SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen - Manuskriptdienst

Tonspuren – eine deutsche Rundfunkgeschichte Folge zwei: Gleichschaltung

Autor: Wolfgang Bauernfeind Redaktion: Udo Zindel Regie: Wolfgang Bauernfeind Sendung: Freitag, 7. Oktober 2011, 8.30 Uhr, SWR2 ______

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Besetzung: Erzähler Zitator Zitatorin

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Dok-Ton – : Wir machen gar keinen Hehl draus, der Rundfunk gehört uns und niemandem sonst und den Rundfunk werden wir in den Dienst unserer Idee stellen und keine andere Idee soll hier zu Worte kommen.

Erzähler: Deutliche Worte des gerade ernannten Ministers für Volksaufklärung und , in einer Rede vor den Rundfunkintendanten am 25. März 1933, im Haus des Rundfunks in . Gerade sieben Wochen zuvor war Hitler Reichskanzler geworden, und schon formuliert Joseph Goebbels den Besitzanspruch der neuen Herren auf das, wie er es selbst nennt, „allermodernste und allerwichtigste Massenbeeinflussungsmittel“. Die „leitenden Herren“ sollen eingeschworen werden auf die Verbreitung nationalsozialistischer Ideologie durch das Radio. Und Goebbels geht gleich ins Detail:

Dok-Ton – Joseph Goebbels: Ich bin der Meinung, dass der Rundfunk auf die Dauer überhaupt das Volk an allen öffentlichen Angelegenheiten teilnehmen lässt. Dass es im Volksdasein überhaupt keinen großen Vorgang mehr geben wird, der sich auf zwei-, dreihundert Menschen begrenzt, sondern dass daran eben das Volk in seiner Gesamtheit teilnehmen muss.

Ansage: Tonspuren – eine deutsche Rundfunkgeschichte, von Wolfgang Bauernfeind. Folge zwei: Gleichschaltung.

Erzähler: Für die Massenaufmärsche der Nationalsozialisten, für ihre inszenierten Feierstunden soll der Rundfunk als Übertragungsmedium zur Verfügung stehen, aber nicht plump und aufdringlich, ohne stundenlange Übertragung von Marschmusik, sondern wie Goebbels vorgibt, mit Raffinesse und technisch „glänzend“ organisiert. Mit dem Blick auf das Ausland fordert Goebbels von den Intendanten:

Dok-Ton – Joseph Goebbels: Und jeder, der auf internationalem Standpunkt steht, der muss, wenn er diese nationalistische Betätigung des Rundfunks hört, muss sagen: Verflucht gut gemacht, fabelhaft gemacht. Die verstehen ihr Handwerk.

Erzähler: Goebbels schmeichelt und Goebbels droht:

Dok-Ton – Joseph Goebbels: Und ich habe nun an Sie, meine Herren, eine Bitte. Wenn Sie uns nicht verstehen wollen oder uns nicht verstehen können, dann hielte ich es für anständig, wenn Sie von sich aus gingen, denn ich glaube, es ist nicht deutscher Männer Art, nur des Brotes und des Verdienstes wegen zu dienen.

Erzähler: Schweigend und ängstlich verfolgen die Intendanten die Rede, die Goebbels immer wieder energisch, mit den Fingerknöcheln auf das Rednerpult klopfend, unterstreicht. Man weiß nun, woran man ist. Am Schluss von Goebbels‘ Ausführungen kommt pflichtschuldiger Beifall auf. Schon kurz nach dem Amtsantritt Adolf Hitlers waren die 2

Weichen für diesen Auftritt gestellt worden. (Heil-Rufe) Für seinen besten Propagandisten hatte Hitler gleich nach der Reichstagswahl am 5. März 1933 ein neues Ministerium geschaffen und Joseph Goebbels zum ersten Mann der neuen Behörde ernannt. Goebbels macht daraus nun die Schaltstelle, von der aus die Medien im so genannten Dritten Reich gesteuert werden, bezahlt übrigens vor allem mit den Gebühren der Radiohörer. Die Reichs-Rundfunk-Kommissare des Post- und des Innenministeriums der Weimarer Republik, die bisher für Rundfunkpolitik zuständig waren, werden zu Nebenfiguren, beide Ämter werden bald ganz abgeschafft.

