarten, ebensowenig wie Deutschland bei einem Kampf gegen seine Nachbarn je mit einer direkten260 Unterstützung Amerikas wird rechnen können.

Zu II.: Der historische Gegensatz zwischen England und Rußland, der von Eduard VII. in geschickter Weise nur zur Niederringung Deutschlands überbrückt war, ist mit Beendi- gung des Krieges in verschärfter Form und in einer für England viel gefährlicheren Weise ausgebrochen, denn der Bolschewismus Rußlands bedroht durch seine Lehre den Bestand des englischen Weltreiches von innen heraus261. Am Ende des Jahres 1927, als die politi- sche Agitation der Komintern auf einem Höhepunkt war, gab es bekannte, seit Jahrzehn- ten geschulte englische Kolonialfachleute, die der Ansicht waren, u. diese offen ausspra- chen262, daß über kurz oder lang das englische Kolonialreich durch den Bolschewismus zerstört werden würde. Das siegreiche Vordringen der chinesischen Revolution, damals noch unter russischer Führung, ließ diese englische Ansicht im Hinblick auf Indien und auf die südafrikanischen Staaten als wahr erscheinen. Die englische Gegenoffensive gegen den Bolschewismus, die zu Verhandlungen mit allen Kolonialmächten geführt hat, hat die bolschewistische Agitation im Jahre 1928 auf ein Minimum reduziert, aber die Zertrüm- merung des russischen Reiches und der Sturz der Sowjet-Regierung bleiben nach wie vor das Ziel und der vorschwebende Gedanke in England263. Getreu den englischen Methoden hat es England verstanden, sich selbst bei diesem Kampf gegen Rußland in den Hinter- grund und Frankreich, die größte Militärmacht des Kontinents, mitsamt seinen Vasallen der Randstaaten und der kleinen Entente in den Vordergrund zu stellen264. Das letzte halbe Jahr 1928 brachte somit (wohl zweifellos als eine Folge des englisch-französischen 139 Flottenabkommens) eine stark hervortretende Aktivität Frankreichs gegen Rußland. Der Hauptstaat, der im Kampf gegen Rußland bluten soll, ist Polen. Die aggressive Haltung dieses 29 Millionen Volkes gegen Deutschland mit seinen 60 u. vor allem Rußland mit sei- nen 150 Millionen Einwohnern erklärt sich daraus, daß es die mächtigen Staaten Frank- reich u. England hinter sich weiß, u. daß es zielbewußt als Preis seines Kampfes die Losrei- ßung der Ukraine von Rußland u. die Errichtung eines Großpolens vom Schwarzen Meer bis zur Ostsee, natürlich auch auf Kosten Deutschlands, erstrebt265. Mit Polen zusammen sollen alle die Staaten gehen, die gleichfalls in Rußland ihren natürlichen Gegner sehen, das ist Finnland, Estland, Rumänien. Zudem wird versucht auch Ungarn und natürlich die kleine Entente in dieses Bündnissystem miteinzuspannen. Dies ist bisher nur teilweise ge- lungen. In allerletzter Zeit (29. XII. 28) hat es Rußland verstanden, die für seinen Bestand so gefährlichen politischen Operationen Frankreichs zu durchkreuzen durch sein Paktan- gebot an Polen und an Litauen und die Zusicherung, daß diesem Paktangebot auch die Randstaaten einschl. Rumänien beitreten könnten. Selbst wenn die russische Agitation nicht von vollem Erfolg begleitet ist, bleibt für Rußland hierdurch266 zweifellos ein großer moralischer Erfolg, durch den es vor allen Dingen seine wirtschaftliche Annäherung an Amerika zu unterstützen hofft. Bei diesem Kampf England gegen Rußland treffen sich die Absichten von England und von Frankreich. Beide wollen die Zertrümmerung Rußlands. Beide wollen einen Randstaatenblock unter Führung267 eines Groß-Polen, dem die Ukrai- ne angegliedert werden soll. England denkt hierbei nur antirussisch, Frankreich denkt je- doch hierbei hauptsächlich antideutsch. Dadurch kommt Deutschland, das ist der Kern- punkt dieser Überlegungen, in eine ungewöhnlich gefährliche Lage. Sollte der Kampf Rußland/Polen ausbrechen, so wird man bei allen Staaten rings um Deutschland in die- sem268 den unangenehmsten und gefährlichsten Faktor erblicken. Man wird also sowohl von Frankreich als auch von England zweifellos Forderungen an Deutschland stellen, die aufs tiefste in seine staatliche Selbständigkeit eingreifen269, und durch die es gezwungen sein wird, sich klar auf die russische oder auf die englisch-französische Seite zu stellen270.

Zu ///..-Von Frankreich sowohl, wie von England wird immer und bei jeder Gelegenheit versichert, daß ihre Länder als einziges Ideal den Frieden haben. Dies ist zutreffend, denn Frankreich wünscht tatsächlich nichts anderes, als daß der Zustand wie er jetzt durch den Frieden von Versailles geschaffen ist, der Zustand, der Frankreich wie nie mehr271 seit den Zeiten Napoleons auf den Höhepunkt der Macht gebracht hat, durch nichts geändert wird. Frankreich ist ein Land, das durch den Krieg bis zur Überfüllung gesättigt ist und Zeit braucht, alles das, was es erreicht hat, in Ruhe zu verdauen. Frankreich hat daher, um dem 60 Millionen Volk der Deutschen es unmöglich zu machen, sich wieder zu erheben und selbst wieder zu einem Machtfaktor zu werden, das deutsche Volk völlig entwaffnet, es hat außerdem rings um Deutschland herum ein System von Bündnissen geschaffen, durch die alle umliegenden Länder durch starre Militärverträge gebunden sind, gleichzei- tig mit Frankreich den Krieg an Deutschland zu erklären, sobald dies von Frankreich ge- fordert wird; im Südosten von Deutschland steht die kleine Entente mit Jugoslavien, Tschechoslowakei und Rumänien. Im Osten steht Polen und mit Polen in engster militär- politischer Verbindung stehen die Randstaaten, Estland, Lettland272. Im Norden versucht Frankreich, durch immer stärker werdenden Einfluß auf Dänemark die Lücke zu schlie- ßen und Dänemark, ähnlich wie die übrigen Vasallenstaaten, gerade im Hinblick auf die ungewöhnliche wichtige geographische Lage von Dänemark an den Ostseezugängen in gleicher Weise zu binden wie es bei den Staaten im Osten und Südosten der Fall ist. Je- doch ist es nach den bisherigen Nachrichten Frankreich nicht gelungen, Dänemark zu ei- nem tatsächlichen Vertrag und zur Aufgabe seiner Neutralität in einem Kriegsfall zu be- wegen273. Zweifellos gehen aber die militärpolitischen Bindungen und das Zusammenar- beiten Dänemarks und Frankreichs so weit, daß in einem Ernstfall Deutschland mit einem großen Wohlwollen Dänemarks in seiner Neutralität Frankreich gegenüber rechnen kann. Das einzige Land, was noch übrig bleibt, ist Italien. Es nimmt in der allgemeinen Politik insofern eine Sonderstellung ein, als es das einzige Land ist, das mit starker Land- und Seemacht in scharfem Gegensatz zu Frankreich steht. Es erscheint daher das Natürliche, das Gegebene zu sein, daß sich Deutschland politisch an Italien anschließt, weil beide Län- 140 der in Frankreich den Gegner sehen müssen. Einer solchen Politik Deutschlands steht jedoch27'1 die innere Einstellung der Linkspar- teien entgegen, die es an Hand des Parteiprogrammes nicht über sich bringen, mit einem Italien, das vom Faschismus regiert wird, zu paktieren. In Deutschland wird daher auch aus gleichem Grunde ein engeres Zusammengehen mit Spanien, das in gleicher Weise dik- tatorisch regiert wird, vermieden. Erst nach den traurigen Erfahrungen der allerletzten Zeit (Genf, Lugano), nachdem die durch Deutschland mit allen Mitteln bis zur Selbster- niedrigung275 getriebene Politik der Annäherung an Frankreich und England vollkom- men276 fehlgeschlagen ist, machen277 sich in Deutschland die Stimmen [breit], die darauf hinweisen278, daß Deutschland sich mit seinen natürlichen Freunden und den natürlichen Gegnern Frankreichs zusammenschließen sollte. Freilich muß man sich darüber klar sein, daß durch dieses Zusammengehen erst eine Erleichterung, nicht aber grundlegende Ände- rung unserer Lage zu erreichen wäre27'.

Zusammengefaßt: Wir sehen in allen Teilen der Welt Konfliktstoffe und Gegensätze schärfster Art, die zur Entscheidung drängen. Welchen Weg diese gehen wird, ob Deutschland sich aus diesem Streit der Großen wird heraushalten können und wollen, ob es vielleicht im Interesse seiner Existenz und zur Gewinnung seiner Freiheit sogar gezwun- gen sein wird, sich seinen jetzigen Feinden anzuschließen, läßt sich nicht voraussehen. Klar aber steht vor uns die unmittelbare Bedrohung durch Frankreich und seinen Vasallen Polen, deren sonstige Ziele mit der Vernichtung Deutschlands Hand in Hand gehen. Ohne die großen Weltprobleme und etwaige daraus erwachsende Aufgaben aus dem Auge zu lassen, müssen für uns daher im Vordergrunde die Folgerungen stehen, die aus dieser unmittelbaren Bedrohung erwachsen. Von diesem Gesichtspunkte aus sind daher280 auch im dritten Teile meines Vortrages die Aufgaben der Marine behandelt. [...] IV. Ich komme nunmehr zum letzten Teile, der Frage nach den Erfolgsaussichten Deutschlands für einen kriegerischen Konflikt. Es ist klar, daß die Beantwortung dieser Frage, die mit vielen unsicheren Faktoren in den grauen Nebel der Zukunft hineingreift, stark von persönlicher Anschauung und Überzeugung des Einzelnen abhängt. Diese Dinge, von denen die deutsche Zukunft abhängt, kühl, nüchtern, frei von Schlagworten281 zu prüfen, ist Pflicht eines Jeden, der verantwortlich in dieser Materie arbeitet. So müssen wir m. E. aus der Macht der bestehenden Tatsachen folgende Schlüsse ziehen: 1.) In unserer jetzigen materiellen und politischen Lage ist eine selbständige Kriegführung mit Aussicht auf operativen Erfolg, d.h. Niederringung der Gegner Frankreich und Polen, unmöglich. Wir sind der vollen Stärke dieser Gegner, — noch weniger unser Heer, — nicht gewachsen. Mit einer langen »Anlaufzeit« für Rüstungen zu rechnen, ist Utopie. Frank- reich wird diese beste Karte, seine Bereitschaft in Waffen gegenüber unserem Abgerüstet- sein, nie freiwillig282 aus der Hand geben. Ebenso gibt es einen einseitigen Kriegsfall nach Westen oder Osten bei der heutigen283 Lage nicht. 2.) Es kommt also für uns nur eine Kriegsteilnahme als Koalitionsmacht in Frage. Der ein- zige Staat, der z. Zt.284 als Bundesgenosse eine wirksame Rolle in unserem Geschick spie- len könnte, ist Rußland. Ein Zusammengehen mit Rußland aber bringt uns bei der jetzigen Lage nicht nur in Gegensatz mit Frankreich/Polen, sondern zwangsläufig auch mit Eng- land285, — einer Mächtekonstellation, der gegenüber besonders vom Standpunkte der See- kriegführung ein erfolgreicher Kampf ausgeschlossen ist. Man kann bei dieser völlig dunklen Zukunft, bei der ein Lichtblick kaum zu finden ist, sich fragen, ob unsere Wehrmacht, besonders zur See, — ob unsere Arbeit einen Sinn hat. Ich bejahe diese Frage aus tiefster Überzeugung und sehe den Wert unserer Wehrmacht in folgendem: 1.) Schon eine kleine, aber schlagkräftige Wehrmacht macht raublustige Angriffe gegen deutsches Land zu einem Risiko und wirkt abschreckend und kriegsverhütend. 2.) Sollte ein Angriff gegen Deutschland erfolgen, so ist auch unsere Wehrmacht im Stande, den Gegner aufzuhalten und Zeit zu gewinnen, bis vielleicht andere Mächte auf Grund der von Deutschland eingegangenen Verträge und ihrer Verpflichtungen sich für Deutschland verwenden. Gerade der Marine erwachsen von diesem Gesichtspunkte des Aufhaltens des Feindes überaus wichtige Aufgaben284. 3.) Die Weltgeschichte geht rasch ihren Gang, alles ist im Fluß. Ungeahnte Konstellatio- nen im Geschicke der Völker können sich bald ergeben. Denken wir nur an die Entwick- lung des Gegensatzes zwischen England und Amerika287. Hartnäckige Kriege bereits im Frieden werden geführt, ohne einen einzigen Kanonenschuß. Denken wir wiederum an diese beiden Mächte, und daß England bereits eine schwere seestrategische Niederlage ge- genüber Amerika erlitten hat, die es vielleicht nicht mehr wettmachen kann. Alles dies und Entwicklungen, die noch vor zwei Jahrzehnten niemand voraussah. In diesem ewigen Wechsel, in diesem Spiel der Kräfte, sei es im Frieden oder im Kriege, kann Deutschland nur bündnisfähig und ein beachtenswerter Faktor werden, wenn es über eine gewisse Macht verfügt, die, in die Waagschale der Völker geworfen, vielleicht den Ausschlag ge- ben kann. Zielbewußt hinzuarbeiten auf diesen Zeitpunkt, der kommen wird, ist unsere Pflicht, und wir dürfen auch durchaus hoffen, daß, wenn wir nicht der gesamten Kraft Frankreichs gegenüberstehen, sondern dieses durch besondere politische Lage gezwungen ist, wesentliche Seestreitkräfte an anderer Stelle einzusetzen288, wir die vorher gekenn- zeichneten Aufgaben zur See dank unserer günstigen geographischen Lage zu erfüllen im Stande sein werden, besonders nach Ausbau unserer Flotte. 4.) Die Wehrmacht eines Volkes ist der Ausdruck seines Willens zu nationaler Selbstbe- hauptung, die Marine im besonderen dafür, daß dieses Volk auf Weltgeltung und Anteil an den Gütern der Welt nicht verzichten will. Nationaler Bestand und nationale Kraft sind für Deutschland von dieser Weltgeltung abhängig. Tiefster Sinn unseres militärischen289 Seins ist es, diesen Gedanken innerhalb des deutschen Volkes zu verkörpern. Auch in der heutigen Zeit der Technik und der Motorisierung bleibt die Macht des Gedankens und des Willens bestehen. Ein 60 Millionen Volk, das nationalen Willen besitzt, kann nicht un- tergehen. Diesen nationalen Willen zu verkörpern, zu verbreiten und zu der bereits einset- zenden Erkenntnis und Gesundung unseres Volkes beizutragen, möchte ich als unsere vor- nehmste Kriegsaufgabe bezeichnen und abschließen mit einem Worte von Tirpitz: »Ein Sklavenvolk sind wir noch nie gewesen. Seit 2 Tausend Jahren hat unser Volk nach jähem Sturze stets wieder sich emporgehoben.« Januar 1929 Boehm290