Atmo: Heil-Rufe

Erzähler: Das weiß Hans Bredow, der „Vater des Rundfunks“, wie man ihn damals rühmte, schon vorher. Am Tag der Machtergreifung, am 30. Januar 1933, bietet er seinen Rücktritt als Rundfunk-Kommissar an. Das nehmen die Nationalsozialisten nicht nur dankend an, sondern der Völkische Beobachter schüttet in seiner Ausgabe vom 8. Februar auch noch Kübel voller Häme über ihn aus.

Zitatorin: Herr Bredow gehört zu den unerfreulichsten Erscheinungen im Rundfunkwesen. Seine Ausschaltung unter der neuen Reichsregierung war eine Selbstverständlichkeit.

Erzähler: Bredow selbst spricht bei seiner Verabschiedung im Haus des Rundfunks, die der noch amtierende Direktor der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft Kurt Magnus auszurichten wagt, einen historischen Satz. Er ist für Generationen von Rundfunkleuten bis heute Leitmotiv:

Zitator: Rundfunk kann nur gedeihen, wo ein guter Geist herrscht.

Erzähler: Die Nazis aber sorgen für rechte Gesinnung. Unter Berufung auf das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 werden alle Intendanten entlassen, nur der Stuttgarter Intendant Alfred Bofinger bleibt im Amt. Er hatte schon vor 1933 keinen Zweifel an seiner nationalsozialistischen Gesinnung gelassen. Auch leitende Angestellte werden Opfer dieser Säuberung, ebenso viele künstlerische Mitarbeiter, die entweder Parteimitglieder von SPD oder KPD oder jüdischen Glaubens sind. Der Westdeutsche Rundfunk verliert so beispielsweise ein Fünftel seiner Belegschaft. Besonders perfide ist die Verhaftung und Verschleppung führender Männer des „Systemrundfunks“, wie die neuen Machthaber den Weimarer Rundfunk nennen, in das Konzentrationslager Oranienburg. Unter ihnen sind Alfred Braun, Kurt Magnus und Hans Flesch (Heil-Rufe), denen man unter dem Vorwurf der Korruption den Prozess macht. Die Beweislage aber ist so dünn, dass die Verfahren nach mehreren Jahren eingestellt werden. Eine Blamage für Goebbels, die er stillschweigend übergeht. In deutschen Rundfunkhäusern herrscht nun ein Klima der Angst und des gegenseitigen Misstrauens, auch unter den „Märzgefallenen“, wie

3 man die Mitarbeiter nennt, die noch im März 1933 in die NSDAP eingetreten waren. Ilse Dittmar vom Mitteldeutschen Rundfunk schrieb damals:

Atmo: Heil-Rufe

Zitatorin: Jetzt betrafen die Programm-Planungen weniger den kulturellen Bereich als vielmehr politische Bekanntmachungen. Damit hatte etwas ganz Neues in unserer friedlichen Welt Einzug gehalten. Es war die Angst. Eine verspätete oder nicht korrekt aufgenommene oder wiedergegebene Nachricht konnte zur Entlassung oder zu Schlimmerem führen ...

Die erste Anordnung, die ich erhielt, betraf mein Privatleben. Die Gestapo hatte herausgefunden, dass ich ein Zimmer bei der jüdischen Familie Leßmann bewohnte. Ich bekam den guten Rat, noch in dieser Woche auszuziehen, da sonst mein Arbeitsplatz gefährdet sei.