6. Denkschrift des Referenten für operative Fragen der Seekriegführung auf dem Kriegs- schauplatz Mittelmeer (I m), Fregattenkapitän Aschmann, vom 11. Juli 1940291. BA-MA RM 6/83292 Der Aufbau der Marine in der Zeit von 1920—1936 ist erfolgt in der Annahme, einen zu- künftigen Krieg allein gegen Frankreich und Rußland führen zu müssen. Der Gegner Eng- land schied aus den Überlegungen aus, nicht nur, weil die übermächtige englische Flotte jede Möglichkeit einer Kriegführung aussichtslos erscheinen ließ, sondern auch, weil Staatsführung und Marineleitung von dem Gedanken erfüllt waren, mit England zusam- men einen Wiederaufbau des Deutschen Reiches durchführen zu können293. Noch kurz vor Ausbruch des Krieges wurde von führenden militärischen Persönlichkeiten Rußland als der Hauptgegner angesehen und das Lied »G-en Ostland wollen wir reiten« wurde mit Begeisterung gesungen 294. Erst langsam dämmerte die Erkenntnis, daß jede kriegerische Verwicklung, die sich aus der Wiedererstarkung und dem Aufbau des Deutschen Reiches ergeben konnte, zwangs- läufig England als Gegner Deutschlands auf den Plan führen würde. Zu einer absoluten Gewißheit wurde diese Tatsache jedoch erst während und nach der Sudetenkrise. Die falsche Einschätzung der politischen Entwicklung hat für den Aufbau der Kriegsma- rine schwerwiegende Folgen gehabt, die sich in der gegenwärtigen Kriegführung schädlich auswirken. Es sind vorhandene Möglichkeiten nicht ausgenutzt und dadurch die gegen- wärtige Kriegführung erheblich erschwert worden295. Für den Aufbau einer Flotte ist es von ausschlaggebender Bedeutung, die sich für die Zu- kunft ergebenden politischen Konstellationen vorauszuahnen und daraus die möglichen Forderungen abzuleiten, die an die Marine in einem zukünftigen Kriege gestellt werden können. Diese Forderungen bestimmen die Struktur der künftigen Flotte und die Typen ihrer Einheiten. Noch ist es kaum möglich, den Ausgang des Krieges in allen Einzelheiten zu übersehen, die während ihm gemachten Erfahrungen auszuwerten und die Möglichkeiten abzuschät- zen, die einem siegreichen Deutschland für den Ausbau seiner Kampfmittel zur Verfügung stehen werden. Trotzdem ist es notwendig, schon jetzt sich über einige grundsätzliche Fra- gen Klarheit zu verschaffen: Es erscheint sicher, daß, selbst wenn der Frieden mit England als eine Art Vergleichsfrie- den geschlossen werden sollte, neben der Rückgabe der alten deutschen Kolonien in Zen- tralafrika ein zusammenhängendes Kolonialreich gebildet werden wird296. Die Niederlage Frankreichs und die unbestrittene Vorherrschaft des Groß-Deutschen- Reiches auf dem europäischen Kontinent schließen eine erneute Gegnerschaft Frankreichs aus, zumal die Beherrschung des Mittelmeeres durch Italien eine Tatsache sein wird. Der Schutz des Reiches und seiner Kolonien wird also gegen eine außereuropäische Macht durchzuführen sein. (Ich betrachte sowohl das englische Imperium als auch das russische Reich als außereuropäische Mächte, wobei das englische Imperium als antieuropäisch zu bezeichnen ist). Von der richtigen Beantwortung der Frage: Wer kann als Gegner des Deutschen Reiches in einem Zukunftskriege in Frage kommen, hängt der richtige Aufbau der deutschen Flot- tenmacht und damit der Ausgang des möglichen Krieges, also Sein oder Nichtsein des Deutschen Reiches ab. Wenn wir in die Zukunft mit falschem Tritt marschieren, gefähr- den wir die Sicherheit, ja den Bestand unseres Vaterlandes. Unter den überhaupt möglichen Gegnern befinden sich meiner Ansicht nach: England, die Vereinigten Staaten von Amerika, Japan, und Rußland297. Unter der Voraussetzung eines Vergleichsfriedens mit England bestehen für das britische Imperium in der Zukunft zwei Möglichkeiten: 1.) Der gewaltige Prestigeverlust, den das englische Volk durch die Vorgeschichte und den Verlauf des Krieges erlitten hat, hat das Gefüge des gewaltigen Reiches so erschüttert, daß sein Verfall von innen heraus nach dem Friedensschluß eintritt. Unter dieser Annahme wird das englische Mutterland niemals in der Lage sein, nennenswerte Streitkräfte zu un- terhalten. Es wird, um überhaupt sein Dasein fristen zu können, zu bedingungslosem An- schluß an das europäische Festland gezwungen sein. Als Gegner des Großdeutschen Rei- ches kommt es weder allein noch in einer Koalition in Frage. England kann nie hoffen, das Imperium in irgend einer Form, auch durch einen siegreichen Krieg, wiederaufzurichten, da seine möglichen Bundesgenossen ja Nutznießer des Zerfalles gewesen sind. 2.) Es gelingt dem englischen Volk, alle Widerstände im Innern des Reiches zu überwin- den, alle vorhandenen Mittel für den Wiederaufbau einzusetzen und die Voraussetzungen für einen Revanchekrieg gegen Deutschland zu schaffen. Auch in diesem Falle wird England niemals allein zum Kampf gegen Großdeutschland an- treten. Der Verlauf des gegenwärtigen Krieges zeigt ja deutlich genug, daß England nicht dazu in der Lage ist. Obwohl Deutschland mit seinen Rüstungen nicht fertig war, obwohl es durch die Feldzüge gegen Polen, Norwegen und Frankreich geschwächt wurde, konnte sich England ihm gegenüber nicht durchsetzen. Der Verlust des Mittelmeeres und damit des Einflusses auf den Nahen Osten sowie alle anderen Wunden dieses Krieges werden England so schwächen, daß nur die Kräfte mächtiger Bundesgenossen den niedergebro- chenen britischen Löwen wieder gefährlich machen können. Es ist klar, daß England mit allen Mitteln versuchen muß, und wird, diese Bundesgenossen zu finden, um überhaupt Aussichten auf einen erfolgreichen Abschluß des Revanchekrieges haben zu können. Wir werden also genau so wenig wie wir in der Vergangenheit damit rechnen konnten, ei- nen Krieg zu führen, ohne daß England auf der Gegenseite beteiligt war, für die Zukunft damit rechnen können, England als alleinigen Gegner zu erhalten. Es erscheint aber unsinnig, mit England einen Frieden abzuschließen, der uns zwingt, be- reits für die Zukunft wieder mit der Gegnerschaft Englands zu rechnen, und dabei die Tatsache klar vor Augen zu haben, daß in diesem Zukunftskriege die Chancen für Eng- land durch die Wahl entsprechender Bundesgenossen erheblich günstiger sein werden. Warum soll England die Möglichkeit einer Wiederholung seines Vernichtungskampfes ge- gen Deutschland in der Zukunft ermöglicht werden, wenn wir heute in der Lage sind, es isoliert von Bundesgenossen, die ihm helfen könnten (Rußland und Japan), schwächlich unterstützt von Amerika, das zur Zeit weder militärisch noch innenpolitisch in der Lage ist, aktiv in den Kampf einzugreifen, und verlassen von seinen ehemaligen Kampfgenos- sen, die das deutsche Schwert bereits bezwungen hat, so zu Boden zu schlagen, daß es für die Zukunft überhaupt nicht mehr als Gegner in Frage kommt. Wie ich bereits erwähnt habe, besteht auch bei einem Vergleichsfrieden die Möglich- keit298, daß das englische Imperium restlos auseinanderbricht. Auch in diesem Falle wird das Erbe Englands verteilt werden, und es wird unsere Aufgabe sein, uns den gebührenden Anteil davon zu sichern. Unsere Stellung den übrigen Erben gegenüber wird aber ungleich ungünstiger sein als wenn durch das deutsche Schwert der Zerfall des Weltreiches herbei- geführt würde. Die von einigen Leuten geäußerte Furcht, wir seien noch nicht reif, ein so gewaltiges Erbe anzutreten, und müßten daher mit England einen Kompromißfrieden schließen, um wenigstens zunächst die Gebiete des Imperiums dem Einfluß der weißen Rasse zu erhalten, wird die Auflösung des englischen Imperiums, falls es zu schwach sein sollte, die auseinanderstrebenden Kräfte zu brechen, nicht aufhalten, dagegen das Deut- sche Reich um die Hauptfrucht seines Sieges betrügen können. Völlig verfehlt ist es, in der Zukunft außer England keinen anderen Gegner des Deutschen Reiches zu erblicken und alle zu treffenden Maßnahmen nur auf diesen Gegner abzustellen. Meiner Ansicht nach kommt England als Gegner nur dann in Frage, wenn wir aus innerer Unsicherheit und aus Mangel an Vertrauen auf unsere Kraft den augenblicklichen Kampf nicht bis zum endgül- tigen Siege durchkämpfen. Auch nach diesem Siege werden wir den Helm fester binden müssen, denn einen mächti- gen Feind haben wir zwar aus festen Stellungen vertrieben, aber dafür auf einem anderen Raum gesammelt: das Gold. Die Tatsache, daß zur Zeit 80% und nach der Niederringung Englands wahrscheinlich 90% des gesamten Goldbestandes der Welt in Nordamerika lie- gen, zwingt das amerikanische Volk dazu, für die Wertbeständigkeit dieses enormen Schatzes, der immer noch der Schlüssel zur Weltherrschaft zu sein scheint, zu kämpfen. Schon heute wird in Amerika klar ausgesprochen, daß die nationalsozialistische Wirt- schaftsauffassung den Tod der demokratisch-liberalistischen Wirtschaftsform bedeutet. Amerika, das Land des Dollars, wird es niemals kampflos zulassen, daß die Macht des Goldes gebrochen wird. Es wird mit allen Mitteln versuchen, das Gold wieder zu altem Ansehen zu bringen, um damit praktisch das Wirtschaftsleben der gesamten Welt zu be- herrschen. Die augenblicklichen, gigantischen Rüstungsmaßnahmen werden in Amerika nicht durchgeführt, um noch in diesem Kriege zum Einsatz zu kommen. Dafür ist es zu spät. Sie dienen vielmehr zur Vorbereitung des Zukunftskrieges und weisen klar auf unse- ren nächsten Gegner hin. Sollte es Amerika gelingen, sich Bundesgenossen in diesem Kampfe zu beschaffen, so muß die Tatsache, daß Amerika der Hauptgegner in dem Ringen sein wird, stets klar vor unse- ren Augen stehen. Wir haben 1914 den Fehler gemacht, Rußland als den Hauptgegner an- zusehen 299, anstatt von Anfang an alle Machtmittel gegen England einzusetzen. Wir haben diesen Irrtum mit einer schmählichen Niederlage bezahlen müssen. Hüten wir uns also! Die Erkenntnis, daß Amerika unser nächster Gegner sein wird, muß dazu zwingen, so schnell wie möglich die vollständige Niederwerfung Englands zu erreichen. Das Schicksal des Erbes sollte uns erst in zweiter Linie interessieren. Für den Aufbau unserer Marine ist es gleichgültig, ob Amerika allein oder im Verein mit Rußland den Kampf gegen uns aufnimmt. Nach einer völligen Ausschaltung Englands wird außerdem den Russen der Weg zum Indischen Ozean offen300 stehen, und sie wer- den jedes Interesse daran verlieren, in den europäisch-afrikanischen Raum einzugreifen301, oder gar zum Ruhme des Golddollars ihre Haut auf dem europäischen Kontinent zu Markte zu tragen. Ebenso wenig ist anzunehmen, daß Japan auf Seiten Amerikas in den Kampf zieht, denn es muß sich darüber klar sein, daß der Sieg Amerikas zwangsläufig den Kampf im Stillen Ozean nach sich zieht, der dann von Japan allein gegen Amerika ausge- tragen werden müßte. Sicher dagegen ist, daß Amerika mit allen Mitteln versuchen wird, auch Süd- und Mittelamerika in den Kampf einzubeziehen. Welche Aufgaben erwachsen der deutschen Marine in einem Kriege gegen Amerika und welche Schiffstypen müssen für die Durchführung dieser Aufgaben bereit gestellt werden? Der Rüstungsvorsprung, den die amerikanische Marine gegenüber der deutschen hat, ist so gewaltig, daß er in absehbarer Zeit nicht eingeholt werden kann. Außerdem darf nicht übersehen werden, daß große Teile der englischen Flotte den Amerikanern nach einem Zusammenbruch des britischen Weltreiches zufallen werden. Diese Tatsache braucht uns aber nicht zu entmutigen. Der Verlauf des gegenwärtigen Krieges zeigt: 1.) Die gewaltig gesteigerte Kraft des Küstenvorfeldes, die ein Eindringen von Uberwas- serstreitkräften in diesen Raum ausschließt. Jede Leistungssteigerung der Luftwaffe, der Minentechnik und der Kleinkampfmittel vergrößert Kraft und Raum des Küstenvorfeldes. 2.) Nur die freie See auf den Ozeanen bietet ein Betätigungsfeld für Großkampfschiffe und die für ihren Kampf notwendigen anderen Schiffstypen: Flugzeugträger, Kreuzer, Be- gleitzerstörer usw. 3.) Die englische Schlachtflotte ist trotz ihrer gewaltigen Überlegenheit nicht in der Lage, entscheidend in den Kampf302 einzugreifen. Die endgültige Niederlage Englands kann sie nicht verhindern, höchstens etwas herauszögern. Auch 30 Schlachtschiffe auf englischer Seite würden hieran nichts ändern! 4.) Die Beherrschung der Küste und die Möglichkeit, von ihr aus die Kräfte des Küsten- vorfeldes einzusetzen, wirkt so abstoßend auf den Feind, daß nicht einmal der Versuch unternommen wird, mit Uberwasserstreitkräften gegen die Küste vorzugehen303. Hieraus ergibt sich, daß mit verhältnismäßig geringen Kräften das Küstenvorfeld zu ver- teidigen ist. Für diese Verteidigung sind keine Großkampfschiffe erforderlich, sondern kleinere Fahrzeuge mit verhältnismäßig kurzer Bauzeit, die serienmäßig hergestellt wer- den können: Zerstörer, Torpedoboote, Uboote usw. Wie ich oben bereits ausführte, ist die Ausdehnung des Küstenvorfeldes nach See zu dauernd im Wachsen begriffen. Sie ist heute schon so groß, daß ganz England im Bereich des Küstenvorfeldes liegt. Zur Niederwerfung Englands genügen daher die Angriffskräfte des Küstenvorfeldes304: Flugzeug, Uboot und Mine. Unsere Schlachtschiffe spielen dabei keine Rolle und würden auch bei intensivem Einsatz keine entscheidende Bedeutung erlan- gen können305. Es muß unser Bestreben sein, das Küstenvorfeld immer weiter auszudehnen und uns ent- scheidenden Einfluß auf seine vorgeschobenen Positionen zu sichern: Azoren, Kanaren, Kap Verden306. Hierbei muß unter allen Umständen dem Gegner zuvorgekommen wer- den. Die Verteidigung der Heimat und des afrikanischen Kolonialreiches gegen Angriffe von See ist also mit verhältnismäßig geringen Kräften möglich307. Auch die Verbindung zwi- schen Heimat und Kolonie wird durch den Indischen Ozean, das Rote Meer und das Mit- telmeer ohne Schwierigkeiten aufrecht zu erhalten sein und die laufende Versorgung von Heimat und Kolonie wird durchgeführt werden können30". Eine Verbindung über den At- lantischen Ozean wird dagegen leichter gestört werden. Die hier laufenden Transporte müssen in Geleitzügen geführt werden. Ein großes Ausmaß wird dieser Verkehr aber kei- nesfalls erreichen, da dazu keine Notwendigkeit vorliegt. Die Bereitstellung von schnellen Handelsschiffen und entsprechenden Geleitstreitkräften zum Schutz gegen feindliche Uboote309 ist notwendig. Die in der Verteidigung einzusetzenden Streitkräfte werden die gleichen wie bisher sein. Der Schwerpunkt liegt in der Ubootsbekämpfung. Ortungs- und Bekämpfungsmittel müs- sen so vervollkommnet werden, daß sie auch bei hoher Geschwindigkeit ihrer Träger und bei Seegang brauchbar bleiben. Die Ortungsgeräte dürfen durch W. B.-Detonationen310 nicht betroffen werden, sondern die Ortung muß auch während des Angriffs fortgesetzt werden können. Im Geleitschutz sind mit D.T.-Geräten311 ausgerüstete Begleitfahrzeuge zu verwenden. Alle Handelsschiffe sind mit 3,7 cm Flak auszurüsten. Die Angriffsmöglichkeiten gegen den amerikanischen Kontinent sind gering. Die amerikanische Flotte wird sich nur dann zum Kampf stellen, wenn sie sich in besonders günstiger Lage befindet. Für sie besteht kein Zwang zum Kampf. Der Krieg wird von Amerika als wirtschaftlicher Zermürbungs- krieg geführt werden, in der Hoffnung, daß die Kräfte des geschlossenen amerikanischen Wirtschaftsblockes mit ihren unerschöpflichen Mitteln letzten Endes den Sieg davon tra- gen werden. Da wir weder eine Landung in den U.S.A. durchführen, noch damit rechnen können, die amerikanische Flotte in offener Seeschlacht zu schlagen, müssen Mittel und Wege gefun- den werden, die Angriffsmöglichkeiten, die sich überhaupt bieten, voll auszunutzen312. Trotz seiner fast autarken Wirtschaft sind die Vereinigten Staaten von dem Überseever- kehr abhängig. Sowohl über den Stillen Ozean als auch entlang der Küste des amerikani- schen Kontinents ist mit einem laufenden Handelsverkehr zu rechnen. Die Unterbindung dieses Verkehrs muß das Ziel der deutschen Kriegführung sein. Der Zwang, den Handel zu schützen, gibt die Möglichkeit, gegen die Bewachungsstreitkräfte Erfolge zu erzielen. Wieweit die Entwicklung der Luftwaffe in Zukunft noch andere Möglichkeiten eröffnet, kann zur Zeit nicht übersehen werden. Flugzeugträger werden jedenfalls mit Erfolg nicht zum Ansatz gebracht werden können. Um überhaupt wirken zu können, müssen sie sich in das Küstenvorfeld des Gegners begeben und sind damit erheblichen Gefahren ausgesetzt. Ihre Flugzeuge sind durch Bindungen, die der Einsatz vom Träger ihnen auferlegt, den Landflugzeugen an Geschwindigkeit und sonstiger Leistungsfähigkeit unterlegen. Ich glaube, daß die Erfahrungen des Krieges dem reinen Flugzeugträger das Todesurteil ge- sprochen haben313. Vielleicht wird man dazu kommen, Katapultschiffe einzusetzen, die über große Geschwindigkeit verfügen und in der Nähe der Feindküste Flugzeuge überra- schend zum Ansatz bringen. Die katapultierten Flugzeuge müßten nach Abwurf ihrer Bombenlast zum nächsten eigenen Landstützpunkt zurückkehren. Große Erfolge wird man aber damit nicht erreichen. Gegen den feindlichen Handel und die zu seinem Schutz eingesetzten Kriegsfahrzeuge wird auch in Zukunft das Uboot die Hauptrolle spielen. Von besonderer Wichtigkeit ist die Ausschaltung der vom Gegner angewandten Ortungsmittel. Wenn es ferner gelingt, eine Einheitsmaschine für Über- und Unterwasserfahrt zu konstruieren, so würde damit die Überwassergeschwindigkeit mindestens verdoppelt, der Unterwasseraktionsradius auf das Vielfache des augenblicklichen gesteigert werden. Hierdurch würden dem Uboot neue Möglichkeiten erschlossen, die in ihrer Auswirkung kaum hoch genug eingeschätzt wer- den können. Der Schwerpunkt aller Versuche sollte auf diesem Gebiet liegen! Neben einer zahlreichen und leistungsfähigen Ubootsflotte müssen Überwasserstreitkräfte zum Ansatz gebracht werden, die besonders für den Handelskrieg gebaut, neben hoher Geschwindigkeit und langer Seeausdauer — diese verlangt neben hohem Aktionsradius, große Seetüchtigkeit und robuste Maschinenanlage — alle nur denkbaren Möglichkeiten der Tarnung zulassen. Es sind hierbei 2 Typen zu unterscheiden: 1.) Fahrzeuge, die in ihren äußeren Formen feindlichen Kriegsschiffen nachgebaut und in der Lage sind, mindestens zwei solcher Typen durch entsprechende Tarnmaßnahmen dar- zustellen. Als Bewaffnung sind 6 bezw. 9/28 cm vorzusehen. Allgemeine Leistung die ei- nes verbesserten Panzerschiffes. 2.) Fahrzeuge, die als Kriegsschiffe gebaut, eine Tarnung als Handelsschiffe zulassen und überfallartigen Einsatz ihrer Kampfmittel auf nahe Entfernung ermöglichen. Unterwasser- torpedoarmierung und mindestens 9/15 cm. Sowohl Uboote wie die Überwasserhandelsstörer müssen über schnelle Versorgungsfahr- zeuge verfügen, die zur Armierung mit 6/15 cm und Unterwasserbugtorpedorohren frie- densmäßig vorbereitet sind. Die Schiffe müssen Waffen und Munition auch im Frieden an Bord haben und in der Lage sein, die Montage der Waffen ohne fremde Hilfe durchzu- führen. Alle von der Marine gebauten Hilfsfahrzeuge, die Begleitschiffe der U- und S- Boote, Transporter, Tanker usw. müssen von vornherein für diesen Verwendungszweck vorgesehen und entsprechend konstruiert werden. Eine reichliche Werkstattausrüstung ist ebenfalls vorzusehen. Neben den eigentlichen Handelsstörern ist die Bildung mehrerer starker Kampfgruppen notwendig. Durch sie soll einmal den Handelsstörern der nötige Rückhalt gegeben wer- den, dann sollen sie aber auch den Feind zur Schwerpunktbildung und damit zur zwangs- läufigen Entblößung weiter Seegebiete zwingen. Jede Gruppe muß aus zwei kampfkräfti- gen Fahrzeugen bestehen. Die Bewaffnung muß 9/38 cm betragen, und die Schiffe müssen über hohe Geschwindigkeit, mittlere Seeausdauer314, starken Horizontalpanzer verfügen, 146 während die Vertikalpanzerung verhältnismäßig gering sein kann. Wegen der starken Panzerung der amerikanischen Einheiten darf mit dem Kaliber unter 38 cm nicht herun- tergegangen werden. Als Begleitfahrzeuge erhält jede Gruppe 6 leichte Kreuzer, deren Be- waffnung aus mindestens 9/15 cm und mehreren Torpedorohren besteht. Sie sind außer- dem für die Mitnahme von mindestens 4 Flugzeugen einzurichten. Weder der Ansatz der Handelsstörer, noch der der Kampfgruppen kann allein von den Heimathäfen aus erfolgen. Für die erfolgreiche Verwendung der Fahrzeuge ist die Schaf- fung von Stützpunkten nicht nur im zentralafrikanischen Kolonialgebiet315, sondern auch außerhalb desselben erforderlich. Es muß daher von der Marine die Besitznahme der Insel Madagaskar sowie des Festlandes von Neu Guinea gefordert werden. Besonders letztere Insel gibt die Möglichkeit zur Anlage eines mit ausreichendem Hinterland versehenen Ma- rinestützpunktesJ16, von dem aus die Verkehrswege des Stillen Ozeans entscheidend be- einflußt werden können. Madagaskar bildet einen natürlichen Schutz gegen Angriffe aus dem Indischen Ozean heraus und ist gleichfalls als widerstandsfähige Basis geeignet. Ich habe darauf hingewiesen, daß der Verlauf und Ausgang des Krieges beweist317, daß England auch ohne eine deutsche Hochseeflotte geschlagen werden kann. Die Forderung nach leistungsfähigen Hochseestreitkräften kann auch in Zukunft nicht mit der Begrün- dung einer möglichen Gegnerschaft Englands gefordert werden31'. Ich halte es sogar für die Interessen der Kriegsmarine für schädlich, wenn eine solche Möglichkeit ins Auge ge- faßt wird. Die Aufgaben der Marine liegen, wie ich nachgewiesen zu haben hoffe, auf ei- nem anderen Gebiet. Je weiter entfernt die Ziele einer deutschen Kriegführung von der Heimat sind, desto eindringlicher wird auch dem Laien die Notwendigkeit einer starken Marine vor Augen geführt werden können. Vorbedingung für die Verwirklichung aller Pläne und Hoffnungen ist die siegreiche Been- dung des augenblicklichen Krieges, in dem es für Deutschland nur ein »Ceterum censeo« geben kann: »Britanniam esse delendam«319!

7. Auszug aus der Denkschrift der Seekriegsleitung »Betrachtungen über die Grundlagen des Flottenaufbaues« vom August 194132°. BA-MA RM 7/263 [...] XIII. Die zahlenmäßige Stärke einer deutschen Kriegsmarine muß sich theoretisch nach der Stärke des mutmaßlichen Gegners richten. In der Annahme, daß der Kern der angel- sächsischen Seemacht nach diesem Krieg nicht nur noch vorhanden ist, sondern sich sogar noch verstärken wird, käme man bei einem Wettrüsten für die deutsche Flotte auf Zahlen, die materiell und personell wahrscheinlich nie verwirklicht werden können. Als einigermaßen ebenbürtige Flotte müßte z.B. gefordert werden: 60—80 Großkampfschiffe 15-20 Flugzeugträger (Flugdeckkreuzer) 100 Kreuzer 10 Ozeankreuzer 500 U-Boote 321 100 Kreuzer bzw. 150 Korvetten 25 Kreuzer 322 15 Kreuzer 250 Zerstörer 100 T-Boote 400 M- und R-Boote 300 S-Boote 20 Minenschiffe 20 Flakkreuzer 150 U-Jäger 147 Ausbildungs-, Versorgungs- und Spezialschiffe (u. a. 20 Kolonialkanonenboote)32}. Diese Zahlen erscheinen zunächst übertrieben, — im Verhältnis zum Gegner und zu den Räumen, auf welche sie sich verteilen würden, verlieren sie sehr bald den Schein des Phan- tastischen. — Praktisch wird aber zunächst noch keine Möglichkeit vorhanden sein, die ge- nannten Zahlen dieses »Fernzieles« in absehbarer Zeit zu erreichen. Als vorläufiges End- ziel wird daher folgende Forderung vorgeschlagen: 50 Großkampfschiffe 12 Flugzeugträger 100 Kreuzer 5 Ozeankreuzer 500 U-Boote 324

80 Korvetten 15 Kreuzer 325

150 Zerstörer 80 T-Boote 300 M- und R-Boote 200 S-Boote 20 Minenschiffe 20 Flakkreuzer 100 U-Jäger Ausbildungs-, Versorgungs- und Spezialschiffe (darunter 20 Kolonialkanonenboote)326. Da auch diese Zahlen für den praktischen materiellen und personellen Aufbau zunächst noch zu hoch erscheinen (auch im Hinblick auf Liegemöglichkeiten) wird folgende Erst- forderung gestellt: 25 Großkampfschiffe 8 Flugzeugträger bzw. Flugdeckkreuzer 50 Kreuzer 400 U-Boote 327

60 Korvetten 15 Kreuzer 328

150 Zerstörer 50 T-Boote 250 M- und R-Boote 100 S-Boote 20 Minenschiffe 20 Flakkreuzer 100 U-Jäger Ausbildungs-, Versorgungs- und Spezialschiffe (darunter 10 Kolonialkanonenboote) 329. Der Ausbau dieser Flotte müßte in 12—15 Jahren beendet sein330. Wieviele Streitkräfte dauernd in Dienst gehalten werden sollen, muß noch festgelegt werden331. Ist diese Flotte erst einmal vorhanden, werden auch eintretende Änderungen der politi- schen Voraussetzungen sich nicht mehr allzu ungünstig auf den weiteren Flottenausbau auswirken. Um ferner im Kriegsfall den nötigen zahlenmäßigen Bedarf an geeigneten Hilfsfahrzeugen decken zu können, ist die Mitwirkung bzw. Einschaltung der Kriegsmarine beim Entwurf und Bau von Handelsschiffen erforderlich. ... [Zu diesem Punkt vgl. die entsprechenden Vorstellungen in Dok. 6],

148 8. Denkschrift des Generaladmirals Saalwächter zu Raumerweiterungs- und Stützpunkt- fragen aus dem Winter 1944/45. BA-MA PG 33967 h OKM Box 1691332

Welche Stützpunkte braucht Großdeutschland für seine Seekriegführung? Trotz der augenblicklichen (Ende September) angespannten Kriegslage, bei der wir aller Vorteile verlustig gegangen zu sein scheinen, die wir in den vergangenen Kriegsjahren er- rungen hatten, glaube ich an den deutschen Endsieg. Da bei einem Verlust dieses Krieges alle Überlegungen über künftige Gestaltung unserer Grenzen sowieso hinfällig werden, auch über die nur primitivsten Voraussetzungen für eine Sicherung unserer alten Grenzen von 1918, liegt der deutsche Endsieg den nachstehenden Betrachtungen zugrunde. Ein »Remis« erscheint mir zu unwahrscheinlich und würde zudem eine bessere Grenzziehung nicht mehr ermöglichen333, kann also hier außer Betracht bleiben. Bei diesem Sieg nach dem gewaltigsten aller Kriege, nach so unendlichen Opfern, die Deutschland dafür seit 1914 gebracht hat, muß die Gelegenheit, auch für den Seekrieg künftig bessere Bedingun- gen zu schaffen, unter allen Umständen ausgenutzt werden; denn nun soll doch das deut- sche Schicksal und der deutsche Lebensraum mindestens für Jahrhunderte gesichert und von ähnlicher Bedrohung wie 1914 bis 1945 freigehalten werden. Wir haben nun mit ei- nem Zuge nachzuholen, was der Brite in Jahrhunderten Stück um Stück zu seiner Seegel- tung zusammentragen konnte. So sehr zur Zeit die Ereignisse auf den Landkriegsschauplätzen die Aufmerksamkeit fes- seln, und obwohl die sichtbare Kriegsentscheidung [dort] fallen mag, so darf doch nie ver- gessen werden, daß ohne die Seeherrschafi der Anglo-Amerikaner die Invasionen sowohl in Afrika und Europa wie im Pazifik garnicht möglich gewesen wäre — nur tritt diese Tatsache jetzt nicht so sichtbar in den Vordergrund. Wir dürfen uns also für Großdeutschlands Zu- kunft nicht mit reinen kontinentalen Sicherungen begnügen, sondern müssen gerade auch für einen künftigen Seekrieg bessere Bedingungen schaffen. Jeder künftige Krieg mit einer Großmacht ist zugleich ein Seekrieg und manche Großmächte sind entscheidend nur durch Seekrieg zu fassen (Amerika, England). Zu Landungen im Gebietsbereich einer See- macht gehört — neben Luftmacht — aber als Vorbedingung die Seeherrschaft, auch wenn sie örtlich und zeitlich nur begrenzt sein mag. Ein Krieg — das ist eine der wichtigsten Lehren dieses zweiten Weltkrieges — braucht zur Entscheidung alle drei Wehrmachtteile gleichermaßen. Man kann ihn nicht etwa durch ge- waltige Überlegenheit nur eines Wehrmachtteiles allein gewinnen. Die größten Seemächte der Welt — Amerika und England — mußten erst gewaltige Millionenheere und eine Rie- senluftwaffe schaffen, konnten nur so den Krieg an die deutschen Grenzen herantragen, um eine Kriegsentscheidung herbeizuführen; die gewaltige Landmacht Rußland konnte nur durch die Seemacht England und Amerika das notwendige Rüstzeug für eine ent- scheidungssuchende Großoffensive erhalten und wir als stärkste Landmacht Europas konnten nur durch intensivsten Kampf gegen die Seeverbindungen unserer Feinde hoffen, sie auf die Knie zu zwingen; mit unserer Land- und Luftmacht allein war es nicht möglich. Daß der Luftkrieg allein auch bei stärkstem Ausmaße ein Land nicht kriegseiltscheidend zu treffen vermag, hat Deutschland bewiesen. So braucht also Großdeutschland neben seiner Land- und Luftmacht auch künftig eine starke Seemacht. Hierbei ist besonders zu bedenken, daß sich im Kriegsverlauf zwar die Stärke ei- ner Land- und Luftmacht verhältnismäßig schnell steigern läßt, nicht aber die einer See- macht; sie braucht jedenfalls unverhältnismäßig mehr Zeit wegen der langen Bauzeit der Kriegsschiffe. Da aber eine schnelle Kriegsentscheidung angestrebt werden muß, muß ge- rade die Seemacht von vornherein so stark wie irgend möglich gehalten werden. Auch dieser Krieg hat wie der von 1914—18 eindeutig die Schwierigkeiten für eine erfolg- reiche Seekriegführung gegen unsere Hauptgegner aufgezeigt. Diese Schwierigkeiten waren nicht etwa durch die erst in der Wiederaufrüstung begriffene und daher noch völlig unzulängliche Stärke der deutschen Seestreitkräfte in erster Linie bedingt, sie wären genau so in Erscheinung getreten, wenn wir eine England ebenbürtige 149 Flottenstärke gehabt hätten. Sie war auch nicht etwa veranlaßt durch etwaige Zurückhai- tung im Einsatz unserer zahlenmäßig schwachen Seestreitkräfte oder durch Schwierigkei- ten in der Bereitstellung genügenden und ausreichend ausgebildeten Nachwuchses oder an Kriegspotential, sondern sie waren in erster Linie und zwangsläufig verursacht durch die unglückliche geographische Lage des Deutschlands von 1939 zu seinen Hauptgegnern England und Amerika334. Im Seekrieg gegen Sowjet-Rußland lagen die geographischen Vorteile auf deutscher Seite, zumal nach Gewinnung der Baltischen Häfen und zeigten sich dementsprechend auch im völligen Ausschalten der russischen Ostseeflotte im Finnischen Meerbusen, trotz ihrer zahlenmäßig starken Überlegenheit. Man stelle sich nur einmal die geographische Lage Englands und Deutschlands vertauscht vor und man sieht sofort, wie schwer England dann die Verteidigung seiner Seeverbindun- gen trotz überlegener Flottenstärke geworden wäre, wie leicht dagegen uns der Angriff auf seine Seewege. Es ist kaum zuviel gesagt mit der Behauptung, daß wir dann trotz zah- lenmäßiger Unterlegenheit England im nassen Dreieck der Nordsee in Schach gehalten und von seinen Seeverbindungen abgeschnitten hätten, also ähnlich wie wir die Russen im Finnischen Meerbusen ausgeschaltet haben. Was uns im Anfang des Krieges noch eine erfolgreiche offensive Seekriegführung aus un- serer geographischen Lage heraus gestattete, war neben dem defensiven Verhalten der englischen Seekriegsleitung lediglich der Umstand, daß damals die englische Luftwaffe noch nicht stark genug für ausreichende Aufklärung und Angriff war und die Engländer noch nicht über die vorzüglichen Ortungsgeräte verfügten, die sie jetzt haben und die in Zukunft jeder Gegner haben wird. Diese schließen das so wichtige Moment der Überra- schung im Seekrieg in engen Gewässern aus oder engen es auch auf weitem Meere stark ein. Wir werden nicht damit rechnen dürfen, diese oder noch weiterreichende Ortungsge- räte einmal völlig ausschalten zu können, genau so wenig etwa, wie es gelungen ist, die Funktelegraphie des Gegners durch Störungsverkehr auszuschalten. Wir würden also am Anfang eines neuen Krieges die Ungunst unserer geographischen Lage noch viel stärker zu spüren bekommen als diesmal und wir werden noch weniger als bisher damit rechnen kön- nen, den Gegner zu überraschen. Um so zwingender wird die Forderung, diese Ungunst der geographischen Lage soweit zu mildern, als das irgend möglich ist, um uns so für den kommenden Ernstfall bessere Bedingungen als bisher für die Führung des Seekrieges zu schaffen. Es wäre auch kein Allheilmittel, in den Friedensbedingungen wenigstens England und Frankreich eine scharfe Beschränkung der Flottenstärke335 und Luftwaffe aufzuerlegen, denn das würde uns nur für den Anfang eines Krieges bessere Verhältnisse schaffen oder sogar nur solange, bis dem Gegner durch heimliche Aufrüstung oder Aufrüstung nach Kriegsausbruch die Angleichung gelungen ist. Wir müssen aber bessere Seekriegsführungs-' bedingungen für dauernd erreichen. Das ist nur möglich durch Änderung der geographi- schen Verhältnisse zu unseren Gunsten, so daß England nicht mehr der Riegel [!] vor allen unseren Häfen und Stützpunkten bleibt und unsere Seeverbindungen nicht mehr fast mü- helos abschneiden kann. Denn wir werden des Güteraustausches mit für uns wichtigen Rohstoffländern im Kriege nicht ganz entraten können, weil wir eine völlig ausreichende Autarkie auf allen Gebieten innerhalb unserer Reichsgrenzen oder mit uns verbündeter an- liegender Kleinstaaten nicht werden ermöglichen können, auch wenn die Schaffung von guten Ersatzstoffen für bisher als unentbehrlich angesehene natürliche Rohstoffe noch weiter Fortschritte macht. Wir brauchen also für die Beschaffung uns fehlender und namentlich für die Rüstung wichtiger Rohstoffe Kolonien, wobei ich in den nachfolgenden Ausführungen unter Kolo- nie im Gegensatz zu »Protektoraten« oder »Generalgouvernements« Gebiete verstehe, die nur auf dem See- oder Luftwege erreicht werden können. Je näher diese Kolonien an Großdeutschland liegen und je sicherer die Verbindungen zu ihnen zu schützen sind, de- sto wertvoller sind sie im Kriegsfalle. Weit abgelegene, dem Zugriff eines Gegners leicht ausgesetzte Kolonien — wie unsere in Ostasien gelegenen früheren Besitzungen — sind im Kriege nur eine Belastung für uns und eine leichte Beute des Feindes. Die Kolonien müs- sen auch möglichst so groß und schon im Frieden so geschützt sein durch Lage, Hinter- land, Stützpunkte, Befestigungen, durch so starke Kontingente aller drei Wehrmachtteile, daß sie sich selbst dauernd oder wenigstens so lange halten können, daß ihnen auf gesi- chertem Wege Nachschub am Notwendigsten zugeführt werden kann. Wir erlebten es so- eben in Frankreich, daß selbst stark befestigte ziemlich bombensichere Stützpunkte trotz höchsten kämpferischen Einsatzes und soldatischer Leistungen ihrer Besatzungen nach ei- ner gewissen Zeit dem Ansturm von zahlenmäßig überlegenem Material und Personal trotz deren geringerer Qualität im einzelnen erliegen, weil ihnen kein Nachschub, keine Munition, kein Ersatz für Verluste zugeführt werden konnte, wie das der Gegner für sich tun konnte. U-Bootsstützpunkte z.B. wie St. Nazaire und Lorient sind zwar auch jetzt noch unbezwungen, aber trotzdem keine brauchbaren U-Bootsstützpunkte mehr, weil ih- nen seit Monaten kein ausreichender Nachschub an Torpedos, Öl, usw. zugeführt werden kann336. Die Kolonien müssen also soweit als möglich autark sein. Sie müssen auch möglichst so gelegen sein, daß sie nicht natürlichen Anreiz bieten, sich ihrer zu bemächtigen wie z.B. die Bermudas vor den USA oder die Philippinen vor Japan. Der fiir Europa gegebene Ergänzungserdteil, in dem wohl alle fehlenden Rohstoffe zu finden sind, ist Afrika. Ihn dem Zugriff der USA zu entziehen, muß auch schon deswegen erreicht werden, um ihn nicht zum unversenkbaren Flugzeugträger Amerikas gegen Europa wer- den zu lassen337. Diese Bedeutung Afrikas wird erst richtig erkannt werden, wenn die wei- tere Entwicklung des Flugzeuges noch sichtbar werden wird. Wie schon vorhin angedeutet, müssen wir möglichst vermeiden, Kolonien zum natürlichen Anreiz für andere, sich ihrer zu bemächtigen, werden zu lassen, es sei denn, wir können von ihnen aus die Lebensadern unserer Gegner entscheidend bedrohen. Und weiter wird zu beachten sein: Die Einflußsphären Japans und Amerikas wollen wir nicht bedrohen und uns daher alles dessen enthalten, was als Bedrohung ausgelegt werden könnte, d. h. praktisch Verzicht auf jeden Erwerb in Ostasien oder in der Nähe Amerikas. Aber andererseits muß auch jeder Versuch USA's, sich »Sprungbretter« im europäischen Raum zu sichern, verhindert werden. Die USA soll sich auf ihren eigenen Erdteil be- schränken — daran haben sie wahrhaftig genug! Daher müssen ζ. B. Island, Grönland und die Azoren aus der USA-Interessensphäre her- ausgelöst werden, genau so wie Afrika, denn auch sie sind »unversenkbare« Flugzeugträ- ger oder Ferngeschoß-Stützpunkte, die bei weiterer Entwicklung dieser neuen Waffe Eu- ropa bedrohen könnten. Die Stoßrichtung der Sowjetunion muß nach Osten und Süden umgebogen werden; ihr na- türlicher Drang nach eisfreien, ständig offenen Häfen und Meeren kann für dauernd nicht unterdrückt werden, ein Ventil muß ihnen dafür geöffnet werden, nicht aber nach dem so . nahen Mittelmeer. Sollte der Expansionsdrang der Sowjets oder eines unter anderer Füh- rung stehenden Rußlands hierbei Konflikte mit ostasiatischen Großmächten wahrschein- lich oder gar möglich machen, so sind wir hieran insofern uninteressiert, als wir dort keine Aspirationen haben. Solche Konflikte könnten unter Umständen uns nur noch stärker ma- chen. Dieser Krieg zeigt uns ferner, und wir haben das gerade jetzt bitter am eigenen Leibe er- fahren, welche wichtige Rolle bei der gesamten Kriegführung die Ölfrage spielt. Mangel an Brennstoff kann — auch wenn sonst fast alle Bedingungen für den Endsieg erfüllt sind — den davon Betroffenen um alle Früchte seiner Siege bringen und die Niederlage herbei- führen. Der Kriegsschluß muß uns also in den Besitz genügender Brennstoffquellen für Ol- und Benzingewinnung bringen und verhindern, daß andere Mächte ein ölmonopol erhalten. Die Ölvorkommen, von denen die Kriegführung anderer Großmächte entschei- dend abhängt, und die nicht in den betreffenden Ländern selbst gelegen sind, müssen ge- gen deren Zugriff im Kriegsfalle soweit als möglich gesichert werden. (Bahrein-Inseln, mittlerer Osten, Arabien). Das gilt besonders für Amerika, das wegen drohender Erschöp- fung der eigenen Ölvorkommen sich nun im nahen Osten und allen Gebieten mit Ölvor- kommen festzusetzen sucht. Diese Ölvorkommen dürfen auch im Frieden nicht amerikani- scher oder englischer Kontrolle unterstehen sowohl aus wirtschaftlichen, wie aus politi- schen und militärischen Gründen. Die Form dieser Sicherung ist hier nicht zu erörtern. Welche anderen kriegswichtigen Rohstoffe, deren ausreichende Vorratshaltung als Kriegsreserve nicht möglich ist, für Großdeutschland gesichert werden müssen, ist nicht im Rahmen dieser Abhandlung zu erörtern, die sich auf die Seekriegführung allein be- schränkt. Es ist aber denkbar und wahrscheinlich, daß die Sicherung bestimmter Rohstoffgebiete au- ßerhalb Großdeutschlands auch die Belange der Seekriegführung berührt. Daher ist recht- zeitige Festlegung auch dieser Forderung erwünscht, um alle Belange aufeinander abzu- stimmen. Ich nehme bei den Überlegungen über die für uns notwendigen Stützpunkte ferner an, daß die wenigen wirklich Neutralen — sofern man davon überhaupt noch sprechen kann — aus der Siegesbeute etwas erhalten wollen, weniger, um sie für ihre Haltung zu belohnen, als um sie dadurch nunmehr zum natürlichen Gegner des Staates zu machen, aus dessen Be- sitz sie etwas erhalten (z.B. Spanien Gibraltar). Die Haltung der mit uns im Kriege gewesenen europäischen Staaten im weiteren Kriegs- verlauf nach dem ersten Waffenstillstand wird ebenfalls zu berücksichtigen sein, meines Erachtens aber nur soweit, daß durch die Ahndung dieser Haltung die künftige europä- ische Zusammenarbeit unter Führung Großdeutschlands nicht mehr als nötig beeinträch- tigt wird. Auf die Verräter-Nationen unserer ehemaligen Verbündeten ist allein schon aus psycholo- gischen Gründen am wenigsten Rücksicht zu nehmen, auch auf das m.E. immer unzuver- lässig bleibende, offenbar zu einer Großmacht nicht mehr befähigte Italien nur soweit, als das im eigenen großdeutschen Interesse liegt33". Denn m.E. ist nur Mussolini selbst mit ei- nem recht kleinen Volksteil ein wirklicher Freund Deutschlands. Endlich — und das ist m. E. ein recht wichtiger Punkt — ist doch bei allen Erwerbungen ein gewisses Maßhalten nötig, damit das neue Deutschland sich nicht übernimmt sondern das •Erworbene mit seinen eigenen Kräften auch dann wirklich halten kann, wenn der Führer des Großdeutschen Reiches einmal nicht mehr heißt. Denn bald nach Eintreten dieses Ereignisses wird sich wahrscheinlich ein neuer Versuch ehemaliger Gegner anbah- nen, uns das Errungene streitig zu machen. Manche Einrichtungen, die zunächst nach diesem Kriege getroffen werden müssen, um den Sieg zu sichern, werden nach Erzielung wirklicher europäischer Zusammenarbeit wieder aufgegeben werden können, um dadurch diese Staaten noch fester für engste Zusammen- arbeit zu gewinnen. Ich denke z.B., daß... dann die Küstenstriche des jetzigen Frank- reichs, die bei Friedensschluß der deutschen Wehrmacht ausschließlich zur Benutzung zu überlassen sind, auch für die französische Wehrmacht wieder, wenigstens teilweise freige- geben werden, bis man vielleicht einmal so weit ist, daß man nur noch eine einzige europä- ische Flotte anstelle der einzelstaatlichen Teile kennt339. Eine solche Verschmelzung ist z.B. auch in den USA nach dem Kampfe der Nordstaaten gegen die Südstaaten erfolgt; eine ähnliche Entwicklung könnte man sich also auch in Europa denken, wenn erst mal der Einfluß der ständigen Unruhestifter, des Juden und Englands, aus dem europäischen Staatenleben ausgeschaltet ist340. Daß eine einheitliche europäische Flotte z.B. ein ganz anderes Machtinstrument darstellen würde als es eine Reihe von Flotten der einzelnen eu- ropäischen Staaten auch unter deutschem Oberbefehl vermöchten, liegt auf der Hand. Eine Entwicklung zu solcher Einheit wird freilich — auch schon aus Sprachgründen — Jahrzehnte brauchen. Eine einheitliche Flotte ist jedenfalls viel dringenderes Gebot als ein einheitliches Heer oder eine einheitliche Luftwaffe in Europa. Endlich muß Großdeutschland Häfen haben, von denen es schon im Frieden ohne Zeitver- lust weitreichende Manöver abhalten kann und den voraussichtlichen Kriegsschauplatz kennenlernen und für dessen Wetter- und Wichtigkeitsverhältnisse es seine Besatzungen schulen kann. Was braucht nun unter Berücksichtigung der vorstehenden Gesichtspunkte Großdeutsch- land an Stützpunkten für seine künftige Seekriegführung in einer Welt, die nach dem Krieg zunächst drei große Schwerpunktsbildungen aufweisen wird: erstens Europa- Afrika, zweitens Amerika-englisches Restreich, drittens Großostasien-Rußland. Und wel- che anderen Sicherungen sind bei den bisherigen Gegnern zu treffen, um die künftige deutsche Seekriegführung zu erleichtern?