Erzähler: Überall im deutschen Reich werden Hakenkreuzfahnen gehisst, auch auf den Dächern der Rundfunkanstalten und ihren Sendetürmen. Besonders martialisch und pathetisch geht es in Stuttgart zu. Am 7. März besetzen SA- und SS-Leute das Funkhaus, danach dürfen fünf Angestellte nicht mehr an ihre Arbeitsplätze zurückkehren, drei wegen ihrer jüdischen Abstammung, zwei, weil man sie als Kommunisten verdächtigt. Auf den Sendeanlagen in Mühlacker werden die Fahne des Kaiserreiches und die Hakenkreuzfahne aufgezogen. Ein Reporter zeigt Gesinnung:

Dok-Ton – Reporter: Die Symbole des neuen Deutschlands wehen heute nach über vierzehnjähriger Dunkelheit wieder über die deutschen Landen. Auf dieser Höhe von Mühlacker stehen erwartungsvoll über Tausende, Begeisterte, Mütter und Frauen, es steht hier die SA und der Stahlhelm. Es ist ein herrlicher Abend eines sonnigen Vorfrühlingstages. Unser Blick schweift über fruchtbares schwäbisches Land, das bereit liegt, die neue Saat aufzunehmen. So wie unser Bauer den Samen aussät, so soll auch diese Flaggenhissung im symbolischen Sinne fruchtbar werden.

Erzähler: Eugen Hadamovsky, der neu ernannte Reichssendeleiter, der im Haus des Rundfunks in Berlin residiert, zieht Bilanz dieser Aufräumarbeiten im „Rundfunkbuch für alle Volksgenossen“:

Zitator: Am 30. Januar 1933 brach das Volk in die Sendehäuser ein. Vor seinem Atem zerstob das Theater- und Literatengewimmel in wenigen Wochen. Die „Fachleute“, denen ihr Fachwissen von Literatur und Bühne den Gehirnkasten verrammelte, purzelten erschreckt durcheinander und sammelten sich abseits des Rundfunks. Die Funkwarte und Propagandisten der Partei marschierten in den Rundfunk hinein. Sie kamen, weil sie kommen mussten, weil sie ahnten und fühlten, dass von diesem Rundfunk aus die nationalsozialistische Kulturrevolution grundstürzend im Volk um sich greifen musste. 4

Erzähler: Es sind verdiente Parteigenossen, die „in den Rundfunk hineinmarschieren“, alte Kämpfer, sogenannte „Funkwarte“, die in jeder Orts- und Kreisgruppe der NSDAP für das Abhören des Rundfunks der Weimarer Republik zuständig waren. Keine „Fachleute“, wie Hadamovsky die bisherigen Radioleute verächtlich nennt, sondern meist Laien, die die Sender in den ersten Wochen zeitweilig ins Chaos stürzen, zumal die „altgedienten Rundfunkmitarbeiter“, soweit noch vorhanden, von außen unter Druck gesetzt werden. In München fordert ein „Leiter der Deutschen Studentenschaft“ in einem Schreiben, der Bayerische Rundfunk müsse unbedingt eine Reportage über die geplante Bücherverbrennung bringen, die am 20. April 1933 auf dem Königsplatz vorgesehen sei. Und er fordert, dass zur Vorbereitung dieser Aktion zwei Vorträge in das Programm aufzunehmen sind. „Die betreffenden Herren werden Ihnen noch bekannt gegeben“, schreibt er.

Atmo: Heil-Rufe

Erzähler: In Berlin bekommt der Radio-Sprecher Hans Dekner Besuch von einem Stoßtrupp Stahlhelm-Leuten, die von ihm verlangen, den Anschluss ihrer Organisation an die NSDAP zu verkünden. Auch hätte die SA von ihm verlangt, erzählt er, den Boykottaufruf der NSDAP vom 1. April 1933 „Kauft nicht bei Juden“ zu verlesen.

Atmo: Heil-Rufe

Erzähler: Wie die neue Führungsebene in den Rundfunksendern aussieht, zeigt sich zum Beispiel beim Westdeutschen Rundfunk in Köln. Der verdiente Parteigenosse Heinrich Glasmeier wird von Goebbels höchstpersönlich in sein neues Amt als Intendant in Köln eingeführt. Er hatte sich im Lippischen Wahlkampf für Hitler und die NSDAP hervor getan, kannte den Führer, und der schätzte seine Gefolgstreue. Das Medium Radio ist Glasmeier eigentlich fremd, er glaubt eher an Volksgemeinschaften, die sich um den Lautsprecher zu Hause versammeln, wie um die „Tingstätten“ der alten Germanen. Dazu passt auch eine Werbeidee, die er sich ausdenkt: Er will in Westfalen hoch zu Ross von Hof zu Hof reiten, um die Bauern persönlich von den Segnungen des Radio-Hörens zu überzeugen. Man schüttelt den Kopf, aber lässt ihn gewähren, Hitler hat einen Narren an diesem deutschtümelnden Romantiker gefressen.

Toni Winkelnkemper, Propagandaleiter des Gaus Köln-, beschreibt bei seiner Begrüßung ganz nebenbei das Idealbild zukünftiger Führungsfiguren im deutschen Rundfunk. In seiner Ansprache bemüht er den Tonfall Hitlers. Mit rollendem „R“ spricht er seinen Willkommensgruß:

Dok-Ton – Toni Winkelnkemper: Dr. Glasmeier ist der Typ, der dafür die Garantie geben wird, dass der Westdeutsche Rundfunk sich in Zukunft die großen Aufgaben der nationalen Erneuerung restlos widmen kann. Dr. Glasmeier ist kein weltfremder Ästhet, sondern er ist der Typ des Nationalsozialisten, er stand viele Jahre als Husarenleutnant im Felde und ist seit 5

1923 einsamer und fanatischer Kämpfer in unserer Bewegung, wir sind stolz darauf, diesen Mann hier am Westdeutschen Rundfunk für die nächsten Jahre zu haben, damit endlich einmal die Judenmetropole ausgeräuchert wird, damit endlich Schluss gemacht wird mit dem Geist der Uneinigkeit und der Zwietracht und der Zerstörung.

Erzähler: Doch was nützt die Gleichschaltung des Rundfunks, wenn es nicht genügend Geräte auf dem Markt gibt, die sich der deutsche Volksgenosse leisten kann. Ein billiges Radio muss her, der Volksempfänger, der bei der Eröffnung der 10. Großen Funkausstellung am 18. August 1933 vorgestellt wird, Apparat Typ „VE 301“. VE steht für Volksempfänger und die Zahl „301“ für das Datum der Machtergreifung, ein Gerät, das jetzt nur noch 76 kosten soll. Das entspricht immerhin noch rund 300 €. 1938 wird dann eine noch billigere Version angeboten, der Deutsche Kleinempfänger DKE 1938, der mit 35 Reichsmark weniger als halb so teuer ist wie sein Vorgänger. Die Rechnung geht auf: 1933 hören etwa vier Millionen Deutsche Rundfunk, im Jahr 1938 sind es schon 12 Millionen und im Kriegsjahr 1943 schließlich 16 Millionen Menschen, die überwiegend mit „Goebbels Schnauze“, so heißt der Kleinempfänger im Volksmund, ihr Programm empfangen.

Dok-Ton: Gralsglocken

Dok-Ton – „Als der Wecker tickte“: Flamme zum Himmel, die leuchtende, Funken sprühen ins deutsches Blut. Lasst uns das Licht der Freiheit blinken, dass unsre Feuer nicht wieder sinken.“

Dok-Ton – „, der Kämpfer für das neue Deutschland“ Wer einmal in diese Augen gesehen, weiß auch um viel Stahl und Erz für die, für die, die den Chaos zünden, singen, weil nur Chaos den Schmutz, den Gewinn kann bringen, sie wollen sonst nichts, dafür kämpfen sie, lügen und morden, diese lichtscheuen Horden, wir fürchten sie nicht, wer einmal den Führer ins Auge gesehen, der weiß, Deutschland Du wirst nicht untergehen.

Erzähler: Solche Töne dringen nun aus den „Küchenradios“ ans deutsche Ohr: Ein neues Pausenzeichen im Bayerischen Rundfunk, die „Gralsglocken“ aus Wagners „Parzifal“, Beschwörungen deutscher Flamme und Glut am 30. April 1933 im Mitteldeutschen Rundfunk. Ein Lobgesang auf den „Führer“ in der Hörfolge „Adolf Hitler, der Kämpfer für das neue Deutschland“ am 7. April 1933 im Süddeutschen Rundfunk.