I. In der Ostsee: Da Rußland von seinem Drang nach Westen weggeleitet werden muß zur künftigen Orientierung nach Osten und Süden, würde es am besten ganz von Zugän- gen zur Ostsee entblößt, d. h. Leningrad-Kronstadt würde mit seinem westlich des Wol- chow gelegenen Gebiet zu Estland geschlagen, so daß Estland Grenznachbar Finnlands würde entlang etwa der Grenze des Ladoga-Sees — Wolchow — Ilmensee — Pleskau. Falls eine völlige Abdrängung Rußlands von der Ostsee nicht beabsichtigt sein sollte, wäre abgesehen von der Wiederherstellung des alten Finnlands vor Kriegsausbruch ein Verbot der Unterhaltung und Herstellung von Kriegsschiffen und Hilfskriegsschiffen im Bereich der Ostsee zu fordern. In Polarnoje hätte Rußland dann immer noch einen eisfreien Kriegshafen und Zugang zum Weltmeer. Die Nordischen Staaten Schweden und Dänemark bleiben in ihrem Besitzstand in der Ostsee unverändert, haben aber ihre Zustimmung dazu zu geben, daß Großdeutschland im Kriegsfall das Recht hat, mit allen Arten Kriegs- und Handelsschiffen sämtliche Ost- see-Ausgänge und Gewässer dieser Staaten auch innerhalb der Hoheitsgewässer der Ost- see-Anlieger-Staaten zu befahren und gegebenenfalls diese Ausgänge ganz oder teilweise zu sperren. Von Finnland sind die Aalands-Inseln an Deutschland abzutreten. Von den Baltischen Staaten — sofern sie nicht in Großdeutschland aufgehen — wäre das Recht der Benutzung der Häfen Libau, Windau, Riga und Reval (und gegebenenfalls Kronstadt) durch" deutsche Kriegs- und Handelsschiffe sowohl im Frieden wie im Kriege zuzugestehen. Damit könnte Deutschlands Seeherrschaft in der Ostsee von keinem der Anliegerstaaten mehr gefährdet werden, d.h. daß der gesamte für Deutschland im Kriegsfalle so wichtige Erz- und Holztransport so gesichert wäre, wie es überhaupt möglich ist.

II. In der Nordsee: a) Norwegen: Ais Stützpunkt für schwerste deutsche Kriegsschiffe: Drontheim als Stützpunkt für leichte deutsche Kriegsschiffe Stavanger und Narvik Errichtung entsprechender Werften an diesen Orten. b) Holland: Als Stützpunkt für leichte deutsche Kriegsschiffe: Helder, Walcheren (Vlissingen) und Breskens. In der Scheidemündung müssen deutsche Befestigungen angelegt wer- den. c) Belgien: Ist zusammen mit den bisher französischen Departements d) Frankreich: Pas de Calais-Somme, Oise, Aines, der Normandie und der Bretagne in ein europäisches Protektorat umzuwandeln, wobei das Kriegs- schiffsbenutzungsrecht für diese Häfen zunächst nur deutschen Kriegs- schiffen erlaubt ist. Die Loire-Mündung mit St. Nazaire ist Frankreich zu belassen. Dieses Gebiet darf weder mit Befestigungen noch überhaupt Wehr- machtanlagen versehen werden. Vor Brest würde der große Exerzierplatz der großdeutschen Flotte im Atlantik liegen. Die Sicherung dieses ganzen Küstenstriches von der Scheide bis nach dem Atlantik ist notwendig für einen künftigen Krieg gegen Roose- velt-Amerika und ein mit ihm gehendes England. Dieses Protektorat muß einen so breiten Küstenstreifen umfassen, daß es genügend Platz nicht nur für Häfen, sondern auch für Flugplatz und starke Heeresgar- nisonen bietet. Die Grenzziehung im einzelnen wäre nach Billigung des Gesamtplanes vorzunehmen; deshalb wird vorläufig von einem mehr ins einzelne gehenden Vorschlag hierfür abgesehen. e) England: Welche Abtretungen England zu leisten haben wird, wird von der vom Führer beabsichtigten Politik gegenüber diesem eigentlichen Erzfeind Deutschlands abhängen. Selbst bei schwerster Niederlage Englands glaube ich nicht, daß diese eine schnelle Änderung seiner Haltung ge- gen Deutschland zur Folge haben wird, und zwar solange nicht, als es nicht wirklich am eigenen Leibe spürt, daß Deutschland an die Stelle Englands getreten ist. Diese Entziehungskur für die englische Selbst- überhebung wird allerdings einige Zeit beanspruchen. Um sie zu be- schleunigen und damit vielleicht eines Tages doch noch England für die europäische Solidarität zu gewinnen, halte ich es für richtig, daß England nicht nur die Kanalinseln zunächst an Deutschland (später nach festgestellter Zuneigung Frankreichs zur europäischen Solidarität an Frankreich zurückzugeben) abtritt, sondern auch seine Niederlage recht sichtbar einzugestehen hat durch die Abtretung der Sbetlands an Großdeutschland541. Von den Shetlands aus mit Etappenstationen Drontheim, Bergen und Stavanger hinter sich ist Scapa Flow dem deutschen Zugriff in wenigen Minuten ausgesetzt, ebenso aber ζ. B. der Firth of Forth. Erst wenn — falls das in der Linie der künftigen deutschen Politik liegen sollte — England in den europäischen Kurs eingereiht werden darf, wären ihm diese Inseln zurückzuerstatten, allerdings mit der Auflage, keinerlei Befestigungen, Garnisonen oder Flugplatz-Anlagen ohne deutsches Einverständnis dort zu unterhalten, f) Dänemark: Abtretung der Faröer an Deutschland, von Island, das sich ja an und für sich schon im Kriege staatsrechtlich von Dänemark getrennt hat, und Grönland. Letztere Insel wird m. E. künftig besondere Wichtigkeit er- langen einmal als Bollwerk gegen eine amerikanische Invasion in Eu- ropa, auf der anderen Seite als unversenkbarer Flugzeugträger Nord- amerikas, und endlich auch als Abfeuerungsplatz raketenartiger Ge- schosse gegen die USA. Auf die Eingliederung Grönlands in das Groß- deutsche Reich ist m. E. ganz besonderer Wert zu legen, zum minde- sten darf es keinesfalls in amerikanischen Besitz gelangen oder »Inter- essengebiet« von ihm werden. Die Etappenstationen dorthin, nämlich Faröer und Island, wären im Besitz unserer Gegner für Großdeutsch- land einfach untragbar.

III. Mittelmeer: Wenn die Absicht weiterbesteht, im Mittelmeer keine deutschen Stütz- punkte einzurichten342, so muß doch die dort starke Stellung Englands zerschlagen und sein Weg nach Osten durch das Mittelmeer leicht bedrohbar gemacht werden. Dazu: Gi- braltar an Spanien, Malta an Italien, Ausschaltung Englands von jeder Einflußnahme auf Ägypten sowie aus der Kontrolle des Suezkanals 343, Aufhebung der Mandate über Syrien und Palästina, Ausscheiden Englands und Frankreichs aus dem Tanger-Statut. Jeder Neuerwerb oder jede Pachtung (z.B. bisher griechischer Inseln) im Mittelmeer bleibt sowohl England wie Frankreich untersagt, desgleichen das ständige Unterhalten englischer Seestreitkräfte innerhalb des Mittelmeeres; Zypern ist Griechenland zurückzu- geben oder der Türkei zu überantworten. Bei etwaiger Einrichtung deutscher Stützpunkte im Mittelmeer sind Kreta und Zypern344 zu fordern als besonders geeignete Stützpunkte für leichte Seestreitkräfte und Flugzeuge, sowie Haifa345, wodurch die Kontrolle über das Öl des Mittelmeerraumes gewonnen wer- den würde.

IV. Schwarzes Meer: Ich nehme an, daß ein siegreiches Kriegsende uns auch die dortigen russischen Häfen oder wenigstens einen Teil von ihnen bringen wird, nämlich Odessa und Sewastopol. Nichtzutreffendenfalls darf wenigstens Rußland keine freie Durchfahrt durch die Dardanellen zugestanden werden, um damit die Türkei im Konfliktfall mit Rußland möglichst auf unserer Seite zu haben.

V. Im Atlantik: Zur Sicherung des Weges zu unserem künftigen Kolonialbesitz in Afrika, zur Erschwerung amerikanischer Angriffe auf diesen Weg und um den Angriff auf die amerikanischen Seeverbindungen im Falle abermaliger Bedrohung durch Amerika zu er- leichtern, halte ich folgende Stützpunkte für notwendig344: a) Azoren. Ihre Bedeutung hat auch dieser Krieg wieder erwiesen als Stützpunkt für Flug- 154 und Seestreitkräfte. Portugal ist, wie beide Weltkriege gezeigt haben, machtmäßig nicht imstande, diese wichtigste Inselgruppe gegen fremde Besetzungen zu sichern, also muß eine andere europäische Großmacht diesen Schutz übernehmen (Madeira ist Por- tugal zu belassen, da es keinen brauchbaren Hafen hat, darf aber von Portugal ohne deutsche Zustimmung nicht veräußert oder verpachtet oder einer anderen Macht zur Verfügung gestellt werden). b) Französiscb-West-Marokko, mit dem für uns wichtigen Hafen Casablanca. Der Hafen allein ohne Hinterland genügt nichtM7, da er sonst zu leicht einer Landung mit starken Kräften unterliegt. Er braucht Truppen und Flugstützpunkte; das Gebiet muß sich not- falls längere Zeit allein halten können. Ob Frankreich für diesen Gebietsverlust an an- derer Stelle auf englische Kolonialkosten entschädigt werden soll, ist eine rein politi- sche Frage. c) Sehr erwünscht wären die Kanarischen Inseln, die diesem Gebiet vorgelagert sind. Viel- leicht könnte Spanien dafür durch Abgabe von Gebietsteilen im Süden von Franzö- sisch-West-Marokko entschädigt werden. Denn Spanien allein ist, ebenso wenig wie Portugal imstande, die volle Neutralität seines Inselbesitzes im Atlantik im Kriegsfalle zu gewährleisten. Zum mindesten muß im Interesse Europas die Anlage einiger deut- scher Stützpunkte für Flug- und Seestreitkräfte dort erreicht werden, zumal sie ja auch dem Schutz der spanischen Interessen dienen. Aus gleichem Grunde muß auch Portugal die Kap Verdischen Inseln an Deutschland ab- treten, zum mindesten die Anlage deutscher See- und Luftstützpunkte zugestehen. Denn diese Inselgruppe dient der Sicherung der französischen Kolonie Senegal mit dem wichtigen Hafenplatz Dakar, der dem amerikanischen Festlande am nächsten liegt; sie darf als unversenkbarer Flugzeugträger oder Ferngeschoßstützpunkt nicht in Feindeshand fallen. e) Dakar mit Hinterland Senegambien (wichtigstes Rohstoffland für Gummi, Erdnüsse, Palmkerne) südlich des Senegal. Ob Frankreich für den Verlust auch dieses Kolonialbesitzes etwa mit dem englischen Kolonialbesitz Sierra Leone und der Goldküste oder eines von beiden abgefunden wer- den soll, ist eine politische Frage. Freetown in Sierra Leone wäre ein vollwertiger Er- satzhafen für das abgetretene Dakar348. f) Die früheren deutschen Kolonien Kamerun und Ostafrika würden durch Eingliederung des besonders wertvollen Rohstoffgebietes Belgisch-Kongo und von Franz. Aquatorial- Afrika (vom Entenschnabel südlich Bangi bis zur Mündung des Kongo und hinauf nach Libreville) zu einem zusammenhängenden mittelafrikanischen Kolonialreich zusam- menzuschließen sein. g) Verbindung von Deutsch-Südwest-Afrika mit Deutsch-Ostafrika wäre erwünscht und durch Angliederung Nordrhodesiens zu erreichen. Die Walfisch-Bucht ist an Deutschland abzutreten349. h) Die dem Kolonialgebiet zu f) im Westen vorgelagerten spanischen oder portugiesi- schen Inseln Fernando Po, I. Dopa Principe S. Thome und Amobom müßten gegen Ent- schädigung aus englischem oder französischem Kolonialbesitz in deutschen Besitz übergehen; die im Osten vorgelagerten englischen Pemba-Inseln und Sansibar sind an Deutschland abzutreten. Auch die Abgabe von Mombassa Kilindi als des besten ge- schützten Hafens von Ostafrika ist erwünscht. Durch diese atlantischen Stützpunkte von Grönland bis herunter nach Südwest-Afrika ist der Zugriff auf die Hauptseewege des Welthandels (s. Nauticus 1943, Abbild 1, S. 327) am leichtesten und wirksamsten, der Weg zu unseren Überseekolonien und diese selbst am besten gesichert. Die Bedeutung und Ausstattung der wichtigsten Stütz- punkte im afrikanischen Kolonialreich ist in Anlage 1 enthalten 35°. Die Karte (Anlage 2) enthält in Rot ausgezogen die Stützpunkte, die für einen günsti- gen Seekrieg Deutschlands notwendig, in Rot gestrichelt die, deren Besitz oder Benut- zung erwünscht ist. Die roten Pfeile deuten die Stoßrichtungen gegen die feindlichen Seeverbindungen an.

155 Schlußbetrachtung über die Vorteile dieser Stützpunkte fiir eine künftige Seekriegfiihrung in der Nordsee und im Atlantik Ein Blick auf die Karte zeigt sofort, daß wir nicht wie im Anfang der letzten beiden Welt- kriege angewiesen sind, aus dem schmalen, leicht unter ständiger Flieger- und Ortungsbe- obachtung zu haltenden Dreieck der Nordsee zu operieren, daß der Gegner also nicht mehr mit einer nur aus dieser Richtung kommenden deutschen Offensive zu rechnen hat, sondern daß er mit seinen Seeverbindungen sofort von fast allen Seiten angepackt werden kann. Er kann nicht mehr hoffen, durch völlige Sperrung des Ärmelkanals und der nördli- chen Zugänge zur Nordsee Großdeutschland von den Weltmeeren abzuschneiden und wieder eine völlige Blockade unseres Staates zu erreichen. Grönland, Island, die Faröer und die Shetlands mit den dahinter liegenden Stützpunkten sichern uns den nördlichen Zuweg zur Nordsee, das europäische Protektorat (Belgien und die nordfranzösische Kü- ste) den südlichen. Ein auf der Gegenseite stehendes England sähe vor allem sich von allen Seiten sofort aufs schärfste bedroht, durch U-Boote, Flieger, S-Boote, überhaupt jeglicher Art von Seestreitkräften und durch Fernbeschuß nicht nur im Süden, sondern auch im Norden, so daß England schneller blockiert wäre als Deutschland. Was aber eine wirk- same Blockade Englands bedeutet, braucht nicht näher ausgeführt zu werden. Nur muß dazu freilich auch eine zahlenmäßig starke deutsche Seemacht schon bei Kriegs- ausbruch vorhanden sein, damit die Blockade möglichst sofort voll wirksam werden kann. Wird von allen Seiten neben stärksten Luftangriffen auf Englands Versorgungszentren auch noch mit einer starken Minenverseuchung aller englischen Schiffahrtswege begon- nen, was von den England so nahe gelegenen neuen Stützpunkten unendlich viel leichter durchzuführen ist, als aus dem nassen Dreieck heraus, so wird es vielleicht garnicht erst noch einer Landung in England bedürfen, um es zu Boden zu bekommen. Daß aber auch eine Landung in diesem Falle leichter wäre, vor allem schon ganz anders vorbereitet wer- · den könnte als in diesem Kriege, bedarf auch keiner weiteren Beweisführung. Eine der englischen Seemacht auch nur ebenbürtige deutsche Flotte würde die dafür not- wendige Seeherrschaft im Kanal garantieren können, wenn auch unsere Luftwaffe dort die örtliche Überlegenheit hat oder gewinnt, jedenfalls nicht unterlegen ist. Die englische Flotte, die zwar den großen Vorteil zahlreicher guter und schwer einzuse- hender Stützpunkte in dem viel gegliederten Norden Englands hat, wird aber ganz anders als diesmal unter ständiger deutscher Bedrohung zur See und zur Luft von den neuen Stützpunkten aus stehen. Ihre südlichen Stützpunkte werden so unter deutschem Fernbe- schuß liegen, daß sie sehr viel von ihrem früheren Wert verlieren und ζ. B. bei einer Lan- dung nur unvollkommen ihren Zweck ausüben können. Aber auch die nördlichen Stütz- punkte sind durch Fernbeschuß und Luftangriffe von den neu gewonnenen nördlichen deutschen Stützpunkten bedroht. Es ist eben so, daß durch die Erfindung immer neuer Waffen und Geräte die Räume immer weiter schrumpfen und noch weiter schrumpfen werden. Alles wird einander näher gerückt.

An dieser geschilderten Bedrohung Englands infolge der völlig veränderten geographi- schen Gegebenheiten würde auch eine Kriegsbeteiligung Amerikas, die ich als selbstver- ständlich voraussetze, oder Rußlands nichts grundlegendes ändern, solange wir diese neuen Stützpunkte halten können. Da sie näher am deutschen Machtbereich liegen als am amerikanischen, zudem sich wegen ihrer geringen räumlichen Trennung schnell gegensei- tig unterstützen können, so hat Deutschland auf die Dauer bessere Aussichten, sie zu hal- ten, als Amerika, sie zu erobern. Der Kampf um die Philippinen zeigt jetzt deutlich, daß eine Inselhüpferei des Gegners sehr viel schwerer wird, je länger die Etappenlinien des Gegners und je kürzer die eigenen werden351. Was hier vom pazifischen Kriegsschauplatz gilt, gilt in noch stärkerem Maße vom Nordseekriegsschauplatz. Auch sind hier starke Mi- nensperrbereiche vor und zwischen den Stützpunkten eine starke Erschwerung eines feindlichen Angriffs. Im Besitz dieser nördlichen Stützpunkte würden wir eine Versorgung Rußlands auf dem Seewege nach Murmansk völlig unterbinden können. Rußland wäre vom Atlantik abge- schnitten. Wir lägen vor seinen Stützpunkten als Riegel, wie England bisher vor Deutsch- land. Auch die wenigen russischen Stützpunkte im Norden wären zur See, zur Luft und auch zu Lande bedroht und zwar viel stärker, als es in diesem Kriege der Fall war. So würde die russische Flotte in Polarnoje — falls sie nicht überhaupt in ihrer Stärke durch die Friedensbedingungen stark beschränkt wird — kaum eine gefährliche Bedrohung der Ver- bindungswege zu unseren Stützpunkten oder überhaupt unserer Machtstellung in der Nordsee werden können. Wenn wir in diesem Kriege mit unseren bescheidenen Seekriegs- mitteln die Versorgung unserer Truppen und Stützpunkte im Norden Finnlands durch Ge- leitzüge trotz englisch-russischer Bedrohung aus der Luft und auf dem Wasser ermögli- chen konnten, so mUssen wir in einem künftigen Kriege unter so viel besseren Stütz- punkts- und Kräfteverhältnissen das erst recht erreichen können. Sollte Rußland ganz von der Ostsee abgedrängt werden oder nach den Friedensbedingungen dort keine Flotte mehr halten dürfen, so könnten wir unsere gesamte Seemacht, vielleicht von einigen Sicherungs- verbänden abgesehen, in der Nordsee und in den Atlantik-Stützpunkten konzentrieren — ein sehr wesentlicher Vorteil. Im Besitz der Atlantik-Stützpunkte von Grönland bis Brest haben wir eine weit vor das Mutterland vorgeschobene Verteidigungslinie, die der Gegner erst niederkämpfen müßte, ehe er an Großdeutschland selbst herankommen kann. Auch eine[r] amerikanischefn] Lan- dung in Frankreich südlich des europäischen Protektorates könnten wir von Brest und dem ganzen Protektorat aus schnell und mit starken Kräften jeder Waffengattung entge- gentreten. Die Nachschublinie für eine solche Landung wäre auch von den Azoren und von Casablanca her sehr stark gefährdet, so daß eine derartige Landung nicht sehr im Be- reich der Wahrscheinlichkeit liegt. Eine so überraschende und kühne Aktion, wie sie durch die deutsche Flotte in Norwegen durchgeführt wurde, kann sich hier kaum wiederholen, denn auf so unentschlossene und nur mit unzureichenden Gegenmitteln arbeitende Verteidigung würde hier der Amerika- ner nicht stoßen, zumal der lange Anmarschweg durch die belebtesten Meere eine überra- schende Aktion sowieso schon viel mehr erschwert, als dies bei der deutschen Aktion ge- gen Nofwegen der Fall sein konnte. Ein Blick auf die Karte zeigt ferner, daß wir von den Atlantik-Stützpunkten aus in ganz anderer Weise als bisher nicht nur die Seeverbindungen Englands sondern auch Amerikas angreifen können und zwar nicht nur mit U-Booten, sondern auch mit Hilfskreuzern, kampfkräftigen Kreuzern und Flugzeugträgern sowie mit Landflugzeugen, z.B. von den Azoren aus. Die größere Anzahl der Stützpunkte käme dem Kreuzerkrieg sehr zu statten, aber auch dem U-Bootskrieg, da die U-Boote bis zum Erreichen ihres Operationsgebietes viel kürzere Strecken zurückzulegen hätten als in diesem Krieg, auch als der U-Bootskrieg noch von den französischen Häfen ausgeführt [sie] werden konnte. Der Wirkungsgrad aller Waffen wird also durch die Kette der Stützpunkte erheblich ge- steigert. Das quer durch Äquatorial-Afrika gehende große Kolonialgebiet von Ostafrika bis Kame- run schneidet alle Verbindungen von Süden nach Norden durch, trennt also z.B. Süd- afrika ganz von jeder Verbindung mit den bisherigen Einflußsphären Englands im Mittel- meer (Kap Kairo-Bahn) und auch mit dem englischen Kolonialbesitz in Ostafrika. Süd- afrikas Seeverbindungen würden durch die deutschen Stützpunkte in Südwest- und Ost- afrika flankiert. Es zeigt sich also, daß die neuen Stützpunkte sowohl vom Standpunkt des Angriffs wie der Verteidigung die künftige deutsche Seekriegführung erleichtern und erheblich wirksamer gestalten werden und daß daher ihre Eingliederung in das Großdeutsche Reich erfolgen sollte.