Zu den dräuenden Wogen deutschen Gemüts gehören auch Kampagnen, oder besser gesagt „inszenierte Staatsakte“, die der Rundfunk zum „Tag von Potsdam“ anlässlich der Eröffnung des neu gewählten Reichstages am 21. März 1933 veranstaltet, aber auch das Trommeln für die noch halbwegs freien Reichstags- Wahlen zwei Wochen vorher. Dem Bayerischen Rundfunk werden 45 Sendungen zu diesem Volksentscheid als „Auflagen“ verordnet. Sie werden aus Berlin geliefert und sind so der Kontrolle des örtlichen Funkhauses entzogen. Damit diese Propaganda- Sendungen noch besser wirken können, müssen sie überregional ausgestrahlt werden, durch den Zusammenschluss mehrerer Sender. Reichssendeleiter Eugen Hadamovsky startet noch Ende 1933 einen Versuchsballon, indem er überfallartig 6 eine Sendergruppe West befiehlt, der bald die Sendergruppen Ost und die Sendergruppe Nord folgen.

Dass es anders gehen kann, zeigt Goebbels am 1. April 1934 mit einem strategisch raffinierten Verwaltungsakt. Die regionalen Sendegesellschaften müssen ihre 49 Prozent Anteile an der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft dem Propagandaministerium übertragen. Damit werden sie zu Reichssendern – und noch abhängiger von Goebbels‘ Stabsstelle. Auch der Bayerische Rundfunk fügt sich nun, löst seine Gesellschaft bürgerlichen Rechts auf und heißt fortan „Reichssender München“. So genannte „Ringsendungen“, eine zeitgleiche Ausstrahlung mehrerer Sender, werden aufgelegt, wie diese Toncollage für den Kurzwellendienst.

Dok-Ton – Toncollage Kurzwellendienst: (Sprecher) Hey ho, grüßt Euch, der Sender am Meer. // Glocken Kölner Dom // (Sprecher) Westdeutschland, das Land des westfälischen Bauern, das Land des rasenden Arbeiters an der Ruhr, das Land mit seinem rheinischen Frohsinn. ...

Erzähler: Volksnah also sollen die Sendungen sein, unterhaltend, nicht belehrend und mit Fachwissen protzend, nicht für eine Minderheit, die „nur von Kant und von Hegel ernährt werden will“, wie Goebbels einmal abschätzig bemerkte.

Besonders beliebt sind „Bunte Abende“ mit viel leichter Schlagerkost deutscher Provenienz, kein „Niggerjazz“, wie die Nationalsozialisten verächtlich sagen. 1937 beträgt der Musikanteil am Gesamtprogramm rund 70 Prozent. Der Rundfunk ist aber auch Instrument für politische Kampagnen. Bei der Saarabstimmung 1935 trommelt er für die Rückkehr des Saarlands ins Deutsche Reich. Bis zum Abstimmungstag am 13. Januar 1935 werden insgesamt rund 1.200 Beiträge ausgestrahlt, eine Woche davor läuft ein „Saartag“ auf allen Reichssendern. Der Erfolg bleibt nicht aus, die Saarländer stimmen mit überwältigender Mehrheit für die Eingliederung in das Deutsche Reich. Goebbels schenkt ihnen daraufhin einen Sender, den Reichssender Saarbrücken. Auch Adolf Hitler zeigt sich dankbar und übergibt ihnen ein Staatstheater an den Ufern der Saar. Das Saarland ist jetzt angeschlossen an die große deutsche , die die Nationalsozialisten mit Hilfe des Radios suggerieren. Deutscher Volksmund soll sogar bei Gymnastiksendungen wie dieser vom Reichssender Stuttgart sprechen:

Dok-Ton – Reichssender Stuttgart: (Gymnastik mit Gesang und Musik) „Wir ruckelzuckeln wieder“ (Schwabe) Es pfeift jeder wie er kann in jedem Stand und Land, es schwätzet im Bayerischen und wenn er aus Sachsen ist, wie jeder Gott`s Namen heißt, der Schnabel gewachsen ist (Gymnastik) „Linkes Bein zurück, das rechte ...