Saalwächter Generaladmiral z.V.352

157 Als knappe Auswahl zu diesem Problem H.M. Baumgartner: Kontinuität und Geschichte. Zur Kritik und Metakritik der historischen Vernunft. Frankfurt a.M. 1972; W. Dilthey: Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften. Einl. von M. Riedel. Frankfurt a.M. 1970; J G. Droysen: Historik. Vorlesungen über Enzyklopädie und Methodologie der Geschichte. Hrsg. von R. Hübner. Darmstadt61971; H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode. Grundzüge ei- ner philosophischen Hermeneutik. 2. Aufl., durch ein Nachw. erw. Tübingen 1965. Zur Kontinuität in der deutschen Geschichte vgl. insbesondere F. Fischer: Bündnis der Eliten. Zur Kontinuität der Machtstrukturen in Deutschland 1871—1945. Düsseldorf 1979 (zit. Fischer: Bündnis der Eliten); ders.: Zum Problem der Kontinuität in der deutschen Geschichte von Bis- marck zu Hitler. In: F. Fischer: Der Erste Weltkrieg und das deutsche Geschichtsbild. Beiträge zur Bewältigung eines historischen Tabus. Düsseldorf 1977, S. 350—363; K. Hildebrand: Hitlers Ort in der Geschichte des Preußisch-deutschen Nationalstaates. In: HZ 217 (1973) 548—632; A. Hillgruber: Deutschlands Rolle in der Vorgeschichte der beiden Weltkriege. Göttingen 1967 (•» Die deutsche Frage in der Welt. Bd 7.); ders.: Kontinuität und Diskontinuität in der deutschen Außenpolitik von Bismarck bis Hitler. Düsseldorf 31971; ders.: Zwischen Hegemonie und Welt- politik. Das Problem der Kontinuität von Bismarck bis Bethmann Hollweg. In: A. Hillgruber: Deutsche Großmacht- und Weltpolitik im 19. und 20. Jahrhundert. Düsseldorf 1977, S. 53—70; H.-A. Jacobsen: Zur Kontinuität und Diskontinuität in der deutschen Außenpolitik im 20. Jahr- hundert. In: ders.: Von der Strategie der Gewalt zur Politik der Friedenssicherung. Beiträge zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert. Düsseldorf 1977, S. 9—32; Th. Nipperdey: 1933 und die Kontinuität in der deutschen Geschichte. In: HZ 227 (1978) 85—111.

Unter Marineführung soll im folgenden nicht eine Institution oder der personelle Bestand der je- weils höchsten Instanz des Wehrmachtteils Marine verstanden werden, sondern die Gesamtheit der Marineoffiziere, die auf die politischen und militärstrategischen Vorstellungen in ihm Einfluß nahmen. W. Hubatsch: Der Admiralstab und die obersten Marinebehörden in Deutschland 1848—1945. Frankfurt a.M. 1958, S. 75 f.; A. v. Tirpitz: Erinnerungen. 5. durchges. und verb. Aufl. Berlin, Leipzig 1927, S. 79. Ausführlich dazu V.R. Berghahn: Der Tirpitz-Plan. Genesis und Verfall einer innenpolitischen Krisenstrategie unter Wilhelm II. (= Geschichtliche Studien zu Politik und Gesellschaft. Bd 1.) Düsseldorf 1971, S. 109 f.; zur Datierung vgl. ebd., Anm. 7; J. Steinberg: Yesterday's Deterrent. Tirpitz and the Birth of the German Battle Fleet. London 1965, S. 208—221: vollständiger Ab- druck (englisch und deutsch) der Denkschrift, die irrtümlich in den Juni 1897 datiert wird. Aus- führlicher Kommentar zu ihr, ebd., S. 124—129. Steinberg faßt zusammen: »The Tirpitz memo- randum of June 1897 is certainly the most remarkable document in the history of the German Navy. ... By fixing his sights relentlessly on England, Tirpitz made the whole plan leap into life.« Zitate nach Steinberg (s. Anm. 5), S. 208. Ebd., S. 210. Rede Wilhelms II. am 3.7.1900 anläßlich der Taufe des Linienschiffes »Wittelsbach« in Wilhelms- haven. Veröffentlicht als Dokument Nr. 35 in Reden des Kaisers. Ansprachen, Predigten und Trinksprüche Wilhelms II. Hrsg. von E.Johann. (= dtv dokumente. 2906.) München 1977, S.88f. Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg i.Br. (BA-MA) Ν 168/8, Nachlaß (NL) Büchsei, Immediat- vortrag v. 21.3.1903, Bl. 12-16, Zitat Bl. 12. — Vgl. Berghahn (s. Anm. 5), S. 287 u. 334 f.; H.H. Herwig, D. F. Trask: Naval Operations Plans between Germany and the United States of America 1898—1913. A Study of Strategic Planning in the Age of Imperialism. In: MGM 8 (1970) 5—32, hier S. 24 f.; direkt zum Problem eines deutsch-amerikanischen Konflikts und seiner Diskussion in Deutschland und Amerika vgl. A. Vagts: Bilanzen und Balancen. Aufsätze zur internationalen Finanz und internationalen Politik. Hrsg. von H.-U. Wehler. Frankfurt a.M. 1979, hier S. 193—218: »Hoffnungen und Befürchtungen von 1870 bis 1915: Ein deutsch-amerikanischer Krieg?« BA-MA Ν 168/8 (s. Anm. 9), Bl. 17—27: Immediatvortrag 1903, aus der Ergänzung auf Bl. 26 geht hervor, daß der Vortrag wohl am 22. 12. 1903 gehalten wurde. Zitate Bl. 17. — Vgl. Berg- hahn (s. Anm. 5), S. 335-338. Zur britischen Diskussion über eine adäquate Seestrategie gegen Deutschland vgl. P. M. Kennedy: Aufstieg und Verfall der britischen Seemacht. Herford, Bonn 1978, S. 265—269. Dazu Berghahn (s. Anm. 5), S. 338; E. Wegener: Die Tirpitzsche Seestrategie. In: Marine und Marinepolitik im kaiserlichen Deutschland 1871—1914. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen For- schungsamt durch H. Schottelius und W. Deist. Düsseldorf 1972, S. 236—262, hier S. 237. Zit. nach Fischer: Bündnis der Eliten (s. Anm. 2), S. 17. K. Riezler: Tagebücher, Aufsätze, Dokumente. Eingel. und hrsg. von K.D. Erdmann. Göttingen 1972. Eintragung v. 1.8.1916, S. 368. So ließ Tirpitz bereits im Oktober 1915 — Groeners spätere Feststellung quasi vorwegnehmend — festhalten, es sei die »Ansicht zahlreicher Kreise in der Armee und anderer rechtsstehender Kräfte«, daß Deutschland »Machtpolitik treiben müsse, aber Kontinentalpolitik. Erst die Feinde auf dem Kontinent niederringen, dazu alles in das Heer stecken... Welt- und Flottenpolitik ist >verfrüht< gewesen. Wir haben uns >übernommen< mit der Marine.« Zit. nach Berghahn (s. Anm. 5), S. 600 f. 16 Wilhelm Groener, Vortrag über die Lage, gehalten im Gr. H. Qu. am 19. 5. 1919. Zit. nach F. Fi- scher: Krieg der Illusionen. Die deutsche Politik von 1911 bis 1914. Düsseldorf 1969, S. 1. 17 V.R. Berghahn, W. Deist: Kaiserliche Marine und Kriegsausbruch 1914. Neue Dokumente zur Juli-Krise. In: MGM 7 (1970) 37-58, hier S. 43. II Grundlegend dazu F. Fischer: Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18. Sonderausg. Düsseldorf 1967. — Zur kontroversen Diskussion der Thesen Fischers vgl. ders.: Zur Kritik an dem Buch »Griff nach der Weltmacht«. In: Der Erste Weltkrieg und das deutsche Geschichtsbild (s. Anm. 2), S. 223—237; Fischer: Bündnis der Eliten (s. Anm. 2), S. 25-33. 19 Fischer: Bündnis der Eliten (Anm. 2), S. 31 u. 43. 20 R. Stadelmann: Die Epoche der deutsch-englischen Flottenrivalität. In: ders.: Deutschland und Westeuropa. Schloß Laupheim 1948, hier S. 140-145. 21 Berghahn (s. Anm. 5), S. 601—604. 22 L. Dehio: Deutschland und die Weltpolitik im 20. Jahrhundert. München 1955, S. 77—81. 23 Siehe Dok. 1. 24 G. Schmidt: Rationalismus und Irrationalismus in der englischen Flottenpolitik. In: Marine und Marinepolitik (s. Anm. 12), S. 283-295, hier S. 289. 25 Steinberg (s. Anm. 5), insgesamt. 26 Berghahn (s. Anm. 5), insgesamt. 27 W. Deist: Flottenpolitik und Flottenpropaganda. Das Nachrichtenbureau des Reichsmarineamtes 1897—1914. Stuttgart 1976 (= Beiträge zur Militär- und Kriegsgeschichte. Bd 17.), insgesamt. 28 Weiterführende Literatur findet man in den in Anm. 25—27 genannten Werken. 29 Dazu F. Forstmeier: Der Tirpitzsche Flottenbau im Urteil der Historiker. In: Marine und Marine- politik (s. Anm. 12), S. 34—53. 30 Dazu Berghahn (s. Anm. 5); ders.: Zu den Zielen des deutschen Flottenbaus unter Wilhelm II. In: HZ 210 (1970) 34—100; ders.: Der Tirpitz-Plan und die Krisis des preußisch-deutschen Herr- schaftssystems. In: Marine und Marinepolitik (s. Anm. 12), S. 89—115; ders.: Flottenrüstung und Machtgefüge. In: Das kaiserliche Deutschland. Politik und Gesellschaft 1870—1918. Hrsg. von M. Stürmer. Düsseldorf 1970, S. 378—396; Deist (s. Anm. 27); E. Kehr: Der Primat der Innenpo- litik. Gesammelte Aufsätze zur preußisch-deutschen Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Hrsg. und eingel. von H.-U. Wehler. Mit einem Vorw. von H. Herzfeld. (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin. Bd 19.) Berlin 11970, S. 111—148. 31 Berghahn (s. Anm. 5), S. 594—601. 32 Zit. nach der ausführlichen Rezension von M. Salewski zu Berghahn (s. Anm. 5) in HZ 219 (1974) 153-156. 33 Am 30. August 1914 meinte Tirpitz zum eigentlichen Femziel der deutschen Flottenpolitik: »[...] wir müssen eine England gleichstarke Flotte haben; dies natürliche und einzige Ziel konnte in den letzten zwei Jahrzehnten aber nicht gesagt werden«, zit. nach Fischer: Bündnis der Eliten (s. Anm. 2), S. 44. 34 Kennedy (s. Anm. 11), S. 236—255. 35 Schmidt (s. Anm. 24), S. 289. 36 Siehe Anm. 34. 37 Auf deutscher Seite wies Vizeadmiral a.D. Galster 1907 darauf hin, daß der Schlachtflottenbau gegen England militärisch sinnlos sei, da eine derartige Flotte keinerlei Siegesaussicht besitzen werde. Er sprach sich deshalb für eine auf den Kleinkrieg ausgerichtete Marine aus, die haupt- sächlich aus Torpedobooten und U-Booten etc. bestehen sollte. Mit seiner 1907 veröffentlichten Schrift Welche Seekriegsrüstung braucht Deutschland? scheint Galster einen gewissen Einfluß auf Reichskanzler v. Bülow ausgeübt zu haben. Jedenfalls neigte dieser damals immer deutlicher dazu, den Briten in der Flottenfrage entgegenzukommen. Tirpitz allerdings — vorbehaltlos dem Großflottenbau verpflichtet — lehnte Galsters Ideen ab — mit Erfolg! Vgl. F. Haselmayr: Zehn Jahre Großflottenbau und seine Auswirkung 1900—1909. München 1962, S. 335. Haselmayr, des- sen Untersuchungen im wesentlichen auf der Auswertung der in Die Große Politik der Europä- ischen Kabinette 1871—1914. Bd 1—40. Berlin 1922—1927 publizierten Aktensammlungen beru- hen, versucht in seinem sechsbändigen Werk Diplomatische Geschichte des Zweiten Reiches von 1871—1918 u.a. die im Versailler Vertrag formulierte Kriegsschuldthese zu widerlegen. Um so be- merkenswerter ist es, daß auch er den deutschen Großflottenbau als ursächlich für die deutsch- britischen Schwierigkeiten anerkennt. Haselmayr spricht von der — in der deutschen Historiogra- phie bis 1962 kaum zugegebenen — »Verfehltheit und Schädlichkeit« des Vorhabens. 38 Zahlen nach Kennedy (s. Anm. 11), S. 230. 39 Vgl. Fischer: Bündnis der Eliten (s. Anm. 2), S. 19; Kennedy (s. Anm. 11), S. 227—262. 40 Fischer (s. Anm. 16), S. 613-616 u. 627-635. 41 Siehe Anm. 32. 42 Diese soll hier nicht unterstellt werden. Gleichwohl erregen die von Salewski (s. Anm. 32), S. 156, gegenüber der Arbeit Berghahns (s. Anm. 5) angemeldeten methodischen Vorbehalte Befremden. 43 Berghahn/Deist (s. Anm. 17), S. 41. 44 J. Dülffer: Weimar, Hitler und die Marine. Reichspolitik und Flottenbau 1920—1939. Düsseldorf 1973. 45 Siehe dazu Militär und Militarismus in der Weimarer Republik. Beiträge eines internationalen Symposiums an der Hochschule der Bundeswehr Hamburg am 5. und 6. Mai 1977. Hrsg. von K.- J. Müller und E. Opitz. Düsseldorf 1978. Dort die Referate von G. Schreiber: Reichsmarine, Re- visionismus und Weltmachtstreben, S. 149—176; Korreferat I — M. Salewski, S. 177—181; Korre- ferat II- W. Rahn, S. 183-188. 4« W. Rahn: Reichsmarine und Landesverteidigung 1919—1928. Konzeption und Führung der Ma- rine in der Weimarer Republik. München 1976. 47 So Salewski (s. Anm. 45), S. 181. Sehr prononciert vertritt er diese Bündnisthese in Selbstver- ständnis und historisches Bewußtsein in der deutschen Kriegsmarine. In: Marine-Rundschau (MR) 67 (1970) 65-88, hier S. 73 f. 48 So Salewski in seiner Rezension zu Dülffer (s. Anm. 44) in Die Zeit, Nr. 50, Hamburg, den 7. 12. 1973, S. 54. 49 Zu dieser Situation — unter besonderer Berücksichtigung der Marine — vgl. W. Deist: Die Unru- hen in der Marine 1917/18. In: MR 68 (1971) 325-343, hier S. 338-340; Fischer: Griff nach der Weltmacht (s. Anm. 18), S. 557 f. 50 Deist (s. Anm. 49), S. 329-338. 51 Der Chef des Stabes der Seekriegsleitung, v. Levetzow, bemerkte dazu am 11. 10. 1918: »Es wird, solange wir noch kämpfen können, nie und nimmer zugegeben werden, im Friedensschluß einem Vertrag zuzustimmen, der auf eine Verschlechterung oder Verkümmerung unserer Flotte aus- geht.« Zit. nach W. Deist: Die Politik der Seekriegsleitung und die Rebellion in der Flotte Ende Oktober 1918. In: VfZG 14 (1966) 341-368, hier S. 354. 52 Tirpitz (s. Anm. 4), S. 386. 53 Die »Überlegungen« sind abgedruckt bei Deist (s. Anm. 51), S. 352 f., außerdem bei H. Schubert: Admiral Adolf von Trotha (1868—1940). Ein Versuch zur historisch-psychologischen Biographik. Freiburg i. Br., Phil. Diss. 1976, S. 222 f. 54 Zit. nach Deist (s. Anm. 51), S. 352 f. Zu den Quellen ebd., S. 352 Anm. 26. 55 Zum U-Boot-Krieg im Ersten Weltkrieg s. B. Stegemann: Die deutsche Marinepolitik. 1916—1918. Berlin 1970 (= Historische Forschungen. Bd 4.) 54 Genau dies drohte, falls, wie man annahm, die Auslieferung der Flotte gefordert werden sollte. Zur Genesis der Auslieferungsfrage vgl. Rahn (s. Anm. 46), S. 19 f.; F. Rüge: Scapa Flow 1919. Das Ende der deutschen Flotte. Oldenburg, Hamburg 1969, S. 67—85. 57 Vergleichbar argumentierte Raeder am 3.9.1939 in seinen »Gedanken... zum Kriegsausbruch«, in denen das Stirb- und Werde-Denken als Element der Marineideologie emeut deutlich wurde. Raeder meinte damals: »Die Überwasserstreitkräfte sind... noch so gering an Zahl und Stärke ge- genüber der englischen Flotte, daß wir — vollen Einsatz vorausgesetzt — nur zeigen können, daß sie mit Anstand zu sterben verstehen und damit die Grundlage für einen späteren Wiederaufbau zu schaffen gewillt sind.« Zit. nach Lagevorträge des Oberbefehlshabers der Kriegsmarine vor Hitler 1939—1945. Im Auftrag des Arbeitskreises für Wehrforschung hrsg. von G. Wagner. Mün- chen 1972, S. 20 f. 58 Zit. nach Deist (s. Anm. 51), S. 353; Schubert (s. Anm. 53), S. 223 f. 59 Fischer: Bündnis der Eliten (s. Anm. 2), S. 44; Tirpitz (s. Anm. 4), S. 250—270. 60 Schubert (s. Anm. 53), S. 224. 61 Deist (s. Anm. 51), S. 354. 62 Stegemann (s. Anm. 55), S. 140. 63 Deist (s. Anm. 51), S. 353 u. 355; Stegemann (s. Anm. 55), S.139. 64 Dazu Deist (s. Anm. 51), S. 354; Schubert (s. Anm. 53), S. 225—227; Stegemann (s. Anm. 55), S. 140 f. 65 Zit. nach Deist (s. Anm. 51), S. 355; zur Datierung ebd., S. 354 f. Anm. 32. 66 Ausführlich abgehandelt wird die kontroverse wissenschaftliche Interpretation der Ziele des Flot- tenvorstoßes bei Deist (s. Anm. 51), S. 341 f. Anm. 2; vgl. jetzt auch E.R. Huber: Deutsche Ver- fassungsgeschichte seit 1789. Bd 5: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung 1914—1919. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1978. Der Autor spricht dem Unternehmen — allerdings auf Grund seiner puristischen Auswertung der operativen Planung, also rein militärischer Auslassungen, in denen hinsichtlich erhellender Anmerkungen zur Motivation kein Raum ist, und unter souveräner Außerachtlassung jener Dokumente, die den Flotteneinsatz als primär psychologische Reaktion der Marineführung im Kontext ihrer Seemachtideologie nachweisen — militärische Sinnhaftigkeit zu, S. 637—642. Unmittelbar dazu Stegemann (s. Anm. 55), der feststellt, daß »Scheer... vom Flottenvorstoß ebenso wenig einen militärischen Erfolg [erwartete] wie Levetzow oder Trotha«. 67 Zur Eigenmächtigkeit, die das Handeln der Marineführung darstellte, s. Deist (s. Anm. 51), S. 356—359; Hubatsch (s. Anm. 4), S. 181; S. Miller: Die Bürde der Macht. Die deutsche Sozial- demokratie 1918—1920. (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Bd 63.) Düsseldorf 1978, S. 74 f. u. ebd., Anm. 4; Stegemann (s. Anm. 55), S. 142. — Kontrovers zu diesen Autoren Huber (s. Anm. 66), S. 642—646, der, unter der Prämisse, daß seine Unterstellungen gegenüber Prinz Max von Baden zutreffen, das Einverständnis der politischen Führung mit der Aktion nachzuweisen versucht. 61 Zit. nach Schubert (s. Anm. 53), S. 229 f. 69 So noch Hubatsch (s. Anm. 4), S. 181. — Zutreffender schreibt D. Horn: The German Naval Mu- tinies of . New Brunswick 1969, S. 233: »... it was a mutiny of men who... were de- termined not to become sacrificial lambs to their officers' outworn concept of honor: It was the admirals' rebellion against the government that caused the mass disobedience of the sailors and stokers.« — Vgl. dazu das ausgewogene Urteil von Deist (s. Anm. 49), S. 342 f. Die Untersuchun- gen von Deist (s. Anm. 49 und 51) geben die bis heute überzeugendste und kenntnisreichste Inter- pretation zu dem hier in Rede stehenden Problem. Ihren Ergebnissen vermochte sich Gerhard Rit- ter 1968 ebenso anzuschließen (Staatskunst und Kriegshandwerk. Bd 4. München 1968, S. 461—463) wie jüngst Heinrich August Winkler (Die Sozialdemokratie und die Revolution von 1918/19. Ein Rückblick nach sechzig Jahren. Berlin, Bonn 1979, S. 24). 70 Der Ausschuß bestand aus 2 Soldaten aus dem Bereich der Marinestation der Ostsee, 2 Soldaten aus dem Bereich der Marinestation der Nordsee, je einem Arbeiter und einem Angestellten aus den Marine-Betrieben der beiden Stationen; nach H. Sprotte: Die Reichsmarine in ihrer organisa- torischen Entwicklung seit der Revolution. Berlin 1922, S. 18 f. — Zentral für diesen Problemkreis U. Kluge: Soldatenräte und Revolution. Studien zur Militärpolitik in Deutschland 1918/19. Göt- tingen 1975 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft. Bd 14.) 71 Publiziert bei Sprotte (s. Anm. 70), S. 19—21. — Vgl. R. Güth: Die Marine des Deutschen Reiches 1919-1939. Frankfurt a.M. 1972, S. 21 f. Dort irrtümlich auf den 2.2.1919 datiert. - Ausführlich zit. bei Rahn (s. Anm. 46), S. 35 f. 72 Ausführlich zu diesem Problemkreis W. Wette: Frieden durch Revolution? Das Scheitern der Friedenskonzeption der Radikalen Linken in der deutschen Revolution von 1918/19. In: Frieden, Gewalt, Sozialismus. Studien zur Geschichte der sozialistischen Arbeiterbewegung . Hrsg. von W. Huber und J. Schwerdtfeger. Stuttgart 1976, S. 282—357, hier S. 343 f. 73 Zit. nach Sprotte (s. Anm. 70), S. 23. 74 Zit. nach Akten der Reichskanzlei. Bd 1: Das Kabinett Scheidemann. 13. Februar bis 20. Juni 1919. Boppard a. Rh. 1971, hier Dok. Nr. 49: Richtlinien für die deutschen Friedensunterhändler, 21. April 1919, S. 193-204, Zitat S. 202. 75 BA-MA RM 20/409, Reichs-Marine-Amt, Friedensverhandlungen, hier Der Chef der Admirali- tät, Α III 5857, Berlin, den 17. Mai 1919, Bl. 86-88. 76 Im Rahmen dieser Bedingungen war an folgende Flotte gedacht: 4 Schiffe der Bayern- oder der König-Klasse, 6 Kleine Kreuzer, 24 Zerstörer, 24 Torpedoboote, 1 Flottille von M-Booten mit Tendern, 1 Flottille Motorboote mit 2 Mutterschiffen, Tendern und Motorbooten, 24 U-Boote für den Küstenschutzdienst, sowie die erforderlichen Schul-, Vermessungs-, Fischereischutz- schiffe und Tender (BA-MA, Marinearchiv 6021, S.A.-Akten, Stellungnahme des Chefs der Ad- miralität — Mai 1919 — zu Artikel 181, Abschrift Α III 6021, Bl. 96 f.). — Zu den Auflagen, die der Vertrag von Versailles für die deutsche Wehrmacht brachte und zur Durchführung der Be- stimmungen s. M. Salewski: Entwaffnung und Militärkontrolle in Deutschland 1919—1927. Mün- chen 1966 (= Schriften des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Poli- tik. Bd 24.) 77 Dazu Kennedy (s. Anm. 11), S. 302—306; M. Salewski: Die Washingtoner Abrüstungskonferenz von 1922. Ein Beispiel für geglückte Abrüstung? In: MR 70 (1973) 33—50. 7« Zur Entstehung der »Marineabordnung« — Kennwort »Friko« — im Rahmen der Deutschen Frie- denskommission s. die Bekanntmachung Μ 7699, Berlin, den 23. November 1918, in BA-MA RM 20/409 (s. Anm. 75), Bl. 3. Die Friko war zunächst dem Staatssekretär des Reichs-Marine-Amtes unmittelbar unterstellt, später unterstand sie dem Chef der Admiralität (dazu ebd., Verfügung Μ 4336, Berlin, den 16. 7. 1919, Bl. 108). Ihr erster Chef war der Kontreadmiral v. Bülow. Die als Dok. 1 abgedruckte Denkschrift muß zwischen dem 23. 11. 1918 und 21. 3. 1919, der Umbenen- nung des Reichs-Marine-Amtes in Admiralität, entstanden sein. 79 Dok. 1. 80 Ebd., S. 30. 81 A. v. Trotha: Volkstum und Staatsführung. Briefe und Aufzeichnungen 1915—1920. Berlin 1928, S. 163. 82 Diese Tendenz ist bei Schubert (s. Anm. 53), S. 260—262, angedeutet. 83 A. v. Trotha: Großadmiral von Tirpitz. Flottenbau und Reichsgedanke. Breslau 1933, S. 159, Tir- pitz an Trotha am 20. 9. 1919. 84 Trotha an Tirpitz am 5. 10. 1919. 85 Vgl. Schreiber (s. Anm. 45), S. 154. 86 BA-MA F 7585, hier Bd 1: Denkschriften zum Wiederaufbau der Flotte. Enthalten sind die Aus- arbeitungen des Kapitänleutnants Müller: Die deutsche Marine nach Friedensschluß (18. 2. 1919); des Korvettenkapitäns Büchsei: Die Gestaltung der Marine (19. 2. 1919); des Kapitäns zur See Horn: Betrachtungen zum Aufbau unserer Marine; und des Fregattenkapitäns Kahlert: Die Zukunft unserer Marine (19. 2. 1919). 87 Denkschrift Müller (s. Anm. 86). 88 Denkschrift Kahlert (s. Anm. 86). 89 BA-MA RM 20/128, Reichs-Marine-Amt, Allgemeines Marinedepartement, Akte Organisation der Marine, 21. 8. 1919—21. 6. 1920: »Gedanken zur Begründung der Notwendigkeit der Marine in dem durch den Friedensvertrag vorgesehenen Umfang«, v. 21. 6. 1920, 13 Seiten. 90 Überlegungen innerhalb der Marineführung im Mai/Juni 1919,zit. nach Rahn (s. Anm. 46), S.43f. 91 Zu Scapa Flow s. als Auswahl Dülffer (s. Anm. 44), S. 30 f.; R. Lakowski, W. Wunderlich: Zwi- schen Flottenschlacht und Zufuhrkrieg. Die Entwicklung des seestrategischen Denkens im impe- rialistischen Deutschland in Vorbereitung des Zweiten Weltkrieges. (= Militärhistorische Stu- dien. 19. N.F.) Berlin 1978, S. 39; Rahn (s. Anm. 46), S. 25 f. 92 Dazu vor allem Dienstschrift Nr. 15, geheim: Der Kampf der Marine gegen Versailles 1919—1935, bearb. von Kapitän zur See Schüssler, hrsg. vom OKM. Berlin 1937, Marine-Dienst- vorschrift Nr. 352. 93 BA-MA RM 1/v. 1845, Kaiserliche Marine Admiralität, Central Abteilung, März 1883 bis August 1920, Denkschriften, hier Bl. 104—117: Entwurf v. 19. 6. 1920, die dem Reichswehrminister zuge- sandte Originalfassung Bl. 96—102. — Vgl. Rahn (s. Anm. 46), S. 69 f., der die Denkschrift in be- zug auf die »Existenzkrise« der Marine und ihren »Kampf um Selbständigkeit« ausdeutet, S. 60—73 insgesamt. 94 Zit. nach M. Salewski: Die deutsche Seekriegsleitung 1935—1941. Bd 1. Frankfurt a.M. 1970, S. 8. 95 BA-MA RM 20/409 (s. Anm. 75), Bl. 72: Allgemeine Grundlagen für eine Stellungnahme der Ma- rine zu den Friedensbedingungen, gez. v. Trotha, Mai 1919; s. dazu auch Dok. 2, in dem Rogge, Trothas Vorgänger, quasi alle Argumente referierte — von der Souveränitätsfrage bis zu den Zu- kunftsvisionen —, welche die Marineführung parat hatte. 96 BA-MA RM 20/128 (s. Anm. 89). 97 Schreiber (s. Anm. 45), S. 158. 91 Siehe Anm. 89, Bl. 12. 99 Der Friedensvertrag gestand Deutschlands Marine 6 Linienschiffe der »Deutschland-Klasse«, 6 Kleine Kreuzer, 12 Zerstörer und 12 Torpedoboote zu. Die Personalstärke betrug 15000 Mann, davon höchstens 1500 Offiziere. Gemäß Artikel 181 des Friedensvertrages wurde eine glei- che Zahl von Schiffen zugebilligt, die zu deren Ersatz gebaut werden konnten. Es handelte sich also um reine Ersatzbauten, die bei den Schlachtschiffen 10 000 t, bei den Kleinen Kreuzern 6000 t, bei den Zerstörern 800 t und bei den Torpedobooten 200 t (Artikel 190) nicht überschreiten durften. Wurde vom Verlust durch Unglücksfälle abgesehen, so war bei den Schlachtschiffen und Kreuzern der Ersatz nach 20 Jahren, bei den übrigen Schiffen nach 15 Jahren erlaubt. Am 26. 3. 1920 bewilligte man zusätzlich zu diesem Bestand als Reserveeinheiten: 2 Linienschiffe, 2 Leichte Kreuzer, 4 Zerstörer und 4 Torpedoboote. loo Eine detaillierte Untersuchung der operativen und strategischen Konzeptionen der Marinefüh- rung zwischen 1919 und 1939 erscheint demnächst in Francia, G. Schreiber: Die Rolle Frank- reichs im strategischen und operativen Denken der deutschen Marine. — Vgl. auch Lakowski / Wunderlich (s. Anm. 91), und Rahn (s. Anm. 46). 101 Zu den verschiedenen Krisen der Marine vgl. Rahn (s. Anm. 46), S. 13—19 u. 51—83, dort weiter- führende Literatur. 102 BA-MA Μ 1660 PG 31039, Kriegswissenschaftliche Abteilung der Marine: »Die marinepolitische Entwicklung, die operativen und taktischen Grundüberlegungen der Kriegsmarine und ihr daraus folgender Aufbau in der Zeit von 1919 bis Kriegsbeginn 1939«, S. 41—44, und BA-MA Μ 1813 PG 83628: Führerkriegsspiel 1925/26, Prüfnummer 29. 103 Dazu auch Dülffer (s. Anm. 44), S. 190 f. 104 So Hubatsch (s. Anm. 4), S. 188. 105 Vgl. G. Post jr.: The Civil-Military Fabric of Weimar Foreign Policy. Princeton, N.J. 1973, S. 256. 106 Siehe Dok. 3. 107 Rahns Vorbehalte gegenüber diesem Schlüsseldokument (s. Anm. 45), S. 183 f., sind insofern un- berechtigt, als es sich hier um die Ausformulierung dessen handelte, was fragmentarisch in zahl- reichen Unterlagen für die Nachkriegszeit enthalten ist. Das gilt sowohl für die Zeit vor als auch nach 1926; vgl. z.B. Dok. 5. — Zur Interpretation der Quelle s. F.L. Carsten: Reichswehr und Po- litik 1918—1933. Köln, Berlin 1964, S. 261; Dülffer (s. Anm. 44), S. 87—90; Güth (s. Anm. 71), S. 67 f.; G. Schreiber: Revisionismus und Weltmachtstreben. Marineführung und deutsch-italieni- sche Beziehungen 1919 bis 1944. (= Beiträge zur Militär- und Kriegsgeschichte. Bd 20.) Stuttgart 1968, S. 41 f. 108 Siehe Dok. 4. 109 Siehe Dok. 3. 110 Dazu M. Walsdorff: Westorientierung und Ostpolitik. Stresemanns Rußlandpolitik in der Lo- carno-Ära. Bremen 1971, S. 176—178. 111 BA-MA Μ 1815 PG 83627, Reichswehrministerium Chef der Marineleitung A II 358/28 gKdos, Berlin, den 12. 4. 1938: Führerkriegsspiel Dezember 1927. 112 Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Geheimakten 1920—1936, II FM 11: Auswärtiges Amt II F, betr. Marinepolitik 1927—1931, hier Aufzeichnung von Legationsrat Forster über das Mari- nekriegsspiel in Kiel, II F 4305. Streng vertraulich! 7.1.1928, Κ 000 324—326. 113 Schreiber (s. Anm. 100). — Vgl. die zum Teil kontroverse Darstellung bei M. Salewski: Die Ver- teidigung der Ostsee 1918—1939. Politische und strategische Konzeptionen. In: MR 69 (1972) 385—401.

114 BA-MA Ν 46/148, NL Wilhelm Groener, hier Wehrmachtsfragen 1928-1929, Bl. 31-45: »Wehrmachtsfragen der Gegenwart«, Ausarbeitung Fregattenkapitän Boehm (A II a), v. 18. 11. 1928. - Vgl. Dülffer (s. Anm. 44), S. 191 f.; Schreiber (s. Anm. 107), S. 54 f. 115 Siehe Dok. 5. — Vgl. die Interpretationen von Dülffer (s. Anm. 44), S. 194 f.; Güth (s. Anm. 71), S. 106—109, dessen Auszüge die politische Relevanz des Vortrags nicht mehr deutlich werden las- sen. — Lakowski/Wunderlich (s. Anm. 91), S. 182—185, bringen einen Nachdruck der Auszüge Güths; Schreiber (s. Anm. 107), S. 41—45. 116 Dülffer (s. Anm. 44), S. 135. 117 BA-MA MBox 6 PG 34115, Reichswehrministerium (Marine) A I a — 38 — 3: Italienreise Boehm-Ritter, Bl. 1—101: »Bericht über die Teilnahme an den italienischen Flottenmanövern im August 1932«, vgl. Schreiber (s. Anm. 107), S. 61-64. 118 Siehe Dok. 5, Punkt 4. 119 Tirpitz (s. Anm. 4), S. 391, Abweichungen nur in der Schreibweise. 120 Rahn (s. Anm. 46), S. 250. 121 BA-MA RM 7/97, Kriegstagebuch 1. Seekriegsleitung Teil B, Heft V: Ansprache des Großadmi- rals Raeder bei der Abgabe des Oberbefehls am 30. 1. 1943, Bl. 82—87, hier Bl. 86. 122 W. Wegener: Die Seestrategie des Weltkrieges. 2. durchges. und erw. Aufl. Berlin 1941. 123 Ebd., Vorw. zur 1. Aufl. 124 Wegeners Ausarbeitung wurde — unter Auslassung einiger nicht opportuner Passagen — im Mai 1929 erstmals veröffentlicht. Hier wird die der Denkschrift von 1926 entsprechende 2. Aufl. her- angezogen, da sich — wie Textvergleiche zeigen — zumindest Boehm und Schuster auf das Origi- nal gestützt haben. Boehm z.B. hat schon 1928 ganze Passagen Wegeners übernommen, dazu Schreiber (s. Anm. 107), S. 277 Anm. 107. 125 Dazu C.-A. Gemzell: Raeder, Hitler und Skandinavien. Der Kampf für einen maritimen Opera- tionsplan. (= Bibliotheca Ludensis. Bd 16.) Lund 1965, S. 15—27. 126 Wegener (s. Anm. 122), abgedruckt ebd., S. 87-95, hier S. 93. 127 Ebd., S. 94 f. 128 Ebd., S. 80-82. 129 BA-MA II Μ 59/3, Vortrag Nr. 3 der Vortragssammlung der Marineakademie, Kapitän zur See Schuster, Hamburg, den 23. 5. 1930: Die Kriegsaufgaben der Marine, hier Bl. 13. 130 Siehe Anm. 117. 131 BA-MA II Μ 58/3, Marineakademie, Kapitän zur See Schuster 1932—1937, verschiedene Schrift- stücke und Vortrage: »Vortrag vor Führern der S.A., S.S. und des Stahlhelms sowie Vertretern der Reichs-, Staats- pp. Behörden in Kiel« am 5.5.1933, über »Unsere seestrategische Lage«, hier Bl. 67 f. 132 Gegen Rahn (s. Anm. 45), S. 187.

133 Vgl. M. Salewski: Marineleitung und politische Führung 1931—1935. In: MGM 10 (1971) 113-158, hier S. 121-132 u. 153; dazu auch Dülffer (s. Anm. 44), S. 221-225 u. 233-253.