Erzähler: Heile Welt, wie auch das Wunschkonzert, das im Januar 1936 zum ersten Mal aus dem Großen Sendesaal im Berliner Haus des Rundfunks überregional ausgestrahlt wird – als Geldsammelaktion für das „Winterhilfswerk“. Mit Beginn des Krieges 1939 wird das Wunschkonzert dann zum „Wunschkonzert für die “. Nun präsentieren, statt der zivilen Hörer, Soldaten im Felde ihre Musikwünsche und im Großen Sendesaal sitzen als Publikum überwiegend Fronturlauber mit ihren Familien, oft schon gezeichnet von Verwundungen und Amputationen. Aus einem 7

Wunschkonzert vom 19. Mai 1940. Zeremonienmeister ist Heinz Goedecke, der Erfinder der „Wunschkonzerte“.

Dok-Ton – Heinz Goedecke (Wunschkonzert): Liebe Hörer, und wieder sei die Rede vom Soldaten, die wünschen sich ne extra Wurst gebraten. Das Wunschkonzert tut ihnen gern den Willen und wird die Sonderwünsche gleich erfüllen. Ja, über den Geschmack ist nicht zu streiten. Der eine liebt die heiteren Gesänge, der andere der Geige zarte Klänge, Euch freut nur der Olympiaglocken- Läuten. (Glockenläuten) Für dieses Glockengeläut spendete die 2. Kompanie einer Kampffliegerschule 500 Mark. (Beifall) Dient die Kartoffel nicht nur der Ernährung, ja, spendet außerdem sie noch Belehrung, in dem Kartoffeln schält, der strenge Spieß, der damit zeigen will, so macht man dies, dann wünscht man sich von Buckow, blast doch bitte mal aus diesem Anlass das Kartoffelsuppensignal. (Signal)

Erzähler: Für dieses „Reichsprogramm“ ist jetzt der „Großdeutsche Rundfunk“ verantwortlich, wie sich der Reichs-Rundfunk ab 1939 nennt. Für Goebbels bedeutet diese Namensänderung weiteren Zuwachs an Macht und eine fortschreitende Zentralisierung des Rundfunks, die allmählich zur Auflösung der regionalen Reichssender führt. In Köln zum Beispiel wird ab Mai 1942 nur noch eine Stunde Programm pro Woche hergestellt, „kölsche Lieder“ etwa oder Berichte „aus dem kulturellen Leben der niederrheinisch-westfälischen Gaue“. Mit diesem Rest der Herrlichkeit am Rhein ist es im Sommer 1942 auch vorbei. Der Kölner Sender wird von der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft stillgelegt und schweigt. Es trifft auch andere Reichssender, Leipzig, z. B., Stuttgart und den eben erst aus der Taufe gehobenen Sender in Saarbrücken. Die „Musik“ spielt nur noch in Berlin. Ab Juli 1942 wird rund um die Uhr gesendet. Wehrmachtsberichte, Luftlagemeldungen, der Rundfunk macht mobil. Soldaten und Zivilbevölkerung sind eins, wird propagiert, sind ein Volk, das in seinem Schicksalskampf steht.

Als Hans Fritsche, brauner Rundfunkmann der ersten Stunde und Vertrauter von Joseph Goebbels, auf dessen Anweisung im November 1942 die Abteilung Rundfunk im Propagandaministerium übernimmt, sind die deutschen Truppen bereits im Rückwärtsgang. Der Rundfunk sei eine Kanone, die durch jede Mauer schieße, meint Fritsche stramm, auch wenn ihre Projektile nur aus einsilbigen Worten bestünden. Eine Kanone besonderer Art ist die Weihnachtsringsendung 1942, ein Meisterstück nationalsozialistischer Propaganda, in der durch das Absingen von „Stille Nacht, heilige Nacht“ in den Außenposten der Wehrmacht suggeriert wird, Europa sei fest in deutscher Hand.

Dok-Ton – Weihnachtsringsendung vom 22. 12. 1942: (Gesang) „Stille Nacht, heilige Nacht...... “ (Sprecher) … diesem spontanen Wunsch deutscher Kameraden fern unten am Schwarzmeer schließen sich nun alle Stationen an, jetzt singen sie schon am Eismeer und in Finnland und jetzt in ... und jetzt schalten wir dazu alle die anderen Stationen: Leningrad, Stalingrad und jetzt kommt dazu Frankreich, kommt dazu Tasmania und Südafrika, und nun singt alle mit, singt alle mit uns in dieser Minute....“ (Gesang) „Schlaf in himmlischer Ruh’“.

Erzähler:

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In Köln, Stuttgart, Leipzig, München, Frankfurt werden unter dessen die Funkhäuser durch Bombenangriffe der Alliierten zerstört oder zumindest stark beschädigt. Das gleichgeschaltete Reichsprogramm muss aus Provisorien gesendet werden. In Leipzig erst in einer Schule, dann im Verstärkeramt der Post, schließlich soll der Reichssender im Völkerschlachtdenkmal untergebracht werden. Nur in Hamburg bleibt das Funkhaus unbeschädigt, und in Berlin, wo man aus Furcht vor Luftangriffen inzwischen aus einem Bunker neben dem Haus des Rundfunks sendet.

Am Tag der letzten Rede Goebbels‘, am 19. April 1945, sind nur noch die Reichssender Berlin, Hamburg und München in Betrieb. Aber auch diese Sendeanlagen hätten auf Befehl Hitlers vom 20. März 1945 zerstört werden sollen. Dazu kommt es nicht mehr, aber man richtet sich in den Funkhäusern auf das Ende ein, lethargisch, in Weltuntergangsstimmung, nur aus München hört man plötzlich seltsame Töne.

Dok-Ton – Sender Ismaning: Oberst Fuhrmann hat Sonnabendfrüh über den Münchner Sender das Kennwort Fasanenjagd durchgegeben...

Erzähler: „Fasanenjagd“ stand für die Jagd auf Nazibonzen, die sich in letzter Minute aus dem Staub machen wollten. Der Aufruf kommt am 28. April 1945 vom Sender Ismaning im Erdinger Moos und dahinter steht die Freiheitsaktion Bayern um Hauptmann Ruppert Gerngroß, die die Wehrmacht und Fremdarbeiter dazu auffordert, sich gegen die nationalsozialistische Herrschaft zu erheben.

Dok-Ton – Sender Ismaning: Goldfasanen sitzen ja jetzt schon versammelt alle in Bayern, die Bayerischen und die aus den anderen Gauen getürmt sind und da wird seit Sonnabend, 5 Uhr morgens losgeknallt, jeder Schuss ein Goldfasan ... und so geht das jetzt den ganzen Tag und die ganze Nacht und vielleicht noch ein paar Tage und Nächte, dann werden ja die Goldfasanen so ziemlich ausgestorben sein und in Deutschland kann wieder Ruhe und Ordnung eintreten.“

Erzähler: Die mutige Aktion ist vergebens. Gauleiter Paul Giesler schlägt zurück und beendet mit Hilfe von SS-Einheiten die Besetzung des Senders. Doch der Untergang des so genannten Dritten Reiches ist nicht aufzuhalten. Für die deutschen Radiohörer ist das Glück im Unglück. Hitler stellte sich den Rundfunk nach seinem Sieg als Versorgung per Draht vor. Jeder Volksgenosse wäre dann mit den Schaltstellen der braunen Macht verkabelt gewesen und Hitler hätte per Knopfdruck die Radiohörer mit dem Programm seiner Wahl versorgt.

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Tonspuren – eine Rundfunkgeschichte Ende Oktober 1923 ging das erste deutsche Radioprogramm auf Sendung – und damit begannen neun Jahrzehnte politischer Achterbahnfahrt – von der Gleichschaltung unter den Nazis über Neubeginn und Wiedervereinigung bis zur 9 digitalen Revolution heute. Die Geschichte des Rundfunks spiegelt die dramatische Geschichte des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts. 30.09. Folge 1: Gründerzeit 14.10. Folge 3: Auferstanden aus Ruinen 21.10. Folge 4: Geburtsstunden 28.10. Folge 5: Wem gehört der Rundfunk? 04.11. Folge 6: Wege zur Einheit

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