134 BA-MA RM 6/31, Großadmiral Raeder Handmaterial — Deutsche Marinepolitik 15.1.1932 bis 27.5.1944, hier Bl. 18.

135 Siehe Anm. 131. Angesichts der Tatsache, daß Schusters Auslassungen sowohl mit Äußerungen Loewenfelds als auch Boehms und Raeders im Tenor übereinstimmen, spielte der Zuhörerkreis für seine Feststellungen keine entscheidende Rolle. Betrachtet man diese ideologische Überein- stimmung innerhalb der Marineführung, so ist unübersehbar, daß sich Loewenfelds Vorstellungen im großen und ganzen durchgesetzt hatten. Die möglichen Unzulänglichkeiten des Admirals im seemännischen Bereich oder gewisse charakterliche Sonderheiten sind jedenfalls kein Argument gegen seinen politischen Einfluß innerhalb der Marine: gegen Rahn (s. Anm. 45), S. 183 f. 136 Dazu Dülffer (s. Anm. 44), S. 243-249. 137 BA-MA III Μ 151/1, Vortrag von Kapitän zu See Ciliax, Leiter der Flottenabteilung, im Februar 1936 anläßlich einer Befehlshaberbesprechung, Bl. 15—41: »Die militärpolitische und strategische Lage Deutschlands. Welche Forderungen sind daraus für die Entwicklung der Deutschen Marine abzuleiten?«, hier Bl. 20. 138 Vgl. Dülffer (s. Anm. 44), S. 260 f. 139 Ebd., S. 264—266. 140 Als Auswahl dazu W. Deist, Μ. Messerschmidt, H.-E. Volkmann, W. Wette: Ursachen und Vor- aussetzungen deutscher Kriegspolitik. (= Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Bd 1.) Stuttgart 1979, S. 456—459 (zit. Ursachen und Voraussetzungen); Dülffer (s. Anm. 44), S. 299—354; ders.: Das deutsch-englische Flottenabkommen vom 18. Juni 1935. In: MR 69 (1972) 641—659; Salewski (s. Anm. 94), S. 1—19; N.Th. Wiggershaus: Der deutsch-englische Flottenver- trag vom 18. Juni 1935. England und die geheime deutsche Aufrüstung 1933—1935. Bonn, Phil. Diss. 1972. 141 Dülffer (s. Anm. 44), S. 267 f. 142 Salewski (s. Anm. 94), S. 10. Diese Feststellung Salewskis widerspricht deutlich seiner Behaup- tung, daß das »erwünschte Zukunftsszenario der Reichsmarine... die mit England verbündete mittelgroße, modern gerüstete Flotte« gewesen sei (s. Anm. 45), S. 179 f. 143 Schreiber (s. Anm. 100). 144 BA-MA RM 6/30, Ob. d. M., Akte Persönliches, April 1932-September 1939, Bl. 37 (Transkrip- tion Bl. 38); vgl. Dülffer (s. Anm. 44), S. 289-293 u. 344; Salewski (s. Anm. 133), S. 140-144 u. 157; Ursachen und Voraussetzungen (s. Anm. 140), S. 456. 145 Das Dokument ist publiziert bei Salewski (s. Anm. 133), S. 153—155. 146 Dülffer (s. Anm. 44), S. 345—348. 147 Salewski (s. Anm. 133), S. 148. 148 Vgl. Kennedy (s. Anm. 11), S. 319. 149 So Salewski (s. Anm. 45), S. 179 f. 150 Zit. nach Kennedy (s. Anm. 11), S. 139. 151 Salewski (s. Anm. 133), S. 149. 152 Ebd. 153 Dazu Dülffer (s. Anm. 44), S. 518. 154 BA-MA II Μ 34/3, Umbau der Wehrmacht: Schiffsbauersatzplan A IV a - 5 (27. 2. 1935-25. 3. 1936), Bl. 105—174: »Die militärpolitische und seestrategische Lage Deutschlands. Welche Forde- rungen sind daraus für die Entwicklung der deutschen Marine abzuleiten?« Vortrag Kapitän zur See Ciliax anläßlich der Befehlshaberbesprechung im Februar 1936. Enthalten auch in BA-MA CASE GE 1165 PG 33272 und BA-MA III Μ 151/1. 155 BA-MA RM 6/53, Vortrag des Oberbefehlshabers der Kriegsmarine: »Grundsätzliche Gedanken der Seekriegführung«. Kopien sind enthalten in BA-MA III Μ 151/1 und MBox 1690 PG 33965 d. — Zur unterschiedlichen Interpretation des Vortrags vgl. G. Bidlingmaier: Die strategischen und operativen Überlegungen der Marine 1932—1942. In: Wehrwissenschaftliche Rundschau. 13 (1963) 312-331, hier S. 314; Dülffer (s. Anm. 44), S. 435 f.; Gemzell (s. Anm. 125), S. 49—57; Sa- lewski (s. Anm. 94), S. 32 f. 15« BA-MA III Μ 151/2, enthalten auch in BA-MA CASE GE 1166 PG 33273, Reichswehrministe- rium A 1 op: Operative Weisung Op 8-1, November 1936—September 1938: Studie über Aufga- ben der Seekriegführung 1937/38, Bl. 60—118. Anl.: Richtlinien für die Organisation und Befehls- gliederung, die sich aus dem Einsatz ergeben, Bl. 120—131. Anschreiben des Oberkommandos der Kriegsmarine B. Nr. A I a 28/37 gKdos Chefsache, 4.5.1937, Bl. 132 f. Die Studie ging mit Schreiben des OKM A I 33/37 gKdos v. 18. 6. 1937 an das Flottenkommando sowie die Marine- stationen der Ost- und Nordsee, nachdem sie Raeder zur Stellungnahme vorgelegen hatte. Zur Kommentierung, ebd., Bl. 136—141. - Vgl. auch Dülffer (s. Anm. 44), S. 440—443; Salewski (s. Anm. 94), S. 33—36; Ursachen und Voraussetzungen (s. Anm. 140), S. 462. 15/ »Weisung für die einheitliche Kriegsvorbereitung der Wehrmacht (gültig vom 1.7.1937 bis vor- aussichtlich 30. 9. 1938)«. In: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationa- len Militärgerichtshof (IMG) 14. November 1945—1. Oktober 1946. Bd 34. Nürnberg 1949, Doc. C-175, S. 733-747, Weisung v. 24. 6. 1937. 158 Die »Hoßbach-Niederschrift« ist u.a. publiziert in ADAP. Ser. D: 1937—1945. Bd 1. Baden-Ba- den 1950, Dok. Nr. 19, v. 10. 11. 1937: Niederschrift über die Besprechung in der Reichskanzlei am 5. November 1937. — Ausführlich erörtert mit weiterführender Literatur zu den verschiedenen angesprochenen Themenkreisen bei Schreiber (s. Anm. 107), S. 110—114; vgl. jetzt auch Lakow- ski/Wunderlich (s. Anm. 91), S. 143. 159 E. Raeder: Mein Leben. Bd 2: Von 1935 bis Spandau 1955. Tübingen 1957, S. 149 f. 160 BA-MA MBox 25 PG 34126, Oberkommando der Kriegsmarine, Kriegsspiel A 1938, Unterlagen betreffend Vorbereitung und Schlußbesprechung. — Der Chef des Stabes der Seekriegsleitung analysierte den Spielverlauf am 11.4. 1938 in Krummhübel. Der Oberbefehlshaber der Kriegsma- rine kommentierte ihn am 12. 4. 1938 in Kiel, nachdem vorher der Flottenchef die Schlußbespre- chung vorgenommen hatte. Dazu BA-MA MBox 26 PG 34131 Kriegsspiel A 1938, hier Schlußbe- sprechung. 161 BA-MA CASE GE 1203 PG 33316, Unterlagen 1. Seekriegsleitung I Ε und I Op, hier Der Ober- befehlshaber der Kriegsmarine 1. Abt. Ski. A I a 17/38 gKdos Chefsache, Berlin, den 26. April 1938, An das Oberkommando der Wehrmacht, betr.: »Unterlagen für die Wünsche der Kriegsma- rine für die Zusammenarbeit mit der italienischen Wehrmacht im Frieden und im Falle eines Krie- ges, bei dem Italien zumindest wohlwollend neutral ist.« Im Entwurf gez. von Guse, Bl. 11—13. 162 Dülffer (s. Anm. 44), S. 468—470; Lakowski/Wunderlich (s. Anm. 91), S. 143. 163 Schreiber (s. Anm. 107), S. 136 f. 164 IMG (s. Anm. 157), Bd 39. Nürnberg 1949, S. 99. 165 Die Denkschrift ist veröffentlicht bei M. Salewski: Die deutsche Seekriegsleitung 1935—1945. Bd 3: Denkschriften und Lagebetrachtungen 1938—1944. Frankfurt a.M. 1973, S. 27—73; vgl. Dülffer (s. Anm. 44), S. 476--178; Lakowski/Wunderlich (s. Anm. 91), S. 143-145; Schreiber (s. Anm. 107), S. 145 f. 166 Zit. nach Salewski (s. Anm. 165), S. 44; vgl. ders. (s. Anm. 94), S. 44—51, insgesamt zur Denk- schrift. 167 Dazu Salewski (s. Anm. 94), S. 193 f.; J. Thies: Architekt der Weltherrschaft. Die »Endziele« Hit- lers. Düsseldorf 1976, S. 131. 168 Salewski (s. Anm. 165), S. 44 Anm. 21. 169 Ebd., S. 45. 170 Zum Z-Plan vgl. insbes. R. Bensei: Die deutsche Flottenpolitik von 1933 bis 1939. Eine Studie über den Flottenbau in Hitlers Außenpolitik. Beih. 3 der MR Frankfurt a.M. 1958, S. 52—5.8; Dülffer (s. Anm. 44), S. 471—512; Salewski (s. Anm. 94), S. 51—63. — Für die über den Z-Plan hinausgehenden Rüstungsvorstellungen vgl. Dok. 7. 171 Gegen Salewski (s. Anm. 94), S. 63. 172 Zit. nach Lagevorträge (s. Anm. 57), S. 20, Raeder am 3.9.1939. 173 Vgl. Dülffer (s. Anm. 44), S. 486-488. 174 Zit. nach IMG, Bd 34 (s. Anm. 157), Dok. 023-C, S. 190; Ursachen und Voraussetzungen (s. Anm. 140), S. 468. 175 Schreiber (s. Anm. 107), S. 122-131 u. 135-139. 176 Ebd., S. 139-143. 177 BA-MA MBox 29 PG 34144, Kriegsspiel der Marinestation der Nordsee im Januar 1939. 178 BA-MA RM 6/57, Kriegsspiel 1938/39 in Oberhof, Schlußbesprechung des Kriegsspiels des Oberkommandos der Kriegsmarine im Februar/März 1939. 179 Zit. nach Dülffer (s. Anm. 44), S. 502. 180 Schreiber (s. Anm. 107), S. 172 f. 181 Zit. nach der »Denkschrift zum gegenwärtigen Stand der Seekriegführung gegen England Juli 1941«; veröffentlicht bei Salewski (s. Anm. 165), S. 189-214, hierS. 207. 182 So der Chef des Deutschen Marinekommandos Italien, Weichold, in seiner Lagebetrachtung am 1.9.1940. Zit. nach Schreiber (s. Anm. 107), S. 283. 183 Zit. nach BA-MA RM 6/83, Handmaterial Ob. d. M., Flottenneubauten 1940—1943, hier »Ge- danken der Seekriegsleitung zum Aufbau der Flotte nach dem Krieg«, B. Nr. 1. Ski. 9573/40 gKdos, Berlin, den 6.7.1940 (Anschreiben), Bl. 5-18, Zitat Bl. 8. 184 Vgl. dazu Dok. 6. 185 Siehe Anm. 183. 186 Vgl. dazu Dok. 6. 187 Dazu die »Betrachtungen über die Grundlagen des Flottenaufbaus«, Endfassung vom August 1941, in BA-MA RM 7/263, 1. Ski. Teil Cc Flottenaufbau nach dem Kriege, Juli 1940—Novem- ber 1943, Bl. 3—38; Auszüge daraus, allerdings in der Fassung vom Juli 1941, sind veröffentlicht bei Salewski (s. Anm. 165), S. 130-136. - Vgl. Dok. 7. 188 BA-MA RM 7/263 (s. Anm. 187), Bl. 25—32; Zitate nach den im Dok. 7 nicht publizierten Punk- ten XI—XII des 2. Teils der Denkschrift. 189 Vgl. Dok. 7. 190 Zahlen nach Bensei (s. Anm. 170), S. 55 f. 191 Dazu insgesamt K. Reinhardt: Die Wende vor Moskau. Das Scheitern der Strategie Hitlers im Winter 1941/42. Stuttgart 1972 (= Beiträge zur Militär- und Kriegsgeschichte. Bd 13.) Zit. nach dem Kommentar von Generaladmiral Schniewind zu der Ausarbeitung des Dipl. Ing. K.z.S. (Ing.) Heimberg: »Überlegungen zum Bau einer deutschen Hochseeflotte nach dem 192 Kriege« vom Juli 1943. Hier Marinegruppenkommando Nord und Flottenkommando, B. Nr. gKdos 3913, den 30. 7. 1943: An die Seekriegsleitung. Dort ist die Studie mit Anschreiben am 5.8.1943 eingegangen - BA-MA RM 7/263 (s. Anm. 187), Bl. 141-163. Zum Flottenbauprogramm 1943 vgl. M. Salewski: Die deutsche Seekriegsleitung 1935—1945. Bd 2: 1942-1945. München 1975, S. 268—293, Zitat S. 286; vgl. auch K. Dönitz: Zehn Jahre und 193 zwanzig Tage. Frankfurt a. M., Bonn 1963, S. 335—350. Bei Dönitz findet sich kein Hinweis dar- auf, daß das Programm 43 mehr als eine an den Gegenwartsbedürfnissen orientierte Maßnahme darstellte. Siehe Anm. 192, hier Bl. 142-163. Seekriegsleitung Qu A I S f 12949/43 gKdos, v. 5. 11. 1943, An 1/Skl., BA-MA RM 7/263 (s. 194 Anm. 187), Bl. 139. Vgl. diesbezüglich die handschriftlichen Kommentare des III a in der Ski. v. 8. 12. und des I b v. 17. 12. 1943, BA-MA RM 7/263 (s. Anm. 187), Bl. 140 u. 163. 195 Vgl. Dok. 8. 1% Die Denkschrift umfaßt 61 Seiten. Abgedruckt wird nur die »Einführung in den Flottengedan- ken« (S. 7—10). Die übrigen Teile sind überschrieben: »Memorandum: Die Seerüstungen der Großmächte«, »Marine-politischer Rückblick auf die Entwicklung der Flotten und Material über 197 198 die Seerüstungen der Großmächte«, »Anlagen und Tabellen«, »Äußerungen von Regierungsver- tretern in Deutschland und England über den Ausbau der deutschen Flotte«. 199 Dieser Absatz ist am Rande mit der Frage versehen: »Wer hat Anlaß zum Wettrüsten gegeben?« 200 Der Völkerbund wurde im Punkt 14 der am 8.1.1918, als Reflex auf die sozialistische Revolution der Bolschewiken, verkündeten vierzehn Punkte des amerikanischen Präsidenten Wilson — der sogenannten Demokratischen Weltrevolution — gefordert. Seine Satzung ist am 28. 4. 1919 von der Vollversammlung der Versailler Friedenskonferenz angenommen und am 18. 6. 1919 von den Gründerstaaten unterzeichnet worden. Sie wurde Bestandteil des Versailler Vertrags. Der Völker- bund begann im Januar 1920 in Genf mit seiner Arbeit. 201 Randbemerkung zu diesem Absatz: »Flottenrüsten ist lediglich Schutzmaßnahme für den Bestand eines Volkes.« 202 Vgl. zur Bedeutung der kolonialen Frage für die Marine Α. H. Ganz: Colonial Policy and the Im- perial German Navy. In: MGM 21 (1977) 35-57. 203 Randbemerkung: »Als Deutschland aus einem Agrarstaat Industriestaat wurde, mußte es seinen Außenhandel, weil Lebensnotwendigkeit, schützen.« 204 Diese entsprach vollkommen derjenigen, die vor 1914 üblich war; dazu grundlegend Deist (s. Anm. 27), insbes. S. 100—129, aber auch insgesamt. 205 Randbemerkung: »Die Ausgaben für die Flotte haben nie das Maß der für jeden Handel notwen- digen Versicherungsprämie überschritten und dienten dem gleichen Zweck: Sicherung des Vor- handenen, nicht Neuerwerb.« 206 Randbemerkung: »Daraus folgt, daß die deutsche Flottenrüstung nicht gegen eine einzelne Macht gerichtet war, sondern für jede Möglichkeit Deckung schaffen sollte.« 207 Vgl. dazu Th. Schieder: Staatensystem als Vormacht der Welt: 1848—1918. (= Propyläen-Ge- schichte Europas. Bd 5.) Frankfurt a. M. 1977, S. 272—292; ders.: Europa im Zeitalter der Natio- nalstaaten und europäische Weltpolitik bis zum ersten Weltkrieg. In: Handbuch der europäischen Geschichte. Hrsg. vonTh. Schieder. Bd 6. Stuttgart 1968, S. 110—129 (zit. Schieder: Handbuch). 20! Randbemerkung: »So richtete sich die englische Feindschaft gegen die deutsche Seerüstung nur insofern, als sie Exponent des deutschen Uberseehandels war«; eine Argumentation, die vollends der von Tirpitz entsprach (s. Anm. 4), S. 386—388. 209 Siehe Anm. 5-7. — Unmittelbar dazu H. Herzfeld: Die moderne Welt 1789—1945. T. 2: Welt- mächte und Weltkriege. Die Geschichte unserer Epoche 1890—1945. 4. erg. Aufl. Braunschweig 1970, S. 37—40; Kennedy (s. Anm. 11), S. 229. 210 Zur Bedeutung des angeblichen britischen Handelsneides als Ursache der britisch-deutschen Frik- tionen (s. Anm. 203) vgl. Berghahn (s. Anm. 5), S. 173—186 u. 319. — Zum Zusammenhang zwi- schen deutscher Flottenrüstung und britischer Sicherheitspolitik sowie zu dem sich Steigemden Einfluß militärischer Kräfte als Konsequenz des versagenden politischen Steuerungssystems inner- halb der internationalen Konfliktregelung vgl. Schieder: Handbuch (s. Anm. 207), S. 111—114. 211 Randbemerkung: »denn mit dem Anwachsen des deutschen Außenhandels konnte England nicht Schritt halten, also focht es seine maritime Sicherung: die deutsche Flotte, an«. 212 Randbemerkung: »England griff denn auch im Kriege nicht die deutsche Flotte, sondern den deutschen Handel an.« 213 Randbemerkung: »Der Kriegsausgang beweist nur, daß der Ausbau der deutschen Flotte nicht Schritt gehalten hat mit der Entwicklung des deutschen Außenhandels, daß die Flotte auch 1914 noch zu klein war, um ihn wirksam schützen zu können.« 214 Randbemerkung: »In diesem Verständnis stellt sich die beschleunigte deutsche Seerüstung um 1900 als der Versuch dar, die bis dahin zu niedrige Versicherungsprämie dem richtigen Stand an- zunähern.« Deutschland brachte 1900 seine zweite Flottenvorlage ein, in der erstmals der Risiko- gedanke formuliert wurde. 215 Zu den Bestimmungen des Friedensvertrages vgl. Anm. 99. Darüber hinaus wurde die Wehrpflicht abgeschafft, das Heer auf 100000 Mann beschränkt, der Generalstab verboten, Panzer-, Gas-, Luft- und U-Boot-Waffe wurden untersagt, Munitionierung und Bewaffnung der Reichswehr li- mitiert. Die Befestigungen im Westen sowie an den Seeverbindungen zwischen Nord- und Ostsee mußte Deutschland schleifen. 216 Vgl. Anm. 77. Von einer »beträchtlichen Vermehrung« konnte dann nach Scapa Flow nicht mehr die Rede sein. 217 Dazu G. Schulz: Revolutionen und Friedensschlüsse 1917—1920. (= dtv-Weltgeschichte des 20 . Jahrhunderts. Bd 2.) München 1967, S. 157—159. Das am 11. 11. 1918 unterzeichnete Waffenstill- standsabkommen zählte 34 Artikel. Militärisch relevant waren vor allem die Ablieferung der schweren Waffen und Fahrzeuge, die Räumung des ganzen linksrheinischen Gebiets innerhalb von 25 Tagen, die Besetzung dieser Zone durch die Alliierten, die Bildung rechtsrheinischer Brük- kenköpfe in Mainz, und Köln, die Auslieferung der U-Boote und die Abrüstung bzw. In- ternierung des Gros der Hochseeflotte. 218 Rogge formulierte an dieser Stelle das seemachtpolitische Credo der Marineführung, das auch nach 1918 die vermeintliche — dem Navalismus entstammende — Gesetzmäßigkeit zum Gegen- stand hatte, nach der Handelsmacht Seemacht bedingte. Ahnlich wie mit dem Gedanken einer Bündnisflotte ließen sich auch mit ihr geradezu unbegrenzte maritime Rüstungen fordern. 219 Ausführlich dazu Kluge (s. Anm. 70), S. 283-290. 220 Dieser Entwurf führte zu »Gesetz und Ausführungsverordnung über die Bildung einer vorläufigen Reichsmarine vom 16. April 1919«, das nach Verlängerung am 31. 3. 1920 bis zum 31.3.1921 in Kraft war. In Auszügen abgedruckt bei Lakowski/Wunderlich (s. Anm. 91), S. 165—168. Richtlinien für die Friedensunterhändler, Der Reichswehrminister, An die Reichsregierung, 221 Reichs-Marine-Amt Nr. 1792 Fr., Berlin, den 21. 3. 1919. Alte Signatur BA-MA Fasz. 6021, Handakte Fr. I, Bl. 68—70. — Admiral Rogge führte mit der Verordnung des Reichspräsidenten v. 17. 2. 1919 »bis auf weiteres die Geschäfte« des RMA. Er besaß Sitz, aber nicht Stimme im Ka- binett. Dazu Sprotte (s. Anm. 70), S. 22. Ale 1-1, Admiralität. Marine-Kommando-Amt. Flotten-Abteilung. Akten betr. Marinepolitische 222 Angelegenheiten, Jan. 1923 bis Oct. 1929, Bd 1, Bl. 214—216. Über dem zitierten Text »Geheime Kommandosache« (rot unterstrichen), Reichs-Marine-Amt A II Geheime Stabssache Nr. 631/26, »Nur in einem Exemplar geschrieben« (handschriftlicher Zusatz). — Die bei Güth (s. Anm. 71) veröffentlichten Auszüge lassen wesentliche Passagen der Aufzeichnung weg. Im Original doppelt unterstrichen. 223 A II war damals der spätere Kontreadmiral Wilfried v. Loewenfeld. Von »eine« bis »England« handschriftliche Einfügung. 224 Handschriftlich von »ohne daß« bis »müssen«. 225 Amtschef Β hieß der Chef des Allgemeinen Marineamtes. 226 Seit 1925 unterhielt Deutschland in der Türkei unter dem Vizeadmiral a. D. Emst Freiherr v. Ga- 227 gern eine Marinemission. Die in sie gesetzten Hoffnungen auf militärische und wirtschaftliche 228 Kooperation blieben unerfüllt. Vgl. Rahn (s. Anm. 46), S. 181. 229 Das I.v. S. (Ingenieurkantoor voor Scheepsbouw) war ein von der Marineleitung unterstütztes Konstruktionsbüro deutscher Werften in Holland, mittels dessen man, unter Umgehung der Be- stimmungen des Friedensvertrages, den Anschluß im U-Boot-Bau wahren wollte. 230 Handschriftliche Ergänzung von »wenn« bis »wird«.

231 In gewisser Weise relativierte die Marineführung damit bereits ihre sonst bekundete Bereitwillig- keit, sich vorerst uneingeschränkt um Rücksichtnahme auf englische Interessen zu bemühen.

232 Von »Austausch« bis »fördern« rot unterstrichen, d.h. vom Chef des Marinekommandoamtes (Chef A).

233 Handschriftliche Korrektur »darf nicht«. 234 Handschriftliche Ergänzung durch Chef Α von »dies« bis »beachten«, rot unterstrichen. Ur- sprünglicher Text: »Marineleitung als Aushängeschild von I.v.S. muß zurückgehen.« 235 Handschriftlich, Zenker zeichnete die Niederschrift am 17. 8. 1926 ab (grün). 23« Hinter Α und Β geschweifte Klammer und Zusatz: »Nur für Amtschefs und Abteilungsleiter. Ab- schrift, auch auszugsweise untersagt« (handschriftlich). Chef Α zeichnete am 19. 8. (rot) und Chef B, ohne Datum, (braun) ab. 237 Der A II zeichnete am 6. 8. (blau) ab, der A II c am 16. 8. (schwarz). 231 Reichswehrministerium Marineleitung, Akten betr. Strategische Manöver. 1. Januar bis 31. De- zember 1926, A IIa — III — Heft 3, Bl. 392. »Zweck- und Ausgangslage« doppelt unterstrichen. 239 Von Zenker handschriftlich ergänzt: »rückschauend überblicken«. Ursprünglicher Text: »Wenn wir zurückschauen auf unsere ... Marine, ...«. 240 Dazu Schreiber (s. Anm. 100). 241 Handschriftlich »einem«, ursprünglich stand »unserem«. 242 Wie in Anm. 241. 243 Handschriftlich »für Gelb« statt »für Frankreich«. 244 Handschriftlich eingefügt »v. Italiens«. 245 Handschriftlich geändert von »französischen« in »gelben«. 24« Handschriftlich geändert von »polnischen« in »roten«. 247 In einem ersten Entwurf Zenkers für die Schlußbesprechung (Bl. 347) hieß es — bei identischem ersten Satz — im Punkt 2: »Frankreich war an der vollen Entfaltung seiner Landstreitkräfte durch Rücksichtnahme auf Italien, dessen Haltung zweifelhaft ist (später von »dessen« bis »ist« gestri- chen), gehindert; auf der anderen Seite ermöglichte es die Frankreich wohlwollende Haltung Englands der französischen Seekriegsleitung das Mittelmeer von allen schweren Seestreitkräften zu entblößen und den Schutz der französischen Mittelmeerinteressen England zu überlassen« (später von »und den« bis »überlassen« gestrichen). 241 Flottenabteilung Vortrag Nr. 58. Er umfaßt 48 Seiten und ist gegliedert in »Einleitung« (Bl. 1—2), »I. Außenpolitische Lage« (Bl. 3—9), »II. Welche Seestreitkräfte stehen den für uns wichtigsten Staaten zur Verfügung bezw. welche Flottenpläne haben diese für die Zukunft?« (Bl. 10—21), »III. Welche Aufgaben erwachsen der Marine aus den vorstehenden Überlegungen und Feststel- lungen?« (Bl. 22—45) und »IV. Erfolgsaussichten Deutschlands« (Bl. 46—48). Abgedruckt werden Teil I und IV. — Vgl. auch Güth (s. Anm. 71), S. 106—110; dort stark verkürzte Auszüge und eine, dem Inhalt des Vortrags nicht gerecht werdende, verharmlosende Kommentierung. Nach Güth abgedruckt bei Lakowski/Wunderlich (s. Anm. 91), S. 182—185. 249 Handschriftlich »aufblühende«. 250 Blau unterstrichen »der Meere«. 251 Blau unterstrichen »von Spanien«. 252 »Holland« ist handschriftlich ergänzt. 253 Boehm wiederholt hier sowohl die Argumente der Friedenskommission — vgl. Dok. 1 — als auch Tirpitz' (s. Anm. 4), S. 386—388. 254 Handschriftlich »jedoch zunächst« für »zuletzt«. 255 Handschriftlich »lange Zeit« für »Jahrzehnte«. 25« Handschriftlich »daß England sich«. 257 Handschriftlich »als Bundesgenossen«. 25S Handschriftlich von »u.« bis »handeln«. 259 Handschriftlich »nicht« für »niemals«. 2«0 Handschriftlich ergänzt »direkten«. Am Rand von »Eine Hilfe« bis »können« blau angestrichen. 261 Am Rand blau angestrichen von »denn der Bolschewismus« bis »heraus«. 262 Handschriftlich von »u.« bis »aussprachen«. 263 Tatsächlich fixierten sich die Demokratien in den zwanziger Jahren so extrem auf die von der bol- schewistischen Revolution und Diktatur erwarteten Gefährdungen, daß sie dabei die von rechts kommenden Gefahren (Faschismen) bis 1933 weitgehend aus dem Blick verloren. Die unterstellte Aggressionsabsicht gegen die UdSSR ist — 1929 — reine Phantasie. London hat noch im selben Jahr, primär aus wirtschaftlichen Beweggründen, seine Beziehungen zu Moskau wieder aufge- nommen. 264 In der Tat waren über die französisch-polnische Allianz in verschiedenen Bündnissystemen Frank- reich, Polen, Finnland, Estland, Lettland, die Tschechoslowakei, Rumänien und Jugoslawien ver- bunden. 265 Von »Die aggressive Haltung« bis »erstrebt« handschriftlich ergänzt. 266 Handschriftlich »für« und »hierdurch«; am Rand blau angestrichen von »Selbst« bis »moralischer Erfolg«. 267 »Führung« rot unterstrichen, am Rand Fragezeichen (rot). Von »Beide« bis »werden soll« am Rand blau angestrichen. 268 Handschriftliche Änderung »Deutschland in diesem«, vorher »es herum«. 269 Handschriftlich geändert von »aufs« bis »eingreifen«; vorher: »die zu erfüllen Deutschland nicht möglich sein wird«. 270 Handschriftliche Ergänzung, z.T. unlesbar: »Eine solche Lage stellt uns...« 271 Handschriftlich ergänzt »wie nie mehr«. 272 Im Anschluß daran hieß es: »... Rumänien. Die einzigen Stellen, die für Deutschland noch offen sind, ist der Süden und der Norden.« Der gesamte Passus wurde gestrichen. 273 Der ganze Satz am Rand blau angestrichen, das Wort »Vertrag« im Text unterstrichen. 274 Handschriftlich geändert in »steht jedoch«. Früher hieß es: »... wird jedoch von Seiten des A-Amt nicht getrieben und von den deutschen Parteien, bei denen die Linksparteien die ausschlaggeben- den sind, völlig abgelehnt«. Der Satz wurde gestrichen. 275 Gestrichen »bis zur Selbsterniedrigung«. 276 Gestrichen »vollkommen«. 277 Handschriftlich »machen« für »zeigen«. 278 Handschriftlich »hinweisen« für »hinaus laufen«. 279 Handschriftlich hinzugefügt »Freilich« bis »wäre«. 280 Handschriftlich geändert von »nachher« in »daher«. 281 Blau unterstrichen von »kühl« bis »Schlagworten«.

282 Handschriftlich (blau) »freiwillig« eingefügt. 283 Blau unterstrichen »heutigen«. 284 Handschriftlich ergänzt »z. Zt.«. 285 Am Rand blau angestrichen von »Der einzige« bis »England«. 286 Hierin ist einer der innerhalb der Marineführung ansonsten nicht üblichen Bezüge auf die Ergeb- nisse von Locarno zu sehen. 287 Einmal davon abgesehen, daß die Marineführung seit dem Ende des Ersten Weltkrieges bis hin zum Zusammenbruch des Dritten Reiches immer wieder auf die britisch-amerikanische Rivalität rekurrierte, dürfte sich Boehm hier wohl auf den sogenannten Kreuzerstreit bezogen haben, d. h. die Frage, ob man 70 Schwere Kreuzer bauen sollte, wie es die Briten wünschten, oder nur 50, was die Amerikaner vorschlugen. Dazu B. Schofield: British Sea Power. London 1967, S. 102-108. 288 In diesem Sinne besaß Italien bereits seit der ersten Hälfte der zwanziger Jahre einen festen Platz im diversionsstrategischen Konzept der Marineführung. 289 Handschriftlich ergänzt »militärischen«. 290 Handschriftlich. 291 Die Denkschrift befindet sich im Handmaterial Ob.d.M. Flottenneubauten 1940—1943 (Bl. 20—30) und wurde von Aschmann am 15.7.1940 abgezeichnet. Handschriftlicher Zusatz (blau) auf Seite 1: »Denkschrift I m Freg. Kpt. Aschmann«. Darüber roter Stempel: »Geheime Komman- dosache«. 292 Vgl. dazu die am 4.7.1940 vorliegende Ausarbeitung: »Gedanken der Seekriegsleitung zum Auf- bau der Flotte nach dem Krieg«, ebenfalls in BA-MA RM 6/83, Bl. 7—18. Publiziert bei Salewski (s. Anm. 165), S. 122-130. 293 Aschmann folgt damit der Sprachregelung, die man unter dem Eindruck der Hitlerschen Eng- landpolitik und durchaus in Übereinstimmung mit dem revisionistischen Nahzielprogramm der Marineführung zunächst einmal pflegte. 294 Vgl. dazu die Ausführungen Dülffers zur Übereinstimmung zwischen den militärischen Planun- gen und den Absichten Hitlers (s. Anm. 44), S. 519—534. 295 Der gesamte Absatz am Rand vom damaligen Chef des Stabes der Seekriegsleitung, dem späteren Generaladmiral Otto Schniewind, mit Wellenlinie und Anmerkung versehen: »Das kann ich nicht einsehen! Was geschehen konnte, ist geschehen!« 2% Zu diesem Komplex Schreiber (s. Anm. 107), S. 286—300. 297 Vgl. dazu die Denkschrift »Betrachtungen über die Grundlagen des Flottenaufbaues« (s. Anm. 187). Die dort angenommene Gegnerkonstellation entspricht weitgehend der von Aschmann zu- grunde gelegten. 298 Von Schniewind unterstrichen »die Möglichkeit«. 299 Von Schniewind unterstrichen von »Wer« bis »anzusehen«, Randbemerkung dazu: »das stimmt nicht!« 300 »Weg« bis »offen« von Schniewind unterstrichen, Randbemerkung: »der ist weit«! 301 Am Rand von Schniewind angestrichen, Bemerkung: »fraglich«! 302 Von Schniewind unterstrichen »in den Kampf«, Randbemerkung: »Das will sie auch nicht! Sie will das Meer beherrschen. Solange sie das ohne Kampf kann, erfüllt sie auch so ihren Zweck.« 303 Am Rand von Schniewind angestrichen, Randbemerkung: »Das braucht man nach engl. Theorie (Wirtschaftskrieg) auch nicht.« 304 Von Schniewind unterstrichen »Zur Niederwerfung Englands genügen«, Randbemerkung: »Das hoffen wir! Ob es richtig ist, muß noch die Zukunft lehren.« 305 Die letzten beiden Zeilen von Schniewind am Rand angestrichen, Randbemerkung: »Wahrschein- lich wird man alle Bausteine ausnutzen müssen.« 306 Eine ausführliche Untersuchung der Bedeutung der atlantischen Inseln im Rahmen der deutschen Strategie wird in Bd 3 der vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt herausgegebenen Reihe Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg erscheinen. 307 »Verteidigung« von Schniewind unterstrichen. 308 Am Rand von Schniewind angestrichen von »Schwierigkeiten« bis »können«, Randbemerkung: »Wenn die Voraussetzungen erfüllt sind.« 309 Von Schniewind unterstrichen »Uboote«, Randbemerkung »nur«? 310 W.B. = Wasserbomben. 311 £> τ _ Dezimeter-Telegraphie (Funkmeßortungsgeräte). 312 In der Denkschrift vom August 1941 (s. Anm. 187) heißt es hinsichtlich einer ins Auge gefaßten Auseinandersetzung mit Großbritannien und den Vereinigten Staaten: Die Flotte »muß also in der Lage sein die den Zutritt zum feindlichen Festland verwehrende Feindflotte [handschriftliche Änderung des Gruppenleiters I a, Kapitän zur See Wagner: »Sie muß... in der Lage sein, die der Seeherrschaft entgegenstehende Feindflotte...«. Dazu wiederum Randbemerkung des ursprüngli- chen Bearbeiters, Reinicke: »m.E. bliebe besser die ursprüngliche Fassung stehen, da, großräumig gesehen und zwischen nahezu gleichwertigen Gegnern, eine Seeherrschaft hier nur örtlich ge- braucht wird, nicht aber absolut!«] zu suchen und vernichtend zu schlagen. Diese Aufgabe des Kampfes gegen die feindliche Flotte darf nicht der eigenen U-Waffe zugemutet werden, da diese, wie auch die Kriegserfahrungen des jetzigen Krieges zeigen, hierzu nicht in der Lage ist. Wenn also der Krieg ins feindliche Land getragen werden soll [handschriftliche Änderung Wagners: »Wenn also der Krieg offensiv geführt werden soll...«], so ist ein gesuchter Kampf mit der feind- lichen Flotte um die Seeherrschaft vor der feindlichen Küste bezw. in freier See erforderlich. Die Flotte muß für diese Aufgabe nach Typbeschaffenheit und Zusammensetzung befähigt sein« (BA- MA RM 7/263, Bl. 19-20). 313 Von »reinen« bis »haben« unterstrichen und am Rand angestrichen. Randbemerkung Schniewinds zum Begriff »Todesurteil«: »Das würde erst dann stimmen, wenn man etwas besseres hätte! Das ist noch nicht da!« Und: »In großen Seeräumen wird möglicherweise der Träger zur Luftüberwa- chung unentbehrlich sein — jedenfalls wird vor seiner Verschrottung Besseres zu schaffen sein.« 314 Von Schniewind unterstrichen »mittlere«, Randbemerkung: »so groß wie angesichts der übrigen Forderungen möglich«. 315 Dazu Schreiber (s. Anm. 107), S. 286—300, dort weiterführende Literatur. 316 Zur Bedeutung Madagaskars als Marinebasis und zur Rolle der Insel im Rahmen der Judenverfol- gungen im Dritten Reich vgl. K. Hildebrand: Vom Reich zum Weltreich. Hitler, NSDAP und ko- loniale Frage 1919—1945. (= Veröffentlichungen des Historischen Instituts der Universität Mannheim. Bd 1.) München 1969, S. 719 f. — Ausführlich dazu demnächst in Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 3. 317 Von Schniewind »beweist« unterstrichen, Randbemerkung: »Der Beweis muß noch erbracht wer- den!« 318 Randbemerkung Schniewinds: »Das braucht man auch nicht! Die eigenen Überseeinteressen (un- terstrichen) schreien nach einer starken Flotte!« 319 Darunter handschriftlich: »I m«, Paraphe Aschmann mit Datum v. 15.7.; Schniewind (Paraphe mit Datum v. 1.8.) bemerkte abschließend: »Auch wenn man sich die Gedanken der Denkschrift zu eigen macht — und das kann man auf der Grundlinie mit einigen Vorbehalten durchaus — glaube ich nicht, daß wir mit unseren vorläufigen Bauabsichten fehl liegen: Sie würden m.E. sich auch in die Forderungen dieser Denkschrift voll einfügen.« Zu den Flottenvorstellungen, die in der Marine in jenen Monaten wieder entwickelt wurden, vgl. Dok. 7. 320 Der Denkschrift ist folgendes Anschreiben beigegeben: Geheime Kommandosache (roter Stem- pel), Oberkommando der Kriegsmarine Seekriegsleitung (roter Stempel), Chefsache (handschrift- lich, zweimal rot unterstrichen), Nr. 1 Ski. I a 1371/41 Op gKdos: Chefs, (handschriftlich, blaue Tinte), An Ilia u. Κ (Hauptamt für Kriegsschiffbau), Anl. Neubearbeitung der strategischen Be- trachtung als Teil I für die Ausarbeitung über Flottenbau nach dem Kriege (Paraphe Wagners mit Datum vom August, blau). Auf der Rückseite: »C/Skl. vorzulegen. Ich schlage vor, die anl. Be- trachtungen nach Genehmigung durch C/Skl. dem Ob. d. M. vorzutragen mit dem Vorschlag, sie den interessierten Stellen des Hauses als Grundlage für weitere Überlegungen zuzuleiten« (1/Skl, Paraphe Wagners). — Zur Denkschrift selbst: Der »Teil I. Politische und strategische Grundla- gen« (handschriftlich) ist mit der Paraphe des I a am 31. 7. abgezeichnet. Aus ihm sind die Punkte V.—IX. bei Salewski publiziert (s. Anm. 165), S. 130-135. Der »Teil II. Flottenstärke u. Schiffsty- pen« (handschriftlich) umfaßt die Punkte XI.—XV. der Gesamtdenkschrift und wurde am 8.8. vom III a abgezeichnet. — Salewski (s. Anm. 165), S. 135 f. veröffentlicht ein Dokument, das le- diglich die »Erstforderung« der Seekriegsleitung wiedergibt, nicht aber die darüber wesentlich hinausgehenden Vorstellungen vom August 1941, deren Bestandteil diese »Erstforderung« war. 321 Diese Einheiten wurden als »Kernflotte« bezeichnet. Unter einem »Ozeankreuzer« verstand man ein verbessertes Panzerschiff, das für Einzeloperationen in entfernten Seegebieten vorgesehen wurde. 322 Sie stellten die »Handelsschutzstreitkräfte« dar. 323 Diese Einheiten waren für »rückwärtige Dienste, bzw. Nordsee, Ostsee, Mittel- u. Schwarzes Meer« vorgesehen. 324 Sie sollten die »Kernflotte« bilden. 325 Sie gaben die sogenannte »Handelsschutzflotte« ab. 326 Diese Einheiten waren »für rückwärtige Dienste« eingeplant. 327 Sie bildeten die »Kernflotte«. 328 Ursprünglich waren »50 Kreuzer« als »Handelsschutzverband« angegeben. So auch in dem bei Salewski (s. Anm. 165), S. 135 f., publizierten Dokument, das Fricke am 31. 7. 1941 unterzeich- nete: »50 Kreuzer, deren Typ (Korvetten oder ähnliches?) noch festgelegt werden muß.« Diese Spezifizierung erfolgte im August. 329 Am 31. 7. 1941 hatte es noch geheißen: »Uber die Zahl der notwendigen Ausbildungs- und Spe- zialschiffe (ζ. B. Kolonialkanonenboote, Troßschiffe, Begleittender) sind noch weitere Überlegun- gen notwendig.« 330 Fricke Schloß am 31. 7. 1941: »Die Bereitschaft dieser Flotte müßte in einer Zeit von 12, höch- stens 15 Jahren im wesentlichen erreicht werden.« 331 Ursprünglich: »müßte noch besonders geprüft werden« (handschriftliche Änderung). 332 Ausführlich kommentiert ist die Untersuchung Saalwächters bei Schreiber (s. Anm. 107), S. 381—390. — Zwar steht nicht fest, wer die Ausarbeitung in Auftrag gab, aber der Generaladmi- ral arbeitete jedenfalls unmittelbar mit der Kriegswissenschaftlichen Abteilung zusammen, in de- ren Unterlagen die Denkschrift gefunden wurde, und von der er die früheren Untersuchungen der Kriegsmarine über Raumerweiterungs- und Stützpunktfragen zugänglich gemacht bekam. — Nach den im Dokument existenten Anhaltspunkten muß die Studie zwischen dem September 1944 und dem Februar 1945 bearbeitet worden sein. 333 Sowohl die »Unconditional-Surrender-Forderung« der Alliierten als auch die Überzeugung inner- halb der Marineführung, daß die geographischen Gegebenheiten im Kaiserreich den Aufstieg zur Seemacht nicht zugelassen hatten, standen für diese Gedankenführung Pate. 334 Diese Feststellung entsprach einer Communis opinio in der Marineführung, das belegen zahlrei- che Quellen. 335 So hatte Admiral Carls z.B. im Sommer 1940 bereits konkrete Relationen für die einzelnen Flot- ten festgelegt. Demnach sollte die englische und die italienische Flotte jeweils das Doppelte der französischen betragen, die deutsche aber das 3'/2- bis 4fache. Das Memorandum Carls ist publi- ziert bei Salewski (s. Anm. 165), S. 108—114. 336 Sowohl St. Nazaire als auch Lorient blieben bis Kriegsende in deutscher Hand. 337 Die Furcht vor einer derartigen Entwicklung, amerikanischer Zugriff auf Afrika, spielte eine ganz wesentliche Rolle für das Bemühen der Seekriegsleitung um Zusammenarbeit mit Frankreich, durch die Afrikas Atlantikküste gesichert werden sollte. Dazu Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 3. Als Quelle BA-MA CASE GE 536 PG 32624a/b: »Die Bemü- hungen der Seekriegsleitung um ein deutsch-französisches Zusammengehen gegen England und um die Behauptung des französischen Kolonialreichs in Afrika.« Bd 1.2, ausgearbeitet von Vize- admiral Kurt Assmann, dem Leiter der Kriegswissenschaftlichen Abteilung. 338 Zur Einstellung der Marineführung zu Italien und dem Ausgreifen des maritimen Machtan- spruchs auf das Mittelmeer, entsprechende Forderungen gab es auch schon im Ersten Weltkrieg, s. Schreiber (s. Anm. 107), passim. 339 Derartige Überlegungen Saalwächters erinnern unmittelbar an ein Gespräch zwischen Großadmi- ral Raeder und dem französischen Flottenadmiral Darlan am 28.1.1942 in Evry-le-Bourg. Darlan argumentierte ebenfalls mit der »europäischen Flotte«, als er den Flugzeugträger »Joffre« vor dem Abwracken bewahren wollte. Man wird allerdings das taktische Moment in dieser Aussage nicht übersehen dürfen, denn ernsthaft dachte Frankreich damals nicht mehr daran, sich an Deutsch- land zu binden, es sei denn der Kriegsverlauf — was unwahrscheinlich war — würde dies erzwin- gen. Dazu BA-MA RM 7/255 1. Ski. KTB Teil C, Heft XVI, Verhältnis zu Frankreich, Oktober 1940—März 1943, Protokoll der Unterredung, Bl. 81—87. 340 Das antisemitische Ideengut des Nationalsozialismus hatte vor den Militärs nicht haltgemacht. Raeder z.B. ließ bereits im Oktober 1942 in Rom intervenieren, weil er meinte, von den Italienern geduldeter jüdischer Einfluß hemme die schiffbauliche Produktion. Dazu Schreiber (s. Anm. 107), S. 323 u. 387 f., dort zum Verhältnis zwischen Militärs und »Endlösung« allgemein. 341 Dies entsprach einer alten Forderung Wegeners (s. Anm. 122), S. 16, die auch Carls 1940 — s. Anm. 331 — anmeldete. 342 Dazu Schreiber (s. Anm. 107), S. 309—345. 343 Dies entsprach ziemlich genau den Absichten der Seekriegsleitung im Sommer 1942, die Raeder an Hitler herantrug — Schreiber (s. Anm. 107), S. 340—344. 344 Genau das hatte die Seekriegsleitung im Juli 1942 gewollt, s. Anm. 339.

345 Auch dies war ein Gedanke, der bereits während des deutschen Einsatzes im Mittelmeerraum erörtert wurde (s. Anm. 306).

346 Zu im Krieg entwickelten Stützpunktplanungen der Marine vgl. Schreiber (s. Anm. 107), S. 288-291 u. 294—300.

347 Diese Formulierung entspricht fast wörtlich dem Memorandum Carls — vgl. Salewski (s. Anm. 165), S. 110 — und zeigt erneut, wie eng sich der Generaladmiral an das innerhalb der Marinefüh- rung Vorgedachte hielt. 34S Vgl. dazu die Ausarbeitung des Vortragenden Legationsrats Dr. Ernst Bielfeld v. 6. 11. 1940 über die territoriale »Kolonialforderung an Frankreich im Rahmen der Gesamtforderung« in ADAP. Ser. D: 1937-1945. Bd 11, 1. Bonn 1964, Nr. 298, S. 409-415. 349 Vgl. Carls Memorandum - Salewski (s. Anm. 165), S. 110. 350 Diese war ebenso wie Anl. 2 nicht auffindbar. 351 Die amerikanischen Truppen hatten im Dezember Leyte zurückerobert und am 1.1.1945 besetzt. Anschließend begann das sogenannte Inselspringen. In diesem Zusammenhang bezieht sich Saal- wächter vermutlich auf die amerikanischen Schwierigkeiten beim Vormarsch auf Manila. Da er sich an anderer Stelle konkret auf den September 1944 bezieht, ist anzunehmen, daß damals eine erste Fassung vorlag. Im Oktober erhielt er nochmals Unterlagen aus der Kriegswissenschaftli- chen Abteilung (s. Anm. 332). Somit ist zu vermuten, daß es zwischen September/Oktober 1944 und Februar 1945, darauf weist der Bezug auf die Entwicklung auf den Philippinen hin, zu einer Überarbeitung der Untersuchung kam. 352 Unterschrift und Dienstgrad handschriftlich.

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